Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht EuZPR/EuIPR. Band IV Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht EuZPR/EuIPR, Band IV: Brüssel IIa-VO, EG-UntVO, HUntVerfÜbk 2007, EU-EheGüterVO-E, EU-LP-GüterVO-E, EU-SchutzMVO [4. neu bearbeitete Auflage] 9783504384371

Verfahrensrechtliche Instrumente zum Internationalen Familienrecht Band IV der 4. Auflage des fünfbändigen Großkomment

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Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht EuZPR/EuIPR. Band IV Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht EuZPR/EuIPR, Band IV: Brüssel IIa-VO, EG-UntVO, HUntVerfÜbk 2007, EU-EheGüterVO-E, EU-LP-GüterVO-E, EU-SchutzMVO [4. neu bearbeitete Auflage]
 9783504384371

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Kommentarliteratur
B Familien- und Erbrecht
B.I Zuständigkeit, Anerkennung, Vollstreckung
B.I.1 Brüssel IIa-VO: Verordnung (EG) Nr 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1347/2000
B.I.2 EG-UntVO: Verordnung (EG) Nr 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen
B.I.3 HUntVerfÜbk 2007 Haager Übereinkommen vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen
B.I.4a EU-EheGüterVO-E: Vorschlag vom 16. März 2011 für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts, KOM (2011)126
B.I.4b EU-LP-GüterVO: Vorschlag vom 16. März 2011 für eine Verordnung über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften, KOM (2011)127
B.I.5 EU-SchutzMVO:Verordnung (EU) Nr 606/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen
Gesetzesanhang
Register

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Europäisches Zivilprozessund Kollisionsrecht EuZPR / EuIPR Kommentar Band IV Brüssel IIa-VO • EG-UntVO • HUntVerfÜbk 2007 EU-EheGüterVO-E • EU-LP-GüterVO-E • EU-SchutzMVO

Das Gesamtwerk EuZPR / EuIPR mit den Bänden Band I: Brüssel Ia-VO Band II: EG-VollstrTitelVO, EG-MahnVO, EG-BagatellVO, EU-KPfVO, HProrogÜbk 2005, EG-ZustVO 2007, EG-BewVO, EG-InsVO Band III: Rom I-VO, Rom II-VO Band IV: Brüssel IIa-VO, EG-UntVO, HUntVerfÜbk 2007, EU-EheGüterVO-E, EU-LP-GüterVO-E, EU-SchutzMVO Band V: KSÜ, EU-ErbVO, HUntStProt 2007, Rom III-VO wird herausgegeben von Professor Dr. Thomas Rauscher, Leipzig

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Europäisches Zivilprozessund Kollisionsrecht EuZPR / EuIPR Kommentar Band IV Brüssel IIa-VO • EG-UntVO • HUntVerfÜbk 2007 EU-EheGüterVO-E • EU-LP-GüterVO-E • EU-SchutzMVO 4. Auflage (2015)

Herausgegeben von

Thomas Rauscher Kommentiert von Marianne Andrae • Kathrin Binder • Christoph A. Kern Kathrin Kroll-Ludwigs • Thomas Rauscher • Martin Schimrick

Kommentatoren/in 4. Auflage, Band IV (2015) Brüssel IIa-VO Thomas Rauscher EG-UntVO: Einl; Art 1 – Art 15 Marianne Andrae Art 16 – Art 43 Marianne Andrae / Martin Schimrick Art 44 – Art 76 Marianne Andrae HUntVerfÜbk 2007 Christoph A. Kern Kathrin Kroll-Ludwigs EU-EheGüterVO-E Kathrin Kroll-Ludwigs EU-LP-GüterVO-E Kathrin Binder EU-SchutzMVO

Abkürzungsempfehlungen

Zitierweise

Brüssel Ia-VO EU-KPfVO Brüssel IIa-VO EU-LP-GüterVO-E EG-BagatellVO EU-SchutzMVO EG-BewVO HProrogÜbk 2005 EG-InsVO HUntStProt 2007 EG-MahnVO HUntVerfÜbk 2007 EG-UntVO KSÜ EG-VollstrTitelVO LugÜbk 2007 EG-ZustVO 2007 Rom I-VO EU-EheGüterVO-E Rom II-VO EU-ErbVO Rom III-VO

Rauscher / Rauscher, EuZPR / EuIPR (2015) Einl Brüssel IIa-VO Rn 1 Rauscher / Rauscher, EuZPR / EuIPR (2015) Art 1 Brüssel IIa-VO Rn 1 Rauscher / Andrae, EuZPR / EuIPR (2015) Vorbem Artt 3 ff EG-UntVO Rn 1 Rauscher / Andrae / Schimrick, EuZPR / EuIPR (2015) Art 16 EG-UntVO Rn 1 Rauscher / Kroll-Ludwigs, EuZPR / EuIPR (2015) Einf EU-EheGüterVO-E Rn 1

ISBN (print) 978-3-504-47205-4 ISBN (eBook) 978-3-504-38437-1

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio­ nal­biblio­grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver­wer­tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zu­stimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Ver­v iel­f äl­t i­g un­gen, Über­setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Jan P. Lichtenford, Mettmann. Satz: fidus Pub­likations-Service GmbH, Nördlingen. Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg. Printed in Germany.

Systematik des Gesamtkommentars (Stand November 2014)

A A.I

Allgemeines Zivil- und Handelsrecht Zuständigkeit, Anerkennung, Vollstreckung

Brüssel Ia-VO, EG-VollstrTitelVO, EG-MahnVO, EG-BagatellVO, EU-KPfVO, HProrogÜbk 2005

A.II Rechtshilfe EG-ZustVO 2007, EG-BewVO A.III Insolvenz EG-InsVO A.IV Kollisionsrecht Rom I-VO, Rom II-VO

B B.I

Familien- und Erbrecht Zuständigkeit, Anerkennung, Vollstreckung

Brüssel IIa-VO, EG-UntVO, HUntVerfÜbk 2007, EU-EheGüterVO-E, EU-LP-GüterVO-E, EU-SchutzMVO, KSÜ, EU-ErbVO

B.IV Kollisionsrecht HUntStProt 2007, Rom III-VO

Kommentatoren/innen Dr iur Marianne Andrae

Dr iur Peter Mankowski Professor an der Universität Hamburg

Dr iur Kathrin Binder Assistenzprofessorin an der Johannes Kepler Universität Linz

Dr iur Gerald Mäsch Professor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Richter am Oberlandesgericht Hamm aD

em Professorin an der Universität Potsdam

Dr iur Johannes Cziupka Rechtsanwalt bei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Hamburg Dr iur Robert Freitag, Maître en droit (Bordeaux) Professor an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg Dr iur Urs Peter Gruber Professor an der Johannes Gutenberg Universität Mainz Dr iur Bettina Heiderhoff Professorin an der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster Dr iur Jan von Hein Professor an der Universität Freiburg Dr iur Tobias Helms Professor an der Universität Marburg Christian Hertel, LL.M. (George Washington Universität, Washington D.C.) Notar in Weilheim i OB Dr iur Katharina Hilbig-Lugani Professorin an der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf Dr iur Dominique Jakob, M.I.L. (Lund) Professor an der Universität Zürich Dr iur Christoph Alexander Kern, LL.M. (Harvard) Professor an der Universität Heidelberg Dr iur Kathrin Kroll-Ludwigs Privatdozentin, Referentin am Deutschen Notarinstitut Würzburg Dr iur Stefan Leible Professor an der Universität Bayreuth

Dr iur Steffen Pabst, LL.M. (Stockholm) Konzernjurist bei der LVV Leipziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH in Leipzig Dr iur Peter Picht, LL.M. (Yale) Wiss Referent am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, München Dr iur Thomas Rauscher Professor an der Universität Leipzig Dipl Math Dr iur Martin Schimrick Rechtsanwalt bei DAMERAU Rechtsanwälte in Berlin Dr iur Ansgar Staudinger Professor an der Universität Bielefeld Dr iur Karsten Thorn, LL.M. (Georgetown) Professor an der Bucerius Law School Hamburg Dr iur István Varga Professor an der ELTE Universität Budapest Rechtsanwalt bei KNPLAW in Budapest Dipl Phil Denise Wiedemann, LL.M. (Lissabon) Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Leipzig Dipl Rpfl Dr iur Matthias Weller, Mag rer publ Professor an der EBS Universität für Wirtschaft & Recht Wiesbaden Dr iur Domenik Henning Wendt, LL.M. Professor an der Frankfurt University of Applied Sciences

Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Kommentarliteratur

B

Familien- und Erbrecht

B.I

Zuständigkeit, Anerkennung, Vollstreckung

ix xxxv

B.I.1 Brüssel IIa-VO Verordnung (EG) Nr 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1347/2000



Kommentiert von:  Thomas Rauscher

3

B.I.2 EG-UntVO Verordnung (EG) Nr 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen

Kommentiert von:  Marianne Andrae / Martin Schimrick

443

B.I.3 HUntVerfÜbk 2007 Haager Übereinkommen vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen

Kommentiert von:  Christoph A. Kern

887

B.I.4a EU-EheGüterVO-E Vorschlag vom 16. März 2011 für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts, KOM (2011) 126

Kommentiert von:  Kathrin Kroll-Ludwigs

1081

vii

Inhaltsverzeichnis

B.I.4b EU-LP-GüterVO Vorschlag vom 16. März 2011 für eine Verordnung über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften, KOM (2011) 127

Kommentiert von:  Kathrin Kroll-Ludwigs

1147

B.I.5 EU-SchutzMVO Verordnung (EU) Nr 606/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen

Kommentiert von:  Kathrin Binder

1189

Gesetzesanhang

1277

Register

1319

viii

Abkürzungsverzeichnis aA aA AA aaO ABl EG ABl EU Abl Abs abwM AC AD ADI ADR ADSp AdWirkG aE AEDIPr AEntG AEUV aF AfP African J Comp L AG AG AG AGG AGS AiB AIDA AJP AK AL All ER All ER (Comm) allg allgM Alt AMG

am Anfang anderer Ansicht Ars Aequi am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Amtsblatt der Europäischen Union ablehnend Absatz abweichende Meinung The Law Reports. Appeal Cases Arbetsdomstolen Actas de Derecho Industrial Alternative Dispute Resolution Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen Gesetz über die Wirkungen der Annahme als Kind nach ausländischem Recht (Adoptionswirkungsgesetz) am Ende Anuario Español de Derecho Internacional Privado Arbeitnehmerentsendegesetz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht African Journal of Comparative Law Amtsgericht (mit Ortsname) Ausführungsgesetz (mit Gesetzesname) Die Aktiengesellschaft Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Anwaltsgebühren spezial Arbeitsrecht im Betrieb Association Internationale du Droit d’Auteur Aktuelle juristische Praxis Astikos Kodix (griechisches Bürgerliches Gesetzbuch) Ad Legendum All England Law Reports All England Law Reports, Commercial Cases allgemein(-e, -er) allgemeine Meinung Alternative Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz)

ix

Abkürzungsverzeichnis

AmJCompL AmJIntL AMPreisVO Am Rev Int Arb An Der Mar Anh Ank L Rev Anm Ann Inst Dr int AnwBl AöR AP App AppG Arb ArbG ArbGG AR-Blattei Arb Int ArbRB ArbuR ArbVG arg Art ASA Bull ASVG AuA Aud Prov AÜG AuR ausf AusfG AuslInvestmG

ausnw AußStrG

Australian LJ AVAG

x

American Journal of Comparative Law American Journal of International Law Arzeimittelpreisverordnung American Review of International Arbitration Anuario de Derecho Maritimo Anhang Ankara Law Review Anmerkung Annuaire de l’Institut de Droit international Anwaltsblatt Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsgerichtliche Praxis Corte di Appello Appellationsgericht Arbitration Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrechts-Blattei Arbitration International Arbeits-Rechts-Berater Arbeit und Recht Arbeitsverfassungsgesetz (Österreich) argumentum Artikel Association of Swiss Arbitrators Bulletin Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (Österreich) Arbeit und Arbeitsrecht Audiencia Provincial Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) Arbeit und Recht ausführlich Ausführungsgesetz Gesetz über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile und über die Besteuerung der Erträge aus ausländischen Investmentanteilen ausnahmsweise Bundesgesetz über das gerichtliche Verfahren in Rechtsangelegenheiten außer Streitsachen (Außerstreitgesetz) (Österreich) Australian Law Journal Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen (Anerkennungsund Vollstreckungsausführungsgesetz)

Abkürzungsverzeichnis

AVAuslEntschG

AVRAG AWD AWG

Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (Österreich) Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters Außenwirtschaftsgesetz

BAG BAGE BÄrzteO BauR BayJMBl BayObLG BayVBl BB BC BCC BCLC Bd BDGesVR Bearb BeckRS Belg Belgrade L Rev BerGesVR Bespr BetrVG BezG BG BGB BGBl BGE BGH BGHR BGHZ BIE BJM BKR Bl BlZürchRspr BörsG BRAK BRAK-Mitt BRAO BR-Drs Brook J Int L BRTV-Bau

Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesärzteordnung Zeitschrift für das gesamte öffentliche und zivile Baurecht Bayerisches Justizministerialblatt Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter Betriebs-Berater Bilanzbuchhalter und Controller British Commercial Cases Butterworth’s Company Law Cases Band Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Bearbeitung Beck’scher Rechtsprechungsservice belgisch (-e, -es) Belgrade Law Review Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Besprechung Betriebsverfassungsgesetz Bezirksgericht Schweizerisches Bundesgericht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof BGH-Report Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bijblad bij de Industriëele Eigendom Basler Juristische Mitteilungen Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Blatt Blätter für Zürcherische Rechtsprechung Börsengesetz Bundesrechtsanwaltskammer Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrats-Drucksache Brooklyn Journal of International Law Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe

xi

Abkürzungsverzeichnis

Brüssel I EU-DK Abk

Brüssel I-VO

Brüssel Ia-VO

Brüssel II-VO

Brüssel IIa-VO

BSGE Bspr BT-Drs BtMG Bull Bull civ Bull Comp Lab Rel Bull Joly sociétés Bus L Rev BVerfG BVerfGE BW BW Krant Jaarboek BWNotZ BYIL bzgl bzw CA Cah dr eur Cambridge Yb Eur Leg Stud Cass Cass civ Cass com

xii

Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v 19.10.2005 Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Verordnung (EG) Nr 1347/2000 des Rates vom 29.5.2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten Verordnung (EG) Nr 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1347/2000 Entscheidungen des Bundessozialgerichts Besprechung Bundestags-Drucksache Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz) Bulletin Bulletin des arrêts civiles Bulletin of Comparative Labour Relations Bulletin Joly des sociétés Business Law Review Bundesverfassungsgericht Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Burgerlijk Wetboek (Niederlande) Burgerlijk Wetboek Krant Jaarboek Zeitschrift für das Notariat Baden-Württemberg British Yearbook of International Law bezüglich beziehungsweise Court of Appeal; Cour d’appel Cahier de droit européen Cambridge Yearbook of European Legal Studies Cour de Cassation; Corte di Cassazione Cour de Cassation, chambre civile Cour de Cassation, chambre commerciale

Abkürzungsverzeichnis

Cass mixte CB (NS) cc CDE Ch Ch D CIM

CISG

CIV

civ CJ CJQ CLC CLJ CLNI

CLP CL Pracz Clunet CMLRev CMNI

CMR

col Col Jur Columb L Rev COMI comm CompJurRev Cornell Int’l LJ Corp Rescue & Insol

Cour de Cassation, chambre mixte Common Bench Reports, New Series Code Civil (Frankreich), codice civile (Italien), Código Civil (Spanien), Código Civil (Portugal) Cahiers de droit européen The Law Reports, Chancery Division High Court of Justice, Chancery Division Règles uniformes concernant le contrat de transport international ferroviaire des marchandises (Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern), Anh B COTIF Convention on Contracts for the International Sale of Goods (Wiener UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf) v 11.4.1980 Règles uniformes concernant le contrat de transport international ferroviaire des voyageurs (Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck), Anh A COTIF Chambre civile code judiciaire (Belgien) Civil Justice Quarterly Commercial Law Cases Cambridge Law Journal Convention de Strasbourg sur la limitation de la responsabilité en navigation intérieure (Straßburger Übereinkommen über die Beschränkungen der Haftung in der Binnenschifffahrt) v 4.11.1988 Current Legal Problems Common Law Practice Journal du droit international, fondée par E Clunet Common Market Law Review Convention de Budapest relative au contract de transport de marchandises en navigation interieure (Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschiffahrt) v 22.6.2001 Convention relative au contrat de transport international de marchandises par route (Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr) v 19.5.1956 idF des Protokolls v 5.7.1978 colonne Colectânea de Jurisprudência Columbia Law Review center of main interests Chambre commerciale Comparative Juridical Review Cornell International Law Journal Corporate Rescue and Insolvency

xiii

Abkürzungsverzeichnis

COTIF

cpc

CPR CR CRTD

ct CVR

D D aff DAR DAVorm DB dbr ders DGVZ dh DienstleistungsRL Dir com scambi int Dir comm int Dir mar Diss DJ DJur DMF Doc Dir Comp D&P DRiZ Dr soc Dr sociétés DS DS DSJur DStR

xiv

Convention relative aux transports internationaux ferroviaires (Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr) v 9.5.1980 idF v 3.9.1999 Código de Processo Civil (Portugal), Code de procédure civile (Frankreich, Belgien, Luxemburg), codice di procedura civile (Italien) Civil Procedure Rules Computer und Recht Convention sur la responsabilite civile pour les dommages causes au cours du transport de marchandises dangereuses par route, rail et bateaux de navigation interieure (UNÜbereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Schäden bei der Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße, der Schiene und auf Binnenschiffen) v 10.9.1989 Court Convention relative au contrat de transport international de voyageurs et de bagages par route (Übereinkommen über den Vertrag über die internationale Beförderung von Personen und Gepäck auf der Straße) v 1.3.1973 Recueil Dalloz Dalloz Affaires Deutsches Autorecht Der Amtsvormund Der Betrieb Der Betriebsrat derselbe, dieselbe Deutsche Gerichtsvollzieher Zeitung das heißt Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt Diritto comunitario e degli scambi internazionali Diritto del commercio internazionale Diritto marittimo Dissertation Deutsche Justiz Recueil Dalloz. Jurisprudence Droit maritime français Documentação e Direito Comparado (Boletim do Ministério da Justiçia) Droit & Patrimoine Deutsche Richterzeitung Droit social Droit des sociétés Der Sachverständige Recueil Dalloz Sirey. hebdomadaire Reuceil Dalloz Sirey. Jurisprudence Deutsches Steuerrecht

Abkürzungsverzeichnis

DuD DVBl DZWIR DZWiR

Datenschutz und Datensicherheit Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EAT EB ebd ebf E-CommerceRL

Employment Appeal Tribunal Empfangsbestätigung ebenda ebenfalls Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) editor(s) Episkopissi Emporikou Dikaiou Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz) Einführungsgesetz Europäische Gemeinschaften Verordnung (EG) Nr 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 zur Einführung eines Verfahrens für geringfügige Forderungen Gesetzes zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über die grenzüberschreitende Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (EGBeweisaufnahmedurchführungsgesetz) Verordnung (EG) Nr 1206/2001 des Rates vom 28.5.2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivilund Handelssachen Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch Verordnung (EG) Nr 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.7.2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Verordnung (EG) Nr 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren Verordnung (EG) Nr 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27.1.2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen

ed(s) EED EFZG EG EG EG-BagatellVO

EG-BewDG

EG-BewVO

EGBGB EGGVG EGHGB EG-IAS-VO

EGInsO EG-InsVO EG-MahnVO

EGMR EG-PKH-RL

xv

Abkürzungsverzeichnis

EG-PKHVV EG-UntVO

EGV EG-VollstrTitelDG

EG-VollstrTitelVO

EGZPO EG-ZustDG

EG-ZustVO 2000

EG-ZustVO 2007

EheG EheSchlRG Einl einschl EIPR EJCCL Electr J Comp L Emory Int’l L Rev EMRK EntsendeRL

EO EP EPÜ

ERA ERCL Erg-Lfg

xvi

EG-Prozesskostenhilfevordruckverordnung Verordnung (EG) Nr 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr 805/2004 über einen Europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen (EG-Vollstreckungstitel-Durchführungsgesetz) Verordnung (EG) Nr 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen Gesetz betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung Gesetz zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten (EG-Zustellungsdurchführungsgesetz) Verordnung (EG) Nr 1348/2000 des Rates vom 29.5.2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten Verordnung (EG) Nr 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1348/2000 des Rates Ehegesetz (Schweden) Eheschließungsrechtsgesetz Einleitung einschließlich European Intellectual Property Review European Journal of Commercial Contract Law Electronic Journal of Comparative Law Emory International Law Review Europäische Menschenrechtskonvention Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen Exkutionsordnung (Österreich) Europäisches Parlament Übereinkommen über die Erteilung Europäischer Patente (Europäisches Patentübereinkommen) v 5.10.1973 idF v 29.11.2000 Europäische Rechtsakademie European Review of Contract Law Ergänzungslieferung

Abkürzungsverzeichnis

ERPL ErwGr ESZB etc ETR EU EU-KPfVO

EU-EheGüterVO-E

EU-ErbVO

EuGH EuGHE EuGH-VerfO EuGrCh EuGVÜ

EuInsÜ EuIPR EuLF EU-LP-GüterVO-E

EuR Eur Bus L Rev Eur J L Reform Eur J Migr & L Eur L Rpter EuropTransL EU-SchutzMVO

EuSorgeÜbk 1980

European Review of Private Law Erwägungsgrund (-grundes, -gründe) Europäisches System der Zentralbanken et cetera Europäisches Transportrecht Europäische Union Verordnung (EU) Nr 655/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.5.2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivilund Handelssachen Entwurf einer Verordnung über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts Verordnung (EU) Nr 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses Gerichtshof der Europäischen Union Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes der EG und des Europäischen Gerichts Erster Instanz Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofes Charta der Grundrechte der Europäischen Union EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen („Brüsseler Übereinkommen“) v 27.9.1968 EU-Übereinkommen über Insolvenzverfahren v 23.11.1995 Europäisches Internationales Privatrecht European Legal Forum Entwurf einer Verordnung über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften Europarecht European Business Law Review European Journal of Law Reform European Journal of migration and law European Law Reporter European Transport Law: Journal for Law and Economics Verordnung (EU) Nr 606/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.6.2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen Europäisches Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht

xvii

Abkürzungsverzeichnis

EUV EuVollstrTitel EuZ EuZA EuZPR EuZVR EuZW EVÜ

EWCA EWGV EWHC EWiR EWIV-VO

EWR EWS EzA EZB EZB F f FactÜbk Fallimento FamFG FamG Fam Law Fam LQ FamRÄndG

FamRBint FamRZ fasc FernabsatzRL

FF ff

xviii

für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses v 20.5.1980 Vertrag über die Europäische Union Europäischer Vollstreckungstitel Zeitschrift für Europarecht Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht Europäisches Zivilprozessrecht Europäisches Zivilverfahrensrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („RomÜbereinkommen“) v 19.6.1980 England and Wales Court of Appeal Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft High Court of England and Wales Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Verordnung (EWG) Nr 2137/85 des Rates vom 25.7.1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht Europäischer Zahlungsbefehl Europäische Zentralbank Federal Reporter folgende Ottawaer UNIDROIT-Übereinkommen über das internationale Factoring v 28.5.1988 Il fallimento (Zeitschrift) Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Familiengesetz (Finnland) Family Law Familiy Law Quarterly Gesetz zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften (Familienrechtsänderungsgesetz) Der Familienrechtsberater – Beilage zum internationalen Familienrecht Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fascicule Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz Forum Familienrecht folgende

Abkürzungsverzeichnis

FFE FG FG FG FGG FinDAG FJR FLA Fla L Rev FLDA FLR FlRG Fn Foro it Foro pad Forum Int R FPR FS FSR FuR GA GAin GATT GazPal GazPalDoctr GebrMG GEDIP GenTG GeschmMG GeschmMV gem GewSchG GFS GG ggf ggü GGVO ggf Giur comp dir int priv Giur it

Forum Familien- und Erbrecht Festgabe Finanzgericht Freiwillige Gerichtsbarkeit Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Gesetz über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz) Tijdschrift voor Familie- en Jeugdrecht Family Law Act (Vereinigtes Königreich) Florida Law Review Family Law Divorce Act (Irland) Family Law Reports Gesetz über das Flaggenrecht der Seeschiffe und die Flaggenführung der Binnenschiffe (Flaggenrechtsgesetz) Fußnote Foro italiano Il Foro padano Forum des Internationalen Rechts Familie, Partnerschaft, Recht Festschrift Fleet Street Reports Familie und Recht Generalanwalt Generalanwältin General Agreement on Tariffs and Trade (Allgemeines Zollund Handelsabkommen) La gazette du palais et du notariat Gazette du Palais, Doctrine Gebrauchsmustergesetz Groupe européen de droit international privé Gesetz zur Regelung der Gentechnik (Gentechnikgesetz) Gesetz über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen (Geschmacksmustergesetz) Verordnung zur Ausführung des Geschmacksmustergesetzes (Geschmacksmusterverordnung) gemäß Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz) Gedächtnis- und Festschrift Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls gegenüber Verordnung (EG) Nr 6/2002 des Rates vom 12.12.2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster gegebenenfalls Giurisprudenza comparata di diritto internaionale privato Giurisprudenza italiana

xix

Abkürzungsverzeichnis

GKG GLJ GmbHR GMVO GoA GPR grdsl GRUR GRURInt GRUR-RR GS GVG GWB H hA HAdoptÜbk 1993

HambR

HandelsvertreterRL

Harv L Rev HausratsVO HAVE HBÜ Hdb IZVR HErwSÜbk 2000 HG HGB High Ct HKaufStÜbk 1955

HKindEntfÜbk hL HL hM

xx

Gerichtskostengesetz German Law Journal GmbH-Rundschau Verordnung (EG) Nr 207/2009 des Rates vom 26.2.2009 über die Gemeinschaftsmarke Geschäftsführung ohne Auftrag Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht grundsätzlich Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Rechtsprechungs-Report Gedächtnisschrift Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Heft herrschende Ansicht Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption v 29.5.1993 UN-Convention on the Carriage of Goods by Sea – Hamburg Rules (UN-Übereinkommen über die Beförderung von Gütern auf See) v 31.3.1978 Richtlinie 86/653/EG des Rates vom 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter Harvard Law Review Verordnung über die Behandlung der Ehewohnung und des Hausrats nach der Scheidung (Hausratsverordnung) Haftung und Versicherung Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen v 18.3.1970 Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen v 13.1.2000 Handelsgericht Handelsgesetzbuch High Court Haager Übereinkommen betreffend das auf internationale Kaufverträge über bewegliche Sachen anzuwendende Recht v 15.6.1955 Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung v 25.10.1980 herrschende Lehre House of Lords herrschende Meinung

Abkürzungsverzeichnis

HmbSchRZ HOAI Hof van Cass HProdHPflÜbk 1973 HProrogÜbk 2005 Hrsg HS HStVÜbk 1971 HTrustÜbk 1985 HUntAVÜbk 1958

HUntAVÜbk 1973 HUntStProt 2007 HUntStÜbk 1956

HUntStÜbk 1973 HUntVerfÜbk 2007

HZivPrÜbk 1954 HZÜ

IACPIL IBR ICC ICC Int Ct Arb Bull ICCLR ICLQ idF idR IDR iE IER IESC iFamZ

Hamburger Zeitschrift für Schifffahrtsrecht Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen Hof van Cassatie Haager Übereinkommen über das auf die Produkthaftpflicht anzuwendende Recht v 2.10.1973 Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen v 30.6.2005 Herausgeber Halbsatz Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht v 4.5.1971 Haager Übereinkommen über das auf Trusts anzuwendende Recht und über ihre Anerkennung v 1.7.1985 Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern v 15.4.1958 Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen v 2.10.1973 Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht v 23.11.2007 Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht v 24.10.1956 Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht v 2.10.1973 Haager Übereinkommen über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen v 23.11.2007 Haager Übereinkommen über den Zivilprozeß v 1.3.1954 Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen v 15.11.1965 Interdisplinary Association of Comparative and Private International Law Immobilien- & Baurecht International Chamber of Commerce ICC International Court of Arbitration Bulletin International Company and Commercial Law Review International and Comparative Law Quarterly in der Fassung in der Regel Journal of International Dispute Resolution im Ergebnis Intellectuele eigendom & reclamerecht Supreme Court of Ireland Decisions Interdisziplinäre Zeitschrift für Familienrecht

xxi

Abkürzungsverzeichnis

IFL IHR IIC

IR IR iRd iSd iVm IZ IZPR IZVR iZw

International Family Law Internationales Handelsrecht International Review of Intellectual Property and Competition Law International Legal Materials International Litigation Procedure Irish Law Reports Monthly ILSA (International Law Students’ Association) Journal of International and Comparative Law Irish Law Times insbesondere Insolvenzordnung International Arbitration Law Review International Company and Commercial Law Review The International Construction Law Review Gesetz zum Internationalen Familienrecht Gesetz zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts (Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz) International Litigation Procedure The International Lawyer International Lis International Review of Industrial Property and Copyright Law Internationale Urteilsanerkennung Investmentgesetz Insolvenz und Vollstreckung Intellectual Property Quarterly Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts IPR-Gesetz Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des internationalen Privatrechts Informations rapides Irish Reports im Rahmen des/der im Sinne des/der in Verbindung mit Zeitschrift für den Internationalen Eisenbahnverkehr Internationales Zivilprozessrecht Internationales Zivilverfahrensrecht im Zweifel

J JAmt JAP jap JAR

Justice Zeitschrift für Jugendhilfe und Familienrecht Juristische Ausbildung und Praxisvorbereitung japanisch (-er, -es) Jaarboek voor Arbeidsrecht

ILM ILPr ILRM ILSA J Int & Comp L ILT insbes InsO Int Arb L Rev Int Co & Comm L Rev IntConstrLRev IntFamG IntFamRVG

Int Litig Proc Int’l Lawyer Int’l Lis IntRevIndCopRL IntUrtAnerk InvG InVo IPQ IPR IPRax IPRG IPRspr

xxii

Abkürzungsverzeichnis

JbItalR JbJZivRWiss JBL JBl JbPraxSch JbRSoz JCl Droit int JCl Droit int fasc JClP JClP (C) JClP (E) JClP (G) jdf JDI J Empir Leg Stud JhJB JIBFL JIBLR JIML J Int Arb JIntBankL JMLB JMLC JN JO JoBL JPA JPIL JPrIL JR JT J T dr europeen JuMiG JURA JurBüro Jur comm belge JuS JWTL JZ

Jahrbuch für italienisches Recht Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler Journal of Business Law Juristische Blätter Jahrbuch für die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Juris-Classeur, Droit international Juris-Classeur, Droit international fascicule Juris-Classeur Périodique Juris-Classeur Périodique, édition Civil Juris-Classeur Périodique, édition Entreprise Juris-Classeur Périodique, édition Générale jedenfalls Journal du droit international Journal of Empirical Legal Studies Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts Journal of International Banking and Financial Law Journal of International Banking Law and Regulation Journal of International Maritime Law Journal of International Arbitration Journal of International Banking Law Jurisprudence de Mons, Liège et Bruxelles Journal of Maritime Law and Commerce Jurisdiktionsnorm (Österreich) Journal officiel Journal of Business Law Jurisprudence de port d’Anvers Journal of Public and International Law Journal of Private International Law Juristische Rundschau Journal des tribunaux Journal des tribunaux (droit europeen) Justizmitteilungsgesetz Juristische Ausbildung Das Juristische Büro Jurisprudence commerciale belge Juristische Schulung Journal of World Trade: law, economics, public policy Juristenzeitung

KantonsG Kap KapMuG Kapstadt-Übk

Kantonsgericht Kapitel Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz Cape Town Convention on International Interests in Mobile Equipment (Kapstädter Übereinkommen über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung) v 16.11.2001 Kings Bench The King’s College Law Journal

KB KCLJ

xxiii

Abkürzungsverzeichnis

KfzPflVV

KG KGR King’s Coll LJ KlauselRL KOM KonsG KPD K&R krit KritJustiz KrWaffKontrG KSchG KSÜ

Ktg KTS KulturgüterrückgabeRL

KWG LA LAG LAGE LandesG LEC LFGB Lit LJ LJJ LJZ Lloyd’s Rep LM LMCLQ LMK LOPJ Loyola LA In’l & Comp Rev LPartG LQRev

xxiv

Verordnung über den Versicherungsschutz in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (KraftfahrzeugPflichtversicherungsverordnung) Kammergericht Report des Kammergerichts King’s College Law Journal Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen Dokumentenkennung der Kommission der EG Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (Konsulargesetz) Kodix Politikis Dikonomias (Griechenland) Kommunikation & Recht kritisch Kritische Justiz Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen Kündigungsschutzgesetz Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern v 19.10.1996 Kantongerecht Konkurs, Treuhand, Schiedsgerichtswesen Richtlinie 93/7/EWG des Rates vom 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern Gesetz über das Kreditwesen liber amicorum Landesarbeitsgericht Entscheidungssammlung der Landesarbeitsgerichte Landesgericht Ley de Enjuiciamiento Civil (Spanien) Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch Litera Lord Justice Lord Justices Liechtensteinische Juristenzeitung Lloyd’s Reports liber memorialis Lloyd’s Maritime and Commercial Law Quarterly Lindenmaier-Möhring, Kommentierte Rechtsprechung Ley Orgánica del Poder Judicial (Spanien) Loyola of Los Angeles International and Comparative Law Review Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft Law Quarterly Review

Abkürzungsverzeichnis

LuftVG LugÜbk 1988

LugÜbk 2007

luxemb m MaBV

Luftverkehrsgesetz Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen v 16.9.1988 Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen v 30.10.2007 luxemburgisch

mwN

mit Verordnung über die Pflichten der Makler, Darlehens- und Anlagenvermittler, Anlageberater, Bauträger und Baubetreuer (Makler- und Bauträgerverordnung) Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (Markengesetz) Marquette Law Review Monatsschrift für Deutsches Recht Staatsvertrag über Mediendienste (Mediendienstestaatsvertrag) Mediation-Arbitration Gesetz zur Regelung der Miethöhe (Miethöhegesetz) Michigan Law Review Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern Mitteilungen der deutschen Patentanwälte Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer Maastricht Journal of European and Comparative Law Multimedia und Recht Modern Law Review Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Montrealer Übereinkommen) v 28.5.1999 Medien und Recht Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen v 5.10.1961 UN-Convention on International Multimodal Transport of Goods (UN-Übereinkommen über die internationale multimodale Güterbeförderung) v 24.5.1980 Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz) mit weiteren Nachweisen

Nachw ncpc Ned Jbl Ned Jur

Nachweis(e) Nouveau Code de procédure civile (Frankreich) Nederlands Juristenblad Nederlandse Jurisprudentie

MarkenG MarqLRev MDR MDStV Med-Arb MHG Mich L Rev MittBayNot MittPat MittRhNotK MJ MMR Mod L Rev MoMiG MontrÜbk

MR MSA

MTC

MuSchG

xxv

Abkürzungsverzeichnis

NEheG NILR NIPR NIQB NJ NJ NJA NJOZ NJW NJW-RR

NTBR NTER NTHR Nuove leggi civ com NVwZ Nw J Int’l L & Bus NYUL Rev NZA NZA-RR NZFam NZG NZI NZM NZV

Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder Netherlands International Law Review Nederlands Internationaal Privaatrecht Northern Ireland Queen’s Bench Division Nederlandse Jurisprudentie Neue Justiz Nytt Jurisdik Arkiv Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis Nummer(n) Naczelny Sąd Administracyjny (polnisches Oberstes Verwaltungsgericht) Nachschlagewerk der Rechtsprechung zum Gemeinschaftsrecht Nederlands Tijdschrift voor Burgerlijk Recht Nederlands Tijdschrift voor Europees Recht Nederlands Tijdschrift voor Handelsrecht Nuove leggi civili commentate Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Northwestern Journal of International Law and Business New York University Law Review Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für Familienrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht Neue Zeitschrift für Mietrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht

o oä öAnwBl öAwE ÖBA ObG Obs OGH OH Ohio St LJ ÖJZ öKSchG ØLD OLG OLG-NL

oben oder ähnliches Österreichisches Anwaltsblatt öffentliche Aufgabe wahrnehmende Einrichtung Österreichisches Bank Archiv Obergericht Observations Österreichischer Oberster Gerichtshof Court of Session, Outer House Ohio State Law Journal Österreichische Juristenzeitung Konsumentenschutzgesetz (Österreich) Østre Landsret Dom Oberlandesgericht OLG-Rechtsprechung Neue Länder

NotBZ Nr NSA NSW

xxvi

Abkürzungsverzeichnis

OLGR OR ÖRZ öst

OLG-Report Obligationenrecht (Schweiz) Österreichische Richterzeitung österreichisch (-er, -es)

p PECL PKG PflVG

ProtEuGVÜ ProzRB

page Principles of European Contract Law Pensionskassengesetz Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter (Pflichtversicherungsgesetz) Präsident Protokoll Protokoll über die Position Dänemarks, beigefügt dem Amsterdamer Vertrag v 2.10.1997 Protokoll zum EuGVÜ v 27.9.1968 Der Prozess-Rechtsberater

QB QBD QC

The Law Reports, Queen’s Bench Division High Court of Justice, Queen’s Bench Division Queen’s Counsel

RabelsZ

Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Ernst Rabel Rechtbank Rechtbank van Koophandel Berner Übereinkommen über den Schutz von Werken der Literatur und Kunst v 9.9.1886 idF v 2.10.1979 Recht der Arbeit Revue de droit commercial belge Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (Rechtsdienstleistungsgesetz) Recht der Umwelt Recht der Wirtschaft Recueil des Cours de l’Academie de droit international Revista espanola de derecho internacional Tribunal da Relação Revue d’arbitrage Revue belge de droit international Revue critique de droit international privé Revue critique de jurisprudence belge Revista de derecho comunitario europeo Revue de droit des affaires internationales Revue de droit français commerciale Revue de droit international et de droit comparé Revue de droit du travail Revue de droit uniforme Revista da Faculdade de Direito da Universidade de Lisboa Revue générale de droit civil belge

Präs Prot ProtDK

Rb Rb Kh RBÜ RdA RDCB RDG RdU RdW Rec REDI Rel Rev arb Rev belge dr int Rev crit dip Rev crit jur belge Rev der com eur Rev dr aff int Rev dr fr comm Rev dr int dr comp Rev dr trav Rev dr unif Rev Fac Dir Univ Lisboa Rev gén dr civ belge

xxvii

Abkürzungsverzeichnis

Rev int dr comp Rev int y integr Rev Inst belge Rev Lamy dr aff Rev MUE Rev ord adv Rev proc coll Rev Scapel Rev soc Rev trim dr civ Rev trim dr eur Rev trim dr fam RFDA RG RGBl RGDA RGZ RHDI RIDC Ritsum L Rev Riv arb Riv dir eur Riv dir fall soc com Riv dir int Riv dir int priv proc Riv dir proc Riv notariato Riv trim dir proc civ RIW RL Rn Rom I-VO

Rom II-VO

Rom III-VO

RPC Rpfleger RPflG RpflStud RRa Rs R+S

xxviii

Revue internationale de droit comparé Revista internacional y integración Revue d’Institut Belge Revue Lamy de Droit des affaires Revue du Marché Unique Européen Revista da Ordem dos Advogados Revue des procédures collectives civiles et commerciales Revue Scapel Revue des sociétés Revue trimestrielle de droit civil Revue trimestrielle de droit européen Revue trimestrielle de droit familial Revue française de droit administratif Reichsgericht Reichsgesetzblatt Revue générale du droit des assurances Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Revue hellénique de droit international Revue international de droit comparé Ritsumeikan Law Review (International Edition) Rivista d’arbitrato Rivista di diritto europeo Rivista di diritto fallimentare e della societá commerciale Rivista di diritto internazionale Rivista di diritto internazionale privato e processuale Rivista di diritto processuale Rivista del Notariato Rivista trimestrale di diritto e procedura civile Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie Randnummer Verordnung (EG) Nr 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“) Verordnung (EG) Nr 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20.12.2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts Reports of Patent Cases Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Rechtspfleger – Studienhefte Reiserecht aktuell Rechtssache Recht und Schaden

Abkürzungsverzeichnis

RSDA Rspr RTD com RTD eur RVG RVJ RW

Revue Suisse de droit des affaires et du marché financier Rechtsprechung Revue trimestrielle de droit commercial et de droit économique Revue trimestrielle de droit européen Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Revue valaisanne de jurisprudence Rechtskundig Weekblad

S S s SAE Sc SC SchiedsVZ SchuldRAnpG

Satz Seite siehe Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen scilicet (lat nämlich) Supreme Court Zeitschrift für Schiedsverfahren Gesetz zur Anpassung schuldrechtlicher Nutzungsverhältnisse an Grundstücken im Beitrittsgebiet (Schuldrechtsanpassungsgesetz) schweizerisch (-e, -es) Schweizerische Juristenzeitung Scottish Civil Law Reports Semaine judiciaire Verordnung (EG) Nr 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) Sozialgesetzbuch sic! (Zeitschrift) Steuer-Journal Schweizer Juristenzeitung chambre sociale sogenannt Sommaires Gesetz zur Ausführung des Haager Übereinkommens v 25.10. 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung und des Europäischen Übereinkommens v 20.5.1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses (Sorgerechtsübereinkommens-Ausführungsgesetz) Verordnung (EG) Nr 2100/94 des Rates vom 27.7.1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz Sortenschutzgesetz Spalte Spanien (-s) Zeitschrift für Sport und Recht Schip en Schade Ständige Das Standesamt (Zeitschrift für Standesamtwesen) Supremo Tribunal de Justicia

Schw SchwJZ SCLR Sem jud SE-VO SGB sic! Sj SJZ Soc sog Somm SorgeRÜbkAG

SortenschutzVO SortSchG Sp Span SpuRt S&S St StaZ STJ

xxix

Abkürzungsverzeichnis

Str SvJT SVR Sw J L & Trade in the Americas SZ SZIER SZW SZZP TBH TDG Temp L Rev Texas Int’l LJ TfR TGI Time-Sharing-RL 1994

Spiegelstrich Svensk Juristtidning Straßenverkehrsrecht – Zeitschrift für die Praxis des Verkehrsjuristen Southwestern Journal of Law and Trade in the Americas Sammlung der Rechtsprechung des Österreichischen Obersten Gerichtshofs in Zivilsachen Schweizerische Zeitschrift für Internationales und Europäisches Recht Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Schweizerische Zeitschrift für Zivilprozessrecht

TIP TMG TranspR Trav Com fr DIP Trib Trib app Trib cant Trib comm Trib Sup Trib trav Tru L I Trusts att fid Tulane J Int’l & Comp L Tul L Rev TVI TzBfG

Tijdschrift voor Belgisch handelsrecht Gesetz über die Nutzung von Telediensten (Teledienstegesetz) Temple Law Review Texas International Law Journal Tidsskrift for Rettsvitenskap Tribunal de grande instance Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien Richtlinie 2008/122/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.1.2009 über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsverträgen, Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte sowie Wiederverkaufs- und Tauschverträgen Tijdschrift voor Internationaal Privaatrecht Telemediengesetz Transportrecht Travaux de Comité français de droit international privé Tribunal, Tribunale Tribunale di appello Tribunal cantonal Tribunal de commerce Tribunal Supremo Tribunal de travail Trust Law International Riviste Trusts e attività fiduciarie Tulane Journal of International and Comparative Law Tulane Law Review Tijdschrift voor Insolventierecht Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge

u uä UAbs

unten und ähnliches Unterabsatz

Time-Sharing-RL 2009

xxx

Abkürzungsverzeichnis

Übk UCC UFITA UfR UhVorschG

UKHL UKlaG ULR Unif L Rev UN-KinderrechteÜbk UNÜ U Pa LRev UrhG uU v v va VAG VaJInt’lL Vand J Transn L Var VerbraucherkreditRL

VerbrauchsgüterkaufRL

verb RS VerkProspG VermG VersR VersRAI vgl VO VOB/B

Vorbem vorl VuR

Übereinkommen Uniform Commercial Code Archiv für Urheber- und Medienrecht Ugeskrift for Retsvaesen Gesetz zur Sicherung des Unterhalts von Kindern allein stehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfalleistungen United Kingdom House of Lords Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen Utrecht Law Review Uniform Law Review Übereinkommen über die Rechte des Kindes v 20.11.1989 New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche v 10.6.1958 University of Pennsylvania Law Review Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) unter Umständen versus von, vom vor allem Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz) Virginia Journal of International Law Vanderbilt Journal of Transitional Law Variante Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates Richtlinie 99/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.5.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter verbundene Rechtssache Wertpapier-Verkaufsprospektgesetz (Verkaufsprospektgesetz) Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz) Versicherungsrecht Versicherungsrecht Beilage Ausland vergleiche Verordnung Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B: Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen Vorbemerkung(en) vorläufig Verbraucher und Recht

xxxi

Abkürzungsverzeichnis

VV VVG VW Vzngr

Vergütungsverzeichnis Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz) Versicherungswirtschaft Voorzieningenrechter

Wanderarbeitnehmer-VO Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14.6.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern WarschAbk Warschauer Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr v 12.10.1929 wbl Wirtschaftsrechtliche Blätter WiB Wirtschaftsrechtliche Beratung WiRO Wirtschaft und Recht in Osteuropa WLR The Weekly Law Reports WM Wertpapier-Mitteilungen wobl Wohnrechtliche Blätter WpHG Gesetz über den Wertpapierhandel (Wertpapierhandelsgesetz) WPNR Weekblad voor privaatrecht, notariaat en registratie WRP Wettbewerb in Recht und Praxis WRV Wetboek van Rechtsvorderingen (Niederlande) WSA Wirtschafts- und Sozialausschuss WTO World Trade Organization (Welthandelsorganisation) WuB Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht WÜD Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen v 18.4.1961 WÜK Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen v 24.4.1963 WuW Wirtschaft und Wettbewerb WVRK Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge v 23.5.1969 YB Com Arb YB ConsL YB EL YB IntL YB PIL

Yearbook of Commercial Arbitration Yearbook of Consumer Law Yearbook of European Law Yearbook of International Law Yearbook of Private International Law

Zak ZAP zB ZBB ZBernJV ZBVR ZESAR ZEuP ZEuS

Zivilrecht aktuell Zeitschrift für anwaltliche Praxis zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift des Bernischen Juristen-Vereins Zeitschrift für Betriebsverfassungsrecht Zeitschrift für Europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Europarechtliche Studien

xxxii

Abkürzungsverzeichnis

ZEV ZfA ZfBR ZfIR ZfRV ZfV ZGR ZHR ZIAS Ziff ZIK ZInsO ZIP ZivG ZJapanR ZKM ZLR ZLW ZMR ZPO ZRHO ZSR zT ZUM zust Zust EU-DK Abk

ZustRG zutr ZVersWiss ZVGB ZVglRWiss ZVI ZWeR ZZP ZZPInt

Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für deutsches und internationals Bau- und Vergaberecht Zeitschrift für Immobilienrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung, internationales Recht und Europarecht Zeitschrift für Versicherungswesen Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht Ziffer Zeitschrift für Insolvenzrecht und Kreditschutz Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilgericht Zeitschrift für Japanisches Recht Zeitschrift für Konflikt-Management Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zivilprozessordnung Rechtshilfeordnung in Zivilsachen Zeitschrift für Schweizerisches Recht zum Teil Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht zustimmend Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen v 19.10.2005 Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz) zutreffend Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft Zivilverfahrensgesetzbuch Polen Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht Zeitschrift für Wettbewerbsrecht Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International

xxxiii

Kommentarliteratur Althammer, Brüssel IIa Rom III (2014) zitiert: Althammer/Bearbeiter Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO72 (2014) zitiert: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann/Bearbeiter Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht (Loseblatt, Stand 2013) zitiert: Burgstaller/Neumayr/Bearbeiter Callies/Ruffert, EUV/EGV4 (2011) zitiert: Callies/Ruffert/Bearbeiter Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht3 (2009) zitiert: Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Bearbeiter Dauner-Lieb/Heidel/Ring, NomosKommentar Bürgerliches Gesetzbuch: BGB (2010-2012) zitiert: NK-BGB/Bearbeiter Fasching/Konecny, Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen2 (2002-2011) zitiert: Fasching/Konecny/Bearbeiter Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss2 (2010) zitiert: Gebauer/Wiedmann/Bearbeiter Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht3 (2010) zitiert: Geimer/Schütze/Bearbeiter, EuZVR Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen (Loseblatt, Stand Juni 2014) zitiert: Geimer/Schütze/Bearbeiter Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union: EUV/AEUV (Loseblatt, Stand Mai 2014) zitiert: Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bearbeiter Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht (2013) zitiert: Hausmann, IntEuSchR

xxxv

Kommentarliteratur

Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht9 (2011) zitiert: Kropholler/von Hein Krüger/Rauscher, Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung4 (2012-2013) zitiert: MünchKommZPO/Bearbeiter Musielak, ZPO10 (2013) zitiert: Musielak/Bearbeiter Prütting/Helms, FamFG3 (2013) zitiert: Prütting/Helms/Bearbeiter Rauscher, Münchener Kommentar zum FamFG2 (2013) zitiert: MünchKommFamFG/Bearbeiter Schlosser, EU-Zivilprozessrecht3 (2009) zitiert: Schlosser Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz5 (2011) zitiert: Schuschke/Walker/Bearbeiter Saenger, NomosKommentar Zivilprozessordnung: ZPO5 (2013) zitiert: NK-ZPO/Bearbeiter Staudinger, Kommentar zum BGB (1993 ff) zitiert: Staudinger/Bearbeiter (Jahr) Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung: ZPO22 (2002-2013) zitiert: Stein/Jonas/Bearbeiter (Jahr) Streinz, EUV/AEUV2 (2012) zitiert: Streinz/Bearbeiter Thomas/Putzo, ZPO35 (2014) zitiert: Thomas/Putzo/Bearbeiter Wieczorek/Schütze, ZPO3 (1994 ff) bzw ZPO4 (2012 ff) zitiert: Wieczorek/Schütze/Bearbeiter (Jahr) Zöller, ZPO30 (2014) zitiert: Zöller/Bearbeiter

xxxvi

B. Familien- und Erbrecht B.I Zuständigkeit, Anerkennung, Vollstreckung

B.I.1 Verordnung (EG) Nr 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1347/2000 ABl EU 2003 L 338/1 Art 63 Abs 3, 4 geändert durch VO (EG) Nr 2116/2004 v 2.12.2004 ABl EU 2004 L 367/1 (Beitritt Malta) Schrifttum 1. Brüssel II-Übereinkommen und Brüssel II-VO* Ancel/Muir Watt, La désunion européenne: Le Règlement dit ‚Bruxelles II‘, Rev crit dip 2001, 403 Andrae, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen sowie die Beachtung der früheren Rechtshängigkeit nach der Ehe-VO (Brüssel II-Verordnung), ERA-Forum 2003, 28 Bauer, Neues internationales Verfahrensrecht im Licht der Kindesentführungsfälle, IPRax 2002, 179 Beaumont/Moir, Brussels Convention II: A New Private International Law Instrument in Family Matters for the European Union or the European Community?, ELRev 1995, 268 Becker-Eberhard, Die Sinnhaftigkeit der Zuständigkeit der EG-VO Nr 1347/2000 („Brüssel II“), in: FS Kostas E Beys (2003) 93 Bergerfurth, Die internationale Scheidungszuständigkeit im EU-Bereich, FFE 2001, 15 Boele-Woelki, Waarom Brussel II?, FJR 1998, 95 Boele-Woelki, Brüssel II: Die Verordnung über die Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen, ZfRV 2001, 121 Boularbah/Watté, Les nouvelles règles de conflits de juridiction en matière des désunion des époux. Le

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Zur Brüssel IIa-VO neu erschienene Literatur siehe unten 2.

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Brüssel IIa-VO Finger, Rechtsakt des Rates der Europäischen Union über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen (und damit zusammenhängenden Kindschaftssachen) v 30.4.1998 (mit Korr. v 12.5.1998), FuR 1998, 346 Finger, Die Verordnung (EG) Nr 1347/2000 des Rates v 29.5.2000 (EheGVO), JR 2001, 177 Fontaine, Bruxelles II – La nouvelle Convention entre les États de l’Union européenne sur le règlement des conflits transnationaux en matière familiale, D & P 1999, 22 Francq, Parental Responsibility under „Brussels II“, ERA-Forum 2003, 54 Gaudemet-Tallon, Le règlement No 1347/2000 du Conseil du 29 mai 2000 „Compétence, reconnaissance et execution des decision en matière matrimoniale et en matière de responsabilité parentale des enfants communs“, JDI 2001, 381 Gruber, Die neue „europäische Rechtshängigkeit“ bei Scheidungsverfahren, FamRZ 2000, 1129 Hajnczyk, Die Zuständigkeit für Entscheidungen in Ehesachen und in anderen Familiensachen aus Anlass von Ehesachen sowie deren Anerkennung und Vollstreckung in der EG und in der Schweiz (2003) Hau, Internationales Eheverfahrensrecht in der Europäischen Union, FamRZ 1999, 484 Hau, Das System der internationalen Entscheidungszuständigkeit im europäischen Eheverfahrensrecht, FamRZ 2000, 1333 Hau, Europäische und autonome Zuständigkeitsgründe in Ehesachen mit Auslandsbezug, FPR 2002, 616 Hausmann, Neues internationales Eheverfahrensrecht in der Europäischen Union, EuLF 2000/01, 271, 345 Helms, Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen im Europäischen Eheverfahrensrecht, FamRZ 2001, 257 Helms, Internationales Verfahrensrecht für Familiensachen in der Europäischen Union, FamRZ 2002, 1593 Hohloch, Internationales Verfahrensrecht in Ehe- und Familiensachen, FFE 2001, 45 Jänterä-Jareborg, Marriage Dissolution and the Recognition and Enforcement of Judgements in Matrimonial Matters (Brussels II Convention), YB PIL 1999, 1

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung IIa) – eine Einführung, Beilage NJW Heft 18/2004 und FPR Heft 6/2004 Schulz, The state of development of uniform law in the field of European and international family and child law, EuLF 2007, I-278 Schulz, Das Haager Kindesentführungsübereinkommen und die Brüssel IIa-Verordnung – Notizen aus der Praxis, in: FS Jan Kropholler (2008) 435 Shúilleabháin, Ten Years of European Family Law. Retrospective Reflections from a Common Law Perspective, ICLQ 59 (2010) 1021 Sickerling, Preliminary ruling procedures in family matters: an empirical report, ERA Forum (2012) 11 Siehr, Die Eheverordnung von 2003 und das MSA von 1961, in: FS Dieter Schwab (2005) 1267 Solomon, „Brüssel IIa“ – Die neuen europäischen Regeln zum internationalen Verfahrensrecht in Fragen der elterlichen Verantwortung, FamRZ 2004, 1409 Spellenberg, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen (2005), EheGVO Teixeira de Sousa, Ausgewählte Probleme aus dem Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 und des Haager Übereinkommens v 19.10.1996 über den Schutz von Kindern, FamRZ 2005, 1612 Tenreiro/Ekström, Recent Developments in European Family Law, ERA-Forum 2003, 126 Wicke/Reinhardt, Die Auswirkungen der sog „Brüssel IIa-Verordnung“ auf die Arbeit der Jugendämter, JAmt 2007, 453 Winkel, Grenzüberschreitendes Sorge- und Umgangsrecht und dessen Vollstreckung (2003) Winkler von Mohrenfels, Das europäische Kindesentführungsrecht auf neuem Wege, IPRax 2002, 372 Winkler von Mohrenfels, Die gleichgeschlechtliche Ehe im deutschen IPR und im europäischen Verfahrensrecht, in: FS Tugrul Ansay (2006) 527 Verschraegen, Die Brüssel IIa-Verordnung: ein Danaergeschenk?, in: König/Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht in Österreich – Bilanz nach 10 Jahren (2007) Völker/Steinfatt, Die Kindesanhörung als Fallstrick bei der Anwendung der Brüssel IIa-Verordnung, FPR 2005, 415. Vornberg, Sorgerecht, Umgangsrecht, Kindesentzug

Thomas Rauscher

Brüssel IIa-VO bei Trennung und Scheidung der Eltern, FPR 2011, 444 3. EG-Rechtsvereinheitlichung im IPR, gescheiterter Brüssel IIa-ÄndE, Rom III-VO Bauer, Neues europäisches Kollisions- und Verfahrensrecht auf dem Weg: Stellungnahme des Deutschen Rates für IPR zum internationalen Erb- und Scheidungsrecht, IPRax 2006, 202 Beyer, Handlungsfelder der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Familienrecht – Die europäischen Verordnungsvorschläge zum internationalen Scheidungs- und Unterhaltsrecht, FF 2007, 20 Finger, Grünbuch der Europäischen Kommission über das anzuwendende Recht und die gerichtliche Zuständigkeit in Scheidungssachen, FF 2007, 35 Gottwald, Probleme der Vereinheitlichung des Internationalen Familienverfahrensrechts ohne gleichzeitige Kollisionsrechtsvereinheitlichung in: Freitag/ Leible/Sippel/Wanitzek Internationales Familienrecht für das 21. Jahrhundert: Symposium Ulrich Spellenberg (2006) 55 Ibili, Van ‚Brussel II‘ en ‚Brussel IIbis‘ naar ‚Brussel IIter‘; voorstel tot introductie van forumkeuze en conflictenregels in het IPR-scheidingsprocesrecht, WPNR 2006, 743 Jayme/Kohler, Europäisches Kollisionsrecht 2006: Eurozentrismus ohne Kodifikationsidee?, IPRax 2006, 537 Kohler, Zur Gestaltung des europäischen Kollisionsrechts für Ehesachen: Der steinige Weg zu einheitlichen Vorschriften über das anwendbare Recht für Scheidung und Trennung, FamRZ 2008, 1673 Kohler, Einheitliche Kollisionsnormen für Ehesachen in der Europäischen Union: Vorschläge und Vorbehalte, FPR 2008, 193 Kohler/Pintens, Ehe und Familie im europäischen Recht – Entwicklungen und Tendenzen, FamRZ 2007, 1481 Kroll, Scheidung auf europäisch? – Die (derzeit) nicht scheidbare Ehe im IPR, StAZ 2007, 330 Mansel/Thorn/Wagner, Europäisches Kollisionsrecht 2008: Fundamente der Europäischen IPR-Kodifikation, IPRax 2009, 1 Martiny, Ein Internationales Scheidungsrecht für Europa – Konturen einer Rom III-Verordnung in: Freitag/Leible/Sippel/Wanitzek Internationales Fami-

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Brüssel IIa-VO lienrecht für das 21. Jahrhundert: Symposium Ulrich Spellenberg (2006) 119 Martiny, Die Entwicklung des Europäischen Internationalen Familienrechts – ein juristischer Hürdenlauf, FPR 2008, 187 Moro, Observations sur la communautarisation du droit de la famille, Riv dir int priv proc 2007, 675 Oderkerk, Het Groenboek inzake het toepasselijke recht en de rechterlijke bevoegdheid in echtscheidingzaken, NIPR 2006, 119 Rühberg, Auf dem Weg zu einem europäischen Scheidungskollisionsrecht (2006) Wagner, Zur Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft in der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, IPRax 2007, 290 Wagner, Zu den Chancen der Rechtsvereinheitlichung im internationalen Familienrecht, StAZ 2007, 101. 4. EG-Rechtsvereinheitlichung im materiellen Familienrecht Boele-Woelki, Comparative Research-Based Drafting of Principles of European Family Law, ERA-Forum 2003, 142

Caracciolo di Torella/Masselot, Under construction: EU Family law, ELRev 2004, 32 Martiny, Elterliche Verantwortung und Sorgerecht im ausländischen Recht, insbesondere beim Streit um den Kindesaufenthalt, FamRZ 2012, 1765 McGlynn, Families and the European Union Charter of Fundamental Rights: progressive change or entrenching the status quo?, ELRev 2001, 582 Moro, Observations sur la communautarisation du droit de la famille, Riv dir int priv proc 2007, 675 Pintens, Die Commission on European Family Law, Hintergrund, Gründung, Arbeitsmethode und erste Ergebnisse, ZEuP 2004, 548 TMC Asser Instituut, Practical Problems Resulting from the Non-Harmonization of Choice of Law Rules in Divorce Matters, Final Report JAI/A3/2001/04 (2002) Wagner, EG-Kompetenz für das Internationale Privatrecht in Ehesachen?, RabelsZ 68 (2004) 119 Wagner, Überlegungen zur Vereinheitlichung des Internationalen Privatrechts in Ehesachen in der Europäischen Union, FamRZ 2003, 803 Werwigk-Hertneck/Mauch, Auf dem Weg zu einem Europäischen Familiengesetzbuch, FamRZ 2004, 574.

Materialien 1. Brüssel II-Übereinkommen Verde í Aldea/d’Ancona, Europäisches Parlament, Ausschuß für Recht und Bürgerrechte, Bericht über den Entwurf eines Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Ehesachen, 16.4.1998 mit Stellungnahme des Ausschusses für Recht und Bürgerrechte, 16.4.1998, A4-0131/1998 Rat der Europäischen Union, Rechtsakte des Rates vom 28. Mai 1998 über die Ausarbeitung des Übereinkommens […] [wie vorstehend], ABl EG 1998 C 221/1 Übereinkommen […] [wie vorstehend], ABl EG 1998 C 221/2 Rat der Europäischen Union, Rechtsakt des Rates vom 28. Mai 1998 über die Ausarbeitung des Protokolls […] betreffend die Auslegung des Übereinkommens [wie vorstehend] durch den Gerichtshof

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der Europäischen Gemeinschaften, ABl EG 1998 C 221/19 Protokoll […] betreffend die Auslegung des Übereinkommens [wie vorstehend] durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, ABl EG 1998 C 221/20 Borrás, Erläuternder Bericht zu dem Übereinkommen […] [wie vorstehend], ABl EG 1998 C 221/27, zitiert: Borrás-Bericht Erläuternder Bericht zu dem Protokoll […] betreffend die Auslegung des Übereinkommens [wie vorstehend] durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, ABl EG 1998 C 221/65. 2. Brüssel II-VO Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in

Oktober 2014

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten, 4.5.1999, KOM (1999) 220, ABl EG 1999 C 247/1 Gebhardt/Lehne, Europäisches Parlament, Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten, Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Rates [wie vorstehend], 10.11.1999, A5-0057/1999 Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates [wie vorstehend], 20.10.1999, ABl EG 1999 C 368/23 Europäisches Parlament, Legislative Entschließung zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates [wie vorstehend], 17.11.1999, ABl EG 2000 C 189/97 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Rates [wie vorstehend], 17.3.2000, KOM (2000) 151 Verordnung (EG) Nr 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 [wie vorstehend], ABl EG 2000 L 160/19 Erklärungen Schwedens und Finnlands nach Artikel 36 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 [wie vorstehend], ABl EG 2001 L 58/22 Verordnung (EG) Nr 1185/2002 der Kommission vom 1. Juli 2002 zur Änderung der Liste der zuständigen Gerichte in Anhang I der Verordnung (EG) Nr 1347/2000 des Rates [wie vorstehend], ABl EG 2002 L 173/3 Akte über die Bedingungen des Beitritts [Neumitglieder 2004] und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge, Anhang II Nr 18 A 2. 32000 R 1347: Verordnung (EG) Nr 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 [wie vorstehend], ABl EU 2003 L 236/33, 713 Verordnung (EG) Nr 1804/2004 der Kommission vom 14. Oktober 2004 zur Änderung der Liste der zuständigen Gerichte und der Rechtsbehelfe in den Anhängen I, II und III der Verordnung (EG) Nr 1347/2000 des Rates [wie vorstehend], ABl EU 2004 L 318/7. 3. Brüssel IIa-VO a) Französische Initiative: Umgangsrecht Rat der Europäischen Union, Initiative der Französischen Republik im Hinblick auf die Annahme der Verordnung des Rates über die gegenseitige Voll-

Thomas Rauscher

Brüssel IIa-VO streckung von Entscheidungen über das Umgangsrecht, 7.7.2000, 9735/00, ABl EG 2000 C 234/7 Rat der Europäischen Union, Vermerk der französischen Delegation, 7.7.2000, 9735/00/ADD1 Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme zur Initiative der Französischen Republik [wie vorstehend], 19.10.2000, ABl EG 2001 C 14/82 Banotti, Europäisches Parlament, Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten, Bericht über die Initiative der Französischen Republik [wie vorstehend], 24.10. 2000, A5-0311/2000. b) Kommissionsvorschlag: elterliche Verantwortung Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Arbeitsunterlage der Kommission – Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, 27.3.2001, KOM (2001) 166 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, 6.9.2001, KOM (2001) 505, ABl EG 2001 C 332/269 Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates [wie vorstehend], 17.1.2002, ABl EG 2002 C 80/41 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung der Kommission (betreffend die Rücknahme des Vorschlags für eine Verordnung des Rates [wie vorstehend]), 6.6.2002, KOM (2002) 297. c) Brüssel IIa-VO (vor Annahme) Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1347/2000 und zur Änderung der Verordnung EG Nr 44/2001 in Bezug auf Unterhaltssachen, 17.5.2002, KOM (2002) 222/2, ABl EG 2002 C 203E/155 Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates [wie vorstehend], 18.9.2002, ABl EU 2003 C 61/76 Rat der Europäischen Union, Schreiben der Ständigen Vertreterin Irlands, 12.7.2002, 10755/02

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Brüssel IIa-VO Rat der Europäischen Union, Vermerk der Delegation des Vereinigten Königreichs, 5.9.2002, 11708/02 Rat der Europäischen Union, Vermerk der italienischen Delegation, 5.9.2002, 11735/02 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 28.10.2002, 13436/02 Banotti, Europäisches Parlament, Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten, Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Rates [wie vorstehend], 7.11.2002, A5-0385/2002 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 8.11.2002, 13940/02 Europäisches Parlament, Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates [wie vorstehend], 20.11.2002, T5-0543/2002 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Stellungnahme zu Änderungsanträgen des Europäischen Parlaments, 20.11.2002, (Ablehnung, unveröffentlicht) Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 26.11.2002, 14733/02 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 6.12.2002, 15280/02 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 10.12.2002, 15367/02 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 20.12.2002, 15772/02 Rat der Europäischen Union, Vermerk des künftigen Vorsitzes, 20.12.2002, 15773/02 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 7.3.2003, 6966/1/03/REV 1 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 14.3.2003, 6965/03 Rat der Europäischen Union, Vermerk der deutschen Delegation, 21.3.2003, 7728/03 Rat der Europäischen Union, Vermerk der deutschen Delegation, 21.3.2003, 7729/03 Rat der Europäischen Union, Vermerk der deutschen Delegation, 21.3.2003, 7730/03 Rat der Europäischen Union, Vermerk der spanischen Delegation, 15.4.2003, 8485/03 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes (überarbeiteter Text des Vorschlags für eine Verordnung), 30.4.2003, 8281/03 Rat der Europäischen Union, Vermerk der deutschen Delegation, 6.5.2003, 8745/03

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung Rat der Europäischen Union, Vermerk der deutschen Delegation, 6.5.2003, 9005/03 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes (überarbeiteter Text des Verordnungsvorschlags), 23.5.2003, 9670/03 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 2.6.2003, 9990/03 Rat der Europäischen Union, Vermerk der niederländischen Delegation, 12.6.2003, 10428/03 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Generalsekretariats des Rates, 19.6.2003, 10663/03/ADD1 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes (überarbeitete Fassung des Verordnungsvorschlags), 30.6.2005, 11008/03 Rat der Europäischen Union, Vermerk der deutschen Delegation, 11.7.2003, 11390/03 Rat der Europäischen Union, Vermerk der Kommission, 8.8.2003, 11995/03 Rat der Europäischen Union, Vermerk der deutschen Delegation, 11.8.2003, 12006/03 Rat der Europäischen Union, Vermerk der deutschen Delegation, 11.8.2003, 12007/03 Rat der Europäischen Union, Vermerk der deutschen Delegation, 11.8.2003, 12008/03 Rat der Europäischen Union, Vermerk der deutschen Delegation, 22.8.2003, 12068/03 Rat der Europäischen Union, Vermerk der österreichischen Delegation, 2.9.2003, 12143/03 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes (Kompromisslösung zur Verordnung), 22.9.2003, 12675/03 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes (Kompromisslösung zur Verordnung), 29.9.2003, 12992/03 Rat der Europäischen Union, Addendum zum Vermerk des Vorsitzes, 30.9.2003, 12992/03/ADD1 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 9.10.2003, 13225/03. d) Brüssel IIa-VO (Annahme) Rat der Europäischen Union, Gesetzgebungsakt (Verordnung des Rates), 20.10.2003, 12513/03 Rat der Europäischen Union, Gesetzgebungsakt (Korrektur der Verordnung des Rates), 23.10.2003, 12513/03/COR1 Rat der Europäischen Union, Gesetzgebungsakt (Revidierte Verordnung des Rates), 10.11.2003, 12513/1/03/REV1

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung Rat der Europäischen Union, Gesetzgebungsakt (Korrektur der Revidierten Verordnung des Rates), 17.11.2003, 12513/1/03/REV1/COR2 Rat der Europäischen Union, Gesetzgebungsakt (Korrektur der Revidierten Verordnung des Rates), 20.11.2003, 12513/1/03/REV1/COR3 Rat der Europäischen Union, Gesetzgebungsakt (Korrektur der Revidierten Verordnung des Rates), 26.11.2003, 12513/1/03/REV1/COR7 Rat der Europäischen Union, Gesetzgebungsakt (Erklärungen Schwedens und Finnlands), 26.11.2003, 12513/1/03/REV1/ADD1. e) Brüssel IIa-VO (nach Annahme) Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1347/2000 in Bezug auf Verträge mit dem Heiligen Stuhl, 29.9.2004, KOM (2004) 616 Rat der Europäischen Union, I/A-Punkt-Vermerk des Generalsekretariats des Rates, 3.11.2004, 13853/04 Rat der Europäischen Union, Gesetzgebungsakt (Änderung der Verordnung (EG) 2201/2003), 8.11. 2004, 13739/04 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Leitfaden zur Anwendung der neuen Verordnung Brüssel II (VO (EG) Nr 2201/2003), Aktualisierte Fassung vom 1.6.2005. 4. (Gescheitertes) Reformvorhaben: Brüssel IIa-ÄndE TMC Asser Instituut, Practical problems resulting from the non-harmonization of choice of law rules in divorce matters (2002), Studie im Auftrag der Kommission der EG Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch über das anzuwendende Recht und die gerichtliche Zuständigkeit in Scheidungssachen, 14.3.2005, KOM (2005) 82 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Commission Staff Working Paper, Annex to the

Thomas Rauscher

Brüssel IIa-VO Green Paper on applicable law and jurisdiction in divorce matters, 14.3.2005, SEC (2005) 331/1 Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme zu dem Grünbuch [wie vorstehend], 28.9.2005, ABl EU 2006 C 24/20 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2203 im Hinblick auf die Zuständigkeit in Ehesachen und zur Einführung von Vorschriften betreffend das anwendbare Recht in diesem Bereich, 17.7.2006, KOM (2006) 399 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Commission Staff Working Paper, Annex to the proposal for a Council Regulation (EC) No 2201/2003 as regards jurisdiction and introducing rules concerning applicable law in matrimonial matters, 17.7.2006, SEC (2006) 949 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Folgenabschätzung für den Vorschlag für eine Verordnung des Rates [wie vorstehend], 17.7.2006, SEC (2006) 950 Rat der Europäischen Union, I-Punkt-Vermerk des Generalsekretariats des Rates, 14.9.2006, 12713/06 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme zum Thema „Vorschlag für eine Verordnung des Rates [wie vorstehend]“, 13.12.2006, ABl. EU 2006 C 325/71 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 12.1.2007, 5274/07 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 9.3.2007, 7144/07 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 16.3.2007, 7144/07 COR 1 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 30.3.2007, 8028/07 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 13.4.2007, 8401/07 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 17.4.2007, 8549/07 Rat der Europäischen Union, Vermerk des deutschen Vorsitzes und des bevorstehenden portugiesischen Vorsitzes, 28.6.2007, 11295/07 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 3.10.2007, 13445/07 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Generalsekretariats, 18.1.2008, 5239/08

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Brüssel IIa-VO Rat der Europäischen Union, Vermerk des Ausschusses für Zivilrecht (Rom III), 28.1.2008, 5753/08 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 18.4.2008, 8587/08 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 23.5.2008, 9712/08 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 29.5.2008, 9985/08 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 11.7.2008, 11586/08 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Ausschusses für Zivilrecht (Rom III), 14.7.2008, 11536/08 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 18.7.2008, 11984/08

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung Rat der Europäischen Union, Korrigendum zum Vermerk des Vorsitzes, 23.7.2008, 11984/08 COR 1 Casiní, Europäisches Parlament, Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Rates [wie vorstehend], 19.9.2008, A6-0361/2008. 5. Bericht der Kommission Europäische Kommission, Bericht der Kommission über die Anwendung der Verordnung [wie vorstehend], 15.4.2014, COM (2014) 255

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION* – gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 61 Buchstabe c) und Artikel 67 Absatz 1, auf Vorschlag der Kommission1, nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments2, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses3, in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Europäische Gemeinschaft hat sich die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zum Ziel gesetzt, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist. Hierzu erlässt die Gemeinschaft unter anderem die Maßnahmen, die im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich sind. (2) Auf seiner Tagung in Tampere hat der Europäische Rat den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, der für die Schaffung eines echten europäischen Rechtsraums unabdingbar ist, anerkannt und die Besuchsrechte als Priorität eingestuft. (3) Die Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 20004 enthält Vorschriften für die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen sowie von aus Anlass von Ehesachen ergangenen Entscheidungen über die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten. Der Inhalt dieser Verordnung wurde weitgehend aus dem diesbezüglichen Übereinkommen vom 28. Mai 1998 übernommen5. (4) Am 3. Juli 2000 hat Frankreich eine Initiative im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Rates über die gegenseitige Vollstreckung von Entscheidungen über das Umgangsrecht vorgelegt6. * 1 2 3 4 5

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Hinweis des Verfassers: Die zu den Erwägungsgründen abgedruckten nummerierten Fußnoten sind solche des amtlichen Textes. ABl. C 203 E vom 27.8.2002, S. 155. Stellungnahme vom 20. September 2002 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht). ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 76. ABl. L 160 vom 30.6.2000, S. 19. Bei der Annahme der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 hatte der Rat den von Frau Professorin Alegria Borras erstellten erläuternden Bericht zu dem Übereinkommen zur Kenntnis genommen (ABl. C 221 vom 16.7.1998, S. 27). ABl. C 234 vom 15.8.2000, S. 7.

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Erwägungsgründe

Brüssel IIa-VO

(5) Um die Gleichbehandlung aller Kinder sicherzustellen, gilt diese Verordnung für alle Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, einschließlich der Maßnahmen zum Schutz des Kindes, ohne Rücksicht darauf, ob eine Verbindung zu einem Verfahren in Ehesachen besteht. (6) Da die Vorschriften über die elterliche Verantwortung häufig in Ehesachen herangezogen werden, empfiehlt es sich, Ehesachen und die elterliche Verantwortung in einem einzigen Rechtsakt zu regeln. (7) Diese Verordnung gilt für Zivilsachen, unabhängig von der Art der Gerichtsbarkeit. (8) Bezüglich Entscheidungen über die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung einer Ehe sollte diese Verordnung nur für die Auflösung einer Ehe und nicht für Fragen wie die Scheidungsgründe, das Ehegüterrecht oder sonstige mögliche Nebenaspekte gelten. (9) Bezüglich des Vermögens des Kindes sollte diese Verordnung nur für Maßnahmen zum Schutz des Kindes gelten, das heißt i) für die Bestimmung und den Aufgabenbereich einer Person oder Stelle, die damit betraut ist, das Vermögen des Kindes zu verwalten, das Kind zu vertreten und ihm beizustehen, und ii) für Maßnahmen bezüglich der Verwaltung und Erhaltung des Vermögens des Kindes oder der Verfügung darüber. In diesem Zusammenhang sollte diese Verordnung beispielsweise für die Fälle gelten, in denen die Eltern über die Verwaltung des Vermögens des Kindes im Streit liegen. Das Vermögen des Kindes betreffende Maßnahmen, die nicht den Schutz des Kindes betreffen, sollten weiterhin unter die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen7 fallen. (10) Diese Verordnung soll weder für Bereiche wie die soziale Sicherheit oder Maßnahmen allgemeiner Art des öffentlichen Rechts in Angelegenheiten der Erziehung und Gesundheit noch für Entscheidungen über Asylrecht und Einwanderung gelten. Außerdem gilt sie weder für die Feststellung des Eltern-Kind-Verhältnisses, bei der es sich um eine von der Übertragung der elterlichen Verantwortung gesonderte Frage handelt, noch für sonstige Fragen im Zusammenhang mit dem Personenstand. Sie gilt ferner nicht für Maßnahmen, die im Anschluss an von Kindern begangenen Straftaten ergriffen werden. (11) Unterhaltspflichten sind vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen, da sie bereits durch die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 geregelt werden. Die nach dieser Verordnung zuständigen Gerichte werden in Anwendung des Artikels 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 in der Regel für Entscheidungen in Unterhaltssachen zuständig sein. (12) Die in dieser Verordnung für die elterliche Verantwortung festgelegten Zuständigkeitsvorschriften wurden dem Wohle des Kindes entsprechend und insbesondere nach dem Kriterium der räumlichen Nähe ausgestaltet. Die Zuständigkeit sollte vorzugsweise dem Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes vorbehalten sein außer in bestimmten Fällen, in denen sich der Aufenthaltsort des Kindes geändert hat oder in denen die Träger der elterlichen Verantwortung etwas anderes vereinbart haben. (13) Nach dieser Verordnung kann das zuständige Gericht den Fall im Interesse des Kindes ausnahmsweise und unter bestimmten Umständen an das Gericht eines anderen Mitgliedstaats verweisen, wenn dieses den Fall besser beurteilen kann. Allerdings sollte das später angerufene Gericht nicht befugt sein, die Sache an ein drittes Gericht weiterzuverweisen. (14) Die Anwendung des Völkerrechts im Bereich diplomatischer Immunitäten sollte durch die Wirkungen dieser Verordnung nicht berührt werden. Kann das nach dieser Verordnung zuständige Gericht seine Zuständigkeit aufgrund einer diplomatischen Immunität nach dem 7

ABl. L 12 vom 16.1.2001, S. 1. Zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1496/2002 der Kommission (ABl. L 225 vom 22.8.2002, S. 13).

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Völkerrecht nicht wahrnehmen, so sollte die Zuständigkeit in dem Mitgliedstaat, in dem die betreffende Person keine Immunität genießt, nach den Rechtsvorschriften dieses Staates bestimmt werden. Für die Zustellung von Schriftstücken in Verfahren, die auf der Grundlage der vorliegenden Verordnung eingeleitet wurden, gilt die Verordnung (EG) Nr.1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten8.* Die vorliegende Verordnung hindert die Gerichte eines Mitgliedstaats nicht daran, in dringenden Fällen einstweilige Maßnahmen einschließlich Schutzmaßnahmen in Bezug auf Personen oder Vermögensgegenstände, die sich in diesem Staat befinden, anzuordnen. Bei widerrechtlichem Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes sollte dessen Rückgabe unverzüglich erwirkt werden; zu diesem Zweck sollte das Haager Übereinkommen vom 24. Oktober 1980, das durch die Bestimmungen dieser Verordnung und insbesondere des Artikels 11 ergänzt wird, weiterhin Anwendung finden. Die Gerichte des Mitgliedstaats, in den das Kind widerrechtlich verbracht wurde oder in dem es widerrechtlich zurückgehalten wird, sollten dessen Rückgabe in besonderen, ordnungsgemäß begründeten Fällen ablehnen können. Jedoch sollte eine solche Entscheidung durch eine spätere Entscheidung des Gerichts des Mitgliedstaats ersetzt werden können, in dem das Kind vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Sollte in dieser Entscheidung die Rückgabe des Kindes angeordnet werden, so sollte die Rückgabe erfolgen, ohne dass es in dem Mitgliedstaat, in den das Kind widerrechtlich verbracht wurde, eines besonderen Verfahrens zur Anerkennung und Vollstreckung dieser Entscheidung bedarf. Entscheidet das Gericht gemäß Artikel 13 des Haager Übereinkommens von 1980, die Rückgabe abzulehnen, so sollte es das zuständige Gericht oder die Zentrale Behörde des Mitgliedstaats, in dem das Kind vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, hiervon unterrichten. Wurde dieses Gericht noch nicht angerufen, so sollte dieses oder die Zentrale Behörde die Parteien entsprechend unterrichten. Diese Verpflichtung sollte die Zentrale Behörde nicht daran hindern, auch die betroffenen Behörden nach nationalem Recht zu unterrichten. Die Anhörung des Kindes spielt bei der Anwendung dieser Verordnung eine wichtige Rolle, wobei diese jedoch nicht zum Ziel hat, die diesbezüglich geltenden nationalen Verfahren zu ändern. Die Anhörung eines Kindes in einem anderen Mitgliedstaat kann nach den Modalitäten der Verordnung (EG) Nr.1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen9 erfolgen. Die Anerkennung und Vollstreckung der in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen sollten auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruhen und die Gründe für die Nichtanerkennung auf das notwendige Minimum beschränkt sein. Zum Zwecke der Anwendung der Anerkennungs- und Vollstreckungsregeln sollten die in

ABl. L 160 vom 30.6.2000, S. 37. Hinweis des Verfassers: Nunmehr „Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates“ gemäß Art 25 Abs 2 EG-ZustVO 2007. ABl. L 174 vom 27.6.2001, S. 1.

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Erwägungsgründe

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einem Mitgliedstaat vollstreckbaren öffentlichen Urkunden und Vereinbarungen zwischen den Parteien „Entscheidungen“ gleichgestellt werden. Der Europäische Rat von Tampere hat in seinen Schlussfolgerungen (Nummer 34) die Ansicht vertreten, dass Entscheidungen in familienrechtlichen Verfahren „automatisch unionsweit anerkannt“ werden sollten, „ohne dass es irgendwelche Zwischenverfahren oder Gründe für die Verweigerung der Vollstreckung geben“ sollte. Deshalb sollten Entscheidungen über das Umgangsrecht und über die Rückgabe des Kindes, für die im Ursprungsmitgliedstaat nach Maßgabe dieser Verordnung eine Bescheinigung ausgestellt wurde, in allen anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt werden, ohne dass es eines weiteren Verfahrens bedarf. Die Modalitäten der Vollstreckung dieser Entscheidungen unterliegen weiterhin dem nationalen Recht. Gegen die Bescheinigung, die ausgestellt wird, um die Vollstreckung der Entscheidung zu erleichtern, sollte kein Rechtsbehelf möglich sein. Sie sollte nur Gegenstand einer Klage auf Berichtigung sein, wenn ein materieller Fehler vorliegt, d.h., wenn in der Bescheinigung der Inhalt der Entscheidung nicht korrekt wiedergegeben ist. Die Zentralen Behörden sollten sowohl allgemein als auch in besonderen Fällen, einschließlich zur Förderung der gütlichen Beilegung von die elterliche Verantwortung betreffenden Familienstreitigkeiten, zusammenarbeiten. Zu diesem Zweck beteiligen sich die Zentralen Behörden an dem Europäischen Justiziellen Netz für Zivil- und Handelssachen, das mit der Entscheidung des Rates vom 28. Mai 2001 zur Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen10 eingerichtet wurde. Die Kommission sollte die von den Mitgliedstaaten übermittelten Listen mit den zuständigen Gerichten und den Rechtsbehelfen veröffentlichen und aktualisieren. Die zur Durchführung dieser Verordnung erforderlichen Maßnahmen sollten gemäß dem Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse11 erlassen werden. Diese Verordnung tritt an die Stelle der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000, die somit aufgehoben wird. Um eine ordnungsgemäße Anwendung dieser Verordnung sicherzustellen, sollte die Kommission deren Durchführung prüfen und gegebenenfalls die notwendigen Änderungen vorschlagen. Gemäß Artikel 3 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands haben diese Mitgliedstaaten mitgeteilt, dass sie sich an der Annahme und Anwendung dieser Verordnung beteiligen möchten. Gemäß den Artikeln 1 und 2 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über die Position Dänemarks beteiligt sich Dänemark nicht an der Annahme dieser Verordnung, die für Dänemark nicht bindend oder anwendbar ist. Da die Ziele dieser Verordnung auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen sind, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsprinzip geht diese Verordnung nicht über das für die Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus. Diese Verordnung steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die mit der Charta ABl. L 174 vom 27.6.2001, S. 25. ABl. L 184 vom 17.7.1999, S. 23.

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der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden. Sie zielt insbesondere darauf ab, die Wahrung der Grundrechte des Kindes im Sinne des Artikels 24 der Grundrechtscharta der Europäischen Union zu gewährleisten –

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Einleitung I.

II.

III.

Entstehung – Rechtsgrundlage – Verhältnis zum nationalen Recht 1. Brüssel II – Brüssel IIa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Rechtsgrundlage, Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 3. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 a) Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 b) Regelungsbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 c) Gleichwertigkeit des Rechtsschutzes im Eherecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 d) Konflikt mit sorgerechtlichen Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 e) Technik und Stil der Regelung . . . . . . . . . 10 4. Verhältnis zum nationalen und völkervertraglichen Recht . . . . . . . . . . . . . . 13 Abgrenzungen im sachlichen Anwendungsbereich 1. Verhältnis zur Brüssel I-VO . . . . . . . . . . . . 21 2. Sachliche Überschneidung mit dem KSÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3. Gegenstände außerhalb von Brüssel I-VO und Brüssel IIa-VO . . . . . 23 Räumlicher Anwendungsbereich 1. Geltungsbereich: „Mitgliedstaaten“ . . . . 24

2. Anwendungsbereich: Zuständigkeitsbestimmungen . . . . . . . . . 27 3. Anwendungsbereich: Urteilsanerkennung und -vollstreckung . . . . . . 31 IV. Auslegung – insbesondere durch den EuGH 1. Auslegungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Auslegungskompetenz des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 a) Vorabentscheidungsverfahren, Eilverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 b) Abstraktes Vorlageverfahren . . . . . . . . . . . 41 V. Brüssel IIa-ÄndE, Scheidungskollisionsrecht 1. Gang des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Vereinheitlichung des IPR im Familien- und Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3. Korrekturen der Zuständigkeitsbestimmungen . . . . . . . . . 53 VI. Sachrechtsvereinheitlichung . . . . . . . . . . . . . . 56 VII. Ausführungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 VIII. Reformpläne der Kommission . . . . . . . . . . . 60

I. Entstehung – Rechtsgrundlage – Verhältnis zum nationalen Recht 1. Brüssel II – Brüssel IIa 1 Die VO (EG) Nr 2201/2003 (Brüssel IIa-VO)1 hat – in ihren wesentlichen Teilen mit

Wirkung vom 1.3.20052 – die VO (EG) Nr 1347/2000 (Brüssel II-VO)3, die erst am 1.3.2001 in Kraft getreten war, vollständig abgelöst. Hintergrund der Reform ist das Bestreben um 1 2 3

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Im Folgenden „die VO“. Näher dazu Art 72. Die Brüssel II-VO war hier Gegenstand der Kommentierung in der 1. Auflage (2004).

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Einleitung

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eine Integration weiterer Vorschläge für Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen Kindschaftsrechts, die alsbald nach Inkrafttreten der Brüssel II-VO vorgelegt wurden. Frankreich hatte am 3.7.2000 einen Vorschlag zur Abschaffung des Exequaturverfahrens für Umgangsentscheidungen4 unterbreitet, der jedoch, wie die sorgerechtlichen Teile der Brüssel II-VO, auf im Rahmen eines Eheverfahrens ergangene Entscheidungen beschränkt war. Die Kommission hatte am 6.9.2001 den Vorschlag einer Verordnung über die Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über die elterliche Verantwortung5 gemacht, der eben diese Begrenzung der Brüssel II-VO überwinden sollte. Beide Vorschläge wurden im weiteren Verlauf in den zur Brüssel IIa-VO führenden Kommissionsvorschlag6 integriert.7 Hierbei blieb der die Zuständigkeit, Rechtshängigkeitskonflikte sowie die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen betreffende Regelungsinhalt mit geringen Formulierungsänderungen, jedoch in geänderter Nummerierung, inhaltlich unverändert. Eine Konkordanztabelle findet sich im Anhang V der VO. Die die elterliche Verantwortung betreffenden Regelungen wurden hingegen weit über den Zweck der Ausdehnung auf selbstständige Sorgesachen hinaus neu gestaltet. Insbesondere enthält die VO auch eine eigenständige Regelung des Verfahrens bei Kindesentführung (Art 10, 11).8 Die Brüssel II-VO findet für Altfälle weiterhin Anwendung, soweit ihr zeitlicher Anwendungsbereich (Art 42 Brüssel II-VO) eröffnet, der der Brüssel IIa-VO (Art 64, 72) aber noch nicht eröffnet ist.9 2. Rechtsgrundlage, Zweck Die VO beruht wie ihre Vorgängerin auf der Kompetenzzuweisung in Art 61 lit c EGV idF 2 von Amsterdam. Sie ist als eine der Maßnahmen zur justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen gemäß Art 65 EGVaF10 Teil des Aktionsplans der Kommission der EG zur Schaffung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der EU11. Ziel ist die Herstellung der Anerkennungs- und Vollstreckungsfähigkeit von Entscheidungen in Ehesachen. Angesichts wachsender Zahlen innergemeinschaftlich-binationaler Ehen und bestehender erheblicher Unterschiede in den Scheidungsrechten der Mitgliedstaaten bestand ein nicht nur theoretisches Risiko hinkender Ehescheidungen, was negativen Einfluss auf die Niederlassungsfreiheit haben kann.12

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ABl EG 2000 C 234/7. KOM (2001) 505, ABl EG 2002 C 332/269. KOM (2002) 222, ABl EG 2002 C 203E/155. Näher Staudinger/Spellenberg (2005) Vorbem zu Art 1 Rn 7 ff. Im Einzelnen zu der Systematik der sorgerechtlichen Bestimmungen der VO unten Rn 17 ff. Dazu Art 64. Nun Art 67 Abs 1, 4, Art 81 AEUV. Vom 23.1.1999, ABl EG 1999 C 19/1, 12. MünchKommFamFG/Gottwald Vorbem Rn 1.

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3. Kritik a) Kompetenz 3 Die weite Auslegung und Inanspruchnahme dieser Kompetenz durch die Kommission ist

im Schrifttum nicht nur in Ansehung der Brüssel II-VO und nicht nur vereinzelt auf Kritik gestoßen. Für den Bereich der Ehe- und Sorgerechtssachen greifen die Bedenken in besonderem Maß: Die Gefahr hinkender Statusverhältnisse berührt unmittelbar nur das Familienleben bzw die persönliche Lebensgestaltung Geschiedener und hat allenfalls mittelbare Marktrelevanz, wenn etwa Arbeitnehmer von einer durch eine hinkende Ehe beschränkten Freizügigkeit betroffen sind. Erst nachträglich könnte eine solche Kompetenz begründet worden sein; zwar dürfte nicht der Ansicht zu folgen sein, im Umkehrschluss aus Art 67 Abs 1 EGV idF des Vertrages von Nizza bzw aus Art 81 Abs 3 AEUV13 sei eine Binnenmarktrelevanz für familienrechtliche Instrumente nicht mehr zu fordern14; die Reduktion der Binnenmarktrelevanz auf ein Regelbeispiel in Art 81 Abs 2 AEUV dient nun offenbar dem Zweck, eine Kompetenzausübung für familienrechtliche Rechtsinstrumente abzusichern.15 Nachdem trotz anfangs hörbarer Kritik das auf Art 61, 67 EGV gestützte Programm „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ seitens der Kommission unbeirrt vorangetrieben wurde, muss die Kompetenzfrage als müßig angesehen werden.16 Die Inanspruchnahme der Kompetenz lange vor einer klaren Grundlegung ist gleichwohl Ausdruck der Nonchalance, mit der EU-Institutionen ihre eigenen Kompetenzen ausdehnen. In den Erwägungsgründen 1 und 2 finden sich nur die eigene Zielsetzung und in Erwägungsgrund 32 die lapidare Behauptung, auf Ebene der Mitgliedstaaten seien die Ziele nicht erreichbar. Ebenso wie selbst attestierte Vereinbarkeit mit der Grundrechtecharta (Erwägungsgrund 33) strahlt dies ein Selbstbewusstsein der EU-Institutionen aus, das ein Hinterfragen der eigenen Zielsetzungen nicht duldet. Unterstützung erhält diese Sicht durch ein Gutachten des EuGH,17 das der Gemeinschaft eine umfassende Außenkompetenz in Fragen des internationalen Privat- und Prozessrechts bescheinigt,18 was jedenfalls die völkervertragliche Vereinheitlichung des IPR in die Hand der Gemeinschaft legt. Selbst bei Annahme einer weitgehenden Innenkompetenz blieben das Subsidiaritäts- und das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten, die in den Erwägungsgründen nur noch formal abgehandelt werden. Hingegen ist an der gemäß Art 67 Abs 5 Str 2 EGV (nun Art 81 Abs 3 UAbs 1 S 2AEUV) für familienrechtliche Materien erforderlichen Einstimmigkeit im Rat der Vorschlag zu einer Reform der Brüssel IIa-VO (Rom III/Brüssel IIa-ÄndE, dazu Rn 44 ff) gescheitert; der für das Scheidungs-IPR (Rom III-VO) gewählte Weg der Verstärkten Zusammenarbeit19 ist für eine Reform der Brüssel IIa-VO nicht tauglich, weil verschiedene Verordnungen zur selben Thematik der Vereinheitlichung schaden und die Praxis irritieren würden. 13

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Zum Gesetzgebungsverfahren für Familienrechtsinstrumente der Justiziellen Zusammenarbeit: Dethloff/ Hauschild FPR 2010, 489. Eingehend Staudinger/Spellenberg (2005) Vorbem Art 1 Rn 15 ff, 18, der in Art 18 EGV eine Stütze für eine entsprechende VO sieht; vgl auch Helms FamRZ 2002, 1595. Dethloff/Hauschild FPR 2010, 489, 490. Zuletzt: Wagner IPRax 2007, 290. EuGH Gutachten 1/03 vom 7.2.2006. Dazu Moro Riv dir int priv proc 2007, 675, 700 f mit zahlreichen Nachweisen. Der sich in familienrechtlichen Instrumenten ausbreiten könnte: Dethloff/Hauschild FPR 2010, 489.

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b) Regelungsbedürfnis Durch die Dynamik der Entwicklung überholt sind auch die anfänglichen Bedenken, ob eine 4 Regelung durch Verordnung gegenüber einer nach Art 293 EGV aF20 weiterhin (vgl Art 220 EWGV) möglichen Regelung durch völkervertragliche EG-Übereinkommen vorzuziehen war. Die Brüssel II-VO entsprach weitgehend dem EG-Übereinkommen vom 28.5.199821, dessen Inkraftsetzung durch den Erlass der Verordnung überholt wurde, die Neufassung regelt insbesondere Materien, die bereits im KSÜ geregelt sind. Die Methode des EG-Übereinkommens hätte nicht nur die Chance geboten, auf besondere Probleme bei Beitritt neuer Mitglieder flexibel zu reagieren. Die Rechtslage weicht nunmehr im Verhältnis zu Mitgliedstaaten (der EU), die nicht Mitgliedstaaten iSd Verordnung sind,22 gravierend von derjenigen zwischen den Mitgliedstaaten der VO ab: Hier ist ein Mitgliedstaat, der nicht Mitgliedstaat iSd der VO ist, wie ein Drittstaat zu behandeln; anders als bei Inkrafttreten der Brüssel I-VO fehlt ein subsidiär eingreifendes Übereinkommen. c) Gleichwertigkeit des Rechtsschutzes im Eherecht Die von der Kommission sehr schnell vollzogene völlige Verlagerung aus der dritten in die 5 erste europarechtliche Säule, verbunden mit einer umfassenden Regelung der Zuständigkeiten, bietet schließlich in Ansehung der Besonderheiten der Materie Ehescheidung nicht nur Chancen, sondern auch Risiken. Angesichts der Unterschiedlichkeit der materiellen Scheidungsrechte besteht ein unbestreitbar schützenswertes Vertrauen des Bürgers eines Mitgliedstaates, sich in Personenstandssachen unter dessen Schutz stellen zu können. Insoweit fehlt es schlechterdings in Europa noch an der Gleichwertigkeit des Rechtsschutzes, die Voraussetzung für ein zentralistisches Zuständigkeitssystem sein müsste. Die Vereinheitlichung des Scheidungskollisionsrechts in der Rom III-VO hat dieses Problem nur prima facie reduziert, indem nun die durch die Verstärkte Zusammenarbeit gebundenen Mitgliedstaaten dasselbe Recht anwenden. Der Verlust des Schutzes der eigenen Heimatrechtsordnung hat hingegen durch den nun auch kollisionsrechtlich vollzogenen Wechsel zum Aufenthaltsprinzip noch zugenommen. Ein Blick auf die Erfahrungen der USA, die das Ziel des Mehrrechtsstaates mit mobiler Bevölkerung, von dem die EU träumt, trotz bundesstaatlicher Regeln der jurisdiction längst erreicht haben, lässt zudem zweifeln, ob es der Zentralisierung des Zuständigkeitsrechts in Ehesachen jemals bedurft hätte, um die Verkehrsfähigkeit von Ehesachenentscheidungen zu gewährleisten. Ein rahmenrechtlicher Katalog zulässiger, die Jurisdiktion begründender minimum contacts, deren Ausgestaltung dem nationalen Recht überlassen wird, könnte als Grundlage einer wechselseitigen Anerkennungspflicht durchaus genügen. Dem Vorteil der automatischen Erstreckung der Verordnung auf EG-Neumitgliedstaaten 6 steht zudem der Nachteil gegenüber, dass Beitrittsverhandlungen zum Brüsseler Übereinkommen immer auch willkommenen Anlass zu Korrekturen und Ergänzungen boten. Insoweit liegt die Initiative nun bei der Kommission.23

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Im AEUV nicht mehr vorgesehen. ABl EG 1998 C 221/1; dazu Pirrung ZEuP 1999, 841. Unten Rn 7. Vgl zum Ganzen: Schack ZEuP 1999, 805; Linke FS Geimer (2002) 529 ff; Heß NJW 2000, 23; Leible/ Staudinger EuLF 2000/01, 225.

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7 Die Gefahr der Abschottung gegenüber Drittstaaten, zu denen nationales Recht die Materie

in Ehesachen beherrscht, wächst, zumal die Rechtsnatur als Verordnung die bei dem Luganer Übereinkommen von 1988 im Verhältnis zum Brüsseler EWG-Übereinkommen von 1968 erprobte Technik des Parallelübereinkommens erschwert. d) Konflikt mit sorgerechtlichen Übereinkommen 8 So sehr die Integration der neuen Materien im Interesse der Vermeidung konkurrierender

Rechtsquellen des EuZPR zu begrüßen ist, so wenig überzeugt die insbesondere zur Neufassung führende Motivation. Soweit die Materie durch multilaterale Völkerverträge erfasst ist, insbesondere also im Sorgerecht, wo das Haager MSA nach langen Querelen in den EUInstitutionen um die Ermächtigung der Mitgliedstaaten zur Ratifikation24 endlich zum 1.1. 2011 durch das Haager KSÜ25 abgelöst wurde, steht die Sinnhaftigkeit einer EU-Lösung, die zu einer Organisations- und Normvermehrung in parallelen Rechtsinstrumenten führt, in Frage. Dies galt schon für die Brüssel II-VO, wird aber durch die Brüssel IIa-VO, die zwischen den Mitgliedstaaten das Haager Kindesentführungsabkommen ganz, das Haager MSA bzw KSÜ zuständigkeitsrechtlich verdrängt, deutlich verstärkt. Während für den scheidungsrechtlichen Part der VO die fehlende Akzeptanz des Haager Übereinkommens über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen vom 1.6.197026 spricht, birgt die partielle Verdrängung des Haager KSÜ durch die VO eher das Risiko, dass dadurch das KSÜ insgesamt an Bedeutung einbüßt, weil es in den Mitgliedstaaten zwar gilt, aber in einer großen Zahl von Fällen nur partielle Relevanz hat. Die manifestierte Haltung, Europa habe eine bessere Lösung als das KSÜ und das Haager Kindesentführungsübereinkommen parat, kann gewiss nicht als Werbeaktion für die Haager Abkommen im Verhältnis zu Drittstaaten verstanden werden.27 9 Da jedoch die VO nur Zuständigkeit und Anerkennung, nicht aber das anwendbare Recht

regelt, kommt es in EG-Binnenfällen zu einem Nebeneinander von VO und – abhängig vom Ratifikationsstand – MSA bzw KSÜ. Zudem entsteht eine gespaltene Rechtslage im Verhältnis zu Nicht-EU-Staaten. Das ist nicht nur überflüssig,28 sondern bedeutet ein Erschwernis für die durch Instrumente des EuZPR ohnehin herausgeforderte Praxis; zumal in Ansehung des KSÜ, aus dem weite Teile der Art 8, 9, 12 bis 15 mit mehr oder weniger gekonnten Umformulierungen übernommen wurden, ohne dass substantiell überzeugende Neuschöpfungen entstanden sind. Ein wenig anders verhält es sich bei den das Haager Kindesentführungsübereinkommen überlagernden Art 10 und 11,29 die das Ergebnis eines nach langem Ringen gefundenen Kompromisses sind, jedenfalls einen Gewinn an Kompliziertheit des Verfahrens bringen 24

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Vgl die Entscheidung des Rates vom 5.6.2008, ABl EU 2008 L 151/36; zuletzt bestand noch Streit um die Anwendung im Verhältnis zu Gibraltar: Rat der EU, Vorentwurf vom 11.4.2007, 8338/07. Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19.10.1996; zum Beitritt unten Rn 22. Das in etwa der Hälfte der Mitgliedstaaten einschließlich der Beitrittstaaten 2004 gilt. So schon Rat der Europäischen Union, Vermerk der Delegation des Vereinigten Königreichs, 5.9.2002, 11708/02, 21. Staudinger/Spellenberg (2005) Vorbem Art 1 Rn 11. Zur Zulässigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens, das die Rechtswidrigkeitsbescheinigung nach

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und erst erweisen müssen, ob dadurch die erhoffte Verbesserung der Rückführungslage eintritt.30 Hier wird einmal mehr mit dem Postulat wechselseitigen Vertrauens operiert, das in dieser Absolutheit, wie das Dilemma des Europäischen Haftbefehls zeigt, nicht verfassungsfest ist. Ob etwa die Bundesrepublik Deutschland von Verfassungs wegen im Einzelfall gehindert sein kann, Art 11 Abs 6 bis 8 zu entsprechen, also entgegen der Einschätzung des Kindeswohls durch ein deutsches Familiengericht ein Kind deutscher Staatsangehörigkeit in einen anderen Mitgliedstaat zurückgeben, wird sich noch zeigen müssen. e) Technik und Stil der Regelung Wenig praxisfreundlich ist die die inhaltlich unveränderten eheverfahrensrechtlichen Teile 10 der VO betreffende Umnummerierung der Bestimmungen; hier setzt sich im Verordnungstext eine Methodik fort, die es außerordentlich schwierig macht, die Entstehungsgeschichte einzelner Normen nachzuverfolgen, die in jeweils neuen Entwürfen und Kompromissvorschlägen ohne jedes erkennbare System neu geordnet werden.31 Zudem nimmt das europäische Zuständigkeits- und Vollstreckungsrecht einen übermäßigen Umfang an. Eine Materie, die im deutschen und in fast allen anderen europäischen Prozessrechten mit etwa zehn Bestimmungen auskam, umfasst über 50 Bestimmungen.32 Der Umfang wird zudem durch einen Definitionenartikel (Art 2) aufgebläht, der wohl angelsächsischen Stil kopieren soll, tatsächlich aber Definitionen sammelt, die selten generelle Verwendung finden33 und im jeweiligen Kontext erheblich leichter verständlich wären. Dass überdies teilweise der Text des KSÜ mit syntaktischen Änderungen und Umstellungen ohne gewollte Inhaltsänderung kopiert wird,34 kann nur als der Versuch künstlicher Eigenständigkeit verstanden werden. Die Praxis steht vor der spannenden Aufgabe, gewollte und nicht gewollte Unterschiede zum KSÜ zu ermitteln und sich scheinbare Lücken zu erklären, die durch die Aufspaltung der KSÜ-Materie an neue Standorte entstehen. Hinzu kommt, dass die ungebührliche Eile, mit der sich die Kommission der neuen Zu- 11 ständigkeiten aus Art 61 ff EGV bemächtigt hatte, nun offenkundig Folgen zeitigt. Mit dem Wechsel von Brüssel II zu Brüssel IIa ist noch immer kein befriedigendes Endprodukt entstanden. Das kurz nach Inkrafttreten der Brüssel IIa-VO aufgelegte Grünbuch über das anzuwendende Recht und die gerichtliche Zuständigkeit in Scheidungssachen35 enthielt

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Art 15 HKEntfÜbk als Voraussetzung des Verfahrens nach Art 11 betrifft: EuGH v 5.10.2010 – Rs C-400/10 PPU J McB/L E, IPRax 2012, 345. Immerhin stärkt der EuGH in seiner ersten Entscheidung zu Art 11 (EuGH v 11.7.2008 – Rs C-195/08 PPU Inga Rinau, NJW 2008, 2973) den von Art 11 angestrebten Vorrang der Gerichte im Aufenthaltsstaat gegenüber denen im Verbringungsstaat, im Einzelnen dazu Art 10, 11; kritisch gegenüber Abweichungen vom Haager Übereinkommen schon die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses, 17.11.2002, ABl EG C 80/41, 43, wobei damals nur gewisse interne Ausnahmen zum Haager Übereinkommen in Rede standen. Gibt es zB irgendeinen Grund dafür, dass Art 11, 13, 15, 22, 37 und 44 Brüssel II-VO in der neuen Brüssel IIa-VO in mehrere Artikel aufgelöst wurden? Die Regelungen über eine zentrale Behörde und die Konkurrenzbestimmungen zu völkervertraglichen Rechtsinstrumenten sind dabei nicht mitgezählt. Von Interesse wäre eine Definition des Begriffs „Ehe“ gewesen, nachdem Streit um die Einbeziehung gleichgeschlechtlicher Ehen besteht, dazu Art 1 Rn 5 ff. Vgl insbesondere zum Begriff der „elterlichen Verantwortung“ Art 1 Rn 21 ff. Europäische Kommission, 14.3.2005, KOM (2005) 82.

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neben der Vorbereitung des Projekts „Rom III/1“, also kollisionsrechtlicher Vereinheitlichung, erneut Fragen zur Scheidungszuständigkeit und mündete in einen Vorschlag (Brüssel IIa-ÄndE, dazu Rn 43 ff), der ua die Streichung des Art 6 und die Modifikation des Art 7, somit die Beseitigung eines schon der Brüssel II-VO anhaftenden Mangels der Bestimmung des räumlichen Anwendungsbereichs zum Gegenstand hatte. Eine solche Vorgehensweise nach dem Muster des trial and error desavouiert das gesamte Konzept des EuZPR als schieren rechtspolitischen Aktionismus. 12 Die geplante parallele Verordnung zum Ehegüterrecht36 wird als eigenständiges Instrument

zwar absehbar einen Eingriff in den Brüssel IIa-Komplex vermeiden; da bisher nicht klar ist, wie sich diese Verordnung zu Güterständen in gleichgeschlechtlichen Ehen und in Eingetragenen Lebenspartnerschaften verhalten wird, für die derzeit eine eigene Verordnung vorgeschlagen ist,37 dürfte sich allerdings erneut die Frage stellen, ob die Scheidung bzw Auflösung solcher Statusbeziehungen ohne Anpassung der Bestimmungen in die Brüssel IIa-VO aufgenommen werden kann. Angesichts erforderlicher Einstimmigkeit (Art 81 AEUV), die der Rücksicht auf unterschiedliche rechtspolitische und traditionelle Wertungen im nationalen Familienrecht dient, sollte diese Thematik jedenfalls nicht durch eine Widerspruch eliminierende stillschweigende Einbeziehung in den Ehebegriff gelöst werden. 4. Verhältnis zum nationalen und völkervertraglichen Recht 13 a) Als Rechtsakt des sekundären Gemeinschaftsrechts geht die VO in ihrem Anwen-

dungsbereich (Rn 21 ff, 24 ff) Bestimmungen des nationalen Verfahrensrechts vor. Daraus folgt jedoch grundsätzlich nur eine vorrangige Anwendung, soweit die VO Geltung beansprucht; in welchem Umfang Bestimmungen der VO das nationale Recht verdrängen, also auch einen subsidiären Rückgriff ausschließen, muss daher für die Zuständigkeitsregeln und die Anerkennungsregeln gesondert aus dem Geltungsanspruch der Verordnung erschlossen werden.38 14 b) Die nationalen Regeln der Internationalen Zuständigkeit (§§ 98, 99, 103 Abs 3 FamFG)

werden im Anwendungsbereich der VO verdrängt, soweit nach der inzwischen vom EuGH geklärten Auslegung des Art 639 die Ehescheidungszuständigkeiten der Art 3 bis 5 der VO sowie gemäß Art 14 die Sorgerechtszuständigkeiten der Art 8 bis 13 ausschließlich sind. Hingegen bleiben die nationalen Bestimmungen als Restzuständigkeiten anwendbar, soweit Art 7 bzw Art 14 eingreift.40 15 Die internationale Zuständigkeit für Folgesachen im Scheidungsverbund folgt dagegen, 36

37

38 39 40

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Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Güterrechts vom 16.3.2011, KOM (2011) 127; Wagner FamRZ 2009, 269; Kohler/Pintens FamRZ 2011, 1433, 1435 ff. Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften vom 16.3.2011 KOM (2011) 127/2; Martiny IPRax 2011, 437; Kohler/Pintens FamRZ 2011, 1433, 1437 ff. Dazu Art 6, 7. Dazu Art 6 Rn 11 ff. Gruber FamRZ 2000, 1129; Vogel MDR 2000, 1045; Wagner IPRax 2002, 75.

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Einleitung

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soweit die jeweilige Folgesache durch die VO nicht erfasst ist, den nationalen Zuständigkeitsregeln, soweit nicht andere europa-41 oder völkerrechtliche Rechtsquellen Vorrang haben. Eine internationale Verbundzuständigkeit für Folgesachen in dem nach der VO bestimmten Gerichtsstand der Ehesache kann also auf § 98 Abs 2 FamFG gestützt werden (zB Ehegüterrecht, Versorgungsausgleich).42 c) Die Anerkennung einer von einem Gericht eines Mitgliedstaates erlassenen Entschei- 16 dung iSd Art 2 Nr 4 beurteilt sich im sachlichen Anwendungsbereich der VO ausschließlich nach deren Art 21 ff, die Vollstreckung ausschließlich nach Art 28 ff bzw 40 ff.43 Dass nationales Anerkennungsrecht im Einzelfall anerkennungsfreundlicher wäre, ist wegen des engen Katalogs der Anerkennungshindernisse in Art 22 ff nicht vorstellbar, so dass für ein Günstigkeitsprinzip kein Bedarf besteht. Erschwernisse des nationalen Rechts sind ohnehin nicht anzuwenden; dies betrifft nicht nur die sachlichen Anerkennungs- und Vollstreckungsvoraussetzungen (§§ 108 bis 110 FamFG), sondern auch das Anerkennungsmonopol der Landesjustizverwaltung in Ehesachen nach § 107 FamFG. Im Anwendungsbereich der VO gilt das Prinzip der Inzidentanerkennung (Art 21 Abs 1); stellt sich die Anerkennungsfähigkeit einer Entscheidung aus einem Mitgliedstaat als Vorfrage, so entscheidet jede Behörde und jedes Gericht inzident.44 Eine rechtskräftige Feststellung der Anerkennungsfähigkeit ist nur nach Art 21 Abs 3 erreichbar. Das Verfahren bestimmt sich gemäß §§ 10 ff IntFamRVG. d) Das Verhältnis der VO zu Völkerverträgen mit (partiell) übereinstimmendem Rege- 17 lungsgehalt ist in Art 59 für Verträge zwischen bestimmten Mitgliedstaaten und in Art 60 für multilaterale Übereinkommen geregelt. Tendenziell wird versucht, der VO als internem Instrument des EU-Rechts so weit wie möglich Vorrang auch gegenüber älteren völkervertraglichen Instrumenten zu verleihen, ohne in die völkerrechtlichen Bindungen der Mitgliedstaaten einzugreifen. Deshalb ersetzt die VO EU-interne Verträge (Art 59 Abs 1) mit Ausnahme des in Art 59 Abs 2 vorbehaltenen nordischen Übereinkommens, das auch im Verhältnis zu Nicht-Mitgliedstaaten fortbesteht45. Gegenüber multilateralen Übereinkommen unter Beteiligung dritter Staaten beansprucht die VO nur in den in Art 60 genannten Fällen Vorrang und auch dann nur in den Beziehungen der Mitgliedstaaten, damit sich kein Konflikt zur äußeren Vertragstreue der Mitgliedstaaten ergibt.46 Gesondert geregelt ist in Art 61 das Verhältnis zum Haager Kinderschutzübereinkom- 18 men47, das bei gewöhnlichem Aufenthalt des Kindes in einem Mitgliedstaat sowie darüber hinaus für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zwischen den Mit-

41 42 43 44 45 46 47

ZB für Unterhaltssachen die Brüssel I-VO, ab dem 18.6.2011 die EG-UntVO. Hau FamRZ 2000, 1337. Thomas/Putzo/Hüßtege Vorbem Art 1 Rn 8. Vogel MDR 2000, 1049; Thomas/Putzo/Hüßtege Vorbem Art 1 Rn 8. Im Einzelnen zu Art 59. Im Einzelnen zu Art 60. Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19.10.1996.

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gliedstaaten von den Bestimmungen der VO verdrängt wird;48 das gilt jedoch nicht für das IPR, weil die VO diesen Bereich ausklammert, so dass insoweit auch der Vorrang gegenüber dem KSÜ nicht greift (Art 62 Abs 1).49 19 Auch im Verhältnis zum Haager Kindesentführungsübereinkommen50 beansprucht die

VO nunmehr (anders Art 4 Brüssel II-VO) zwischen den Mitgliedstaaten Vorrang (Art 60 lit e) und implementiert ein von der Systematik des Haager Abkommens abweichendes Entscheidungsprinzip, das den Vorrang der Gerichte des Ursprungsstaates gegen einen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts und gegen den Widerstand des Verbringungsstaates festlegt.51 Hierdurch werden die Bestimmungen des HKindEntfÜbk allerdings nur partiell verdrängt, denn Art 11 geht grundsätzlich von dessen Anwendung aus und modifiziert lediglich das Verfahren. Der in Art 60 lit e normierte Vorrang bezieht sich, insofern besteht Einigkeit, nur auf die Sonderregelungen der VO, insbesondere Art 11; im Übrigen setzt die VO die Anwendbarkeit des KindEntÜbk voraus.52 20 e) Im Verhältnis zu Drittstaaten ergibt sich nicht nur die Notwendigkeit, bisher bestehen-

de bilaterale Abkommen weiter anzuwenden (Rn 17). Auch für die Änderung solcher Verträge sowie deren Neuabschluss besteht ein berechtigtes Interesse. Zwar hat die Gemeinschaft nach Einschätzung des EuGH53 in bestimmten Bereichen des Titels V AEUV (vormals Titel IV EGV) die ausschließliche Kompetenz für den Abschluss von Völkerverträgen erworben. Dies gilt insbesondere für Übereinkommen, welche die Vorschriften der zur Internationalen Zuständigkeit und zur Anerkennung und Vollstreckung erlassenen Verordnungen berühren und geeignet sind, das reibungslose Funktionieren dieser Vorschriften zu beeinträchtigen. Die Kommission hat gleichwohl erkannt, dass die Gemeinschaft kein Interesse daran haben kann, umfassend sämtliche bestehenden und in Vorbereitung befindlichen Übereinkünfte der Mitgliedstaaten mit Drittstaaten durch Abkommen der Gemeinschaft zu ersetzen. Vor diesem Hintergrund steht der Vorschlag für eine Verordnung,54 die im Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO sowie der EG-UntVO ein Verfahren etablieren soll, nach dem die Gemeinschaft im Einzelfall Mitgliedstaaten zum Abschluss ermächtigen kann.

48 49 50

51 52 53 54

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BGH v 16.3.2011 – XII ZB 407/10, FamRZ 2011, 796, 797; Wagner/Janzen FPR 2011, 110, 111. Wagner/Janzen FPR 2011, 110, 111. Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10. 1980 BGBl 1990 II 207; zum Verhältnis der Rechtsinstrumente Finger JR 2009, 441; Coester-Waltjen IntJProcL 2012, 12, 21. Dazu Art 10, 11. Zu diesem eher theoretischen Streit: Rieck NJW 2008, 182. EuGH Gutachten 1/03 vom 7.2.2006. Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung eines Verfahrens für die Aushandlung und den Abschluss bilateraler Abkommen zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern in Teilbereichen des Familienrechts, die die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen und Entscheidungen in Ehe- und Unterhaltssachen sowie in Fragen der elterlichen Verantwortung und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen betreffen vom 19.12.2008, KOM (2008) 894; dazu: Krenzer FS Kropholler (2008) 129; letzter Stand Legislative Entschließung des EuP vom 7.5.2009.

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II. Abgrenzungen im sachlichen Anwendungsbereich 1. Verhältnis zur Brüssel I-VO Die VO füllt einen Teil der in Art 1 Abs 2 Nr 1 EuGVÜ vorgesehenen und in die Brüssel 21 I-VO übernommenen sachlichen Anwendungsausnahme zum Personenstand, so dass es nicht zu Überschneidungen kommt.55 Bei zutreffend güterrechtlicher Qualifikation (iSd Art 1 Abs 2 Nr 1 Brüssel I-VO) des Versorgungsausgleichs und der Ehewohnungs- und Haushaltssachen56 und nach der Verlagerung des Kindesunterhalts57 und des nachehelichen Unterhalts58 aus der Brüssel I-VO in die EG-UnterhaltsVO59 ergeben sich auch bei den Folgesachen keine Überschneidungen mehr. In ihrer Struktur lehnt sich die VO mit notwendigen Modifikationen, die vor allem das Zuständigkeitsrecht betreffen, an das Modell von Brüssel I an. Die Übernahme von Begrifflichkeiten, insbesondere im Anerkennungsrecht, erlaubt eine Anlehnung in Auslegungsfragen. 2. Sachliche Überschneidung mit dem KSÜ In der Brüssel II-VO (VO Nr 1347/2000) waren nur Ehesachen und mit ihnen verbundene 22 Sorgerechtssachen geregelt.60 Obgleich nach längerer Unklarheit die Mitgliedstaaten ermächtigt wurden, das KSÜ im Interesse der Gemeinschaft zu zeichnen61 und nach weiterem Streit um den Status von Gibraltar auch zu ratifizieren,62 was eine Reduktion der gemeinschaftsrechtlichen Regelung auf Ehesachen und ggf eine zusätzliche Regelung der erleichterten Vollstreckung von Umgangsentscheidungen (nun Art 40 ff) nahegelegt hätte, erfasst die VO in der Brüssel IIa-Fassung neben den Ehesachen alle Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung (Sorge- und Umgangsrecht), auch soweit darüber nicht zusammen mit einer Ehesache zu entscheiden ist. Auch das ursprünglich ausgesparte Thema der Kindesentführung (Art 4 Brüssel II-VO) wurde einbezogen und eine eigenständige Regelung geschaffen (Art 10, 11).

55 56 57 58 59 60 61

62

Thomas/Putzo/Hüßtege Vorbem Art 1 Rn 6. Dazu Rauscher/Mankowski Brüssel I-VO Rn 12. Irrig AG Leverkusen FamRZ 2003, 627. EuGH v 6.3.1980 – Rs 120/79 de Cavel/de Cavel EuGHE 1980, 731; Zöller/Geimer Art 1 EuUntVO Rn 5. Vgl oben Rn 15. Im Einzelnen 1. Auflage zu Art 1. E 2004/93/EG des Rates vom 19.12.2002 ABl EG 2003 L 48/1 auf Vorschlag der Kommission KOM (2001) 680; s auch Vorschlag der Kommission für einen Beschluss des Rates zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten das KSÜ zu ratifizieren, 17.6.2003, KOM (2003) 348, mit detaillierter Darstellung der Rechtslage aus Sicht der Kommission, die ursprünglich im Anschluss an EuGH v 31.3.1971 – Rs 22/70 Kommission/ Rat AETR EuGHE 1971, 263 eine Außenkompetenz der EU beansprucht hatte. Nur die Niederlande hatten bereits am 1.9.1997 gezeichnet; alle bisherigen Mitgliedstaaten hatten die Klärung der zwischen Rat und Kommission strittigen Kompetenzfrage abgewartet und haben am 1.4.2003 gezeichnet. Zum jeweiligen Stand der Zeichnung und der erklärten Vorbehalte www.hcch.net, sub: Conventions – Nr 34 – Status table. E 2008/431/EG vom 5.6.2008 ABl EU 2008 L 151/36.

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3. Gegenstände außerhalb von Brüssel I-VO und Brüssel IIa-VO 23 Nicht erfasst – und damit zuständigkeits- und anerkennungsrechtlich völkervertraglichen

oder nationalen Regelungen offen – sind alle anderen ehe- und kindschaftsrechtlichen Materien, insbesondere das Ehegüterrecht einschließlich des Versorgungsausgleichs, die persönlichen Ehewirkungen, das Abstammungsrecht sowie das Ehe- und Kindesnamensrecht.63 Gänzlich außerhalb des Anwendungsbereichs der VO stehen Personenstände, die weder Ehe noch Kindschaft sind.64 III. Räumlicher Anwendungsbereich 1. Geltungsbereich: „Mitgliedstaaten“

24 a) Als sekundäres EG-Recht hat die VO unmittelbar in jedem Mitgliedstaat Geltung

(Art 288 Abs 2 AEUV), ist also von dortigen Gerichten und Behörden ohne weiteren Umsetzungsakt anzuwenden. Die Geltung für überseeische Gebiete von Mitgliedstaaten bestimmt sich nach Art 52 EUV iVm 349, 355 AEUV.65 25 Der intertemporale Anwendungsbereich war für die erstmalige Inkraftsetzung am 1.3.2001

(Art 46 Brüssel II-VO) durch die VO Nr 1347/2000 in deren Art 42 geregelt. Die Brüssel IIa-VO gilt mit Ausnahme der am 1.8.2004 in Kraft getretenen Bestimmungen zur Einrichtung zentraler Behörden in ihren prozessrechtlichen Teilen seit dem 1.3.2005.66 Der EU beitretende Staaten werden hierdurch ohne weiteres „Mitgliedstaaten“ iSd VO. Auf die Geltung der VO für im Beitrittszeitpunkt laufende Verfahren oder auf Urteile aus solchen Verfahren ist in solchen Fällen ebenfalls Art 64 anzuwenden. Novellierungen der VO sind mit gesonderten Übergangsbestimmungen im Verhältnis zur vorherigen Fassung zu versehen. 26 b) Da die VO auf einer Kompetenzzuweisung des Teil 3 Titel IV EGV aF beruht, bestimmt

sich die Geltung für das UK, Irland und Dänemark auf der Grundlage der Protokolle über die Position der genannten Staaten gemäß Art 69 EGV aF. Das UK und Irland haben gemäß Art 3 dieses Protokolls mitgeteilt, dass sie sich an der Anwendung der VO beteiligen möchten (Nr 30 der Erwägungsgründe). Dänemark wirkt gemäß Art 1 und 2 dieses Protokolls nicht mit. Die Sonderstellung des UK, Irlands und Dänemarks besteht grundsätzlich nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon aufgrund der Protokolle Nr 2167 und Nr 2268 fort, auch wenn der deklaratorische Verweis in Art 69 EGV aF ersatzlos gestrichen wurde. Für Dänemark ergibt sich nun jedoch die Möglichkeit, sich für die Anwendung der opt-in63

64 65 66 67

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Dazu ausführlich Pabst Rn 295 ff; zur internationalen Zuständigkeit nach völkervertraglichem und autonomem IZPR insoweit MünchKommFamFG/Rauscher §§ 100 bis 106 FamFG; zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen MünchKommFamFG/Rauscher §§ 108 bis 110 FamFG. Dazu Art 1 Rn 5 ff; vgl hierzu MünchKommFamFG/Rauscher § 105 FamFG. Thomas/Putzo/Hüßtege Vorbem Art 1 Rn 2. Zu Übergangsfragen Art 64. Protokoll (Nr 21) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, ABL EU 2010 C 83/295 ff. Protokoll (Nr 22) über die Postition Dänemarks, ABl EU 2010 C 83/299 ff.

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Regelung zu entscheiden, die bisher nur für das UK und Irland galt (Art 8 Abs 1 Protokoll Nr 22 iVm Art 3 f Anh Protokoll Nr 22). Über Art 4 Anh Protokoll Nr 22 könnte Dänemark dann auch bereits erlassenen Rechtsakten, somit auch der Brüssel IIa-VO, beitreten.69 Bisher hat sich Dänemark allerdings noch nicht für die opt-in-Regelung (als solche) entschieden.70 Dies hat zur Folge, dass die VO von dänischen Gerichten nicht anzuwenden ist und dass Dänemark nicht Mitgliedstaat iSd VO ist (Art 2 Nr 3), was auch für die Anwendung in Mitgliedstaaten Bedeutung hat, soweit ein Mitgliedstaatenbezug gefordert ist. Im Verhältnis zu Dänemark ergibt sich daraus eine empfindlichere Lücke als im Anwendungsbereich der Brüssel I-VO, weil dort schon vor Abschluss des Anwendungsübereinkommens zwischen Dänemark und der EG auf das zunächst im Verhältnis zu Dänemark weitergeltende EWGÜbereinkommen (EuGVÜ) zurückgegriffen werden konnte. Ein entsprechendes Abkommen zur Brüssel IIa-VO fehlt. Eine Harmonisierung durch ein Anwendungsübereinkommen zwischen Dänemark und der EU ist nicht geplant. 2. Anwendungsbereich: Zuständigkeitsbestimmungen a) Da es sich bei der VO um ein Rechtsinstrument zur Regelung von tendenziell interna- 27 tionalen Sachverhalten handelt, stellt sich über die Geltung in den Mitgliedstaaten hinaus die Frage, ob die VO nur gegenüber Mitgliedstaaten oder universell anzuwenden ist. Diese Frage ist für die Zuständigkeit und die Urteilsanerkennung unterschiedlich zu beantworten. Die Zuständigkeitsregeln setzen keinen kompetenzrechtlichen Bezug (des Streitgegenstan- 28 des oder der Beteiligten, vgl hingegen Art 3 Abs 1 Brüssel I-VO bisheriger Fassung) zu einem anderen Mitgliedstaat voraus.71 Das ergibt sich aus dem Ziel, innerhalb der EU eine einheitliche Kompetenzordnung zu schaffen, die auch dann greift, wenn nur im Verhältnis zu Drittstaaten kompetenzrechtliche Fragen zu klären sind.72 Dies schließt es jedoch nicht aus, dass einzelne Bestimmungen der VO einen individuell definierten Bezug zu einem (anderen) Mitgliedstaat fordern. So hängt insbesondere die Ausschließlichkeit des Zuständigkeitssystems, jedenfalls nach dem Wortlaut des Art 6, im Verhältnis zum nationalen Recht von einem an die Person des Antragsgegners anknüpfenden räumlich-persönlichen Bezug zu einem Mitgliedstaat ab. b) Mangels solcher tatbestandlicher Bezüge hängt die Anwendung der VO noch nicht 29 einmal von einem Auslandsbezug ab.73 Ein solches ungeschriebenes Erfordernis ergibt sich weder aus der Zielsetzung, die justizielle Zusammenarbeit zu regeln, noch aus dem Rege69

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Grabitz/Hilf/Nettesheim/Hess, Das Recht der Europäischen Union (51. Ergänzungslieferung 2013) Art 81 AEUV Rn 59; aA Schwarze/Herrenfeld, EU-Kommentar3 (2012) Art 67 AEUV Rn 34. Eine Mitwirkung Dänemarks nach Abgabe der im Protokoll Nr 22 zum AEUV, Art 8 iVm Art 3 Anh vorgesehenen Erklärung kommt nur für künftige Rechtsinstrumente in Betracht. BGH v 28.5.2008 – XII ZR 61/06, NJW-RR 2008, 1169, 1170; cass civ IPRax 2006, 611; Dilger IPRax 2006, 617, 618; Zöller/Geimer Art 1 Rn 14; aA Rb Zutphen NIPR 2012, 652 mit dem kompetenzrechtlich nicht abwegigen Hinweis, anderenfalls sei nicht die Freizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten berührt; wohl auch Hohloch JuS 2006, 1133, 1134. OLG Stuttgart FamRZ 2004, 1382 zur Anwendung von Art 3 auf Staatsangehörige von Drittstaaten; AG Leverkusen v 20.4.2005 – 33 F 141/04, FamRZ 2005, 1684; Rb Amsterdam NIPR 2011, 333. Offen gelassen in BGH v 28.5.2008 – XII ZR 61/06, NJW-RR 2008, 1169, 1170; aA Rb ’s-Gravenhage NIPR 2007, 377.

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lungsgegenstand der internationalen Zuständigkeit. Auch Vereinheitlichung der Rechtsnormen ist justizielle Zusammenarbeit. Die Frage der internationalen Zuständigkeit stellt sich in jedem Verfahren;74 der sog „reine Inlandsfall“ definiert sich lediglich dadurch, dass es nach allen denkbaren Kriterien des internationalen Zuständigkeitsrechts an einem kompetenzrechtlichen Bezug zu einer anderen Jurisdiktion fehlt, so dass die Antwort auf die internationale Zuständigkeitsfrage selbstverständlich erscheint. Den damit für die Anwendung der VO denklogisch notwendigen Auslandsbezug kann man aber nicht als abgeschlossenes Tatbestandsmerkmal formulieren; vielmehr prüft ein Gericht, wenn es die internationale Zuständigkeit für prüfungsbedürftig hält, diese immer zuerst75 nach der VO.76 30 Eine andere Frage ist, ob die VO auch die örtliche Zuständigkeit regelt. Darüber entschei-

det, wie zur Brüssel I-VO, die jeweilige Zuständigkeitsnorm, wobei sich freilich die Brüssel IIa-VO in den originär zugewiesenen Zuständigkeiten (insbesondere Art 3, 8 ff) durchgehend auf die Regelung der internationalen Zuständigkeit beschränkt und die örtliche Zuständigkeit der lex fori überlässt.77 3. Anwendungsbereich: Urteilsanerkennung und -vollstreckung 31 Der räumliche Anwendungsbereich der Art 21 ff, 28 ff ist hingegen unmittelbar aus dem

Wortlaut und dem Zweck auf Entscheidungen aus Mitgliedstaaten (Art 21 Abs 1, 28 Abs 1) beschränkt. Die Erleichterung der Anerkennung und Vollstreckung ist als wesentlicher Markstein justizieller Zusammenarbeit von Gegenseitigkeit abhängig und setzt das wechselseitige Vertrauen in die Funktionsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Rechtspflege voraus78. 32 Vorstellbar, jedoch von der VO ebenso wenig wie von der Brüssel I-VO vorgesehen, wäre

durchaus die Schaffung einheitlicher Anerkennungsmaßstäbe für Entscheidungen aus Drittstaaten. Nach derzeitigem Rechtsstand unterliegen solche Entscheidungen in jedem Mitgliedstaat der Anerkennung und Vollstreckung nach den nationalen Regeln (vgl §§ 107110 FamFG). Da auf der Grundlage der VO ein Doppelexequatur, also die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einer nationalen Vollstreckbarerklärungsentscheidung, nicht möglich ist, sind Entscheidungen aus Drittstaaten in der EU nicht verkehrsfähig, was auch sinnvoll ist, solange die Mitgliedstaaten die Anerkennung von Urteilen aus Drittstaaten verschieden behandeln. IV. Auslegung – insbesondere durch den EuGH 1. Auslegungsgrundsätze 33 a) Die Auslegung der in der VO bestimmten Rechtsbegriffe wird durch die zum EuGVÜ

entwickelte Auslegungskultur79 beeinflusst. Dort hatte sich der EuGH, obgleich er stets 74 75 76 77 78 79

30

Zöller/Geimer Art 1 Rn 33. Ob außerdem deutsches IZVR anwendbar ist, ergibt sich aus Art 6, 7. Ähnlich Staudinger/Spellenberg (2005) Art 1 Rn 35. Dazu Art 3 Rn 18. Vgl Erwägungsgrund Nr 21. Zur Auslegung von Rechtsakten nach Art 61 ff EGV Pirrung FS Kropholler (2008) 399, 403 ff.

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formelhaft einen Rückgriff auf kollisionsrechtlich berufenes Recht nicht ausschloss, ganz überwiegend für eine autonome Auslegung entschieden. Um sicherzustellen, dass sich für alle Vertragsstaaten und betroffenen Personen soweit wie möglich gleiche Rechte und Pflichten ergeben, verdient die Entwicklung einer autonom-europäischen Begriffsausfüllung den Vorzug. Dass nun eine Eingliederung in sekundäres Gemeinschaftsrecht erfolgt ist, stützt den Vorzug dieser Methode auch formal;80 der Schwerpunkt liegt jedoch weiter bei der Zweckdienlichkeit81, so dass in Einzelfällen der Rückgriff auf nationales Recht nicht völlig ausgeschlossen sein muss. b) Dies schränkt die Möglichkeiten der Wortlautauslegung insofern ein, als die Arbeit mit 34 den gleichermaßen verbindlichen amtlichen Textfassungen nicht dazu verleiten darf, die verwendeten Rechtsbegriffe der jeweiligen nationalen Rechtsordnung zu unterlegen. Hingegen kommt eine rechtsvergleichende Orientierung an nationalen Rechtsbegriffen im Fall einheitlicher Begriffe oder Begriffskerne in allen Mitgliedstaaten durchaus in Betracht.82 Neben der bei wachsender Zahl der Amtssprachen zunehmend schwierigeren vergleichenden Wortlautauslegung kann zunehmend auch auf hergebrachte europäische Inhalte zurückgegriffen werden: Da sich die VO an vielen Stellen strukturell an das EuGVÜ (und damit an die Brüssel I-VO) anlehnt, liegt es nahe, die aus Brüssel I übernommenen Rechtsbegriffe möglichst in derselben Weise auszulegen, wie dort.83 Dies erlaubt nicht nur den Rückgriff auf die Rechtsprechung des EuGH zu Brüssel I, sondern fördert auch die, angesichts der anwachsenden Normenmenge im EuZPR dringend gebotene, Standardisierung der Rechtsbegriffe in den EG-Instrumenten. Erhebliche Unsicherheit belastet insoweit in jüngster Zeit die Auslegung des Begriffs „gewöhnlicher Aufenthalt“, der in Art 8 durch den EuGH84 weitgehend kompatibel mit dem hergebrachten Haager (MSA und KSÜ) Verständnis ausgelegt wird, in dieser Auslegung aber absehbar als kollisionsrechtliches Anknüpfungskriterium in der Rom III-VO und der EU-ErbVO zu flüchtig ist. Die Flucht in unterschiedliche Auslegungsweisen desselben Begriffs könnte freilich nur um den Preis unklarer Begrifflichkeit korrigieren, dass sich der europäische Gesetzgeber allen Warnungen gegen die Verwendung dieses stark wandelbaren Begriffs als kollisionsrechtliches Anknüpfungskriterium im Ehe- und Erbrecht, wo eine gewisse Stabilität Not tut, verschlossen hat. c) Für die – bei EU-Rechtsakten zurückhaltend zu nutzende – historische Auslegung der 35 VO steht außer den Erwägungsgründen und den Stellungnahmen im Verordnungsverfahren zu Brüssel II und IIa85 der Bericht von Borràs zu dem Brüssel II-Übereinkommen86 zur Verfügung, da sich die VO in ihrem eherechtlichen Teil eng an dieses Übereinkommen anlehnt.87 Dieser Bericht steht in der Tradition der Berichte zum EuGVÜ und den Beitrittsübereinkommen.88 Im Vergleich zu den nicht immer offenbaren Motiven im zeitlich gestreckten politischen Willensbildungsprozess in einem Verordnungsverfahren, teilen diese 80 81 82 83 84 85 86 87 88

Thomas/Putzo/Hüßtege Vorbem Art 1 Rn 9. Zöller/Geimer Art 1 Rn 6. Dazu Staudinger/Spellenberg (2005) Vorbem Art 1 Rn 61. Wagner IPRax 2001, 75. Dazu Art 8 Rn 11. Materialien 3. ABl EG 1998 C 221/27. Vgl Nr 6 der Erwägungsgründe. Beginnend mit dem legendären Jenard-Bericht ABl EG 1979 C 59/1.

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Berichte in nicht selten erfrischender Offenheit die Qualen der Verhandlungskommissionen im Streit um Detailfragen mit und schaffen dadurch eine fruchtbare Auslegungsbasis, die man bei mancher künftigen Regelung vermissen wird. Die der VO, wie üblich, vorangestellten Erwägungsgründe teilen ebenfalls zu manchen Bestimmungen auslegungsgeeignete Zielsetzungen des EG-Gesetzgebers mit, sind aber ihrerseits zu oft das Ergebnis von politischen Kompromissen, ein ceterum censeo im Rat vorerst unterlegener Meinungen, und daher wenig geeignet, deren Zustandekommen zu erhellen. 36 Tragende Prinzipien der teleologischen Auslegung bleiben, wie zu Brüssel I, die Ziele einer

einheitlichen Anwendung, einer effizienten Justizgewährung und der Förderung der Freizügigkeit von Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten. 37 d) Zunehmende Bedeutung dürfte angesichts der wachsenden Zahl der Rechtsinstrumente

des EuZPR und EuIPR die systematische Auslegung erlangen; für die Brüssel IIa-VO kommt insbesondere eine Berücksichtigung gleicher Regelungsstrukturen in der (mit Rücksicht auf das EuGVÜ älteren) Brüssel I-VO in Betracht.89 Als erstes Modell der unmittelbaren Vollstreckung ergibt sich aber auch aus Art 40 ff eine systematische Verbindung zur EG-VollstrTitelVO und anderen Verordnungen des Vollstreckungstitel-Typus. Freilich ist auch dem Europäischen Gesetzgeber zu raten, der systematischen Kohärenz der Verordnungen mehr Aufmerksamkeit zu widmen, damit nicht systematisch vergleichbare Elemente verschiedener Verordnungen eher zufällig in unterschiedlicher Weise geregelt werden, wie dies etwa mit den Zustellungsregeln als Voraussetzung der Bestätigung als Vollstreckungstitel geschehen ist.90 Systematische Auslegung lebt von der Unterstellung, dass Rechtsinstrumente im Verhältnis zueinander systematisch angelegt sind, woran man im EuZPR/EuIPR zweifeln mag. 2. Auslegungskompetenz des EuGH a) Vorabentscheidungsverfahren, Eilverfahren 38 (1) Die VO als sekundäres Europarecht untersteht, ohne dass es, wie für die auf Art 293

EGV aF gestützten EG-internen Völkerverträge, einer gesonderten Zuweisung bedarf, der Auslegung durch den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren nach Art 267 AEUV. Vorlagefähig sind in diesem Verfahren – wie üblich – nur konkret entscheidungserhebliche Auslegungsfragen.91 Eine Art 68 Abs 1 HS 2 EGV aF entsprechende Bestimmung, welche die Vorlagebefugnis zu dem im Übrigen gleichen Verfahren nach Art 234 Abs 1 lit b EGV auf konkret letztinstanzliche Gerichte beschränkte, ist im AEUV nicht mehr vorgesehen. Damit wird verbreiteter Kritik an der empfindlichen Beschränkung des für die einheitliche Auslegung essentiellen Vorabentscheidungsverfahrens Rechnung getragen. 39 Die Ausstrahlung dieser Problematik auf die Entscheidung über die Zulassung der Rechts-

beschwerde (§ 70 Abs 2 Nr 1 FamFG) hat sich damit erledigt;92 das OLG muss nicht mehr die Rechtsbeschwerde zulassen, damit der BGH in die Lage versetzt wird, ein Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen; vielmehr kann das OLG selbst dem EuGH vorlegen. 89 90 91 92

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Staudinger/Spellenberg (2005) Vorbem zu Art 1 Rn 57. Dazu Rauscher FS Kropholler (2008) 851. Lesenswert aus der Sicht des Familienrichters: Sickerling ERA Forum (2012) 13:113. Im Einzelnen zu der früheren Problematik vgl Vorauflage (2010) Rn 41, 42.

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(2) Mit Beschluss des Rates vom 20.12.200793 wurde dem Protokoll über die Satzung des 40 Gerichtshofs ein Art 23a beigefügt, der die Schaffung eines Eilvorlageverfahrens für Vorabentscheidungsersuchen94 ermöglicht, um der Kritik an der für Familiensachen, insbesondere für Sortgerechtssachen, kaum hinnehmbaren Bearbeitungsdauer von bis zu 2 Jahren im Standardverfahren zu entsprechen. Dieses Verfahren wurde durch eine Änderung der Verfahrensordnung des Gerichtshofs mit Wirkung vom 1.3.200895 in Art 104b der Verfahrensordnung betreffend Bereiche der justiziellen Zusammenarbeit (Dritter Teil Titel V AEUV), also auch für Art 80 ff AEUV, etabliert. Vorabentscheidungsersuchen können danach auf Antrag des vorlegenden Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen durch eine hierfür bestimmte Kammer (Art 9 § 1 VerfO EuGH) des Gerichtshofs dem Eilverfahren unterworfen werden. Solche Verfahren finden insbesondere in einem beschleunigten schriftlichen Vorverfahren statt (Art 104b §§ 2, 3 VerfO EuGH), auf das bei äußerster Dringlichkeit sogar verzichtet werden kann (Art 104b § 4 VerfO EuGH). Spruchkörper ist nach Maßgabe der Entscheidung durch die hierfür bestimmte Kammer entweder die Kammer selbst, ggf in einer Besetzung mit nur drei Richtern, oder der Gerichtshof (Art 104b § 5 VerfO EuGH). Nähere Hinweise für die Vorlage im Eilverfahren hat der EuGH veröffentlicht.96 Das Eilverfahren wird insbesondere bei Fragen betreffend die Auslegung der Brüssel IIa-VO in die elterliche Verantwortung betreffenden Verfahren eine bedeutende Rolle spielen. Der erste in diesem Verfahren entschiedene Fall Rinau97 betrifft die Brüssel IIa-VO und offenbart zugleich das Dilemma, dass in einem hochstreitig und mit viel Publizität geführten Sorgerechts- und Umgangsstreit das Verfahren schon vor den nationalen Gerichten unangemessen lang anhängig ist und Beschleunigung beim EuGH die Folgen kaum noch reparieren kann.98 b) Abstraktes Vorlageverfahren Eröffnet wurde durch die Verankerung der VO im Teil 3 Titel IV EGV aF auch das abstrakte 41 Vorlageverfahren nach Art 68 Abs 3 EGV aF. Auf Vorlage des Rates, der Kommission oder eines Mitgliedstaates entschied der EuGH über abstrakte Fragen der Auslegung der VO mit dem Vorteil, dass die Klärung von Auslegungsfragen nicht bis zur Fallrelevanz aufgeschoben werden muss und der Zeitaufwand nicht den konkreten Prozess belastet. Im AEUV findet sich eine solche Befugnis nicht mehr. Im Gegensatz zu der konkreten Vorlage, die über den entschiedenen Fall hinaus nur eine 42 beachtliche, aber nicht bindende persuasive authority ist, ist die Bindungswirkung von Entscheidungen, die unter Art 68 Abs 3 EGV ergangen sind, umstritten. Da Art 68 Abs 3 S 2 EGV in negativer Form eine Wirkung auf rechtskräftige Entscheidungen ausschließt, liegt ein Umkehrschluss im Hinblick auf laufende und spätere Verfahren nahe. Der An-

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ABl EU 2008 L 24/42. Zu den Beschleunigungsmöglichkeiten eingehend Pirrung FS von Hoffmann (2012) 698. Änderung der Verfahrensordnung des Gerichtshofes vom 15.1.2008, ABl EU 2008 L 24/39 vom 29.1.2008, Inkrafttreten gemäß Art 2 S 2 am ersten Tag des zweiten Monats nach Veröffentlichung. Gerichtshof, Hinweise zur Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen, Ergänzung vom 8.3.2008, ABl EU 2008 C 64/1; zu Einzelheiten Hakenberg/Schilhan ZfRV 2008, 104; Kokott/Dervisopoulos/Henze EuGRZ 2008, 10; Kühn EuZW 2008, 263; Kohler/Pintens FamRZ 2008, 1669, 1670. EuGH v 11.7.2008 – C-195/08 PPU Inga Rinau, NJW 2008, 2973. Bernard (2009) 34 El Rev 281, 283 ff mit weiteren Fällen zum Eilverfahren.

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nahme einer rechtlichen Bindung99 steht freilich entgegen, dass eine so weit gehende Wirkung ohne klare Anordnung im EGV kaum gewollt sein dürfte. Eine über das bisherige Gewicht hinausgehende Hinwendung zur präjudiziellen Wirkung stünde nicht mit der kontinentalen Rechtskultur in Einklang, die mit engen Ausnahmen100 eine solche Bindung nicht kennt. Außerdem wäre sie prozessual nicht durchsetzbar, denn der EuGH steht nicht als Super-Revisionsgericht über den nationalen Höchstgerichten. In praxi wird, wie schon am Auslegungsprotokoll zum EuGVÜ erprobt, ein nationales Gericht, das der Interpretation des EuGH nicht folgen will, ohnehin erneut vorlegen, was auch die Gegenansicht nicht ausschließt. V. Brüssel IIa-ÄndE, Scheidungskollisionsrecht 1. Gang des Verfahrens 43 Konkrete Bemühungen um eine Vereinheitlichung des Scheidungs-IPR im Rahmen einer

Zuständigkeit nach Art 61 ff EGV aF beginnen mit der Auflegung eines Grünbuchs vom 14.3.2005101 über das anzuwendende Recht und die gerichtliche Zuständigkeit in Scheidungssachen.102 Der am 17.7.2006 vorgelegte Kommissionsvorschlag103 brachte dieses, zunächst rein kollisionsrechtlich diskutierte Projekt („Rom III/1“) in einen Vorschlag zur Reform der Brüssel IIa-VO ein („Brüssel IIa-ÄndE“), der neben einer als loi uniforme auch für Sachverhalte mit Drittstaatenbezug gefassten Regelung des Scheidungs-IPR insbesondere eine beschränkte Gerichtsstandswahl in Ehesachen sowie die Streichung des höchst missverständlichen Art 6 und eine Anpassung des Art 7 Brüssel IIa-VO vorsah.104 44 Zu dem zunächst für den 1.3.2008 geplanten Inkrafttreten dieser erheblichen Änderung und

Erweiterung der Brüssel IIa-VO ist es nicht gekommen. Über sie war – unbeschadet der Kompetenzfrage hinsichtlich einer den Binnenmarkt überschreitenden loi uniforme-Lösung105 – im Verfahren nach Art 67 Abs 2 Str 2 EGV aF (nun Art 81 Abs 3 AEUV), also einstimmig durch den Rat nach Anhörung des Parlaments zu entscheiden.106 Obgleich neben einer Rechtswahl (Art 20a Brüssel IIa-ÄndE) die vorgeschlagene objektive Anknüpfungsleiter (Art 20b Brüssel II-ÄndE) mit dem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt begann und das der weit überwiegenden Mehrzahl der Mitgliedstaaten eigene Staatsangehörigkeitsprinzip zurückdrängte, konnten sich die der lex fori verhafteten Mitgliedstaaten nicht entschließen, der (im Übrigen verfehlten) Bereitschaft der Mehrheit zur Aufgabe des 99

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Classen EuR-Beiheft 1/1999, 79; Blumann RTD eur 1997, 746; Schwarze EU-Kommentar Art 68 Rn 10. ZB der Gesetzeskraft von Entscheidungen des BVerfG. Grünbuch vom 14.3.2005, KOM (2005) 82. Dazu Martiny in: Freitag/Leible/Sippel/Wanitzek (2006) 119, 127; Oderkerk NIPR 2006, 119; Finger FF 2007, 35. Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 im Hinblick auf die Zuständigkeit in Ehesachen und zur Einführung von Vorschriften betreffend das anwendbare Recht in diesem Bereich Europäische Kommission 17.7.2006, KOM (2006) 399. Im Einzelnen: Kohler FamRZ 2008, 1673, 1675; Kohler FPR 2008, 193, 194; Wagner StAZ 2007, 101, 106; Rauscher FS Kerameus Band 1 (2009) 1113, 1125. Kompetenz jedenfalls für EU-interne Sachverhalte nehmen an: Staudinger/Spellenberg (2005) Vorbem zu Art 1 Rn 48; eingehend Wagner RabelsZ 68 (2004) 119. Beyer FF 2007, 20, 23.

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rechtskulturell verwurzelten Staatsangehörigkeitsprinzips ähnliche Kompromissbereitschaft entgegenzubringen. Während das UK und Irland sich zum ersten Mal nicht bereit zeigten, ihr opt in auszuüben – was Spaltung der Brüssel IIa-VO, aber keine Behinderung der Reform bedeutet hätte – verweigerte Schweden, dem kein opt out möglich ist, die Zustimmung.107 In Verstärkter Zusammenarbeit gemäß Art 43 EUV aF108 (jetzt Art 20 EUV, Art 326 ff 45 AEUV), in der sich bisher insgesamt 16 Mitgliedstaaten109 versammelt haben, wurde anschließend der kollisionsrechtliche Teil des Entwurfs weitgehend unverändert als Rom III-VO110 erlassen und zum 21.12.2012 in Geltung gesetzt. Zwar mag auch eine Verstärkte Zusammenarbeit in Einzelfragen des IPR die Rechtsvereinheitlichung fördern,111 zumal kein verbreitet akzeptiertes Haager Übereinkommen existiert. Die Zusammenschau mit dem Reformbedarf zur Brüssel IIa-VO ergibt freilich ein unbefriedigendes Bild: Zwar wurde zu Recht die Brüssel IIa-Reform nicht in Verstärkter Zusammenarbeit umgesetzt, um eine weitere Zersplitterung im Verfahrensrecht zu vermeiden (dann Dänemark, Brüssel IIaStaaten, Brüssel IIa-Reformstaaten); jedoch wurde offenbar durch die Verstärkte Zusammenarbeit im rechtspolitisch streitigen IPR der weit weniger bestrittene Korrekturbedarf im Verfahrensrecht der Brüssel IIa-VO auf das rechtspolitische Abstellgleis geschoben. Was man wohl als Trotzreaktion einer sich als rechtspolitische Avantgarde auf dem Weg zum Aufenthaltsprinzip verstehenden Staatengruppe interpretieren muss, hat die Chance zu einem abgestimmten Vorgehen im IPR und im IZVR untergraben. Man hätte das Scheitern auch als Chance zur Einsicht begreifen können: IPR-Vereinheitlichung funktionierte im Rahmen der Haager Übereinkommen nie mit Universalitätsanspruch, sondern mit dem Bemühen um konstruktiven Ausgleich. Übereinkommen, denen dies nicht gelungen ist und die nur von einer sich als Avantgarde verstehenden Staatengruppe ratifiziert wurden,112 sind eher ein abschreckendes Beispiel als eine Stütze des Gedankens Verstärkter Zusammenarbeit im IPR. 2. Vereinheitlichung des IPR im Familien- und Erbrecht a) Das Bestreben um eine Vereinheitlichung des IPR in Familien- und Erbsachen verdient 46 grundsätzlich Zustimmung. Das Scheidungs-IPR unterstrich angesichts einer zunehmenden Zahl von Ehescheidungen, bei denen entweder die Ehegatten verschiedene Staatsangehörigkeit besitzen oder nicht im gemeinsamen Heimatstaat leben,113 die Bedeutung des 107

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Pressemitteilung des Europäischen Rates vom 2./25.7.2008; Mansel/Thorn/Wagner IPRax 2009, 1, 16; Kohler FPR 2008, 193, 195. Mansel/Thorn/Wagner IPRax 2009, 1, 9; Finger FamRBint 2008, 90; Kohler/Pintens FamRZ 2011, 1433 und FamRZ 2012, 1425. Zuletzt Beitritt von Litauen zum 22.5.2014, ABl EU 2012 L 323/18; Beitritt von Griechenland zum 29.7. 2015, ABl EU 2014 L 23/42. Verordnung (EU) Nr 1259/2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendende Recht vom 20.12. 2010, ABl EU 2010 L 343/10. Mansel/Thorn/Wagner IPRax 2009, 1, 9. Symptomatisch die geringe Akzeptanz der Aufenthaltsanknüpfung im Haager Übereinkommen vom 14.3.1978 über das auf das Ehegüterrecht anwendbare Recht, www.hcch.net, sub: Conventions Nr 25. Das Commission Staff Working Document im Anhang zu dem Brüssel IIb-Vorschlag (COM [2006] 399)

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Phänomens von Ehescheidungen mit internationalem Bezug innerhalb der EU. Auch wenn man eine Vereinheitlichung des IPR nicht mit manchen Autoren114 für unumgänglich halten muss, spricht für eine Harmonisierung vor allem, dass trotz der Vereinheitlichung der Zuständigkeitsregelungen durch die VO das materielle Ergebnis für die Ehegatten schwer vorhersehbar ist und das Vorhandensein mehrerer Gerichtsstände (die freilich keineswegs in allen internationalen Scheidungsfällen bestehen115) ein forum shopping116 herausfordern kann, weil die Auswahl des Gerichtsstandes über das jeweilige nationale IPR das anwendbare Scheidungsrecht bestimmt und Einfluss auf das Scheidungsfolgenrecht (etwa die Durchführung eines Versorgungsausgleichs) nehmen kann. An Zahl nur wenig geringer, an wirtschaftlicher Bedeutung aber gewiss gleichrangig sind die Probleme im Ehegüterrecht. Verstärkte Zusammenarbeit nach dem Vorbild der Rom III-VO beseitigt freilich das forum shopping nicht, weil sich weiterhin rund 10 Mitgliedstaaten finden, die zwar Brüssel IIa- aber nicht Rom III-Mitgliedstaaten sind. Die Unübersichtlichkeit sollte nicht weiter steigen. Ziel muss also eine überzeugende kollisionsrechtliche Lösung sein, die für internationale Ehen, überhaupt für die Frage des Personalstatuts, mehr Rechtssicherheit schafft, nicht hingegen ein politischer Kompromiss, der nur eine formale Zielerreichung bedeutet. Die Bedenken an der Erreichbarkeit eines Anknüpfungskonsenses117 werden durch das Scheitern des Brüssel IIa-ÄndE bestätigt, auch wenn man die Haltung Schwedens nicht dem Streit um Anknüpfungskriterien zuordnen kann, sondern als Ablehnung einer kollisionsrechtlichen Lösung an sich verstehen muss. 47 b) Ein Problem dürfte der Stil der Kompromissfindung bedeuten. Der vor dem Hinter-

grund des vorläufigen Scheiterns des Brüssel IIa-ÄndE den lex fori-Staaten, insbesondere Schweden, gemachte Vorwurf der „Provinzialität“118, weil sie „das Recht und die Identität anderer an einer auslandsrechtlichen Situation beteiligter Staaten und Personen nicht ernst nähmen“, beinhaltet bei aller Überheblichkeit im Ton, die nur das verbreitete Urteil über „Brüssel“ stärkt, eine zutreffende kollisionsrechtliche Erkenntnis: Konsens wird derzeit zu sehr als wertungsarmer Mittelweg verstanden, der als politischer Kompromiss gelingt, weil er alle beteiligten Rechtsordnungen gleichermaßen schmerzt. Ein Mitgliedstaat, der dieses Prinzip des gleichmäßigen Verlusts nicht mitträgt, gilt als Spielverderber; Irland beim Verfassungsvertrag, Schweden beim Brüssel IIa-ÄndE. So träumt mancher vom Sandkastenprinzip, das Außenseitern die Befugnis zum weiteren Mitspielen abspricht. Dass das UK und

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nennt jährlich ca 170.000 solcher „internationaler Scheidungsverfahren“, was ca 16 % der Gesamtzahl der Scheidungsverfahren ausmacht. Vgl Moro Riv dir int priv proc 2007, 675, 699 f. Haben Ehegatten verschiedener Staatsangehörigkeit während der Ehe einen stabilen gewöhnlichen Aufenthalt – was vor allem dann die Regel sein wird, wenn die Ehegatten bei Eheschließung im Heimatstaat eines von ihnen Aufenthalt genommen haben – so ergeben sich aus Art 3 Brüssel IIa-VO nur dann zwei Gerichtsstände, wenn ein Ehegatte gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat nimmt und nach 6 bzw 12 Monaten ein forum actoris gemäß Art 3 Abs 1 lit a Str 5 oder 6 begründet; eine Vorgehensweise, die für Berufstätige (Binnenmarktbezug!) meist ausscheidet. Pintens FamRZ 2005, 1597, 1600. Zweifelnd zur Realisierbarkeit Kohler in: Mansel, Vergemeinschaftung des Europäischen Kollisionsrechts (2001) 41; Pirrung ZEuP 1999, 842; Wagner FamRZ 2003, 803. Kohler FPR 2008, 193, 196.

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Irland bei der EU-ErbVO erstmals nicht positiv optiert haben, gilt überzeugten Europäern eher als Bestätigung der eigenen Vorurteile denn als Anlass, diese zu überwinden. Kollisionsrechtliche Klugheit sollte hingegen auf einen Kompromiss abzielen, der eine dem kontinentaleuropäischen IPR-Verständnis eigene Suche nach einer dem Rechtsverhältnis angemessenen Rechtsordnung wieder in den Mittelpunkt rückt und zugleich in gesellschaftlich wertungssensiblen Fragen, wie dem Personalstatut, offen für die Beibehaltung national unverzichtbarer Grundpositionen bleibt. Der Brüssel IIa-ÄndE ist ja nicht an einem scheidungsrechtlich „unmodernen“ Mitgliedstaat gescheitert, sondern gerade an der Sorge Schwedens, es könnten schwedische Gerichte gezwungen sein, statt des höchst scheidungsfreundlichen schwedischen Ehescheidungsrechts eine scheidungsfeindlichere ausländische Rechtsordnung anzuwenden.119 Die Sorge vor der Anwendung iranischen, maltesischen oder italienischen Scheidungsrechts provinziell zu nennen, fällt wohl eher schwer, auch wenn Schweden sich einem Savigny’schen IPR-Verständnis nicht zugeneigt gezeigt hat. Womöglich ist der durch die Rechtsvergleichung begleitete Weg, auf dem im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts eine verblüffende Annäherung des IPR kontinentaler Staaten120 erfolgte, erfolgversprechender, als die oft hektische Suche nach Kompromissen im Rat. Jene nationalen IPR-Reformen waren zu großen Teilen wissenschaftlich fundiert; EU-Reformen des IPR sind hingegen schon aufgrund der Struktur des europäischen Rechtssetzungsprozesses übermäßig politisiert. c) Die Bedenken Schwedens zeigen in erster Linie, dass der nationale ordre public nicht 48 einem europäischen Idealismus geopfert werden kann; nicht der Verzicht auf, sondern die Stärkung von ordre public-Klauseln ermöglicht es Mitgliedstaaten mit am Rand eines Wertungsspektrums liegenden Grundsätzen, sich zu beteiligen. Wie der Verfasser bereits mehrfach121 ausgeführt hat, wird der positiv die Scheidungsfreiheit fordernde ordre public durch die Brüssel II-Entwicklung weniger geschützt als ein scheidungsfeindlicher ordre public. Schon die Vereinheitlichung der Zuständigkeiten in Art 3 birgt das Risiko, dass Bürgern von Mitgliedstaaten mit scheidungsfreundlichem Recht die nach nationalem Recht bisher bestehende Zuständigkeit entzogen wird und sie damit einem scheidungsfeindlichen Recht ausgesetzt sind. Der negative ordre public lässt sich immer durch eine einfache Nichtanwendungsklausel durchsetzen, die aber nicht in gleichem Maß den positiven ordre public, also die Forderung einer Rechtsordnung, ein bestimmtes familien- oder erbrechtliches Gestaltungsrecht zu gewähren, schützt.122 Die in Art 10 Alt 1 Rom III-VO nun geschaffene positive ordre public-Klausel führt, ähnlich wie Art 17 Abs 1 S 2 aF EGBGB in der restriktiven Auslegung durch den BGH123 zur Anwendung der lex fori nur dann, wenn das nach den allgemeinen Kollisionsregeln berufene Scheidungsstatut die Ehescheidung überhaupt nicht vorsieht, nicht aber, wenn es sie, insbesondere im Fall streitiger Scheidung, erheblich verzögert. Überhaupt wurde zu sehr der Fall der gemeinsam scheidungswilligen Ehegatten 119

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So insbesondere die Stellungnahme Schwedens zum Grünbuch: „… emphasize the strong political resistance that any EC instrument infringing this right [to freely enter into marriage]“; Beyer FF 2007, 20, 23. Ausgehend vom türkischen und vom jugoslawischen IPRG. Vgl Rauscher FS Geimer (2002) 883; Rauscher FS Jayme (2004) 719. Zu den nicht durch eine ordre public-Klausel ausräumbaren Bedenken Schwedens Beyer FF 2007, 20, 23. Anders nun BGH v 25.10.2006 – XII ZR 5/04, FamRZ 2007, 113 = NJW 2007, 220; zur derzeit nicht scheidbaren Ehe: Kroll StAZ 2007, 330.

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gesehen,124 was verkennt, dass auch die (Grund-)Rechtsposition des Antragstellers Schutz verdient. 49 d) Die notwendige Bestimmung objektiver Anknüpfungskriterien darf durch eine womög-

lich einzuräumende Rechtswahlbefugnis nicht relativiert werden. Nicht nur der gescheiterte Brüssel IIa-ÄndE und mit ihm die Rom III-VO folgen insoweit dem Ansatz, man könne getrost eine nur mühsam taugliche, aber konsensfähige, objektive Anknüpfung wählen, die Parteien müssten durch eingeräumte Rechtswahlbefugnisse dies korrigieren. Vorsorgend eingeräumte Rechtswahl im Familienrecht scheitert in weiten Bevölkerungskreisen an mangelnder rechtlicher Beratung. Die Hoffnung auf Rechtswahl nach Entstehen des Konflikts ist verfehlt, weil hier ein gut beratener Beteiligter die Rechtswahl ablehnen muss, wenn das objektiv anwendbare Recht seine materiellen Ziele stützt. Einseitige Rechtswahl (im Erbstatut) birgt das Risiko der Manipulation. Hier verweigert der EU-Gesetzgeber die Verantwortung für eine im Regelfall taugliche Anknüpfung und verlagert sie auf eine Einzelfallgerechtigkeit, von der er wissen muss, dass die Beteiligten sie im Regelfall nicht rechtsvorsorgend schaffen. 50 e) Die Suche nach einer geeigneten objektiven Anknüpfung im Personalstatut ist nach

Verabschiedung der Rom III-VO und der EU-ErbVO nur vordergründig entschieden. Auch wenn Staatsangehörigkeit und domicile als Anknüpfungskriterien für das Personalstatut nun in die Rolle von Hilfsanknüpfungen verdrängt scheinen, und der gewöhnliche Aufenthalt formal als Primäranknüpfung durchgesetzt ist, zeigt der sich gerade erst entwickelnde Streit um die rechte Auslegung des Aufenthaltsbegriffs für Zwecke verschiedener Verordnungen,125 dass die Suche nach überzeugenden kollisionsrechtlichen Lösungen erst beginnt. Der Rechtsprechung wächst somit die Aufgabe zu, den flüchtigen und deshalb für manche Statuten ungeeigneten gewöhnlichen Aufenthalt so zu diversifizieren, dass am Ende unter dem einheitlichen Etikett sich verschiedene, aber besser geeignete Anknüpfungskriterien versammeln könnten. Weitgehende Einigkeit dürfte bestehen, dass der erst in jüngster Zeit zutreffend vom EuGH im Rahmen des Art 8 Brüssel IIa-VO umrissene Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts für Zwecke der Sorgerechtszuständigkeit, der sich weitgehend an die Rechtsprechung zum MSA; KSÜ und den Haager Unterhaltsinstrumenten anlehnt, schon wegen der Beteiligung Erwachsener als Anknüpfungssubjekte in Ehestatuten und im Erbstatut nicht taugt. Zwar wird bisher der gewöhnliche Aufenthalt objektiv anhand der sozialen Integration und formal willensunabhängig beurteilt. Doch die Integration selbst ist bei geschäftsfähigen Erwachsenen willensgesteuert: Wer im Vollbesitz seiner Geschäftsfähigkeit dauerhaft umzieht, kann nicht an Integrationsfristen aus Kindesentführungsfällen gemessen werden. Hingegen kann ein ins Ausland verlegter Demenzkranker nicht problemlos in einer Einrichtung als aufenthaltsbegründend integriert behandelt werden.126 Da andererseits ein täglich wandelbares Erbstatut oder Scheidungsstatut Manipulations- und Überraschungsgefahren birgt, soll dem Begriff eine gewisse Dauerhaftigkeit eingehaucht werden.127 Dass der EU-Gesetz124 125

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Dazu Kohler FPR 2008, 193, 195. Eingehend zum Stand Kränzle Heimat als Rechtsbegriff? (Dissertation München, 2014, noch unveröffentlicht) 91 ff. Weller in: Leible/Unberath, Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? (2013) 293 ff entwickelt hieraus die Forderung nach einem willensabhängigen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts.

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geber in der EU-ErbVO das differenzierte Modell des (trotzdem) wenig erfolgreichen Art 3 Haager ErbstatutsÜbk,128 den (Art 3 Abs 2) gewöhnlichen Aufenthalt nur bei Verstärkung durch die Staatsangehörigkeit (Art 3 Abs 1) oder eine fünfjährige Dauer heranzuziehen und im Übrigen auf die Staatsangehörigkeit abzustellen (Art 3 Abs 3), wegen des Fünf-Jahreskriteriums als willkürlich ablehnte, offenbart eher Ignoranz gegenüber dem Problem. Dort steht sogar eine Nationalisierung des Aufenthaltsbegriffs zur Debatte.129 Das Haager Übereinkommen ist nicht wegen der Einschränkung des Aufenthaltsprinzips gescheitert, sondern an der Erkenntnis, dass letztlich Staatsangehörigkeit und domicile verlässlicher feststellbar sind als ein immerhin durch Kriterien stabilisierter Aufenthalt. Die Suche nach einem stabilisierten, im Personalstatut anknüpfungstauglichen Begriff des 51 gewöhnlichen Aufenthalts sollte vor diesem Hintergrund nicht im scheinbar freien Raum stattfinden. Lösungen, die beim bisherigen Begriffsbild des objektiven Lebensmittelpunktes ansetzen, diesen jedoch mit „allen relevanten Kriterien“130 ausfüllen, bewahren nur die Illusion der Einheitlichkeit und müssen auf der Ebene der Kriterienrelevanz differenzieren zwischen Sorgerechtsstatut, Scheidungsstatut, Erbstatut und künftig Ehegüterstatut. Vorzugswürdig erscheint eine Rechtssicherheit schaffende partielle Rückkehr zu den das Staatsangehörigkeits- und das domicile-Prinzip tragenden Grundthesen. Dazu freilich bedarf es des Abschieds von der Desavouierung des kontinentaleuropäischen Staatsangehörigkeitsprinzips wie des angelsächsischen domicile-Prinzips als integrationsfeindlich. Die vermeintlich europabürgerliche Annahme, die Niederlassungsfreiheit in Europa dränge die Bindung der Menschen an ihr heimisches Recht zurück131 und das Staatsangehörigkeitsprinzip als Bindungskriterium im Internationalen Familienrecht vertrage sich schwer mit einem Europa, das die Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit eliminiere,132 ist höchst zweifelhaft. Diese Argumentation hat vor allem den Typus des Dauer-Emigranten aus Drittstaaten133 im Blickfeld, dessen ambivalente Haltung und fehlende Integration im Land seiner neuen dauerhaften Niederlassung freilich gerade durch die Beibehaltung der Ursprungsstaatsangehörigkeit dokumentiert wird. EU-intern lässt die Niederlassungsfreiheit und die durch sie bedingte Mobilität in Europa den Aufenthaltswechsel hingegen zu einem Vorgang werden, der weit weniger als die traditionelle Auswanderung mit einer Loslösung von der Sozialisierung in der heimischen Rechtskultur verbunden ist. Statt diese als EUbürgerlich inkorrekt zu stigmatisieren und die alte Schlacht um den entnationalisierten Europabürger weiter zu fechten, sollten Bestimmungen wie Art 3 Abs 1 lit a Strich 5 und 6, besonders aber die Beachtung der Staatsangehörigkeit des Kindes als Kriterium unter Art 8 durch den EuGH134 als Ausdruck der Erkenntnis aufgegriffen werden, dass Stabilität 127 128

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Zum Streit um objektive und subjektive Kriterien Kränzle aaO 219 ff. Convention on the Law applicable to succession to the estates of deceased persons v 1.8.1989; ratifiziert nur von den Niederlanden, daher nie in Kraft getreten, aber in Art 10:145 BW als niederländisches IPR für anwendbar erklärt. Kindler IPRax 2010, 45, 46. So bisher der EuGH zu Art 8, dort Rn 11 ff. Staudinger/Spellenberg (2005) Vorbem zu Art 1 Rn 45; Kohler FPR 2008, 193, 195; Vorschlag des Deutschen Rates für IPR bei Bauer IPRax 2006, 202, 204 Fn 12. Martiny FPR 2008, 187, 191; Martiny in: Freitag/Leible/Sippel/Wanitzek, Internationales Familienrecht für das 21. Jahrhundert (2006) 119, 127; Finger FF 2007, 35, 38. Türken in Deutschland, Maghrebiner in Frankreich. EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843, 845 Rn 39.

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und Integration durch Aufenthalt im Heimatland schneller erreicht wird als in anderen Staaten, mögen sie auch EU-Mitgliedstaaten sein. Gewöhnlicher Aufenthalt als primäres Anknüpfungskriterium im Personalstatut kann nur Erfolg haben, wenn sich der Begriff dem Ziel annähert, das seit Mancini mit der Staatsangehörigkeit und seit von Savigny und Story mit dem Domizil verbunden wird: Die Heimat des Anknüpfungssubjekts. Ob sich die Heimat-Werdung eines Rechtssystems stärker aus dem Willen des Betroffenen135 oder aus der Schutzerwartung an den Heimatstaat speist, wird dann zur sekundären Frage. Vorrangig aber bleibt die Feststellung, dass eine von Bindungswillen des Anknüpfungssubjekts unabhängige objektiv bestimmbare Heimat eine contradictio in se ipso ist; dem rein abstrakten gewöhnlichen Aufenthalt muss also Leben als primäre Personalstatutsanknüpfung erst verliehen werden. 52 f) Vorzugswürdig erscheint ein Modell, das Staatsangehörigkeit und domicile einer Per-

son als stabilisierende Kriterien etabliert, die den rein faktischen Aufenthalt zum gewöhnlichen machen. Während die Suche nach einem gegenüber dem gewöhnlichen Aufenthalt vorzugswürdigen Personalstatut, die nach Rom III- und EU-ErbVO auf absehbare Zeit nur noch akademischen Wert hätte,136 insoweit eher in Anlehnung an Art 3 Abs 2 dem domicile für Common Law-Mitgliedstaaten eine Ersatzfunktion an Stelle der Staatsangehörigkeit zuweisen müsste, lässt sich auf der Ebene verstärkender Kriterien sogar eine Kumulation beider Kriterien vorstellen. Dies hätte insbesondere den Reiz, den mit der Aufenthaltsanknüpfung im faktischen Element der personal presence übereinstimmenden domicile-Begriff auch in Mitgliedstaaten des Kontinents nutzbar zu machen und damit ein einheitliches Begriffsbild zu fördern, ohne auf die zusätzlich verstärkende Kraft der Staatsangehörigkeit zu verzichten. Bezogen auf das Scheidungsstatut könnte dies beispielhaft bedeuten, dass der gewöhnliche Aufenthalt eines deutschen Ehepaares anlässlich einer Erwerbstätigkeit eines Gatten in Frankreich erst dann das Scheidungsstatut bestimmt, wenn Frankreich zum domicile of choice geworden ist und das – zumeist mit der Staatsangehörigkeit korrelierte – domicile of origin überwunden hat oder zumindest ein Ehegatte die französische Staatsangehörigkeit erworben hat; was übrigens zeigt, wie nahe sich in Fragen der Integration Staatsangehörigkeits- und domicile-Prinzip waren und wie weit entfernt die schiere Aufenthaltsanknüpfung hiervon ist. Integrationsverweigerer mit stabilem Rückkehrwillen vollziehen diesen Wechsel gerade nicht. Bezogen auf das Erbstatut nähme diese Sicht dem gewöhnlichen Aufenthalt einen Teil seiner Manipulationsanfälligkeit und schüfe mehr Rechtssicherheit. Am Ende einer solchen Entwicklung zum staatsangehörigkeitsflankierten domicile könnte sich die eher angelsächsische Einzelfallanalyse mit einer „Daumenregel“ (5 Jahre) mit Ausweichklauseln wie in Art 3 Abs 2 HErbStÜbk vereinen. 3. Korrekturen der Zuständigkeitsbestimmungen 53 a) Mit dem vorläufigen Scheitern des Brüssel IIa-ÄndE sind auch die in ihm enthaltenen,

inhaltlich aber nicht zwingend mit dem IPR verbundenen, verfahrensrechtlichen Modifikationen der Brüssel IIa-VO zunächst gescheitert. Insoweit erscheint eine differenzierende Betrachtung erforderlich:

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Deutlich im domicile-Begriff, dessen mental attitude im domicile of choice auf das Willenselement „To make a place one’s home“ gerichtet ist, vgl Restatement 2d Conflict of Laws § 11 (1). Zu Details Rauscher FS Jayme (2004) 719.

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Einleitung

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b) Gänzlich unabhängig vom IPR ist die im gescheiterten Brüssel IIa-ÄndE vorgesehene 54 Streichung des Art 6 und die Klarstellung der Restzuständigkeiten in Art 7. Nachdem sich der EuGH137 einer Auslegung der Art 6, 7 Brüssel IIa-VO angeschlossen hat, die Art 6 als obsolete Norm offenbart,138 ist eine Streichung dieser irrlichternden Bestimmung überfällig, um den räumlich-persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung auch für den unbefangenen Normanwender klarzustellen.139 c) Anders verhält es sich mit dem in Art 3a Brüssel IIa-ÄndE enthaltenen Vorschlag einer 55 beschränkten Prorogationsbefugnis, die nach Klarstellung im späteren Ratsvorschlag140 auch als vorsorgende Prorogation ohne Bezug zu einem bevorstehenden Scheidungsverfahren gedacht war. Dieser Vorschlag lässt sich schwerlich von der IPR-Vereinheitlichung, insbesondere nicht von der parallel konstruierten Rechtswahlbefugnis lösen und ist deshalb durch die nur für einen Teil der Mitgliedstaaten erfolgte Vereinheitlichung in der Rom III-VO betroffen. Eine Prorogationsbefugnis bedeutet aus Sicht des gut beratenen Ehegatten eine – wenn auch durch künftige Änderung der Anknüpfungskriterien bedingte – Rechtswahl und birgt die Gefahr verdunkelter Scheidungsfolgenregelungen, die zwar durch einen Katalog wählbarer Gerichtsstände begrenzt, aber nicht ausgeschlossen wird. Als mittelbare Lösung des Risikos von forum shopping ist Prorogation im Eheverfahren daher nicht geeignet, da der taktische Wettlauf im Scheidungsstadium durch taktische Erwägungen im Vorfeld ersetzt würde. Bei weiteren Verordnungsplänen zur Prorogation sollte stärker als bisher bedacht werden, dass sich die Qualität einer Regelung nicht in der Situation gemeinsam scheidungswilliger Ehegatten bewähren,141 sondern sich an Konfliktfällen messen lassen muss. Vorsorgende Prorogation ist unter diesem Aspekt die einzige überhaupt sinnvolle Alternative; sie birgt freilich weitaus größere Einschätzungsrisiken als die selten noch praktikable, aber ungefährliche Prorogation im Vorfeld der Ehescheidung. Die Entwicklung des Brüssel IIa-ÄndE im Rat hat überdies gezeigt, dass neben die Begrenzung wählbarer Gerichtsstände auch eine zeitliche Begrenzung bei Veränderung der Anknüpfungskriterien treten muss, um Ehegatten nicht an einen längst nicht mehr ihren Lebensverhältnissen nahen Gerichtsstand zu binden. VI. Sachrechtsvereinheitlichung Bestrebungen zur Vereinheitlichung des Familienrechts, auch des Ehescheidungsrechts, 56 innerhalb der EU – unbeschadet des Fehlens einer Kompetenz der Gemeinschaft zur materiellen Familienrechtsvereinheitlichung – haben sich insbesondere in einer von sechs Wissenschaftlern unter Beiziehung von 25 weiteren Experten aus Mitgliedstaaten errichte-

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EuGH v 27.11.2007 – Rs C-68/07 (Sundelind Lopez/Lopez Lizazo) IPRax 2008, 257. Hierzu, insbesondere zu der in der 2. Auflage vertretenen Ansicht, die Art 6 Brüssel IIa-VO (wie nicht?) als sinnvolle Norm missverstand, Art 6 Rn 8 ff. Ebenso Mansel/Thorn/Wagner IPRax 2009, 1, 17. Rat der EU Vermerk des Vorsitzes, 28.6.2007, 11295/07. Zu einem vor österreichischen Gerichten gescheiterten Fall der Prorogation unter der Brüssel IIa-VO: OGH (1 Ob 76/11 z); dazu Nademleinsky EF-Z 2011, 196.

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ten Commission on European Family Law gebündelt.142 Kritisch an dieser Aktivität ist zum einen die selbst verliehene Bezeichnung als „Kommission“ zu sehen, die der gänzlich privaten, wissenschaftlich an sich interessanten Aktivität einen offiziösen Anstrich gibt.143 Zum anderen und vor allem kritisch zu sehen ist die Gefahr, dass eine sich als „modern“ verstehende selbst berufene Avantgarde einen Stand der familienrechtlichen Annäherung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten beschreibt, der Tendenzen zur Realität erhebt. Es entsteht der unschöne Eindruck von Lobbyismus, der offenbar dem Ziel dient, mit determinierten familienrechtlichen Zielsetzungen Einfluss auf die Rechtssetzungsorgane der EG zu nehmen und der einer ergebnisoffenen europäischen Rechtsvergleichung eher schadet als nützt. Die Scheidungsrechtsordnungen in Europa gehören trotz manchen gegenteiligen Behauptungen144 zu jenem Teil der Rechtsordnung, der in starkem Maß kulturell und historisch gewachsen und geprägt ist. Dem wird man nicht gerecht, wenn man Entwicklungstendenzen – etwa die erkennbare Tendenz zur Zerrüttungsscheidung – in den Vordergrund rückt und dabei die Tatsache zurückdrängt, dass trotz solcher Tendenzen die Unterschiede so erheblich bleiben, dass das Familienrecht, und das Scheidungsrecht im Besonderen, einer Vereinheitlichung im europäischen Kontext auf absehbare Zeit nicht zugänglich ist.145 Wer im Glauben an das Ideal der Rechtsvereinheitlichung selektiv die Reformtendenzen der (nord-mitteleuropäischen) Scheidungsrechtsordnungen zum Kern einer vermeintlichen Gemeinsamkeit stilisiert,146 weist jenen Mitgliedstaaten, die aus religiös-kulturellen Traditionen keinen vergleichbaren Reformeifer entwickeln, den Rang von konservativen Außenseitern zu. Dies kann auf lange Sicht der europäischen Idee nur zum Nachteil gereichen. Ein liberales Europa muss gleichermaßen die Haltung jener Staaten respektieren, die der Zerrüttungsscheidung (und anderen modernen Tendenzen wie der Ehe gleichgeschlechtlicher Paare) skeptisch gegenüberstehen, wie es Wege finden muss, der in der Haltung Schwedens zum Ausdruck gekommenen Sorge gerecht zu werden, dass eine in einigen Mitgliedstaaten erreichte Entwicklung zurückgedreht wird. Es geht aber nicht an, dass man anhand der Rechtslage in einigen „progressiven“ Rechtsordnungen definiert, wo das Ziel liegt und sodann den Rest der europäischen Rechtsordnungen unter Zugzwang setzt. 57 Eine europäische Rechtsvereinheitlichung des Ehescheidungsrechts ist freilich auch nicht

nötig, will man die derzeit bestehenden Konsequenzen notwendiger Gerichtsstandsvielfalt nach der VO bereinigen. So schwierig eine Kollisionsrechtsvereinheitlichung sein mag, ist sie doch weitaus realistischer als eine Sachrechtsvereinheitlichung. Gelingt sie, so hätte jedes Familiengericht in Europa im konkreten Fall dieselbe Rechtsordnung anzuwenden; Ergebnisgleichheit ist dann nur noch eine Frage der transparenten Rechtsinformation, nicht mehr der Auswahl der Rechtsordnung.

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Dazu im Einzelnen Boele-Woelki ERA-Forum 2003, 143; Boele-Woelki RabelsZ 73 (2009) 241. Vgl auch Moro Riv dir int priv proc 2007, 675, 688 Fn 38, der im Übrigen dieses Vorhaben positiv bewertet. Boele-Woelki ERA-Forum 2003, 142; TMC Asser Instituut Practical Problems Resulting from the NonHarmonization of Choice of Law Rules in Divorce Matters, Final Report JAI/A3/2001/04 (2002); Pintens ZEuP 2004, 548. Jayme IPRax 2000, 168; Staudinger/Spellenberg (2005) Vorbem Art 1 Rn 47. So wohl Pintens ZEuP 2004, 548.

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Sucht man hingegen auf lange Frist die Lösung in materiell rechtsvereinheitlichenden An- 58 sätzen, so erscheint es vorzugswürdig, statt des wenig aussichtsreichen Unterfangens einer breiten Vereinheitlichung des Familienrechts in allen Mitgliedstaaten den Gedanken eines wählbaren europäischen Familienrechtsmodells zu verfolgen,147 der ursprünglich aus der Diskussion um das geeignete gesetzliche Ehegüterrecht stammt, durchaus aber auch für das Ehescheidungsrecht nutzbar gemacht werden kann, wobei auch hier die Wählbarkeit auf Ehen mit internationalem Bezug (gemischtnationale Ehe oder gewöhnlicher Aufenthalt nicht im gemeinsamen Heimatstaat) begrenzt werden sollte. Für diesen Gedanken spricht vor allem, dass der Oktroy, den eine europäische Familienrechtsvereinheitlichung bedeuten würde, doppelt gemildert wird: Zum einen wäre die Rechtskultur der Mitgliedstaaten in Ansehung reiner Inlandsfälle – die bei aller Aufmerksamkeit für internationale Ehen noch immer die deutliche Mehrheit stellen – nicht berührt, so dass auch der Wettbewerb um adäquate Lösungen nicht zum Erliegen käme. Zum anderen könnten selbst die Ehegatten international ausgerichteter Ehen entscheiden, ob sie ihre Integration stärker in europäischer Universalität oder in dem vom IPR bestimmten nationalen Recht suchen. VII. Ausführungsgesetz Die Ausführung der Brüssel II-VO unterlag dem AVAG, insbesondere dessen 5. Abschnitt. 59 Gleichzeitig mit der Ingeltungsetzung der Brüssel IIa-VO ist am 1.3.2005 das Gesetz zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts vom 26.1.2005 (Art 1 des Gesetzes zum Internationalen Familienrecht)148 (IntFamRVG, s Gesetzesanhang) in Kraft getreten, das nach seinem § 1 Nr 1 auch der Durchführung der VO dient. VIII. Reformpläne der Kommission Die Kommission hat gemäß Art 65 einen Bericht über die Anwendung der Verordnung149 60 vorgelegt, in dem in erheblichem Umfang Änderungen für eine geplante Neufassung (Brüssel IIb-VO) angedacht werden. Zum einen handelt es sich um jenen Reformbedarf, der bereits im Kontext des gescheiterten, bzw nur mit beschränkter räumlicher Geltung150 kollisionsrechtlich als Rom III-VO verwirklichten Reformprojekts auf der Agenda stand, also die Streichung des überflüssigen Art 6151, die Schaffung autonomer Restzuständigkeiten (vgl Art 7)152 und die Erweiterung der zuständigkeitsrechtlichen Parteiautonomie.153

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Wagner StAZ 2007, 101, 102. BGBl 2005 I 62; dazu Gruber FamRZ 2005, 1603; Finger ZfJ 2005, 144; Finger FuR 2006, 56, 63; Schulz FamRZ 2011, 1273. Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss vom 15.4.2014 KOM (2014) 225 endgültig. Die Kommission beklagt im Bericht (S 5) zu Recht, dass die Vereinheitlichung des Scheidungs-IPR Stückwerk ist. Bericht S 6. Bericht S 9. Bericht S 6.

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Zur Diskussion gestellt wird weiter die Frage, ob Auslegungen durch den EuGH insbesondere im kindschaftsrechtlichen Teil in die VO aufgenommen werden sollen.154 Schließlich verfolgt die Kommission auch hier ihr „Lieblingsziel“ der Abschaffung des Exequatur155 über die bereits in Art 40 ff geregelten Sonderfälle hinaus; nach dem berechtigten Widerstand im Rat gegen eine ersatzlose Streichung des Exequatur in der Brüssel Ia-Reform deutet die Kommission immerhin an, dass auch in Brüssel IIb die Anerkennungsversagungsgründe weiterbestehen könnten – absehbar in der deutlich komplizierteren Doppelung der Rechtsbehelfe gegenüber dem bisherigen Exequaturverfahren . Es wäre zu wünschen, dass dieses rein politische und der Effizienz der Vollstreckung in keiner Weise nützliche plakative Ziel von der neuen Kommission begraben wird.

Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen Artikel 1: Anwendungsbereich (1) Diese Verordnung gilt, ungeachtet der Art der Gerichtsbarkeit, für Zivilsachen mit folgendem Gegenstand: a) die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes und die Ungültigerklärung einer Ehe, b) die Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung. (2) Die in Absatz 1 Buchstabe b) genannten Zivilsachen betreffen insbesondere: a) das Sorgerecht und das Umgangsrecht, b) die Vormundschaft, die Pflegschaft und entsprechende Rechtsinstitute, c) die Bestimmung und den Aufgabenbereich jeder Person oder Stelle, die für die Person oder das Vermögen des Kindes verantwortlich ist, es vertritt oder ihm beisteht, d) die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie oder einem Heim, e) die Maßnahmen zum Schutz des Kindes im Zusammenhang mit der Verwaltung und Erhaltung seines Vermögens oder der Verfügung darüber. (3) Diese Verordnung gilt nicht für a) die Feststellung und die Anfechtung des Eltern-Kind-Verhältnisses, b) Adoptionsentscheidungen und Maßnahmen zur Vorbereitung einer Adoption sowie die Ungültigerklärung und den Widerruf der Adoption, c) Namen und Vornamen des Kindes, d) die Volljährigkeitserklärung, e) Unterhaltspflichten, f) Trusts und Erbschaften, g) Maßnahmen infolge von Straftaten, die von Kindern begangen wurden.

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Bericht S 8, 16. Bericht S 11.

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Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen I.

Sachlicher Anwendungsbereich Ehescheidung etc (Abs 1 lit a) 1. Sachliche Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 a) Scheidung, Trennung, Ungültigerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 b) Begriff der Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2. Zivilsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 a) Materielle Zivilsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 b) Kirchliche Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . 11 c) Privatscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 d) Feststellungsanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 3. Verbundsachen, Verschulden . . . . . . . . . . 17

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Sachlicher Anwendungsbereich elterliche Verantwortung (Abs 1 lit b, Abs 2, 3) 1. Zivilsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2. Elterliche Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . 21 a) Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 b) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 c) Kind, Minderjährigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3. Zuweisung, Ausübung, Übertragung, Entziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 4. Positivkatalog (Abs 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 5. Negativkatalog (Abs 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

I. Sachlicher Anwendungsbereich Ehescheidung etc (Abs 1 lit a) 1. Sachliche Reichweite a) Scheidung, Trennung, Ungültigerklärung Art 1 beschreibt den sachlichen Anwendungsbereich der VO. Sie ist nach Abs 1 lit a an- 1 zuwenden auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes und Ungültigerklärung der Ehe. Der Begriff der Scheidung erscheint europaweit weitgehend homogen, auch wenn der Begriff nicht überall aus dem allgemeinen Sprachgebrauch in die Gesetzessprache eingedrungen ist.1 Er bedeutet die Auflösung der zivilrechtlichen Ehe dem Bande nach mit Wirkung ex nunc aufgrund von Mängeln, die in der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft begründet sind, aus deutscher Sicht also die Ehescheidung nach §§ 1564 ff BGB. Fraglich ist allerdings, ob die im niederländischen Recht neben der Scheidung der Ehe zugelassene Umwandlung in eine registrierte Partnerschaft (Art 1:77a BW)2 als Scheidung zu qualifizieren ist.3 Dies ist zu bejahen,4 denn mit der Umwandlung endet statusrechtlich die Ehe (Art 1:77a Abs 3 BW); dass die Umwandlung auf beidseitige Erklärung vor dem Standesbeamten hin von diesem ohne eigene Entscheidungsbefugnis zu vollziehen ist, ändert nichts an der Einordnung als Ehescheidung, qualifiziert die Umwandlung jedoch als Privatscheidung,5 die nur bei konstitutiver staatlicher Mitwirkung in den Anwendungsbereich der VO fällt (dazu Art 2 Rn 16). 1

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So spricht man in Italien zwar selbst im juristischen Schrifttum gelegentlich von divorzio, das Gesetz (legge 898/1970) regelt dagegen das scoglimento del matrimonio und für die kanonische Ehe die cessazione degli effetti civili del matrimonio, vgl Hausmann EuLF 2000/01, 273. Die auch als legale Umgehung des Scheidungsverfahrens genutzt wird, weil die Ehe durch die Umwandlung als aufgelöst gilt (Art 1:149e BW) und die Lebenspartnerschaft anschließend durch gemeinsame notarielle Erklärung (Art 1:80c BW) beendet werden kann; hierzu, sowie zur Frage der Anerkennungsfähigkeit in Deutschland: NK-BGB/Klüsener/Inan/Oomen Band 4, Länderbericht Niederlande Rn 19; Fachausschuss StAZ 2008, 250, 251. Offen gelassen von OLG Celle OLGR 2006, 13. AA Gebauer/Wiedmann/Frank Rn 12. Fachausschuss StAZ 2008, 250, 251.

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2 Trennung ohne Auflösung des Ehebandes umfasst nur formalisierte Trennungsverfahren

unter Mitwirkung eines Gerichts oder einer Behörde, die nur zur Lockerung, nicht zur Beseitigung des ehelichen Status führen.6 Eine konstitutive Mitwirkung im Sinn eines Trennungsausspruchs oder einer Gestattung der Trennung ist nicht erforderlich; es genügt, wenn die gesetzlich angeordneten zivilrechtlichen Wirkungen der Trennung erst durch eine gerichtliche Bestätigung der Trennung eintreten.7 Dass das maßgebliche Recht die Trennung als Vorstufe zur Ehescheidung, insbesondere als Grundlage einer Scheiternsvermutung ansieht, ist nicht erforderlich. Auch die Trennung als Rechtsinstitut neben oder statt der Ehescheidung8 ist einbezogen. Das bloß faktische Getrenntleben fällt dagegen nicht hierunter, auch wenn daran rechtliche Folgen geknüpft sind (zB § 1566 BGB), so dass im deutschen Recht dieser Typus unbesetzt ist. Trennungsverfahren vor deutschen Gerichten sind jedoch möglich, wenn das durch die Rom III-VO berufene Scheidungsstatut die formalisierte Ehetrennung vorsieht. 3 Ungültigerklärung der Ehe sind alle Verfahren, welche die Ehe als Folge von Mängeln ihrer

Eingehung beseitigen.9 Hierzu gehören nicht nur ex tunc wirkende Verfahren (zB die frühere Nichtigerklärung), sondern auch ex nunc wirkende, wie die Aufhebung gemäß § 1313 S 2 BGB.10 Für die Ungültigerklärung der Ehe nach dem Tod eines oder beider Ehegatten gilt die VO nicht.11 Fraglich ist die Qualifikation in Fällen der Anwendung von Ehescheidungsrecht auf Eheschließungsmängel, etwa im schwedischen Recht, wo in Konsequenz der Staatsanwalt gegen die Ehegatten ein Scheidungsverfahren wegen Bigamie führen kann;12 ob dies als Scheidung oder als „Ungültigerklärung“ zu qualifizieren ist, kann mangels Relevanz für den Anwendungsbereich offen bleiben. 4 Welche Entscheidungskategorien (Gerichte, Behörden, Entscheidungen) im Einzelnen der

VO unterfallen, bestimmt Art 2 Nr 1 und Nr 4 (anders noch Art 1 Abs 2 Brüssel II-VO). b) Begriff der Ehe 5 Abs 1 lit a bezieht sich nur auf Verfahren zur Änderung des Status einer Ehe. Für den Begriff

der Ehe muss eine autonome Auslegung gefunden werden13, nachdem einzelne Mitgliedstaaten die Ehe auch gleichgeschlechtlichen Paaren geöffnet haben (Niederlande, Belgien, 6

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Geimer/Schütze/Dilger Rn 10; zur Einbeziehung der Ehetrennung nach italienischem Recht Cass civ 2010/3680 Riv dir int priv proc 2010, 750; Trib Arezzo Riv dir int priv proc 2012, 161; Trib Belluno Riv dir int priv proc 2012, 452; Trib Tivoli Riv dir int priv proc 2011, 1097; nach irischem Recht Dt v FL (2007) ILPr 56 (Irish High Court). S im italienischen Recht bei der omologazione einer separazione consensuale nach Art 150 codice civile, vgl Hausmann EuLF 2000/01, 274; vgl zur omologazione vor deutschen Gerichten AG Leverkusen v 14.9. 2006 – 33 F 123/06, FamRZ 2007, 565; zur Ehescheidung nach separazione AG Leverkusen v 10.1.2002 – 34 F 346/97, FamRZ 2002, 1636. Zur Verbreitung in den Mitgliedstaaten Dörner in: Großfeld/Yamauchi/Ehlers/Ishikawa, Probleme des deutschen, europäischen und japanischen Rechts (2006) 17, 18. Geimer/Schütze/Dilger Rn 11; Dörner in: Großfeld/Yamauchi/Ehlers/Ishikawa (2006) 17, 18. Geimer/Schütze/Dilger Rn 11. Borrás-Bericht Nr 27; Kohler NJW 2001, 10; Zöller/Geimer Rn 22; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 7; NK-BGB/Gruber Rn 6. Süß/Ring/Johansson Eherecht in Europa (2. Aufl, 2012) Schweden Rn 21. S im Detail Pabst Rn 222 ff.

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Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

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Spanien, Schweden, Portugal, Frankreich)14, nur geringfügig abweichende Statusformen für gleichgeschlechtliche Paare errichtet (Deutschland: LPartG), diese mit analoger Anwendung des Ehescheidungsrechts (Skandinavische Staaten) oder mit eigenen Rechtsinstituten zur Auflösung (Deutschland) versehen haben bzw andere, von der sexuellen Orientierung unabhängige schuld- oder familienrechtlich verfestigte Partnerschaftsformen bereitgestellt haben (so Frankreich mit dem PACS),15 die ebenfalls formalisierte Verfahren der Auflösung im oben definierten Sinn vorsehen.16 Aus der Rom III-VO lassen sich keine Rückschlüsse ziehen; auch das jüngere Rechtsinstrument steht vor diesem Problem, enthält aber trotz zwischenzeitlicher Verbreitung des Phänomens homosexueller Ehen keine Legaldefinition; das Argument, Art 13 Alt 2 Rom III-VO spreche für die Einbeziehung,17 trägt nicht. Art 13 Alt 2 Rom III-VO läuft ohne die „Homo-Ehe“ nicht leer, sondern bezieht sich zwanglos auf hinkende Ehen, die im Gerichtsstaat nicht gültig sind und deshalb dort auch keiner Scheidung bedürfen. Der Umstand, dass die Kommission ihre Vorschläge zum Güterrecht in zwei Instrumenten für Ehen und für Eingetragene Partnerschaften vorgestellt hat, spricht hingegen eher gegen eine erfolgte Einbeziehung in den Ehebegriff von EU-Verordnungen. Eine eindeutige Aussage ergibt sich schließlich auch nicht aus den Tendenzen zur Einbeziehung gleichgeschlechtlicher Ehen in den Ehebegriff des materiellen Unionsrechts.18 Der Anwendungsbereich eines Instruments des EuIPR/EuZPR muss Rücksicht nehmen auf den materiellen Ehebegriff in den Mitgliedstaaten und darf keinen impliziten Anerkennungszwang ausüben.19 Nach zutreffender herrschender Ansicht20 bezieht sich der Begriff der Ehe iSd Art 1 nur auf 6 verschiedengeschlechtliche monogame Verbindungen. Homosexuelle Verbindungen sind nicht erfasst, gleich, ob sie formal als „Ehe“ oder in anderer Weise bezeichnet sind.21 Die Brüssel II-VO und die Brüssel IIa-VO gehen von einem traditionellen Ehebegriff aus, wie er bei Entwicklung des Übereinkommens in allen und noch jetzt in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten gilt.22 Selbst wenn innerhalb der Mitgliedstaaten eine rechtsvergleichende Ten14

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Die Texte der gesetzlichen Bestimmungen für NL, B, SP finden sich bei Winkler von Mohrenfels FS Ansay (2006) 527, 528 f; in Schweden ist die Regelung seit dem 1.5.2009 in Kraft: SFS 2009:253 vom 16.4.2009, dazu Carsten StAZ 2010, 173, in Portugal seit dem 5.6.2010, in Frankreich seit dem 29.5.2013; Dänemark hat 2012 die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt, ist aber nicht Brüssel IIa-Mitgliedstaat; zum Stand weltweit: Mankowski/Hoffmann IPRax 2011, 247. Vgl zu den verschiedenen Ansätzen in Europa Hausmann FS Henrich (2000) 242 ff; Winkler von Mohrenfels FS Ansay (2006) 527. Vgl zu der Vielzahl der Modelle: Pintens LM Šarčević (2006) 335, 340 ff; zur rechtspolitischen Konfliktlage zwischen den Mitgliedstaaten Bonini Baraldi 15 MJ 4 (2008) 517 ff. Traar ÖJZ 2011, 805; Garber FS Simotta (2012) 145, 158. Dazu EuGH v 31.5.2001 – Rs C-122/99 D u Königreich Schweden . /. Ministerrat, FamRZ 2001, 1053. Magnus/Mankowski/Pintens Rn 22. Gruber IPRax 2005, 293; Helms FamRZ 2002, 1593, 1594; Dörner in: Großfeld/Yamauchi/Ehlers/Ishikawa, Probleme des deutschen, europäischen und japanischen Rechts (2006) 17, 19; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 11; Thomas/Putzo/Hüßtege Vorbem Art 1 Rn 5; zahlreiche weitere Nachweise bei Garber FS Simotta (2012) 145, 156 Fn 69; ohne Problembewusstsein AG Münster v 20.1.2010 – 56 F 79/09, IPRax 2011, 269 = FamRZ 2010, 1580 deutsches Zuständigkeitsrecht auf niederländische homosexuelle Ehe. AA d’Oliveira LA Siehr (2000) 534; Boele-Woelki ZfRV 2001, 121, 127; Mostermans NIPR 2002, 263, 265; Garber FS Simotta (2012) 145, 155. Pintens LM Sarcevic (2006) 335, 336 f.

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denz zur rechtlichen Gestaltung ehealternativer Lebensformen feststellbar wäre, ist damit keine Inhaltsänderung des Begriffs „Ehe“ verbunden. Überwiegend werden solche Alternativformen unter neuer Bezeichnung geführt; die in einigen Mitgliedstaaten erfolgte Änderung des Ehebegriffs ist hingegen eine Ausnahme, nicht aber Ausdruck einer bereits mehrheitlich akzeptierten Tendenz zu einem Begriffswandel.23 7 Eine analoge Anwendung oder eine teleologische Auslegung24 in Einbeziehung institutio-

nalisierter gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, die sodann schwerlich auf „gleichgeschlechtliche Ehen“ zu beschränken wäre, sondern eheangenäherte Institute wie die Eingetragene Lebenspartnerschaft des deutschen Rechts umfassen müsste, scheitert nicht nur an der Typenvielfalt,25 sondern auch an der rechtspolitischen Bedeutung der Frage, die dem europäischen Gesetzgeber überlassen werden muss.26 De lege ferenda mag eine Erweiterung auf solche gleichgeschlechtlichen Ehen oder Lebensgemeinschaften sinnvoll sein, um auch in diesem Bereich die Vorteile zu nutzen, die eine europäische Zuständigkeits- und Anerkennungsregelung bietet. Dies lässt sich aber nicht mit einer erweiternden („toleranten“27) Auslegung erreichen. Die vermeintlich tolerante Avantgarde übersieht, dass von einer Anwendung der Brüssel IIa-VO auf gleichgeschlechtliche Gemeinschaften auch die Grundfrage der Anerkennung solcher Gemeinschaften als Rechtsinstitute berührt ist und es insoweit eines rechtspolitischen Konsenses der Mitgliedstaaten bedarf, der aus Sicht mancher Mitgliedstaaten derzeit kaum Zustimmung finden dürfte. Der richtige Weg für eine Ausdehnung ist nicht zuletzt durch den Ansatz der Kommission bei den Verordnungsvorschlägen zum Ehegüterrecht und zum Güterrecht Eingetragener Lebenspartnerschaften vorgezeichnet: Zwar sind nicht zwei verschiedene Rechtsinstrumente notwendig, doch bedarf es Sonderregeln, die darauf Rücksicht nehmen, dass die Ehe als Institut rechtspolitisch unumstritten ist, die „Homo-Ehe“ in ihren verschiedenen Regelungsformen hingegen keineswegs. Auch dann wird freilich jedem Mitgliedstaat die Freiheit bleiben, in anderen Mitgliedstaaten geschlossene, gleichgeschlechtliche Ehen als nicht existent anzusehen,28 was als negative Beantwortung der scheidungsrechtlichen Vorfrage jede weitere Befassung erübrigt.29 23

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Magnus/Mankowski/Pintens Rn 21; Winkler von Mohrenfels FS Ansay (2006) 527, 539; zumal den entsprechenden Reformen in Spanien und Frankreich kein breiter gesellschaftlicher Konsens zu Grunde liegt, sondern die Ausnutzung parlamentarischer Lager-Mehrheiten nach sozialistischen Wahlsiegen; das Abstimmungsergebnis der Assemblée nationale am 12.2.2013 und am 23.4.2013 ist abrufbar bei wikipedia.org sub: Gleichgeschlechtliche Ehe, Frankreich. Dies erwägen letztlich ablehnend Pintens LM Sarcevic (2006) 335, 342; Gaudemet-Tallon Clunet 2001, 387. Pintens LM Sarcevic (2006) 335, 342. Pintens LM Sarcevic (2006) 335, 343. Winkler von Mohrenfels FS Ansay (2006) 527, 539, der dies im Interesse des effet utile fordert, übersieht, dass es mit Toleranz wenig zu tun hat, wenn eine sich als modern einschätzende Minderheit dem Rest der Mitgliedstaaten die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe durch die prozessuale Hintertür aufdrängt. Magnus/Mankowski/Pintens Rn 22; daran würde auch die Übertragung des Anerkennungsprinzips, also die Anerkennung kraft Registrierung in einem anderen Mitgliedstaat an Stelle des kollisionsrechtlichen Wirksamkeitsansatzes (dazu Mankowski/Hoffmann IPRax 2011, 247, 253) nichts ändern. Zur bewussten Respektierung der Vorfrage der Wirksamkeit als „Ehe“ durch die Brüssel IIa-VO Bonini Baraldi 15 MJ 4 (2008) 517, 533.

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Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

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Erfasst ist auch zwischen Mann und Frau nur die Ehe im klassischen Sinn30, hingegen nicht 8 die Auflösung rechtlich verfestigter sonstiger Lebensformen, soweit sie das anwendbare Recht auch Partnern verschiedenen Geschlechts öffnet (zB der PACS).31 Erst recht sind (nicht formalisierte) nichteheliche Lebensgemeinschaften, auf die manche Rechtsordnungen einzelne Regeln des Eherechts anwenden, nicht erfasst.32 Die Auflösung solcher Formen des Zusammenlebens sollte nach dem erkennbaren gesetzgeberischen Willen nicht einbezogen werden.33 Schwierigkeiten sollte hierbei auch nicht die Feststellung bereiten, wann es sich bei einem rechtlichen Regelungen unterworfenen Zusammenleben um eine „Ehe“ handelt. Richtig ist zwar, dass manche (Mitglied-)Staaten faktische Formen der Eingehung einer Ehe kennen, die an die Common Law marriage erinnern. Das zwingt aber nicht dazu, in anderer Weise rechtlich verfasste, grundsätzlich lebenslang angelegte Lebensgemeinschaften als „Ehe“ iSd VO einzubeziehen, soweit sie nicht lediglich oder überwiegend vermögensrechtlicher Natur sind.34 Bislang hat sich noch keine Rechtsordnung dazu verstanden, die Ehe als Statusbeziehung aufzugeben; vielmehr wird vereinzelt die Ehe – als solche (!) – Homosexuellen geöffnet oder in bewusster Abgrenzung zur Ehe ein eheähnliches Normengerüst für nicht eheliche Formen des Zusammenlebens geschaffen. Deshalb kann eindeutig unterschieden werden, ob ein nach einer bestimmten Rechtsordnung eingegangenes oder nach ihr behandeltes Rechtsinstitut dort als Ehe im statusrechtlichen Sinn angesehen oder nur einzelnen Regeln des Eherechts oder einem anderen System von Rechtsfolgen unterstellt wird. Würde man etwa die niederländische registrierte Partnerschaft von Personen verschiedenen Geschlechts (Art 80c BW) als Ehe subsumieren,35 so überschritte man damit nicht nur die vom niederländischen Recht gewollte Unterscheidung zwischen dem traditionellen Institut der Ehe und einer rechtspolitisch motivierten Neuschöpfung, sondern zugleich auch die Grenze zwischen der durch Art 6 Abs 1 GG geschützten Ehe und sonstigen Lebensformen, die nach Ansicht des BVerfG36 gerade deshalb Art 6 Abs 1 GG nicht verletzen, weil sie aliud und nicht Konkurrenz zur Ehe sind. Eine davon zu unterscheidende Frage ist, ob auch formlos geschlossene Ehen der VO 9 unterfallen. Dies ist uneingeschränkt zu bejahen, soweit die maßgebliche (vom IPR als Eheschließungsstatut berufene37) Rechtsordnung solche Verbindungen als Ehe ansieht und nicht lediglich einzelnen oder zahlreichen Rechtsfolgen des Eherechts unterstellt. So ist selbstverständlich die nach islamischem Recht wirksam konkludent geschlossene Ehe eine Ehe iSd VO, ebenso wäre es die heute kaum noch praktische Common Law marriage, 30

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Kohler NJW 2001, 15; Wagner IPRax 2001, 282; Thomas/Putzo/Hüßtege Vorbem Art 1 Rn 5; aA Watté/ Boularbah Rev trim dr fam 2000, 545. Einschränkend Garber FS Simotta (2012) 145, 150 ff, 153 sofern durch die Eintragung der Partnerschaft „nahezu dieselben Wirkungen“ wie durch eine Ehe begründet werden. Pintens LM Sarcevic (2006) 335, 338; Garber FS Simotta (2012) 145, 149; Spickhoff FS Schurig (2012) 285, 292. Verde í Aldea/d’Ancona Bericht zum Übereinkommen Brüssel II B 2.1. (vgl Materialien 1); der Forderung des Wirtschafts- und Sozialausschusses ABl EU 2003 C 61/76 unter 5.2.2., auch nichteheliche Lebensgemeinschaften einzubeziehen, wurde erneut nicht Folge geleistet; Geimer/Schütze/Dilger Rn 7. So aber wohl Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 14. So aber Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 14. BVerfG v 17.7.2002 – 1 BvF 1/01, 1 BvF 2/01, NJW 2002, 2543 zum LPartG. Die Registrierung in einem anderen Mitgliedstaat als solche wäre nur maßgeblich, wenn an die Stelle des Anknüpfungsprinzips das Anerkennungsprinzip träte, vgl Mankowski/Hoffmann IPRax 2011, 247, 253.

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während es sich im Fall der Verleihung eherechtlicher Wirkungen an längerfristige nichteheliche Lebensgemeinschaften in Mazedonien, Slowenien und Kroatien (nur) um eine Rechtsfolgen-, nicht um eine Statusänderung handelt. 2. Zivilsachen a) Materielle Zivilsache 10 Erfasst sind nach Abs 1 S 1 nur Zivilsachen, diese jedoch ungeachtet der Art der Gerichts-

barkeit. Obgleich insoweit die Regelung im Vergleich zu Art 1 Brüssel II-VO erheblich umstrukturiert wurde, ergeben sich keine Veränderungen des Anwendungsbereichs in Scheidungssachen. Die Verlagerung vom Begriff des „zivilgerichtlichen Verfahrens“ (Art 1 lit a Brüssel II-VO) auf den Art 1 Brüssel I-VO entsprechenden materiell zu interpretierenden Begriff der Zivilsache bestätigt allenfalls, dass auch Eheauflösungen in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren erfasst wären. Behördliche Entscheidungen, die nach Art 1 Abs 2 Brüssel II-VO ausdrücklich gleichgestellt waren, sind nun über Art 2 Nr 1 dadurch einbezogen, dass im Rahmen von Art 1 zuständige Behörden als Gericht gelten. Zwar beinhaltet dies, logisch betrachtet, eine legislatorische Zirkeldefinition, weil damit die Behörde dann als Gericht gilt, wenn sie im Rahmen des Art 1 „Gerichtsbarkeit“ ausübt, was gerade zu klären ist. Es sollte aber klar sein, dass die Einbeziehung behördlicher Entscheidungen, die ihrer Natur nach Zivilsachen sind, weiter gewollt ist. Zweck dieser Gleichstellung war es, die verwaltungsbehördliche dänische Scheidung38 und jüngere Formen der einverständlichen Scheidung unter konstitutiver Mitwirkung von (Personenstands-)Behörden in das Zuständigkeits- und Anerkennungssystem einzubeziehen.39 Maßgeblich ist auch nicht, ob das anwendbare Recht der Behörde einen Entscheidungsspielraum einräumt oder bei Vorliegen bestimmter Formalien eine gebundene Entscheidung vorsieht. Entscheidend ist, dass die Behörde nicht nur eine materiell bereits wirksam erfolgte Privatscheidung registriert, sondern die Scheidung konstitutiv auf dem behördlichen Mitwirken beruht.40 b) Kirchliche Entscheidungen 11 Kirchliche Entscheidungen fallen als solche nicht in den Anwendungsbereich der VO.41

Eine Einbeziehung in die Regeln der internationalen Zuständigkeit ist schon deshalb nicht sinnvoll, weil diese Gerichte ihren eigenen Regeln folgen.42 Wie auch außerhalb des Anwendungsbereichs der VO steht jedenfalls die in einem Mitgliedstaat bestehende (auch ausschließliche) Zuweisung einer Ehesache an religiöse Gerichte nicht der Inanspruchnahme einer Zuständigkeit nach der VO in anderen Mitgliedstaaten entgegen, denn solche Zuweisungen betreffen lediglich das dortige innerstaatliche Prozessrecht.43 Näher zur An38 39 40

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Borrás-Bericht Nr 20a; nun nimmt freilich gerade Dänemark an der VO nicht teil. Vgl die Beispiele (Dänemark, Finnland) im Borrás-Bericht Nr 20a; vgl auch Helms FamRZ 2001, 257, 259. Weshalb die VO auch die einverständliche Scheidung nach Art 1778 a des portugiesischen código civil erfasst, vgl Jayme IPRax 2001, 382 (die Ansicht von Malheiros referierend). Borrás-Bericht Nr 20 b; Fontaine D & P 1999, 23. Staudinger/Spellenberg (2005) Art 1 Rn 18. OLG Hamm IPRspr 2006 Nr 55.

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wendung der Anerkennungsregeln auf staatlich wirkende kirchliche Entscheidungen Art 2 Rn 7 f. c) Privatscheidung Für Privatscheidungen gilt die VO nicht,44 auch wenn im maßgeblichen Recht eine nicht- 12 konstitutive behördliche Mitwirkung vorgesehen ist. Das bedeutet keine anachronistische Haltung der Verordnung.45 Freizügigkeit von Privatscheidungen, die sich lediglich in einem Mitgliedstaat (aus dortiger Sicht wirksam) ereignet haben, denen es aber an einer konstitutiven verfahrensrechtlichen Bindung an diesen Mitgliedstaat ermangelt, könnte nicht auf das die VO tragende gegenseitige Vertrauen in die Rechtspflege bauen. Sie hinge vom kollisionsrechtlichen Zufall ab; schon das Fehlen einer Art 17 Abs 2 EGBGB entsprechenden Bestimmung im IPR eines Mitgliedstaates generiert bei Orientierung des Scheidungsstatuts am Heimatrecht wirksam dort vorgenommene Privatscheidungen. Diesen Scheidungen Freizügigkeit in der EU zu verleihen, hätte nichts mit justizieller Zusammenarbeit zu tun. In Deutschland sind solche Privatscheidungen schon wegen Art 17 Abs 2 EGBGB nicht möglich, auch wenn Scheidungsstatut ein Recht ist, dass die Privatscheidung vorsieht. Ob insoweit die Rom III-VO gilt, ist angesichts deren sprachlicher Ausrichtung auf gerichtliche Scheidungen zweifelhaft, sollte aber bejaht werden, da ein Rückgriff auf (teilweise aufgehobene) nationale Kollisionsnormen zu anpasungsbedürftigen Widersprüchen führt, wenn etwa das von der Rom III-VO berufene Recht eine – insoweit nicht anwendbare – Privatscheidung vorsieht, das vom nationalen IPR berufene hingegen eine – insoweit ebenfalls nicht anwendbare – gerichtliche. Zur Anwendung der Anerkennungsregeln auf gerichtlich oder behördlich bestätigte Privatscheidungen Art 2 Rn 9. d) Feststellungsanträge Schon zur Brüssel II-VO war strittig, ob über den (nun) in Art 3 Abs 1 S 1 genannten Katalog 13 hinaus auch Feststellungsbegehren und andere Ehesachen iSd § 121 FamFG in den sachlichen Anwendungsbereich der VO fallen. Da den genannten Typen (Ehescheidung, Trennung, Ungültigerklärung) jeweils eine statusändernde Wirkung zukommt, können jedenfalls nur solche Verfahren einbezogen werden, die den Status an sich betreffen.46 Eine Ansicht beschränkt Abs 1 lit a unter Bezug auf diesen Wortlaut auf Statusänderungen47. Von der Gegenansicht wird hingegen eine Einbeziehung von Feststellungsentscheidungen vertreten, wobei manche nur negative Feststellungsverfahren48 einbeziehen wollen, während eine dritte Ansicht die VO auch auf positive Feststellungen anwenden will.49 Letzteres erscheint zwar plausibel, wenn man es als Ziel der VO ansieht, nicht nur die 14 44

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Hausmann EuLF 2000/01, 274; Gruber FamRZ 2000, 1130; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 3; Staudinger/ Spellenberg (2005) Art 1 Rn 19. So aber Jayme IPRax 2000, 170; Helms FamRZ 2001, 257, 260; hiergegen zutreffend Staudinger/Spellenberg (2005) Art 21 Rn 9. Borrás-Bericht Nr 22. Hausmann EuLF 2000/01, 273; Helms FamRZ 2001, 257, 260; Spellenberg FS Geimer (2002) 1257; Geimer/Schütze/Dilger Rn 15; Dörner in: Großfeld/Yamauchi/Ehlers/Ishikawa, Probleme des deutschen, europäischen und japanischen Rechts (2006) 17, 19; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 8. Hau FamRZ 2000, 1337; Pirrung ZEuP 1999, 843; Vogel MDR 2000, 1046. Gruber FamRZ 2000, 1130; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 2; Musielak/Borth Rn 1; ausdrücklich aA Simotta FS Geimer (2002) 1145 ff; Zöller/Geimer Rn 21.

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Freizügigkeit von Statusänderungen, sondern die des Status überhaupt50 zu fördern. Gleichwohl ergeben sich Bedenken: Feststellungsbegehren liegen regelmäßig Zweifel an der Wirksamkeit der Ehe zugrunde, die häufig auch zu hinkenden Ehen führen. Eine positive Feststellung der Wirksamkeit ist dann im Eheschließungsstaat ohne Weiteres zu erlangen, ihre Einbeziehung in die VO würde einen Mitgliedstaat, aus dessen Sicht die Ehe „hinkt“, zur Anerkennung der Entscheidung und damit, vorbehaltlich des ordre public, faktisch zur Anerkennung der Ehe als wirksam zwingen, zumal Art 22 den Anerkennungsversagungsgrund des Abweichens von einer statusrechtlichen Vorfrage (so noch Art 27 Nr 4 EuGVÜ) nicht kennt. 15 Löst man das Problem dadurch, Feststellungsanträge ganz aus dem Anwendungsbereich der

VO zu nehmen, so ergibt sich die ebenso missliche Lage, dass ein Gericht zwar die Zuständigkeit zur Entscheidung über einen Antrag auf Eheaufhebung (wegen eines Eheschließungsmangels) nach der VO beurteilt, über den auf Feststellung der Wirksamkeit (trotz des Eheschließungsmangels) gerichteten Gegenantrag aber lege fori judiziert. Daher ist die Einbeziehung positiver Feststellungsanträge in den Entscheidungsbegriff zu bejahen, jedoch für den Anwendungsbereich der Art 21 ff eine teleologische Reduktion geboten. 16 Negative Feststellungen fallen erst recht in den Anwendungsbereich. Gerade bei Mängeln

der Eheschließung ist es eine rein dogmatische Frage, ob eine Rechtsordnung die mangelbehaftete Ehe als wirksam, aber aufhebbar oder als unwirksam einordnet51. Negative Feststellungsentscheidungen sind daher Ungültigerklärungen funktionsähnlich. Bei ihnen stellt sich allerdings die Frage der Anwendung der Art 21 ff in anderer Weise, weil sie nicht dem Erhalt, sondern der Vernichtung des Status dienen. 3. Verbundsachen, Folgesachen, Verschulden 17 Der sachliche Anwendungsbereich der VO umfasst mit Ausnahme der in lit b genannten

elterlichen Verantwortung keine Folgesachen,52 begründet also weder eine Verbundzuständigkeit,53 noch Zuständigkeiten bei isolierter Anhängigkeit einer Folgesache. Dies bestätigt ausdrücklich der Erwägungsgrund Nr 8. Insoweit gelten sonstiges Europarecht,54 Völkerverträge oder nationales Verfahrensrecht.55 Das gilt auch für solche Folgen der Statusänderung, die unmittelbar auf ihr beruhen, wie die Auseinandersetzung eines ehelichen Güterstandes56 oder Namensänderungen,57 erst recht für eine nur aus Anlass der Ehesache an50

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Kohler in: Mansel, Vergemeinschaftung des europäischen Kollisionsrechts 41, 48 ff sieht die VO als Ausdruck der Behandlung des „Status als Ware“. AA Helms FamRZ 2001, 257, 260. Versorgungsausgleich und isolierter Versorgungsausgleich: BGH v 11.2.2009 – XII ZB 101/05, FamRZ 2009, 677; BGH v 11.2.2009 – XII ZB 184/04, FamRZ 2009, 681; OLG Karlsruhe v 17.8.2009 – 16 UF 99/09, FamRZ 2010, 147; Gärtner IPRax 2010, 520, 521 ff; Ehegüterrecht: Wagner FamRZ 2009, 269, 270; Ehewohnungs- und Haushaltssachen: Koritz FPR 2010, 572, 573. T v L (2009) ILPr 5 (Irish Supreme Court): Unterhalt als Folgesache nicht erfasst. Für Unterhaltssachen zunächst die Brüssel I-VO nunmehr die EG-UntVO. Im Einzelnen Einleitung Rn 13 ff, 21. Rb ’s-Hertogenbosch NIPR 2008, 304.

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hängige Abstammungssache.58 Soweit das nationale Verfahrensrecht eine internationale Verbundzuständigkeit bestimmt (§ 98 Abs 2 FamFG), bezieht sich dies nicht nur auf § 98 Abs 1 FamFG; auch die in der Ehesache bestehende Zuständigkeit aus der Verordnung ist eine geeignete Grundlage für die zuständigkeitsrechtliche Anbindung der Verbundsachen,59 weshalb insbesondere der Versorgungsausgleich im Verbund – vorbehaltlich seiner kollisionsrechtlichen Durchführung (Art 17 Abs 3 EGBGB) – immer der Scheidungszuständigkeit folgt.60 Nach einer Anmerkung im Borrás-Bericht61 sollen auch Aspekte des Verschuldens der 18 Ehegatten nicht einbezogen sein. Auch der Erwägungsgrund Nr 8 könnte dahin verstanden werden, dass mit den „Scheidungsgründen“ auch das Verschulden ausgenommen ist. Beides erweist sich zumindest als missverständlich formuliert: Soweit nach dem maßgeblichen Recht – das die Rom III-VO bestimmt – die Ehe nur aufgrund von Verschulden geschieden werden kann, führt dies zweifellos nicht zur Unanwendbarkeit der Brüssel IIa-VO; die Struktur der Scheidungsgründe kann nicht die Zuständigkeit entfallen lassen. Die aus diesem Grund ausgesprochene Scheidung ist auch nach Art 21 ff anzuerkennen, wobei das Verschulden, soweit es bloßes Tatbestandsmerkmal des Scheidungsgrundes ist, an den Wirkungen der Anerkennung nicht teilhat.62 Sinn erhalten beide Hinweise nur auf der Ebene der Scheidungsfolgen, soweit in einer 19 Entscheidung das Verschulden ausgesprochen wird, dieser Ausspruch an der Rechtskraft teilnimmt, und Gerichte eines anderen Mitgliedstaates über verschuldensabhängige Scheidungsfolgen zu befinden haben. Bei enger Auslegung von Art 21 könnte dann der Verschuldensausspruch dem Anwendungsbereich der VO entzogen sein; es wäre aber wenig praktikabel, den Scheidungsausspruch nach Art 21 ff, den Schuldausspruch aber nach nationalem IZVR anzuerkennen.63 Noch sonderbarer wäre es, die Gerichte eines Mitgliedstaates nach Art 3 für scheidungszuständig zu halten, die Zuständigkeit für den nach dem maßgeblichen Recht womöglich zwingenden Verschuldensausspruch aber lege fori zu beurteilen. Damit gilt die VO lediglich insoweit nicht, als das Scheidungsurteil über die Feststellung des Verschuldens hinaus weitere Rechtsfolgen (Unterhalt etc) ausspricht, die tatbestandlich an das Verschulden anknüpfen; das aber folgt bereits aus dem Umstand, dass die VO Folgesachen außer der elterlichen Verantwortung ohnehin nicht erfasst. Nicht anwendbar ist das Zuständigkeitssystem der VO, wenn das Bestehen einer Ehe im Zusammenhang mit einem anderen Verfahren als Vorfrage auftritt.64 Dies folgt aus dem auch zur Brüssel I-VO geltenden Grundsatz, dass ein Gericht sich zur Entscheidung über 57 58 59 60

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Borrás-Bericht Nr 22. Rb Roermond NIPR 2008, 52. Hau FamRZ 2009, 821, 823; Althammer IPRax 2009, 381, 383. Hingegen bestimmt sich die Internationale Zuständigkeit für den isolierten, auch den nachgeholten, VA nach § 102 FamFG; die vorher notwendige Entwicklung einer isolierten VA-Zuständigkeit analog §§ 606a, 623 ZPO aF (BGH v 7.12.2005 – XII ZB 197/04, FamRZ 2006, 321; OLG Karlsruhe v 17.8.2009 – 16 UF 99/09, FamRZ 2010, 147) ist dadurch überholt: Gottwald FamRZ 2010, 148, 149. Nr 22; die gelegentlich übernommen wird, vgl Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 3. Zutreffend Staudinger/Spellenberg (2005) Art 21 Rn 60. Ebenso Staudinger/Spellenberg (2005) Art 21 Rn 61; aA wohl Geimer/Schütze/Dilger Rn 21. Gebauer/Wiedmann/Frank Rn 12.

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eine Vorfrage (Ehe) auf die Zuständigkeit in der Hauptfrage (zB Erbsache) stützt. Allerdings sind unter Abs 1 lit a fallende Vorfragen (mit Ausnahme der Privatscheidung) regelmäßig in einem förmlichen Statusverfahren zu entscheiden, weshalb sich weder eine materiellrechtliche Vorfragenbeurteilung noch eine implizite Vorfragenentscheidung ergibt. Für die vorfragliche Anerkennung einer in den Anwendungsbereich von Abs 1 lit a fallenden Entscheidung aus einem Mitgliedstaat gilt jedoch die VO und damit die Anerkennung nach Art 21.65 II. Sachlicher Anwendungsbereich elterliche Verantwortung (Abs 1 lit b, Abs 2, 3) 1. Zivilsachen 20 Der Austausch des Begriffes „zivilgerichtliche Verfahren“ gegen den materiell orientierten

Begriff „Zivilsachen“ erstreckt sich auch auf den Anwendungsbereich der elterlichen Verantwortung. Hier dürfte die Klarstellung mehr Bedeutung haben als im Zusammenhang mit Ehesachen,66 weil sorgerechtliche Maßnahmen durchaus jugendbehördlich getroffen werden können und auch eine verwaltungsgerichtliche Einordnung der Überprüfung solcher Maßnahmen selbst aus deutscher Sicht nicht ganz ausgeschlossen ist.67 Insoweit ist klargestellt, dass die gerichtsorganisatorische Einordnung bzw die Zuweisung an eine Behörde (Art 2 Nr 1) den Anwendungsbereich der VO nicht berührt, sondern eine materiellrechtlich autonome Qualifikation68 entscheidet. Damit sind insbesondere Eingriffe in die elterliche Verantwortung, auch wenn sie im Ursprungsmitgliedstaat behördlich stattfinden, in materiellrechtlich europäischer Auslegung als Zivilsachen zu qualifizieren.69 Dies gilt für die Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie70 oder in einem Heim,71 wobei der Anwendungsbereich nicht dadurch ausgeschlossen ist, dass die Unterbringung durch eine Sozialbehörde erfolgt72 und/oder zugleich vorübergehend freiheitsbeschränkend wirkt, sofern sie nur zum Schutz des Kindes erfolgt (dazu auch Art 56 Rn 1 ff).73

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Ebenso Gebauer/Wiedmann/Frank Rn 12. Oben Rn 10. ZB ist der Verwaltungsrechtsweg für dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen gegen Mitarbeiter des Jugendamts eröffnet. EuGH v 27.11.2007 – Rs C-435/06 C IPRax 2008, 509, 511; im Einzelnen hierzu Dutta FamRZ 2008, 835; Gruber IPRax 2008, 490; Pirrung FS Kropholler (2008) 399, 408 ff; Boele-Woelki/Jänterä-Jareborg LA Siehr (2008) 125, 140 f. EuGH v 27.11.2007 – Rs C-435/06 C IPRax 2008, 509; EuGH v 26.4.2012 – Rs C-92/12 PPU Health Service Executive, FamRZ 2012, 1466, 1468; Holzmann FPR 2010, 497. EuGH v 27.11.2007 – Rs C-435/06 C IPRax 2008, 509. EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843. EuGH v 27.11.2007 – Rs C-435/06 C IPRax 2008, 509; Gallant Rev crit DIP 2009, 353, 356f; zu dem im Fall C zu Grunde liegende schwedische und dem im Fall A vorliegenden ähnlichen finnischen Modell der behördlichen Inobhutnahme und früheren internationalen Verwicklungen Boele-Woelki/Jänterä-Jareborg LA Siehr (2008) 125, 127, 129 ff; ebenso für public law orders unter Part IV Children Act 1989: In the Matter of WK and AK (minors)[2012] EWHC 426 (Fam). EuGH v 26.4.2012 – Rs C-92/12 PPU Health Service Executive, FamRZ 2012, 1466, 1468; Kroll-Ludwigs GPR 2013, 46, 47; Pirrung IPRax 2013, 404, 406.

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2. Elterliche Verantwortung a) Reichweite Die VO ist gemäß Abs 1 lit b auf die elterliche Verantwortung anzuwenden, die in Art 2 Nr 7 21 legaldefiniert ist. Im Gegensatz zur Brüssel II-VO beschränkt sich der Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO nicht mehr auf Sorgerechtsentscheidungen im Zusammenhang mit Ehesachen. Erfasst sind vielmehr alle, auch selbstständige, Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, ohne Rücksicht darauf, ob eine Verbindung zu einem Verfahren in einer Ehesache besteht (Erwägungsgrund Nr 5). Sachlich ist der Begriff der elterlichen Verantwortung autonom und umfassend dahin auszulegen, dass die gesamten Rechte und Pflichten, die natürlichen oder juristischen Personen durch Entscheidung oder kraft Gesetzes oder durch eine verbindliche Vereinbarung betreffend die Person oder das Vermögen eines Kindes übertragen wurden, erfasst sind.74 Anders als das Haager Übereinkommen zum Schutz von Kindern vom 19.10.1996 (KSÜ) in 22 seinem zuständigkeitsrechtlichen Teil ist die VO auch nicht sachlich auf Schutzmaßnahmen beschränkt. Maßnahmen zum Schutz des Kindes sind zwar mit umfasst, unabhängig davon, ob sie durch Gerichte oder Jugendbehörden getroffen werden,75 schöpfen aber den Anwendungsbereich nicht aus (Erwägungsgrund Nr 5). Der VO unterfallen daher im Gegensatz zu Art 1 KSÜ76 auch Entscheidungen, in denen das Bestehen oder Nichtbestehen der elterlichen Sorge kraft Gesetzes festgestellt wird. Die Zuordnung der Inhaberschaft der elterlichen Sorge überlässt die Brüssel IIa-VO jedoch dem berufenen (nationalen) Sorgerechtsstatut.77 Für der elterlichen Sorge vorgreifliche Fragen der Abstammung begründet die VO keine Zuständigkeiten (vgl Abs 3 lit a; Rn 35). b) Begriff Der Begriff der elterlichen Verantwortung ist dem KSÜ entnommen78, lehnt sich nicht 23 unmittelbar an Rechtsbegriffe im nationalen Recht an79 und erleichtert damit sowohl die autonome Ausfüllung als auch eine gewisse terminologische Annäherung an das KSÜ80. Art 2 Nr 7 bis 10 unternimmt eine Legaldefinition, die ein weiteres Beispiel für wenig sinnvolle Umformulierungen von KSÜ-Bestimmungen (hier Art 1 Abs 2 KSÜ) darstellt: Im Gegensatz zu Art 1 lit b Brüssel II-VO enummeriert die Neufassung in Abs 2 einen Positiv- und in Abs 3 einen Negativkatalog materiell zu subsumierender Gegenstände. Gegen diese aus Art 3 und 4 KSÜ übernommene Methodik wäre grundsätzlich nichts einzuwenden, wiche nicht der jeweilige Katalog der VO in einzelnen Punkten, die nicht immer auf sachlichen Besonderheiten beruhen, vom KSÜ ab.81 Insbesondere können nicht immer 74

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EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843; Rb ’s-Gravenhage FJR 2009, 54; Holzmann FPR 2010, 497, 498; Trib min Bari Riv dir int priv proc 2011, 1113, 1114; Martiny FamRZ 2012, 1765, 1766. EuGH v 27.11.2007 – Rs C-435/06 C IPRax 2008, 509; EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843; Gallant Rev crit DIP 2009, 353, 355 f. OGH v 8.5.2008 – 6 Ob 30/08t, IPRax 2010, 542: Obsorgebescheinigung keine Schutzmaßnahme. EuGH v 5.10.2010 – Rs C-400/10 PPU J McB/L E, IPRax 2012, 345. Borrás-Bericht Nr 24. AA Jänterä-Jareborg YB PIL 1999, 14: Verweisung auf die lex fori. Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 548; zur Kritik am Nebeneinander mit dem KSÜ vgl Einl Rn 8 f. Der erste Vorschlag eines Negativkatalogs geht auf den Rat der EU, Vermerk des (künftigen) Vorsitz

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Umkehrschlüsse daraus gezogen werden, dass einzelne Katalogtatbestände des KSÜ nicht übernommen wurden. Immerhin hat sich die Fassung der Bestimmung im Lauf des Verfahrens auf die Begrifflichkeit des KSÜ zu bewegt.82 Verwirrend ist zudem, dass Art 2 Nr 7 S 2 den Art 1 Abs 2 lit a wiederholt und der Sinnzusammenhang der weiteren Detaildefinitionen zu Art 1 unnötig zerrissen wird. c) Kind, Minderjährigkeit 24 Das Bestehen elterlicher Verantwortung setzt die Minderjährigkeit des Kindes voraus.83 Die

VO enthält weiterhin weder eine autonome Definition des Kindesbegriffs (vgl Art 2 KSÜ), noch eine Konfliktregelung für den Fall unterschiedlicher Volljährigkeitsalter nach Aufenthalts- und Heimatrecht (vgl Art 12 MSA), was um so mehr erstaunt, als Art 2 Nr 7 ff das „Kind“ im Definitionenkatalog anscheinend als prädefiniert voraussetzen. Das erscheint nach einer Ansicht für das nur verfahrensrechtliche Aspekte regelnde Rechtsinstrument unproblematisch, weil das jeweils angerufene Gericht diese Frage ohnehin nach dem vom eigenen IPR bestimmten Personalstatut beurteilen müsse.84 Dennoch besteht eine – angesichts der rechtsvergleichenden Konvergenz auf das Volljährigkeitsalter von 18 Jahren abnehmende85 – Gefahr negativer Kompetenzkonflikte, wenn das angerufene Gericht nach Art 8 ff unzuständig ist und die eigentlich zuständigen Aufenthaltsgerichte das Kind bereits als volljährig behandeln. Eine klare Lösung dürfte darin bestehen, die in Art 2 KSÜ autonom verfestigte Tendenz zum Volljährigkeitsalter von 18 Jahren in den in Art 2 Nr 7 ff verwendeten Begriff „Kind“ aufzunehmen, um in einer autonomen Definition den ggf kompetenzausschließenden Vorrang der VO auf die elterliche Verantwortung für unter 18-Jährige zu beschränken.86 Soweit jedoch Art 11 auf der Anwendung des HKindEntfÜbk aufbaut, ist die Bestimmung, wie das HKindENtfÜbk selbst, nur auf Kinder bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres anzuwenden (Art 4 HKindEntfÜbk). Hingegen gilt Art 10 Brüssel IIa-VO auch für 16- und 17-Jährige.87

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20.12.2002, 15773/02 zurück; dort war noch der Anwendungsbereich gegen den der Brüssel I-VO abgegrenzt worden, was insbesondere die unterbliebene Aufnahme der in Art 4 g, h, j KSÜ erwähnten Tatbestände in den Negativkatalog erklärt; dies ist nun auf Anregung der deutschen Delegation (21.3.2003, 7728/03) teilweise in Erwägungsgründen klargestellt, was die Anwendung der VO in der Praxis nicht erleichtert. Vgl Vorschlag der Europäischen Kommission, 17.5.2002, KOM (2002) 222/2; Rat der Europäischen Union, Vermerk des künftigen Vorsitzes, 20.12.2002, 15773/02; Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 30.4.2003, 8281/03. Geimer/Schütze/Dilger Art 2 Rn 10; Holzmann FPR 2010, 497, 498. So Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 7; MüKoBGB/Siehr Art 8 Rn 28; McEleavy ICLQ 59 (2010) 505, 508; ebenso Kommission Leitfaden 9, Entscheidungen über die elterliche Verantwortung beträfen nur Personen, die nach einzelstaatlichem Recht noch minderjährig seien. Es geht angesichts der Staatsangehörigkeitsanknüpfung in Kontinentaleuropa aber keineswegs nur um das Volljährigkeitsalter in den EU-Staaten! Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 550 stützen dasselbe Ergebnis auf Art 1 UN-Kinderrechtekonvention; iE ebenso Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 29; Geimer/Schütze/Dilger Art 2 Rn 13; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 14; Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 19; weitere Nachweise bei Siehr IPRax 2010, 583, 584 Fn 20. Dazu Art 10 Rn 7; aA wohl OGH Österreich v 18.9.2009 – 6 Ob 181/09z, IPRax 2010, 551, 552: Anwendung von Art 8 „vertretbar“.

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Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Art 1 Brüssel IIa-VO

Dagegen entscheidet über die Einbeziehung des nasciturus in den Kindesbegriff und den 25 Sorgerechtsrahmen weiterhin das nationale Kindschaftsrecht.88 3. Zuweisung, Ausübung, Übertragung, Entziehung Von der VO erfasst sind Zuweisung, Ausübung, Übertragung sowie die vollständige oder 26 teilweise Entziehung oder Beschränkung89 der elterlichen Verantwortung. Diese Maßnahmen entsprechen, auch wenn sie in Abs 1 lit b in die Ausgangsdefinition des Anwendungsbereichs gezogen werden, dem ersten Posten der Positivliste in Art 3 lit a KSÜ. Auf welche Inhalte sich diese Maßnahmen beziehen können, erschließt sich erst aus Abs 2 lit a (Sorgerecht und Umgangsrecht) und lit b (Vormundschaft, Pflegschaft etc) sowie aus Art 2 Nr 7 ff; erfasst sind also im deutschen Familienrecht neben Maßnahmen nach §§ 1628, 1629 Abs 2 S 3, 1632 Abs 3, 1643, 1666, 1667, 1671, 1672, 1674 Abs 1, 1678 Abs 2, 1680 Abs 2, 3, 1682 BGB, auch Umgangsregelungen nach §§ 1684 ff BGB (sogleich Rn 27), vormundschaftsrechtliche und pflegschaftsrechtliche Maßnahmen sowie Maßnahmen im Zusammenhang mit der Beistandschaft. Nicht erfasst sind hingegen die elterliche Sorge eines Sorgeberechtigten lediglich feststellende Entscheidungen oder Bescheinigungen.90 4. Positivkatalog (Abs 2) a) Abs 2 bestimmt einen Positivkatalog einbezogener Regelungsmaterien, der jedoch nicht 27 als abschließend zu verstehen ist („insbesondere“).91 Erfasst ist das Sorgerecht (Abs 2 lit a iVm Art 2 Nr 9) und das Umgangsrecht (Abs 2 lit a iVm Art 2 Nr 10), also Verfahren, welche die Personen- und Vermögenssorge und den Umgang92 mit dem Kind betreffen.93 Wie der Begriff der „elterlichen Verantwortung“ (Abs 1 lit b, Art 2 Nr 7) selbst sind auch die in Abs 2 lit a aufgenommenen Begriffe „Sorgerecht“ (Art 2 Nr 9) und „Umgangsrecht“ (Art 2 Nr 10) autonom auszulegen: Sorgerechtliche Entscheidungen sind neben jenen, die zur Regelung zwischen den Sorgeberechtigten getroffen werden auch solche, durch die ein (Mit-)Sorgerecht – insbesondere dem nicht mit der Mutter verheirateten Vater – übertragen wird.94 Auch der Umgang eines nicht sorgeberechtigten Elternteils mit dem Kind ist in den Begriff der elterlichen Verantwortung einzubeziehen. Dies entspricht Art 3 lit b KSÜ. Einbezogen ist auch ein Umgang leiblicher, nicht rechtlicher Eltern (zB § 1686a BGB). Weiter sind auch Umgangsrechte Dritter, soweit sie familienrechtlicher Natur sind (zB § 1685 BGB), in den weiten Begriff 88 89

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Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 550. OLG Saarbrücken v 6.5.2010 – 6 UF 24/10, FamRZ 2010, 2084: Ruhensanordnung; OLG Hamm v 20.5. 2010 – II-2 UF 280/09, FamRZ 2010, 2083: Verbleibensanordnung; OLG Karlsruhe FamRZ 2009, 1599. OGH v 8.5.2008 – 6 Ob 30/08t, IPRax 2010, 542; hierzu präziser Hohloch IPRax 2010, 567, 568. EuGH v 27.11.2007 – Rs C-435/06 C, IPRax 2008, 509, 511. Trib Varese Riv dir int priv proc 2011, 743; in der italienischen Literatur war dies zunächst strittig: Magrone Riv dir int priv proc 2005, 339, 350. OLG München IPRspr 2005 Nr 198; OLG Düsseldorf v 8.12.2009 – II-3 UF 198/09, FamRZ 2010, 915; Rb’s-Gravenhage NIPR 2012, 437; Vogel MDR 2000, 1047; Wagner IPRax 2001, 76; Kommission Leitfaden 9. HR NIPR 2013, 195.

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einzubeziehen;95 solche Rechte beruhen zwar nicht auf „elterlicher“ Verantwortung, können aber als Regelung oder Beschränkung der elterlichen Sorge nur in Bezug zu dieser bestimmt werden. Erfasst ist auch das in die Legaldefinition des Art 2 Nr 9 verlagerte Aufenthaltsbestimmungsrecht96, auch wenn es beiden Eltern entzogen wird und das Kind außerhalb der elterlichen Familie untergebracht wird,97 sowie die in Art 2 Nr 10 genannte Ausübung durch den umgangsberechtigten Elternteil während der Umgangsausübung. 28 Beide Begriffe sind der nur durch Rückgriff auf nationales Recht zu klärenden Inhaberschaft

von Sorge- und Umgangsrechten (Art 2 Nr 8) vorgelagert und klar von dieser zu trennen:98 Welche Arten von Rechtsbefugnissen dem Sorgerecht und Umgangsrecht zuzurechnen sind, ist europäisch autonom zu bestimmen; welchen Personen solche Rechtspositionen zugeordnet sind, bestimmt sich notwendig nach dem Sorgerechtsstatut und wird von der Brüssel IIa-VO nicht beeinflusst.99 Einbezogen sind sorgerechtliche Befugnisse, gleichviel ob sie natürlichen oder juristischen Personen zustehen.100 Träger der elterlichen Verantwortung (Art 2 Nr 8) sind nicht nur Inhaber des Sorgerechts einschließlich eines Vormundes, Pflegers und Beistands, sondern auch Umgangsberechtigte. 29 Auch die Herausgabe des Kindes – nicht nur im Fall der Kindesentführung – fällt in den

Anwendungsbereich der VO. Im Gegensatz zu Art 4 Brüssel II-VO ist explizit die Verfahrensweise im Fall der Kindesentführung in einen anderen Mitgliedstaat geregelt (Art 10, 11), wobei das Verfahren nach dem HKindEntfÜbk nicht verdrängt, sondern nur modifiziert wird.101 Ebenfalls in den Anwendungsbereich fallen Verfahren, welche die Vermittlung zwischen den Eltern hinsichtlich des Sorgerechts zum Gegenstand haben.102 30 b) Vormundschaft,103 Pflegschaft104 und entsprechende Rechtsinstitute105 (Abs 2 lit b)

sind wie in Art 3 lit c KSÜ erfasst; hierzu gehört im deutschen Recht auch als Minus zur Vormundschaft die Beistandschaft,106 hingegen nicht die Betreuung,107 weil einem (minderjährigen) Kind kein Betreuer zu bestellen ist. 31 c) Die Bestimmung des Personen- und Vermögenssorgeberechtigten sowie des gesetz-

lichen Vertreters (Abs 2 lit c) umfasst wie zu Art 3 lit d KSÜ sowohl die Bestimmung des Sorgeberechtigten im Fall der Trennung, Scheidung oder Verhinderung als auch die Bestellung von Vormündern, Gegenvormündern oder Pflegern. 95

107

Coester-Waltjen FamRZ 2005, 241, 248; Holzmann FPR 2010, 497, 498. EuGH v 5.10.2010 – Rs C-400/10 PPU J McB/L E, IPRax 2012, 345; Hof ’s-Gravenhage NIPR 2011, 327, 330; Hof Amsterdam NIPR 2012, 25. HR NIPR 2013, 37, 38. EuGH v 5.10.2010 – Rs C-400/10 PPU J McB/L E, IPRax 2012, 345; aA Siehr IPRax 2012, 316, 318. EuGH v 5.10.2010 – Rs C-400/10 PPU J McB/L E, IPRax 2012, 345. Looschelders JR 2006, 45. OGH IPRax 2009, 409; OGH IPRax 2009, 551; OGH IPRax 2011, 408. AG Leverkusen IPRspr 2006, 324, 325. Hof Amsterdam NIPR 2011, 319. HR NIPR 2013, 195. Hof s’Hertogenbosch NIPR 2012, 221: Erziehungsaufsicht. Geimer/Schütze/Dilger Rn 28 fasst diese unter lit c. AA Geimer/Schütze/Dilger Rn 28.

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d) Abs 2 lit d bezieht wie Art 3 lit e KSÜ die Unterbringung des Kindes in einer Pflege- 32 familie oder einem Heim ein; auch die in Abs 2 nicht ausdrücklich genannte staatliche Inobhutnahme durch staatliche Behörden unterfällt schon wegen der engen sachlichen Verbindung zu Unterbringungsmaßnahmen dem Anwendungsbereich der VO.108 Die Bestimmung nennt im Gegensatz zu Art 3 lit e KSÜ nicht die kafala oder entsprechende Einrichtungen, was nur vor dem Hintergrund der kollisionsrechtlichen Anwendung der lex fori (nach Art 15 KSÜ) eine sinnvolle Abweichung vom KSÜ darstellt. Knüpft hingegen das Gericht eines Mitgliedstaates Sorgerechtsmaßnahmen an das Heimatrecht des Kindes an, kann durchaus die Anordnung der kafala auch vor den Gerichten eines Mitgliedstaates in Betracht kommen. e) Einbezogen sind Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit der Verwaltung und Er- 33 haltung des Kindesvermögens und der Verfügung darüber (Abs 2 lit e). Die Abweichung zum Wortlaut von Art 3 lit g KSÜ begründet sich daraus, dass das KSÜ insgesamt nur auf Schutzmaßnahmen anzuwenden ist, dort also im Positivkatalog eine entsprechende Einschränkung entbehrlich ist. Hier ist sie deshalb erforderlich, weil die Maßnahmen der Verwaltung und Verfügung über das Kindesvermögen an sich nicht der VO unterliegen, sondern als Zivilsachen in den Anwendungsbereich der Brüssel I-VO fallen (Erwägungsgrund Nr 9). So gehört die gerichtliche Genehmigung eines zum Schutz des Kindes genehmigungsbedürftigen Rechtsgeschäfts des Sorgeberechtigten zum Anwendungsbereich der VO, während die Erfüllungsklage des Sorgeberechtigten gegen den Vertragspartner dem Anwendungsbereich der Brüssel I-VO unterfällt. f) Für die in Abs 2 aus dem Positivkatalog des Art 3 (lit f) KSÜ nicht übernommene 34 behördliche Aufsicht über die Betreuung eines Kindes durch jede für das Kind verantwortliche Person besteht iE ebenfalls keine Abweichung zum KSÜ; sie gehört in den Anwendungsbereich der VO. Verständlich wird das Fehlen einer ausdrücklichen Erwähnung im Kontext zu den nicht in die Negativliste aufgenommenen „öffentlichen Maßnahmen allgemeiner Art“ (Art 4 lit h KSÜ)109. Nicht erfasst durch die VO sind (lediglich) aufsichtsrechtliche Maßnahmen öffentlich-rechtlicher Natur, zB die Dienstaufsicht über einen Mitarbeiter des Jugendamts als Beistand. Hingegen sind familienrechtliche Maßnahmen der Überwachung der Sorgerechtsausübung vom Anwendungsbereich auch dann nicht ausgeschlossen, wenn eine Behörde sie trifft. 5. Negativkatalog (Abs 3) a) Nicht erfasst wird der Status (Feststellung und Anfechtung der Elternschaft, Abs 3 35 lit a110). Der Status ist Voraussetzung, nicht Konsequenz der elterlichen Verantwortung. Nicht erfasst sind auch Adoptionsentscheidungen (Abs 3 lit b) und das Kindesnamensrecht (Abs 3 lit c), sowie Entscheidungen über eine Volljährigerklärung (Abs 3 lit d). Die

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109 110

EuGH v 27.11.2007 – Rs C-435/06 C IPRax 2008, 509, 511; EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843; EuGH v 26.4.2012 – Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466; Dutta FamRZ 2008, 835; Gruber IPRax 2008, 490; Pirrung FS Kropholler (2008) 399, 408 ff. Dazu unten Rn 36. AG Leverkusen FamRZ 2007, 2087; Rb Roermond NIPR 2008, 521; Rb s’Gravenhage NIPR 2010, 708.

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ebenfalls ausgenommene Unterhaltspflicht gegenüber einem Kind (Abs 4 lit e)111 war zunächst durch die Brüssel I-VO erfasst112 und fällt nunmehr in den Anwendungsbereich der EG-UntVO. Ausgenommen sind zudem Entscheidungen in Zusammenhang mit trusts und Erbschaften (Abs 3 lit f), sowie ahndende113 Maßnahmen infolge von Straftaten, die von Kindern begangen wurden (Abs 3 lit g). Dies alles entspricht dem Negativkatalog des Art 4 KSÜ (dort lit a bis f, i). 36 b) Klarstellungsbedürftig ist hingegen das Fehlen der in Art 4 lit g, h und j KSÜ in den

Negativkatalog aufgenommenen sozialen Sicherheit, öffentlichen Maßnahmen und Asylsowie Einwanderungsentscheidungen. Diese Materien sind keineswegs vom Anwendungsbereich der VO erfasst, ein Umkehrschluss zum KSÜ wäre also verfehlt. Der Ausschluss solcher Maßnahmen vom Anwendungsbereich schien vielmehr zunächst offenbar selbstverständlich; auf Bemerkung der deutschen Delegation114 hin wurde sodann in Erwägungsgrund Nr 10 klargestellt, dass diese Bereiche nicht in den Anwendungsbereich der VO fallen.115

Artikel 2: Begriffsbestimmungen Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck 1. „Gericht“ alle Behörden der Mitgliedstaaten, die für Rechtssachen zuständig sind, die gemäß Artikel 1 in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen; 2. „Richter“ einen Richter oder Amtsträger, dessen Zuständigkeiten denen eines Richters in Rechtssachen entsprechen, die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen; 3. „Mitgliedstaat“ jeden Mitgliedstaat mit Ausnahme Dänemarks; 4. „Entscheidung“ jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung über die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung einer Ehe sowie jede Entscheidung über die elterliche Verantwortung, ohne Rücksicht auf die Bezeichnung der jeweiligen Entscheidung, wie Urteil oder Beschluss; 5. „Ursprungsmitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, in dem die zu vollstreckende Entscheidung ergangen ist; 6. „Vollstreckungsmitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, in dem die Entscheidung vollstreckt werden soll; 7. „elterliche Verantwortung“ die gesamten Rechte und Pflichten, die einer natürlichen oder juristischen Person durch Entscheidung oder kraft Gesetzes oder durch eine rechtlich verbindliche Vereinbarung betreffend die Person oder das Vermögen eines Kindes übertragen wurden. Elterliche Verantwortung umfasst insbesondere das Sorge- und das Umgangsrecht; 8. „Träger der elterlichen Verantwortung“ jede Person, die die elterliche Verantwortung für ein Kind ausübt;

111 112 113 114 115

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Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 549. Borrás-Bericht Nr 24; Wagner IPRax 2001, 76. EuGH v 26.4.2012 – Rs C-92/12 PPU Health Service Executive, FamRZ 2012, 1466, 1468. 21.3.2003, 7728/03. Dass im Erwägungsgrund Nr 10 auch ein Hinweis auf Personenstandsfragen enthalten ist, die im Negativkatalog ausdrücklich genannt sind, zeigt einmal mehr die einigermaßen erratische Herangehensweise der EG-Institutionen an die Normfassung.

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Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

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9. „Sorgerecht“ die Rechte und Pflichten, die mit der Sorge für die Person eines Kindes verbunden sind, insbesondere das Recht auf die Bestimmung des Aufenthaltsortes des Kindes; 10. „Umgangsrecht“ insbesondere auch das Recht, das Kind für eine begrenzte Zeit an einen anderen Ort als seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort zu bringen; 11. „widerrechtliches Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes“ das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes, wenn a) dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das aufgrund einer Entscheidung oder kraft Gesetzes oder aufgrund einer rechtlich verbindlichen Vereinbarung nach dem Recht des Mitgliedstaats besteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und b) das Sorgerecht zum Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, wenn das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte. Von einer gemeinsamen Ausübung des Sorgerechts ist auszugehen, wenn einer der Träger der elterlichen Verantwortung aufgrund einer Entscheidung oder kraft Gesetzes nicht ohne die Zustimmung des anderen Trägers der elterlichen Verantwortung über den Aufenthaltsort des Kindes bestimmen kann. I. II.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Definitionen im Einzelnen 1. Gericht (Nr 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 2. Richter (Nr 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 3. Mitgliedstaat (Nr 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 4. Entscheidung (Nr 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 a) Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 b) Kirchliche Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . 7 c) Privatscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 d) Ehesachen: Beschränkung auf statusändernde Entscheidungen . . . . . . . 10 aa) Teleologische Reduktion der „Entscheidung“ im Anerkennungssystem . . . 10 bb) Anerkennung von Feststellungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . 13

e) f) g) h) 5. 6. 7. 8. 9.

Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Eilmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Kostenfestsetzungsbeschlüsse . . . . . . . . . . 19 Öffentliche Urkunden und Prozessvergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Ursprungsmitgliedstaat (Nr 5) . . . . . . . . 21 Vollstreckungsmitgliedstaat (Nr 6) . . . . 22 Elterliche Verantwortung, Sorgerecht, Umgangsrecht (Nr 7, 9, 10) . . . . . . . . . . . . 23 Träger der elterlichen Verantwortung (Nr 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Widerrechtliches Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes (Nr 11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

I. Regelungsgegenstand Die gegenüber der Brüssel II-VO neue Bestimmung stellt nach angelsächsischem Rege- 1 lungsmodell einen Katalog von Definitionen voran. Die Begriffe waren in der Brüssel II-VO teils an anderer Stelle definiert (zB „Mitgliedstaat“ in Art 1 Abs 3, „Entscheidung“ in Art 13 Abs 1 Brüssel II-VO), teils implizit verwendet und der Ausfüllung durch die Praxis überlassen worden (zB „elterliche Verantwortung“). Auch wenn die Methodik grundsätzlich geeignet ist, häufig verwendete Begriffe, die im europäischen Zusammenhang der autonomen Auslegung bedürfen, einheitlich klarzustellen, ist vorliegend kritisch anzumerken, dass Art 2 dieses Ziel nur oberflächlich fördert. Zum einen werden Begriffe, die nicht wirklich universelle Verwendung finden, sondern in einen bestimmten Kontext der VO auftreten, unnötig aus dem Zusammenhang gezogen (zB „Entscheidung“ als Topos der Anerkennung und Vollstreckung). Vor allem aber wird viel Banales definiert (Begriffe wie „Ursprungsmitgliedstaat“ und „Vollstreckungsmitgliedstaat“ sind längst juristischer Sprachgebrauch),

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während man nach Definitionen, die eine sachliche Weichenstellung erfordert hätten, vergebens sucht. ZB wird der Begriff „Kind“ in Nr 7 ff vorausgesetzt, obgleich schon unter der Brüssel II-VO über die Ausfüllung dieses Begriffes diskutiert wurde,1 die Definition der „Entscheidung“ ist nur transloziert, nicht aber um eine Lösung der strittigen Frage der Einbeziehung von Feststellungsurteilen erweitert2. Im Folgenden wird daher für Begriffe, die in einen bestimmten Kontext gehören, auf die entsprechende Stelle verwiesen. II. Definitionen im Einzelnen 1. Gericht (Nr 1) 2 Der Begriff „Gericht“ steht im Zusammenhang mit dem in Art 1 beschriebenen Anwen-

dungsbereich der VO. Zweck der Definition ist die Einbeziehung von Verwaltungs- und Personenstandsbehörden. Die prima facie zirkuläre Bezugnahme zum Anwendungsbereich3 auf Art 1 setzt einen materiell zivilrechtlichen Anwendungsbereich („Zivilsache“) voraus, in dessen Rahmen es nicht auf die justizorganisatorische Einordnung des zuständigen Entscheidungsorgans als Gericht oder Behörde ankommt.4 2. Richter (Nr 2) 3 Die Definition ist im Zusammenhang mit Nr 1 überflüssig. Soweit Behörden, die lege fori

über Zivilsachen im materiellen Anwendungsbereich der VO entscheiden, einbezogen sind, müssen auch die dort zuständigen Amtsträger „Richter“ iSd VO sein. 3. Mitgliedstaat (Nr 3) 4 Die Definition stammt aus Art 1 Abs 3 Brüssel II-VO. Die VO gilt als sekundäres Europa-

recht grundsätzlich unmittelbar in allen Mitgliedstaaten iSd Art 52 EUV. Dänemark ist nicht Mitgliedstaat iSd VO, da die VO auf dem IV. Titel EGV aF beruht und Dänemark keine Mitwirkungserklärung nach Art 7 des Protokolls über die Position Dänemarks abgegeben hat bzw abgeben konnte.5 4. Entscheidung (Nr 4) a) Reichweite 5 aa) Die Definition entspricht weitgehend Art 13 Abs 1 Brüssel II-VO. Entfallen ist lediglich

für sorgerechtliche Entscheidungen der Zusammenhang mit einer Ehesache,6 was der Erweiterung des Anwendungsbereichs auf isolierte Sorgerechtssachen entspricht. 1 2 3

4 5 6

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Dazu Art 1 Rn 24. Unten Rn 6. Behörden fallen nach Artikel 1 in den Anwendungsbereich, wenn sie nach Art 2 Nr 1 für Rechtssachen zuständig sind, die nach Art 1 in den Anwendungsbereich fallen. Näher dazu Art 1 Rn 10. Vgl dazu Einleitung Rn 26. Vgl Art 13 Abs 1 Brüssel II-VO: „aus Anlaß eines solchen Verfahrens“.

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Art 2 Brüssel IIa-VO

Fraglich ist, ob aufgrund der Aufnahme in den Katalog des Art 2 die Definition der Entscheidung, anders als unter Art 13 Brüssel II-VO, über den Bereich der Anerkennung und Vollstreckung hinaus auch für die Zuständigkeitsregeln gilt. Offenbar wurde angesichts der bloßen Translokation der Definition aus dem Abschnitt über die Anerkennung in die allgemeinen Definitionen übersehen, dass die VO sprachlich nicht klar zwischen „Entscheidung“ iS eines Verfahrens7 und der „Entscheidung“ als Judikat8 unterscheidet. Angesichts der – wohl unüberlegten – Übernahme der Definition aus Art 13 Abs 1 Brüssel II-VO sowie der Beschränkung auf die „erlassene Entscheidung“, ist davon auszugehen, dass hier nur die Entscheidung iSd der Anerkennung unterliegenden Judikats sowie der Rechtshängigkeit definiert ist. Art 2 Nr 4 gibt also keine Auskunft über die Bedeutung des Begriffes „Entscheidung“ in Kapitel II Abschnitt 1 und 2.9 bb) Inhaltlich greift die Definition die unglückliche Tautologie aus Art 32 Brüssel I-VO auf, 6 weshalb hinsichtlich der Typologie der einbezogenen Entscheidungen auf jene Bestimmung zurückgegriffen werden kann. Auf die Bezeichnung der Entscheidung kommt es nicht an.10 Die Definition gilt im Übrigen für Entscheidungen sowohl in Ehesachen als auch in Sorgerechtssachen. Trotz der Ausdehnung auf isolierte Sorgerechtssachen ergeben sich die wesentlichen Abgrenzungsprobleme weiterhin für Entscheidungen in Ehesachen. Aufgrund der in Nr 1 gegebenen Definition für „Gericht“ gilt Nr 4 auch für behördliche Entscheidungen.11 Einstweilige Maßnahmen sind nur eingeschränkt Entscheidungen für Zwecke der Art 21 ff.12 b) Kirchliche Entscheidungen Kirchliche Entscheidungen sind als solche, also ohne staatliche Autorisation,13 nicht in den 7 Anwendungsbereich der Anerkennungsregeln der VO einbezogen (vgl schon Art 1 Rn 11). Auch kirchliche Entscheidungen, die im jeweiligen Mitgliedstaat kraft Gesetzes unmittelbar wirken, werden nicht generell nach der VO anerkannt,14 sondern nur in den nachfolgenden Sonderfällen: Erfasst sind Delibationsfälle, also staatliche Entscheidungen eines Mitgliedstaates, durch die der Entscheidung einer Religionsgemeinschaft staatliche Wirkungen beigelegt werden,15 insbesondere die Scheidung muslimischer Griechen durch den Mufti in Griechenland (au-

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ZB Art 3 Abs 1: „Für Entscheidungen über die Ehescheidung“; hier müsste es richtiger heißen: „Zur Entscheidung über einen Antrag auf Ehescheidung …“ So eindeutig in Art 21 ff. Was zeigt, dass die Verlagerung in Art 2 ein gesetzestechnischer Fehlgriff ist. Vgl Erläuterungen zu Art 32 Brüssel I-VO. Erwägungsgründe 9, 15; Schack RabelsZ 65 (2001) 627; Helms FamRZ 2001, 257, 259. Dazu Art 20 Rn 24. Schack RabelsZ 65 (2001) 627. AA Helms FamRZ 2001, 257, 259, der, auch unter Hinweis auf Art 1 Abs 1 Haager Scheidungsübereinkommen 1970, die Konkordatsfälle nicht als Ausnahme, sondern als Bestätigung einer Regel ansieht; unklar Jayme/Nordmeier IPRax 2008, 369, 370: „… mit Ausnahme solcher, die nur innerhalb einer Religionsgemeinschaft gelten.“ Helms FamRZ 2001, 257, 259.

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ßer in der Dodekanes).16 Das Verbot des Doppelexequaturs steht dem nicht entgegen, weil es sich bei der Delibation einer kirchlichen Entscheidung um die erstmalige Befassung staatlicher Gerichte und damit bei der – von Abs 1 gebotenen – staatsbezogenen Sicht um eine originäre Entscheidung handelt.17 8 Anerkennungsfähig nach der VO sind auch kirchliche Eheaufhebungsentscheidungen in

den Konkordatsfällen nach Art 63 Abs 2, 3, 4, die insoweit als Ausnahmeregelungen vom Grundsatz der Nichtanwendung auf kirchliche Entscheidung anzusehen sind. c) Privatscheidungen 9 Privatscheidungen, an denen keine Behörde eines Mitgliedstaates mitgewirkt hat, sind nicht

nach Art 21 ff anzuerkennen.18 Insoweit fehlt es bereits an der Subsumtionsfähigkeit unter verfahrensrechtliche Kategorien der (prozessualen) Anerkennung (vgl auch Art 1 Rn 12). Privatscheidungen unter konstitutiver Mitwirkung der Behörden oder Gerichte eines Mitgliedstaates fallen hingegen in den Anwendungsbereich. Die konstitutive Natur beurteilt sich nicht allein nach den Bestimmungen des Scheidungsstatuts, sondern kann sich auch aus den kollisions- oder verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Mitgliedstaates ergeben, in dem die Scheidung stattfindet. Hierfür genügt es jedenfalls, wenn ein Mitgliedstaat die nach dem maßgeblichen Scheidungsstatut vorgesehene Privatscheidung innerstaatlich nur in einem gerichtlichen Verfahren vollzieht, wie dies gemäß Art 17 Abs 2 EGBGB in Deutschland erfolgt.19 Es genügt aber auch eine innerstaatliche Homologisation einer in dem jeweiligen Mitgliedstaat erfolgten Privatscheidung, sofern erst dieser gerichtlich-behördliche Vorgang der Scheidung in diesem Mitgliedstaat Wirksamkeit verleiht.20 Genügend ist schließlich auch die Mitwirkung einer religiösen Behörde, sofern diese ihre Autorität zur Mitwirkung an einer staatlich als wirksam angesehenen Entscheidung aus dem Recht eines Mitgliedstaates erlangt.21 Hingegen genügt die bloße personenstandsrechtliche Registrierung einer aus Sicht eines Mitgliedstaates bereits lege causae wirksam erfolgten Privatscheidung nicht, um sie in den Status einer „Entscheidung“ zu heben.22 Ebenso genügt es nicht, wenn eine staatlich nicht autorisierte kirchliche Behörde mit Sitz in einem Mitgliedstaat mitgewirkt hat.23 Maßgeblich ist

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Im Einzelnen hierzu Jayme/Nordmeier IPRax 2008, 369. Zu den Mufti-Fällen wie hier: Staudinger/Spellenberg (2005) Art 21 Rn 18; Jayme/Nordmeier IPRax 2008, 369; allgemein auch Helms FamRZ 2001, 257, 259; aA OLG Frankfurt IPRax 2008, 352: keine nach Art 19 entgegenstehende Rechtshängigkeit vor einem Mufti-Gericht. Wagner IPRax 2001, 76; Helms FamRZ 2001, 257, 259. Dass zB die Scheidung muslimisch-marokkanischer Ehegatten in Deutschland aus Sicht des marokkanischen Scheidungsstatuts keiner behördlichen Mitwirkung bedarf, steht der Annahme nicht entgegen, dass die wegen Art 17 Abs 2 EGBGB durch das Familiengericht aufgrund eines talaq ausgesprochene Scheidung eine Entscheidung iSd Nr 4 ist. Staudinger/Spellenberg (2005) Art 21 Rn 11; Geimer/Schütze/Paraschas Art 21 Rn 12. AA zu der als Privatscheidung zu qualifizierenden (dazu Art 1 Rn 1) Umwandlung der Ehe in eine Lebenspartnerschaft nach Art 77a BW: Fachausschuss StAZ 2008, 250, 251. Helms FamRZ 2001, 257, 260. Nicht differenzierend zur Registrierung: Ancel/Muir Watt Rev crit dip 2001, 435. Helms FamRZ 2001, 257, 260.

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Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Art 2 Brüssel IIa-VO

also immer, ob nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaates eine von dessen Recht – einschließlich des IPR – zur konstitutiven Mitwirkung autorisierte Behörde beteiligt war. d) Ehesachen: Beschränkung auf statusändernde Entscheidungen aa) Teleologische Reduktion der „Entscheidung“ im Anerkennungssystem Ohne dass dies im Wortlaut klar zum Ausdruck kommt, sind im Rahmen der Anerkennung 10 nur Entscheidungen in Ehesachen einbezogen, welche positiv eine Statusänderung oder -lockerung aussprechen.24 Hingegen sind antragsabweisende Entscheidungen nicht der Anerkennung nach Art 21 ff fähig.25 Dies entspricht dem Ziel der VO, die Anerkennung und Vollstreckung von Statusentscheidungen zu erleichtern. Zugleich wird dadurch verhindert, dass eine Entscheidung, die einen Trennungs-, Aufhebungs- oder Scheidungsantrag abweist, in ihren einen neuen Antrag womöglich präkludierenden Wirkungen in anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden muss.26 Mit dem Gefühlsargument, dies sei „ungerecht“, weil der den Status verteidigende Ehegatte sich immer wieder zur Wehr setzen müsse, bis der den Status angreifende einmal siege,27 kommt man der Problematik nicht nahe. Hinsichtlich der Klärung von Eheschließungsmängeln mag es unbefriedigend sein, wenn die Abweisung eines Eheaufhebungsantrags nicht dem Anerkennungssystem der VO unterliegt. Hingegen wäre die Einbeziehung antragsabweisender Scheidungsurteile in vielen gemischtnationalen Ehen das Ende liberaler Ehescheidungsregeln, weil der scheidungsunwillige Teil regelmäßig einen wieder entstandenen Zerrüttungsscheidungsgrund durch eine im geeigneten Staat erhobene negative Feststellungsklage sabotieren könnte.28 Ein Ehegatte, dessen Antrag abgewiesen wurde, ist also durch die VO nicht gehindert, vor den Gerichten eines anderen zuständigen Mitgliedstaates denselben Antrag, gestützt auf dieselben materiellen Gründe, erneut zu verfolgen. Dies schließt jedoch die Anerkennungsfähigkeit solcher Entscheidungen nach nationalem 11 Recht nicht aus, weil nationales Recht insoweit nicht verdrängt ist, wie Antragsabweisungen oder Feststellungsurteile nicht in den Anwendungsbereich der VO fallen.29 Eine solche Anerkennung kann im Anerkennungsstaat einem neuen auf Auflösung der Ehe gerichteten Antrag unter dem Gesichtspunkt der res iudicata entgegenstehen, wobei das maßgebliche materielle Statut über die Grenzen der Rechtskraft – insbesondere bei neuen Grundlagen eines Scheidungstatbestandes oder neuen Scheidungstatbeständen bei anderem Schei24 25

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Magnus/Mankowski/Pintens Rn 13. So ausdrücklich Erwägungsgrund Nr 15 Brüssel II-VO, der nun in Erwägungsgrund Nr 8 nur noch unvollständig anklingt; Borrás-Bericht Nr 60; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 4; NK-BGB/Gruber Rn 2; Geimer/Schütze/Paraschas Art 21 Rn 7; Hau FamRZ 1999, 485; Wagner IPRax 2001, 76; Hausmann EuLF 2000/01, 345, 348; Schack RabelsZ 65 (2001) 627; Sturlèse JClP (G) 2001, 246; Ancel/Muir Watt Rev crit dip 2001, 435; Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 585; Kennett ICLQ 48 (1999) 470; JänteräJareborg YB PIL 1999, 19; Andrae ERA-Forum 2003, 28, 32. Kritisch NK-BGB/Gruber Art 21 Rn 7, der sich nicht ausreichend mit der Problematik des Verbrauchs von Scheidungsgründen, insbesondere im Fall der Zerrüttungsscheidung, durch eine antragsabweisende Entscheidung auseinandersetzt. Staudinger/Spellenberg (2005) Art 21 Rn 22. Man stelle sich nur vor, wie sich ein in Deutschland lebender deutscher Staatsangehöriger von seinem in Malta lebenden maltesischen Ehegatten sollte scheiden lassen können. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 5; Helms FamRZ 2001, 257, 258.

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dungsstatut – entscheidet. Auch kann die nach Art 21 ff zu beurteilende Anerkennungsfähigkeit einer die Ehe auflösenden Entscheidung an Art 22 lit d scheitern, wenn im Anerkennungsstaat nach nationalem Recht eine frühere Antragsabweisung entgegensteht, wobei wiederum die materielle Rechtskraft darüber entscheidet, ob „Entgegenstehen“ anzunehmen ist (dazu Art 22 Rn 30 ff). 12 In Sorgesachen stellt sich das Problem nicht in vergleichbarer Weise, da auch die Abweisung

einer Sorgerechtsänderung einen positiv anerkennungsfähigen Regelungsgehalt hervorbringt, nämlich die Beibehaltung der bisherigen Sorgerechtsverhältnisse.30 Auch können solche Entscheidungen regelmäßig nicht einen späteren Antrag präkludieren, der eine andere Beurteilung des Kindeswohls anstrebt. bb) Anerkennung von Feststellungsentscheidungen 13 In vergleichbarer Weise sind positive Feststellungsentscheidungen nicht in Art 21 ff ein-

zubeziehen, auch wenn sie nach hier vertretener Ansicht31 grundsätzlich in den Anwendungsbereich der VO fallen. Jedoch würde die Einbeziehung positiver Feststellungsurteile in das Anerkennungssystem dazu führen, alle Mitgliedstaaten zur Anerkennung einer Ehe zu zwingen, die aus Sicht auch nur eines Mitgliedstaates wirksam geschlossen ist, und damit die anderweitige Geltendmachung von Eheschließungsmängeln verhindern.32 Ob eine solche europaweite Anerkennung einer Eheschließung a la longe als Konsequenz einer im internationalen Namensrecht begonnenen Orientierung des EuGH33 an einem Anerkennungsprinzip in Ansehung statusrechtlicher Verhältnisse und einer damit verbundenen Abkehr von kollisionsrechtlicher Wirksamkeitsprüfung geschuldet sein könnte, ist eine andere Frage. 14 Hingegen spricht nichts gegen die Einbeziehung negativer Feststellungsentscheidungen

auch in das Anerkennungssystem. Die fehlende Konvergenz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Frage, welche Mängel eine Ehe ex ante nichtig erscheinen lassen, steht der Einbeziehung nicht entgegen:34 Gerade weil es eine eher zufällige Entscheidung ist, ob eine Rechtsordnung eine mangelbehaftete Ehe als nichtig, vernichtbar, aufhebbar oder nur scheidbar ansieht, wäre es verfehlt, die Verkehrsfähigkeit negativer Feststellungsurteile nicht Art 13 ff zu unterstellen, die Verkehrsfähigkeit auf einen gleichartigen Mangel gestützter Aufhebungsurteile aber zu gewährleisten. e) Bestandskraft 15 aa) Eine Entscheidung – insoweit nur im Sinne eines Judikats (Art 21 ff) – ist „Entschei-

dung“ und damit nach Art 21 ff anerkennungsfähig, sobald sie erlassen ist. Dazu ist grundsätzlich die formelle Rechtskraft nicht erforderlich.35 Ausnahmsweise verlangt Art 21 Abs 2 jedoch die Unanfechtbarkeit mit ordentlichen Rechtsbehelfen als Voraussetzung der Anerkennung zum Zweck der Beischreibung in Personenstandsbüchern.36 30 31 32 33 34 35

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Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 585. Art 1 Rn 15. Näher Art 1 Rn 14. EuGH v 14.10.2008 – Rs C-353/06 Stefan Grunkin ua, FamRZ 2008, 2089 = NJW 2009, 135. So aber Helms FamRZ 2000, 257, 259. OLG Stuttgart v 5.3.2014 – 17 UF 262/13, FamRZ 2014, 1567, 1569; Helms FamRZ 2001, 257, 260; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 5. Helms FamRZ 2001, 260.

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bb) Erforderlich ist jedoch, dass die Entscheidung bereits Wirkungen erzeugt. Das ergibt 16 sich aus der Struktur der Urteilsanerkennung als Wirkungserstreckung:37 Eine Entscheidung, die im Ursprungsmitgliedstaat noch nicht wirkt, kann auch nicht im Wege der Anerkennung Wirkungen erstrecken. Das hat insbesondere Bedeutung, wenn im Ursprungsstaat eine Scheidungsentscheidung erst mit Eintragung in ein Register wirksam wird und ggf jede Wirkung verliert, wenn es nicht fristgemäß eingetragen wird.38 Ist die Registereintragung einer Ehescheidung, vergleichbar dem romanischen Grundstücksverkehr, hingegen nur erforderlich, um Dritten entgegengehalten zu werden,39 so schließt das die Anerkennung der Wirkungen inter partes nicht aus; fraglich – und lege fori des Ursprungsstaates zu beantworten – ist in diesem Fall, ob die Eintragung in ein ausländisches Personenstandsregister die Wirkungen bzw Drittwirkungen herbeiführen kann. f) Eilmaßnahmen aa) Ob Eilmaßnahmen iSd Art 20 einzubeziehen sind, ist unklar. Die Behandlung der Frage 17 ist dadurch beeinflusst, dass teilweise im Schrifttum angenommen wird, Art 20 erlaube auch Maßnahmen, die Materien außerhalb des Anwendungsbereichs der VO betreffen. Da deren Zulässigkeit jedoch ohnehin lege fori zu beurteilen ist, Art 20 also nicht geeignet ist, solche Maßnahmen zu gestatten, und insoweit allenfalls klarstellende Funktion hat,40 kommt die Anerkennung solcher Maßnahmen nach Art 21 ff nicht in Betracht.41 bb) Vom hier vertretenen Standpunkt stellt sich damit nur die Frage der Einbeziehung 18 einstweiliger Maßnahmen betreffend Materien im Anwendungsbereich der VO. Für diese gilt unstreitig Art 21.42 Auf solche Maßnahmen ist die einschränkende Rechtsprechung des EuGH zu Art 24 ff EuGVÜ43 zu übertragen, wonach einstweilige Maßnahmen nicht einzubeziehen sind, die auf einseitigen Antrag ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners ergehen.44 Dass in Sorgerechtssachen Maßnahmen ggf aus Gründen des Kindeswohls ohne vorherige Anhörung ergehen, spricht nicht dafür, sie in das Anerkennungssystem der VO einzubeziehen, sofern nur die Gewährung rechtlichen Gehörs nachgeholt wird.45 Der Mangel der VO, als ein in Anlehnung an Brüssel I und damit für kontradiktorische Verfahren konzipiertes Instrument Sorgesachen einzubeziehen, statt sich des ausgewogenen Systems des Haager KSÜ zu bedienen, kann nicht zum Anlass genommen werden, ihren Anwendungsbereich zu Lasten dieses ausgewogenen Systems auszudehnen. g) Kostenfestsetzungsbeschlüsse Dazu Art 49.

37 38 39 40 41

42 43 44 45

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Vgl Art 21 Rn 13. Vgl Borràs-Bericht Nr 60: Niederlande, Art 1:163 Abs 1 BW; Magnus/Mankowski/Pintens Rn 11. Vgl Borrás-Bericht Nr 60: Belgien, Art 1275, 1303, 1309, 1310 CJ. Dazu Art 20 Rn 9 ff. IE ebenso, jedoch wegen der angeblichen Wirkungsbeschränkung solcher Maßnahmen auf den Entscheidungsstaat: Helms FamRZ 2001, 257, 260; Geimer/Schütze/Paraschas Art 21 Rn 20; aA Hausmann EuLF 2000/01, 345, 348; Sumampouw FS Siehr (2000) 739; vgl zu dieser Frage Art 21 Rn 25 ff. Helms FamRZ 2001, 257, 260; Hausmann EuLF 2000/01, 345, 348. Seit EuGH Rs 125/79 Denilauler/Couchet Frères EuGHE 1980, 1553. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 6. So aber Helms FamRZ 2001, 257, 261.

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h) Öffentliche Urkunden und Prozessvergleiche 20 Dazu Art 46.

5. Ursprungsmitgliedstaat (Nr 5) 21 Die Definition ist nur für die Vorschriften über das Vollstreckungsverfahren konzipiert und

beschreibt den – eigentlich offenkundigen – Begriff „Ursprungsmitgliedstaat“ als den Mitgliedstaat, in dem die zu vollstreckende Entscheidung ergangen ist. 6. Vollstreckungsmitgliedstaat (Nr 6) 22 Die Definition ist ebenfalls nur für die Vorschriften über das Vollstreckungsverfahren kon-

zipiert und beschreibt den Mitgliedstaat, in dem – im jeweiligen Verfahren, derer es mehrere geben kann – die Entscheidung vollstreckt werden soll. 7. Elterliche Verantwortung, Sorgerecht, Umgangsrecht (Nr 7, 9, 10) 23 Die Definitionen der Begriffe „elterliche Verantwortung“, „Sorgerecht“ und „Umgangs-

recht“ stehen in Zusammenhang mit der Beschreibung des Anwendungsbereichs in Art 1 lit b46 und ergänzen diese. Sie ändern nichts daran, dass der Begriff der „elterlichen Verantwortung“ insgesamt dem des KSÜ, ohne dessen Beschränkung auf Schutzmaßnahmen (Art 1 Rn 22), entspricht.47 8. Träger der elterlichen Verantwortung (Nr 8) 24 Der Begriff dient der sprachlichen Abkürzung in Bestimmungen, in denen einheitlich Per-

sonen angesprochen werden, denen unterschiedliche Ausschnitte aus dem Bereich der elterlichen Verantwortung zukommen. Insbesondere bezeichnet der Begriff gleichermaßen einen Inhaber des Sorgerechts wie einen Umgangsberechtigten (zB Art 12), findet aber auch Verwendung für zwei Personen, die gemeinsam das Sorgerecht ausüben (Art 2 Nr 11). Erfasst sind auch Dritte, die elterliche Sorge ausüben, wie Vormünder, aber auch Behörden, soweit ihnen Funktionen der elterlichen Sorge und nicht nur deren Überwachung zukommen. Der Begriff setzt zwar einen autonomen Rahmen, kann aber nicht autonom ausgefüllt werden, denn die Entscheidung, welchen Personen einzelne Bereiche der elterlichen Verantwortung übertragen werden, trifft das vom IPR berufene Sorgerechtsstatut; in die Frage, welche Voraussetzungen für den Erwerb sorgerechtlicher Positionen aufgestellt werden, greift die Brüssel IIa-VO nicht ein.48 9. Widerrechtliches Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes (Nr 11) 25 a) Die Definition des widerrechtlichen Verbringens oder Zurückhaltens entspricht inhalt-

lich Art 3 HKindEntfÜbk und hat nur Bedeutung im Zusammenhang mit den dieses Übereinkommen überlagernden Art 10, 11. Die semantischen Abweichungen der Definition in Nr 11 von Art 3 HKindEntfÜbk sind teils nur syntaktisch (Art 3 Abs 2 HKindEntfÜbk 46 47 48

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Art 1 Rn 21 ff. NK-BGB/Gruber Rn 3. EuGH v 5.10.2010 – Rs C-400/10 PPU (J McB/L E), IPRax 2012, 345.

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findet sich in lit a wieder). Die Unterdefinition der „gemeinsamen Ausübung“ (Nr 11 lit b S 2) – als selbstverständlich im HKindEntfÜbk nicht enthalten – stellt darauf ab, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht gemeinsam ausgeübt wird. Ein Verbringen ist widerrechtlich, wenn es die (Mit-)49Sorgeberechtigung eines Beteiligten 26 nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates (gewöhnlicher Aufenthalt) des Kindes verletzt.50 Der Umfang der (Mit-)Sorgeberechtigung und die sich hieraus ergebenden Befugnisse des anderen Sorgeberechtigten bestimmen sich jedoch nach dem Sorgerechtsstatut. Dieses entscheidet auch, ob Teile des Sorgerechts, insbesondere das Aufenthaltsbestimmungsrecht, einem der Elternteile alleine zustehen,51 bzw der andere Elternteil sich einem Verbringen des Kindes widersetzen kann mit der Folge, dass dieses widerrechtlich wird; insbesondere gilt dies für im nationalen Recht vorgesehene gerichtliche Entscheidungen, durch welche die elterliche Mitsorge eines mit der Mutter nicht verheirateten Vaters begründet werden muss.52 Nach hM53 genügt nicht die Verletzung eines bestehenden Umgangsrechts, was freilich zu einer bedenklichen Schutzlücke des Umgangsrechts als Teil des elterlichen Sorgerechts führt; auch aus Art 21 HKindEntfÜbk, der eine Einbeziehung des Umgangsrechts in den Schutzbereich des HKindEntfÜbk nahelegt, wird freilich nicht geschlossen, dass ein das Umgangsrecht vereitelndes Verbringen durch den Sorgeberechtigten den Rückführungsmechanismus des HKindEntfÜbk auslöst.54 Die Widerrechtlichkeit entfällt, wenn das Verbringen aufgrund einer nach dem maßgeblichen Recht zulässigen gerichtlichen Entscheidung55 oder einer Vereinbarung zum Sorgerecht erfolgt; dies ist nicht nur dann der Fall, wenn das Sorgerecht insgesamt zur Disposition einer Vereinbarung steht56, sondern auch dann, wenn für die dauerhafte Aufenthaltsverlegung57 eine Einwilligung des weiterhin Mit-Sorgeberechtigten im Rahmen der gemeinsamen Aufenthaltsbestimmung vorliegt. Wird das Zurückhalten nach einem wegen vorläufig vollstreckbarer Sorgeerklärung zumin- 26a

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Zur Anwendung auf Mit-Sorgeberechtigte untereinander: OLG Celle v 24.5.2007 – 17 UF 72/07, FamRZ 2007, 1587; OLG Naumburg v 28.11.2006 – 8 WF 153/06, FamRZ 2007, 1586; OLG Düsseldorf v 4.3. 2008 – II-1 UF 18/08, FamRZ 2008, 1775; Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2007, 153, 154; Rb ’s-Gravenhage NIPR 2007, 35. EuGH v 9.10.2014 – Rs C-376/14 PPU C/A Rn 46; OLG Celle v 24.5.2007 – 17 UF 72/07, FamRZ 2007, 1587; Rb ’s-Gravenhage NIPR 2007, 36; Hof ’s-Gravenhage NIPR 2010, 665, 666. OLG Koblenz v 9.8.2007 – 9 UF 450/07, NJW 2008, 238; Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2006, 402, 403; vgl auch Art 10 Rn 2 f. EuGH v 5.10.2010 – Rs C-400/100 PPU J McB/L E, IPRax 2012, 345; Pirrung ZEuP 2011, 901 ff; Jiménez Blanco JPIL 2012, 135. OLG Nürnberg FamRZ 2001, 645, 646; OLG Celle v 24.5.2007 – 17 UF 72/07, FamRZ 2007, 1587; Cass civ 2005/6014. Eingehend Ballesteros YB PIL 2007, 387. Trib Milano Riv dir int priv proc 2011, 484. So in OLG Celle v 24.5.2007 – 17 UF 72/07, FamRZ 2007, 1587, 1588 nach dem (bis zum 16.3.2006 geltenden) italienischen Recht. Trib Milano Riv dir int priv proc 2011, 484; hingegen nicht, wenn die Einwilligung nur zu einer vorübergehenden Verbringung erteilt war: App Bruxelles Rev trim dr fam 2011, 707.

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dest rechtmäßigen Verbringen nach erfolgreichem Rechtsmittel rechtswidrig, muss auf den gewöhnlichen Aufenthalt bei Verbringen abgestellt werden.58 27 Ein Verstoß gegen eine gerichtliche Untersagung des Verbringens des Kindes aus dem

Entscheidungsstaat, auch wenn diese nicht auf Antrag eines Mitsorgeberechtigten ergeht und nicht das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf eine andere Person überträgt, begründet ebenfalls Widerrechtlichkeit;59 zwar wird hierdurch nicht die Mitsorge einer natürlichen Person verletzt. Jedoch zeigt Art 10, dass die Definition der Widerrechtlichkeit auch Fälle erfassen muss, in denen die erforderliche Zustimmung einer Behörde bzw eines Gerichts fehlt; durch Erlass der gerichtlichen Untersagung wird die elterliche Sorge beschränkt und jedes künftige Verbringen von der Zustimmung des Gerichts abhängig. 28 b) Die Entscheidung im Verfahren nach Art 3 ff HKindEntfÜbk impliziert die Widerrecht-

lichkeit des Verbringens,60 ebenso eine Entscheidung nach Art 11 Abs 7. Ein Verfahren zur Feststellung der Widerrechtlichkeit des Verbringens oder Zurückhaltens durch Gerichte des ursprünglichen Aufenthaltsstaates entsprechend Art 15 HKindEntfÜbk sieht die VO nicht vor, weshalb auch § 41 IntFamRVG eine Bescheinigung über die Widerrechtlichkeit nur für den Fall des Art 15 HKindEntfÜbk regelt. Da jedoch insoweit – gerade wegen des Fehlens einer entsprechenden Regelung in der VO – deren Vorrang gegenüber dem HKindEntfÜbk (Art 60 lit e) nicht greift, ist das Verfahren nach Art 15 HKindEntfÜbk, § 41 IntFamRVG auch auf die Feststellung der Widerrechtlichkeit anzuwenden, wenn der Anwendungsbereich der Zuständigkeitsregeln in Art 10, 11 ff eröffnet ist. Dass in diesem Fall die Widerrechtlichkeit in Art 2 Nr 11 definiert ist, bleibt unschädlich, da die Voraussetzungen nicht von Art 3 HKindEntfÜbk abweichen.

Kapitel II: Zuständigkeit Abschnitt 1: Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes und Ungültigerklärung einer Ehe Artikel 3: Allgemeine Zuständigkeit (1) Für Entscheidungen über die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung einer Ehe, sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, a) in dessen Hoheitsgebiet – beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben oder – die Ehegatten zuletzt beide ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder – der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder 58

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Anscheinend aA EuGH v 9.10.2014 – Rs C-376/14 PPU C/M Rn 65, 49, wo aber die Lösung über eine entsprechende Anwendung von Art 11 gesucht wird. SH and MM and RM [2011] EWHC 3314 (HCJ Fam) betreffend eine Prohibited Steps Order. Cass civ Riv dir int priv proc 2009, 416.

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Kapitel II: Zuständigkeit

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– im Fall eines gemeinsamen Antrags einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder – der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn er sich dort seit mindestens einem Jahr unmittelbar vor der Antragstellung aufgehalten hat, oder – der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn er sich dort seit mindestens sechs Monaten unmittelbar vor der Antragstellung aufgehalten hat und entweder Staatsangehöriger des betreffenden Mitgliedstaats ist oder, im Fall des Vereinigten Königreichs und Irlands, dort sein „domicile“ hat; b) dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegatten besitzen, oder, im Fall des Vereinigten Königreichs und Irlands, in dem sie ihr gemeinsames „domicile“ haben. (2) Der Begriff „domicile“ im Sinne dieser Verordnung bestimmt sich nach dem Recht des Vereinigten Königreichs und Irlands. I.

II.

Zweck und Verhältnis der Zuständigkeiten 1. Kriterien der Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Verdrängung der Zuständigkeit aufgrund Staatsangehörigkeit einer Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 a) Neuorientierung der Brüssel IIa-VO . . . 3 b) Zusammenfassung mit dem Scheidungsstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6a c) Lösungsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 3. Gleichrangigkeit der Zuständigkeitsalternativen . . . . . . . . . . . . . 14 4. Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Aufenthaltszuständigkeiten (Abs 1 lit a) 1. Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt (Str 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 a) Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 b) Gewöhnlicher Aufenthalt, Willensabhängigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 c) Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt (Str 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 a) Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 b) Bestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 c) Interessenungleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . 28 3. Forum rei (Str 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

III.

a) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 b) Bestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 4. Gemeinsamer Scheidungsantrag (Str 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 a) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 b) Gemeinsamer Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 c) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 d) Verschiedenartige Anträge . . . . . . . . . . . . . . 38 5. Forum actoris (Str 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 a) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 b) Dauer des gewöhnlichen Aufenthalts . . 41 c) Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 6. Forum actoris im Heimatstaat (Str 6) 45 a) Normgeschichte, Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Voraussetzungen der Zuständigkeit . . . . 48 c) Domicile substituiert Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Staatsangehörigkeitszuständigkeit (Abs 1 lit b) 1. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3. Gemeinsames domicile . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Domicile statt Staatsangehörigkeit . . . . . 61 b) Begriff des domicile (Qualifikationsverweisung, Abs 2) . . . . . 62

I. Zweck und Verhältnis der Zuständigkeiten 1. Kriterien der Bindung Die Festlegung der direkten Zuständigkeit der Gerichte in Ehesachen ist, wie schon bei 1 Brüssel I erprobt, Voraussetzung für einen Verzicht auf die Zuständigkeitsprüfung im Anerkennungsstadium. Die Suche nach Kriterien der zuständigkeitsrechtlichen Bindung zu einem Mitgliedstaat sollte der Mobilität Rechnung tragen und zugleich hinreichende

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Art 3 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Rechtssicherheit, vor allem für den Antragsgegner bieten,1 was durch zahlreiche Aufenthaltsanknüpfungen erreicht werden soll. Der zuständigkeitsrechtlichen Schwerpunktsetzung beim Aufenthalt entspricht es, dass die Vermeidung hinkender Entscheidungen im Verhältnis zum Heimatstaat zurücktritt; eine Anerkennungsprognose ist auch dann nicht vorgesehen, wenn die Zuständigkeit nur an den Aufenthalt eines Ehegatten anknüpft. 2 Parteiautonomie im Sinn vorheriger Vereinbarung eines Gerichtsstands kommt traditionell

im Eheverfahrensrecht2 ebenso wenig in Betracht wie rügelose Einlassung.3 Gegenwärtig ist eine Gerichtsstandsvereinbarung unter der Brüssel IIa-VO weder als vorsorgende, noch als verfahrensvorbereitende Vereinbarung zulässig.4 Der gescheiterte Vorschlag einer Brüssel IIa-Reform (dazu Einl Rn 44ff) enthielt jedoch in Art 3a Brüssel IIa-ÄndE eine begrenzte Parteiautonomie,5 wobei ungeklärt ist, ob eine solche Parteiautonomie nur im unmittelbaren Vorfeld der Ehescheidung oder auch vorsorgend (zB in einem Ehevertrag) auszuüben sein sollte. Der dem allgemeinen zivilprozessualen Zuständigkeitssystem (Brüssel I-VO) eigene Grundsatz actor sequitur forum rei gilt, wie auch im nationalen Recht, nur eingeschränkt. 2. Verdrängung der Zuständigkeit aufgrund Staatsangehörigkeit einer Partei a) Neuorientierung der Brüssel IIa -VO 3 Die Grundentscheidung für eine weitgehend am Aufenthalt orientierte Zuständigkeit be-

deutet eine Abkehr von dem in der überwiegenden Anzahl der Mitgliedstaaten6 bisher geltenden Prinzip, dass jeder Staatsangehörige (in angelsächsischen Staaten Domizilierte) in den seinen Status betreffenden Angelegenheiten als Antragsteller auch die Gerichte seines Heimatstaats in Anspruch nehmen kann,7 wobei die Frage, ob auch eine Zuständigkeit des Heimatstaates bei Eheschließung als „Antrittszuständigkeit“ konserviert wird, nur ein untergeordneter Teilaspekt des Problems ist.8 In fast allen Mitgliedstaaten, die eine solche Anknüpfung vorsahen, ging diese einher mit einer gleichgewichtigen Zuständigkeitsanknüpfung an die Staatsangehörigkeit oder das domicile des Antragsgegners,9 in einigen 1 2 3 4 5

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Borrás-Bericht Nr 27. Borrás-Bericht Nr 32; Spellenberg FS Geimer (2002) 1263. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 1. OGH JBl 2012, 194; zustimmend Nademleinsky EF-Z 2011, 196; Carruthers ICLQ 2012, 881, 892. Dazu Salerno Riv dir int priv proc 2007, 63, 75; Rauscher FS Kerameus Band 1 (2009), 1113; Pabst Rn 482 ff. Anders zB in Finnland, Lettland, Litauen, Estland, Slowenien, Rumänien (jeweils Wohnsitzzuständigkeit). Die Staatsangehörigkeit bzw das domicile des Antragstellers begründet die Internationale Zuständigkeit in: Bulgarien (Art 7 IPRG); Deutschland (§ 98 Abs 1 Nr 1 FamFG); Frankreich (Art 14 cc); Griechenland (Art 612 KPD); Irland (sec 39 FLDA 1996 domicile oder residence); Italien (Art 32 IPRG); Luxemburg (Art 14 cc); Österreich (§ 76 Abs 2 JN); Polen (Art 1100 ZVGB); Portugal (Art 65 Abs 1 cpc, jedoch nur bei Gegenseitigkeit mit dem Heimatstaat des Antragsgegners); Spanien (Art 22 LOPJ); Slowakei und Tschechien (jeweils § 38 IPRG); Ungarn (§§ 62 b, 70 IPRG); UK (sec 19 FLA 1996, domicile); Zypern (domicile, teilweise kirchengerichtliche Zuständigkeit, Art 111 Verf); im Prinzip nur bei Staatsangehörigkeit und gewöhnlichem Aufenthalt im Gerichtsstaat in Schweden (2. Kap § 2 EheG). Vgl § 98 Abs 1 Nr 1 FamFG, ebenso Art 612 Abs 1 KPD (Griechenland). Die Staatsangehörigkeit des Antragsgegners begründet die Internationale Zuständigkeit in gleicher Weise

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 3 Brüssel IIa-VO

östlichen Mitgliedstaaten ist diese Zuständigkeit sogar ausschließlich. Der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt des Antragsgegners als das aus dem allgemeinen, nicht ehespezifischen Zuständigkeitssystem übernommene forum rei tritt teilweise neben10 das verbreitet festzustellende Prinzip der heimatorientierten rollenunabhängigen Zuständigkeitsanknüpfung, die meist in einem besonderen Gerichtsstand für Ehesachen verwirklicht ist. Die VO wählt hingegen einen völlig anderen Ausgangspunkt, indem sie das zuständigkeits- 4 rechtliche Gewicht deutlich auf den Antragsgegner verschiebt11 und die Staatsangehörigkeit als Kriterium nach Kräften verdrängt. Es bleibt nur ein Forum der gemeinsamen Staatsangehörigkeit (Abs 1 lit b), während von dem Heimatforum des Klägers nur ein aus sonderbaren Gründen zustande gekommener Rest in Abs 1 lit a Str 6 fortbesteht. Damit geht nicht nur die Zuständigkeitsbegründung durch die Staatsangehörigkeit einer Partei verloren, sondern zugleich auch ein beständiges, nicht leicht zu manipulierendes Kriterium für den bisher verbreiteten internationalen Antragstellergerichtsstand.12 Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Antragstellers sei, so wird vertreten, im euro- 5 päischen Kontext nicht mehr zeitgemäß13 oder gar aus dem Blickwinkel des Diskriminierungsverbots (Art 18 Abs 1 AEUV) fragwürdig. Selbst die in Abs 1 lit a Str 6 bestimmte Verkürzung der Aufenthaltsfrist beim forum actoris im Heimatstaat des Klägers wird im Schrifttum als diskriminierend angesehen.14 Beides ist falsch: Ein europäisch bestimmtes forum actoris kann jeder Ehegatte in seinem Heimatstaat nutzen. Europa ist ein Bündnis von Nationalstaaten, angetreten als „Europa der Vaterländer“. Es wäre eine höchst schädliche Illusion zu glauben, man könne die Akzeptanz Europas fördern, indem man gerade in Statussachen den Unionsbürgern in der Antragstellerrolle die bisher zu Recht verbreitete Heimatzuständigkeit nimmt, ihnen die Mentalität, nur noch Europäer zu sein und den Rückzug auf ihr einigermaßen gewohntes und bekanntes Heimatrecht aufzugeben, zuständigkeitsrechtlich oktroyiert. Die Bürger müssen die Chance haben, sich in Europa wiederzufinden, weil am Ende sonst ein politisches Europa steht, das seine Bürger resigniert zurücklässt.

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wie die des Antragstellers in: Bulgarien (Art 7 IPRG); Deutschland (§ 98 Abs 1 Nr 1 FamFG); Frankreich (Art 15 cc); Griechenland (Art 612 KPD); Irland (sec 39 FLDA 1996 domicile oder residence); Italien (Art 32 IPRG); Luxemburg (Art 15 cc); Österreich (§ 76 Abs 2 JN); Polen (Art 1100 ZVGB); Slowakei und Tschechien (jeweils § 38 IPRG); UK (sec 19 FLA 1996, domicile); Ungarn (§§ 62 b, 70 IPRG); Zypern (domicile); Finnland knüpft zwar die Zuständigkeit seit 1987 nicht mehr an die Staatsangehörigkeit, folgt aber weiter dem Prinzip des rollenunabhängigen Gerichtsstands (§ 119 EheG: Wohnsitz eines Ehegatten); Belgien knüpft dagegen nur an den gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners an (Art 5 § 1, 42 IPRG). ZB Art 3 IPRG Italien. Dazu unten Rn 31 ff; primär antragsgegnerorientiert entscheiden nur: Belgien (Art 5 § 1, 42 IPRG), Niederlande (Art 429 c Abs 2, 814 WRV gehen allerdings ihrerseits auf den Entwurf des Übereinkommens zurück, Art 429 c Abs 1 aF knüpfte – auch die Internationale Zuständigkeit – vorrangig an den Aufenthalt des Antragstellers an); teilweise auch Schweden (3. Kap § 2 EheG). Zu den Konsequenzen hieraus vgl unten Rn 33 f. Geimer/Schütze/Dilger Vorbem Art 3 Rn 25; Becker-Eberhard FS Beys (2003) 93, 101 ff. Hau FamRZ 2000, 1336; Schack RabelsZ 65 (2001) 623; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 29; näher unten Rn 47.

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6 In die Gegenrichtung zielt die Ansicht, Art 3 Abs 1 lit a verstoße im Verhältnis zu Art 3 Abs 1

lit b gegen das Diskriminierungsverbot des Art 21 Abs 2 EU-Grundrechtecharta, weil sich Ehegatten gleicher Staatsangehörigkeit an Gerichte ihres Heimatstaates wenden können, während Antragsteller, die nicht die Staatsangehörigkeit mit ihrem Ehegatten teilen, dieser Schutz der Heimatgerichte versagt wird.15 Die Zielrichtung dieser Ansicht besteht überwiegend auch nicht darin, dem Antragsteller den Schutz seiner Heimatgerichte in Statussachen zu eröffnen, sondern zielt gegen den in lit b realisierten Rest der Heimatzuständigkeit.16 Zudem dürfte eine Diskriminierung nicht vorliegen, da bei gemischtnationalen Ehen die Staatsangehörigkeit kein Kriterium gemeinsamer Bindung bedeutet. Der Grundrechtsverstoß ist vielmehr im Schutz der Scheidungsfreiheit zu suchen, der freilich in der EU-Grundrechtecharta fehlt. b) Zusammenhang mit dem Scheidungsstatut 6a Zwischen der Bereitstellung eines Forum und der Gewährung der Scheidung besteht ein

weit engerer Zusammenhang, als zwischen Forum und Anspruch im Rahmen von Brüssel I. Bei Versagung einer internationalen Scheidungszuständigkeit vor einem Gericht, dessen IPR zu eher scheidungsfreundlichem Recht führen würde,17 kann über eine andere kollisionsrechtliche Anknüpfung ein weniger scheidungsfreundliches Recht Anwendung finden. Ein wirksamer Schutz des Antragstellers ist nur erreichbar, wenn sowohl eine Zuständigkeit im Heimatstaat besteht als auch das dort anzuwendende IPR einen Rückgriff auf die lex fori erlaubt, wenn das eigentlich anwendbare Scheidungsstatut scheidungsfeindlich ist. Vor Inkrafttreten der Rom III-VO folgte eine überwiegende Zahl von Mitgliedstaaten dem Staatsangehörigkeitsprinzip. Bei Fehlen gemeinsamer Staatsangehörigkeit bestand teilweise eine subsidiäre Aufenthaltsanknüpfung, der überwiegend die lex fori als letztes Kriterium folgte.18 Insbesondere in einigen Beitrittsstaaten (seit 2004) entfiel eine „Aufenthaltsstufe“, so dass nach dem Staatsangehörigkeitsprinzip sogleich auf die lex fori zugegriffen wird.19 Reine Aufenthaltsanknüpfungen waren und sind selten.20 15

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Zum Meinungsstand Looschelders FS Kropholler (2008) 329, 340; Dilger IPRax 2006, 617, 619; Hau FamRZ 2013, 689 f. Ausdrücklich gegen die hier vertretene Ansicht zur Notzuständigkeit: Hau FamRZ 2013, 689, 690. Illustrativ Hof ’s-Gravenhage NIPR 2006, 145: Anstreben einer niederländischen Zuständigkeit in einer maltesisch-niederländischen Ehe für gemeinsamen Scheidungsantrag. An die gemeinsame Staatsangehörigkeit, hilfsweise den gewöhnlichen Aufenthalt knüpfen an: Bulgarien Art 82 Abs 1 IPRG; Deutschland Art 17 Abs 1 S 1, Art 14 Abs 1 EGBGB; Griechenland Art 16, 14 AK; Italien Art 31 Abs 1 IPRG; Luxemburg Art 305 cc; Niederlande Art 1 Abs 1 Ehescheidungs-IPRG vom 25.3.1981; Österreich §§ 18 Abs 1, 20 Abs 1, 9 Abs 1 IPRG; Portugal Art 52, 55 Abs 1 cc; Rumänien Art 22 Abs 1, 20 IPRG (dabei gemeinsamer Wohnsitz als 2. Stufe vor gemeinsamem Aufenthalt); Spanien Art 9 Abs 2, 197 Abs 2 cc; auch das französische IPR (Art 310 cc) knüpft, systematisch von der Statutenlehre inspiriert, jedenfalls für Franzosen an französisches Recht an und greift sonst ebenfalls auf die Anknüpfungsleiter zurück, wenn nicht beide Ehegatten ihren Wohnsitz in Frankreich haben. Polen: Art 18 FamGB; Tschechien und Slowakei: § 22 Abs 1 IPRG; ähnlich Ungarn § 40 Abs 1 IPRG; am engsten bleibt Slowenien bei der Staatsangehörigkeit als Anknüpfungskriterium, da dort nicht nur an die gemeinsame Staatsangehörigkeit, sondern hilfsweise kumulativ an beide StA angeknüpft wird (Art 37 IPRG), ehe, nur bei Inlandsbezug, die lex fori Anwendung findet (zur jeweiligen Inländerbegünstigung sogleich). Der gemeinsame Aufenthalt ist Anknüpfungskriterium im IPR von Estland (§ 144 Abs 1 AT-ZGB) und

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 3 Brüssel IIa-VO

Eine Art 17 Abs 1 S 2 aF EGBGB21 entsprechende Hilfsanknüpfung zur Gewährleistung der 7 Scheidungsfreiheit zugunsten inländischer Antragsteller kannten auch einige andere Mitgliedstaaten,22 wobei der Antragstellerschutz teilweise mittelbar erzielt wurde.23 Ohne Heimatstaatszuständigkeit können solche Schutznormen nicht wirken. Angesichts einst weltanschaulich geprägter und derzeit immer noch von erheblichen rechtspolitischen Unterschieden getragener materieller Scheidungsrechte ist die Staatsangehörigkeitszuständigkeit also auch ein Instrument zur Gewährleistung der Scheidung nach dem jeweiligen materiellen Eheverständnis und daher im Kern durchaus legitim.24 Da nach der nun auch vom EuGH vertretenen Ansicht Art 6, 7 den Rückgriff auf § 98 Abs 1 Nr 1 FamFG ausschließen, wenn Art 3 in irgendeinem anderen Mitgliedstaat eine Zuständigkeit begründet und Art 3 eine einseitige Staatsangehörigkeitszuständigkeit nicht gewährt, lässt sich materiell scheidungsrechtlich das gemeinsame Aufenthaltsrecht nun nicht mehr umgehen.

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Belgien (Art 55 § 1 Nr 4 IPRG). Er wird unter Lockerung der Staatsangehörigkeitsanknüpfung zur primären Anknüpfung im niederländischen IPR, wenn einer der Ehegatten zu dem gemeinsamen Heimatstaat keine wirkliche soziale Verbindung mehr hat (Art 1 Abs 2 EhescheidungsIPRG, vgl Fn 15). Hingegen führen lex fori-Anknüpfungen nicht gezielt zur Anwendung des gemeinsamen Aufenthaltsrechts: Insbesondere die im common law, also in Irland und dem UK sowie in Zypern übliche Anwendung der lex fori führt auf der Grundlage der Zuständigkeit bei domicile nur eines Ehegatten regelmäßig zur Anwendung des Rechts am domicile des Antragstellers im Gerichtsstaat. Die Anwendung der lex fori vor schwedischen Gerichten führt mittelbar zur Aufenthaltsanknüpfung, wo jedoch die Möglichkeit einer Scheidung nach einem der Heimatrechte nur bei weniger als einjährigem gewöhnlichem Aufenthalt in Schweden die Scheidung begrenzt (3. Kap § 4 Gesetz 1904:26 S 1). Trotz einer sehr ähnlich strukturierten Kollisionsnorm in Finnland ist die Anwendung finnischen Rechts wegen der rollenneutralen Bestimmung der Zuständigkeit tendenziell wieder stärker antragstellerseitig. Ebenfalls zuständigkeitsabhängig ist die reine lex fori-Anknüpfung in Lettland (Art 12 Abs 1 ZGB) und Litauen (Art 211 Abs 1 Ehe-FamG). Vereinzelt wurde auch Art 17 Abs 1 S 2 für diskriminierend iSd Art 12 Abs 1 EGV gehalten: AG Hamburg v 12.2.1998 – 268 F 41/97, FamRZ 1998, 1590; kritisch auch Wagner IPRax 2000, 512, 519. Bulgarien: Subsidiäre Anwendung bulgarischen Rechts, wenn fremdes Ehescheidungsstatut die Scheidung nicht zulässt und ein Ehegatte bulgarische Staatsangehörigkeit oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bulgarien hat (Art 82 Abs 3 IPRG); Rumänien: Subsidiäre Anwendung rumänischen Rechts, wenn das Ehescheidungsstatut die Scheidung nicht oder nur unter besonders restriktiven Bedingungen zulässt und ein Ehegatte rumänischer Staatsangehöriger ist (Art 22 Abs 2 IPRG); Slowenien: Subsidiäre Anwendung slowenischen Rechts bei nach den Heimatrechten unscheidbarer Ehe, wenn ein Ehegatte Wohnsitz (Art 37 Abs 3 IPRG) bzw Staatsangehörigkeit (Art 37 Abs 4 IPRG) in Slowenien hat. In Ungarn ist die Ehe von Ehegatten verschiedener Staatsangehörigkeit nach ungarischem Recht zu scheiden, wenn einer der Ehegatten Ungar ist (§ 40 Abs 2 IPRG). Tschechien und Slowakei wenden ihr Recht an, wenn die Scheidung erheblich erschwert ist und ein Ehegatte für längere Zeit im Lande gelebt hat, was in Richtung des gewöhnlichen Aufenthalts tendiert (§ 22 Abs 2 IPRG). Im belgischen Recht wurden die Zulässigkeit der Scheidung (Art 2 loi 27-6-1960) und die Gründe (Art 3) nach belgischem Recht beurteilt, wenn auch nur ein Ehegatte Belgier ist; Art 31 Abs 2 des italienischen IPRG erlaubte allseitig das Ausweichen auf die lex fori, wenn das Scheidungsstatut die Scheidung oder Trennung nicht kennt; lex fori-Anknüpfungen mit einseitig auf den Antragsteller abstellender Zuständigkeitsanknüpfung (zB in den common law-Staaten) gewährleisten immer dessen Scheidungsfreiheit nach Maßgabe der lex fori. Schack RabelsZ 65 (2002) 622, der allerdings vorschnell meint, Art 2 Brüssel II-VO sei so flächendeckend, dass die StA-Zuständigkeit entbehrlich werde.

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8 Soweit das Scheidungsstatut nunmehr in den an der Verstärkten Zusammenarbeit mitwir-

kenden Staaten durch die Rom III-VO bestimmt wird, ist zwar die Abhängigkeit des anwendbaren Rechts von der Zuständigkeit auf das Verhältnis zu Mitgliedstaaten der Brüssel IIa-VO ohne harmonisiertes Scheidungs-IPR reduziert. Allerdings verschärft die vorrangige Aufenthaltsanknüpfung des Scheidungsstatuts (Art 8 lit a Rom III-VO) das grundsätzliche Problem, weil ein kollisionsrechtlicher Schutz der Scheidungsfreiheit nur noch in engen Grenzen besteht (Art 10, ggf Art 12 Rom III-VO). 9 Ein die Freizügigkeit in der EU mit seiner Familie nutzender Bürger sieht sich somit im

Aufenthaltsstaat ggf einem deutlich scheidungsfeindlicheren Recht ausgesetzt, als er dies vor dem Hintergrund seiner rechtlichen Sozialisation in seiner Heimatrechtsordnung erwarten musste. Das bedeutet etwa für den mit seinem ausländischen Ehegatten (auch einem Nicht-Unionsbürger!) in Malta,25 Irland,26 Italien,27 Luxemburg28 oder Portugal29 lebenden Deutschen drastisch verschärfte Voraussetzungen für eine Zerrüttungsscheidung, insbesondere in Fällen streitiger Scheidung. Andere Mitgliedstaaten haben in jüngerer Zeit die Fristen für die Zerrüttungsscheidung gelockert, wobei jeweils erhebliche gesellschaftliche Widerstände bestanden, was insbesondere deutlich macht, wie erheblich rechtspolitisch und weltanschaulich geprägt diese Thematik weiterhin ist.30 In den Niederlanden sperrt eine Ehetrennung die Umwandlung in eine Ehescheidung für drei Jahre.31 Eine deutsche Zuständigkeit erlangt der deutsche Ehegatte nur nach sechsmonatigem gewöhnlichem Aufenthalt (lit a Str 6) – was ihm seit Inkrafttreten der Rom III-VO nur noch im Rahmen von deren Schutzbestimmungen nützt; der Preis für diese Zuständigkeit ist – aus tatsächlichen Gründen – in der Regel die Aufgabe des Arbeitsplatzes im EU-Gastland, was mit freiem Personenverkehr und Mobilität der Bürger kaum zu vereinbaren ist.32 Für einige Mitgliedstaaten, die 2004 hinzugekommen sind, sowie nun aus spanischer Sicht, ist dieses Problem

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Vgl Hof ’s-Gravenhage NIPR 2006, 145; nach dem Recht von Malta kann eine Ehe nicht geschieden werden. Möglich ist nur eine gerichtliche Trennung (Art 35 ff ZGB). Eine einvernehmliche Trennung durch öffentlich beurkundeten Vertrag ist gemäß Art 59 ZGB möglich. Die Trennung bewirkt jedoch keine Lösung des Ehebandes, weshalb, trotz eintretender Suspendierung aller ehelichen Pflichten, eine erneute Eheschließung mit einem Dritten ausscheidet. Vier Jahre Getrenntleben innerhalb der letzten fünf Jahre (Art 41 (3) 2 Constitution, sec 5 (1) FLA 1996). Drei Jahre formalisierte Trennung (Art 3 Nr 2 b legge 898/1970). Drei Jahre Getrenntleben (Art 230 cc). Drei Jahre Getrenntleben, ein Jahr bei einverständlicher Scheidung (Art 1781 cc); diese Regelung ist nicht mit § 1566 BGB zu vergleichen, weil § 1565 Abs 1 BGB auch eine streitige Scheidung wegen nachgewiesenem Scheitern schon nach einem Jahr (§ 1565 Abs 2 BGB) erlaubt. In Frankreich wurde durch Gesetz 2004-439 die vormals 6 Jahre betragende Trennungsfrist für eine Zerrüttungsscheidung auf 2 Jahre reduziert, zum Ringen um diese Reform Fehre LA Rauscher (2005) 27 ff; zum Inhalt der Reform auch Ferrand FamRZ 2004, 1423. In Spanien wurde als zeitnahe Folge des Wahlsieges der Sozialistischen Partei am 29.6.2005 das Gesetz zur Änderung des Scheidungsrechts (Proyecto de ley de modificaciòn del CC en materia de separación y divorcio) im Kongress verabschiedet. Nach Art 81 CC nF besteht sowohl für beidseitige wie für einseitige Scheidungsanträge nur noch eine Karenzfrist von drei Monaten; dazu Martín-Casals/Ribot FamRZ 2006, 1331. Art 1:150 iVm 1:179 BW. Dörner in: Großfeld/Yamauchi/Ehlers/Ishikawa, Probleme des deutschen, europäischen und japanischen Rechts (2006) 17, 23.

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sogar noch deutlicher, weil deren Mindesttrennungsfristen deutlich unter einem Jahr liegen.33 c) Lösungsebenen Voraussetzung einer Lösung im materiellen Recht wäre insbesondere ein Konsens über 10 Trennungsfristen bei der Zerrüttungsscheidung, was derzeit weder abzusehen34 ist, noch als Oktroy wünschenswert wäre: Als Problem sind nicht die das Scheidungsrecht beeinflussenden rechtskulturellen Unterschiede zu erkennen, sondern der Umstand, dass sich ein scheidungsfreundliches Heimatrecht nicht gegen ein scheidungsabwehrendes Aufenthaltsrecht durchsetzt. Gemessen an Art 6 Abs 1 GG sind abgesehen von Härtefällen auf Kindes- oder Antragsgegnerseite Wartefristen von mehr als drei Jahren inakzeptabel,35 insbesondere, wenn in einer neuen Verbindung eine Ehe eingegangen werden soll und dort eventuell bereits Kinder vorhanden sind. Versteht man Art 9 der EU-Grundrechtecharta nicht weiter als Art 12 EMRK, so schützt er im Gegensatz zu Art 6 Abs 1 GG noch nicht einmal grundsätzlich neben der Eheschließungs- auch die Ehescheidungsfreiheit. Die unterschiedlichen Trennungsfristen zeigen überdeutlich, dass der Konsens auch de facto nicht besteht. Es ist aber einer Gemeinschaft, die sich der Freizügigkeit ihrer Bürger verpflichtet sieht, unwürdig, wenn nationaler Grundrechtsschutz im Interesse der europafreundlichen petitio principii eines als gleichwertig postulierten EU-Grundrechtsschutzes zurückweicht und die betroffenen Bürger in elementaren Fragen ihrer Lebensgestaltung dem grundrechtlichen status quo minus ausgeliefert sind, der von der jeweils illiberalsten Scheidungsrechtsordnung definiert wird. Es geht hier um nicht weniger als die Frage, ob der individuelle Grundrechtsschutz wichtiger ist oder die Illusion eines ungetrübten europäischen Konsenses. Die Vereinheitlichung des Scheidungsstatuts könnte das Problem lösen, wenn sie auch 11 Gerichte in weniger scheidungsfreundlichen Staaten zur subsidiären Anwendung des Heimatrechts des Antragstellers veranlasst. Die durch die Rom III-VO erreichte Vereinheitlichung leistet dies, abgesehen von der räumlich nur beschränkten Geltung, nicht. Art 10 Rom III-VO greift nur ein, wenn das berufene Recht eine Scheidung überhaupt nicht vorsieht,36 Art 12 Rom III-VO kann absehbar nur sehr ausnahmsweise gegen erhebliche Scheidungsverzögerungen eingesetzt werden. Dieser mangelnde kollisionsrechtliche Schutz des scheidungsfreundlichen ordre public war der Grund dafür, dass Schweden das Brüssel IIb-Projekt scheitern ließ. Vorbildlich für eine diskriminierungsfreie, die Scheidungsfreiheit des Antragstellers schützende Kollisionsnorm wäre etwa die vormalige österreichische Lösung in § 20 33

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Spanien: 3 Monate (Art 81 CC); Tschechien und Slowakei: 6 Monate, sofern die Ehe ein Jahr bestanden hat (§ 24a Abs 1 FamG); Estland: 3 Monate ab Einreichung des Antrags (§ 28 Abs 1 AT-ZGB); Litauen: 3 Monate ab Einreichung des Antrags (Art 36 Ehe-FamG). Mit § 1566 BGB übereinstimmende Fristen einschließlich der abgestuften unwiderlegbaren Zerrüttungsvermutung enthalten dagegen Art 76, 77 des lettischen ZGB. Zur Frage der Sachrechtsvereinheitlichung vgl Einl Rn 56 ff; schnelle Entwicklungen wie im belgischen Recht, das im Jahr 1982 die Trennungsfrist von einstmals zehn (!) auf fünf und im Jahr 2000 auf zwei Jahre verkürzt hat (Art 232 cc), sind die Ausnahme und hängen, wie das spanische Beispiel zeigt, auch von der Änderung politischer Konstellationen ab. AA nunmehr jedoch BGH v 25.10.2006 – XII ZR 5/04, FamRZ 2007, 113 = NJW 2007, 220. Was der BGH in nicht begründeter Zurückhaltung gegenüber anderen EU-Scheidungsrechten zuletzt auch für Art 17 Abs 1 S 2 aF EGBGB annahm: BGH v 25.10.2006 – XII ZR 5/04, FamRZ 2007, 113 = NJW 2007, 220.

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Abs 2 aF IPRG, wonach allseitig auf das Heimatrecht des Antragstellers zurückgegriffen wird, wenn das eigentliche Scheidungsstatut die Scheidung derzeit nicht erlaubt. Europarechtskonform wäre eine solche Lösung allemal. 12 Eine verfahrensrechtliche Lösung durch Bereitstellung eines neben Zuständigkeiten aus

Art 3 tretenden Notforums im Heimatstaat ist zwar für sich genommen nicht geeignet, die Scheidungsfreiheit des Antragstellers zu sichern, wenn sie nicht kollisionsrechtlich durch die ausnahmsweise Anwendung der lex fori abgesichert wird. Gleichwohl bedarf es einer Notzuständigkeit als Grundlage einer hilfsweisen Anwendung des Heimatrechts des Antragstellers. Während im Anerkennungsstadium der ordre public (Art 22 lit a) eingreifen kann (wodurch ggf der Antragsgegner in seinem Heimatstaat geschützt wird), fehlt ein zuständigkeitsbegründender ordre-public-Vorbehalt. Das führt zu dem merkwürdigen Ergebnis, dass die eher scheidungsfeindlichen Mitgliedstaaten sich die Versagung der Anerkennung von Scheidungsurteilen vorbehalten haben, scheidungsfreundliche Mitgliedstaaten jedoch gehindert sind, ihren Gerichten eine Zuständigkeit zu verschaffen. Der durch Art 6 bzw Art 7 iVm Art 3-537 verschlossene Weg zur lex fori muss in extremen Fällen der Scheidungserschwerung oder -verweigerung dennoch über die Inanspruchnahme einer Notzuständigkeit eröffnet werden; eine solche Notzuständigkeit lässt sich auf den Gedanken stützen, dass bei Bestehen einer den Rückgriff auf die lex fori ausschließenden (Art 7) Zuständigkeit in einem Mitgliedstaat, der die Entscheidung über einen Ehescheidungsantrag verweigert, der Heimatstaat des Antragstellers dessen Anspruch auf Zugang zu Gericht zu gewährleisten hat. Dieser Gedanke hat sich freilich nur gegenüber dem Recht von Malta durchgesetzt, so lange dieses die Scheidung gänzlich ausschloss.38 Insbesondere der BGH sieht keinen Bedarf mehr für eine Notzuständigkeit, nachdem Malta die Ehescheidung überhaupt vorsieht.39 13 Besonders deutlich wird der Konflikt, soweit Art 6 lit a die Zuständigkeiten des Art 3 als

ausschließlich durchsetzt zugunsten eines Antragsgegners ohne Unionsbürgerschaft mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Mitgliedstaat; in der vom EuGH gewählten Auslegung, die der Brüssel IIa-VO auch darüber hinaus Ausschließlichkeit zumisst,40 gilt dies sogar ohne diesen EU-Bezug des Antragsgegners. Art 18 AEUVerfordert eine solche Regelung, die Nicht-EU-Bürger als Antragsgegner schützt, nicht, die Verdrängung der Heimatzuständigkeit ist hier nicht geboten. Es wäre auch wenig überzeugend, die Diskriminierung des einem Drittstaat angehörenden und regelmäßig nur wegen des Bestehens der Ehe in der Union aufenthaltsberechtigten Ehegatten eines Unionsbürgers zu vermuten, wenn die Zuständigkeit der Heimatgerichte dieses Unionsbürgers bestünde. Hier geht die Abkehr von der Staatsangehörigkeitszuständigkeit eindeutig zu weit. 3. Gleichrangigkeit der Zuständigkeitsalternativen 14 a) Die Zuständigkeiten nach Abs 1 stehen nicht in einem Rangverhältnis.41 Die VO kennt 37 38

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Dazu Art 6 Rn 6 ff. Hof ’s-Gravenhage NIPR 2006, 145, 146: gewöhnlicher Aufenthalt beider Ehegatten in Malta, Antragstellerin Niederländerin; eingehend zur Notzuständigkeit in Ehescheidungssachen nach niederländischem Recht Schmidt NIPR 2007, 116. BGH NJW-RR 2013, 641. Dazu Art 6 Rn 11.

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auch keinen allgemeinen Gerichtsstand und mit zusätzlichen Voraussetzungen versehene besondere Gerichtsstände,42 was angesichts der Homogenität der Streitgegenstände auch wenig sinnvoll wäre. Der Antragsteller hat, sofern die Voraussetzungen mehrerer Alternativen vorliegen, die freie Wahl zwischen den Gerichtsständen.43 Das gilt auch im Verhältnis der Zuständigkeiten nach Abs 1 lit a zu denen nach lit b.44 Das Verhältnis zwischen mehreren Gerichtsständen wird erst auf der Ebene der Rechtshängigkeit durch Art 19 geregelt, wobei jedenfalls die breite Konfliktregelung in Art 19 Abs 1 parallele Verfahren zwischen den Ehegatten um den Bestand ihrer Ehe ausschließt. Die Ehegatten können sich insbesondere nicht bindend durch vorherige Vereinbarung innerhalb des Katalogs des Art 3 auf bestimmte Zuständigkeiten festlegen.45 Selbst eine faktische Verständigung im Vorfeld einer einverständlich geplanten Antragstellung führt nicht zur Unzulässigkeit eines anderweit innerhalb der Zuständigkeiten des Art 3 gestellten Scheidungsantrags. b) Die dadurch begründete Möglichkeit des forum shopping46 hat angesichts des nicht 15 vereinheitlichten IPR und der erheblichen Unterschiede in den materiellen Scheidungsrechten eine deutlich größere Bedeutung als für Brüssel I, zumal der Antragsteller durch Aufenthaltswechsel ein Forum auch schaffen kann.47 Die Auswahl des richtigen Forums bestimmt nicht nur über den Erfolg des Scheidungsantrages mit, sondern erlaubt (nach Inkrafttreten der Rom III-VO partiell) auch das Ausweichen auf scheidungsfreundlichere Rechtsordnungen,48 was für Staaten, die der Ehescheidung noch immer sehr zurückhaltend gegenüberstehen, durchaus ein Problem bedeutet.49 Insbesondere den common law Rechtsordnungen, in denen forum shopping über die Anwendung der lex fori unmittelbar zum law shopping wird, sind durch Geltung des kontinental inspirierten Prioritätsgrundsatzes (Art 19) und die Beseitigung der forum non conveniens-Doktrin die bisherigen Instrumente zur Abwehr von forum shopping genommen.50 Zudem kann forum shopping auch Auswirkungen auf Scheidungsfolgen erzeugen, zB aufgrund der Festlegung des nachehelichen Unterhaltsstatuts auf das tatsächliche Scheidungsstatut (Art 8 HUntStÜbk 1973).51 Die 41

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Cass civ Rec crit dip 2010, 170; Cass civ EuLF 2010 I-19; OLG Oldenburg v 26.7.2012 – 4 WF 82/12, FamRZ 2013, 481; Pabst Rn 222; missverständlich Vogel MDR 2000, 1047: „Kaskadenanknüpfung“. Hausmann EuLF 2000/01, 275. Borrás-Bericht Nr 29; Hau FamRZ 2000, 1334; Kohler NJW 2001, 11; Hausmann EuLF 2000/01, 276; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 2; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 1. Cass civ Bull civ 2006 no 539: Keine Unzuständigerklärung wegen gemeinsamer algerischer Staatsangehörigkeit der Ehegatten bei gewöhnlichem Aufenthalt der Ehegatten in Frankreich; ebenso implizit OLG Koblenz v 26.11.2008 – 9 UF 653/06, FamRZ 2009, 611; AG Leverkusen v 20.4.2005 – 33 F 141/04, FamRZ 2005, 1684; AG Leverkusen v 29.11.2007 – 33 F 173/06, FamRZ 2008, 1758. Zumindest unklar formuliert OGH JBl 2012, 194. Vgl dazu den Bericht des TMC Asser Instituut (JAI/A3/2001/04 Dez 2002); abgelegt auf www.euzpr.eu sub: Rom III-1-VO-E. Rieck FPR 2007, 251, 253. Jänterä-Jareborg YB PIL 1999, 8. Schwarz/Scherpe FamRZ 2004, 665, 675; Shannon Law Society Gazette 2001, 19; dazu Jayme/Kohler IPRax 2002, 469. Shúilleabháin ICLQ 59 (2010) 1021, 1031; die Option, den kontinentalen Mitgliedstaaten in die kollisionsrechtliche Vereinheitlichung zu folgen, ist für Irland und das UK aus verständlichen rechtskulturellen Gründen wenig attraktiv. BGBl 1986 II 837.

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Alternativität der Zuständigkeitskriterien ist jedoch letztlich ein Ausgleich dafür, dass die VO durch eine Festlegung auf ein überwiegend am gewöhnlichen Aufenthalt orientiertes System die bisher gewohnten nationalen Zuständigkeiten stark beschränkt. Gerade in Personenstandssachen muss ein Zuständigkeitssystem auch der Einschätzung der Beteiligten von der Angemessenheit eines Gerichtsstands entgegenkommen52 und darf sich nicht auf das formale Postulat zurückziehen, alle europäischen Gerichte seien gleichwertig.53 16 c) Der Zuständigkeitskatalog des Art 3 ist nach dem Wortlaut des Art 6 nur nach Maßgabe

von Art 6 und 7 abschließend. Nachdem der EuGH sich der Ansicht angeschlossen hat, die über Art 6 hinaus der VO schon dann Vorrang einräumt, wenn nach Art 3-5 auch nur in einem Mitgliedstaat eine Zuständigkeit besteht, kann ein nicht nach Art 3 ff international zuständiges Gericht seine Zuständigkeit nur dann auf nationales IZPR stützen, wenn die Zuständigkeiten der VO nicht in diesem erweiterten Sinn ausschließlich sind.54 17 d) In welchem prozessualen Zeitpunkt die Voraussetzungen der internationalen Zustän-

digkeit nach Art 3 bestehen müssen, ist in der VO nicht ausdrücklich geregelt. Ebenso wie der Brüssel I-VO55 liegt ihr jedoch das autonome Prinzip der perpetuatio fori internationalis zugrunde. Änderungen der die Zuständigkeit begründenden Tatsachen, insbesondere eine Aufenthaltsverlegung, berühren die internationale Zuständigkeit also nicht mehr, wenn sie nach Eintritt der Rechtshängigkeit erfolgen.56 Für die Rechtshängigkeit sollte nicht auf die jeweilige lex fori zurückgegriffen werden. Die zur Vermeidung konkurrierender Rechtshängigkeiten geschaffene autonome Legaldefinition in Art 16 ist auch für diese Frage heranzuziehen. Zwar scheint es auf den ersten Blick nicht erforderlich, die internationale Zuständigkeit eines Gerichts zu perpetuieren, das mangels Rechtshängigkeit noch nicht einmal örtlich abschließend zuständig ist. Versucht jedoch ein Ehegatte dem Gericht in diesem Stadium durch Aufenthaltsverlegung die Zuständigkeit zu entziehen (was in praxi der häufigste Anwendungsfall der perpetuatio fori in Ehesachen ist), so kommt es zu Widersprüchen mit Art 16. Ruft einer der Ehegatten nun ein anderes Gericht an, so wäre das zunächst angerufene zwar vorrangig iSd Art 16 ff, aber mangels perpetuatio fori nicht mehr international zuständig. Auch die perpetuatio fori wird also bereits durch die autonome Rechtshängigkeit (Art 16) ausgelöst. 4. Örtliche Zuständigkeit 18 Art 3 regelt nur die internationale Zuständigkeit. Das örtlich zuständige Gericht ist nach

der lex fori zu bestimmen. Fehlt es nach der lex fori eines Staates, dessen Gerichte gemäß Art 3 international zuständig sind, an einer örtlichen Zuständigkeit, so muss diese Lücke durch Hilfszuständigkeiten geschlossen werden.57 Dabei sollte nur äußerst hilfsweise eine

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Zutreffend Jänterä-Jareborg YB PIL 1999, 8 f. Bedenklich ist daher die unreflektiert europafreundliche Ansicht, die eine Restriktion nationaler Zuständigkeiten mit diesem Topos rechtfertigt, vgl zuletzt Hau FPR 2002, 617. Vgl im Einzelnen Art 7 Rn 8 ff. Kropholler Vorbem Art 2 Brüssel I-VO Rn 14. BGH v 11.10.2006 – XII ZR 79/04, FamRZ 2007, 109; OLG Koblenz v 26.11.2008 – 9 UF 653/06, FamRZ 2009, 611. Zöller/Geimer Rn 13.

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Kapitel II: Zuständigkeit

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Zuständigkeit der Gerichte der Hauptstadt58 angenommen werden. Die Art 3 zugrunde liegende ratio wird besser durch eine Verlängerung der dort genannten Anknüpfungskriterien in die örtliche Zuständigkeitsbestimmung erreicht. Diese Methode gelingt auch meist bei den Zuständigkeiten nach Abs 1 lit a, da diese aufenthaltsbezogen sind, wenn auch der gewöhnliche Aufenthalt im selben Mitgliedstaat nicht ohne weiteres im selben Gerichtsbezirk bestehen wird. Lediglich die Zuständigkeit nach Abs 1 lit b kann auch ohne jeden räumlichen Bezug innerhalb des gemeinsamen Heimatstaates bestehen. Vor deutschen Gerichten wird im Rahmen der aufenthaltsbezogenen Zuständigkeiten des Art 3 in aller Regel auch eine örtliche Zuständigkeit nach § 122 Nr 1-4 FamFG bestehen, eine Lücke also nur auftreten, wenn sich eine Verlängerung der internationalen Zuständigkeiten ohnehin nicht anbietet. Dann gilt § 122 Nr 5 FamFG.59 II. Aufenthaltszuständigkeiten (Abs 1 lit a) 1. Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt (Str 1) a) Motivation Die rechtspolitische Motivation für eine Zuständigkeit der Gerichte am gemeinsamen ge- 19 wöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten ist unproblematisch. Die Anknüpfung an einen gemeinsamen räumlichen Schwerpunkt, an den Lebensmittelpunkt, wird in den meisten Fällen herangezogen werden können und war im Recht der meisten Mitgliedstaaten üblich.60 Auf die Staatsangehörigkeit der Parteien kommt es insoweit nicht an.61 Auch bei gemeinsamer Staatsangehörigkeit zu einem anderen Staat sind die Gerichte des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts zuständig.62 Insbesondere findet Art 3 auch Anwendung auf Scheidungsverfahren zwischen iranischen Ehegatten, weil das deutsch-iranische-Niederlassungabkommen zwar kollisionsrechtlich der Rom III-VO vorgeht, nicht aber der Brüssel IIa-VO.63 Wegen der mit einer beidseitigen Anknüpfung der Zuständigkeit in einer Ehesache ver- 20 bundenen Signalwirkung für die bekanntlich im Eheverfahrensrecht nicht ohne weiteres kontradiktorisch fassbare Parteistellung ist diese Zuständigkeit auch nicht überflüssig, wenngleich sie formal neben dem Beklagtengerichtsstand (Str 3) unnötig wäre,64 denn wo beide Ehegatten leben, lebt auch der Antragsgegner. Auch wenn die Gerichtsstände des Art 3 alternativ nebeneinander stehen, entspricht es dem speziellen Streitgegenstand, nicht das forum rei, sondern das forum matrimonii in den Vordergrund zu stellen. Die Bestimmung mag also technisch überflüssig sein, verdient deshalb aber nicht die verbreitet geäußerte

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So aber Zöller/Geimer Rn 13. Ebenso zu § 606 aF ZPO: Siehr in: Reichelt/Rechberger, Europäisches Kollisionsrecht (2004) 113, 122. Borrás-Bericht Nr 31. Cass civ Bull civ 2006 no 539; OLG Koblenz v 26.11.2008 – 9 UF 653/06, FamRZ 2009, 611; AG Leverkusen v 20.4.2005 – 33 F 141/04, FamRZ 2005, 1684; AG Leverkusen v 29.11.2007 – 33 F 173/06, FamRZ 2008, 1758. Hof Amsterdam NIPR 2012, 412; Trib Belluno Riv dir int priv proc 2011, 140, 142. OLG Hamm v 14.6.2012 – II-4 UF 136/10, FamRZ 2012, 1498. Ähnlich MünchKommFamFG/Gottwald Rn 6.

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Kritik,65 die nur gerechtfertigt wäre, wenn man Brüssel II aus dem prozessualen Blickwinkel von Brüssel I sieht und die eherechtliche Besonderheit beiseite lässt. b) Gewöhnlicher Aufenthalt, Willensabhängigkeit? 21 Die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts erfolgt autonom,66 was schon deshalb sach-

gerecht ist, weil der Begriff in den Haager Übereinkommen autonom eingeführt wurde und keine nationale Vorprägung hat. Eine kollisionsrechtliche Verweisung (vgl Art 52 EuGVÜ, Art 59 Brüssel I-VO) wäre nicht sinnvoll gewesen, eine europäische Legaldefinition (vgl Art 60 Brüssel I-VO) nicht erforderlich. Zweifelhaft ist, ob der europäische Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts von dem der Haager Übereinkommen nennenswert abweicht.67 Die deutsche Rechtsprechung68 behandelte den Begriff bereits unter der Brüssel II-VO als eher selbstverständlich vorgezeichnet, was wohl mehr auf eine unterschwellige Bezugnahme auf die bisherige (von den Haager Übereinkommen geprägte) Begriffsbildung deutet als auf die Suche nach einem neuen autonomen Begriffsfeld. Überhaupt entsteht der Eindruck, als mache die Bestimmung des Begriffs den Gerichten der Mitgliedstaaten höchst unterschiedliche Mühe, was wohl kaum ein Zufall ist, sondern durchaus erklärbare Hintergründe hat. Ähnlich geradlinig wie die deutsche Rechtsprechung bejahen durchweg niederländische Entscheidungen den gewone verblijfplaats aufgrund schlichter Präsenz oder Anmeldung der Ehegatten;69 hingegen wird in der Rechtsprechung der romanischen Mitgliedstaaten der Begriff der residence habituelle und sprachparalleler Varianten intensiv problematisiert, während die englische Rechtsprechung mit der europarechtlichen habitual residence geradezu ringt.70 22 Durch das Inkrafttreten der Rom III-VO ist die weitere Problemdimension hinzugetreten,

ob der gewöhnliche Aufenthalt als Zuständigkeitskriterium und als Anknüpfungskriterium identisch auszufüllen ist. Prima facie erscheint das in parallelen, die Ehescheidung betreffenden EU-Instrumenten geradezu selbstverständlich; da allerdings die Diskussion zu Art 3 rein zeitlich der zu Art 6 Rom III-VO vorangeht, könnten die hierzu erzielten Ergebnisse angesichts der deutlich mehr nach Stabilität verlangenden Anknüpfung des Scheidungsstatuts ungeeignet sein, so dass insbesondere kurze Zeit nach einem Aufenthaltswechsel weitere Integrationskriterien erforderlich sein dürften;71 mag es noch angehen, dass nach einem berufsbedingten Aufenthaltswechsel der Familie in einen anderen Mitgliedstaat alsbald dort eine Ehescheidungszuständigkeit entsteht, so wäre es doch befremdlich, wenn, insbesondere bei gemeinsamer Staatsangehörigkeit zum bisherigen Aufenthaltsstaat, auch 65

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Hau FamRZ 2000, 1334: „Atavismus“; Schack RabelsZ 65 (2001) 622; vgl auch Geimer/Schütze/Dilger Rn 17 mit weiteren Nachweisen. So zu Art 8: EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843; s auch Pabst Rn 334 ff. Hausmann EuLF 2000/01, 276. OLG Stuttgart FamRZ 2004, 1382; OLG Stuttgart v 6.7.2004 – 17 UF 69/04, FamRZ 2005, 911; OLG München IPRspr 2005 Nr 198; AG Leverkusen v 13.5.2004 – 34 F 247/03, FamRZ 2004, 1493; AG GroßGerau v 18.2.2003 – 72 F 943/01 S, FamRZ 2004, 203; vgl auch AG Landstuhl v 7.11.2002 – 1 F 67/02, FamRZ 2003, 1300, wo allerdings auch Brüssel II an sich übersehen wird. Hof Leeuwarden NIPR 2012, 426; Hof Leeuwarden NIPR 2012, 427; Hof Amsterdam NIPR 2012, 412; Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2010, 472. Eingehend: V v V [2011] EWHC 1190; dazu auch nachfolgend Rn 22b, 26f, 39 f. Helms FamRZ 2011, 1765, 1770; Gottwald in: FS Simotta (2012) 187, 190; vgl schon Salerno Riv dir int priv proc 2007, 63, 73.

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Kapitel II: Zuständigkeit

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das Scheidungsstatut alsbald und gewiss unerwartet, auf den neuen Aufenthalt „umgeschaltet“ würde. Die Materialien72 nehmen hingegen Bezug auf die vom EuGH gegebene Definition des 22a „ständigen Wohnsitzes“ als des Ortes, „den der Betroffene als ständigen und gewöhnlichen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in der Absicht gewählt hat, ihm Dauerhaftigkeit zu verleihen,73 wobei für die Feststellung dieses Wohnsitzes alle hierfür wesentlichen tatsächlichen Gesichtpunkte zu berücksichtigen sind.“74 Das Argument lenkt den Blick auf den Umstand, dass zwar in der deutschen Fassung der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ sich vom „Wohnsitz“ klar abgrenzt, dies aber in anderen Sprachfassungen nicht ebenso deutlich wird: Der „gewöhnliche Aufenthalt“ signalisiert ein aliud, die „habitual residence“75 hingegen eher eine graduelle Verfestigung zum Wohnsitz, woraus sich Folgeprobleme aufdrängen,76 die aus der deutschen Fassung kaum erkennbar werden. Gleichwohl ist die formale Wohnsitzbegründung, insbesondere im Sinn melderechtlicher Bestimmungen, allenfalls indiziell,77 nicht aber prägend.78 Auch die gelegentlich angedeutete Möglichkeit eines mehrfachen gewöhnlichen Aufenthalts79 ist abzulehnen.80 Eine mehrfache Zuständigkeit wäre zwar nicht ebenso zwingend ausgeschlossen, wie die parallele Anwendung mehrerer Aufenthaltsrechtsordnungen im IPR;81 insbesondere in Fällen beruflich bedingter regelmäßiger Aufenthalte in einem anderen als dem privat bedingten Aufenthaltsstaat wird aber eine dem quantitativen Abzählen von Aufenthaltstagen vorzugswürdige qualitative Schwerpunktbestimmung82 regelmäßig zum Familienaufenthalt weisen, was gerade für den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten iSd Art 3 Bedeutung hat. Die auch in der Rechtsprechung des EuGH zum autonomen Wohnsitzbegriff anzutreffende 22b Betonung des Willensmoments,83 das traditionell prägend zum Wohnsitzbegriff gehört, weicht dabei jedenfalls dogmatisch von der zum Aufenthaltsbegriff der Haager Überein72

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Borrás-Bericht Nr 32 aE; hierauf bezieht sich auch HR NIPR 2006, 389, 390; hiergegen zutreffend Kokott Schlussanträge (Nr 34) zu EuGH Rs C-523/07 A. So auch Cass civ Bull civ 2005 no 506 = EuLF 2006 I-34; CA Luxembourg EuLF 2007, I-301; Salerno Riv dir int priv proc 2007, 63, 72. EuGHE 1994 I 4295; intensiv in einem polyglotten Fall: V v V [2011] EWHC 1190: Wohnungssuche, Verbleib der Haushunde etc. Und parallele Begriffsbildungen insbesondere in den romanischen Versionen. Insbesondere in der englischen Rechtsprechung zu Art 3 Abs 1 Strich 2 und Strich 5 unten Rn 26 ff, Rn 39 ff. Hof Amsterdam NIPR 2012, 412. Was zu betonen angesichts des Begriffs „residenza abituale“ für „gewöhnlichen Aufenthalt“ besonders in der italienischen Rechtsprechung Anlass besteht: Cass civ Riv dir int priv proc 2010, 750, 756; Cass civ Riv dir int priv proc 2010, 435, 436; Salerno Riv dir int priv proc 2007, 63, 72. Gottwald in: FS Simotta (2012) 187, 190. Deutlich zum einheitlichen autonomen gewöhnlichen Aufenthalt äußert sich insoweit die englische Rechtsprechung vor dem Hintegrund, dass der gewöhnliche Aufenthalt in Normen des englischen Rechts auch ein doppelter sein kann: V v V [2011] EWHC 1190.= EuLF 2011, 194 (Ls); In the Matter of S (a Child) [2009] EWCA Civ 1021. OLG Oldenburg v 11.5.2010 – 13 UF 87/09, NJW-RR 2010, 1592, 1593. Vgl auch Salerno Riv dir int priv proc 2007, 63, 73. Dazu Geimer/Schütze/Dilger Vorbem Art 3 Rn 10.

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kommen vorherrschenden Feststellung des tatsächlichen Lebensmittelpunktes ab,84 die einen subjektiven Willen zur Aufenthaltsbegründung nicht voraussetzt. Wenngleich diese Abweichung meist bedeutungslos bleiben wird,85 kann eine Festlegung nicht unterbleiben. Nicht nur Fälle unfreiwilligen Aufenthalts eines Ehegatten (Gefangene)86, sondern vor allem die Ausdehnung auf selbstständige Kindschaftssachen, wirft die Frage nach dem Willenselement auf. Die Parallelität der Art 8 ff zum System der Haager Kindschaftsübereinkommen legt es nahe, dort Einklang mit den Haager Übk herzustellen,87 den gewöhnlichen Aufenthalt also tatsächlich zu bestimmen.88 Diesem Ansatz folgt jüngst zu Art 8 auch der EuGH,89 der nach dem Zweck der Nähe des Gerichtsstandes zum Sachverhalt einen Aufenthalt mit gewisser Dauerhaftigkeit und Integration voraussetzt, der nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere der Zeitdauer, den Gründen, den familiären und sozialen Bindungen, aber auch der Staatsangehörigkeit als Indizien der Integration in einem Land zu bestimmen ist. Bei Kindern kommt der (einverständlichen) Absicht der Sorgeberechtigten, einen dauerhaften Aufenthalt zu begründen, ebenfalls (auch ohne Abwarten einer gewissen Frist, wie sie in Entführungsfällen verstreichen muss90) Indizfunktion zu.91 Erst recht hat bei sich frei für einen Aufenthalt entscheidenden erwachsenen Menschen der Wille mittelbar ein erhebliches Gewicht;92 auch insoweit freilich nicht als ein Tatbestandsmerkmal des gewöhnlichen Aufenthalts, sondern als bloßes Indiz der diesen bestimmenden Integration,93 insbesondere, wenn kurze Zeit nach einem Aufenthaltswechsel die Dauerhaftigkeit zu beurteilen ist.94 Zunehmend zeigt sich gerade an der Abhängigkeit von Integration und Verbleibenswillen bei Erwachsenen, dass im Verhältnis zum gewöhnlichen Aufenthalt in Art 8 Abweichungen zwischen den für die Begründung durch Ehegatten einerseits und durch Kinder andererseits maßgeblichen Kriterien bestehen können. c) Einzelfragen 23 Jedenfalls ist der gewöhnliche Aufenthalt jurisdiktionsbezogen. Er besteht nicht an einem

Ort, sondern in einem Mitgliedstaat, sofern dieser nicht in mehrere Jurisdiktionen zerfällt. Getrenntleben im selben Mitgliedstaat berührt also nicht die internationale Zuständigkeit. Der Aufenthalt muss auch nicht „gemeinsam“ im eherechtlichen Sinn gewesen sein; es ist

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Ausdrücklich in Abgrenzung zum Wohnsitz HR NIPR 2006, 389, 390; vgl auch Hau FamRZ 2003, 1301. Hausmann EuLF 2000/01, 276. Hau FamRZ 2000, 1334. AA Hau FamRZ 2000, 1334. Geimer/Schütze/Dilger Vorbem Art 3 Rn 13 ff; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 7; zu zahlreichen Einzelheiten der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts in diesem Sinn vgl Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 38 ff. EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843. Vgl Kokott Schlussanträge (Nr 34) zu EuGH Rs C-523/07 (A). EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843. So wohl Cass civ BullCiv 2005 no 506 = EuLF 2006 I-34: „le lieu où l’interéssé a fixé avec la volonté de lui conférer un caractère stable, le centre permanent ou habituel de ses intérèts“. Nicht ohne Blick auf das Konzept des domicile halten insbesondere englische Gerichte die habitual residence ähnlich dem home für von voluntativen Elementen nicht trennbar: L-K v K [2007] FLR 279; Z v Z [2010] FLR 694; V v V [2011] EWHC 1190; eingehend zur Entwicklung der englischen Rechtsprechung Lamont JPIL 3 (2007) 261 ff. Lamont JPIL 3 (2007) 261, 263, kritisch 265: „odd to call it habitual“.

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weder eine eheliche Lebensgemeinschaft noch eine häusliche Gemeinschaft in dem Staat erforderlich, in dem beide Ehegatten sich gewöhnlich aufhalten. Eine Mindestdauer des Aufenthalts ist nicht erforderlich. Wenn die Ehe unmittelbar nach 24 gemeinsamer Verlegung des Lebensmittelpunktes in denselben Staat scheitert, kann der Aufenthalt zuständigkeitsbegründend werden, wenn eine gewisse Dauerhaftigkeit intendiert war. Auf vorübergehende Zeit geplante Aufenthalte können einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen, da, anders als für ein domicile of choice kein „Ewigkeitswille“ bestehen muss;95 jedoch kommt es bei vorübergehenden, insbesondere bei beruflich indizierten, Aufenthalten darauf an, ob der Betreffende mit der Niederlassung auch eine persönliche und familiäre Integration anstrebte,96 was insbesondere bei Umzug mit der Familie, jedenfalls bei Aufgabe des bisherigen Familienwohnsitzes, zu bejahen ist. Dieser Aspekt ist insbesondere mit Rücksicht auf die Anknüpfung des Scheidungsstatuts in der Rom III-VO höchst fragwürdig, weil gerade bei beruflichen Aufenthaltswechseln juristische Laien zwar mit einer schnellen Zuständigkeitsverlegung durchaus rechnen dürften, nicht aber mit einem Einfluss auf die Scheidungsvoraussetzungen, ggf auch – folgen. Auch, wenn die Ehegatten erst nach dem Scheitern der ehelichen Lebensgemeinschaft (zufällig) ihre gewöhnlichen Aufenthalte in denselben Mitgliedstaat verlegen, werden dessen Gerichte zuständig, da gemeinsamer Aufenthalt kein Zusammenleben erfordert. Die Staatsangehörigkeit ist als Einzelfaktor bei der Bestimmung des gewöhnlichen Auf- 24a enthalts ebenso zu berücksichtigten wie im Rahmen des Art 8. Dauerhafte Integration bei Aufenthaltsverlegung in den Heimatstaat liegt faktisch näher als bei Aufenthaltsverlegung in einen anderen (Mitglied-)Staat. Weist der gewöhnliche Aufenthalt in einen Mitgliedstaat, der Mehrrechtsstaat ist, so richtet 25 sich die Verweisung gemäß Art 66 auf die jeweilige Teiljurisdiktion. 2. Letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt (Str 2) a) Motivation Die – nicht nur aus nationalem Verfahrensrecht, sondern auch aus dem IPR (vgl Art 14 26 Abs 1 Nr 1 und 2 jeweils 2. Alt EGBGB) bekannte – Idee der zuständigkeitsrechtlichen Relevanz eines letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts geht davon aus, dass der Antragsteller dem Antragsgegner die Ehesache, anders als den Zivilprozess (Art 2 Brüssel I-VO), nicht „hinterhertragen“97 muss, wenn dieser aus dem ehelichen Aufenthaltsstaat auswandert. Bei innergemeinschaftlicher Auswanderung kann er zwar im forum rei (Str 3) den Antrag stellen, muss dies aber nicht. Ebenso bekannt ist das Erfordernis, dass einer der Ehegatten noch bei Antragstellung diese Bindung beibehalten haben muss.

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Sehr detailliert für einen berufsbedingten Aufenthaltswechsel der Familie: In the matter of S (a Child) [2009] EWCA Civ 1021. Cass civ Bull civ 2005 no 506 = EuLF 2006, I-34: Nicht bei Niederlassung zur vorübergehender Kindesbetreuung; CA Luxembourg EuLF 2007, I-301: Nicht ohne weiteres bei Botschafter im Gaststaat. Spellenberg FS Geimer (2002) 1266; vgl auch Hausmann EuLF 2000/01, 276.

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b) Bestimmung 27 Im Übrigen gelten für die Bestimmung des früheren gemeinsamen gewöhnlichen Aufent-

halts dieselben Regeln98 wie für den aktuellen, es ist also weder die Einhaltung einer Frist noch ein Zusammenleben im eherechtlichen Sinn erforderlich.99 Dies gilt, folgt man der deutschen Fassung, auch für den bis zur Antragstellung fortdauernden gewöhnlichen Aufenthalt eines der Ehegatten. Auch diese Alternative offenbart nun allerdings eine Tücke der Sprachversionen. Im UK wird angesichts der abweichenden Fassung („insofar as one of them still resides there“) intensiv darüber gestritten, ob nach Aufgabe des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts durch einen Ehegatten der verbleibende dort weiter habitual residence beibehalten muss oder schlichte residence genügt.100 Die deutsche Fassung ereilt dieserart translatorisch verursachter Auslegungsbedarf erst im 5. und 6. Spiegelstrich (unten Rn 43). Man wird wohl in der englischen Fassung einen philologischen Versuch eleganterer Formulierung (statt „still habitually resides there“) vermuten dürfen, wenngleich philologische Glättung bei der Übersetzung von Normtexten fehl am Platz ist.101 c) Interessenungleichgewicht 28 Nicht unproblematisch ist dieser Gerichtsstand aus Sicht der Interessen des auswandern-

den Ehegatten. Zwar kann er ebenfalls von dieser Zuständigkeit Gebrauch machen, was zB auch aus seiner Sicht sinnvoll ist, wenn dort noch gemeinsame Kinder leben. Problematisch aber ist, dass er für einen längeren Zeitraum keine andere Zuständigkeitsoption hat. Das forum rei des am ehelichen Aufenthalt Verbliebenen eröffnet keine andere Zuständigkeit und das forum actoris entsteht nur mit zeitlicher Verzögerung unter den Voraussetzungen nach Str 5 und 6, so dass der schnell agierende, am ehelichen Aufenthalt verbliebene Ehegatte das forum actoris des Ausgewanderten gemäß Art 16 ff blockieren kann.102 29 Allgemein prozessrechtlich denkend erscheint dies problemlos; der sich von der gemein-

samen prozessualen Bindung abwendende Antragsteller trägt anscheinend zu Recht die Last der Prozessführung in einem anderen Mitgliedstaat. Bedenkt man freilich die Ambivalenz der Beteiligtenstellung im Eheverfahren, die, jedenfalls auf der Grundlage des Zerrüttungsprinzips, nicht durch den Anspruch, sondern durch die Initiative zu seiner Geltendmachung bestimmt wird, so erscheint diese Risikoverteilung nicht mehr selbstverständlich. Hinzu kommt, dass die Auswanderung in nicht wenigen Fällen eine Rückwanderung in den Heimatstaat angesichts des ehelichen Zusammenbruchs bedeutet; ein Ehegatte, der sich oft nicht primär aufgrund der eigenen Freizügigkeit (Art 45 AEUV), sondern zur Herstellung der Lebensgemeinschaft im Heimatstaat des Partners niedergelassen hat, erleidet einen empfindlichen Nachteil, wenn er – völlig nachvollziehbar – „nach Hause“ zurückkehrt, weil die Bindung an den Aufenthaltsstaat mit dem Scheitern der Partnerbindung entfällt.103

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OLG Koblenz v 26.11.2008 – 9 UF 653/06, FamRZ 2009, 611. Soeben Rn 23 f. Einerseits Ma v Ma [2007] 2 FLR 1018; andererseits Mu v Mu [2007] 1 FLR 1613; dahingestellt in O v O [2010] EWHC 3539. Immerhin hat translatorische Schlamperei im EuZPR Tradition. Schon am ersten Tag der EuGH-Rechtsprechung zum EuZPR überhaupt war in DeBloos/Bouyer Rs 14/76 bei nur vier Sprachversionen in Art 5 Nr 1 EuGVÜ teils „die Verpflichtung“, teils „die streitige Verpflichtung“ adressiert. Kohler NJW 2001, 11. Was von einigen Mitgliedstaaten als Problem gesehen wurde, vgl Borrás-Bericht Nr 32 Abs 1.

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Der dadurch für den Auswanderer entstehende Konflikt wurde aber zu Recht nicht in der 30 Weise gelöst, dass man auf den Gerichtsstand des letzten gemeinsamen Aufenthalts verzichtete. Die Interessen weisen vielmehr auf die Notwendigkeit einer Verstärkung des forum actoris in solchen Situationen, weshalb die insbesondere gegen das Heimatforum (Str 6) gerichtete Kritik der hM zu kurz greift, wenn sie diesen Gerichtsstand isoliert am EU-Recht misst und ihn nicht im Gefüge der jurisdiktionellen Chancengleichheit der Ehegatten sieht. Der tiefere Sinn dieser Lösung wurzelt in der hier (Str 2) eröffneten einseitigen Begünstigung der Interessen des verbleibenden Ehegatten. 3. Forum rei (Str 3) a) Kritik Die nicht nur hilfsweise Zuständigkeit der Gerichte am gewöhnlichen Aufenthaltsstaat des 31 Antragsgegners ist keineswegs so selbstverständlich104, wie dies mit Blick auf Art 2 Brüssel I-VO behauptet wird. Aus den bereits genannten Gründen105 ist es verfehlt, das forum rei im Eheverfahren als vorrangiges Prinzip zu behandeln.106 Das forum rei bedeutet einen Bruch mit der den Beteiligtenrollen im Eheverfahren entsprechenden Suche nach rollenneutraler Zuständigkeitsanknüpfung.107 Die meisten Mitgliedstaaten108 sehen aus gutem Grund das forum rei als solches nicht ausschließlich vor, wenn eine gemeinsame Bindung fehlt,109 sondern stellen überwiegend einen rollenunabhängigen, nur für Ehesachen konzipierten besonderen Gerichtsstand, meist im Heimat- oder domicile-Staat sowohl des Antragstellers als auch des Antragsgegners, zur Verfügung. Der rollenunabhängige Gerichtsstand im Heimatstaat und im Aufenthaltsstaat nach § 98 Abs 1 Nr 1 und Nr 4 FamFG geht darüber hinaus und hätte durchaus als Vorbild eines vollständig rollenneutralen und zugleich zuständigkeitsfreundlichen Systems dienen können. Brüssel II (und IIa) schließen sich einem Minderheitsmodell an110 und installieren ein 32 forum rei im Eheverfahren unter der formal aus Brüssel I übernommenen und für Eheverfahren nicht mehr reflektierten Prämisse, dass ihm eine stärkere Legitimität als dem forum actoris zukomme111 und behandeln in Konsequenz die Ansätze für einen Antragstellergerichtsstand restriktiv Diese Prämisse beruht aber auf einem streitig-zivilprozessualen Rollenverständnis; das Prinzip actor sequitur forum rei hat im modernen Eheverfahren

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MünchKommFamFG/Gottwald Rn 11. Oben Rn 20. Vgl aber Hau FamRZ 2000, 1334; Schack RabelsZ 65 (2001) 622. AA MünchKommFamFG/Gottwald Rn 11, der jedoch den bewusst rollenneutralen und alternativen § 98 Abs 1 Nr 4 FamFG mit der subsidiären örtlichen Zuständigkeit aus § 122 Nr 4 FamFG mischt, die gegenüber rollenunabhängigen örtlichen Zuständigkeiten gerade nachrangig ist. Oben Fn 8. Was MünchKommFamFG/Gottwald Rn 8 missversteht; es gibt kein internationales forum rei „aus § 122 Nr 3 FamFG“, die Internationale Zuständigkeit folgt allein aus § 98 Abs 1 Nr 4 FamFG und unterscheidet gerade nicht nach der Parteirolle. Oben Fn 10. Deutlich Borrás-Bericht Nr 32, betreffend Art 2 lit a 5. und Str 6: „In diesen beiden Bestimmungen wird nämlich ausnahmsweise das forum actoris auf der Grundlage des gewöhnlichen Aufenthalts, wenn auch nur unter Zusatzbedingungen, zugelassen.“ (Hervorhebung d Verf).

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keinen Platz, ist dort auch keineswegs anerkannt,112 sondern bedeutet einen Rückfall in das scheidungsrechtliche Rollenverständnis des endenden 19. Jahrhunderts. Wiederum113 offenbart sich das Problem freilich erst in der Restriktion des forum actoris (Str 5 und 6); ein gleichwertiges forum rei wäre nicht bedenklich, würde man es nur so nennen, ohne es zu bevorzugen; inakzeptabel ist aber die Einschränkung des korrespondierenden forum actoris. 33 Eine andere Frage ist, ob das forum actoris sich – wie noch in den meisten Mitgliedstaaten –

an der Staatsangehörigkeit bzw dem domicile orientieren sollte, oder beim gewöhnlichen Aufenthalt ansetzen sollte. Den Verfassern der VO ist durchaus zuzugeben, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Antragstellers manipulierbar ist und deshalb wohl einer Verstärkung bedarf, um zuständigkeitsbegründend zu wirken (vgl Str 5). Das Problem liegt darin begründet, dass die Staatsangehörigkeit (bzw das domicile) als stabiles Kriterium gemieden wurde.114 Art 3 macht den EU-Bürger in seinen persönlichsten Statusangelegenheiten heimatlos, opfert dafür den der Ehesache angemessenen rollenunabhängigen Gerichtsstand und begründet dies alles verfehlt mit einem in Ehesachen nicht existierenden Prinzip des forum rei. b) Bestimmung 34 Die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts des Antragsgegners erfolgt in gleicher Weise

wie die eines gemeinsamen. Eine bestimmte Dauer ist ebensowenig erforderlich wie weitere (zB staatsangehörigkeitsrechtliche) Beziehungen zum Gerichtsstaat; beides sind nur Kriterien in der Gesamtabwägung. Art 3 verzichtet auch durchgehend auf kollisionsrechtliche Elemente, das forum rei als nur in der Person eines Ehegatten verwurzelter Gerichtsstand besteht ohne eine Anerkennungsprognose (vgl § 98 Abs 1 Nr 4 FamFG). Im Verhältnis zu Mitgliedstaaten wäre eine Anerkennungsprognose unsinnig, denn die VO schafft ja gerade die Voraussetzungen für die Anerkennung als Regel. Im Verhältnis zu Drittstaaten muss das Risiko einer hinkenden Ehescheidung die Mitgliedstaaten zu Recht nicht stören, solange die Anerkennungsfähigkeit der Scheidung nur innerhalb der Gemeinschaft einheitlich beurteilt wird. Die Zuständigkeit bleibt auch insoweit kraft perpetuatio fori internationalis erhalten, wenn der Antragsgegner nach Anrufung des Gerichts seinen gewöhnlichen Aufenthalt verlegt. Hingegen sieht Art 3 Abs 1 keine originäre Zuständigkeitsanknüpfung an den letzten oder einen früheren gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners vor;115 dieses Kriterium greift nur für den letzten gewöhnlichen Aufenthalt beider Ehegatten. 4. Gemeinsamer Scheidungsantrag (Str 4) a) Kritik 35 Der Gerichtsstand am gewöhnlichen Aufenthalt eines Ehegatten im Fall eines gemein-

samen Antrags ist unbedenklich. In notwendiger Fortführung des irrig installierten forum rei strukturiert ihn freilich Art 3 als forum actoris, bei dem, da es doppelt auftritt, die Parteien die Wahl haben. Erneut legt sich hier die rein zivilprozessuale Sicht über das Ehe112 113 114 115

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So aber Zöller/Geimer Rn 4; Hausmann EuLF 2000/01, 276; vgl dazu die Nachweise oben Fn 6, Fn 8. Vgl schon oben Rn 28 f. Hierzu oben Rn 3. Rb ’s-Gravenhage NIPR 2007, 159.

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verfahren, was zu dem Argument führt, dieses Forum beruhe auf dem Einverständnis der Parteien, sei fast etwas wie eine Gerichtsstandsvereinbarung116 oder eine rügelose Einlassung.117 Würde die Gleichwertigkeit des forum actoris mit dem forum rei im Eheverfahren anerkannt, so bedürfte es dieses Gerichtsstands nicht. Das Scheidungsverfahren kann ohnehin nur in einem Gerichtsstand geführt werden, ein Scheidungsantrag des Antragsgegners wäre nach den Grundsätzen konkurrierender Rechtshängigkeit (Art 19) zu behandeln. Nur die verfehlte Prozesssicht des forum rei macht die Situation des gemeinsamen Antrags zum Problem, beschwört Bemühungen herauf, diesen Gerichtsstand damit zu rechtfertigen, dass der Beklagte nicht gegen seinen Willen geschützt werden müsse;118 immerhin ist das Problem zutreffend gelöst. b) Gemeinsamer Antrag Ein gemeinsamer Antrag liegt vor, wenn beide Ehegatten die Scheidung (oder Trennung) 36 der Ehe begehren, wobei unerheblich ist, ob dies, soweit lege fori überhaupt möglich, in einer gemeinsamen Antragsschrift119 oder in getrennten Antragsschriften geschieht. Der Gerichtsstand ist aber auch dann eröffnet, wenn formell nur ein Ehegatte die Scheidung beantragt und der andere zustimmt oder einwilligt.120 Anderenfalls wäre die Bestimmung bedeutungslos: Stellen beide Ehegatten förmlich Scheidungsantrag im Aufenthaltsstaat eines von ihnen, so ergäbe sich die internationale Zuständigkeit für einen der Anträge ohnehin im forum rei, für den anderen sodann als Gegenantrag aus Art 4. Dies bedeutet nicht die Denaturierung dieses Gerichtsstandes zu einem Gerichtsstand der rügelosen Einlassung;121 gerichtsstandsbegründend wirkt nur die ausdrücklich den Antrag bejahende Einlassung des Antragsgegners. Da alle Gerichtsstände in Art 3 alternativ sind, kann jedoch auch ein gemeinsamer Scheidungsantrag im Gerichtsstand des (letzten) gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts gestellt werden.122 c) Form Fraglich ist, ob das Einverständnis in einer Form ausgedrückt sein muss, die dem Schei- 37 dungsstatut123 oder den materiellrechtlichen Regelungen der lex fori entspricht. Stellt man auf materielles Recht ab, so scheitert die internationale Zuständigkeit gegebenenfalls am Fehlen einer einverständlichen Scheidung im Scheidungsstatut oder im Forumstaat. Das kann schwerlich gewollt sein. Zuständigkeitsrechtlich kann es nicht darauf ankommen, welche materiell- oder verfahrensrechtliche Bedeutung ein Einverständnis hat und ob das Einverständnis den Ausgang des Verfahrens überhaupt beeinflusst. Rechtfertigung für diesen Gerichtsstand ist nicht die materielle Mitgestaltung der Ehescheidung durch den Antragsgegner, sondern sein Einverständnis mit der Führung des Scheidungsprozesses vor dem angerufenen Gericht. Wie dieses Einverständnis zu erklären ist, ist daher prozessual

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Vgl aber MünchKommFamFG/Gottwald Rn 14. Hausmann EuLF 2000/01, 277. Spellenberg FS Geimer (2002) 1267. Vgl Hau FamRZ 2000, 1335. Hau FamRZ 2000, 1335; Hausmann EuLF 2000/01, 277; Spellenberg FS Geimer (2002) 1267; Geimer/ Schütze/Dilger Rn 21. So aber Mostermans NIPR 2001, 293, 297. Trib Belluno Riv dir int priv proc 2011, 140. Spellenberg FS Geimer (2002) 1267; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 22; Zöller/Geimer Rn 5.

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zu bestimmen. Insoweit sollte freilich nicht prozessrechtlich auf die lex fori abgestellt,124 sondern eine autonome Lösung gesucht werden, vor allem, um eine unterschiedliche Handhabung zu Postulationsfähigkeit und Parteierklärungen zu Protokoll zu vermeiden: Es bedarf einer ausdrücklichen Zustimmung des Antragsgegners zu dem Scheidungsantrag im laufenden Verfahren, die nicht formgebunden ist.125 d) Verschiedenartige Anträge 38 Nicht genügend ist es, wenn die Ehegatten verschiedenartige Anträge stellen, die in den

Anwendungsbereich des Art 1 Abs 1 lit a fallen, also zB ein Scheidungsantrag mit einem Ehetrennungs- oder Eheaufhebungsantrag konkurriert. Besteht die internationale Zuständigkeit für einen dieser Anträge jedoch im forum rei (Str 3), so ergibt sich für den anderen Antrag als Gegenantrag die Zuständigkeit aus Art 4. Dabei kommt es nicht auf die Frage an, ob beide Anträge denselben Streitgegenstand iSd lex fori oder iSd Art 19 betreffen. Das wird nur relevant für die Frage, ob über den Gegenantrag auch in einem anderen Mitgliedstaat entschieden werden könnte, oder ob Art 19 eingreift. 5. Forum actoris (Str 5) a) Kritik 39 (1) Die Zuständigkeit der Gerichte am gewöhnlichen Aufenthaltsstaat des Antragstellers

wird in der VO als ein forum actoris begriffen, das als Ausnahme gegenüber dem forum rei nach Rechtfertigungen sucht.126 Geradezu befremdlich ist es, dass im deutschen Schrifttum der Eindruck vorzuherrschen scheint, dieses forum actoris sei ungewöhnlich. Schon die Verwendung des dem Eheverfahrensrecht sonst fremden Begriffs Klägergerichtsstand127 signalisiert Ausnahmecharakter und macht zugleich deutlich, dass der Begriff an der familienverfahrensrechtlichen Situation der Antragstellerrolle vorbeigeht. Die Kritik merkt gar an, diese Ausnahme sei (zu) großzügig bemessen,128 nur bei enger Auslegung129 erträglich und eine Ausnahme von ehernen international-prozessrechtlichen Grundprinzipien. Bemerkenswert selten wird gesehen, dass Art 3 unter wesentlich engeren Bedingungen als das deutsche Prozessrecht (§ 98 Abs 1 Nr 4 FamFG) eine Zuständigkeit an den gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers anknüpft; gerade aus deutscher Sicht wäre also eher Verwunderung über die merkwürdige Klageorientierung des Art 3 zu erwarten, zumal die 1986 geführte Diskussion um den Übergang von § 606 b aF ZPO zum damals neuen § 606 a ZPO, die zu einer erheblichen Erweiterung des einseitigen Gerichtsstandes führte, noch erinnerlich sein sollte. 40 (2) Das Dilemma, in das sich schon die Verfasser des Übereinkommens Brüssel II gebracht

haben und das die dortigen Verhandlungen um den „Klägerinnengerichtsstand“130 des Art 3 Abs 1 lit 1 a Str 6131 provozierte, liegt nicht in der Weite des forum actoris, sondern in seiner 124 125 126 127 128 129 130 131

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So Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 7; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 15. So wohl auch Geimer/Schütze/Dilger Rn 21 f. Borrás-Bericht Nr 32. Spellenberg FS Geimer (2002) 1268; Hau FamRZ 2000, 1334; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 19. Hau FamRZ 2000, 1334. Spellenberg FS Geimer (2002) 1268. Insoweit zu Recht kritisch gegen die verfehlte Motivation: Pirrung ZEuP 1999, 844. Unten Rn 45 ff.

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Enge, die aus der verfehlten Differenzierung nach der Parteistellung herrührt.132 Der Vorschlag einiger Mitgliedstaaten, die internationale Zuständigkeit an die räumliche Bindung jedes der Ehegatten anzuknüpfen, ist – wie die Staatsangehörigkeitsanknüpfung – am „Geist des Übereinkommens [Brüssel II]“133 gescheitert. Dieser Geist war vom kontradiktorischen Denken aus Brüssel I beeinflusst und hat zugunsten eines prozessualen Rollenverständnisses das moderne Verständnis einer verursachungs- und rollenneutralen Bewältigung des Scheiterns der Ehe verdrängt: Die Suche nach der Gerichtspflichtigkeit lässt sich im Eheverfahren nicht mit dem beschworenen Prinzip actor sequitur forum rei134 beantworten. Leben die Ehegatten nicht mehr im selben Staat und lassen sich auch keine fortdauernden Bindungen wenigstens eines von ihnen an einen früheren gemeinsamen Aufenthalts- oder Heimatstaat feststellen, so stehen in einer gescheiterten Ehe die Aufenthaltsstaaten jedes der Ehegatten als potentielle fora gleichwertig gegenüber. Jeder der Ehegatten hat ein berechtigtes Interesse, seine Statusangelegenheit in seinem gewöhnlichen Aufenthaltsstaat geregelt zu bekommen. Auch hier wäre ein Blick in die USA erhellend gewesen: Einige Monate bona fide residence des Antragstellers begründen die jurisdiction in divorce matters in den meisten Bundesstaaten, ohne dass dies als Verstoß gegen den Beklagtenschutz aufgefasst würde. Klärungsbedürftig wäre dann allenfalls die Frage gewesen, ob der gemeinsame letzte Aufenthaltsstaat vorrangig zuständig bleibt, solange ein Ehegatte dort noch lebt (vgl für die interne, örtliche Zuständigkeit § 122 Nr 1 FamFG), oder ob trotz der Tendenz, Europa als einheitlichen justiziellen Raum zu verstehen, schon die räumliche Dimension nach einer alternativen Anknüpfung an den Aufenthalt nur eines Ehegatten verlangt. Art 3 wird weder der abgestuften Interessenlage gerecht, noch der Interessenlage im Eheverfahren und beschwört zudem Hilfslösungen herauf, die von derselben hM als europarechtswidrig gebrandmarkt werden. b) Dauer des gewöhnlichen Aufenthalts (1) Die internationale Zuständigkeit der Gerichte im Mitgliedstaat des gewöhnlichen Auf- 41 enthalts des Antragstellers setzt voraus, dass dieser sich dort seit mindestens einem Jahr unmittelbar vor der Antragstellung aufgehalten hat. Der Begriff ist identisch mit dem der übrigen Alternativen.135 Es werden also weder Aufenthaltszeiten kumuliert, noch wird die Zuständigkeit über die Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts hinaus perpetuiert. Andererseits stellt sich die Frage nach vorübergehenden Unterbrechungen des Aufenthalts nicht, da ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht ständige Präsenz voraussetzt; Urlaube, Geschäftsreisen uä unterbrechen selbstverständlich nicht den gewöhnlichen Aufenthalt. Nicht genügend ist es nach dem Wortlaut der Bestimmung („vor der Antragstellung“), wenn 42 die Jahresfrist während der Anhängigkeit des Verfahrens abläuft.136 Das würde dazu führen, dass der Antrag trotz Ablauf der Frist in der letzten mündlichen Verhandlung mangels

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Dazu schon oben Rn 28 ff. Borrás-Bericht Nr 33 mit dem nur für die Ablehnung einer einseitigen Staatsangehörigkeitsanknüpfung einigermaßen tragfähigen Argument, es könne in einem solchen Fall völlig an der faktischen Bindung zu dem jeweiligen Staat fehlen. Vgl zur Entstehung Kennett ICLQ 48 (1999) 468. V v V [2011] EWHC 1190; Cass civ Riv dir int priv proc 2010, 750, 753. Dem Wortlaut folgen: MA v MA [2007] 2 FLR 1018; V v V [2011] EWHC 1190; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 8.

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internationaler Zuständigkeit abgewiesen werden müsste.137 Dies kann schwerlich sinnvoll sein, weil für einen sogleich gestellten erneuten Scheidungsantrag das Gericht zuständig wäre, so dass lediglich unnötige, beide Beteiligte belastende Kosten ausgelöst werden. Das Problem wird auch nicht durch eine rügelose Einlassung gelöst, weil diese die internationale Zuständigkeit nicht begründet. Es ist daher zu differenzieren: Wird der Mangel der internationalen Zuständigkeit festgestellt, ehe die Jahresfrist abgelaufen ist, ist der Antrag abzuweisen; eine „Rettung“ des Antrags durch geschickte Terminierung ist unzulässig.138 Stellt sich der Mangel der Zuständigkeit erst nach Ablauf der Jahresfrist heraus (nachträgliche Erkenntnisse oder verzögerte Bearbeitung), so verlangt die Verfahrensökonomie danach, in der Sache zu entscheiden.139 Etwas anderes gilt, wenn inzwischen ein weiteres Verfahren vor einem zuständigen Gericht anhängig ist, das nach Art 19 Abs 1 ausgesetzt werden musste; die vom Erstgericht anzustellende Zuständigkeitsprüfung (Art 19 Abs 1, 3) muss dann auf die maßgeblichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit140 abstellen, wobei es auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Antrags beim Zweitgericht ankommt.141 War in diesem Zeitpunkt der erste Antrag schon zulässig geworden, ist der Vorrang des Erstgerichts zu Recht begründet. In diesem Fall steht auch die Verfahrensökonomie nicht entgegen, da eines der Verfahren ohnehin durch Abweisung als unzulässig enden muss. 43 (2) Fraglich kann nach dem Wortlaut sein, ob während eines Jahres bis zur Antragstellung

gewöhnlicher Aufenthalt bestanden haben muss, oder ob auch ein schlichter Aufenthalt genügt, der sich erst während des Jahres vor der Antragstellung zu einem gewöhnlichen verfestigt hat.142 Das Problem dürfte überwiegend akademischer Natur sein, denn gewöhnlicher Aufenthalt setzt, mit Ausnahme von Fällen der Kindesentführung, nicht den Nachweis tatsächlicher Integration voraus. Gerade deshalb kommt dem Niederlassungswillen bei Beurteilung des Lebensmittelpunktes trotz der Tatsächlichkeit des Begriffs Bedeutung zu.143 Es mag zwar Fälle geben, in denen ein Ehegatte zunächst nur schlichten, vorübergehenden Aufenthalt nehmen will, dann aber einen Lebensmittelpunkt begründet, nur wird es kaum einen Rechtsanwalt geben, der dies dem Gericht anschließend offenbart. Folgt man der Zielsetzung dieser Zuständigkeitsalternative, so liegt die (vermeintlich notwendige) Rechtfertigung des Antragstellergerichtsstandes in einer gewissen Qualifikation der Bindung;144 137

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Aus deutscher Sicht ist das umso merkwürdiger, weil selbst die materiell-rechtliche Frist des § 1565 Abs 2 BGB sich im Scheidungsverfahren noch vollenden kann. Vgl zum Parallelproblem bei § 1565 Abs 2 BGB: Staudinger/Rauscher (2010) § 1565 Rn 100; insoweit aA NK-BGB/Gruber Rn 37. Ebenso Gruber IPRax 2005, 293, 294; NK-BGB/Gruber Rn 37; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 123; Geimer/Schütze/Dilger Vorbem Art 5 Rn 66. Wie hier: Gruber IPRax 2005, 293, 294; wohl auch Hau FamRZ 2000, 1339; zweifelnd Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 124. Zutreffend NK-BGB/Gruber Rn 39. Zweifelnd Spellenberg FS Geimer (2002) 1268; ausdrücklich in diesem Sinn wird die Bestimmung insbesondere verstanden von: Mu v Mu [2008] 1 FLR 1613; V v V [2011] EWHC 1190; O v O [2010] EWHC 3539; App Bruxelles Rev trim dr fam 2011, 50 (note Fallon); Trib Belluno Riv dir int priv proc 2012, 452, Trib Tivoli Riv dir int priv proc 2011, 1097; was wohl auch zusammenhängt mit der Begrifflichkeit „residence“ und „habitual residence“ bzw „residence habituelle“, die eher eine bewusst abweichende Formulierung nahelegt; vgl auch oben Rn 22a. Dazu oben Rn 22b. Hau FamRZ 2000, 1334.

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das legt es nahe, gewöhnlichen Aufenthalt für ein Jahr zu verlangen, zumal das Wortlautargument schwach ist, wenn man sich verdeutlicht, dass die Formulierung anderenfalls sprachlich recht unbeholfen ausgefallen wäre. c) Personenkreis Da diese Zuständigkeit nur an den gewöhnlichen Aufenthalt anknüpft, kommt sie unab- 44 hängig von der Staatsangehörigkeit jedem Antragsteller zugute, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat. Weil die Zuständigkeiten des Art 3 alternativ gestaltet sind, besteht dieser Antragstellergerichtsstand auch dann, wenn der Antragsgegner (sogar mit gemeinsamen Kindern) im früheren gemeinsamen Aufenthaltsstaat lebt. Andererseits steht vor Jahresfrist dem Antragsteller nur das forum rei zur Verfügung, auch wenn der Antragsgegner in einen Mitgliedstaat gezogen ist, zu dem sich aus dem Verlauf des gemeinsamen Lebens keinerlei Bindungen ergeben, weshalb es dem Antragsteller im Grunde nicht zuzumuten ist, dort die Regelung gemeinsamer Statusfragen zu suchen. 6. Forum actoris im Heimatstaat (Str 6) a) Normgeschichte, Kritik (1) Die Schaffung eines forum actoris im Heimatstaat des Antragstellers nach nur 6-mo- 45 natigem gewöhnlichem Aufenthalt versucht, der besonderen Situation von anlässlich der Ehekrise in ihr Heimatland zurückkehrenden Ehegatten gerecht zu werden. Da statistisch häufiger die nicht berufstätige Ehefrau dem Ehemann bei Eheschließung in dessen Heimatland folgt, stehen wohl auch häufiger Ehefrauen in der Ehekrise vor diesem Rückkehrproblem. Die unter dem Druck einiger Mitgliedstaaten schon in das Brüssel II-Übereinkommen aufgenommene Regelung ist wegen ihrer systemwidrigen Sondernatur der Kritik ausgesetzt.145 Zudem wird verbreitet angenommen, die schnellere Gewährung eines Antragstellergerichtsstandes im Heimatstaat verstoße gegen das Diskriminierungsverbot des Art 18 AEUV (vormals Art 12 EGV), weil einem dort lebenden EG-Ausländer nur unter der Voraussetzung des Str 5, also nach einem Jahr, ein Antragstellergerichtsstand entstehe.146 (2) Die Systemkritik ist wohl gerechtfertigt, greift aber zu kurz. Die Interessen in den Hei- 46 matstaat zurückkehrender Antragsteller wurden nur deshalb zum Problem, weil neben den letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt das forum rei tritt, das verfehlt147 an die Parteirolle anknüpft und zudem einseitig dem am ehelichen Aufenthalt Verbliebenen ein Wahlrecht gibt.148 Die Schöpfer des „Klägerinnengerichtsstandes“ haben also zwei Systemfehler durch einen dritten korrigiert.149 Ein einseitiger rollenunabhängiger Aufenthaltsgerichtsstand hätte das Problem vermieden.

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Pirrung ZEuP 1999, 844: „Klägerinnengerichtsstand“. Hau FamRZ 2000, 1336; Hau FamRZ 2002, 1596; Spellenberg FS Geimer (2002) 1270; Simotta FS Geimer (2002) 1154; Schack RabelsZ 65 (2001) 623; Geimer/Schütze/Dilger Rn 42 ff; aA Kohler NJW 2001, 11. Dazu oben Rn 31 f, Rn 39. Dazu oben Rn 28. Dies wird auch aus dem Borrás-Bericht Nr 32 sehr deutlich, der darlegt, dass nach Zurückweisung des Vorschlags, einen parteirollenunabhängigen Aufenthalts- oder Staatsangehörigkeitsgerichtsstand zu schaffen, die Frage des Schutzes der rückkehrenden Ehefrauen aufbrach.

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47 (3) Nicht berechtigt erscheint hingegen der inzwischen herrschende150 Vorwurf des Ver-

stoßes gegen Art 18 AEUV/Art 12 EGV aF.151 Die Bestimmung gibt jedem Unionsbürger die Chance, in seinem Heimatstaat nach einem abgekürzten Aufenthaltszeitraum eine Zuständigkeit zu erlangen. Es wird also nicht etwa aus Sicht einzelner Mitgliedstaaten dem eigenen Bürger ein Vorteil gegenüber anderen Unionsbürgern eingeräumt, sondern eine für jeden Unionsbürger und jeden Mitgliedstaat unterschiedslos geltende autonome Bestimmung geschaffen. Die Regelung fördert mittelbar sogar die Freizügigkeit, weil der seinem Ehegatten in einen anderen Mitgliedstaat folgende Unionsbürger von nachteiligen prozessualen Konsequenzen der Rückkehr weitgehend verschont wird. Dass die wohl hM zu einem anderen Ergebnis gelangt, liegt daran, dass als tertium comparationis nicht die Gesamtheit der EU-Bürger in allen Mitgliedstaaten herangezogen wird, sondern auf den Antragsgegner oder einen bestimmten fiktiven Antragsteller im jeweiligen Gerichtsstaat abgestellt wird. Anders als eine nationale Norm, die immer nur auf den jeweiligen Staat bezogen und deshalb auch auf diesen bezogen zu subsumieren ist, verstößt eine Norm des Europarechts nur dann gegen Art 18 AEUV, wenn sie in ihrer Gesamtbilanz nach einer bestimmten Staatsangehörigkeit differenziert. Das vermeintliche Diskriminierungsproblem berührt in Wirklichkeit nicht Art 18 AEUV, sondern die zutreffende Gewichtung der Antragsteller- und Antragsgegnerinteressen im Rahmen eines forum actoris. Insoweit ist die Differenzierung – auf den konkreten Fall und Forumstaat bezogen – sachgerecht; sie knüpft nicht an die Staatsangehörigkeit als Rechtsbeziehung, sondern nimmt sie zum Kriterium der Beurteilung eines reinen Faktums: Es wäre gänzlich realitätsfern, wollte man annehmen, dass die qualifizierte Bindung des Antragstellers, die primär durch den einjährigen gewöhnlichen Aufenthalt nachgewiesen werden soll, in jedem beliebigen Mitgliedstaat ebenso schnell eintritt wie im Heimatstaat. Art 18 AEUV kann nicht die Tabuisierung der Staatsangehörigkeit als Kriterium der Bindung verlangen, man würde dann trotz Fehlens einer europäischen Staatsangehörigkeit schon die schiere Fortexistenz der Nationalstaaten als solche für europarechtswidrig halten.152 Selbstverständlich muss es auch zulässig bleiben, bei der Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthalts als solchem der Abstammung, der kulturellen Einbindung und der durch Spra-

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Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 29; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 9; Zöller/Geimer Rn 6, 14, 18; Geimer/ Schütze/Dilger Rn 42 ff; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 26; zweifelnd NK-BGB/Gruber Rn 50; eingehend zum Streitstand Dilger IPRax 2006, 617, 619; aA Pabst Rn 422 ff. Die Frage wurde durch das OLG München v 14.10.2002 – 26 UF 1858/01, FamRZ 2003, 546 dem EuGH vorgelegt, zwischenzeitlich wurde der Vorlagebeschluss jedoch zurückgenommen. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 29 weist zutreffend darauf hin, dass eine Vorlage durch ein Gericht unwahrscheinlich ist, weil die Jahresfrist des 5. Spiegelstrichs in aller Regel ablaufen wird, ehe der Fall in die letzte Instanz gelangt. Denkbar wäre allerdings eine Vorlage, wenn nach nur 6-monatigem gewöhnlichen Aufenthalt der ausländische Antragsteller den Gerichtsstaat wieder verlässt und sich auf die perpetuatio fori stützt; trotz Entscheidungserheblichkeit nicht vorgelegt hat Cass civ IPRax 2006, 611, wo noch nicht einmal Zweifel an der Regelung geäußert werden; dazu Dilger IPRax 2006, 617, 617. Was angesichts der reflexhaft abwehrenden Reaktion im deutschen Schrifttum auf die bloße Verwendung der Staatsangehörigkeit als Tatbestandsmerkmal zu befürchten ist, die den gesunden Urgedanken des „Europa der Vaterländer“ zugunsten eines internationalistischen Europabildes verrät, das dem Menschen keine Heimat ist. Dilger IPRax 2006, 617, 619 weist darauf hin, dass dem französischen Schrifttum die Frage fremd ist.

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che vermittelten Kommunikations- und Integrationsfähigkeit im Heimatstaat Bedeutung beizumessen.153 b) Voraussetzungen der Zuständigkeit (1) In den Tatbestandsvoraussetzungen entspricht diese Zuständigkeit dem forum actoris 48 des Str 5. Die Dauer des – ununterbrochenen – gewöhnlichen Aufenthalts bei Antragstellung154 wird jedoch auf sechs Monate reduziert, wenn der Antragsteller die Staatsangehörigkeit des Gerichtsstaats besitzt. Einen maßgeblichen Zeitpunkt nennt die Bestimmung nur für das Aufenthaltskriterium, nicht für die Staatsangehörigkeit. Die Wendung „Staatsangehöriger … ist“ bedeutet jedoch, dass eine frühere Staatsangehörigkeit, insbesondere im Zeitpunkt der Eheschließung, nicht beachtlich ist.155 Dass die Staatsangehörigkeit bei Antragstellung bestehen muss, ist dem Wortlaut nicht zu entnehmen. Dennoch sollte zwischen dem nachträglichen Erwerb der Staatsangehörigkeit und dem nachträglichen Ablauf der Aufenthalts-Jahresfrist nicht unterschieden werden: Erwirbt der Antragsteller die Staatsangehörigkeit erst während des Verfahrens, so wird der zunächst unzulässige Antrag (nur) unter denselben Voraussetzungen zulässig, wie nach Ablauf der Jahres-Aufenthaltsfrist.156 Die Staatsangehörigkeit des UK oder Irlands begründet in beiden Staaten nicht diesen Gerichtsstand, weil das domicile157 insoweit, anders als der Wortlaut vermuten lässt, nicht neben die Staatsangehörigkeit tritt, sondern sie als – nur in diesen beiden Staaten geltendes Kriterium158 – ersetzt. Im Übrigen bestimmt über die Staatsangehörigkeit das Recht des jeweiligen Staates. (2) Nicht ausdrücklich geregelt ist die Behandlung von Mehrstaatern.159 Eine Behandlung 49 nach den jeweiligen nationalen Regelungen160 ist abzulehnen; nur eine autonome Lösung kann die einheitliche Anwendung der VO sicherstellen.161 Nach der nun auch ausdrücklich für Art 3 Abs 1 lit b bestätigten162 Rechtsprechung des EuGH163 kann kein Mitgliedstaat darüber hinweggehen, dass ein Staatsangehöriger auch die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitzt. Dies verbietet auch eine autonome Effektivitätsbeurteilung oder die Bevorzugung einer gemeinsamen Staatsangehörigkeit.164 Auch die ratio der Rege153

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So auch EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843, 845 Rn 39: Staatsangehörigkeit als Indiz für den gewöhnlichen Aufenthalt eines Kindes (Art 8) begründende Integration. Auch hier stellt sich das Problem des Fristablaufs im Verfahren (oben Rn 42): Hof ’s Hertogenbosch NIPR 2012, 40. Hau FamRZ 2000, 1337. Oben Rn 42. Sogleich Rn 51 ff. Borrás-Bericht Nr 33. Eingehend zu der Problematik auch im Zusammenhang mit europäischem Kollisionsrecht: Bariati YPIL 13 (2011) 1. Borrás-Bericht Nr 33. EuGH v 16.7.2009 – Rs C-168/08 Hadadi/Mesko-Hadadi, IPRax 2010, 66; Lagarde RTD eur 2010, 770, 771. EuGH v 16.7.2009 – Rs C-168/08 Hadadi/Mesko-Hadadi, IPRax 2010, 66. Hausmann EuLF 2000/01, 277. Diese erwägen Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 562; ähnlich Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 104, der jedoch das Urteil des EuGH Rs C-122/96 Saldanha/MTS Securities EuGHE 1997 I 5325 als entgegenstehend ansieht.

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lung, heimkehrenden Ehegatten den Rechtsschutz des Heimatstaates unter erleichterten Voraussetzungen zu gewähren, spricht dafür, nur die Staatsangehörigkeit des jeweiligen Gerichtsstaates zu prüfen und nicht auf deren Effektivität abzustellen. Unabhängig davon, ob der Antragsteller neben der Staatsangehörigkeit des Gerichtsstaates, also eines Mitgliedstaates, noch eine weitere Staatsangehörigkeit besitzt, genügt es also, dass er auch Angehöriger des Gerichtsstaates ist.165 Gehören beide Ehegatten gemeinsam zwei Mitgliedstaaten an, so sind ebenfalls ohne Effektivitätsprüfung die Gerichte beider Heimatstaaten zuständig.166 Eine Effektivitätsprüfung würde hier den Heimatgerichtsstand meist auf den Aufenthaltsgerichtsstand zurückdrängen.167 Umgekehrt besteht aber auch kein Vorrang der eigenen Staatsangehörigkeit, was sich insbesondere außerhalb des Art 3 Abs 1 lit b auswirkt, insbesondere, wenn im Rahmen des Art 6 lit b, Art 7, die internationale Zuständigkeit in einem anderen Mitgliedstaat zu beurteilen ist.168 Auch insoweit genügt die Staatsangehörigkeit des (potentiellen) Gerichtsstaats, was dem Doppelstaater auch zum Nachteil gereichen kann.169 Im Grundsatz ebenso ist zu verfahren, wenn neben der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats die eines Drittstaats besteht;170 ohne Prüfung der Effektivität ist die Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaats, sofern die Ehegatten sie teilen, zuständigkeitsbegründend. Selbst wenn ein anderer gemeinsamer Heimatstaat ausschließliche Zuständigkeit beansprucht, hat dies auf die Anwendung von Art 3 in den Mitgliedstaaten keinen Einfluss, kann aber zu hinkender Anerkennung der Ehescheidung nur innerhalb der Mitgliedstaaten führen. 50 (3) Staatenlose können hingegen, anders als in § 98 Abs 1 Nr 3 FamFG, nicht wie Staats-

angehörige ihres Aufenthaltsstaates behandelt werden. Systematisch ergibt sich dies, weil in Art 3 Abs 1 lit a Str 6 die Staatsangehörigkeit als Tatbestandsmerkmal kumulativ neben den gewöhnlichen Aufenthalt tritt. Teleologisch gesehen fehlt dem Staatenlosen eine den gewöhnlichen Aufenthalt verstärkende Bindung durch die Staatsangehörigkeit. Staatenlose sind im Übrigen nicht Unionsbürger, so dass die durch diese Bestimmung angestrebte Privilegierung von Unionsbürgern ihnen nicht zugute kommt. Staatenlose Antragsteller können also nur das forum actoris des Str 5 nutzen.171

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Rb ’s-Gravenhage NIPR 2008, 516; Hof ’s-Gravenhage NIPR 2013, 206; Hau FamRZ 1999, 486; Hau FamRZ 2000, 1337; NK-BGB/Gruber Rn 43; Geimer/Schütze/Dilger Vorbem Art 3 Rn 28 ff; Thomas/ Putzo/Hüßtege Rn 10; kritisch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH: Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 104. EuGH v 16.7.2009 – Rs C-168/08 Hadadi/Mesko-Hadadi, IPRax 2010, 66; zustimmend Dilger IPRax 2010, 54, 57; Hau IPRax 2010, 50, 52; Lagarde RTD eur 2010, 770, 773; Brière Rev crit DIP 2010, 191, 197; kritisch vom Standpunkt einer grundsätzlichen Relativierung der Bindung an den Heimatstaat: Kohler FamRZ 2009, 1574 f.; d’Avout JDI 2010, 163, 176 ff. Dilger IPRax 2010, 54, 57. Hau IPRax 2010, 50, 53. Vgl dazu unten Rn 59; Schack RabelsZ 65 (2001) 624 weist zutreffend darauf hin, dass insbesondere Ehegatten benachteiligt werden, die durch Eheschließung eine weitere Staatsangehörigkeit erworben haben. Hau IPRax 2010, 50, 52. NK-BGB/Gruber Rn 45.

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Kapitel II: Zuständigkeit

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c) Domicile substituiert Staatsangehörigkeit Im Fall des UK und Irlands wird die Staatsangehörigkeit als verstärkendes Element durch 51 das domicile ersetzt, weil dieses Kriterium schon im nationalen Verfahrens- und Kollisionsrecht der beiden Staaten funktionell an die Stelle der Staatsangehörigkeit tritt. Das Erfordernis des 6-monatigen gewöhnlichen Aufenthalts ist daneben in gleicher Weise zu prüfen wie neben der Staatsangehörigkeit; obgleich das domicile ein räumlich orientiertes Kriterium ist, wird die Aufenthaltsbestimmung dadurch nicht präjudiziert.172 Durch die eindeutige Zuordnung der Bedeutung des Bleibewillens hat das domicile dem gewöhnlichen Aufenthalt ein größeres Maß an Stabilität und Berechenbarkeit voraus. Der Begriff des domicile bestimmt sich nach britischem und irischem Recht (Qualifikations- 52 verweisung, Abs 2).173 Der Staatsangehörigkeit zu den beiden genannten Mitgliedstaaten kommt, trotz des alternativ formulierenden Wortlauts, daneben keine Bedeutung für die internationale Zuständigkeit zu.174 Das gilt nicht nur aus Sicht der Gerichte dieser beiden Staaten, sondern für die Anwendung der VO insgesamt. Haben also Gerichte im UK oder Irland ihre internationale Zuständigkeit zu beurteilen, so besteht sie nach dem Str 6, wenn der Antragsteller im Gerichtsstaat seit wenigstens sechs Monaten gewöhnlichen Aufenthalt hat und dort domiziliert ist. Dabei müssen im UK als Mehrrechtsstaat beide Kriterien in dieselbe Teiljurisdiktion weisen (Art 66), so dass es zB nicht genügt, wenn der Antragsteller ein englisches domicile hat, sich aber zB seit 6 Monaten gewöhnlich in Nordirland aufhält. Hat ein Gericht in einem anderen Mitgliedstaat, zB im Rahmen von Art 7, zu beurteilen, ob eine Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats besteht, so ist eine Zuständigkeit nach Art 3 lit a Str 6 im UK oder Irland unter Verwendung des domicile-Begriffs zu prüfen. Fraglich ist, wie zu verfahren ist, wenn ein Brite oder Ire sein domicile in einem kontinen- 53 talen Mitgliedstaat hat; in diesem Fall fehlt es mangels domicile im Heimatstaat an der dortigen Heimatzuständigkeit und der kontinentale domicile-Staat knüpft seine Zuständigkeit bei Ausländern nicht an deren inländisches domicile an. Nach einer Ansicht175 soll das dadurch bedingte Fehlen eines „Heimatstaates“ iSd Abs 1 lit a 6. Str, aber auch iSd Abs 1 lit b dadurch vermieden werden, dass aus Sicht des kontinentalen domicile-Staates bei Briten und Iren nicht auf deren Staatsangehörigkeit, sondern auf deren domicile im kontinentalen Gerichtsstaat abgestellt, also die Heimatstaatseigenschaft bejaht wird. Hiergegen spricht schon der Wortlaut, der nicht „im Fall britischer oder irischer Staatsangehöriger“, sondern im Fall des UK und Irlands auf das domicile verweist. Auch die Intention, die Staatsangehörigkeit bzw das domicile auf der Grundlage bisheriger Rechtstradition als zuständigkeitsrechtlich integrierenden Faktor zu übernehmen, spricht gegen die zuständigkeitsrechtliche Beachtlichkeit zB eines „deutschen domicile“. III. Staatsangehörigkeitszuständigkeit (Abs 1 lit b) 1. Kritik Die gemeinsame Staatsangehörigkeit erscheint als Anknüpfungskriterium der Zuständig- 54 172 173 174 175

MünchKommFamFG/Gottwald Rn 21. Dazu unten Rn 62. NDO v JFO (2009) ILPr 8, 104 (English High Court Fam Div). Geimer/Schütze/Dilger Rn 58; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 36.

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keit problemlos. Sie vermittelt, auch bei gemeinsamem oder getrenntem Aufenthalt der Ehegatten in anderen Staaten eine hinreichende gemeinsame Bindung.176 Gleichwohl träfe das – unzutreffend177 – gegen das durch die Staatsangehörigkeit als Kriterium der Bindung verstärkte forum actoris (lit a Str 6) erhobene Argument auch hier theoretisch zu. Wenn deutsche Gerichte für die Scheidung zweier zB in New York lebender Deutscher ohne jede weitere Bindung der Ehegatten an Deutschland international zuständig sind, so diskriminiert dies formal aufgrund Staatsangehörigkeit zwei in New York lebende Italiener, die nicht vor deutschen Gerichten geschieden werden können. Der Einwand hat sich wohl schon deshalb erledigt, weil der EuGH178 sich mit dem Verhältnis zweier nach Abs 1 lit b zuständiger Heimatstaaten befasst hat und daher anzunehmen ist, dass der EuGH die Zuständigkeit in diesem Gerichtsstand nicht als diskriminierend ansieht.179 Abs 1 lit b verstößt auch materiell nicht gegen das Diskriminierungsverbot, denn jeder EUBürger hat in seinem Heimatstaat dieselbe Chance, die internationale Zuständigkeit zu erlangen. Dass gleichwohl aus der großen Zahl derer, die bei Abs 1 lit a Str 6 einen Verstoß gegen Art 12 EGV aF/Art 18 AEUV annehmen, nur wenige auch lit b als diskriminierend ansehen,180 verdeutlicht nur den Irrtum, dem die hM bei lit a Str 6 erliegt: Wenn selbst gemischtnationale Ehegatten durch lit b nicht diskriminiert werden, weil das Fehlen eines gemeinsamen Heimatforums nicht auf ihrer bestimmten Staatsangehörigkeit, sondern auf dem Fehlen einer gemeinsamen beruht,181 so wird erst recht kein EU-Bürger durch lit a Str 6 diskriminiert, weil jeder EG-Bürger in seinem Heimatstaat dieselbe Begünstigung erfährt. 55 Hingegen haben sich schon die Verfasser des Übereinkommens Brüssel II mit Rücksicht auf

den „Geist des Übereinkommens“182 gegen die einseitige Staatsangehörigkeitszuständigkeit entschieden, was verbreitet als selbstverständlich hingenommen wird, jedoch zu einem schwerwiegenden Problem wird, da sich die Zuständigkeitsversagung als erhebliche Scheidungsverzögerung auswirken kann.183 Wiederum würde Art 12 EGV aF/Art 18 AEUV dem nicht entgegenstehen. Es geht hier – wie bei lit a Str 5 und 6 erneut nicht um Diskriminierungsfragen, sondern um die Abwägung der Parteiinteressen, also die Beschränkung oder Ausdehnung des forum actoris. 2. Anknüpfung 56 a) Zuständig sind die Gerichte des Mitgliedstaates, dessen Staatsangehörigkeit beide Ehe-

gatten besitzen.184 Für den maßgeblichen Zeitpunkt gilt dasselbe wie zu Abs 1 lit a Str 6,185 eine Staatsangehörigkeit bei Eheschließung genügt also nicht und eine Heilung der fehlen176

183

Hau FamRZ 2000, 1335. Vgl insoweit oben Rn 47. EuGH Rs C-168/08 Hadadi/Mesko Hadadi FamRZ 2009, 1571. BGH NJW-RR 2013, 641 f.; noch zweifelnd Hau FamRZ 2013, 689, 690. Einen Verstoß gegen Art 12 EGV aF (nun Art 18 AEUV) nehmen an: Hau FamRZ 2000, 1333, 1335; Boele-Woelki ZfRV 2001, 121, 123; Simotta FS Geimer (2002) 1151, 1154; Zöller/Geimer Rn 6; anders die hM: Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 32; Geimer/Schütze/Dilger Rn 59; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 26; zum aktuellen Streitstand Dilger IPRax 2006, 617, 619. So zutreffend Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 32. Borrás-Bericht Nr 33. Dazu im Einzelnen oben Rn 28.

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Art 3 Brüssel IIa-VO

den Zuständigkeit durch Staatsangehörigkeitserwerb im laufenden Verfahren ist nur möglich, wenn kein konkurrierendes Verfahren anhängig ist. b) Wo die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, ist für diese Zuständigkeits- 57 variante ohne Bedeutung, da es sich um eine reine Heimatzuständigkeit ohne räumliches Bindungserfordernis handelt. Lit b gilt also gleichermaßen für Unionsbürger mit Aufenthalt im selben oder in verschiedenen Staaten, innerhalb und außerhalb der Mitgliedstaaten. c) Für Mehrstaater ist, wie bei Abs 1 lit a Str 6,186 nicht auf die Effektivität abzustellen. Es 58 genügt also zuständigkeitsbegründend auch eine nicht-effektive gemeinsame Staatsangehörigkeit, so dass sich die Frage nicht stellt, ob die im IPR verbreitete Regel, bei eigenen Staatsangehörigen diese Staatsangehörigkeit unbeschadet ihrer Effektivität zu beachten, entsprechend gilt. Andererseits kann kein Mitgliedstaat bei Ehegatten, welche beide sowohl diesem als auch einem anderen Mitgliedstaat angehören, seiner Staatsangehörigkeit den Vorzug geben.187 In einem solchen Fall sind beide gemeinsamen Heimatstaaten nach Abs 1 lit b zuständig; doppelte Verfahren stehen zueinander in Verhältnis der Anhängigkeitsbestimmungen (Art 19 ff). Bedenken bestehen in einem Sonderfall: Ehepartner von Staatsangehörigen solcher Mit- 59 gliedstaaten, die bei Eheschließung noch kraft Gesetzes dem ausländischen Ehepartner die Staatsangehörigkeit verliehen hatten,188 werden hierdurch prozessual benachteiligt. Der einem solchen Staat originär angehörende Ehegatte erhält faktisch eine einseitige Staatsangehörigkeitszuständigkeit, ein sonderbarer Lohn für ein länger als anderswo in Europa beibehaltenes antiquiertes – und obendrein meist gleichberechtigungswidriges – Staatsangehörigkeitsrecht. Im Zusammenspiel mit dem hier kritisierten Fehlen einer einseitigen Heimatzuständigkeit189 ist diese faktische Begünstigung der rechtlichen Ausformung eines grundrechtswidrigen Ehebildes schwer hinnehmbar; sie kann freilich nicht auf zuständigkeitsrechtlicher Ebene gelöst werden. d) Staatenlosen steht der Gerichtsstand in Abs 1 lit b nicht zur Verfügung.190 Da jedoch 60 bereits der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt ohne verstärkende Bindung zuständigkeitsbegründend wirkt, ergibt sich bei Staatenlosigkeit beider Ehegatten kein Nachteil. Ist nur ein Ehegatte staatenlos und hat gewöhnlichen Aufenthalt im Heimatstaat des anderen Ehegatten, so sollten entsprechend lit b die dortigen Gerichte zuständig sein; in dieser Konstellation vermittelt der gewöhnliche Aufenthalt des Staatenlosen eine der Staatsangehörigkeit gleichzustellende Bindung.191

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Cass civ Rev crit dip 2005, 515; Cass civ Rev crit dip 2010, 170, 171; Trib Milano Riv dir int priv proc 2011, 1112; Civ Arlon Rev trim dr fam 2009, 728. Oben Rn 48. Oben Rn 49. EuGH Rs C-168/08 Hadadi/Mesko Hadadi FamRZ 2009, 1571. Zutreffend Schack RabelsZ 65 (2001) 624. Zur Kritik oben Rn 31 ff. Vgl oben Rn 50. Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 562.

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60a e) Die Zuständigkeit aus Abs 1 lit b ist nicht ausschließlich.192 Dies bedarf, da keine der in

Art 3 ff bestimmten Zuständigkeiten in dem Sinn ausschließlich ist, dass sie eine andere sich aus der Verordnung (vgl aber Art 6 bis 8 zu nationalen Zuständigkeiten) ergebende Zuständigkeit verdrängt, an sich keiner Erwähnung, ist aber für einige Mitgliedstaaten vor dem Hintergrund von Interesse, dass noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht selten die exklusive Zuständigkeit zur Scheidung eigener Staatsangehöriger in Anspruch genommen wurde. 3. Gemeinsames domicile a) Domicile statt Staatsangehörigkeit 61 Auch in Abs 1 lit b tritt für das UK und Irland das gemeinsame domicile an die Stelle einer

gemeinsamen Staatsangehörigkeit. Dies gilt, wie bei Abs 1 lit a Str 6,193 unabhängig von dem mit der Frage befassten Gerichtsstaat immer dann, wenn sich das in Abs 1 lit b auszufüllende Tatbestandsmerkmal auf die beiden genannten Staaten bezieht und wird für das UK durch die Zuordnung zu einer Teilrechtsordnung (Art 66) überlagert. Daher sind zB italienische Gerichte international zuständig, wenn beide Ehegatten Italiener mit domicile in England sind,194 zugleich aber sind auch englische Gerichte zuständig. Ein französisches Gericht kann nicht gemäß Art 7 eine Restzuständigkeit nach französischem IZPR beanspruchen, wenn der Antragsteller Franzose mit englischem domicile, der Antragsgegner ein in England domizilierter Inder mit gewöhnlichem Aufenthalt in Mumbai ist, weil das gemeinsame domicile eine englische Zuständigkeit begründet. Haben hingegen englische Ehegatten in Deutschland ihr domicile, so geht Abs 1 lit b ins Leere, weil weder englische Gerichte (kein domicile in England195) noch deutsche Gerichte (keine deutsche Staatsangehörigkeit) aus Abs 1 lit b zuständig sind; meist werden in diesem Fall deutsche Gerichte freilich als Aufenthaltsgerichte (Abs 1 lit a) zuständig sein, zumal der europäische Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts zunehmend mit Dauerhaftigkeit des Verbleibs unterlegt wird. b) Begriff des domicile (Qualifikationsverweisung, Abs 2) 62 (1) Für die Bestimmung des domicile verweist Abs 2 in das britische und irische Recht,

spricht also eine Qualifikationsverweisung in das nationale Recht aus. Das ist als Abweichung vom Prinzip autonomer Qualifikation nicht nur deshalb sinnvoll, weil es sich um einen Rechtsbegriff des angelsächsischen Rechtskreises handelt. Ebenso wie jedem kontinentalen Mitgliedstaat die Definitionshoheit über die Verleihung seiner Staatsangehörigkeit zugestanden wird, ist es auch Sache des UK und Irlands, das domicile als den zuständigkeitsrechtlich relevanten Bezug auszufüllen. Deshalb ist, trotz weitgehender Übereinstimmung, nicht von einem einheitlichen domicile-Begriff in den beiden genannten Staaten auszugehen, sondern für Zwecke der Zuständigkeit das Recht des durch die Zuständigkeit jeweils berührten Staates anzuwenden. Auch ein irisches Gericht hat also die Frage, ob die Ehegatten in England domiziliert sind, nach englischem (vgl Art 66) Recht zu beurteilen.

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Cass civ Rev crit DIP 2010, 170, 171. Oben Rn 51 ff. Vgl Trib Milano Riv dir int priv proc 2011, 1112: Italiener mit gewöhnlichem Aufenthalt, offen ob domicile, in Schottland. Ausdrücklich gegen ein hilfsweises Abstellen auf die Britische Staatsangehörigkeit für den Fall eines ausländischen domicile NDO v JFO (2009) ILPr 8, 104 (English High Court Fam Div).

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 4 Brüssel IIa-VO

(2) Der angelsächsische Begriff des domicile196 beschreibt eine gesetzliche Beziehung zwi- 63 schen einer Person und einem Gebiet, innerhalb dessen eine einheitliche Rechtsordnung gilt, wobei diese Beziehung meist, aber nicht zwingend, auch faktischer Natur ist. Anders als die Staatsangehörigkeit kann das domicile nie zu zwei verschiedenen Staaten gleichzeitig bestehen. Es entsteht kraft Gesetzes (domicile by operation of law) mit der Geburt als domicile of origin197 und kann als domicile of choice198 durch faktische Verlegung des Wohnsitzes verbunden mit dem voluntativen Element, dort für eine unbestimmte Zeit ohne Rückkehrabsicht zu verbleiben, verlegt werden. Letzteres setzt wegen des voluntativen Elements Freiwilligkeit und Urteilsfähigkeit voraus.199 Das domicile of choice ist im Gegensatz zum domicile of origin also notwendig auch faktischer Lebensmittelpunkt. Im Gegensatz zum dependent domicile Minderjähriger ist die Figur des matrimonial domicile als abhängiges domicile der Ehefrau aufgegeben und daher das domicile für beide Ehegatten individuell zu bestimmen.200

Artikel 4: Gegenantrag Das Gericht, bei dem ein Antrag gemäß Artikel 3 anhängig ist, ist auch für einen Gegenantrag zuständig, sofern dieser in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt. I.

Zweck 1. Ähnlichkeit zum Widerklagegerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Verhältnis zur Zuständigkeit für gemeinsamen Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

II.

Zuständigkeit für einen Gegenantrag 1. Gegenantrag bei Antrag gemäß Art 3 . . 3 2. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3. Gegenanträge außerhalb des Anwendungsbereichs von Art 3 . . . . . . . 11

I. Zweck 1. Ähnlichkeit zum Widerklagegerichtsstand Art 4 verfolgt denselben Zweck wie der Widerklagegerichtsstand in Art 6 Nr 3 Brüssel I-VO/ 1 Art 8 Nr 3 Brüssel Ia-VO. Das Gericht, bei dem der ursprüngliche Antrag anhängig ist, wird auch für einen eventuellen Gegenantrag zuständig.1 Damit sollen prozessuale Situationen vermieden werden, in denen zwei Gerichte iSd Art 19 mit demselben Anspruch oder verwandten Ansprüchen befasst sind.2 Art 4 bestimmt daher notwendigerweise auch die örtliche Zuständigkeit. Wegen des engen sachlichen Anwendungsbereiches der VO war aller-

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1 2

NDO v JFO (2009) ILPr 8 104, 105; KG EuLF 2007 II 120. Rayden/Jackson on Divorce17 (1997) 48. Ebenda S 39 f. Zum Ganzen Staudinger/Mankowski (2011) Vorbem Art 13 EGBGB Rn 20 ff. Im Gegensatz zum Fall einer durch Eheschließung kraft Gesetzes erworbenen Staatsangehörigkeit (dazu oben Rn 59) perpetuiert sich insoweit also die zuständigkeitsrechtliche Folge eines überholten Familienbildes nicht in Art 3 Abs 1 lit b. Borrás-Bericht Nr 42. Borrás-Bericht Nr 42.

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dings die Zuständigkeit für einen Gegenantrag auf solche Anträge zu begrenzen, die der VO unterfallen. 2. Verhältnis zur Zuständigkeit für gemeinsamen Antrag 2 Für gleichartige Gegenanträge, insbesondere Scheidungsanträge, die sich auf denselben

Scheidungsgrund stützen, ist Art 4 zudem häufig bedeutungslos, weil solche Anträge iSd Art 3 Abs 1 lit a Str 4 in der dort gewählten weiten autonomen Auslegung als gemeinsamer Antrag zu verstehen und damit zuständigkeitsrechtlich privilegiert sind. Bedeutung erlangt Art 4 aber auch in diesem Fall für die örtliche Zuständigkeit. II. Zuständigkeit für einen Gegenantrag 1. Gegenantrag bei Antrag gemäß Art 3 3 a) Art 4 bestimmt eine Art 3 ergänzende Zuständigkeit für Gegenanträge, was alle Anträge

des Antragsgegners in den in Art 3 Abs 1 bezeichneten Verfahren umfasst, insbesondere auch eigenständige Scheidungs- oder Aufhebungsanträge, soweit diese in den sachlichen Anwendungsbereich der VO fallen.3 Eine Art 6 Nr 3 Brüssel I-VO (Art 8 Nr 3 Brüssel Ia-VO) entsprechende Einschränkung auf Gegenantragsgegner mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat fehlt. Im Vergleich zu Art 3, 4 Brüssel I-VO bzw Art 5, 6 Brüssel Ia-VO entspricht dies der offenen (und wenig klar geregelten4) Struktur des räumlich-persönlichen Anwendungsbereichs der Brüssel IIa-VO. 4 b) Der Hauptantrag muss eine Ehesache iSd Art 1 Abs 1 lit a betreffen. Während der

entsprechende Art 5 Brüssel II-VO einen Gegenantrags-Gerichtsstand formal in allen der VO unterfallenden Sachen vorsah, bezieht sich Art 4 ausdrücklich nur auf Art 3, während es für Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung (Art 8 ff) keine entsprechende Regelung gibt. Dies ist zwar prima facie auffällig,5 erklärt sich jedoch daraus, dass die Brüssel II-VO selbstständige Sorgesachen als Hauptantrag nicht vorsah. Durch die Neufassung wird also vermieden, dass – was unsinnig wäre – ein Scheidungsantrag als Gegenantrag zu einem Sorgerechtsantrag zulässig wird. 5 Erfasst sind insbesondere konkurrierende Scheidungsanträge, unabhängig davon, ob sie

nach dem anwendbaren Recht denselben Streitgegenstand betreffen, insbesondere konkurrierende Zerrüttungs- und Verschuldensanträge,6 auch Scheidungsanträge, die nach dem IPR der lex fori verschiedenen Rechtsordnungen unterliegen.7 Art 4 unterfallen auch Trennungs- oder Eheaufhebungsanträge, die mit Scheidungsanträgen zusammentreffen, sowie negative Feststellungsanträge auf Nichtbestehen der Ehe, die als Gegenantrag zu einem Scheidungs- oder Aufhebungsbegehren erhoben werden. Nicht zwingend muss es sich bei dem Gegenantrag um dieselbe Ehe handeln. Haben Ehegatten mehrmals – insbesondere in 3 4 5 6 7

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Borrás-Bericht Nr 42. Dazu Art 6, Art 7. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 6. Spellenberg FS Geimer (2002) 1272. Vor deutschen Gerichten zB ein gemäß Art 17 Abs 1 S 2 aF EGBGB auf deutsches Recht gestützter Antrag des deutschen Antragsgegners.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 4 Brüssel IIa-VO

verschiedenen Staaten – die Ehe geschlossen, so kann über Art 4 der Antrag auf Aufhebung der einen mit dem Gegenantrag auf Scheidung der anderen Ehe derselben beteiligten Ehegatten verbunden werden. c) Ob parteierweiternde Gegenanträge, die in Betracht kommen, wenn eine Behörde die 5a Aufhebung (vgl § 1316 Nr 1 BGB) oder Scheidung einer Ehe begehren kann, im Gerichtsstand des Art 4 zulässig sind, erscheint fraglich, zumal solche Anträge regelmäßig durch die Behörde gegen beide Ehegatten als Antragsgegner zu richten sind. Da in solchen Fällen hinsichtlich des originären Antragsgegners, vorbehaltlich zwischenzeitlicher Aufenthaltswechsel, meist eine Zuständigkeit aus Art 3 bestehen wird, könnte Art 4 sich eignen, um nun auch den bisherigen Antragsteller als Antragsgegner der behördlich eingeleiteten Ehesache in die Zuständigkeit für einen auf Aktivseite parteierweiternden Gegenantrag einzubeziehen. Da Art 4 auf der Idee des Art 6 Nr 3 Brüssel I-VO beruht, der keine parteierweiternden Widerklagen zulässt,8 dürfte dies auch hier abzulehnen sein. d) Auch zur Neufassung wird die unter Art 5 Brüssel II-VO erörterte Frage erwogen, ob 6 Art 4 auch inkongruente Gegenanträge iSd der Typologie des Art 1 Abs 1 lit a bzw b erfasst, ob also die Zuständigkeit für einen Sorgerechts-Gegenantrag auf Art 4 gestützt werden kann.9 Nach Art 5 Brüssel II-VO war dies zweifelhaft: Dem Wortlaut nach waren dort Gegen- 7 anträge erfasst, unabhängig davon, in welche der beiden Kategorien (Ehesache, Sorgerechtssache) der Gegenantrag fiel. Gleichwohl hätte eine dem damals offenen Wortlaut folgende Auslegung bedeutet, dass über Art 5 Brüssel II-VO unter Umgehung der Zuständigkeitsvoraussetzungen des Art 3 Brüssel II-VO die internationale Zuständigkeit für einen erstmaligen Sorgerechtsantrag begründet worden wäre, sofern nur dieser Antrag vom Antragsgegner ausgeht und als Hauptantrag eine Ehesache anhängig ist. Die deshalb hier vorgeschlagene10 teleologische Begrenzung11 ist nach der eindeutigen Systematik der Neufassung nicht mehr erforderlich. Da nunmehr Art 4 in Abschnitt 1 des Kapitels II über die Zuständigkeit steht, betrifft die 8 Bestimmung schon ihrer systematischen Stellung nach nur noch Gegenanträge, die in den Anwendungsbereich von Art 1 Abs 1 lit a fallen. Auf Art 4 kann daher nur die Zuständigkeit für einen Gegenantrag gestützt werden, der seinerseits Ehesache iSd Art 1 Abs 1 lit a ist. 2. Rechtsfolge a) Art 4 bestimmt nach seinem eindeutigen Wortlaut, der insoweit auch den Zweck zu- 9 treffend widerspiegelt, nicht nur die internationale Zuständigkeit,12 sondern auch die örtliche Zuständigkeit des Gerichts.13 8 9 10 11 12 13

Rauscher/Leible Art 6 Brüssel I-VO Rn 23a. So wohl Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 6. Dazu 2. Aufl Art 5 Rn 5. Zweifelnd Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 6. So aber Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 2. Spellenberg FS Geimer (2002) 1272; NK-BGB/Gruber Rn 4; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 9, 13; Geimer/Schütze/Dilger Rn 2; Zöller/Geimer Rn 1.

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10 b) Ob in dem anhängigen Verfahren im Übrigen der Gegenantrag zulässig ist und mit dem

Hauptantrag vor dem angerufenen Gericht verbunden werden kann, entscheidet nicht Art 4, sondern die maßgebliche lex fori.14 Nationales Verfahrensrecht entscheidet also insbesondere, ob verschiedene Ehesachen mittels Gegenantrag verbunden werden können oder ob auf einen Ehescheidungsantrag mit einem Gegenantrag aus selbem (zB Scheitern) oder anderem Grund (zB konkurrierende Verschuldensanträge) reagiert werden kann.15 3. Gegenanträge außerhalb des Anwendungsbereichs von Art 3 11 Gegenanträge, die nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des Art 3 (Ehesachen) fallen,

werden von Art 4 und von der VO insgesamt nicht erfasst. Insoweit beurteilt sich die internationale und örtliche Zuständigkeit lege fori (zB auch als Verbundzuständigkeit), wenn nicht andere europarechtliche (EG-UntVO für Unterhaltsanträge; ggf Brüssel I-VO für Gewaltschutz) oder völkervertragliche (MSA, KSÜ) Regelungen bestehen.16 12 Dasselbe gilt für Gegenanträge in Verfahren, in denen sich die Zuständigkeit für den Haupt-

antrag nicht aus Art 3 ergibt, sondern gemäß Art 7 aus der lex fori.

Artikel 5: Umwandlung einer Trennung ohne Auflösung des Ehebandes in eine Ehescheidung Unbeschadet des Artikels 3 ist das Gericht eines Mitgliedstaats, das eine Entscheidung über eine Trennung ohne Auflösung des Ehebandes erlassen hat, auch für die Umwandlung dieser Entscheidung in eine Ehescheidung zuständig, sofern dies im Recht dieses Mitgliedstaats vorgesehen ist. I. II.

Perpetuatio Juridictionis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Anwendungsbereich 1. Umwandlung der Trennung . . . . . . . . . . . . . 4 2. Im Recht des Mitgliedstaats vorgesehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

III.

Rechtsfolge 1. Folgezuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2. Änderung des Scheidungsstatuts nach Ehetrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 3. Alternative Zuständigkeiten nach Art 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

I. Perpetuatio Jurisdictionis 1 Art 5, inhaltlich unverändert gegenüber Art 6 Brüssel II-VO, regelt den einzigen Fall einer

perpetuatio jurisdictionis, also einer Folgezuständigkeit,1 die konserviert wird, obwohl das erste Verfahren, auf dem sie beruht, rechtskräftig abgeschlossen ist. Die Notwendigkeit einer solchen Folgezuständigkeit wurde schon bei Abfassung des Übereinkommens nur im Verhältnis von Ehetrennungsentscheidung zu nachfolgendem Scheidungsausspruch gesehen.2 In diesem Fall wird sichergestellt, dass die gerichtlich ausgesprochene oder bestätigte Ehe14 15 16 1 2

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Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 2; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 3, Rn 14 ff. Spellenberg FS Geimer (2002) 1273. Spellenberg FS Geimer (2002) 1273; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 2; Pabst Rn 457. AnwKomm/Gruber Rn 1; aA Saenger/Dörner Rn 1: Annexzuständigkeit. Borrás-Bericht Nr 43.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 5 Brüssel IIa-VO

trennung in einem Ehescheidungsverfahren ihre zweckentsprechende Fortsetzung findet und es nicht an einem zuständigen Gericht hierfür fehlt. Auf andere aufeinanderfolgende Ehesachen zwischen denselben Ehegatten ist Art 5 nicht 2 anzuwenden; insoweit bestimmt Art 3 jeweils von neuem die internationale Zuständigkeit, bezogen auf die im jeweiligen Klage- bzw Antragszeitpunkt bestehenden tatbestandlichen Voraussetzungen. Da nur zwischen Ehetrennung und Ehescheidung in einigen Rechtsordnungen ein materiellrechtlicher und formeller Zusammenhang besteht, ist dies auch sachgerecht. Auch für Folgesachen besteht grundsätzlich keine perpetuatio jurisdictionis aus der VO. Für 3 Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung besteht eine solche allerdings nach einem Aufenthaltswechsel vorübergehend nach Art 9. Andere Folgesachen sind von der VO nicht erfasst; für die Abänderung von Unterhaltsentscheidungen, für die eine perpetuatio jurisdictionis vorstellbar wäre, gilt die EG-UntVO, die ebenfalls keine Folgezuständigkeit enthält. II. Anwendungsbereich 1. Umwandlung der Trennung Art 5 erfasst Fälle der Umwandlung einer Trennung ohne Auflösung des Ehebandes in eine 4 Ehescheidung. Eine Umwandlung der Ehetrennung in eine Ehescheidung kommt in unterschiedlicher Weise vor. Manche Mitgliedstaaten sehen ohne erneute Scheiternsprüfung auf der Grundlage des Trennungsausspruchs eine formelle Umwandlung in eine Ehescheidung vor, lassen aber auch eine Zerrüttungsscheidung ohne vorangehende Trennung zu.3 Teils ist eine formalisierte Trennung materiellrechtliche Voraussetzung der Zerrüttungsscheidung, also Tatbestandsmerkmal im Zerrüttungstatbestand.4 Nicht von Art 5 erfasst ist hingegen eine Entscheidung, durch die eine Ehe nach vorausgehender Ehetrennung ohne einen solchen prozessualen oder materiellen Zusammenhang in einem nunmehr isoliert eingeleiteten Scheidungsverfahren geschieden wird.5 Art 5 gilt jedoch nur, wenn in dem betreffenden Staat eine gerichtliche oder behördliche Ehetrennung iSd Art 1 Abs 1 lit a ausgesprochen oder bestätigt wurde; rein tatsächliches Getrenntleben in einem Staat, dessen Gerichte nach Art 3 zuständig wären, macht die Zuständigkeit nicht gegen Wechsel der Anknüpfungsmerkmale beständig, auch wenn das Getrenntleben ein Tatbestandsmerkmal im Scheidungstatbestand ist. Es kann also durchaus vorkommen, dass ein nach einer bestimmten Scheidungsrechtsordnung relevantes Getrenntleben (zB §§ 1566, 1567 BGB) scheidungsrechtlich funktionslos wird, weil im Zeitpunkt der Antragstellung die Gerichte, die dieses Recht anwenden würden, nicht mehr zuständig sind.

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Frankreich: Art 306 cc; Luxemburg: Art 310 cc; Niederlande: Art 1:179 BW (nach Ausspruch der Trennung ist gemäß Art 1:150 BW nur noch die Umwandlung, jedoch keine isolierte Ehescheidung mehr möglich, was eine Scheidungsblockade durch einen Trennungsantrag begünstigt, dazu Art 19 Rn 32 f); UK: Sec 4 FLA 1996; vgl dazu Rieck FPR 2007, 427, 430. Italien: Art 3 Nr 2 b legge 898/1970; vgl dazu Rieck FPR 2007, 427, 430. ZB nach einer Trennung gemäß Art 308 ff cc (Belgien) bzw Sec 2 JSFLA (Irland); vgl auch unten Rn 9.

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2. Im Recht des Mitgliedstaats vorgesehen 5 Nach dem Wortlaut gilt Art 5 nur, wenn eine solche Umwandlung „im Recht dieses Mit-

gliedstaats vorgesehen ist“, also im Recht des Urteilsstaats im Trennungsverfahren. Das bedeutet jedoch nicht, dass Art 5 nur in Staaten anzuwenden wäre, deren materielles Recht eine Umwandlung, insbesondere die Ehetrennung als solche, vorsieht. Art 5 gilt auch, wenn nach dem IPR eines Mitgliedstaats6 eine Rechtsordnung Scheidungsstatut ist, die solche Institute vorsieht und das Verfahrensrecht des Urteilsstaats bereit ist, eine Ehetrennung und ihre Umwandlung in eine Ehescheidung auszusprechen.7 Regelmäßig wird die Durchführung der Trennung in einem Staat, dessen materielles Recht keine Trennung vorsieht, die entscheidende Hürde bedeuten; ist ein Staat hierzu bereit, so wird in aller Regel auch die Bereitschaft bestehen, die anschließende Scheidung auszusprechen, sofern dieser Staat überhaupt Scheidungen zulässt. III. Rechtsfolge 1. Folgezuständigkeit 6 a) Für die Umwandlung in eine Ehescheidung ist „das Gericht“ international und örtlich

zuständig, das die Entscheidung zur Ehetrennung erlassen, diese also ausgesprochen oder bestätigt hat. Unmaßgeblich ist, auf welche Zuständigkeitsbestimmungen sich das Gericht damals gestützt hatte. Die Zuständigkeit im Trennungsverfahren muss insbesondere nicht auf die VO gestützt worden sein. Dies hat nichts mit der Frage zu tun, ob die Trennungsentscheidung nach der VO anzuerkennen wäre.8 Die Anwendbarkeit von Art 5 als Zuständigkeitsregel bestimmt sich nach Art 64 Abs 1. Dabei ist fraglich, ob auf den Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungs- oder des Ehetrennungsverfahrens abzustellen ist. Auch wenn Art 5 von „Umwandlung“ spricht, setzt die Bestimmung gerade voraus, dass es sich bei dem Scheidungsverfahren um ein eigenständiges Verfahren und nicht um eine formell-verfahrensrechtliche Fortsetzung des Trennungsverfahrens handelt. Art 5 gilt also immer dann, wenn Art 3 für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit anzuwenden war. Maßgeblich ist also der Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens, nicht der des Ehetrennungsverfahrens. Dies entspricht auch dem Zweck der Regelung; es wäre sinnwidrig, die Umwandlung von vor dem 1.3.2001 rechtskräftig ausgesprochenen Ehetrennungen nur vor den nach Art 3 zuständigen Gerichten zu erlauben.9 Art 5 gilt sogar dann, wenn das Gericht unzutreffend seine Zuständigkeit auf nationales Recht gestützt hat. 7 b) Die spätere Anerkennung des Scheidungsausspruchs beurteilt sich nach Art 21 ff; sie

hängt nicht von der Anerkennung der Ehetrennungsentscheidung ab, weil die Ehescheidung, auch wenn ihr eine Ehetrennung vorausgeht, einen eigenständig anerkennungsfähi-

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Geimer/Schütze/Dilger Rn 7; Zöller/Geimer Rn 3; Rieck FPR 2007, 427, 430; aA Simotta FS Geimer (2002) 1115, 1169. Für Deutschland, das im materiellen Recht eine Ehetrennung nicht kennt, vgl BGH v 1.4.1987 – IVb ZR 40/86, FamRZ 1987, 793: Zulässigkeit einer Trennung und nachfolgenden Scheidung nach italienischem Recht. So aber Spellenberg FS Geimer (2002) 1274. AA Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 8.

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Art 5 Brüssel IIa-VO

gen Inhalt hat. Aus diesem Grund ist es auch ex post betrachtet unerheblich, zu welchem Zeitpunkt die Trennungsentscheidung ergangen ist. 2. Änderung des Scheidungsstatuts nach Ehetrennung Art 5 wirkt sich nur auf die Zuständigkeit aus; die für eine Kontinuität zwischen Ehetren- 8 nung und Ehescheidung ebenfalls erforderliche Anwendung desselben materiellen Scheidungsstatuts kann nur durch das IPR sichergestellt werden, wobei auch eine Kollisionsrechtsvereinheitlichung das Problem nicht löst:10 Kontinuität des Scheidungsstatuts zwischen Ehetrennung und Scheidungsantrag ist nicht notwendig gewährleistet, weil das Scheidungsstatut zumeist wandelbar gestaltet ist11 und sich deshalb auch noch zwischen dem Abschluss des Trennungsverfahrens und dem Beginn des Scheidungsverfahrens wandeln kann.12 Auf einen Scheidungsantrag unter einem anderen Scheidungsstatut ist Art 5 nicht ohne 9 weiteres anwendbar. Maßgeblich ist, ob es sich iSd Art 5 noch um eine „Umwandlung“ handelt, ob also die Ehescheidung auf der Ehetrennung aufbaut. Verlangt auch das neue Scheidungsstatut eine formalisierte Ehetrennung und erlaubt es, die bereits erfolgte Trennung nach altem Scheidungsstatut hierfür zu substituieren, so liegt eine Umwandlung iSd Art 5 vor. Ist die Ehetrennung hingegen für die spätere Ehescheidung tatbestandlich nicht mehr verwertbar (nicht erforderlich oder nicht genügend), so fehlt es an einer Umwandlung und damit an der ratio des Art 5; es gilt dann für die internationale Scheidungszuständigkeit nur Art 3.13 Das gilt auch, wenn dasselbe Recht als Scheidungs- und Trennungsstatut beide Rechtsinstitute vorsieht, aber sie nicht in einen funktionalen Zusammenhang stellt.14 Fraglich ist insbesondere, wie sich die das Trennungsstatut für eine spätere Ehescheidung 10 konservierende Bestimmung des Art 9 Rom III-VO auswirkt. Grundsätzlich besteht in der Konservierung des Trennungsstatuts ein bereits vor Inkrafttreten der Rom III-VO erörterter Ansatz, der vermeidet, dass der perpetuatio der Trennungszuständigkeit in Art 5 nicht kollisionsrechtlich die Entscheidungsbasis entzogen wird. Die Fixierung des Scheidungsstatuts auf den Zeitpunkt der Antragstellung im Ehetrennungsverfahren15 lässt Interpretationsmöglichkeiten offen: Entweder versteht man sie als eine mit dem Trennungsverfahren eintretende Fixierung des Scheidungsstatuts unter Ausschluss anderer Alternativen, selbst einer Rechtswahl nach Art 5 Rom III-VO.16 Dies hätte den Nachteil, dass ggf über Jahre ein Trennungsstatut als Scheidungsstatut konserviert wird, was der in der Wandelbarkeit ver10 11

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Pabst FPR 2008, 230, 231. Einerlei, ob es an die Staatsangehörigkeit anknüpft (Art 17 Abs 1 aF EGBGB) oder an gemeinsame räumliche Beziehungen. Mit einer Italienerin verheirateter Franzose, die Ehegatten haben in Italien gelebt, der Franzose zieht nach Deutschland um und beantragt hier die Ehetrennung, die nach Art 17 Abs 1 S 1, 14 Abs 1 Nr 2 Alt 2 EGBGB gemäß italienischem Recht ausgesprochen wird. Zieht nun auch die Italienerin nach Deutschland und stellt Scheidungsantrag, so ist deutsches Recht Scheidungsstatut (Art 17 Abs 1 S 1, 14 Abs 1 Nr 2 Alt 1 EGBGB). Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 9 f; Geimer/Schütze/Dilger Rn 9; aA NK-BGB/Gruber Rn 7. Vgl oben Rn 4. Angedacht, aber letztlich wohl abgelehnt von Pabst FPR 2008, 230, 234. So OLG Stuttgart v 17.1.2013 – 17 WF 251/12, FamRZ 2013, 1803, 1804.

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wirklichten Idee eines aktuell sachnahen Rechts widerspricht. Zudem würde einem die Scheidung ablehnenden Ehegatten ermöglicht, durch ein Trennungsverfahren ein scheidungsunfreundliches Recht als Scheidungsstatut festzuschreiben. Überdies stünden selbst einverständlich scheidungswilligen Ehegatten nach einer nolens volens erfolgten formellen Trennung höhere Scheidungshürden im Weg als Ehegatten, die noch keinen Schritt auf dem Weg zur Auflösung ihrer Ehe gegangen sind. 10a Vorzuziehen ist daher eine Auslegung, die Art 9 Rom III-VO als eine alternative Anknüp-

fung17 versteht: Die Fortschreibung des Trennungsstatuts als Scheidungsstatut erlaubt es, den mit der formellen Ehetrennung eingeschlagenen Weg zur Ehescheidung nach derselben Rechtsordnung fortzusetzen; Art 5 ermöglicht dies sodann vor demselben Gericht. Art 9 Rom III-VO hindert jedoch keinen Ehegatten daran, seinen Scheidungsantrag auf das nach Art 5 oder Art 8 Rom III-VO maßgebliche (isolierte) Scheidungsstatut im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags zu stützen. Hierfür steht der Gerichtsstand des Art 5 nur ausnahmsweise (Rn 9) zur Verfügung. Dies reduziert sowohl die Zuständigkeit aus Art 5 als auch die Anknüpfungskontinuität aus Art 9 Rom III-VO auf den Zweck, eine in der Ehetrennung angelegte Fortsetzung zur Ehescheidung zu sichern, vermeidet aber die vorgenannten Unstimmigkeiten. Insbesondere erschiene es nicht sinnvoll, die Ehegatten durch eine Fixierung des Scheidungsstatuts durch Art 9 Rom III-VO an der unstreitig zulässigen Inanspruchnahme anderer Scheidungszuständigkeiten zu hindern als der des Art 5 (sogleich Rn 11). 3. Alternative Zuständigkeiten nach Art 3 11 a) Art 5 verdrängt nicht die internationalen Zuständigkeiten nach Art 3; Ausschließlich-

keit ergibt sich insoweit auch nicht unter den Voraussetzungen des Art 6, da dieser nur das Gesamtsystem der Art 3-5, nicht aber Art 5 als solchen für ausschließlich erklärt18 und diese Ausschließlichkeit nur im Verhältnis zu nationalem Verfahrensrecht besteht. Auch nach vorhergehender Trennungsentscheidung kann die Ehescheidung in den nach Art 3 international zuständigen Mitgliedstaaten begehrt werden. Ob dort die Gerichte eine solche Umwandlung auszusprechen bereit sind und ob nach dem dort anzuwendenden Recht die Trennung überhaupt notwendige Voraussetzung der Scheidung ist, hängt von der jeweiligen lex fori ab. Die bloße Verwendung einer vorausgegangenen Trennung im Scheidungstatbestand dürfte aber kaum ein Problem darstellen, weil diese eine Bereitschaft im Scheidungsstaat, das Verfahren dem Phänomen der Ehetrennung anzupassen, nicht erfordert. Folgt man hingegen der hier abgelehnten Ansicht zu Art 9 Rom III-VO (Rn 10), so wäre auch ein anderes nach Art 3 zuständiges Gericht an das Trennungsstatut gebunden, sofern der Gerichtsstaat den Mitgliedstaaten der Rom III-VO angehört. Die Gegenansicht provoziert daher mittelbar forum shopping, weil ein Gericht in einem Brüssel IIa/Nicht-Rom III-Staat nicht an Art 9 Rom III-VO gebunden wäre, gleichwohl aber die dort ausgesprochene Ehescheidung in allen Brüssel IIa-Staaten anerkennungsfähig ist. 12 b) Unter den, durch den EuGH mit der überwiegenden Ansicht erweiterten,19 Vorausset-

zungen des Art 6 bestimmt auch Art 5 eine ausschließliche Zuständigkeit im Verhältnis zu 17 18 19

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Vgl schon Pabst FPR 2008, 230, 234: Optionslösung. AA anscheinend Rieck FPR 2007, 427, 430. Dazu Art 6 Rn 8 ff.

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nationalem Verfahrensrecht; außer dem nach Art 5 zuständigen Gericht können nur die nach Art 3 zuständigen angerufen werden. Hingegen kann die internationale oder örtliche Zuständigkeit nicht auf nationales Recht gestützt werden, wenn Art 5 die Zuständigkeit in einem Mitgliedstaat bestimmt.

Artikel 6: Ausschließliche Zuständigkeit nach den Artikeln 3, 4 und 5 Gegen einen Ehegatten, der a) seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat oder b) Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist oder im Fall des Vereinigten Königreichs und Irlands sein „domicile“ im Hoheitsgebiet eines dieser Mitgliedstaaten hat, darf ein Verfahren vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur nach Maßgabe der Artikel 3, 4 und 5 geführt werden. I.

II.

Räumlich-Persönlicher Anwendungsbereich 1. Positiver Anwendungsbereich der VO – Ausschließlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Vorrang der Art 3 bis 5 im Übrigen? . . . 6 3. Ausschließlichkeit trotz Fehlen einer Zuständigkeit aus Art 3-5 . . . . . . . . . . . . . . . 12 Voraussetzungen der Ausschließlichkeit der Art 3 bis 5 1. Staatsangehörigkeit oder gewöhnlicher Aufenthalt des Antragsgegners . . . . . . . . 16

2. Domicile im UK oder Irland . . . . . . . . . . 17 3. Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . 18 4. Rechtsfolge: Vorrang vor lex fori in anderen Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . 21 5. Anwendung der lex fori und Bedeutungslosigkeit des Art 6 . . . . . . . . . . 25 6. Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

I. Räumlich-Persönlicher Anwendungsbereich 1. Positiver Anwendungsbereich der VO – Ausschließlichkeit a) Die VO beschreibt ihren räumlich-persönlichen Anwendungsbereich im Verhältnis 1 zum nationalen Zuständigkeitsrecht im Gegensatz zur Brüssel I-VO nicht ebenso eindeutig positiv (vgl Art 3 Brüssel I-VO, Art 5 Brüssel Ia-VO) und negativ (vgl Art 4 Abs 1 Brüssel I-VO, Art 6 Brüssel Ia-VO) komplementär. Zwar stehen mit Art 6 und 7 – die mit redaktionellen Anpassungen an die geänderte Nummerierung der in Bezug genommenen Bestimmungen Art 7 und 8 Brüssel II-VO entsprechen – Bestimmungen nebeneinander, die den Anwendungsbereich der VO bzw der lex fori betreffen, so dass neben Art 6 auch Art 7 heranzuziehen ist.1 Art 6 beschreibt aber den positiven Anwendungsbereich der VO nicht abschließend, sondern bestimmt nur Fälle, in denen die Zuständigkeiten nach Art 3 bis 5 ausschließlich sind. Art 6 steht daher, anders als mutatis mutandis Art 4 Abs 1 Brüssel I-VO/ Art 6 Brüssel Ia-VO, der Anwendung von Art 3, 4 und 5 nicht entgegen, wenn der Antragsgegner die in lit a und lit b alternativ genannten Voraussetzungen nicht erfüllt. b) Die Anordnung der Ausschließlichkeit in Art 6 bezweckt – wie Art 3 Abs 1 Brüssel 2 1

Boele-Woelki ZfRV 2001, 125; dazu unten Rn 12.

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I-VO – den Schutz des Antragsgegners, der Staatsangehöriger/Domizilierter eines Mitgliedstaates ist oder in einem Mitgliedstaat gewöhnlichen Aufenthalt hat, gegen Zuständigkeiten im nationalen IZPR, die zugunsten des Antragstellers eine weitergehende internationale Zuständigkeit, insbesondere aufgrund der Staatsangehörigkeit eines Ehegatten (bei Eheschließung oder im Zeitpunkt des Scheidungsantrags) vorsehen. Dieser Schutz ist im Eheverfahren, anders als im Zivilprozess, durchaus fragwürdig, da die Interessen beider Ehegatten im Statusprozess unabhängig von der Parteirolle gewichtet werden sollten und damit das Interesse des Antragstellers am Rechtsschutz in seinem Heimatland durchaus gleichgewichtig neben dem Schutzinteresse des Antragsgegners steht. 3 Art 3 bis 5 sind gegenüber einem solchen Antragsgegner nur für Verfahren „vor den Ge-

richten eines anderen Mitgliedstaats“ ausschließlich. Im Heimat- bzw Aufenthaltsstaat genießt der Antragsgegner also keinen Schutz gegen die Anwendung der lex fori. Diese Lücke im Schutz des Antragsgegners ist nicht kritikwürdig; es erstaunt freilich, dass die hM, die gegen die Annahme einer verstärkten Bindung an dem Heimatstaat in Art 3 Abs 1 lit a Str 6 streitet, hier keine Probleme mit dem Kriterium der stärkeren Affinität zum Heimatstaat hat. Zwar besteht im Aufenthaltstaat des Antragsgegners ohnehin das forum rei nach Art 3 Abs 1 lit a Str 3;2 der im Heimat- oder domicile-Staat des Antragsgegners von Art 6 nicht ausgeschlossene Rückgriff auf nationales IZPR kann aber durchaus die internationale Zuständigkeit erweitern. 4 c) Soweit Art 6 Ausschließlichkeit der Art 3 bis 5 anordnet, ergeben sich insbesondere im

Verhältnis zu Antragsgegnern, die nicht Mitgliedstaatenbürger sind, sondern lediglich ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat haben, ungerechtfertigte Nachteile für den Antragsteller. Es ist nicht einsehbar, dass einem Unionsbürger der Rechtsschutz vor den Gerichten seines Heimatstaates versagt wird, um einen Antragsgegner zu schützen, der einem Drittstaat angehört und sich in der EU oft nur deshalb aufhalten darf, weil er mit einem Unionsbürger verheiratet ist.3 5 d) Soweit die Zuständigkeiten nach Art 3 bis 5 ausschließlich sind, wird dieser Vorrang

durch Art 17 flankiert, der dem nach der VO unzuständigen Gericht gebietet, sich zugunsten der nach der VO zuständigen Gerichte für unzuständig zu erklären.4 Art 17 begründet insbesondere keine Zuständigkeiten, sondern setzt die in Art 3 bis 5 bestimmten Zuständigkeiten voraus und gebietet dem nach der Verordnung unzuständigen Gericht sich zugunsten eines nach der VO zuständigen Gerichts eines anderen Mitgliedstaats für unzuständig zu erklären.5 Selbstverständlich ist im ausschließlichen Anwendungsbereich der Ehesachenzuständigkeiten der VO auch eine Pro- oder Derogation nicht zulässig,6 da die VO eine Gerichtsstandsvereinbarung insoweit nicht kennt und auf eine solche Möglichkeit lege fori nicht zurückgegriffen werden könnte.

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Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 3. Im Einzelnen Art 3 Rn 57 f; Rauscher FS Geimer (2002) 883 ff. Ancel/Muir Watt Rev crit dip 2001, 419. OGH v 11.9.2008 – 7 Ob 155/08g, IPRax 2010, 74; hingegen löst Art 17 nicht das Problem konkurrierender Zuständigkeiten nach der VO: Andrae/Schreiber IPRax 2010, 79, 80. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 21.

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Kapitel II: Zuständigkeit

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2. Vorrang der Art 3 bis 5 im Übrigen? a) Umstritten ist hingegen das Konkurrenzverhältnis der Art 3 bis 5 zur lex fori, wenn die 6 Voraussetzungen des Art 6 nicht vorliegen. Diese Frage betrifft auch das Verhältnis zwischen Art 6 und Art 7, wird aber in beiden Bestimmungen nicht klar geregelt. Art 6 beansprucht nach seinem Wortlaut keine Ausschließlichkeit im Aufenthalts- oder 7 Heimatstaat des Antragsgegners, sowie dann, wenn die in Art 6 lit a oder lit b genannte Beziehung zu keinem Mitgliedstaat besteht, der Antragsgegner also Drittstaatenangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Drittstaat ist.7 In beiden Fällen könnte, jedenfalls nach dem Wortlaut, die internationale Zuständigkeit in jedem Mitgliedstaat nach der lex fori beurteilt werden.8 b) Da der räumlich-persönliche Anwendungsbereich der VO jedoch nicht, wie in Art 4 8 Abs 1 Brüssel I-VO/Art 6 Abs 1 Brüssel Ia-VO, für die zu Art 6 komplementären Fälle ausgeschlossen ist, kann, insoweit unstreitig, die internationale Zuständigkeit jedenfalls (auch) auf Art 3 ff gestützt werden.9 Wenn sich eine Zuständigkeit aus Art 3 ff ergibt, kann diese unbeschadet der Staatsangehörigkeit und des Aufenthalts der Parteien auch genutzt werden.10 Fraglich ist dann, ob eine, von Art 6 nicht als ausschließlich bezeichnete Zuständigkeit aus Art 3 ff in einem Mitgliedstaat dennoch die Zuständigkeiten lege fori verdrängt. Rein akademischer Natur ist diese Fragestellung, soweit im Gerichtsstaat sowohl eine Zuständigkeit aus Art 3 ff als auch aus nationalem Recht besteht; das Gericht ist dann jedenfalls zuständig, fraglich ist allenfalls die korrekte Begründung.11 Gravierende Bedeutung hat die Frage hingegen, wenn ein anderer Mitgliedstaat nach Art 3 9 bis 5 zuständig ist und das angerufene Gericht keine Verordnungszuständigkeit besitzt aber lege fori zuständig wäre. Die wohl hM hat dies schon seit längerem aus Art 7 gefolgert. Dieser gebe den Weg zu den „Restzuständigkeiten“ erst frei, wenn sich aus der VO keine Zuständigkeit ergebe; eine nach Art 3 ff in einem Mitgliedstaat bestehende Zuständigkeit verdränge also jede Inanspruchnahme der lex fori.12 Diese Ansicht versteht Art 6 somit als eine Aus7 8

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Boele-Woelki ZfRV 2001, 125; Hausmann EuLF 2000/01, 279; Hau FamRZ 2000, 1340. Kennett ICLQ 48 (1999) 468; Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 567; Siehr in: Reichelt/Rechberger, Europäisches Kollisionsrecht (2004) 113, 120; Geimer/Schütze/Dilger Rn 15. Ein seit 12 Monaten in Italien lebender Deutscher könnte zB seinen Scheidungsantrag gegen seine in Thailand lebende thailändische Ehefrau gemäß Art 3 Abs 1 lit a Str 5 vor italienischen Gerichten, aber auch nach § 98 Abs 1 Nr 1 FamFG vor deutschen Gerichten stellen. Zur Anwendung auf Drittstaatenangehörige OLG Stuttgart FamRZ 2004, 1382; AG Leverkusen v 13.5. 2004 – 34 F 247/03, FamRZ 2004, 1493, 1494. Vgl Cass civ Rev crit dip 2010, 170: Art 3 Abs 1 lit b statt Art 14 code civil für Scheidungsantrag zwischen zwei Franzosen; auch der ausdrückliche Hinweis auf die Ausschließlichkeit der Zuständigkeit aus Art 3 durch OLG Hamm IPRspr 2010 Nr 97 hat keine praktische Relevanz. Hau FamRZ 2000, 1340 f.; Hau FPR 2002, 619; Hausmann EuLF 2000/01, 279; Simotta FS Geimer (2002) 1119; Vareilles-Sommières GazPal 1999, 2023; Ancel/Muir Watt Rev crit dip 2001, 421; Boele-Woelki ZfRV 2001, 125; Gottwald AG Leverkusen v 10.1.2002 – 34 F 346/97, FamRZ 2002, 1636; Meyer-Götz/ Noltemeier FPR 2004, 282, 285; Gruber IPRax 2005, 293, 295; Staudinger/Spellenberg (2005) Art 7 Rn 5 f.; NK-BGB/Gruber Art 6 Rn 5 f.; Geimer/Schütze/Dilger Rn 2 ff; Dörner in: Großfeld/Yamauchi/Ehlers/ Ishikawa, Probleme des deutschen, europäischen und japanischen Rechts (2006) 17, 24.

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nahme zu Art 7, der seinerseits auf das Bestehen einer Zuständigkeit nach Art 3 bis 5 bezogen wird.13 10 Hiergegen spricht manches: Art 6 erklärt die Zuständigkeiten der VO gerade nicht allgemein

für ausschließlich, sondern nur unter den in lit a und lit b genannten Voraussetzungen.14 Diese ausdrückliche Beschreibung des ausschließlichen Anwendungsbereichs hat wenig Sinn,15 wenn eine in irgendeinem Mitgliedstaat nach der VO bestehende Zuständigkeit ohnehin immer der lex fori vorgeht, Art 7 also implizit von der Ausschließlichkeit der VO in allen Fällen ausgeht, in denen Art 3 ff irgendeine Zuständigkeit in einem Mitgliedstaat begründen. Gegen diese Ansicht spricht auch die Systematik der Normen: Wäre Art 6 als Ausnahme zu Art 7 konzipiert, müsste die Reihenfolge der Normen eine andere sein; auch der Vergleich mit Art 3, 4 Brüssel I-VO macht dies deutlich.16 Aus Wortlaut und Systematik von Art 6 im Verhältnis zu Art 7 läge also die Folgerung nahe, dass die Verordnung nur in den in Art 6 genannten Fällen ausschließlich, im Übrigen hingegen konkurrierend zur lex fori anwendbar ist.17 11 Der EuGH18 hat, wie die vorzitierte hM, den „klaren Wortlaut des Art 7“ zum Ausgangs-

punkt der Auslegung der Art 6, 7 genommen und sich damit der Ansicht angeschlossen, wonach auf die nationalen Zuständigkeitsvorschriften auch dann außerhalb des Heimatoder Aufenthaltsstaates des Antragsgegners nicht zurückgegriffen werden kann, wenn die Voraussetzungen des Art 6 nicht vorliegen, sich jedoch aus Art 3 bis 5 eine Zuständigkeit in irgendeinem Mitgliedstaat ergibt. Gestützt wird dies zusätzlich mit Art 17, der eine Unzuständigerklärung gebiete, wenn das Gericht selbst „nach dieser Verordnung“ keine Zuständigkeit hat und die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats nach der Verordnung zuständig sind. Als teleologisches Argument führt der EuGH schließlich das Ziel der Verordnung an, möglichst umfassend die internationale Zuständigkeit in Ehesachen, auch mit Bezug zu Angehörigen von Drittstaaten, zu regeln.19 Dem im Verfahren seitens der Klägerin (und der italienischen Regierung) erhobenen, am Wortlaut orientierten Einwand, aus Art 6 folge für den ausschließlichen Anwendungsbereich gerade das Gegenteil, hält der EuGH entgegen, Art 6 bestimme die Ausschließlichkeit nur nach Kriterien in der Person des Antragsgegners, daneben bestehe nach Art 7 Ausschließlichkeit nach objektiven Kriterien. Letztlich macht die vom EuGH gewählte Auslegung Art 6 weitgehend obsolet; die Bestimmung hat nur noch Bedeutung für den pathologischen Fall, dass trotz formal bestehender Ausschließlichkeit nach Art 6 in keinem Mitgliedstaat eine Zuständigkeit nach Art 3 bis 5 besteht.20 Die ver13

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So implizit auch die Kommission zu einer Neufassung des Art 7 im Vorschlag einer Brüssel IIb-VO, Einl Rn 44 ff, 53 f, Art 7 verweise auf die lex fori, „wenn die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates haben oder [muss heißen: „und“] nicht dieselbe Staatsangehörigkeit besitzen.“, Europäische Kommission, 17.7.2006, COM (2006) 399, 9. Wie hier Sturlése JClP (G) 2001, 242; Fontaine D & P 1999, 25. Dazu Rn 13 ff. Näher zu diesen Argumenten 2. Auflage (2006) Rn 7. So 2. Auflage (2006) Rn 7; Kohler NJW 2001, 11. EuGH Rs C-68/07 Sundelind Lopez/Lopez IPRax 2008, 257; ebenso BGH NJW-RR 2013, 641, 642. Insbesondere insoweit zustimmend Spellenberg ZZPInt 2007, 233, 241. Dazu Rn 12 ff; wer in dieser Fallgruppe agrumentiert, Art 6 müsse schließlich einen Sinn haben (dieser Illusion gibt sich der OGH v 11.9.2008 – 7 Ob 155/08g, IPRax 2010, 74, 76 hin) kommt dort zu merkwürdigen Ergebnissen.

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haltene Zustimmung zum Ergebnis der Entscheidung trotz ihrer mit Wortlaut und Systematik schwer vereinbaren Begründung gilt denn auch vor allem der Teleologie einer möglichst weitgehenden Vereinheitlichung der Zuständigkeiten,21 die freilich ohne das konfuse Verhältnis von Art 6 und 7 von Anfang an leichter zu erreichen gewesen wäre. Dies hat offenbar auch die Kommission erkannt, die, was erstaunt, anscheinend von dem Auslegungsproblem erst im Zusammenhang mit der öffentlichen Anhörung zum Grünbuch Rom III22 erfahren hat.23 Der Brüssel IIa-ÄndE, der bekanntlich wegen seiner kollisionsrechtlichen Elemente gescheitert ist,24 umfasste folgerichtig die Streichung des Art 625 und hätte insoweit auch Zustimmung verdient. 3. Ausschließlichkeit trotz Fehlen einer Zuständigkeit aus Art 3-5 a) Unstreitig steht Art 6 auch in der weiten Auslegung der Ausschließlichkeit durch den 12 EuGH dem Rückgriff auf nationales Zuständigkeitsrecht nicht entgegen, wenn der Antragsgegner nicht unter Art 6 fällt und sich aus Art 3 bis 5 in keinem Mitgliedstaat eine Zuständigkeit ergibt.26 Fraglich bleibt auch nach der Art 6 neben Art 7 iVm Art 3 bis 5 als Quelle der Ausschließlichkeit verstehenden Rechtsprechung des EuGH,27 ob sich aus Art 6 Ausschließlichkeit der Verordnung gegenüber der lex fori dann ergibt, wenn zwar die Voraussetzungen des Art 6 an den gewöhnlichen Aufenthalt bzw die Staatsangehörigkeit des Antragsgegners vorliegen, jedoch aus Art 3 bis 5 in keinem Mitgliedstaat eine Zuständigkeit folgt. Diese bei Fassung der Verordnung offenbar nicht bedachte Fallgestaltung würde dann den einzig verbleibenden Anwendungsbereich des Art 6 bilden; sie wird durch die Entscheidung des EuGH nicht berührt und ist weiterhin umstritten. Die Frage ist zu unterscheiden von der im Verordnungsvorschlag Brüssel IIa-ÄndE28 aufgegriffenen Problematik, die sich ergibt, wenn die von Art 7 wegen Fehlens einer Zuständigkeit nach Art 3 bis 5 berufene lex fori keine geeigneten Restzuständigkeiten enthält. Die vorliegende Frage wird nicht durch Lücken der lex fori verursacht, sondern durch den nach dem Wortlaut bestehenden Ausschließlichkeitsanspruch des misslungenen Art 6. b) Inmitten der Diskussion steht die Fallsituation, dass der Antragsgegner einem Mitglied- 13 staat angehört,29 aber kein Ehegatte (lange genug für Art 3 Abs 1 lit a Str 5, 6) in einem 21

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Borrás IPRax 2008, 233, 235; Spellenberg ZZPInt 2007, 233; ob die Verdrängung nationaler Zuständigkeiten unter dem Gesichtspunkt des Zugangs zu Gericht zu begrüßen ist, bleibt freilich zweifelhaft: Requeio Isidro YB PIL 2008, 579, 587 ff; vgl dazu auch Art 3 Rn 9 ff. Europäische Kommission, 14.3.2005, COM (2005) 82. Dazu Rauscher FS Kerameus Band 1 (2009) 1113, 1126. Dazu Einl Rn 44 ff. Insoweit unverändert der Vorschlag Europäische Kommission, 17.7.2006 COM (2006) 399, als auch im letzten bekannten Formulierungsvorschlag des Rates der EU, 23.5.2008, 9712/08 sowie im Bericht der Kommission, 15.4.2014, COM (2014) 225, S 6, s dazu Einl Rn 60. Cass civ JDI 2010, 475; Cass civ Rev crit dip 2011, 438: jeweils Art 14 code civil bei Scheidungsantrag gegen US-Amerikaner ohne Mitgliedstaatenaufenthalt. Dazu Rn 11. Einl Rn 43 ff, Einl Rn 53; Art 7 Rn 25. Hingegen kann die Situation einer Ausschließlichkeit nach Art 6 lit a ohne Zuständigkeit nach Art 3-5

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Mitgliedstaat gewöhnlichen Aufenthalt hat und auch keine gemeinsame Mitgliedstaatsangehörigkeit besteht.30 Hierzu wird verbreitet vertreten, Art 6 erlaube in einem solchen Fall nur im Heimatstaat des Antragsgegners den Rückgriff auf Zuständigkeiten lege fori; die Sperre des Art 6 schütze also auch in diesem Fall den Antragsgegner gegen eine nicht auf Art 3 bis 5 gestützte Zuständigkeit außerhalb seines Heimatstaats.31 Diese Auslegung kann, wie von Vertretern dieser Ansicht konzediert wird,32 dazu führen, dass es in allen Mitgliedstaaten an einer internationalen Zuständigkeit fehlt,33 weil es eher vom Zufall abhängt, ob der Heimat- oder domicile-Staat des Antragsgegners eine solche bereitstellt. 14 c) Auf der Grundlage des vom EuGH festgestellten Nebeneinander der Art 6 und 7 kann

die Frage nicht mehr mit Blick auf das prima facie komplementäre Verhältnis zwischen Art 6 und Art 7 Abs 2, das zugunsten dieser Ansicht sprach, beantwortet werden.34 Aus demselben Grund ist aber auch das in der Abfolge der Normen naheliegende Argument, Art 7 Abs 1 erlaube gerade in diesem Fall den Rückgriff auf die lex fori, nicht mehr tragfähig. Geringes Gewicht hat schließlich das vom OGH35 vorgetragene Argument, Art 6 habe bei anderer Auslegung keinerlei Anwendungsbereich; eben dies hat der EuGH konstatiert und die Kommission mit ihrem Streichungsvorschlag konzediert. Die verzweifelte Suche nach dem Sinn einer Norm, bei deren Schaffung offenbar nicht nachgedacht wurde, sollte nicht neue Irrungen provozieren. 14a Entscheiden muss die Teleologie der Norm; der Vorrang der Zuständigkeiten der Verord-

nung um der möglichst weitgehenden Vereinheitlichung willen kann nun aber dann nicht geboten sein, wenn solche Zuständigkeiten nicht bereitgestellt werden. Verweist man den Antragsteller mit Rücksicht auf den von Art 6 ursprünglich angestrebten Schutz des Antragsgegners auf eventuelle Zuständigkeiten lege fori im Heimat- oder domicile-Staat des Antragsgegners, ohne dass er auf (neutrale) Zuständigkeiten aus Art 3 bis 5 ausweichen kann,36 so bedeutet dies eine nicht hinnehmbare Übergewichtung der Antragsgegnerinteressen;37 selbst mit Art 18 AEUV kaum vereinbare Ergebnisse aufgrund rollenabhängig

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nicht auftreten, weil sich dann die Zuständigkeit im Aufenthaltsstaat immer schon aus Art 3 Abs 1 lit a Str 3 ergibt: Spellenberg ZZPInt 2007, 233, 237. Franzose und Deutsche leben in der Schweiz. OGH v 11.9.2008 – 7 Ob 155/08g, IPRax 2010, 74, 76; Rb Amsterdam NIPR 2008, 41; Spellenberg FS Geimer (2002) 1275; Hau FamRZ 2000, 1340; Hausmann EuLF 2000/01, 279; Boele-Woelki ZfRV 2001, 125; Dörner in: Großfeld/Yamauchi/Ehlers/Ishikawa, Probleme des europäischen, deutschen und japanischen Rechts (2006) 17, 25; Geimer/Schütze/Dilger Rn 15 f.; Andrae/Schreiber IPRax 2010, 79, 80. Hau FamRZ 2000, 1340. Lebt zB ein Deutscher mit seiner niederländischen Ehefrau in der Schweiz, so wäre wegen der niederländischen Staatsangehörigkeit der Antragsgegnerin der Rückgriff auf § 98 Abs 1 Nr 1 FamFG versperrt, auch wenn Art 3 keine Internationale Zuständigkeit in irgendeinem Mitgliedstaat vorsieht. Dazu 2. Auflage (2006) Rn 9. OGH v 11.9.2008 – 7 Ob 155/08g, IPRax 2010, 74, 76. Der Hinweis, der Antragsgegner könne sich durch Aufenthaltswechsel und 6 Monate oder 1 Jahr Geduld einen Gerichtsstand nach Art 3 Abs 1 lit a Str 5 oder 6 schaffen, ist wenig interessengerecht, so aber Dörner in: Großfeld/Yamauchi/Ehlers/Ishikawa, Probleme des europäischen, deutschen und japanischen Rechts (2006) 17, 25. Im Ergebnis wie hier: Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 567: Scheidungsantrag eines in Thailand lebenden Franzosen gegen seinen in Mexico lebenden spanischen Ehegatten vor französischen Gerichten

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 6 Brüssel IIa-VO

unterschiedlicher Staatsangehörigen-Gerichtsstände in gemischtnationalen Ehen von Unionsbürgern wären möglich.38 Nicht zuletzt spricht für die hier vertretene Ansicht, dass sie sich in die legislativen Intentionen einfügt, die sich, insoweit nicht umstritten, aus den Reformbemühungen der Kommission ablesen lassen; die dort gewonnene bessere Erkenntnis im Wege der teleologischen Einschränkung des Art 6 zu antizipieren, erscheint sinnvoller, als Art 6 mit letzter Not einen Sinn abzutrotzen: Die im Brüssel IIa-ÄndE vorgesehene Streichung des Art 6 reduzierte die Ausschließlichkeit der Verordnung auf die Fälle, in denen sich aus Art 3 bis 5 eine Zuständigkeit in wenigstens einem Mitgliedstaat ergibt. Dieses klare Verhältnis zwischen Art 3 bis 5 einerseits und der in Art 7 berufenen lex fori andererseits erscheint immerhin schlüssig. Art 6 verhindert den Zugriff auf die lex fori somit nur, wenn die dort genannten Voraus- 15 setzungen erfüllt sind und in irgendeinem Mitgliedstaat eine Zuständigkeit nach Art 3 bis 5 besteht. Ist letzteres nicht der Fall, so eröffnet Art 7 Abs 1 den Rückgriff auf die lex fori in jedem Mitgliedstaat. Insbesondere kann sich also auch der Antragsteller in seinem Heimatstaat auf die lex fori stützen. Dies entzieht freilich Art 6 die letzte Fallgruppe, in der sich Ausschließlichkeit nur aus Art 6 und nicht bereits aus Art 7 iVm Art 3 bis 5 ergibt. II. Voraussetzungen der Ausschließlichkeit der Art 3 bis 5 1. Staatsangehörigkeit oder gewöhnlicher Aufenthalt des Antragsgegners Art 6 greift ein, wenn der Antragsgegner Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist (lit b 16 Alt 1). Die Bestimmung der Staatsangehörigkeit erfolgt wie bei Art 3;39 bei Mehrstaatern genügt auch eine nicht effektive Staatsangehörigkeit zu einem Mitgliedstaat.40 Alternativ greift Art 6 ein, wenn der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt, der wie in Art 3 zu bestimmen ist,41 in einem Mitgliedstaat hat (lit a). Bei gewöhnlichem Aufenthalt in einem Mitgliedstaat sind also auch Nicht-Unionsbürger als Antragsgegner durch Art 6 begünstigt.

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gemäß Art 14 code civil français; anders vor belgischen Gerichten, weil Art 14 code civil belge außer Kraft ist (aaO S 569); Looschelders FS Kropholler (2008) 329, 344; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 7 Rn 2; Vogel MDR 2000, 1048. Haben deutsch-französische Ehegatten ausschließlich in den USA gelebt, so könnte nach der Gegenansicht der französische Ehegatte zwar Scheidungsantrag vor deutschen Gerichten gestützt auf den von der Beteiligtenrolle unabhängigen § 98 Abs 1 Nr 1 FamFG stellen, nicht aber der Deutsche vor französischen Gerichten, weil Art 14 code civil nur den französischen Antragsteller schützt und Art 7 Abs 2 mangels Wohnsitz des deutschen Ehegatten in Frankreich nicht eingreift (selbst wenn man Art 7 Abs 2 auf Fälle des Art 6 analog anwendet, vgl dort Rn 13). Aus Art 1070 ncpc ergibt sich ohne die dort bezeichneten Wohnsitzverbindungen zu Frankreich keine französische Zuständigkeit. Der französische Ehegatte erreicht damit ohne Aufenthaltswechsel eine in allen Mitgliedstaaten verkehrsfähige Ehescheidung, der deutsche muss, um dies zu erreichen, seinen Aufenthalt für 6 Monate nach Deutschland verlegen (Art 3 Abs 1 lit a Str 6). Folgt man der hier vertretenen Ansicht, so kann der Franzose in Frankreich und Deutschland, der Deutsche immerhin in Deutschland Scheidungsantrag stellen. Dort Rn 48 ff. Hau FamRZ 2000, 1337; NK-BGB/Gruber Art 7 Rn 7; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 11. Dort Rn 21 ff.

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2. Domicile im UK oder Irland 17 Das Kriterium der Staatsangehörigkeit wird im Fall des UK und Irlands durch das domicile

ersetzt (lit b Alt 2).42 Art 6 gilt also unbeschadet ihres gewöhnlichen Aufenthalts und ihrer Staatsangehörigkeit für im UK oder Irland domizilierte Antragsgegner; aber auch für Antragsgegner, die in diesen Staaten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, weil lit a neben lit b Alt 2 anzuwenden ist. Hingegen ist ein irischer oder britischer Staatsangehöriger – obgleich er Unionsbürger ist – ohne domicile in einem dieser Staaten und ohne gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat nicht von Art 6 geschützt, denn die irische und britische Staatsangehörigkeit sind als Beziehungskriterium irrelevant.43 3. Maßgeblicher Zeitpunkt 18 a) Fraglich ist, zu welchem Zeitpunkt die genannten Voraussetzungen (Staatsangehörig-

keit, Aufenthalt, domicile) vorliegen müssen. Der Wortlaut der Bestimmung („geführt werden“) spräche dafür, auf den jeweiligen Verfahrensstand abzustellen. Häufig wird, gestützt auf Art 16, auf die Verfahrenseinleitung abgestellt.44 Art 16 gibt aber kein Argument für diese Ansicht: Seine Anwendung führt lediglich dazu, den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung auch für Zwecke des Art 6 auf die Einreichung des verfahrenseinleitenden Antrags zu fixieren, beantwortet aber nicht die Frage, ob der Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung überhaupt maßgeblich ist. 19 b) Die damit zu stellende Frage, ob ein Erwerb oder ein Wegfall der für Art 6 maßgeblichen

Kriterien nach Einleitung des Verfahrens die Anwendung von Art 6 beeinflußt, ist nach den Grundsätzen der perpetuatio fori zu entscheiden. Dabei ist zu beachten, dass Art 6 anders als Art 3 Abs 1 Brüssel I-VO/Art 5 Abs 1 Brüssel Ia-VO45 keine conditio sine qua non der Anwendung von Art 3 ff beschreibt, sondern nur zuständigkeitsausschließend (gegenüber der lex fori) wirkt.46 Lagen die Voraussetzungen des Art 6 bei Verfahrenseinleitung nicht vor, so konnte jedes Gericht – vorbehaltlich Art 7 iVm Art 3 bis 5 – seine internationale Zuständigkeit (auch) auf nationales Recht stützen. Diese Zuständigkeit steht unter dem Schutz der perpetuatio fori, die Ausschließlichkeitswirkung des Art 6 kann also nicht mehr im laufenden Verfahren eintreten.47 20 Damit ist nicht gesagt, dass auch der Wegfall der Voraussetzungen des Art 6 im laufenden

Verfahren unbeachtlich wäre. Soweit sich eine Zuständigkeit aus Art 3 ff ergibt, gilt für diese die perpetuatio fori, sie besteht also unbeschadet der Änderung zuständigkeitsbegründender Merkmale fort. Die Ausschließlichkeitswirkung des Art 6 muss hingegen nicht im Interesse der Verfahrensökonomie, der die perpetuatio fori dient, zementiert sein. Damit ist auf den 42 43 44 45

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Dazu Art 3 Rn 51. KG EuLF 2007 II-1 120, 121. So aber Hau FamRZ 2000, 1340; Hausmann EuLF 2000/01, 279. Das übersieht Hausmann EuLF 2000/01, 279, der aus der perpetuatio fori folgert, dass die Wirkungen des Art 6 auch bei Wegfall ihrer Voraussetzungen während des Verfahrens erhalten bleiben müssten. Oben Rn 1. Ebenso Geimer/Schütze/Dilger Rn 5.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 6 Brüssel IIa-VO

Zweck der Regelung abzustellen: Ein Antragsgegner, der sich aus dem durch Art 6 vermittelten Schutzkreis während des Verfahrens hinausbegibt, kann nicht erwarten, dass ihn Art 6 weiterhin vor der Anwendung der lex fori schützt. Ein bisher nach Art 3 ff nicht zuständiges aber bereits angerufenes Gericht kann also lege fori zuständig werden, was auch der Verfahrensökonomie dient, weil sonst der anhängige Antrag abzuweisen wäre, obgleich für einen neu zu stellenden Antrag die internationale Zuständigkeit lege fori bestünde. 4. Rechtsfolge: Vorrang vor lex fori in anderen Mitgliedstaaten a) Als Rechtsfolge ordnet der nur für Ehesachen anwendbare Art 6 die Ausschließlichkeit 21 der Art 3, 4 und 5 vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats an. Der durch Art 6 lit a oder lit b vermittelte Bezug zu einem Mitgliedstaat sperrt also in allen anderen Mitgliedstaaten den Rückgriff auf die lex fori. Auch durch rügelose Einlassung kann in den anderen Mitgliedstaaten die Zuständigkeit nicht begründet werden, weil Art 17 die Zuständigkeitsprüfung und Antragsabweisung von Amts wegen vorsieht.48 b) Die Gerichte des Heimat-, Aufenthalts- oder domicile-Staates dürfen hingegen nach 22 dem Wortlaut des Art 6 ihre internationale Zuständigkeit auch auf die lex fori stützen. Angesichts des forum rei aus Art 3 Abs 1 lit a Str 3 hat das jedoch keine Bedeutung für den gewöhnlichen Aufenthaltsstaat des Antragsgegners. Da hingegen die Staatsangehörigkeit und das domicile des Antragsgegners als solche keine Zuständigkeit nach Art 3 begründen, könnte sich eine internationale Zuständigkeit nur aus (auch) auf den Antragsgegner bezogenen Staatsangehörigkeits- oder domicile-Anknüpfungen der lex fori, zB § 98 Abs 1 Nr 1 FamFG, ergeben.49 Berücksichtigt man freilich die vom EuGH50 gegebene Auslegung der Art 6, 7, so ist auch an 23 dieser Stelle das Verhältnis zwischen Ausschließlichkeit nach Art 6 und nach Art 7 iVm Art 3 bis 5 neu zu justieren: Aus dem Umstand, dass Art 6 die Zuständigkeiten der VO im Aufenthalts-, Heimat-, bzw domicile-Staat des Antragsgegners nicht als ausschließlich ausweist, lässt sich nicht folgern, dass sich diese Ausschließlichkeit nicht aus Art 7 iVm Art 3 bis 5 ergeben kann.51 Folgt man dem EuGH, so stehen Art 6 und Art 7 ohne Bezug nebeneinander, so dass sich auch nicht argumentieren lässt, die Einschränkung der Ausschließlichkeit nach Art 6 schlage auch auf Art 7 durch. Insbesondere das teleologische Argument des EuGH, das eher überzeugt als die Versuche, das heillose systematische und sprachliche Verhältnis der Art 6 und 7 argumentativ zu retten, spricht dagegen, im Aufenthalts-, Heimat- oder domicile-Staat des Antragsgegners den Rückgriff auf die lex fori auch dann zu erlauben, wenn nach Art 3 bis 5 die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats zuständig sind.52 Auch die Argumentation des EuGH mit Art 17 weist in diese Richtung.

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50 51 52

MünchKommFamFG/Gottwald Rn 1. Die Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für einen Scheidungsantrag eines belgischen Ehegatten gegen seinen in den USA lebenden deutschen Ehegatten könnte also bei wortlautentsprechender Auslegung in allen anderen Mitgliedstaaten nur auf Art 3 ff gestützt werden, in Deutschland aber auf § 98 Abs 1 Nr 1 FamFG. Dazu Rn 11. So auch Spellenberg ZZPInt 2007, 233, 237. Damit war im Lichte der Auslegung durch den EuGH die Anwendung von § 606a Abs 1 Nr 4 aF ZPO im

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Damit aber hat der seinem Wortlaut nach von Art 6 zugelassene Rückgriff auf die lex fori der Gerichte im Aufenthalts-, Heimat- oder domicile-Staat nur für die hier abgelehnte Ansicht53 Bedeutung, die selbst bei Fehlen jeder Zuständigkeit aus Art 3 bis 5 die Ausschließlichkeit nach Art 6 gelten lassen will; dies freilich mit dem wenig sinnvollen Ergebnis, dass es vom Zufall der lex fori des Heimatstaats des Antragsgegners abhängt, ob sich dort gegen diesen eine Ehesachenzuständigkeit ergibt. 24 c) Damit erledigt sich aus hier vertretener Sicht auch die Frage, wie im Fall relevanter

Bindungen an zwei oder mehrere Mitgliedstaaten zu verfahren ist. Nur aus Sicht der Gegenmeinung54 bliebe der eher fern liegende Fall zu betrachten, dass die Ehegatten in einem Drittstaat leben und der Antragsgegner die Staatsangehörigkeiten zweier Mitgliedstaaten besitzt. Eine Wortlautinterpretation könnte dazu verleiten, in allen Mitgliedstaaten den Rückgriff auf die lex fori für ausgeschlossen zu halten: Der Bezug zu einem Heimatstaat könnte die lex fori im anderen Heimat- oder Aufenthaltsstaat verdrängen. Der Zweck der Regelung führt zum gegenteiligen Verständnis: Art 6 schützt den Antragsgegner nur dagegen, in einem Mitgliedstaat, zu dem er keinen nach Art 6 anzuerkennenden Bezug hat, lege fori einem Antrag ausgesetzt zu sein, für den es dort nach Art 3 ff keine internationale Zuständigkeit gäbe. Hingegen muss er sich in jedem seiner Heimat-, Aufenthalts- und domicile-Staaten auch auf Zuständigkeiten nach der lex fori einlassen.55 5. Anwendung der lex fori und Bedeutungslosigkeit des Art 6 25 Zusammenfassend steht Art 6 dem Rückgriff auf die lex fori in folgenden Fällen nicht

entgegen: 26 a) In jedem Heimat-, Aufenthalts- oder domicile-Staat des Antragsgegners; freilich kann

dennoch auf die lex fori nicht zurückgegriffen werden, wenn sich im Gerichtsstaat oder einem anderen Mitgliedstaat aus Art 3 bis 5 eine Zuständigkeit ergibt. 27 b) In jedem Mitgliedstaat, sofern zwar die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art 6 lit a

oder lit b vorliegen, sich aber aus Art 3 bis 5 in keinem Mitgliedstaat eine Zuständigkeit ergibt.56 28 c) In jedem Mitgliedstaat, wenn schon die tatbestandlichen Voraussetzungen von lit a und

lit b nicht vorliegen. Folgt man der Auffassung des EuGH, so kann in diesem Fall gleichwohl nicht auf die lex fori zurückgegriffen werden, wenn sich eine Zuständigkeit in einem anderen Mitgliedstaat nach Art 3 bis 5 ergibt.57

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Fall des AG Leverkusen v 14.2.2002 – 34 F 134/01, FamRZ 2002, 1635 ausgeschlossen; so schon Gottwald AG Leverkusen v 10.1.2002 – 34 F 346/97, FamRZ 2002, 1636. Oben Rn 13. Oben Rn 13, Rn 23. Ebenso NK-BGB/Gruber Art 7 Rn 15; Geimer/Schütze/Dilger Rn 12. Ist der Antragsgegner deutschfranzösischer Doppelstaater mit gewöhnlichem Aufenthalt in USA und der Antragsteller Franzose mit gewöhnlichem Aufenthalt in USA, so sind deutsche Gerichte nach § 98 Abs 1 Nr 1 FamFG und französische Gerichte nach Art 14, 15 code civil français zuständig. Dazu oben Rn 12 ff. Dazu oben Rn 11 f.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 7 Brüssel IIa-VO

6. Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung Für Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung gilt Art 6, anders als Art 7 Brüssel 29 II-VO, nicht. Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich der VO wird insoweit durch das Verhältnis zu den Haager Übereinkommen (Art 60 lit a, e, Art 61) sowie durch Art 14 bestimmt, der wegen Fehlens einer Art 6 entsprechenden verwirrenden Regelung den Anwendungsbereich klar im Sinn des Vorrangs der Zuständigkeiten aus Art 8 ff regelt.

Artikel 7: Restzuständigkeit (1) Soweit sich aus den Artikeln 3, 4 und 5 keine Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats ergibt, bestimmt sich die Zuständigkeit in jedem Mitgliedstaat nach dem Recht dieses Staates. (2) Jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats hat, kann die in diesem Staat geltenden Zuständigkeitsvorschriften wie ein Inländer gegenüber einem Antragsgegner geltend machen, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat oder die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt oder im Fall des Vereinigten Königreichs und Irlands sein „domicile“ nicht im Hoheitsgebiet eines dieser Mitgliedstaaten hat. I.

II.

III.

Regelungszweck 1. Abs 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Abs 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Restzuständigkeiten (Abs 1) 1. Restzuständigkeiten bei Fehlschlagen von Art 3-5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2. Sonstige Fälle der Anwendung der lex fori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3. Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Gleichbehandlung Angehöriger von Mitgliedstaaten (Abs 2) 1. Voraussetzungen der Gleichstellung . . . 12

IV.

a) Anwendbarkeit der lex fori – Person des Antragsgegners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 b) Staatsangehörigkeit des Antragstellers 15 c) Gewöhnlicher Aufenthalt des Antragstellers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 a) Inländergleichstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 b) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Reformbestrebung: Autonome „Restzuständigkeiten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

I. Regelungszweck 1. Abs 1 a) Das Regelungsziel von Art 7 Abs 1 wird im Schrifttum nicht einheitlich gesehen. Hin- 1 tergrund dieser Unsicherheit ist wohl nicht zuletzt die wenig klare Offenlegung der historischen Motive im Bericht von Borrás, der sich zu Art 7 weitgehend mit Abs 2 befasst, wodurch der Eindruck entstehen kann, Art 7 Abs 1 habe keine eigenständige Bedeutung. Teils wird daher auch Art 7 insgesamt die gleiche Funktion wie Art 4 Abs 2 Brüssel I-VO zugemessen,1 Abs 1 also keine Bedeutung gegeben. Andere sehen in Abs 1 eine Norm, welche die zu Art 6 komplementären Fälle (weder Mitgliedstaatsangehörigkeit noch ge-

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MünchKommFamFG/Gottwald Rn 1.

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wöhnlicher Aufenthalt in einem Mitgliedstaat) regelt.2 Wieder andere beziehen Abs 1 als Ausnahme auf Fälle, in denen Art 6 zwar eingreift, aber die VO keine Zuständigkeit in einem Mitgliedstaat bereitstellt.3 2 b) Die Bewertung dieser Zweckalternativen ist im Zusammenhang zur Frage nach dem

Verhältnis zwischen Art 6 und Art 74 vor dem Hintergrund der Entscheidung des EuGH zu Art 6, 75 zu sehen. 3 (1) Die erstgenannte Ansicht, Art 7 Abs 1 keine eigenständige Funktion zuzumessen,

scheidet schon deshalb aus, weil die Bestimmung im Verhältnis zu Art 6 durchaus am System der Art 3 Abs 1, 4 Abs 1 Brüssel I-VO orientiert ist, was es nahelegt, Art 7 Abs 1 eine Funktion für die Abgrenzung zwischen dem räumlich-persönlichen Anwendungsbereich der VO und der lex fori zuzumessen, was offenbar auch den Verfassern vorschwebte.6 Art 7 Abs 1 regelt also ein von Art 7 Abs 2 durchaus zu trennendes Problem.7 In der Auslegung durch den EuGH hat Art 7 Abs 1 insbesondere die Funktion, bei Bestehen einer Zuständigkeit aus Art 3 bis 5 in irgendeinem Mitgliedstaat der Verordnung Ausschließlichkeit in jedem anderen Mitgliedstaat gegenüber der lex fori zuzumessen. 4 (2) Die Rechtsprechung des EuGH entzieht auch der zweitgenannten Ansicht die Grund-

lage: Da Art 6 danach nur einen Teil der Ausschließlichkeit beschreibt, ist Art 7 Abs 1 nicht das Komplement zu Art 6, sondern steht, wie zu Art 6 aufgezeigt,8 ergänzend und parallel zu Art 6: Art 7 Abs 1 bestimmt danach die Verordnung auch in Fällen, die nicht von Art 6 erfasst sind, als abschließend. Über die Reichweite des Art 6 enthält nach Ansicht des EuGH Art 7 Abs 1 hingegen keine Aussage. 5 (3) Auch die dritte Ansicht, die Art 7 Abs 1 auf Fälle bezieht, in denen Art 6 einen Rückgriff

auf die lex fori in allen Mitgliedstaaten außer dem in Art 6 genannten Bezugsstaat des Antragsgegners sperren würde, Art 3 ff aber keine Zuständigkeit in irgendeinem Mitgliedstaat bereitstellt, entspricht nicht der Ansicht des EuGH, obgleich sie Art 7 Abs 1 einen System und Wortlaut entsprechenden Inhalt gibt. 6 c) Folgt man der Ansicht des EuGH, so hat Art 7 Abs 1 den Zweck, den Vorrang des

Zuständigkeitssystems der Verordnung (Art 3 bis 5) gegenüber der lex fori zu definieren. Art 7 Abs 1 bezieht sich danach nicht auf Art 6, sondern auf Art 3 ff; Abs 1 vereinigt, so verstanden, die Funktionen der Art 3 Abs 1 und 4 Abs 1 Brüssel I-VO in sich. 2. Abs 2 7 Hingegen ist der Zweck des Abs 2 eindeutig: Soweit die lex fori anwendbar bleibt, wird sie 2 3

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Zöller/Geimer Art 6 Rn 1; Boele-Woelki ZfRV 2001, 125; Hau FamRZ 2000, 1340; JC/Sturlèse n 33. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 2; Hausmann EuLF 2000/01, 279; v Hoffmann/Thorn, IPR7 § 8 Rn 64; ähnlich ohne Nennung des Art 8 Abs 1: Spellenberg FS Geimer (2002) 1275. Vgl Art 6 Rn 12 ff. EuGH Rs C-68/07 Sundelind Lopez/Lopez IPRax 2008, 257; dazu Art 6 Rn 11. Ausdrücklich Borrás-Bericht Nr 48: „Trennungslinie“. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 2 f. Dazu Art 6 Rn 12 ff.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 7 Brüssel IIa-VO

nicht selten Zuständigkeitsregeln vorsehen, die von der Staatsangehörigkeit oder dem domicile des Antragstellers abhängen. Statt solche Zuständigkeiten, die wegen der unterschiedlichen Gestaltung in den einzelnen Mitgliedstaaten zu Diskriminierung iSd Art 12 EGV aF/ Art 18 AEUV führen können,9 zu tolerieren oder als exorbitant zu bannen, haben sich die Verfasser für eine integrationsfreundliche Lösung auf der Grundlage der Anwendung der jeweiligen lex fori entschieden.10 Abs 2 befreit solche Zuständigkeitsregeln von ihrem potentiell diskriminierenden Gehalt. Nach dem Modell des Art 4 Abs 2 Brüssel I-VO wird jede Staatsangehörigkeit zu einem Mitgliedstaat für Zwecke der Anwendung solcher Normen der Staatsangehörigkeit des Gerichtsstaats gleichgestellt. Dass dies nur in bestimmten Fällen geschieht, wirft freilich Auslegungsfragen auf. II. Restzuständigkeiten (Abs 1) 1. Restzuständigkeiten bei Fehlschlagen von Art 3-5 Art 7 Abs 1 eröffnet zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit den Rückgriff auf 8 die lex fori, wenn sich aus Art 3 bis 5 in keinem Mitgliedstaat eine internationale Zuständigkeit ergibt.11 Art 6 steht dem nicht entgegen, auch wenn der Antragsgegner einem Mitgliedstaat angehört oder in einem Mitgliedstaat gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die Anwendung der lex fori ist in diesem Fall auch nicht auf den Heimat-12, domicile- oder Aufenthaltsstaat des Antragsgegners beschränkt, sondern ist in jedem Mitgliedstaat zugelassen. Folgt man der Rechtsprechung des EuGH, so ergibt sich dies zwar nicht mehr zwanglos aus Abs 1, der nach Ansicht des EuGH nicht als Ausnahmenorm zu Art 6 zu verstehen ist; eine entsprechende Einschränkung des Art 6 ist gleichwohl teleologisch geboten.13 Insbesondere kann in einem solchen Fall die internationale Zuständigkeit im Heimatstaat des Antragstellers auf dessen Staatsangehörigkeit gestützt werden, auch wenn die Anforderungen, die Art 3 Abs 1 lit a Str 6 an den gewöhnlichen Aufenthalt stellt, nicht vorliegen.14 2. Sonstige Fälle der Anwendung der lex fori Abs 1 beschreibt den Anwendungsbereich der lex fori nach Ansicht des EuGH15 abschlie- 9 ßend. Insbesondere eröffnet Art 6 nicht im Umkehrschluss den Zugang zur lex fori. Liegen die Voraussetzungen des Art 6 nicht vor, so kann gleichwohl auf die Zuständigkeiten der lex fori nicht zurückgegriffen werden, wenn sich in irgendeinem Mitgliedstaat eine Zuständigkeit aus Art 3 bis 5 ergibt. Auf die lex fori zurückgegriffen werden kann jedoch, wenn zwar Zuständigkeiten aus Art 3 10 9 10 11 12 13 14

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Spellenberg FS Geimer (2002) 1275. Borrás-Bericht Nr 47. BGH NJW-RR 2013, 641, 642; Cass civ Rev crit dip 2011, 438; Cass civ JDI 2010, 475. So die Fallsituation in Rb ’s-Gravenhage NIPR 2004, 191. Dazu Art 6 Rn 14a. Deutsche Gerichte sind also nach hier vertretener Ansicht gemäß § 98 Abs 1 Nr 1 FamFG international zuständig für den Scheidungsantrag eines Deutschen gegen seinen Ehegatten, der französischer Staatsangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz ist, weil Art 6 der Rückgriff auf die deutsche lex fori nur sperren kann, wenn Art 3 bis 5 in irgendeinem Mitgliedstaat eine Zuständigkeit bereitstellen. Dazu Art 6 Rn 11.

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bis 5 in einem anderen Mitgliedstaat bestehen, dort aber wegen völkerrechtlicher Immunität des Antragsgegners nicht ausgeübt werden können. Dieser Fall steht dem Fehlen einer anderweitigen Zuständigkeit nach der VO teleologisch gleich, weil Art 7 Abs 1 nur das Zuständigkeitssystem der VO schützt, soweit es tatsächlich in Anspruch genommen werden kann. Andere Mitgliedstaaten – in denen diese Immunität nicht bestehen mag – wenden also ihre lex fori an.16 3. Maßgeblicher Zeitpunkt 11 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zulässigkeit der Anwendung der lex fori ist

die Verfahrenseinleitung. Ist bei Antragstellung der Rückgriff auf die lex fori zulässig, so kann eine spätere Änderung der Verhältnisse die Fortdauer der Zuständigkeit nicht mehr berühren. Aus Sicht der nun vom EuGH geteilten hM wird die Frage aufgeworfen, ob schon eine sich anbahnende Zuständigkeit in einem anderen Mitgliedstaat den Rückgriff auf die lex fori ausschließe. Hat der Antragsteller in einem Mitgliedstaat gewöhnlichen Aufenthalt, so besteht dort vor Ablauf der Fristen nach Art 3 Abs 1 lit a Str 5 oder 6 keine Zuständigkeit, kann sich jedoch durch Fristablauf entwickeln. Eine solche Einschränkung wird vereinzelt vorgeschlagen,17 findet aber weder im Wortlaut noch im Zweck eine Stütze.18 Fehlt es also im Aufenthaltsstaat des Antragstellers im Zeitpunkt der Antragstellung (noch) an einer Zuständigkeit aus Art 3 Abs 1 lit a Str 5 oder 6, so kann im Anhängigkeitsstaat die Zuständigkeit lege fori beansprucht werden und bleibt sodann nach den Grundsätzen der perpetuatio fori internationalis erhalten. Dass sich hieraus ein gewisser „Wettlauf“ ergeben kann, muss als unmittelbare Folge von Gerichtsständen, die ein zeitliches Element umfassen, hingenommen werden. III. Gleichbehandlung Angehöriger von Mitgliedstaaten (Abs 2) 1. Voraussetzungen der Gleichstellung a) Anwendbarkeit der lex fori – Person des Antragsgegners 12 (1) Abs 2 setzt die Anwendbarkeit der lex fori voraus. Soweit der Rückgriff auf die lex fori

gesperrt ist, finden auch die integrationsfreundlich erweiterten, in Abs 2 erfassten Zuständigkeiten keine Anwendung. Abs 2 gilt also nur dann, wenn Abs 1 den Rückgriff auf die lex fori eröffnet. 13 (2) Schwierigkeiten ergeben sich jedoch, weil Abs 2, anders als Abs 1, ausdrücklich nur

anzuwenden ist gegenüber Antragsgegnern, die weder gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates noch die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates – bzw domicile in Irland oder dem UK – besitzen.19 Die Gründe für diese Einschränkung werden aus den Materialien nicht erkennbar, unklar ist vor allem, ob eine bewusste Einschränkung des Abs 2 gewollt ist oder man davon ausging, damit alle Fälle der Anwendung der lex fori 16 17 18 19

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Erwägungsgrund Nr 14. Schack RabelsZ 65 (2001) 615, 623. NK-BGB/Gruber Rn 5. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 3.

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erfasst zu haben;20 für letzteres spräche zwar, dass die Einschränkung in Abs 2 gerade komplementär zu Art 6 formuliert ist; mit der Auslegung des Art 6 durch den EuGH, wonach Art 6 gerade nicht abschließend die Ausschließlichkeit regelt, ist diese Sicht jedoch nicht zu vereinbaren. Insbesondere kann es zum Rückgriff auf die lex fori auch in Fällen kommen, in denen der Antragsgegner die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt.21 Damit ist in Konsequenz Abs 2 auch in diesem Fall – entsprechend – anzuwenden, um eine Diskriminierung iSd Art 12 EGV aF/Art 18 AEUV zu vermeiden. (3) Schließlich lässt Art 6 nach bisher allgemeiner Ansicht die Anwendung der lex fori im 14 Heimat-, Aufenthalts- oder domicile-Staat des Antragsgegners zu, weil sich die Ausschließlichkeit der Art 3 bis 5 nur auf andere Mitgliedstaaten bezieht. Freilich gilt auch dies in Konsequenz der Rechtsprechung des EuGH zu Art 6, 7 nur, wenn nach Art 3 bis 5 in keinem anderen Mitgliedstaat eine Zuständigkeit besteht.22 Auch in diesem Fall, soweit er noch eigenständige Bedeutung hat,23 würde Abs 2 nach seinem Wortlaut nicht eingreifen, ohne dass dafür eine Rechtfertigung erkennbar wäre. Zwar wird es sich in diesem Fall häufig um auf die Staatsangehörigkeit oder das domicile des Antragsgegners bezogene Zuständigkeiten handeln, die nach der lex fori eingreifen. Begründet jedoch zB die Staatsangehörigkeit des Antragstellers oder die gemeinsame Staatsangehörigkeit bei Eheschließung die Zuständigkeit lege fori, so besteht auch in dieser Konstellation Gleichstellungsbedarf. Auch diese Lücke lässt sich durch analoge Anwendung des Abs 2 oder durch erweiternde Auslegung der jeweiligen nationalen Norm im Lichte des Art 12 EGV aF/Art 18 AEUV schließen. b) Staatsangehörigkeit des Antragstellers (1) Abs 2 wirkt nur zugunsten von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats. Aus dem Text- 15 zusammenhang („gegenüber einem Antragsgegner geltend machen“) erschließt sich, dass hiermit – jedenfalls im Rahmen der Ehesache – der Antragsteller gemeint ist. Im Gegensatz zu Art 3, 6 und der Person des Antragsgegners in Abs 2 ist auch für Irland und UK auf die Staatsangehörigkeit abzustellen. Hierbei handelt es sich nicht etwa um ein redaktionelles Versehen: Abs 2 orientiert sich am Diskriminierungsverbot in Art 12 EGV aF/ Art 18 AEUV, das an der Staatsangehörigkeit ausgerichtet ist, und nicht an jurisdiktionellen Anknüpfungsmerkmalen. (2) Der Begriff des Mitgliedstaats ist auch in diesem Zusammenhang nach Art 2 Nr 3 zu 16 bestimmen, schließt also Dänemark nicht ein. Diese Einschränkung dürfte eine Diskriminierung iSd Art 12 EGV aF/Art 18 AEUV gegenüber dänischen Staatsangehörigen darstellen, die als Antragsteller in den Mitgliedstaaten wie Ausländer behandelt werden.24 Diese unterschiedliche Behandlung ist nicht – wie jene in Art 6 – notwendig darauf zurückzuführen, dass Dänemark an der VO nicht teilnimmt, denn sie findet gerade nicht in Anwendung von Zuständigkeits- und Anerkennungsregeln der VO, sondern in Anwendung der jeweiligen lex fori statt. Eine erweiternde Auslegung, die dänische Antragsteller zur Vermeidung 20

21 22 23 24

Der Borrás-Bericht Nr 47 formuliert, als handele es sich um ein zusätzliches Kriterium, gibt dafür aber keine Gründe an. Dazu Art 6 Rn 14. Art 6 Rn 23. Dazu Art 6 Rn 23. AA Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 18; Zöller/Geimer Rn 2; Geimer/Schütze/Dilger Rn 6.

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einer Diskriminierung in den Anwendungsbereich des Abs 2 einbezieht, könnte bei Abs 2 ansetzen; näher liegt aber eine entsprechende integrationsfreundliche Auslegung der jeweiligen nationalen Bestimmung.25 c) Gewöhnlicher Aufenthalt des Antragstellers 17 Weitere Voraussetzung ist, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ho-

heitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates (als dessen, dem er angehört) hat. Aus dem Sinnzusammenhang mit der angeordneten Rechtsfolge („die in diesem Staat geltenden Zuständigkeitsvorschriften“) ergibt sich, dass der gewöhnliche Aufenthalt sich im Forumstaat befinden muss. 18 Für Angehörige eines Mitgliedstaats, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Heimatstaat

haben und dort eine Zuständigkeit suchen, folgt hieraus jedoch nicht im Umkehrschluss, dass sie sich auf die Inländerprivilegien im Zuständigkeitsrecht dieses Staates nicht mehr berufen dürften.26 Wie Art 4 Abs 2 Brüssel I-VO geht Abs 2 vielmehr davon aus, dass diese Bestimmungen der lex fori für Angehörige des Forumstaates ohnehin nach ihrem Wortlaut gelten und eine Gleichstellung nur für Angehörige aus anderen Mitgliedstaaten erforderlich ist. Eine Inländerdiskriminierung ist, ebenso wie bei Art 4 Abs 2 Brüssel I-VO, nicht gewollt. 2. Rechtsfolge a) Inländergleichstellung 19 (1) Unter den Voraussetzungen des Abs 2 kann sich der Antragsteller auf Normen der lex

fori im Gerichtsstaat wie ein Inländer berufen. Inländer ist im Sinn von „Staatsangehöriger des Forumstaats“ zu verstehen, da Ausgangspunkt des Abs 2, ebenso wie in Art 12 EGV aF/ Art 18 AEUV, die Staatsangehörigkeit ist. 20 (2) Betroffen sind also Zuständigkeiten der lex fori, die an die inländische Staatsangehörig-

keit des Antragstellers, aber auch solche, die an eine gemeinsame, insbesondere an eine frühere gemeinsame Staatsangehörigkeit anknüpfen, die nach Abs 2 nicht relevant ist. Diese Anknüpfung muss nicht ausdrücklich sein. Insbesondere im Rahmen von forum conveniens-Bestimmungen, die dem Gericht bei enger Verbindung zum Forumstaat Ermessen hinsichtlich der Inanspruchnahme der Zuständigkeit einräumen, kommt die Beachtlichkeit der Staatsangehörigkeit zum Forumstaat als Abwägungsgesichtspunkt in Betracht; auch insoweit bedarf es dann der Gleichstellung.27 21 (3) Der Antragsteller kann sich nur im Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts auf die „in

diesem Staat geltenden Zuständigkeitsvorschriften“ berufen; Forumstaat und Aufenthaltsstaat des Antragstellers müssen also übereinstimmen. Diese ausdrückliche Einschränkung ist notwendig, weil sonst – soweit die lex fori nicht nach Abs 1 iVm Art 3 bis 5 oder Art 6 gesperrt ist – eine Universalzuständigkeit all jener Mitgliedstaaten für Anträge von Mitgliedstaatenbürgern geschaffen würde, die solche Zuständigkeiten vorsehen.28 25 26 27

28

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IE wie hier NK-BGB/Gruber Rn 14; aA Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 18. So aber MünchKommFamFG/Gottwald Rn 6. Vormals § 8 des finnischen Gesetzes Nr 379/1929 idF v 1987, aufgehoben durch Gesetz vom 13.12.2001 Nr 1227; vgl Borrás-Bericht Nr 47. Vgl oben Rn 18.

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(4) Dadurch bleiben Assymetrien in gemischtnationalen Ehen bestehen, wenn der Heimat- 22 staat des Antragsgegners eine an die Staatsangehörigkeit des Antragstellers anknüpfende Zuständigkeit vorsieht, die der Ehegatte ohne dortigen Aufenthalt nicht nutzen kann.29 Angehörige des Forumstaats können sich – soweit die lex fori anwendbar bleibt – auf solche Normen weiterhin berufen, auch wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Heimatund Forumstaat haben. Die einschränkende Anforderung an den gewöhnlichen Aufenthalt gilt nur für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats haben. b) Einzelfälle Zuständigkeiten, die auf die Staatsangehörigkeit des Antragstellers, ggf auch in Verbindung 23 mit dessen inländischem Wohnsitz oder Aufenthalt, abstellen,30 finden sich in Bulgarien,31 Deutschland,32 Frankreich und Luxemburg,33 Griechenland,34 Österreich,35 Spanien36 und Schweden.37 Auch Bestimmungen, die dem Gericht oder einer Behörde Ermessen bei der Annahme der Zuständigkeit geben, fallen unter Abs 2, soweit die Staatsangehörigkeit Kriterium der Abwägung oder objektive Voraussetzung der Ermessensausübung38 ist. Hingegen unterfallen Bestimmungen, die isoliert an die Staatsangehörigkeit des Antrags- 24 gegners anknüpfen,39 nicht Abs 2. Wird an eine gemeinsame Staatsangehörigkeit angeknüpft,40 so dehnt Abs 2 eine solche Zuständigkeit auf EU-Bürger gleicher Staatsangehörigkeit bei gewöhnlichem Aufenthalt des Antragstellers im jeweiligen Mitgliedstaat aus.41 Anknüpfungen an den gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers, die unabhängig von dessen Staatsangehörigkeit sind oder dessen Staatenlosigkeit voraussetzen, sind entgegen der Nennung im Borrás-Bericht42 nicht von Abs 2 erfasst. Insoweit besteht kein Gleich29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39

40 41

42

Vgl das Beispiel Art 6 Rn 14a betreffend Art 14 cc. Vgl auch Art 3 Fn 6. Art 7 IPRG. § 98 Abs 1 Nr 1 FamFG. Jeweils Art 14 cc. Art 612 KPD. § 76 Abs 2 JN. Art 22 LOPJ. 3. Kap § 2 Gesetz 1904:26. Schweden: 3. Kap § 2 Nr 6 Gesetz 1904:26. Auch, soweit die Zuständigkeit parteirollenneutral und alternativ an die Staatsangehörigkeit anknüpft (Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Luxemburg, Österreich, Portugal), spielt die Staatsangehörigkeit des Antragsgegners für Abs 2 keine Rolle. ZB Spanien: Art 22 LOPJ. Vor spanischen Gerichten kann sich also ein deutscher Antragsteller mit spanischem gewöhnlichem Aufenthalt für einen Scheidungsantrag gegen seinen deutschen Ehegatten mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Drittstaat (sonst Art 6!) auf Art 22 Alt 1 LOPJ berufen, nicht aber für einen Scheidungsantrag gegen einen französischen Ehegatten, denn die gemeinsame EU-Bürgerschaft begründet keine gemeinsame Staatsangehörigkeit. Er kann sich allerdings auf die ebenfalls auf EU-Bürger zu erweiternde Zuständigkeit nach Art 22 Alt 2 LOPJ berufen, für die bei gewöhnlichem Aufenthalt des Klägers in Spanien dessen spanische Staatsangehörigkeit genügt. Borrás-Bericht Nr 47 nennt ua § 606a Abs 1 Nr 3 und 4 ZPO aF.

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stellungsbedarf, weil solche Bestimmungen ohnehin auch für (EU-)Ausländer gelten, soweit die lex fori nicht durch Art 3 ff der VO verdrängt ist. Dasselbe gilt für domicile-Anknüpfungen,43 die, obgleich sie jurisdiktionell die Staatsangehörigkeit substituieren, nicht nach der Staatsangehörigkeit unterscheiden.44 IV. Reformbestrebung: Autonome „Restzuständigkeiten“ 25 Der derzeit gescheiterte Reformvorschlag (Brüssel IIa-ÄndE)45 nahm sich auch des Pro-

blems an, das sich daraus ergibt, dass mit Überlassung der Restzuständigkeiten an die jeweiligen leges fori das Bestehen einer Restzuständigkeit von der Regelungsfreude oder Lückenhaftigkeit des nationalen Rechts abhängt. Mit der Schaffung autonomer „Restzuständigkeiten“, die, da nicht mehr der lex fori entstammend, als Auffangzuständigkeiten bezeichnet werden sollten, sollte ein neu gefasster Art 7 die Verweisung auf die lex fori entbehrlich machen. Diese Zuständigkeiten sollten nur bei Scheitern des Katalogs in Art 3 sowie der Art 4 und 5 eingreifen, also nicht den alternativ gefassten Katalog des Art 3 gleichrangig ergänzen. Hilfsweise zuständig würden danach die Gerichte eines Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Ehegatten für mindestens drei Jahre gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hatten, sowie die Gerichte des Heimat- bzw domicile-Staates auch nur eines der Ehegatten. Abgesehen von der unklaren Formulierung des Aufenthaltskriteriums46 ist dem Ziel einer einheitlichen Regelung von Auffangzuständigkeiten, vor allem aber der Berücksichtigung des Interesses an einer Heimatstaatszuständigkeit, grundsätzlich zuzustimmen.47

Abschnitt 2: Elterliche Verantwortung Artikel 8: Allgemeine Zuständigkeit (1) Für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, sind die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. (2) Absatz 1 findet vorbehaltlich der Artikel 9, 10 und 12 Anwendung. I.

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45 46

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Verhältnis zu MSA und KSÜ 1. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Abgrenzung nach Art 60, 61 . . . . . . . . . . . . 3

II.

Allgemeine Zuständigkeit – Gewöhnlicher Aufenthalt (Abs 1) 1. Grundregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2. Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Vgl Art 3 Fn 6. Deshalb kann sich zB ein Antragsteller mit einem französischen domicile of origin nicht etwa vor irischen Gerichten auf eine Gleichstellung mit einem Antragsteller irischen Domizils berufen. Europäische Kommission, 17.7.2006, COM (2006) 399; dazu Einl Rn 43 ff. Der Vorschlag spricht von „gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt“ statt von gewöhnlichem Aufenthalt im selben Mitgliedstaat. Im Einzelnen Rauscher FS Kerameus Band 1 (2009) 1113, 1127 f.; zum Reformvorschlag insoweit auch Salerno Riv dir int priv proc 2007, 63, 80.

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Kapitel II: Zuständigkeit 3. Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 b) Sachnähe, Anwesenheit . . . . . . . . . . . . . . . 11a c) Gesamtschau der Kriterien . . . . . . . . . . . 11b d) Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11c e) Familiäre Integration, Wille . . . . . . . . . . 11d

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III.

IV.

f) Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11e g) Widerrechtliche Aufenthaltswechsel . . . 12 Sonstige Zuständigkeiten – Übersicht (Abs 2) 1. Verhältnis zu Art 9, 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Verhältnis zu Art 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 3. Verhältnis zu Art 13, 15 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

I. Verhältnis zu MSA und KSÜ 1. Kritik Die wesentlichste strukturelle Änderung der VO gegenüber der Brüssel II-VO besteht in der 1 Einbeziehung aller Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung iSd Art 1 Abs 1 lit b. Schon die Einbeziehung der Zuständigkeit für Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung1 im Zusammenhang mit Ehesachen in die Brüssel II-VO löste Abgrenzungsfragen zu dem in einigen Mitgliedstaaten geltenden Haager MSA v 5.10.1961 und dem erst in wenigen Mitgliedstaaten geltenden Haager KSÜ v 19.10.1996 aus. Dass neben dem KSÜ eine eigenständige Lösung gesucht wurde,2 ist für die Praxis nicht unproblematisch, die in unterschiedlichen Konstellationen von Kindes- und Elternaufenthalt die Lösung in unterschiedlichen Rechtsinstrumenten zu suchen hat.3 Mit der Einbeziehung aller Sorgerechtssachen tritt die neue VO insoweit „die Flucht nach vorn“4 an, zumal auch die in Art 4 Brüssel II-VO noch klar normierte Zurückhaltung gegenüber dem Geltungsbereich des HKindEntfÜbk aufgegeben und in Art 10, 11 ein Binnensystem der Rückgabe in Kindesentführungsfällen errichtet wird. Das einzige Argument für eine europäische Insellösung könnte in der Langwierigkeit und 2 der immer ungewissen Reichweite der Inkraftsetzung der Haager Übereinkommen gesehen werden.5 Abgesehen davon, dass dieses Argument wenig glaubwürdig wirkt, nachdem die Kommission den Mitgliedstaaten Steine bei der Zeichnung in den Weg gelegt hatte,6 hätte es außer einer wait-and-see-Haltung7 durchaus auch Alternativen gegeben. So hätte etwa eine Übernahme des KSÜ im Verhältnis der Mitgliedstaaten auch durch eine schlichte Inkorporierung mittels einer einzigen Verweisungsnorm erfolgen können, was nicht zuletzt das Ansehen des Übereinkommens gestärkt und die Zeichnungsfreude auch dritter Staaten bestärkt hätte. Der gewählte Ansatz der Kommission ist gekennzeichnet von dem Bemühen, im Detail Verbesserungen gegenüber dem KSÜ zu erreichen, was jedenfalls die Zersplitterung der Instrumente und ein streckenweise rührendes Bemühen um Eigenständigkeit zur Folge hat. Dass die VO die sorgerechtlichen Zuständigkeiten eng am KSÜ zu orientieren versucht, ist ein schwacher Trost. Soweit sie sich am KSÜ orientiert, ist sie überflüssig, 1 2 3 4 5 6 7

Zum Begriff Art 1 Rn 21 ff. Kritisch Hau FamRZ 2000, 1338. Eine erste Beispielsammlung gibt Puszkajler IPRax 2001, 82 f. Helms FamRZ 2002, 1594; Staudinger/Spellenberg (2005) Vorbem Art 8 ff Rn 1. Zustimmend Hausmann EuLF 2000/01, 277. Vgl Einl Rn 22. So wohl Staudinger/Spellenberg (2005) Vorbem zu Art 8 ff Rn 1.

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soweit sie abweicht, schafft sie Unsicherheit. Überdies kommt es im Detail zu Konflikten, da die VO, anders als MSA und KSÜ, keine kollisionsrechtlichen Regelungen enthält.8 Der einzige Punkt, an dem die engere Verbundenheit der Mitgliedstaaten für eine eigenständige Lösung genutzt wird, ist die in Art 11 Abs 7, 8 gefundene Lösung für Kindesentführungsfälle; diese Lösung nutzt die übergeordnete Macht der EG, sich über den ordre public des Verbringungsstaats eines Kindes hinwegzusetzen, die im völkervertraglichen Gleichordnungsverhältnis des KSÜ und des HKindEntfÜbk nicht besteht; ob dies politisch klug ist, steht auf einem anderen Blatt. 2. Abgrenzung nach Art 60, 61 3 Formal ist die Abgrenzung zu MSA und KSÜ durch Art 60 lit a und 61 geregelt. Die VO geht

in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten dem MSA vor (Art 60). Wann dieses Verhältnis berührt ist, erscheint nicht völlig eindeutig, zumal aus einem Umkehrschluss zu Art 61 deutlich wird, dass dieser Vorrang auch dann gilt, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat des MSA hat, der nicht Mitgliedstaat ist. Über das Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten geht gleichwohl die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit hinaus, wenn ein dritter Vertragsstaat nach Art 1 MSA primär zuständig ist, so dass insoweit das MSA Vorrang haben muss.9 Der Vorrang des MSA dürfte wegen Art 4 MSA auch eingreifen, wenn das Kind Staatsangehöriger eines MSA-Staates ist, der nicht Mitgliedstaat ist (dazu Art 60, 61, Rn 6).10 Hingegen ist Art 8 nicht verdrängt, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat und einem Drittstaat angehört.11 Für die Entscheidungsanerkennung ist die VO auch dann (auf Entscheidungen aus Mitgliedstaaten) anwendbar, wenn das Kind nicht in einem Mitgliedstaat gewöhnlichen Aufenthalt hat.12 Das MSA gilt nur für die Anerkennung von Entscheidungen aus einem MSAStaat, der nicht Mitgliedstaat ist.13 4 Im Verhältnis zum KSÜ hat Art 61 die Zielsetzung verstärkt, keinen offenen Konflikt mit dem

KSÜ heraufzubeschwören.14 Nach Art 52 Abs 1 KSÜ sind Vertragsstaaten des KSÜ Vereinbarungen untereinander in Bezug auf Kinder mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem dieser Vertragsstaaten gestattet, während „im Verhältnis“ zu anderen Vertragsstaaten das KSÜ unberührt bleibt. Dies greift Art 61 auf und beschränkt die VO auf Kinder mit gewöhnlichem

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Dazu unten Rn 21. Weitergehend für Vorrang des MSA Siehr FS Schwab (2005) 1267, 1270, der trotz gewöhnlichem Aufenthalt des Kindes in einem Mitgliedstaat schon bei Staatsangehörigkeit des Kindes zu einem MSA-Staat, der nicht Mitgliedstaat ist, den Vorrang des MSA annimmt, dazu Art 60, 61 Rn 3; daher wäre in OLG Oldenburg v 25.10.2006 – 2 UF 50/06, FamRZ 2007, 1827 bei gewöhnlichem Aufenthalt des Kindes in der Türkei nicht zunächst Art 8, sondern sogleich das MSA anzuwenden gewesen. Hof Amsterdam NIPR 2010, 660 wendet in einem Doppelstaaterfall (NL-TY) Art 8 an. Hohloch IPRax 2010, 567, 568: MSA verdrängt, da keine völkervertraglich bindende Berührung zu einem anderen MSA-Staat. Näher Art 60, Art 61 Rn 6. Hof Amsterdam NIPR 2010, 660; insoweit nur noch die Türkei, da ansonsten das KSÜ vorgeht. Vgl Borrás-Bericht Nr 36, wo auf Art 52 II KSÜ Bezug genommen wird.

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Aufenthalt in einem Mitgliedstaat,15 so dass insoweit Art 8 dem KSÜ vorgeht.16 Die Staatsangehörigkeit des Kindes zu einem KSÜ-Staat, der nicht Mitgliedstaat ist, verdrängt hingegen bei gewöhnlichem Aufenthalt in einem Mitgliedstaat nicht Art 8, weil im System des KSÜ die Staatsangehörigkeit keine originäre Zuständigkeit des Heimatstaats begründet.17 Soweit Art 14 den Rückgriff auf das nationale Recht gestattet, sind auch MSA und KSÜ 5 anzuwenden,18 auch wenn das Kind in einem Mitgliedstaat Aufenthalt hat. Dies wird jedoch selten der Fall sein, weil bei gewöhnlichem Aufenthalt des Kindes in einem Mitgliedstaat immer aus Art 8 eine Zuständigkeit folgt. Das Verhältnis der Übereinkommen zur lex fori bestimmt sich insoweit ausschließlich nach den Abgrenzungsregeln zu den Übereinkommen, so dass auf nationales Zuständigkeitsrecht erst zurückgegriffen werden kann, wenn auch das KSÜ und das MSA keinen Vorrang beanspruchen.19 II. Allgemeine Zuständigkeit – Gewöhnlicher Aufenthalt (Abs 1) 1. Grundregel Abs 1 übernimmt das inzwischen bewährte Prinzip des Art 1 MSA und Art 5 Abs 1 KSÜ: Für 6 Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung, also im sachlichen Anwendungsbereich von Art 1 Abs 1 lit b, sind die Gerichte des Mitgliedstaates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes zuständig. Die Anknüpfung ist kindzentriert, sie ermöglicht ein schnelles Eingreifen, reduziert die Belastungen des Kindes durch das Verfahren und sichert Beweisnähe ebenso wie Nähe zu Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe.20 Abs 1 bestimmt nur die internationale Zuständigkeit. Die örtliche Zuständigkeit muss sich 7 lege fori ergeben, wobei nach den hergebrachten Grundsätzen kein Mitgliedstaat die internationale Zuständigkeit wegen Fehlens der örtlichen verweigern darf. Im deutschen Recht gilt für isolierte Kindschaftssachen § 152 Abs 2-4 FamFG, für Kindschaftssachen im Verbund §§ 152 Abs 1, 153 FamFG. Die Staatsangehörigkeit des Kindes spielt, wie unter dem KSÜ und anders als nach Art 3 8 MSA, keine Rolle,21 eine Öffnung zur Berücksichtigung der Staatsangehörigkeit als Bindungsfaktor ergibt sich jedoch mittelbar aus Art 12 Abs 1 bei Sorgerechtsentscheidungen im Zusammenhang mit einer Ehesache sowie ausdrücklich aus Art 12 Abs 3 unabhängig von diesem Zusammenhang. 2. Zeitpunkt a) Maßgeblich für die Bestimmung der Zuständigkeit ist der gewöhnliche Aufenthalt im 9 Zeitpunkt der Antragstellung; ein Aufenthaltswechsel während des Verfahrens entzieht die 15 16 17 18 19 20 21

Was schon zum Brüssel II-Übereinkommen angestrebt war: Borrás-Bericht Nr 36. BGH v 16.3.2011 – XII ZB 407/10, FamRZ 2011, 796, 797; Wagner/Janzen FPR 2011, 110, 111. Zum Streitstand Benicke IPRax 2013, 44, 52. Puszkajler IPRax 2000, 83; aA Jayme/Kohler IPRax 2000, 457. Rb Rotterdam NIPR 2012, 74; Rb Breda NIPR 2011, 336. Coester-Waltjen FamRZ 2005, 241, 242. OLG Nürnberg IPRspr 2010 Nr 242; Rausch FuR 2005, 53, 56.

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Zuständigkeit auch für höhere Instanzen nicht.22 Auch eine zunächst vorläufig getroffene Eilmaßnahme kann die Zuständigkeit dauerhaft begründen.23 Abs 1 statuiert also ausdrücklich den Grundsatz der perpetuatio fori internationalis,24 was man durchaus kritisch sehen kann, weil wesentliche Effekte, wie die Nähe des Gerichts und der Systeme der Kinder- und Jugendhilfe zum Kind bei Wegzug im Verfahren verloren gehen.25 Die perpetuatio fori des Aufenthaltsgerichts weicht vom Verständnis in MSA26 und KSÜ ab,27 so dass bei gewöhnlicher Aufenthaltsverlegung des Kindes während des Verfahrens in einen Nichtmitgliedstaat, der dem MSA oder KSÜ angehört, die Zuständigkeit entfällt.28 Hingegen bleibt es bei Wegzug des Kindes in einen durch keines der drei Instrumente gebundenen Drittstaat beim Fortbestand der Zuständigkeit aus Art 8. Insbesondere schafft Art 8 damit die Grundlage für eine Zuständigkeitszuordnung, die insbesondere bei Kindesentführung nach Einleitung eines Verfahrens zur elterlichen Verantwortung keine Zweifel am Fortbestand der Aufenthaltszuständigkeit entstehen lässt. Der Einleitung eines Verfahrens im neuen Aufenthaltsstaat, mag dort gewöhnlicher oder schlichter Aufenthalt bestehen, steht jedenfalls Art 19 Abs 2 entgegen.29 Maßgeblich sind insbesondere auch für weitere Instanzen im ursprünglichen gewöhnlichen Aufenthaltsstaat die Aufenthaltsverhältnisse bei Einleitung des erstinstanzlichen Verfahrens.30 Der verfahrensrechtlich maßgebliche Zeitpunkt der Antragstellung ist entsprechend Art 16 zu bestimmen.31 10 b) Fraglich ist, ob Abs 1 auch dem Entstehen der Aufenthaltszuständigkeit während einem

bereits anhängigen Verfahren entgegensteht, was bei formal wortlautorientiertem Verständnis nahe läge. Gleichwohl wäre es wenig sinnvoll, wenn ein Gericht in dem Mitgliedstaat, in dem das Kind im Entscheidungszeitpunkt gewöhnlichen Aufenthalt hat, sich mit Blick auf die Verhältnisse bei Antragstellung für unzuständig erklärt. Aufenthaltszuständigkeit kann also noch im laufenden Verfahren, auch bei Anhängigkeit in einer Rechtsmittelinstanz, entstehen.32 In einem solchen Fall ist jedoch in Ansehung von Art 19 Abs 2 der Vorrang 22

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25 26

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HR NIPR 2011. 150; Hof Arnhem NIPR 2012, 412, 413; Hof s’Hertoigenbosch NIPR 2010, 234, 235; Holzmann FPR 2010, 497, 498. Hof Leeuwarden NIPR 2012, 226. BGH v 17.2.2010 – XII ZB 68/09, FamRZ 2010, 720; OLG Stuttgart v 12.4.2012 – 17 UF 22/12, FamRZ 2013, 49; HR NIPR 2011, 150; HR NIPR 2013, 37; Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2007, 365, 366; Hof ’sGravenhage NIPR 2012, 624, 625; Rb ’s-Gravenhage NIPR 2006, 281; Rathjen FF 2007, 27, 32; Solomon FamRZ 2004, 1409, 1411; Rauscher EuLF 2005, I-37, 39; Geimer/Schütze/Dilger Rn 7; Pirrung FS Kerameus (2009) 1037, 1045. Vgl einerseits Busch IPRax 2003, 221; andererseits Coester-Waltjen FamRZ 2004, 281. BGH IPRax 2003, 145; Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2007, 365, 367; dazu Bauer IPRax 2003, 135, 137; einschränkend OGH ZfRV 1994, 158: Zeitpunkt erstinstanzlicher Entscheidung. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 1; Geimer/Schütze/Dilger Rn 4; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 5; Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 55; Pirrung FS Kerameus (2009) 1037 ff. OLG Stuttgart v 12.4.2012 – 17 UF 22/12, FamRZ 2013, 49; OGH v 20.11.2012 – 5 Ob 104/12y (5 Ob 201/12p), IPRax 2014, 183, 186; OGH v 19.12.2012 – 6 Ob 217/12y; Benicke IPRax 2013, 44, 52. NK-BGB/Gruber Rn 1. Hof ’s-Gravenhage NIPR 2007, 362, 363. HR NIPR 2011, 665, 666; Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2012, 221; RB Groningen NIPR 2008, 49; Tower Hamlets London Borough Council v MK, SK, KK, WK and AK [2012] EWHC 426.

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des erstangerufenen Gerichts nur insoweit gerechtfertigt, als dieses Gericht bereits in dem Zeitpunkt zuständig gewesen sein muss, in dem das zweite Gericht angerufen wurde. Wurde hingegen die Zuständigkeit des erstangerufenen Gerichts erst durch den Erwerb des gewöhnlichen Aufenthalts begründet, nachdem bereits das zweite Gericht angerufen war, so hat das erstangerufene Gericht seine Zuständigkeit abzulehnen.33 3. Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts a) Grundsätze Der gewöhnliche Aufenthalt ist grundsätzlich als autonomes Konzept des europäischen 11 Rechts zu verstehen und unabhängig von nationalem Recht34 zu bestimmen.35 Dennoch sollte sich, schon aus Gründen der Kontinuität einer Begriffsbildung, die sich insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten erst verfestigen muss36 und die ihren Ursprung im Kindesschutzgedanken hat, der auch Art 8 zu Grunde liegt,37 der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts unter Art 8 nicht von dem zum MSA entwickelten und im KSÜ übernommenen Begriff entfernen.38 Grundsätzlich nicht anders, als für die Aufenthaltsbestimmung von Erwachsenen (insbesondere in Art 3 für die Ehegatten),39 ist darunter der Ort zu verstehen, an dem das Kind seinen Lebensmittelpunkt40 hat. Der gewöhnliche Aufenthalt ist Ausdruck einer gewissen sozialen und familiären Integration des Kindes.41 Da der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts vor seiner Übernahme in Art 3 und in die Rom III-VO im familienrechtlichen Kontext primär an kindbezogenen Fallgruppen zu MSA und KSÜ entwickelt wurde, ist bei historischer Betrachtung eher mit Abweichungen von den dort entwickelten Kriterien bei Art 3 und in der Rom III-VO als bei Art 8 zu rechnen. In diesem autonomen Konzept sind einige Grundprinzipien weitgehend unstreitig: Mehrere gewöhnliche Aufenthalte42 kommen nicht in Betracht,43 auch wenn dies gelegentlich 32

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BGH v 17.2.2010 – XII ZB 68/09, FamRZ 2010, 720; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 6 ff; Solomon IPRax 2004, 1409, 1411; Rauscher EuLF 2005 I-37, 39; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 5. Solomon IPRax 2004, 1409, 1411; Rauscher EuLF 2005 I-37, 39. Zu dem abweichenden Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im englischen Recht ausdrücklich abgrenzend In the Matter of L (a child) [2012] EWCA Civ 1157; zur Entwicklung im französischen Recht Gallant Rev crit dip 2009, 802, 804 ff. EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843, 845; EuGH v 22.12.2010 – Rs C-497/10 PPU Mercredi/Chaffe FamRZ 2011, 617, 619; HR NIPR 2013, 37, 38; OLG Saarbrücken IPRspr 2010 Nr 121; Kommission, Leitfaden 12; Looschelders JR 2006, 45, 46; Völker jurisPR-FamR 3/2006 Anm 5; Staudinger/ Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 54. Hierzu instruktiv Júdova YB PIL 2007, 471 zur Rezeption des Begriffs in der Slovakei. OLG Stuttgart v 12.4.2012 – 17 UF 22/12, FamRZ 2013, 49, 50. HR NIPR 2011, 292; OLG München IPRspr 2005 Nr 198; Looschelders JR 2006, 45, 46; Pirrung IPRax 2011, 50, 53; nicht eindeutig hingegen der EuGH Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 847, 843, 844 f. Dazu Art 3 Rn 21 ff. BGH FamRZ 2008, 45, 46. EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843, 845; EuGH v 22.12.2010 – Rs 497/10 PPU Mercredi/Chaffe FamRZ 2011, 617, 619. Zum Streitstand Holzmann FPR 2010, 497, 498. In the Matter of L (a child) [2012] EWCA Civ 1157; anders im internen englischen Recht: Ikimi v Ikimi [2001] EWCA Civ 873.

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für Situationen alternierenden Lebens in zwei Staaten44 oder eines modernen Nomadentums45 erwogen wird. Hingegen kann durchaus die Situation eintreten, dass nach Abwägung aller Umstände ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht feststellbar ist und deshalb ausnahmsweise auf Art 13 Abs 1, also den schlichten Aufenthalt, zurückzugreifen ist.46 Der Ansatz eines in mehrmonatigen oder gar kürzeren Abschnitten alternierenden gewöhnlichen Aufenthalts lässt sich zumindest für Kinder nicht nutzbar machen.47 Hingegen kann sich der von der Denkweise des domicile-Begriffs wohl nicht unbeeinflusste Ansatz englischer Gerichte,48 im Zweifel den vor Beginn des alternierenden Aufenthalts bestehenden gewöhnlichen Aufenthalt fortdauern zu lassen, bis Integration an einem anderen Ort dauerhaft erscheint, durchaus auf die EuGH-Rechtsprechung stützen (Rn 11a), die für den Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts eine gewisse Beständigkeit verlangt. Anders verhält es sich, wenn die Familie an alternierenden Orten gelebt hat, vor Rechtshängigkeit anlässlich der Trennung der Eltern jedoch ein Aufenthaltsschwerpunkt des Kindes entstanden ist.49 Grundsätzlich ist der gewöhnliche Aufenthalt tatsächlicher Natur und weder primär tatbestandlich willensabhängig noch fiktiv als vom Sorgeberechtigten abgeleiteter Aufenthalt begründbar.50 Andererseits besteht nicht erst im nachfolgenden Kriterienkatalog des EuGH, sondern schon unter Art 1 MSA eine zwangsläufige tatsächliche Abhängigkeit von sozialer Integration des Kindes einerseits und willentlich gesteuerter Integration der Familie andererseits. Erst diese Lösung vom Aufenthalt eines Sorgeberechtigten und die Anbindung an die faktische familiäre Integration schafft bekanntlich die in Art 10, 11 sowie im HKindEntfÜbk behandelten Situationen, in denen ein Kind gegen den Willen eines Sorgeberechtigten in einem anderen Staat ggf gewöhnlichen Aufenthalt begründet.51 b) Sachnähe, Anwesenheit 11a Der EuGH52 stellt als Zweck der Aufenthaltsanknüpfung das Wohl des Kindes und hiermit

verbunden die Sachnähe des Gerichts (Erwägungsgrund Nr 12) in den Vordergrund. Insbesondere überträgt der EuGH53 ausdrücklich nicht autonome Definitionen des gewöhnlichen Aufenthalts in nicht familienrechtlichen, insbesondere sozialrechtlichen, Zusammenhängen54 des EU-Rechts.55 Ob damit auch eine abweichende Begriffsausrichtung in ande44 45 46

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Lamont JPIL 3 (2007) 261, 267. In the Matter of L (a child) [2012] EWCA Civ 1157 stilistisch lesenswert note 72. EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843, 845; EuGH v 22.12.2010 – Rs C-497/10 PPU Mercredi/Chaffe, IPRax 2012, 340 = FamRZ 2011, 617, 619. In the Matter of L (a child) [2012] EWCA Civ 1157. Überzeugend entwickelt In the Matter of L (a child) [2012] EWCA Civ 1157. App Bruxelles Rev trim dr fam 2013, 263, 275 ff. OLG Saarbrücken IPRspr 2010 Nr 121; Siehr IPRax 2012, 316, 317. Unzutreffend insoweit OLG Saarbrücken IPRspr 2010 Nr 121 aus dem Schutzzweck des HKindEntfÜbk folge die Ablehnung eines vom Sorgeberechtigten abgeleiteten gewöhnlichen Aufenthalts. EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843, 845; EuGH v 15.7.2010 – Rs C-256/09 Purrucker/ Pérez I FamRZ 2010, 1521; EuGH Rs C-403/09 PPU Detiček/Sgueglia FamRZ 2010, 1521; EuGH v 22.12. 2010 – Rs C-497/10 PPU Mercredi/Chaffe FamRZ 2011, 617, 619; EuGH v 9.10.2014 – Rs C-376/14 PPU C/M Rn 50. EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843. Dazu Lamont CML Rev 47 (2010) 235, 238. Dutta/Schulz ZEuP 2012, 526, 534.

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rem, Erwachsene betreffenden, familien- oder erbrechtlichen Kontext vorgezeichnet ist, bleibt offen und dürfte sogar für Zwecke des Art 3 eher zu verneinen sein, weil der EuGH eine starke Anbindung des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes an den „der Familie“ entwickelt. Der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes ist anhand aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Missverständlich ist zunächst die als solche nicht genügende56 Voraussetzung der körperlichen Anwesenheit des Kindes,57 die zwar zur Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts erforderlich ist, jedoch nicht im Sinn einer Dauervoraussetzung missverstanden werden darf; nur kurzfristige vorübergehende Abwesenheit berührt den gewöhnlichen Aufenthalt nicht; auch die oft als dauerhaft angelegte Verbringung des Kindes in Entführungsfällen lässt den gewöhnlichen Aufenthalt nicht sogleich entfallen (Rn 12). c) Gesamtschau der Kriterien Alle weiteren Kriterien dienen dem Zweck, die Anwesenheit des Kindes als nicht nur 11b vorübergehend oder gelegentlich zu belegen, sondern als Ausdruck einer gewissen Integration in ein (auch ein übliches familienexternes58) soziales und familiäres Umfeld.59 Hieraus ergibt sich in der EuGH-Rechtsprechung ein breiter Kriterienkatalog, der eine Gesamtschau erfordert und überdies nicht abschließend zu verstehen ist. Maßgeblich sind insbesondere die Dauer, die Regelmäßigkeit, die Umstände des Aufenthalts, aber auch die Gründe für den Aufenthalt bzw den Umzug der Familie in den betreffenden Mitgliedstaat60 sowie die familiären und sozialen Bindungen der Familie bzw des Elternteils, bei dem das Kind sich aufhält.61 Diese Abwägung manifestiert sich auch in äußeren Details wie dem Ort und den Umständen der Einschulung an einem neuen Wohnort,62 dem Erwerb oder Anmietung einer Wohnung im Zuzugsstaat63 sowie den komplementären Handlungen (Ausschulung,64 Aufgabe der Wohnung) im bisherigen Aufenthalts-

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Hof ’s-Gravenhage NIPR 2010, 44; Rb Breda NIPR 2012, 640; App Bruxelles Rev trim dr fam 2013, 263, 275. EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843, 845; EuGH v 9.10.2014 – Rs C-376/14 PPU C/M Rn 51; OLG Stuttgart v 6.5.2014 – 17 UF 60/14 Rn 23. Hof ’s-Gravenhage NIPR 2010, 44: Teilnahme am alltäglichen Leben des Wohnortes. EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843, 845; EuGH v 9.10.2014 – Rs C-376/14 PPU C/M Rn 51; OLG Stuttgart v 6.5.2014 – 17 UF 60/14. EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843, 845; EuGH v 22.12.2010 – Rs C-497/10 PPU Mercredi/Chaffe, FamRZ 2011, 617, 619; EuGH v 9.10.2014 – Rs C-376/14 PPU C/M Rn 52. EuGH v 22.12.2010 – Rs C-497/10 PPU Mercredi/Chaffe, IPRax 2012, 340 = FamRZ 2011, 617; EuGH v 9.10.2014 – Rs C-376/14 PPU C/M Rn 52. Hof Amsterdam NIPR 2012, 25; Rb Breda NIPR 2012, 640; Rb Haarlem NIPR 2011, 102, 103; der Wohnort geht hingegen vor, wenn Wohnort und (Vor-)Schulort bedingt durch Berufstätigkeit eines Elternteils in verschiedenen Staaten liegen: OLG Hamm v 2.2.2011 – II-8 UF 98/10, FamRZ 2012, 143. EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843, 845; EuGH v 9.10.2014 – Rs C-376/14 PPU C/M Rn 52; HR NIPR 2013, 37, 38. HR NIPR 2013, 37, 38: Fehlende Ausschulung als starkes negatives Indiz für gewöhnliche Aufenthaltsverlegung.

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staat. Die melderechtliche Situation (Anmeldung/Abmeldung)65 bietet vor allem dann ein (negatives) Indiz, wenn das Kind noch im bisherigen Aufenthaltsstaat angemeldet bleibt.66 d) Dauer 11c Die Dauer eines neu begründeten Aufenthalts spielt in der Rechtsprechung auch bei sor-

gerechtlich legalem Umzug eine Rolle. Zwar setzt die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts keine Mindestdauer voraus,67 auch wenn dies in der Praxis nicht selten irrig aus der „6-Monats-Regel“ in der MSA-Rechtsprechung zu Entführungsfällen (Rn 12) gefolgert wird. Der Zeitfaktor tritt aber dann in den Vordergrund, wenn eine willensgetragene alsbaldige Integration fraglich ist und deshalb einzig die äußeren Umstände den Aufenthalt als dauerhaft identifizieren können. Der Zeitfaktor ist jedoch nicht isoliert maßgeblich: Ein bloß vorübergehend intendierter Aufenthalt, auch wenn er über einige Zeit andauert, ist nicht gewöhnlicher Aufenthalt.68 Hingegen ist bei sorgerechtlich legalem Aufenthaltswechsel, wofür auch Art 9 spricht, auch in kürzerer Frist eine Integration möglich, wenn der Sorgeberechtigte den Aufenthaltswechsel als dauerhaft anlegt,69 insbesondere, wenn weitere Kriterien hinzutreten.70 Ein Sonderproblem in diesem Zusammenhang ergibt sich für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts kurz nach der Geburt eines Kindes, falls der Sorgeberechtigte dort zwar vorher gelebt hat, aber alsbald mit dem Kind diesen Mitgliedstaat verlässt;71 lehnt man den gewöhnlichen Aufenthalt eines Neugeborenen stark an den des Sorgeberechtigten an und misst der Aufenthaltsdauer nur geringe Bedeutung zu, so dürfte sich eine abgeleitete habitual residence of origin72 ergeben, denn es ist kaum einsichtig, dass zwar der Aufenthaltswechsel zeitnah dem des Sorgeberechtigten folgt, nicht aber die Erstbegründung. e) Familiäre Integration, Wille 11d Stärkere Bedeutung im Verhältnis zur externen Integration hat – insoweit anders als bei

Erwachsenen – je jünger das Kind ist,73 die familiäre Integration,74 was dem Umstand entspricht, dass soziale Außenintegration eines Kindes sich aus der familiären Integration entwickelt. Damit kommt mittelbar auch dem Willen eines oder mehrerer Sorgeberechtigter Bedeutung zu,75 weil der Wille auf die Gründe einer Aufenthaltsverlegung einwirkt und 65

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Die häufig in der niederländischen Rechtsprechung erwähnt wird (Hof Amsterdam NIPR 2012, 25; Hof Leeuwarden NIPR 2012, 226), aber auch dort nur ein Kriterium unter vielen ist: HR NIPR 2013, 37, 38; Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2010, 234, 235: „niet zozeer“; Hof Amsterdam aaO: kein Wechsel trotz Ab-/ Anmeldung; Hingegen App Bruxelles Rev trim dr fam 2013, 263, 275: nicht relevant. Rb Haarlem NIPR 2012, 252. Siehr IPRax 2012, 316, 317; tendenziell anders die romanische Rechtsprechung, die den Begriff tendenziell zweigliedrig interpretiert und dem Element habituelle eine gelebte, nicht nur intendierte Dauerhaftigkeit unterlegt. In the Matter of L (a child) [2012] EWCA Civ 1157. OLG Stuttgart v 30.3.2012 – 17 UF 338/11, NJW 2012, 2043, 2044; OLG Saarbrücken IPRspr 2010 Nr 121. Vgl insbesondere EuGH Rs C-497/10 PPU Mercredi/Chaffe: Aufenthaltswechsel mit Neugeborenem in den Heimatstaat der Mutter; daran anknüpfend Mankowski GPR 2011, 209, 210. So in EuGH Rs C-497/10 PPU Mercredi/Chaffe, FamRZ 2011, 619. Zweifelnd Mankowski GPR 2011, 209, 210. App Bruxelles Rev trim dr fam 2013, 263, 275. Hof s’Hertogenbosch NIPR 2010, 234, 235; Hof s’Gravenhage NIPR 2011, 327, 329. OLG Stuttgart v 30.3.2012 – 17 UF 338/11, NJW 2012, 2043; Hof Leeuwarden NIPR 2012, 226, 227.

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damit den Aufenthalt auch alsbald nach einem Umzug, insbesondere ohne Ablauf einer bestimmten Aufenthaltsdauer,76 als dauerhaft oder auch als nur vorübergehend77 ausweisen kann. Insbesondere kann auch bei getrennt lebenden gemeinsam sorgeberechtigten Eltern eine Einigung zum vorrangigen Kindesaufenthalt bedeutsam sein.78 Hierbei ist jedoch der Wille nur ein Kriterium und immer eine Gesamtschau der Lebensverhältnisse erforderlich,79 so dass es auch bei Umzug mit beiden Eltern an der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts fehlen kann.80 Bei rechtmäßiger, gleichwohl streitiger Aufenthaltsverlegung mit dem allein Sorgeberechtigten dürfte der Zeitfaktor hingegen stärker zu berücksichtigen sein.81 Grundsätzlich spricht auch nichts dagegen, bei älteren Kindern auch deren Ansicht betreffend ihren Lebensmittelpunkt einfließen zu lassen,82 da der integrations-indizielle Wille kein rechtsgeschäftlicher Wille ist. f) Staatsangehörigkeit Der EuGH83 misst auch der Staatsangehörigkeit des Kindes Bedeutung zu, was, entgegen 11e der verbreiteten europhil genährten Ansicht, die Staatsangehörigkeit sei in Europa kollisionsrechtlich bedeutungslos,84 Zustimmung verdient: Soziale Integration hängt selbstverständlich auch von die Sozialisation erleichternden oder erschwerenden Faktoren ab und ebenso wie die Sprache ist auch die Staatsangehörigkeit – und die Nationalität – ein solcher Faktor;85 in der Heimat integriert man sich auch als Europäer leichter.86 Für ein Kleinkind stellt der EuGH in einem „Entführungsfall“87 (mangels einer eigenen relevanten Ortsbindung) auf die „geografische und familiäre Herkunft der Mutter“88 ab, was nur eine dezente Umschreibung für „Heimatstaat“ bedeutet. Ähnliches gilt für die ebenfalls abzuwägenden Sprachkenntnisse, deren Integrationsrelevanz vergleichbar strukturiert ist, aber ersichtlich keine europhile Skepsis auslöst. 76

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Cass civ Riv dir int priv proc 2013, 140; OLG München IPRspr 2005 Nr 198; zurückhaltender In the Matter of S (a child) [2009] EWCA Civ 1012: „intention is not sufficiently dominant … without some appreciable period“, was im Fall insbesondere an der „condition of affordability“ lag. BGH FamRZ 2008, 45, 46: Aufenthalt in Österreich zur Vermeidung der Schulpflicht berührt nicht den gewöhnlichen Aufenthalt. Rb Almelo NIPR 2011, 527; Rb Zwolle-Lelystad NIPR 2010, 91. Hof ’s-Gravenhage NIPR 2006, 264, 265: 8-monatiger Aufenthalt im Heimatstaat der Mutter. In der romanischen Rechtsprechung besteht hingegen eine Neigung, den facteur intentionnel nicht nur als ein Kriterium, sondern als übergeordnetes Kriterium zusammen neben der Dauer zu behandeln: App Bruxelles Rev trim dr fam 2013, 263, 275, was daran liegen dürfte, dass der Begriff résidence habituelle als solcher zweigliedrig verstanden wird; vgl zur zweigliedrigen Interpretation durch die französische Cour de cassation in Kindesentführungsfällen: van de Velden ICLQ 61 (2012) 530, 534; vgl auch Trib da Relação Lisboa www.unalex.eu PT-165: „‚habitual‘ tende a indicar uma certa duração“. HR NIPR 2013, 37, 38. Hof Amsterdam NIPR 2012, 25, 26. So Lamont JPIL 3 (2007) 261, 267 für sorgerechtliche Wechselmodelle (shuttle custody). EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843, 845; EuGH v 9.10.2014 – Rs C-376/14 PPU C/M Rn 52. Abwehrreflexe zeigen sich sogleich: Pirrung IPRax 2011, 50, 53. Rb Haarlem NIPR 2011, 102, 103; Trib da Relação Lisboa www.unalex.eu PT-165. Mankowski GPR 2011, 209, 210. EuGH v 22.12.2010 – Rs C-497/10 PPU Mercredi/Chaffe, FamRZ 2011, 617. Ebenso HR NIPR 2011, 292.

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g) Widerrechtlicher Aufenthaltswechsel 12 aa) Für die Aufenthaltsbestimmung von Kindern wird, anders als für Erwachsene, insbe-

sondere das Problem der Aufenthaltsverlegung gegen den Willen eines Sorgeberechtigten („Kindesentführung“) relevant, das die Diskussion um den Aufenthaltsbegriff in Art 1 MSA wesentlich geprägt hat. Insbesondere in dieser Konstellation erlangt das tatsächliche Konzept, das einen vom Sorgeberechtigten abgeleiteten gewöhnlichen Aufenthalt nicht kennt, seine Bedeutung.89 Auch insoweit sollte eine autonome Auslegung die zu Art 1 MSA entwickelten und zu Art 5 KSÜ fortzuschreibenden Grundsätze aufgreifen.90 Durch Kindesentführung als solche wird der gewöhnliche Aufenthalt nicht verändert; andererseits hindert der bloße entgegenstehende Wille des (anderen) Sorgeberechtigten nicht die faktische Integration; auch bei rechtswidriger Verbringung kann am Verbringungsort gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes entstehen.91 13 bb) Es dürfte sich insbesondere empfehlen, die ursprünglich in der Rechtsprechung ent-

wickelte „6-Monats-Regel“, wonach gewöhnlicher Aufenthalt in solchen Fällen nicht vor Ablauf von sechs Monaten erworben wird,92 in Anlehnung an Art 12 Abs 1 Haager Kindesentführungsübereinkommen zu einer 12-Monats-Regel auszubauen.93 Zwar kommt es unter Art 10 innerhalb der Jahresfrist nicht mehr wesentlich darauf an, ob am Verbringungsort ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet wird, weil Art 10 unbeschadet einer Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts die Zuständigkeit aus Art 8 nicht übergehen lässt,94 so dass es genügt, die den Übergang der Zuständigkeit bestimmenden Faktoren des Art 10 eng auszulegen95 und die Frage des gewöhnlichen Aufenthalts dahinstehen zu lassen. Gleichwohl nimmt Art 10 lit b sublit (i) die Jahresfrist als wesentliches Kriterium des Erhalts der Zuständigkeit in Entführungsfällen aus dem HKindEntfÜbk auf, weshalb es höchst konstruktiv erschiene, regelmäßig von einem Verlust des gewöhnlichen Aufenthalts nach 6 Monaten auszugehen und Art 10 als eine Norm zu verstehen, die danach ebenso regelmäßig eine perpetuatio jurisdictionis trotz Verlust der Voraussetzungen des Art 8 anordnet. Zwanglos lässt sich Art 10 lit b sublit (i) dahingehend verstehen, dass vor Ablauf von 12 Monaten gegen den Willen eines Sorgeberechtigten sich der gewöhnliche Aufenthalt nicht verlagert.96 In Gegenrichtung kann bei rechtswidrigem Verbringen ohnehin nicht aus einer bestimmten Verweildauer allein auf den Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts geschlossen werden.97 14 cc) Zugleich macht Art 10 aber auch deutlich, dass die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts

nicht Voraussetzung eines gewöhnlichen Aufenthalts ist. Gewöhnlicher Aufenthalt am Ver89 90

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RB Harlem NIPR 2008, 51; Looschelders JR 2006, 45, 46. NK-BGB/Gruber Rn 7; näher Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 3 ff; vgl auch OLG München 30.6.2005 IPRspr 2005 Nr 198. OGH www.unalex.eu AT-824. Dazu Bauer IPRax 2002, 181. Vgl OLG Hamm NJW-RR 1997, 6; OLG Stuttgart FamRZ 1997, 52; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 9; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 12. EuGH Rs C-195/08 PPU Rinau; EuGH v 1.7.2010 – Rs C-211/10 Povse/Alpago, FamRZ 2010, 1229. EuGH v 1.7.2010 – Rs C-211/10 Povse/Alpago, FamRZ 2010, 1229. Vgl Rb Alkmaar NIPR 2008, 142; Rb Roermond NIPR 2008, 308; Kohler/Pintens FamRZ 2010, 1481, 1485: „Voraussetzungen, unter denen das Kind … gemäß Art 10 Brüssel IIa-VO gewöhnlichen Aufenthalt erlangen kann.“ HR NIPR 2013, 183.

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bringungsort kann auch bei rechtswidriger Verbringung des Kindes entstehen98 und begründet dort dann auch die internationale Zuständigkeit nach Abs 1. Verhindert werden kann diese Wirkung nur dadurch, dass im ursprünglichen Aufenthaltsstaat ein Sorgerechtsantrag, ggf auch ein Rückgabeantrag, gestellt wird, der dann über Art 19 Abs 2 im Rahmen desselben Anspruchs die Inanspruchnahme der neuen Zuständigkeit blockiert. III. Sonstige Zuständigkeiten – Übersicht (Abs 2) 1. Verhältnis zu Art 9, 10 Art 8 Abs 1 findet vorbehaltlich der Art 9 und 10 Anwendung (Abs 2 Alt 1, 2). Diese 15 Bestimmungen sehen Zuständigkeiten von Gerichten in anderen Mitgliedstaaten als dem Aufenthaltsstaat des Kindes vor, die nicht hinter dem Aufenthaltsprinzip zurücktreten, sondern die Aufenthaltszuständigkeit verdrängen. Vorrang gegenüber Art 8 Abs 1 beansprucht die perpetuatio jurisdictionis nach Art 9 Abs 1 16 („abweichend von Art 8“); das danach befristet weiter für die Abänderung einer Umgangsentscheidung zuständige Gericht ist vorbehaltlich des Art 9 Abs 2 statt den Gerichten des neuen Aufenthaltsstaates zuständig. Vorrangig gegenüber Art 8 ist auch Art 10. Fraglich ist allerdings, ob Art 10 im Fall der 17 Kindesentführung nur das Fortbestehen der ursprünglich aus Art 8 begründeten Zuständigkeit der Gerichte des bisherigen Aufenthalts-Mitgliedstaates gegen einen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts („… gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat erlangt hat und …“) schützt99 oder ob Art 10 auch die Entstehung einer Zuständigkeit nach Art 8 Abs 1 in dem Verbringungsstaat, in dem das Kind gewöhnlichen Aufenthalt erlangt hat, so lange verhindert. Das Problem wird erheblich reduziert, wenn man in Entführungsfällen den gewöhnlichen Aufenthalt erst nach zwölf Monaten übergehen lässt, weil dann in den meisten Fällen die Voraussetzungen nach Art 10 lit b alsbald nach Erwerb eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts gegeben sind oder der Erwerb eines solchen durch entgegentretende Maßnahmen verhindert wird.100 Nicht ausgeschlossen ist gleichwohl, dass die Gerichte am bisherigen gewöhnlichen Aufenthalt und jene am Verbringungsort die Rechtswidrigkeit des Verbringens unterschiedlich beurteilen; diese Spannung löst Art 11 Abs 8 nur dann zu Gunsten der bisherigen Aufenthaltsgerichte, als diese die Verbringung als rechtswidrig ansehen. Im umgekehrten Konfliktfall kann es hingegen zu einem negativen Kompetenzkonflikt kommen. 2. Verhältnis zu Art 12 Abs 2 behält auch Art 12 vor. Die Zuständigkeiten nach Art 12 treten jedoch neben die 18 Zuständigkeit nach Abs 1 und verdrängen diese nicht. Sowohl die Zuständigkeit des mit der Ehesache befassten Gerichts nach Art 12 Abs 1, 2 als auch die Zuständigkeit nach Art 12 Abs 3 in sonstigen Sorgerechtsverfahren verdrängt nicht die Zuständigkeit der Aufenthalts98 99 100

NK-BGB/Gruber Rn 7. ZB Hof ’s-Gravenhage NIPR 2012, 626, 627; Rb Limburg/Maastricht NIPR 2013, 229. Nicht ganz eindeutig auf den fehlenden Ablauf eines Jahres stellt ab: Hof ’s-Gravenhage NIPR 2010, 665, 666.

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gerichte nach Abs 1.101 Insoweit sind die Gerichte beider Mitgliedstaaten zuständig und der Vorrang bestimmt sich lediglich nach Art 19 Abs 2.102 Art 12 kann aber auch dann eingreifen, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Nicht-Mitgliedstaat hat und sich aus Art 8 deshalb in keinem Mitgliedstaat eine Zuständigkeit ergibt.103 3. Verhältnis zu Art 13, 15 19 Nicht in Abs 2 bezeichnet ist das Verhältnis von Abs 1 zu Art 13 und 15. Die Zuständigkeit

aufgrund schlichtem Aufenthalt (Anwesenheit) nach Art 13 ist subsidiär gegenüber Art 8 Abs 1 und 12, denn sie setzt voraus, dass sich der gewöhnliche Aufenthalt nicht bestimmen lässt und eine Zuständigkeit nach Art 12 nicht besteht. 20 Art 15 hingegen setzt die anderweitige, insbesondere aus Art 8 Abs 1 begründete Zuständig-

keit eines Gerichts voraus,104 das sich nur auf Grundlage seiner an sich gegebenen Zuständigkeit gleichwohl als nicht geeignet zur Entscheidung der Sorgerechtssache ansieht. IV. Anwendbares Recht 21 Konflikte, ja ein Rückschritt in der Sache, ergeben sich, weil die VO im Gegensatz zu MSA

und KSÜ eine kollisionsrechtliche Regelung unterlässt.105 Der in Art 2 MSA erprobte und in Art 15 KSÜ durch Aufgabe des Heimatrechtsvorbehalts (Art 3 MSA) noch verstärkte Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht wird jedenfalls auf formaler Ebene aufgegeben. 22 Da die VO über Art 60, 61 nur zuständigkeitsrechtlich das MSA und das KSÜ verdrängt106

und Art 62 Abs 1 ausdrücklich die Geltung der Übereinkommen für andere Rechtsgebiete betont, sollte außer Zweifel stehen, dass bei Aufenthalt des Kindes in einem Mitgliedstaat die Kollisionsregeln von MSA und KSÜ nicht durch die VO verdrängt sind.107 Dies sagt aber noch nichts aus über den positiven Geltungswillen der beiden Übereinkommen. Hier aber besteht ein Problem: Sowohl Art 2 MSA als auch Art 15 KSÜ sehen für die Schutzmaßnahme die Anwendung der lex fori ausdrücklich nur bei Wahrnehmung der Zuständigkeiten aus den Übereinkommen selbst vor. Eine davon unabhängige Kollisionsnorm für die Bestimmung des Sorgeberechtigten enthält nur Art 16 KSÜ, während Art 3 MSA nach hM keine allgemeine Kollisionsregel bestimmt. 23 Die inzwischen hM entnimmt MSA und KSÜ einen Grundsatz der Anknüpfung von Sor-

gerecht und Sorgeregelung – unabhängig von der Zuständigkeit – an den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes.108 Das ist jedoch nur im Rahmen der zuständigkeitsrechtlichen 101 102 103 104 105

106 107 108

138

AA AG Steinfurt 8.1.2008 (10 F 9/07) juris. Ausdrücklich aA AG Steinfurt 8.1.2008 (10 F 9/07) juris. HR NIPR 2007, 140, 141. OGH EF-Z 2010, 231, 232. Womit nicht einer weiteren Entwicklung im bisherigen Stil, also Übernahme der KSÜ-Lösung mit Kompromiss-Modifikationen, das Wort geredet sein soll. Vgl Jayme/Kohler IPRax 2000, 457; Puszkajler IPRax 2001, 82. So Puszkajler IPRax 2001, 82; NK-BGB/Gruber Rn 9. So Puszkajler IPRax 2001, 82; NK-BGB/Gruber Rn 11 f.; Geimer/Schütze/Dilger Rn 19; Zöller/Geimer

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 8 Brüssel IIa-VO

Grundanknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt109 ohne Weiteres richtig. Für die Sorgemaßnahme berufen die Übereinkommen die jeweilige lex fori, was im Rahmen der Hilfszuständigkeiten zu ganz anderen Ergebnissen führt als das Aufenthaltsprinzip.110 Gerade das Verhältnis von Art 15 und 16 KSÜ zeigt, dass bei Schutzmaßnahmen im Zweifel die – Schnelligkeit garantierende – Anwendung der lex fori wichtiger ist als das Prinzip der Aufenthaltsanknüpfung im IPR.111 Lediglich Art 16 KSÜ hängt nicht von einer Regelungszuständigkeit ab und kann daher als Kollisionsnorm eingreifen, auch wenn die VO hinsichtlich der Zuständigkeit vorgeht. Art 16 KSÜ regelt aber nicht das auf die Sorgerechtsmaßnahme anwendbare Recht und kann auch nicht analog herangezogen werden. Diese lex-fori-Anknüpfung bezieht sich jedoch im MSA und im KSÜ auf die zuvor angeord- 24 neten Zuständigkeiten; Art 2 MSA und Art 15 KSÜ wählen nicht blind eine beliebige lex fori, sondern die lex fori des vom Übereinkommen für zuständig gehaltenen Gerichts. Die Anwendung der lex fori-Verweisungen in MSA und KSÜ auf Zuständigkeiten der Brüssel IIa-VO reduziert diese auf den dieser Grundlage entleerten Wortlaut, soweit die Zuständigkeiten der Brüssel IIa-VO nicht denen des KSÜ im Wesentlichen entsprechen. Insbesondere im Fall des Art 12 ist ein formaler Gleichlauf des nach Art 15 KSÜ anwendbaren Rechts mit der Zuständigkeit nach der Verordnung kaum vorstellbar, da Art 12 auf die Interessen der Ehegatten zugeschnitten ist.112 Damit müsste nationales IPR über die Anknüpfung der Sorgerechtsmaßnahme unter der 25 VO entscheiden.113 Diese Störung des durch MSA und KSÜ erreichten Gleichlaufs von Zuständigkeit und anwendbarem Recht verbunden mit dem Nebeneinander von nationalem IPR und völkervertraglichem IPR (in Nicht-VO-Fällen) ist gewiss ein Unding.114 Lässt sie sich schon nicht ganz vermeiden, so scheint es doch sinnvoll, sie zu reduzieren, soweit ein Gericht, das nach der VO zuständig ist, auch nach dem – jeweils abhängig vom Anwendungsbereich – MSA oder KSÜ zuständig wäre. In solchen Fällen lässt sich nämlich den Übereinkommen durchaus die Aussage zur Anwendung der lex fori vor dem Hintergrund der eigenen Zuständigkeitswertung entnehmen.115 Soweit jedoch die VO neue Zuständigkeiten schafft, ist das anwendbare Recht lege fori zu bestimmen.

109

110

111 112 113 114 115

Rn 13; Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 217; zum KSÜ nun ausdrücklich BT.Drucks 16/12068, 31; ebenso Wagner/Janzen FPR 2011, 110, 112. Jeweils zu Art 8, jedoch wohl nicht hierauf beschränkt: HR NIPR 2011, 664, 665; Hof Arnhem NIPR 2012, 412, 413; Hof Arnhem NIPR 2012, 618; Hof Amsterdam NIPR 2010, 660, 661; Hof Amsterdam NIPR 2011, 319, 320; Hof ‚s- Gravenhage NIPR 2013, 206; Rb Oost-Brabant/’s-Hertogenbosch NIPR 2013, 230. Weshalb es auch vor deutschen Gerichten nur eine unvollkommene Lösung ist, Art 21 EGBGB als Sachnormverweisung zu verstehen, so wohl Puszkajler IPRax 2001, 82. Geimer/Schütze/Dilger vor Art 8 Rn 17, der letztlich dennoch immer die lex fori anwenden will. Looschelders JR 2006, 45, 48. So Jayme/Kohler IPRax 2000, 454, 457; ebenso noch 2. Auflage (2006) Art 3 Rn 3. Pirrung FS Jayme (2005) 701, 707. Schulz FPR 2004, 299, 301: jedenfalls in diesen Fällen; Rauscher EuLF 2005 I-37, 39: nur in diesen Fällen.

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Art 9 Brüssel IIa-VO

Artikel 9: Aufrechterhaltung der Zuständigkeit des früheren gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Kindes (1) Beim rechtmäßigen Umzug eines Kindes von einem Mitgliedstaat in einen anderen, durch den es dort einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt erlangt, verbleibt abweichend von Artikel 8 die Zuständigkeit für eine Änderung einer vor dem Umzug des Kindes in diesem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung über das Umgangsrecht während einer Dauer von drei Monaten nach dem Umzug bei den Gerichten des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes, wenn sich der laut der Entscheidung über das Umgangsrecht umgangsberechtigte Elternteil weiterhin gewöhnlich in dem Mitgliedstaat des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes aufhält. (2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der umgangsberechtigte Elternteil im Sinne des Absatzes 1 die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes dadurch anerkannt hat, dass er sich an Verfahren vor diesen Gerichten beteiligt, ohne ihre Zuständigkeit anzufechten. I.

Perpetuatio jurisdictionis für Umgangsentscheidungen 1. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Rechtmäßiger Umzug (Abs 1) . . . . . . . . . . 5 3. Umgangsentscheidung, umgangsberechtigter Elternteil . . . . . . . . . . 9 4. Umzug, gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

II.

5. Zuständigkeit der bisherigen Aufenthaltsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Zuständigkeit der Gerichte am neuen Aufenthaltsort 1. Umgangsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2. Für sonstige Sorgerechtssachen . . . . . . . . 21 3. Aufgrund rügeloser Anerkennung (Abs 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

I. Perpetuatio jurisdictionis für Umgangsentscheidungen 1. Zweck 1 Die – im KSÜ nicht enthaltene – Sonderregelung bestimmt eine fortdauernde Zuständigkeit

ohne das Erfordernis einer bei Aufenthaltswechsel bestehenden Anhängigkeit, also eine perpetuatio jurisdictionis1 der (ehemaligen) Aufenthaltsgerichte zur Änderung der von ihnen erlassenen Umgangsentscheidungen. Die zugrundeliegende Idee erscheint plausibel: Hat das Kind erst kürzlich seinen gewöhnlichen Aufenthalt verlegt, so erscheint das Gericht, welches die Umgangsentscheidung getroffen hat, dem Kind am nächsten; es wird, ohne am Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts zu rühren, Kontinuität angestrebt.2 Überdies soll der Träger der elterlichen Verantwortung, der wegen des Umzugs des Kindes nun nicht mehr in der bisherigen Weise den Umgang ausüben kann, sofern er in dem Staat des bisherigen Kindesaufenthaltes verbleibt, auch dort die Anpassung der Umgangsregelung erreichen können.3 Dergestalt bedeutet Art 9 auch eine Kompensation für die Schutzlücke, die entsteht, weil der Umgangsberechtigte sich bei rechtmäßiger Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts dieser Verlegung an sich nicht nach dem HKindEntfÜbk widersetzen kann.4

1 2 3 4

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IB and SB [2010] EWHC 1989: „continuing jurisdiction“. So Verordnungsvorschlag Europäische Kommission, 17.5.2002, COM (2002) 222/2, 9 f. Kommission, Leitfaden 17. OLG Koblenz v 9.8.2007 – 9 UF 450/07, NJW 2008, 238, 240.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 9 Brüssel IIa-VO

Die Bestimmung hat allerdings einen eher beschränkten Anwendungsbereich und wirft 2 Auslegungsfragen auf, die früh erkannt,5 aber nicht wirklich ausgeräumt sind. Die im Lauf des Verfahrens erfolgte Kürzung der Übergangsperiode von sechs6 auf drei Monate macht es nun noch weniger wahrscheinlich, dass innerhalb dieser kurzen, schon mit dem Umzug laufenden Frist überhaupt ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts stattfindet.7 Immerhin stellt die Bestimmung innerhalb dieser kurzen Frist die Zuständigkeit außer Streit,8 was für den Umgangsberechtigten theoretisch von Vorteil ist. Mittelbar könnte die Norm, was sie ausdrücklich nicht will, sogar die Definition des ge- 3 wöhnlichen Aufenthalts dahingehend beeinflussen, dass ein rechtmäßiger Umzug eines Kindes womöglich regelmäßig sogleich einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Überdies ist die Norm vor dem Hintergrund der typischen Umgangsstreitigkeit aus Anlass 4 eines Auslandsumzuges des allein Sorgeberechtigten mit dem Kind einigermaßen praxisfremd: Wenn das Umgangsrecht des zurückbleibenden Elternteils betroffen ist – und nur dann ist die Norm sinnvoll – wird in aller Regel gerade über die Frage gestritten, ob der Sorgeberechtigte mit dem Kind auswandern durfte oder nicht. Hierauf gibt Art 2 Nr 11 keine autonome Antwort;9 maßgeblich ist vielmehr die sich aus dem maßgeblichen Sorgerechtsstatut ergebende Befugnis. Das formale Aufenthaltsbestimmungsrecht berechtigt mit Rücksicht auf das Umgangsrecht nicht zwangsläufig zu einer einseitig beschlossenen Auswanderung. Solchermaßen wird ein wesentlicher lege causae zu behandelnder materieller Streitpunkt in dem Verfahren, das Art 9 erleichtern soll, zur Voraussetzung seiner Anwendung. Dadurch wird Art 9 eine Lösung für Fälle, in denen die Lage so kompliziert ist, dass man nicht raten kann, auf Art 9 zu vertrauen.10 2. Rechtmäßiger Umzug (Abs 1) a) Abs 1 ist nur anzuwenden bei rechtmäßigem Umzug des Kindes.11 Ob der Umzug, der 5 im Regelfall durch einen alleinigen Sorgerechtsinhaber im engeren Sinn veranlasst sein wird, rechtmäßig ist, entscheidet das nach dem IPR der lex fori bestimmte Sorgerechtsstatut.12 Eine autonome Auslegung ist nur insoweit möglich, als „rechtmäßig“ offenbar die Antithese zu „widerrechtlichem Verbringen“ (Art 2 Nr 11) ist, das in Art 10, 11 geregelt wird. Nur stellt ihrerseits die Definition der Widerrechtlichkeit auf die Verletzung des Sorgerechts, das ua kraft Gesetzes besteht, also wiederum auf die sorgerechtliche lex causae, ab. Wurde über die Berechtigung zum Umzug durch ein Gericht entschieden, so kann sich die Rechtmäßigkeit aus dieser Entscheidung ergeben, wobei es, wiederum im Umkehrschluss aus Art 2 Nr 11, 5 6 7

8 9 10 11

12

Rat der Europäischen Union, Vermerk der deutschen Delegation, 21.3.2003, 7729/03. Vorschlag Art 11. Hingegen neigt OLG Stuttgart v 30.3.2012 – 17 UF 338/11, NJW 2012, 2043, 2044 dazu, aus dem Ablauf der Frist des Art 9 auf den Verlust des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts zu schließen. IE ebenso Looschelders JR 2006, 45, 46: extensive Auslegung. Dazu Art 2 Rn 25. Sogleich Rn 7. OLG München v 26.7.2011 – 33 UF 874/11, FamRZ 2011, 1887; OLG Stuttgart v 30.3.2012 – 17 UF 338/11, NJW 2012, 2043. Kommission, Leitfaden 17; vgl OLG Koblenz v 9.8.2007 – 9 UF 450/07, NJW 2008, 238; Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2006, 402, 403.

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Art 9 Brüssel IIa-VO

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darauf ankommt, ob diese Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat ergangen oder zumindest dort anerkennungsfähig ist. 6 Damit aber kann die Rechtmäßigkeit zum Kernproblem der Zuständigkeit werden: Hat

der Umgangsberechtigte dem Umzug zugestimmt, so wird in aller Regel die Rechtsmäßigkeit außer Frage stehen. Hat er aber, und dies sind die praktisch relevanten Fälle, nicht zugestimmt, so kann er die Zuständigkeit nach Art 9 Abs 1 nur dann in Anspruch nehmen, wenn nach dem maßgeblichen Sorgerechtsstatut der auswandernde Elternteil allein über den Umzug bestimmen durfte. Erlaubt das anwendbare Recht auch dem allein Sorgeberechtigten die Auswanderung mit dem Kind ohne Rücksichtnahme auf den Umgang mit dem anderen Elternteil nicht, so steht die Zuständigkeit auf der Kippe: Ordnet das Sorgerecht die verletzte Rücksichtnahmepflicht als Auswanderungshindernis ein, so liegt eine „Verletzung“ iSd Art 2 Nr 11 vor, die Auswanderung wird widerrechtlich, Art 9 ist unanwendbar. Zugleich muss dann aber das System der Art 10, 11 eingreifen, denn ein tertium würde das ohnehin schwierige System der Zuständigkeiten nur weiter belasten. Behandelt das Sorgerecht die Rücksichtnahme auf das Umgangsrecht nur als einen regelungsbedürftigen Umstand anlässlich der (an sich legalen) Auswanderung, so kann gerade diese geforderte Regelung Gegenstand eines Verfahrens sein, das im Gerichtsstand des Art 9 Abs 1 stattfindet. Eine nach dem Aufenthaltswechsel im neuen Aufenthaltsstaat nach Art 8 ergehende Sorgerechtsentscheidung13 ändert hingegen nicht rückwirkend die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit/Widerrechtlichkeit des Umzugs. 7 Da nach Ablauf der in Art 10 genannten Fristen der Umgangsberechtigte ggf auch nicht

mehr mit Erfolg nach Art 10 vorgehen kann, muss er, da die Legalität einer Auswanderung mit dem Kind gerne durch den Instanzenzug ausgestritten wird, womöglich zweigleisig nach Art 9 und 10 vorgehen. Am besten ist ihm freilich zu raten, ein Verfahren anhängig zu machen, sobald er von Auswanderungsplänen erfährt; damit sichert der Antragsteller die perpetuatio fori nach Art 8 Abs 1 und ist auf Art 9 nicht angewiesen. 8 b) Ist der Umzug widerrechtlich (Art 2 Rn 26), so kommt es innerhalb der ersten drei

Monate nach dem Umzug ohnehin nicht zu einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts. In diesem Fall bleiben also die Gerichte am bisherigen gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes ohnehin über Art 8 Abs 1 zuständig. Einer a fortiori begründeten Anwendung von Art 9 Abs 114 bedarf es also nicht. Zugleich muss nach dem HKindEntfÜbk iVm Art 10 f vorgegangen werden.15 3. Umgangsentscheidung, umgangsberechtigter Elternteil 9 a) Abs 1 findet nur Anwendung, wenn bereits eine Umgangsentscheidung eines Gerichts

im bisherigen Aufenthaltsstaat des Kindes ergangen ist.16 Diese Entscheidung muss vor dem Umzug ergangen sein, dh Abs 1 gilt nicht für Umgangsentscheidungen, die aufgrund der perpetuatio fori nach Art 8 Abs 1 trotz des Umzugs und unbeschadet einer damit ggf ausgelösten Verlagerung des Aufenthalts noch ergehen können. Diese Beschränkung ist sach13 14 15 16

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Vgl Magrone Riv dir int priv proc 2005, 339, 354 sowie unten Rn 21. So NK-BGB/Gruber Rn 5. NK-BGB/Gruber Rn 10. Magrone Riv dir int priv proc 2005, 339, 354.

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gerecht, denn in einem noch nicht abgeschlossenen Verfahren kann ohnehin der Umzug als neuer Gesichtspunkt berücksichtigt werden.17 Wann die Entscheidung ergangen ist, entscheidet die lex fori. Nach dem Zweck der Regelung kommt nicht Art 9 Abs 1, sondern die perpetuatio fori nach Art 8 Abs 1 zum Tragen, wenn das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist und der Gesichtspunkt der Umgangsregelung im laufenden Verfahren noch Berücksichtigung finden kann, was zB bei einer reinen Rechtsprüfung der Entscheidung nicht mehr der Fall sein muss. b) Abs 1 gilt nur für das Umgangsrecht eines umgangsberechtigten Elternteils. Möglicher- 10 weise wurde übersehen, dass auch andere Personen nach dem maßgeblichen Sorgerechtsstatut umgangsberechtigt sein können (vgl § 1685 BGB) und die Motivation der Norm auch auf diese Fälle zutreffen würde. Meist wird in diesen Fällen sogar erheblich eindeutiger feststellbar sein, dass der Umzug (mit den Eltern) an sich rechtmäßig war. Gleichwohl kommt angesichts des eindeutigen Wortlauts eine analoge Anwendung auf Umgangsentscheidungen zugunsten Dritter schwerlich in Betracht.18 Fraglich ist die Anwendbarkeit auf § 1686a BGB; die Einbeziehung des biologischen, nicht rechtlichen Vaters in eine europäisch-autonome Auslegung des Begriffs „Elternteil“ lässt sich allerdings deshalb vertreten, weil sie ihre Grundlage in Art 8 EMRK hat.19 c) Der umgangsberechtigte Elternteil muss sich in dem bisherigen Aufenthaltsstaat des 11 Kindes weiterhin gewöhnlich aufhalten. Das bedeutet nach dem Zweck der Regelung einerseits, dass der Umgangsberechtigte nach dem Umzug des Kindes in diesem Staat verbleibt, da es sonst nach der der Norm zugrundeliegenden Vorstellung nicht zu der vorausgesetzten Situation der Erschwerung des Umgangsrechts kommen würde. Der Elternteil muss aber auch schon vorher in diesem Staat gewöhnlichen Aufenthalt gehabt haben.20 Beides ist nicht ohne Weiteres einsichtig, weil die originäre Zuständigkeit der Gerichte nach Art 8 Abs 1 auch nicht davon abhängt, wo der Antragsteller seinen Aufenthalt hat und überdies die Umgangserschwerung primär durch den Umzug des Kindes, nicht durch die vorherige Internationalität des Umgangs bedingt ist.21 4. Umzug, gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes a) Abs 1 setzt einen Umzug voraus, durch den das Kind einen neuen gewöhnlichen Auf- 12 enthalt begründet. Abs 1 bedeutet damit eine Ausnahme zu Art 8, greift also nur dann ein, wenn die Gerichte des bisherigen Aufenthaltsstaates nicht ohnehin noch nach Art 8 Abs 1 zuständig sind, was weder positiv noch negativ durch die Dreimonatsfrist des Art 9 präjudiert wird.22 Der Umzug muss also nach dem Wortlaut der Bestimmung innerhalb der Frist von drei Monaten, für die Art 9 Abs 1 ohnehin nur gilt, bereits zu einer Verlagerung des 17 18 19 20 21

22

Rauscher EuLF 2005, I-37, 39. Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 57. Zur Entstehung Staudinger/Rauscher (2014) § 1686a BGB Rn 1 ff. Solomon FamRZ 2004, 1409, 1412. Lebt zB das Kind mit der Mutter in Traunstein, der Vater in Salzburg, so wäre bei einem Umzug der Mutter mit dem Kind nach Finnland eine fortgesetzte Zuständigkeit deutscher Gerichte ebenso notwendig, wie wenn der Vater in Freilassing gelebt hätte. Zweifelnd OLG Stuttgart v 30.3.2012 – 17 UF 338/11, NJW 2012, 2043, 2044: Überschreiten des Dreimonatszeitraums als Indiz gegen Fortdauer des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts.

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gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes geführt haben.23 Auch wenn bei legalem Umzug häufig am Zuzugsort alsbald ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt begründet wird, erscheint es nicht sinnvoll, die Begründung des neuen gewöhnlichen Aufenthalts als Tatbestandsmerkmal des Abs 1 positiv zu prüfen.24 Art 9 ermöglicht es gerade, in einer Übergangsphase dahingestellt zu lassen, ob das Kind noch gewöhnlichen Aufenthalt im bisherigen Aufenthaltsstaat hat (dann Art 8) oder ob es nach Aufgabe des alten gewöhnlichen Aufenthalts am neuen Aufenthaltsort bereits einen gewöhnlichen – oder mangels Dauerhaftigkeit nur einen schlichten – Aufenthalt begründet hat.25 13 Abs 1 gilt aber nur dann, wenn die bisherige Umgangsregelung auf die Zuständigkeit nach

Art 8 Abs 1 gestützt war, das Kind also bisher gewöhnlichen Aufenthalt im Gerichtsstaat hatte.26 Hingegen ist Abs 1 nicht auf Entscheidungen anzuwenden, die (nur) in einer Zuständigkeit nach Art 12, 13 oder 15 ergangen sind. 14 Erforderlich ist außerdem, dass der neue Aufenthaltsstaat ein Mitgliedstaat ist.27 Die fort-

dauernde Zuständigkeit nach Abs 1 kann nicht unilateral beansprucht werden, sondern bedeutet eine vorübergehende partielle Verdrängung der Aufenthaltszuständigkeit, die im Verhältnis zu Drittstaaten, welche dem MSA oder KSÜ angehören, nicht vorgesehen ist.28 15 b) Erkennbarkeit des Umzuges ist für den Lauf der Dreimonatsfrist nicht erforderlich;

auch wenn die Bestimmung grundsätzlich dem Schutz des Umgangs des im bisherigen Aufenthaltsstaat verbliebenen Elternteils mit dem Kind dient, kann die perpetuatio jurisdictionis bereits abgelaufen sein, ehe dieser Elternteil von dem Umzug erfährt. Der Begriff „Umzug“ ist in Abs 1 als „Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts“ und deshalb faktisch zu verstehen.29 5. Zuständigkeit der bisherigen Aufenthaltsgerichte 16 a) Als Rechtsfolge bleiben die Gerichte des bisherigen Aufenthaltsstaates zur Abänderung

der in diesem Mitgliedstaat erlassenen Umgangsregelung zuständig.30 Auch Abs 1 bestimmt nur über die internationale Zuständigkeit. Es ist also nicht zwingend das die frühere Entscheidung erlassende Gericht zuständig. Bei Fehlen einer örtlichen Zuständigkeit lege fori empfiehlt es sich jedoch, den Gedanken des Abs 1 auf die örtliche Zuständigkeit zu übertragen, also das die zu ändernde Entscheidung erlassende Gericht als örtlich zuständig anzusehen, statt auf die Hilfsregel der örtlichen Zuständigkeit der Hauptstadtgerichte aus23 24 25

26 27 28 29 30

144

Kommission, Leitfaden 17 f.; Looschelders JR 2006, 45, 46; Gruber IPRax 2005, 293, 297. So aber wohl Looschelders JR 2006, 45, 46; wohl auch IB v SB [2010] EWHC 1989. OLG München v 26.7.2011 – 33 UF 874/11, FamRZ 2011, 1887; Coester-Waltjen FamRZ 2005, 241, 245; Geimer/Schütze/Dilger Rn 5. IB v SB [2010] EWHC 1989. IB v SB [2010] EWHC 1989. Geimer/Schütze/Dilger Rn 7. Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2006, 402, 403. OLG Koblenz v 9.8.2007 – 9 UF 450/07, NJW 2008, 238, 240; OLG München v 26.7.2011 – 33 UF 874/11, FamRZ 2011, 1887; OLG Stuttgart v 30.3.2012 – 17 UF 338/11, NJW 2012, 2043; Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2007, 153, 154; Rb Roermond NIPR 2008, 308; Rb ’s-Gravenhage NIPR 2007, 35; IB and SB [2010] EWHC 1989.

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zuweichen. Eine Verweisung nach Art 15 ist auch im Anwendungsbereich des Art 9 Abs 1 möglich.31 b) Diese Zuständigkeit besteht nur während der Dauer von drei Monaten.32 Die Frist 17 beginnt mit dem Umzug des Kindes, also zu einem rein tatsächlichen und von Aufenthaltswertungen nicht beeinflussten Zeitpunkt. Nach dem Wortlaut kann fraglich sein, ob die Zuständigkeit entfällt, wenn die Entscheidung über die Abänderung nicht innerhalb der Frist ergeht. Nach dem Sinn der Norm und im Kontext zum Prinzip der perpetuatio fori aus Art 8 Abs 1 ist jedoch auch hier auf die Anrufung des Gerichts aus Art 16 abzustellen: Ruft der Umgangsberechtigte die Gerichte des bisherigen Aufenthaltsstaates des Kindes innerhalb der Dreimonatsfrist an, so bleiben diese auch über diese Frist hinaus im laufenden Verfahren zuständig.33 c) Für andere Entscheidungen in Angelegenheiten der elterlichen Verantwortung ergibt 18 sich aus Art 9 Abs 1 keine Zuständigkeit.34 In Betracht kommt jedoch die Inanspruchnahme einer Zuständigkeit aus Art 12 Abs 3. II. Zuständigkeit der Gerichte am neuen Aufenthaltsort 1. Umgangsregelung Die Gerichte des Mitgliedstaates des neuen gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes sind für 19 Umgangsregelungen zuständig, wenn im bisherigen Aufenthaltsstaat noch keine Regelung ergangen war oder wenn innerhalb der Frist des Abs 1 dort keine Änderung beantragt wird.35 Hingegen sind sie vor Fristablauf nicht zuständig für die Änderung einer Entscheidung iSd 20 Abs 1.36 Insbesondere kann nicht der mit dem Kind umziehende Elternteil durch einen eilig gestellten Antrag (zB auf Ausschluss des Umgangsrechts) die Sperre des Art 19 Abs 2 herbeiführen. Beantragt jedoch der Umgangsberechtigte die Änderung innerhalb dieser Frist im neuen Aufenthaltsstaat, so ist nicht dessen Zuständigkeit gesperrt, sondern es gilt Abs 2.37 2. Für sonstige Sorgerechtssachen Für sonstige Sorgerechtssachen sind die Gerichte des neuen Aufenthaltsstaates zuständig.38 21 Hierdurch ergibt sich jedoch ein unbemerkter Konflikt zu Art 19 Abs 2. Wird ein nach Abs 1 31 32 33

34 35 36 37 38

NK-BGB/Gruber Rn 11. OLG München v 26.7.2011 – 33 UF 874/11, FamRZ 2011, 1887; IB and SB [2010] EWHC 1989. Rb Maastricht NIPR 2010, 258, 259: kein rechtzeitig anhängig gemachtes noch laufendes Verfahren in bisherigem Aufenthaltsstaat, also Art 8: Solomon FamRZ 2004, 1409, 1412; Rauscher EuLF 2005 I-37, 39; Geimer/Schütze/Dilger Rn 12; aA Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 57. Magrone Riv dir int priv proc 2005, 339, 355. Rb Maastricht NIPR 2010, 258, 259. Rb Maastricht NIPR 2010, 258, 259; Kommission, Leitfaden 17. Dazu unten Rn 22. Magrone Riv dir int priv proc 2005, 339, 355.

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zuständiges Gericht wegen der Änderung der Umgangsregelung angerufen, ein Gericht im neuen Aufenthaltsstaat aber wegen der Regelung der elterlichen Sorge für dasselbe Kind, so handelt es sich nach allgemeiner Ansicht um denselben Anspruch iSd Art 19 Abs 2.39 Damit aber würde das erste der beiden Verfahren, welches es auch ist, das zweite sperren, denn der Anspruchsbegriff des Art 19 Abs 2 differenziert nicht zwischen Umgangs- und sonstigen Sorgerechtsregelungen und kann auch nicht wegen Art 9 modifiziert werden. Andererseits kann schwerlich gewollt sein, dass ein nach Art 9 beim bisherigen Aufenthaltsgericht anhängiger Antrag auf Änderung des Umgangsrechts einen Sorgerechtsantrag bei dem neuen Aufenthaltsgericht sperrt.40 Dasselbe gilt, folgt man der Ansicht im Leitfaden der Kommission,41 für einen Sorgerechtsantrag im neuen Aufenthaltsstaat, der die Änderung der Umgangsentscheidung zunächst verhindern würde. Art 19 Abs 2 ist nur dann sinnvoll, wenn das zuerst angerufene Gericht eine umfassende Zuständigkeit für Sorgerechtsverfahren besitzt; wendet man hingegen in diesen Konstellationen Art 19 Abs 2 an, so gäbe es, solange das erste Verfahren anhängig ist, kein Gericht, das über die jeweils andere Materie (Sorgerecht, Umgang) entscheiden kann. Nach dem Zweck des Art 9 ist daher eine teleologische Reduktion von Art 19 Abs 2 geboten: Unabhängig davon, welches Gericht das erstangerufene ist, kann das nach Art 9 zuständige Gericht über die Änderung der Umgangsregelung und das nach Art 8 zuständige am neuen gewöhnlichen Aufenthalt über das Sorgerecht entscheiden. Beteiligte Gerichte werden allerdings gut daran tun, eine Lösung über Art 15 zu suchen. 21a Parallele Verfahren zu Umgang unter Art 9 und Sorgerecht unter Art 8 führen insbesondere

dazu, dass eintreten kann, was Art 19 Abs 2 grundsätzlich verhindern soll, nämlich miteinander unvereinbare Entscheidungen zu Sorge- und Umgangsrecht aus zwei Mitgliedstaaten, die damit nach Art 23 lit e, f wechselseitig nicht anerkennungsfähig sind.42 In solchen Fällen dürfte zumeist nach Ablauf der Dreimonatsfrist des Art 9 im neuen Aufenthaltsstaat auch ein Umgangsverfahren eingeleitet werden. Ob eine dort ergehende neue Umgangsregelung im Mitgliedstaat des ursprünglichen gewöhnlichen Aufenthalts trotz der zunächst unter Art 9 bereits mit Rücksicht auf die geänderten Aufenthaltsverhältnisse dort ergangenen Entscheidung anerkannt wird, hängt angesichts der dynamischen Abänderbarkeit einer Umgangsregelung (dazu Art 23 Rn 22a) von einer Beurteilung des Einzelfalls ab. 3. Aufgrund rügeloser Anerkennung (Abs 2) 22 Eine Zuständigkeit der nach Art 8 Abs 1 zuständigen Gerichte des Mitgliedstaates des neuen

gewöhnlichen Aufenthalts kann jedoch nach Abs 2 auch vor Fristablauf hinsichtlich der Abänderung von Umgangsregelungen begründet werden, wenn der Umgangsberechtigte die Zuständigkeit dadurch anerkennt, dass er sich an dem Verfahren vor diesen Gerichten beteiligt. Dies ist der Fall, wenn der Antrag von dem anderen Elternteil oder einem Dritten (zB Behörde oder Kind) ausgeht und der Umgangsberechtigte sich beteiligt, ohne die Zuständigkeit „anzufechten“, womit offenbar „geltend machen“ iSd Art 24 Brüssel I-VO43 gemeint ist. Erst recht muss dies jedoch gelten, wenn der Umgangsberechtigte selbst einen 39 40 41 42 43

146

Dazu Art 19 Rn 40. So aber ausdrücklich gegen die hier vertretene Ansicht Zöller/Geimer Rn 7. Soeben Rn 20. Magrone Riv dir int priv proc 2005, 339, 355. Rauscher EuLF 2005, I-37, 39.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 10 Brüssel IIa-VO

Antrag auf (geänderte) Regelung des Umgangsrechts bei diesen Gerichten stellt.44 Hingegen begründet ein im neuen Aufenthaltsstaat gestellter Rückführungsantrag45 oder ein dort gestellter Sorgerechtsantrag nicht eine Anerkennung nach Abs 2, da nur eine Anerkennung der Zuständigkeit in einer Umgangsssache die Umgangszuständigkeit aus Abs 1 derogieren kann.

Artikel 10: Zuständigkeit in Fällen von Kindesentführung Bei widerrechtlichem Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes bleiben die Gerichte des Mitgliedstaates, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, so lange zuständig, bis das Kind einen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat erlangt hat und a) jede sorgeberechtigte Person, Behörde oder sonstige Stelle dem Verbringen oder Zurückhalten zugestimmt hat oder b) das Kind sich in diesem anderen Mitgliedstaat mindestens ein Jahr aufgehalten hat, nachdem die sorgeberechtigte Person, Behörde oder sonstige Stelle seinen Aufenthaltsort kannte oder hätte kennen müssen und sich das Kind in seiner neuen Umgebung eingelebt hat, sofern eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist: i) Innerhalb eines Jahres, nachdem der Sorgeberechtigte den Aufenthaltsort des Kindes kannte oder hätte kennen müssen, wurde kein Antrag auf Rückgabe des Kindes bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaates gestellt, in den das Kind verbracht wurde oder in dem es zurückgehalten wird; ii) ein von dem Sorgeberechtigten gestellter Antrag auf Rückgabe wurde zurückgezogen, und innerhalb der in Ziffer i) genannten Frist wurde kein neuer Antrag gestellt; iii) ein Verfahren vor dem Gericht des Mitgliedstaates, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, wurde gemäß Artikel 11 Absatz 7 abgeschlossen; iv) von den Gerichten des Mitgliedstaates, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, wurde eine Sorgerechtsentscheidung erlassen, in der die Rückgabe des Kindes nicht angeordnet wird. I.

II.

44 45

Konzeption der Art 10, 11 1. Brüssel II-VO: Vorrang des HKindEntfÜbk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Suche nach integriertem System . . . . . . . . 3. Regelungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Räumlicher Anwendungsbereich, Verhältnis zu KSÜ und HKindEntfÜbk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeitswechsel bei widerrechtlichem Verbringen 1. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fixierung der Zuständigkeit

1 2 4

b)

c) 2. 5 a) b) 8

des bisherigen Aufenthaltsstaates („A-Mitgliedstaat“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Verdrängung der Zuständigkeit des Verbringungsstaates („B-Mitgliedstaat“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Zuständigkeit für Rückgabeanträge . . . . 12 Zuständigkeitswechsel aufgrund Zustimmung (lit a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts 14 Zustimmung jeder sorgeberechtigten Person etc . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

Solomon FamRZ 2004, 1409, 1412; Rauscher EuLF 2005, I-37, 39. Aud Prov Barcelona www.unalex.eu/ES- 485.

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Art 10 Brüssel IIa-VO 3. Zuständigkeitswechsel aufgrund qualifizierter Voraussetzungen (lit b) . . 21 a) Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts 21 b) Parallelvoraussetzungen zu Art 7 Abs 1 lit b KSÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

III.

c) Stellung bzw Behandlung eines Rückgabeantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 d) Erwerb eines gewöhnlichen Aufenthalts nach Rückgabeentscheidung . . . . . . . . . . . . 33 Widerrechtlichkeitsbescheinigung (§ 41 IntFamRVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

I. Konzeption der Art 10, 11 1. Brüssel II-VO: Vorrang des HKindEntfÜbk 1 Art 4 Brüssel II-VO bestimmte noch den Vorrang des HKindEntfÜbk im Verhältnis zur

VO. Diese beschränkte sich auf die Regelung von Zuständigkeiten und war nur faktisch verzahnt mit dem Übereinkommen, das die Rückgabe eines widerrechtlich verbrachten Kindes regelte, ohne seinerseits über die Zuständigkeit für Sorgerechtsregelungen zu befinden. Die Brüssel IIa-VO versucht nun, das Nebeneinander eines zuständigkeitsrechtlichen Instruments mit dem HKindEntfÜbk, das auch zwischen KSÜ und HKindEntfÜbk besteht, in ein integriertes System zu überführen, in dem gleichermaßen die Zuständigkeit für die Sorgerechtsentscheidung wie auch der Mechanismus der Rückgabe geregelt ist. 2. Suche nach integriertem System 2 Die hierbei im Verordnungsgebungsverfahren aufgetretenen Probleme waren beträchtlich,

nicht nur, weil der Anspruch, zwischen den Mitgliedstaaten ein besseres Modell bereitzustellen, nahezu zwangsläufig die Akzeptanz des HKindEntfÜbk schwächen muss, weshalb einige Delegationen gemeinschaftsspezifische Bestimmungen ablehnten.1 Vor allem musste auch im Verhältnis der Mitgliedstaaten das in Art 13 HKindEntfÜbk lokalisierte Problem beachtet werden, dass der Besitzkehransatz des HKindEntfÜbk seine Grenze beim Kindeswohl, insbesondere bei Grundrechten des Kindes, finden muss. Der dem Vorschlag einer Integration der Sorgerechtsentscheidungen in die Brüssel II-VO vorangehende Vorschlag der Kommission für eine eigenständige Sorgerechts-VO2 wäre zwar ganz im Sinne jener Autoren gewesen, die sich die Kindesrückgabe eher mobiliarsachenrechtlich vorstellen,3 sie wäre nur gewiss aus deutscher Sicht massiven verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt gewesen, weil Rückgabe nicht vor Kindeswohl, Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht gehen kann.4 3 Der ursprüngliche Vorschlag,5 ein das HKindEntfÜbk zwischen den Mitgliedstaaten voll-

ständig ersetzendes System zu schaffen, wurde im Verfahren durch die Zielsetzung abgelöst, 1

2

3

4

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Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 26.11.2002, 14733/02, 8; Rauscher EuLF 2005 I-37, 39. Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, Europäische Kommission, 6.9. 2001, COM (2001) 505. Vgl die unter Kindeswohlgesichtspunkten verfehlte Kritik von Siehr IPRax 2002, 199 an einer Entscheidung des OLG Rostock IPrax 2002, 218 zu Art 13 HKindEntfÜbk. Winkler v Mohrenfels IPRax 2002, 372, 374.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 10 Brüssel IIa-VO

VO-autonom nur die Regelung gescheiterter Rückgabeverlangen zu erfassen.6 Diese Zielsetzung wurde zur „Schlüsselfrage“,7 zu der geraume Zeit keine Einigung zu erzielen war. Das zentrale Problem bestand – erwartungsgemäß – in einer angemessenen Lösung des Übergangs der Zuständigkeit auf den neuen Aufenthaltsstaat, für den das Jahresfristmodell des Art 12 HKindEntfÜbk und das Duldungsmodell des Art 7 KSÜ, aber auch die rigide Position des weitgehenden Ausschlusses des Zuständigkeitsübergangs unter Sanktionsgesichtspunkten zur Diskussion standen. 3. Regelungsprinzip Die nun in Art 10, 11 realisierte Fassung, für deren Erzielung der Ratsvorsitz mehrfach den 4 deus ex machina geben musste, beruht hinsichtlich der Zuständigkeit (Art 10) weitgehend auf dem Modell des Art 7 KSÜ,8 im Vergleich zu dem allerdings das Gewicht der Zuständigkeit der Gerichte des bisherigen Aufenthaltsstaats verstärkt wurde. Da das HKindEntfÜbk keine Bestimmungen über die Sorgerechtszuständigkeit in Entführungsfällen enthält, handelt es sich insoweit (Art 10) um eine das HKindEntfÜbk ergänzende Regelung:9 Hier wird die Sorgerechtszuständigkeit bestimmt, dort die reine Rückführungsthematik. Hinsichtlich der Regelung der Rückgabeanordnung (Art 11) wurde hingegen ein Modell der Ergänzung von Art 12 ff HKindEntfÜbk gewählt.10 Zwar mag es merkwürdig erscheinen, dass eine Kindesentführung zwischen den Mitgliedstaaten nach dem Modell eines völkervertraglichen Übereinkommens sanktioniert wird, während innerhalb eines Mitgliedstaates eine solche Entführung – oft über größere Distanz – womöglich sanktionslos bleibt.11 Das ist jedoch die Konsequenz aus dem für eine EG-Regelung notwendigen Binnenmarktbezug: EG-Recht mag sich für die Entführung eines Kindes von Freilassing nach Salzburg interessieren, nicht aber für eine Entführung von Freilassing nach Flensburg. 4. Räumlicher Anwendungsbereich, Verhältnis zu KSÜ und HKindEntfÜbk a) Der räumliche Anwendungsbereich von Art 10 ist aus dem Blickwinkel von Staaten, die 5 der VO, dem KSÜ und dem HKindEntfÜbk angehören, gegen die beiden Haager Übereinkommen abzugrenzen: Gegenüber Art 7 KSÜ gilt Art 10 (wegen Art 61) nur, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat. Bei Entführung eines Kindes aus einem Mitgliedstaat in einen Nichtmitgliedstaat gilt Art 10 damit nicht,12 wobei es nicht darauf ankommt, ob der Nichtmitgliedstaat Vertragsstaat des KSÜ ist. Solange das Kind dort noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, geht allerdings die VO dem KSÜ (und nationalem Zuständigkeits5

6 7

8 9 10 11 12

Art 21 ff des Vorschlags Europäische Kommission, 17.5.2002, COM (2002) 222/2; vgl dazu Winkler v Mohrenfels IPRax 2002, 372, 375. Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 26.11.2002, 14733/02, 8. Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 26.11.2002, 14733/02, 3; vgl zum Kompromisscharakter der in der VO realisierten Lösung auch Solomon FamRZ 2004, 1409, 1416. So erstmals Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 28.10.2002, 13436/02, Art 11a. Holzmann FPR 2010, 497, 499. Dazu Art 11 Rn 1 ff. So Siehr FS Schwab (2005) 1267, 1276. Rb ’s-Gravenhage NIPR 2008, 509, 510; NK-BGB/Gruber Rn 11.

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recht) vor, so dass sich die Zuständigkeit des bisherigen Aufenthaltsstaats weiter nach Art 8 bestimmt.13 Art 10 würde hingegen erst nach Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts in einen anderen Mitgliedstaat anwendbar. Wird das Kind aus einem Mitgliedstaat in einen KSÜ-Staat verbracht, der nicht Mitgliedstaat ist, gilt somit wegen Art 61 nicht mehr die VO, sondern Art 7 KSÜ;14 dasselbe gilt in der Gegenrichtung.15 Wird das Kind aus einem Mitgliedstaat in einen Drittstaat (nicht Mitgliedstaat, nicht KSÜ-Staat) verbracht, so bleibt die Sorgerechtszuständigkeit ebenfalls nach Art 7 KSÜ erhalten;16 der Umstand, dass der Verbringungsstaat die zu fällende Entscheidung nicht nach den Bestimmungen des KSÜ anerkennen muss, steht dem nicht entgegen.17 6 b) Schwieriger gestaltet sich das Verhältnis von Art 10 zum HKindEntfÜbk. Prima facie

hat es den Anschein, als gelte Art 10 unbeschadet der Angehörigkeit beider beteiligter Staaten zum HKindEntfÜbk, denn nur Art 11 befasst sich unmittelbar mit dem Rückgabeantrag nach Art 12 ff HKindEntfÜbk. Gleichwohl ist durch eine geringfügige Abweichung des Art 10 lit b von Art 7 Abs 1 lit b KSÜ eine Verzahnung mit dem HKindEntfÜbk entstanden. Während Art 7 Abs 1 lit b KSÜ formuliert „und kein … Antrag auf Rückgabe mehr anhängig ist“, heißt es in Art 10 lit b sublit (i) „kein Antrag auf Rückgabe des Kindes bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaates … in den das Kind verbracht wurde“. Die VO setzt damit voraus, dass ein solcher Antrag überhaupt bei den Behörden dieses Mitgliedstaates gestellt werden kann. Zwar gilt das HKindEntfÜbk in allen Mitgliedstaaten, jedoch ist es auf Minderjährige nach Vollendung des 16. Lebensjahres nicht anwendbar.18 7 Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob Art 10 auch Anwendung findet, wenn das Kind das

16. Lebensjahr vollendet hat, so dass ein Rückführungsantrag nach dem HKindEntfÜbk nicht mehr möglich ist. Nach einer Ansicht wird Art 10 eingeschränkt auf den Anwendungsbereich des HKindEntfÜbk.19 Dem ist entgegenzuhalten, dass Art 10 – trotz der Bezugnahme auf einen Rückführungsantrag – primär das zu Art 7 KSÜ parallele Ziel verfolgt, die Zuständigkeit des bisherigen Aufenthaltsstaats zu fixieren und nur die Verfahrensweise nach Art 11 eng mit dem HKindEntfÜbk verflochten ist.20 Hierzu muss man freilich zur Vermeidung einer Lücke im Tatbestand des Art 10 dessen lit b sublit (i) teleologisch korrigieren und auch einen Rückgabeantrag vor den Gerichten eines sonst zuständigen Mitgliedstaates genügen lassen,21 wenn die Gerichte des in sublit (i) genannten Mitgliedstaates nicht zuständig sind.22

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HR NIPR 2013, 183, 184; OLG Nürnberg IPRspr 2010 Nr 242; App Bruxelles Rev trim de fam 2013, 608, 611.; Rb ’s-Gravenhage NIPR 2010, 699. Hof Arnhem NIPR 2012, 29 (NL nach Ukraine). OGH www.unilex.eu AT-824 (DK nach A). HR NIPR 2013, 183, 184 lässt es in diesem Fall dahinstehen, ob Art 7 KSÜ oder Art 10 analog anzuwenden ist. HR NIPR 2013, 183, 184. Rieck NJW 2008, 182, 183. OGH EF-Z 2010/27; OGH EF-Z 2008/110. Siehr IPRax 2010, 583, 585. Ebenso Zöller/Geimer Rn 5; aA Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 59, der darauf abstellt, dass die Rückführung über 16-Jähriger auch nach dem KSÜ nicht sollte verlangt werden können. Dazu unten Rn 27.

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II. Zuständigkeitswechsel bei widerrechtlichem Verbringen 1. Systematik a) Fixierung der Zuständigkeit des bisherigen Aufenthaltsstaates („A-Mitgliedstaat“) Art 10 regelt die Voraussetzungen, unter denen im Fall des widerrechtlichen Verbringens 8 oder Zurückhaltens eines Kindes – der Begriff bestimmt sich nach Art 2 Nr 1123 – die nach Art 8 Abs 1 begründete Zuständigkeit bei den Gerichten des Mitgliedstaates des (früheren) gewöhnlichen Aufenthalts (im Folgenden „A-Mitgliedstaat“)24 verbleibt.25 Die mit nicht unbedeutenden Abweichungen an Art 7 KSÜ orientierte Regelung geht von den – unstreitigen – Prinzipien aus, dass die widerrechtliche Verlagerung des Aufenthalts weder sogleich zu einem Zuständigkeitswechsel führt noch die Widerrechtlichkeit einem solchen Zuständigkeitswechsel auf Dauer entgegenstehen kann. Dabei betont die Lösung der VO das Bewahren der bisherigen Zuständigkeit erheblich deutlicher als dies Art 7 KSÜ tut,26 was zwar das Gerechtigkeitsgefühl derer befriedigen mag, die vor allem das Prinzip betonen, der Entführer dürfe keinen Nutzen aus seinem Tun ziehen, aber nicht unbedingt dem Interesse des Kindes an einer letztlich klaren Lage dient. Die Voraussetzungen der Fixierung der Zuständigkeit im A-Mitgliedstaat sind alternativ in lit a und lit b geregelt.27 Die Widerrechtlichkeit des Verbringens oder Zurückhaltens ist hierbei Dauervorausset- 8a zung für die Anwendung von Art 10. Entfällt die Widerrechtlichkeit – auch während der Anhängigkeit eines Rückgabeantrags (dazu Rn 25 ff) – durch eine Einigung der gemeinsam sorgeberechtigten Eltern28 oder durch eine Entscheidung der nach Art 8, 10 zuständigen Gerichte des bisherigen Aufenthaltsstaates, in der dem das Kind verbringenden oder zurückhaltenden Elternteil (mindestens) das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen wird, so bricht die Schranke, die Art 10 dem Übergang der Zuständigkeit auf die neuen Aufenthaltsgerichte entgegensetzt, ohne dass es der in Art 10 lit a oder b angeordneten Voraussetzungen bedürfte.29 b) Verdrängung der Zuständigkeit des Verbringungsstaates („B-Mitgliedstaat“) Nicht ausdrücklich von Art 10 geregelt ist hingegen die Zuständigkeit der Gerichte des 9 Staates, in den das Kind verbracht wurde (im folgenden „B-Mitgliedstaat“). Das Kind kann dort gewöhnlichen Aufenthalt erlangen, was je nach vertretener Ansicht nach sechs oder zwölf Monaten der Integration der Fall ist, ohne dass Art 7 KSÜ, Art 12 HKindEntfÜbk

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App Bruxelles Rev trim dr fam 2011, 707, 714; Rb Dordrecht NIPR 2012, 232; Rb Limburg/Maastricht NIPR 2013, 229; Rb Roermond NIPR 2012, 651, 652; Trib min Milano Riv dir int priv proc 2012, 140, 142. Vgl das Schema in: Kommission, Leitfaden 39. OGH EF-Z 2010/58; In the matter of H (a child) [2012] EWCA Civ 913; Hof ’s-Gravenhage NIPR 2012, 624; Rb ’s-Gravenhage NIPR 2008, 29, 30; Trib min Milano Riv dir int priv proc 2012, 140, 142. NK-BGB/Gruber Rn 2. Dazu unten Rn 14 ff. Rb Amsterdam/’s-Gravenhage NIPR 2010, 704; Rb Utrecht/’s-Gravenhage NIPR 2010, 707, 708. OGH 24.2.2011 6 Ob 27/11 f.

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daran etwas ändern würden.30 Auch Art 10 ändert daran nichts, wie insbesondere daran zu erkennen ist, dass Art 10 S 1 zusätzlich zu dem gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat die weiteren Tatbestandsmerkmale in lit a oder lit b fordert. Dann aber könnte sich eine konkurrierende internationale Zuständigkeit der Gerichte des B-Mitgliedstaates aus Art 8 Abs 1 ergeben, so dass im Verhältnis der beiden Mitgliedstaaten die erste Anrufung iSd Art 16, 19 zu entscheiden hätte. 10 Die historische Auslegung der Norm ergibt allerdings recht deutlich, dass mit Art 10 nicht

nur die Fortdauer der Zuständigkeit, sondern der Übergang der Aufenthaltszuständigkeit geregelt werden sollte.31 Gerade die Verschärfungen gegenüber Art 7 KSÜ stehen unter dem Vorzeichen, dass einige Mitgliedstaaten noch engere Voraussetzungen für den Übergang der Zuständigkeit wünschten.32 Dieser Auslegung steht der Wortlaut jedenfalls nicht entgegen, dessen erster Satz durchaus so verstanden werden kann, dass jeweils nur daran gedacht war, die Gerichte eines Mitgliedstaates als zuständig anzusehen. Daher ist davon auszugehen, dass Art 10 gegenüber einer neu entstehenden Zuständigkeit im B-Mitgliedstaat aus Art 8 Abs 1 Vorrang hat.33 Wird ein Gericht in diesem Mitgliedstaat angerufen, so hat es deshalb auch nicht nach Art 19 Abs 2 auszusetzen, sondern sich nach Art 17 für unzuständig zu erklären.34 Dies kann allerdings nicht gelten, wenn das Kind in einen KSÜ-Vertragsstaat entführt wurde, der nicht Mitgliedstaat ist, da Art 10 nicht geeignet ist, Art 7 KSÜ zu verdrängen.35 11 Keinen Vorrang kann Art 10 hingegen im Verhältnis zu Art 12 beanspruchen. Hat ein

Ehegatte ein gemeinsames Kind widerrechtlich in seinen Heimatstaat verbracht und stellt dort nach sechs Monaten Scheidungsantrag (Art 3 lit a Str 6), so kann sich eine Zuständigkeit aus Art 12 ergeben,36 die allerdings in der neuen Fassung die Anerkennung der Zuständigkeit iSd Art 12 Abs 1 lit b voraussetzt.37 Daher ist in der Praxis darauf zu achten, dass nicht durch eine ausdrückliche Einlassung auf einen Sorgerechtsantrag im Scheidungsverfahren die Sperrwirkung des Art 10 eingebüßt wird. c) Zuständigkeit für Rückgabeanträge 12 Art 10 gilt jedoch nicht für Rückgabeanträge nach Art 12 ff HKindEntfÜbk,38 die Art 11

unterfallen. Insoweit bleibt es bei der von Art 12 ff HKindEntfÜbk vorgesehenen Zuständig30

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Ob Art 12 HKindEntfÜbk und Art 7 KSÜ die Frist bis zum Erwerb eines gewöhnlichen Aufenthalts beeinflussen, ist weiter strittig, vgl Kropholler FS Jayme (2004) 471, 473 f. Staudinger/Spellenberg (2005) Art 11 Rn 6; Geimer/Schütze/Dilger Rn 4; Zöller/Geimer Rn 9. Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 26.11.2002, 14733/02, 8. NK-BGB/Gruber Rn 1; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 6; Geimer/Schütze/Dilger Rn 5; Rausch FuR 2005, 53, 57; Looschelders JR 2006, 45, 49. In the matter of H (a child) [2012] EWCA Civ 913; BezG Bourgas berichtet bei: Natov et al YPIL 13 (2011) 443, 447. Texeira de Sousa FamRZ 2005, 1612, 1614 verweist zutreffend auf Art 61 lit a sowie Art 52 Abs 2 KSÜ; hingegen bleibt es beim Vorrang des Art 10 (gegenüber der lex fori), wenn das Kind in einen Nichtmitgliedstaat entführt wurde, der dem KSÜ nicht angehört. Hof ’s-Gravenhage NIPR 2010, 56, 57. OGH EF-Z 2010/58. EuGH v 9.10.2014 – Rs C-376/14 PPU C/M Rn 41; HR NIPR 2012, 22, 23; auch nicht in vorläufigen Verfahren: Rb ’s-Gravenhage NIPR 2012, 644, 645.

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keit der Gerichte des B-Mitgliedstaates, die im Übrigen nicht vom gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes, sondern von seiner schlichten Anwesenheit abhängt. Andernfalls würde das von Art 10 lit b sublit (i) zur Vorlage genommene System nicht funktionieren. Dieser Vorrang gilt nicht, wenn das Kind das 16. Lebensjahr vollendet hat,39 so dass für 13 Rückgabeanträge, die 16- und 17-Jährige betreffen, die Gerichte des früheren Aufenthaltsstaates gemäß Art 10 zuständig bleiben.40 2. Zuständigkeitswechsel aufgrund Zustimmung (lit a) a) Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts Grundvoraussetzung beider Alternativen des Art 10 ist, dass das Kind in einem anderen 14 Mitgliedstaat gewöhnlichen Aufenthalt erlangt hat. Diese Formulierung ist vor dem Hintergrund der Formulierung als eine Norm der Erhaltung der bisherigen Aufenthaltszuständigkeit des A-Mitgliedstaates zu verstehen. Hat das Kind in diesem Staat noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt, so besteht dort auch die internationale Zuständigkeit aus Art 8 Abs 1. Art 10 greift also logisch betrachtet erst ein, wenn der gewöhnliche Aufenthalt im Herkunftsstaat trotz der Widerrechtlichkeit des Verbringens verloren gegangen ist.41 Zu einem Übergang der Zuständigkeit auf die Gerichte des B-Mitgliedstaates kann es 15 freilich nach Art 10 nur kommen, wenn das Kind dort, nicht in irgendeinem anderen Mitgliedstaat, seinen neuen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Art 10 geht also von einem Verhältnis zwischen nur zwei Mitgliedstaaten aus.42 Weder der Aufenthalt in dem B-Mitgliedstaat noch das Einleben des Kindes dort, bewirkt jedoch für sich den Übergang der Zuständigkeit.43 Es bedarf vielmehr in beiden Alternativen zusätzlicher Voraussetzungen, welche die Widerrechtlichkeit des Verbringens überwinden: b) Zustimmung jeder sorgeberechtigten Person etc (1) In der ersten Alternative bedarf es lediglich einer weiteren Voraussetzung, um die Zu- 16 ständigkeit auf die Gerichte des B-Mitgliedstaates übergehen zu lassen. Es muss jede sorgeberechtigte Person, Behörde oder sonstige Stelle dem Verbringen oder Zurückhalten zugestimmt haben.44 (2) Für die Bestimmung des wörtlich aus Art 7 Abs 1 lit a KSÜ übernommenen Personen- 17 kreises wirkt zumindest irritierend, dass die VO nicht auf Art 2 Nr 8 („Träger der elterlichen Verantwortung“) rekurriert. Abgesehen davon, dass vorangestellte Definitionen sich nur lohnen, wenn man sie im weiteren Text auch benutzt, stellt sich die Frage, ob mit „sorgeberechtigter Person etc“ etwas anderes gemeint sein könnte. Zweifelsfrei bezieht sich „sorgeberechtigt“ sowohl auf „Person“, als auch auf „Behörde und 18 sonstige Stelle“, so dass der Begriffskreis in lit a personell nicht weiter ist als in Art 2 Nr 8: Es 39 40 41 42 43 44

Rieck NJW 2008, 182, 183. Rausch FuR 2005, 53, 57. Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 59. Vgl auch das Schema in: Kommission, Leitfaden 41. OGH v 13.10.2009 – 5 Ob 173/09s, IPRax 2011, 408, 409. OGH v 13.10.2009 – 5 Ob 173/09s, IPRax 2011, 408, 409.

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bedarf nur der Zustimmung sorgeberechtigter Behörden, also zB eines Jugendamtes, das Amtsvormund ist, nicht aber sonstiger Behörden, die lediglich Aufsichtsfunktionen haben.45 19 Weniger klar erscheint, ob der Begriff „sorgeberechtigt“ den gesamten Bereich der elterli-

chen Verantwortung abdeckt oder nur das Sorgerecht im engeren Sinn, einschließlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts, umfasst. Das Problem betrifft vor allem das Umgangsrecht, das ohne weiteres Teil der elterlichen Verantwortung ist, so dass auch der Umgangsberechtigte dem in Art 2 Nr 8 beschriebenen Personenkreis angehört. Dies kann, trotz der zweifelhaften Formulierung „sorgeberechtigt“, auch in lit a nicht anders sein: Verbringt der allein sorgeberechtigte Elternteil widerrechtlich das Kind, so impliziert bereits die Bewertung als widerrechtlich, dass damit ein lege causae bestehender Teil der elterlichen Verantwortung verletzt ist. Nach dem Sinn der Regelung kann dann aber nur ein Übergang der Zuständigkeit stattfinden, wenn auch der Inhaber dieses Teils der elterlichen Verantwortung, also der Umgangsberechtigte, zustimmt.46 Steht hingegen lege causae das Umgangsrecht dem Verbringen des Kindes nicht entgegen, so muss in Konsequenz der Umgangsberechtigte auch an dieser Stelle nicht zustimmen. 20 (3) Zustimmung bedeutet, wie sich im Umkehrschluss aus lit b ergibt, ein Verhalten, das als

konsentierende Willenserklärung zu verstehen ist. Bloßes Untätigbleiben genügt nicht, auch wenn die betreffende sorgeberechtigte Person von der Verbringung Kenntnis hatte und vernünftigerweise Schritte zur Rückgabe hätte unternehmen sollen. Schweigen bedeutet nur dann Zustimmung, wenn nach Treu und Glauben Widerspruch erforderlich gewesen wäre. Verlässt ein Elternteil mit dem Kind die gemeinsame Wohnung der Familie ohne Wissen des anderen Elternteils und erfährt dieser später hiervon, so wird regelmäßig Schweigen keine Zustimmung bedeuten. Lässt ein Elternteil anlässlich der Trennung hingegen auf Nachfrage widerstandslos das Kind mit dem trennungswilligen Elternteil gehen, so kann dieses Schweigen Zustimmung bedeuten, sofern nicht anschließend durch Einleitung von Rückgabebemühungen erkennbar gemacht wird, dass andere Motive, zB Verhinderung von Streit vor dem Kind, maßgeblich waren. Ausreichend ist auch eine nachfolgende Genehmigung der bereits erfolgten Verbringung,47 nicht aber eine unter Bedingungen in Aussicht gestellte Genehmigung.48 Hingegen wird man von Behörden zu erwarten haben, dass sie in Kenntnis der Verbringung eine positive Aussage zu ihrer Haltung treffen. Schweigen wird hier eher als Zustimmung zu werten sein. 3. Zuständigkeitswechsel aufgrund qualifizierter Voraussetzungen (lit b) a) Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts 21 Auch die zweite Alternative eines Wechsels der Zuständigkeit setzt voraus, dass der gewöhn-

liche Aufenthalt des Kindes sich vom A-Mitgliedstaat in den B-Mitgliedstaat verlagert hat.49 45

46 47 48

154

Wohl nicht zutreffend daher Tower Hamlets London Borough Council and MK, SK, KK, WK and AK [2012] EWHC 426 (Fam), es genüge die Wahrscheinlichkeit, dass eine polnische Verbleibensanordnung „were to vest parental responsibility, at least in part, in the Polish authorities“. Ebenso MünchKommFamFG/Gottwald Rn 6. Janzen/Gärtner IPRax 2011, 412, 413. OGH v 1.4.2008 – 5 Ob 17/08y, IPRax 2011, 409, 411.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 10 Brüssel IIa-VO

In dieser Alternative kommt diesem Tatbestandsmerkmal jedoch geringe Bedeutung zu, da die weiteren Voraussetzungen bereits einen mindestens einjährigen Aufenthalt im B-Mitgliedstaat fordern. Prüft man in diesem Fall den gewöhnlichen Aufenthalt skrutinös, so gerät man leicht in die Untiefe der Frage, ob einjährige Integration auch nach rechtswidriger Verbringung einen gewöhnlichen Aufenthalt indiziert oder ob Art 7 Abs 1 lit b KSÜ, dem hier lit b nachgebildet ist, dies unter weitere Bedingungen stellt. Sei dem wie dem sei: Die Gerichte des neuen Mitgliedstaates erwerben im Fall der lit b regelmäßig die Zuständigkeit, wenn die unter lit b genannten Voraussetzungen vorliegen, weil jedenfalls dann auch von einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts auszugehen ist.50 b) Parallelvoraussetzungen zu Art 7 Abs 1 lit b KSÜ (1) Lit b folgt nur teilweise dem Modell des Art 7 Abs 1 lit b KSÜ und ist in seiner Struktur 22 nicht leicht zu verstehen. Der Unterschied zu Art 7 KSÜ besteht insbesondere nicht darin, dass in sublit (i) bis (iv) weitere alternative Anforderungen gestellt würden,51 was die Norm eindeutig als Verschärfung gegenüber Art 7 Abs 1 lit b KSÜ ausweisen würde. Vielmehr wurde das in Art 7 Abs 1 lit b KSÜ völlig klare Tatbestandsmerkmal, dass kein während des Integrationsjahres gestellter Rückgabeantrag mehr anhängig sein darf, in sublit (i) bis (iv) in Alternativen zerlegt. Da alternative Voraussetzungen nun aber nach den Regeln elementarer Logik eine Erleichterung der Voraussetzungen bedeuten,52 ist es nicht leicht festzustellen, ob dies insgesamt schärfere oder leichtere Voraussetzungen sind.53 Klar erscheint zunächst nur die Übernahme zweier Voraussetzungen aus Art 7 Abs 1 lit b KSÜ. (2) Zum einen muss das Kind sich im B-Mitgliedstaat mindestens ein Jahr aufgehalten 23 haben und sich in die neue Umgebung54 eingelebt haben.55 Ersteres bedeutet nicht notwendig ständige Präsenz, so dass zB ein Urlaub mit dem entführenden Elternteil in einem Drittstaat die Frist nicht unterbrechen wird. „Einleben“ ist ebenso zu verstehen wie die für die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts erforderliche faktische Integration.56 Der Fristbeginn kann jedoch später liegen als der für die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts, da die Jahresfrist erst zu laufen beginnt, sobald die zweite Voraussetzung57 gegeben ist.

49 50 51 52

53 54

55 56 57

Oben Rn 14 f. Rauscher EuLF 2005 I-37, 39. So aber NK-BGB/Gruber Rn 5. Die Erfüllungsmenge der Bedingungen A oder B oder C ist immer größer oder gleich der Erfüllungsmenge A. Dazu unten Rn 25. Die Abweichung zu dem im KSÜ verwendeten Begriff „Umfeld“ gehört zu jenen Abgrenzungsbemühungen, die man schlicht nicht verstehen mag. Die Begriffsvielfalt bei mehrsprachig aufgelegten internationalen Instrumenten ist schlimm genug; hier könnten es die Justizminister der deutschsprachigen Mitgliedstaaten als eine wichtige Aufgabe sehen, auf begriffliche Präzision zu achten, anstatt Begriffsumfelder der redaktionellen Beliebigkeit zu überlassen. BGHZ 163, 248, 259 f.; Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2007, 148, 153. AA Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 61. Sogleich Rn 24.

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24 (3) Zum anderen muss die sorgeberechtigte Person, Behörde oder sonstige Stelle den Auf-

enthaltsort des Kindes kennen oder sie hätte ihn kennen müssen. Erst diese (präsumtive) Kenntnis löst überdies die Jahresfrist aus. Solange seit Kenntnis kein Jahr verstrichen ist, kann die Zuständigkeit nicht übergehen.58 Entgegen dem Wortlaut („die“) bezieht sich auch diese Regelung auf jede sorgeberechtigte Person, deren Anteil an der elterlichen Verantwortung betroffen ist. Es kann also die Kenntnis mehrerer Personen, Behörden etc erforderlich sein. Beide Stufen der Kenntnis sind autonom auszulegen, wobei Kenntnis im üblichen Sinn als positives Wissen der wesentlichen Umstände des Aufenthaltsortes59 zu verstehen ist, Kennenmüssen im Sinn des sich der möglichen Kenntnisnahme grob fahrlässigen Verschließens. Detektivische Nachforschungen sind hingegen nicht gefordert. c) Stellung bzw Behandlung eines Rückgabeantrags 25 Daneben muss kumulativ eine der Alternativen in sublit (i) bis (iv) vorliegen.60 Diese teilen

das in Art 7 Abs 1 lit b KSÜ enthaltene Nicht-Mehr-Anhängig-Sein eines Rückgabeantrags in vier Alternativen auf, die sich nicht nur auf die bloße Anhängigkeit beziehen, sondern im Fall der Erledigung eines solchen Antrags die Zuständigkeit nur dann auf den B-Mitgliedstaat übergehen lassen, wenn der Antrag in einer bestimmten Weise erledigt wurde. Daraus folgt letztlich auch, dass die VO gegenüber der Lösung des KSÜ eine Verschärfung darstellt, weil die vier genannten Alternativen nur einen Teil der in der Einheitslösung des KSÜ enthaltenen möglichen Verfahrensausgänge umfassen.61 26 (1) Immer vorbehaltlich der vorgenannten Tatbestandsmerkmale der lit b62 geht die Zu-

ständigkeit danach auf die Gerichte des B-Mitgliedstaates über, wenn während eines Jahres nach (präsumtiver) Kenntnis der Sorgeberechtigte keinen Rückgabeantrag bei den zuständigen Behörden des B-Mitgliedstaates gestellt hat (sublit (i)).63 Dies entspricht zwar weitgehend Art 7 Abs 1 lit b KSÜ, jedoch mit dem oben (Rn 6) angesprochenen gravierenden Unterschied, dass die VO, jedenfalls nach ihrem Wortlaut, nur einen bei Behörden des BMitgliedstaates gestellten Rückgabeantrag zur Verhinderung der Verlagerung der Zuständigkeit genügen lässt. Wird hingegen im A-Mitgliedstaat ein Antrag gestellt, weil im BMitgliedstaat das HKindEntfÜbk nicht gilt oder das Kind das 16. Lebensjahr vollendet hat und deshalb dort keine Zuständigkeit besteht,64 so scheint dieser Antrag für Zwecke des Art 10 ins Leere zu gehen. Die Folge wäre absurd: Zwar blieben die nach Art 8 Abs 1 für den Rückgabeantrag zuständigen Gerichte des A-Mitgliedstaates weiter in perpetuatio fori zuständig, für weitere sorge- und umgangsrechtliche Regelungen würde sich aber die Zuständigkeit auf den B-Mitgliedstaat verlagern, gleichzeitig aber während des anhängigen Rückgabeverfahrens die Zuständigkeit der Gerichte im B-Mitgliedstaat nach Art 19 Abs 2 gesperrt. 58 59

60 61 62 63 64

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Hof ’s-Gravenhage NIPR 2006, 265, 266. „Bei den Großeltern in Italien“ dürfte genügen, auch wenn der exakte Ort der Unterbringung nicht bekannt ist. EuGH v 1.7.2010 – Rs C-211/10 Povse/Alpago, FamRZ 2010, 1229, 1230. Vgl NK-BGB/Gruber Rn 6. Insbesondere Einleben des Kindes: BGHZ 163, 248, 259 f. BGHZ 163, 248, 259 f. Oben Rn 13.

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Um dies zu vermeiden, sollte sublit (i) teleologisch korrigiert werden: Offenkundig war 27 man bei der Suche nach einem Kompromiss so sehr auf das Verhältnis zum HKindEntfÜbk fixiert, dass dessen Geltung blindlings unterstellt wurde. Hingegen war schwerlich beabsichtigt, die materielle Reichweite des Art 7 KSÜ in diesem entscheidenden Punkt einzuschränken: Wenn der in seinem Sorgerecht Verletzte vor den zuständigen Gerichten die Rückgabe betreibt, geht die Zuständigkeit nicht nach sublit (i) über, auch wenn das Verfahren ausnahmsweise im A-Mitgliedstaat stattfinden muss. (2) So lange der rechtzeitig gestellte Rückgabeantrag anhängig ist, bleibt die Zuständigkeit 28 der Gerichte im bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsstaat bestehen.65 Die Zuständigkeit geht über, wenn ein solcher Antrag zurückgezogen wurde (sublit (ii)). Eine erneute Stellung des Antrags ist innerhalb der in sublit (i) genannten Jahresfrist möglich und verhindert dann ebenso den Übergang der Zuständigkeit wie die ursprüngliche Antragstellung. Wird hingegen der Rückgabeantrag erst nach Ablauf der Jahresfrist (erneut oder erstmalig) gestellt, so hindert der Rückgabeantrag als solcher nicht den Übergang der Zuständigkeit, selbst wenn der Rückgabeantrag letztlich begründet sein mag.66 (3) Der Abschluss des Rückgabeverfahrens führt hingegen, anders als unter Art 7 Abs 1 29 KSÜ, nicht ohne Weiteres zum Übergang der Zuständigkeit auf die Gerichte des B-Mitgliedstaates. Insbesondere berührt die Zurückweisung eines Rückgabeantrags im B-Mitgliedstaat (Art 11 Abs 6) als solche nicht die sorgerechtliche Zuständigkeit der Gerichte des A-Mitgliedstaats. Dieser Übergang findet vielmehr nur dann statt (sublit (iii)), wenn die Gerichte des A-Mitgliedstaates das Verfahren nach Art 11 Abs 7 abgeschlossen haben. Das verhindert im Fall der Ablehnung des Rückgabeantrags im B-Mitgliedstaat den Übergang der Zuständigkeit auf dessen Gerichte im Übrigen, solange nicht das in Art 11 Abs 7 geregelte Verfahren der Aufforderung zur Einreichung eines Antrags im A-Mitgliedstaat erfolglos (Art 11 Abs 7 S 2) abgeschlossen ist. Hierdurch wird das Prinzip des letzten Wortes der Gerichte des A-Mitgliedstaates67 für Art 10 übernommen, worin die eigentliche Abweichung vom Modell des Art 7 Abs 1 lit b KSÜ liegt.68 Erst recht berührt die Zurückweisung eines Rückgabeantrags im B-Mitgliedstaat nicht ein bereits im A-Mitgliedstaat zuvor eingeleitetes und noch anhängiges Verfahren.69 Auch70 diese Alternative ist offensichtlich auf die Anhängigkeit eines Rückgabeverfahrens nach Art 12 ff HKindEntfÜbk und damit auf dessen Anwendbarkeit im B-Mitgliedstaat zugeschnitten. Sind für das Rückgabeverfahren ausnahmsweise die Gerichte des A-Mitgliedstaates zuständig, so passt sublit (iii) nicht. Ein solches Verfahren wird nie über Art 11 Abs 7 enden. Die Lösung findet sich insoweit in der entsprechenden Anwendung von sublit (iv). Auch ein Abschluss eines im A-Mitgliedstaat anhängigen Rückgabeverfahrens führt nicht per se zum Übergang der Zuständigkeit; nur wenn dieses Verfahren mit einer Entscheidung endet, welche „die Rückgabe des Kindes nicht anordnet“, tritt diese Wirkung ein. Ordnet hingegen ein zuständiges Gericht im A-Mitgliedstaat die Rückgabe an, so greift 65 66 67 68 69 70

Rb Maastricht NIPR 2008, 57, 58. Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2007, 148, 153. Dazu Art 11 Rn 1. NK-BGB/Gruber Rn 5 f. EuGH v 22.12.2010 – Rs C-497/10 PPU Mercredi/Chaffe, IPRax 2012, 340, 344. Vgl oben Rn 26.

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keine der in sublit (i) bis (iv) genannten Alternativen; die Zuständigkeit verbleibt damit auch für weitere Entscheidungen bei den Gerichten des A-Mitgliedstaates. 30 (4) Die Zuständigkeit geht schließlich auf die Gerichte des B-Mitgliedstaates über, wenn die

Gerichte des A-Mitgliedstaates auf rechtzeitigen Antrag eine Entscheidung erlassen haben, in der die Rückgabe des Kindes nicht angeordnet wurde (sublit (iv)). Diese Bestimmung zielt primär auf das Verfahren nach Art 11 Abs 7, 8 ab,71 das den Gerichten des A-Mitgliedstaates auch im Fall der Ablehnung der Rückgabe durch Gerichte des B-Mitgliedstaates den Entscheidungsvorrang gibt und dieser Entscheidung die Anerkennung und Vollstreckung sichert. Gleichwohl greift diese Alternative auch ein, wenn nur die Gerichte des A-Mitgliedstaates für den Rückgabeantrag zuständig waren und über diesen nicht stattgebend entschieden haben72 oder wenn bereits vor Eintritt der in Art 11 Abs 7, 8 geregelten Situation ein Sorgerechtsverfahren im A-Mitgliedstaat anhängig ist. Die Wirkung des Übergangs der Zuständigkeit tritt jedoch nicht ein, wenn die Gerichte des A-Mitgliedstaats lediglich eine vorläufige, das Sorgerecht betreffende Regelung treffen, ohne die Rückgabe des Kindes anzuordnen.73 Etwas anderes gilt, wenn die Gerichte des A-Mitgliedstaates durch eine solche Regelung das Sorgerecht dergestalt ändern, dass das Verbringen oder Zurückhalten des Kindes im B-Mitgliedstaat nicht mehr rechtswidrig ist (dazu oben Rn 8a). 31 Aus welchen Gründen einem Rückgabeantrag in der Hauptsache nicht stattgegeben wurde,

ist unerheblich. Erfasst sind sowohl Fälle der Abweisung in der Sache mit Rücksicht auf die zwischenzeitliche Entwicklung74 als auch Prozessentscheidungen, insbesondere eine Abweisung mangels Zuständigkeit. Insbesondere in letzterem Fall kann der Antragsteller den Übergang der Zuständigkeit noch verhindern, wenn er binnen Jahresfrist einen Antrag nach sublit (i) bei den zuständigen Behörden des B-Mitgliedstaates stellt. 32 Im Umkehrschluss ergibt sich aus sublit (iv), dass im Fall einer dem rechtzeitigen Rück-

gabeantrag stattgebenden Entscheidung der Gerichte des A-Mitgliedstaates ein Übergang der Zuständigkeit nicht stattfindet. Die Gerichte des A-Mitgliedstaates bleiben weiter zuständig auch für weitergehende Sorgerechtsentscheidungen. d) Erwerb eines gewöhnlichen Aufenthalts nach Rückgabeentscheidung 33 Nicht in Art 10 geregelt ist die Frage, für welche Dauer eine die Rückgabe anordnende

Entscheidung iSd Art 11 Abs 8 die Zuständigkeit der Gerichte im B-Mitgliedstaat ausschließt. Dieses Problem stellt sich unter dem KSÜ nicht, da mit dem erfolglosen Abschluss des Verfahrens nach dem HKindEntfÜbk der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes im BMitgliedstaat bzw seine zuständigkeitsbegründende Wirkung nicht mehr in Zweifel steht. Art 10 lit b sublit (iv) ist hingegen im Umkehrschluss zu entnehmen, dass zunächst der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes (im B-Mitgliedstaat) und die Zuständigkeit (im A-Mitgliedstaat) auseinanderfällt. Die Konzeption der Art 10, 11 geht dahin, dieses Auseinanderfallen durch Vollstreckung der in Art 11 Abs 8 bezeichneten Entscheidung gemäß Art 40, 42 zu bereinigen. 71 72 73

74

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NK-BGB/Gruber Rn 8. Vgl oben Rn 29. EuGH v 1.7.2010 – Rs C-211/10 Povse/Alpago, FamRZ 2010, 1229, 1230: Vorläufige Gestattung des Verbleibens und Regelung des Umgang. Vgl SL v JJ & another [2012] EWHC 931 (Fam).

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Wird diese Vollstreckung jedoch nicht durchgeführt, was angesichts der Betroffenheit des 34 ordre public des B-Mitgliedstaates höchst wahrscheinlich ist, so führt Art 10, seinem Wortlaut nach angewendet, zu einem dauernden Auseinanderfallen von gewöhnlichem Aufenthalt und Zuständigkeit, dies noch angereichert durch den unerfreulichen Umstand, dass Entscheidungen des A-Mitgliedstaates, solange dessen Gerichte nicht „nachgeben“, im BMitgliedstaat letztlich nicht vollstreckt werden. An dieser Stelle zeigt sich, dass das Art 10, 11 Abs 8 zugrundeliegende Bestreben, den „Entführer“ nicht zu belohnen, ggf an der Absurdität der Lage scheitert, weil „Recht“ und „Unrecht“ gerade nicht mehr eindeutig lokalisierbar sind. In solchen Situationen das Auseinanderfallen von gewöhnlichem Aufenthalt und Zustän- 35 digkeit auf Dauer zu konservieren, wäre schlichte Rechthaberei. Auch wenn Art 10 lit b eine Absage an die normative Kraft des Faktischen sein will, wird man sich dieser Kraft zu beugen haben, wenn nach der in Art 11 Abs 8 genannten Entscheidung75 das Kind weitere 12 Monate in dem B-Mitgliedstaat verbleibt, sich also die Voraussetzungen des Erwerbs eines gewöhnlichen Aufenthalts ein weiteres Mal vollenden. Gelingt in diesem Zeitraum die Vollstreckung der Rückgabeentscheidung nicht, so werden die Gerichte des B-Mitgliedstaates entgegen des Art 10 gemäß Art 8 Abs 1 zuständig. III. Widerrechtlichkeitsbescheinigung (§ 41 IntFamRVG) Da die VO, anders als Art 60 lit e dies vermuten lässt, das HKindEntfÜbk nicht verdrängt, 36 sondern nur ergänzt,76 kann auch im Anwendungsbereich der VO ein Antrag nach § 41 IntFamRVG, Art 15 HKindEntfÜbk auf Feststellung der Widerrechtlichkeit des Verbringens gestellt werden. Dieses Verfahren betrifft die Situation der Verbringung aus Deutschland heraus, also Fälle, in denen Deutschland der A-Mitgliedstaat ist und in einem B-Mitgliedstaat, der Vertragsstaat des HKindEntfÜbk ist, ein Rückgabeverfahren nach Art 12 ff HKindEntfÜbk anhängig ist. § 41 IntFamRVG sollte analog anzuwenden sein auf Fälle, in denen ein Rückgabeverfahren 37 in einem anderen Mitgliedstaat anhängig ist, der nicht dem HKindEntfÜbk angehört,77 gleichwohl aber eine Zuständigkeit beansprucht – wozu Art 13 Abs 1 (Nichtfeststellbarkeit des gewöhnlichen Aufenthalts) eine Möglichkeit bietet.

Artikel 11: Rückgabe des Kindes (1) Beantragt eine sorgeberechtigte Person, Behörde oder sonstige Stelle bei den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaates eine Entscheidung auf der Grundlage des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (nachstehend „Haager Übereinkommen von 1980“ genannt), um die Rückgabe eines Kindes zu erwirken, das widerrechtlich in einen anderen als den Mitgliedstaat verbracht wurde oder dort

75

76 77

Für deren Erlass selbstverständlich der ursprüngliche Aufenthaltsstaat zuständig ist: MünchKommFamFG/Gottwald Rn 10. Dazu Art 11 Rn 1 ff. Zur Problematik oben Rn 6.

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(2)

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(8)

zurückgehalten wird, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, so gelten die Absätze 2 bis 8. Bei Anwendung der Artikel 12 und 13 des Haager Übereinkommens von 1980 ist sicherzustellen, dass das Kind die Möglichkeit hat, während des Verfahrens gehört zu werden, sofern dies nicht aufgrund seines Alters oder seines Reifegrads unangebracht erscheint. Das Gericht, bei dem die Rückgabe eines Kindes nach Absatz 1 beantragt wird, befasst sich mit gebotener Eile mit dem Antrag und bedient sich dabei der zügigsten Verfahren des nationalen Rechts. Unbeschadet des Unterabsatzes 1 erlässt das Gericht seine Anordnung spätestens sechs Wochen nach seiner Befassung mit dem Antrag, es sei denn, dass dies aufgrund außergewöhnlicher Umstände nicht möglich ist. Ein Gericht kann die Rückgabe eines Kindes aufgrund des Artikels 13 Buchstabe b) des Haager Übereinkommens von 1980 nicht verweigern, wenn nachgewiesen ist, dass angemessene Vorkehrungen getroffen wurden, um den Schutz des Kindes nach seiner Rückkehr zu gewährleisten. Ein Gericht kann die Rückgabe eines Kindes nicht verweigern, wenn der Person, die die Rückgabe des Kindes beantragt hat, nicht die Gelegenheit gegeben wurde, gehört zu werden. Hat ein Gericht entschieden, die Rückgabe des Kindes gemäß Artikel 13 des Haager Übereinkommens von 1980 abzulehnen, so muss es nach dem nationalen Recht dem zuständigen Gericht oder der Zentralen Behörde des Mitgliedstaates, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, unverzüglich entweder direkt oder über seine Zentrale Behörde eine Abschrift der gerichtlichen Entscheidung, die Rückgabe abzulehnen, und die entsprechenden Unterlagen, insbesondere eine Niederschrift der Anhörung, übermitteln. Alle genannten Unterlagen müssen dem Gericht binnen einem Monat ab dem Datum der Entscheidung, die Rückgabe abzulehnen, vorgelegt werden. Sofern die Gerichte des Mitgliedstaates, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, nicht bereits von einer der Parteien befasst wurden, muss das Gericht oder die Zentrale Behörde, das/die die Mitteilung gemäß Absatz 6 erhält, die Parteien hiervon unterrichten und sie einladen, binnen drei Monaten ab Zustellung der Mitteilung Anträge gemäß dem nationalen Recht beim Gericht einzureichen, damit das Gericht die Frage des Sorgerechts prüfen kann. Unbeschadet der in dieser Verordnung festgelegten Zuständigkeitsregeln schließt das Gericht den Fall ab, wenn innerhalb dieser Frist keine Anträge bei dem Gericht eingegangen sind. Ungeachtet einer nach Artikel 13 des Haager Übereinkommens von 1980 ergangenen Entscheidung, mit der die Rückgabe des Kindes verweigert wird, ist eine spätere Entscheidung, mit der die Rückgabe des Kindes angeordnet wird und die von einem nach dieser Verordnung zuständigen Gericht erlassen wird, im Einklang mit Kapitel III Abschnitt 4 vollstreckbar, um die Rückgabe des Kindes sicherzustellen.

I.

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Verhältnis zu Art 13 HKindEntfÜbk 1. „Letztes Wort“ der Gerichte des früheren Aufenthaltsstaates . . . . . . . . . . . . . . 2. Motivationsversuch – Problem der Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Formaler Vorrang vor dem HKindEntfÜbk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Mittelbare Beeinflussung des persönlichen Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . .

II. 1 3 5

III.

5. Anwendungsbereich (Abs 1) . . . . . . . . . . . . 9 Verfahrensmaßgaben 1. Anhörung des Kindes (Abs 2) . . . . . . . . . 11 2. Beschleunigung (Abs 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 a) Eilgebot und Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 b) Deutsches Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . 16 Regelungen zur Rückgabe-Verweigerung 1. Art 13 lit b HKindEntfÜbk (Abs 4) . . . 22

8

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Kapitel II: Zuständigkeit

IV.

2. Rechtliches Gehör des RückgabeAntragstellers (Abs 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Verfahren bei Rückgabe-Verweigerung 1. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2. Übermittlung an das Gericht des ursprünglichen Aufenthalts (Abs 6) . . . 33 3. Entscheidung durch das Gericht im A-Mitgliedstaat (Abs 7) . . . . . . . . . . . . . 38

Art 11 Brüssel IIa-VO a) Aufforderung zur Einreichung eines Antrags, Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 b) Verfahrensweise bei bereits anhängiger Sorgerechtssache . . . . . . . . . . . 49 c) Verfahren vor dem Gericht des A-Mitgliedstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 4. Vollstreckbarkeit einer späteren Rückgabeanordnung trotz RückgabeVerweigerung (Abs 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

I. Verhältnis zu Art 13 HKindEntfÜbk 1. „Letztes Wort“ der Gerichte des früheren Aufenthaltsstaates Hinsichtlich des Rückgabeverfahrens (Art 11) ist als Ergebnis eines, die neue VO ersichtlich 1 mehrfach an den Rand des Scheiterns bringenden Ringens,1 ein Modell implementiert, das von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des HKindEntfÜbk ausgeht, dabei aber die Faktizität der Nicht-Rückgabe-Entscheidung nach Art 13 HKindEntfÜbk durch eine weitere Wendung des Verfahrens letztlich beseitigt. Die Gerichte des Verbringungsstaates („B-Mitgliedstaat“) können zwar nach Art 13 HKindEntfÜbk die Rückgabe des Kindes ablehnen; dies löst jedoch das Verfahren nach Art 11 Abs 6 und 7 aus, das dem Gericht des ehemaligen Aufenthaltsstaates („A-Mitgliedstaat“) die Entscheidungshoheit über die Sorgerechtsregelung zurückgibt. Dieses Modell ist als Stärkung der Grundidee des HKindEntfÜbk zu verstehen, das die Entscheidung im A-Staat als Regel und die Verweigerung der Rückgabe durch den B-Staat die Ausnahme sieht.2 Dessen Entscheidung ist letztlich nach Art 11 Abs 8 vollstreckbar und überwindet ggf auch die Verweigerung der Rückgabe nach Art 13 HKindEntfÜbk durch den B-Mitgliedstaat (Rn 29 ff).3 Die übrigen Regeln des Art 11 (Abs 2 bis 5) sind eher technischer Natur (Rn 11 ff, Rn 22 ff). 2 2. Motivationsversuch – Problem der Vollstreckung Letztlich ist damit die langwierige Entwicklung der VO bei einer Lösung angelangt, die trotz 3 des Effekts, das HKindEntfÜbk durch eine als besser dargestellte EU-Lösung zu desavouieren, einigermaßen plausibel gemacht werden kann: Als wesentliches Motiv der Übertragung des „letzten Wortes“ an die Gerichte des A-Mitgliedstaates lässt sich das wechselseitige Vertrauen in die Rechtspflege ansehen, das im Verhältnis zu bloßen Vertragsstaaten des Haager Übk so nicht vorauszusetzen ist. Problematisch wird die Regelung allerdings im Kontext der Art 40 ff. Art 13 HKindEntfÜbk 4 hat sich in den letzten Jahren als eine Norm erwiesen, die dem Grundrechtsschutz dient und dem ordre public jedenfalls nahe steht. Da Entscheidungen über die Rückgabe von Kindern, 1 2

3

Zur Entstehungsgeschichte auch Art 10 Rn 1 ff. HR NIPR 2011, 667, 671; In the matter of K (a child) [2010] EWCA Civ 1546; WF, RJ, BF and RF [2010] EWHC 2909 (Fam). Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 62.

Thomas Rauscher

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zu denen die Entscheidung nach Art 11 Abs 7 regelmäßig gehören wird, gemäß Art 42 im Bescheinigungsverfahren, also ohne Vollstreckungsklauselverfahren im B-Mitgliedstaat vollstreckbar sind, hat der B-Mitgliedstaat auch auf der Vollstreckungsebene keine Möglichkeit mehr, seinen ordre public zur Geltung zu bringen. Ob dafür das postulierte wechselseitige Vertrauen eine genügende Basis bietet, ist jedoch weniger ein Problem des Art 11 als der Art 40 ff.4 Insbesondere betont der EGMR,5 dass auch in Anwendung von Art 11 Abs 7, 8 allen beteiligten Gerichten eine Art 8 EMRK entsprechende Abwägung der widerstreitenden Interessen und des Kindeswohls obliegt. 3. Formaler Vorrang vor dem HKindEntfÜbk 5 Der Vorrang der VO gegenüber dem HKindEntfÜbk bestimmt sich nach Art 60 lit e, Art 62

Abs 1 und dem unklaren Art 62 Abs 2. Grundsätzlich beansprucht die VO nun auch gegenüber dem HKindEntfÜbk Vorrang im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten. Dass die für das KSÜ geltende weitere Einschränkung auf Kinder mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Mitgliedstaat (Art 61) insoweit nicht gilt, spielt keine Rolle. Ohne (vorherigen) gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat kann ein widerrechtliches Verbringen nicht das Verhältnis zwischen Mitgliedstaaten betreffen. Der Geltungsvorbehalt des Art 62 Abs 1 bedeutet für das HKindEntfÜbk eine unerfreuliche Aufsplitterung. So ist fraglich, ob die Zentralen Behörden nach der VO (Art 53 ff) oder die Zentralen Behörden nach dem HKindEntfÜbk (Art 6 f) für Ermittlungen im Zusammenhang mit dem widerrechtlichen Verbringen eines Kindes zwischen Mitgliedstaaten einzuschalten sind; dass alle Mitgliedstaaten hier dieselben Behörden benennen werden, ist nicht sichergestellt. 6 Da die VO die Bestimmungen des HKindEntfÜbk nicht ersetzt, sondern nur weitere er-

gänzende Regeln vorsieht, beschränkt sich letztlich der Vorrang auf diese Ergänzungen.6 In seinen Kernbestimmungen zum Rückgabeverfahren bleibt das HKindEntfÜbk, modifiziert durch Art 11 der VO, anwendbar.7 Grundsätzlich anzuwenden sind die Bestimmungen über den Rückgabeantrag (Art 8 ff HKindEntfÜbk), also der materielle Kern des Übereinkommens. Insbesondere gilt auch Art 13 HKindEntfÜbk im Verhältnis der Mitgliedstaaten, wie sich aus Art 11 Abs 2 ausdrücklich ergibt. Art 11 erweist sich also letztlich als eine Reihe von zusätzlichen Regelungen, die freilich den Charakter der Entscheidung, mit der die Rückgabe abgelehnt wird, massiv verändern. Regelungstechnisch klarer wäre deshalb eine Konkurrenzregel gewesen, die statt des grundsätzlichen Vorrangs der VO die grundsätzliche Geltung des HKindEntfÜbk „vorbehaltlich der in Art 11 getroffenen Sonderregelungen“ angeordnet hätte, wie es Erwägungsgrund 17 letztlich auch zum Ausdruck bringt.8 6a Art 11 Abs 1 ist keine eigenständige Grundlage für ein Rückführungsbegehren. Daher findet

Art 11 immer dann Anwendung, wenn ein Antrag nach Art 1, 12 HKindEntfÜbk in einem Verbringungsstaat anhängig ist, der Mitgliedstaat ist. Die Anwendungsvoraussetzungen für Art 11 sind dann nicht gesondert zu prüfen.8a 4 5 6 7 8

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Vgl Art 40 Rn 1 ff. EGMR Sneersonne u Kampanella/Italien, FamRZ 2011, 1482. Hof ’s-Gravenhage NIPR 2010, 56, 57. Einen Überblick über die wesentlichen Bestimmungen gibt Vogel FPR 2012, 403. Ebenso Solomon FamRZ 2004, 1409, 1416; Kommission, Leitfaden 42: „werden die Vorschriften des Übereinkommens ergänzt durch Artikel 11 Absätze 1 bis 5 der Verordnung“.

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Auch aus Sicht des HKindEntfÜbk fügt sich damit Art 11, zumindest regelungstechnisch, als 7 eine multilaterale Begrenzung der Ablehnung der Rückgabe nach dem Übereinkommen ein, weil solche Begrenzungen nach Art 36 HKindEntfÜbk zulässig sind.9 4. Mittelbare Beeinflussung des persönlichen Anwendungsbereichs Die VO, die eine Definition des Begriffes „Kind“ vermissen lässt, setzt sich nicht mit der 8 Frage auseinander, bis zu welcher Altersgrenze Art 11 Anwendung findet. Geht man von einem aus dem KSÜ übernommenen Kindesbegriff der VO aus, so gilt diese grundsätzlich für Minderjährige bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres.10 Hiervon abzuweichen besteht zwar für den im Prinzip an Art 7 KSÜ ausgerichteten Art 10 kein Anlass. Anders verhält es sich hingegen mit Art 11, der nur vor dem Hintergrund eines Verfahrens nach Art 12 ff HKindEntfÜbk anwendbar ist. Da dieses Übereinkommen nach seinem Art 4 nur für unter 16-jährige Minderjährige gilt, kann auch Art 11 nur bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres Anwendung finden.11 5. Anwendungsbereich (Abs 1) Gemäß Abs 1 ist Art 11 nur anzuwenden, wenn ein Kind von einem A-Mitgliedstaat in 9 einen B-Mitgliedstaat widerrechtlich verbracht wurde und in dem B-Mitgliedstaat ein Rückgabeantrag nach Art 12 ff HKindEntfÜbk gestellt wird. Art 11 gilt damit nur dann, wenn beide beteiligten Staaten Mitgliedstaaten der VO sind. Die Frage, wie im Verhältnis zu Mitgliedstaaten zu verfahren ist, die nicht dem HKind- 10 EntfÜbk angehören, stellt sich für Art 11 anders als für Art 10.12 Während Art 10 nur indirekt auf das Rückgabeverfahren rekurriert und dabei wohl eher versehentlich den Blick auf das Verfahren nach Art 12 ff HKindEntfÜbk verengt, ist Art 11 eine Bestimmung, die mit dem Rückgabeverfahren nach Art 12 ff HKindEntfÜbk steht und fällt, was Abs 1 klarstellt. Die gesamte Regelung ist ohne ein solches Verfahren sinnlos. Daher ist Art 11 nur anzuwenden, wenn beide beteiligten Mitgliedstaaten dem HKindEntfÜbk angehören, wenn also ein Verfahren nach dem Übereinkommen stattfinden kann. II. Verfahrensmaßgaben 1. Anhörung des Kindes (Abs 2) Das HKindEntfÜbk sieht die Beteiligung des Kindes nicht ausdrücklich vor, sondern über- 11 lässt dies der lex fori. Aus Art 8 EMRK dürfte sich allerdings ein autonomes Anhörungs-

8a

9 10 11 12

AA offenbar EuGH v 9.10.2014 – Rs C-376/14 PPU C/M Rn 49 ff: Im Fall wäre Art 11 Abs 8 auf das Verhältnis der französischen Sorgeregelung und dem irischen Verfahren nach HKindEntfÜbk anzuwenden gewesen, ohne die Anwendbarkeit von Art 11 in Frage zu stellen. Solomon FamRZ 2004, 1409, 1416. Art 1 Rn 24, dort auch zur Gegenansicht. Rausch FuR 2005, 53, 57; Zöller/Geimer Rn 1; Geimer/Schütze/Dilger Rn 2. Art 10 Rn 6f, Art 10 Rn 26 f, Art 10 Rn 29.

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gebot ergeben.13 Abs 2 schreibt ausdrücklich die Anhörung des Kindes während des Verfahrens nach Art 12 ff HKindEntfÜbk vor, betont damit das Grundrecht aus Art 24 Grundrechtecharta14 und bereinigt zwischen den Mitgliedstaaten Unklarheit.15 Erforderlich ist die Anhörung durch das mit dem Rückgabeantrag befasste Gericht des BMitgliedstaates, das sich insbesondere vor dem Hintergrund dieser Anhörung den nach Art 13 Abs 2 HKindEntfÜbk erforderlichen Eindruck von Willen und Reife des Kindes bilden soll.16 Unberührt bleibt jedoch die Abgrenzung zwischen einem nach Art 13 Abs 2 HKindENtfÜbk maßgeblichen „Widersetzen“ und der im Rahmen der Rückgabeentscheidung beachtlichen, aber die Beurteilung des Gerichts nicht reduzierenden Berücksichtigung der durch die Anhörungen gewonnenen Erkenntnisse über Neigungen und Wünsche.17 Abs 2 erhöht also nicht den Grad der materiellen Beachtlichkeit des Kindeswillens. 12 Die Verweisung der Kindesanhörung in das nationale Recht im Übrigen entspricht einer-

seits der grundsätzlichen Betonung des Gewichts der Anhörung des Kindes für die VO (Erwägungsgrund 19), andererseits widerspräche eine positive Regelung der Kindesanhörung der im Übrigen von der VO geübten Zurückhaltung dahingehend, die Anhörung an sich der lex fori zu überlassen. Abs 2 belässt es vor diesem Hintergrund bei einer Maßregel, welche die Ausgestaltung dem Recht der Mitgliedstaaten überlässt.18 Aus Abs 2 ist insbesondere keine bestimmte Art der Anhörung abzuleiten; auch muss die Anhörung nicht unmittelbar durch das Gericht erfolgen, sondern kann lege fori auf eine Behörde übertragen werden.19 13 Ausdrücklich zugelassen ist nach Abs 2 ein Absehen von der Anhörung, wenn dies nach

dem Alter und dem Reifegrad des Kindes unangebracht ist.20 Nicht zulässig ist hingegen das Absehen von Anhörung wegen Eilbedürftigkeit, zumal gerade erst durch die Anhörung das Gericht Umstände erfahren kann, die einen Ablehnungsgrund darstellen.21 2. Beschleunigung (Abs 3) a) Eilgebot und Frist 14 Abs 3 dient der Beschleunigung des Verfahrens. Neben einem allgemeinen Beschleuni-

gungsgebot, welches das Gericht zu gebotener Eile auffordert, ist zudem das zügigste Verfahren des nationalen Rechts anzuwenden.22 Letzteres ist freilich mehr als Aufforderung an den nationalen Gesetzgeber zu verstehen, weil das an Recht und Gesetz gebundene Gericht 13

14 15 16 17 18

19 20

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Strittig, dazu Schulz FamRZ 2003, 336, 342; Schulz FamRZ 2003, 1351, 1352; OLG Stuttgart v 8.11.1999 – 17 UF 347/99, FamRZ 2000, 374. Rieck NJW 2008, 182, 184. NK-BGB/Gruber Rn 2. Vgl die Gegenüberstellung in Kommission, Leitfaden 45. In the matter of K (a child) [2010] EWCA Civ 1546. Zur Anhörung unter Art 11 Abs 2 durch englische, irische und schottische Gerichte: Lowe IFL [2009] 27, 29 f. Kommission, Leitfaden 54; Schulz FamRZ 2003, 1351, 1352; Rauscher EuLF 2005, I-37, 39. OLG Saarbrücken IPRspr 2010 Nr 121 S 265: Alter 14 Monate; Hof ’s-Gravenhage NIPR 2010, 467, 470 f: Alter 5 1/2 Jahre. Rauscher EuLF 2005 I-37, 43.

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allenfalls unter mehreren verfügbaren Verfahrensweisen auswählen kann, was aber selten der Fall sein wird. Allenfalls kann sich das Beschleunigungsgebot gegen die Durchführung einer formell korrekten Verfahrensweise durchsetzen, wenn diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nach längerer Verzögerung zum selben Verfahrensstand führen würde und sich deshalb nur als zeitraubender Formalismus darstellt.23 Ergänzend bestimmt Abs 3 S 2 eine Frist von sechs Wochen für den Erlass der Entscheidung 15 des Gerichts, wobei auch das Absetzen der schriftlichen Entscheidungsgründe von dieser Frist erfasst ist.24 Die Frist beginnt mit der Befassung des Gerichts, was, unabhängig von Art 16, im Sinn des Antragseingangs zu verstehen ist. Die Frist darf nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände überschritten werden, was insbesondere als Konkretisierung des Begriffs der gebotenen Eile verstanden werden sollte. Die Vollstreckung der Entscheidung ist von der 6-wöchigen Frist nicht erfasst, wohl aber von dem grundsätzlichen Beschleunigungsgebot;25 insoweit ist freilich Rechtsstaatlichkeit und Beschleunigung abzuwägen, wie dies zu Recht auch der Gesetzgeber des IntFamRVG26 getan hat. b) Deutsches Verfahrensrecht (1) Im deutschen Verfahrensrecht ist Abs 3 durch § 38 IntFamRVG umgesetzt,27 dessen 16 Abs 1 eine vorrangige Behandlung in allen Rechtszügen verlangt und eine Aussetzung untersagt, wobei eine Aussetzung nach Art 12 HKindEntfÜbk nicht ausgeschlossen ist.28 Die Regelung ist im Gesetzgebungsverfahren nicht ohne Kritik geblieben. Der Bundesrat29 wies zurecht darauf hin, dass der in § 38 Abs 1 IntFamRVG zum Ausdruck kommende „Vorrang“ dazu führen könnte, dass die Gerichte sich mit anderen eilbedürftigen Verfahren (Gewaltschutzsachen, Genehmigungen) solange nicht befassen dürften, ehe alle Herausgabeverfahren entschieden sind. Der hiergegen erhobene Einwand,30 die Anordnung bloßer Eilbedürftigkeit bringe die sich aus der VO ergebende Pflicht zur Anwendung des zügigsten Verfahrens nicht ausreichend zum Ausdruck, wird von Abs 3 nicht gedeckt: Abs 3 verlangt von keinem Mitgliedstaat, neue Verfahren mit absolutem Vorrang zu kreieren. Gerichte werden gleichwohl nun nicht alles stehen und liegen lassen, größtmögliche Beschleunigung nach bestem Wissen und Gewissen sollte genügen. Insoweit kann Abs 3 durchaus eine positive Wirkung auch auf das bislang nicht immer beschleunigte Umgangsverfahren in Binnensachverhalten haben, dem erst in jüngerer Zeit durch die Entwicklung der Untätigkeitsbeschwerde die gebotene Beschleunigung eingegeben wird. Nun dürfte es darum gehen,

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24 25 26 27 28 29 30

Vigreux v Michel EuLF 2006 II 63 (App Civil Divison, 2006); zum Verhältnis zu Art 6 EMRK Hof ’sGravenhage NIPR 2011, 677 f. OLG Nürnberg v 26.2.2010 – 7 UF 20/10, FamRZ 2010, 1575: Unmittelbare Beschwerdeentscheidung ohne Rückleitung der unzutreffend beim OLG eingereichten Beschwerde, weil das FamG nicht abhelfen könnte (§ 14 Nr 2 IntFamRVG iVm § 68 Abs 1 S 2 FamFG) und mangels Rechtsbehelfsbelehrung letztlich einem Wiedereinsetzungsantrag (§ 18 Abs 3 S 3 FamFG) stattzugeben wäre. Vigreux v Michel EuLF 2006 II 63 (App Civil Divison, 2006). Gruber FamRZ 2005, 1603, 1605; Gruber FPR 2008, 214, 216. Dazu Rn 21. Dazu Gruber FamRZ 2005, 1603, 1605. BT-Drs 15/3981, 27. BT-Drs 15/3981, 34. BT-Drs 15/3981, 36.

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das rechte Maß zwischen gehöriger Kindeswohlprüfung und Beschleunigung zur Vermeidung von Entfremdung zu suchen. 17 Die Einhaltung der sechswöchigen Frist wird in § 38 Abs 1 S 3 IntFamRVG durch die –

eigentlich selbstverständliche – Bestimmung flankiert, die das Gericht auffordert, alle erforderlichen Maßnahmen zur Beschleunigung zu treffen. Dafür kommen insbesondere eine entsprechende Terminierung und Fristsetzungen an die Beteiligten in Betracht. Nicht recht ersichtlich ist, wie die im Entwurf des IntFamRVG genannten31 einstweiligen Maßnahmen zur Sicherung des Aufenthaltsortes des Kindes das Verfahren beschleunigen sollen. Meist werden diese – dem Rechtsfrieden durchaus dienlichen – Maßnahmen eher der Partei willkommen sein, die das Verfahren verzögern möchte.

18 (2) Wesentlicher als Appelle an die Gerichte ist für die Erreichung des Beschleunigungsziels

die Frage, wie zu verfahren ist, wenn Beteiligte nicht mitwirken. Dass durch Rechtsvorschriften wie § 38 Abs 3 IntFamRVG überzeugte Verfahrensverschlepper, die die Zeit wegen Entfremdung des Kindes zu einem anderen Elternteil für sich arbeiten sehen, in die Schranken gewiesen werden könnten, wird der Gesetzgeber kaum glauben. 19 Zentrale Bedeutung kommt daher der Ausgestaltung des Verfahrens bei Mitwirkungsver-

weigerung zu. Insoweit gibt einerseits § 38 Abs 2 IntFamRVG einen, wenn auch nur klarstellenden,32 Hinweis: Das Gericht prüft in jeder Lage des Verfahrens, ob das Recht zum persönlichen Umgang gewährleistet werden kann. Es muss ggf auch mit einstweiligen Maßnahmen dieses Recht sicherstellen, um Entfremdung zu vermeiden und damit den Hauptzweck einer Verfahrensverzögerung zu vereiteln. 20 Wird ein Gericht nicht in gebotener Weise beschleunigt tätig, so kann effizient nur mit einer

Untätigkeitsbeschwerde reagiert werden. Insoweit dürfte die in Abs 3 S 2 bestimmte Frist von sechs Wochen ein Maß sein, das auch im Rahmen der Untätigkeitsbeschwerde zu beachten ist. 21 (3) Angesichts der in der Kommission angedachten Alternativen zur Beschleunigung des

Verfahrens in Ansehung des Instanzenzuges33 hat der deutsche Gesetzgeber zu Recht in § 40 IntFamRVG die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens über die Beschleunigung gestellt. Gegen die Rückgabeentscheidung findet der Rechtsbehelf der Beschwerde nach §§ 58 ff FamFG statt, wobei §§ 65 Abs 2, 68 Abs 4, 69 Abs 1 S 2-4 nicht anzuwenden sind (§ 40 Abs 2 S 1 IntFamRVG). Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist gemäß § 39 FamFG iVm § 14 Nr 2 IntFamRVG zu erteilen.34 Eine weitere Beschwerde findet nicht statt. Beschwerdeberechtigt sind nur die in § 40 Abs 2 IntFamRVG genannten Beteiligten. Die Rückgabeentscheidung ist zudem erst mit Rechtskraft wirksam (§ 40 Abs 1 IntFamRVG) und vollziehbar,35 kann also weder nach Art 28 ff noch nach Art 42 vorher vollstreckt werden. Von der Anordnung sofortiger Wirksamkeit (§ 40 Abs 3 S 1 IntFamRVG36) sollte angesichts der Bedeutung für 31 32 33

34 35

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BT-Drs 15/3981, 27. BT-Drs 15/3981, 28. Kommission, Leitfaden 44: Ausschluss von Rechtsmitteln, sofortige Vollstreckbarkeit trotz Rechtsmitteln, sonstige Beschleunigungsmaßnahmen. OLG Nürnberg v 26.2.2010 – 7 UF 20/10, FamRZ 2010, 1575. Geimer/Schütze/Dilger Rn 10; Gruber FamRZ 2005, 1603, 1605 f.

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das Kindeswohl zurückhaltend Gebrauch gemacht werden; keinesfalls kann dies ein Instrument sein, um den rechtsstaatlich nicht hinnehmbaren Beschleunigungserwartungen im Leitfaden der Kommission zu gehorchen. Der Erwartung, die sechswöchige Frist auch im Instanzenzug einzuhalten, wird damit im Wesentlichen durch § 40 Abs 3 IntFamRVG entsprochen, der dem Beschwerdegericht die unverzügliche Prüfung der Möglichkeit einer sofortigen Vollziehung aufgibt. III. Regelungen zur Rückgabe-Verweigerung 1. Art 13 lit b HKindEntfÜbk (Abs 4) a) Abs 4 beschränkt den in Art 13 Abs 1 lit b HKindEntfÜbk vorgesehenen Grund der 22 Verweigerung der Rückgabe durch den B-Mitgliedstaat, wenn die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist.37 Abs 4 schließt eine Berufung auf diesen Ablehnungsgrund aus, wenn nachgewiesen ist,38 dass im A-Mitgliedstaat angemessene Vorkehrungen getroffen wurden, um den Schutz des Kindes nach seiner Rückkehr zu gewährleisten. Die Idee der Bestimmung ist es, eine Ablehnung der Rückgabe immer dann zu verbieten, wenn eine durch die Rückgabe verursachte Kindeswohlgefährdung durch Maßnahmen, zu denen sich die Behörden des A-Mitgliedstaates bindend verpflichten,39 verhindert wird.40 Die bloße verfahrensrechtliche Möglichkeit, solche Maßnahmen zu treffen, genügt nicht,41 weshalb auch allgemeine Anfragen des mit dem Rückgabeantrag befassten Gerichts an die Gerichte des A-Mitgliedstaates wenig sinnvoll erscheinen.42 Dies umfasst nicht nur Fälle, in denen sich ein Elternteil der Rückgabe widersetzt, sondern erlaubt auch eine angemessene Berücksichtigung des Kindeswillens,43 der ebenfalls am Kindeswohl zu messen ist. b) Zugeschnitten ist die Bestimmung primär auf Fälle, in denen die Kindeswohlgefähr- 23 dung unmittelbare Folge der Rückgabe, etwa an einen gewalttätigen Elternteil,44 ist.45 Auch 36 37 38

39 40 41

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43 44 45

Dazu Gruber FamRZ 2005, 1603, 1605 f. Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2010, 62, 67. Aus Sicht der common law Mitgliedstaaten wird die Frage der Beweislast diskutiert: Lowe IFL [2009] 27, 31; vgl auch In the matter of K (a child) [2010] EWCA Civ 1546 zur Beibringungslast; aus Sicht des deutschen Verfahrensrechts sind solche Maßnahmen von Amts wegen zu ermitteln, so dass den Antragsteller lediglich die materielle Beweislast im Fall der Unaufklärbarkeit dieses, der Verweigerung der Rückgabe des Kindes entgegenstehenden Umstandes, trifft. Cass civ ILR 50 [2010] 898, 901; Rieck NJW 2008, 182, 184. Kommission, Leitfaden 42 f. Cass civ ILR 50 [2010] 898, 901; OLG Hamm NJW-RR 2013, 69, 71; unklar OGH EF-Z 2011/52: „getroffen werden können“. Vgl Lowe IFL [2009] 27, 31: allgemeine Anfragen an englische Gerichte nicht sinnvoll, da nur spezifische Maßnahmen nach Erheben der Einwände nach Art 13 lit b HKindEntfÜbk getroffen werden. Looschelders JR 2006, 45, 50. Vgl dazu CA Versailles EuLF 2006, II-124: Möglich, wenn keine Gewalt gegen das Kind geübt wurde. Ob in einem solchen Fall tatsächlich die Unterbringung des Kindes im A-Mitgliedstaat unter Trennung von dem gewalttätigen Elternteil und zugleich Trennung von dem im B-Mitgliedstaat lebenden anderen Elternteil kindeswohlkonform ist (vgl Schulz FamRZ 2003, 1351, 1352; NK-BGB/Gruber Rn 11), muss doch ernsthaft bezweifelt werden.

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in diesem Fall lässt sich freilich die Problematik nicht ohne Mitwirkung der Gerichte im AMitgliedstaat lösen, denn die insbesondere vom OGH46 judizierte Ansicht, das Kind müsse unter Art 12, 13 HKindEntfÜbk nur in den Herkunftsstaat, nicht aber an den dort lebenden Elternteil rückgestellt werden, lässt sich nur realisieren, wenn dort bereits Maßnahmen (Pflegerbestellung etc) getroffen wurden; der entführende Elternteil kann, abgesehen von den daraus folgenden lebenspraktischen Problemen,47 jedenfalls nicht nach Art 12 HKindENtfÜbk gezwungen werden, mit dem Kind zusammen in den A-Mitgliedstaat umzuziehen. 24 Hinzu kommen Fälle, in denen die Gefährdung sich mittelbar aus der Trennung von einem

entführenden Elternteil bzw aus dem Verlust des neu gewonnenen Lebensumfeldes ergibt.48 Unter Abs 4 anzustrebende Maßnahmen müssen in solchen Fällen auch die Ermöglichung des Kontakts zu allen Sorge- und Umgangsberechtigten sicherstellen. 24a Maßnahmen nach Abs 4 sind im A-Mitgliedstaat zu treffen; dem B-Mitgliedstaat fehlt es in

der Verfahrenssituation des Art 11 regelmäßig wegen Art 10 Hs 1 an einer sorgerechtlichen Regelungszuständigkeit. Abs 4 selbst begründet keine Zuständigkeit und umfasst keine Ermächtigung der Gerichte des B-Mitgliedstaats, solche Maßnahmen anzuordnen;49 eine Zuständigkeit des B-Mitgliedstaates aus Art 8 ergibt sich regelmäßig wegen Art 10 Hs 1 in Fällen des Art 11 nicht. In Betracht kommt allenfalls, dass der A-Mitgliedstaat vorläufige Maßnahmen des B-Mitgliedstaats oder dort bindend eingegangene Verpflichtungen der Beteiligten50 übernimmt. 24b Inhaltlich können solche Maßnahmen insbesondere in nach dem nationalen Verfahrens-

recht vorgesehenen51 durchsetzbaren gerichtlichen Sorgerechts- und Umgangsregelungen52 sowie sonstigen gerichtlichen Anordnungen zur Sicherung des Kindeswohls53 im AMitgliedstaat bestehen. Möglich ist aber auch, dass der Antragsteller durchsetzbare Verpflichtungen eingeht, die im anglo-amerikanischen Verfahren als undertakings54 bekannt sind und dort gegenüber dem Gericht eingegangen werden, im deutschen Verfahren nur zwischen den Parteien, zB in Form der (auch nach Art 28 ff vollstreckbaren) protokollierten Umgangsvereinbarung, möglich sind.55 Zu denken ist auch an informelle Kontaktaufnahmen, durch die das Gericht des B-Mitgliedstaates auf Wohlverhalten der Behörden des AMitgliedstaates hinwirkt, so dass dem Entführer die Rückkehr mit dem Kind ermöglicht 46 47

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OGH iFamRZ 2009/253 mwNachw zur eigenen Rechtsprechung. Dazu Fucik iFamZ 2009, 383: „Wo wohnen, wovon leben, wie gleichzeitig die in Österreich aufgebaute Existenz wahren?“. OLG Hamm NJW-RR 2013, 69; eingehend zu Fallgruppen Bucher FS Kropholler (2008) 263 ff; vgl auch Balloff FPR 2004, 309 ff. AA offenbar OGH iFamZ 2010, 46, 47; Holzmann FPR 2010, 497, 500. Zu mirror orders, durch die undertakings übernommen werden: Holzmann FPR 2010, 497, 500. ZB vor englischen Gerichten auch safe harbour orders, dazu OGH iFamZ 2010, 46, 47. OLG Naumburg v 28.11.2006 – 8 WF 153/06, FamRZ 2007, 1586. CA Versailles EuLF 2006 II 124; OLG Hamm NJW-RR 2013, 69, 71: Anordnung fachärztlicher Behandlung bei Suizidgefahr. OGH iFamZ 2010, 46, 47; Holzmann FPR 2010, 497, 500: gebräuchlich sind auch solche unterhaltsrechtlicher Art, welche dem entführenden Elternteil bis zur abschließenden Entscheidung den Aufenthalt mit dem Kind im A-Mitgliedstaat ermöglichen. Schulz FamRZ 2003, 13651, 1352; Mäsch FamRZ 2003, 1069; NK-BGB/Gruber Rn 11.

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wird, zB durch die Aufhebung eines Haftbefehls.56 Eher wird freilich die Rücknahme eines Strafantrags durch den Antragsteller, sofern eine Strafverfolgung nur auf Antrag erfolgt, erreichbar sein. Das Gericht im B-Mitgliedstaat kann auf die Gestaltung solcher Maßnahmen Einfluss 25 nehmen. Es sollte sich bei konkreten Befürchtungen in Ansehung des Kindeswohls nicht auf den Standpunkt stellen, Vorschläge zur Beseitigung solcher Bedenken führten zu einer dem Gericht im B-Mitgliedstaat nicht zustehenden Vorwegnahme der Beurteilung des Sorgerechts.57 Da Abs 4 auf der Beurteilung des Gerichts im B-Mitgliedstaat hinsichtlich des Verweigerungsgrundes des Art 13 Abs 1 lit b HKindENtfÜbk beruht, gibt Abs 4 dem Gericht des B-Mitgliedstaates durchaus die Option, anzuregen, durch welche sorgerechtlichen Maßnahmen der nach seiner Ansicht bestehende Rückgabe-Verweigerungsgrund ausgeräumt werden kann;58 ggf ist zumindest ein Hinweis an den Antragsteller sogar dem Grundsatz des fairen Verfahrens geschuldet. Abs 4 greift jedoch nur dann ein, wenn das Gericht im BMitgliedstaat den Verweigerungsgrund des Art 13 Abs 1 lit b HKindEntfÜbk annimmt und gibt keine Grundlage, sonstige am Kindeswohl orientierte Ratschläge zu geben.59 c) Abs 4 überlässt die Beurteilung, ob die Maßnahmen im A-Mitgliedstaat ausreichen, um 26 die Gefährdung des Kindes auszuschließen, letztlich den Gerichten des B-Mitgliedstaates.60 Weder ist Art 13 lit b HKindEntfÜbk suspendiert noch können die Gerichte des A-Mitgliedstaates an dieser Stelle der Prüfung eingreifen. Eine Verweigerung der Rückgabe trotz aus Sicht der Gerichte des A-Mitgliedstaates angemessener Maßnahmen beschwört allerdings die Gefahr einer gegenläufigen Entscheidung nach Abs 6 bis 8 herauf, bei der dann letztlich die Gerichte des A-Mitgliedstaates das letzte Wort haben. Hierin kann man durchaus einen Widerspruch erkennen, weil die in Abs 4 anerkannte Beurteilungsprärogative des B-Mitgliedstaates (dessen Gericht die aktuelle Situation des Kindes kennt) letztlich die zuständigkeitsrechtliche Prinzipientreue hintanstellt. Dies ist freilich dem Konzept des Art 13 HKindEntfÜbk geschuldet, das an dieser Stelle die Gerichte des B-Mitgliedstaats am Zuge sieht. Andererseits kommt es darauf an, wie überzeugend die Gerichte des BMitgliedstaates ihre Ablehnung begründen, um ggf im A-Mitgliedstaat eine entsprechende Entscheidung herbeizuführen. Insbesondere bewirken die Regelungen in Abs 6 bis 8 an dieser Stelle einen Einigungsdruck, weil das „letzte Wort“ sonst bei den Gerichten des AMitgliedstaats liegt. d) Andere Rückgabeversagungsgründe beschränkt Abs 4 nicht.61 Insbesondere wird des- 27 halb erörtert, ob sich die Gerichte des B-Mitgliedstaates statt auf Art 13 lit b auf ihren ordre 56 57

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NK-BGB/Gruber Rn 11. Unklar OLG Brandenburg 22.9.2006 (15 UF 189/06) juris: Wenn die Mutter nicht bereit sei, das Kind zurück nach Frankreich zu begleiten, stelle es eine Maßnahme nach Abs 4 dar, die Kinder in die Obhut des Vaters zu geben. Das Gericht wollte hingegen wohl zum Ausdruck bringen, dass es keine Bedenken in Ansehung des Kindeswohls hege, weil der Vater sorgegeeignet sei; das hat dann aber nichts mit Abs 4 zu tun. Treffend WF, RJ, BF and RF [2010] EWHC 2909: „The impact of Article 11 (4) is to focus attention on designing arrangements to make tolerable what would otherwise be intolerable.“ Hof ’s-Gravenhage NIPR 2013, 211, 212. Rauscher EuLF 2005 I-37, 44. Lowe IFL [2009] 27, 30.

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public gemäß Art 20 HKindEntfÜbk berufen können oder ob dies als Umgehung von Abs 4 ausscheidet.62 Dabei handelt es sich wohl um ein Scheinproblem: Zwar kann die Gefährdung des Kindeswohls den ordre public des B-Mitgliedstaates betreffen. Jedoch wird eine aus dessen Sicht angemessene Vorkehrung zum Schutz des Kindes iSd Abs 4, die eine Rückgabeverweigerung nach Art 13 Abs 1 lit b HKindEntfÜbk ausschließt, zugleich auch die konkrete Betroffenheit des ordre public beseitigen; umgekehrt wird, wenn der ordre public weiter betroffen ist, die Vorkehrung kaum angemessen sein.63 Hingegen wird eine Ablehnung wegen nach Art 13 Abs 2 HKindEntfÜbk beachtlichem Widerspruch des Kindes nicht durch Abs 4 ausgeschlossen, jedoch können solche Maßnahmen in die auch in diesem Fall erforderliche Abwägung einbezogen werden.64 2. Rechtliches Gehör des Rückgabe-Antragstellers (Abs 5) 28 Abs 5 ist systematisch eher der Verfahrensgestaltung als, wie sein Wortlaut nahelegt, den

Rückgabe-Versagungsgründen zuzuordnen. Will das Gericht die Rückgabe verweigern, so muss dem Antragsteller, der die Rückgabe des Kindes beantragt hat, vorher rechtliches Gehör gewährt werden. Dies bedeutet insbesondere, dass der Antragsteller zu Einwendungen, die der Antragsgegner oder das Kind gegen den Antrag vorgebracht haben, zu hören ist. Der Umstand, dass er bereits als Antragsteller beteiligt war, kann nicht genügen, weil sonst die Regelung offenbar nutzlos wäre. Äußert sich der Antragsteller nicht, nachdem ihm Gelegenheit gegeben wurde, so ist das Verfahren fortzusetzen.65 Ob der Beschleunigungsgrundsatz des Abs 3 eine Einschränkung der Anhörung gestattet,66 erscheint eher zweifelhaft. IV. Verfahren bei Rückgabe-Verweigerung 1. Systematik 29 a) Abs 6 bis 8 bestimmen die wesentliche Ausnahme von Art 12 ff HKindEntfÜbk.67

Während unter dem HKindEntfÜbk eine die Rückgabe des Kindes ablehnende Entscheidung der Gerichte des B-Mitgliedstaates de facto das letzte Wort spricht,68 dem auch Art 7 Abs 1 lit b KSÜ sich beugt und nach Beendigung des Verfahrens die Zuständigkeit übergehen lässt, soll nach der Konzeption der VO das letzte Wort in der Sorgerechtssache trotz Ablehnung der Herausgabe durch die Gerichte des B-Mitgliedstaates bei den Gerichten des A-Mitgliedstaates bleiben. Damit wird die faktische Wirkung der Rückgabeverweigerung durchbrochen, die im System des HKindEntfÜbk dazu führt, dass Sorgerechtsentscheidungen des bis dahin zuständigen Gerichts obsolet werden.69 30 Dies wird dadurch erreicht, dass die Gerichte des A-Mitgliedstaates von einer solchen Ent62 63 64 65 66 67 68 69

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So Solomon FamRZ 2004, 1409, 1417. Rauscher EuLF 2005 I-37, 44. Cass civ ILR 50 [2010] 898, 901. Hof ’s-Gravenhage NIPR 2010, 58, 60. So OGH v 1.4.2008 – 5 Ob 17/08y, IPRax 2011, 409, 411 betreffend Ergebnis der Beweisaufnahme. Lowe IFL [2009] 27, 31. Gruber GPR 2011, 153. Tonolo Riv dir int priv poc 2011, 81, 89.

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scheidung zwingend in Kenntnis gesetzt werden (Abs 6), die Parteien sodann aufgefordert werden, dort Anträge zu stellen (Abs 7) und eine spätere Rückgabeentscheidung der nach Art 10 weiter zuständigen Gerichte im A-Mitgliedstaat auch hinsichtlich der Vollstreckung eine Nicht-Rückgabeentscheidung überwindet (Abs 8).70 Dieses Instrumentarium dürfte sich bei Rückgabe-Verweigerungsentscheidungen zwischen Mitgliedstaaten zur Regel entwickeln,71 weil der durch die Verbringung des Kindes verletzte und im B-Mitgliedstaat mit dem Rückgabeantrag gescheiterte Elternteil selten darauf verzichten dürfte, einen Antrag nach Abs 7 zu stellen. b) Eine Ablehnung des Rückgabeantrags zwischen Mitgliedstaaten löst somit den Mecha- 31 nismus der Abs 6 bis 8 aus.72 Fraglich ist, ob das System des Art 11 Abs 6 bis 8 nur für die Ablehnung der Rückgabe nach Art 13 HKindEntfÜbk, auf den sich Abs 6 ausdrücklich bezieht, oder ob es auch für andere Ablehnungsgründe gilt. Eine wortlautentsprechend enge Anwendung73 würde es insbesondere dem Gericht im B-Mitgliedstaat ermöglichen, eine Ablehnung der Rückgabe aus Kindeswohlgründen auf den ordre public (Art 20) zu stützen. Fraglich ist auch, ob eine Ablehnung im Fall des Art 12 Abs 2 Alt 2 HKindEntfÜbk nach Abs 6 bis 8 zu behandeln ist. Dabei geht es nicht primär um die Mitteilungspflicht nach Abs 6, deren Ausweitung weitgehend unproblematisch wäre und die allenfalls das Einfallstor für die verbreitet vertretene Analogie ist.74 Wenn man Abs 6 entsprechend anwendet, bedeutet dies letztlich, den Gerichten des A-Mitgliedstaates auch das letzte Wort iSd Abs 8 gegenüber dem ordre public des B-Mitgliedstaates zuzumessen. Dem naheliegenden Argument, die Situation bei Ablehnung nach Art 12 Abs 2 oder Art 20 32 sei interessenidentisch75 und eine Umgehung der Abs 6 bis 8 könne nur vermieden werden, indem Abs 6 bis 8 auf jede Ablehnung der Rückgabe nach Art 13 ff HKindEntfÜbk Anwendung finden,76 stehen Bedenken vor allem deshalb entgegen, weil der ordre public des BMitgliedstaates im Vollstreckungsverfahren nach Art 42 ff nicht mehr ausreichend geschützt wird; der B-Mitgliedstaat müsste, um eine empfindliche Desavouierung seiner Gerichte und Unglaubwürdigkeit gegenüber dem Rechtssuchenden77 zu vermeiden, sich verordnungswidrig verhalten. Gegen eine Erstreckung auf eine Ablehnung der Rückgabe nach Art 20 HKindEntfÜbk spricht auch, dass Art 11 Abs 4 nur in den „einfachen“ Ablehnungsgrund des Art 13 Abs 1 lit b eingreift. Zudem erscheint es höchst zweifelhaft, Abs 6 ff, die ihrem Wortlaut nach nur Art 13 HKindEntfÜbk betreffen und offenbar – nach schwierigen Ver70 71

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Schulz FS Kropholler (2008) 435, 442. Vigreux v Michel EuLF 2006 II 63 (App Civil Divison, 2006): „Of course the judge recognised that his refusal of the return order would inevitably trigger the very significant new procedures introduced by Article 11 (6)-(8).“ D, N and D [2011] EWHC 471. Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 69. Vgl Rieck NJW 2008, 182, 184; Zöller/Geimer Rn 12; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 12; Geimer/ Schütze/Dilger Rn 22; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 7. Zöller/Geimer Rn 12; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 12; Geimer/Schütze/Dilger Rn 22; Thomas/ Putzo/Hüßtege Rn 7. Solomon FamRZ 2004, 1409, 1417; Rauscher EuLF 2005, I-37, 44. Wie soll ein Richter oder Rechtsanwalt einem Elternteil erklären, dass die Gerichte seines Heimat- und/ oder Aufenthaltsstaates ihm unter Verwendung der stärksten Waffe, die die Rechtsordnung ausländischem Zivilrecht entgegensetzen kann, Recht gegeben hat, dies aber „wegen Europa“ nichts hilft.

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handlungen – ohne einen Gedanken an Art 20 HKindEntfÜbk konzipiert sind, die Intention zu unterstellen, den Mitgliedstaaten im Verfahren nach dem HKindEntfÜbk de facto die Berufung auf den ordre public-Vorbehalt abzuschneiden.78 Während man davon ausgehen mag, dass das Kindeswohl nach und nach in allen Mitgliedstaaten gleiche Beachtung findet, wird kaum der ordre public eines Mitgliedstaates durch die Gerichte eines anderen Mitgliedstaates gewahrt werden. Im Ergebnis ist also das Verfahren nach Abs 6 ff nur anzuwenden, wenn das Gericht des B-Mitgliedstaates aus Gründen entscheidet, die von Art 13 HKindEntfÜbk erfasst sind. Eine Berufung auf den ordre public kann insoweit die Anwendung der Abs 6 bis 8 nicht vermeiden. Anders verhält es sich mit nicht unmittelbar mit dem Kindeswohl verknüpften ordre public-Entscheidungen.79 Ähnliches gilt für die Ablehnung im Fall des Art 12 Abs 2 HKindEntfÜbk. Entscheidet das Gericht im B-Mitgliedstaat bei einem iSd Art 12 Abs 2 HKindEntfÜbk späten Antrag wegen der Integration des Kindes gegen die Rückgabe, so bewegt es sich meist bereits innerhalb der nach Art 10 lit b sublit (i) mangels Antrags binnen eines Jahres übergegangenen Zuständigkeit, sofern nicht ausnahmsweise zwischen dem Beginn der Jahresfrist nach Art 12 Abs 1 HKindEntfÜbk (Verbringen) und der nach Art 10 lit b sublit (i) (Kenntnis) ein größerer Zeitraum liegt. Ist aber die Zuständigkeit bereits nach Art 10 übergegangen, so besteht kein Raum mehr für eine Rückgabe der Zuständigkeit über Abs 7 an das Gericht im A-Mitgliedstaat. Das zeigt, dass Fälle des Art 12 Abs 2 HKindEntfÜbk durchaus folgerichtig nicht von Abs 6 bis 8 erfasst sind.80 2. Übermittlung an das Gericht des ursprünglichen Aufenthalts (Abs 6) 33 a) Hat das Gericht im B-Mitgliedstaat nach Art 13 HKindEntfÜbk die Rückgabe abgelehnt,

so muss es diese Entscheidung dem zuständigen Gericht oder der Zentralen Behörde im AMitgliedstaat („in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte“) unverzüglich übermitteln.80a Ein Ermessen besteht, anders als dies der 18. Erwägungsgrund vermuten lässt („sollte“), nicht. Die Übermittlungspflicht besteht im gesamten Anwendungsbereich der Abs 6 bis 8, also immer, wenn ein Rückgabeantrag gestützt auf Art 13 HKindEntfÜbk abgelehnt wird, also anders als Abs 4, nicht nur in Fällen des Art 13 Abs 1 lit b.81 34 Die Übermittlung kann unmittelbar an ein Gericht erfolgen, das im A-Mitgliedstaat bereits

vorher mit der Sache befasst war, aber auch an ein Gericht, das nach Einschätzung des Gerichts im B-Mitgliedstaat innerhalb des A-Mitgliedstaates örtlich zuständig ist.82 Das

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Deshalb geht auch das Argument fehl, das die erweiterte Anwendung gerade darauf stützt, Art 20 HKindEntfÜbk sei nicht bedacht worden, so NK-BGB/Gruber Rn 18. ZB auf Diskriminierung eines Elternteils (nichtehelicher Vater) beruhende Sorgerechts- oder Umgangsregelung im A-Mitgliedstaat. AA NK-BGB/Gruber Rn 18. OLG Hamm v 4.6.2013 – II-11 UF 95/13, 11 UF 95/13 Rn 63, s dazu Rauscher FamFR 2013, 380. Zutreffend Aud prov Barcelona www.unalex.eu/ES- 485 zu Art 13 Abs 1 lit a HKindEntfÜbk, die Verfahrensweise des OLG Bamberg (14.1.2010, unveröffentlicht) rügend. Kommission, Leitfaden 47 verweist auf den Europäischen Gerichtsatlas für Zivilsachen, der dem engagierten Richter durchaus helfen kann, das zuständige Gericht im A-Mitgliedstaat zu ermitteln: http://eur

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Gericht kann aber auch unmittelbar an die Zentrale Behörde (Art 53) des A-Mitgliedstaates übermitteln. b) Zu übermitteln sind eine Abschrift der Entscheidung sowie „die entsprechenden Un- 35 terlagen“. Neben den ausdrücklich bezeichneten Niederschriften von Anhörungen ist damit gemeint, dass der Richter nach Ermessen Abschriften der Unterlagen seiner Verfahrensakte übermitteln soll, aus denen sich die wesentlichen Entscheidungsgrundlagen ergeben. Dazu gehören insbesondere auch Stellungnahmen von Jugendämtern.83 Der Versand einer Kopie der gesamten Akte wird regelmäßig unnötig sein, die Übermittlung einer bloßen Zusammenfassung ermöglicht hingegen dem Gericht im A-Mitgliedstaat keine eigene Beurteilung.84 Für die Übermittlung bestimmt Abs 6 eine Frist von einem Monat ab dem Datum der 36 Entscheidung. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung nach der lex fori. Zur Wahrung der Frist ist Zugang beim Gericht des A-Mitgliedstaates erforderlich, eine Versäumung der Frist ist allerdings sanktionslos und steht bei Inanspruchnahme Zentraler Behörden noch nicht einmal im Einflussbereich des übermittlungspflichtigen Gerichts. Unterlässt das Gericht im B-Mitgliedstaat die Übermittlung, so bleibt auch dies primär sanktionslos, da die Entscheidung, mit welcher die Rückgabe abgelehnt wird, nicht dem Anerkennungssystem der Verordnung unterliegt, sondern das Verfahren nach Abs 6 bis 8 ohnehin eine révision au fond durch das Gericht im A-Mitgliedstaat erlaubt. Wird ein Gericht im A-Mitgliedstaat somit (von dem im B-Mitgliedstaat unterlegenen Antragsteller) angerufen, so muss es sich ggf die maßgebliche Kenntnis über die Grundlagen der Entscheidung des Gerichts im B-Mitgliedstaat in anderer Weise, insbesondere über den hieran interessierten Antragsteller, beschaffen. Eine höhere Prüfungsdichte ergibt sich hieraus jedoch nicht,85 da, wie gesagt, auch bei regulärem Gang das Gericht im A-Mitgliedstaat gemäß Abs 7 die Entscheidung in vollem Umfang überprüfen kann. c) Zur Übermittlung nach Abs 6 bestimmt § 39 IntFamRVG ergänzend, dass bei unmittel- 37 barer Übermittlung an das Gericht oder die Zentrale Behörde im Ausland (also im A-Mitgliedstaat) der deutschen Zentralen Behörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach Art 7 HKindEntfÜbk eine Abschrift zu übersenden ist. 3. Entscheidung durch das Gericht im A-Mitgliedstaat (Abs 7) a) Aufforderung zur Einreichung eines Antrags, Frist (1) Sofern die Gerichte des A-Mitgliedstaates nicht bereits von einer der Parteien mit der 38 Sorgerechtssache befasst sind, sieht Abs 7 eine Art Aufgebotsverfahren vor. Dies gilt auch, wenn bei diesem Gericht ein Verfahren von Amts wegen (zB auf Anregung des Jugendamts) anhängig ist, weil auch dieses Verfahren aufgrund der Systematik des Abs 7 enden kann.

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opa.eu.int/comm/justice_home/judicialatlascivil/html/index_de.htm; vgl FL v CL [2007] 2 IR 630; Lowe IFL [2009] 27, 32. Kommission, Leitfaden 47. Zur Diskussion um diese Alternativen aus englischer Sicht Lowe IFL [2009] 27, 32 f. AA offenbar Aud Prov Barcelona www.unalex.eu/ES- 485: „en defecto des esa remisión … la Sala debe analizar la decisiòn alemana en cuanto al fondo“.

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39 Das Gericht oder die Zentrale Behörde des A-Mitgliedstaates haben nach Eingang der Mit-

teilung gemäß Abs 6 die Parteien hiervon zu unterrichten. Ein Ermessen, wie dies die Formulierung des 18. Erwägungsgrundes vermuten lässt („sollte“), besteht nicht. Da die Zentrale Behörde schwerlich Kenntnis davon haben wird, ob bei dem zuständigen Gericht ein Verfahren anhängig ist, wird der regelmäßige Weg der Übermittlung nach Abs 6 und der Mitteilung nach Abs 7 letztlich über das örtlich zuständige Gericht im A-Mitgliedstaat laufen müssen. Welche Adressaten die Zentrale Behörde sonst noch unterrichtet, beurteilt sich lege fori, Abs 6 trifft insoweit keine Einschränkungen.86 40 Wer als Partei iSd Abs 7 zu unterrichten ist, erscheint zumindest aus deutscher Sicht nicht

klar, da es sich bei Sorgerechtsverfahren um ein FamFG-Verfahren handelt. Partei dürften deshalb alle materiell Beteiligten sein sowie jedenfalls die formell Beteiligten des Rückgabeverfahrens im B-Mitgliedstaat. Auch an den dort obsiegenden Antragsgegner ist die Mitteilung nach Abs 7 zu richten, da auch er ggf im A-Mitgliedstaat tätig werden muss, um eine die erreichte Nichtherausgabe flankierende Sorgerechtsentscheidung zu erlangen. 41 (2) Zusammen mit der Übermittlung sind die Parteien aufzufordern,87 binnen einer Frist

von drei Monaten ab Zustellung der Mitteilung Anträge bei Gericht einzureichen. Die Mitteilung nach Abs 7 ist also aufgrund autonomer Regelung zuzustellen, wobei die Zustellung innerhalb des A-Mitgliedstaates dessen lex fori unterliegt, Zustellungen zwischen den Mitgliedstaaten hingegen der EG-ZustVO 2000 bzw seit dem 13.11.2008 der EGZustVO 2007 unterliegen. Im Übrigen bestimmt sich die Gestaltung der Fristsetzung nach der lex fori; insbesondere die Erforderlichkeit eines Hinweises auf die (erheblichen) Rechtsfolgen der Fristversäumnis ist nicht autonom geregelt, obgleich sich dessen Notwendigkeit aufdrängt. 42 (3) Wird innerhalb der Frist von drei Monaten ein die elterliche Verantwortung betreffen-

der (zum Gegenstand der Entscheidung unten Rn 50 ff) Antrag gestellt, so entscheidet das Gericht im A-Mitgliedstaat innerhalb seiner auf Art 10 beruhenden Zuständigkeit, die jedenfalls nicht bereits durch den ablehnenden Beschluss im B-Mitgliedstaat wegen Art 10 lit b sublit (iii), (iv) beendet wurde.88 43 Wird innerhalb der Frist kein Antrag gestellt, so „schließt das Gericht den Fall ab“ (Abs 7

S 2). Dies gilt nach Abs 7 S 2 unbeschadet der Zuständigkeiten. Diese Wendung ist unklar; sie kann bedeuten, dass die in der VO festgelegten Zuständigkeiten nicht berührt sind,89 sie kann aber auch bedeuten, dass das Gericht nach Abs 7 seine Zuständigkeit verliert.90 Folgt man dem letztgenannten Verständnis, so würde eine Einleitung eines Sorgerechtsverfahrens von Amts wegen oder auch auf späteren Antrag nicht mehr in Betracht kommen, selbst dann nicht, wenn das Gericht noch nach Art 8 Abs 1 zuständig wäre. Selbst ein von Amts

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Erwägungsgrund 18. Der verwendete Begriff „einladen“ mag höflich gemeint sein, wird aber den Parteien kaum deutlich machen, dass das Spiel um das Sorgerecht abgepfiffen wird, wenn der Einladung niemand Folge leistet. „Aufforderung mit Fristsetzung“ trifft das Wesen des Vorgangs erheblich besser. Dazu unten Rn 50 ff. Rauscher EuLF 2005, I-37, 44. So sieht es anscheinend die Kommission, Leitfaden 41 (Flussdiagramm Mitte).

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wegen bereits früher eingeleitetes Verfahren wäre mangels eines Antrags nach Abs 7 abzuschließen. Hieraus ergeben sich Zuständigkeitsspannungen, auf die noch einzugehen ist.91 „Abschließen“ ist lege fori ggf unterschiedlich danach zu beurteilen, ob bereits ein Amts- 44 verfahren anhängig war oder das Gericht nur im Wege der Abs 6, 7 tätig geworden ist. Eine förmliche Entscheidung ist nicht erforderlich. Fraglich ist zudem, ob die Dreimonatsfrist eine Ausschlussfrist ist oder ein nach Fristablauf, 45 aber vor Verfahrensabschluss eingehender Antrag den Abschluss des Verfahrens noch hindern kann. Im Interesse der Rechtsklarheit sollte die Frist als Ausschlussfrist behandelt werden, um die doch erhebliche Abweichung zum Verfahren nach Art 12 ff HKindEntfÜbk in berechenbare Bahnen zu lenken, soweit Abs 7 S 2 iVm Art 10 lit b sublit (iii) die Zuständigkeit der Gerichte des A-Mitgliedstaates konserviert. Ohnehin ist es misslich, dass Art 10 lit b sublit (iii) den Übergang der Zuständigkeit an den durchaus nur gerichtsintern erkennbaren Abschluss des Verfahrens nach Abs 7 S 2 anknüpft; eine Anbindung an den Fristablauf wäre der Rechtssicherheit erheblich zuträglicher gewesen.92 (4) Versteht man Abs 7 S 2 als endgültige Beendigung jeder Befassung der Gerichte des A- 46 Mitgliedstaates, so entsteht eine Zuständigkeitslücke, falls das Kind noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt im B-Mitgliedstaat hat: Wird der Rückgabeantrag alsbald nach dem rechtswidrigen Verbringen gestellt und in gebotener Eile entschieden, so ist es durchaus nicht unwahrscheinlich, dass das Kind noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt im B-Mitgliedstaat begründet hat. In diesem Fall sind die Gerichte des A-Mitgliedstaates nach Art 8 Abs 1 weiter für Sorgerechtsentscheidungen zuständig und verlieren diese Zuständigkeit auch nicht über Abs 2 nach Art 10 lit b sublit (iii), denn Art 10 beruht auf der Grundvoraussetzung, dass das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt bereits im B-Mitgliedstaat hat. In diesem Fall muss es möglich bleiben, auch nach Ablauf der Dreimonatsfrist ein Verfahren vor diesen Gerichten einzuleiten, solange nicht die Voraussetzungen des Wegfalls der Zuständigkeit nach Art 10 eingetreten sind.93 Ein Gericht des A-Mitgliedstaates kann in dieser Phase nicht an einer Entscheidung von Amts wegen gehindert sein, wenn die lex causae eine solche vorsieht. Abs 7 S 2 ist also vor dem Hintergrund der ratio des Art 10 einschränkend auszulegen: Abs 7 S 2 hindert das Gericht des A-Mitgliedstaates lediglich daran, von Amts wegen die Wirkungen des Art 10 lit b sublit (iii) zu vereiteln oder hinauszuzögern. Solange dieses Gericht jedoch noch nach Art 8 Abs 1 zuständig ist, besteht kein Grund, ihm ein Tätigwerden zu verbieten, zumal die Gerichte des B-Mitgliedstaates allenfalls aufgrund von Art 13 eingreifen können. (5) Probleme in anderer Richtung können sich in dem – eher unwahrscheinlichen – Fall 47 ergeben, dass die Zuständigkeit bereits nach Art 10 lit a (Zustimmung) auf die Gerichte des B-Mitgliedstaates übergegangen ist. Auch diese Möglichkeit wurde bei der Konzeption des ganz auf Art 10 lit b zugeschnittenen Verfahrens nicht bedacht, obgleich es durchaus vor91 92

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Unten Rn 46. Hier zeigt sich ein durchaus ernstzunehmendes Problem: Die Methodik, im Rat über Kompromisse zu verhandeln, bei denen es natürlich um Prinzipien und nicht um legislative Details geht, führt gerade bei solchen Normen aus der letzten Minute dazu, dass im Detail schiere Unachtsamkeit herrscht. Rom wurde auch nicht an einem Tag errichtet, und Europa ist ein Stückchen größer! Rauscher EuLF 2005, I-37, 44.

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stellbar ist, dass der Antragsteller im Rückgabeverfahren den Rückgabeantrag mit einem Sorgerechtsantrag verbindet und dafür die Zuständigkeit der Gerichte im B-Mitgliedstaat anerkennt. 48 Dieser Übergang stünde nach dem Wortlaut der Durchführung des Verfahrens nach Abs 6, 7

zwar nicht entgegen. Stellt nun aber innerhalb der Frist des Abs 7 eine Partei einen Antrag, so fehlt es dem Gericht im A-Mitgliedstaat an der Zuständigkeit. Abs 7 ist keine Zuständigkeitsregelung und verschafft auch den Gerichten des A-Mitgliedstaates keine Zuständigkeit. Der Konzeption nach soll sich diese aus Art 10 ergeben, weil Art 10 lit b sublit (iii) den Zuständigkeitsübergang verhindert. Im Fall von Art 10 lit a ist jedoch die Zuständigkeit der Gerichte im A-Mitgliedstaat bereits vorher beendet. Daher kann insoweit Abs 7 insgesamt nur einschränkend ausgelegt werden: Erkennt das Gericht im A-Mitgliedstaat, dass ihm für eine Entscheidung die Zuständigkeit fehlen würde, so unterlässt es die Aufforderung an die Parteien. b) Verfahrensweise bei bereits anhängiger Sorgerechtssache 49 Ist bei Eingang der Übermittlung nach Abs 6 das Gericht im A-Mitgliedstaat von einer der

Parteien (nicht von Amts wegen) mit der elterlichen Verantwortung befasst, so bedarf es keiner Unterrichtung der Parteien und keiner Aufforderung oder Fristsetzung. A fortiori darf aber aus Abs 6 geschlossen werden, dass ein solches Verfahren erst recht im A-Mitgliedstaat seinen Fortgang nimmt. c) Verfahren vor dem Gericht des A-Mitgliedstaates 50 (1) Ist bei dem Gericht im A-Mitgliedstaat bereits ein Verfahren anhängig oder wird es

innerhalb der Frist des Abs 7 anhängig gemacht, so ist dieses Gericht befugt, in vollem Umfang über das Sorgerecht, insbesondere über das Aufenthaltsbestimmungsrecht94 zu entscheiden.95 Die Ansicht, im Verfahren nach Abs 7 könne aus systematischen Gründen nur die Berechtigung der vorangehenden, die Rückgabe des Kindes verweigernden Entscheidung im B-Mitgliedstaat überprüft werden,96 verkennt, dass Abs 7 von der fortbestehenden Zuständigkeit dieses Gerichts nach Art 8 iVm Art 10 ausgeht und es daher im Zuständigkeitssystem der VO nur diesem Gericht obliegt, die letztlich maßgebliche sorgerechtliche Lage als Grundlage von Herausgabe oder Nichtherausgabe zu regeln. Die Zuständigkeit beruht auf Art 8 Abs 1 oder auf Art 10, da im Fall der lit b nun erst eine Entscheidung iSv Art 10 lit b sublit (iv) zum Übergang der Zuständigkeit führen kann und bei Zuständigkeitsübergang nach Art 10 lit a schon das Verfahren nach Abs 7 abzubrechen ist.97 Überdies weist auch der Wortlaut des Abs 7 die Prüfung der „Frage des Sorgerechts“98 als „Endziel der … Verfahren“99 aus. (2) Fraglich konnte vor diesem Hintergrund sein, ob das Gericht im A-Mitgliedstaat von der ihm darüber hinaus durch Abs 8 ausdrücklich eingeräumten Befugnis, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, nur im Zusammenhang mit einer solchen abschließenden Sorgerege94 95 96 97 98 99

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Rb ’s-Gravenhage NIPR 2010, 484, 485; Lowe IFL [2011] 21, 26; Farell IFL [2011] 1274, 1276. D, N and D [2011] EWHC 471 (Fam); Kommission, Leitfaden 47. Cass civ Riv dir int priv proc 2011, 443, 451. Oben Rn 48. Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2010, 476. EuGH v 1.7.2010 – Rs C-211/10 Povse/Alpago, FamRZ 2010, 1229, 1231.

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lung100 oder auch isoliert Gebrauch machen kann. Diese Frage hat der EuGH101 dahingehend beantwortet, dass auch eine isolierte Rückgabeanordnung möglich ist. Das Gericht im AMitgliedstaat kann also insbesondere auf der Grundlage der bestehenden Sorgerechtslage die Beurteilung des Gerichts im B-Mitgliedstaat hinsichtlich der Ablehnungsgründe des Art 13 HKindEntfÜbk überwinden, den status quo ante wiederherstellen und sodann im Rahmen seiner fortdauernden Zuständigkeit aus Art 8 später eine abschließende Sorgerechtsregelung treffen. Abs 8 schützt damit auch den Zweck der effizienten Rückgabe des entführten Kindes.102 Insbesondere kann sich bei Fluchtstrategien des sich mit dem Kind im B-Mitgliedstaat befindenden Elternteils eine abschließende Sorgerechtsentscheidung im AMitgliedstaat mangels Erkenntnismöglichkeiten als unmöglich erweisen.103 (3) Das zuständige Gericht im A-Mitgliedstaat hat nun den Fall insbesondere unter Beach- 51 tung der zu der Entscheidung des Gerichts im B-Mitgliedstaat führenden Unterlagen und Erwägungen zu entscheiden. Ob sich die hochgesteckte Erwartung, dass die beiden Richter formlos miteinander kommunizieren sollten,104 erfüllen wird, ist fraglich. Immerhin wird deutlich, dass sich die Gerichte nicht, wie in verhärteten Fällen unter dem HKindEntfÜbk, als Parteigänger des Elternteils ihrer Nationalität gerieren sollten und dass auch die Bestätigung einer Art 13 HKindEntfÜbk-Entscheidung der Gerichte im B-Mitgliedstaat zu den offen zu erwägenden Optionen gehört. Abs 7 ist also keine Bestimmung, mit der Vergeltung für die Entführung geübt wird, sondern 52 lediglich die Grundlage dafür, dass schließlich das Gericht über das Sorgerecht entscheidet, das nach dem Zuständigkeitssystem der VO dazu berufen ist, ohne dass ihm die normative Kraft der äußerst faktisch wirkenden Nicht-Rückgabe-Entscheidung im Weg steht. (4) Das Gericht hat hierbei erneut den Beteiligten und dem Kind Gehör zu gewähren. 53 Insbesondere für das rechtliche Gehör des sich häufig noch im B-Mitgliedstaat aufhaltenden und ggf im A-Mitgliedstaat sogar strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzten „Entführers“ ist Sorge zu tragen. Hierzu kann sich das Gericht der Wege der EG-Beweis-VO bedienen,105 es kann aber auch darauf hinwirken, dass die Strafverfolgungsbehörden des A-Mitgliedstaates „sicheres Geleit“ zusagen.106 (5) Entscheidet das Gericht im A-Mitgliedstaat im Einklang mit dem Gericht des B-Mit- 54 gliedstaates, so führt dies unter den Voraussetzungen von Art 10 im Hinblick auf dessen lit b sublit (iv) zum Übergang der Zuständigkeit für spätere Entscheidungen auf die Gerichte des 100

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Ein solcher Sachverhalt lag der Entscheidung EuGH v 11.7.2008 – Rs C-195/08 PPU Inga Rinau, NJW 2008, 2973 zugrunde. EuGH v 1.7.2010 – Rs C-211/10 Povse/Alpago, FamRZ 2010, 1229; D, N and D [2011] EWHC 471 (Fam): auch summarisches Verfahren möglich. Gruber GPR 2011, 153, 154. Erhellend AF and T and A [2011] EWHC 1315: drei Jahre nach Entführung und zwei Jahre nach Rückgabeverweigerung durch deutsche Gerichte schließlich Ablehnung der Rückführung durch das englische Gericht im Verfahren nach Art 11 Abs 7. Kommission, Leitfaden 48: „Wenn die beiden Richter sich in einer gemeinsamen Sprache verständigen können …“ Kommission, Leitfaden 49. Kommission, Leitfaden 49.

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B-Mitgliedstaates.107 Hingegen berührt theoretisch eine solche Entscheidung nicht die Zuständigkeit nach Art 8 Abs 1, die auch in diesem Fall solange bei den Gerichten des AMitgliedstaates bleibt, bis das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im B-Mitgliedstaat hat, was allerdings im Fall einer den Verbleib bestätigenden Entscheidung beider betroffenen Staaten regelmäßig sehr schnell der Fall sein wird, weil damit die Illegalität der Verbringung für die Zukunft entfällt. 55 (6) Entscheidet das Gericht des A-Mitgliedstaates, dass das Kind zurückzugeben ist, so gilt

für die Vollstreckung Abs 8.108 4. Vollstreckbarkeit einer späteren Rückgabeanordnung trotz Rückgabe-Verweigerung (Abs 8) 56 a) Abs 8 löst den Konflikt durch widersprechende Entscheidungen im B-Mitgliedstaat

nach Art 13 HKindEntfÜbk und im A-Mitgliedstaat aufgrund von Abs 7 auf der Ebene der Vollstreckung zugunsten eines Vorrangs der Entscheidung aus dem A-Mitgliedstaat. Ungeachtet der nach Art 13 HKindEntfÜbk ergangenen, die Rückgabe ablehnenden Entscheidung ist die die Rückgabe anordnende spätere Entscheidung aus dem A-Mitgliedstaat in allen Mitgliedstaaten zu vollstrecken. Dies gilt insbesondere auch im B-Mitgliedstaat. Damit wird freilich nicht das dem Anerkennungssystem der VO zu Grunde liegende Prinzip wechselseitigen Vertrauens konterkariert,109 denn dieses bezieht sich nur auf sorgerechtliche Entscheidungen und beruht im Übrigen auf dem vorausgehenden Vertrauen, dass nur ein zuständiges Gericht abschließende Sorgerechtsregelungen trifft. Problematisch ist gleichwohl der Eingriff in den ordre public des B-Mitgliedstaats (Rn 58). Eine im Zeitpunkt der Verbringung des Kindes in den B-Mitgliedstaat bereits ergangene, auf Herausgabe des Kindes an den anderen Elternteil gerichtete Entscheidung ist hingegen keine „spätere“ und unterfällt daher nicht Abs 8.110 57 b) Abs 8 erwähnt im Zusammenhang der Vollstreckung das Verfahren nach dem Kapitel

III Abschnitt 4. Dieser Hinweis auf das Bescheinigungsverfahren (für Rückgabeentscheidungen nach Art 42 ff) ist nicht im Sinn einer Rechtsfolgenverweisung zu verstehen. Zum einen erfolgt die Vollstreckung nur dann nach Art 42 ff, wenn die Entscheidung tatbestandlich von diesen Bestimmungen erfasst ist, insbesondere also nur in ihrem die Rückgabe anordnenden,111 ggf den Umgang regelnden Teil und nicht hinsichtlich weitergehender Sorgerechtsregelungen, und die dort genannten Kautelen im Verfahren vor dem Gericht des A-Mitgliedstaates eingehalten wurden.112 Zum anderen bleibt es dem aus der Entscheidung Berechtigten unbenommen, wie sonst auch, die Vollstreckung nach dem Vollstreckungsklauselmodell der Art 28 ff zu betreiben. 58 c) Immerhin zeigt sich an dieser Stelle eines der gravierenden Probleme der VO im Zu107 108 109 110 111 112

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Kommission, Leitfaden 49. Dazu Rn 56 ff. So Holzmann FPR 2010, 497, 500. Eine entsprechende Anwendung erwägt Lowe IFR [2009] 27, 33. Geimer/Schütze/Dilger Rn 19. Kommission, Leitfaden 48; Rauscher EuLF 2005, I-37, 44.

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sammenspiel ihrer beiden bedeutsamsten Novitäten. Die Überwindung der Entscheidung der Gerichte des B-Mitgliedstaates nach Abs 7, 8 und die gleichzeitig geschaffene Möglichkeit der Vollstreckung im Bescheinigungsverfahren nach Art 42 ff gibt den von Art 20 HKindEntfÜbk noch perfekt geschützten ordre public des B-Mitgliedstaates preis. Hier zeigt sich, dass eine analoge Anwendung von Abs 6 bis 8 auf alle Ablehnungsentscheidungen gemäß Art 20 HKindEntfÜbk nicht in Betracht kommen kann.113 Schon die Überantwortung des am Kindeswohl orientierten ordre public an die Gerichte des A-Mitgliedstaates ist bedenklich. Sie wird allerdings auf Ebene des Art 8 EMRK hinnehmbar. Nach zutreffender Ansicht des EGMR114 rechtfertigt auch Art 11 Abs 8 iVm Art 42 nicht eine schematische Rückführung des Kindes nach dem HKindEntfÜbk und deren Vollstreckung, sondern bedarf, auch wenn die Gerichte des A-Mitgliedstaats sie anordnen, der Abwägung der widerstreitenden Interessen und des Kindeswohls. Der in der Vollstreckung der Entscheidung des A-Mitgliedstaats liegende Eingriff in Art 8 EMRK macht diese Abwägung im Verfahren der Individualbeschwerde zum EGMR überprüfbar. Dies gilt auch bei Veränderung der Umstände;115 zwar ist die Vollstreckung durch den B-Mitgliedstaat und der damit verbundene Eingriff in Art 8 EMRK durch dessen EU-rechtliche Bindung gerechtfertigt; eine Gefährdung des Kindeswohls ist vor den Gerichten des A-Mitgliedstaats geltend zu machen. Gegen deren Entscheidung kann aber wiederum der EGMR mit der Individualbeschwerde gegen den A-Mitgliedstaat angerufen werden. Diese Lösung ergibt sich hingegen nicht für andere Gründe des ordre public des B-Mitgliedstaates, die nicht zugleich Verletzungen von Rechten eines Beteiligten nach der EMRK darstellen; im Verfahren nach Abs 7 werden solche (staatsbezogene) Gründe regelmäßig keine Beachtung im A-Mitgliedstaat finden. d) Eine Vollstreckung nach Art 28 ff wird durch Abs 8 zwar nicht ausgeschlossen; in dem 59 B-Mitgliedstaat, wo sich das Kind befindet und deshalb die Vollstreckung am ehesten von Interesse ist, wird eine Vollstreckbarerklärung auch nicht zwingend an Art 23 lit e scheitern, weil die dortige Entscheidung nach Art 12 ff HKindEntfÜbk eine frühere Entscheidung ist. Haben sich die Verhältnisse seit dieser Entscheidung nicht geändert, kann jedoch im Vollstreckbarerklärungsverfahren die Versagung der Anerkennung auf den ordre public des BMitgliedstaates gestützt werden.

Artikel 12: Vereinbarung über die Zuständigkeit (1) Die Gerichte des Mitgliedstaates, in dem nach Artikel 3 über einen Antrag auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe zu entscheiden ist, sind für alle Entscheidungen zuständig, die die mit diesem Antrag verbundene elterliche Verantwortung betreffen, wenn a) zumindest einer der Ehegatten die elterliche Verantwortung für das Kind hat und b) die Zuständigkeit der betreffenden Gerichte von den Ehegatten oder von den Trägern der

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Vgl oben Rn 32. EGMR Sneersone u Kampanella/Italien, FamRZ 2011, 1482. EGMR Sofia u Doris Povse/Österreich, FamRZ 2013, 1793.

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Art 12 Brüssel IIa-VO

elterlichen Verantwortung zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt wurde und im Einklang mit dem Wohl des Kindes steht. (2) Die Zuständigkeit gemäß Absatz 1 endet, a) sobald die stattgebende oder abweisende Entscheidung über den Antrag auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe rechtskräftig geworden ist, b) oder in den Fällen, in denen zu dem unter Buchstabe a) genannten Zeitpunkt noch ein Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung anhängig ist, sobald die Entscheidung in diesem Verfahren rechtskräftig geworden ist, c) oder sobald die unter den Buchstaben a) und b) genannten Verfahren aus einem anderen Grund beendet worden sind. (3) Die Gerichte eines Mitgliedstaates sind ebenfalls zuständig in Bezug auf die elterliche Verantwortung in anderen als den in Absatz 1 genannten Verfahren, wenn a) eine wesentliche Bindung des Kindes zu diesem Mitgliedstaat besteht, insbesondere weil einer der Träger der elterlichen Verantwortung in diesem Mitgliedstaat seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder das Kind die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaates besitzt, und b) alle Parteien des Verfahrens zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts die Zuständigkeit ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt haben und die Zuständigkeit in Einklang mit dem Wohl des Kindes steht. (4) Hat das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat, der nicht Vertragspartei des Haager Übereinkommens vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern ist, so ist davon auszugehen, dass die auf diesen Artikel gestützte Zuständigkeit insbesondere dann in Einklang mit dem Wohl des Kindes steht, wenn sich ein Verfahren in dem betreffenden Drittstaat als unmöglich erweist. I.

II.

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Konzept im Vergleich zu Art 3 Brüssel II-VO, Verhältnis zu MSA und KSÜ 1. „Vereinbarung“ der Zuständigkeit . . . . . . 1 2. Verhältnis zu Drittstaaten sowie zu MSA und KSÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Internationale Annexzuständigkeit für Sorgerechtssachen (Abs 1) 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 a) Örtliche Zuständigkeit, Verbund . . . . . . . 5 b) Erfasste Sorgerechtssachen . . . . . . . . . . . . . . 6 c) Anhängigkeit einer Ehesache . . . . . . . . . . . . 7 d) Konkurrierende Zuständigkeit . . . . . . . . 10 2. Voraussetzungen der Zuständigkeit nach Abs 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 a) Annexzuständigkeit nur unter weiteren Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . 12 b) Ein Ehegatte hat die elterliche Verantwortung (Abs 1 lit a) . . . . . . . . . . . . 15 c) Anerkennung der Zuständigkeit (Abs 1 lit b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

III.

IV.

d) Kindeswohl, insbesondere Abs 4 . . . . . . 25 Beendigung/Fortdauer der Annexzuständigkeit (Abs 2) 1. Keine perpetuatio jurisdictionis für neue Sorgesache (lit a) . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Perpetuatio fori für anhängige Sorgesache (lit b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3. Sonstige Beendigungsgründe (lit c) . . . 34 4. Zuständigkeit für neue Sorgesache . . . . 36 Sonstige Bindungszuständigkeit (Abs 3) 1. Konzeption, Anwendungsbereich . . . . . . 38 a) Ausgangspunkt: Bindung des Kindes . . 38 b) In anderen als Eheverfahren . . . . . . . . . . . . 39 c) Verhältnis zu Art 8 ff, MSA und KSÜ 41 2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 a) Wesentliche Bindung des Kindes (lit a) 44 b) Anerkennung der Zuständigkeit (lit b) 45 c) Wohl des Kindes (lit b, Abs 4) . . . . . . . . . 46

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 12 Brüssel IIa-VO

I. Konzept im Vergleich zu Art 3 Brüssel II-VO, Verhältnis zu MSA und KSÜ 1. „Vereinbarung“ der Zuständigkeit a) Die Bezeichnung der Zuständigkeit für die Regelung der elterlichen Verantwortung im 1 Zusammenhang mit einer Ehesache ist neu, obgleich die Konzeption von Art 12 Abs 1, 2 weitgehend aus Art 3 Abs 2, 3 Brüssel II-VO übernommen wurde.1 Die Bezeichnung ist unpassend gewählt; es handelt sich nicht um ein System der vorherigen Gerichtsstandsvereinbarung, das gerade einer Sorgerechtssache höchst unangemessen wäre. Das neben anderen in allen Varianten kumulativ enthaltene voluntative Element der Anerkennung (Abs 1 lit b) erlaubt aber auch nur eine eher vage Parallele zur rügelosen Einlassung,2 weil die „Anerkennung“ der Zuständigkeit nach dem jeweiligen Wortlaut im Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts bereits vorliegen muss. Die wesentliche Funktion des konsensualen Elements erschließt sich erst im Zusammenwirken mit der kumulativen Beurteilung des Kindeswohls durch das Gericht, die letztlich das zentrale Element der Zuständigkeiten des Art 12 bedeutet:3 Gewiss können die Eltern über die Zuständigkeit nicht im Sinn einer Gerichtsstandsvereinbarung disponieren, doch soll das Gericht auch nicht über die beteiligten Eltern hinweg eine lediglich kindgerechte Zuständigkeit annehmen. b) Im Vergleich zu Art 3 Brüssel II-VO ergeben sich zwei wesentliche Änderungen, deren 2 eine auf dem neuen Anwendungsbereich der VO beruht. Art 3 Abs 1 Brüssel II-VO ist entfallen, weil sich die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, nun für alle Verfahren der elterlichen Verantwortung aus Art 8 Abs 1 ergibt, so dass es einer gesonderten Regelung für die Entscheidung zusammen mit einer Ehesache nicht bedarf. Art 12 Abs 3, die zweite Abweichung von Art 3 Brüssel II-VO, bedeutet eine Erweiterung auf sonstige Verfahren der elterlichen Sorge, die der Einbeziehung dieser Verfahren in die Brüssel IIa-VO geschuldet ist, wobei an die Stelle des Zusammenhangs zur Ehesache die Bindung des Kindes an einen Mitgliedstaat tritt (Abs 3 lit a). 2. Verhältnis zu Drittstaaten sowie zu MSA und KSÜ a) Art 12 setzt, abweichend von Art 8, 9 und 10 – und anders als die zu Abs 1 funktions- 3 ähnliche Regelung in Art 10 KSÜ – keinen gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in einem Mitgliedstaat voraus.4 Darüber hinaus ist auch keine anders geartete Beziehung (Staatsangehörigkeit oder Elternaufenthalt) zu einem anderen Mitgliedstaat erforderlich.5 Dies gilt für beide Alternativen, also sowohl für die Annexzuständigkeit zu Ehesachen (Abs 1) als auch für die selbständige Sorgerechtssache (Abs 3).6 Dies bestätigt insbesondere Abs 4,7 1 2 3 4

5 6 7

Pabst LA Rauscher (2005) 115, 121. Vgl Coester-Waltjen FS Heldrich (2005) 549, 559. CA Bruxelles Rev trim dr fam 2012, 653, 660. HR NIPR 2007, 140, 141; I (a child) [2009] UKSC 10 = EuLF 2010 I-200, 201; AP and TD [2010] EWHC 2040 (Fam); Rb ’s-Gravenhage FJR 2009, 54; Rb den Haag NIPR 2013, 219, 220. ES and AJ [2011] EWCA Civ 265. I (a child) [2009] UKSC 10 = EuLF 2010 I-200, 201. Benicke IPRax 2013, 44, 53.

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wonach bei Aufenthalt in Drittstaaten, die auch nicht dem KSÜ angehören, sogar das Kindeswohl besonders für die Inanspruchnahme dieser Zuständigkeiten spricht, wenn sonst Rechtsverweigerung droht; auf solche Situationen ist jedoch der Anwendungsbereich nicht beschränkt, so dass Art 12 grundsätzlich auch Anwendung findet, wenn im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes Rechtsschutz möglich ist. Dies gilt auch bei gewöhnlichem Aufenthalt des Kindes in einem anderen Mitgliedstaat; graduell kann das Gericht allerdings in die Beurteilung des Kindeswohls die größere Effizienz des Rechtsschutzes in einem anderen Mitgliedstaat durchaus einbeziehen. Insbesondere konkurriert Art 12, auch im Fall der Anhängigkeit einer Ehesache (Abs 1, dazu Rn 10), mit einer in einem anderen Mitgliedstaat bestehenden Zuständigkeit aus Art 8, 9 oder 10, während bei gewöhnlichem Aufenthalt in einem Drittstaat eine Zuständigkeit dort nicht notwendig besteht.8 3a b) Damit gelten Abs 1 und Abs 3 grundsätzlich auch bei gewöhnlichem Aufenthalt des

Kindes in einem MSA-Vertragsstaat, der nicht Mitgliedstaat ist.9 Im Verhältnis zum MSA ist jedoch auch die Reichweite des in Art 60 lit a bestimmten Vorrangs der VO gegenüber dem MSA zu beachten.10 Dieser Vorrang gilt nur im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten. Ist ein Mitgliedstaat Vertragsstaat des MSA und hat das Kind gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Vertragsstaat, der nicht Mitgliedstaat ist, so überschreitet die Frage der Zuständigkeit eindeutig das Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten. Da das MSA, anders als Art 10 KSÜ, keine Annexzuständigkeit erlaubt, bedeutet ein Gebrauchmachen von Art 12 Abs 1 einen klaren Verstoß gegen die völkervertraglichen Bindungen aus dem MSA.11 Die Inanspruchnahme von Art 12 Abs 3 ist nur in dem Maß mit dem MSA zu vereinbaren, in dem ohnehin Art 4 ff von der Aufenthaltszuständigkeit abweichende Zuständigkeiten vorsehen. Partiell bedeutet Art 12 Abs 3 eine zurückhaltend formulierte Heimatstaatszuständigkeit, so dass Art 4 MSA hier ohnehin hilft. 4 c) Hat das Kind gewöhnlichen Aufenthalt in einem KSÜ-Vertragsstaat, der nicht Mit-

gliedstaat ist, so folgt der Vorrang des KSÜ eindeutig aus Art 61 lit a. Die Annexzuständigkeit im Scheidungsverfahren bestimmt sich dann auch vor den Gerichten von Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Ehesachenzuständigkeit nach der VO gemäß Art 10 KSÜ.12 Art 10 KSÜ schafft nun aber keine Annexzuständigkeit, sondern lässt eine solche nur in den dort beschriebenen Grenzen zu, wenn die lex fori sie vorsieht. Das lässt daran denken, Art 12 Abs 1 als eine solche Bestimmung der lex fori zu verstehen, um in dem von Art 10 KSÜ gestatteten Rahmen zu einer Annexzuständigkeit auch in jenen Mitgliedstaaten zu gelangen, die sie lege fori nicht vorsehen.13 Dem dürfte allerdings der klare Wortlaut des Art 61 lit a entgegenstehen, der den Vorrang des KSÜ gerade nicht auf Fälle beschränkt, in denen das KSÜ abweichende Regeln trifft. Für selbstständige Sorgerechtssachen gilt der Vorrang des KSÜ (gegenüber Art 12 Abs 3) ohnehin. 8 9 10 11 12

13

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Insoweit unbedacht Rb den Haag NIPR 2013, 219, 220: Zuständigkeit israelischer Gerichte aus Art 8. Solomon FamRZ 2004, 1409, 1415 in Abgrenzung zur Rechtslage nach Art 3 Abs 2 Brüssel II-VO. Rb Maastricht NIPR 2006, 35, 36. Ebenso wohl Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 60. Schulz FPR 2004, 299, 300; Teixeira de Sousa FamRZ 2005, 1612, 1615, der zutreffend auf die von Art 52 Abs 2, 3 KSÜ ausgehende Bindung hinweist. So Solomon FamRZ 2004, 1409, 1415.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 12 Brüssel IIa-VO

Hat das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Staat, der nicht dem KSÜ angehört, so kann sich zwar ein Gericht in einem Mitgliedstaat auf Art 12 stützen; in anderen KSÜ-Staaten, die nicht Mitgliedstaaten sind, ist eine solche Entscheidung jedoch nicht nach Art 23 ff KSÜ anzuerkennen, da sich die Zuständigkeit nicht aus dem KSÜ ergibt;14 insbesondere käme in diesem Fall auch keine Zuständigkeit lege fori über Art 10 KSÜ in Betracht, weil dort der gewöhnliche Kindesaufenthalt in einem anderen Vertragsstaat vorausgesetzt ist. II. Internationale Annexzuständigkeit für Sorgerechtssachen (Abs 1) 1. Anwendungsbereich a) Örtliche Zuständigkeit, Verbund Art 12 regelt nur die internationale Zuständigkeit. Abs 1 schafft eine Annexzuständigkeit15, 5 aber keine Verbundzuständigkeit für die elterliche Verantwortung, bestimmt also nicht die Zuständigkeit des Gerichts der Ehesache,16 sondern überlässt die Bestimmung der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit der lex fori.17 Soweit diese einen Verbund vorsieht, ist Abs 1, wie bisher schon völkervertragliche Zuständigkeitsregeln, eine Bestimmung, welche die internationale Folgesachenzuständigkeit auch im Verbund regelt, also der „internationalen Verbundzuständigkeit“ nach § 98 Abs 2 FamFG vorgeht. b) Erfasste Sorgerechtssachen Abs 2 bestimmt die internationale Zuständigkeit nicht für den gesamten, nun umfassend in 6 Art 1 Abs 1 lit b beschriebenen sachlichen Anwendungsbereich der elterlichen Verantwortung. Erfasst sind nur Verfahren, welche die Regelung der elterlichen Verantwortung in Verbindung mit dem Antrag in der Ehesache betreffen. Dies geht über den bisherigen Anwendungsbereich des Art 3 Abs 2 Brüssel II-VO insofern hinaus, als nicht zwingend ein gemeinsames Kind18 der Ehegatten betroffen sein muss, auch wenn diese Beschränkung unter der Brüssel II-VO nicht aus Art 3 Abs 2 ersichtlich war,19 sondern aus dem noch enger beschränkten sachlichen Anwendungsbereich des Art 1 Abs 1 lit b Brüssel II-VO resultiert. Erfasst sind daher alle Verfahren, die in zeitlichem Zusammenhang, nicht notwendig gleichzeitig, zur Ehesache eingeleitet werden und die das sorgerechtliche Verhältnis der Ehegatten zu dem Kind betreffen. Nicht notwendig ist, dass es sich lege fori um Verbundsachen handelt oder dass lege causae die Ehescheidung oder gerichtliche Trennung (und nicht schon die faktische Trennung20) das die Sorgerechtsregelung indizierende Kriterium ist.21 So gehören auch Umgangsregelungen mit einem Stiefkind (Kind nur eines der

14 15 16 17 18 19

20 21

Benicke IPRax 2013, 44, 53. Hau FamRZ 2000, 1338; Zöller/Geimer Rn 3; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 1. Borrás-Bericht Nr 37. Geimer/Schütze/Dilger Rn 7. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 54; Pabst LA Rauscher (2005) 115, 121. Daher wohl nehmen unveränderte Übernahme an: MünchKommFamFG/Gottwald Rn 1; NK-BGB/ Gruber Rn 2; Geimer/Schütze/Dilger Rn 3. Auch Verfahren nach § 1671 BGB fallen unter Art 12 Abs 1. NK-BGB/Gruber Rn 3.

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Ehegatten) in den Anwendungsbereich, nicht jedoch die Regelung des Umgangs der Großeltern mit dem Kind der Ehegatten.22 c) Anhängigkeit einer Ehesache 7 Erforderlich ist, dass eine Ehesache (iSd Art 1 Abs 1 lit a, also auch gerichtliche Trennung23)

bereits anhängig ist; nicht genügend ist die potentielle Ehesachen-Zuständigkeit der Gerichte des jeweiligen Mitgliedstaates.24 Trotz des nicht ganz eindeutigen Wortlauts („zu entscheiden ist“) folgt dies eindeutig aus dem Zweck einer Annexzuständigkeit sowie der Regelung in Abs 2, wonach mit Abschluss des Verfahrens in der Ehesache die Zuständigkeit endet. 8 Hingegen bedeutet die Bezugnahme auf die Zuständigkeit nach Art 3 keine Einschränkung

des Anwendungsbereichs innerhalb der Ehesachen-Zuständigkeiten nach der VO. Die Annahme, eine Zuständigkeit aus Art 4 begründe nicht die Annexzuständigkeit,25 beruht auf einem Missverständnis: Da im Rahmen von Art 4 der Hauptantrag im Hinblick auf die Verweisung auf Art 3 eine Ehesache betreffen muss,26 löst schon dieser Hauptantrag die Annexzuständigkeit nach Abs 1 aus. Die Nichterwähnung von Art 5 in Art 12 sollte nach dem Zweck der Regelung ebenfalls nicht dazu führen, eine Annexzuständigkeit im Fall der Umwandlung einer Trennung in eine Ehescheidung abzulehnen.27 Die Interessenlage ist vollständig identisch und die Zuständigkeit des Art 5 erweist sich als eine perpetuatio jurisdictionis des ehemals nach Art 3 zuständigen Gerichts. 9 Erforderlich ist jedoch, dass die Ehesachenzuständigkeit überhaupt aufgrund der VO be-

steht. Beruht sie hingegen im Anwendungsbereich des Art 7 auf der lex fori, so ergibt sich aus Art 12 keine Annexzuständigkeit.28 d) Konkurrierende Zuständigkeit 10 Art 12 Abs 1 und 3 begründen Wahlgerichtsstände. Insbesondere begründet auch Abs 1

keine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte in dem Mitgliedstaat der anhängigen Ehesache. Auch während der Anhängigkeit einer Ehesache bleiben insbesondere die Gerichte im Aufenthalts-Mitgliedstaat des Kindes zuständig; ein dort früher angerufenes Gericht geht den nach Art 12 Abs 1 zuständigen Gerichten gemäß Art 19 vor.29 Andererseits kann aber auch das Gericht der Ehesache im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes seine internationale Zuständigkeit für die Sorgerechtsregelung auf Art 8 stützen; der weitergehenden Voraussetzungen des Art 12 bedarf es dann nicht.30 11 Besteht keine Zuständigkeit nach Art 12, so bestimmt sich erst recht die internationale 22 23 24 25 26 27 28

29 30

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Geimer/Schütze/Dilger Rn 18; aA Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 56. Cass civ Riv dir int priv proc 2013, 126. Hausmann EuLF 2000/01, 278; Hau FamRZ 2000, 1338. So Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 57. Anders unter der Brüssel II-VO! So Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 57. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 11; Gruber IPRax 2005, 293, 298; Geimer/Schütze/Dilger Rn 13; aA Coester-Waltjen FS Lorenz (2004) 305, 306. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 58. Unzutreffend AG Steinfurt 8.1.2008 (10 F 9/07) juris.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 12 Brüssel IIa-VO

Zuständigkeit nach den übrigen Bestimmungen der VO, soweit diese nicht durch das KSÜ verdrängt ist (Art 61 lit a). 2. Voraussetzungen der Zuständigkeit nach Abs 1 a) Annexzuständigkeit nur unter weiteren Voraussetzungen (1) Die Annexzuständigkeit nach Abs 2 tritt, anders als zB nach § 152 Abs 1 FamFG, nicht 12 per se durch die Anhängigkeit der Ehesache ein,31 sondern hängt von drei weiteren, kumulativ festzustellenden Voraussetzungen ab. Diese Kriterien lehnen sich an den im Übrigen anders strukturierten Art 10 KSÜ an,32 was allerdings erst dadurch erreichbar war, dass EU-Mitgliedstaaten schon im Vorfeld des Übereinkommens Brüssel II anlässlich der Haager Konferenz 1996 erheblichen Druck ausgeübt hatten, eine solche Regelung im KSÜ zu implementieren.33 Der in Art 10 Abs 1 lit a KSÜ geforderte gewöhnliche Aufenthalt eines Elternteils im 13 Gerichtsstaat ist jedoch in der VO durch die in Art 3 zur Grundlage der Ehesachenzuständigkeit gemachte Bindung ersetzt. Beide Regelungen streben einen Kompromiss an zwischen dem grundsätzlichen Vorrang der Aufenthaltszuständigkeit in der Sorgesache und der Tendenz zu einer Entscheidungskonzentration mit der Ehesache. (2) Diese Voraussetzungen sind grundsätzlich für jede Sorgerechtssache getrennt festzu- 14 stellen. Hierbei ist jedoch der Art 19 Abs 2 zugrundeliegende Antragsbegriff zu beachten, weil sonst eine im Annex anhängige Sorgerechtssache eine anderweitige Zuständigkeit nach Art 19 Abs 2 sperren würde, obgleich sie im Gerichtsstand des Abs 1 nicht anhängig gemacht werden kann. Daher können die Voraussetzungen zwischen den Ehegatten für jedes einzelne Kind grundsätzlich nur einheitlich festgestellt werden. Insbesondere kann keine Trennung zwischen einem Sorgerechtsantrag und einem Umgangsantrag, die dasselbe Kind betreffen, erfolgen.34 Da Dritte betreffende Anträge ohnehin nicht von Abs 1 erfasst werden, bedeutet dies faktisch, dass nur für verschiedene Kinder getrennt die Annexzuständigkeit zu prüfen ist. b) Ein Ehegatte hat die elterliche Verantwortung (Abs 1 lit a) (1) Erste Voraussetzung ist, dass die elterliche Verantwortung einem Ehegatten allein oder 15 beiden Ehegatten gemeinsam zusteht. Die Zuständigkeit für die Ehesache berührt die Sorgesache nicht ausreichend, wenn die elterliche Verantwortung Dritten zusteht. Wegen dieser ratio ist bei der Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs in Art 1 Abs 1 lit b „elterliche Verantwortung … hat“ enger zu verstehen als „elterliche Verantwortung … betreffen“. Während in den sachlichen Anwendungsbereich auch Verfahren fallen, welche den Umgang der Eltern mit dem Kind betreffen,35 kann es zur Zuständigkeitsbegründung 31 32 33 34

35

Rb Maastricht NIPR 2008, 57, 58. Borrás-Bericht Nr 38. Jänterä-Jareborg YB PIL 1999, 11. Unzutreffend AG Lahr IPRax 2004, 1042, 1043 mit dem haarsträubenden Ergebnis, dass über konkurrierende Sorgerechtsanträge im Annex entschieden wird, einem das Sorgerecht anstrebenden Elternteil jedoch gestattet wird, sodann durch Verweigerung der Zustimmung den Umgangsantrag des anderen Ehegatten aus dem Verfahren auszusperren. Dazu Art 1 Rn 27 ff.

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nicht genügen, wenn wenigstens einem Ehegatten ein Umgangsrecht mit dem Kind zusteht. Hier bedeutet elterliche Verantwortung vielmehr elterliche Sorge im engen Sinn umfassender Sorgeberechtigung, so dass insbesondere auch der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts schadet.36 16 (2) Wem die elterliche Verantwortung zusteht, ist eine materiellrechtliche Vorfrage, die

nach dem vom maßgeblichen IPR berufenen nationalen Familienrecht zu klären ist. Im Anwendungsbereich des KSÜ bestimmt sich dies nach Art 16 Abs 1 KSÜ, nur im Anwendungsbereich des MSA und im völkervertraglich ungeregelten Bereich nach dem IPR der lex fori.37 17 Liegt eine frühere Sorgerechtsregelung durch ein ausländisches Gericht vor, so entscheidet

über deren Anerkennung im jeweiligen räumlichen und zeitlichen (Art 64) Anwendungsbereich die VO, Art 7 MSA, Art 23 KSÜ oder die lex fori, in Deutschland also §§ 108, 109 FamFG.38 c) Anerkennung der Zuständigkeit (Abs 1 lit b) 18 (1) Zweite Voraussetzung ist die Anerkennung der Zuständigkeit der Gerichte des Staates

der Ehesache durch beide Ehegatten. Ein Ehegatte ist also hinsichtlich der Ehesache im Rahmen des Art 3 der Zuständigkeit unterworfen, kann aber ggf die Zuständigkeit in der Sorgesache blockieren.39 Da in diesem Fall nach Art 14 auch nicht mehr auf Restzuständigkeiten zurückgegriffen werden kann, stört dies insbesondere das deutsche Verbundverfahren erheblich, was aber ein Nachteil ist, den die VO mit Art 10 KSÜ teilt. Eine Ersetzung der Anerkennung, insbesondere wenn das Gericht die Zuständigkeit für kindeswohldienlich hält, ist nicht vorgesehen.40 19 Erforderlich ist auch die Anerkennung durch Dritte, die Träger elterlicher Verantwortung

sind. Insoweit gilt die Definition in Art 2 Nr 8, so dass zwar Pfleger oder Behörden, denen (neben wenigstens einem Elternteil)41 Teile der elterlichen Verantwortung (zB das Aufenthaltsbestimmungsrecht) übertragen sind, die Zuständigkeit anerkennen müssen, nicht aber umgangsberechtigte Personen, die nicht Eltern sind. 20 Umstritten ist – sowohl für Abs 1 als auch für Abs 3 (vgl Rn 45) – die Form der Anerken-

nung. Jedenfalls muss die Anerkennung nicht in einer qualifizierten Form erfolgen.42 Fraglich ist, ob es für die beidseitige Anerkennung einer ausdrücklichen43 oder konkludenten Erklärung44 bedarf oder ob es genügt, wenn sich beide Ehegatten auf das Verfahren in der Sorgerechtssache einlassen.45 36 37 38 39

40 41 42 43

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NK-BGB/Gruber Rn 6. Vgl zur kollisionsrechtlichen Geltung von MSA und KSÜ oben Rn 3 f. Vor dem 1.9.2009 § 16a FGG aF: Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 4. Bauer IPRax 2002, 181; allerdings nicht selektiv für Teile der ein Kind betreffenden Regelung, so aber AG Lahr IPRax 2004, 1042. Bauer IPRax 2002, 181. Geimer/Schütze/Dilger Rn 18. Insbesondere nicht schriftlich: VC and GC [2012] EWHC 1246 (Fam). Einschränkend zu Konkludenz Bush v Bush [2008] 2 FLR 1437: „… is not lightly to be inferred, and the paradigm case will be actual agreement …“

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 12 Brüssel IIa-VO

Während unter Art 3 Abs 2 Brüssel II-VO mangels jedes Hinweises im Text eine rügelose Einlassung noch hinreichend erscheinen konnte,46 muss nunmehr aus der eindeutig verschärfenden Wortwahl „ausdrücklich oder auf eine andere Weise eindeutig“ geschlossen werden, dass bloße rügelose Einlassung nicht mehr genügt,47 auch wenn die im Kommissionsvorschlag (dort Art 12 Abs 4)48 enthaltene eindeutige Klarstellung nicht übernommen wurde. Überwiegend wird nicht nur eine ausdrückliche Zustimmung als ausreichend angesehen, 20a sondern auch ein Verhalten im Prozess,49 aus dem positiv auf das Einverständnis50 mit der Entscheidung des Gerichts auch und gerade in der Sorgerechtssache zu schließen ist. Ein eigener Antrag zur Regelung einer sorgerechtlichen Frage begründet regelmäßig das Anerkennen der Zuständigkeit.51 Aktives Verhandeln zum Sorge- oder Umgangsrecht kann insoweit durchaus weiterhin genügen,52 nicht aber eine prozessual gleichwohl als Einlassung in der Sache zu wertende schlichte Ablehnung eines Antrags der Gegenseite. Nicht genügend ist auch das bloße Nichtbestreiten der Zuständigkeit.53 Insbesondere englische Gerichte54 sind insoweit eher zurückhaltend, aus der Sacheinlassung auf die Anerkennung der Zuständigkeit zu schließen, selbst wenn zu Fragen des Kindeswohls streitig vorgetragen wurde, aber etwa die potentiell auch zuständigkeitsrechtliche Frage des gewöhnlichen Aufenthalts im Streit bleibt.55 Unstreitig genügt nicht die Einlassung auf oder die ausdrückliche Anerkennung der Zu- 21 ständigkeit in der zugrunde liegenden Ehesache.56 Die von Abs 1 geforderte Anerkennung muss sich immer auf die Sorgerechtssache beziehen. 44 45

46 47

48 49

50 51 52 53

54 55 56

NK-BGB/Gruber Rn 7; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 5. AG Leverkusen v 2.1.2003 – 34 F 35/02, FamRZ 2003, 1569, 1571; Trib Arezzo Riv dir int priv proc 2012, 161, 164; Vogel MDR 2000, 1048; ähnlich OLG Nürnberg v 23.7.2003 – 7 WF 1144/03, FamRZ 2004, 278, 280. Hiergegen zutreffend BGHZ 163, 248, 263. BGHZ 163, 248, 263 (zu Art 3 Brüssel II-VO); VC and GC [2012] EWHC 1246 (Fam); Bush v Bush [2008] 2 FLR 1437; CA Bruxelles Rev trim dr fam 2013, 263, 273 f.; NK-BGB/Gruber Rn 7; Geimer/ Schütze/Dilger Rn 21; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 5; Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 75; Coester-Waltjen FS Heldrich (2005) 549, 560; Coester-Waltjen FamRZ 2005, 241, 242; Rauscher EuLF 2005 I-37, 40. Europäische Kommission, 17.5.2002, COM (2002) 222/2. BGHZ 163, 248, 263 stellt zutreffend bereits zu Art 3 Brüssel-VO auf das gesamte Verhalten im Prozess ab; eher formelhaft hingegen Rb Alkmaar NIPR 2008, 299; Rb ’s-Gravenhage NIPR 2007, 33; Rb ’sGravenhage NIPR 2007, 31, 32. Pabst LA Rauscher (2005) 115, 126. Re C [2012] EWHC 907 (Fam); Trib Brindisi Riv dir int piv proc 2007, 438, 441. Nur a fortiori zur bloßen Einlassung herangezogen in Trib Arezzo Riv dir int priv proc 2012, 161, 164. AA AG Steinfurt 8.1.2008 (10 F 9/07) juris, das diese zu weit gehende Sicht vertritt, um die unzutreffende Prämisse zu kompensieren, Art 12 gehe Art 8 vor und regele die Sorgerechtszuständigkeit im Verbund abschließend. Bush v Bush [2008] 2 FLR 1437; ES and AJ [2010] EWHC 1113; VC and GC [2012] EWHC 1246 (Fam). ES and AJ [2010] EWHC 1113. Cass civ Riv dir int priv proc 2013, 126, 129; VC and GC [2012] EWHC 1246 (Fam); CA Lyon EuLF 2008, II-26=2008, I-62.

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

22 Prozesshandlung57 ist die Anerkennung hingegen weiterhin nicht. Die Anerkennung kann

insbesondere auch auf einer vorprozessualen Vereinbarung zwischen den Ehegatten beruhen, die vom Antragsteller in das Verfahren eingeführt wird. Auf dieser Konzeption dürfte Abs 1 lit b sogar beruhen, da die Bestimmung nach ihrem Wortlaut von einer im Zeitpunkt58 der Anrufung bereits vorliegenden Anerkennung ausgeht. 23 (2) An der Anerkennung fehlt es insbesondere, wenn ein Ehegatte ausdrücklich der Zu-

ständigkeit des Gerichts der Ehesache in Ansehung der Sorgerechtsregelung entgegentritt59 oder ein selbstständiges Sorgeverfahren in einem anderen zuständigen Staat anhängig macht.60 Vor Anhängigkeit der Ehesache anhängige Sorgeverfahren in einem Mitgliedstaat stehen ohnehin nach Art 19 Abs 2 einer Entscheidung im Annexgerichtsstand entgegen. Aber auch ein Sorgerechtsantrag, der nach Anhängigkeit der Ehesache in einem anderen Mitgliedstaat von einem der Ehegatten gestellt wird, schließt dessen Anerkennung der Zuständigkeit iSv Abs 1 lit b aus, sofern sich dieser Ehegatte bis dahin im Eheverfahren nicht im Sinn einer Anerkennung verhalten hat. 24 (3) Fraglich ist, zu welchem Zeitpunkt die Anerkennung vorliegen muss. Nach dem Wort-

laut des Abs 1 lit b wäre auf den Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts abzustellen. Sowohl die Natur der Anerkennung als Tatbestandsmerkmal einer Zuständigkeitsregel als auch der Zweck der Norm sprechen jedoch dafür, auch eine spätere Anerkennung im Verfahren genügen zu lassen.61 Es wäre nicht sinnvoll, müsste der Antrag durch Zwischenentscheidung abgewiesen werden, um, da die Anerkennung vorliegt, sogleich erneut gestellt zu werden.62 Soweit diese zweckentsprechende Auslegung mit dem Wortlaut in Einklang gebracht werden soll, empfiehlt es sich, die Anhängigkeit als Dauerzustand zu behandeln.63 Nicht genügend ist hingegen eine Anerkennung, die im Vorfeld des Eheverfahrens, insbesondere im Rahmen einer Scheidungsvereinbarung, erzielt wurde, sofern sie im Zeitpunkt der Anrufung (Art 16)64 des Gerichts in der Sorgesache widerrufen ist.65 Hingegen berührt nach diesem Zeitpunkt ein Widerruf der Anerkennung, insbesondere durch Anrufung eines Gerichts in einem anderen Mitgliedstaat,66 die Annexzuständigkeit nicht mehr.

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Rausch FuR 2005, 53, 58. Dazu noch Rn 24. CA Lyon EuLF 2008, II-26=2008, I-62; Rb ’s-Gravenhage NIPR 2007, 159, 161; Rb ’s-Gravenhage FJR 2009, 21; Rb Maastricht NIPR 2011, 361, 362. So schon zu Art 3 Brüssel II-VO: BGHZ 163, 248, 263. Die Frage wird thematisiert von englischen Gerichten, ausgelöst auch durch eine wohl missverständliche Äußerung des Verfassers in EuLF 2005 I-35, 40: dazu I (a child) [2009] UKSC 10=EuLF 2010, I-200, 202, zutreffend insbesondere sub 61 (Lord Collins); vgl auch VC and GC [2012] EWHC 1246; AP and TD [2010] EWHC 2040. Solomon FamRZ 2004, 1409, 1413; NK-BGB/Gruber Rn 8; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 13; Geimer/Schütze/Dilger Rn 22; Zöller/Geimer Rn 12; Pabst LA Rauscher (2005) 115, 127 f.; Rauscher EuLF 2005, I-37, 40; aA Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 12; Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB zu C 75. Treffend AP and TD [2010] EWHC 2040 (Fam): „Providing that seisin is a continuing state of affairs …“ NK-BGB/Gruber Rn 14. Solomon FamRZ 2004, 1409, 1413; Pabst LA Rauscher (2005) 115, 128. AP and TD [2010] EWHC 2040 (Fam).

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 12 Brüssel IIa-VO

d) Kindeswohl, insbesondere Abs 4 (1) Dritte Voraussetzung ist, dass die Zuständigkeit im Einklang mit dem Wohl des Kindes 25 steht.67 Das erscheint problematisch, weil das Kindeswohl als zentraler Rechtsbegriff der materiellen Sorgeentscheidung hierdurch bereits in die Zuständigkeitsprüfung gezogen wird.68 Da Art 12 keine Kriterien nennt, an denen das Kindeswohl in dieser verfahrensrechtlichen Konstellation zu messen ist, bedarf es einer autonom vorzunehmenden Ausfüllung.69 Das Kriterium korrespondiert hier auf verfahrensrechtlicher Ebene mit dem Erfordernis der Anerkennung der Zuständigkeit durch die Ehegatten: Während Erwachsene über die Interessentauglichkeit disponieren können, entscheidet für das Kind nicht primär dessen Wille, sondern dessen Wohl. Damit sollten auch weitgehend die Kriterien der Prüfung klar sein: Es geht nicht um die materielle Kindeswohlgerechtheit der Regelung,70 sondern um die Sicherstellung eines dem Kindeswohl entsprechenden Verfahrens, eines forum conveniens,71 bzw die als Ziel über dieser VO – wie schon seit Beginn über Brüssel I – stehende bonne administration de la justice.72 Die Orientierung an Zuständigkeitsgesichtspunkten73 der hier geforderten Kindeswohlprüfung wird nunmehr durch Abs 4 in der Richtung bestätigt, dass es unbeschadet aller weiteren Kriterien regelmäßig im Interesse des Kindeswohls liegt, dass überhaupt ein geordnetes Verfahren stattfindet. Das Kindeswohl ist berührt, wenn das Kind zu einer erforderlichen persönlichen Anhörung 26 unnötig weit anreisen muss,74 erst recht, wenn die Anhörung eines kleinen Kindes mittels eines Dolmetschers stattfinden müsste, die das Kind belastet und (deshalb) keinen Aufschluss verspricht;75 oder wenn die Beteiligung Dritter im Interesse des Kindes, insbesondere von Jugendbehörden, wegen räumlicher Entfernung dem Gericht keinen ausreichenden Aufschluss zu geben vermag,76 überhaupt, wenn die Ermittlung des Sachverhalts für das Gericht wegen des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in einem anderen Staat schwierig und eine sachgerechte Entscheidung deshalb schwer möglich ist.77 Da es sich in der Situation des Abs 1 um Konstellationen handelt, in denen, von der Wertung des Art 2 MSA bzw 5 Abs 1 KSÜ ausgehend, eigentlich die Gerichte des Aufenthaltsstaates zuständig sein sollten,78

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Es erscheint freilich durchaus denkbar, dass Gerichte die Fälle des Art 12 als Einladung verstehen, sich für zuständig zu erklären, wenn das Kind etwa die Staatsangehörigkeit des Gerichtsstaats besitzt, aber weit entfernt lebt, vgl de Boer FJR 2005, 222, 226. Vogel MDR 2000, 1048. Dutta FS Kropholler (2008) 281, 285. AP and TD [2010] EWHC 2040 (Fam): „Potential outcome is irrelevant.“ I (a child) [2009] UKSC 10=EuLF 2010, I-200, 203; AP and TD [2010] EWHC 2040 (Fam); B and B [2012] EWHC 1924 (Fam). Cuniberti JDI 2012, 678, 682. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 22; NK-BGB/Gruber Rn 9; Looschelders JR 2006, 45, 47; eingehend Dutta FS Kropholler (2008) 281, 288 ff. Looschelders JR 2006, 45, 47. Ebenso NK-BGB/Gruber Rn 9; Coester-Waltjen FamRZ 2005, 241, 243. Ähnlich Vogel MDR 2000, 1048. B and B [2012] EWHC 1924 (Fam); Hof ’s-Gravenhage NIPR 2012, 417, 418; CA Reims JDI 2012, 677, 678. Von der eigentlich vorrangigen Aufenthaltszuständigkeit geht auch aus: Dutta FS Kropholler (2008) 281, 292 ff.

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sind, wie im Fall des Art 4 MSA,79 andererseits auch die Chancen abzuwägen, dass es dort zu einer dem Kindeswohl entsprechenden Entscheidung kommt. Auch hier geht es nicht primär um das Ergebnis, sondern um die Nähe zum Sachverhalt,80 da von den Gerichten aller Mitgliedstaaten keine per se kindeswohlwidrigen Entscheidungen zu erwarten sind, auch wenn eine stille Bevorzugung des diesem Staat angehörenden Elternteils bestehen mag. Hingegen wird das Gericht seine eigene Entscheidungseignung naturgemäß kaum in Zweifel ziehen.81 27 (2) Zu berücksichtigen ist aber – was Abs 4 ausdrücklich klarstellt – die vorhandene oder

fehlende Bereitschaft der Aufenthaltsbehörden zum Tätigwerden. Liegt der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes in einem Drittstaat, der nicht Vertragsstaat des KSÜ ist (wobei auch Vertragsstaaten des MSA einbezogen werden sollten), so besteht danach sogar eine (selbstverständlich nicht unwiderlegbare82) Regelvermutung dafür, dass die Zuständigkeit im Einklang mit dem Wohl des Kindes steht, wenn sich ein Verfahren in dem Drittstaat als unmöglich erweist.83 Auch jenseits der erwiesenen Unmöglichkeit des Verfahrens wird es Fälle geben, in denen alle anderen Erschwernisse gering wiegen gegenüber der Wahrscheinlichkeit, dass der Aufenthaltsstaat sich um die Sorgerechtssache nicht angemessen kümmert.84 Hinzu kommt, dass die Anerkennung von Drittstaaten-Entscheidungen nicht (EU-weit) sichergestellt ist.85 Schon das Einverständnis beider Ehegatten mit der Zuständigkeit wird bei solchen, sich meist sehr entfernt aufhaltenden Kindern häufig ein Indiz dafür sein, dass man den Gerichten des Aufenthaltsstaates keine Lösung zutraut.86 Für das Kindesinteresse an der Annexzuständigkeit kann auch eine besondere Sachkunde der Gerichte im Staat der anhängigen Ehesache sprechen, zumal letztlich oft dasselbe Gericht mit Ehe- und Sorgesache befasst sein wird. III. Beendigung/Fortdauer der Annexzuständigkeit (Abs 2) 1. Keine perpetuatio jurisdictionis für neue Sorgesache (lit a) 28 a) Abs 2 verwirklicht das Prinzip der Annexzuständigkeit zur Ehesache; die internationale

Zuständigkeit für die Sorgerechtssache endet grundsätzlich, sobald die Entscheidung in der Ehesache rechtskräftig geworden ist. Die Bestimmung ist Art 10 Abs 2 KSÜ nachgebildet.87 Eine perpetuatio jurisdictionis, also der Erhalt der internationalen Zuständigkeit im Staat der 79 80 81

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Dazu BGH v 18.6.1997 – XII ZB 156/95, FamRZ 1997, 1070. Looschelders JR 2006, 45, 47; Dutta FS Kropholler (2008) 281, 291 ff. Coester-Waltjen FS Heldrich (2005) 549, 560; vgl lapidar AG Leverkusen v 2.1.2003 – 34 F 35/02, FamRZ 2003, 1569, 1570. I (a child) [2009] UKSC 10=EuLF 2010, I-200, 204 vor dem Hintergrund der Zweifel weckenden englischen Fassung. Zu Zweifeln im Hinblick auf unterschiedliche Textfassungen Coester-Waltjen FamRZ 2005, 241, 243. Zurückhaltender insoweit Coester-Waltjen FamRZ 2005, 241, 243, Kinder aus Drittstaaten könnten mangels umfassender Interessenabwägung diskriminiert werden. I (a child) [2009] UKSC 10=EuLF 2010, I-200, 204. Rauscher EuLF 2005, I-37, 41; deutlich anklingend in I (a child) [2009] UKSC 10=EuLF 2010, I-200, 204: „the mother would certainly face difficulties litigating in Pakistan“. Borrás-Bericht Nr 39.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 12 Brüssel IIa-VO

abgeschlossenen Ehesache im Hinblick auf eine noch ausstehende Regelung der elterlichen Verantwortung, wurde nicht vorgesehen.88 Aus Abs 2 lit b folgt jedoch, dass die Grundregel in lit a nur für Sorgerechtsverfahren gilt, die 29 erst nach Beendigung der Ehesachen anhängig gemacht werden. Es ist also zwischen neuen Verfahren, für die Art 12 Abs 1 keine Zuständigkeit mehr begründet, und alten Verfahren, die nach Abs 2 lit b zu beurteilen sind, zu unterscheiden. b) Die Beendigung der Zuständigkeit nach Abs 1 tritt mit Rechtskraft der Ehesachenent- 30 scheidung ein. Wie entschieden wurde, ist ohne Bedeutung; alle stattgebenden und abweisenden Urteile, Sach- und Prozessurteile, die das Verfahren rechtskräftig abschließen, wirken in derselben Weise. Der Begriff der Rechtskraft als solcher lässt sich autonom bestimmen; die Entscheidung ist rechtskräftig, wenn gegen sie kein ordentlicher Rechtsbehelf mehr möglich ist. Wann das der Fall ist und welche Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung stattfinden, bestimmt dagegen die lex fori. 2. Perpetuatio fori für anhängige Sorgesache (lit b) a) Für eine im Zeitpunkt der Rechtskraft der Ehesachenentscheidung bereits anhängige 31 Sorgerechtssache bestätigt lit b in diesem bestimmten Fall das Prinzip der perpetuatio fori, ohne es im Übrigen zu verdrängen.89 Die Zuständigkeit endet in einem solchen Fall erst mit rechtskräftigem Abschluss der Sorgerechtssache selbst.90 Voraussetzung ist, dass in dem in lit a genannten Zeitpunkt ein Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung anhängig war. Da auch an dieser Stelle die Anhängigkeit die Funktion hat, den für die perpetuatio fori maßgeblichen Zeitpunkt zu markieren, ist sie aus denselben Gründen wie die Bestimmung der sonstigen zuständigkeitsbegründenden Tatsachen autonom entsprechend Art 16 auszufüllen.91 Ob die Sorgerechtssache im Verbund anhängig war, also als selbstständige Folgesache 32 anhängig bleibt, oder ob sie schon immer als selbstständiges Verfahren anhängig war, hängt ohnehin nur von der Gestaltung der jeweiligen lex fori ab und spielt für die Fortdauer der Zuständigkeit keine Rolle. b) Nach dem Wortlaut von Abs 2 lit b endet die Zuständigkeit insgesamt erst mit rechts- 33 kräftigem Abschluss des anhängigen Verfahrens. Daraus könnte zu folgern sein, dass diese fortdauernde Zuständigkeit nicht nur das jeweilige Verfahren erfasst, sondern auch andere Verfahren über die elterliche Verantwortung ermöglicht. Aus dem Zweck der Regelung ist jedoch zu folgern, dass es sich um einen echten Fall der perpetuatio fori handelt, die Zu88 89

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Borrás-Bericht Nr 39; Jänterä-Jareborg YB PIL 1999, 13; Bauer IPRax 2003, 135, 139. Die perpetuatio fori liegt als allgemeines Prinzip schon Brüssel I zugrunde (Schack RabelsZ 65 (2001) 624) und wird durch Art 12 Abs 2 lit b im Prinzip bestätigt, AG Leverkusen v 2.1.2003 – 34 F 35/02, FamRZ 2003, 1569, 1570; NK-BGB/Gruber Rn 11; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 71; aA Bauer IPRax 2003, 135, 139; hingegen hat Art 12 Abs 2 lit a mit der perpetuatio fori nichts zu tun (anders Hau FamRZ 2000, 1340 Fn 79), denn dort geht es um die Ablehnung einer perpetuatio jurisdictionis, die von einem konkret bereits in Anspruch genommenen forum gerade unabhängig wäre. AG Leverkusen v 2.1.2003 – 34 F 35/02, FamRZ 2003, 1569, 1570. Ebenso Hau FamRZ 2000, 1340; NK-BGB/Gruber Rn 11.

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ständigkeit also nur für das jeweilige Verfahren fortdauert. Ob innerhalb dieses Verfahrens eine Antragsänderung oder -erweiterung möglich ist (zB ein Übergang von einer Umgangszu einer Sorgeregelung), entscheidet die jeweilige lex fori. 3. Sonstige Beendigungsgründe (lit c) 34 Lit c ist eine Auffangbestimmung für andere Formen der Verfahrensbeendigung, die jedoch

die prinzipielle Unterscheidung zwischen der Beendigung der Zuständigkeit (lit a) und der perpetuatio fori (lit b) beibehält. Ersetzt wird also nur das Tatbestandsmerkmal der Beendigung durch rechtskräftige Entscheidung; die Rechtsfolgen nach Abs 2 lit a und b treten auch ein, wenn das Verfahren zB durch Antragsrücknahme oder Tod92 endet oder wenn nach der betreffenden Verfahrensordnung eine Löschung des Verfahrens wegen längerfristigen Nichtbetreibens erfolgt. 35 Die Rechtsfolgen bleiben dieselben wie im Fall der rechtskräftigen Entscheidung; betrifft die

Verfahrensbeendigung die Ehesache, so bleibt die Zuständigkeit nur für eine bereits anhängige Sorgesache bestehen, betrifft sie anschließend die Sorgesache, so endet die perpetuierte Zuständigkeit. 4. Zuständigkeit für neue Sorgesache 36 Die internationale Zuständigkeit für einen Antrag betreffend die elterliche Verantwortung,

der nach den in Abs 2 genannten Zeitpunkten anhängig wird, unterfällt nicht mehr Abs 1. Das gilt auch dann, wenn das Gericht mit Anträgen zur Vollstreckung einer unter Abs 1 fallenden Sorgerechtsregelung befasst wird.93 37 Die Zuständigkeit beurteilt sich im räumlichen Anwendungsbereich der VO nach den

übrigen Bestimmungen der Art 8 ff. Hat das Kind gewöhnlichen Aufenthalt in einem KSÜ-Vertragsstaat, der nicht Mitgliedstaat ist, so bestimmt sich die Zuständigkeit nach dem der VO dann vorrangigen (Art 61 lit a) KSÜ. In Betracht zu ziehen ist jedoch in Fällen neuer Sorgesachen nach Abschluss eines Scheidungsverfahrens bei zuständigkeitsrechtlichem Konsens der Eltern und absehbarer Kindeswohldienlichkeit eine Zuständigkeit aus Abs 3, der sich von Abs 2 letztlich nur dadurch unterscheidet, dass die Anhängigkeit der Ehesache als Tatbestandsmerkmal durch eine besondere Bindung des Kindes zum Forumstaat ersetzt wird. IV. Sonstige Bindungszuständigkeit (Abs 3) 1. Konzeption, Anwendungsbereich a) Ausgangspunkt: Bindung des Kindes 38 Abs 3 begründet ein neues, weder im KSÜ noch in der Brüssel II-VO vorgesehenes Konzept

der „Zuständigkeitsvereinbarung“ außerhalb der in Abs 1 behandelten Eheverfahren. Auch für Abs 3 gilt, dass das konsensuale Element nur einen kumulativ erforderlichen Teilaspekt ausmacht, zumal nicht, wie dort, ein anderes Verfahren, sondern das Kindeswohl in Gestalt 92 93

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Borrás-Bericht Nr 39; NK-BGB/Gruber Rn 12. Re A (a Child) [2004] 1 All ER 912 (High Court, Family Division).

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 12 Brüssel IIa-VO

der Bindung des Kindes an einen Mitgliedstaat sogar der die Zuständigkeit auslösende Anlass ist. Abs 3 dient der Ausdehnung der Zuständigkeiten in Sorgerechtssachen über nicht im Gerichtsstaat lebende Kinder, sofern eine enge Beziehung des Kindes zum Gerichtsstaat besteht.94 Bemerkenswert erscheint, dass durch Abs 3 die Idee der Heimatzuständigkeit (Art 4 MSA) in der VO stärkere Bedeutung erhält als unter dem KSÜ, wo die Heimatgerichte nur im konsultativen Verfahren nach Art 9 KSÜ einen Fall übernehmen können. Da in jeden Einzelfall die Bindung des Kindes an den Gerichtsstaat geprüft werden muss, 38a erlischt eine nach Art 12 Abs 3 „vereinbarte“ Zuständigkeit nach Erlass einer rechtskräftigen Entscheidung in dem entsprechenden Verfahren und bindet spätere Gerichte nicht.94a b) In anderen als Eheverfahren Die Bestimmung gilt „in anderen als den in Abs 1 genannten Verfahren“. Dabei ist nicht an 39 Verfahren gedacht, welche nicht in den Anwendungsbereich der VO fallen;95 gemeint sind nach dem klaren Wortlaut Verfahren über die elterliche Verantwortung (Art 1 Abs 1 lit b, Überschrift Abschnitt 2), die nicht parallel zu einer anhängigen Ehesache (Abs 1) entschieden werden. Für die Inanspruchnahme einer Zuständigkeit im Eheverfahren hat dies jedoch keine beschränkende Wirkung: Das mit der Ehesache befasste Gericht wird keinen Anlass haben, sich auf Abs 3 zu stützen, da es als Anknüpfungspunkt auf die Anhängigkeit der Ehesache (Abs 1) zugreifen kann und die in Abs 3 lit a genannten Bindungen ohne weiteres in die Kindeswohlabwägung im Rahmen des Abs 1 einzustellen sind. Gegenständlich erfasst sind alle Verfahren, die unter Art 2 Nr 7 fallen, also insbesondere Sorgerechts- und Umgangsregelungen.96 Eine Zuständigkeit zur primären Entscheidung über einen Rückführungsantrag nach dem HKindEntfÜbk bei widerrechtlichem Verbringen oder Zurückhalten ergibt sich hingegen aus Art 12, insbesondere aus Abs 3, nicht.97 Insoweit kann sich eine über das HKindEntfÜbk hinausgehende Zuständigkeit nur aus Art 10 Abs 7 ergeben.98 Fraglich ist hingegen, ob die Gerichte eines anderen Mitgliedstaates während der Anhän- 40 gigkeit einer Ehesache die Zuständigkeit des Abs 3 in Anspruch nehmen können. Der Wortlaut steht dem wohl nicht entgegen, da eine Sorgerechtsentscheidung, die parallel zur Ehesache ergeht, nicht in dem Eheverfahren ergeht. Auch der Zweck der Regelung spricht nicht für eine Einschränkung des Abs 3. Es mag durchaus vorkommen, dass zB die Gerichte des Heimatstaates des Kindes besser über die Sorgerechtssache entscheiden können, als die Gerichte des Staates, in dem – aus Sicht des Kindes zufällig – die Ehesache anhängig ist. c) Verhältnis zu Art 8 ff, MSA und KSÜ Auch Abs 3 ist unabhängig vom Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat99. Die Berufung auf 41 94 94a 95

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Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 62. EuGH v 1.10.2014 – Rs C-436/13 – E/B Rn 47, 50; BGH NJW 2014, 577, 579. Geimer/Schütze/Dilger Rn 29; aA anscheinend Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 61: Adoption, Vaterschaftsfeststellung. OLG Düsseldorf v 8.12.2009 – II-3 UF 198/09, FamRZ 2010, 915: auch Umgangssachen. Rb den Haag NIPR 2013, 219, 220. HR NIPR 2012, 2; Rb den Haag NIPR 2013, 219, 220. Im Einzelnen oben Rn 3.

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

die Zuständigkeit nach Abs 3 ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat hat,100 auch wenn in solchen Fällen selten die Anerkennung der Zuständigkeit seitens des mit dem Kind in einem anderen Mitgliedstaat lebenden Elternteils zu erlangen sein wird.101 42 Gewöhnlicher Aufenthalt in einem Vertragsstaat des MSA oder des KSÜ schließt die An-

wendung nach dem Wortlaut des Abs 3 nicht aus, wenngleich insoweit die völkerrechtliche Bindung der Mitgliedstaaten zu wahren ist102 und bei gewöhnlichem Aufenthalt in einem KSÜ-Vertragsstaat Art 61 lit a den Vorrang des KSÜ bestimmt.103 43 Im Rahmen der zu treffenden Kindeswohlabwägung ist jedoch auch für Abs 3 die Möglich-

keit der Entscheidung im Aufenthaltsstaat, deren Anerkennungsfähigkeit, sowie die Vermeidung eines Konflikts mit Entscheidungen eines MSA- bzw KSÜ-Aufenthaltsstaates zu berücksichtigen.104 2. Voraussetzungen a) Wesentliche Bindung des Kindes (lit a) 44 Abs 3 knüpft an eine wesentliche Bindung des Kindes zum Gerichtsstaat an, die – als

Regelbeispiel – vermittelt werden kann durch den gewöhnlichen Aufenthalt eines Trägers der elterlichen Verantwortung105 oder die Staatsangehörigkeit des Kindes.106 Dies mag Gerichte des Heimatstaates in Versuchung führen, eine Zuständigkeit anzunehmen, auch wenn sonstige Bindungen des Kindes zu diesem Staat kaum bestehen,107 was jedoch sachgerecht unter dem Tatbestandsmerkmal des (verfahrensrechtlichen) Kindeswohls abgewogen werden kann108 und nicht grundsätzlich gegen die Qualität der Staatsangehörigkeit als Bindungsindiz spricht. Diese Kriterien sind nicht ausschließlich,109 andere Kriterien, wie etwa die Staatsangehörigkeit der Eltern, werden aber eher kumulative Beachtung finden oder in Sonderfällen Bedeutung haben. Wenn etwa alle Beteiligten dieselbe Staatsangehörigkeit haben und die Familie berufsbedingt in einem anderen Mitgliedstaat lebt, so wird durchaus der Heimatstaat nach Art 12 Abs 3 entscheiden können. Hatte das Kind gewöhnlichen Aufenthalt im Gerichtsstaat und ist ein Elternteil mit dem Kind unbekannt emigriert110 oder mit verfahrensboykottierender Tendenz verzogen,111 so begründet auch der jüngst aufgegebene gewöhnliche Aufenthalt im Gerichtsstaat eine ausreichende Bindung. Der Umstand, dass die Ehe der Eltern in dem Gerichtsstaat geschieden wurde, begründet angesichts der Regelung in Abs 2 keine ausreichende Bindung für Abs 3. 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111

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ZB Rb Groningen NIPR 2012, 647, 648 bei Aufenthalt in Deutschland. Rauscher EuLF 2005, I-37, 41. Oben Rn 3. Dazu oben Rn 4. Rauscher EuLF 2005, I-37, 41. Rb den Haag NIPR 2013, 219, 220; Rb ’s-Gravenhage NIPR 2010, 243. B and B [2012] EWHC 1924 (Fam); Trib Brindisi Riv dir int priv proc 2007, 438, 441. Kritisch de Boer NILR 2002, 329. I (a child) [2009] UKSC 10=EuLF 2010, I-200, 203. NK-BGB/Gruber Rn 13. Hof ’s-Gravenhage NIPR 2011, 325. Rb Groningen NIPR 2012, 647, 648.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 12 Brüssel IIa-VO

b) Anerkennung der Zuständigkeit (lit b) Die Anerkennung der Zuständigkeit ist auch in diesem Fall kumulative Voraussetzung,112 45 muss aber nur von allen Beteiligten des Verfahrens zum Ausdruck gebracht werden, was ein engerer Personenkreis sein kann als in Abs 1.113 Aus Gründen der Praktikabilität wird man insoweit nur auf formell Beteiligte114 abstellen können. Im Prinzip gelten für die Anerkennung dieselben Grundsätze wie zu Abs 1.115 Typischerweise kommt insoweit bei sich häufenden Sorgerechtsverfahren auch eine Anerkennung der Zuständigkeit in vorherigen, dasselbe Kind betreffenden, isolierten Sorgerechtssachen in Betracht.116 Für isolierte Sorgerechtssachen nach Abschluss eines Scheidungsverfahrens kann sich insbesondere die Anerkennung der Zuständigkeit aus einer im Scheidungsverfahren geschlossenen Vereinbarung ergeben, sofern sich diese auf die Zuständigkeit für Sorgerechtssachen bezieht.117 c) Wohl des Kindes (lit b, Abs 4) Auch für Abs 3 muss die Inanspruchnahme der Zuständigkeit im Einklang mit dem Wohl 46 des Kindes stehen. Insoweit gelten grundsätzlich dieselben Erwägungen wie zu Abs 1,118 jedoch wird seltener das Kindeswohl einer Entscheidung entgegenstehen, weil schon die Feststellung der wesentlichen Bindung des Kindes das Kindeswohl beeinflusst. Wird die Bindung durch einen längeren vorherigen Aufenthalt im Gerichtsstaat vermittelt, so kann insbesondere die Kontinuität der Zuständigkeit der bisher schon mit Sorgerechtssachen betreffend dasselbe Kind befassten Gerichte die Kindeswohldienlichkeit begründen.119 Wird die Bindung einzig durch die Staatsangehörigkeit des Kindes vermittelt, so kann sich ein Gericht im Heimatstaat als forum non conveniens unter Kindeswohlgesichtspunkten120 erweisen, wenn das Kind und beide Elternteile im Gerichtsstaat auf absehbare Zeit keinen Aufenthalt haben werden.121 Hält sich das Kind nunmehr in seinem Heimatstaat auf, der Mitgliedstaat ist und wird die Bindung an den Gerichtsstaat nur durch den gewöhnlichen Aufenthalt eines Elternteils begründet, so spricht das Kindeswohl eher gegen die Inanspruchnahme der Zuständigkeit aus Abs 3.122

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OGH v 13.10.2009 – 5 Ob 173/09s, IPRax 2011, 408, 409; Rb Middelburg NIPR 2012, 650, 651. ZB nur der eine Regelung begehrende Elternteil: Trib Brindisi Giur It 2006 438, 441; Rb Maastricht NIPR 2006, 35, 36. AA OGH EF-Z 2010/58: alle Träger elterlicher Verantwortung. Oben Rn 18 ff; zu Abs 3 die bereits dort angeführten Entscheidungen: ES and AJ [2010] EWHC 1113; AP and TD [2010] EWHC 2040; Re C [2012] EWHC 907 (Fam); Trib Brindisi Riv dir int piv proc 2007, 438, 441. AP and TD [2010] EWHC 2040 (Fam); Rb Groningen NIPR 2012, 647, 648. Rb Maastricht NIPR 2012, 649, 650. Oben Rn 25 f; zu Abs 3 die bereits dort angeführten Entscheidungen: I (a child) [2009] UKSC 10=EuLF 2010, I-200, 203 (trotz unterschiedlicher Wortwahl im englischen Text, vgl dort Lord Hope); B and B [2012] EWHC 1924 (Fam). Rb Groningen NIPR 2012, 647, 648: Ein Gericht in Deutschland, wohin die Mutter mit dem Kind verzogen war, müsste den ganzen Sachverhalt neu ermitteln. Zu diesem Ansatz oben Rn 25. B and B [2012] EWHC 1924 (Fam). IB and SB [2010] EWHC 1989.

Thomas Rauscher

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Art 13 Brüssel IIa-VO

Abs 4123 gilt auch für Abs 3124; gerade in einem Fall bloßer Heimatstaatsbindung kommt es maßgeblich darauf an, ob im Aufenthaltsstaat des Kindes eine vertrauenswürdige Entscheidung abzusehen ist; die bloße Heimatzuständigkeit wird im Verhältnis zu einem Mitgliedstaat oder einem KSÜ-Staat eher sachfern sein, im Verhältnis zu einem Drittstaat mit womöglich fragwürdiger (zB gleichberechtigungswidriger) Rechtspflege in Familiensachen wird sie allemal vorzugswürdig sein. Auch der bloße Aufenthalt eines Elternteils im Gerichtsstaat mag nicht genügen, wenn das Kind mit dem anderen Elternteil in einem Mitgliedstaat lebt.125

Artikel 13: Zuständigkeit aufgrund der Anwesenheit des Kindes (1) Kann der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes nicht festgestellt werden und kann die Zuständigkeit nicht gemäß Artikel 12 bestimmt werden, so sind die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig, in dem sich das Kind befindet. (2) Absatz 1 gilt auch für Kinder, die Flüchtlinge oder, aufgrund von Unruhen in ihrem Land, ihres Landes Vertriebene sind. I.

Umfang der Subsidiarität als Auffangregelung 1. Abweichung von Art 6 KSÜ . . . . . . . . . . . . . 1 2. Intention des Entwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 3. Praktikable Lösungswege . . . . . . . . . . . . . . . . 3

II.

III.

Anwesenheitszuständigkeit (Abs 1) 1. Fehlender gewöhnlicher Aufenthalt . . . 9 2. Verhältnis zu KSÜ, MSA und Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Anwendung auf Flüchtlinge/ Vertriebene (Abs 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

I. Umfang der Subsidiarität als Auffangregelung 1. Abweichung von Art 6 KSÜ 1 Art 13 entspricht dem Rechtsgedanken des Art 6 KSÜ, weicht aber nicht ganz unwesentlich

von dem Vorbild ab, auch wenn man auf den ersten Blick meinen möchte, lediglich die Reihung der Absätze des Art 6 KSÜ sei vertauscht.1 Die in Art 13 Abs 1 normierte subsidiäre Zuständigkeit greift erst ein, wenn nicht nur die Allgemeine Zuständigkeit nach Art 8 scheitert, sondern auch keine Zuständigkeit nach Art 12 feststellbar ist.2 Was logische Konsequenz der Einbettung der Annexzuständigkeit als positive Regelung in der VO, im Gegensatz zur bloßen Öffnungsklausel des Art 10 KSÜ, zu sein scheint, erweist sich allerdings als Problem: Woher soll ein Gericht im Aufenthaltsstaat eines Kindes, dessen gewöhnlicher Aufenthalt nicht ermittelbar ist, die weissagerische Fähigkeit nehmen, der es bedarf, um zu beurteilen, ob in einem anhängigen Scheidungsverfahren alle Sorgerechtsinhaber der Annexzuständigkeit (Art 12 Abs 1) zustimmen werden und das dortige Gericht diese sodann für kindeswohldienlich hält.3 Wie gar sollte dieses Gericht die noch stärker auf die Beur123 124 125 1 2

196

Oben Rn 27. I (a child) [2009] UKSC 10=EuLF 2010, I-200, 204. Rb Maastricht NIPR 649, 650. NK-BGB/Gruber Rn 1; vgl auch noch Rauscher EuLF 2005, I-37, 41. Hof Arnhem NIPR 2012, 200, 201.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 13 Brüssel IIa-VO

teilung eines anderen Gerichts zugeschnittenen Voraussetzungen des Art 12 Abs 3 voraussehen? Dies alles in einer Situation (Nichtfeststellbarkeit eines gewöhnlichen Aufenthalts, Flucht, Vertreibung), die gemeinhin schnelles Handeln verlangt. 2. Intention des Entwurfs Die Materialien geben wenig Aufschluss darüber, ob dies bedacht wurde. Obgleich Art 12 2 und 13 im Wesentlichen unverändert aus dem ersten Verordnungsvorschlag4 stammen, hilft auch die dortige Begründung nicht weiter; vielmehr findet sich Widersprüchliches: Einerseits heißt es dort „kann der gewöhnliche Aufenthalt eines Kindes nicht bestimmt werden, geht die Zuständigkeit nach Absatz 1 automatisch auf den Mitgliedstaat über, in dem sich das Kind befindet“, was exakt der Methodik von Art 6 KSÜ entspräche. Andererseits schließt sich die Feststellung an, dieser Artikel enthalte „eine gegenüber den vorstehenden Artikeln subsidiäre Zuständigkeitsregelung“, was im Schrifttum5 dahingehend verstanden wird, Art 13 trete nicht nur gegenüber Art 12, sondern gegenüber Art 8 bis 12 zurück. Tatsächlich dürfte den Entwurfsverfassern hier das Problembewusstsein gefehlt haben. 3. Praktikable Lösungswege a) Der Nachrang von Art 13 gegenüber Art 8 ist selbstverständlich. Art 13 Abs 1 schafft 3 nur bei Fehlen eines Allgemeinen Gerichtsstands nach Art 8 einen Ersatzgerichtsstand. b) Auch ein Nachrang von Art 13 gegenüber Art 9 und 10, der im Normtext keinen Anhalt 4 findet, erscheint durchaus erwägenswert.6 Soweit Unklarheit über den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes anlässlich eines Aufenthaltswechsels eintritt, sind Art 9, vor allem aber Art 10 Spezialregelungen, die einer Hilfsanknüpfung, die auf der Nichtfeststellbarkeit beruht, insoweit vorgehen, wie sie eine Lösung bereithalten. Insbesondere kann sich nicht das Gericht des B-Mitgliedstaates im Fall des Art 10 auf Art 13 berufen, wenn unklar ist, ob der gewöhnliche Aufenthalt bereits im Mitgliedstaat B oder noch im Mitgliedstaat A liegt, Art 10 aber unbeschadet dessen die Gerichte des A-Mitgliedstaates als zuständig bezeichnet. c) Der ausdrücklich in Art 13 Abs 1 normierte Nachrang gegenüber Art 12 bedarf hin- 5 gegen einer erheblichen teleologischen Einschränkung,7 soll die Anwendung von Art 13 nicht von unsicheren Prognosen belastet werden. Die einfachste Lösung des Problems dürfte darin bestehen, bei Verfahren, denen ein Antrag einer Partei zugrunde liegt, die nach Art 12 Abs 1 oder nach Art 12 Abs 3 eine andere Zuständigkeit anerkennen müsste, davon auszugehen, dass diese Partei die Anerkennung nicht abgeben würde.8 Will ein Gericht in der Zuständigkeit nach Art 13 von Amts wegen tätig werden, so lässt sich zwar diese Prognose nicht treffen. In aller Regel wird aber im Falle der Untätigkeit das Kindeswohl 3 4

5 6 7 8

Vgl auch Coester-Waltjen FamRZ 2005, 241, 243. Europäische Kommission, 17.5.2002, COM (2002) 222/2; auch der um Erläuterungen sonst nicht verlegene Leitfaden der Kommission 22 ist insoweit sehr lapidar: „Kann … und Art 12 nicht angewandt werden …“ NK-BGB/Gruber Rn 2. Ohne nähere Begründung für Nachrang ggü Art 8-12: Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 1; Zöller/Geimer Rn 1. AA Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 84. So iE Coester-Waltjen FamRZ 2005, 241, 243; vgl auch Geimer/Schütze/Dilger Rn 5.

Thomas Rauscher

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Art 13 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

gefährdet sein, so dass das Gericht Art 13 zunächst umgehen und sich für Eilmaßnahmen auf Art 20 stützen kann.9 6 In den verbleibenden Fällen bietet es sich jedenfalls hinsichtlich der Zuständigkeit nach

Art 12 Abs 1 an, dass das Gericht im Gerichtsstand des Art 13, sofern bereits eine Ehesache anderwärts anhängig ist, vor einem weiteren Tätigwerden die Ehegatten unter Fristsetzung zur Stellungnahme auffordert, ob im dortigen Verfahren eine Sorgerechtsregelung angestrebt wird. Ist dies der Fall, wird man freilich dem Gericht im Gerichtsstand des Art 13 die Prognose überlassen müssen, ob Kindeswohldienlichkeit vorläge. 7 Hingegen ist der Vorrang von Art 12 Abs 3 schlechterdings nicht praktikabel. Man kann

nicht von dem unter Art 13 angerufenen Gericht erwarten, dass es bei den in Art 12 Abs 3 beispielhaft genannten Gerichten (Heimatstaat des Kindes etc) deren Bereitschaft abfragt, in der Sache tätig zu werden. Kommt das nach Art 13 angerufene Gericht allerdings von sich aus zu der Erkenntnis, dass die Gerichte eines der in Art 13 Abs 2 genannten Mitgliedstaaten entscheiden sollten, weil dies dem Kindeswohl besser entspricht, so kann das Gericht den Weg der Verweisung nach Art 15 wählen. 8 d) Die spätere Anrufung eines nach Art 12 zuständigen Gerichts kann jedenfalls nicht die

Zuständigkeit des früher angerufenen Gerichts im Gerichtsstand des Art 13 wieder beseitigen.10 Vielmehr gilt auch in diesem Verhältnis Art 19. Hat das Gericht im Gerichtsstand des Art 13 allerdings seine Zuständigkeit noch nicht abschließend bejaht, so wird es angesichts der Anrufung eines – dann konkret bestimmbaren – Gerichts iSd Art 12 dort Nachfrage halten können, ob dieses Gericht die Voraussetzungen des Art 12 Abs 1 oder 3 als gegeben ansieht. Der Beschleunigung des Verfahrens dient dies alles freilich nicht. II. Anwesenheitszuständigkeit (Abs 1) 1. Fehlender gewöhnlicher Aufenthalt 9 Abgesehen von dem schwierig zu beurteilenden Vorrang des Art 1211 setzt Abs 1 lediglich

voraus, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes nicht feststellbar ist. Das ist der Fall, wenn das Kind keinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, aber auch dann, wenn anlässlich eines Ortswechsels nicht klar ist, in welchem von zwei Mitgliedstaaten das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat12 oder wenn sich das Kind zwar im Inland aufhält, dieser Aufenthalt aber kein gewöhnlicher ist und ein anderer gewöhnlicher Aufenthalt fehlt.13 10 Zuständig sind in diesem Fall die Gerichte des Mitgliedstaates, in dem sich das Kind befin-

det, der schlichte Aufenthalt ersetzt also zuständigkeitsbegründend den fehlenden gewöhnlichen Aufenthalt. Die physische Präsenz des Kindes ist jedoch unverzichtbar; maßgeblich ist auch im Rahmen des Art 13 grundsätzlich der Zeitpunkt der Befassung des Gerichts.14 Da 9 10 11 12 13 14

198

Busch/Rölke FamRZ 2004, 1338, 1341; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 4 f. AA Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 84. Oben Rn 1 ff. Hof Arnhem NIPR 2012, 201, 202: Wenn nicht bereits Art 8 in NL; dann jedenfalls Art 13. Hof Arnhem NIPR 2012, 200, 201. CA Bruxelles Rev trim dr fam 2013, 263, 274.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 13 Brüssel IIa-VO

es sich bei Art 13 grundsätzlich um eine umfassende Zuständigkeit handelt, besteht eine perpetuatio fori. 2. Verhältnis zu KSÜ, MSA und Drittstaaten Im Verhältnis zu Art 6 KSÜ hat Art 13 Vorrang, wenn das Kind schlichten Aufenthalt in 11 einem Mitgliedstaat (und damit zugleich einem Vertragsstaat des KSÜ) hat15 und keinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat des KSÜ. Zweifelhaft ist, ob Art 13 oder Art 6 KSÜ anzuwenden ist, wenn unklar ist, ob das Kind in einem von zwei KSÜ-Vertragsstaaten, die nicht Mitgliedstaaten sind, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. In einem solchen Fall sollte nach Art 61 lit a der Art 6 KSÜ den Vorrang haben, da jedenfalls feststeht, dass das Kind keinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat.16 Bei gewöhnlichem Aufenthalt in einem MSA-Staat, der nicht KSÜ-Staat ist, kommen Maßnahmen im Aufenthaltsstaat nur nach Art 9 MSA in Betracht; dies dürfte auch dann gelten, wenn der Minderjährige Staatsangehöriger eines MSA-Staates ist, der nicht KSÜ-Staat ist. Gewöhnlicher Aufenthalt in einem Drittstaat (nicht MSA, nicht KSÜ) schließt nach dem 11a Wortlaut die Inanspruchnahme der Zuständigkeit aus Art 13 aus.17 Ob in solchen Fällen die Zuständigkeit für Schutzmaßnahmen nach Art 20 ausreicht, erscheint fraglich, wenn sich das Kind längere Zeit in einem Mitgliedstaat befindet, ohne dort gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. Auch die Restzuständigkeiten lege fori (Art 14) werden diese Lücke nicht immer schließen. Andererseits würde eine Anwendung des Art 13 bei bekanntem gewöhnlichem Aufenthalt in einem Drittstaat zu exorbitanten Zuständigkeiten des Aufenthaltsstaats führen. Lösbar ist diese Konstellation wohl nur durch Schaffung von nationalen Notzuständigkeiten (über Art 14), sofern sonst Rechtsverweigerung droht; es entspricht dem System der VO, dass bei gewöhnlichem Aufenthalt in Drittstaaten – mit Ausnahme von Art 12 und 20 – auf die Restzuständigkeiten abzustellen ist. III. Anwendung auf Flüchtlinge/Vertriebene (Abs 2) Abs 1 gilt entsprechend für Kinder, die Flüchtlinge oder aufgrund von „Unruhen in ihrem 12 Land“ Vertriebene sind. Der Begriff des Flüchtlings sollte dem der Genfer Konvention entsprechen. Schwieriger erscheint es, der mit Art 6 Abs 1 KSÜ übereinstimmenden, gleichwohl eher dem natürlichen Sprachgebrauch entnommenen Beschreibung der zweiten Gruppe einen juristischen Inhalt zu geben. Auch wenn das Possessivpronomen eher an die Staatsangehörigkeit denken lässt, dürfte das Land des bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes gemeint sein. Nicht deutlich wird allerdings aus Abs 2, dass diese Zuständigkeit nur so lange gelten kann, 13 bis das Kind einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt erworben hat. Der Umstand der Ver15 16

17

Benicke IPRax 2013, 44, 53. Die bloße Existenz des Problems zeigt aber, dass es nicht gut ist, zu viele Rechtsinstrumente zu kumulieren. Geimer/Schütze Rn 3.

Thomas Rauscher

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Art 14 Brüssel IIa-VO

treibung wird keineswegs dadurch beendet, dass das Kind im Zufluchtstaat gewöhnlichen Aufenthalt erlangt. Gleichwohl besteht dann kein Bedürfnis mehr für die Anwendung des Art 13, auch wenn sich das Kind vorübergehend von seinem neuen gewöhnlichen Aufenthalt entfernt.

Artikel 14: Restzuständigkeit Soweit sich aus den Artikeln 8 bis 13 keine Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaates ergibt, bestimmt sich die Zuständigkeit in jedem Mitgliedstaat nach dem Recht dieses Staates. I.

Anwendungsbereich der VO 1. Strukturunterschied zu Art 6, 7 . . . . . . . . . 1 2. Identität von Geltungsbereich und ausschließlichem Geltungsbereich . . . . . 2

II.

3. Abgrenzung gegen MSA und KSÜ . . . . . . 3 Restzuständigkeiten lege fori 1. Unklarheiten durch Art 12 . . . . . . . . . . . . . 5 2. Subsidiäre Anwendung der lex fori . . . . 7

I. Anwendungsbereich der VO 1. Strukturunterschied zu Art 6, 7 1 Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich der Zuständigkeitsregeln für Verfahren der

elterlichen Verantwortung erscheint erheblich klarer als der für Ehesachen. Während Art 6 und 7, jedenfalls nach ihrem Wortlaut, in Ehesachen eine Grauzone zwischen ausschließlicher Anwendung der VO und hilfsweiser Anwendung der lex fori schaffen, die der EuGH dergestalt füllt, dass Art 6 bedeutungslos wird,1 gibt es im System der Art 8 bis 13 kein solches tertium. 2. Identität von Geltungsbereich und ausschließlichem Geltungsbereich 2 Vor diesem Hintergrund ist Art 14 trotz seiner sprachlichen Ähnlichkeit mit Art 7 nicht

strukturgleich.2 Da in Art 8 ff eine Art 7 entsprechende Norm zur positiven Bestimmung des ausschließlichen Anwendungsbereichs der VO fehlt, lässt sich aus Art 14 ohne weiteres der Umkehrschluss ziehen, dass das System der Sorgerechtszuständigkeiten der VO der lex fori immer dann ausschließlich anwendbar ist, wenn es eine Zuständigkeit in irgendeinem Mitgliedstaat bereithält.3 Das Zuständigkeitssystem ist somit eindeutig dualistisch:4 Nationales Zuständigkeitsrecht gilt nach Art 14 dann und nur dann, wenn in keinem Mitgliedstaat eine Zuständigkeit der Verordnung besteht.

1 2 3

4

200

Dazu Art 6 Rn 1 ff. Geimer/Schütze/Dilger Rn 1; aA NK-BGB/Gruber Rn 1; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 1. NK-BGB/Gruber Rn 1; Coester-Waltjen FamRZ 2005, 241, 244; Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 86. Gallant Rev crit DIP 2009, 540, 544.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 14 Brüssel IIa-VO

3. Abgrenzung gegen MSA und KSÜ a) Art 14 regelt nicht das Verhältnis der VO zum KSÜ.5 Dieses Verhältnis bestimmt sich 3 nach Art 61 lit a. Insbesondere dürfte es faktisch ausgeschlossen sein, dass die VO dem KSÜ vorgeht, aber keine Zuständigkeit bereitstellt, so dass über Art 14 das KSÜ als lex fori anzuwenden wäre, denn Art 61 lit a ist deckungsgleich mit Art 8 Abs 1: Die VO geht dem KSÜ vor, wenn das Kind gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat und in diesem Fall sind jedenfalls die Gerichte dieses Mitgliedstaates zuständig.6 Der gravierende Fehler in der Konzeption von Art 6, der dazu führen kann, dass kein Gericht in einem Mitgliedstaat zuständig ist, die Zuständigkeiten der VO aber dennoch ausschließlich sind, wiederholt sich hier also nicht. b) Auch im Verhältnis zum MSA – soweit diesem nicht das KSÜ vorgeht – kann es zu einer 4 solchen mittelbaren Anwendung nicht kommen. Zwar geht nach Art 60 lit a die VO dem MSA grundsätzlich vor, jedoch nur „im Verhältnis der Mitgliedstaaten“. Hat das Kind gewöhnlichen Aufenthalt in einem MSA-Vertragsstaat, der nicht Mitgliedstaat ist, so besteht dieser Vorrang jedenfalls zuständigkeitsrechtlich nicht. Da das MSA nach seinem Art 13 Abs 1 aber nur anwendbar ist, wenn das Kind gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat hat, gibt es nur vier Alternativen: Gewöhnlicher Aufenthalt in einem Mitgliedstaat, dann Vorrang der VO, zugleich auch Zuständigkeit aus Art 8; gewöhnlicher Aufenthalt in einem sonstigen MSA-Vertragsstaat, dann kein Vorrang der VO; gewöhnlicher Aufenthalt in einem Drittstaat, dann ohnehin keine Anwendbarkeit des MSA; kein (feststellbarer) gewöhnlicher Aufenthalt, aber schlichter Aufenthalt in einem Mitgliedstaat, dann Art 13, also Vorrang der VO. II. Restzuständigkeiten lege fori 1. Unklarheiten durch Art 12 Trotz des theoretisch klaren (implizit ausschließlichen) Anwendungsbereichs der VO er- 5 geben sich wegen der von Beurteilungen des Gerichts und Erklärungen der Sorgeberechtigten abhängigen Zuständigkeiten aus Art 12 dieselben Anwendungsprobleme wie für Art 13.7 Ein Gericht eines Mitgliedstaates, das über Art 14 seine lex fori anwenden will, müsste vorher einschätzen, ob ein anderes Gericht die Tatbestandsvoraussetzungen des Art 12 Abs 1 oder 3 zu erfüllen bereit ist.8 Die Problematik ist ebenso zu lösen wie unter Art 13.9 Ist das angerufene Gericht selbst möglicherweise nach Art 12 zuständig, so ergibt sich zwar 6 kein Beurteilungsproblem, weil das Gericht selbst entscheidet, ob Art 12 eingreift oder ob die Zuständigkeit lege fori zu bestimmen ist. Merkwürdig kann auch dieser Fall ausgehen, wenn etwa ein deutsches Gericht eine „Heimatstaatszuständigkeit“ für ein deutsches Kind, 5 6 7 8

9

AA anscheinend NK-BGB/Gruber Rn 1: „– ergänzend – …“ So auch Teixeira de Sousa FamRZ 2005, 1612, 1615. Coester-Waltjen FamRZ 2005, 241, 244; dazu Art 13 Rn 1 ff. Andeutungsweise Rb ’s-Gravenhage NIPR 2010, 496: „van een situatie als bedoeld in art. 10 en 12 … is niet gebleken.“ Dazu Art 13 Rn 5 ff.

Thomas Rauscher

201

Art 15 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

das in einem Drittstaat lebt, nach Art 12 Abs 3 mangels Kindeswohldienlichkeit ablehnt, sich sodann aber nach Art 14 iVm § 99 Abs 1 Nr 1 FamFG als zuständig ansehen muss, weil die lex fori die Zuständigkeit nicht von einer Kindeswohlprüfung abhängig macht.10 2. Subsidiäre Anwendung der lex fori 7 Ein Rückgriff auf die lex fori ist nur möglich, wenn sich aus der VO keine Sorgerechts-

zuständigkeit in irgendeinem Mitgliedstaat ergibt.11 Insbesondere kommen damit für Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat haben (Art 8), die Zuständigkeiten der lex fori nicht zur Anwendung.12 Hat das Kind gewöhnlichen Aufenthalt in einem Nicht-Mitgliedstaat, so geht aus Sicht der lex fori ggf auch das MSA bzw das KSÜ vor. Aus Sicht deutscher Gerichte kommt also die lex fori ohnehin nur in Betracht, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Nicht-Mitgliedstaat13 hat, der weder dem MSA noch dem KSÜ angehört.14 Selbst dann kann aber die lex fori durch Art 9, 10, 12 oder 13 verdrängt sein. In Betracht kommt die Anwendung der lex fori auch, wenn tatsächlich nicht feststellbar ist, wo sich das Kind aufhält und deshalb auch nicht feststellbar ist, dass es sich in einem Mitgliedstaat gewöhnlich aufhält15 und Art 12 sowie Art 9 nicht eingreifen. Art 14 darf jedoch nicht genutzt werden, um bei wechselndem Aufenthalt unter bekannten tatsächlichen Umständen zwischen zwei oder mehreren bekannten Staaten, unter denen auch ein Nicht-Mitgliedstaat ist, auf die lex fori zurückzugreifen, um die rechtliche Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthalts zu vermeiden; in diesem Fall muss zunächst der gewöhnliche Aufenthalt bestimmt werden.

Artikel 15: Verweisung an ein Gericht, das den Fall besser beurteilen kann (1) In Ausnahmefällen und sofern dies dem Wohl des Kindes entspricht, kann das Gericht eines Mitgliedstaates, das für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig ist, in dem Fall, dass seines Erachtens ein Gericht eines anderen Mitgliedstaates, zu dem das Kind eine besondere Bindung hat, den Fall oder einen bestimmten Teil des Falls besser beurteilen kann, a) die Prüfung des Falls oder des betreffenden Teils des Falls aussetzen und die Parteien einladen, beim Gericht dieses anderen Mitgliedstaates einen Antrag gemäß Absatz 4 zu stellen, oder b) ein Gericht eines anderen Mitgliedstaates ersuchen, sich gemäß Absatz 5 für zuständig zu erklären. (2) Absatz 1 findet Anwendung a) auf Antrag einer der Parteien oder b) von Amts wegen oder

10 11

12 13 14 15

202

Zutreffend Coester-Waltjen FamRZ 2005, 241, 244. Hof ’s-Gravenhage NIPR 2011, 325; Hof ’s-Gravenhage NIPR 2010, 50, 51; Rb Rotterdam NIPR 2012, 74; Rb Dordrecht NIPR 2011, 336. Cass civ 8.12.2009 Rev crit DIP 2009, 537. App Bruxelles Rev trim dr fam 2012, 829; Rb ’s-Gravenhage NIPR 2010, 496. Coester-Waltjen FamRZ 2005, 241, 244; Teixeira de Sousa FamRZ 2005, 1612, 1615. Hof ’s-Gravenhage NIPR 2011, 325; Hof Arnhem-Leeuwarden NIPR 2013, 205 f.; Rb Dordrecht NIPR 2011, 336.

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Kapitel II: Zuständigkeit

(3)

(4)

(5)

(6)

I.

II.

III.

Art 15 Brüssel IIa-VO

c) auf Antrag des Gerichts eines anderen Mitgliedstaates, zu dem das Kind eine besondere Bindung gemäß Absatz 3 hat. Die Verweisung von Amts wegen oder auf Antrag des Gerichts eines anderen Mitgliedstaates erfolgt jedoch nur, wenn mindestens eine der Parteien ihr zustimmt. Es wird davon ausgegangen, dass das Kind eine besondere Bindung im Sinne des Absatzes 1 zu dem Mitgliedstaat hat, wenn a) nach Anrufung des Gerichts im Sinne des Absatzes 1 das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat erworben hat oder b) das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat hatte oder c) das Kind die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaates besitzt oder d) ein Träger der elterlichen Verantwortung seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat hat oder e) die Streitsache Maßnahmen zum Schutz des Kindes im Zusammenhang mit der Verwaltung oder der Erhaltung des Vermögens des Kindes oder der Verfügung über dieses Vermögen betrifft und sich dieses Vermögen im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaates befindet. Das Gericht des Mitgliedstaates, das für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig ist, setzt eine Frist, innerhalb deren die Gerichte des anderen Mitgliedstaates gemäß Absatz 1 angerufen werden müssen. Werden die Gerichte innerhalb dieser Frist nicht angerufen, so ist das befasste Gericht weiterhin nach den Artikeln 8 bis 14 zuständig. Diese Gerichte dieses anderen Mitgliedstaates können sich, wenn dies aufgrund der besonderen Umstände des Falls dem Wohl des Kindes entspricht, innerhalb von sechs Wochen nach ihrer Anrufung gemäß Absatz 1 Buchstabe a) oder b) für zuständig erklären. In diesem Fall erklärt sich das zuerst angerufene Gericht für unzuständig. Anderenfalls ist das zuerst angerufene Gericht weiterhin nach den Artikeln 8 bis 14 zuständig. Die Gerichte arbeiten für die Zwecke dieses Artikels entweder direkt oder über die nach Artikel 53 bestimmten Zentralen Behörden zusammen. Verweisung an ein forum conveniens – Struktur (Abs 1) 1. Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Regel-/Ausnahmeverhältnis im Unterschied zu Art 8 KSÜ . . . . . . . . . . . . . . . 3 Materielle Voraussetzungen (Abs 1, 3) 1. Zuständiges Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2. Ausnahmefall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3. Besondere Bindung des Kindes (Abs 3) 8 4. Kindeswohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Verfahrensalternativen – Voraussetzungen (Abs 2) 1. Verfahrensalternativen . . . . . . . . . . . . . . . 19a

IV.

2. Initiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3. Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Verfahrensablauf (Abs 4-6) 1. Frist zur Anrufung (Abs 4 S 1) . . . . . . . . 25 2. Anrufung der Gerichte des anderen Mitgliedstaates (Abs 4 S 1) . . . . . . . . . . . . . 28 3. Keine Anrufung (Abs 4 S 2) . . . . . . . . . . . . 32 4. Zuständigerklärung des Gerichts im anderen Mitgliedstaat (Abs 5 S 1, 2) . . 34 5. Rückfall der Zuständigkeit (Abs 5 S 3) 37 6. Zusammenarbeit (Abs 6) . . . . . . . . . . . . . . . 38 7. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

I. Verweisung an ein forum conveniens – Struktur (Abs 1) 1. Konzeption a) Art 15 erlaubt es einem nach Art 8 ff zuständigen Gericht „in Ausnahmefällen“ ein an 1 sich unzuständiges Gericht mit der Sorgerechtssache zu befassen. Dem liegt zwar die anglo-

Thomas Rauscher

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Art 15 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

amerikanische Lehre des forum non conveniens zugrunde;1 das System des Art 15 erlaubt jedoch nicht eine einseitige Zuständigkeitsablehnung oder eine Verweisung,2 sondern sieht einen kooperativen Zuständigkeitstransfer vor, der neben der Einschätzung des eigentlich zuständigen Gerichts von der Zustimmung wenigstens einer Partei (Abs 2 S 2) und der Annahmebereitschaft der Gerichte des anderen Mitgliedstaates abhängt (Abs 5). Anders als die Abweisung als forum non conveniens ist Art 15 deshalb nicht unilateral, sondern nur kooperativ und nur auf eine Verfahrensübertragung an einen anderen Mitgliedstaat3 anwendbar. Andererseits gibt es durch die angestrebte Kooperation der Gerichte erheblich weitere informelle Möglichkeiten, die der Erprobung in der Praxis bedürfen.4 2 b) Die Initiative zu einem solchen Zuständigkeitstransfer kann nicht nur von dem Ur-

sprungsgericht ausgehen, sondern auch von einer Partei oder von dem Gericht eines anderen Mitgliedstaates. Insofern überschneidet sich die Regelung mit Art 12 Abs 3, der ebenfalls Gerichten, die sich aufgrund besonderer Bindung des Kindes zur Entscheidung berufen sehen, die Annahme einer Zuständigkeit erlaubt. Während jedoch Art 12 Abs 3 eine einseitige Beurteilung erlaubt, andererseits aber zu anderen Zuständigkeiten im Verhältnis des Art 19 steht, ermöglicht Art 15 (ausschließlich) einen Transfer des bereits anhängigen Verfahrens. In dieser Situation wäre die Annahme einer Zuständigkeit aus Art 12 Abs 3 durch Art 19 blockiert. 2. Regel-/Ausnahmeverhältnis im Unterschied zu Art 8 KSÜ 3 Die Regelung entspricht dem Grundgedanken des Art 8 KSÜ und nimmt in Abs 2 lit c auch

den Gedanken des Art 9 KSÜ (Initiative der Gerichte eines anderen Mitgliedstaates) auf. Obgleich die Mechanismen stärker durchnormiert sind, ist Art 15 letztlich nicht weniger ergebnisoffen als Art 8, 9 KSÜ es sind.5 Auch Art 8 Abs 4 und 9 Abs 3 KSÜ gehen davon aus, dass am Ende der einseitig ausgelösten Konsultation die Gerichte eines der beiden Staaten definitiv zuständig sind. 4 Art 15 unterscheidet sich jedoch, jedenfalls in der äußerlichen Struktur, in einem wesent-

lichen Aspekt von dem Vorbild. Während Art 8 Abs 2 KSÜ den Kreis der Mitgliedstaaten, die um Übernahme des Verfahrens ersucht werden können, durch einen Katalog beschränkt, der allerdings eine Generalklausel enthält (Art 8 Abs 2 lit d KSÜ), stellt Art 15 Abs 3 eine Regelvermutung dafür auf, dass bei Vorliegen eines Tatbestands aus einem gegenüber Art 8 Abs 2 sogar weiteren Katalog die für einen Zuständigkeitstransfer erforderliche besondere Bindung vorliegt.6 Dies darf nicht dahin missverstanden werden, dass der in Abs 1 bezeichnete Ausnahmefall vor dem Hintergrund des Art 3 als Regel verstanden

1

2 3 4 5 6

204

Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 1; NK-BGB/Gruber Rn 1; zur Bedeutung der forum non conveniensMethode als (unter Brüssel I/II verlorenes) Mittel der lex fori-Staaten gegen Rechtswahl-orientiertes forum-shopping Shúilleabháin ICLQ 59 (2010) 1021, 1031. Schulz FS Kropholler (2008) 435, 436; Klinkhammer FamRBInt 2006, 88, 90. HR NIPR 2011, 665, 666; AP v TD [2010] EWHC 2040 (Fam). Coester-Waltjen FamRZ 2005, 241, 245. So aber Europäische Kommission, 17.5.2002, COM (2002) 222/2 zu Art 15. Die Kommission versteht hingegen Art 15 Abs 3 als abschließenden Katalog, was durchaus der hier vertretenen Intention entspräche, dazu Kommission, Leitfaden 27 (Ablaufdiagramm).

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 15 Brüssel IIa-VO

wird. Die bisher ersichtlich nicht ausufernde Inanspruchnahme des Art 15, die Abwehr von Versuchen von Beteiligten, Verfahren in das Ausland „mitzunehmen“, und die überwiegend intensive Abwägung des Kindeswohls (Rn 18) lassen erkennen, dass die Gerichte den Ausnahmecharakter ernst nehmen. Insbesondere wird erkannt, dass eine Verfahrensweise nach Art 15 das Verfahren zu verzögern geeignet ist, wenn das Verfahren bereits weit fortgeschritten, ggf sogar in eine weitere Instanz gelangt ist.7 Bei extensiver Handhabung würde das Verfahren überdies häufig an das ursprünglich zuständige Gericht zurückfallen (Abs 4, 5), was Zeit kostet. Schließlich spricht zwar insbesondere das Regelbeispiel in Abs 3 lit a für Sachnähe der Aufenthaltsgerichte, doch kann Sachnähe auch durch Austausch bzw Verfahrenseinbeziehung auf der Ebene der Jugendbehörden erfolgen, ohne die gerichtliche Zuständigkeit zu verlagern.8 II. Materielle Voraussetzungen (Abs 1, 3) 1. Zuständiges Gericht Ein zuständiges Gericht kann den Fall nach Art 15 unter Beachtung der drei nachfolgenden 5 Kriterien (Rn 7 bis 18) verweisen. Die Bestimmung beschränkt sich nicht auf Gerichte, die nach der VO zuständig sind. Sie gilt nach ihrem systematischen Standort und der ausdrücklichen Nennung in Abs 4 und 5 auch, wenn sich die Zuständigkeit des Gerichts aus der lex fori ergibt (Art 14). Dies eröffnet insbesondere die Verweisung, wenn das Kind in keinem Mitgliedstaat gewöhnlichen Aufenthalt hat oder der gewöhnliche Aufenthalt unklar ist9, das angerufene Gericht lege fori zuständig wäre und sonst keine Möglichkeit hätte, ein potentiell nach Art 12 Abs 3 zuständiges Gericht ins Spiel zu bringen. Ist das Gericht hingegen nicht zuständig, so kann es nicht nach Art 15 verfahren, sondern 6 muss sich nach Art 17 für unzuständig erklären. Wo sodann ein Antrag gestellt wird, kann das unzuständige Gericht nicht beeinflussen. 2. Ausnahmefall Es muss sich um einen Ausnahmefall handeln.10 Art 15 ist insbesondere kein Instrument, 7 um regelmäßig bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts nach Anrufung des Gerichts die perpetuatio fori zu durchbrechen.11 Das nach Art 8 angerufene Gericht bleibt grundsätzlich zuständig, der in Abs 3 lit a genannte Fall begründet ausnahmsweise die Verweisung.12 3. Besondere Bindung des Kindes (Abs 3) a) Es muss eine besondere Bindung des Kindes zu einem anderen Mitgliedstaat bestehen. 8 Eine solche Bindung wird nach dem Wortlaut des Abs 3 in den dort genannten Fällen 7 8 9 10 11 12

App Bruxelles Rev trim dr fam 2012, 653. Rb Dordrecht NIPR 2012, 232, 233. App Bruxelles Rev trim dr fam 2013, 263, 279. Vgl auch Erwägungsgrund 15. CA Reims JDI 2012, 968, 970 erscheint daher mit einem legalen Aufenthaltswechsel zu knapp begründet. Kommission, Leitfaden 24.

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vermutet.13 Vor dem Hintergrund von Art 8 Abs 2 KSÜ dürfte es jedoch naheliegen, dass insoweit entweder ein redaktionelles Missverständnis vorliegt14 oder doch die Vermutungswirkung aufgrund der nachfolgenden Kindeswohlprüfung erheblich zu relativieren ist. In anderen als den in Abs 3 genannten Fällen wird, auch wenn Abs 3 formal nur Regelbeispiele nennt,15 eine Verweisung kaum in Betracht kommen,16 weil dort nicht genannte Kriterien regelmäßig keine zuständigkeitsrechtlich relevante Bindung in einem System vermitteln, das auf gewöhnlichem Aufenthalt und Staatsangehörigkeit als Anknüpfungskriterien beruht. Die in Abs 3 genannten Fälle geben andererseits keineswegs regelmäßig Anlass zu einer Verweisung. 9 Insbesondere wirkt bereits auf dieser Stufe der Prüfung die Beurteilung, dass das andere

Gericht den Fall besser beurteilen kann, als ein Filter. Werden insbesondere ein oder mehrere Bezüge iSd Abs 3 dadurch verstärkt, dass in dem Staat, der das Verfahren übernehmen will oder soll, bereits andere, dasselbe Kind betreffende Verfahren anhängig sind, so ist die dadurch erreichbare Sachkunde und Verfahrenseffizienz ein starkes Argument.17 10 Art 15 erlaubt auch eine teilweise Verweisung (Abs 1 lit a), wenn nur bestimmte abtrenn-

bare Aspekte besser in einem anderen Staat entschieden werden können.18 Von dieser Möglichkeit wird zur Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen eher zurückhaltend Gebrauch zu machen sein. 11 b) Im Einzelnen handelt es sich um folgende Fallsituationen, in denen jeweils das ange-

rufene Gericht – ggf sogar aus Art 8 allgemein – zuständig ist, aber ein anderes Gericht für geeigneter hält: 12 – lit a: Der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes wurde nach Anrufung des Gerichts im

Staat A in den Staat B verlagert, das ursprünglich allgemein zuständige Gericht (Art 8) behält die Zuständigkeit (perpetuatio fori), kann aber verweisen.19 13 – lit b: Das angerufene Gericht verweist an die Gerichte des Mitgliedstaates eines früheren

gewöhnlichen Aufenthaltes, was wohl nur sinnvoll ist, wenn es sich um den letzten früheren gewöhnlichen Aufenthalt handelt.20 Erst recht wird man eine besondere Bindung zum Mitgliedstaat des aktuellen gewöhnlichen Aufenthalts annehmen dürfen; wenn also das angerufene Gericht nicht nach Art 8, sondern nach einer anderen Bestimmung zuständig ist, kommt ebenfalls eine Verweisung in Betracht. Bei polyglotten Familienaufenthalten kommt auch die Verweisung an die Gerichte eines von mehreren

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NK-BGB/Gruber Rn 6; Rausch FuR 2005, 53, 58. Die Kommission betrachtet Abs 3 offenbar als abschließend, dazu Kommission, Leitfaden 27: „Hat das Kind eine der in Artikel 15 Absatz 3 aufgeführten besonderen Beziehungen? NEIN Keine Verweisung möglich“. So NK-BGB/Gruber Rn 6; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 2; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 7. Ebenso Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 89. App Bruxelles Rev trim dr fam 2013, 263, 279; vgl auch Hof ’s-Gravenhage NIPR 2013, 50, 51. Kommission, Leitfaden 24. CA Reims JDI 2012, 968, 970. Geimer/Schütze/Dilger Rn 10.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 15 Brüssel IIa-VO

früher wechselnden Aufenthaltsstaaten in Betracht, zu dem weitere Bindungen bestehen.21 – lit c: Das Kind besitzt die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates, wobei bei 14 Mehrstaatigkeit des Kindes die Verweisung zwar nicht von einer Effektivitätsprüfung abhängt,22 die Qualität der Bindung an den Heimatstaat aber ein Abwägungskriterium dafür ist, ob überhaupt eine Verweisung in Betracht kommt. – lit d: Ein Träger der elterlichen Verantwortung hat gewöhnlichen Aufenthalt in dem 15 Mitgliedstaat, in den eine Verweisung erwogen wird, wobei in diesem Fall wohl ein weiterer enger Bezug des konkreten Streits zu diesem Mitgliedstaat hinzutreten muss (zB betreuter Umgang mit einem dort lebenden Elternteil)23; gerade diese Fallgruppe birgt die Gefahr, dass ein Elternteil auf legalem Weg den Effekt einer Verbringung des Kindes zu erreichen versucht, indem er in einem anderen Mitgliedstaat Aufenthalt nimmt, anschließend versucht, die Zuständigkeit und damit schließlich das Kind dorthin zu bringen.24 – lit e: Die Sache hat Maßnahmen zum Schutz des Kindes im Zusammenhang mit Ver- 16 waltung oder Erhaltung des Kindesvermögens zum Gegenstand, das in einem anderen Mitgliedstaat belegen ist; hier ist die durch den gewöhnlichen Aufenthalt indizierte Nähe des Gerichts ggf von geringerer Bedeutung als die Sachnähe zu dem Vermögen, wobei die dem Wortlaut zu entnehmende Beschränkung auf „Streitsachen“ nicht angemessen erscheint. Gerade auch Amtsverfahren, denen meist eine Anregung einer Jugendbehörde zugrunde liegt, die sich tendenziell wohl eher an „ihre“ Gerichte wenden wird, können hier in Betracht kommen. c) Nicht anwendbar ist hingegen Art 15, wenn das Kind iSd Art 2 Nr 11 widerrechtlich in 17 einen anderen Mitgliedstaat verbracht oder dort zurückgehalten wurde. Eine Entscheidung der in diesem Fall gemäß Art 10 weiter zuständigen Gerichte des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts, wonach die Gerichte des Verbringungsstaats besser in der Lage seien, den Fall zu beurteilen,25 würde die von Art 11 vorgesehene Verfahrensweise desavouieren und zugleich die Zielsetzung des KindEntÜbk, eine Rückgabe und eine Entscheidung durch die bisherigen Aufenthaltsgerichte zu erreichen. Art 10, 11 stehen somit einer Verfahrensweise nach Art 15 entgegen.26

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App Bruxelles Rev trim dr fam 2013, 263, 279. Geimer/Schütze/Dilger Rn 11. Vgl Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2012, 222; Hof Leeuwarden NIPR 2011, 515, 516; auch dies ist jedoch nicht zwingend: Hof ’s-Gravenhage NIPR 2013, 50, 51: Verweisung der Umgangsregelung an die Aufenthaltsgerichte in Österreich. Vgl Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2012, 37 f. Ohne Nennung des Gerichts berichtet von Schulz FS Kropholler (2008) 435, 439. Zutreffend Schulz FS Kropholler (2008) 435, 440 ff; nicht eindeutig Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2007, 153, 154, der den Verweisungsantrag in einem Fall des ohne Zustimmung des anderen Elternteils erfolgten Umzuges von NL nach D aus Sachgründen ablehnt.

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4. Kindeswohl 18 Das Gericht muss zudem zu der Überzeugung gelangen,27 dass eine Entscheidung durch das

Gericht in dem anderen Mitgliedstaat dem Kindeswohl entspricht. Die Beurteilung des Kindeswohls hat hier eine ähnliche Funktion wie in Art 12 Abs 1 und Abs 3;28 es geht also vorwiegend um verfahrensrechtliche Aspekte des Kindeswohls.29 Gleichwohl gibt es Zusammenhänge zwischen der Bindungsprüfung und der Kindeswohlprüfung; eine nicht nur formale Sachnähe des Gerichts, an das verwiesen werden soll, spricht durchaus auch für die Kindeswohldienlichkeit. Entsprechend stellt sich in der Praxis die Frage einer Verfahrensweise nach Art 15 häufiger, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Gerichtsstaat, sondern in einem anderen Mitgliedstaat hat,30 wobei dieser Umstand für sich genommen nicht ohne weiteres die Verweisung rechtfertigt, sondern die Fallumstände abzuwägen sind.31 Beruht die Verweisung auf der Staatsangehörigkeit des Kindes, so sind weitere räumliche Bindungen des Kindes an diesen Staat32 meist erforderlich, um das Interesse des Kindes an der Verweisung zu bejahen. 19 Im Verhältnis zur Zuständigkeit des befassten Gerichts aus Art 20 kommt Art 15 nicht in

Betracht; die Eilbedürftigkeit, die eine Zuständigkeit für Eil- und Schutzmaßnahmen nach Art 20 begründet, steht der Zeit kostenden Verfahrensweise nach Art 15 entgegen.33 Nach Erlass einer einstweiligen Eil- oder Schutzmaßnahme kann das Gericht nach Art 15 an ein in der Hauptsache zuständiges Gericht verweisen, muss dies jedoch nicht notwendig tun.34 III. Verfahrensalternativen – Voraussetzungen (Abs 2) 1. Verfahrensalternativen 19a Das ursprünglich zuständige Gericht hat zwei Verfahrensalternativen zur Wahl. Es kann

entweder das Verfahren aussetzen und die Parteien einladen, beim Gericht des anderen Mitgliedstaates einen Antrag zu stellen, auf den Abs 4 Anwendung findet. Diese Verfahrensweise empfiehlt sich insbesondere in streitigen Verfahren und Antragssachen (Abs 1 lit a). 20 Das Gericht kann aber auch unmittelbar ein Gericht eines anderen Mitgliedstaates ersu-

chen, den Fall zu übernehmen und damit an Abs 4 vorbei unmittelbar zu dessen Entscheidung nach Abs 5 gelangen. Diese Verfahrensweise empfiehlt sich für Amtsverfahren (Abs 1 lit b). 27 28 29 30 31

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Kommission, Leitfaden 24. Eingehend Dutta FS Kropholler (2008) 281, 284 ff. Art 12 Rn 25 ff. CA Reims JDI 2012, 968, 970. Bejahend: Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2012, 41: Aufenthalt des Kindes wieder in NL nach einstweiliger Sorgerechtsregelung durch Gericht in Österreich; Rb Den Haag NIPR 2013, 218: Umfassende Verwandtschaft; Rb Zwolle-Lelystad NIPR 2010, 93, 94: langjährige Eingewöhnung; ablehnend: App Bruxelles Rev trim dr fam 2012, 653, 661: Abwägung gegen Verfahrensdauer; Rb Dordrecht NIPR 2012, 232, 233: Einschalten des deutschen Jugendamts im niederländischen Verfahren genügt. Rb ’s-Gravenhage NIPR 2011, 533, 534: langer früherer Aufenthalt, sorgeberechtigter Vater in NL. App Bruxelles Rev trim dr fam 2013, 617, 626. EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843.

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Kapitel II: Zuständigkeit

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2. Initiative Die Initiative zum Verfahren nach Abs 1 kann nach Abs 2 sowohl von den Parteien (Antrag, 21 Abs 2 lit a) als auch vom ursprünglichen Gericht (von Amts wegen, Abs 2 lit b), aber auch von einem Gericht eines in Abs 3 genannten Mitgliedstaates ausgehen, insbesondere, wenn dieses Gericht mit einem Antrag befasst wird, für dessen Entscheidung es anderenfalls unzuständig wäre.35 Selbst wenn man ausnahmsweise eine Verweisung in einen nicht in Abs 3 genannten Staat zuließe,36 kann die Initiative nach dem insoweit zweckentsprechenden Wortlaut des Abs 2 lit c nur aus den in Abs 3 genannten Staaten kommen. Da Abs 2 auf Abs 1 in seiner Gesamtheit verweist, umfasst dies auch das Verfahren nach 22 Abs 1 lit b. Eine Partei kann also auch beantragen, unmittelbar ein Gericht im anderen Mitgliedstaat um Übernahme zu ersuchen. 3. Zustimmung Abs 2 S 2 verlangt jedoch jedenfalls die Zustimmung mindestens einer Partei, wenn die 23 Initiative zu der Verweisung von einem Gericht ausgeht. Die Zustimmung muss (und wird häufig) nicht von dem Antragsteller herrühren. Auch die Zustimmung des Antragsgegners, dem das andere Gericht angenehmer sein mag, genügt. Auch dies gilt nach dem Wortlaut sowohl für das Verfahren nach Abs 1 lit a als auch für 24 Abs 1 lit b. Das führt wiederum zu Problemen, die angesichts der kontradiktorisch ausgerichteten Regelung nicht bedacht wurden, wenn es in dem Verfahren formell Beteiligte überhaupt gibt. Die Verweisung eines Amtsverfahrens in einem Stadium, in dem es (noch) keine formellen Beteiligten gibt,37 ist danach entweder nicht möglich, oder sie müsste ohne die Zustimmung nach Abs 2 S 2 stattfinden. Letztere Auslegung erscheint vorzugswürdig, zumal jedenfalls aus deutscher Sicht nichts dagegen spricht, wenn ein Gericht das Bedürfnis zu einem Tätigwerden von Amts wegen als nicht mehr gegeben ansieht, sobald ein besser geeignetes Gericht in einem anderen Mitgliedstaat tätig wird. Gibt es hingegen bereits formell Beteiligte, so hat auch im Amtsverfahren das Zustimmungserfordernis Sinn, weil das Verfahren nicht zwischen den Gerichten verschoben werden soll, ohne dass dies wenigstens einer Seite recht ist.38 IV. Verfahrensablauf (Abs 4-6) 1. Frist zur Anrufung (Abs 4 S 1) a) Das ursprünglich zuständige Gericht, sofern es sich für das Verfahren nach Abs 1 lit a 25 entschieden hat, setzt den Beteiligten („Parteien“) eine Frist, innerhalb derer die Gerichte des anderen Mitgliedstaates angerufen werden müssen. Die in Abs 4 enthaltene Bezugnahme auf Abs 1 stellt lediglich klar, dass es sich um den bestimmten anderen Mitgliedstaat handelt, von dem in Abs 1 die Rede ist. Eine autonome Regelung der Fristdauer fehlt, ein 35 36 37 38

App Bruxelles Rev trim dr fam 2013, 263, 273 ff, 279. Strittig, oben Rn 8. Was MünchKommFamFG/Gottwald Rn 5 für unwahrscheinlich hält. So auch MünchKommFamFG/Gottwald Rn 5.

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Rückgriff auf die lex fori wird regelmäßig auf keine entsprechende Fristbestimmung treffen. Das Gericht muss also nach Ermessen entscheiden. Regelmäßig wird die Beschleunigungsbedürftigkeit von Sorgerechtssachen schwerlich Fristen von mehr als einem Monat39 erlauben; in der Praxis werden freilich deutlich längere Fristen gesetzt.40 26 b) In dieser Aufforderung mit Fristsetzung muss nach dem Wortlaut des Abs 4 kein be-

stimmtes Gericht bezeichnet werden. Es erscheint jedoch sinnvoll, wenn das verweisungswillige Gericht den Parteien insoweit durch Bezeichnung eines Gerichts die Suche abnimmt,41 Abs 1 lit a („beim Gericht“) geht davon wohl sogar aus. Womöglich handelt es sich bei Abs 4 und 5 vor dem Hintergrund des Abs 1 lit a sogar um bloße Redaktionsversehen.42 27 Schwierigkeiten ergeben sich allerdings, wenn lege fori in dem anderen Mitgliedstaat kein

Gericht örtlich zuständig ist, was nicht selten der Fall sein wird, da die Bindungskriterien des Abs 3 nicht notwendig in der Verfahrensordnung auch zuständigkeitsbegründend wirken. Schon aus diesem Grund wird das verweisungswillige Gericht nicht umhin kommen, sich mit der Zuständigkeitsfrage zu befassen, denn die Notwendigkeit einer Entscheidung durch ein hilfszuständiges Gericht der Hauptstadt kann sogar die Kindeswohlprüfung beeinflussen. Sinnvoll erscheint es auch, schon in dieser Phase die Verweisung mit dem konkreten anderen Gericht abzustimmen.43 Mit dem Versenden von Akten44 ist es nicht getan, da die „Verweisung“ nach Art 15 Abs 1 lit a, Abs 4 der Mitwirkung der Parteien und des anderen Gerichts bedarf und zudem nicht bindet. 2. Anrufung der Gerichte des anderen Mitgliedstaates (Abs 4 S 1) 28 a) Nach der Konzeption der Regelung als Zuständigkeitstransfer für eine bereits anhängige

Sache kann, unabhängig von der Beteiligtenrolle im bisherigen Verfahren, offenbar jede Partei, also jeder formell Beteiligte, die Gerichte des anderen Mitgliedstaates anrufen. Handelt es sich zB um ein Antragsverfahren, in dem der Antragsgegner bisher nur einen Abweisungsantrag gestellt hat, kann auch der Antragsgegner diese Anrufung bewirken, ohne dass er materiell von seinem bloßen Abweisungsantrag abweichen muss. 29 b) Spätestens an dieser Stelle ist die Frage nach der örtlichen Zuständigkeit in dem Mit-

gliedstaat, an dessen Gerichte verwiesen werden soll, nicht mehr zu umgehen. Die VO schafft hier ein Problem, da sowohl Abs 4 als auch Abs 5 nur auf „Gerichte des anderen Mitgliedstaates“ abstellen, obgleich Abs 1 lit a von einem Gericht im Singular spricht. Damit kann jedoch schwerlich gemeint sein, dass die VO es der Initiative der Partei, die die 39 40

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NK-BGB/Gruber Rn 2. Hof ’s-Gravenhage NIPR 2013, 50: 4-monatige Frist zur Anrufung österreichischer Gerichte; Hof Leeuwarden NIPR 2011, 515, 516: 3-monatige Frist durch trib Caltanisetta zur Anrufung niederländischer Gerichte; Rb ’s-Gravenhage NIPR 2008, 151: 3-monatige Frist durch Trib Montepulciano zur Anrufung niederländischer Gerichte. So offenbar auch Kommission, Leitfaden 26, wo davon ausgegangen wird, dass das verweisungswillige Gericht selbst oder über die Zentralen Behörden ein zuständiges Gericht ermittelt. Dazu noch unten Rn 29. Kommission, Leitfaden 26. Die Breuer FPR 2005, 74, 79 vorschlägt.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 15 Brüssel IIa-VO

Anrufung bewirken will, überlässt, welches Gericht zuständig sein soll. Handhabbar wird die Regelung, auch mit Blick auf die insoweit sehr viel präzisere Fassung von Art 8 KSÜ („die Behörde eines anderen Vertragsstaates“) nur durch eine einschränkende Auslegung nach Fallgruppen: 30

Hat das ursprünglich befasste Gericht ein bestimmtes Gericht im anderen Mitgliedstaat bezeichnet, so können sich die Parteien nur an dieses Gericht wenden. Ist dieses Gericht lege fori unzuständig, so muss es dies in seiner Entscheidung nach Abs 5 berücksichtigen. Die Bezeichnung kann schwerlich die Gerichte des anderen Mitgliedstaates binden oder die dortige Zuständigkeitsordnung überwinden. 31

Hat das ursprünglich befasste Gericht kein Gericht des anderen Mitgliedstaates bezeichnet,45 so können sich die Parteien an jedes lege fori örtlich zuständige Gericht dieses Staates wenden. 3. Keine Anrufung (Abs 4 S 2) Erfolgt innerhalb der gesetzten Frist keine Anrufung nach Abs 4, so verbleibt die Zuständig- 32 keit bei dem ursprünglich zuständigen Gericht (Abs 4 S 2); dessen Verweisungsbestrebungen sind gescheitert und bleiben für die Zuständigkeit folgenlos. Dies gilt auch, wenn die Verweisung auf einem Antrag des Gerichts des anderen Mitgliedstaates (Abs 2 lit c) beruht, eine Partei zugestimmt hat, sodann aber nicht nach Abs 4 dieses Gericht von einer Partei angerufen wird. Die Zustimmung bindet die Partei nicht, das übernahmewillige Gericht kann nicht von Amts wegen übernehmen. Bei Verweisung nach Abs 1 lit b bedarf es hingegen keiner Anrufung, sofern nur die nach 33 Abs 2 S 2 erforderliche Zustimmung vorliegt. 4. Zuständigerklärung des Gerichts im anderen Mitgliedstaat (Abs 5 S 1, 2) Das nach Abs 4 angerufene Gericht46 kann sich innerhalb von sechs Wochen nach seiner 34 Anrufung für zuständig erklären. Dies gilt sowohl, wenn über Abs 1 lit b das Ersuchen unmittelbar von dem ursprünglichen Gericht eingeht, als auch bei Anrufung nach Abs 4.47 In beiden Fällen beginnt die Frist mit Zugang, Art 16 spielt hier keine Rolle. Es prüft hierzu erneut die Kindeswohldienlichkeit nach denselben Maßstäben wie das ursprünglich zuständige Gericht.48 Fraglich ist, ob das Verfahren nach Art 15 einem nach seinem innerstaatlichen Recht örtlich 35 unzuständigen Gericht die autonom europarechtlich begründete Befugnis verleiht, einen Fall nach Abs 5 zu übernehmen. Dies dürfte abzulehnen sein, da die VO durchgehend in die 45 46 47 48

Was eine reine Abschiebeentscheidung wäre, die den Parteien nicht wirklich hilft! An dieser Stelle ist die Verwendung des Plural in Abs 5 offenbar unsinnig. Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2012, 222. Hof ‚s- Hertogenbosch NIPR 2012, 166; Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2012, 222; Rb ’s-Gravenhage NIPR 2008, 151 f.; Rb Den Haag NIPR 2013, 218; Rb Zwolle-Lelystad NIPR 2010, 93, 94.

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örtliche Zuständigkeit nicht eingreift. Das Gericht hat aber die Möglichkeit, den Fall lege fori innerstaatlich an ein zuständiges Gericht zu verweisen.49 Dass eine Weiterverweisung nach Art 15 nicht zulässig ist,50 steht dem nicht entgegen. Die Unzulässigkeit der Weiterverweisung soll nur eine Verzögerung durch mehrfache Anwendung des Prozedere nach Art 15 vermeiden, nicht aber eine regelmäßig formell ablaufende Verweisung an ein lege fori örtlich zuständiges Gericht. 36 Erklärt sich das Gericht für zuständig, so geht damit die Zuständigkeit über; das ursprüng-

lich angerufene Gericht erklärt sich für unzuständig, verfährt also wie im Fall des Art 17. 5. Rückfall der Zuständigkeit (Abs 5 S 3) 37 Entscheidet das Gericht in dem anderen Mitgliedstaat nicht innerhalb der Frist von sechs

Wochen oder erklärt es sich für nicht zuständig, so verbleibt die Zuständigkeit wiederum bei dem ursprünglich zuständigen Gericht (Abs 5 S 3). 6. Zusammenarbeit (Abs 6) 38 Die Effizienz der Verweisungsmöglichkeit hängt entscheidend davon ab, dass die Gerichte

keine isolierten Entscheidungen treffen, sondern kooperieren. Abs 6, der eine Zusammenarbeit direkt oder über die Zentralen Behörden nach Art 53 vorsieht, gibt nur einen schwachen Ausdruck der Erwartungen, die insbesondere die Kommission hierzu hat. Pragmatische Wege51 der Zusammenarbeit, der Übermittlung von Dokumenten und der Absprache (Sprachkenntnis vorausgesetzt) vor förmlicher Behandlung nach Abs 1 lit a bzw b sind gewiss nicht mit dem nationalen Verfahrensrecht der Verweisung zu bewältigen. Die Versuchung mag groß sein, nach einem Blick in das hierzu schweigende IntFamRVG die Abgabe- und Verweisungsvorschriften des FamFG (§§ 3, 4 FamFG) zu analogisieren.52 Das aber würde dem Verfahren nach Art 15 gewiss nicht gerecht. 7. Rechtsmittel 39 Gegen die Entscheidung nach Abs 5 S 2, mit der sich das an sich zuständige Gericht für

unzuständig erklärt, sind die lege fori vorgesehenen Rechtsbehelfe statthaft. Im deutschen Verfahrensrecht war vor dem 1.9.2009 zu differenzieren: Mit der einfachen Beschwerde zum LG (§ 19 Abs 1 FGG aF) waren die Instanz nicht beendende Zwischenentscheidungen anzugreifen; mit der befristeten Beschwerde sowie der (Zulassungs-)53 Rechtsbeschwerde nach § 621e aF ZPO hingegen die das Verfahren abschließenden Endentscheidungen. In die erste Kategorie fiel das Ersuchen nach Abs 1, 5, mit dem das abgebende Gericht die Verweisung einleitet, weil es einerseits das Verfahren nicht abschließt, andererseits aber bereits in nicht unerheblicher Weise in die Rechtssphäre der Beteiligten eingreift;54 die Rechtsbe-

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MünchKommFamFG/Gottwald Rn 17. Erwägungsgrund 13; ebenso: Geimer/Schütze/Dilger Rn 23; Zöller/Geimer Rn 10; MünchKommFamFG/ Gottwald Rn 17. Kommission, Leitfaden 20. Vgl Breuer FPR 2005, 74, 79, betreffend noch die der ZPO. BGH FamRZ 2008, 1168, 1169.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 16 Brüssel IIa-VO

schwerde nach § 621e Abs 2 aF ZPO war nicht statthaft.55 Hingegen waren § 621e Abs 1 und Abs 2 aF ZPO anwendbar auf die Unzuständigerklärung nach Abs 5 S 2.56 Unter Geltung des FamFG findet gegen die Endentscheidung, mit der das abgebende Ge- 40 richt sich für unzuständig erklärt, die (nach § 63 FamFG befristete) Beschwerde nach § 58 Abs 1 FamFG statt sowie nach § 70 FamFG die (Zulassungs-)Rechtsbeschwerde. Das Ersuchen nach Abs 1, 5 ist nicht mehr selbstständig anfechtbar und kann nur zusammen mit der Unzuständigerklärung angefochten werden. § 28 IntFamRVG gilt nicht für diese Entscheidung.57 Auch die Ablehnung des Antrags einer Partei nach Abs 2 S 1 lit a kann nicht selbstständig angefochten werden.58

Abschnitt 3: Gemeinsame Bestimmungen Artikel 16: Anrufung eines Gerichts (1) Ein Gericht gilt als angerufen a) zu dem Zeitpunkt, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht wurde, vorausgesetzt, dass der Antragsteller es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstücks an den Antragsgegner zu bewirken, oder b) falls die Zustellung an den Antragsgegner vor Einreichung des Schriftstücks bei Gericht zu bewirken ist, zu dem Zeitpunkt, zu dem die für die Zustellung verantwortliche Stelle das Schriftstück erhalten hat, vorausgesetzt, dass der Antragsteller es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um das Schriftstück bei Gericht einzureichen. I.

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Autonome Bestimmung des Zeitpunkts der Anrufung des Gerichts 1. Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Vorverlagerung auf die Anhängigkeit . . 3 3. Verzögerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

II.

Anhängigkeit im Fall eines vorgeschalteten Versöhnungsverfahrens in Ehesachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

KG v 10.7.2006 – 16 UF 90/06, NJW 2006, 3503; Roth IPRax 2009, 56, 57; wohl auch BGH FamRZ 2008, 1168, 1169. BGH FamRZ 2008, 1168; Roth IPRax 2009, 56, 57. Klinkhammer FamRBInt 2006, 88, 91; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 9; Schulz FS Kropholler (2008) 435, 447; Roth IPRax 2009, 56, 57; aA KG v 10.7.2006 – 16 UF 90/06, NJW 2006, 3503, das auch insoweit § 19 FGG aF anwendet. BGH FamRZ 2008, 1168; Roth IPRax 2009, 56, 58. Klinkhammer FamRBInt 2006, 88, 91; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 9.

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Art 16 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

I. Autonome Bestimmung des Zeitpunkts der Anrufung des Gerichts 1. Geltungsbereich 1 Art 16 – ohne Änderung übernommen aus Art 11 Abs 4 Brüssel II-VO und aus eher

scheinsystematischen Gründen von dem in Art 19 übernommenen Rest der Bestimmung getrennt – gehört zu den wenigen gemeinsamen Bestimmungen für Ehesachen (Art 1 Abs 1 lit a) und Sorgerechtssachen (Art 1 Abs 1 lit b). 2 Die Bestimmung entfaltet ihre wesentliche Funktion im Zusammenhang mit der Regelung

zur Beachtung fremder Rechtshängigkeit (Art 19) und damit in Ehesachen, weil sich in Sorgerechtssachen gemäß Art 8 ff nur selten konkurrierende Zuständigkeiten ergeben. Auf die Einleitung von Sorgerechtssachen durch Antrag ist Art 16 jedoch ohne weiteres anwendbar. Wird eine Sorgerechtssache hingegen von Amts wegen eingeleitet, so ist bezüglich des Zeitpunkts der Anrufung des Gerichts auf den der erstmaligen aktenkundigen Befassung des Gerichts abzustellen.1 2. Vorverlagerung auf die Anhängigkeit 3 Art 16 enthält eine autonome Begriffsbildung der für das Prioritätsprinzip (Art 19) maß-

geblichen Anrufung2 und entspricht mit Ausnahme der verfahrensgemäßen Bezeichnung der Parteien als Antragsteller und Antragsgegner wörtlich dem Art 30 Brüssel I-VO. Insoweit ergeben sich keine grundsätzlichen Besonderheiten, so dass auf die Kommentierung zu Art 30 Brüssel I-VO verwiesen werden kann. 4 Anrufung des Gerichts iSd VO tritt in Staaten, deren Verfahrensrecht als ersten Schritt der

Verfahrenseinleitung die Einreichung bei Gericht vorsieht,3 gemäß lit a bereits in dem Zeitpunkt ein, in dem das nach Maßgabe der jeweiligen lex fori verfahrenseinleitende Schriftstück4 bei Gericht eingereicht wird,5 sofern der Antragsteller es nicht versäumt, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstücks zu bewirken.6 Welche Maßnahmen dies sind, entscheidet die lex fori7 unter Einschluss der für die Zustellung maßgeblichen europarechtlichen oder völkervertraglichen Regelungen, so dass das zweitangerufene Gericht ggf Beweis zum Inhalt des Zustellungsrechts des potentiell erstangerufenen Gerichts erheben muss.8 So trägt der Antragsteller das Risiko, dass der Antrags-

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NK-BGB/Gruber Rn 8. Cass civ Bull Civ 2006 no 375. Re C [2012] EWHC 907: Antragseinreichung in England und Belgien; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 7 f. Cass civ Bul Civ 2006 no 374; Cass civ Bul Civ 2006 no 375: im französischen Recht dépót de la requéte; vgl auch Chalas JDI 2009, 879. D Weiner v C Weiner [2010] EWHC 1; KG NJW-RR 2005, 881; App Bruxelles Rev trim dr fam 2013, 263, 270. C v C [2010] EWHC 2676 (Fam). Gruber FamRZ 2000, 1129, 1133; NK-BGB/Gruber Rn 4. C v C [2010] EWHC 2676 (Fam): in der im UK üblichen Weise durch Videokonferenz-Anhörung eines dortigen expert; D Weiner v C Weiner [2010] EWHC 1.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 16 Brüssel IIa-VO

gegner die Zustellung mangels Übersetzung gemäß Art 8 EG-ZustVO 2007 verweigert und damit, sofern nicht – in gebotener Frist9 – eine rückwirkende Heilung stattfindet,10 die Rechtshängigkeitssperre entfällt.11 Ob nach der lex fori hingegen die Zustellung der Rechtshängigkeit nachfolgt oder erst mit 5 Zustellung Rechtshängigkeit eintritt, spielt angesichts der autonomen Definition keine Rolle.12 Unerheblich ist auch, ob die den Antragsteller hinsichtlich der Zustellung treffenden weiteren Verpflichtungen sich in der Mitteilung einer zustellungsfähigen Anschrift erschöpfen und eine Zustellung von Amts wegen erfolgt, oder die Veranlassung der Zustellung im Parteibetrieb erforderlich ist. Gerade bei Zusammentreffen dergestalt verschiedener Verfahrensrechte soll die autonome Definition des Art 16 (wie Art 30 Brüssel I-VO) den unter dem EuGVÜ beklagenswerten Wettlauf vermeiden.13 Ist nach dem nationalen Prozessrecht nicht die Einreichung bei Gericht, sondern die Zustellung nach der jeweiligen lex fori der erste Schritt zur Verfahrenseinleitung, so gilt lit b: Rechtshängigkeit tritt bereits mit Einreichung bei der für die Zustellung verantwortlichen Stelle ein, wobei wiederum der Antragsteller in der Folge die lege fori erforderlichen Maßnahmen zur Einreichung bei Gericht treffen muss. 3. Verzögerungen Probleme im Fall einer verzögerten Erfüllung der nach lit a oder lit b dem Antragsteller 6 obliegenden Mitwirkung ergeben sich, weil in beiden Varianten die Anrufung des Gerichts bereits vor Zustellung eintritt,14 die lex fori darüber entscheiden soll, welche Maßnahmen der Antragsteller zu treffen hat, die lex fori aber nicht zwangsläufig für diese Maßnahmen auch Fristen bereithält; denn lege fori bewirkt die bloße Einreichung häufig (wie etwa im deutschen Recht) noch keine Rechtshängigkeitssperre. Aus der autonomen Wirkung der Einreichung ergibt sich dann die Frage, in welcher Frist der Antragsteller die von ihm geforderten Handlungen vorzunehmen hat, um die bereits eingetretenen Wirkungen der Anrufung des Gerichts nicht zu verlieren. Insoweit ist zu differenzieren: Bestimmt die lex fori eine Frist, binnen derer die weiteren 7 Schritte, also die Zustellung (lit a) oder die Einreichung (lit b), zu veranlassen sind, so muss der Antragsteller diese Frist wahren, kann sie aber auch ausschöpfen; von ihm ist insbesondere nicht unverzügliches Handeln zu erwarten, wenn ihm das anwendbare Verfahrensrecht eine bestimmte Frist lässt.15 Sieht hingegen die lex fori keine Frist vor, weil sie der Einreichung noch keine Sperrwirkung 8 zumisst, so ist die in Art 16 enthaltene autonome Regelung gleichwohl anzuwenden; es bedarf also für die Anhängigkeit iS des Art 16 nur der Einreichung bei Gericht, nicht aber 9 10 11 12 13 14 15

Dazu Rn 6 ff. EuGH v 8.11.2005 – Rs C-443/03 Leffler/Berlin Chemie AG NJW 2006, 491. Hof ’s-Gravenhage NIPR 2006, 30. KG v 17.1.2005 – 16 WF 206/04, FamRZ 2005, 1685. D Weiner v C Weiner [2010] EWHC 1: Scheidungsverfahren in Schweden und in England. Gruber IPRax 2005, 293, 296. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 12.

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Art 16 Brüssel IIa-VO

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der Zustellung.16 Die Bestimmung ist aber ergänzend dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die weiteren Schritte ohne schuldhaftes Zögern einleitet.17 Nur so lässt sich vermeiden, dass der Antragsteller „auf Vorrat“18 einen Gerichtsstand sperrt, etwa um sich diesen während Verhandlungen über eine Scheidungsvereinbarung zu sichern. Durch diese Differenzierung löst sich auch die Frage, ob der Antragsteller zulässigerweise eine zustellungsfähige Adresse nachreichen kann, ohne dass dies den Zeitpunkt der Anrufung verlagert.19 Er kann dies, solange er innerhalb der lege fori bestehenden Fristen handelt oder bei Fehlen solcher Fristen keine Verzögerung verschuldet.20 Weist der Adressat die Zustellung unter Art 8 EG-ZustVO 2007 mangels Übersetzung zurück und besteht nach Abs 3 die Möglichkeit der Heilung durch Nachreichung einer Übersetzung, so erscheint nach Art 8 Abs 3 S 3 EG-ZustVO 2007 eine Frist nationalen Rechts bereits durch die erstmalige Zustellung gewahrt. Mit Rücksicht auf den Zweck der vorliegenden Regelung ist jedoch zusätzlich zu fordern, dass der Antragsteller alles seinerseits Erforderliche tut, damit diese Übersetzung, wenn schon nicht mehr binnen der zunächst laufenden Frist, so doch unverzüglich nach Kenntnis von der Zurückweisung zugestellt wird. II. Anhängigkeit im Fall eines vorgeschalteten Versöhnungsverfahrens in Ehesachen 9 1. Eine eheverfahrensrechtliche Besonderheit ergibt sich, wenn die Verfahrensordnung

eines zuständigen Gerichts ein Versöhnungsverfahren vorsieht, das Verfahrensrecht also nicht nur – wie üblich – eine eheerhaltende Tendenz der Verfahrensführung im Scheidungsverfahren fordert, sondern dem eigentlichen Scheidungsverfahren einen formellen Versöhnungsversuch verfahrensrechtlich voranstellt.21 Ein solches Verfahren löst nicht als solches die Sperrwirkung des Art 19 aus.22 Fraglich ist jedoch, ob das Gericht für das intendierte nachfolgende Ehescheidungsverfahren bereits mit Einleitung des Versöhnungsverfahrens als angerufen iSd Art 16 anzusehen ist. 10 2. Das Ziel, einen Wettlauf um den Gerichtsstand zu verhindern, spricht nur auf den

ersten Blick dafür, schon mit Anhängigkeit des Versöhnungsverfahrens den Scheidungsantrag als anhängig anzusehen.23 Zwar ist die in Art 16 und in Art 30 Brüssel I-VO geschaffene autonome Konzeption der Anhängigkeit gerade vor dem Hintergrund entstanden, dass Art 21 EuGVÜ Wettläufe um die Rechtshängigkeit ausgelöst hatte. Während es jedoch insoweit um einen autonomen Ausgleich angesichts unterschiedlicher nationaler Rechts16

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Eingehend zum englischen Recht D Weiner v C Weiner [2010] EWHC 1 unter Berufung auf WPP Holdings Italy v Benatti [2007] EWCA 263 betreffend Art 30 Brüssel I-VO. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 15; Pabst Rn 538. D Weiner v C Weiner [2010] EWHC 1: „protective petition“, in diesem Fall wurde freilich innerhalb einiger Tage zugestellt. Bejahend NK-BGB/Gruber Rn 6. Zur Frage, ob vor deutschen Gerichten die Nennung der Anschrift des früheren Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners genügt vgl KG NJW-RR 2005, 881, zitiert bei Gruber IPRax 2005, 293, 296 Fn 42. Vgl den romanischen Versöhnungsversuch Italien Art 4 legge 898/1970; Frankreich Art 251 ff cc; Luxemburg Art 238 cc; Portugal Art 1774 cc; vgl auch im englischen Recht das information meeting sec 8 (2) FLA 1996. Dazu Art 19 Rn 22. So aber Boele-Woelki ZfRV 2001, 126.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 17 Brüssel IIa-VO

hängigkeitskonzepte ging, hat das Problem des Versöhnungsverfahrens seine Wurzel in einer spezifischen eheerhaltenden Ausgestaltung des Scheidungsverfahrens und lässt sich nicht danach entscheiden, auf welchem Weg schnellstmöglich die Sperrwirkung des Art 19 ausgelöst wird. 3. Unzutreffend wäre es aber auch, Ehescheidung und Versöhnungsverfahren nur wegen 11 ihrer unterschiedlichen Zielsetzung nie iSd Art 16 als Einheit zu sehen.24 Zutreffend erscheint es vielmehr, die Frage aus dem prozessualen Zusammenhang zwischen Versöhnungsverfahren und Scheidungsverfahren in der jeweiligen lex fori zu lösen: Ist das Versöhnungsverfahren integraler Bestandteil des Scheidungsverfahrens, so ist das Gericht für das Scheidungsverfahren bereits im Zeitpunkt der Einleitung des Versöhnungsverfahrens angerufen iSd Art 16.25 Ist seine Durchführung hingegen Verfahrensvoraussetzung für die Einleitung eines Scheidungsverfahrens, so ist die Situation nicht anders zu beurteilen als im Verhältnis zwischen einem lege causae als Scheidungsvoraussetzung geforderten Ehetrennungsverfahren oder einem notwendigen Getrenntleben und der Ehescheidung. Was immer die Stellung des Scheidungsantrags verzögert, kann zwar Wettläufe um einen scheidungsfreundlicheren Gerichtsstand auslösen; das allein kann aber eine Vorverlegung des Anhängigkeitszeitpunkts nicht begründen. 4. Hingegen kann die Anhängigkeit einstweiliger Regelungen, insbesondere von Famili- 12 ensachen während des (faktischen) Getrenntlebens, vor Anhängigkeit eines Eheverfahrens den Zeitpunkt der Anhängigkeit einer später eingeleiteten Ehesache nicht vorverlagern.26

Artikel 17: Prüfung der Zuständigkeit Das Gericht eines Mitgliedstaats hat sich von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn es in einer Sache angerufen wird, für die es nach dieser Verordnung keine Zuständigkeit hat und für die das Gericht eines anderen Mitgliedstaats aufgrund dieser Verordnung zuständig ist. I.

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Abgrenzung zu Art 25 Brüssel I-VO 1. Sicherung von Zuständigkeiten der VO 2. Vergleich zu Art 25 Brüssel I-VO . . . . . . . a) Unterschiede im System der ausschließlichen Zuständigkeit . . . . . . . . . . b) Von Art 17 erfasste Zuständigkeitskonkurrenzen . . . . . . . . . . . . c) Keine rügelose Einlassung . . . . . . . . . . . . . . .

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Zuständigkeitsprüfung 1. Eigene Unzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2. Zuständigkeit des Gerichts eines anderen Mitgliedstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 3. Prüfung „von Amts wegen“; Rechtsmittelinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 4. Unzuständigerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

So aber MünchKommFamFG/Gottwald Art 19 Rn 2; Zöller/Geimer Art 19 Rn 6. Cass civ Bull Civ 2006 no 374 („une étape obligatoire et préalable“); Gruber FamRZ 2000, 1134; Thomas/ Putzo/Hüßtege Art 19 Rn 3; NK-BGB/Gruber Rn 7, 8; Geimer/Schütze/Dilger Art 19 Rn 17. Hof ’s-Gravenhage NIPR 2006, 30.

Thomas Rauscher

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Art 17 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

I. Abgrenzung zu Art 25 Brüssel I-VO 1. Sicherung von Zuständigkeiten der VO 1 a) Die Bestimmung – wortgleich aus Art 9 Brüssel II-VO übernommen – dient, wie Art 25

Brüssel I-VO, der Sicherung des Systems der Zuständigkeiten der VO. Der Anreiz, das Zuständigkeitssystem der VO durch Anrufung eines unzuständigen Gerichts zu umgehen, dürfte bei Ehe- und Kindschaftssachen größer sein als im Zivilprozess, weil die Wahl des Forums – auch nach der Teilvereinheitlichung des Internationalen Scheidungsrechts durch die Rom III-VO – wegen Unterschieden im IPR und im materiellen Recht starken Einfluss auf die materiellen Erfolgsaussichten haben kann. Die angeordnete Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen entzieht nicht nur dem Antragsteller, sondern grundsätzlich auch den im Eheverfahren kooperationsbereiten Parteien die Disposition über das Zuständigkeitssystem. 2 b) Die Verfasser der VO wollten durch Art 17 das Zuständigkeitssystem der VO vor Umge-

hungsversuchen angesichts der Sensibilität der innerstaatlichen Eherechtsordnungen schützen.1 Dieses Bestreben ist allerdings nur dann legitim, wenn man die Prämisse setzt, ein Zuständigkeitssystem entworfen zu haben, das der berechtigten Sensibilität der Rechtsunterworfenen und den gewachsenen historischen und rechtspolitischen Entscheidungen der Rechtssysteme gerecht wird. Dass es hieran mangelt, wurde bereits erörtert.2 Art 17 verteidigt damit ein selbst recht unsensibles Zuständigkeitssystem auch gegen durchaus berechtigte Umgehungsversuche. 2. Vergleich zu Art 25 Brüssel I-VO a) Unterschiede im System der ausschließlichen Zuständigkeit 3 Die Prämissen, vor denen Art 17 zu verstehen ist, unterscheiden sich deutlich von denen des

Art 25 Brüssel I-VO. Art 17 spricht, anders als Art 25 Brüssel I-VO, nicht von „ausschließlicher“ Zuständigkeit. Das beruht auf der unterschiedlichen Struktur der beiden Zuständigkeitssysteme. Die VO enthält einerseits im Gegensatz zur Brüssel I-VO kein System allgemeiner und besonderer Zuständigkeiten, denen bestimmte streitgegenstandsabhängige ausschließliche Zuständigkeiten (Art 22 Brüssel I-VO) gegenüberstehen. Die Ausschließlichkeit der Art 3 bis 5 ist nicht streitgegenstandsabhängig, sondern gemäß Art 6 situationsbezogen und besteht darüber hinaus nach der vom EuGH bestätigten Ansicht3 sogar immer dann, wenn sich eine Zuständigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ergibt; die Ausschließlichkeit der Art 8 bis 13 folgt, ebenso situationsbezogen, aus dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes. Während andererseits die Brüssel I-VO das Phänomen alternativer ausschließlicher Zuständigkeiten allenfalls als Kuriosum kennt, sind die Zuständigkeiten des Art 3 im Verhältnis zueinander grundsätzlich alternativ und bleiben es auch, soweit sie den Rang (im Verhältnis zu lex fori) ausschließlicher Zuständigkeiten einnehmen.

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Borrás-Bericht Nr 49. Art 3 Rn 3 ff, Art 3 Rn 28 ff, Art 3 Rn 39 f. Art 6 Rn 11.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 17 Brüssel IIa-VO

b) Von Art 17 erfasste Zuständigkeitskonkurrenzen (1) Innerhalb der VO gibt es also keinen Konflikt zwischen ausschließlichen und sonstigen 4 Zuständigkeiten, den Art 17 zu lösen hätte. Es gilt nicht, für ein und denselben Streitgegenstand allgemeine Zuständigkeiten durch ausschließliche zu verdrängen, sondern lediglich, das Verhältnis zwischen zuständigen und unzuständigen Gerichten zu bestimmen. Im Binnensystem der VO bestimmt Art 17 damit nur, wie ein unzuständiges Gericht zu verfahren hat. Das Verhältnis zwischen alternativen Zuständigkeiten wird hingegen durch das Prioritätsprinzip des Art 19 bestimmt, auch wenn diese Zuständigkeiten alternativ-ausschließlich sind. (2) Art 17 wirkt jedoch auch auf das Außenverhältnis zur lex fori ein. Insoweit besteht die 5 Möglichkeit, dass Gerichte eines anderen Mitgliedstaats nach der VO ausschließlich zuständig sind. c) Keine rügelose Einlassung Die VO sieht keine Zuständigkeitsbegründung durch rügelose Einlassung vor; die durch 6 Art 3 Abs 1 lit a Str 4 geschaffene Zuständigkeit bei gemeinsamem Scheidungsantrag mag funktionell an rügelose Einlassung erinnern, ist aber inhaltlich etwas anderes: Gemeinsamer Antrag bedeutet Einverständnis mit dem materiellen Antrag, rügelose Einlassung bedeutet (nur) Unterwerfung unter die Zuständigkeit. Da diese Unterwerfung nicht zugelassen ist, wird eine amtswegige Prüfung der Zuständigkeit immer, nicht nur im Verhältnis zu ausschließlichen Zuständigkeiten, geboten sein. II. Zuständigkeitsprüfung 1. Eigene Unzuständigkeit Art 17 setzt voraus, dass das angerufene Gericht nach der Verordnung keine Zuständigkeit 7 hat. Das Gericht prüft somit von Amts wegen seine Zuständigkeit.4 Fraglich ist, wie das Kriterium „nach dieser VO“ zu verstehen ist. Für die Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals spielt eine wesentliche Rolle, in welcher Weise die Abgrenzung zwischen den Zuständigkeiten der VO und den Restzuständigkeiten der lex fori (Art 7) zu bestimmen ist. Wie immer man Art 6, 7 versteht, ist dieses Verständnis jedenfalls Voraussetzung für die Anwendung von Art 17, der keine neue Zuständigkeit schafft, sondern die Prüfung von Amts wegen und die Abweisung im Fall der Unzuständigkeit nach dem (vorausgesetzten) Zuständigkeitssystem der Verordnung anordnet.5 Verstünde man Art 6 als eine sinnvoll gedachte Bestimmung, die abschließend den ausschließlichen Anwendungsbereich der VO beschreibt und darüber hinaus den Rückgriff auf die lex fori erlaubt,6 so könnte eine Zuständigkeit „nach dieser VO“ nicht im Sinn eines Verweises auf Art 3 bis 5, 8 bis 13 verstanden werden: Einem Gericht, das seine Zuständigkeit zulässigerweise auf die lex fori stützt, kann vernünftigerweise keine Klageabweisung abverlangt werden.

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OGH v 11.9.2008 – 7 Ob 155/08g, IPRax 2010, 74=iFamZ 2009, 50; In the Matter of H (a child) [2012] EWCA Civ 913; App Bruxelles Rev trim dr fam 2012, 608, 611; Aud Prov Barcelona www.unalx.eu/ ES-485. OGH v 11.9.2008 – 7 Ob 155/08g, IPRax 2010, 74, 76=iFamZ 2009, 50. So 2. Auflage (2006) Rn 7.

Thomas Rauscher

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Art 17 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

8 Der EuGH7 hat hingegen Art 17 als Grundlage der Auslegung des Art 6 herangezogen: Das

Bestehen einer Zuständigkeit in (irgend-)einem anderen Mitgliedstaat bei gleichzeitigem Fehlen der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nach Art 3 bis 5, 8 bis 13 schließt danach – für Ehesachen über Art 6 hinausgehend – den Rückgriff auf die Restzuständigkeiten lege fori (Art 7) aus. Dies impliziert ein Verständnis des Art 17, wonach ein Gericht zu prüfen hat, ob es nach den genannten Zuständigkeitsnormen dieser VO zuständig ist; fehlt es hieran, so ist in einem weiteren Schritt die Zuständigkeit der Gerichte aller anderen Mitgliedstaaten, wiederum anhand der genannten Zuständigkeitsnormen der Verordnung, zu beurteilen. Besteht danach in auch nur einem anderen Mitgliedstaat eine Zuständigkeit, so greift Art 17 ein, das angerufene Gericht hat sich also für unzuständig zu erklären.8 9 Gleichwohl besteht auch bei dieser Auslegung des Verhältnisses von Art 17 zu Art 6, 7 eine

Zuständigkeit „nach dieser VO“, wenn das angerufene Gericht sich im Rahmen des Art 7 auf die Restzuständigkeiten der lex fori stützt, was nach vorstehender Ansicht des EuGH freilich seltener der Fall ist. Sind die Gerichte keines Mitgliedstaates nach Art 3 ff, 8 ff zuständig, so greift Art 17 für ein nach Art 7 iVm seiner lex fori zuständiges Gericht schon deshalb nicht ein, weil es „nach dieser Verordnung“ Zuständigkeit beanspruchen darf.9 2. Zuständigkeit des Gerichts eines anderen Mitgliedstaates 10 a) Als weitere Anwendungsvoraussetzung muss die Zuständigkeit eines Gerichts eines

anderen Mitgliedstaats aufgrund der VO bestehen10. „Aufgrund dieser VO“ ist jedenfalls dahingehend zu verstehen, dass sich die Zuständigkeit aus den Art 3 bis 5, 8 bis 13 ergibt, denn Art 17 schützt nur die nach der VO bestehenden Zuständigkeiten und befasst sich nicht mit der Konkurrenz zulässigerweise in Anspruch genommener Zuständigkeiten lege fori vor den Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten. 11 b) Entgegen dem Wortlaut genügt es, dass aufgrund der VO die internationale Zuständig-

keit in wenigstens einem anderen Mitgliedstaat besteht. Für die Bereitstellung einer örtlichen Zuständigkeit muss jeder Mitgliedstaat unter der VO selbst sorgen. 12 c) Besteht in keinem anderen Mitgliedstaat eine Zuständigkeit aufgrund der VO, so ist

Art 17 wiederum11 nicht einschlägig, auch wenn sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem des angerufenen Gerichts eine Restzuständigkeit nach Art 7 iVm der dortigen lex fori ergeben sollte. Ist das angerufene Gericht selbst nach Art 7 iVm seiner lex fori zuständig, so nimmt das Verfahren seinen Fortgang, die Konkurrenz zwischen den Gerichten mehrerer lege fori zuständiger Mitgliedstaaten bestimmt sich jedoch nach Art 19 und nicht nach der lex fori.

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EuGH Rs C-68/07 (Sundelind Lopez/Lopez) IPRax 2008, 257, dazu Art 6 Rn 11. So schon Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 1 f.; Spellenberg FS Geimer (2002) 1278; Geimer/Schütze/ Dilger Rn 5; Zöller/Geimer Rn 4 f. A.A. von seinem Standpunkt zu Art 6, 7 aus folgerichtig OGH v 11.9.2008 – 7 Ob 155/08g, IPRax 2010, 74, 76=iFamZ 2009, 50. OGH v 11.9.2008 – 7 Ob 155/08g, IPRax 2010, 74=iFamZ 2009, 50; In the Matter of H (a child) [2012] EWCA Civ 913; Aud Prov Barcelona www.unalx.eu/ES-485. Zur Nichtanwendbarkeit bei eigener Restzuständigkeit vgl Rn 9.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 17 Brüssel IIa-VO

d) Zuständigkeitsbegründend wirkt Art 17 dagegen auch nicht, wenn dadurch nach der 13 VO und lege fori eine Zuständigkeitslücke eintritt.12 Besteht in keinem anderen Mitgliedstaat eine Zuständigkeit nach der VO, fehlt es aber dem angerufenen Gericht selbst an der Zuständigkeit aufgrund der VO einschließlich der Restzuständigkeiten lege fori, so lässt sich nicht etwa im Umkehrschluss aus Art 17 folgern, dass das Gericht dem Verfahren Fortgang geben darf. Art 17 ist vielmehr auch auf diesen Fall nicht zugeschnitten und nicht anwendbar. Die Verfahrensweise wegen der eigenen Unzuständigkeit bestimmt sich insoweit nicht nach Art 17, sondern nach der lex fori des angerufenen Gerichts,13 die ggf Notzuständigkeiten gegen Rechtsverweigerung vorsehen muss. 3. Prüfung „von Amts wegen“; Rechtsmittelinstanz a) Die Prüfung der eigenen Zuständigkeit setzt voraus, dass das Gericht überhaupt eine 14 Zuständigkeit in der Ehe- oder Sorgesache beansprucht, also in der Hauptsache hierüber entscheidet. Stellt sich eine Art 1 unterfallende Materie nur als Vorfrage, so ist kein Gericht gehindert, diese Frage inzident zu entscheiden, wozu es keine Zuständigkeit in der Sache benötigt.14 b) Die Zuständigkeitsprüfung erfolgt von Amts wegen; was darunter zu verstehen ist, sagt 15 Art 17 nicht. Fraglich ist, ob lediglich eine Prüfung von Amts wegen iSd § 56 ZPO oder überdies die Feststellung der Tatsachen im Wege der Amtsermittlung (§ 26 FamFG) gemeint ist.15 Auch wenn eine autonome Auslegung des Prüfungsmaßstabs im letzteren Sinn das Ziel der Bestimmung fördern könnte, die Ausnutzung des alternativen Charakters der Zuständigkeiten nach Art 3 zu vermeiden,16 ist kein anderer Maßstab anzulegen als zu Art 25 Abs 1 Brüssel I-VO;17 damit ist nur die Prüfung der für die Zuständigkeit behaupteten Tatsachen von Amts wegen, jedoch keine Amtsermittlung geboten.18 Nicht unumstritten ist, ob hierfür die Entwicklung autonomer Grundsätze möglich ist, die 16 denen deutschen Rechts vergleichbar sind,19 oder ob mangels eines autonomen Begriffsbildes auf die jeweilige lex fori zurückzugreifen ist.20 Zutreffend dürfte sein, dass gewisse Grundlinien der amtswegigen Prüfung aus dem Zweck der Regelung heraus autonom feststellbar sind, im Detail jedoch auf die lex fori zurückgegriffen werden muss: Grundsätzlich trägt der Antragsteller die materielle Beweislast für seinen zuständigkeitsbegründenden Vortrag.21 Auch unbestrittener Parteivortrag bindet das Gericht jedoch nicht, die Zuständigkeit muss erwiesen sein. Welchen Grad der Überzeugung das Gericht hierbei erreichen muss, entscheidet die lex fori. Das Gericht hat Zweifeln nachzugehen, die Parteien zur

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Insoweit zutreffend Spellenberg FS Geimer (2002) 1278. Geimer/Schütze/Dilger Rn 5; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 4. Das dürfte der Borrás-Bericht Nr 49 mit „in der Nebensache anrufen“ meinen. Zweifelnd Spellenberg FS Geimer (2002) 1277. Borrás-Bericht Nr 49. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 1; dazu Rauscher/Mankowski Art 25 Brüssel I-VO Rn 5 f. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 1; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 5; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 1. Vgl Schlosser-Bericht zum Brüsseler Übereinkommen Nr 22. So Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 5. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 5.

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Art 18 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Beibringung von Beweisen aufzufordern und ggf selbst Freibeweis zu erheben, wobei dann die Beweismethoden nur lege fori bestimmt werden können. 17 Vor dem Hintergrund der möglichen Doppelfunktionalität des gewöhnlichen Aufenthalts

für die Zuständigkeit und für den Nachweis eines materiell erforderlichen Getrenntlebens sollte allerdings der Vortrag der Beteiligten hierzu zuständigkeitsrechtlich nicht kritischer hinterfragt werden als hinsichtlich der substantielleren Scheidungsvoraussetzung gemäß §§ 1565 Abs 2, 1566, 1567 BGB (Getrenntleben). Das Gericht kann es für Zuständigkeitszwecke gleichwohl nicht bei einer Schlüssigkeitsprüfung bewenden lassen. Ist etwa die Dauer des gewöhnlichen Aufenthalts des Antragstellers in einem anderen Mitgliedstaat als dem des früheren gemeinsamen ehelichen gewöhnlichen Aufenthalts schlüssig behauptet, so kann nicht der Umstand, dass diese Behauptung auch für § 1566 Abs 1 BGB relevant werden kann, die Prüfungsintensität in Ansehung der Zuständigkeit reduzieren, zumal nicht feststeht, aus welchem materiellen Scheidungsgrund oder Nachweistatbestand die Ehe von dem nur nach schlüssiger Behauptung zuständigen Gericht geschieden wird. Womöglich erweist sich die potentiell doppelfunktionelle Tatsache materiell als nicht entscheidungserheblich. 18 c) Art 17 gilt auch im Verfahren der Beschwerde und Rechtsbeschwerde. §§ 65 Abs 4, 72

Abs 2 FamFG stehen einer Abweisung der Klage als unzulässig aus zwei Gründen nicht entgegen. Zum einen betrifft Art 17 die internationale (Un-)Zuständigkeit, für die §§ 65 Abs 4, 72 Abs 2 FamFG, ebenso wie §§ 513 Abs 2, 545 Abs 2 ZPO, nicht gelten. Zum Zweiten handelt es sich bei Art 17 um Europarecht, das den die Prüfungsbefugnis einschränkenden Bestimmungen von ZPO und FamFG vorgeht. 4. Unzuständigerklärung 19 Die Rechtsfolge der Unzuständigerklärung ist ebenso zu verstehen wie in Art 25 Abs 1

Brüssel I-VO. Es ist also die nach dem jeweiligen nationalen Verfahrensrecht vorgesehene Prozessentscheidung zur Verfahrensbeendigung im Fall der Unzuständigkeit zu treffen;22 vor deutschen Gerichten ist der Antrag als unzulässig abzuweisen. Eine Verweisung zwischen den Mitgliedstaaten ist hingegen nicht aufgrund von Art 1723, sondern nur nach Maßgabe von Art 15 in Sorgerechtssachen möglich.

Artikel 18: Prüfung der Zulässigkeit (1) Lässt sich ein Antragsgegner, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in dem Mitgliedstaat hat, in dem das Verfahren eingeleitet wurde, auf das Verfahren nicht ein, so hat das zuständige Gericht das Verfahren so lange auszusetzen, bis festgestellt ist, dass es dem Antragsgegner möglich war, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück so rechtzeitig zu empfangen, dass er sich verteidigen konnte, oder dass alle hierzu erforderlichen Maßnahmen getroffen wurden.

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OGH v 11.9.2008 – 7 Ob 155/08g, IPRax 2010, 74=iFamZ 2009, 50; In the Matter of H (a child) [2012] EWCA Civ 913; App Bruxelles Rev trim dr fam 2012, 608, 611. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 9.

Oktober 2014

Kapitel II: Zuständigkeit

Art 18 Brüssel IIa-VO

(2) Artikel 19 der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000* findet statt Absatz 1 Anwendung, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nach Maßgabe jener Verordnung von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu übermitteln war. (3) Sind die Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000** nicht anwendbar, so gilt Artikel 15 des Haager Übereinkommens vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nach Maßgabe des genannten Übereinkommens ins Ausland zu übermitteln war. I. II. III.

Parallele zu Art 26 Brüssel I-VO . . . . . . . . . . . . 1 Korrekturbedarf im räumlich-persönlichen Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . 4 Verfahren bei Nichteinlassung des Antragsgegners (Abs 1) 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2. Aussetzung des Verfahrens – Fortgang des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

IV.

Verfahren nach EG-ZustVO oder Haager Übereinkommen (Abs 2, 3) . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Zustellung zwischen Mitgliedstaaten (Abs 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2. Zustellung zwischen (sonstigen) Vertragsstaaten des Haager Zustellungsübereinkommens (Abs 3) 21 3. Verbleibende Fallkonstellationen für Abs 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

I. Parallele zu Art 26 Brüssel I-VO 1. Art 18 – mit inhaltlich unbedeutenden Retuschen und Straffungen im Wortlaut aus 1 Art 10 Brüssel II-VO übernommen – beruht auf Art 26 Brüssel I-VO. Während jedoch Art 26 Brüssel I-VO zwei Regelungsziele verfolgt, greift Art 18 nur die Regelung in Art 26 Abs 2, 3 und 4 Brüssel I-VO auf, die dem Schutz des rechtlichen Gehörs des Beklagten/ Antragsgegners dient und zugleich sicherstellen soll, dass die Anerkennung der späteren Entscheidung nicht an Art 22 lit b bzw Art 23 lit c scheitert.1 Dass in Art 18 prima facie nur eine Art 26 Abs 1 Hs 2 Brüssel I-VO entsprechende Regelung 2 fehlt, beruht darauf, dass die in Art 26 Abs 1 Hs 1 enthaltene Beschreibung der Verfahrenssituation für die gesamte Bestimmung gilt, also in Art 18 Abs 1 – der regelungstechnisch Art 26 Abs 2 Brüssel I-VO entspricht – eingefügt werden musste. 2. Eine Art 26 Abs 1 Brüssel I-VO entsprechende Regelung fehlt hingegen nicht. Die Ver- 3 pflichtung des Gerichts, bei Unzuständigkeit die Klage abzuweisen, ist vielmehr Regelungsinhalt des Art 17.2 Dort ist allerdings die Pflicht zur Antragsabweisung wegen Unzuständigkeit ohne die zusätzliche Voraussetzung aus Art 26 Abs 1 Brüssel I-VO statuiert, weil die VO keine rügelose Einlassung kennt, also die Zuständigkeit immer von Amts wegen zu prüfen ist und nicht nur bei Säumnis des Antragsgegners.

Gemäß Art 25 Abs 2 iVm Anhang III EG-ZustVO 2007 ist diese Verweisung zu lesen als „Artikel 19 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007“. ** Nunmehr „Verordnung (EG) Nr. 1393/2007“ (Art 25 Abs 2 iVm Anhang III EG-ZustVO 2007). 1 Geimer/Schütze/Dilger Rn 1; Vogel MDR 2000, 1048. 2 Borrás-Bericht Nr 51; vgl Art 17 Rn 7.

*

Thomas Rauscher

223

Art 18 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

II. Korrekturbedarf im räumlich-persönlichen Anwendungsbereich 4 1. Im Gegensatz zu Art 26 Abs 2 Brüssel I-VO, der, mit Rücksicht auf Art 26 Abs 1, auf Fälle

bezogen wird, in denen der Beklagte seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat,3 ist die vorliegende Bestimmung nach dem Wortlaut des Abs 1, an den sich die hM anschließt, anzuwenden, wenn der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Gerichtsstaat hat.4 Anders als zu Art 26 Brüssel I-VO muss der gewöhnliche Aufenthalt damit nicht in einem anderen Mitgliedstaat bestehen. 5 2. Diese Auslegung setzt freilich voraus, dass Art 18 primär als Schutz des Antragsgegners

gegen das Risiko einer Zustellung bei Verschiedenheit seines gewöhnlichen Aufenthaltsstaates vom Gerichtsstaat zu verstehen ist.5 Dies kann durchaus zweifelhaft sein, denn Art 18 dient auch der Vermeidung von Situationen, in denen die Entscheidung nach Art 22 lit b, 23 lit c nicht anerkennungsfähig wäre, ist also auch anerkennungsorientiert. Vor diesem Hintergrund wäre es geboten, in dieser VO, die zu Recht neben dem gewöhnlichen Aufenthalt auch der Staatsangehörigkeit als Zuständigkeitskriterium Raum gibt, auch die Anerkennungsfähigkeit im Heimatstaat zu sichern und einen Abs 1 entsprechenden Schutz auch ausländischen Antragsgegnern mit gewöhnlichem Aufenthalt im Gerichtsstaat zu gewähren. Gleichwohl dürfte eine Auslegung, die Abs 1 auf diese naheliegende Anerkennungssituation bezieht, nicht mehr mit dem Wortlaut der Regelung zu vereinbaren sein.6 6 3. Selbst bei einem rein zuständigkeitsrechtlichen Verständnis ist freilich der gewöhnliche

Aufenthalt des Antragsgegners kein unbedingt geeignetes Kriterium, um das Zustellungsrisiko zu beschreiben, denn das Zustellungsrisiko ergibt sich nicht nur dann, wenn am gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners im Ausland zugestellt wird oder wenn eine Inlandszustellung bei ausländischem gewöhnlichem Aufenthalt erfolgt. Die in Abs 2 und Abs 3 verwiesenen Regelungen in Art 19 EG-ZustVO 20077 und Art 15 HZÜ gehen insofern zu Recht weiter: Sie stellen nicht auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Zustellungsadressaten ab, sondern nur auf die Übermittlung zum Zweck der Zustellung in einen anderen Mitglied- bzw Vertragsstaat. Hieraus ergibt sich zum einen die Frage, ob der Rechtsgedanke aus Art 19 EG-ZustVO 2007 und Art 15 HZÜ auch für Abs 1 nutzbar zu machen ist. Dies ist zu bejahen;8 der Antragsgegner als Zustellungsadressat ist auch in Anwendung nationalen Zustellungsrechts schutzwürdig, wenn er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, an ihn jedoch im Ausland zugestellt wird. Bei der Fassung des Abs 1 wurde offenbar irrig unterstellt, die Zustellung finde immer am gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners statt,9 so dass der scheinbar eindeutige Wortlaut nicht gegen eine solche erweiternde Auslegung spricht.

3 4 5 6 7

8 9

224

Kropholler/von Hein Art 26 Brüssel I-VO Rn 6 mit Nachw. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 4; Geimer/Schütze/Dilger Rn 3; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 3. So Geimer/Schütze/Dilger Rn 3; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 4. Weshalb die hier in der 2. Auflage (2006) Rn 5 vertretene Ansicht aufgegeben wird. In wenig glücklicher Anpassungstechnik wurde die Verweisung in Abs 2 nicht auf die neue Verordnung (EG-ZustVO 2007) umgestellt, sondern eine pauschale Verweisung-Umleitungsregelung in Art 25 Abs 2 iVm Anhang III EG-ZustVO 2007 getroffen. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 4, 5 nimmt dies nur für den Anwendungsbereich von Abs 2, 3 an. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 4.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 18 Brüssel IIa-VO

4. Klärungsbedürftig ist vor demselben Hintergrund zum anderen auch die Frage, ob der in 7 Abs 1 beschriebene Anwendungsbereich den der in Abs 2 und Abs 3 verwiesenen Bestimmungen überlagert und verändert. Dies ist zu verneinen:10 Abs 2 und Abs 3 stellen den gebotenen Vorrang der dort verwiesenen Bestimmungen gegenüber der Auffangregel des Abs 1 sicher. Dieser Vorrang besteht jedoch unabhängig vom gewöhnlichen Aufenthalt des Zustellungsadressaten immer schon dann, wenn eine Zustellung in einen anderen Mitgliedoder Vertragsstaat erfolgt. Für Abs 2 und Abs 3 kann es also auf den gewöhnlichen Aufenthalt nicht ankommen, weil sonst systemwidrig (EG-ZustellVO als lex specialis) oder völkerrechtswidrig (Außenvorrang des HZÜ) den verwiesenen Bestimmungen der ihnen eigene Anwendungsbereich beschränkt würde. III. Verfahren bei Nichteinlassung des Antragsgegners (Abs 1) 1. Voraussetzungen a) Abs 1 regelt die Reaktion des aufgrund der VO zur Entscheidung zuständigen Gerichts 8 im Erkenntnisverfahren im Fall der Nichteinlassung des Antragsgegners. Diese ist wie zu Art 26 Brüssel I-VO in autonomer Auslegung zu beurteilen. Nichteinlassung liegt nur vor, wenn sich der Antragsgegner weder selbst noch durch einen von ihm beauftragten11 Bevollmächtigten am Verfahren beteiligt. Der bloße Verzicht auf eine Einlassung zur Sache genügt nicht. Eine Beteiligung zum Zweck der Rüge der Zuständigkeit bedeutet nicht Nichteinlassung; die Bestimmung soll verhindern, dass das Verfahren fortschreitet, ohne dass der Antragsgegner Kenntnis von dessen Einleitung hat. Deshalb darf andererseits eine Meldung des Antragsgegners im Verfahren, die nur dem Zweck dient, darauf hinzuweisen, dass er von dem Verfahren zu spät Kenntnis nehmen konnte und deshalb keine ausreichende Verteidigungsmöglichkeit hatte, nicht als Einlassung gewertet werden.12 b) Die Bestimmung greift jedenfalls dann ein, wenn der Antragsgegner keinen gewöhnli- 9 chen Aufenthalt im Gerichtsstaat hat. Wird zum Zweck der Zustellung ein Schriftstück grenzüberschreitend übermittelt, so betrifft Abs 1 nur die Fälle, in denen Abs 2 oder 3 nicht eingreifen, somit Fälle der Übermittlung in einen Nicht-Mitglied- oder Vertragsstaat. In dieser Fallgruppe kommt es wegen der hier vertretenen teleologischen Erweiterung13 nicht auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners an. Abs 1 gilt zudem bei einer Inlandszustellung, sei sie fiktiv oder an einen (letzten) Wohnsitz 10 des Antragsgegners im Gerichtsstaat bewirkt, der aber keinen gewöhnlichen Aufenthalt (mehr) begründet, jedoch nur, sofern der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Aufenthaltsstaat Mitgliedstaat der EG-ZustVO oder Vertragsstaat des HZÜ ist, da Abs 2 und Abs 3 im Einklang mit den verwiesenen Instrumenten eine grenzüberschreitende Übermittlung erfordern. Keine

10 11 12 13

IE ebenso Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 5. EuGH Rs C-78/95 Hendrikman/Magenta EuGHE 1996 I 4943. Kropholler/von Hein Art 34 Brüssel I-VO Rn 27; NK-BGB/Gruber Rn 2; Geimer/Schütze/Dilger Rn 2. Vgl Rn 6.

Thomas Rauscher

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Art 18 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Anwendung findet Abs 1 auf (fiktive) Inlandszustellung bei inländischem oder ungeklärtem gewöhnlichem Aufenthalt. 11 c) In Sorgerechtssachen ist die Bestimmung nach ihrem Wortlaut ebenfalls nur auf Zu-

stellungen an den Antragsgegner anzuwenden. Damit ergibt sich, misst man die Regelung an dem Zweck, die Anerkennungsversagung nach Art 23 lit c zu vermeiden, eine Lücke. Art 23 lit c versagt zutreffend die Anerkennung nicht nur bei dort beschriebener Betroffenheit des Antragsgegners, sondern auch bei sonstigen Personen, an die rechtzeitig hätte zugestellt werden müssen. Insbesondere in Amtsverfahren, in denen ein formeller Antragsgegner fehlt, können mehrere potentielle Träger der elterlichen Sorge im Sinn von Art 23 lit c betroffen sein. Obgleich Art 18 im Vergleich zu Art 10 Brüssel II-VO just an dieser Stelle sprachlich geglättet wurde und der „Antragsgegner“ an die Stelle der „Person“ getreten ist, sollte eine analoge Anwendung auf andere materiell Beteiligte als den Antragsgegner nicht ausscheiden; die Änderung ist rein sprachlich motiviert und steht einer Analogie nicht entgegen. Hingegen würde eine analoge Anwendung auf die Beteiligung des Kindes (vgl Art 23 lit b) die Grenzen der Lückenfüllung sprengen, da die Kindesinteressen anders gelagert sind als die sonstiger Beteiligter und nicht durch formalisierte Beteiligungssicherung, die Art 18 bietet, geschützt werden können. 2. Aussetzung des Verfahrens – Fortgang des Verfahrens 12 a) Das Gericht hat das Verfahren von Amts wegen auszusetzen. Ein Ermessen besteht

nicht. Im Gegensatz zu Art 19 Abs 1 führt diese Aussetzung nicht zu einem vorübergehenden Stillstand des Verfahrens. Ziel der Aussetzung ist es, Feststellungen über die Kenntnisnahmemöglichkeit hinsichtlich des verfahrenseinleitenden oder eines gleichwertigen Schriftstücks zu treffen, so dass das Gericht verfahrensfördernd tätig bleibt, Verfahrenshandlungen zu Lasten des Antragsgegners aber nicht stattfinden können. Das Verfahren nimmt seinen Fortgang, wenn diese Feststellungen zur Überzeugung des Gerichts getroffen sind. 13 b) Die für die Betrachtung der Zustellung ex post aus dem Blickwinkel des Anerkennungs-

verfahrens in Art 22 lit b und 23 lit c übernommenen Lockerungen der Ordnungsgemäßheit der Zustellung im Vergleich zu Art 27 Nr 2 EuGVÜ haben für die im Ausgangsverfahren zu treffenden Feststellungen keine unmittelbare Bedeutung. Abs 1 stellt, wie schon Art 20 Abs 2 EuGVÜ und Art 26 Abs 2 Brüssel I-VO, auf die Möglichkeit des Antragsgegners ab, das Schriftstück zu empfangen, nicht aber auf die formale Ordnungsgemäßheit der Zustellung. Gleichwohl wird das Gericht ohne formal ordnungsgemäße Zustellung nicht annehmen können, alle erforderlichen Maßnahmen getroffen zu haben.14 14 Zudem kann die formale Ordnungsgemäßheit der Zustellung nach der lex fori eine zusätz-

liche Voraussetzung für den Erlass einer Versäumnisentscheidung sein, die durch Abs 1 nicht verdrängt wird. 15 c) Der Begriff verfahrenseinleitendes Schriftstück ist wie zu Art 26 Brüssel I-VO autonom

zu verstehen. Es handelt sich um die nach dem Verfahrensrecht der lex fori vorgesehene 14

226

Unten Rn 18.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 18 Brüssel IIa-VO

Urkunde, durch deren Zustellung der Antragsgegner erstmals von dem Verfahren Kenntnis erlangt und die die wesentlichen Elemente des Rechtsstreits (Parteien, Antrag) bezeichnet.15 In isolierten Sorgerechtssachen kann auch die Ladung eines materiell Beteiligten durch das von Amts wegen tätig gewordene Gericht als verfahrenseinleitendes Schriftstück verstanden werden. Gleichwertige Schriftstücke sind solche, durch die während des Verfahrens der Antrag- 16 steller von wesentlichen Änderungen des Verfahrensgegenstandes Kenntnis erlangt, zB ein im laufenden Ehescheidungsverfahren gestellter Sorgerechtsantrag.16 Hingegen erfasst Abs 1 sonstige im Laufe des Verfahrens zuzustellende Schriftstücke nicht. d) Die Rechtzeitigkeit des Zugangs des verfahrenseinleitenden Schriftstücks ist ebenfalls 17 autonom zu beurteilen; Ladungs- und Einlassungsfristen der lex fori setzen hierfür allenfalls Mindeststandards. Maßgeblich ist, wie zu Art 26 Abs 2 Brüssel I-VO17 und für die Beurteilung im Anerkennungsstadium (Art 22 lit b, 23 lit c), dass der Antragsgegner nach den Umständen des Einzelfalls genügend Zeit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zur Verfügung hatte. Ist das Schriftstück durch ordnungsgemäße Zustellung zugegangen, kommt es für die Bestimmung des erforderlichen Zeitraums auf diesen Zeitpunkt an, auch wenn die tatsächliche Kenntnisnahme später erfolgt ist. Ist hingegen die Zustellung ohne Zugang bewirkt oder ist die Zustellung erkennbar fehlerhaft, so kommt es für die Beurteilung auf den Zeitpunkt an, in dem der Antragsgegner tatsächlich Kenntnis nehmen konnte. e) Abs 1 lässt auch die Feststellung genügen, dass alle hierzu erforderlichen Maßnahmen 18 getroffen worden sind. Das Ausbleiben des Zugangsnachweises blockiert nicht auf Dauer den Fortgang des Verfahrens. Das Gericht muss insbesondere nicht positiv feststellen, dass der Antragsgegner das Schriftstück zur Kenntnis genommen hat, es genügt die Feststellung positiver Indizien, aus denen auf die Kenntnisnahmemöglichkeit zu schließen ist. In diesem Zusammenhang kommt der formalen Ordnungsgemäßheit der Zustellung Bedeutung zu. Einerseits begründet formale Ordnungsgemäßheit allein nicht die Feststellung, alle erforderlichen Maßnahmen getroffen zu haben. Es bedarf insbesondere bei öffentlichen Zustellungen flankierender Maßnahmen zur Sicherung der Kenntnisnahme (Übersendung an – letzte – bekannte Auslandsanschrift etc). Andererseits kann ohne positiven Nachweis des Zugangs eine (persönliche) Zustellung, die bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge zur Kenntnisnahme führt, aber nicht ordnungsgemäß erfolgt ist, nicht genügen. Alle erforderlichen Maßnahmen können erst dann getroffen sein, wenn das Gericht eine formal ordnungsgemäße Zustellung unternommen hat. IV. Verfahren nach EG-ZustVO oder Haager Übereinkommen (Abs 2, 3) Der Anwendungsbereich des Abs 1 ist deutlich eingeschränkt durch den Vorrang der ent- 19 sprechenden Verfahrensregeln im Fall der Säumnis des Beklagten im Anwendungsbereich der in Abs 2 und 3 genannten Rechtsinstrumente.

15

16 17

EuGH Rs C-172/91 Sonntag/Waidmann EuGHE 1993 I 1963; vgl im Übrigen Rauscher/Mankowski zu Art 26 Abs 2 Brüssel I-VO. NK-BGB/Gruber Rn 4. Vgl Rauscher/Mankowski Art 26 Brüssel I-VO.

Thomas Rauscher

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Art 19 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Zwischen den Mitgliedstaaten unterliegt die Zustellung seit dem 31.5.2001 der EG-ZustVO 2000, die mit Wirkung vom 13.11.2008 durch die EG-ZustVO 200718 abgelöst wurde. Internationale Zustellungen zwischen Vertragsstaaten, die nicht beide Mitgliedstaaten der EG-ZustVO sind, bestimmen sich nach dem Haager Zustellungsübereinkommen vom 15.11.1965 (HZÜ).19 Beide Rechtsinstrumente enthalten Bestimmungen über das Verfahren bis zum Nachweis der erfolgten EU-Zustellung, hinter die Abs 1 zurücktritt. 1. Zustellung zwischen Mitgliedstaaten (Abs 2) 20 Ist die Zustellung in einen Mitgliedstaat zu bewirken, so gilt die EG-ZustellVO-a, die

denselben Kreis von Mitgliedstaaten aufweist wie die vorliegende VO. In diesem Fall ist Art 19 EG-ZustVO 2007 anzuwenden,20 der neben einem Art 10 Abs 1 ähnlichem Verfahren eine formalisierte Verfahrensweise im Fall des Nichteintreffens eines Zustellungsnachweises erlaubt (Art 19 Abs 2 EG-ZustVO 2007).21 Die Verweisung in Abs 2 ist gemäß Art 25 Abs 2 EG-ZustVO 2007 auf Art 19 EG-ZustVO 2007, der Art 19 EG-ZustVO 2000 entspricht, zu beziehen. 2. Zustellung zwischen (sonstigen) Vertragsstaaten des Haager Zustellungsübereinkommens (Abs 3) 21 Erfolgt die Zustellung in einen Vertragsstaat des HZÜ, der nicht Mitgliedstaat ist, und ist der

Gerichtsstaat ebenfalls Vertragsstaat des HZÜ, so unterliegt die Zustellung dem HZÜ. Das Verfahren im Fall der Nichteinlassung des Antragsgegners beurteilt sich dann nach Art 15 HZÜ, der Abs 1 verdrängt.22 Insbesondere gilt Art 15 HZÜ, wenn an den Antragsgegner in Dänemark zuzustellen ist. 3. Verbleibende Fallkonstellationen für Abs 1 22 Zum verbleibenden Anwendungsbereich des Abs 1 vgl oben Rn 9 f.

Artikel 19: Rechtshängigkeit und abhängige Verfahren (1) Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Anträge auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe zwischen denselben Parteien gestellt, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts geklärt ist. (2) Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Verfahren bezüglich der elterlichen Verantwortung für ein Kind wegen desselben Anspruchs anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts geklärt ist. (3) Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später an18 19 20 21 22

228

Vgl Rauscher/Heiderhoff EG-ZustVO 2007. BGBl 1977 II 1453. Borrás-Bericht Nr 51; Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 571 f. Vgl Rauscher/Heiderhoff Art 19 EG-ZustVO 2007 Rn 15 ff. Näher zu Art 15 HZÜ bei Art 26 Abs 4 Brüssel I-VO.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 19 Brüssel IIa-VO

gerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig. In diesem Fall kann der Antragsteller, der den Antrag bei dem später angerufenen Gericht gestellt hat, diesen Antrag dem zuerst angerufenen Gericht vorlegen. I.

II.

Erweiterung der Sperrwirkung im Vergleich zu Art 27, 28 Brüssel I-VO 1. Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Konkurrenzsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3. Lösung – Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 4. Konsequenzen für Verbundverfahren 13 Aussetzung bei konkurrierenden Ehesachen (Abs 1) 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 a) Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten 15 b) Parteiidentität – keine Anspruchsidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 c) Anhängigkeit verschiedener Anträge . . 20 2. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3. Abweichung zwischen Rechtshängigkeitssperre und Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 4. Insbesondere: Ehetrennung und Ehescheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

III.

IV.

Aussetzung bei konkurrierenden Verfahren zur elterlichen Verantwortung (Abs 2) 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten 37 b) Identität der Person des Kindes, Anspruchsidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Unzuständigerklärung durch das spätere Gericht (Abs 3) 1. Feststehen der Zuständigkeit des Erstgerichts (Abs 3 S 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Vorlegung des Antrags beim Erstgericht (Abs 3 S 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3. Verfahren bei Unzuständigkeit oder nach Abweisung durch das Erstgericht 56 4. Späteres Verfahren im Zweitstaat . . . . . 59 5. Verstoß des Zweitgerichts gegen Art 19 (Abs 2) als Anerkennungshindernis . . . 60

I. Erweiterung der Sperrwirkung im Vergleich zu Art 27, 28 Brüssel I-VO 1. Prinzipien a) Die Bestimmung beruht auf Art 11 Abs 1 bis 31 Brüssel II-VO und unterscheidet nun- 1 mehr einen nur für Ehesachen geltenden Tatbestand (Abs 1) und einen nur für Sorgerechtsverfahren geltenden (Abs 2). Inhaltlich ergeben sich dadurch jedoch keine Änderungen,2 da Art 11 Abs 1 und Abs 2 Brüssel II-VO für Ehesachen vollständig in Abs 1 aufgehen. Die Bestimmung geht zurück auf die Behandlung anderweitiger Rechtshängigkeit in Art 21, 2 22 EuGVÜ/Art 27, 28 Brüssel I-VO. Das auf der Tatbestands- und Rechtsfolgenseite flexible Konzept der in Zusammenhang stehenden Verfahren in Art 28 Brüssel I-VO schien den Verfassern schon wegen möglicher Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Zusammenhangs hier hingegen nicht geeignet.3 b) Übernommen wurde hingegen das Prioritätsprinzip4 und damit die kontinentale Lö- 3 sung der Rechtshängigkeitsproblematik. Dieses Prinzip wurde auf nicht gegenstandsidentische Verfahren ausgedehnt. 1 2 3 4

Art 11 Abs 4 Brüssel II-VO wurde in Art 16 übernommen. Kommission, Leitfaden 61. Borrás-Bericht Nr 52. Borrás-Bericht Nr 53; Hausmann EuLF 2000/01, 346.

Thomas Rauscher

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Art 19 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Die in Art 11 Abs 4 Brüssel II-VO aus Art 30 Brüssel I-VO übernommene autonome Bestimmung der Anhängigkeit findet sich hingegen nun in Art 16. 4 Die Suche nach dem sachnäheren Gericht, die sich aus Sicht des common law anbietet und

für die bei Ehesachen durchaus mehr spräche als bei allgemeinen Zivilsachen, wäre in der Praxis schwerer handhabbar gewesen. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob das zweitangerufene Gericht (ebenfalls) zuständig ist5 oder sich für besser geeignet hält, die Sache zu entscheiden. 5 Für Sorgerechtssachen ist hingegen Abs 2 überlagert durch die auf dem Prinzip des forum

non conveniens beruhende Regelung in Art 15; nach Art 15 kann auch das erstangerufene Gericht einvernehmlich an das zweitangerufene verweisen. 6 Auf eine Anerkennungsprognose verzichtet die VO ebenso wie Brüssel I,6 was sinnvoll ist,

da die VO in Art 21 ff die Anerkennung sicherstellt. Allerdings würde der Verzicht auf die Anerkennungsprognose nur dann gänzlich stimmig sein, wenn die Rechtshängigkeitssperre auch in ihrer Reichweite auf die Anerkennungswirkungen und damit auf die Rechtskraft abgestimmt ist. Die an sich kluge Idee der Anerkennungsprognose, nämlich danach zu fragen, ob das Ergebnis des ausländischen Verfahrens dereinst überhaupt zum Rechtskraft-Konflikt führen kann, sollte man durchaus im Auge behalten, auch wenn die formelle Grundlage der Anerkennung im Anwendungsbereich der VO gesichert ist.7 2. Konkurrenzsituationen 7 a) Die Entwicklung der Regelung stand unter dem Eindruck konkurrierender Eheverfah-

ren in verschiedenen Staaten, deren Verhinderung ein bedeutendes Ziel der VO ist,8 das in Art 19 Abs 1 jedoch entschieden überspannt wird. 8 b) Dabei werden in dieser Frage die Unterschiede der berührten einzelstaatlichen Rechts-

ordnungen besonders relevant. Die Struktur der materiellen Eherechtsordnungen schafft nicht nur unterschiedliche Scheidungsgründe, die im innerstaatlichen Recht als unterschiedliche Streitgegenstände behandelt werden mögen. Sie führt auch zu Konflikten zwischen Ehescheidung, Eheaufhebung und Ehetrennung und berührt damit den Streitgegenstand selbst dann, wenn man ihn europäisch-autonom lediglich aus der Funktion des Rechtsinstituts und nicht aus seiner dogmatischen Grundlegung bestimmen wollte. Die Ehetrennung ist nur vereinzelt bekannt und dient (nur) teilweise als zwingende Vorstufe der Zerrüttungsscheidung. Ein solcher Zusammenhang lässt sich auch bei weiter funktioneller Sicht nicht als derselbe Streitgegenstand ansehen. Die Eheaufhebung ist in den meisten Rechtsordnungen als Reaktion auf Eheschließungsmängel vorgesehen, teils mit Wirkung ex tunc, teils ex nunc,9 während die Ehescheidung auf ein Scheitern der wirksam geschlossenen Ehe 5 6

7 8 9

230

Rb ’s-Hertogenbosch NIPR 2008, 303, 304. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 5; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 1; Zöller/Geimer Rn 2; Gruber FamRZ 2000, 1129, 1132; Hau FamRZ 2000, 1339. Näher unten Rn 27 ff. Hau FamRZ 2000, 1339; Boele-Woelki ZfRV 2001, 126. Um einen Eindruck von den Gestaltungsmöglichkeiten zu gewinnen, genügt schon die Befassung mit der durch das EheSchlRG 1998 in Deutschland bewirkten grundlegenden Neuorientierung.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 19 Brüssel IIa-VO

reagiert. Schweden und Finnland sehen hingegen nur noch die Ehescheidung vor, was die Frage aufwarf, ob ein Eheaufhebungsverfahren in einem anderen Mitgliedstaat nicht wegen weiterreichender Folgen Vorrang gegenüber einer auf Eheschließungsmängel gestützten Scheidung haben sollte.10 c) Hinzu kommt, dass die Fixierung eines Gerichtsstands durch eine Partei über die pro- 9 zessualen Interessen hinaus, die schon in Anwendung der Art 21, 22 EuGVÜ deutlich wurden, die Kollisionsrechtsanwendung und damit das Scheidungs- und Aufhebungsstatut beeinflusst. Mit der Rechtshängigkeitssperre wird nicht nur der Zugriff auf ein bequemer erreichbares, schnelleres oder kostengünstigeres Verfahren blockiert. Es kann auch der Zugriff auf bestimmte Scheidungsgründe oder auf eine alsbaldige Scheidung blockiert werden. 3. Lösung – Kritik a) Die gewählte Lösung erreicht auf ebenso einfache11 wie radikale Weise das Ziel, kon- 10 kurrierende Verfahren zu verhindern. In Ehesachen blockiert das erste eingeleitete Verfahren jedes weitere nicht nur bei Identität des Anspruchs, sondern auch bei verschiedenen eherechtlichen Ansprüchen zwischen denselben Parteien (Abs 1). Nur für – selbstständige und unselbstständige – Verfahren über die elterliche Verantwortung bleibt es bei dem Erfordernis einer Anspruchsidentität (Abs 2). b) Die zunächst12 überwiegend unkritische Zustimmung zu diesem mühsam erzielten 11 Kompromiss beruht einerseits auf der konsequenten Erreichung des Ziels, konkurrierende Verfahren zu vermeiden.13 Andererseits erscheint manchen dadurch auch lückenlos das Dilemma unterschiedlicher materieller Rechtsbehelfe bei Ehemängeln und -konflikten gelöst.14 Nur vereinzelt findet sich unter dem Eindruck der Auswirkungen, die diese Lösung auf die Prozessökonomie15 hat, zurückhaltende Kritik.16 c) Tatsächlich kann die Lösung nur als ein rechtsstaatlich zweifelhafter Kompromiss 12 bewertet werden, der eine bekannte europäische Methodik perfektioniert: Die Suche nach dem status quo minus, auf den sich die Mitgliedstaaten angesichts gravierender Unterschiede der materiellen Rechtsordnungen verständigen konnten, wird als ein Sieg Europas betrachtet, weil der Weg zu einem erstrebten Rechtsinstrument geebnet wurde. Die Regelung trägt aber nicht wirklich den Unterschieden der Rechtsordnungen Rechnung,17 sondern 10 11 12 13

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17

Jänterä-Järeborg YB PIL 1999, 17. Boele-Woelki ZfRV 2001, 126. Vgl nun NK-BGB/Gruber Rn 27 ff. Nur diesen Aspekt beachtet das Lob von Boele-Woelki ZfRV 2001, 126; Hau FamRZ 2000, 1339. Der Gedanke, dass in einer Staatenmehrheit auch selbstregelnde Kräfte den Unsinn konkurrierender Scheidungsverfahren eliminieren können, ist Europa offenbar fremd. Sturlèse JClP (G) 2001, 245. Dazu näher unten Rn 32 ff. Gruber FamRZ 2000, 1129, 1134 bezeichnet den offenen Widerspruch zwischen der Reichweite der Rechtshängigkeitssperre und der Rechtskraftwirkung als „gewöhnungsbedürftige Neuerung“. So Borrás-Bericht Nr 54.

Thomas Rauscher

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Art 19 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

kapituliert vor der Vielfalt. Den Preis zahlt der Rechtssuchende. So ist es nicht nur prozessökonomisch betrachtet Unsinn, wenn ein Ehescheidungsantrag wegen der Anhängigkeit eines nicht zielidentischen Ehetrennungsverfahrens abgewiesen werden muss, nach Abschluss des Ehetrennungsverfahrens der Ehescheidungsantrag jedoch alsbald wieder gestellt werden kann, ohne dass die ausgesprochene Ehetrennung für das neue Verfahren irgendeine materielle Bedeutung hätte.18 Die Regelung bietet auch Parteien, die eine Scheidung ablehnen, Anreiz, durch nicht zielführende Verfahren die Ehescheidung zu verschleppen; schon die Anzahl veröffentlichter italienischer Entscheidungen zur Konkurrenz von separazioneAnträgen mit ausländischen Ehescheidungsanträgen (dazu Rn 32) zeigt, dass dieses Risiko nicht nur theoretisch besteht. Dem anderen Ehegatten wird effizienter Rechtsschutz verweigert, weil ein Gericht mit der Ehe befasst ist, ohne dass vor diesem Gericht der begehrte Rechtsschutz erreichbar ist. Zutreffend wird gesehen, dass die in ihrer Reichweite ohnehin unklare Antragsverlagerung nach Abs 3 S 2 nichts hilft, wenn das erstbefasste Gericht nach seinem IPR zu einer Rechtsordnung gelangt, die dem verlagerten Antrag nicht stattgibt.19 4. Konsequenzen für Verbundverfahren 13 Nur vereinzelt wird auch gesehen, dass der im Vergleich zu Brüssel I deutlich geänderte

Maßstab der Rechtshängigkeitssperre drei Kategorien schafft, die zu unterschiedlichen Auswirkungen auf die Ehesache und Folgesachen führen. Die Ehesache unterliegt Abs 1, die Sorgesache Abs 2 und für Unterhaltssachen galten Art 27, 28 Brüssel I-VO,20 sowie nunmehr Art 12, 13 EG-UntVO. Zwar bedurfte es angesichts der extremen Ausweitung der Art 27 Brüssel I-VO entsprechenden Verfahrensweise auf alle Ehesachen iSd Art 1 Abs 1 lit a verordnungsintern keiner Zusammenhangsregelung iSd Art 28 Brüssel I-VO/Art 13 EGUntVO. Die Anwendungsbereiche beider Verordnungen treffen sich aber im Verbundverfahren und erzeugen dort Spannungen.21 14 Dass im Übrigen, insbesondere für den güterrechtlichen Ausgleich bis zu einer EU-recht-

lichen Regelung die lex fori über die Rechtshängigkeitssperre entscheidet, ist einer nur graduell voranschreitenden Integration der Zuständigkeitssysteme immanent.21a Dass es aber im Wege der Integration Ziel sein sollte, neue Spannungen zwischen Ehe- und Folgesachen zu vermeiden, wurde offenbar nicht erkannt. Auch dies ist Folge einer Rechtsentwicklung, die nicht systematisch denkt, sondern vom politisch Machbaren dominiert ist.

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21a

232

Im Einzelnen unten Rn 27 ff. Hausmann EuLF 2000/01, 347; näher unten Rn 50 ff. Zöller/Geimer Rn 1. Wie sehr sich ein Gericht in dieser Frage verirren kann, zeigt Trib Firenze Riv dir int priv proc 2005, 737, das zunächst die isolierte Abänderung der Folgesache mantenimento nach erfolgter separazione unzutreffend (in Wortlautauslegung des Begiffs „alimenti“) aus Art 5 Nr 2 aF Brüssel I-VO ausnimmt, den Zuständigkeiten der Brüssel II-VO unterstellt und dann mangels Identität des Streitgegenstandes (Ehesache gegen isolierte Folgesache) zu einem im UK inzwischen anhängigen Scheidungsantrag die Anwendung von Art 11 Abs 2 Brüssel II-VO ablehnt. OLG Brandenburg v 11.11.2013 – 15 WF 210/13, FamRZ 2014, 860.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 19 Brüssel IIa-VO

II. Aussetzung bei konkurrierenden Ehesachen (Abs 1) 1. Voraussetzungen a) Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten Art 19 regelt in Abs 1 und Abs 2 nur das Verhältnis zwischen den Gerichten verschiedener 15 Mitgliedstaaten. Über den innerstaatlichen Rechtshängigkeitskonflikt entscheidet weiterhin die lex fori.21b Ebenso bestimmt die lex fori, ob die Anhängigkeit in einem Drittstaat gegenüber einem inländischen Verfahren zu beachten ist,22 auch wenn sich die eigene Zuständigkeit aus der VO ergibt.23 Hieraus ergeben sich ungewollte Konfliktlagen für Gerichte im UK und Irland, weil das Problem ausländischer anderweitiger Anhängigkeit dort über die Theorie des forum non conveniens gelöst wird. Geht man davon aus, dass eine sich aus der Brüssel IIa-VO ergebende Zuständigkeit ebenso wenig als forum non conveniens abgelehnt werden kann, wie unter der Brüssel I-VO,24 so wird einem angelsächsischen Gericht das hergebrachte Instrument des eigenen Prozessrechts zur Konfliktlösung genommen, wegen des begrenzten Anwendungsbereichs des Art 19 jedoch im Verhältnis zu in Drittstaaten anhängigen Verfahren das „kontinentale“ Instrument der Litispendenz nicht gegeben. Dass englische Gerichte in dieser Situation auf forum non conveniens zugreifen,25 ist zumindest als Akt prozessualen Notstands verständlich. Voraussetzung der Anwendung von Art 19 ist damit, dass ein Antrag im materiellen An- 16 wendungsbereich der VO (Art 1) bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten gestellt ist. Ob der konkurrierende Antrag auch intertemporal dem Zuständigkeitssystem der VO unterliegt, das Gericht also nach deren Inkrafttreten angerufen sein muss, betrifft die intertemporale Anwendung der VO gemäß Art 64.26 b) Parteiidentität – keine Anspruchsidentität (1) Abs 1 setzt – wie Art 27 Brüssel I-VO – Identität der betroffenen Ehe und der Parteien 17 voraus. Maßgeblich ist jeweils die Personenidentität der Verfahrensbeteiligten, auf die Parteirolle kommt es nicht an. (2) Anders als Abs 2 verlangt Abs 1 keine Identität des Anspruchs. Nach dem ausdrück- 18 lichen Wortlaut und seiner Herkunft aus Art 11 Abs 2 Brüssel II-VO gilt Abs 1 auch für Verfahren, die nicht denselben Anspruch betreffen. Nicht erforderlich ist auch – anders als für Art 28 Brüssel I-VO – ein Zusammenhang der Verfahren, der es notwendig machen würde, widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Ein solcher Zusammenhang ist nach dem Wortlaut nicht zu prüfen, was ausweislich der Materialien auch so gewollt ist27 21b 22

23 24 25 26 27

OLG München v 20.12.2013 – 12 UF 1731/13, FamRZ 2014, 862. Cass civ Rev crit DIP 2010, 170 (Island); Cass civ Rev crit DIP 2011, 102 (Mali); OLG München v 14.7. 2009 – 12 WF 1296/09, FamRZ 2009, 2104: da das Lugano-Übereinkommen nicht für Ehesachen gilt, auch im Verhältnis zur Schweiz; Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2010, 672, 673 (Türkei); Mittal v Mittal [2013] EWCA 1255 (Civ). HR NIPR 2007, 132, 134; Hof ’s-Gravenhage NIPR 2008, 28, 29; Dilger Rn 348. EuGH Rs C-281/02 Owusu/Jackson EuGHE 2005, 1383. JKN v JCN [2010] EWHC 843 (Fam); dazu Rogerson IPRax 2010, 553. Dazu Art 64 Rn 20 ff. Borrás-Bericht Nr 54.

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und damit schwerlich einer korrigierenden Auslegung zugänglich ist. Es wird vielmehr von der Konzeption der Regelung her ohne Rücksicht auf den Streitgegenstand ein Zusammenhang fingiert.28 19 Vom hier vertretenen kritischen Standpunkt29 ist die in Art 19 Abs 1 noch nicht einmal mehr

theoretisch verwurzelte Abgrenzung zwischen gegenstandsidentischen und nicht gegenstandsidentischen Ehesachen allerdings durchaus von Interesse, weil sie Wege aufzeigen kann, den Konflikt zwischen der Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen und den Parteiinteressen de lege ferenda sinnvoller zu lösen.30 c) Anhängigkeit verschiedener Anträge 20 (1) Erfasst sind alle der VO unterfallenden Arten von Ehesachen iSd Art 1 Abs 1 lit a. Im

Verhältnis der in den Anwendungsbereich der VO fallenden Ehesachen entfaltet Abs 1 Sperrwirkung unabhängig vom Gegenstand des Verfahrens, gilt also im Verhältnis von Ehetrennung,31 Ehescheidung, Eheaufhebung und Feststellungsanträgen32 unbeschadet des jeweiligen Antragsziels.33 21 (2) Anträge auf Regelungen in anderen Familiensachen, insbesondere im Zusammenhang

mit dem Getrenntleben, fallen unabhängig davon, ob es sich um endgültige oder einstweilige Regelungen handelt, nicht unter Abs 1, weil sie nicht auf die in Abs 1 genannten Materien gerichtet sind.34 Insbesondere sind (einstweilige) Maßnahmen zur Ermöglichung des Getrenntlebens auch nicht „Anträge auf Trennung“ iSd Abs 1. 22 Versöhnungsverfahren sind als solche aus demselben Grund nicht von Abs 1 erfasst. Ihre

Einleitung als Vorschaltverfahren kann allerdings bereits die Ehesache anhängig machen und damit Art 19 Abs 1 auslösen. Dies ist aber keine Frage der Sperrwirkung des Versöhnungsverfahrens, sondern ein Problem der im jeweiligen Prozessrecht geregelten Anhängigkeit derselben Ehesache.35 28

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Wäre der in Trib Firenze, Riv dir int priv proc 2005, 737 gewählte Ansatz zutreffend, auch eine isolierte Trennungsfolgesache in den Anwendungsbereich der Brüssel II-VO zu ziehen, dann könnte mit dem abweichenden Streitgegenstand nicht mehr argumentiert werden. Oben Rn 12. Dazu Rauscher/Rauscher EuZPR1 Art 11 Brüssel II-VO Rn 13 bis 16: Im Verhältnis verschiedener Scheidungstatbestände läge jedenfalls Identität vor; auch Eheaufhebungsanträge, jedenfalls soweit sie ex nunc wirken, lassen sich im weiten Identitätsverständnis, das der EuGH zu Art 21 EuGVÜ entwickelt hat, als gegenstandsidentisch zur Ehescheidung ansehen. Hingegen ist eine Ehetrennung auch nach diesem Verständnis nicht gegenstandsidentisch zur Ehescheidung; ihre Einbeziehung in Abs 1 führt zu den bereits angesprochenen misslichen Manipulationsmöglichkeiten; eingehend und mit teilweise anderem Ergebnis Dilger Rn 330 ff. OLG Zweibrücken v 10.3.2006 – 6 WF 41/06, FamRZ 2006, 1043: früherer Ehetrennungsantrag sperrt Ehescheidungsantrag. NK-BGB/Gruber Rn 10; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 3; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 2; aA Dilger Rn 336, der – Rn 131 ff – Feststellungsklagen nicht vom Anwendungsbereich der VO erfasst sieht; Geimer/Schütze/Dilger Rn 14; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 3; Hausmann EuLF 2000/01 345, 346. Gruber FamRZ 2000, 1129, 1134. Rb Maastricht NIPR 2008, 57. IE ebenso Gruber FamRZ 2000, 1129, 1132; Dilger Rn 337.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 19 Brüssel IIa-VO

(3) Abs 1 ist nur so lange anwendbar, wie ein konkurrierendes Verfahren vor einem Gericht 23 in einem anderen Mitgliedstaat noch anhängig ist. Ist in dem anderen Mitgliedstaat eine rechtskräftige Entscheidung ergangen, was nach dem Verfahrensrecht des erstangerufenen Gerichts zu beurteilen ist,36 so bestimmt das Gericht, bei dem eine iSv Abs 1 konkurrierende Sache anhängig ist, das Verhältnis zu dem anderen Verfahren nicht mehr nach Art 19, sondern nach Art 21 ff, insbesondere nach Art 22 lit a, c, d. So kann ein nach Rechtskraft der Ehescheidung in einem anderen Mitgliedstaat noch anhängiges Ehetrennungsverfahren nur dann Fortgang nehmen, wenn die Ehescheidung nicht anerkennungsfähig ist.37 Hingegen kann ein Ehescheidungsverfahren nach rechtskräftiger Ehetrennung seinen Fortgang nehmen.38 Endet die Anhängigkeit durch Prozesshandlung (Antragsrücknahme) oder Prozessurteil, so 24 entfällt die Konkurrenzsituation iSd Art 19 ebenfalls, ohne dass an ihre Stelle ein Anerkennungskonflikt tritt. Das Verfahren vor dem später angerufenen Gericht bleibt unberührt. 2. Rechtsfolge Abs 1 – ebenso Abs 2 – schreibt iVm Abs 339 eine zweistufige Verfahrensweise vor, die nicht 25 nur den positiven Kompetenzkonflikt, sondern auch einen negativen Kompetenzkonflikt vermeidet, der entstehen könnte, wenn das später angerufene Gericht den Antrag endgültig abweisen würde, ehe feststeht, dass das früher angerufene Gericht zuständig ist. Das später angerufene Gericht hat deshalb zunächst sein Verfahren auszusetzen, um die Entscheidung über dessen Zuständigkeit dem erstangerufenen Gericht zu überlassen.40 Die Beurteilung, ob das Gericht das später angerufene ist, erfolgt gemäß Art 16,41 wobei jedes Gericht in seiner Entscheidung selbstständig ist; auch wenn das Gericht des anderen Mitgliedstaats, bei dem ein konkurrierendes Verfahren anhängig ist, sich bereits als das erstangerufene erklärt hat, bindet diese Beurteilung das andere Gericht nicht,42 selbst wenn dies dazu führt, dass beide Verfahren ihren Fortgang nehmen; insbesondere ist Abs 3 insoweit nicht einschlägig, da dort nur die Entscheidungsprärogative des (feststehend) erstangerufenen Gerichts hinsichtlich seiner im Übrigen bestehenden Zuständigkeit geregelt ist. Lässt sich die Priorität des in einem anderen Mitgliedstaat anhängigen Verfahrens nicht feststellen, insbesondere, weil beide Anträge am selben Tag bei Gericht eingegangen sind, so kann keines der Gerichte Art 19 anwenden; die von der französischen cour de cassation aufgestellte Regel, der Antragsteller müsse die Uhrzeit des Antragseingangs beweisen, wenn der Antragsgegner die Uhrzeit des Antragseingangs im parallelen Verfahren bewiesen habe,43 bedeutet eine im Ergebnis wohl nicht gerechtfertigte Verlagerung der Beweislast für die Einrede der anderweitigen 36

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Zutreffend im Verhältnis zu einer in Italien früher anhängigen separazione C v C [2010] EWHC 2676 (Fam): „Did it [the order of the Italian judge] have the effect of bringing court proceedings to an end and, therefore, terminating the seisure of the Italian court …“ DT v FL [2007] I.L.PR 20 (Irish High Court 2007). C v C [2010] EWHC 2676 (Fam). Dazu unten Rn 45 ff. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 5 f.; Gruber FamRZ 2000, 1129, 1133: vor deutschen Gerichten analog § 148 ZPO. Cass civ Bull Civ 2006 no 375, noch zu Art 11 Brüssel II-VO. Cass civ Bull Civ 2006 no 374. Cass civ JDI 2009, 587 f.

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Anhängigkeit auf den Antragsteller.44 In solch exzeptionellen Fällen müssen Parallelverfahren hingenommen werden. 26 Die Aussetzung erfolgt sodann von Amts wegen, Ermessen besteht nicht. Obgleich kein

Antrag erforderlich ist, hat jedoch das Gericht nicht von Amts wegen die Anhängigkeit von Parallelverfahren zu ermitteln. Hinweise auf konkurrierende Verfahren werden sich also in aller Regel nur aus dem Parteivortrag ergeben, was die faktische Möglichkeit eröffnet, einverständlich die Rechtsfolge des Abs 1 zu vermeiden. 3. Abweichung zwischen Rechtshängigkeitssperre und Rechtskraft 27 a) Die von Abs 1 ohne Rücksicht auf Zusammenhang und Zielidentität angeordnete Sperr-

wirkung führt dazu, dass vermehrt Anträge blockiert werden, die mit dem vor dem ersten Gericht schwebenden Antrag weder lege fori noch nach dem vom EuGH zu Art 21 EuGVÜ entwickelten weiten autonomen Streitgegenstandsbegriff (sog „Kernpunkttheorie“) identisch sind. Abs 1 setzt sich jedoch nicht in der Reichweite der materiellen Rechtskraft der späteren Entscheidung fort. Die Rechtskraftwirkungen bestimmen sich weiterhin nach der lex fori des entscheidenden (also des zuerst angerufenen) Gerichts.45 Da die durch die Anhängigkeit bewirkte Sperre mit formeller Rechtskraft der Entscheidung des erstangerufenen Gerichts endet, kann das später angerufene Gericht ab diesem Zeitpunkt das ausgesetzte Verfahren fortsetzen,46 soweit es noch nicht nach Abs 3 entschieden hat und soweit nicht die materielle Rechtskraft der anzuerkennenden Entscheidung des Erstgerichts als res judicata entgegensteht.47 Insbesondere kann ein durch ein Trennungsverfahren blockiertes ausgesetztes Scheidungsverfahren wieder aufgenommen werden, wenn das Erstgericht im Endurteil seine Zuständigkeit bejaht, aber nur die Ehetrennung ausspricht; das gilt – mangels Anerkennungsfähigkeit abweisender Urteile – selbst dann, wenn zugleich ein im Erstverfahren gestellter Hauptantrag auf Ehescheidung abgewiesen wird. 28 b) Dieses allgemein konstatierte Phänomen ist nicht nur eine „gewöhnungsbedürftige

Neuerung“,48 sondern zeigt, dass den Verfassern der VO mit Art 19 Abs 1 ein grandioser Fehlgriff unterlaufen ist: Abs 1 verfehlt sowohl teleologisch als auch rechtssystematisch die Aufgabe einer Rechtshängigkeitsnorm. Solche Normen dienen, wie gerade Art 21, 22 EuGVÜ zeigen, der Verhinderung von Anerkennungskonflikten: Soweit Entscheidungen in Vorausschau auf das Anerkennungsstadium die Gefahr von Widersprüchen heraufbeschwören, wird bereits im Stadium des Verfahrens Parallelität verhindert. Da aber die Reichweite der anzuerkennenden Wirkungen einer Entscheidung durch ihre Rechtskraft lege fori bestimmt wird, ist das Rechtshängigkeitsproblem systematisch nichts anderes als ein antizipiertes Rechtskraftproblem. Will man für Rechtshängigkeitskonflikte eine autonome Lösung schaffen, so muss diese, um alle realistisch denkbaren Konflikte der leges forum zu erfassen, zwangsläufig etwas weiter geraten als die Rechtskraftwirkungen in einzelnen Mit44

45 46 47

48

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Kritisch auch Fohrer-Dedeurwaerder JDI 2009, 588, 596, die allerdings die auch nicht gangbare Lösung über das forum non conveniens vorschlägt. Gruber FamRZ 2000, 1129, 1134; Hausmann EuLF 2000/01, 347. Gruber FamRZ 2000, 1129, 1135. Gruber FamRZ 2000, 1129, 1134; Hausmann EuLF 2000/01, 347; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 5; NK-BGB/Gruber Rn 28. Gruber FamRZ 2000, 1129, 1134; deutlich kritischer nun NK-BGB/Gruber Rn 27 ff.

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gliedstaaten. Art 22 EuGVÜ/Art 28 Brüssel I-VO gibt hierfür ein gutes Beispiel. Sie darf sich aber nicht bewußt von dem Blickwinkel der Rechtskraftwirkung lösen, will sie nicht Gefahr laufen, zum Instrument ungezielter Rechtsschutzverweigerung zu werden. c) Vor diesem Hintergrund ist es nicht verständlich, dass gerade eine VO zu einer Materie, 29 die geringes Konfliktpotential im Anerkennungsstadium bietet, eine so weit gehende Loslösung der Rechtshängigkeitswirkungen von den Rechtskraftwirkungen wählt. Da Art 21 ff aus gutem Grund nur stattgebende Entscheidungen in die Anerkennungspflicht einbeziehen, kann es a priori nur zum Konflikt zwischen Entscheidungen kommen, die eine Ehescheidung, Ehetrennung oder Eheaufhebung aussprechen. Entscheidungen, die ex tunc die Ehe auflösen oder als nicht bestehend feststellen, wären anspruchsidentisch; ebenso, als zweite Gruppe, Entscheidungen, die dies ex nunc bewirken und als dritte Gruppe solche, die nur die Rechte und Pflichten lockern, aber den Status nicht berühren. Zwischen diesen drei Gruppen hingegen besteht ein natürliches Rangverhältnis, das eine Entscheidung im Verhältnis zu einer anderen als weitergehend, nicht aber als widersprechend erscheinen lässt. Was die nicht statusrechtlichen Folgen angeht, sind diese von der VO ohnehin nicht erfasst. 30 Gerade der Konflikt zwischen Trennungsunterhalt und nachehelichem Unterhalt zeigt, dass dort zwar Widerspruchspotential besteht, das aber mit Art 28 Brüssel I-VO sowie Art 13 EG-UntVO gut zu bewältigen ist. De lege ferenda sollte dieser Missstand beseitigt und die Rechtshängigkeitssperre auf ein mit 31 der Rechtskraft kompatibles Maß zurückgenommen werden. Die Reduzierung von Abs 1 auf Verfahren, welche denselben Anspruch betreffen, würde das Problem lösen. Das Übel widersprechender Scheidungsaussprüche wäre auch durch eine streitgegenstandsorientierte Regelung beseitigt. 4. Insbesondere: Ehetrennung und Ehescheidung a) Die wenig sinnvolle Rechtslage wird besonders am Verhältnis von Ehescheidung und 32 Ehetrennung deutlich:49 In zahlreichen Fällen konkurrieren in Italien anhängige Anträge auf separazione giudiziale mit Scheidungsanträgen des anderen Ehegatten in einem anderen Mitgliedstaat.50 Ist der Trennungsantrag (zufällig) früher eingegangen, so nimmt das Verfahren in Italien seinen Fortgang51 und Abs 1 zwingt das Gericht im anderen Mitgliedstaat zur Aussetzung, Abs 3 schließlich zur Beendigung des Scheidungsverfahrens.52 Ist das separazione-Verfahren zufällig das spätere, so endet letztlich dieses über Art 1953 und das Scheidungsverfahren kann weiterlaufen. 49 50

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S zu Grundrechtsbedenken und möglichen Verstößen Pabst Rn 618 ff. Hausmann EuLF 2000/01, 346; vgl auch Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 554; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 5; Siehr in: Reichelt/Rechberger (Hrsg), Europäisches Kollisionsrecht (2004) 113, 125. Trib Milano Riv dir int priv proc 2011, 1112. OLG Zweibrücken v 10.3.2006 – 6 WF 41/06, FamRZ 2006, 1043: Ehetrennungsantrag in Polen. Cass civ Riv dir int priv proc 2005, 424, 426; Trib Belluno Riv dir int priv proc 2011, 727; erst recht in Konkurrenz zu einem in Deutschland anhängigen separazione-Verfahren Cass civ Riv dir int priv proc 2007, 198; der Umstand, dass die Ehe in einem anderen Mitgliedstaat ohne vorausgehende separazione geschieden wird, hindert nicht (unter dem Gesichtspunkt des ordre public) die Anerkennung: App

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33 Für ein in Deutschland anhängiges Scheidungsverfahren hat sich das Problem durch das

Inkrafttreten der Rom III-VO im Verhältnis zu einer in Italien anhängigen separazione nur partiell entschärft: Da deutsche und italienische Gerichte die Trennung und Scheidung nunmehr identisch anknüpfen, wäre bei italienischem Trennungs- und Scheidungsstatut ein Scheidungsantrag in Deutschland mangels dreijähriger Frist nach Ausspruch der separazione ohnehin unbegründet. Unverändert bleibt aber die Blockademöglichkeit bei deutschem Scheidungsstatut bestehen, was insbesondere für in Deutschland lebende italienische Ehegatten Bedeutung hat: Stellt ein Ehegatte gleichwohl separazione-Antrag in Italien, so ist das italienische Gericht zuständig (Art 3 Abs 1 lit b), wird aber nach geraumer Zeit in Anwendung deutschen Rechts den Antrag als unbegründet abweisen. In diesem Fall hilft Abs 3 S 2 dem mit seinem Scheidungsantrag in Deutschland an Abs 1 gescheiterten Ehegatten nur relativ: Der Scheidungsantrag gelangt über Abs 3 S 2 an ein italienisches Gericht, das ausländisches Recht anwenden muss, statt von einem Gericht entschieden zu werden, das seine materielle lex fori anwendet. Schon im Hinblick auf die Verfahrensdauer kann es sinnvoller sein, das separazione-Verfahren vor dem italienischen Gericht mit der Abweisung des Trennungsantrags enden zu lassen; sodann steht es dem an Abs 1 gescheiterten Ehegatten frei, sogleich in Deutschland erneut Scheidung zu beantragen.54 34 b) Erneut sieht sich der Rechtsanwender vor einer Situation, die dadurch entstanden ist,

dass der Glaube an die einigende Kraft von Verordnungen die Wirklichkeit überholt hat. Wie schon zu Art 355 zeigt sich, dass die Realität divergierender Kollisionsrechte, materieller Scheidungsrechte und Verfassungsverständnisse von Scheidungsfreiheit und Eheschutz nicht durch Verfahrensregeln überwunden werden kann, die vor diesen Divergenzen kapitulieren oder sie ignorieren. 35 Abs 1 bringt in dem geschilderten Fall keinen Gewinn an Verfahrensökonomie und ver-

meidet keine Anerkennungsprobleme, da es in Rechtskraft erwachsende Widersprüchlichkeiten hier ohnehin nicht hätte geben können. Abs 1 ist aber in der Hand eines Ehegatten, der die Scheidung ablehnt, ein Instrument, um durch einen Ehetrennungsantrag eine Ehescheidung für eine Weile zu blockieren. Je langwieriger die Rechtspflege des erstangerufenen Gerichts agiert, um so erfolgreicher ist diese Strategie. Am Ende ist nichts gewonnen, es beginnt ein neues Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat, der Streit der Ehegatten wird kostenträchtig perpetuiert. Wieder fehlt es, wie schon zu Art 3, an einem die Scheidung ermöglichenden Instrument des ordre public, der zwar in Art 22 lit a anerkennungsfeindlich instrumentalisiert werden kann, nicht aber scheidungsfreundlich. Es setzt sich für eine oft nicht eben kleine Weile das scheidungsfeindlichere Recht durch. Kann das wirklich gewollt sein? Wurde nicht bedacht, dass es Folgen für die Integration Europas haben muss, wenn

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Perugia Riv dir int priv proc 2012, 153, 158, insoweit ist seit Cass civ 2006/16978 geklärt, dass der italienische ordre public lediglich der Anerkennung einer Ehescheidung ohne Feststellung des Scheiterns entgegensteht. Noch bedenklicher ist die Situation bei einem Trennungsverfahren nach niederländischem Recht, weil nach Ausspruch der Trennung nur noch eine Umwandlung nach Ablauf von drei Jahren (Art 1:179 BW), aber keine selbstständige Zerrüttungsscheidung mehr möglich ist (Art 1:150 BW), so dass auch nach erfolgreichem Abschluss des Trennungsverfahrens eine Ehescheidung gesperrt bleibt, wenn sich nicht eine Zuständigkeit findet, in der die Ehescheidung einem anderen Statut unterliegt. Dort Rn 6 ff.

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schon die Aufenthaltnahme in einem anderen Mitgliedstaat eine Ehe auf Jahre hinaus unscheidbar machen kann? c) Die Praxis wird Wege finden, um zahlungskräftigen scheidungswilligen Antragstellern, 36 die sich für eine gewisse Zeit eine Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts leisten können, um § 109 Abs 1 Nr 1 iVm § 98 Abs 1 Nr 4 FamFG zu genügen, den Weg zu einer nach § 107, 109 FamFG anerkennungsfähigen Scheidung in einem auch ex parte scheidungsbereiten Drittstaat zu ebnen. An einem Rechtskraftwiderspruch iSd § 109 Abs 1 Nr 3 FamFG wird in diesen Fällen die Anerkennung nicht scheitern – denn es gibt zwischen Trennungs- und Scheidungsurteil keinen. III. Aussetzung bei konkurrierenden Verfahren zur elterlichen Verantwortung (Abs 2) 1. Voraussetzungen a) Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten Abs 2 setzt wie Abs 1 die Anhängigkeit bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten voraus. 37 Im Verhältnis zu Drittstaaten gehen der lex fori ggf die Konfliktregeln in Art 13 KSÜ vor. Im Verhältnis zu MSA-Mitgliedstaaten kann es hingegen zu Parallelverfahren, insbesondere gestützt auf Art 1 und 4 MSA, kommen. b) Identität der Person des Kindes, Anspruchsidentität (1) Parteiidentität ist in Sorgerechtssachen nicht Voraussetzung. Erforderlich ist, dass es 38 sich um Verfahren handelt, welche die elterliche Verantwortung für dasselbe Kind betreffen. Identität kann unter Parteigesichtspunkten also ausnahmsweise auch dann bestehen, wenn in verschiedenen Verfahren unterschiedliche Personen formell beteiligt sind bzw das Verfahren eingeleitet haben. ZB hat ein vom Kind eingeleitetes Umgangsverfahren denselben Gegenstand wie ein von einem Elternteil eingeleitetes, jedenfalls dann, wenn der Umgang mit demselben Elternteil betroffen ist. Sind die Parteien identisch, streiten insbesondere die Eltern über die elterliche Verantwortung zu einem Kind, so wird regelmäßig die Identität gegeben sein,56 es sei denn, es könnte beiden Anträgen stattgegeben werden, ohne dass ein Konflikt entsteht.57 (2) Erforderlich ist, anders als bei Abs 1, zusätzlich Anspruchsidentität. Der EuGH hat zu 39 Art 19 im Wesentlichen die zu Art 21 EuGVÜ entwickelten58 Grundsätze fortgeschrieben.59 Derselbe Anspruch liegt also vor, wenn die Grundlage beider Verfahren die gleiche ist; nicht notwendig ist hingegen Identität im Klageantrag und im Klagegrund, jedoch ist in den Gegenstand, der die Grundlage des Anspruchs bildet, auch das Antragsbegehren einzubeziehen.

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NK-BGB/Gruber Rn 13. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 33; denkbar wären konkurrierende Anträge auf Regelung des Umgangs mit verschiedenen Großeltern, sofern nicht die Umgangshäufigkeit zu einer Interdependenz der Anträge führt. EuGH Rs 144/86 Gubisch/Palumbo EuGHE 1987, 4861; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 4; Hausmann EuLF 2000/01, 346; Gruber FamRZ 2000, 1129, 1131. EuGH v 9.11.2010 – Rs C-296/10 Purrucker/Vallés Pérez II, FamRZ 2011, 534, 535.

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40 Denselben Anspruch betreffen damit verschiedene Verfahren zur elterlichen Verantwortung

bezüglich desselben Kindes auch dann, wenn Gegenstand die elterliche Sorge und/oder eine Umgangsregelung ist. Das gilt auch, wenn ein Amtsverfahren mit einem Antragsverfahren konkurriert.60 Hingegen ist ein Verfahren, das die Unterbringung in einer Pflegefamilie zum Gegenstand hat, mit einem von einem Elternteil angestrengten Umgangsverfahren nicht gegenstandsidentisch.61 Ebenso sind jeweils behördlich eingeleitete Unterbringungsverfahren in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten nicht gegenstandsidentisch.62 Anträge zu verschiedenen Kindern haben hingegen immer unterschiedliche Ansprüche zum Gegenstand. 40a Auf das Verhältnis eines Verfahrens zur Regelung der elterlichen Sorge und eines Verfahrens

auf Rückgabe eines Kindes nach dem HKindEntfÜbk in einem anderen Mitgliedstaat ist Abs 2 nicht anzuwenden, da es sich bei dem Rückgabeverfahren nicht um ein Verfahren zur Regelung der elterlichen Verantwortung handelt.63 41 (3) Identität einer Ehesache mit einem Verfahren zur elterlichen Verantwortung besteht

dagegen nicht.64 Allerdings kann Identität zwischen einem isolierten Sorgerechtsverfahren und einem im Verbund mit einer Ehesache anhängig gemachten Sorgerechtsverfahren in einem anderen Mitgliedstaat oder zwischen zwei Ehesachen, in denen jeweils auch Sorgerechtsanträge gestellt sind,65 bestehen, die hinsichtlich der Sorgerechtsverfahren nach Abs 2 zu behandeln ist. Da nach Art 8 für Entscheidungen über die elterliche Verantwortung auch bei Anhängigkeit einer Ehesache die Gerichte des gewöhnlichen Aufenthaltsstaates zuständig sind/bleiben und nach Art 12 eine Verbundzuständigkeit – anders als nach Art 3 Abs 1 Brüssel II-VO66 – nicht mehr automatisch, sondern nur bei Einverständnis der Ehegatten bzw Eltern eintritt, hat ein früher eingeleitetes isoliertes Sorgerechtsverfahren jedoch nach Art 19 Abs 2 Vorrang.67 42 Schwierigkeiten in Anwendung von Art 19 Abs 2 können sich gleichwohl weiterhin ergeben,

wenn sich die Zuständigkeit eines Gerichts für die zunächst selbstständige Sorgerechtssache nur aus Art 12 ergibt, also erst entsteht, nachdem die Ehesache eingeleitet wurde. In solchen Fällen kann es auch unter der neuen VO an der Anwendbarkeit der VO gefehlt haben (Kind in einem Drittstaat); jedenfalls kann hier nicht für die Anrufung des Gerichts iSd Art 16 auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung in der Ehesache abgestellt werden, wenn erst diese Anrufung eine Zuständigkeit für die Sorgerechtssache geschaffen hat.68 Das zweitangerufene 60 61 62

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66 67 68

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Gruber FamRZ 2000, 1129, 1134; NK-BGB/Gruber Rn 13. OLG München 30.6.2005 (4 UF 233/05) juris. Tower Hamlets London Borough Council v MK, SK, KK, WK & AK [2012] EWHC 426 (Fam); A v B [2011] EWHC 2752 (Fam). EuGH v 22.12.2010 – Rs C-497/10 PPU Mercredi/Chaffe IPRax 2012, 340, 344; Re C [2012] EWHC 907; aA wohl Rb ’s-Gravenhage NIPRE 2011, 346, 347; EuGH v 9.10.2014 – Rs C-376/14 PPU C/A Rn 40. So die Vorinstanz zu Cass civ Riv dir int priv proc 2007, 198; die Frage ist im italienischen Prozessrecht danach nicht rekursfähig. App Bruxelles Rev trim dr fam 2013, 617, 624: Italienisches separazione-Verfahren, belgisches Ehescheidungsverfahren, jeweils Sorgerechtsregelung aus Anlass des Getrenntlebens beantragt. Dazu OLG Karlsruhe v 16.8.2003 – 18 UF 171/02, FamRZ 2005, 287. Anders unter Art 3 Abs 1 Brüssel II-VO, vgl Frank FamRZ 2005, 289. So noch zu Art 3 Abs 2 Brüssel II-VO OLG Karlsruhe v 16.8.2003 – 18 UF 171/02, FamRZ 2005, 287; hiergegen schon unter Art 3 Brüssel II-VO Gruber IPRax 2004, 507, 508.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 19 Brüssel IIa-VO

Gericht hat sich der Prüfung der Zuständigkeit des erstangerufenen Gerichts zu enthalten, muss also formal entscheiden, welches Gericht iSd Art 16 „zuerst angerufen“ ist. Jedoch muss das formal erstangerufene Gericht in diesem Fall seine erst später entstandene Zuständigkeit ablehnen.69 Der Zweck des Art 19 wird damit nicht verletzt,70 denn der Antragsteller, der im falschen Gerichtsstand schneller ist, kann nicht auf seinen Vorrang vertrauen.71 (4) Ist das zuerst angerufene Gericht eines Mitgliedstaats nur zum vorläufigen Rechts- 43 schutz nach Art 20 angerufen, so steht Abs 2 dem Fortgang des Verfahrens vor einem später angerufenen, in der Hauptsache zuständigen Gericht nicht entgegen; dieses Gericht kann sowohl einstweilige, als auch endgültige Regelungen treffen.72 Einstweilige Regelungen sind schon wegen ihrer Vorläufigkeit mit Hauptsacheverfahren nicht nach Abs 2 anspruchsidentisch.73 Ist hingegen das erstangerufene Gericht in der Hauptsache zuständig, hat aber zunächst nur eine einstweilige Maßnahme erlassen, so muss grundsätzlich Art 19 Anwendung finden.74 Da aber nach Art 19 nur das erstangerufene Gericht seine (Hauptsache-)Zuständigkeit zu beurteilen hat, ergibt sich hieraus eine Spannung, wenn das Gericht im Zusammenhang der einstweiligen Maßnahme sich nicht eindeutig (nur) auf Art 20 gestützt hat. Nach Ansicht des EuGH75 ist im Einzelfall zu prüfen, ob bei dem zuerst angerufenen Gericht, wenn es seine Zuständigkeit nicht ausdrücklich (nur) auf Art 20 stützt, zugleich ein Antrag in der Hauptsache anhängig ist und in Betracht kommt, dass dieses Gericht auch hierfür nach der Verordnung zuständig ist. Insoweit nimmt der EuGH eine Beibringungslast des Beteiligten an, der sich auf anderweitige Rechtshängigkeit beruft: Bringt dieser nicht innerhalb einer unter Berücksichtigung des Kindeswohls, insbesondere des Alters des Kindes, angemessenen Frist Angaben zum Inhalt des bei dem erstangerufenen Gericht anhängigen Antrags vor, so setzt das zweitangerufene Gericht sein Verfahren fort,76 geht also davon aus, dass bei dem erstangerufenen Gericht nur eine einstweilige Maßnahme und damit nicht derselbe Gegenstand anhängig ist. Diese Ansicht dürfte wegen des Beurteilungsvorrangs des erstangerufenen Gerichts für seine Zuständigkeit zutreffend sein, verzögert aber ggf das Verfahren vor dem später angerufenen Hauptsachegericht.77 Hingegen hängt die spiegelbildliche Frage, ob ein später angerufenes Gericht seine im Rahmen des Art 20 bestehende Zuständigkeit zum Erlass einstweiliger Maßnahmen noch nutzen kann, wenn bereits früher ein Hauptsacheverfahren in einem anderen Mitgliedstaat eingeleitet ist, nicht von Erwägungen ab, die mit Abs 2 zu tun haben, sondern ist danach zu beurteilen, ob solche Maßnahmen noch erforderlich sind.78 69 70 71

72

73 74 75 76 77 78

So letztlich OLG Karlsruhe v 16.8.2003 – 18 UF 171/02, FamRZ 2005, 287. So aber Gruber IPRax 2004, 507, 508. Vgl auch Art 3 Rn 42 für den Fall des erst im anhängigen Verfahren erworbenen gewöhnlichen Aufenthalts in Ehesachen, ebenso Art 8 Rn 9 in Sorgerechtssachen. EuGH v 9.11.2010 – Rs C-296/10 Purrucker/Vallés Pérez II, FamRZ 2011, 534, 536; OGH iFamZ 2010, 118; App Bruxelles Rev trim dr fam 2013, 263, 270; Rb Maastricht NIPR 2007, 381, 282. Gruber FamRZ 2000, 1129, 1134. Cass civ Riv dir int priv proc 2010, 474; Feraci Riv dir int priv proc 2011, 107, 118. EuGH v 9.11.2010 – Rs C-296/10 Purrucker/Vallés Pérez II, FamRZ 2011, 534, 536. EuGH v 9.11.2010 – Rs C-296/10 Purrucker/Vallés Pérez II, FamRZ 2011, 534, 536. Feraci Riv dir int priv proc 2011, 107, 117. A v B [2011] EWHC 2752 (Fam) zur Zurückhaltung mahnend; trib Varese Riv dir int priv proc 2011, 743, 745.

Thomas Rauscher

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Art 19 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

2. Rechtsfolge 44 Die Rechtsfolge des Abs 2 ist identisch zu der des Abs 1;79 das später angerufene Gericht setzt

das Verfahren aus und verfährt ggf nach Abs 3 weiter.80 Eine Anregung an die Parteien, das Verfahren vor dem erstangerufenen Gericht durchzuführen,81 ist nicht vorgesehen; da das zweitangerufene Gericht die Zuständigkeit des erstangerufenen nicht zu beurteilen hat, kann es in diesem Stadium des Verfahrens insbesondere nicht die Verfahrensweise nach Abs 3 S 2 anregen. IV. Unzuständigerklärung durch das spätere Gericht (Abs 3) 1. Feststehen der Zuständigkeit des Erstgerichts (Abs 3 S 1) 45 a) Abs 3 regelt den zweiten Schritt des Verfahrens vor dem zweitangerufenen Gericht, das

nach Abs 1 oder Abs 2 das Verfahren ausgesetzt hat, zu Art 27 Abs 2 Brüssel I-VO entsprechend. Erst wenn feststeht, dass das erstangerufene Gericht die Zuständigkeit annimmt, besteht kein Risiko eines negativen Kompetenzkonflikts mehr, so dass sodann der beim zweitangerufenen Gericht anhängige Antrag abgewiesen wird.82 Ehe die Zuständigkeit des erstangerufenen Gerichts feststeht, kommt eine Unzuständigerklärung, somit eine Abweisung des Antrags, beim zweiten Gericht nicht in Betracht.83 46 b) Die Zuständigkeit des erstangerufenen Gerichts steht fest, wenn hierüber formell

rechtskräftig durch das erstangerufene Gericht entschieden ist;84 dies kann durch Zwischenurteil über die Zulässigkeit oder auch erst durch Endurteil zusammen mit der Hauptsacheentscheidung erfolgen. Zu einem früheren Zeitpunkt bestünde noch das Risiko eines späteren Prozessurteils mangels Zuständigkeit.85 Die Prüfung der Zuständigkeit obliegt allein dem erstangerufenen Gericht; ob es seine Zuständigkeit nach der VO oder (zutreffend oder nicht) lege fori bejaht, ist aus Sicht des zweitangerufenen Gerichts ohne Bedeutung86 und kann von dort aus nicht korrigiert werden. 47 c) Als Rechtsfolge erklärt sich das zweitangerufene Gericht zugunsten des zuerst angeru-

fenen für unzuständig.87 Dies ist, wie zu Art 27 Abs 2 Brüssel I-VO, nicht als eine gerichtete Verfahrensentscheidung im Sinn einer Verweisung zu verstehen, sondern beschreibt lediglich den Hintergrund der Unzuständigerklärung. Es ist also der lege fori für den Fall der Unzuständigkeit vorgesehene Entscheidungstypus zu erlassen. Die Unzuständigerklärung bezieht sich nur auf die Ehesache selbst. Sieht das nationale Recht für Folgesachen eine Zuständigkeit zur Führung als isolierte Familiensachen vor, so ist ebenfalls nach nationalem Recht zu entscheiden, wie sich die Führung des Scheidungsverfahrens vor dem erstangeru79 80 81 82 83 84 85 86 87

242

Oben Rn 25 f. Sogleich Rn 45 ff. So Rb Maastricht NIPR 2007, 258, 259. Trib Belluno Riv dir int priv proc 2011, 727. OGH iFamZ 2010, 118; OLG Karlsruhe v 6.5.2011 – 5 WF 79/11, FamRZ 2011, 1528. OGH iFamZ 2010, 118. Gruber FamRZ 2000, 1129, 1133; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 6. Dilger Rn 347. OLG Hamm NJW-Spezial 2005, 443.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 19 Brüssel IIa-VO

fenen Gericht auf die Führung der Folgesachen vor dem zweitangerufenen Gericht auswirkt.88 Dies gilt jedoch nicht für Ehegatten- oder Kindesunterhalt als Folgesache, da insoweit die Rechtshängigkeitsregeln in Art 12 ff EG-UntVO anwendbar sind. Gleichwohl kann es auch insoweit zu einer Weiterführung kommen, wenn die Unterhaltssache vor dem in der Ehesache erstangerufenen Gericht noch nicht anhängig war. d) Auch diese Entscheidung ergeht von Amts wegen. Das zweitangerufene Gericht hat 48 grundsätzlich kein Ermessen. Dass der abzuweisende Antrag vor dem zuerst angerufenen Gericht aus kollisionsrechtlichen Gründen absehbar erfolglos sein wird, so dass auch eine Verlagerung nach Abs 3 S 2 nichts hilft, hindert die Unzuständigerklärung ebenso wenig wie es die vorgelagerte Aussetzung hindert.89 Das Dilemma, ein Verfahren zu beenden, obgleich im konkurrierenden Verfahren das Rechtsschutzziel nicht erreichbar ist,90 findet in Abs 3 S 1 seinen konsequenten, wenngleich nicht sinnhaften Abschluss. Auch eine negative Anerkennungsprognose kann das später angerufene Gericht der Regelung nicht entgegensetzen; der Umstand, dass die vom erstangerufenen Gericht zu fällende Entscheidung absehbar gegen den ordre public des Mitliedstaates des zweitangerufenen Gerichts verstoßen wird, gestattet diesem nicht die Fortsetzung seines Verfahrens.91 Primär muss versucht werden, Anerkennungshindernisse im noch anhängigen Verfahren vor dem erstangerufenen Gericht auszuräumen. Resultiert aus dem Anerkennungshindernis letztlich eine hinkende Ehescheidung, so muss ggf nach Abschluss des ersten Verfahrens ein erneuter Antrag im Mitgliedstaat des zweitangerufenen Gerichts gestellt werden. Eine überlange Verfahrensdauer oder Prozessverschleppung vor dem erstangerufenen 49 Gericht hindert die Abweisung nur dann, wenn dadurch in rechtsstaatswidriger Weise, insbesondere unter Verstoß gegen Art 6 Abs 1 EMRK, der Rechtsschutz des Antragstellers vor dem Zweitgericht beschnitten wird.92 Angesichts der erheblichen persönlichen Betroffenheit in Statussachen sollte dies erheblich früher anzunehmen sein als in Fällen der Verschleppung schuldrechtlicher Ansprüche, insbesondere solange diese nicht existentielle Ausmaße annehmen. Hiergegen das Postulat der „Gleichwertigkeit der Rechtspflege“ anzuführen,93 ist bestenfalls eine petitio principii. Wenn das Gericht eines Mitgliedstaates effektiven Rechtsschutz in concreto nicht vermittelt, helfen europäische Glaubensbekenntnisse nicht weiter.94 Ein gegenüber Art 12 EMRK verfeinertes, an Art 6 Abs 1 GG orientiertes und zu Art 9 EU-Grundrechtecharta zu entwickelndes Grundrechtsverständnis95 hätte vor allem das Interesse an einer Wiederverheiratung, insbesondere bei Geburt eines Kindes aus einer neuen Beziehung, zu berücksichtigen.96

88 89 90 91 92 93 94 95 96

OLG Hamm NJW-Spezial 2005, 443 noch zu § 626 Abs 2 aF ZPO. Borrás-Bericht Nr 57. Dazu oben Rn 32 ff. AA CA Perugia Riv dir int priv poroc 2012, 153, 158. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 6; im Einzelnen Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 25; Dilger Rn 355 f. Vgl Dilger Rn 355. S daher den Änderungsvorschlag bei Pabst Rn 634. Vgl dazu Art 3 Rn 9. Letztlich zustimmend auch Dilger Rn 356.

Thomas Rauscher

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Art 19 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

2. Vorlegung des Antrags beim Erstgericht (Abs 3 S 2) 50 a) Abs 3 S 2 erlaubt dem Antragsteller, der den Antrag bei dem später angerufenen Gericht

gestellt hat, diesen Antrag dem Erstgericht vorzulegen. Dies setzt jedenfalls voraus, dass das zweitangerufene Gericht bereits gemäß Abs 3 S 1 entschieden, also den Antrag als unzulässig abgewiesen hat;97 das entspricht nicht nur dem systematischen Zusammenhang zwischen Abs 3 S 1 und 2, sondern vermeidet auch eine doppelte Rechtshängigkeit identischer Anträge. 51 b) Diese Verlagerung des Antrags an das erstangerufene Gericht ist keine Verweisung, sie

erfolgt nicht durch das zweitangerufene Gericht, sondern steht im Belieben des dort abgewiesenen Antragstellers. 52 Ob diese Vorschrift im Übrigen lediglich die Selbstverständlichkeit bestätigt, dass der An-

trag durch ein Prozessurteil nicht verbraucht ist, oder ob Abs 3 S 2 über Zulässigkeitsvoraussetzungen vor dem Erstgericht hinweghilft, ist unklar. 53 c) Abs 3 S 2 begründet nicht die Zuständigkeit des erstangerufenen Gerichts für den

verlagerten Antrag.98 Die Bestimmung ist insbesondere systematisch nicht den Zuständigkeitsregeln zugeordnet.99 Die Zuständigkeit ist also gemäß Art 3 bis 7 bzw Art 8 bis 13 zu beurteilen, sie wird sich jedoch für Anträge in Ehesachen zumindest aus Art 5 (Gegenantrag) ergeben, nachdem das Gericht seine Zuständigkeit für den Hauptantrag bereits formell rechtskräftig (Abs 3 S 1) bejaht hat.100 Für Verfahren zur elterlichen Verantwortung (vgl Abs 2) kann es jedoch durchaus an der Zuständigkeit des Erstgerichts fehlen. 54 d) Ob Abs 3 S 2 die im allgemeinen lege fori zu beurteilenden übrigen Zulässigkeitsvoraus-

setzungen verdrängt, insbesondere Fristen und Präklusionsregeln überwindet oder gar die Antragsverlagerung noch während der Anhängigkeit in einer höheren Instanz eröffnet, ist strittig.101 Teils wird Abs 3 S 2 keinerlei derartige Bedeutung beigemessen.102 Nach den Materialien103 soll hingegen Abs 3 S 2 jederzeit anwendbar sein, selbst wenn einer Anwendung von Art 5 die Versäumung von Fristen entgegenstünde. Das legt die Annahme nahe, dass die Verfasser der Bestimmung mehr als eine deklaratorische Wirkung beigeben wollten. Ohne Bruch mit der lex fori lässt sich aber eine umfassende Verdrängung von Zulässigkeitsregeln dergestalt, dass die Zulässigkeit vor dem zweitbefassten Gericht bei Verlagerung des Antrags konserviert wird,104 nicht verwirklichen. Insbesondere erscheint es 97 98

99 100

101 102 103 104

244

Borrás-Bericht Nr 55; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 7; krit dazu Pabst Rn 616 f. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 26; Hausmann EuLF 2000/01, 347; Geimer/Schütze/Dilger Rn 48; aA Schack RabelsZ 65 (2001) 615, 626. Borrás-Bericht Nr 55. Gruber FamRZ 2000, 1129, 1134; Hausmann EuLF 2000/01, 347; unklar Borrás-Bericht Nr 55; der Gegenantrag kann allerdings angesichts einer anderen Kollisionsrechtsanwendung beim Erstgericht unbegründet sein. Unentschieden Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 7. Vogel MDR 2000, 1049. Borrás-Bericht Nr 55. So Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 26.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 19 Brüssel IIa-VO

nicht sinnvoll, über Abs 3 S 2 die Zulässigkeit in einer höheren Instanz zu eröffnen,105 die sich lege fori nicht mehr sachgerecht mit dem Antrag befassen kann. Andererseits kann Abs 3 S 2 ein zweckentsprechender, mit dem Wortlaut kompatibler Sinn dahingehend gegeben werden, dass solche Bestimmungen der lex fori dem verlagerten Antrag nicht entgegengehalten werden können, die lediglich seine spätere Geltendmachung betreffen. Das schließt neben Fristen106 auch Verspätungsvorschriften ein,107 was freilich einander übel wollenden Parteien ein neues Betätigungsfeld für unsinnige Prozessverschleppung, in diesem Fall en revanche, eröffnet. e) Kaum zweifelhaft dürfte sein, dass eine kollisions- oder materiellrechtliche Bindung 55 des erstangerufenen Gerichts nicht besteht. Zwar wäre es ein höchst interessanter Gedanke, das durch Abs 1 ausgelöste Dilemma widerstreitender Trennungs- und Scheidungsanträge108 dadurch zu lösen, dass das Erstgericht an die kollisionsrechtliche Beurteilung des Falles nach der lex fori des Zweitgerichts gebunden und damit eine potentielle Begründetheit des (weitergehenden) Antrags vor dem später angerufenen Gericht konserviert würde.109 Dieser gleichermaßen scheidungsfreundliche Integrationsschritt, mit dem Verfahrenskonzentration ohne Rechtsverweigerung erreichbar wäre, lässt sich jedoch de lege lata nicht durch Auslegung des Abs 3 S 2 vollziehen.110 Abs 3 S 2 ist also regelmäßig kein Instrument, um eine Blockade durch Anhängigmachen eines Antrags mit einem weniger weit gehenden Anspruch zu verhindern;111 die Antragsverlagerung ist in der Praxis nur sinnvoll, wenn der Antrag vor dem erstangerufenen Gericht Erfolgsaussicht hat.112 3. Verfahren bei Unzuständigkeit oder nach Abweisung durch das Erstgericht a) Erklärt sich das erstangerufene Gericht formell rechtskräftig für unzuständig, so endet 56 die Sperrwirkung nach Abs 1 bzw Abs 2. Das zweitangerufene Gericht hat von Amts wegen sein Verfahren fortzusetzen.113 b) Dasselbe gilt, wenn das erstangerufene Gericht sich zwar für zuständig erklärt, aber den 57 Antrag als unbegründet abweist. Insbesondere in Fällen, in denen die Entscheidung über die Zuständigkeit erst mit der Endentscheidung getroffen wird, ist in diesem Fall kein Raum für eine Unzuständigerklärung des zweitangerufenen Gerichts nach Abs 3 S 1. Die abweisende Entscheidung ist nicht nach Art 21 ff anzuerkennen und steht daher der Fortführung des Verfahrens vor dem zweitangerufenen Gericht nicht entgegen.114

105 106 107 108 109 110 111 112 113 114

So aber Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 26. Gruber FamRZ 2000, 1129, 1134; Hausmann EuLF 2000/01, 347; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 26. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 26; wohl auch Borrás-Bericht Nr 55. Dazu oben Rn 32 ff. Vgl dazu Ancel/Watt Rev crit dip 2001, 430. Geimer/Schütze/Dilger Rn 50. Anders Gruber FamRZ 2000, 1129, 1134; zutreffend nunmehr NK-BGB/Gruber Rn 26. Hausmann EuLF 2000/01, 347. Gruber FamRZ 2000, 1129, 1135; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 9. Gruber FamRZ 2000, 1135; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 9.

Thomas Rauscher

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Art 20 Brüssel IIa-VO

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58 Hatte die Sperrwirkung weiter gereicht als die Rechtskraft einer stattgebenden Entschei-

dung vor dem erstangerufenen Gericht, so ist ebenfalls eine Fortsetzung des zweiten Verfahrens möglich.115 4. Späteres Verfahren im Zweitstaat 59 Einem späteren erneuten Verfahren vor dem später angerufenen Gericht steht die Sperr-

wirkung der Abs 1, 2 nicht entgegen, wenn das Verfahren vor dem erstangerufenen Gericht rechtskräftig abgeschlossen ist. Liegt eine anerkennungsfähige stattgebende Entscheidung des erstangerufenen Gerichts vor, so steht diese nur in den Grenzen ihrer Rechtskraft einem weiteren Verfahren entgegen.116 5. Verstoß des Zweitgerichts gegen Art 19 (Abs 2) als Anerkennungshindernis 60 Beachtet das als zweites angerufene Gericht seine Verpflichtung zur Aussetzung, ggf zur

Unzuständigerklärung nicht, sondern bringt das Verfahren mit einer Sachentscheidung zum Abschluss, so stellt sich die Frage, ob diese Entscheidung in anderen Mitgliedstaaten nach Art 21 ff anzuerkennen ist. Nach dem Wortlaut der Art 22, 23 ergibt sich aus der Nichtbeachtung der anderweitigen Anhängigkeit kein Anerkennungshindernis; nach Art 22 lit c, d und Art 23 e, f hindern lediglich entgegenstehende Entscheidungen unter den dort unterschiedlich geregelten Prioritätsvoraussetzungen die Anerkennung. Der EuGH117 hat jedoch, ohne diese Problematik auch nur anzusprechen, statuiert, dass ein Verstoß gegen Art 19 Abs 2 dazu führe, dass die durch das später angerufene Gericht erlassene sorgerechtliche Entscheidung keine Auswirkungen auf Entscheidungen in einem anderen Mitgliedstaat in zuvor eingeleiteten sorgerechtlichen Verfahren habe. Dies dürfte jedenfalls für den Anwendungsbereich der elterlichen Verantwortung (Abs 2) dahin zu verstehen sein, dass der EuGH praeter legem ein Anerkennungshindernis annimmt.118

Artikel 20: Einstweilige Maßnahmen einschließlich Schutzmaßnahmen (1) Die Gerichte eines Mitgliedstaats können in dringenden Fällen ungeachtet der Bestimmungen dieser Verordnung die nach dem Recht dieses Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich Schutzmaßnahmen in Bezug auf in diesem Staat befindliche Personen oder Vermögensgegenstände auch dann anordnen, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache gemäß dieser Verordnung ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats zuständig ist. (2) Die zur Durchführung des Absatzes 1 ergriffenen Maßnahmen treten außer Kraft, wenn das Gericht des Mitgliedstaats, das gemäß dieser Verordnung für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig ist, die Maßnahmen getroffen hat, die es für angemessen hält. I.

115 116 117 118

246

Einstweilige Maßnahmen – Reichweite 1. Abweichungen von Art 31 Brüssel I-VO 1

2. Einstweilige Maßnahmen – Vorübergehende Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Dazu oben Rn 27. Borrás-Bericht Nr 57; Gruber FamRZ 2000, 1134; dazu oben Rn 27. EuGH v 22.12.2010 – Rs C-497/10 PPU Mercredi/Chaffe IPRax 2012, 340, 344. Re C [2012] EWHC 907 (Fam); Dutta/Schulz ZEuP 2012, 526, 538.

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Kapitel II: Zuständigkeit

II.

3. Gegenstand im Anwendungsbereich der VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 4. Dringlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Außerordentliche Zuständigkeit (Abs 1) 1. Zuständigkeiten lege fori . . . . . . . . . . . . . . . 17 2. Verhältnis zu völkervertraglichen Übereinkommen und anderem EG-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 3. Einschränkung auf Personen und Güter im Gerichtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Art 20 Brüssel IIa-VO III. IV.

Räumliche Wirkungsbeschränkung – Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Zuständigkeit und Vorrang der Hauptsachegerichte (Abs 2) 1. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Vorrang des mit der Hauptsache befassten Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3. Außerkrafttreten (Abs 2) . . . . . . . . . . . . . . . 27 4. Information des Hauptsachegerichts 30

I. Einstweilige Maßnahmen – Reichweite 1. Abweichungen von Art 31 Brüssel I-VO a) Art 20 – dessen Abs 1 aus Art 12 Brüssel II-VO übernommen wurde – entspricht in 1 seiner Funktion Art 31 Brüssel I-VO, der unverändert aus Art 24 EuGVÜ übernommen wurde. Die (ausschließlichen) Zuständigkeiten nach der VO sollen ausdrücklich den lege fori vorgesehenen vorläufigen Eilmaßnahmen nicht entgegenstehen. Art 20 begründet keine Zuständigkeit in der Hauptsache, sondern stellt lediglich klar, dass Gerichte in einem Mitgliedstaat unter bestimmten Voraussetzungen Schutzmaßnahmen auch treffen können, wenn sie nicht in der Hauptsache nach der VO zuständig sind.1 Bei Schaffung von Art 12 Brüssel II-VO (nun Abs 1) wurde von Innovationen zur Berei- 2 nigung der Auslegungsprobleme zu Art 24 EuGVÜ Abstand genommen;2 gleichwohl unterscheidet sich die vorliegende Regelung in zwei Aspekten ausdrücklich von Art 31 Brüssel I-VO. Aufgrund einiger sibyllinischer Passagen im Bericht von Borrás3 werden zudem deutlich von Art 31 Brüssel I-VO abweichende Auslegungen vertreten. b) Art 20 Abs 1 beschränkt sich ausdrücklich auf dringende Fälle.4 Dieser Unterschied im 3 Wortlaut dürfte allerdings nicht als weitere Einschränkung gegenüber Art 31 Brüssel I-VO zu verstehen sein, sondern eher gewährleisten, dass die Reichweite in etwa mit der dortigen übereinstimmt.5 Es genügt also insbesondere in Sorgerechtssachen eine Gefährdung des Kindeswohls; ein schwerer Schaden6 muss nicht drohen.7 Als Ausnahmeregelung zu den Hauptsachezuständigkeiten ist die Bestimmung jedoch grundsätzlich eng auszulegen.8

1

2 3 4 5 6 7 8

EuGH v 15.7.2010 – Rs C-256/09 Purrucker/Vallés Pérez I, FamRZ 2010, 1521; OLG Karlsruhe v 12.11. 2013 – 5 UF 139/11, FamRZ 2014, 1565. Borrás-Bericht Nr 58. Ancel/Watt Rev crit dip 2001, 427. Borrás-Bericht Nr 58; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 2; Kennett ICLQ 48 (1999) 470. Näher unten Rn 15. So aber EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843. Pirrung IPRax 2011, 50, 54; Wright [2012] IFL 281, 282: „necessary in the interest of the child’s welfare“. EuGH Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466, 1471 Rn 130; Hof ’s-Gravenhage NIPR 2013, 45.

Thomas Rauscher

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Art 20 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

4 c) Klärungsbedürftig ist die Auswirkung der ausdrücklichen Beschränkung auf Personen

und Güter im Gerichtsstaat. Ausweislich des Berichts9 ist diese Einschränkung als Kompensation für eine dort vermutete Weite des Maßnahmenkatalogs gedacht. Während die Maßnahmen nach Art 31 Brüssel I-VO extraterritorial wirken, aber unstrittig nur Materien betreffen, die in den Anwendungsbereich der Brüssel I-VO fallen, soll Art 20 Abs 1 die extraterritoriale Wirkung beschränken, aber vielfältige Maßnahmen ermöglichen, die nicht notwendig in den Anwendungsbereich der VO fallen. Ob diese einigermaßen rätselhafte Interpretation im Bericht zutrifft, erscheint sowohl hinsichtlich der materiellen Reichweite10 als auch hinsichtlich der räumlichen Wirkung11 zweifelhaft. Der EuGH sieht die räumliche Beschränkung durchaus konkret bezogen auf die von einer Maßnahme betroffenen Personen.12 4a Erheblich größere Probleme als unter Art 31 Brüssel I-VO wirft angesichts der Häufigkeit

von einstweiligen Sorgerechtsmaßnahmen das Verhältnis zu Hauptsacheverfahren auf. Art 20 ist als Ausnahmezuständigkeit im Verhältnis zu Art 8 konzipiert und wendet sich an ein sonst nicht zuständiges Gericht. Jedoch wurde hierbei nicht bedacht, dass in Sorgerechtssachen auch das in der Hauptsache zuständige Gericht häufig zunächst eine einstweilige Regelung trifft, für die die Einschränkungen des Art 20 nicht ohne weiteres gelten.13 Dies berührt den Umfang der unter Art 20 zulässigen Maßnahmen in Abgrenzung gegen endgültige,14 die Dringlichkeit15 sowie das Verhältnis der Zuständigkeit aus Art 20 zur Hauptsachezuständigkeit (Art 3 ff, 8 ff)16. Überdies stellen sich die Fragen des Rechtshängigkeitseinwands im Verhältnis von auf einstweilige Maßnahmen zielenden Verfahren (Art 19),17 sowie der Anerkennung von einstweiligen Maßnahmen im System der Anerkennungsvorschriften (Art 21 ff).18 2. Einstweilige Maßnahmen – Vorübergehende Art 5 a) Der Begriff der einstweiligen Maßnahmen unter Einschluss von Sicherungsmaßnah-

men ist autonom zu bestimmen, wobei ergänzend auf die Rechtsprechung zu Art 24 EuGVÜ zurückgegriffen werden kann.19 Art 20 bestimmt autonom lediglich drei den Anwendungsbereich beschränkende kumulative Anforderungen, die an eine solche Maßnahme zu stellen sind, um sie unter Art 20 anordnen zu können. Danach müssen die Maßnahmen dringend sein, Personen oder Vermögensgegenstände in dem Staat betreffen, in dem das Gericht seinen Sitz hat und sie müssen vorübergehender Art sein.20

9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

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Borrás-Bericht Nr 58. Unten Rn 9 ff. Unten Rn 23 ff. Insbesondere EuGH v 23.12.2009 – Rs C-403/09 PPU Detiček/Sgueglia, IPRax 2011, 190; unten Rn 21. Pirrung IPRax 2011, 50, 54. Unten Rn 5 ff. Unten Rn 15 ff. Unten Rn 25. Dazu Art 19 Rn 43. Unten Rn 24. Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 579. EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843; Pirrung IPRax 2011, 50, 54.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 20 Brüssel IIa-VO

Einstweilig sind alle Maßnahmen, die dem Antragsteller nur einen vorläufigen Rechts- 6 schutz gewähren sollen.21 Dies setzt freilich dem Katalog von einstweiligen Maßnahmen im nationalen Recht der Mitgliedstaaten keine engen Grenzen. Der EuGH hat unter Brüssel I den Begriff insoweit eingeschränkt, als eine Maßnahme, die bereits auf die vorläufige Erbringung einer Leistung gerichtet ist, nur dann unter Art 24 EuGVÜ fällt, wenn die Rückzahlung für den Fall des Obsiegens des Verpflichteten in der Hauptsache gesichert ist.22 Soweit solche Maßnahmen im Anwendungsbereich des Art 20 überhaupt vorstellbar sind,23 ist diese Einschränkung zu übernehmen. b) Im Anwendungsbereich von Art 20 misst der EuGH der vorübergehenden Art der 7 Maßnahme eigenständige tatbestandliche Bedeutung bei. Da sich die Art der Maßnahme jeweils aus dem nationalen Recht ergibt,24 muss sich auch ihre Bindungswirkung und damit ihre vorübergehende Natur unmittelbar aus dem angewendeten nationalen Recht ergeben.25 Dies bedeutet jedoch nicht zwingend, dass die Maßnahme von vornherein zeitlich begrenzt ist,26 solange sie nur ihrer Natur nach keine endgültige, insbesondere unumkehrbare, Regelung darstellt. Insbesondere ergibt sich aus Abs 2, dass die Beendigung einer – auch unbefristeten einstweiligen Maßnahme – durch eine Regelung seitens des in der Hauptsache zuständigen Gerichts immer möglich ist.27 Dieses Kriterium ist allerdings in Sorgerechtssachen wenig abgrenzungsgeeignet; anders 7a als die Erbringung einer einmaligen (vermögensrechtlichen) Leistung ist die Gestaltung von Sorge- und Umgangsrecht materiell immer in dem Sinne vorläufig, dass sie im zeitlichen Kontinuum einer Abänderung für die Zukunft zugänglich ist und sie ist materiell immer in dem Sinne endgültig, als eine Rückabwicklung in der Vergangenheit nicht möglich ist. So kann sich insbesondere eine Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil, die materiell durchaus umfassend erscheint, im Entscheidungstypus als vorläufig oder als endgültig charakterisieren. Die vermeintlich klare Grenze zwischen endgültiger28 und vorläufiger Sorgerechtsregelung verschwimmt daher.29 Eine besondere Bedeutung hat insoweit die Dringlichkeit30 der Maßnahme, die nicht nur eine qualitative, sondern auch ein quantitative Einschränkung bewirkt. Dringlich und damit unter Art 20 zulässig, wird kaum eine (vorübergehende) Vollübertragung der elterlichen Sorge sein, wenn – auch materiell begrenzte – Teilregelungen die Kindeswohlgefährdung beseitigen können.

21 22 23 24 25 26 27

28 29

30

Kropholler/von Hein Art 31 Brüssel I-VO Rn 5. EuGH Rs C-99/96 Mietz/Intership EuZW 1999, 727. Dazu unten Rn 9 ff. Sogleich Rn 8. EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843. Unklar insoweit EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843. Einem Zirkelargument nahe jedoch EuGH Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466, 1471: „Die vorübergehende Natur solcher Maßnahmen ergibt sich daraus, dass sie gemäß Art 20 Abs 2 der Verordnung außer Kraft treten.“ Dann wäre eine Maßnahme vorübergehend, wenn sie Art 20 unterfällt, was aber nur für vorübergehende Maßnahmen gilt. Wright [2012] IFL 281, 282: „a final care order is incompatible with Art 20“. So wäre in EuGH v 23.12.2009 – C-403/099 PPU Detiček/Sgueglia, IPRax 2011, 190 dieses Kriterium kaum abgrenzungstauglich. Unten Rn 15 ff.

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8 c) Art 20 schafft hingegen selbst keine autonomen Typen von einstweiligen Maßnahmen31

und auch keine autonome Maßnahmenzuständigkeit.31a Die Bestimmung stellt nicht sicher, dass Eilmaßnahmen überhaupt getroffen werden können. Ihrem Zweck entsprechend verweist die Regelung für die Art der jeweiligen Maßnahmen auf die lex fori.32 3. Gegenstand im Anwendungsbereich der VO 9 a) Unstreitig betrifft Art 20 nur Maßnahmen, die aus Anlass eines in den Anwendungs-

bereich der VO fallenden Verfahrens getroffen werden können, also Maßnahmen im Zusammenhang mit Ehe- und Kindschaftssachen.33 Nicht erforderlich ist jedoch, dass ein solches Verfahren bereits anhängig ist. Art 20 erlaubt einen Rückgriff auf die lex fori gerade dann, wenn nur Gerichte eines anderen Mitgliedstaates in der Hauptsache zuständig wären. 10 b) Fraglich ist hingegen, ob auch der Gegenstand der einstweiligen Maßnahme in den

Anwendungsbereich der VO fallen muss. Da der Bericht34 einen wesentlichen Unterschied zu Brüssel I darin erkennen will, dass Art 20 vielfältige Maßnahmen, die auch Güter betreffen,35 erfasse, wird teilweise im Schrifttum vertreten, Art 20 gelte auch für sonstige Maßnahmen, die selbst nicht unter Art 1 fallen.36 Dem ist nicht zu folgen: 11 (1) Ohne große Bedeutung ist die Frage der Einbeziehung sonstiger Maßnahmen, soweit es

um das Zuständigkeitssystem der VO geht: Art 20 eröffnet jedenfalls die Möglichkeit, dass einstweilige Maßnahmen, die in den Anwendungsbereich des Art 1 fallen, auch von dem lege fori zuständigen Gericht getroffen werden können. Maßnahmen, die nicht in den Anwendungsbereich der VO fallen, werden hingegen ohnehin lege fori oder nach anderen internationalen oder europäischen Zuständigkeitssystemen getroffen.37 Dass dies auch für einstweilige Maßnahmen gilt, ist selbstverständlich. Art 20 lässt sich insoweit allenfalls als Klarstellung verstehen, dass solche Maßnahmen auch nach Einleitung eines Verfahrens iSd Art 1 zulässig bleiben. Hingegen kann eine Zuständigkeit für einstweilige Regelungen in Ehegüterrechts- und Unterhaltssachen nicht auf Art 20 gestützt werden.38 12 (2) Unhaltbar wäre eine Ausdehnung des Anerkennungssystems der VO auf Maßnahmen

in von der VO sachlich nicht erfassten Materien, mit der sich die dem Borrás-Bericht 31 31a 32

33 34 35 36 37

38

250

EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843. OLG Karlsruhe v 12.11.2013 – 5 UF 139/11, FamRZ 2014, 1565. HSE Ireland v SF [2012] EWHC 1640 (Fam); Borrás-Bericht Nr 59; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 1; Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 579. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 6. Borrás-Bericht Nr 59. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 7. Zöller/Geimer Rn 1; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 7; Spellenberg FS Beys (2003) 1583 ff. ÖstOGH (1 Ob 140/02y) ZfRV 2003, 73 (Leitsatz); Ancel/Watt Rev crit dip 2001, 427; NK-BGB/Gruber Rn 3; unklar Rb Maastricht NIPR 2004, 37, wo die Zuständigkeit in der nach Abschluss der Ehesache nicht mehr in den Anwendungsbereich der Brüssel II-VO fallenden Umgangssache wegen Art 12 Brüssel II-VO (wie Art 20 Brüssel IIa-VO) auf niederländisches Recht gestützt wird. Vgl Hof Amsterdam NIPR 2007, 245: Keine Zuständigkeit aus Art 20 für vermögensrechtliche Regelung.

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Art 20 Brüssel IIa-VO

folgende Meinung nicht befasst.39 Art 20 gibt nach seinem Wortlaut nicht den geringsten Anhalt dafür, dass die Bestimmung entgegen jeder systematischen Auslegung eines sachlich-gegenständlich beschränkten internationalen Rechtsinstruments über die Materien der VO hinausreichen sollte. Art 31 Brüssel I-VO ist selbstverständlich auf die sachlich erfassten Materien beschränkt.40 Nachdem der EuGH das Anerkennungssystem der VO (anders als zu Art 31 Brüssel I-VO), nicht auf Maßnahmen nach Art 20 für anwendbar hält,41 ergibt sich für einstweilige Maßnahmen im Kontext einer Ehe- oder Sorgerechtssache, die gegenständlich der Brüssel I-VO42 oder der EG-UntVO unterfallen sogar eine günstigere Anerkennungslage als für Maßnahmen nach Art 20. (3) Art 20 erlaubt also positiv – abgesehen von seiner klarstellenden Funktion im Zustän- 13 digkeitssystem – nur für solche Maßnahmen eine Zuständigkeit lege fori, die sonst in den Anwendungsbereich des Art 1 fallen würden und unterstellt solche Maßnahmen auch den Art 21 ff.43 Der Anwendungsbereich in Ehesachen (Art 1 Abs 1 lit a) ist daher gering. Erfasst sind neben einer formalen Gestattung des Getrenntlebens auch Regelungen, die zum Zweck der Herbeiführung des Getrenntlebens oder der Sicherung eines getrenntlebenden Ehegatten ergehen, ohne über den Status selbst bereits zu entscheiden.44 Im Anwendungsbereich von Art 1 Abs 1 lit b sind alle Sorgemaßnahmen erfasst, die vorübergehend die elterliche Verantwortung, die Aufenthaltsbestimmung, den Schulbesuch45 und andere Teilbereiche des Sorgerechts, den Umgang, aber auch eine vorläufige Unterbringung46 des Kindes regeln. Solche Maßnahmen können durchaus auch von einem für die Ehesache zuständigen, für die Sorgerechtssache jedoch nicht nach Art 8 ff zuständigen Gericht im Verbund getroffen werden. (4) Hingegen erfasst Art 20 nicht einstweilige Unterhaltsmaßnahmen.47 Da diese Materie 14 in den Anwendungsbereich von Brüssel I fällt, ist Art 31 Brüssel I-VO als speziellere Regelung anzuwenden, so dass zwar ebenfalls aufgrund von Zuständigkeiten lege fori ent39

40 41 42 43 44

45 46 47

Sumampouw FS Siehr (2000) 739; zweifelnd Boele-Woelki ZfRV 2001, 126 mit Nachw; zutreffend auch Dilger Rn 301 ff. EuGH v 31.3.1982 – Rs 25/81 W/H, IPRax 1983, 77. Unten Rn 24. Sogleich Rn 14. Geimer/Schütze/Dilger Rn 13; Zöller/Geimer Rn 3. Hof ’s-Gravenhage NIPR 2007, 250, 251: Vorläufige Regelung der ehelichen Wohnung. Aus deutscher Sicht sind insbesondere Regelungen erfasst nach §§ 2 f GewSchG (BGBl 2001 I 3513), aber auch nach § 1361b BGB, der gerade in der Neufassung durch das GewSchG nicht mehr nur als eine Folgesache zur Nutzungsregelung im Sinn einer Vorverlagerung der Regelungen der HausratsVO zu verstehen ist, sondern als ein Instrument zum persönlichen Schutz eines getrennt lebenden Ehegatten. Nicht erfasst ist dagegen § 1361a BGB, weil insoweit der vermögensrechtliche Aspekt überwiegt: Geimer/Schütze/ Dilger Rn 21; aA MünchKommFamFG/Gottwald Rn 6; Spellenberg FS Beys (2003) 1583, 1598. Civ Arlon Rev trim dr fam 2009, 728. HSE Ireland v SF [2012] EWHC 1640 (Fam); Trib min Milano Riv dir int priv proc 2011, 484. Wermuth v Wermuth [2003] 1 WLR 942, wo allerdings eine enge Auslegung von Art 12 Abs 1 Brüssel II-VO an der Frage der Vorläufigkeit einer Unterhaltsregelung festgemacht wird; Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 580; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 18; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 6; Zöller/Geimer Rn 5.

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schieden werden kann, aber weder eine zusätzliche Prüfung der Dringlichkeit noch die Anwesenheit des Unterhaltsberechtigten oder -verpflichteten im Gerichtsstaat erforderlich ist.48 Nicht erfasst sind auch einstweilige Regelungen von Vermögensbeziehungen zwischen den Ehegatten; soweit diese im Sinn von Art 1 Abs 2 lit a Brüssel I-VO ehegüterrechtlicher Natur sind, bestimmt ohnehin die lex fori über die Zuständigkeit. 4. Dringlichkeit 15 a) Die nach dem Wortlaut ausdrücklich geforderte Beschränkung auf dringende Fälle

bedeutet ein weiteres autonomes Tatbestandsmerkmal,49 das insbesondere, aber nicht ausschließlich, eingreift, wenn lege fori ein Eilbedürfnis nicht explizit gefordert ist. Vor allem in Ehesachen könnten Maßnahmen zur vorübergehenden Regelung, besonders während des Getrenntlebens, in Betracht kommen, die nicht per se dringlich sind. 16 b) Für Sorgemaßnahmen stimmt nach der Ausdehnung der VO auch auf selbstständige

Verfahren der elterlichen Verantwortung der Dringlichkeitsbegriff in Art 20 mit dem in Art 9 MSA/Art 11 Abs 1 KSÜ überein, da Art 20 auf den Konflikt zwischen einem eigentlich zuständigen Gericht und einem zu schnellem Handeln berufenen Gericht abstellt. Dringlichkeit besteht danach jedenfalls dann, wenn eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls gegeben ist,50 die unmittelbares Handeln bedingt.51 Die Anforderungen sollten aber nicht überspannt werden, so dass ein schwerer Schaden für das Kindeswohl nicht zu drohen braucht.52 Dies ist im Hinblick auf die konkrete Situation des Kindes, seine voraussichtliche Entwicklung und die Wirksamkeit bereits getroffener Maßnahmen einschließlich Schutzmaßnahmen, zu beurteilen.53 Hierbei ist die Dringlichkeit nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ zu bewerten: Keine Dringlichkeit besteht für eine vorläufige gegenständlich umfassende Sorgerechtsregelung, wenn die Gefahr für das Kindeswohl in anderer Weise, zB durch eine vorläufige Regelung in Teilbereichen (Umgang, Aufenthaltsbestimmung) oder auch durch eine einstweilige Regelung des Kindesunterhalts,54 abgewehrt werden kann. 16a c) Konflikte ergeben sich im Verhältnis des einstweilige Maßnahmen erwägenden Gerichts

und des in der Hauptsache zuständigen. Zum einen wird das Gericht, ehe es sich auf Art 20 stützt, prüfen, ob ggf eine eigene Zuständigkeit nach Art 8 ff besteht, insbesondere aus Art 13 Abs 2; ist noch kein anderes zuständiges Gericht befasst (Art 19),55 so kann das Gericht, gestützt auf Art 8 ff ohne die durch Art 20 gegebenen Einschränkungen Maßnahmen treffen. Hat ein in der Hauptsache zuständiges Gericht bereits eine (auch vorläufige) in anderen Mitgliedstaaten anzuerkennende und zu vollstreckende, insbesondere die elterliche Sorge zuweisende56 Regelung getroffen, so kann ein nur aus Art 20 zuständiges Gericht die 48 49 50 51 52

53 54 55

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Vgl zu diesen formalen Abweichungen zwischen Art 20 und Art 31 Brüssel I-VO oben Rn 3, 4. So auch EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843. Vgl Rb Groningen NIPR 2008, 49: Gefahr für die Entwicklung des Kindes. HR NIPR 2013, 189, 190; Hof ’s-Gravenhage NIPR 2013, 45. So aber: EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843; EuGH Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466, 1471. EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843. Rb ’s-Gravenhage NIPR 2006, 281, 282. Zur Problematik der durch das erste befasste Gericht nicht bezeichneten Zuständigkeitsgrundlage Art 19 Rn 43.

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Art 20 Brüssel IIa-VO

Dringlichkeit57 einer formal vorläufigen, aber die bestehende Maßnahme wiederum inhaltlich umfassend ändernden Maßnahme, nicht damit begründen, dass sich das Kind seinem Zuständigkeitsbereich befinde und sich die Verhältnisse geändert hätten. Dies würde dazu führen, dass über Art 20 das Zuständigkeitssystem in der Hauptsache sowie die Anerkennungsregelungen untergraben würden.58 Das Gericht, in dessen Jurisdiktion sich das Kind befindet, kann gestützt auf Art 20 allerdings Teilregelungen treffen, die dem unmittelbaren Schutz des Kindeswohls dienen. Im Fall einer widerrechtlichen Verbringung oder des Zurückhaltens eines Kindes ist über- 16b dies zu beachten, dass das von Art 10, 11 vorgegebene Zuständigkeitssystem nicht unnötig durch sorgerechtliche einstweilige Maßnahmen des Staates, in den das Kind verbracht wurde, gestört wird.59 Deshalb kann insbesondere ein Gericht in dem Mitgliedstaat, in den das Kind widerrechtlich verbracht wurde oder in dem es widerrechtlich zurückgehalten wird, nicht über Art 20 die ausdrücklich über Art 10 den Gerichten des bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsstaates zustehende Zuständigkeit für eine umfassende Sorgerechtsregelung an sich ziehen.60 Eine einstweilige Übertragung der elterlichen Sorge auf den entführenden Elternteil scheidet nicht nur aus, wenn die nach Art 8, 10 zuständigen Gerichte bereits eine Sorgerechtsregelung getroffen haben; vielmehr kann in Entführungsfällen auf Art 20 generell keine Sorgerechtsregelung, sondern immer nur eng an der Erforderlichkeit und Dringlichkeit für das Kindeswohl orientierte Teilregelungen, insbesondere solche, die den Umgang mit dem anderen Elternteil sicherstellen,61 gestützt werden. II. Außerordentliche Zuständigkeit (Abs 1) 1. Zuständigkeiten lege fori Art 20 schafft keine eigenständige Zuständigkeit, sondern gestattet für die einstweilige Maß- 17 nahme die Inanspruchnahme von Zuständigkeiten außerhalb der VO, auch wenn in der Hauptsache die Zuständigkeiten der VO ausschließlich sind. Dies sind regelmäßig die nach der lex fori vorgesehenen Zuständigkeiten.62 Unerheblich ist, ob ein Verfahren iSd Art 1 bereits anhängig ist oder lediglich eine potentiell bestehende anderweitige ausschließliche Zuständigkeit überwunden werden muss; Art 20 gilt auch für Eilmaßnahmen neben einem anderweitig anhängigen Hauptsacheverfahren. Art 20 verdrängt jedoch nicht das Zuständigkeitssystem der VO. Selbstverständlich kann auch ein nach Art 3 bis 5, 8 bis 13 zuständiges Gericht einstweilige Maßnahmen erlassen.63

56 57 58 59 60 61 62

63

Zur Problematik vgl oben Rn 7a. So auch Martiny FPR 2010, 493, 496. EuGH v 23.12.2009 – Rs C-403/09 PPU Detiček/Sgueglia, IPRax 2011, 190. Vgl Rb ’s-Gravenhage NIPR 2006, 281, 282. EuGH v 23.12.2009 – Rs C-403/09 PPU Detiček/Sgueglia, IPRax 2011, 190. App Bruxelles Rev trim dr fam 2013, 617. Borrás-Bericht Nr 59; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 1; Geimer/Schütze/Dilger Rn 1; NK-BGB/ Gruber Rn 1; aA Staudinger/Pirrung Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 113; Andrae IPRax 2006, 82, 85. Dilger Rn 291; näher oben Rn 16a f und unten Rn 25 ff.

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2. Verhältnis zu völkervertraglichen Übereinkommen und anderem EG-Recht 18 Art 20 beeinflusst nicht das Verhältnis zwischen nationalem Recht und anderen Rechts-

instrumenten. Soweit die lex fori durch völkervertragliche Übereinkommen, insbesondere das MSA und das KSÜ, verdrängt ist, kann auch im Rahmen des Art 20 die Zuständigkeit nicht auf nationale Vorschriften gestützt werden. Hält sich das Kind in einem Vertragsstaat auf, der nicht Mitgliedstaat ist, so können auch einstweilige Maßnahmen (die dann räumlich nur das Kindesvermögen betreffen können64) nicht auf Art 20, sondern nur auf das MSA bzw das KSÜ gestützt werden.65 19 Zudem betrifft Art 20, wie die VO insgesamt, nicht das auf die einstweilige Maßnahme

anwendbare Recht, das sich insbesondere aus den Kollisionsnormen des KSÜ, ausnahmsweise noch des MSA, ergeben kann.66 20 Ebenso wenig verändert Art 20 das Verhältnis zwischen lex fori und anderen Rechtsinstru-

menten des EU-Rechts. Schon aus diesem Grund könnte, selbst wenn man der hier vertretenen Beschreibung des Anwendungsbereichs67 nicht folgt, die Zuständigkeit für einstweilige Unterhaltsmaßnahmen nur über Art 14 EG-UntVO lege fori beurteilt werden. 3. Einschränkung auf Personen und Güter im Gerichtsstaat 21 a) Die durch Art 20 zugelassene Zuständigkeit beschränkt sich auf Personen und Güter,

die sich im Staat des Gerichts befinden, vor dem die einstweilige Maßnahme begehrt wird. In die Person des Kindes betreffenden Sorgerechtssachen setzt dies regelmäßig voraus, dass sich das Kind (vorübergehend) in dem Mitgliedstaat befindet, dessen Gerichte nach Art 20 entscheiden.68 Ändert die Maßnahme das Sorgerecht eines Elternteils, der sich nicht in dem Entscheidungsstaat befindet, so betrifft sie nicht nur das Kind, sondern auch den Elternteil, dem das Sorgerecht genommen wird.69 Dies gilt im Kontext der Entscheidung nur für Fälle, in denen in die elterliche Sorge eines Elternteils der Substanz nach eingegriffen wird; hingegen ist etwa eine Umgangsregelung gegenüber einem nicht im Entscheidungsstaat lebenden Elternteil im Hinblick auf den Zweck des Art 20, vorübergehend kindeswohldienlich zu agieren, zulässig.70 Auch diese Beschränkung gilt selbstverständlich nur für solche Maßnahmen, für die eine Zuständigkeit lege fori erst durch Art 20 eröffnet wird.71 Ein hauptsachezuständiges Gericht kann im Anwendungsbereich der VO umfassend Maßnahmen treffen. Für Maßnahmen, die sachlich nicht der VO unterfallen, wirkt Art 20 nicht zuständigkeitsbegrenzend. Insoweit

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69 70 71

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Vgl Rn 21. Andrae IPRax 2006, 82, 85. Hof Arnhem NIPR 2008, 498, 499. Oben Rn 11 ff. EuGH Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466, 1471; OLG Karlsruhe v 12.11.2013 – 5 UF 139/11, FamRZ 2014, 1565. EuGH v 23.12.2009 – Rs C-403/09 PPU Detiček/Sgueglia, IPRax 2011, 190; Wright [2012] IFL 281, 282. Vgl auch Henrich FamRZ 2010, 526, 527. Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2006, 402, 403 f.

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stellt Art 20 allenfalls klar, dass auch für einstweilige Maßnahmen nicht das Zuständigkeitssystem der VO gilt.72 b) Soweit Art 20 eine positive Wirkung entfaltet, begrenzt diese Einschränkung Zuständig- 22 keiten, die eine vorläufige Regelung von Statusverhältnissen oder Sorgeverhältnissen auch dann ermöglichen, wenn sich im Zeitpunkt der Maßnahme die betroffenen Personen oder Güter nicht im Entscheidungsstaat befinden. Für Sorgemaßnahmen ist dazu grundsätzlich auf die Person des Kindes abzustellen, für ein einstweiliges Umgangsverbot sollte es aber genügen, wenn der Adressat des Verbots sich im Gerichtsstaat aufhält. Einstweilige Maßnahmen zwischen den Ehegatten sind nur möglich, wenn sich wenigstens ein Ehegatte im Gerichtsstaat aufhält oder eine unmittelbar betroffene Sache (zB die eheliche Wohnung) dort belegen ist. III. Räumliche Wirkungsbeschränkung – Anerkennung Ob aus der Beschränkung der Zuständigkeit73 auf Personen und Güter im Entscheidungs- 23 staat eine territoriale Wirkungsbeschränkung der Maßnahme auf den Gerichtsstaat zu folgern ist,74 erscheint fraglich. Der Annahme einer Wirkungsbeschränkung liegt eine Äußerung im Bericht75 zugrunde, sie findet aber in der Bestimmung selbst an sich keine Stütze. Der EuGH76 setzt jedoch, dem Bericht folgend, in seiner Entscheidung zur Anerkennung solcher Maßnahmen eine grundsätzlich nur territoriale Wirkung voraus77 und zieht daraus erhebliche Folgerungen. Die bis dahin umstrittene Frage,78 ob auf die Zuständigkeit nach Art 20 gestützte Maß- 24 nahmen gemäß Art 21 ff anzuerkennen sind, hat der EuGH79 für den insoweit entscheidenden Bereich der Sorgerechtsmaßnahmen verneint; dies, obgleich eine Art 12 Abs 1 KSÜ entsprechende Einschränkung fehlt und einstweilige Maßnahmen nach Art 31 Brüssel I-VO grundsätzlich, sofern das rechtliche Gehör des Antragsgegners gewahrt ist, dem Anerkennungssystem der Verordnung unterliegen.80 Gestützt wird dies auf Art 20 Abs 2, wonach diese Maßnahmen außer Kraft treten, sobald ein in der Hauptsache zuständiges Gericht entscheidet, auf die in den erwähnten Stellungnahmen aus der Gesetzgebungsgeschichte81 behauptete territoriale Wirkungsbegrenzung, sowie auf die Gefahr der Umgehung der

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Dazu oben Rn 11. Dazu soeben Rn 22. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 5; Zöller/Geimer Rn 10; Geimer/Schütze/Dilger Rn 39 ff. Borrás-Bericht Nr 59. EuGH v 15.7.2010 – Rs C-256/09 Purrucker/Vallés Pérez I, IPRax 2011, 378 = FamRZ 2010, 1521, sogleich Rn 24. Pirrung IPRax 2011, 351, 354. Zum Streitstand BGH v 10.6.2009 – XII ZB 182/08, FamRZ 2009, 1297, 1299 (Vorlagebeschluss); vgl auch 2. Auflage (2006) Rn 23 f. EuGH v 15.7.2010 – Rs C-256/09 Purrucker/Vallés Pérez I, FamRZ 2010, 1521; ebenso OLG Stuttgart v 5.3.2014 – 17 UF 262/13, FamRZ 2013, 1567, 1568. Zweifelnd daher Feraci Riv dir int priv proc 2011, 107, 109. Dazu Rn 23; der EuGH bemüht hier ausdrücklich die im EU-Recht nicht übliche gesetzgebungshistorische Auslegung.

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Hauptsachezuständigkeiten.82 Die Anerkennungs- und Vollstreckungsfähigkeit solcher Maßnahmen beurteilt sich somit zwischen den Mitgliedstaaten nach nationalem Recht einschließlich anwendbarer völkerrechtlicher Verträge.83 Allerdings bedarf es ggf einer aus dem Unionsrecht implizierten Einschränkung der Anerkennung nach nationalem Recht, wenn rechtliches Gehör nicht gewährt wurde.84 24a Hingegen fallen Sorgerechtsmaßnahmen, auch wenn sie ihrer Natur nach einstweilig sind,

in den Anwendungsbereich der Anerkennungsregeln der Art 21 ff, wenn ein nach Art 8 ff in der Hauptsache zuständiges Gericht sie, gestützt auf diese Zuständigkeit erlässt. Für die Abgrenzung maßgeblich ist nicht, ob sich das Gericht in einem anderen Mitgliedstaat auf Art 8 ff hätte stützen können, sondern, welche Zuständigkeit es beansprucht hat. Dies soll aus dem Grundsatz folgen, dass das mit der Anerkennung befasste Gericht die Zuständigkeit des die Maßnahme erlassenden Gerichts nicht prüfen darf.85 Hat das Gericht seine Zuständigkeit nicht zweifelsfrei erkennbar gemacht, so führt dieser Ansatz freilich letztlich dazu, dass das mit der Anerkennung befasste Gericht dennoch die hypothetische Hauptsachezuständigkeit prüft.86 Grund hierfür ist, dass sich bei Zweifeln an der beanspruchten Zuständigkeit eine Vermutung dahingehend, das die Maßnahme erlassende Gericht habe sich für in der Hauptsache zuständig gehalten, verbietet. Da aber der EuGH auch nicht die unzweideutige Lösung wählt, mangels ausdrücklicher Bejahung einer Hauptsachezuständigkeit eine nur auf Art 20 gestützte Maßnahme zu vermuten, muss das mit der Anerkennung befasste Gericht eine Prüfung anstellen, ob sich eine Hauptsachezuständigkeit offensichtlich aus der Entscheidung ergibt. Formal wird nicht die Zuständigkeit des Gerichts geprüft, was Art 24 verböte, sondern die Frage, ob das Gericht ausweislich der Entscheidungsgründe Art 8 ff bejaht hat, was nach Art 24 gestattet sein soll.87 Dieses Verfahren ist nicht nur kompliziert, es führt auch nur dann zu dem gewünschten Ergebnis, bei unpräzisen Ausführungen zur Zuständigkeit die Anerkennung zu versagen,88 wenn die Nachprüfung keine mögliche Hauptsachezuständigkeit ergibt. Anderenfalls ist die Ungewissheit nicht auflösbar. Als eindeutigere Lösung hätte sich angeboten, eine Vermutung für die Inanspruchnahme von Art 20 zu etablieren, die bei einer ausdrücklichen Zuständigkeitsbegründung widerlegt wäre, oder die vom EuGH später im selben Fall89 für die parallele Frage der Anwendung des Art 19 auf Verfahren nach Art 20 etablierte Beibringungslastregelung auch hier einzuführen.

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Zustimmend Pirrung IPRax 2011, 351, 354; Wright [2012] IFL 281, 283. EuGH v 15.7.2010 – Rs C-256/09 Purrucker/Vallés Pérez I, FamRZ 2010, 1521, 1524 Rn 92; BGH v 9.2. 2011 – XII ZB 182/08, NJW 2011, 855, 857 Rn 18. EuGH v 15.7.2010 – Rs C-256/09 Purrucker/Vallés Pérez I, FamRZ 2010, 1521, 1524 f. EuGH v 15.7.2010 – Rs C-256/09 Purrucker/Vallés Pérez I, FamRZ 2010, 1521, 1522; BGH v 9.2.2011 – XII ZB 182/08, NJW 2011, 855, 857. Vgl insbesondere BGH v 9.2.2011 – XII ZB 182/08, NJW 2011, 855, 857 ff; OLG Stuttgart v 5.3.2014 – 17 UF 262/13, FamRZ 2014, 1567, 1568. EuGH v 15.7.2010 – Rs C-256/09 Purrucker/Vallés Pérez I, FamRZ 2010, 1521, 1522; BGH v 9.2.2011 – XII ZB 182/08, NJW 2011, 855, 857. So zum Ergebnis des BGH aaO Helms FamRZ 2011, 546. EuGH v 9.11.2010 – Rs C-296/10 Purrucker/Vallés Pérez II, FamRZ 2011, 534, 536.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 20 Brüssel IIa-VO

IV. Zuständigkeit und Vorrang der Hauptsachegerichte (Abs 2) 1. Zuständigkeit Grundsätzlich berührt Art 20 nicht die Zuständigkeit der nach Art 3 ff zuständigen Gerichte 25 auch für vorläufige Maßnahmen und Eilmaßnahmen.90 Für diese Gerichte gilt insbesondere nicht die in Abs 1 bestimmte Einschränkung im Hinblick auf Dringlichkeit, Art der Maßnahme und Personen und Vermögensgegenstände im Gerichtsstaat.91 2. Vorrang des mit der Hauptsache befassten Gerichts Ist bereits ein in der Hauptsache zuständiges Gericht befasst, so berührt dies nach ver- 26 breiteter Ansicht die Zuständigkeit anderer Gerichte aus Art 20, insbesondere auch der sonstigen nach Art 3 ff zuständigen Gerichte hinsichtlich einstweiliger Maßnahmen nicht.92 Dies ist jedoch nur mit wesentlichen Einschränkungen und Klarstellungen zutreffend: Zu beachten ist, dass sich nach – gemäß Art 16 zu beurteilender – Anrufung eines zuständigen Gerichts selbst die Hauptsachezuständigkeit anderer nach Art 3 ff zuständiger Gerichte bei späterer Verfahrenseinleitung wegen Art 19 nicht mehr realisieren lässt. Die Inanspruchnahme der Zuständigkeit aus Art 20 darf jedenfalls nicht zur Umgehung des Litispendenzvorrangs führen. Erreicht wird dies, indem auch in der Hauptsache zuständige, aber durch Art 19 blockierte Gerichte nur noch in den engen Grenzen des Art 20 verfahren können, also nur noch dringliche Maßnahmen mit dem in Abs 1 genannten räumlich eingeschränkten Bezug treffen können. Überdies lässt sich die im Verhältnis zu früher getroffenen Maßnahmen eines Hauptsachegerichts erkannte Beschränkung des nur nach Art 20 zuständigen Gerichts93 auch hier nutzbar machen: Die Dringlichkeit ist, gerade wenn bereits ein hauptsachezuständiges Gericht befasst ist, zurückhaltend zu beurteilen,94 auf unabweisbare Teilregelungen beschränkt und gestattet insbesondere regelmäßig keine formal einstweiligen, materiell aber umfassenden Sorgerechtsregelungen. 3. Außerkrafttreten (Abs 2) a) Anders als Art 12 Brüssel II-VO enthält Abs 2 nun zudem eine autonome Regelung der 27 Geltungsdauer einer unter Art 20 getroffenen einstweiligen Maßnahme. Schon unter Art 12 entsprach es überwiegender Ansicht, dass einstweilige Maßnahmen durch eine Entscheidung des mit der Hauptsache befassten Gerichts hinfällig werden. b) Nach Abs 2 tritt eine unter Abs 1 getroffene Maßnahme außer Kraft, wenn das in der 28 Hauptsache zuständige Gericht die seiner Einschätzung nach erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.95 Dies setzt nicht voraus, dass bereits in der Hauptsache entschieden wurde. Auch eine (ab90 91 92 93 94 95

OLG Karlsruhe v 12.11.2013 – 5 UF 139/11, FamRZ 2014, 1565; Martiny FPR 2010, 493, 495. NK-BGB/Gruber Rn 1. Trib Vares Riv dir int priv proc 2011, 743745; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 34 mit Nachw. EuGH v 23.12.2009 – Rs C-403/09 PPU Detiček/Sgueglia, IPRax 2011, 190; oben Rn 16b. A v B [2011] EWHC 2752 (Fam). Cass civ Riv dir int priv proc 2010, 463, 465; Civ Arlon Rev trim dr fam 2009, 728, 730.

Thomas Rauscher

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Art 20 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

weichende) einstweilige Maßnahme des in der Hauptsache befassten Gerichts löst die Wirkung des Abs 2 aus. Andererseits wird die unter Abs 1 getroffene Maßnahme nur dann hinfällig, wenn und soweit das in der Hauptsache befasste Gericht ausdrücklich eine Entscheidung trifft, welche den Gegenstand der einstweiligen Maßnahme zum Inhalt hat.96 Eine Hauptsacheentscheidung, die sich inhaltlich nicht mit dem Gegenstand der einstweiligen Maßnahme befasst,97 berührt die Maßnahme nur dann, wenn sie lege fori schon kraft Gesetzes bis zum Erlass der Hauptsacheentscheidung gilt oder ausdrücklich bis dahin befristet ist. 29 c) Abs 2 gilt nur für Maßnahmen im sachlichen Anwendungsbereich der VO.98 Einstwei-

lige Maßnahmen, für die Art 20 nur klarstellend die Zuständigkeit lege fori bestätigt, sind durch die Hauptsacheentscheidung der nach Art 3 ff zuständigen Gerichte in der Statussache nicht über Abs 2 berührt. Ob die Hauptsacheentscheidung mittelbar die einstweilige Maßnahme berührt, insbesondere ob sie mit Rechtskraft der Ehescheidung außer Kraft tritt oder es einer Aufhebung oder Änderung bedarf, entscheidet die lex fori.99 4. Information des Hauptsachegerichts 30 Nicht ausdrücklich geregelt ist in Art 20, in welcher Weise sichergestellt werden kann, dass

das in der Hauptsache zuständige Gericht von dem Fürsorgebedürfnis erfährt. Diese Frage ist insbesondere dann dringlich, wenn die unter Art 20 getroffene Maßnahme von vornherein befristet ist oder wenn die Maßnahme dadurch ihre Durchführbarkeit einbüßt, dass die betroffene Person, insbesondere ein von einer sorgerechtlichen einstweilige Maßnahme betroffenes Kind, das Gebiet des anordnenden Staates verlässt. Eine Abgabe oder Verweisung sieht insoweit die VO nicht vor; ein Vorgehen nach Art 15 ist nicht zielführend, da die Verweisung von einem in der Hauptsache zuständigen Gericht ausgehen muss, also das Bedürfnis einer Verweisung durch das nur nach Art 20 für einstweilige Maßnahmen zuständige Gericht gerade nicht erfasst ist. Jedoch wird es regelmäßig dann, wenn die einstweilige Maßnahme nach Art, Umfang oder Geltungsbereich nicht mehr genügt, der Schutz des Kindeswohls erfordern, dass das anordnende Gericht die in der Hauptsache zuständigen Gerichte direkt oder durch Einschaltung der Zentralen Behörden (Art 53) von dem Fürsorgebedürfnis in Kenntnis setzt.100

96 97

98 99 100

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Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 47; unklar Borrás-Bericht Nr 59 aE; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 6. ZB ein Scheidungsbeschluss, der nach einstweiliger Umgangsregelung keine (anderen) Maßnahmen zur elterlichen Verantwortung trifft. Borrás-Bericht Nr 59 aE; zur Bedeutung von Art 20 für andere einstweilige Maßnahmen oben Rn 10. Borrás-Bericht Nr 59. EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843; HR NIPR 2013, 189, 191.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 21 Brüssel IIa-VO

Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung Abschnitt 1: Anerkennung Artikel 21: Anerkennung einer Entscheidung (1) Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. (2) Unbeschadet des Absatzes 3 bedarf es insbesondere keines besonderen Verfahrens für die Beschreibung in den Personenstandsbüchern eines Mitgliedstaats auf der Grundlage einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung über Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe, gegen die nach dem Recht dieses Mitgliedstaats keine weiteren Rechtsbehelfe eingelegt werden können. (3) Unbeschadet des Abschnitts 4 kann jede Partei, die ein Interesse hat, gemäß den Verfahren des Abschnitts 2 eine Entscheidung über die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Entscheidung beantragen. Das örtlich zuständige Gericht, das in der Liste aufgeführt ist, die jeder Mitgliedstaat der Kommission gemäß Artikel 68 mitteilt, wird durch das nationale Recht des Mitgliedstaats bestimmt, in dem der Antrag auf Anerkennung oder Nichtanerkennung gestellt wird. (4) Ist in einem Rechtsstreit vor einem Gericht eines Mitgliedstaats die Frage der Anerkennung einer Entscheidung als Vorfrage zu klären, so kann dieses Gericht hierüber befinden. I.

II.

Anwendungsbereich des Anerkennungssystems der Brüssel IIa-VO 1. Änderung der Normsystematik im Vergleich zur Brüssel II-VO . . . . . . . . . . . . . 1 2. Sachlicher, räumlicher, zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 3. Verhältnis zu anderem Europarecht, Staatsverträgen und nationalem Recht 9 Anerkennung ohne besonderes Verfahren 1. Grundsatz der Anerkennung . . . . . . . . . . 12 2. Anerkennung als Wirkungserstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 3. Kein Anerkennungsverfahren (Abs 1) 15 4. Inzidentanerkennung bei Vorfrage (Abs 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

II.

a) Inzidente Vorfragenentscheidung . . . . . . 19 b) Zwischenfeststellungsurteil . . . . . . . . . . . . 22 5. Anerkennung zum Zweck der Beischreibung in Personenstandsbüchern (Abs 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 a) Inzidentanerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 b) Inzidentanerkennung durch Behörden in sonstigen Fällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Anerkennungsfeststellungsverfahren (Abs 3) 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Antragsberechtigung, insbesondere besonderes Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3. Verfahrensfragen (Abs 3 S 2) . . . . . . . . . . 38

I. Anwendungsbereich des Anerkennungssystems der Brüssel IIa-VO 1. Änderung der Normsystematik im Vergleich zur Brüssel II-VO Art 21 entspricht mit einigen redaktionellen Änderungen sowie der Erweiterung um Abs 3 1 S 2 dem Art 14 Brüssel II-VO. Die in Art 13 Abs 1 Brüssel II-VO enthaltene Definition der Entscheidung ist nunmehr in Art 2 Nr 4 enthalten. Diese Einordnung in die einleitenden

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Definitionen ist insofern unpassend, weil der Entscheidungsbegriff auch dort keineswegs generell für die gesamte Verordnung, sondern lediglich mit Bezug auf die ergangene Entscheidung, also für den Regelungsbereich der Anerkennung definiert ist. Inhaltlich ergeben sich dadurch für das Anerkennungssystem keine Änderungen.1 Art 13 Abs 2 Brüssel II-VO, betreffend die Kostenfestsetzung und die Vollstreckung eines Kostenfestsetzungsbeschlusses, wurde nach Art 492 übernommen. Art 13 Abs 3 Brüssel II-VO, betreffend die Gleichstellung öffentlicher Urkunden, entspricht nunmehr Art 46.3 2. Sachlicher, räumlicher, zeitlicher Anwendungsbereich 2 a) Das Anerkennungssystem der VO ist dem der Brüssel I-VO/EuGVÜ nachgebildet. Der

sachliche Anwendungsbereich der VO stimmt für das Anerkennungssystem mit dem des Art 1 Abs 1 überein. Es sind Entscheidungen in Ehesachen (Art 1 Abs 1 lit a)4 unter Einschluss eines ggf erfolgten Verschuldensausspruchs,5 jedoch nicht antragsabweisende, also statuserhaltende Entscheidungen,6 sowie Entscheidungen über die elterliche Verantwortung (Art 1 Abs 1 lit b)7 anzuerkennen. Dies gilt auch für einstweilige Maßnahmen, die ein Gericht im Rahmen seiner Hauptsachezuständigkeit trifft; einstweilige Maßnahmen, die auf Art 20 gestützt sind, unterfallen hingegen nicht dem System der Art 21 ff.8 3 Folgesachenentscheidungen mit Ausnahme von Entscheidungen über die elterliche Ver-

antwortung unterfallen, auch wenn sie im Verbund mit der Ehesache ergangen sind, nicht der Anerkennung nach Art 21 ff.9 Ihre Anerkennung unterliegt nicht der VO; sie sind entweder nach den Bestimmungen der Brüssel I-VO, der EG-UntVO oder ggf lege fori anzuerkennen.10 Es gibt aber weiterhin keine Anerkennung einer Scheidungsfolgenentscheidung ohne Anerkennung der Ehescheidung: Soweit über eine Scheidungsfolge entschieden wurde, kann eine solche Entscheidung nur anerkannt werden, wenn das zugrundeliegende Scheidungsurteil (insoweit ggf nach der VO) anerkennungsfähig ist.11 4 b) Räumlich unterliegen der Anerkennung nach der VO nur Entscheidungen, die in einem

Mitgliedstaat (Art 2 Nr 3)12 erlassen wurden (Abs 1). Nicht nach Art 21 ff anerkennungsfähig sind hingegen Entscheidungen aus Drittstaaten. Dies gilt auch dann, wenn diese Ent1 2 3 4 5

6 7 8 9 10 11 12

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Vgl dazu Art 2 Rn 5 ff. Siehe dort. Siehe dort. Dazu Art 1 Rn 1 ff. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 61; aA Thomas/Putzo/Hüßtege Vorbem Art 21 Rn 1b; Geimer/Schütze/ Paraschas Rn 8; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 2; Nicht anerkannt werden hingegen an den Verschuldensausspruch anknüpfende Folgesachen, die nicht in den Anwendungsbereich der VO fallen: Art 1 Rn 19. Heiderhoff StAZ 2009, 328, 330; dazu Art 2 Rn 10. Dazu Art 1 Rn 20 ff. Dazu Art 20 Rn 24 f. Helms FamRZ 2001, 257, 258; Hausmann EuLF 2000/01, 345, 348. Borrás-Bericht Nr 64. Vgl BGHZ 64, 19. Art 2 Rn 4.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 21 Brüssel IIa-VO

scheidungen in einem Mitgliedstaat (lege fori) anerkannt wurden; ein Doppel-Exequatur ist auf der Grundlage von Art 21 ff nicht möglich.13 c) Zeitlich sind Entscheidungen erfasst, die in einem seit dem Anwendungsbeginn der 5 Brüssel IIa-VO am 1.3.2005 eingeleiteten Verfahren ergangen sind (Art 64 Abs 1, Art 72).14 Da die VO die Brüssel II-VO ersetzt, musste dafür Sorge getragen werden, dass die An- 6 erkennungsfähigkeit von Entscheidungen nicht beeinträchtigt wird, die in einem seit dem Anwendungsbeginn der Brüssel II-VO am 1.3.2001 eingeleiteten Verfahren nach Beginn der Anwendung der Verordnung am 1.3.2005 ergehen. Diese werden ebenfalls nach Kapitel III der VO (also Brüssel IIa) anerkannt und vollstreckt, sofern das Gericht aufgrund von Vorschriften zuständig war, die mit den Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel IIa-VO, der Brüssel II-VO oder einem zwischen Ursprungsmitgliedstaat und Anerkennungsmitgliedstaat geltenden Übereinkommen übereinstimmen (Art 64 Abs 2). Für Altverfahren bleibt es gemäß Art 64 Abs 4 bei der schon in Art 42 Abs 1 Brüssel II-VO 7 enthaltenen Regelung: Seit dem 1.3.2001 erlassene Entscheidungen in früher eingeleiteten Verfahren sind nur unter den Voraussetzungen des Art 64 Abs 4 von Art 21 ff erfasst, also wenn das Gericht aufgrund von Zuständigkeitsbestimmungen zuständig war, die mit denen der Brüssel IIa-VO, der Brüssel II-VO oder eines Abkommens zwischen dem Ursprungsmitgliedstaat und dem Anerkennungs- und Vollstreckungsmitgliedstaat übereinstimmen. Vor dem 1.3.2001 erlassene Entscheidungen sind nicht nach der VO anzuerkennen.

8

3. Verhältnis zu anderem Europarecht, Staatsverträgen und nationalem Recht a) Das Verhältnis zu anderen europarechtlichen Instrumenten, insbesondere zur Brüssel 9 I-VO und zur EG-UntVO, bestimmt sich aus den jeweiligen sachlichen Anwendungsbereichen, da diese überschneidungsfrei angelegt sind. Insbesondere unterliegen Entscheidungen aus Mitgliedstaaten in Unterhaltssachen (auch im Verbundurteil) nach Maßgabe des Art 75 EG-UntVO entweder der Anerkennung nach Art 32 ff Brüssel I-VO15 oder der Anerkennung nach Art 16 bzw 17 ff EG-UntVO. b) Art 21 ff gehen in ihrem Anwendungsbereich nach Maßgabe der Art 60, 61 den dort 10 genannten völkervertraglichen Übereinkommen vor. Bilaterale oder multilaterale Übereinkünfte zur Ergänzung der VO kommen im Bereich der Anerkennung und Vollstreckung nicht in Betracht;16 Art 39 Abs 2 Brüssel II-VO, der hier Abweichungen untersagte, wurde nicht in die Brüssel IIa-VO übernommen, dies jedoch vor dem Hintergrund, dass die Brüssel IIa-VO schon kein Pendant zu der Regelung in Art 39 Abs 1 kennt, also bilaterale Durchführungsvereinbarungen nicht vorsieht. Außerhalb des Anwendungsbereichs der VO gehen weiterhin Anerkennungsregeln in völkervertraglichen Übereinkommen der lex fori vor, es 13 14 15

16

NK-BGB/Andrae Rn 3. Näher bei Art 64. Für dänische Entscheidungen gilt die Brüssel I-VO im zeitlichen Anwendungsbereich des Anwendungsübereinkommens, sonst das EuGVÜ; für Entscheidungen aus Lugano-Staaten, die nicht Mitgliedstaaten sind, Art 25 ff Luganer Übereinkommen. Zöller/Geimer Rn 3; Geimer/Schütze/Paraschas Rn 6; Thomas/Putzo/Hüßtege Vorbem Art 21 Rn 3.

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gelten also insbesondere Art 7 MSA/Art 23 ff KSÜ für Sorgeregelungen aus Vertrags- aber Nicht-Mitgliedstaaten sowie für die Anerkennung von Sorgeentscheidungen aus einem Mitgliedstaat in einem MSA/KSÜ-Vertragsstaat, der nicht Mitgliedstaat ist.17 11 c) Die Anerkennung nach der nationalen lex fori ist im Anwendungsbereich der VO

ebenfalls verdrängt. Da die VO durchweg die Anerkennung im Vergleich zu den nationalen Anerkennungsregelungen erleichtert, stellt sich die im völkervertraglichen Bereich diskutierte Frage des hilfsweisen Rückgriffs auf die lex fori nicht. Die Anerkennung erschwerende Bestimmungen der lex fori sind jedenfalls ausgeschlossen, insbesondere gelten nicht § 109 Abs 1 Nr 1 FamFG18 und § 107 FamFG.19 II. Anerkennung ohne besonderes Verfahren 1. Grundsatz der Anerkennung 12 Abs 1 beschreibt wie Art 33 Abs 1 Brüssel I-VO die Anerkennung von Entscheidungen

(Begriff des Art 2 Nr 4) aus Mitgliedstaaten als Grundsatz,20 die Nichtanerkennung als Ausnahme, deren Voraussetzungen Art 22 f bestimmen. Das Anerkennungssystem soll auf dem Grundsatz gegenseitigen Vertrauens aufbauen, was insbesondere durch das einheitliche Zuständigkeitssystem gestützt wird,21 weshalb Gründe für die Nichtanerkennung auf das notwendige Minimum beschränkt werden.22 Nicht erfasst sind Entscheidungen in Ehesachen, die einen statusändernden Antrag abweisen.23 Die formelle Rechtskraft der Entscheidung ist, mit Ausnahme der Anerkennung zur Beischreibung in Personenstandsbücher (Abs 2), nicht erforderlich.24 Ist jedoch ein ordentlicher Rechtsbehelf gegen die anzuerkennende Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat eingelegt, so besteht nach Art 27 die Möglichkeit zur Aussetzung des Verfahrens. Die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde vor einem nicht in den Instanzenzug eingebundenen Verfassungsgericht eines anderen Mitgliedstaats steht der Anerkennung nicht entgegen.25 2. Anerkennung als Wirkungserstreckung 13 Anerkennung bedeutet wie in Art 26 EuGVÜ, Art 33 Brüssel I-VO die Erstreckung der

Wirkungen, die der Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat (Art 2 Nr 5) zukommen, auf den Anerkennungsstaat.26 Das umfasst die materiellen Rechtskraftwirkungen, die Gestaltungswirkungen, die bei Ehesachenentscheidungen zentrale Bedeutung haben, und ggf Tat17

18

19 20 21 22 23 24 25 26

262

Benicke IPRax 2013, 44, 53; zB Anerkennung einer deutschen sorgerechtlichen Entscheidung in der Türkei nach MSA, in Marokko nach KSÜ. Vgl Art 22 Rn 6; auch § 109 Abs 1 Nr 2 ff FamFG gelten nicht, sind jedoch inhaltsähnlich als Anerkennungshindernisse in Art 22 enthalten. Helms FamRZ 2001, 257, 261; Thomas/Putzo/Hüßtege Vorbem Art 21 Rn 4. Thomas/Putzo/Hüßtege Art 21 Rn 1; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 1. EuGH Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466, 1469. Erwägungsgrund 21. Heiderhoff StAZ 2009, 328, 330; dazu Art 2 Rn 10. Dazu Art 2 Rn 15; aA Cass civ Riv dir int priv proc 2010, 463, 466. Cass civ Riv dir int priv proc 2010, 463, 466 betreffend deutsche Entscheidung und BVerfG. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 1.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 21 Brüssel IIa-VO

bestandswirkungen, soweit die Entscheidung solche erzeugt. Soweit die Entscheidung einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, werden die Vollstreckungswirkungen nicht von der Anerkennung erfasst, sondern erst im Verfahren nach Art 28 ff verliehen,27 sofern es sich nicht um Umgangsentscheidungen handelt, die ggf nach Art 40 ff vollstreckbar sind. Die Anerkennung von Sorgerechtsentscheidungen hindert nicht deren Abänderung, da 14 Sorgerechtsentscheidungen grundsätzlich der Abänderung nach dem Maßstab des Kindeswohls unterliegen. Die Problematik der Abänderung durch einstweilige Maßnahmen, die ein sonst unzuständiges Gericht auf Art 20 stützt, löst sich dadurch, dass solche Maßnahmen nicht nach Art 21 ff anzuerkennen sind.28 3. Kein Anerkennungsverfahren (Abs 1) a) Abs 1 verbietet nach nationalem Recht angeordnete obligatorische Delibations- oder 15 Anerkennungsverfahren.29 Die Anerkennung erfolgt, ohne dass es der Verleihung solcher Wirkungen durch eine Entscheidung im Anerkennungsstaat bedarf.30 Dies entspricht formal dem bewährten Vorbild von Art 26 Abs 1 EuGVÜ. Soweit es sich jedoch bei den von der VO erfassten Entscheidungen (Ehesachen) um solche handelt, die als Gestaltungsurteile einer Vollstreckung nicht bedürfen, hatte das Anerkennungsverfahren bisher eine ähnliche Funktion wie das Exequaturverfahren bei Leistungsurteilen.31 Der Verzicht auf eine formalisierte Überprüfung ist daher für viele Mitgliedstaaten ein Novum32 und bedeutet einen nicht geringen Einschnitt in die Prüfungsdichte bei der Anerkennung von Statusurteilen.33 Hingegen ist die Anerkennung ohne weiteres Verfahren in Sorgerechtssachen aus Art 7 16 MSA bekannt und entspricht auch Art 23 KSÜ. b) Für die Anerkennung von Ehesachenurteilen aus Mitgliedstaaten in Deutschland ent- 17 fällt dadurch das Anerkennungsmonopol der Landesjustizverwaltung nach § 107 FamFG (bis 31.8.2008 Art 7 § 1 FamRÄndG). Dieses Verfahren ist nur noch auf Entscheidungen aus Dänemark und Nicht-EU-Staaten anzuwenden.34 Das durch die Monopolisierung bisher vermiedene Risiko widersprechender Beurteilung der Anerkennung eines ausländischen Ehesachenurteils durch verschiedene mit Folgeentscheidungen befasste deutsche Gerichte wird unter der VO maßgeblich gemindert durch den Wegfall der Zuständigkeitsprüfung im Anerkennungsstadium; wo nicht mehr zu prüfen ist, können sich auch keine divergierenden 27 28 29

30

31 32

33 34

MünchKommFamFG/Gottwald Rn 5. Dazu Art 20 Rn 24. EuGH Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466, 1469; Holzmann FPR 2010, 497, 500. Cass civ Riv dir int priv proc 2007, 1093, 1095: „Il riconoscimento, dunque, è automatico“; OLG Celle FamRZ 2009, 359. Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 586. Jänterä-Jareborg YB PIL 1999, 20: Geltung dieses Prinzips schon bisher zwischen den nordischen Staaten aufgrund Konvention vom 6.2.1931; Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 586: Inzidentanerkennung im nationalen belgischen Recht; Sturlèse JClP (G) 2001, 246: Inzidentanerkennung im nationalen französischen Recht. Helms FamRZ 2001, 257, 261. Helms FamRZ 2001, 257, 263; Vogel MDR 2000, 1049; Hohloch FFE 2001, 50.

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Beurteilungen ergeben. Dieses Risiko wird hingegen nicht schon durch die Vereinheitlichung der Zuständigkeiten in Art 3 ff als solche beseitigt,35 denn deren Anwendung ist eher verstärkt fehleranfällig als die lege fori anzustellende spiegelbildliche Zuständigkeitsprüfung nach § 109 Abs 1 Nr 1 FamFG. 18 c) Das im Einzelfall verbleibende Bedürfnis nach Klarheit der Statusverhältnisse wird

durch das Verfahren nach Abs 336 zufriedengestellt.37 Hingegen ist eine freiwillige Inanspruchnahme des Verfahrens nach § 107 FamFG, das gegenüber einem familiengerichtlichen Feststellungsverfahren nach Abs 3 kostengünstiger wäre, nicht vorgesehen.38 4. Inzidentanerkennung bei Vorfrage (Abs 4) a) Inzidente Vorfragenentscheidung 19 (1) Das Verbot der obligatorischen Anerkennungsentscheidung (Abs 1)39 impliziert das

Prinzip der Inzidentanerkennung. Abs 4 bestätigt nach dem Vorbild von Art 33 Brüssel I-VO jedenfalls die Kompetenz eines Gerichts, vor dem die anzuerkennende Entscheidung als Vorfrage auftritt, inzident über die Anerkennung zu entscheiden.40 Insoweit hat Abs 4 allenfalls klarstellende Natur; ist ein obligatorisches Anerkennungsverfahren nicht vorgesehen, so ist es nicht nur aus Einfachheitsgründen ratsam, das in der Hauptsache entscheidende Gericht mit der Kompetenz zur inzidenten Anerkennung auszustatten;41 es gibt schlechthin keine andere Möglichkeit, denn jede Zuweisung an ein anderes Gericht oder eine Behörde liefe auf eine durch Abs 1 verbotene Institutionalisierung hinaus. 20 Als Vorfrage in diesem Sinn tritt die Entscheidung auf, wenn nach einer Ehesachenent-

scheidung in einem Mitgliedstaat im Inland eine Folgesache anhängig gemacht wird, wenn die entgegenstehende Rechtskraft bei Anhängigmachen eines erneuten gleichartigen Antrags zu prüfen ist,42 aber auch, wenn die Abänderung einer Sorgerechtsentscheidung im Inland beantragt wird. 21 (2) Eine solche inzidente Entscheidung erwächst in Deutschland nicht in Rechtskraft,43

auch dann nicht, wenn eine Entscheidung über eine Folgesache aus Gründen materiellrechtlicher Logik die Auflösung der Ehe voraussetzt. Anders verhält es sich, wenn nach dem Recht des jeweiligen Anerkennungs-Mitgliedstaates auch die Urteilsgründe (der auf der Inzidentanerkennung beruhenden Hauptsacheentscheidung) in Rechtskraft erwachsen. b) Zwischenfeststellungsurteil 22 Fraglich ist, ob über die bloße inzidente Anerkennungsprüfung hinaus das mit der Haupt-

sache gemäß Abs 4 befasste Gericht auf entsprechenden Antrag einer Partei auch im Weg 35 36 37 38 39 40 41 42 43

264

So Vogel MDR 2000, 1049. Unten Rn 31 ff. Helms FamRZ 2001, 257, 261. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 25 zu Art 7 § 1 FamRÄndG aF. Oben Rn 15 ff. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 13; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 14; Vogel MDR 2000, 1049. So Borrás-Bericht Nr 66. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 13. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 13; wohl auch Vogel MDR 2000, 1049.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 21 Brüssel IIa-VO

der Zwischenfeststellung (§§ 113 Abs 1 FamFG, 256 Abs 2 ZPO) eine inter partes wirkende rechtskräftige Entscheidung über die durch eine anzuerkennende Entscheidung bewirkte Statusänderung herbeiführen kann. Da es sich bei beiden fraglos um ein Rechtsverhältnis iSd § 256 Abs 2 ZPO handelt, also § 256 Abs 2 ZPO tatbestandlich eingreift, stellt sich lediglich die Frage, ob Art 21 einem Zwischenfeststellungsantrag entgegenstünde. Das ist zu verneinen. Zwar sieht Abs 3 ein formalisiertes fakultatives Feststellungsverfahren 23 vor. Nach dem in Abs 1 niedergelegten Prinzip sollte es sich hierbei aber nicht um die einzige Möglichkeit der rechtskräftigen Feststellung der Anerkennungsfähigkeit handeln.44 Zudem realisiert sich das im Borrás-Bericht hervorgehobene Vereinfachungsargument45 erst hier, soweit nach dem jeweiligen Verfahrensrecht Zwischenfeststellungen nur bei Tenorierung in Rechtskraft erwachsen: Es ist im Interesse der Verfahrensökonomie ratsam, das Bedürfnis nach rechtskräftiger Feststellung der Anerkennung nicht zwingend auf ein isoliertes Verfahren zu verlagern, wenn ohnehin bereits ein Gericht im Anerkennungsstaat – inzident – mit dieser Frage befasst war und seine Entscheidung ohne weiteren Aufwand lediglich explizit zu machen hat.46 Die ausschließliche Zuständigkeit der Familiengerichte für Entscheidungen in Ehesachen 24 (§ 121 FamFG) begrenzt jedoch die Möglichkeit des Zwischenfeststellungsantrags auf Verfahren vor Familiengerichten.47 Tritt die Anerkennungsfähigkeit zB als Vorfrage in einem Pflichtteilsprozess zwischen einem Ehegatten und den Erben des anderen Ehegatten auf, so ist ein Zwischenfeststellungsantrag unzulässig. 5. Anerkennung zum Zweck der Beischreibung in Personenstandsbüchern (Abs 2) a) Inzidentanerkennung (1) Abs 2 legt ausdrücklich das Prinzip der Inzidentanerkennung auch zum Zweck der 25 Beischreibung des durch eine Ehesachenentscheidung geänderten Status in Personenstandsbüchern fest und erweitert damit die Kompetenz des Abs 4 auf Personenstandsbehörden. Die Bestimmung war einerseits äußerst umstritten, weil die Anerkennung ohne gerichtliche Mitwirkung erfolgt.48 Andererseits handelt es sich um eine der spürbarsten Verbesserungen für die Betroffenen. Die Dokumentation der in einem anderen Mitgliedstaat erfolgten Ehesachenentscheidung in Personenstandsbüchern des Heimat- oder Wohnsitzstaates dürfte der häufigste Fall eines Anerkennungsbedürfnisses sein und ist Ausdruck einer freien Verkehrsfähigkeit von Ehesachenurteilen.49 (2) Die Anerkennung erfolgt also für Zwecke der Eintragung in Personenstandsbücher im 26 standesamtlichen Verfahren. Die Prüfung obliegt dem Standesbeamten. Eine gerichtliche Klärung kann in diesem Fall in den Verfahren nach § 45 Abs 1 bzw Abs 2 PStG stattfinden.50 44

45 46 47 48 49 50

Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 7; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 15; Geimer/Schütze/Paraschas Rn 63; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 81; Hausmann EuLF 2000/01, 351; Vogel MDR 2000, 1049. Borrrás-Bericht Nr 66. IE ebenso Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 13; Vogel MDR 2000, 1049. Helms FamRZ 2001, 257. Borrás-Bericht Nr 63. Vgl Borrás-Bericht Nr 63. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 6.

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27 (3) Erforderlich ist jedoch ausdrücklich (Abs 2 aE) die formelle Rechtskraft der Entschei-

dung.51 Diese Einschränkung ist der Verlässlichkeit des Personenstandswesens geschuldet; Änderungen von Personenstandsbüchern aufgrund noch nicht unanfechtbarer Entscheidungen wären unsinnig. Der Nachweis der formellen Rechtskraft wird durch Vorlage der Bescheinigung gemäß Art 39, Anhang I erbracht, soweit dort im Formblatt Ziff 752 „1. nein“ angekreuzt ist.53 28 (4) Erzeugt die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat materielle Wirkungen (insbeson-

dere gegenüber Dritten) erst nach Eintragung in Personenstandsbücher, so ist dies auf der Ebene der Reichweite der Anerkennung, also für die Wirkungserstreckung beachtlich.54 Ohne eine solche konstitutiv erforderliche Eintragung hat die Entscheidung noch keine anerkennungsfähigen Gestaltungswirkungen.55 29 Fraglich ist aber, ob es als Voraussetzung der Anerkennung in einem anderen Mitgliedstaat

in solchen Fällen zunächst der Eintragung in Personenstandsbücher des Ursprungsmitgliedstaates bedarf, oder ob die formell rechtskräftige, mangels Eintragung noch wirkungslose Entscheidung als Substrat der Beischreibung inzident anerkannt werden kann, dadurch die Eintragung in einem anderen Mitgliedstaat ermöglicht wird und diese Eintragung der Entscheidung Statuswirkungen verleiht. Da es sich hierbei um ein Substitutionsproblem (der Eintragung als Tatbestandselement der Gestaltungswirkungen) handelt, muss zunächst aus Sicht der lex fori des Ursprungsmitgliedstaats geklärt werden, ob das Eintragungserfordernis auch in einem ausländischen Personenstandsregister erfüllt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so kommt eine Anerkennung zum Zweck der Eintragung nicht in Betracht. Erlaubt hingegen die lex fori die Substitution, so sollte die Eintragung nicht daran scheitern, dass das Recht des Anerkennungsstaates, zB das deutsche Recht, dieserart konstitutive Personenstandseintragungen nicht kennt. Das deutsche Personenstandsverfahren kann vielmehr eine solche Eintragung unschwer bewältigen, weil die Rechtsfolgen der Eintragung lege fori des Ursprungsmitgliedstaates kraft Gesetzes eintreten und keine verfahrensrechtliche Anpassung verlangen. b) Inzidentanerkennung durch Behörden in sonstigen Fällen 30 Nicht geregelt ist die Kompetenz zur Inzidentanerkennung von Personenstandsbehörden

und sonstigen Behörden in anderen Fällen. Da das Prinzip der Inzidentanerkennung nach Abs 1 auch in diesen Fällen gilt und Abs 2 für den Sonderfall der Anerkennung zum Zweck der Beischreibung die Kompetenz der Personenstandsbehörde bestätigt, besteht kein Grund, die Prüfung der Anerkennungsfähigkeit im übrigen Gerichten vorzubehalten. Über die in von Abs 2 und Abs 4 genannten Fälle hinaus sind also Behörden zur Inzidentanerkennung auch befugt, wenn kein Fall der Beischreibung vorliegt. Insbesondere prüft der Standesbeamte,56 bei dem eine Partei der ausländischen Entscheidung unter Vorlage eines 51 52

53

54 55 56

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Borrás-Bericht Nr 63. „7. Können gegen die Entscheidung nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats weitere Rechtsbehelfe eingelegt werden?“ De Vareilles-Sommières Gaz Pal 1999, 2027; eingehend zum Umgang mit diesem Formblatt durch den Standesbeamten: Sturm StAZ 2002, 193; vgl auch Art 39 Rn 1 ff. Dazu oben Rn 13; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 43. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 5; Geimer/Schütze/Paraschas Rn 32. Zur Eintragung in Personenstandsbücher Rn 25 ff.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 21 Brüssel IIa-VO

Scheidungsurteils eine anderweitige Eheschließung beantragt,57 die Anerkennungsfähigkeit inzident. II. Anerkennungsfeststellungsverfahren (Abs 3) 1. Bedeutung a) Abs 3 schafft ein Anerkennungsfeststellungsverfahren für Entscheidungen iSd Art 1 31 Abs 1 lit a und lit b, also für Ehesachen und Sorgerechtsentscheidungen.58 Die Regelung entspricht grundsätzlich Art 33 Abs 2 Brüssel I-VO, macht aber ausdrücklich deutlich, dass in dem isolierten Verfahren sowohl die Feststellung der Anerkennungsfähigkeit als auch die der Anerkennungsunfähigkeit begehrt werden kann. Die Bestimmung schafft autonom, also unabhängig vom Vorhandensein eines entsprechenden Rechtsbehelfs im jeweiligen nationalen Verfahrensrecht, die Möglichkeit eines isolierten Feststellungsverfahrens betreffend die Anerkennungsfähigkeit oder -unfähigkeit, wobei ein Antrag auf Feststellung der Anerkennungsunfähigkeit nicht davon abhängt, dass die Gegenseite vorher die Anerkennungsfähigkeit betrieben hat.59 b) Die Feststellung der Anerkennung oder Nichtanerkennung einer Entscheidung ist selbst 31a keine Sachentscheidung.60 Insbesondere ist eine Anerkennungs- oder Nichtanerkennungsentscheidung betreffend eine in einem anderen Mitgliedstaat erlassene Sorgerechtsentscheidung nicht selbst Sachentscheidung über das Sorgerecht; Art 16 HKEntfÜbk steht daher der positiven oder negativen Anerkennungsfeststellung im Verbringungsstaat nach Abs 3 nicht entgegen.61 c) Das Verfahren ist nur „unbeschadet des Abschnitts 4“ statthaft. Entscheidungen, die 32 nach Art 40 ff der unmittelbaren Vollstreckung aufgrund Bescheinigung unterliegen, sind nicht grundsätzlich vom Anwendungsbereich des Abs 3 ausgenommen.62 Ein positiver Anerkennungsfeststellungsantrag wird in diesen Fällen kaum vorkommen, da das Ziel der Vollstreckbarkeit hierdurch nicht erreicht wird; jedenfalls stehen Art 40 ff nicht der Inanspruchnahme des Vollstreckbarerklärungsverfahrens nach Art 28 ff entgegen.63 Konflikte ergeben sich hingegen, wenn man mit dem EuGH64 für Entscheidungen, für die eine Bescheinigung nach Art 41, 42 möglich ist, aber noch nicht erteilt wurde, einen negativen Feststellungsantrag nach Abs 3 nicht als ausgeschlossen ansieht. Prima facie erscheint zwar die Ansicht des EuGH plausibel, das negative Feststellungsverfahren nach Abs 3 könne betrieben werden, so lange keine Bescheinigung nach Art 41, 42 ausgestellt ist. Im Ergebnis kommt es dann jedoch zu einem Entscheidungskonflikt, wenn im Vollstreckungsmitgliedstaat die Anerkennungsunfähigkeit festgestellt wurde und sodann, bzw während Anhängig57 58 59 60 61 62

63 64

Die Entscheidung ist auch zum Zweck der Wiederheirat anzuerkennen: Sturlèse JClP (G) 2001, 246. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 38. EuGH v 11.7.2008 – Rs C-195/08 PPU Inga Rinau, NJW 2008, 2973, 2977. BGH v 28.4.2011 – XII ZB 170/11, FamRZ 2011, 959, 960. BGH v 28.4.2011 – XII ZB 170/11, FamRZ 2011, 959, 960. EuGH v 11.7.2008 – Rs C-195/08 PPU Inga Rinau, NJW 2008, 2973, 2977; Schulz FamRZ 2008, 1732, 1734. Dazu Art 40 Rn 18. EuGH v 11.7.2008 – Rs C-195/08 PPU Inga Rinau, NJW 2008, 2973, 2977.

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keit des negativen Feststellungsverfahrens die Bescheinigung im Ursprungsmitgliedstaat ausgestellt wird,65 weshalb der EuGH das Verhältnis zwischen Abs 3 einerseits und Art 40 ff andererseits leider nicht klar im Sinn eines Vorrangs der Art 40 ff beantwortet.66 33 d) Das Verfahren, das in Art 26 EuGVÜ (Art 33 Abs 2 Brüssel I-VO) als alternative Lösung

für nicht der Vollstreckung zugängliche Entscheidungen geschaffen wurde, erlangt wohl für die VO eine größere praktische Bedeutung, weil insbesondere statusgestaltende Entscheidungen nie der Vollstreckung bedürfen. Wegen der erheblichen rechtlichen Breitenwirkung einer die Ehe auflösenden Entscheidung wird zudem häufig ein Interesse an der Klärung der Anerkennungsfähigkeit bestehen. Strittig ist insoweit allerdings, ob das Verfahren nach Abs 3 geeignet ist, eine inter omnes wirkende Klärung zu erreichen; überwiegend wird vertreten, die Anerkennungsfeststellung wirke nur inter partes.67 Aus Art 33 Abs 2 Brüssel I-VO lässt sich dies jedoch nicht begründen, weil die der Brüssel I-VO unterfallenden Entscheidungen als solche nur inter partes wirken, also weder durch die Inzidentanerkennung, noch durch die Anerkennungsfeststellung weitergehende Wirkungen erlangen können. Hingegen wirken Statusentscheidungen schon als solche inter omnes, eine Wirkung, welche die Anerkennung ihnen belässt. Das Verfahren nach Abs 3 stellt aber nicht mehr und nicht weniger fest als eben die Wirkungen, welche auch die Inzidentanerkennung einer Entscheidung beimisst.68 Im Übrigen würde gerade bei Entscheidungen in Ehesachen der Zweck des Abs 3 völlig verfehlt, wenn sich ein Dritter (zB der neue Verlobte als Zeuge in einem Strafverfahren) nicht auf die Anerkennungsfeststellung berufen könnte.69 33a e) Bedarf eine Entscheidung der Vollstreckung, so steht mit der Feststellung der Nicht-

anerkennung nach Abs 3 zugleich für das Vollstreckbarerklärungsverfahren die Anerkennungsunfähigkeit fest. Umgekehrt ist fraglich, ob mit der auf Sachgründe gestützten Abweisung eines auf Nichtanerkennung gerichteten Feststellungsbegehrens für das Vollstreckbarerklärungsverfahren rechtskräftig feststeht, dass die Vollstreckbarerklärung nicht an Anerkennungshindernissen scheitert.70 Dies ist zu bejahen;71 die Feststellung der Nichtanerkennung nach Abs 3 ist zur Feststellung der Anerkennung bzw zur Vollstreckbarerklärung, soweit hierzu die Anerkennung Voraussetzung ist, positiv und negativ komplementär. 2. Antragsberechtigung, insbesondere besonderes Interesse 34 a) Antragsberechtigt sind nicht nur die Parteien des Ausgangsverfahrens.72 Die Antrags65 66 67

68 69 70 71 72

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Dazu Art 40 Rn 19 f. Diesen Fall übersieht wohl Rieck NJW 2008, 2958, 2960. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 7; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 89; Zöller/Geimer Rn 14, 26; Helms FamRZ 2001, 257, 261; Schack RabelsZ 65 (2001) 615, 629; Hausmann EuLF 2000/01, 345, 351; ähnlich MünchKommFamFG/Gottwald Rn 7: Deklaratorische Feststellung. IE ebenso Geimer/Schütze/Paraschas Rn 57. Andrae ERA-Forum 2003, 28, 39. Dahingestellt in BGH v 28.4.2011 – XII ZB 170/11, FamRZ 2011, 959, 961. Zöller/Vollkommer § 322 Rn 11. Helms FamRZ 2001, 257, 261; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 7.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 21 Brüssel IIa-VO

berechtigung setzt vielmehr ein besonderes Interesse der antragstellenden Partei voraus. Dieses Interesse ist allerdings bei Ehesachenentscheidungen für die betroffenen Ehegatten in aller Regel großzügig zu bejahen,73 sofern der Antragsteller eine nicht nur hypothetische Beziehung zu dem Mitgliedstaat hat, in dem die Feststellung begehrt wird. Es ist sicher zu bejahen, wenn die Gefahr besteht, dass verschiedene Gerichte und Behörden in dem betreffenden Staat unterschiedlich inzident zur Anerkennungsfähigkeit entscheiden könnten oder zwischen den Ehegatten Streit über die Anerkennungsfähigkeit besteht.74 Es muss aber auch genügen, wenn ein Ehegatte selbst Zweifel an der Anerkennungsfähigkeit hat und in einem anderen Mitgliedstaat erneut heiraten will; die Möglichkeit der Inzidentklärung durch den Standesbeamten und der gerichtlichen Entscheidung nach § 45 Abs 2 PStG erfüllt nicht den Zweck einer vorsorglichen Klärung. b) Dritte bedürfen hingegen eines konkreten besonderen Interesses im Einzelfall. Im All- 35 gemeinen wird ein solches Interesse nur zu bejahen sein, wenn sich eine mögliche Auswirkung der Anerkennungsfähigkeit auf Rechtspositionen des Antragstellers verdichtet hat. Kinder sind daher zB zwar antragsberechtigt, soweit die Entscheidung Einfluss auf ihre familienrechtliche Stellung haben kann; als Erben sind sie hingegen grundsätzlich nicht im Hinblick auf eine potentielle Erbenstellung, sondern erst nach Eintritt des Erbfalls antragsberechtigt, es sei denn, die Wirksamkeit eines erbrechtlichen Rechtsgeschäfts (Erbvertrag, Testament) hängt von der Anerkennung der Entscheidung ab. Der Verlobte eines der früheren Ehegatten ist mit Rücksicht auf die Klärung der Eheschließungsvoraussetzungen ebenfalls antragsberechtigt. c) Für ein Antragsrecht von Behörden fehlt es an einem Bedürfnis, soweit die Behörde 36 befugt und verpflichtet ist, über die Anerkennungsfähigkeit zu entscheiden. Insbesondere kommt dem Standesbeamten kein Antragsrecht zu.75 Insoweit ist es Sache des maßgeblichen Verfahrensrechts, ggf Rechtsbehelfe bereitzustellen, die es dem mit der Frage befassten Amtsträger ermöglichen, bei Zweifeln eine gerichtliche (zB § 45 Abs 1 PStG) oder aufsichtsbehördliche Entscheidung herbeizuführen. Nimmt hingegen die Behörde die Rolle eines Antragstellers in einem anderweitigen Ver- 37 fahren (zB die Verwaltungsbehörde nach § 1316 Abs 3 BGB) oder eines Beteiligten (zB Jugendamt) ein, so kommt ein Antragsrecht in Betracht.76 Das besondere Interesse liegt vor, wenn die Anerkennungsfähigkeit eine entscheidungserhebliche und zweifelhafte Vorfrage in einem von der Behörde angestrengten oder konkret geplanten Verfahren darstellt. 3. Verfahrensfragen (Abs 3 S 2) a) Es gelten für das Verfahren die Bestimmungen über das Vollstreckbarerklärungsver- 38 fahren aufgrund Verweisung auf den Abschnitt 2 des III. Kapitels (Art 28 bis 36). Das örtlich zuständige Gericht wird aufgrund des neu eingefügten Abs 3 S 2 – in der Brüssel 39 73 74 75

76

Helms FamRZ 2001, 257, 261. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 7. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 46; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 85; aA Helms FamRZ 2001, 257, 261: Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 7; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 10. Borrás-Bericht Nr 65; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 9.

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II-VO noch im Zusammenhang mit dem Vollstreckungsverfahren in Art 22 Abs 3 geregelt – durch die lex fori des Staates bestimmt, in dem die Anerkennung oder Nichtanerkennung beantragt wird. Dieses Gericht ist in der Liste anzuführen, die jeder Mitgliedstaat gemäß Art 68 der Kommission mitzuteilen hat. In Deutschland bestimmt sich die – ausschließliche – örtliche Zuständigkeit nach § 10 IntFamRVG (s Gesetzesanhang).77 Sachlich zuständig ist ebenfalls nach § 10 IntFamRVG das Familiengericht und zwar (§ 12 Abs 1 IntFamRVG) für jeden OLG-Bezirk das Familiengericht, in dessen Bezirk das OLG seinen Sitz hat, im Bezirk des KG das FamG Pankow/Weißensee (§ 12 Abs 2 IntFamRVG). Zuständig ist in subsidiärer Ordnung das zentralisierte Familiengericht, in dessen Zuständigkeitsbereich zum Zeitpunkt der Antragstellung 1. die Person, gegen die sich der Antrag richtet, oder das Kind, auf das sich die Entscheidung bezieht, sich gewöhnlich aufhält oder 2. bei Fehlen einer Zuständigkeit nach Nr 1 das Interesse an der Feststellung hervortritt oder das Bedürfnis der Fürsorge besteht, 3. sonst das im Bezirk des KG zur Entscheidung berufene Gericht. 40 b) Die Einleitung eines Verfahrens nach Abs 3, § 10 IntFamRVG führt ungeachtet des § 137

Abs 1, 3 FamFG zu einer obligatorischen Konzentration aller dasselbe Kind betreffenden Familiensachen nach § 151 Nr 1 bis 3 FamFG einschließlich von Verfügungen nach §§ 35, 89 bis 94 FamFG78 bei dem für die Anerkennung nach Abs 3 zuständigen Gericht, es sei denn, der Antrag ist offensichtlich unzulässig (§ 13 Abs 1 IntFamRVG). Der Bezugnahme auf „dasselbe Kind“ ist zu entnehmen, dass eine solche Zuständigkeitskonzentration nur eintritt, wenn der Anerkennungsantrag nach Abs 3 eine Sorgerechtssache betrifft oder mit betrifft. Hierdurch soll das für die Anerkennung zuständige Gericht in die Lage versetzt werden, eine ausländische Sorgerechtsentscheidung zu ergänzen oder anzupassen.79 41 Eine fakultative Konzentration ermöglicht § 13 Abs 2 IntFamRVG, wonach bei dem mit

der Anerkennung befassten zentralisierten FamG auch eine andere Familiensache nach § 151 Nr 1 bis 3 FamFG anhängig gemacht werden kann, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, ein Elternteil aber in einem anderen Mitgliedstaat80 hat. Diese fakultative Konzentration gilt jedoch nur für die Anhängigmachung und erlaubt nicht die Abgabe auf einseitigen Antrag.81 § 13 Abs 3 S 1 IntFamRVG bestimmt im Fall des § 13 Abs 1 IntFamRVG die Abgabe der anderweit anhängigen Familiensache an das mit der Anerkennung befasste Gericht, § 13 Abs 3 S 2 IntFamRVG erlaubt eine solche Abgabe in einer Situation des § 13 Abs 2 IntFamRVG auf übereinstimmenden Antrag. 42 Auf das Verfahren82 sind gemäß § 32 IntFamRVG die Bestimmungen über die Zulassung der

Zwangsvollstreckung im ersten Rechtszug, im Beschwerdeverfahren und im Rechtsbe77 78

79 80 81 82

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Dazu Gruber FamRZ 2005, 1603, 1604. Das gesondert geregelte Ordnungsmittelverfahren nach § 44 IntFamRVG ist durch die Übernahme der Vollstreckung durch Ordnungsmittel in § 89 FamFG auch für innerstaatliche Vollstreckungsfälle überflüssig geworden; die Vollstreckung erfolgt nunmehr einheitlich nach §§ 88 bis 94 FamFG, BT-Drs 16/6308, 762. BT-Drs 15/3981, 23. Bzw Vertragsstaat des KSÜ oder des HKindEntfÜbk. BT-Drs 15/3981, 23. Dazu Gruber FamRZ 2005, 1603, 1607.

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Art 22 Brüssel IIa-VO

schwerdeverfahren (§§ 16 bis 31 IntFamRVG) entsprechend anzuwenden.83 Es gelten damit die bei den Art 28 bis 36 im Einzelnen erörterten Verfahrensvorschriften des IntFamRVG (sinngemäß) auch im Verfahren nach Art 21 Abs 3.84 Im Übrigen gelten gemäß § 14 IntFamRVG für das Verfahren die Bestimmungen des FamFG in Ehesachen und in Kindschaftssachen. Einstweilige Anordnungen innerhalb dieses Verfahrens bestimmen sich nach § 15 IntFamRVG iVm Abschnitt 4 des 1. Buches FamFG. Anwaltszwang besteht im ersten Rechtszug nicht (§ 18 Abs 2 IntFamRVG iVm § 130 Abs 1 FamFG).85 Die Kosten für das Anerkennungsverfahren ergeben sich aus dem Kostenverzeichnis Anlage zu § 2 Abs 2 FamGKG; an Gerichtsgebühren werden für die Anerkennung im erstinstanzlichen Verfahren einheitlich 200 J (Nr 1710 Kostenverzeichnis), in der Rechtsmittelinstanz 300 J (Nr 1720 Kostenverzeichnis) erhoben.86

Artikel 22: Gründe für die Nichtanerkennung einer Entscheidung über eine Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe Eine Entscheidung, die die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung einer Ehe betrifft, wird nicht anerkannt, a) wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung des Mitgliedstaats, in dem sie beantragt wird, offensichtlich widerspricht; b) wenn dem Antragsgegner, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt wurde, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, es wird festgestellt, dass er mit der Entscheidung eindeutig einverstanden ist; c) wenn die Entscheidung mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die in einem Verfahren zwischen denselben Parteien in dem Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung beantragt wird, ergangen ist; oder d) wenn die Entscheidung mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat zwischen denselben Parteien ergangen ist, sofern die frühere Entscheidung die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anerkennung in dem Mitgliedstaat erfüllt, in dem die Anerkennung beantragt wird. I.

83 84

85 86

Struktur der Anerkennungsversagungsgründe 1. Änderung gegenüber Brüssel II; Wegfall von Art 16 Brüssel II-VO . . . . . . 1 2. Anlehnung an Brüssel I . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 3. Zuständigkeit, IPR und materielle Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

II.

Anerkennungsversagungsgründe (Ehesachenentscheidungen) 1. Ordre public (lit a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2. Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks (lit b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 a) Nichteinlassung des Antragsgegners . . . 12 b) Überprüfung der Zustellung . . . . . . . . . . . . 14

NK-BGB/Andrae Rn 24. BGH v 28.4.2011 – XII ZB 170/11, FamRZ 2011, 959, 961; zur Rechtsbeschwerde BGH v 25.7.2012 – Az XII ZB 170/11, FamRZ 2012, 1561. NK-BGB/Andrae Rn 35. Zur Übernahme aus § 51 intFamRVG aF: BT-Drs 16/6308, 762.

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Art 22 Brüssel IIa-VO c) Einverständnis des Antragsgegners mit der Ehescheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3. Unvereinbarkeit mit Entscheidung im Anerkennungsstaat (lit c) . . . . . . . . . . 21

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung 4. Unvereinbarkeit mit Entscheidung in anderem Mitgliedstaat oder Drittstaat (lit d) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

I. Struktur der Anerkennungsversagungsgründe 1. Änderung gegenüber Brüssel II; Wegfall von Art 16 Brüssel II-VO 1 a) Die Anerkennungsversagungsgründe in Art 15 Abs 1 (Ehesachen) und Abs 2 (elterliche

Verantwortung) Brüssel II-VO wurden auf Art 22 und Art 23 verteilt. Mit Ausnahme der neuen lit g in Art 23 sind hiermit keine inhaltlichen Änderungen verbunden. 2 b) Ersatzlos entfallen ist jedoch der Anerkennungsversagungsgrund in Art 16 Brüssel

II-VO, wonach ein Gericht eines Mitgliedstaats die Anerkennung versagen durfte, wenn in den Fällen der Restzuständigkeiten (jetzt Art 7) die zur Anerkennung stehende Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat nur auf in der VO nicht genannte Zuständigkeitskriterien gestützt werden konnte und die Anerkennung einer Übereinkunft zwischen dem Anerkennungsstaat und einem Drittstaat widersprochen hätte. Eine ausdrückliche Anregung der deutschen Delegation,1 eine solche Bestimmung aufzunehmen, war erfolglos, ohne dass die Gründe hierfür aus den Materialien erkennbar sind. Dies erweitert die Anerkennungspflicht und zwingt Mitgliedstaaten ggf gegenüber Drittstaaten vertragsbrüchig zu werden.2 2. Anlehnung an Brüssel I 3 a) Art 22 und 23 stellen nach dem Vorbild von Art 27 EuGVÜ und Art 34 Brüssel I-VO

getrennt für Ehesachen und Sorgesachen die Gründe zusammen, aus denen die Anerkennung versagt werden kann. Die Gründe, aus denen die Anerkennung zu versagen ist, sind in Art 22 und 23 abschließend aufgezählt, soweit nicht Art 24 ff ausnahmsweise eine weitergehende Prüfung erlauben.3 Sie sind andererseits zwingender Natur; liegt ein Anerkennungsversagungsgrund vor, so kann die Anerkennung nicht nur versagt werden, sie ist zu versagen.4 Sämtliche Anerkennungsversagungsgründe sind von Amts wegen zu prüfen; einer Rüge durch eine Partei bedarf es nicht. 4 b) Auch der auf eine bipolare Parteistellung ausgelegte Katalog in Art 22 entspricht nicht

völlig dem in Art 34 Brüssel I-VO, was dazu führen kann, dass für Folgesachen (insbeson-

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Rat der Europäischen Union, Vermerk der deutschen Delegation, 21.3.2003, 7730/03, 5. Zum Zweck und zur Reichweite des Art 16 Brüssel II-VO vgl 1. Auflage Art 16 Rn 1 ff. Zweifelhaft daher: EuGH v 22.12.2010 – Rs C-497/10 PPU Mercredi/Chaffe, IPRax 2012, 340, 344: Keine Anerkennung bei Verstoß zweitangerufenen Gerichts gegen Art 19, obwohl dies in Art 22 ff nicht bestimmt ist; dazu Art 19 Rn 60. Borrás-Bericht Nr 67; eine andere Frage ist, dass insbesondere der Anerkennungsversagungsgrund des ordre public-Verstoßes einen Beurteilungsspielraum eröffnet.

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dere Unterhalt) andere Regeln gelten als für die Ehesache selbst:5 Die im Vergleich zu Art 27 Nr 2 EuGVÜ in Art 34 Nr 2 Brüssel I-VO geänderte Behandlung des rechtlichen Gehörs im Stadium der Verfahrenseinleitung wird in lit b in wiederum abweichender Weise erfasst: Statt der formalen Rechtsmittelobliegenheit stellt lit b auf das materielle Einverständnis des Antragsgegners ab („es sei denn, es wird festgestellt, dass er mit der Entscheidung eindeutig einverstanden ist“), was angesichts der Interessenlage im Statusverfahren durchaus gerechtfertigt ist. 3. Zuständigkeit, IPR und materielle Rechtsanwendung Weitere Bestimmungen zum Überprüfungsumfang hinsichtlich der anzuerkennenden Ent- 5 scheidung enthalten Art 24 ff. Die Zuständigkeit des Gerichts im Ursprungsmitgliedstaat wird nicht überprüft (Art 24).6 Geprüft werden muss aber ggf bei der Anerkennung einstweiliger Maßnahmen, ob sich das Gericht auf eine Zuständigkeit der VO oder (nur) auf Art 20 gestützt hat, denn Art 21 ff sind auf die Anerkennung von Maßnahmen nach Art 20 ff nicht anwendbar.7 Eine Art 35 Abs 1 Brüssel I-VO entsprechende Bestimmung wäre nicht sinnvoll, weil die VO keine verordnungsintern ausschließlichen Zuständigkeiten enthält. Eine materielle Prüfung findet ebenfalls nicht statt (Art 26); insbesondere auch keine Prü- 6 fung am Maßstab des Scheidungs- und Eheaufhebungsstandards des Anerkennungsstaates oder des nach dessen Recht anwendbaren Rechts (Art 25). Das entspricht dem Wegfall des Statusvorbehalts aus Art 27 Nr 4 EuGVÜ sowohl in Art 34 Brüssel I-VO als auch in dieser VO und stimmt überein mit dem in dieser VO eingeleiteten Einstieg in die wechselseitige Anerkennung von Familien- und Erbsachen. Art 25 beeinflusst sogar den Anerkennungsversagungsgrund des ordre public (Art 22 lit a), weil die Bestimmung klarstellen soll,8 dass aus den dort genannten Gründen grundsätzlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des ordre public die Anerkennung versagt werden darf. II. Anerkennungsversagungsgründe (Ehesachenentscheidungen) 1. Ordre public (lit a) (a) Obgleich der ordre public als Anerkennungsversagungsgrund im EuGVÜ eine beschei- 7 dene Rolle spielte, wird seine Notwendigkeit weiterhin bejaht; insbesondere in Anwendung des materiellen Rechts eines Drittstaates durch Gerichte eines Mitgliedstaates mit weniger dichter ordre-public-Kontrolle kann es selbst dann noch zu Verstößen kommen, wenn dereinst eine Orientierung des eigenen Rechts der Mitgliedstaaten an einheitlichen Verfassungsmaßstäben Wirklichkeit sein sollte. Umso mehr gilt dies für Statussachen, weil insoweit die Sensibilität in Bezug auf Grundprinzipien9 und die Divergenz der materiellen Rechtsordnungen größer ist.

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Kritisch daher Zöller/Geimer Rn 4. EuGH v 26.4.2012 – Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466, 1469. EuGH v 15.7.2010 – Rs C-256/09 Purrucker/Vallés Pérez I, FamRZ 2010, 1521; BGH v 9.2.2011 – XII ZB 182/08, NJW 2011, 855, 857 ff; dazu Art 20 Rn 24. Borrás-Bericht Nr 69. Borrás-Bericht Nr 69.

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8 (b) Die Struktur der Prüfung entspricht der bei Art 34 Nr 1 Brüssel I-VO.10 Es kann also

sowohl der materielle als auch der verfahrensrechtliche ordre public verletzt sein. Ein Anerkennungsversagungsgrund ergibt sich nur bei offensichtlichen Verstößen gegen elementare Grundprinzipien. Der Begriff des ordre public ist zwar autonom auszulegen.11 Inhaltlich ist jedoch nicht ein europäischer ordre public maßgeblich, sondern der des jeweiligen Anerkennungsstaates. Verletzungen des Zuständigkeitssystems oder der Unterschiede im anzuwendenden Recht als solche verletzen mit Rücksicht auf Art 24, 25 nicht den ordre public.12 Grundsätzlich kann deshalb die Nichtanerkennung nicht auf unterschiedliche Maßstäbe bei Trennungsfristen oder Intensität der Zerrüttungsprüfung gestützt werden;13 Art 24 dient ausdrücklich dem Ziel, ein Scheitern der Urteilsfreizügigkeit an der unterschiedlichen Sicht zulässiger Scheidungsgründe zu vermeiden.14 Das schließt es aber nicht aus, dass ein eher scheidungsunfreundlicher Mitgliedstaat einer extrem großzügig gewährten Scheidung, zB einer reinen Konsensualscheidung ohne Zerrüttungsprüfung, zulässigerweise die Anerkennung versagt.15 Wie sich maltesische Gerichte nach dem Wirksamwerden des Beitritts insoweit verhalten werden, muss sich zeigen. 9 (c) Aus deutscher Sicht als Anerkennungsstaat dürfte der materielle ordre public kaum je

verletzt sein. Da das materielle deutsche Scheidungsrecht zu den liberaleren in Europa gehört und das unüberprüfte einverständliche Behaupten des nicht formalisierten Trennungsjahres (§ 1565 Abs 2 BGB) vor deutschen Familiengerichten eher die Regel ist, stößt sich der deutsche ordre public auch nicht an reinen Konsensualscheidungen. Insoweit kann auf die Rechtsprechung zu § 328 Abs 1 Nr 4 aF ZPO (nun § 109 Abs 1 Nr 4 FamFG) zurückgegriffen werden. Die im Rahmen von Art 6 EGBGB häufiger problematischen Fälle einseitiger rechtsgeschäftlicher Scheidungen fallen nicht in den Anwendungsbereich der VO. 10 Der deutsche ordre public wird viel eher dadurch berührt sein, dass unter der VO die

Zuständigkeit deutscher Gerichte zur Scheidung gescheiterter Ehen deutscher Staatsangehöriger empfindlich eingeschränkt wurde. Diesen positiven ordre public, der die Sicherstellung einer Zuständigkeit und der Anwendung deutschen Rechts erfordern würde, kann die klassisch auf den negativen, also abwehrenden, ordre public zugeschnittene Bestimmung nicht schützen.16 11 (d) Auch der deutsche verfahrensrechtliche ordre public dürfte hinsichtlich von Ehesa-

chenentscheidungen in typischen Fällen nicht sensibler sein als der anderer Mitgliedstaaten, da die Verfahrenseinleitung als der Kern des rechtlichen Gehörs durch lit b geregelt ist und das deutsche Verfahren weder eine Formalisierung der Trennung noch Versöhnungsver10 11 12 13 14 15

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Vgl Rauscher/Leible Art 34 Brüssel I-VO; Hausmann EuLF 2000/01, 349. EuGH Rs C-7/98 Krombach/Bamberski IPRax 2000, 406; Hausmann EuLF 2000/01, 349. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 1. NK-BGB/Andrae Rn 4. Borrás-Bericht Nr 69. Prominent hierzu die Abgrenzung in Italien, wonach zwar das Fehlen einer formalisierten Trennung vor der Zerrüttungsscheidung nicht dem italienischen ordre public widerspricht, jedoch eine Ehescheidung ohne Zerrüttungsprüfung nicht anerkennungsfähig ist: Cass civ 2006/16978; App Perugia Riv dir int priv proc 2012, 153, 158. Dazu im Einzelnen Art 3 Rn 28.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 22 Brüssel IIa-VO

suche zwingend als eheerhaltende verfahrensrechtliche Momente vorsieht. Die ersatzlose Streichung von § 630 ZPO aF aus Anlass der Überleitung in das FamFG ist ein weiteres Indiz dafür, dass der deutsche verfahrensrechtliche ordre public wenig Raum für zwingende eheerhaltende Verfahrensweisen bietet. 2. Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks (lit b) a) Nichteinlassung des Antragsgegners Verspätete oder mangelhafte Zustellung kann der Anerkennung nur entgegenstehen, wenn 12 sich der Antragsgegner nicht auf das Verfahren im Ursprungsmitgliedstaat eingelassen hat, also eine Versäumnisentscheidung vorliegt. Einlassung ist jedes Verhalten, durch das der Antragsgegner zu erkennen gibt, dass er von dem Verfahren Kenntnis hat und die Möglichkeit zur Verteidigung hatte.16a Hat sich der Antragsgegner nur zu dem Zweck eingelassen, die mangelnde Verteidigungsmöglichkeit zu rügen, fehlt es hingegen an der Anerkennungsfähigkeit. Einer Rüge durch den Antragsgegner im Anerkennungsstadium bedarf es nicht;17 der Versagungsgrund ist, wie alle Versagungsgründe, von Amts wegen zu prüfen. Geschützt wird wie in Art 34 Nr 2 Brüssel I-VO18 die Gewährung rechtlichen Gehörs im 13 Stadium der Verfahrenseinleitung; spätere Verletzungen des rechtlichen Gehörs sind ggf durch lit a (ordre public) zu erfassen. b) Überprüfung der Zustellung (1) Zentrales Kriterium ist die rechtzeitige, eine Verteidigung ermöglichende Zustellung. 14 Verfahrenseinleitendes Schriftstück ist wie zu Art 34 Nr 2 Brüssel I-VO jenes Schriftstück, durch das der Antragsgegner erstmals von dem Verfahren Kenntnis erlangen soll.19 (2) Die Änderung der Prüfungsdichte hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit der Zustel- 15 lung, die in lit b und Art 34 Nr 2 Brüssel I-VO im Vergleich zu Art 27 Nr 2 EuGVÜ eingetreten ist, gibt Anlass zu Fragen. Nachdem der EuGH20 zu Art 27 Nr 2 EuGVÜ kumulativ die Ordnungsgemäßheit und die Rechtzeitigkeit der Zustellung gefordert hatte, soll mit der Neufassung unstreitig erreicht werden, dass bloße Formfehler der Zustellung nicht per se zur Anerkennungsversagung führen.21 Daraus ist jedoch nicht zu folgern, es komme generell auf die Ordnungsgemäßheit der Zustellung nicht mehr an.22 Gerade nachdem die Zustellung zwischen den Mitgliedstaaten durch die EG-ZustVO 2000, seit 13.11.2008 EGZustVO 2007, erheblich vereinfacht wurde und auch die eine Zustellung mittels Übersendung durch die Post bisher ablehnenden Staaten in diesen Zustellungsweg eingebunden werden,23 kann es nicht Ziel des EU-Anerkennungsrechts sein, Anreize zum Verlassen geregelter Bahnen des Zustellungsrechts zu geben. Lit b spricht ausdrücklich von „zugestellt“ 16a 17 18 19 20

21 22 23

OLG Stuttgart v 5.3.2014 – 17 UF 262/13, FamRZ 2014, 1567, 1570 (zu Art 23). Art 22 lit b entspricht insoweit Art 34 Nr 2 Brüssel I-VO und weicht von § 109 Abs 1 Nr 2 FamFG ab. Vgl Rauscher/Leible Art 34 Brüssel I-VO Rn 23. Vgl Rauscher/Leible Art 34 Brüssel I-VO Rn 28. EuGH Rs 166/80 Klomps/Michel EuGHE 1981, 1593; EuGH Rs C-305/88 Lancray/Peters EuGHE 1990 I 2725. Hausmann EuLF 2000/01, 349. Geimer IPRax 2001, 73; Schack RabelsZ 65 (2001) 615, 627. Siehe Rauscher/Heiderhoff Art 14 EG-Zustell-VO Rn 4 ff.

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und meint damit nicht nur eine irgend geartete, wenn nur rechtzeitige Kenntnisgabe.24 Gerade wenn man die an der förmlichen Haltung des EuGH geübte Kritik beim Wort nimmt, kann es nur darum gehen, die Anerkennung nicht wegen bloßer Formverstöße zu versagen, nicht aber Fälle der offenbaren Nicht-Zustellung zu dulden. 16 Die Bestimmung ist vielmehr zweckentsprechend, also mit Blick auf die Sicherung der

Verteidigungsmöglichkeit bei Tolerierung „bloßer“ Formfehler zu verstehen: Voraussetzung der Anerkennung bleibt grundsätzlich, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück dem Antragsgegner nach den maßgeblichen Bestimmungen, seit Inkrafttreten der EGZustVO nach dieser, zugestellt wurde. Sind dabei Mängel unterlaufen, so indiziert das zwar weiterhin einen Anerkennungsversagungsgrund, hindert aber die Anerkennung nicht, sofern der Mangel nicht die rechtzeitige Kenntnisnahme und damit die Verteidigungsmöglichkeit behindert hat.25 17 (3) Prüfungsschwerpunkt ist die rechtzeitige Zustellung zur Ermöglichung der Verteidi-

gung. Erforderlich ist ein nach den Umständen autonom zu bestimmender Zeitraum zur ausreichenden Vorbereitung der Verteidigung, der auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme folgt.26 Die Beurteilung der erforderlichen Frist orientiert sich, wie schon zu Art 27 Nr 2 EuGVÜ, nicht an Fristbestimmungen des nationalen Rechts im Ursprungs- oder Anerkennungsstaat. 18 Eine ordnungsgemäße Zustellung indiziert hierbei die Möglichkeit der Kenntnisnahme im

Zeitpunkt der Zustellung; eines Nachweises tatsächlich erfolgter Kenntnisnahme bedarf es nicht, es sei denn, dass die Umstände der Zustellung (zB öffentliche Zustellung) eine Kenntnisnahme unwahrscheinlich erscheinen lassen. Eine nicht ordnungsgemäße Zustellung indiziert hingegen das Fehlen der Kenntnisnahmemöglichkeit, wenn der Zustellungsmangel geeignet war, die Verteidigungsmöglichkeit zu behindern. Das ist offenbar der Fall, wenn das Schriftstück nicht in einer der nach Art 8 EG-ZustVO 200727 zulässigen Sprachen zugestellt wurde.28 Aber auch dann, wenn die Zustellung in einer Weise erfolgte, der nicht die in der nun autonom geregelten Form des Art 14 EG-ZustVO verkörperte Warnfunktion zukommt, wird die Verteidigungsmöglichkeit beschränkt. ZB muss ein Antragsgegner, der sich an der Zustellung mit Einschreiben/Rückschein orientieren darf, eine „Zustellung“ per einfachem Brief nicht ernst nehmen. c) Einverständnis des Antragsgegners mit der Ehescheidung 19 (1) Anders als Art 34 Nr 2 Brüssel I-VO erfasst lit b das Phänomen der Rechtsbehelfs-

obliegenheit. Zu Recht verliert der Antragsgegner den Schutz der lit b nicht schon dann, wenn er gegen die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat keinen Rechtsbehelf eingelegt hat; Passivität gegenüber einer Ehesachenentscheidung kann vielfältige Gründe haben, sig-

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26

27 28

276

Ebenso Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 22 f. Wie hier auch: Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 2; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 36 ff; Geimer/Schütze/ Paraschas Rn 26. Vgl EuGH Rs 166/80 Klomps/Michel EuGHE 1981, 1593; im Einzelnen Rauscher/Leible Art 34 Brüssel I-VO Rn 34 f. Anwendbar seit dem 13.11.2008. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 2.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 22 Brüssel IIa-VO

nalisiert nicht notwendig Zustimmung29 und kann nicht zur Grundlage des verwirkungsähnlichen Verlusts des Schutzes rechtlichen Gehörs gemacht werden. (2) Der Anerkennungsversagungsgrund greift nur dann nicht ein, wenn der Antragsgegner 20 die Entscheidung in der Sache akzeptiert, wenn er mit ihr „eindeutig einverstanden“ ist. Das Gericht hat also nicht von Amts wegen die Anerkennung zu versagen, obwohl auch der Antragsgegner mit dem materiellen Ergebnis der Statusentscheidung einverstanden ist. Das setzt ein Verhalten voraus, aus dem sich eindeutig ergibt, dass der Antragsgegner die Entscheidung akzeptiert;30 es liegt zB vor, wenn er bereits Schritte im Hinblick auf eine erneute Eheschließung unternommen hat oder wenn er aus der Statusentscheidung Rechtsfolgen (Unterhalt, Versorgungsausgleich) herleiten will.31 Hingegen ist, wie sich aus dem Unterschied der Fassung zu Art 34 Nr 2 Brüssel I-VO und deren Motiv32 ergibt, die Unterlassung eines Rechtsmittels im Ursprungsmitgliedstaat nicht in diesem Sinn als Einverständnis zu werten.33 3. Unvereinbarkeit mit Entscheidung im Anerkennungsstaat (lit c) a) Lit c entspricht Art 34 Nr 3 Brüssel I-VO.34 Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung in 21 dem Staat, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, steht der Anerkennung entgegen, unabhängig davon, welche Entscheidung früher ergangen ist oder welches Verfahren früher eingeleitet wurde.35 Die widersprechende Entscheidung aus dem Anerkennungsstaat muss nicht in den Anwendungsbereich der VO fallen. Fällt sie in den Anwendungsbereich der VO, so muss sie nicht notwendiger Weise in anderen Mitgliedstaaten anerkennungsfähig sein. Voraussetzung der Anerkennungsversagung nach lit c ist die Identität der Parteien in 22 beiden Verfahren, während in sachlicher Hinsicht nicht Übereinstimmung des Streitgegenstandes, sondern eine autonom zu bestimmende36 Unvereinbarkeit erforderlich ist. Grundsätzlich liegt dann Unvereinbarkeit vor, wenn die anzuerkennende Entscheidung eine statusrechtliche Wirkung hat, die vor dem Hintergrund der im Anerkennungsstaat vorhandenen Entscheidung nicht (mehr) eintreten kann.37 b) Unvereinbarkeit mit einem im Anerkennungsstaat früher eingeleiteten Verfahren sieht 22a Art 22 nicht als Anerkennungshindernis vor; hingegen geht der EuGH davon aus, dass die Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat nicht anerkannt werden muss, wenn im Anerkennungsstaat ein Verfahren zum selben Gegenstand früher anhängig war und das

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34 35 36 37

Helms FamRZ 2001, 257, 264. Borrás-Bericht Nr 70. Borrás-Bericht Nr 70; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 2. Soeben Rn 19. Helms FamRZ 2001, 257, 264; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 2; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 9; Geimer/Schütze/Paraschas Rn 29; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 68; aA Zöller/Geimer Rn 5. Vgl auch Rauscher/Leible Art 34 Brüssel I-VO Rn 43 f. Borrás-Bericht Nr 71; vgl sogleich Rn 22a. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 38. Ähnlich NK-BGB/Andrae Rn 16.

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später angerufene Gericht nicht nach Art 19 verfahren ist.38 Maßgeblich ist insoweit jedoch nicht der vorliegende Unvereinbarkeitsbegriff in lit c, sondern ausschließlich eine Situation, die nach Art 19 Abs 1 die Verpflichtung zur Aussetzung sowie zur späteren Unzuständigerklärung (Art 19 Abs 3) auslöst. 23 c) Unvereinbarkeit liegt vor, wenn im Anerkennungsstaat eine die Ehe auflösende Ent-

scheidung ausgesprochen wurde, während die anzuerkennende Entscheidung nur eine Ehetrennung verfügt. Umgekehrt steht eine Ehetrennung im Anerkennungsstaat nicht der Anerkennung einer die Ehe auflösenden Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat entgegen,39 auch wenn das Ehetrennungsurteil nach dem angewandten materiellen Recht für einen gewissen Zeitraum eine Umwandlung in eine Ehescheidung blockieren würde; denn die Scheidung einer getrennten Ehe führt autonom gesehen nicht zu Unvereinbarkeit und erweist sich allenfalls als nicht zu prüfende Missachtung einer materiellrechtlichen Sperre der Umwandlung. Es setzt sich also einheitlich die am weitesten gehende Statusentscheidung durch.40 24 Ehescheidung und Nichtigerklärung ex tunc sind miteinander nicht deshalb unvereinbar,

weil sie auf verschiedene Zeitpunkte wirken.41 Ist im Anerkennungsstaat die Ehe ex tunc für nichtig erklärt, so kann eine ex nunc wirkende Ehescheidung oder Eheaufhebung jedoch nicht mehr anerkannt werden, weil sie das Bestehen einer Ehe voraussetzt. Hingegen käme trotz einer Ehescheidung im Anerkennungsstaat die Anerkennung der weitergehenden Nichtigerklärung ex tunc in Betracht. Ebenso wie im Verhältnis von Eheaufhebung und Ehescheidung,42 das selbst unter dem engeren deutschen Streitgegenstandsbegriff durchaus problematisch ist,43 sollte jedoch im autonomen Verständnis wegen der rechtsvergleichend austauschbaren Funktion jede die Ehe auflösende oder ihre Nichtexistenz begründende Entscheidung als anerkennungshindernd unvereinbar iSd lit c angesehen werden.44 Dies sollte dann auch im Verhältnis zu einer die ex lege bestehende Nichtigkeit feststellenden Entscheidung gelten. 25 Die Ehescheidung aussprechende Entscheidungen sind untereinander nach dem hier ver-

tretenen Verständnis unvereinbar, weil eine aufgelöste Ehe nicht nochmals aufgelöst werden kann.45 Deshalb kann auch eine spätere Verschuldensscheidung nicht anerkannt werden,

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40 41 42

43 44

45

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EuGH v 22.12.2010 – Rs C-497/10 PPU Mercredi/Chaffe IPRax 2012, 340, 344; dazu Art 19 Rn 60. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 78; Geimer/Schütze/Paraschas Rn 38; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 3; aA MünchKommFamFG/Gottwald Rn 13. Borrás-Bericht Nr 71; Geimer/Schütze/Paraschas Rn 38. So aber Andrae ERA-Forum 2003, 28, 40. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 81 entscheidet insoweit ohne Begründung für Vereinbarkeit einer späteren Aufhebung mit einer Scheidung, was der BGH (BGHZ 133, 227) selbst im deutschen Recht mit seinem engeren Streitgegenstandsbegriff nicht so sieht. Dazu Staudinger/Rauscher (2010) Vorbem zu §§ 1564 ff Rn 83 ff. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 14; aA Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 81 spätere Aufhebung sei mit früherer Scheidung vereinbar und beseitige diese. In Betracht zu ziehen ist jedoch die partielle Anerkennung, soweit die anzuerkennende Entscheidung der anderweitigen Eheauflösung andere Wirkungen beimisst; dieses Phänomen ist ebenfalls im deutschen Recht bekannt: BGHZ 133, 227. IE ebenso Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 81.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 22 Brüssel IIa-VO

wenn eine vorherige (Zerrüttungs-)Scheidung entgegensteht, was ggf zu hinkenden Scheidungsfolgen führt. d) Strittig ist, ob auch eine antragsabweisende Entscheidung, soweit sie in Rechtskraft 26 erwächst, unvereinbar mit der Anerkennung einer Entscheidung sein kann, die auf denselben Tatbestand gestützt, einem entsprechenden Antrag stattgibt. Das Argument, Art 2 Nr 4 beschreibe den Entscheidungsbegriff auch insoweit,46 überzeugt nicht, denn die den Konflikt auslösende Entscheidung muss nicht einmal in den Anwendungsbereich der VO fallen, um so weniger in den des Art 2 Nr 4. Schwerer wiegt, dass die antragsabweisende Entscheidung in anderen Mitgliedstaaten nicht nach Art 21 ff anerkennungsfähig wäre, so dass es zu hinkenden Statusverhältnissen käme. Gleichwohl ist der Ansicht, die auf abweisende Entscheidungen lit c nicht anwenden will,47 27 nicht zu folgen.48 Die Möglichkeit hinkender Statusverhältnisse entsteht im Fall des lit c durch den absoluten Vorrang der inländischen Entscheidung, der der Autorität inländischer Entscheidungen im Anerkennungsstaat geschuldet ist, aber hinkende Rechtsverhältnisse hinnimmt. Dass die abweisende Entscheidung nicht nach Art 21 ff in anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen ist, bedeutet im Übrigen nicht, dass sie überhaupt nicht anerkannt würde; dies hängt von der lex fori ab. Es wäre jedenfalls im Ergebnis nicht hinnehmbar, wenn zB eine rechtskräftige Abweisung eines auf die Behauptung der Bigamie gestützten Eheaufhebungsantrags einer Entscheidung aus einem Mitgliedstaat im Wege der Anerkennung weichen müsste, welche die Ehe aus eben diesem Grund aufhebt. Hingegen wird das von der hM zutreffend gesehene Problem hinkender Statusverhältnisse im Fall der Ehescheidung in aller Regel dadurch zu lösen sein, dass ein späteres Scheidungsverfahren unter Geltung des Zerrüttungsprinzips meist einen anderen Scheidungsgrund49 betrifft und deshalb zu einer früheren Abweisung nicht unvereinbar ist. Scheidungstourismus wird also nur gebremst,50 soweit der Scheidungsgrund durch die Antragsabweisung verbraucht ist. Zu einer Abweisung mangels Scheidungsgrundes oder mangels Scheidbarkeit im Anerken- 28 nungsstaat nach Erlass eines stattgebenden Scheidungsurteils/-beschlusses in einem Mitgliedstaat dürfte es aber nicht kommen, weil das Zweitgericht schon die Vorfrage der bestehenden Ehe unter Berücksichtigung der nach Art 21 ff anzuerkennenden Ehescheidung verneinen, also den Scheidungsantrag mangels Ehe abweisen muss. Die Gefahr, ein in einem Mitgliedstaat geschiedener Ehegatte könnte diese Entscheidung nachträglich in einem scheidungsfeindlicheren Staat obsolet machen, besteht also nur hypothetisch. e) Entscheidungen, welche das Bestehen der Ehe voraussetzen, insbesondere solche zu 29 Ehewirkungen (zB Trennungsunterhalt), hindern nicht die Anerkennung einer Entscheidung, welche die als existent vorausgesetzte Ehe aufhebt oder als nicht bestehend feststellt. Das ist vom Streitgegenstandsverständnis des deutschen Rechts allerdings leichter begründ46 47 48

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Kohler NJW 2001, 10, 13; Andrae ERA-Forum 2003, 28, 43. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 3; Kohler NJW 2001, 10, 13. Wie hier: Helms FamRZ 2001, 257, 265; Hausmann EuLF 2000/01, 350; Geimer/Schütze/Paraschas Rn 36 ff. Scheitern aufgrund der Fortentwicklung der Umstände, Scheiternsvermutung aufgrund zwischenzeitlichem Ablauf von Vermutungsfristen. Dieses Ziel betont Hausmann EuLF 2000/01, 350.

Thomas Rauscher

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

bar als aus dem Blickwinkel des autonomen Unvereinbarkeitsbegriffs. Keine Probleme ergeben sich, wenn das anzuerkennende Scheidungsurteil dem das Bestehen der Ehe voraussetzenden Unterhaltsurteil nachfolgt, weil sich keine logische Unvereinbarkeit ergibt, wenn eine zunächst wirksame Ehe später endet. Hingegen lässt sich der Widerspruch zu einer auf Trennungsunterhalt lautenden Entscheidung kaum leugnen, wenn diese einen Zeitraum betrifft, in dem die Ehe bereits in einem Mitgliedstaat geschieden war. Nur sollte dieser Fall wiederum schon durch die zutreffende Behandlung der Vorfrage vermeidbar sein.51 Kommt es dennoch zu einem Konflikt in dieser Reihung, muss sich letztlich die Statusentscheidung gegenüber der Unterhaltsentscheidung durchsetzen. Ob dies jedoch rückwirkend geschieht oder erst von dem Zeitpunkt, in dem die Anerkennungsfähigkeit (zB durch Vollstreckungsabwehrklage) geltend gemacht wird, muss das nationale Recht des Staates entscheiden, dessen Gerichte die Unterhaltsentscheidung erlassen haben. 4. Unvereinbarkeit mit Entscheidung in anderem Mitgliedstaat oder Drittstaat (lit d) 30 a) Konflikte der anzuerkennenden Entscheidung mit Entscheidungen aus Drittstaaten

oder anderen Mitgliedstaaten zwischen denselben Parteien regelt lit d nach dem Muster von Art 34 Nr 4 Brüssel I-VO.52 Insoweit gilt der Prioritätsgrundsatz;53 der Anerkennung steht nur eine Entscheidung entgegen, die früher als die anzuerkennende Entscheidung erlassen wurde. Dadurch wird vermieden, dass im Anerkennungsstaat prozessual überholte Entscheidungen, bei deren Erlass – vorbehaltlich unterschiedlicher Anerkennungsregeln im Urteilsstaat – die frühere Entscheidung hätte beachtet werden müssen, anzuerkennen sind.54 31 b) Der Anerkennung kann eine Entscheidung nur entgegenstehen, wenn sie ihrerseits

anerkennungsfähig ist. Unerheblich ist dabei, ob es sich um eine nach der VO, nach anderem EG-Recht, Völkerverträgen oder der lex fori anzuerkennende Entscheidung handelt.55 (Frühere) Entscheidungen aus einem Drittstaat, die der formalisierten Anerkennung nach § 107 FamFG bedürfen, stehen der Anerkennung iSd lit d erst nach formeller Anerkennung entgegen. Jedoch ist das Verfahren, in dem die Anerkennungsfähigkeit der späteren Entscheidung aus einem Mitgliedstaat nach Art 21 ff zu beurteilen ist, ggf auszusetzen, wenn eine Partei das Verfahren nach § 107 FamFG einzuleiten wünscht. Anderenfalls käme es zu Widersprüchen, wenn die Anerkennungsfähigkeit der späteren Mitgliedstaats-Entscheidung bejaht wird und anschließend auch die frühere Drittstaats-Entscheidung anerkannt wird. Art 27 steht der Aussetzung nicht entgegen, weil die Bestimmung nicht abschließend ist. 32 c) Ähnlich wie zu lit c56 kann auch eine lege fori anerkennungsfähige abweisende Ent-

scheidung der Anerkennung einer späteren stattgebenden Entscheidung entgegenstehen.57 51

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Vgl oben Rn 26: Eine durch anzuerkennendes Urteil geschiedene Ehe kann nicht mehr Grundlage eines auf Trennungsunterhalt lautenden Urteils sein. Vgl Rauscher/Leible Art 34 Brüssel I-VO Rn 49; beide Normen stellen im Vergleich zu Art 27 Nr 5 EuGVÜ klar, dass das zugrundegelegte Prioritätsprinzip auch im Verhältnis zu Mitgliedstaaten-Entscheidungen gilt. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 16. Vgl aber Borrás-Bericht Nr 71; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 4, die dies als Ziel der Regelung ansehen. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 4. Oben Rn 26.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 23 Brüssel IIa-VO

Zwar geht es insoweit nicht um die Achtung der Autorität einer im Anerkennungsstaat ergangenen Entscheidung. Es erscheint aber aus Sicht des Anerkennungsstaates ebenso wie der Beteiligten nicht sinnvoll, eine Entscheidung anzuerkennen, die sich später in Widerspruch zu einer im Anerkennungsstaat rechtskräftigen Feststellung der Rechtslage setzt. Wie zu lit c betrifft dies vor allem Fälle der Abweisung eines Eheaufhebungsbegehrens, während die Abweisung eines Scheidungsantrags den Scheidungsgrund einer späteren Zerrüttung ohnehin nicht verbraucht.

Artikel 23: Gründe für die Nichtanerkennung einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung Eine Entscheidung über die elterliche Verantwortung wird nicht anerkannt, a) wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung des Mitgliedstaats, in dem sie beantragt wird, offensichtlich widerspricht, wobei das Wohl des Kindes zu berücksichtigen ist; b) wenn die Entscheidung – ausgenommen in dringenden Fällen – ergangen ist, ohne dass das Kind die Möglichkeit hatte, gehört zu werden, und damit wesentliche verfahrensrechtliche Grundsätze des Mitgliedstaats, in dem die Anerkennung beantragt wird, verletzt werden; c) wenn der betreffenden Person, die sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt wurde, dass sie sich verteidigen konnte, es sei denn, es wird festgestellt, dass sie mit der Entscheidung eindeutig einverstanden ist; d) wenn eine Person dies mit der Begründung beantragt, dass die Entscheidung in ihre elterliche Verantwortung eingreift, falls die Entscheidung ergangen ist, ohne dass diese Person die Möglichkeit hatte, gehört zu werden; e) wenn die Entscheidung mit einer späteren Entscheidung über die elterliche Verantwortung unvereinbar ist, die in dem Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung beantragt wird, ergangen ist; f) wenn die Entscheidung mit einer späteren Entscheidung über die elterliche Verantwortung unvereinbar ist, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in dem Drittstaat, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, ergangen ist, sofern die spätere Entscheidung die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anerkennung in dem Mitgliedstaat erfüllt, in dem die Anerkennung beantragt wird; oder g) wenn das Verfahren des Artikels 56 nicht eingehalten wurde. I. II.

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Struktur der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Anerkennungsversagungsgründe 1. Ordre public (lit a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2. Rechtliches Gehör des Kindes (lit b) . . . 7 3. Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks (lit c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 4. Rechtliches Gehör von Inhabern der elterlichen Verantwortung (lit d) . . . . . . . 16

5. Unvereinbarkeit mit späterer Entscheidung im Anerkennungsstaat (lit e) . . . 20 6. Unvereinbarkeit mit späterer Entscheidung im Kindes-Aufenthaltsstaat (lit f) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25a 7. Nichteinhaltung des Verfahrens nach Art 56 (lit g) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

Geimer/Schütze/Paraschas Rn 36, 42.

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Art 23 Brüssel IIa-VO

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I. Struktur der Regelung 1 Art 23 ist parallel zu Art 22 gestaltet1 und entspricht Art 15 Abs 2 Brüssel II-VO, der noch die

Anerkennungsversagungsgründe für beide Anwendungsbereiche der VO getrennt nach zwei Absätzen umfasste. Inhaltlich hat sich gegenüber Art 15 Abs 2 lediglich eine Erweiterung des Katalogs in lit g ergeben. Wie in Art 22 sind in Art 23 grundsätzlich (vorbehaltlich Art 24 ff) die Anerkennungsversagungsgründe abschließend aufgeführt.2 Neben das Anerkennungs- und Vollstreckungssystem der Art 21, 23 ff, Art 28 ff tritt jedoch für Umgangsentscheidungen, die grundsätzlich auch in den Anwendungsbereich des Art 23 fallen, zusätzlich das System der unmittelbaren Vollstreckung nach Art 40 ff. 2 Die Bestimmung gilt für die Anerkennung von Entscheidungen über die elterliche Verant-

wortung, unabhängig davon, ob hierüber im Zusammenhang mit einer Ehesache oder selbstständig entschieden wurde; auch die Anerkennung einer Sorge- oder Umgangsregelung im Verbundurteil unterliegt also Art 23. Die Anerkennungsversagungsgründe sind sowohl im Rahmen des (positiven oder negativen) Anerkennungsfeststellungsverfahrens (Art 21 Abs 3) als auch inzident im Rahmen der Vollstreckbarerklärung (Art 28 ff) zu prüfen.3 Hingegen sind sie auf die nach Art 40 ff vollstreckbaren Entscheidungen nicht anzuwenden. 3 Der Katalog der Versagungsgründe in Sorgerechtssachen unterscheidet sich wegen der er-

forderlichen Beachtung des Kindeswohls und der Betroffenheit Dritter sowie in Anlehnung an Art 23 KSÜ4 vor allem hinsichtlich des rechtlichen Gehörs von dem in Ehesachen. Maßgeblich ist die Gewährung des rechtlichen Gehörs in einem Umfang, der die Wahrung des Kindeswohls sicherstellt, was in dem auf ein streitiges Parteiverhältnis zugeschnittenen Art 22 ohne extensive Inanspruchnahme des ordre public nicht gewährleistet wäre. II. Anerkennungsversagungsgründe 1. Ordre public (lit a) 4 a) Lit a entspricht vollständig Art 23 Abs 2 lit d KSÜ5 und unterscheidet sich von Art 22 lit a

durch die Nennung des Kindeswohls als Kriterium der Prüfung des ordre public. Dies bedeutet nicht, dass das Kindeswohl als Anerkennungsversagungsgrund neben den ordre public tritt. Weder ist das Kindeswohl kumulativ erst nach Feststellung eines ordre publicVerstoßes zu prüfen,6 noch ist das Kindeswohl ein alternativer Anerkennungsversagungsgrund, der eine Prüfung der Entscheidung in der Sache eröffnen würde.7 Die Regelung stellt vielmehr klar, dass das Kindeswohl innerhalb der Prüfung des ordre public das zentrale Kriterium ist.8 Wie die Ausfüllung des ordre public obliegt dabei auch die Bewertung des Kindeswohls dem Recht des Staates, in dem die Entscheidung zur Anerkennung steht.9 1 2 3 4 5 6 7

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Zur Anlehnung an das Modell der Brüssel I-VO siehe Art 22 Rn 3 f. EuGH v 26.4.2012 – Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, IPRax 2013, 431, 438. Insoweit unklar Weber NJW 2005, 3043, 3047. Borrás-Bericht Nr 67. Borrás-Bericht Nr 73. So aber Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 1. NK-BGB/Andrae Rn 2.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 23 Brüssel IIa-VO

b) Teilweise wird eine restriktive Anwendung des ordre public wegen Kindeswohlverstö- 5 ßen angemahnt.10 Dem ist zuzugeben, dass auch gegenüber Sorgerechtsentscheidungen der ordre-public-Vorbehalt auf „offensichtliche“ Verstöße gegen grundlegende Prinzipien zu beschränken ist. Nun ist aber das Kindeswohl an sich ein solches grundlegendes Prinzip, so dass eine Relativierung nur bei der Offensichtlichkeit ansetzen könnte. Zwar steht außer Frage, dass eine Anerkennung nur scheitern kann, wenn im konkreten Fall eine realistische kindeswohlgünstigere Entscheidungsalternative besteht. Zudem bedeutet auch im materiellen Recht nicht jede das Kindeswohl nicht optimal realisierende Entscheidung eine Gefährdung des Kindeswohls. Auch mögen gewisse Abstriche von der aus Sicht des Anerkennungsstaates optimalen verfahrensrechtlichen Verwirklichung des Kindeswohls hinzunehmen sein,11 zumal insoweit die Sicherstellung des rechtlichen Gehörs des Kindes das zentrale und in lit b gesondert erfasste Anliegen ist. Problematisch erscheint es aber, zwischen als solchen vom Gericht des Anerkennungsstaates erkannten Kindeswohlverstößen zu differenzieren, die im Anerkennungsstadium gleichwohl tolerabel sind und solchen, die gegen den ordre public verstoßen, wie dies jedenfalls im theoretischen Ansatz ausdrücklich insbesondere englische Gerichte tun.12 Da Inlandsbezug des Kindes keine Rolle spielen kann, muss ein hoher Kindeswohlstandard eines der vorrangigen Ziele des EU-einheitlichen Grundrechtsverständnisses sein. Deshalb wäre es kurzsichtig, würden Mitgliedstaaten, die ein hohes Maß an Sensibilisierung und Grundrechtsschutz zugunsten des Kindeswohls erreicht haben, die Verkehrsfähigkeit von Urteilen über die Wahrung dieses Niveaus und die Entwicklung eines vergleichbaren EU-Niveaus stellen. Insbesondere wenn einzelne Mitgliedstaaten auf der Ebene des Entscheidungs-ordre public kindeswohlwidrige Sorgerechtsnormen aus drittstaatlichem Recht noch nicht abzuwehren bereit sind, hat eine eher extensive Durchsetzung eines hohen Schutzniveaus im Anerkennungs-ordre public eine durchaus das Gesamtniveau prägende und erhöhende Funktion, was letztlich dem formalen Funktionieren des Anerkennungssystems vorzuziehen ist. c) Zumindest für die Anerkennung der Entscheidung im gewöhnlichen Aufenthaltsstaat 6 des Kindes relativiert sich die Frage deutlich. Da, abgesehen von Art 9, eine Zuständigkeit zur Abänderung der Entscheidung hier regelmäßig gemäß Art 8 besteht und eine Anerkennung der Abänderung nicht entgegensteht, ist es wenig fruchtbar, um die Anerkennungsfähigkeit zu streiten. Im Zweifel ist eine eigene Entscheidung der (neuen) Aufenthaltsgerichte vorzugswürdig, weil sie Klarheit schafft und sich uneingeschränkt am eigenen Kindeswohlverständnis orientieren kann. d) Neben dem Kindeswohl sind im Rahmen des ordre public insbesondere die familien- 6a 8

9 10 11

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Vogel MDR 2000, 1050; Geimer/Schütze/Paraschas Rn 18; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 2; Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 123. OLG Stuttgart v 5.3.2014 – 17 UF 262/13, FamRZ 2014, 1567, 1569; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 1. Vgl Helms FamRZ 2001, 257, 263; wie hier: Geimer/Schütze/Paraschas Rn 19. Vgl Helms FamRZ 2001, 257, 263; zur Anerkennungsversagung bei Unterbleiben der gebotenen Einholung eines psychologischen Gutachtens EGMR DAVorm 2000, 681; ebenso Geimer/Schütze/Paraschas Rn 19. Re S [2003] EWHC 2115 (Fam); LAB v KB [2009] EWHC 2243 (Fam); Matter of L (a child) [2012] EWCA Cic 1157; insbesondere englische Gerichte betonen in Abwägung gegen das Kindeswohl sehr stark das Tatbestandsmerkmal „manifestly“: Lowe [2011] IFL 21, 22; Chokowry [2010] Fam Law 1121, 1122 f.

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gerichteten Menschenrechte in Art 8, 14 EMRK13 sowie die jeweiligen familienbezogenen Grundrechte des Anerkennungsstaats beachtlich. Auch eine Eingehungskontrolle hinsichtlich sorgerechtlicher Vereinbarungen, insbesondere bei Zustandekommen einer elterlichen Einwilligung unter emotionaler Überforderung, ist unter lit a zu fassen,14 während die verfahrensrechtliche Seite des inhaltlichen Verständnisses einer solchen Vereinbarung unter lit d (rechtliches Gehör) fällt. 2. Rechtliches Gehör des Kindes (lit b) 7 a) Lit b ist ohne Parallele in Art 22 und entspricht Art 23 Abs 2 lit b KSÜ. Die Gewährung

rechtlichen Gehörs gegenüber dem Kind ist zu Recht als das zentrale Gebot der Verwirklichung des Kindeswohls im Verfahren aus dem verfahrensrechtlichen ordre public ausgegliedert.15 Die Bestimmung stellt grundsätzlich nicht auf die Erforderlichkeit der Anhörung des Kindes in einer der beteiligten Rechtsordnungen ab, sondern geht in Anlehnung an Art 12 des UN-KinderrechteÜbk vom 20.11.198916 von der Anhörung des Kindes als Regel aus. Dies wird im Erwägungsgrund Nr 19 betont, wobei dort auch klargestellt ist, dass insoweit keine autonome Ausgestaltung, also auch kein Mindeststandard, der Anhörung erfolgt. Eine autonome Ausnahme von diesem Grundsatz bestimmt lit b nur für dringende Fälle.17 Die in Art 41 Abs 2 lit c für den Fall des Umgangstitels enthaltene autonome Einschränkung der Erforderlichkeit der Anhörung ist hingegen auf Art 23 lit b nicht zu übertragen.18 8 b) Das Recht des Anerkennungsstaates wird deshalb letztlich zum Maßstab der Anerken-

nungsversagung,19 weil lit b zusätzlich eine Verletzung wesentlicher verfahrensrechtlicher Grundsätze dieses Staates fordert. Es wird also das Unterbleiben des autonom als erforderlich vorausgesetzten rechtlichen Gehörs nur dadurch zum Anerkennungsversagungsgrund, dass ein dem ordre-public-Gedanken ähnliches Element in Bezug auf den Staat, in dem die Anerkennung beantragt wird, hinzutritt. Dies ermöglicht es dem Anerkennungsstaat, auch dann die Anerkennung zu versagen, wenn zwar nicht gegen Anhörungsbestimmungen im Ursprungsmitgliedstaat verstoßen wurde, aber, zB bei jüngeren Kindern, die nicht überall anzuhören sind, gegen wesentliche Grundsätze des eigenen Rechts.20 9 c) Für die Anerkennung in Deutschland ist damit Art 103 Abs 1 GG und die Konkreti-

sierung in § 159 FamFG der Maßstab.21 Diese Bestimmung ist in ihrer Gesamtheit wesentlicher Verfahrensgrundsatz und kann deshalb nicht unter dem Gesichtspunkt der Wesent13

14 15 16 17 18 19 20 21

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Re LSdC (a child) [2012] EWHC 983, auch zur Vereinbarkeit mit Art 3 Abs 1 UN-KinderrechteÜbk; Holzmann FPR 2010, 497, 500. Re LSdC (a child) [2012] EWHC 983. JRG v EB [2012] EWHC 1863 (Fam); MünchKommFamFG/Gottwald Rn 3. BGBl 1992 II 122. Dazu Schlauß FPR 2006, 228, 230. Vgl OLG Schleswig v 19.5.2008 – 12 UF 203/07, FamRZ 2008, 1761, 1762. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 1; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 3. Coester-Waltjen FamRZ 2005, 241, 248. Noch zu § 50 b FGG aF: OLG Schleswig v 19.5.2008 – 12 UF 203/07, FamRZ 2008, 1761, 1762; Thomas/ Putzo/Hüßtege Rn 2; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 3; Helms FamRZ 2001, 257, 263; NK-BGB/ Andrae Rn 4; aA Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 124.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 23 Brüssel IIa-VO

lichkeit relativiert werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob § 159 FamFG den Umfang des dem Kind nach Art 12 Abs 2 UN-KinderrechteÜbk zu gewährenden rechtlichen Gehörs ausschöpft. Es wäre aber angesichts der dezidierten Orientierung von lit b am Niveau dieses Art 12 nicht dienlich, wollte man die vergleichbar hohe aus § 159 FamFG fließende Garantie relativieren,22 um die Anerkennung von Entscheidungen zu erreichen, die dieses Niveau (noch) verfehlen. Die Anbindung des Anerkennungsversagungsgrundes an wesentliche Verfahrensgrundsätze des Anerkennungsstaates dient nicht der Absenkung des erwarteten Schutzniveaus, sondern soll nur vermeiden, dass ein Mitgliedstaat an die anzuerkennende Entscheidung eine höhere Messlatte anlegt als an eigene Verfahren. 3. Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks (lit c) a) Lit c ist Art 22 lit b nachgebildet. Die Zustellung und ihre Rechtzeitigkeit sind in gleicher 10 Weise zu beurteilen wie dort.23 Fraglich ist jedoch, wer die „betreffende Person“ ist, an die das verfahrenseinleitende 11 Schriftstück zuzustellen ist. Diese schillernde Bezeichnung versucht, sich von dem kontradiktorischen Grundmuster des Art 22 lit b zu lösen. Wie aus der dem Schutz Dritter als materiell Verfahrensbeteiligte dienenden Bestimmung in Art 23 lit d zu folgern ist, sind diese in lit c nicht gemeint. Auch das Kind ist, obwohl dies nach dem Wortlaut vorstellbar wäre, nicht gemeint, weil dessen rechtliches Gehör in lit b behandelt wird. Die Bestimmung auf formell Verfahrensbeteiligte zu beschränken,24 verbietet sich jedoch,25 12 weil die fehlende Zustellung in diesem Fall die formale Beteiligung verhindern, also zur Nichtanwendung der Bestimmung führen könnte. Eine systematisch sinnvolle Funktion zwischen Art 23 lit b und d bei gleichzeitiger Berück- 13 sichtigung des in lit c enthaltenen Rests eines kontradiktorischen Vorverständnisses erhält die Bestimmung, wenn man als „betreffende Person“ jeden Elternteil (als potentiell formell zu Beteiligenden) versteht, soweit er nicht selbst das Sorgeverfahren durch einen eigenen Antrag in Gang gesetzt hat. Die Rolle in dem Eheverfahren, aus dessen Anlass die elterliche Verantwortung geregelt wird, ist dagegen unerheblich. Hat das Gericht von Amts wegen die Regelung der elterlichen Verantwortung eingeleitet, so unterfällt nicht nur die erste Zustellung an einen Elternteil lit c, denn diese Zustellung wirkt nicht für und gegen den anderen. Vielmehr ist beiden Elternteilen rechtliches Gehör zu gewähren, so dass die Anerkennung schon scheitert, wenn nur an einen Elternteil nicht in geeigneter Weise rechtzeitig zugestellt wurde. b) Die ebenfalls Art 22 lit b nachgebildete Ausnahme eindeutigen Einverständnisses der 14 betreffenden Person umfasst Handlungen, die materielles Einverständnis signalisieren, insbesondere die Mitwirkung an der Durchführung der getroffenen Sorgerechtsentscheidung (zB Umgangsregelung). Allerdings ist jeweils zu prüfen, ob die Mitwirkung (zB Herausgabe 22 23 24

25

In dieser Richtung jedoch Schlauß FPR 2006, 228, 229. Art 22 Rn 12 ff. So Wagner IPRax 2001, 78; NK-BGB/Andrae Rn 5; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 5; Geimer/Schütze/Paraschas Rn 22. Hk-ZPO/Dörner Rn 4.

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des Kindes) ohne Zwang tatsächlich Einverständnis bedeutet oder lediglich erfolgt ist, um dem Kind die Belastung einer Vollstreckung der Entscheidung zu ersparen. Verbringung in einen anderen Staat, die häufig der Anerkennungsproblematik vorausgehen wird, ist ein eindeutiges Signal des fehlenden Einverständnisses. 15 Für Sorgerechtsentscheidungen kommt aber durchaus auch der Frage Bedeutung zu, ob der

Betreffende im Ursprungsmitgliedstaat ein zulässiges Rechtsmittel eingelegt oder unterlassen hat. Während Passivität in Ansehung der eigenen Ehesache psychisch unterschiedlich motiviert sein kann, kann von einem Elternteil, der mit einer Entscheidung in der Sorgesache nicht einverstanden ist, durchaus die Einlegung eines Rechtsmittels erwartet werden.26 Es steht jedoch der Berufung auf den Anerkennungsversagungsgrund nicht entgegen, wenn der betroffene Beteiligte auch im Ursprungsstaat ein Rechtsmittel wegen Nichtgewährung des verfahrenseinleitenden oder späteren rechtlichen Gehörs eingelegt hat,27 da selbst eine Abweisung eines solchen Rechtsmittels die Gerichte im Anerkennungsmitgliedstaat nicht präjudiziert. Es geht nicht um Erfolg im Rechtsweg, sondern um die Indizwirkung für die Nicht-Hinnahme. 4. Rechtliches Gehör von Inhabern der elterlichen Verantwortung (lit d) 16 a) Lit d ist ohne Parallele in Art 22 und Art 23 Abs 2 lit c KSÜ nachgebildet. Geschützt wird

ohne Rückgriff auf die Anhörungsstandards im Ursprungs- oder Anerkennungsstaat28 das rechtliche Gehör jeder Person, die vorträgt, dass die Entscheidung in ihre elterliche Verantwortung eingreift. Die Bestimmung gilt nicht nur für die Verfahrenseinleitung, setzt aber andererseits keine Zustellung eines verfahrenseinleitenden Schriftstücks voraus. Dieser Anerkennungsversagungsgrund setzt als einziger nach seinem Wortlaut einen Antrag29 des Betroffenen voraus, was jedoch untechnisch zu verstehen ist; erforderlich ist, dass der Drittbetroffene sich im Anerkennungsstadium meldet und die Verletzung seines Gehörs einwendet. Aus eigener Anschauung wird das Gericht ohnehin von dem Dritten nicht wissen; es genügt aber auch nicht, dass ein Elternteil oder eine Behörde (Jugendamt) die Verletzung des rechtlichen Gehörs des Dritten in das Anerkennungsverfahren einführt. Der Betreffende kann also über die Beachtung seines rechtlichen Gehörs disponieren;30 gleichwohl kann die Verletzung noch unter dem Gesichtspunkt des ordre public zur Nichtanerkennung führen, wenn die unterlassene Anhörung zum Wohl des Kindes zwingend erforderlich gewesen wäre. 17 b) Zweifel, ob die Bestimmung einen Anwendungsbereich habe, haben sich für die Brüssel

IIa-VO erledigt, weil der Anwendungsbereich nun auch Sorgerechtsentscheidungen ohne Konnex zu einer Ehesache erfasst.31 26

27 28

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Insoweit zweifelnd MünchKommFamFG/Gottwald Rn 6; hingegen ohne Empfinden für die Unterschiedlichkeit der Motivationslage: Zöller/Geimer Art 22 Rn 5; wie hier: Hk-ZPO/Dörner Rn 4; anders wohl AG Pankow/Weißensee IPRspr 2009 Nr 251, dem Beteiligten werde im Ursprungsmitgliedstaat jedenfalls eine Instanz genommen. AG Pankow/Weißensee IPRspr 2009 Nr 251. Erwägend Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 126; Geimer/Schütze/Paraschas Rn 34; aA NK-BGB/Andrae Rn 6 (Anerkennungsstaat). Vogel MDR 2000, 1050. NK-BGB/Andrae Rn 6.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

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Erfasst sind damit Fälle, in denen die elterliche Sorge für ein Kind zwischen den Eltern 18 geregelt wird und hierbei in die aufgrund einer früheren Entscheidung einem Dritten (Vormund, Jugendamt) zustehende elterliche Sorge eingegriffen wird.32 Gleiches gilt, wenn einem Dritten das Aufenthaltsbestimmungsrecht als Teil der elterlichen Verantwortung zusteht. Da in Anwendung der VO auch der Umgang des Kindes mit jedem Elternteil geregelt werden kann, können sich auch insoweit Eingriffe ergeben. Auch der Umgang mit Dritten fällt nun in den Anwendungsbereich der VO, so dass mittelbar und unmittelbar in Umgangsrechte Dritter (Geschwister, Großeltern) eingegriffen sein kann. Zu bedenken ist immer, dass die unterlassene Gewährung rechtlichen Gehörs als solche zur 19 Nichtanerkennung führt. Nicht notwendig ist, dass es aufgrund der daraus gewonnenen Erkenntnisse zu einer anderen Entscheidung hätte kommen müssen. Die Gewährung rechtlichen Gehörs umfasst angesichts der regelmäßig vorliegenden Internationalität der hier erfassten Fälle insbesondere auch einen geeigneten Umgang des Gerichts mit dem sprachlichen Verständnis. Zwar mag es nicht zwingend erforderlich sein, dass ein beteiligter Elternteil lückenlos wörtliche Übersetzungen aller verfahrensrelevanten Urkunden erhält; dass er jedoch auch bei ihm fremder Gerichtssprache in die Lage versetzt werden muss, insbesondere den Inhalt einer sorgerechtlichen Vereinbarung substantiell zu erfassen, versteht sich von selbst.33 5. Unvereinbarkeit mit späterer Entscheidung im Anerkennungsstaat (lit e) a) Lit e lehnt sich an Art 22 lit c an und hat im KSÜ keine Parallele. Eine Entscheidung 20 betreffend die elterliche Verantwortung, die im Anerkennungsstaat ergangen ist, steht der Anerkennung (nur) entgegen, wenn sie später als die anzuerkennende Entscheidung ergangen ist.33a Nicht erforderlich ist, dass die Entscheidung zwischen denselben Parteien oder Beteiligten ergangen ist; nicht erforderlich ist auch, dass die Entscheidung unmittelbar die elterliche Verantwortung regelt. Es genügt, wenn sie mittelbar die Voraussetzungen der elterlichen Verantwortung berührt, wie zB eine Abstammungsentscheidung auf Anfechtung der Vaterschaft, die der elterlichen Sorge des Ehemannes der Mutter die Grundlage entzieht.34 Dass lit e nun von einer Entscheidung „über“ die elterliche Verantwortung spricht, während Art 15 Abs 2 lit e Brüssel II-VO das Wort „betreffend“ verwendete, kann nicht als strikte Einschränkung auf konkurrierende Entscheidungen des in Art 1 Abs 1 lit b beschriebenen Typs verstanden werden.35 Die Regelung versucht in nicht ganz geglückter Anlehung an das KSÜ das Problem wider- 21 streitender Entscheidungen zu regeln, das sich aber angesichts der Dynamik der am Kindeswohl orientierten Sorgerechtsentscheidung nicht in gleicher Weise formalisiert abhandeln lässt wie für Ehesachen oder gar unter der Brüssel I-VO: 31 32 33 33a

34 35

Zur Problematik unter der Brüssel II-VO vgl 2. Auflage (2006) Art 15 Rn 30. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 9. Re LSdC (a child) [2012] EWHC 983 (Fam). Anhängigkeit eines Verfahrens genügt nicht: OLG Stuttgart v 5.3.2013 – 17 UF 262/13, FamRZ 2014, 1567, 1570. Borrás-Bericht Nr 73. So implizit auch NK-BGB/Andrae Rn 8.

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22 b) Die Beschränkung des Vorrangs auf spätere Entscheidungen erscheint plausibel, wenn

man annimmt, dass eine frühere Entscheidung eigentlich bei Erlass der anzuerkennenden Regelung der elterlichen Verantwortung hätte berücksichtigt werden müssen.36 Diese Prämisse ist aber nur richtig, wenn die frühere Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat der nun zur Anerkennung stehenden Sorgerechtsentscheidung anzuerkennen ist, was selbst im Geltungsbereich der VO nach autonomem Recht zu beurteilen sein kann, sei es, dass die ältere Entscheidung intertemporal noch nicht unter die VO fällt, insbesondere aber, weil Abstammungsentscheidungen nicht unter die VO fallen. Damit impliziert lit e ein keineswegs selbstverständliches Posterioritätsprinzip. 22a Ist die frühere Entscheidung aus dem Anerkennungsstaat eine Sorgerechtsentscheidung, so

fügt sich dieses Prinzip stimmig in das Zuständigkeitssystem der Art 8 ff. Rechtfertigung findet es in der grundsätzlichen Abänderbarkeit von Sorgerechtsentscheidungen, die rebus sic stantibus ergehen. Aus dem Blickwinkel der mit einem neuen Antrag befassten Gerichte im potentiellen Anerkennungsstaat stellt sich bei entsprechender Zuständigkeit aus Art 8 ff die Frage, ob eine neue Regelung erlassen werden soll, welche der bestehenden aus einem anderen Mitgliedstaat die Anerkennungsfähigkeit entzöge.37 Einem nur nach Art 20 zuständigen Gericht ist es hingegen versagt, auf diese Weise die Anerkennung einer Sorgerechtsentscheidung „auszuhebeln“.38 23 Ist die frühere Entscheidung dagegen eine Statusentscheidung, so ist das Posterioritätsprin-

zip unsinnig: Es drängt sich auf, dass zB eine Sorgerechtsentscheidung aus Anlass der Ehescheidung, die eine vorherige erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft des Ehemannes ignoriert, in dem Staat, in dem über die Anfechtung entschieden wurde, in aller Regel39 nicht anerkannt werden kann. Da lit e dies nicht erkennt, muss auf den ordre public (lit a) abgestellt werden. 24 c) Welcher Art spätere Entscheidungen aus dem Anerkennungsstaat der Anerkennung

der Sorgerechtsentscheidung entgegenstehen können, ist strittig. Teils wird angenommen, es könne sich nur um die im Borrás-Bericht40 beispielhaft erwähnten Statusentscheidungen, aber nicht um Sorgerechtsentscheidungen handeln. Begründet wird dies damit, dass eine solche Sorgerechtsentscheidung die Anerkennungsverpflichtung aus Art 21 verletzt hätte und deshalb selbst in einem wiederaufnahmeähnlichen Verfahren aufzuheben sei.41 Dieses Verständnis ist unzutreffend: Lit e schreibt mit dem Vorrang der im Anerkennungsstaat ergangenen späteren Entscheidung vielmehr den Posterioritätsgrundsatz fort, den die Bestimmung im Verhältnis zu früheren Entscheidungen voraussetzt. Dieser Grundsatz gilt also gerade für Sorgerechtsentscheidungen.42 Formal kann man dies als Ausdehnung des in Art 23 36 37 38

39

40 41

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Borrás-Bericht Nr 73. Re LSdC (a child) [2012] EWHC 983 (Fam). Eine solche Fallgestaltung war Grundlage für EuGH v 23.12.2009 – Rs C-403/09 PPU Detiček/Sgueglia, IPRax 2011, 190, dazu Art 20 Rn 16a. Vorstellbar ist, dass eine Verletzung des ordre public ausscheidet, wenn zum Ehemann der Mutter eine soziale Vaterbeziehung besteht und dieser deshalb als Vormund bestellt werden könnte, so dass die Anerkennung einer ihm die elterliche Sorge übertragenden Entscheidung nicht konkret ordre publicwidrig wäre. Nr 73. Schlosser2 Art 15 Brüssel II-VO Rn 5.

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Art 23 Brüssel IIa-VO

Abs 2 lit e KSÜ für Entscheidungen aus dem Nichtvertragsstaat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes niedergelegten Grundsatzes rechtfertigen; materiell erscheint es plausibel, bei der jeweils jüngeren Entscheidung die größere Aktualität in Ansehung des Kindeswohls zu vermuten.43 Nicht zutreffend erscheint es deshalb auch, einen nach lit e beachtlichen Konflikt mit dem eher formalen Argument zu verneinen, eine einstweilige Maßnahme im Anerkennungsstaat stehe ihrer Natur nach nicht im Konflikt zu einer endgültigen anzuerkennenden Entscheidung.44 Ist die inländische einstweilige Regelung die jüngere, so kann die Abweichung von einer anzuerkennenden endgültigen Regelung den geänderten Verhältnissen geschuldet sein; der Konflikt ist also fallweise zu beurteilen. Insbesondere stört, dass die VO nun selbst in ihrem erweiterten Anwendungsbereich das 25 Verhältnis zwischen Sorgeregelungen durch ein stereotypes Prinzip beschreibt, ohne die erhebliche Bedeutung des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes auch nur in Erwägung zu ziehen. Hätte man sich gefragt, warum Art 23 Abs 2 KSÜ keine vergleichbare Bestimmung enthält,45 so wäre aufgefallen, dass sich für den Aufenthaltsstaat des Kindes wegen der sich aus Art 5 Abs 2 KSÜ ergebenden Abänderungsbefugnis das Anerkennungsproblem erledigt, jedoch für andere Staaten der Vorrang nicht ohne Weiteres gerechtfertigt ist. Dieser Konflikt wird zumindest für einstweilige Maßnahmen behoben, die (nur) auf Art 20 gestützt sind; diese unterliegen nicht Art 21 ff,46 so dass sich ein nach lit e zu lösender Konflikt mit – in allen Mitgliedstaaten anerkennungsfähigen – Entscheidungen eines aus Art 8 ff zuständigen Gerichts nicht ergibt. 6. Unvereinbarkeit mit späterer Entscheidung im Kindes-Aufenthaltsstaat (lit f) a) Lit f steht parallel zu Art 22 lit d, findet aber vor allem eine Stütze in Art 23 Abs 2 lit e 25a KSÜ. Die Regelung überträgt das in lit e normierte Posterioritätsprinzip auf Entscheidungen betreffend die elterliche Verantwortung, die später in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittland ergangen sind. Die selbstverständlich erforderliche Anerkennungsfähigkeit dieser späteren Entscheidung ergibt sich bei Mitgliedstaaten aus der VO, nur im Fall des Art 20 aus nationalem Recht; bei Drittstaaten ist sie nach MSA, KSÜ oder lex fori zu beurteilen.47 b) Fraglich ist, auf welche Entscheidungen die weitere Voraussetzung zu beziehen ist, dass 26 das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Entscheidungsstaat der späteren, also aner42

43 44

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46 47

Cass civ Riv dir int priv proc 2010, 463 setzt dies voraus; ebenso Helms FamRZ 2001, 257, 266; Wagner IPRax 2001, 78; Hausmann EuLF 2000/01, 350; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 9; Geimer/Schütze/ Paraschas Rn 40. Wagner IPRax 2001, 78. So Cass civ Riv dir int priv proc 2010, 463, 466; insoweit geht es nicht um die Problematik der Anwendung von Art 21 ff auf einstweilige Maßnahmen (dazu Art 20 Rn 24), weil die einstweilige Maßnahme hier eine inländische des Anerkennungsstaates ist. Es ist unverständlich, warum die Verfasser von Brüssel II sich insoweit am Schema des Abs 1 orientiert haben, ohne die Sinnhaftigkeit vor dem Hintergrund des sonst durchaus ins Kalkül gezogenen Art 23 Abs 2 KSÜ zu hinterfragen. Ausweislich des Borrás-Berichts, der das neben dem Problem liegende Beispiel der Statussache vorträgt, wurde anscheinend die Problematik noch nicht einmal erkannt. Dazu Art 20 Rn 24. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 6.

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kennungshindernden Entscheidung gehabt haben muss. Grammatikalisch sind die Worte „in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat“ wohl nur auf „Drittstaat“ bezogen.48 Eine spätere anerkennungsfähige Entscheidung aus einem Mitgliedstaat hindert demnach immer die Anerkennung, eine anerkennungsfähige Entscheidung aus einem Drittstaat nur dann, wenn das Kind dort bei Erlass der Entscheidung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Auf den ersten Blick erscheint dies merkwürdig. Während das Anerkennungshindernis im Verhältnis zum Drittstaat-Aufenthaltsstaat des Kindes Art 23 Abs 2 lit e KSÜ entspricht, fehlt dort ein entsprechendes Anerkennungshindernis bei Entscheidungen aus Vertragsstaaten. Trotzdem widerspricht lit f insoweit nicht Art 23 KSÜ, denn dort ergibt sich aus der Anerkennung von zwei aufeinander folgenden Entscheidungen aus Vertragsstaaten (jeweils Art 23 Abs 1 KSÜ) implizit der Vorrang der späteren Entscheidung, auch wenn sie nicht aus dem Aufenthaltsstaat stammt. Abs 2 lit e schreibt also insoweit nur den Posterioritätsgrundsatz fest und ist in der hier vertretenen grammatikalischen Auslegung insoweit auch gemessen an Art 23 KSÜ plausibel. Für später getroffene einstweilige Maßnahmen ist wiederum im Einzelfall zu prüfen, ob sie der Anerkennung einer früheren Entscheidung entgegenstehen.49 7. Nichteinhaltung des Verfahrens nach Art 56 (lit g) 27 Die neu aufgenommene lit g erlaubt die Anerkennungsversagung, wenn das Verfahren nach

Art 56 nicht eingehalten wurde. Dieses Verfahren ist Teil der Regeln über die Zusammenarbeit der zentralen Behörden bei Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung (Kapitel IV) und betrifft die Abstimmung zwischen den Behörden der betroffenen Mitgliedstaaten, wenn das Gericht eines Mitgliedstaates ein Kind in einem Heim oder einer Pflegefamilie in einem anderen Mitgliedstaat unterbringen möchte. 28 Insbesondere kann die Anerkennung der mit einer solchen Unterbringung verbundenen

Sorgerechtsentscheidung nach lit g versagt werden; anderenfalls könnte ein Gericht eines Mitgliedstaates ohne die nach Art 56 Abs 2 erforderliche Zustimmung einem anderen Mitgliedstaat eine Unterbringung praktisch oktroyieren.

Artikel 24: Verbot der Nachprüfung der Zuständigkeit des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaats Die Zuständigkeit des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaats darf nicht überprüft werden. Die Überprüfung der Vereinbarkeit mit der öffentlichen Ordnung gemäß Artikel 22 Buchstabe a) und Artikel 23 Buchstabe a) darf sich nicht auf die Zuständigkeitsvorschriften der Artikel 3 bis 14 erstrecken.

I. Normzweck – Vergleich zu Art 35 Brüssel I-VO 1 Die Bestimmung ist mit den erforderlichen redaktionellen Anpassungen an Art 22, 23 dem

Art 17 Brüssel II-VO entnommen und entspricht Art 35 Abs 3 Brüssel I-VO.1 Sie stellt klar, 48

49

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MünchKommFamFG/Gottwald Rn 11; Hk-ZPO/Dörner Rn 7; aA Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 6; Geimer/ Schütze/Paraschas Rn 45; unentschieden NK-BGB/Andrae Rn 9. Dazu Rn 24 am Ende.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 24 Brüssel IIa-VO

dass die Zuständigkeit des Gerichts, das die Entscheidung erlassen hat, nicht nachgeprüft werden darf. Hintergrund des Verzichts auf die im autonomen Anerkennungsrecht übliche Zuständigkeitsprüfung ist, wie schon in Art 28 Abs 3 EuGVÜ, die Vereinheitlichung des Zuständigkeitssystems. Zuständigkeitsverstöße gegen Art 3 bis 14 können auch nicht zur Ablehnung wegen Verstoßes gegen den ordre public führen (S 2). Im Rahmen der VO ist das Verbot der Zuständigkeitsprüfung mit Ausnahme von Art 17 umfassend. Da VO-intern keine ausschließlichen Gerichtsstände mit fakultativen konkurrieren, besteht auch keine Art 35 Abs 1 Brüssel I-VO entsprechende Ausnahme. II. Einzelheiten 1. Die Anerkennung einer Entscheidung aus einem Mitgliedstaat kann nicht an einer 2 unzutreffenden Annahme der Zuständigkeit scheitern.1a Eine Prüfung der Zuständigkeit des Erstgerichts findet im Anerkennungsstadium nicht statt (S 1). Das gilt gleichermaßen, wenn das Erstgericht seine Zuständigkeit auf Art 3 ff gestützt hat, als auch dann, wenn es die Zuständigkeit lege fori beurteilt hat. Auch Fehler bei der Anwendung von Art 6, 7 und 14, insbesondere die Annahme einer auf die lex fori gestützten Zuständigkeit, obwohl die Zuständigkeiten der VO (nach Art 6 oder darüber hinaus) ausschließlich gewesen wären,2 sind unbeachtlich,3 selbst wenn das Gericht des Ursprungsmitgliedstaates zu Unrecht eine exorbitante Zuständigkeit angewendet hat.4 2. Satz 2 verbietet grundsätzlich auch den Rückgriff auf den ordre public (Art 22 lit a, 3 Art 23 lit a) als Anerkennungshindernis bei Verstößen gegen das Zuständigkeitssystem der VO. Ein Verstoß gegen den ordre public kann jedoch vorliegen, wenn zur unzutreffenden Annahme der Zuständigkeit weitere Umstände hinzutreten, insbesondere Rechtsbeugung durch das Erstgericht oder betrügerisches Erschleichen der Zuständigkeit,5 die für sich genommen den ordre public verletzen.6 Es ist aber auch dann immer im Einzelfall zu prüfen, ob der ordre public verletzt ist. Haben zB Ehegatten einverständlich durch unzutreffende Angaben zum gewöhnlichen Aufenthalt die Zuständigkeit erschlichen und widersetzt sich keiner der Ehegatten der Anerkennung, so ist der Verstoß nicht anders zu beurteilen als einverständlich unzutreffender Vortrag zum Ablauf einer Mindesttrennungsfrist; ein Verstoß gegen den ordre public liegt dann nicht vor. 3. Mittelbar führt dies zu einer erweiterten Obliegenheit des Antragsgegners, Zuständig- 4 keitsmängel im Ausgangsverfahren zu rügen.7 Obwohl eine rügelose Einlassung im Rahmen 1 1a 2

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6 7

Vgl Rauscher/Leible Art 35 Brüssel I-VO Rn 3 ff. OLG Stuttgart v 5.3.2014 – 17 UF 262/13, FamRZ 2014, 1567, 1569. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 4; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 2; aA Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 3, das Verbot der Nachprüfung wirke sich nur zu Lasten von Drittstaatenangehörigen aus. Helms FamRZ 2001, 257, 262; NK-BGB/Andrae Rn 2. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 2. Vgl auch die zum Übereinkommen von Irland abgegebene Erklärung, die in der VO nicht mehr berücksichtigt ist, wonach sich Irland vorbehalten hatte, die Anerkennung zu verweigern, wenn eine Partei oder die Parteien vorsätzlich das Gericht über Voraussetzungen der Zuständigkeit getäuscht haben; dazu Jänterä-Jareborg YB PIL 1999, 22. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 7. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 3.

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Art 25 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

der VO nicht möglich ist, also ein unzuständiges Gericht auch ohne Rüge unzuständig bleibt, ist der Mangel im Anerkennungsstadium unerheblich. 5 4. Art 24 steht nach Ansicht des EuGH8 hingegen einer Prüfung der Frage nicht entgegen,

auf welche Bestimmungen das eine einstweilige Maßnahme erlassende Erstgericht seine Zuständigkeit gestützt hat; diese Beurteilung ist vorfraglich für die Anwendung der Art 21 ff, weil diese nicht für Maßnahmen gelten, die ein nur aus Art 20 zuständiges Gericht erlassen hat.9

Artikel 25: Unterschiede beim anzuwendenden Recht Die Anerkennung einer Entscheidung darf nicht deshalb abgelehnt werden, weil eine Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem die Anerkennung beantragt wird, unter Zugrundelegung desselben Sachverhalts nicht zulässig wäre.

I. Normzweck 1 1. Die Bestimmung – abgesehen von einer das Verständnis erschwerenden Kürzung wort-

gleich aus Art 18 Brüssel II-VO übernommen – hat zwei Funktionen. Ursprünglich ging es darum, Bedenken von Mitgliedstaaten gerecht zu werden, deren Familienrecht liberalere Scheidungsvorschriften enthält als das Recht anderer Mitgliedstaaten. Insoweit ist die Regelung im Zusammenhang mit Art 22 lit a zu sehen;1 sie verbietet eine extensive Anwendung des ordre public.2

2 2. Da schon in Vorbereitung des Übereinkommens das Wort „innerstaatlich“ gestrichen

wurde, erhält die Bestimmung eine zweite Funktion: Sie stellt klar, dass die Nichtanerkennung auch nicht darauf gestützt werden kann, dass ein aus Sicht des Internationalen Privatrechts des Anerkennungsstaates unzutreffendes Recht angewendet wurde.3 Der Verzicht auf einen Kollisionsrechtsvorbehalt in Statussachen ist keineswegs selbstverständlich, wie insbesondere der statusrechtliche Vorfragenvorbehalt zeigt, der noch in Art 27 Nr 4 EuGVÜ enthalten war. Die Gründe für jenes Anerkennungshindernis sind längst nicht ausgeräumt.4 Trotz einer zunehmenden Privatisierung der Ehemodelle in allen europäischen Rechtsordnungen konvergieren die Scheidungsrechtsordnungen keinesfalls so stark, dass die kollisionsrechtliche Frage ohne Interesse wäre. Der ordre public ist heute zwar weniger durch staatliche Interessen am Ehemodell betroffen; dafür tritt der individuelle Grundrechtsschutz sowohl in Gestalt des Eheschutzes als auch der Scheidungsfreiheit in den Vordergrund. Der Verzicht auf den Rechtsanwendungsvorbehalt lässt sich also nur damit erklären, dass an8

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EuGH v 15.7.2010 – Rs C-256/09 Purrucker/Vallés Pérez, IPRax 2011, 378 = FamRZ 2010, 1521; BGH v 9.2.2011 – XII ZB 182/08, NJW 2011, 855. Dazu Art 20 Rn 24. Borrás-Bericht Nr 76. Borrás-Bericht Nr 76; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 1; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 1. Borrás-Bericht Nr 76; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 1. Kohler in: Mansel (Hrsg), Vergemeinschaftung des Europäischen Kollisionsrechts (2001) 44.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 25 Brüssel IIa-VO

gesichts der Divergenz der Kollisionsrechte5 eine andere Lösung nicht möglich gewesen wäre, ohne das Ziel der Verkehrsfähigkeit von Scheidungsurteilen erheblich zu gefährden und das Tor zur révision au fond aufzustoßen. II. Keine Anerkennungsversagung wegen Rechtsunterschieden 1. Die Bestimmung betrifft nur Entscheidungen in Ehesachen (Art 1 Abs 1 lit a). Das ist in 3 der Fassung durch die Brüssel IIa-VO zwar nicht mehr ausdrücklich im ersten Halbsatz festgehalten,6 ergibt sich jedoch implizit aus dem zweiten Halbsatz: Die Anerkennung einer Sorgerechtsentscheidung kann also zB durchaus darauf gestützt werden, dass der Status des Kindes als Vorfrage der Sorgerechtsregelung unzutreffend beurteilt wurde. 2. Die Anerkennung einer Ehesachenentscheidung darf nicht abgelehnt werden, weil im 4 Anerkennungsstaat eine vergleichbare Entscheidung (Ehescheidung, Eheaufhebung, Ehetrennung) nicht oder noch nicht zulässig gewesen wäre. Ausgeschlossen ist insbesondere eine Berufung auf unterschiedliche Mindesttrennungsfristen und Scheidungsgründe oder die Versagung der Anerkennung von einverständlichen Scheidungen; gleichwohl ist der ordre pulic insoweit nicht völlig verdrängt.7 Ausgeschlossen ist theoretisch auch die Berufung auf die gänzliche Unzulässigkeit der Ehescheidung. Der materielle ordre public des Anerkennungsstaates ist jedoch durch Art 25 nicht völlig 5 verdrängt;8 deshalb muss davon ausgegangen werden, dass in aus Sicht des Anerkennungsstaats schwerwiegenden Fällen die Anerkennung durchaus an materiellen Rechtsunterschieden scheitern kann. Wie die Gerichte von tendenziell scheidungsunfreundlicheren Mitgliedstaaten etwa zu Konsensualscheidungen ohne Scheiternsnachweis und ohne Trennungsfrist9 unter Beteiligung ihrer Staatsangehörigen stehen werden, bleibt abzuwarten. Auch Malta, das eine Scheidung noch nicht vorsieht, wird sich zu positionieren haben. Insbesondere kann der ordre public trotz Art 25 Scheidungsaussprüchen entgegengehalten werden, die im Ursprungsmitgliedstaat in Anwendung des Rechts von Drittstaaten10 ergangen sind. Filtert insbesondere der Ursprungsmitgliedstaat gleichberechtigungswidrige Scheidungsgründe einer kollisionsrechtlich berufenen ausländischen Rechtsordnung nicht über seinen ordre public, so muss dies der Anerkennungsstaat tun. 3. Die Anerkennung darf auch nicht wegen einer abweichenden Kollisionsrechtsanwen- 6 dung versagt werden, wobei auch unerheblich ist, ob das Ursprungsgericht sein IPR zutreffend angewendet hat; das gilt nunmehr auch bei einer unrichtigen Anwendung der Kollisionsregeln der Rom III-VO. Dies gilt nicht nur für die Rechtsanwendung in der 5 6

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Kohler in: Mansel (Hrsg), Vergemeinschaftung des Europäischen Kollisionsrechts (2001) 44. Art 18 Brüssel II-VO lautete: „Die Anerkennung einer Entscheidung, die die Ehescheidung … betrifft, …“ Helms FamRZ 2001, 257, 263; Hausmann EuLF 2000/01, 349; zur – zulässigen – Anwendung des ordre public-Hindernisses bei Scheidungen ohne Feststellung des Scheiterns Art 22 Rn 8. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 3, 7 f.; aA Andrae ERA-Forum 2003, 28, 40; einschränkend Geimer/ Schütze/Paraschas Rn 6. Wie die spanische Neuregelung aus 2005 zeigt, kann sich insoweit der rechtspolitische Wind schnell drehen. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 8.

Thomas Rauscher

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Art 26 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Hauptfrage, sondern betrifft auch Vorfragen, insbesondere auch die Beurteilung von Statusverhältnissen. So kann die Anerkennung einer Eheaufhebung wegen Bigamie nicht ohne Weiteres versagt werden, weil das Ursprungsgericht aus Sicht des Anerkennungsstaates unzutreffend das Bestehen einer anderweitigen Ehe eines Ehegatten angenommen hat. Gleichwohl sollte auch hier der ordre public nicht völlig verdrängt sein. Wenn im Beispielsfall die erste Ehe schon vor Eingehung der vermeintlich bigamischen Ehe im Anerkennungsstaat (oder dort anerkennungsfähig) geschieden war, liegt kein Fall des Art 22 lit c vor, weil die Ehescheidung nicht zwischen denselben Parteien wie die spätere Eheaufhebung erfolgte. Trotzdem muss der inländische ordre public der Anerkennung entgegengesetzt werden können. Problematisch sind auch Fälle, in denen das Gericht des Ursprungsmitgliedstaates eine Privateheschließung im Anerkennungsstaat, die dieser als Nichtehe betrachtet, als wirksam ansieht und deshalb eine anschließend dort wirksam geschlossene Ehe wegen Bigamie aufhebt.11

Artikel 26: Ausschluss einer Nachprüfung in der Sache Die Entscheidung darf keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden.

I. Keine Nachprüfung in der Sache 1 Die Bestimmung – wortgleich zu Art 19 Brüssel II-VO – übernimmt das herkömmliche,

nicht nur in Art 36 Brüssel I-VO, sondern schon unter § 328 ZPO geltende Verbot der révision au fond. Erst dieses Verbot sichert die Ausschließlichkeit der Anerkennungsversagungsgründe und damit letztlich den Zweck jeder Anerkennung, eine erneute Entscheidung über die Tatsachen und die Rechtsanwendung zu vermeiden.1 Den für die Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen wichtigsten Fall des Verbots der Überprüfung von Scheidungs-, Aufhebungs- und Trennungsgründen regelt bereits Art 25. Während Art 25 unmittelbar auch den ordre public-Vorbehalt (Art 22 lit a) beschränkt, steht das Verbot der révision au fond in Art 26 jedoch nicht der Versagung der Anerkennung wegen Verletzung des materiellen ordre public entgegen.2 II. Änderung von Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung 2 1. Die Bestimmung gilt – anders als Art 25 – auch für Entscheidungen zur elterlichen

Verantwortung.3 Das Verbot der rückwirkenden Überprüfung der sachlichen Richtigkeit der

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Dieser Fall kann sich leicht ereignen, weil nicht nur Deutschland die Eheschließung im Inland nur in Ortsform erlaubt, Eheschließungen im Ausland aber auch in der Geschäftsform als wirksam ansieht. Nimmt zB ein österreichisches Gericht eine in Deutschland privat geschlossene Ehe zweier Marokkaner zum Anlass, die nachfolgend vor einem deutschen Standesbeamten geschlossene Ehe des marokkanischen Ehemannes mit einer Deutschen aufzuheben, so kann diese Entscheidung schwerlich mit dem deutschen ordre public vereinbar sein. Borrás-Bericht Nr 77. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 3. Hof Arnhem NIPR 2010, 480, 481.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 26 Brüssel IIa-VO

Entscheidung steht aber nicht einer Änderung der Entscheidung durch die Gerichte des Anerkennungsstaates entgegen.4 2. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob und in welchem Maß eine Bindung der Gerichte 3 des Anerkennungsstaates (vorbehaltlich deren Zuständigkeit) an die ohne Sachprüfung anzuerkennende Entscheidung besteht. a) Selbstverständlich erscheint, dass aufgrund geänderter Umstände5 eine Sorgerechtsent- 4 scheidung geändert werden kann; das ergibt sich schon aus der kontinuierlichen Wirkung von Sorgerechtsentscheidungen, die immer nur rebus sic stantibus verstanden werden können. b) Fraglich bleibt aber, ob auch eine Abänderung der Entscheidung aufgrund einer abwei- 5 chenden Beurteilung der Kindeswohldienlichkeit ohne Änderung der vom Ursprungsgericht festgestellten Tatsachen möglich ist. Eine rigide, an zivilprozessualem Denken orientierte Haltung, welche die Gerichte im Anerkennungsstaat an die von der anzuerkennenden Entscheidung gesetzten Prämissen binden will, wird dem Problem nicht gerecht. Die Kindeswohldienlichkeit der Entscheidung ist selbst Teil des dynamischen Prozesses, dem eine Sorgerechtsentscheidung unterliegt. Wenn etwa § 1696 BGB dem Familiengericht aufträgt, seine eigene Entscheidung zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist, so bedeutet das nicht notwendig eine Änderung der zugrundeliegenden Tatsachen, sondern kann auch eine geänderte Beurteilung der Reaktion des Kindes auf die Verhältnisse erfassen. Die Änderungsschwelle6 bestimmen, anders als zB bei Unterhaltsentscheidungen, nicht formal geänderte Tatsachen, sondern der Ausgleich zwischen dem Bedürfnis des Kindes nach Kontinuität und der Tendenz zu einer jeweils optimierten Verwirklichung des Kindeswohls. Eine anzuerkennende Entscheidung kann insoweit selbstverständlich nicht stärker binden. Richtig erscheint es, die Auslegung von Art 26 an Art 27 KSÜ zu orientieren:7 Die Gerichte 6 im Anerkennungsstaat sind zwar gehindert, die anzuerkennende Entscheidung besserwisserisch zu korrigieren.8 Wenn jedoch die anzuerkennende Entscheidung nicht mehr dem Wohl des Kindes gerecht wird, ist sie abzuändern,9 einerlei, ob sich die Tatsachen oder nur deren Beurteilung geändert haben. Jede andere Lösung würde im Übrigen nur zu Begründungsakrobatik nötigen, mit der sich zB neue gutachterliche Feststellungen zum Verhalten des Kindes unschwer als geänderte Tatsachen interpretieren lassen.

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Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 4. Borrás-Bericht Nr 78; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 1; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 2; NK-BGB/ Andrae Rn 1. Im Einzelnen dazu Staudinger/Coester (2014) § 1696 BGB Rn 49 ff. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 2. In diesem Sinne: OLG Stuttgart v 5.3.2014 – 17 UF 262/13, FamRZ 2014, 1567, 1569. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 4; wohl auch Geimer/Schütze/Paraschas Rn 7; ausdrücklich zu Art 27 KSÜ Siehr RabelsZ 62 (1998) 494.

Thomas Rauscher

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Art 27 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Artikel 27: Aussetzung des Verfahrens (1) Das Gericht eines Mitgliedstaats, vor dem die Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung beantragt wird, kann das Verfahren aussetzen, wenn gegen die Entscheidung ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt wurde. (2) Das Gericht eines Mitgliedstaats, bei dem die Anerkennung einer in Irland oder im Vereinigten Königreich ergangenen Entscheidung beantragt wird, kann das Verfahren aussetzen, wenn die Vollstreckung der Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat wegen der Einlegung eines Rechtsbehelfs einstweilen eingestellt ist.

I. Normzweck 1 Die Bestimmung – wortgleich aus Art 20 Brüssel II-VO übernommen – entspricht Art 37

Brüssel I-VO.1 Sie ist in Zusammenhang mit dem Grundsatz der automatischen Anerkennung (Art 21) zu sehen,2 sowie dem Umstand, dass nur für die Beischreibung in Personenstandsbüchern die formelle Rechtskraft der Entscheidung Voraussetzung ist. Die Möglichkeit, das Verfahren vor dem Gericht, vor dem die Anerkennung der Entscheidung beantragt wird, auszusetzen, reduziert die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen. Besonders in Statussachen, deren Gestaltungswirkung einer Vollstreckung nicht bedarf, wäre es misslich, würden aus einer Entscheidung, die womöglich alsbald im Ursprungsmitgliedstaat aufgehoben wird, rechtliche Folgerungen gezogen.3 Zumeist werden aber die Gestaltungswirkungen einer Statusentscheidung ohnehin bereits lege fori nicht vor formeller Rechtskraft eintreten.4 II. Aussetzung des Verfahrens (Abs 1) 1. Anwendungsbereich 2 a) Art 27 ist in allen Verfahren anwendbar, welche im Rahmen der Art 21 ff die Anerken-

nung einer Entscheidung aus einem Mitgliedstaat zum Gegenstand haben. Die Bestimmung gilt also sowohl im Feststellungsverfahren nach Art 21 Abs 35 als auch in Verfahren, die von der inzidenten Anerkennung abhängen;6 in diesem Fall ist nicht nur die inzidente Anerkennung, sondern das Verfahren insgesamt auszusetzen, das von der Anerkennung abhängt.7 In Vollstreckbarerklärungsverfahren gilt nicht Art 27, sondern Art 35. 3 b) Ist eine Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat (mangels Rechtskraft oder personen-

standsrechtlicher Eintragung) noch nicht wirksam, so fehlt es bereits an anerkennungsfähigen Wirkungen. In diesem Fall bedürfte es nicht der Aussetzung, um die vorschnelle 1 2 3 4 5

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Vgl Rauscher/Leible Art 37 Brüssel I-VO. Borrás-Bericht Nr 79. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 1. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 2. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 1; Geimer/Schütze/Paraschas Rn 2 f.; iE auch MünchKommFamFG/Gottwald Rn 1. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 2. NK-BGB/Andrae Rn 1.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 27 Brüssel IIa-VO

Herleitung von Folgerungen aus der anzuerkennenden Entscheidung zu vermeiden. Es kann aber sinnvoll sein, Art 27 in solchen Fällen dennoch anzuwenden, wenn die weiteren Voraussetzungen vorliegen. Andernfalls müsste mangels anerkennungsfähiger Wirkungen das Verfahren durch Abweisung beendet und nach Eintritt der formellen Rechtskraft ein neues Verfahren eingeleitet werden. Fehlt zur Wirksamkeit nur eine personenstandsrechtliche Eintragung, so kommt hingegen keine Aussetzung nach Art 27 in Betracht; eine Aussetzung nach § 148 ZPO ist jedoch möglich. 2. Voraussetzungen und Rechtsfolge a) Im Ursprungsmitgliedstaat muss ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt sein. Nach der 4 vom EuGH zu Art 30, 38 EuGVÜ geprägten autonomen Definition handelt es sich um einen Rechtsbehelf, der zur Aufhebung oder Abänderung der Entscheidung führen kann und für dessen Einlegung im Urteilsstaat eine gesetzliche Frist bestimmt ist.8 Zweifelhaft erscheint allerdings, ob im Rahmen von Art 27 die Befristung des Rechtsbehelfs vorauszusetzen ist. Im Gegensatz zu den vollstreckungsrechtlichen Aussetzungsbestimmungen führt hier nicht schon das Bestehen, sondern erst die Einlegung zur Aussetzung. Insbesondere im Bereich der Sorgerechtsentscheidungen kommen unbefristete Rechtsbehelfe häufiger vor; ihre Einlegung kann in gleicher Weise das Risiko von Widersprüchen heraufbeschwören.9 b) Wann der Rechtsbehelf eingelegt ist, entscheidet das Recht des Ursprungsmitgliedstaa- 5 tes. Art 16 gilt nicht entsprechend. Ist über den Rechtsbehelf rechtskräftig entschieden, so ist Art 27 nicht mehr anzuwenden. c) Rechtsfolge ist die Aussetzung des Verfahrens. Eines Antrags bedarf es hierzu nicht.10 6 Das Gericht hat jedoch Ermessen; abzuwägen sind die Folgen der durch die Aussetzung bedingten Verfahrensverzögerung gegen die Risiken widersprechender Entscheidungen, die Art 27 vermeiden soll. Bei Statusentscheidungen ist, sofern diese überhaupt schon vor Rechtskraft wirken, im Regelfall auszusetzen. Bei Sorgerechtsentscheidungen ist neben der dem Kindeswohl oft nicht zumutbaren Aussetzung eine Anerkennung mit nachfolgender Abänderung zu erwägen, sofern hierzu eine Zuständigkeit besteht. Ist über den Rechtsbehelf entschieden und hiergegen kein weiterer Rechtsbehelf eingelegt, so ist das Verfahren wieder aufzunehmen. Im Übrigen gilt für die verfahrensrechtliche Durchführung der Aussetzung § 21 FamFG entsprechend. III. Entscheidung aus Irland oder UK (Abs 2) Abs 2 soll Besonderheiten der innerstaatlichen Regelungen in Irland und dem UK Rechnung 7 tragen11 und entspricht Art 20 Abs 2 Brüssel II-VO sowie Art 37 Abs 2 Brüssel I-VO.12

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EuGH Rs 43/77 Industrial Diamond Supplies/Riva EuGHE 1977, 2175. IE ebenso Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 9. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 4. Borrás-Bericht Nr 79. Vgl Rauscher/Leible Art 37 Brüssel I-VO Rn 6.

Thomas Rauscher

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Art 28 Brüssel IIa-VO

Abschnitt 2: Antrag auf Vollstreckbarerklärung Artikel 28: Vollstreckbare Entscheidungen (1) Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen über die elterliche Verantwortung für ein Kind, die in diesem Mitgliedstaat vollstreckbar sind und die zugestellt worden sind, werden in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag einer berechtigten Partei für vollstreckbar erklärt wurden. (2) Im Vereinigten Königreich wird eine derartige Entscheidung jedoch in England und Wales, in Schottland oder in Nordirland erst vollstreckt, wenn sie auf Antrag einer berechtigten Partei zur Vollstreckung in dem betreffenden Teil des Vereinigten Königreichs registriert worden ist. I.

II.

Modell des Vollstreckbarerklärungsverfahrens 1. Erforderlichkeit des Exequaturverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Systematik der Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 a) Exequatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 b) Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Sachlicher Anwendungsbereich 1. Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2. Kostenentscheidungen (in Ehesachen) 14

III.

Voraussetzungen der Vollstreckbarerklärung 1. Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3. Zustellung der Entscheidung . . . . . . . . . . 19 4. Verfahren im Übrigen – IntFamRVG 22 5. Vollstreckung im UK (Abs 2) . . . . . . . . . . 27

I. Modell des Vollstreckbarerklärungsverfahrens1 1. Erforderlichkeit des Exequaturverfahrens 1 Art 28 bis 36 – weitgehend wortgleich zu Art 21 bis 29 Brüssel II-VO – übernehmen für den

Bereich der einer Vollstreckung bedürftigen Entscheidungen, also solcher, die nicht aus sich selbst heraus ohne Ausführung wirken,2 betreffend die elterliche Verantwortung das grundsätzlich aus Brüssel I bekannte Modell der Exequaturentscheidung im Vollstreckungsmitgliedstaat.2a Diese Entscheidung setzt die (inzidente) Anerkennungsprüfung nach Art 21 ff voraus, die, anders als für die Brüssel II-VO, hier auch erstinstanzlich beibehalten wurde (Art 31 Abs 2). 2 Ehesachen als Statussachen bedürfen (außer im Kostenpunkt) hingegen keiner Vollstre-

ckung,3 weshalb insoweit mit dem Anerkennungsprinzip (Art 21 ff) die unmittelbare Wirkungserstreckung erreicht ist. 1 2 2a 3

298

Eingehend Schulte-Bunert FamRZ 2007, 1608. Cass civ Riv dir int priv proc 2007, 1093, 1095. Zur geplanten Abschaffung des Exequaturverfahrens s Einl Rn 60. Staudinger/Spellenberg (2005) vor Art 28.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 28 Brüssel IIa-VO

Eine unmittelbare Erstreckung der Vollstreckungswirkungen in Überwindung des Exequa- 3 turprinzips sieht die VO nunmehr unter den in Art 40 ff bestimmten Voraussetzungen für Umgangsentscheidungen und Entscheidungen über die Kindesherausgabe vor. Dieses an der EG-VollstrTitelVO orientierte Verfahren verzichtet auf die Prüfung von Anerkennungsvoraussetzungen, insbesondere auf den Anerkennungsversagungsgrund des ordre public (Art 23 lit a). So sehr eine Beschleunigung der Vollstreckung von Umgangstiteln zu begrüßen ist, so bedenklich ist doch, dass angesichts erheblich divergierender Beurteilung im materiellen Recht und im Verfassungsverständnis diese Abkehr vom Exequaturprinzip vollzogen wurde.4 2. Systematik der Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung a) Exequatur Art 28 ff gestalten den für alle Mitgliedstaaten einheitlichen Rahmen eines Exequaturver- 4 fahrens, das im jeweiligen Vollstreckungsmitgliedstaat (zum Begriff Art 2 Nr 6) durchzuführen ist. Das Verfahren der Art 28 ff übernimmt – mit der Materie geschuldeten Abweichungen5 – 5 die Konzeption der Art 31 ff EuGVÜ und weicht daher deutlich von Art 38 ff Brüssel I-VO ab. Insbesondere sieht die VO nach dem Vorbild des Art 34 EuGVÜ eine Prüfung der Anerkennungsversagungsgründe vor (Art 31 Abs 2), die Art 41 Brüssel I-VO in das Rechtsbehelfsverfahren verlagert. Die Anerkennung der Entscheidung bleibt also in diesem Verfahren eine Vorfrage,6 die nach Art 21 ff zu beurteilen ist. Außerdem fehlt es an einer Art 47 Brüssel I-VO entsprechenden Bestimmung; eine Inan- 6 spruchnahme einstweiliger Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen zur Durchsetzung einer anerkennungsfähigen Entscheidung ohne Durchführung des Exequaturverfahrens ist nicht vorgesehen. Das mit der Vollstreckbarerklärung befasste Gericht kann jedoch nach § 15 IntFamRVG iVm §§ 49 ff FamFG einstweilige Anordnungen treffen, um Gefahren von dem Kind abzuwenden und eine Beeinträchtigung der Interessen der Beteiligten zu vermeiden, insbesondere den Aufenthaltsort des Kindes zu sichern. b) Vollstreckung Die Vollstreckungsmaßnahmen unterliegen dagegen dem innerstaatlichen Recht des je- 7 weiligen Vollstreckungsmitgliedstaates.7 Näheres bestimmt Art 47.

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6

7

Näher dazu Art 40 Rn 1 ff. ZB gibt es keine Entsprechung zu Art 39 EuGVÜ, weil eine Vollstreckung in Vermögenswerte bei Sorgerechtsentscheidungen ausscheidet. Unzutreffend Weber NJW 2005, 3043, 3047, der offenbar nur eine Geltendmachung in einem „Verfahren auf Nichtanerkennung“ annimmt; ein solches negatives Anerkennungsfeststellungsverfahren nach Art 21 Abs 3 kommt insbesondere für Entscheidungen in Betracht, die keinen vollstreckungsfähigen Inhalt haben. Borrás-Bericht Nr 81; Hausmann EuLF 2000/01, 351.

Thomas Rauscher

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Art 28 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

II. Sachlicher Anwendungsbereich 1. Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung 8 a) Nach Abs 1 bezieht sich Art 28 ausdrücklich auf die in einem Mitgliedstaat ergangenen,

dort vollstreckbaren Entscheidungen betreffend die elterliche Verantwortung für ein gemeinsames Kind. Zweifelsfrei betrifft die Bestimmung (positive und negative) Umgangsregelungen und Herausgabeanordnungen, die der Vollstreckung bedürfen.8 Hingegen wird im deutschen Schrifttum für Entscheidungen über die Zuweisung der elterlichen Sorge mangels eines vollstreckungsfähigen Inhalts die unmittelbare Geltung nach Art 21 angenommen.9 Dies erscheint auf den ersten Blick in paralleler Wertung zu Art 32 und 38 Brüssel I-VO plausibel. Probleme ergeben sich jedoch, wenn ein in einem Mitgliedstaat mit der elterlichen Sorge betrauter Elternteil oder Dritter das Kind (ohne Vollstreckungshilfe dortiger Behörden) aus der Obhut des vorher in einem anderen Mitgliedstaat Sorgeberechtigten ohne dessen Zustimmung in den Mitgliedstaat verbringt, dessen Gerichte ihm das Sorgeoder Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen haben. Eine solche, zB während der Ausübung des Umgangs mögliche, Form des Selbstvollzuges der Sorgerechtsübertragung erscheint nicht hinnehmbar, so dass auch in diesem Fall eine Vollstreckbarerklärung (oder eine förmliche Anerkennung nach Art 21 Abs 3) in dem Mitgliedstaat erforderlich ist, aus dem das Kind verbracht werden soll.10 8a b) Erst recht bedarf es der Vollstreckbarerklärung für Maßnahmen, durch die die elterliche

Sorge oder das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und das Kind in die Obhut öffentlicher Stellen gegeben wird.11 Auch die Unterbringung eines Kindes in einem Heim in einem anderen Mitgliedstaat kann nicht schlicht in inzidenter Anerkennung der entsprechenden Entscheidung vollzogen werden, sondern bedarf der Vollstreckbarerklärung im Unterbringungs-Mitgliedstaat.12 Insbesondere ersetzt die nach Art 56 gegebene behördliche Zustimmung nicht die gerichtliche Vollstreckbarerklärung.13 Dem regelmäßig bestehenden Beschleunigungsbedürfnis kann nur dadurch Rechnung getragen werden, dass das Verfahren der Vollstreckbarerklärung beschleunigt ausgestaltet wird und insbesondere Rechtsbehelfen (Art 33) keine aufschiebende Wirkung beigegeben wird.14 9 c) Hinsichtlich von Entscheidungen aus einem Mitgliedstaat verdrängen Art 28 ff das MSA

(Art 60 lit a), das KSÜ (Art 61 lit b, auch wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem sonstigen KSÜ-Vertragsstaat hat) und das Luxemburger Europäische Übereinkom8 9 10

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Geimer/Schütze/Paraschas Rn 11. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 2; Geimer/Schütze/Paraschas Rn 10. Cass civ EuLF 2007 II-31, 32 f: Übertragung der elterlichen Sorge in Italien rechtfertigt ohne Vollstreckbarerklärung nicht Abholung des Kindes aus Spanien. Zum Erfordernis der Vollstreckbarerklärung bei einer – in diesem Fall ggf korrespondierend ergehenden – Rückführungsentscheidung: Rn 12. Rb ’s-Gravenhage NIPR 2013, 58, 59; Rb Den Haag NIPR 2013, 224, 226. EuGH Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466, 1469 f Rn 113; Kohler/ Pintens FamRZ 2012, 1425, 1431. EuGH Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466, 1470 Rn 120; Kohler/ Pintens FamRZ 2012, 1425, 1431. EuGH Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466, 1470 Rn 123; Kohler/ Pintens FamRZ 2012, 1425, 1431.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 28 Brüssel IIa-VO

men über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht etc15 (Art 60 lit d).16 d) Die Möglichkeit, eine Umgangs- oder Herausgabeentscheidung nach Art 40 ff (unmit- 10 telbar) zu vollstrecken, schließt die Inanspruchnahme des Verfahrens nach Art 28 ff nicht aus. Der durch den Titel Begünstigte kann zwischen beiden Verfahren wählen (Art 40 Abs 2).17 e) Mit einer nach Art 28 ff vollstreckungsfähigen Entscheidung verbundene Entscheidun- 11 gen über sonstige kindschaftsrechtliche Folgesachen, insbesondere Entscheidungen über den Kindesunterhalt, sind von Art 28 ff nicht erfasst. Sie werden nach den jeweils auf sie anwendbaren im Vollstreckungsmitgliedstaat (im Verhältnis zum Ursprungsmitgliedstaat) geltenden Rechtsinstrumenten vollstreckt,18 für Unterhaltstitel gelten das EuGVÜ, die Brüssel I-VO, ggf das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen.19 Für die Vollstreckung einer Entscheidung über die Rückführung eines Kindes ist aufgrund 12 der Erweiterung des Anwendungsbereichs der Brüssel IIa-VO nunmehr ebenfalls das Haager Kindesentführungsübereinkommen verdrängt (Art 60 lit e). Rückführungsentscheidungen eines Mitgliedstaates sind nach Art 28 ff zu vollstrecken. f) Öffentliche Urkunden und Prozessvergleiche in Sorgesachen mit vollstreckungsfähi- 13 gem Inhalt, zB vollstreckungsfähige Umgangsvereinbarungen, soweit sie lege causae zugelassen sind, unterliegen Art 28 ff gemäß Art 46. 2. Kostenentscheidungen (in Ehesachen) Entscheidungen in Ehesachen (Art 1 Abs 1 lit a) bedürfen in ihren Gestaltungswirkungen 14 keiner Vollstreckung und sind deshalb in Art 28 nicht erwähnt. Zugehörige Kostenentscheidungen fallen jedoch gemäß Art 49 in den Anwendungsbereich des Kap III (mit Ausnahme des 4. Abschnitts) und damit auch der Vollstreckungsbestimmungen. Art 28 ff sind auf sie – jedenfalls entsprechend – anzuwenden.20 III. Voraussetzungen der Vollstreckbarerklärung 1. Antrag Die Vollstreckbarerklärung erfolgt auf Antrag einer berechtigten Partei.21 Berechtigt sind 15 jedenfalls jeder Elternteil und das Kind, sowie sonstige aus der Sorgerechtsentscheidung 15 16 17 18 19 20

21

Vom 20.5.1980, BGBl 1990 II 220. Thomas/Putzo/Hüßtege Vorbem Art 28-35 Rn 1. NK-BGB/Andrae Vorbem Art 28-36 Rn 1. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 2. Vom 2.10.1973, BGBl 1986 II 826. Hausmann EuLF 2000/01, 351; Wagner IPRax 2001, 79; Thomas/Putzo/Hüßtege Vorbem Art 28-35 Rn 1; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 4; NK-BGB/Andrae Rn 1. Dazu Schulte-Bunert FamRZ 2007, 1608, 1610.

Thomas Rauscher

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Art 28 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

unmittelbar Berechtigte (zB Großeltern, denen ein Umgangsrecht zugesprochen wurde)22. Sofern das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates ein Antragsrecht vorsieht, können auch staatliche Stellen (Vormundschaftsbehörde, Staatsanwaltschaft, Jugendamt) die Vollstreckbarerklärung betreiben.23 Eine nähere autonome Ausgestaltung der Form des Antrags enthalten Art 30, 37, 39. 2. Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat 16 a) Voraussetzung der Vollstreckbarerklärung ist die Vollstreckbarkeit im Ursprungsmit-

gliedstaat. Erforderlich ist wie zu Art 31 Abs 1 EuGVÜ nur die abstrakte Vollstreckbarkeit in formeller Hinsicht, nicht aber das Vorliegen der konkreten Vollstreckungsvoraussetzungen nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates; hierüber entscheidet vielmehr das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates.24 Erforderlich ist damit aber insbesondere, dass Entscheidungen dieser Art im Ursprungsmitgliedstaat generell vollstreckbar sind, was für Umgangsregelungen durchaus nicht zwingend gewährleistet ist. Ein Verbot der Vollstreckung von Umgangsentscheidungen betrifft nicht nur die konkrete Durchführbarkeit einer Vollstreckung, sondern bedeutet eine Grundsatzwertung, die auf die Qualität der Entscheidung durchschlägt, ihr also ggf die Vollstreckbarkeit als solche entzieht. Hingegen ist die ebenso bedeutsame Frage, ob eine Vollstreckung auch Gewaltanwendung gegenüber dem Kind (Wegnahme) erlaubt, eine Frage der Durchführung der Vollstreckung und daher ohnehin dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates überlassen. 17 b) Vorläufige Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat ist grund-

sätzlich genügend.25 Auch Rechtskraft der Entscheidung ist nicht Voraussetzung der Vollstreckbarerklärung. Zu erwägen ist jedoch vor Eintritt der formellen Rechtskraft eine Aussetzung des Verfahrens nach Art 35. 18 c) Der Nachweis der Vollstreckbarkeit wird gemäß Art 37 Abs 1 lit b, 39 für Sorgerechts-

sachen durch das Formblatt Anhang II Ziff 9.1. erbracht („9.1.1. Ja“). Das Formblatt Anhang I für Ehesachen enthält keine Angaben zur Vollstreckbarkeit einer Kostenentscheidung. 3. Zustellung der Entscheidung 19 a) Im Gegensatz zu Art 38 Abs 1 Brüssel I-VO verzichtet Art 28 nicht auf die vorherige

Zustellung der zu vollstreckenden Entscheidung. Der mit Art 38 Abs 1 Brüssel I-VO angestrebte Überraschungseffekt wäre der Vollstreckung von Sorgerechtsentscheidungen nicht angemessen. Der Zustellungsadressat ist nach dem Zweck der Bestimmung autonom zu bestimmen, nicht nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates.26 Sinn der Regelung ist es, demjenigen, gegen den sich die Vollstreckung richten soll, vor Vollstreckbarerklärung die Entscheidung zur Kenntnis zu bringen; der Verpflichtete muss die Möglichkeit haben, die Anordnung freiwillig zu erfüllen.27 Deshalb bedarf es jedenfalls der Zustellung an diese Person. Die Zustellung erfolgt zwischen den Mitgliedstaaten gemäß der EG-ZustVO 2007.28 22 23 24 25 26

302

Holzmann FPR 2010, 497, 501. Borrás-Bericht Nr 80; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 3. EuGH Rs C-267/97 Coursier/Fortis Bank SA et al IPRax 2000, 18; NK-BGB/Andrae Rn 2. NK-BGB/Andrae Rn 2. Zöller/Geimer Rn 5; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 9; Geimer/Schütze/Paraschas Rn 22.

Oktober 2014

Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 28 Brüssel IIa-VO

b) Eine Nachholung der Zustellung ist ohne Weiteres während des Vollstreckbarerklä- 20 rungsverfahrens möglich, aber auch noch während eines Rechtsbehelfsverfahrens nach Art 33, sofern dem von der Vollstreckung Betroffenen eine ausreichende Zeit zwischen der Zustellung und der Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen bleibt, um der Entscheidung freiwillig nachzukommen.29 Hingegen ist eine Nachholung nach Abschluss des Vollstreckbarerklärungsverfahrens (analog § 87 Abs 2 FamFG) nicht mehr möglich,30 weil insoweit die autonome Regelung in Abs 1 abschließend ist. Der Nachweis der Zustellung wird gemäß Art 37 Abs 1 lit b, 39 durch das Formblatt 21 Anhang II Ziff 9.2. erbracht („9. 2. 1. Ja“ mit Partei- und Datumsnachweis).31 Wiederum fehlt es im Formblatt Anhang I für Ehesachen an einer entsprechenden Stelle. 4. Verfahren im Übrigen – IntFamRVG32 Soweit das Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht in Art 28 ff geregelt ist, bestimmt es sich 22 nach dem innerstaatlichen Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates, in Deutschland nach dem am 1.3.2005 in Kraft getretenen IntFamRVG (s Gesetzesanhang). Soweit dort keine speziellen Bestimmungen vorgesehen sind, gelten gemäß § 14 Int- 23 FamRVG in Ehesachen für die Vollstreckbarerklärung die Bestimmungen des FamFG entsprechend; im Übrigen entscheidet das Familiengericht im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach dem FamFG. Das IntFamRVG enthält spezielle Regelungen zur Zuständigkeit,33 der Antragstellung,34 der 24 Verfahrensgestaltung im Hinblick auf die Entscheidung35 und deren Aufhebung oder Änderung36 sowie dem Rechtszug.37 Zudem regelt das IntFamRVG auch die Verfahrenskosten abweichend von den allgemeinen 25 Bestimmungen. Auf die Verteilung der Verfahrenskosten ist § 81 FamFG, in Ehesachen § 788 ZPO entsprechend anzuwenden (§ 20 Abs 2 IntFamRVG). Wird ein Antrag auf Vollstreckbarerklärung abgelehnt, gilt in Sorgerechtsverfahren ebenfalls § 81 FamFG, in Ehesachen sind die Kosten dem Antragsteller aufzuerlegen (§ 20 Abs 3 S 2 IntFamRVG). Für die Gerichtskosten gelten die Bestimmungen des FamGKG; die Kostenbestimmungen 26 in §§ 50 ff IntFamRVG wurden mit Wirkung vom 1.9.2009 durch das FGG-RG aufgehoben. Für die Erteilung der Vollstreckungsklausel wird einheitlich eine Gebühr von 240 J im 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37

NK-BGB/Andrae Rn 3. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 5; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 9; Geimer/Schütze/Paraschas Rn 21. EuGH Rs C-275/94 Roger van der Linden/Berufsgenossenschaft der Feinmechanik etc EuGHE 1996 I 1393. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 24; aA Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 5. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 5. Dazu Schulte-Bunert FamRZ 2007, 1608, 1612 ff. Dazu Art 29 Rn 5. Dazu Art 30 Rn 2. Dazu Art 31 Rn 2, Art 32 Rn 2 ff. Dazu Art 31 Rn 9. Dazu Art 33 Rn 1 ff, Art 34 Rn 4 ff.

Thomas Rauscher

303

Art 29 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

ersten Rechtszug erhoben, ebenso für eine Aufhebung oder Änderung (Kostenverzeichnis Nr 1710). Im Rechtsmittelverfahren in der Hauptsache wird eine Gebühr von 360 J erhoben (Kostenverzeichnis Nr 1720). 5. Vollstreckung im UK (Abs 2) 27 Abs 2 entspricht Art 38 Abs 2 Brüssel I-VO38 und soll den Besonderheiten des innerstaat-

lichen Rechts im UK Rechnung tragen.39 Die Vollstreckbarkeit wird durch die Registration der zu vollstreckenden Entscheidung hergestellt.40

Artikel 29: Örtlich zuständiges Gericht (1) Ein Antrag auf Vollstreckbarerklärung ist bei dem Gericht zu stellen, das in der Liste aufgeführt ist, die jeder Mitgliedstaat der Kommission gemäß Artikel 68 mitteilt. (2) Das örtlich zuständige Gericht wird durch den gewöhnlichen Aufenthalt der Person, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, oder durch den gewöhnlichen Aufenthalt eines Kindes, auf das sich der Antrag bezieht, bestimmt. Befindet sich keiner der in Unterabsatz 1 angegebenen Orte im Vollstreckungsmitgliedstaat, so wird das örtlich zuständige Gericht durch den Ort der Vollstreckung bestimmt.

I. Sachliche Zuständigkeit (Abs 1) 1 1. Art 29 entspricht nahezu wortlautidentisch1 Art 22 Abs 1 und 2 Brüssel II-VO; Art 22

Abs 2 Brüssel II-VO (betreffend die Zuständigkeit im Verfahren nach Art 21 Abs 3, vormals Art 14 Abs 3 Brüssel II-VO) wurde zu Art 21 Abs 3 S 2. Wie Art 39 Brüssel I-VO legt die VO im Interesse der Offenkundigkeit für den Rechtssuchenden2 die sachliche und örtliche Zuständigkeit für alle Mitgliedstaaten autonom fest. Mit Rücksicht auf künftige Erweiterungen des Kreises der Mitgliedstaaten wird eine andere Methodik als in der Brüssel II-VO gewählt, wo die Gerichte im Anhang veröffentlicht wurden. Nunmehr erstellt die Kommission auf Mitteilung der Mitgliedstaaten eine Liste (Art 68), die sie im Amtsblatt oder sonst in geeigneter Weise veröffentlicht. In Deutschland ist das Familiengericht sachlich zuständig (§ 12 Abs 1 IntFamRVG).

38 39 40

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Vgl Rauscher/Mankowski Art 38 Brüssel I-VO Rn 30 f. Borrás-Bericht Nr 81. Re S [2009] EWCA Civ 993; JRG v EB [2012] EWHC 1863 (Fam); zu weiterer Rechtsprechung und Einzelheiten Chokowry [2010] 854. Eine geringfügige Straffung wird durch die Verwendung des Begriffs „Vollstreckungsmitgliedstaat“ (Art 2 Nr 6) erreicht. Borrás-Bericht Nr 82, etwas emphatisch das Ziel „dem europäischen Bürger das Leben zu erleichtern“ betonend.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 30 Brüssel IIa-VO

II. Örtliche Zuständigkeit (Abs 2) 1. Die örtliche Zuständigkeit wird alternativ durch den gewöhnlichen Aufenthalt desjeni- 2 gen bestimmt, gegen den sich die Vollstreckung richtet oder durch den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes (Abs 2 S 1). Subsidiär wird das örtlich zuständige Gericht durch den Ort der Vollstreckung bestimmt, wenn sich keiner der vorgenannten Aufenthaltsorte im Vollstreckungsmitgliedstaat befindet (Abs 2 S 2). Die Person, gegen die sich die Vollstreckung richtet, wird durch die formelle Gegenposition 3 im Vollstreckbarerklärungsverfahren bestimmt. Potentielle Vollstreckungsadressaten sind alle, denen die Entscheidung eine vollstreckungsfähige Verpflichtung auferlegt, mit Ausnahme des Antragstellers. Mit Rücksicht auf den eingeschränkten sachlichen Anwendungsbereich der VO wird es sich zumeist um Fälle der Regelung im Verhältnis zwischen den Ehegatten handeln, so dass ein Vollstreckungsadressat feststeht. Richtet sich jedoch zB der Antrag einer Behörde auf Vollstreckung einer beide Elternteile betreffenden Regelung, so sind beide potentielle Vollstreckungsadressaten. In einem solchen Fall kann der Antrag wahlweise am gewöhnlichen Aufenthalt jedes der Vollstreckungsadressaten gestellt werden, wenn die Entscheidung gegen beide vollstreckt werden soll. 2. Haben ausnahmsweise weder das Kind noch der Vollstreckungsadressat ihren gewöhn- 4 lichen Aufenthalt im Vollstreckungsmitgliedstaat, so ist als Auffangregel (also subsidiär, nicht alternativ) das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Vollstreckung bewirkt werden soll (Abs 2 S 2). 3. Ausführungsregelungen zur Zuständigkeit finden sich in §§ 12 ff IntFamRVG. § 10 5 IntFamRVG3 ist nicht auf das Verfahren nach Art 28 ff anzuwenden; dies folgt aus der autonomen Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit in Art 29 und ergibt sich im Übrigen aus dem klaren Wortlaut von § 10 IntFamRVG. Hingegen gilt die Zuständigkeitskonzentration gemäß § 12 IntFamRVG4 nach § 12 Abs 1 auch im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung nach der VO. Es entscheidet also jeweils das Familiengericht am Sitz des OLG, für den Bezirk des KG das FamG Pankow/Weißensee. Anwendbar ist auch die Zuständigkeitskonzentration für andere Familiensachen nach § 13 IntFamRVG.5

Artikel 30: Verfahren (1) Für die Stellung des Antrags ist das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats maßgebend. (2) Der Antragsteller hat für die Zustellung im Bezirk des angerufenen Gerichts ein Wahldomizil zu begründen. Ist das Wahldomizil im Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats nicht vorgesehen, so hat der Antragsteller einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. (3) Dem Antrag sind die in den Artikeln 37 und 39 aufgeführten Urkunden beizufügen.

3 4 5

Dazu Art 21 Rn 39. Dazu Art 21 Rn 39. Dazu Art 21 Rn 40 f.

Thomas Rauscher

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Art 30 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

I. Stellung des Antrags (Abs 1) 1 1. Die Bestimmung – ohne inhaltliche Änderungen aus Art 23 Brüssel II-VO übernom-

men – entspricht mit geringfügigen Änderungen Art 40 Brüssel I-VO.1

Das Verfahren der Vollstreckbarerklärung folgt weitgehend dem Schema des EuGVÜ.2 Art 30 befasst sich mit der Antragstellung und der sonstigen Vorgehensweise seitens des Antragstellers. Grundsätzlich überlässt Abs 1 die Ausgestaltung der den Antrag betreffenden Bestimmungen der lex fori des Vollstreckungsmitgliedstaates. Dies betrifft – vorbehaltlich Abs 3 – angesichts der Regelung der materiellen Voraussetzungen in Art 28 Abs 1, 31 die Formalien der Antragstellung, also Form, Inhalt, Sprache und (anwaltliche) Vertretung.3 2 2. Die Antragstellung vor deutschen Gerichten bestimmt sich nach § 16 IntFamRVG. Die

Antragstellung erfolgt schriftlich oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 16 Abs 2 IntFamRVG). Bei Abfassung in einer fremden Sprache ist der Antrag nicht ohne Weiteres unzulässig (§ 184 GVG); das Gericht kann jedoch dem Antragsteller aufgeben, eine Übersetzung mit Bestätigung einer in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR hierzu befugten Person beizubringen (§ 16 Abs 3 IntFamRVG). Eine § 4 Abs 4 AVAG (Titelabschriften) entsprechende Bestimmung enthält § 16 IntFamRVG nicht. Anwaltszwang besteht auch für ein eine Ehesache betreffendes Kosten-Vollstreckungsverfahren nicht (§ 18 Abs 2 IntFamRVG, abweichend von § 114 Abs 1 FamFG). Für den Antrag auf Vollstreckbarerklärung einer Sorgerechtsentscheidung ergibt sich schon aus den Bestimmungen des FamFG (§ 14 Nr 2 IntFamRVG) kein Anwaltszwang. II. Wahldomizil/Zustellungsbevollmächtigter des Antragstellers (Abs 2) 3 1. Abs 2 stellt sicher, dass Zustellungen an den Antragsteller im Vollstreckungsmitglied-

staat bewirkt werden können und Zustellungen in das Ausland vermieden werden. Dies erleichtert nicht nur die Mitteilung der Entscheidung an den Antragsteller (Art 32), sondern auch die Gewährung rechtlichen Gehörs aus Anlass der Einlegung eines Rechtsbehelfs durch den Vollstreckungsadressaten.4 4 2. Zu diesem Zweck muss der Antragsteller nach dem Recht des Vollstreckungsmitglied-

staates5 dort ein Wahldomizil begründen (Abs 2 S 1). Sieht das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates, wie das deutsche Recht, dies nicht vor, so muss der Antragsteller einen Zustellungsbevollmächtigten im Vollstreckungsmitgliedstaat benennen (Abs 2 S 2). Vor deutschen Gerichten ist hierauf § 184 Abs 1 ZPO anzuwenden (§ 17 Abs 1 IntFamRVG). Der Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten bedarf es nicht, wenn der Antragsteller einen Verfahrensbevollmächtigten bestellt hat, an den im Inland zugestellt werden kann (§ 17 Abs 2 IntFamRVG). 5 3. Die Folgen der Verletzung dieser Verpflichtung sind nicht autonom geregelt; sie be1 2 3 4 5

306

Vgl Rauscher/Mankowski Art 40 Brüssel I-VO. Borrás-Bericht Nr 85. Borrás-Bericht Nr 85. Borrás-Bericht Nr 86. EuGH Rs 198/85 Carron/Bundesrepublik Deutschland EuGHE 1986, 2437.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 31 Brüssel IIa-VO

stimmen sich nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates. Vor deutschen Gerichten gilt § 17 Abs 1 IntFamRVG. Bis zur nachträglichen Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten können alle Zustellungen durch Aufgabe zur Post (§ 184 Abs 1 S 2, Abs 2 ZPO) bewirkt werden. Eine Zustellung im Ausland nach der EG-ZustellVO 2007 bleibt jedoch möglich.6 III. Beizufügende Urkunden (Abs 3) Abs 3 beschreibt autonom, welche Urkunden dem Antrag zum Nachweis der Anerken- 6 nungs- und Vollstreckungsvoraussetzungen beizufügen sind. Die Urkunden sind im Einzelnen in Art 37 und 39 aufgeführt.7 Die Vorlage der Urkunden kann im Rahmen von Art 38 nachgeholt werden.8 Die Folgen der Nichtvorlage ergeben sich nicht nach der lex fori, sondern autonom aus Art 38.9 Das Gericht kann insbesondere den Antrag als unzulässig abweisen, aber auch von der Vorlage einzelner Urkunden absehen oder sich mit anderen Nachweisen zufriedengeben.10

Artikel 31: Entscheidung des Gerichts (1) Das mit dem Antrag befasste Gericht erlässt seine Entscheidung ohne Verzug und ohne dass die Person, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, noch das Kind in diesem Abschnitt des Verfahrens Gelegenheit erhalten, eine Erklärung abzugeben. (2) Der Antrag darf nur aus einem der in den Artikeln 22, 23 und 24 aufgeführten Gründe abgelehnt werden. (3) Die Entscheidung darf keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden.

I. Einseitiges, beschleunigtes Verfahren 1. Die Bestimmung – mit einer nicht unbedeutenden Änderung zum Gehör des Kindes aus 1 Art 24 Brüssel II-VO übernommen – regelt die Verfahrensführung und die Prüfung der Entscheidung durch das Gericht des Vollstreckungsmitgliedstaates. Sie entspricht Art 34 EuGVÜ und übernimmt damit nicht das Modell des Art 41 Brüssel I-VO, das die Prüfung der Anerkennungsversagungsgründe auf das Rechtsbehelfsverfahren verlagert. Das ist der Besonderheit von Sorgerechtsentscheidungen geschuldet, bei denen ein Überraschungseffekt nicht anstrebenswert ist und letztlich im Interesse des Kindeswohls eine angemessene Anerkennungsprüfung der Vollstreckung vorangehen muss. Dann aber ist es fraglich, warum Abs 1 das Verfahren im Übrigen ohne rechtliches Gehör des Vollstreckungsadressaten und in der Neufassung durch die Brüssel IIa-VO sogar ohne Gehör des Kindes gestaltet, damit einen Rechtsbehelf nach Art 33 im Interesse des Kindeswohls de facto zur Regel macht und das familiengerichtliche Verfahren als bloße Durchlaufstation entwertet. Einen eher fragwürdigen Sinn wird man darin zu sehen haben, dass ein Instanzenzug gewährt 6 7 8 9 10

NK-BGB/Andrae Rn 4. Vgl insbesondere Art 37 Rn 6 ff. Dazu Art 38 Rn 3 f. Borrás-Bericht Nr 87, 107. Borrás-Bericht Nr 107; vgl Art 38 Rn 5 ff.

Thomas Rauscher

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Art 31 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

wird, um rechtsstaatlicher Kritik vorzubeugen, dieser aber durch Abkürzung der ersten Instanz verkürzt wird, um Verzögerungen entgegenzutreten.1 Dieser Mangel zeigt sich bei besonders beschleunigungsbedürftigen und zugleich tief in die elterliche Sorge eingreifenden Verfahren darin, dass es geradezu zwangsläufig zur Inanspruchnahme des Rechtsbehelfs nach Art 33 und damit potentiell zu einer Verzögerung kommt. Der EuGH2 will dies dadurch ausgeglichen sehen, dass dem Rechtsbehelf nach Art 33 keine aufschiebende Wirkung beigegeben wird.3 2 2. Das Verfahren ist somit in erster Instanz strikt einseitig gestaltet. Der Vollstreckungs-

adressat und das Kind werden nicht, auch nicht in Ausnahmefällen,4 gehört (Abs 1). Nur der Antragsteller erhält Gelegenheit sich zu äußern (§ 18 Abs 1 IntFamRVG), weshalb auch keine mündliche Verhandlung (§ 18 Abs 1 S 2 IntFamRVG), ggf aber eine mündliche Erörterung mit dem Antragsteller oder seinem Bevollmächtigten (§ 18 Abs 1 S 3 IntFamRVG) stattfindet. Der Anspruch des Vollstreckungsadressaten und des Kindes auf rechtliches Gehör soll dadurch gewahrt werden, dass ein Rechtsbehelf nach Art 33 Abs 1 eingelegt und dadurch ein streitiges Verfahren mit beiderseitigem rechtlichem Gehör erzwungen werden kann. Das setzt voraus, dass die nachfolgende Androhung und Festsetzung der nach § 44 IntFamRVG zu verhängenden Ordnungsmittel dem Vollstreckungsadressaten genügend Zeit für die Einleitung dieses Verfahrens gibt.5 3 3. Überdies enthält Abs 1 ein an das Gericht gerichtetes Beschleunigungsgebot; die Ent-

scheidung ergeht „ohne Verzug“. Auf die Benennung einer Frist hierfür wurde verzichtet, weil eine solche Frist für Gerichte unüblich ist und es an Sanktionen fehlen würde. Die Aufforderung zur Unverzüglichkeit soll jedoch verdeutlichen, dass das Exequatur auf der Grundlage des Vertrauens in die korrekte Anwendung der VO durch das Gericht des Ursprungsmitgliedstaates zu ergehen hat.6 II. Prüfungsumfang (Abs 2), keine révision au fond (Abs 3) 4 1. Abs 2 beschreibt den materiellen Prüfungsumfang im Exequaturverfahren. Gemessen

an Art 41 Brüssel I-VO liegt die entscheidende Bedeutung nicht im Verbot der über Art 22, 23 und 24 hinausweisenden Prüfung, sondern in der Beibehaltung der Anerkennungsprüfung. Die Vollstreckungsklausel darf also (nur) aus Gründen versagt werden, die zur Versagung der Anerkennung der Entscheidung führen können, insbesondere, wenn Anerkennungsversagungsgründe nach Art 22 (Kostenentscheidung in Ehesachen) oder Art 23 (Sorgerechtssachen) vorliegen. Auf Zuständigkeitsmängel kann die Versagung, da Art 16 Brüssel II-VO entfallen ist, dem Wortlaut nach auf Art 24 gestützt werden, aus dem sich aber

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Vgl Staudinger/Pirrung (2009) Vorbem Art 19 EGBGB Rn C 143, „verfassungsrechtlich … letztlich wohl noch vertretbar“. EuGH Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466, 1471 Rn 129; Kohler/ Pintens FamRZ 2012, 1425, 1431. Dazu Rn 8. Borrás-Bericht Nr 88; im Verfahren im UK nach Art 28 Abs 2 wird insbesondere keine submission angenommen: JRG v EB [2012] EWHC 1863 (Fam). Zur Wirksamkeit der Vollstreckbarerklärung unten Rn 8. Borrás-Bericht Nr 88.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 31 Brüssel IIa-VO

kein Anerkennungsversagungsgrund ergibt.7 Eine Nachprüfung in der Sache findet, wie schon Art 26 für die Anerkennung festlegt, nicht statt (Abs 3). 2. Da der Vollstreckungsadressat und das Kind nicht gehört werden, kommt nur die Be- 5 rücksichtigung solcher Anerkennungsversagungsgründe in Betracht, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Eine Einschränkung auf Gründe, die im staatlichen Interesse liegen, findet nicht statt.8 Weder die einseitige Struktur noch das Beschleunigungsgebot hindern allerdings das Gericht im Einzelfall, im Wege des Freibeweises Hinweisen auf Anerkennungsversagungsgründe nachzugehen, insbesondere, wenn sich solche Hinweise aus einer Schutzschrift des Vollstreckungsadressaten, des Kindes oder einer Stellungnahme des Jugendamtes ergeben. Im Zweifel sollte allerdings, um den Beschleunigungszweck nicht zu gefährden, die Vollstreckungsklausel erteilt, die Prüfung auf das Rechtsbehelfsverfahren verlagert und zunächst mit Rücksicht auf das Kindeswohl Zurückhaltung bei den Vollstreckungsmaßnahmen geübt werden. 3. Der formelle Prüfungsumfang ist durch Abs 2 nicht berührt. Das Gericht prüft also von 6 Amts wegen die Anwendbarkeit der VO an sich, das Vorliegen einer den Voraussetzungen des Art 2 Nr 4 entsprechenden Entscheidung, deren Zustellung und Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat (Art 28), den Antrag (Art 30), insbesondere die Antragsberechtigung sowie die Nachweise nach Art 30 Abs 3 und Art 37, 39 sowie seine Zuständigkeit (Art 29).9 III. Erlass und Wirksamkeit der Entscheidung 1. Die Ausgestaltung der Entscheidung bestimmt sich nach der lex fori. In Deutschland 7 erfolgt die Vollstreckbarerklärung durch einen in der Regel keiner weiteren Begründung als des Hinweises auf die VO bedürftigen Beschluss und die vorgelegten Urkunden (§ 20 Abs 1 IntFamRVG). Auf Grund des Beschlusses erteilt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Vollstreckungsklausel in Form des § 23 Abs 1 IntFamRVG mit der dort genannten Maßgabe zum Wortlaut. Ein ablehnender Beschluss ist zu begründen (§ 20 Abs 3 IntFamRVG). 2. Der Beschluss nach § 20 IntFamRVG wird erst mit Eintritt der formellen Rechtskraft 8 wirksam (§ 22 IntFamRVG), also nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsbehelfs nach Art 33 oder nach dessen rechtskräftiger Erledigung. Nach Einlegung der Beschwerde nach Art 33 kann das OLG (Art 33, 68; § 24 Abs 1 IntFamRVG) die sofortige Wirksamkeit anordnen (§ 27 IntFamRVG), nach Einlegung der Rechtsbeschwerde (Art 34, 68; § 28 IntFamRVG) kann der BGH auf Antrag eine solche Anordnung aufheben oder sie erstmals treffen (§ 31 IntFamRVG). Insbesondere kann damit im deutschen Verfahren die vom EuGH geforderte Beschleunigung der Vollstreckung auch im Fall der Einlegung eines Rechtsbehelfs10 in Beurteilung des Einzelfalls erreicht werden.

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Dieses schon in Art 24 Abs 2 Brüssel II-VO enthaltene Redaktionsversehen ist offenbar wegen einer rein schematischen Anpassung der Verweisungen nicht aufgefallen. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 7; aA Zöller/Geimer Rn 1 ohne Rücksicht auf die Besonderheit des Verfahrensgegenstandes. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 3; NK-BGB/Andrae Rn 3. Oben Rn 1.

Thomas Rauscher

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Art 32 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

9 Wird die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat aufgehoben oder abgeändert, so kann

die verpflichtete Person dies im Vollstreckbarerklärungsverfahren nur bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss geltend machen. Sodann gilt § 34 IntFamRVG. Die Vollstreckbarerklärung wird auf Antrag durch das die Vollstreckungsklausel erteilende Familiengericht geändert oder aufgehoben. Im Fall eines Titels über die Erstattung von Verfahrenskosten gelten für die Einstellung der Zwangsvollstreckung und die Aufhebung von Vollstreckungsmaßregeln die §§ 769, 770 ZPO entsprechend, wobei die Aufhebung einer Vollstreckungsmaßregel auch ohne Sicherheitsleistung zulässig ist (§ 34 Abs 5 IntFamRVG).

Artikel 32: Mitteilung der Entscheidung Die über den Antrag ergangene Entscheidung wird dem Antragsteller vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle unverzüglich in der Form mitgeteilt, die das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats vorsieht.

I. Mitteilung an den Antragsteller 1 1. Die Bestimmung – inhaltsgleich aus Art 25 Brüssel II-VO übernommen – regelt ent-

sprechend Art 42 Abs 1 Brüssel I-VO die Mitteilung an den Antragsteller. Die Mitteilung erfolgt nach den Bestimmungen des Vollstreckungsmitgliedstaates, jedoch ist der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle autonom als das zuständige Organ bezeichnet. Insoweit entfaltet die Verpflichtung zur Begründung eines Wahldomizils bzw Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten (Art 30 Abs 2) Wirkung, weil die Mitteilung im Vollstreckungsmitgliedstaat erfolgen kann.1 2 2. Bei Vollstreckbarerklärung in Deutschland ist im Fall eines stattgebenden Beschlusses

(§ 20 Abs 1 IntFamRVG) dem Antragsteller die mit der Vollstreckungsklausel versehene Ausfertigung erst dann zu übersenden, wenn der Klauselerteilungsbeschluss wirksam geworden ist (§ 21 Abs 2 S 2 IntFamRVG).2 Im Übrigen ist der Beschluss dem Antragsteller in beglaubigter Abschrift (§ 21 Abs 2 S 1 IntFamRVG) zu übersenden. II. Mitteilung an den Vollstreckungsadressaten 3 1. Anders als Art 42 Abs 2 Brüssel I-VO enthält die VO keine Bestimmungen über die

Mitteilung an den Vollstreckungsadressaten. Die Mitteilung erfolgt daher lege fori. 4 2. Bei Erteilung der Vollstreckungsklausel in Deutschland sind im Fall eines stattgebenden

Beschlusses eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses sowie eine beglaubigte Abschrift des noch nicht mit der Klausel versehenen Titels, ggf eine Übersetzung, sowie die in Bezug genommenen (§ 20 Abs 1 S 3 IntFamRVG), gemäß Art 30 Abs 3 mit dem Antrag vorzulegenden Urkunden von Amts wegen zuzustellen (§ 21 Abs 1 S 1 IntFamRVG). Ein ablehnender Beschluss ist formlos mitzuteilen (§ 21 Abs 1 S 2 IntFamRVG).

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Borrás-Bericht Nr 90. Dazu Art 31 Rn 8.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 33 Brüssel IIa-VO

III. Weitere Zustellungsempfänger § 21 Abs 3 IntFamRVG erweitert bei Vollstreckbarerklärung in Deutschland den Kreis der 5 Zustellungsadressaten. Außer dem Antragsteller und dem Vollstreckungsadressaten ist die Entscheidung nach Art 31 auch an den gesetzlichen Vertreter des Kindes, an den Verfahrensvertreter des Kindes, an das mindestens 14 Jahre alte Kind selbst, an einen im Verfahren formell nicht beteiligten Elternteil sowie an das Jugendamt zuzustellen. Erforderlich ist jeweils eine förmliche Zustellung. Handelt es sich bei der für vollstreckbar erklärten Maßnahme um eine Unterbringung, so ist auch an den Leiter der Einrichtung oder die Pflegefamilie zuzustellen (§ 21 Abs 4 IntFamRVG).

Artikel 33: Rechtsbehelf (1) Gegen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung kann jede Partei einen Rechtsbehelf einlegen. (2) Der Rechtsbehelf wird bei dem Gericht eingelegt, das in der Liste aufgeführt ist, die jeder Mitgliedstaat der Kommission gemäß Artikel 68 mitteilt. (3) Über den Rechtsbehelf wird nach den Vorschriften entschieden, die für Verfahren mit beiderseitigem rechtlichen Gehör maßgebend sind. (4) Wird der Rechtsbehelf von der Person eingelegt, die den Antrag auf Vollstreckbarerklärung gestellt hat, so wird die Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, aufgefordert, sich auf das Verfahren einzulassen, das bei dem mit dem Rechtsbehelf befassten Gericht anhängig ist. Lässt sich die betreffende Person auf das Verfahren nicht ein, so gelten die Bestimmungen des Artikels 18. (5) Der Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung ist innerhalb eines Monats nach ihrer Zustellung einzulegen. Hat die Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Vollstreckbarerklärung erteilt worden ist, so beträgt die Frist für den Rechtsbehelf zwei Monate und beginnt mit dem Tag, an dem die Vollstreckbarerklärung ihr entweder persönlich oder in ihrer Wohnung zugestellt worden ist. Eine Verlängerung dieser Frist wegen weiter Entfernung ist ausgeschlossen. I.

II.

Rechtsbehelf gegen die Entscheidung (Abs 1), Zuständigkeit (Abs 2) 1. Rechtsbehelf (Beschwerde) . . . . . . . . . . . . . 1 2. Beschwerdeberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . 2 3. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Frist (Abs 5), Einlegung der Beschwerde 1. Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2. Einlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Thomas Rauscher

III.

IV.

Kontradiktorisches Verfahren (Abs 3, 4) 1. Rechtliches Gehör für beide Parteien (Abs 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Aufforderung an den Zustellungsadressaten (Abs 4) . . . . . . . . . 16 Entscheidung 1. Prüfungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2. Neu entstandene Einwendungen . . . . . . 21 3. Wirksamwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

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Art 33 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

I. Rechtsbehelf gegen die Entscheidung (Abs 1), Zuständigkeit (Abs 2) 1. Rechtsbehelf (Beschwerde) 1 Die Bestimmung – inhaltlich identisch mit Art 26 Brüssel II-VO – orientiert sich weitgehend

an Art 43 Brüssel I-VO. Sie fasst die Rechtsbehelfe beider Parteien gegen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung (Art 31) zusammen, die Bestimmung gilt also sowohl für stattgebende als auch für ablehnende Entscheidungen. Der autonom nicht näher bezeichnete Rechtsbehelf gegen die Erteilung der Vollstreckbarerklärung, der durch die einzelnen Mitgliedstaaten zusammen mit dem zuständigen Gericht im Listenverfahren nach Art 68 bezeichnet wird, ist nach Abs 5 befristet. Der Rechtsbehelf gegen ihre Versagung ist unbefristet. Vor deutschen Gerichten ist der Rechtsbehelf die befristete bzw unbefristete Beschwerde gemäß §§ 24 ff IntFamRVG. 2. Beschwerdeberechtigung 2 a) Beschwerdeberechtigt ist jede Partei, wobei implizit vorausgesetzt ist, dass nur eine

durch die Entscheidung beschwerte Partei berechtigt ist. Dies ist jedenfalls bei Verweigerung der Vollstreckbarerklärung der Antragsteller, bei Erteilung der Vollstreckungsadressat. 3 b) Fraglich ist, ob auch das Kind oder eine im Vollstreckungsmitgliedstaat zuständige

Behörde Partei iSd Abs 1 und damit rechtsmittelbefugt sein kann. Hierfür wird verbreitet die Übereinstimmung der Auslegung des Kreises der Beschwerdeberechtigten mit dem der Antragsberechtigten angeführt.1 Das trifft das Problem nicht völlig, denn die Beschwerdeberechtigung des Kindes oder der Behörde, die den Antrag gestellt haben, besteht bei Antragsabweisung zweifelsfrei aufgrund der formellen Beteiligung in erster Instanz. Mit Rücksicht auf die materielle Betroffenheit ist jedoch die Beschwerdeberechtigung des Kindes auch dann, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens in erster Instanz, – mit der vorgenannten Ansicht – zu bejahen, wenn es nicht Antragsteller war.2 Dies muss umso mehr gelten, als dem Kind nun nach ausdrücklicher Fassung des Art 31 Abs 1 in erster Instanz kein Gehör gewährt wird. 4 Die Beschwerdebefugnis einer antragsbefugten Behörde, die den Antrag nicht selbst gestellt

hatte, lässt sich hingegen nicht mit Hinweis auf die potentielle Antragsberechtigung bejahen.3 Im Fall der Erteilung der Vollstreckbarerklärung würde sich zudem mangels Zustellung an die Behörde ein nicht hinnehmbares unbefristetes Beschwerderecht ergeben. 3. Zuständigkeit 5 Die Zuständigkeit regelt Abs 2 autonom. Zuständig ist das in der Liste nach Art 68 bezeich-

nete Gericht, in Deutschland das (dem erstinstanzlich entscheidenden FamG übergeordnete) OLG (§ 24 Abs 1 IntFamRVG). Es entscheidet der Familiensenat, nicht der Einzelrichter; § 26 Abs 1 IntFamRVG spricht ausdrücklich von der Entscheidung durch den Senat. 1

2 3

312

Wagner IPRax 2001, 73, 80; Hub NJW 2001, 3145, 3148; vgl Art 28 Rn 15; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 1; Zöller/Geimer Rn 2; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 3. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 4; NK-BGB/Andrae Rn 3. IE wie hier Geimer/Schütze/Paraschas Rn 4.

Oktober 2014

Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 33 Brüssel IIa-VO

II. Frist (Abs 5), Einlegung der Beschwerde 1. Frist a) Die Beschwerde gegen die Vollstreckbarerklärung ist nach Abs 5 befristet. Vor deut- 6 schen Gerichten gilt § 24 Abs 3 IntFamRVG, die Frist beträgt einen bzw zwei Monate nach Zustellung bei gewöhnlichem Aufenthalt des Antragstellers im Inland bzw im Ausland. Die Fristen berechnen sich nach §§ 16 Abs 2 FamFG, 222 ZPO, 187 ff BGB. b) Die nach Abs 5 befristete Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung (in 7 Deutschland Notfrist, § 24 Abs 4 IntFamRVG) an den Beschwerdeführer einzulegen, wenn dieser seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Vollstreckungsmitgliedstaat hat (Abs 5 S 1, § 24 Abs 3 Nr 1 IntFamRVG). c) Hat der Beschwerdeführer seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitglied- 8 staat (der VO, nicht der EU), so beträgt die Frist zwei Monate. Die Frist beginnt in diesem Fall – insoweit ist die Fassung in Abs 5 S 2 sprachlich eindeutiger als die in § 24 Abs 3 Nr 2 IntFamRVG – erst mit dem Tag, an dem die Vollstreckbarerklärung der Partei persönlich oder (auch im Wege der Ersatzzustellung) in ihrer Wohnung zugestellt wurde (Abs 5 S 2). Die Zustellung hat in diesem Fall gemäß EG-ZustVO 2007 zu erfolgen. Eine andere Form der Bekanntgabe oder Zustellung löst die Rechtsbehelfsfrist nicht aus, der Rechtsbehelf ist dann mangels einer absoluten Frist unbefristet zulässig.4 Eine Verlängerung der Frist ist nicht möglich, auch nicht im Fall weiter Entfernung (Abs 5 S 3, § 24 Abs 3 S 3 IntFamRVG), wobei die Unzulässigkeit einer Fristverlängerung nach Abs 5 S 3 autonom zwingend ist.5 d) Hat der Beschwerdeführer seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat (ein- 9 schließlich Dänemark), so würde das Verbot der Verlängerung nach Abs 5 S 3 nicht autonom zwingend eingreifen. Durch § 24 IntFamRVG wurde das an die Verhältnisse in Europa und in sonstigen Drittstaaten angepasste System nach § 50 Abs 2 S 4 AVAG aF 6 durch eine einfache,7 aber nicht angemessene einheitliche Regelung ersetzt: Die nicht verlängerbare Zweimonatsfrist gilt für den Beschwerdeberechtigten bei Aufenthalt im Ausland, einerlei, ob es sich um einen Mitgliedstaat, einen EWR-Staat oder Drittstaat handelt. Eine Fristverlängerung ist nicht möglich. Die fristauslösende Zustellung unterliegt den zwischen dem Vollstreckungsmitgliedstaat 10 und dem Aufenthaltsstaat geltenden völkervertraglichen Bestimmungen, insbesondere dem HZÜ, sonst dem autonomen Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates, der die Zustellung veranlasst. e) Für das Kind als Beschwerdeführer gelten dieselben Fristen vorbehaltlich wirksamer 11 Zustellung, die vor deutschen Gerichten gemäß § 21 Abs 3 IntFamRVG zu erfolgen hat. Mangels Zustellung ist die Beschwerde des Kindes gegen die Erteilung der Vollstreckbarerklärung unbefristet. 4 5 6 7

Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 9. JRG v EB [2012] EWHC 1863 (Fam). Dazu 1. Auflage Rn 8. Vgl BT-Drs 15/3981, 25.

Thomas Rauscher

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Art 33 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

12 f) Die Beschwerde gegen die Versagung der Vollstreckbarerklärung ist nach Art 33 unbe-

fristet;8 seit dem 1.9.2009 dürfte gemäß § 14 IntFamRVG die neu geschaffene Befristung nach § 63 Abs 1 FamFG eingreifen, es sei denn, man betrachtet Art 33 auch bezüglich der Nichtregelung als abschließend; Art 33 dürfte jedoch nur für die dort ausdrücklich bezeichnete Beschwerde gegen die Vollstreckbarerklärung als abschließende autonome Regelung der Beschwerdefrist zu verstehen sein, so dass im Übrigen die lex fori gilt. 2. Einlegung 13 Die Einlegung des Rechtsbehelfs ist im Übrigen nicht autonom geregelt; sie bestimmt sich

nach dem Verfahrensrecht des Vollstreckungsmitgliedstaates. 14 In Deutschland ist die Beschwerde beim OLG (Beschwerdegericht) durch Einreichung einer

Beschwerdeschrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen (§ 24 Abs 1 S 2 IntFamRVG). Es besteht kein Anwaltszwang (§ 114 Abs 4 FamFG e contrario). Die Zulässigkeit der Beschwerde wird nicht dadurch berührt, dass sie beim Gericht des ersten Rechtszugs eingelegt wird (§ 24 Abs 2 IntFamRVG); diese Einlegung ist fristwahrend. III. Kontradiktorisches Verfahren (Abs 3, 4) 1. Rechtliches Gehör für beide Parteien (Abs 3) 15 Der Rechtsbehelf nach Art 33 kompensiert die Einseitigkeit des Verfahrens nach Art 31.

Deshalb ist neben dem Antragsteller insbesondere auch dem Vollstreckungsadressaten rechtliches Gehör zu gewähren und autonom zwingend in einem kontradiktorischen Verfahren zu entscheiden (Abs 3).9 Dass auch dem Kind rechtliches Gehör zu geben ist, bestimmt Abs 3 nicht ausdrücklich; insoweit überlässt die VO im Einklang mit Erwägungsgrund Nr 19 die Ausgestaltung der lex fori. Jedenfalls gilt die Suspendierung des rechtlichen Gehörs des Kindes aus Art 31 Abs 1 nicht für das Rechtsbehelfsverfahren. Die weitere Ausgestaltung dieses Verfahrens überlässt Abs 3 dem innerstaatlichen Recht, es ist also nicht zwingend ein streitiges Verfahren oder eine mündliche Verhandlung vorgesehen.10 2. Aufforderung an den Zustellungsadressaten (Abs 4) 16 a) Abs 4 weicht im Wortlaut von Art 43 Abs 4 Brüssel I-VO ab, trifft aber in der Sache

dieselbe Regelung. Ist der Rechtsbehelf durch den Antragsteller eingelegt, also erstinstanzlich die Vollstreckbarerklärung nicht wie beantragt bewilligt worden, so fehlt es im gesamten bisherigen Verfahren an einer Beteiligungsmöglichkeit des Vollstreckungsadressaten. Deshalb ist diese Partei durch das Rechtsbehelfsgericht aufzufordern, sich auf das Verfahren einzulassen (Abs 4 S 1), um ihr rechtliches Gehör in einer Tatsacheninstanz zu gewähren.11

8 9 10 11

314

Wagner IPRax 2001, 80. JRG v EB [2012] EWHC 1863 (Fam). Borrás-Bericht Nr 92. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 4.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 33 Brüssel IIa-VO

Hingegen ist im Fall der Erteilung der Vollstreckbarerklärung bereits durch die Zustellung 17 sichergestellt, dass der Vollstreckungsadressat Kenntnis erlangt und in die Lage versetzt wird, das Rechtsbehelfsverfahren einzuleiten. Abs 4 ist entsprechend anzuwenden, wenn die Erteilung abgelehnt wurde, hiergegen jedoch 18 nicht der Antragsteller, sondern das Kind Beschwerde einlegt, denn die Interessenlage auf Seiten des Vollstreckungsadressaten ist hier keine andere. b) Bei Nichteinlassung des Vollstreckungsadressaten ist nach dem Modell des Art 18 zu 19 verfahren, also wie im Fall der Nichteinlassung im Erkenntnisverfahren. Das Verfahren ist nach Art 18 Abs 1 bzw den entsprechenden in Art 18 Abs 2, 3 verwiesenen Bestimmungen auszusetzen, um die erforderlichen Feststellungen zu treffen, dass dem Vollstreckungsadressaten in gehöriger Weise die Aufforderung nach Abs 4 S 112 einschließlich des Antrags und der zur Verteidigung notwendigen Urkunden,13 insbesondere der zu vollstreckenden Entscheidung, zugestellt wurde. IV. Entscheidung 1. Prüfungsumfang Es sind unabhängig von einer Rüge des Beschwerdeführers die Voraussetzungen für die 20 Vollstreckbarerklärung und der Anerkennung der Entscheidung im selben Umfang zu prüfen, wie im erstinstanzlichen Verfahren (Art 31). Die zulässige Beschwerde des Antragstellers oder des die Vollstreckung erstrebenden Kindes ist also erfolgreich, wenn die Anerkennungs- und Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen, die des Vollstreckungsadressaten oder des die Vollstreckung bekämpfenden Kindes, wenn es an einer der Voraussetzungen fehlt.14 2. Neu entstandene Einwendungen Die Behandlung von Einwendungen, die nach Erlass der Entscheidung im Ursprungsmit- 21 gliedstaat entstanden sind, ist nicht autonom geregelt. Im deutschen Verfahren können nachträglich entstandene Einwendungen gegen den Anspruch selbst im Beschwerdeverfahren nur geltend gemacht werden, soweit Gegenstand ein Titel über die Erstattung von Verfahrenskosten ist (§ 25 IntFamRVG). 3. Wirksamwerden Der Beschluss wird erst mit seiner Rechtskraft wirksam, worauf im Beschluss hinzuweisen 22 ist (§ 27 Abs 1 IntFamRVG). Das OLG kann jedoch in Verbindung mit der Entscheidung über die Beschwerde die sofortige Wirksamkeit anordnen (§ 27 Abs 2 IntFamRVG). Hierbei ist auch ein besonderer Beschleunigungsbedarf zu berücksichtigen, der zwar nicht dem

12 13 14

MünchKommFamFG/Gottwald Rn 7. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 4. Vgl Art 31 Rn 4 ff; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 11.

Thomas Rauscher

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Art 34 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Erfordernis der Vollstreckbarerklärung entgegengesetzt werden kann, es aber erforderlich machen kann, dem Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung beizumessen.15

Artikel 34: Für den Rechtsbehelf zuständiges Gericht und Anfechtung der Entscheidung über den Rechtsbehelf Die Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist, kann nur im Wege der Verfahren angefochten werden, die in der Liste genannt sind, die jeder Mitgliedstaat der Kommission gemäß Artikel 68 mitteilt.

I. Autonome Festlegung der weiteren Rechtsbehelfe 1 1. Wie Art 44 Brüssel I-VO legt die – inhaltsgleich aus Art 27 Brüssel II-VO übernomme-

ne – Bestimmung abschließend die gegen die Rechtsbehelfsentscheidung nach Art 33 statthaften weiteren Rechtsbehelfe autonom fest. Sie finden nur nach Maßgabe der Bestimmung der Mitgliedstaaten im Listenverfahren nach Art 68 statt. Entgegen der Überschrift ist das zuständige Gericht nicht autonom bestimmt, dieses bezeichnet das jeweilige nationale Recht.1 Auch die weitere Ausgestaltung obliegt grundsätzlich der lex fori, soweit nicht – auch in Anlehnung an die Rechtsprechung zu Art 37 Abs 2 EuGVÜ – autonome Grundsätze herzuleiten sind.

2 2. Der Rechtsbehelf ist nur gegen Endentscheidungen iSd Art 33 zulässig. Zwischenent-

scheidungen, verfahrensleitende Entscheidungen und die Aussetzung bzw Nichtaussetzung2 nach Art 35 können nicht mit dem Rechtsbehelf angegriffen werden.3 Fraglich ist, ob sich in Anlehnung an die Rechtsprechung zu Art 37 Abs 2 EuGVÜ4 eine Beschränkung der Rechtsmittelbefugnis auf die formell Beteiligten des Rechtsbehelfsverfahrens nach Art 33 herleiten lässt. Eine solche Beschränkung ist angesichts der materiellen Bestimmung der Betroffenheit in Sorgerechtssachen nicht zwingend, so dass das weitere Rechtsmittel im selben Umfang wie der Rechtsbehelf 5 insbesondere dem nicht formell beteiligten Kind offenstehen muss. Zweifelhaft ist aber, ob einer im Interesse des Kindeswohls tätigen Behörde6 die weitere Rechtsbehelfsbefugnis eingeräumt werden kann, wenn der Behörde die Rechtsbehelfsentscheidung nicht zuzustellen ist und der weitere Rechtsbehelf fristgebunden ist.7

15

1 2 3 4 5 6 7

316

EuGH Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466, 1471 Rn 129; Kohler/ Pintens FamRZ 2012, 1425, 1431. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 2. EuGH Rs C-432/93 Sisro/Ampersand Software BV EuGHE 1995, 2269. NK-BGB/Andrae Rn 1. EuGH Rs C-172/91 Volker Sonntag/Hans Waidmann et al EuGHE 1993, 1963. Dazu Art 33 Rn 3. NK-BGB/Andrae Rn 2. Vgl dazu Art 33 Rn 4.

Oktober 2014

Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 35 Brüssel IIa-VO

II. Rechtsbeschwerde 1. Im deutschen Vollstreckbarerklärungsverfahren findet die Rechtsbeschwerde statt. Es 3 gelten §§ 28 bis 31 IntFamRVG, § 574 Abs 1 Nr 1, Abs 2 ZPO. Im Gegensatz zu der Verweisung in § 14 IntFamRVG, die nach dem FGG-RG nunmehr auf die Bestimmungen des FamFG gerichtet ist, wurden die ausdrücklichen Bezugnahmen der §§ 28 ff IntFamRVG auf die ZPO durch das FGG-RG nicht geändert. Über die Rechtsbeschwerde entscheidet der BGH (§ 28 IntFamRVG). Einer Zulassung 4 durch das OLG bedarf es nicht, weil die Rechtsbeschwerde kraft Gesetzes (Art 34, § 28 IntFamRVG) zulässig ist (§ 574 Abs 1 Nr 1 ZPO). 2. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 575 Abs 1 bis 4 ZPO einzulegen (§ 29 IntFamRVG).8 5 Wird die Abweichung von einer Entscheidung des EuGH gerügt, so ist dies zu bezeichnen (§ 29 S 2 IntFamRVG). Der Prüfungsumfang ergibt sich aus § 30 Abs 1 IntFamRVG, umfasst also neben Bundes- 6 recht das Recht der EU einschließlich der VO. Die örtliche Zuständigkeit wird im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht geprüft (§ 30 Abs 1 S 2 IntFamRVG). Die internationale Zuständigkeit wird kaum ein Problem darstellen, da für die Vollstreckbarerklärung in Deutschland deutsche Gerichte immer zuständig sind.

Artikel 35: Aussetzung des Verfahrens (1) Das nach Artikel 33 oder Artikel 34 mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht kann auf Antrag der Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, das Verfahren aussetzen, wenn im Ursprungsmitgliedstaat ein ordentlicher Rechtsbehelf gegen die Entscheidung eingelegt wurde oder die Frist für einen solchen Rechtsbehelf noch nicht verstrichen ist. In letzterem Fall kann das Gericht eine Frist bestimmen, innerhalb deren der Rechtsbehelf einzulegen ist. (2) Ist die Entscheidung in Irland oder im Vereinigten Königreich ergangen, so gilt jeder im Ursprungsmitgliedstaat statthafte Rechtsbehelf als ordentlicher Rechtsbehelf im Sinne des Absatzes 1.

I. Anwendbarkeit nur im Rechtsbehelfsverfahren Wie Art 46 Brüssel I-VO erlaubt die – außer den verwiesenen Artikelbezeichnungen wört- 1 lich aus Art 28 Brüssel II-VO übernommene – Bestimmung eine Aussetzung der Rechtsbehelfsverfahren (Art 33, 34) im Hinblick auf einen im Ursprungsmitgliedstaat anhängigen ordentlichen Rechtsbehelf. Eine Aussetzung durch das in erster Instanz (Art 28 ff) befasste Gericht ist hingegen im Hinblick auf das eingeschränkte rechtliche Gehör nicht zugelassen. II. Voraussetzungen 1. Die Aussetzung erfolgt nur auf Antrag des Vollstreckungsadressaten (Partei, gegen die 2 8

Die früheren Sonderregelungen nach § 15 Abs 2, 3, 16 Abs 1, 3 AVAG, dazu 1. Auflage Rn 3, gehen in dieser Verweisung auf, BT-Drs 15/3981, 26.

Thomas Rauscher

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Art 35 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

die Vollstreckung erwirkt werden soll). Der ursprüngliche Antragsteller ist auch dann nicht antragsbefugt, wenn er Rechtsbehelfsführer ist. Die Bestimmung sollte jedoch entsprechend angewendet werden, wenn das Kind Rechtsbehelfsführer ist und der Vollstreckbarerklärung entgegentritt. Der Zweck der Bestimmung, demjenigen, der sich der Vollstreckung widersetzt, einen im Ursprungsmitgliedstaat laufenden Rechtsbehelf nicht de facto zu beschneiden, greift auch insoweit ein. 3 2. Wie Art 27 erlaubt Art 35 die Aussetzung, wenn im Ursprungsmitgliedstaat ein ordent-

licher Rechtsbehelf anhängig ist. Insoweit gelten dieselben Voraussetzungen wie bei Art 27.1 Wie dort genügt auch die erfolgte Einlegung eines unbefristeten ordentlichen Rechtsbehelfs. Für Entscheidungen aus Irland oder dem UK gilt darüber hinaus nach Abs 2 jeder statthafte Rechtsbehelf als ordentlicher. Ein ggf eingeschränktes Ziel des Rechtsbehelfs kann jedoch bei der Ermessensausübung hinsichtlich der Aussetzung einschränkend zu beachten sein. 4 3. Abs 1 S 1 lässt es darüber hinaus auch genügen, wenn die Frist für einen ordentlichen

Rechtsbehelf noch nicht abgelaufen ist. Diese Alternative entspricht Art 46 Abs 1 Brüssel I-VO, was im Gegensatz zu Art 272 voraussetzt, dass der noch nicht eingelegte Rechtsbehelf befristet sein muss. Es genügt also zwar die Einlegung eines unbefristeten Rechtsbehelfs, nicht aber seine bloße Statthaftigkeit. Hingegen genügt bei befristeten Rechtsbehelfen sowohl deren Einlegung als auch deren Statthaftigkeit als Aussetzungsbasis. Wer im Ursprungsmitgliedstaat rechtsbehelfsbefugt ist, spielt keine Rolle; eine Aussetzung ist auch möglich, wenn die Entscheidung noch durch den Vollstreckungs-Antragsteller oder das Kind angefochten werden kann. 5 4. Abs 1 S 2 erlaubt dem Gericht bei im Ursprungsmitgliedstaat noch offener Rechtsbe-

helfsfrist,3 den Beteiligten eine Frist zur Einlegung des Rechtsbehelfs zu setzen. Der fruchtlose Ablauf dieser Frist macht jedoch nicht die Einlegung des Rechtsbehelfs im Ursprungsmitgliedstaat unzulässig. Er wirkt sich lediglich auf die Ermessenausübung des mit dem Rechtsbehelf im Vollstreckbarerklärungsverfahren befassten Gerichts aus, das nach fruchtlosem Ablauf der Frist regelmäßig nicht mehr von der Aussetzungsbefugnis Gebrauch machen bzw ein ausgesetztes Verfahren wieder aufnehmen wird.4 III. Aussetzung 6 Das Gericht entscheidet bei Vorliegen der Voraussetzungen nach pflichtgemäßem Ermes-

sen über die Aussetzung; eine Verpflichtung zur Aussetzung besteht nicht.5 Mit Rücksicht auf das Ziel der Regelung, einen aussichtsreichen Rechtsbehelf im Ursprungsmitgliedstaat nicht de facto durch Vollstreckung zu vereiteln, sind die Erfolgsaussichten des ordentlichen Rechtsbehelfs zu berücksichtigen.6 Trifft das Beschwerdegericht die Entscheidung, ist hiergegen die Rechtsbeschwerde (Art 34, § 28 IntFamRVG) nicht statthaft, da es sich nicht um eine Entscheidung über den Rechtsbehelf iSd Art 34 handelt.7 1 2 3 4 5 6

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Vgl Art 27 Rn 4 f. Vgl dagegen Art 27 Rn 4. Soeben Rn 4. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 9. Borrás-Bericht Nr 94. Thomas/Putzo/Hüßtege Art 35 Rn 4; vgl auch Rauscher/Mankowski Art 46 Brüssel I-VO.

Oktober 2014

Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 36 Brüssel IIa-VO

Eine Aussetzung gegen Sicherheitsleistung ist im Gegensatz zu Art 46 Abs 3 Brüssel I-VO 7 nicht vorgesehen, was für die Vollstreckung von Sorgerechtsentscheidungen plausibel ist, jedoch nicht für die Vollstreckung von Kostenentscheidungen.8 Diese offenbar wegen der Nichterwähnung dieser Entscheidungen in Art 28 Abs 1 entstandene Lücke erscheint planwidrig und kann durch analoge Anwendung von Art 46 Abs 3 Brüssel I-VO geschlossen werden.9 Handelt es sich um die Vollstreckbarerklärung einer Sorgerechtsentscheidung, so kann das 8 Gericht mit der Aussetzung eine einstweilige Anordnung nach § 15 IntFamRVG verbinden, um Gefahren von dem Kind oder Interessenbeeinträchtigungen abzuwenden, insbesondere um eine Veränderung des Aufenthalts des Kindes während der Dauer der Aussetzung zu verhindern. Die Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts hierzu beruht auf § 50 Abs 1 S 2 FamFG.10

Artikel 36: Teilvollstreckung (1) Ist mit der Entscheidung über mehrere geltend gemachte Ansprüche entschieden worden und kann die Entscheidung nicht in vollem Umfang zur Vollstreckung zugelassen werden, so lässt das Gericht sie für einen oder mehrere Ansprüche zu. (2) Der Antragsteller kann eine teilweise Vollstreckung beantragen.

I. Teilvollstreckbarerklärung 1. Die – aus Art 29 Brüssel II-VO fast wortgleich übernommene – Bestimmung entspricht 1 inhaltlich Art 48 Brüssel I-VO.1 Sie erlaubt bei Entscheidungen, die mehrere Ansprüche betreffen, eine teilweise Vollstreckbarerklärung. Abs 1 erfasst den Fall, dass der Antragsteller die Vollstreckbarerklärung der Entscheidung insgesamt beantragt, die Voraussetzungen der Vollstreckbarerklärung aber nur für einzelne Ansprüche vorliegen. Es soll nicht deshalb die Vollstreckbarerklärung insgesamt versagt werden; das Gericht erklärt in diesem Fall den Teil der Ansprüche für vollstreckbar, für den die Voraussetzungen vorliegen. 2. Abs 2 erlaubt dem Antragsteller von vornherein eine Beschränkung des Vollstreckbar- 2 erklärungsantrags auf einen Teil der titulierten Ansprüche. 3. Vor deutschen Gerichten ist in diesem Fall eine Teilvollstreckungsklausel (§ 23 Abs 2 3 IntFamRVG) zu erteilen. II. Verschiedene Ansprüche – Anwendungsfälle 1. Auch wenn der Begriff Anspruch wie sonst in der VO im Sinn eines autonomen Streit- 4 7 8 9 10 1

NK-BGB/Andrae Rn 3. Dazu Art 28 Rn 14. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 10; aA MünchKommFamFG/Gottwald Rn 3. Vor dem 1.9.2009 §§ 621g, 620a Abs 4 ZPO; NK-BGB/Andrae Rn 4, Annex zu Art 28-36 Rn 2. Vgl auch Rauscher/Mankowski Art 48 Brüssel I-VO.

Thomas Rauscher

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Art 37 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

gegenstandsbegriffs zu verstehen ist, ergibt sich für Sorgerechtsentscheidungen nur ein enger Anwendungsbereich. Betroffen sind jedenfalls Entscheidungen, die mehrere Kinder betreffen. 5 2. Die Bestimmung ist jedoch auch – jedenfalls entsprechend – anzuwenden, wenn eine

Sorgerechtsentscheidung sowohl die elterliche Sorge, ggf Aufenthaltsbestimmungsrechte, als auch den Umgang regelt und aus dieser Entscheidung mehrere Personen berechtigt und verpflichtet sind. Die Vollstreckbarerklärung einer solchen Entscheidung kann auf einzelne Personen und auf einzelne Regelungskomplexe beschränkt werden, zB auf die Vollstreckung einer Umgangsregelung gegenüber dem Inhaber der elterlichen Sorge oder auf die Vollstreckung einer Herausgabeanordnung zugunsten des Aufenthaltsbestimmungsberechtigten gegen denjenigen, der das Kind zurückhält. 6 3. Keine verschiedenen Ansprüche liegen dagegen vor, wenn innerhalb eines Regelungs-

komplexes betreffend ein Kind unterschiedliche Einzelanordnungen getroffen werden, zB detaillierte Umgangsregelungen für Wochenenden, Ferien etc. Hier kommt nicht etwa eine Teilvollstreckung der Ferienregelung in Betracht mit der Begründung, die Wochenendregelung verstoße gegen das Kindeswohl. Die Gerichte des Vollstreckungsstaates können in diesem Fall nur die Entscheidung insgesamt für vollstreckbar erklären und vorbehaltlich ihrer Zuständigkeit nachfolgend abändern oder die Vollstreckung versagen und eine eigene Regelung treffen.

Abschnitt 3: Gemeinsame Bestimmungen für die Abschnitte 1 und 2 Artikel 37: Urkunden (1) Die Partei, die die Anerkennung oder Nichtanerkennung einer Entscheidung oder deren Vollstreckbarerklärung erwirken will, hat Folgendes vorzulegen: a) eine Ausfertigung der Entscheidung, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, und b) die Bescheinigung nach Artikel 39. (2) Bei einer im Versäumnisverfahren ergangenen Entscheidung hat die Partei, die die Anerkennung einer Entscheidung oder deren Vollstreckbarerklärung erwirken will, ferner Folgendes vorzulegen: a) die Urschrift oder eine beglaubigte Abschrift der Urkunde, aus der sich ergibt, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück der Partei, die sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat, zugestellt wurde, oder b) eine Urkunde, aus der hervorgeht, dass der Antragsgegner mit der Entscheidung eindeutig einverstanden ist.

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Oktober 2014

Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 37 Brüssel IIa-VO

I. Autonome Bestimmung vorzulegender Urkunden, Reichweite 1. Die – mit inhaltlich nicht relevanten redaktionellen Änderungen aus Art 32 Brüssel 1 II-VO übernommene – Bestimmung entspricht funktionell Art 53 Brüssel I-VO; sie bestimmt autonom die Urkunden, die im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren vorzulegen sind. Obgleich die Vollstreckbarerklärung nach Art 28 Abs 1 anders als Art 38 Abs 1 Brüssel I-VO 2 die Zustellung der zu vollstreckenden Entscheidung voraussetzt, verlangt Art 37 auf den ersten Blick ebenso wie Art 53 Brüssel I-VO keinen Zustellungsnachweis für die Entscheidung. Auch hat es den Anschein, als verzichte Art 37 Abs 1, der Art 53 Brüssel I-VO entspricht, auf den Nachweis der Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat. Tatsächlich sind jedoch beide Nachweise weiterhin für die Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen über die elterliche Verantwortung zu erbringen, allerdings in der vereinheitlichten und erleichterten Form der Bescheinigung gemäß Abs 1 lit b iVm Art 39 iVm Anhang II, dort Nr 9. 2. Die Regelung gilt gleichermaßen für die Anerkennung, Nichtanerkennung und Voll- 3 streckbarerklärung (Abs 1 S 1). Erfasst sind nicht nur die formalen Verfahren1 zur Vollstreckbarerklärung nach Art 28 ff und zur Feststellung der Anerkennungsfähigkeit bzw -unfähigkeit nach Art 21 Abs 3. Die Urkunden sind ebenfalls in Verfahren vorzulegen, in denen gemäß Art 21 Abs 2 und Abs 4 inzident über die Anerkennung zu befinden ist. Das folgt einerseits aus dem Zweck, die Nachweise im Anerkennungsverfahren autonom zu standardisieren, andererseits aus dem Wortlaut des Abs 1 („die Anerkennung … oder deren Vollstreckbarerklärung erwirken will2„), der sich nicht nur auf förmliche Anerkennungsverfahren, sondern auf den gesamten Anwendungsbereich des Art 21 bezieht. 3. Vorlageverpflichtet ist die Partei, welche die Anerkennung oder Nichtanerkennung 4 erwirken will. Das ist im Fall der Anerkennung problemlos die Partei, die implizit oder förmlich die Anerkennung begehrt. Für die Nichtanerkennung ist dies nur im förmlichen Verfahren nach Art 21 Abs 3 der Antragsteller, der die Versagung der Anerkennung begehrt. Hingegen ist eine Partei, die im Rahmen der Inzidentanerkennung der Anerkennung entgegentritt, nicht vorlagepflichtig; insoweit folgt die Vorlagepflicht der Beweisbelastung, die denjenigen trifft, der aus der Entscheidung Rechtsfolgen herleitet. Im Vollstreckbarerklärungsverfahren ist der Antragsteller immer durch seine förmliche Rolle 5 im Verfahren nach Art 28 ff bestimmt. II. Grundsätzlich vorzulegende Urkunden (Abs 1) 1. Vorzulegen ist immer eine Ausfertigung der Entscheidung, keine bloße Kopie oder 6 Abschrift (Abs 1 lit a).3 1 2

3

Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 1. An der entsprechenden Stelle in Art 33 Abs 1 des Brüssel II-Übereinkommens heißt es dagegen „die Anerkennung … beantragt oder anficht“, in Art 32 Abs 1 Brüssel II-VO hieß es „die Anerkennung … anstrebt oder den Antrag auf Vollstreckbarerklärung stellt“. All dies macht die Auslegung nicht einfacher und den Text gleichwohl nicht wesentlich straffer. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 2; vgl auch Rauscher/Staudinger Art 53 Brüssel I-VO Rn 2.

Thomas Rauscher

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Art 37 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

7 2. Außerdem ist eine Bescheinigung nach Art 39 vorzulegen (Abs 1 lit b); also abhängig

davon, ob es sich um eine Entscheidung in einer Ehesache oder eine Entscheidung betreffend die elterliche Verantwortung handelt, die Bescheinigung nach dem Muster Anhang I oder Anhang II. 8 3. Eine Urkunde über die Bewilligung von Verfahrens- oder Prozesskostenhilfe im Ur-

sprungsmitgliedstaat, die das Brüssel II-Übereinkommen noch eventualiter vorsah (dort Art 33 Abs 1 lit b), nennt Art 37 Abs 1 nicht. Der Nachweis dieses für Art 50 erforderlichen Umstandes wird durch die Bescheinigung nach Abs 1 lit b, Art 39, Anhang I (Nr 6) bzw II (Nr 8) geführt. 9 4. Wird die Anerkennung der Entscheidung zum Zweck der Eintragung in ein Personen-

standsregister begehrt, so ist zum Nachweis der formellen Rechtskraft nach Art 21 Abs 2 keine eigenständige Urkunde erforderlich (anders noch Art 33 Abs 3 Übereinkommen Brüssel II). Auch dieser Nachweis wird durch die Urkunde nach Art 39 iVm Anhang I (Nr 7) erbracht. III. Vorzulegende Urkunden bei Versäumnisentscheidung (Abs 2) 10 1. Abs 2, der in der Brüssel I-VO keine Entsprechung findet,4 verlangt zusätzliche urkund-

liche Nachweise, wenn die Entscheidung im Versäumnisverfahren ergangen ist. Hierunter fallen nicht nur technisch als solche bezeichnete Versäumnisentscheidungen. Der Begriff ist, was die Änderung der Formulierung in Abs 2 lit a nun verdeutlicht, in Anlehnung an die aufeinander bezogenen Bestimmungen in Art 18 Abs 1 und Art 22 lit b und 23 lit c autonom zu verstehen und erfasst alle Entscheidungen, die in einem einseitigen Verfahren ergangen sind, ohne dass sich der Antragsgegner (Art 22 lit b) oder die betreffende Person (Art 23 lit c) auf das Verfahren eingelassen hat.5 Für Kostenfestsetzungsbeschlüsse, die auf ein streitiges Verfahren folgen, gilt Abs 2 jedoch nicht.6 11 2. Abs 2 nimmt inhaltlich den Anerkennungsversagungsgrund des Art 22 lit b, 23 lit c auf

und zeichnet ihn durch den geforderten urkundlichen Nachweis nach.7 12 a) Gefordert wird grundsätzlich der Zustellungsnachweis für das verfahrenseinleitende

Schriftstück (Abs 2 lit a) in Urschrift oder beglaubigter Abschrift.8 Dies ermöglicht dem Richter im Anerkennungs-/Vollstreckungsmitgliedstaat, diesen Anerkennungsversagungsgrund zu prüfen. Die Rechtzeitigkeit der Zustellung ist jedoch nicht notwendig durch die 4

5 6 7 8

322

Das mag daran liegen, dass Art 34 Nr 2 letzter Hs Brüssel I-VO anders als Art 22 lit b, Art 23 lit c eine förmliche Rechtsbehelfsobliegenheit normiert. Gleichwohl ist Art 53 Brüssel I-VO nicht in gleicher Weise funktional auf die zugrundeliegende Struktur der Anerkennungshindernisse abgestimmt wie vorliegend Abs 2, der die Struktur von Art 22 lit b, Art 23 lit c zutreffend aufnimmt. Da nämlich Art 53 Abs 1 Brüssel I-VO auf den Nachweis der Zustellung der Entscheidung verzichtet, kann aus den nach Art 53 Brüssel I-VO vorzulegenden Urkunden nicht darauf geschlossen werden, dass der Beklagte einen zulässigen Rechtsbehelf nicht eingelegt hat. In Art 32 Abs 2 lit a Brüssel II-VO hieß es noch „der säumigen Partei“. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 5. Borrás-Bericht Nr 104. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 2.

Oktober 2014

Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 38 Brüssel IIa-VO

Urkunde nachweisbar; insoweit prüft und beurteilt das Gericht selbst, ob eine ausreichende Verteidigungsmöglichkeit bestand.9 Die Vorlage einer solchen Urkunde ist logischerweise auf Fälle beschränkt, in denen die 13 Anerkennung/Vollstreckbarerklärung begehrt wird. Wird die förmliche Nichtanerkennung (Art 21 Abs 3) begehrt, so hat der Antragsteller selbstverständlich nicht urkundlich nachzuweisen, dass ordnungsgemäß an ihn zugestellt wurde.10 Er wird sich sogar häufig darauf berufen, dass es an einer Zustellung fehlt, was sodann die andere Partei durch Vorlage der Urkunde widerlegen kann. b) Abs 2 lit b erlaubt ersatzweise an Stelle des Zustellungsnachweises die Vorlage einer 14 Urkunde, aus der sich ergibt, dass der Antragsgegner mit der Entscheidung einverstanden war. Dies greift sprachlich nur die Ausnahme zum Anerkennungsversagungsgrund in Art 22 lit b 15 auf, bezieht sich also nach dem Wortlaut nur auf Ehesachen.11 Bei Fassung der Bestimmung könnte aber übersehen worden sein, dass diese Ausnahme zum Anerkennungsversagungsgrund der fehlenden rechtzeitigen Zustellung auch in Sorgesachen (Art 23 lit c) vorgesehen ist. In den Materialien zur gleichlautenden Bestimmung im Übereinkommen Brüssel II (dort Art 33 Abs 2 lit b) wird jedoch ausdrücklich angenommen, diese Regelung beziehe sich nur auf Ehesachen iSd Art 1 Abs 1 lit a,12 was die Verwendung des Wortes „Antragsgegner“ zu bestätigen scheint; denn Art 23 lit c spricht von der „betreffenden Person“. Für eine Einschränkung des urkundlichen Nachweises eines eindeutigen Einverständnisses auf Ehesachenentscheidungen spricht schließlich auch eine teleologische Auslegung: In Sorgesachen bedarf es wegen der Betroffenheit des Kindeswohls einer materiellen Feststellung eines solchen Einverständnisses; ein formal urkundlicher Nachweis kann nicht genügen. c) Zum Nachweis des Einverständnisses iSd Abs 2 lit b geeignete Urkunden sind nicht 16 abschließend bestimmt. In Betracht kommen öffentliche Urkunden, zB eine von einem Standesbeamten aufgenommene Anmeldung des Antragsgegners für eine erneute Eheschließung. Aber auch durch Privaturkunden,13 zB Briefe, kann der urkundliche Nachweis geführt werden, wobei Echtheit und Bewertung des Inhalts der freien Beweiswürdigung unterliegen und Zweifel zu Lasten des die Anerkennung Begehrenden gehen.14

Artikel 38: Fehlen von Urkunden (1) Werden die in Artikel 37 Absatz 1 Buchstabe b) oder Absatz 2 aufgeführten Urkunden nicht vorgelegt, so kann das Gericht eine Frist setzen, innerhalb deren die Urkunden vorzulegen sind, oder sich mit gleichwertigen Urkunden begnügen oder von der Vorlage der Urkunden befreien, wenn es eine weitere Klärung nicht für erforderlich hält. 9 10 11 12 13 14

Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 6; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 3. Borrás-Bericht Nr 104. AA Hk-ZPO/Dörner Rn 6; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 3. Borrás-Bericht Nr 104. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 7. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 7.

Thomas Rauscher

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Art 38 Brüssel IIa-VO

(2) Auf Verlangen des Gerichts ist eine Übersetzung der Urkunden vorzulegen. Die Übersetzung ist von einer hierzu in einem der Mitgliedstaaten befugten Person zu beglaubigen. I.

Verfahren bei Fehlen von Urkunden (Abs 1) 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Nachfrist zur Urkundenvorlage . . . . . . . . . 3 3. Annahme gleichwertiger Urkunden . . . 5 4. Absehen von Vorlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

II.

Übersetzung von Urkunden (Abs 2) 1. Verlangen einer Übersetzung . . . . . . . . . . . 8 2. Übersetzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

I. Verfahren bei Fehlen von Urkunden (Abs 1) 1. Anwendungsbereich 1 a) Die Bestimmung entspricht mit rein redaktionellen Anpassungen Art 34 Brüssel II-VO.

Abs 1 bezieht sich nur auf die Urkunde nach Art 37 Abs 1 lit b iVm Art 39 und die Bescheinigung nach Art 37 Abs 2. Die Regelung schafft Erleichterungen in Bezug auf das Erfordernis der Vorlage der Urkunden zur Vermeidung unnötiger Förmlichkeiten, insbesondere aber für den Fall des Fehlens erforderlicher Urkunden. Sie entspricht Art 48 Abs 1 EuGVÜ und weicht von Art 55 Brüssel I-VO wegen des dort engeren Katalogs vorzulegender Urkunden ab. 2 b) Die Vorlage einer Ausfertigung der Entscheidung (Art 37 Abs 1 lit a) fällt hingegen

nicht unter Art 38. Das schließt nicht aus, bei Fehlen dieser Urkunde auf Bestimmungen des nationalen Rechts zurückzugreifen, soweit dadurch nicht der Zweck der autonomen Regelung unterlaufen wird. Deshalb kann entsprechend §§ 139, 142 ZPO zur Vorlage eine Nachfrist gesetzt werden,1 weil dies den Zweck des Art 38 nicht konterkariert, auf die Vorlage hinzuwirken. Hingegen kommen keine Beweiserleichterungen in Betracht, weil sich aus der Nichtaufnahme von Art 37 Abs 1 lit a in Abs 1 klar ergibt, dass auf die Ausfertigung der Entscheidung nicht verzichtet werden kann.2 2. Nachfrist zur Urkundenvorlage 3 a) Fehlen erforderliche Urkunden, so kann das Gericht dem Vorlageverpflichteten3 eine

Nachfrist setzen (Abs 1 1. Alt). Die Nachfristsetzung ist vor einer Antragsabweisung nicht zwingend erforderlich. Die Ermessensausübung wird jedoch zur Nachfristsetzung tendieren, um dem Zweck der VO zu genügen, die Freizügigkeit von Urteilen zu gewährleisten. Andererseits wird das Gericht aber auch regelmäßig eine Nachfrist setzen, ehe es zu den nachfolgenden Beweiserleichterungen greift, um den Schutz des Vollstreckungsadressaten zu gewährleisten. Unsinnig wäre eine Nachfristsetzung in diesem Fall jedoch, wenn zur Überzeugung des Gerichts die Urkunde nicht vorgelegt werden kann (zB bei nachgewiesenem Verlust) und ein gleichwertiger Nachweis angeboten ist. 4 b) Die Dauer der Nachfrist ist ebenfalls nach Ermessen des Gerichts zu bemessen. Eine 1 2 3

324

Vgl Kropholler/von Hein Art 55 Brüssel I-VO Rn 1. Borrás-Bericht Nr 107. Art 37 Rn 4.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 38 Brüssel IIa-VO

großzügige Bemessung ist empfehlenswert,4 weil sie die Freizügigkeit der Urteile fördert, ohne dass dem Vollstreckungsadressaten ein Nachteil geschieht. Eine Verlängerung nach § 16 Abs 2 FamFG iVm § 224 Abs 2 ZPO ist möglich.5 3. Annahme gleichwertiger Urkunden a) Das Gericht kann (ohne oder nach erfolgloser Nachfristsetzung) nach seinem Ermessen 5 gleichwertige Urkunden zum Nachweis genügen lassen (Abs 1 2. Alt). Diese Vorgehensweise ist geboten, wenn die Beschaffung der Originalurkunde unmöglich ist oder unzumutbare Schwierigkeiten verursachen würde. Die ohnehin reduzierte Förmlichkeit der Art 32, 33 sollte aber nicht dadurch ausgehöhlt werden, dass ohne Not Urkunden ähnlichen Inhalts akzeptiert werden. Den Vorlageverpflichteten trifft die Last darzutun, warum er (ggf nach Fristsetzung) die Urkunden nicht vorlegen kann. b) Gleichwertig können Kopien sein, wenn die Übereinstimmung mit der Vorlage unbe- 6 stritten ist, aber auch andere öffentliche Urkunden, die über die jeweils relevante Anerkennungs- und Vollstreckungsvoraussetzung Beweis erbringen. Privaturkunden sind mit Zurückhaltung als gleichwertiger Nachweis zuzulassen; denkbar ist der Nachweis von für den Vollstreckungsadressaten nachteiligen Tatsachen (zB Zustellungszeitpunkt) durch eine nachweislich von diesem herrührende Urkunde. 4. Absehen von Vorlage Das Gericht kann auch gänzlich von der Vorlage einzelner Urkunden absehen (Abs 1 3. Alt). 7 Das setzt jedoch materiell voraus, dass das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen eine weitere Klärung nicht für erforderlich hält, dass also die durch die fehlende Urkunde nachzuweisenden Tatsachen zur Überzeugung des Gerichts anderweitig nachgewiesen sind. Dabei sind die Interessen des Vollstreckungsadressaten, dessen Schutz das Erfordernis urkundlicher Nachweise dient, angemessen zu berücksichtigen. Das Absehen von der Vorlage kommt hauptsächlich in Fällen in Betracht, in denen die Urkunde vernichtet und keine gleichwertige Urkunde vorhanden ist. Es ist hingegen kein Mittel, um mit beliebigen Beweismitteln die Vollstreckungsvoraussetzungen festzustellen. II. Übersetzung von Urkunden (Abs 2) 1. Verlangen einer Übersetzung a) Abs 2 entspricht Art 55 Abs 2 Brüssel I-VO.6 Das Gericht7 kann die Vorlage einer 8 Übersetzung der vorzulegenden8 Urkunden verlangen (Abs 2 S 1). Abs 2 bezieht sich nicht nur auf die in Abs 1 genannten Urkunden, sondern auch auf die nach Art 37 Abs 1 lit a vorzulegende Ausfertigung, deren vollstreckungsfähigen Inhalt gemäß § 8 Abs 1 S 2 AVAG

4 5 6 7 8

MünchKommFamFG/Gottwald Rn 2. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 2. Vgl Rauscher/Staudinger Art 55 Brüssel I-VO Rn 3. Zur Übersetzung auf Verlangen des Standesbeamten § 2 Abs 1 PStVO, Dutta StAZ 2011, 33, 34. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 3.

Thomas Rauscher

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Art 39 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

das Gericht in seinem Beschluss in deutscher Sprache wiederzugeben hat, weshalb häufig eine Übersetzung nötig sein wird. 9 b) Das Gericht hat insoweit ein pflichtgemäß auszuübendes Ermessen; die Übersetzung ist

weder die Regel, noch kann der Vollstreckungsadressat sie mit Rücksicht auf die Gerichtssprache verlangen. Der Verzicht auf eine Regel-Übersetzung dient der mit der VO angestrebten Vereinfachung.9 Das Ermessen ist hinsichtlich jeder einzelnen Urkunde gesondert auszuüben. Während das Verlangen nach einer Übersetzung regelmäßig ermessensrichtig ist, wenn nicht wenigstens ein Richter des Spruchkörpers die Urkundssprache ausreichend versteht, kann angesichts der schablonenmäßigen Formalisierung der Bescheinigung nach Art 39 auch ohne Sprachkenntnisse Verständnis erwartet werden, sofern nicht Zusätze angebracht wurden. Insbesondere der Name des Gerichts im Formblatt bedarf keiner Übersetzung. 2. Übersetzer 10 Die Übersetzung ist von einer hierzu in einem der Mitgliedstaaten befugten Person zu

beglaubigen (Abs 2 S 2). Nicht erforderlich ist, dass diese Befugnis vom Ursprungsmitgliedstaat10 oder vom Vollstreckungsmitgliedstaat verliehen wurde. Über die Erteilung der Befugnis entscheidet das Recht des Niederlassungsstaates der beglaubigenden Person. Die Befugnis muss sich auf die Berechtigung zur Übersetzung zwischen den betroffenen Sprachen zum Zweck der Vorlage bei Gericht beziehen. Es liegt jedoch auch im Ermessen, ob das Gericht eine beglaubigte Übersetzung verlangt oder eine unbeglaubigte genügen lässt.11 Die Funktion der Bestimmung ist eher darin zu sehen, dass die Beglaubigung nicht von einem Übersetzer aus dem Vollstreckungsmitgliedstaat stammen muss.

Artikel 39: Bescheinigung bei Entscheidungen in Ehesachen und bei Entscheidungen über die elterliche Verantwortung Das zuständige Gericht oder die Zuständige Behörde des Ursprungsmitgliedstaats stellt auf Antrag einer berechtigten Partei eine Bescheinigung unter Verwendung des Formblatts in Anhang I (Entscheidungen in Ehesachen) oder Anhang II (Entscheidungen über die elterliche Verantwortung) aus.

I. Funktionsweise der weiteren Urkunden 1 Wie Art 54 Brüssel I-VO schafft die – bis auf die Normverweisung Art 33 Brüssel II-VO

entsprechende – Bestimmung einheitliche Vordrucke, die das Gericht im Ursprungsmitgliedstaat in seiner Landessprache ausfüllt und die es dem Gericht im Anerkennungs- oder Vollstreckungsmitgliedstaat durch Gegenüberstellung mit dem entsprechenden Vordruck (in der eigenen Sprache) erlauben sollen, deren Inhalt zu erfassen.1 Diese Methode der Standardisierung erleichtert2 fraglos die Prüfung weiterer Anerkennungs- und Vollstre9 10 11 1

326

Borrás-Bericht Nr 108. Borrás-Bericht Nr 108. NK-BGB/Andrae Rn 3. Sturm StAZ 2002, 193: „Brüsseler Schablonen“.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 39 Brüssel IIa-VO

ckungsvoraussetzungen, die nur vermeintlich im Nachweiskatalog des Art 37 fehlen.3 Sie birgt freilich auch die Gefahr einer allzu schematischen Abwicklung, zumal das Ausfüllen von Leerzeilen und das Ankreuzen von Standardfragen erheblich größere Fehlerrisiken beinhaltet als die Übermittlung diverser Urkunden an das Gericht im Zweitstaat. Immerhin waren es fehlerhafte formularmäßige Zustellungsnachweise, die unter Art 20 Abs 2 EuGVÜ Gerichte in Irrtum versetzt und unter Art 27 Nr 2 EuGVÜ sodann die Anerkennung gestört haben. Auch die bei Erteilung der Urkunden zu treffenden rechtlichen Wertungen können über das Maß dessen hinausgehen, was bei Erteilung eines Rechtskraftvermerks gefordert ist; ggf sind komplizierte Erwägungen zur Rechtskraft anzustellen (vgl Anhang I Ziff 7, 8). Da Art 38 – zur Vermeidung von Formalismus4 – nur die Befreiung, nicht aber die Vorlage 2 weiterer Nachweise bei Zweifeln vorsieht, bleibt nur zu hoffen, dass Europas Urkundsbeamte ihre Kreuzchen sorgfältig anbringen. Aus der Praxis werden erhebliche Probleme berichtet: Die Bescheinigung ist ersichtlich verbreitet nicht bekannt, selbst bei den standardisierten Feldern ergeben sich Missverständnisse (Datumsschreibweise) sowie das auch bei anderen EU-Formularen ungelöste Transliterationsproblem (kyrillische bzw griechische Ausfüllung), vor allem aber beim Erfassen des Entscheidungsinhalts, der häufig einer Umsetzung in anzukreuzende Felder nicht zugänglich ist, bei Klartextbeschreibung aber der Übersetzung bedarf.5 II. Ausstellung der Urkunden 1. Die Urkunden nach Art 39 werden auf Antrag einer berechtigten Partei ausgestellt. 3 Eine Bescheinigung kann bei Entscheidungen in Ehesachen jedenfalls jeder Ehegatte verlangen. Als berechtigt wird man jedoch auch jeden anzusehen haben, der berechtigt wäre, ein Verfahren nach Art 21 Abs 3 einzuleiten,6 oder der Beteiligter eines Verfahrens ist, in dem die Anerkennungsfähigkeit der Statusentscheidung vorgreiflich ist. Bei Entscheidungen über die elterliche Verantwortung ist neben den Eltern auch das Kind, ggf eine Behörde nach Art 28 Abs 1 antragsberechtigt.7 Antragsberechtigung besteht nach dem Zweck der Regelung nur für nach der VO anerkennungsfähige Entscheidungen. Insbesondere sind Bescheinigungen nach Anlage I nicht für antragsabweisende Entscheidungen8 zu erteilen. 2. Die Zuständigkeit zur Erteilung der Urkunden bestimmt sich nach dem innerstaat- 4 lichen Recht des Ursprungsmitgliedstaates; in Deutschland ist nach § 48 IntFamRVG der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszuges, bei Anhängigkeit bei einem höheren Gericht der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle dieses Gerichts zuständig.

2 3 4 5 6 7 8

Vogel MDR 2000, 1050; Heß JZ 2001, 577. Dazu Art 37 Rn 2. Vogel MDR 2000, 1051. Im Einzelnen zu Erfahrungen aus der standesamtlichen Praxis Dutta StAZ 2011, 33 ff. Dazu Art 21 Rn 31 ff. Dazu Art 28 Rn 15. Dazu Art 22 Rn 26 f.

Thomas Rauscher

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Art 39 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

5 3. Bei Entscheidungen in Ehesachen ist die Urkunde auf Formblatt nach Anhang I, bei

Entscheidungen über die elterliche Verantwortung auf Formblatt nach Anhang II zu erteilen. Die Formblätter sind selbsterklärend. Das Formblatt Anhang I umfasst insbesondere Angaben zur Zustellung und zur Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat als den in Art 28 Abs 1 genannten Vollstreckungsvoraussetzungen. 6 Das Formblatt nach Anhang II enthält nun für Umgangs- und Herausgabeentscheidungen

auch Angaben zum Inhalt der Entscheidung.9 Häufig wird gleichwohl eine Übersetzung (Art 38 Abs 2) der vorzulegenden Entscheidung (Art 37 Abs 1 lit a) notwendig sein. 7 Auch die Angabe zum Entscheidungsgegenstand im Formblatt Anhang I Nr 5.3. sollte nicht

voreilig zum Verzicht auf eine Übersetzung verleiten; es wäre fatal, wenn das Ursprungsgericht versehentlich für eine nach Art 21 nicht anerkennungsfähige antragsabweisende Entscheidung eine Bescheinigung erteilt und das Gericht im Anerkennungsstaat diese Entscheidung wegen Ankreuzens bei Nr 5. 3. 1. als Scheidungsausspruch einordnet. Überdies fehlt dort eine klare Einordnung der Eheaufhebung,10 so dass klarstellende Ergänzungen notwendig sind. 8 4. Übersehen wurde, dass Art 28 ff auch für die Vollstreckbarerklärung von Kostenent-

scheidungen in Ehesachen gelten, das für Ehesachenentscheidungen maßgebliche Formblatt aber nur auf die Anerkennung, nicht auf die Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen abgestimmt ist.11 Das Gericht im Zweitstaat kann also der Urkunde nach Anhang I nicht entnehmen, ob die Entscheidung zugestellt wurde und ob sie im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar ist. Da das zu erteilende Formblatt nach Anhang I in gepflegtem Formalismus auch die Angabe einer E-mail-Adresse des ausstellenden Gerichts vorsieht, kann das um Vollstreckbarerklärung ersuchte Gericht wenigstens Nachfrage halten, da übersehen wurde, dem Antragsteller einen Nachweis aufzuerlegen.

9 10

11

328

Nicht so Anhang V Brüssel II-VO, vgl 1. Auflage Rn 4. Sie ist wohl eher als „Ehescheidung“ wegen der ex nunc eintretenden Wirkungen einzutragen, wenngleich systematisch wegen der Qualität der Aufhebungsgründe als Folgen von Eheschließungsmängeln die Eintragung als „Ungültigerklärung“ nicht fern liegt. Die Eile, mit der Rat und Kommission ihre Aktionspläne vorantreiben, fällt gerade bei Brüchen in einem perfektionistischen System auf. Angesichts der unübersehbaren Materialien erstaunt es, dass solche banalen Fehler, die schon zur Brüssel II-VO zu rügen waren, nicht erkannt und bereinigt wurden. Oder zählt hier mehr der große (?) politische Wurf als die mediokre Praxis?

Oktober 2014

Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 40 Brüssel IIa-VO

Abschnitt 4: Vollstreckbarkeit bestimmter Entscheidungen über das Umgangsrecht und bestimmter Entscheidungen, mit denen die Rückgabe des Kindes angeordnet wird Artikel 40: Anwendungsbereich (1) Dieser Abschnitt gilt für a) das Umgangsrecht und b) die Rückgabe eines Kindes infolge einer die Rückgabe des Kindes anordnenden Entscheidung gemäß Artikel 11 Absatz 8. (2) Der Träger der elterlichen Verantwortung kann ungeachtet der Bestimmungen dieses Abschnitts die Anerkennung und Vollstreckung nach Maßgabe der Abschnitte 1 und 2 dieses Kapitels beantragen. I.

System der unmittelbaren Vollstreckbarkeit 1. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . 2. Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausschaltung des ordre public des Vollstreckungsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eilbedürftigkeit der Vollstreckung von Umgangstiteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 4

II.

4 6

III.

c) Sondersituation bei Rückgabetiteln nach Art 11 Abs 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 d) Eingreifen des vollstreckungsrechtlichen ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . 9 e) Abänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Anwendungsbereich (Abs 1) . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Umgangsrecht (lit a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2. Rückgabe eines Kindes (lit b) . . . . . . . . . . 16 Verhältnis zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung (Abs 2) . . . . . . . . . . . 18

I. System der unmittelbaren Vollstreckbarkeit 1. Historischer Hintergrund Das in Art 40 bis 45 etablierte besondere System unmittelbarer Vollstreckung beruht einer- 1 seits auf dem Maßnahmenprogramm in Umsetzung des Beschlusses der Ratskonferenz von Tampere,1 welches als Fernziel die Abschaffung des Exequaturverfahrens anstrebt.2 Andererseits beruht die unmittelbare Initiative zur Erleichterung der Vollstreckung von Umgangsentscheidungen auf einem Verordnungsvorschlag Frankreichs,3 der in der Novellierung der Brüssel II-VO zur Brüssel IIa-VO aufging.4 Die in Kraft getretene Fassung geht im Wesentlichen auf den Kompromissvorschlag des Ratsvorsitzes vom 30.4.20035 zurück. 1

2

3 4

Dazu Erwägungsgrund Nr 23; Kohler FamRZ 2002, 709; Geimer/Schütze/Paraschas Rn 2; NK-BGB/ Benicke Rn 2. Das Ziel wird auch im Aktionsplan des Rates und der Kommission vom 12.8.2005, ABl EU 2005 C 198/1 Nr 4.3.(l) als Prüfungsgegenstand für die Jahre 2006-2010 genannt; vgl auch Aktionsplan der Kommission vom 20.4.2010, KOM (2010) 171, 5. ABl EG 2000 C 234/7; Heß IPRax 2000, 361; Bauer IPRax 2002, 179, 184 ff. Verordnungsvorschlag der Kommission KOM (2002) 222/2.

Thomas Rauscher

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Art 40 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

2. Modell 2 a) Das neue Modell der Vollstreckbarkeit von Umgangsentscheidungen (Abs 1 lit a iVm

Art 41) und bestimmten Kindesrückgabeentscheidungen (Abs 1 lit b iVm Art 42) beruht auf einer Verlagerung von der bisherigen Verleihung der Vollstreckbarkeit durch eine Exequaturentscheidung des Vollstreckungsmitgliedstaates auf einen verstärkten Antragsgegnerschutz und eine Kontrolle des Ursprungsmitgliedstaates. Dieses Modell liegt in ähnlicher Weise für unbestrittene Forderungen in Zivil- und Handelssachen der EG-VollstrTitelVO6 zugrunde. 3 b) Kernstück der Vollstreckbarkeit ist eine Bescheinigung, welche durch ein Gericht des

Ursprungsmitgliedstaates erteilt wird, nachdem dieses Gericht die Einhaltung der in Art 41 Abs 2 bzw Art 42 Abs 2 genannten Verfahrensmodalitäten im Ausgangsverfahren geprüft hat.7 Dies soll sicherstellen, dass, mit Ausnahme des ordre public des Vollstreckungsmitgliedstaates, alle wesentlichen Anerkennungshindernisse nach Art 23 geprüft werden. Dies erfolgt allerdings aus Sicht des Ursprungsmitgliedstaates und durch dessen Gericht, das die Bescheinigung ausstellt. Weder findet gegen die Ausstellung dieser Bescheinigung ein Rechtsbehelf im Ursprungsmitgliedstaat statt, noch kann im Vollstreckungsmitgliedstaat die Anerkennung als Grundlage der aufgrund der Bescheinigung eintretenden Vollstreckbarkeit angefochten werden (Art 41 Abs 1, Art 42 Abs 1). Insbesondere kann der Vollstreckungsmitgliedstaat die Vollstreckung nicht wegen Verletzung seines ordre public oder wegen Verletzung des Kindeswohls ablehnen.8 3. Ausschaltung des ordre public des Vollstreckungsstaates a) Eilbedürftigkeit der Vollstreckung von Umgangstiteln 4 Der Verzicht auf das Exequatur beruht auf der Annahme ausreichenden gegenseitigen Ver-

trauens zwischen den Mitgliedstaaten, die mehr ein Postulat denn eine Beschreibung der bereits erreichten Realität ist, wie gerade auch jüngere zum EuGH gelangte Fälle zeigen, die jedenfalls im Einzelfall eher dafür sprechen, dass ein nationales Gericht um jeden Preis versucht hat, nicht vertrauen zu müssen.9 Gleichwohl kann die gegen die unmittelbare Vollstreckbarkeit im Rahmen der EG-VollstrTitelVO anzubringende Kritik, die vor allem den Verzicht auf eine Kontrolle am ordre public des Vollstreckungsmitgliedstaates betrifft,10 nicht ohne Weiteres auf die vorliegende Regelung übertragen werden. 5 Für die unmittelbare Vollstreckung von Umgangstiteln spricht gewiss der Umstand, dass in

Umgangsstreitigkeiten die Zeit gegen das Umgangsrecht arbeitet, weil zwischen dem Kind und dem Umgangselternteil Entfremdung eintreten kann. Gerade in internationalen Umgangsstreitigkeiten kann ein sich dem Umgang widersetzender Sorgeberechtigter durch Einlegung aller sich in beiden Staaten bietenden Rechtsbehelfe diesen Zeiteffekt für seine Interessen und nicht selten zum langfristigen Schaden des Kindeswohls nutzen. Hinzu 5 6 7 8 9 10

330

Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 30.4.2003, 8281/03, dort Art 45 ff. Kommentiert unter Nr A.I.3. Holzmann FPR 2010, 497, 501. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 7. Vgl Forcada Miranda [2012] IFL 39 ff. Rauscher/Rauscher/Pabst EG-VollstrTitelVO Art 5 Rn 10 ff.

Oktober 2014

Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 40 Brüssel IIa-VO

kommt, dass Umgangstitel keine endgültige Veränderung sorgerechtlicher Verhältnisse bewirken, sondern ihrer Natur nach nur Besuchskontakte ermöglichen.11 Schließlich hat der EGMR12 zu Recht den hohen Rang des Umgangsrechts im Rahmen des Art 8 EMRK hervorgehoben und damit die Zulässigkeit von Umgangsbeschränkungen entgegen mancher älteren nationalen Praxis auf eindeutige Fälle der Kindeswohlgefährdung begrenzt. Zur Frage, wann ein Umgang wegen Kindeswohlgefährdung eindeutig ausgeschlossen werden muss, dürfte jedenfalls in den Mitgliedstaaten durchaus Konsens und damit auch wechselseitiges Vertrauen bestehen. Das Risiko, durch schnelle Vollstreckung einer Umgangsentscheidung dem Kindeswohl zu schaden, ist also, an der Zahl hochstreitiger Umgangssachen gemessen, erheblich geringer als das Risiko, einen kindeswohldienlichen Umgang mangels Vollstreckung so lange zu verzögern, bis Entfremdung eingetreten ist. b) Einzelprobleme aa) Bedenken bestehen gleichwohl im Detail. Die Sonderbehandlung von Umgangsent- 6 scheidungen löst diese ggf aus dem Kontext mit einer Sorgerechtsentscheidung heraus, die der Anerkennung nach Art 21 ff bedarf, und der deshalb auch der Einwand des ordre public – auch in Gestalt des Kindeswohls – entgegengesetzt werden kann. Das ist wohl aus technischen und sachlichen Gründen unvermeidbar, da Sorgerechtsregelungen als solche keinen vollstreckungsfähigen Inhalt haben und überdies wegen ihrer Dauerhaftigkeit nicht einem Eilsystem unterstellt werden sollten; es kann jedoch durchaus während der Anhängigkeit eines auf Feststellung der Anerkennungs(un-)fähigkeit der Sorgerechtsentscheidung gerichteten Verfahrens nach Art 21 Abs 3 zu einer unmittelbaren Vollstreckung einer Umgangsentscheidung nach Art 41 kommen, was zu Spannungen führt. Mündet eine Sorgerechtsregelung in eine Herausgabeanordnung, so unterliegt diese nicht ohne Weiteres Art 40 ff, da Abs 1 lit b nur Herausgabeanordnungen nach Art 11 Abs 8 einbezieht. Allerdings sind kaum Fälle vorstellbar, in denen die Vollstreckung einer Umgangsregelung aus Mitgliedstaat A auf eine Herausgabeanordnung aus Mitgliedstaat B trifft, die nicht unter Art 11 Abs 8 fällt. Hält sich das Kind nämlich bereits bei einem Elternteil im Staat A auf, so muss dieser Elternteil sich nicht auf eine Umgangsregelung berufen. Wird aber das Kind anlässlich des Umgangs im Mitgliedstaat A rechtswidrig zurückgehalten, greift das System des Art 11 ein, weshalb, selbst wenn der Mitgliedstaat A die Rückführung verweigert, eine Rückgabeanordnung der Gerichte des (bisherigen) Aufenthaltsmitgliedstaates B vorrangig (Art 11 Abs 8) und ebenfalls nach Art 40 ff vollstreckbar ist (Abs 1 lit b), was die Rückgabe des Kindes nach Vollstreckung eines Umgangstitels ebenso sichert wie zunächst das Umgangsrecht.13 bb) Die Verlagerung der Prüfung der einzuhaltenden verfahrensrechtlichen Standards auf 7 den Ursprungsmitgliedstaat führt zwangsläufig dazu, dass das Recht dieses Staates auch abschließend darüber bestimmt, welche Standards einzuhalten sind. Das kann insbesondere bei Altersgrenzen für die Anhörung des Kindes, aber auch hinsichtlich der Anhörung Beteiligter zu Diskrepanzen führen,14 ohne dass der Vollstreckungsmitgliedstaat hier sein ver11 12 13

14

Rauscher EuLF 2005 I-37, I-45. NJW 2004, 3397 (Görgülü); zur Prüfungsdichte des EGMR im Rahmen des Art 42 dort Rn 5a. Rauscher EuLF 2005 I-37, I-45; Bedenken äußert insoweit Solomon FamRZ 2004, 1409, 1419; vgl auch Coester-Waltjen FS Geimer (2002) 139, 146 f. Coester-Waltjen FamRZ 2005, 241, 248.

Thomas Rauscher

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Art 40 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

fahrensrechtliches Niveau durchsetzen kann. Zudem erscheint es zumindest zweifelhaft, ob die reine Selbstkontrolle durch den die Entscheidung erlassenden Richter, der selbst die Bescheinigung ausstellt, mehr sein kann als eine leere Formalie. Hier bleibt zu hoffen, dass sich, auch unter dem Eindruck der Grundrechtsrelevanz, einheitliche hohe Standards für das Ausgangsverfahren herausbilden. Da gerade die Wahrung von Mindeststandards im sensiblen Bereich der Anhörung des Kindes und Beteiligter in Art 41 Abs 2 lit b, c und Art 42 Abs 2 lit a, b zur Voraussetzung der Erteilung der Bescheinigung gemacht wurde, kann nur auf die Entwicklung hoher autonomer Standards gesetzt werden. Bedenklich ist freilich, dass die genannten autonomen Kriterien „weich“ formuliert sind. Es ist nicht ohne inneren Widerspruch, wenn sich die Verordnung hinsichtlich der Entscheidung über Altersgrenzen zur Anhörung des Kindes oder hinsichtlich der Frage, welche „Parteien“ betroffen sind, zurückhält, um Eingriffe in nationales Recht zu vermeiden, andererseits aber darauf vertraut werden soll, dass diese zentralen Fragen von allen Gerichten in der EU in gegenseitig akzeptabler Weise entschieden werden. c) Sondersituation bei Rückgabetiteln nach Art 11 Abs 8 8 Zusätzliche Probleme ergeben sich durch die Einbeziehung von auf Kindesherausgabe

lautenden Titeln. Internationale Kindesherausgabe schafft regelmäßig vollendete Tatsachen, weil sie ihrer Natur nach nicht vorübergehend ist und solchen Titeln meist hochstreitige Fälle zugrunde liegen, in denen bisher nicht selten auch die Gerichte der jeweils beteiligten Staaten einem im jeweiligen Staat lebenden Elternteil den Rücken gestärkt haben. Hier geht es also durchaus oft um die endgültige Entscheidung des „Kampfes um das Kind“. Insoweit ist das System der Art 40 ff jedoch beschränkt auf Fälle des Art 11 Abs 8, also die Situation einer Kindesentführung, in der die Gerichte des Verbringungsstaates nach Art 13 HKindEntfÜbk die Rückgabe verweigert haben, der frühere Aufenthaltsstaat aber die Rückgabe angeordnet hat.14a Insoweit ist die Einbeziehung in das System der Art 40 ff die logische Konsequenz des Art 11 Abs 8, der, abweichend vom HKindEntfÜbk, den Gerichten des (früheren) Aufenthaltsstaates des Kindes das „letzte Wort“ gibt. Da in nicht wenigen Fällen des Art 13 HKindEntfÜbk die Gerichte des Verbringungsstaates bereits die Verweigerung der Rückführung auf ihren ordre public, jedenfalls aber auf eine schwerwiegende Betroffenheit des Kindeswohls stützen, würden diese Argumente auch wieder der Vollstreckbarerklärung einer nach Art 11 Abs 8 vorrangigen Entscheidung entgegenstehen. Man mag die vom System des HKindEntfÜbk abweichende Regelung des Art 11 Abs 8 durchaus kritisch sehen;15 beließe man es aber vor dem Hintergrund dieser Regelung beim Erfordernis des Exequatur, so liefe Art 11 Abs 8 absehbar leer. d) Eingreifen des vollstreckungsrechtlichen ordre public 9 Nicht ausgeschlossen wird ohnehin die Begrenzung, die das Vollstreckungsverfahren als

solches in der öffentlichen Ordnung, insbesondere in den Grundrechten nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates findet. Dem lässt sich nicht der Zweck des Art 40 entgegensetzen,16 denn die beschleunigte Durchsetzung von Rückgabe- oder Umgangstiteln kann kein Selbstzweck sein, der sich über Grundrechte hinwegsetzt. Da die Vollstreckungs14a 15 16

332

OHG v 20.3.2013 – 6 Ob 39/13y Nr 5.3 f. Zutreffend Coster-Waltjen FamRZ 2005, 241, 247; Looschelders JR 2006, 45, 50. So aber Schulte-Bunert FamRZ 2007, 1608, 1609.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 40 Brüssel IIa-VO

maßnahmen auch im Rahmen der Vollstreckbarkeit nach Art 40 ff dem Recht dieses Staates unterliegen, entscheidet dieses Recht insbesondere auch über die (Un-)Zulässigkeit bestimmter Vollstreckungsmaßnahmen, insbesondere über die Anwendung vollstreckungsrechtlicher Gewalt gegen das Kind selbst.17 Auch Fälle, in denen durch die Zwangsvollstreckung das Leben des Kindes gefährdet ist (Suizidgefahr)18 müssen ggf auf dieser Ebene gelöst werden, nachdem der ordre public der Vollstreckbarkeit als solcher nicht mehr entgegengehalten werden kann.19 e) Abänderung Soweit der Mitgliedstaat, in dem die Entscheidung vollstreckt werden soll, eine Entschei- 10 dungszuständigkeit besitzt, was insbesondere im Fall der Vollstreckung eines Umgangstitels in einem neuen gewöhnlichen Aufenthaltsstaat des Kindes – vorbehaltlich des Art 9 – der Fall ist, bleibt die Möglichkeit der Abänderung der Umgangsentscheidung von der automatischen Vollstreckbarkeit unberührt. Eine Abänderung kann insbesondere erforderlich werden, wenn sich durch den Umzug des Kindes und/oder des Umgangsberechtigten die tatsächlichen Voraussetzungen der Umgangsausübung (Fahrzeiten etc) wesentlich verändert haben. Zur Auswirkung der Abänderung auf die Vollstreckbarkeit vgl Art 41 Rn 9. II. Anwendungsbereich (Abs 1) Die erleichterte Vollstreckbarkeit nach Art 40 ff bezieht sich ausschließlich auf die in Abs 1 11 ausdrücklich genannten Titel.20 Eilbedürftigkeit der Vollstreckung einer sonstigen Entscheidung zur elterlichen Verantwortung begründet nicht den Verzicht auf eine Vollstreckbarerklärung.21 1. Umgangsrecht (lit a) a) Für Titel, die ein Umgangsrecht gewähren, gelten Art 40 ff in jedem Fall, sofern die 12 weiteren Voraussetzungen des Art 41 erfüllt sind. Nicht erfasst sind hingegen Titel, die ein Begehren auf gerichtliche Regelung des Umgangs ablehnen; solche Titel sind nur nach Art 21 ff anerkennungsfähig.22 Dies führt insbesondere dazu, dass ein das Umgangsrecht beschränkender, zugleich aber ein einschränkendes Umgangsrecht (zB begleiteten Umgang) regelnder Titel nur in seinem positiv regelnden Teil Art 40 ff unterliegt. Widerspricht etwa die ausgesprochene Umgangsbeschränkung dem ordre public des Vollstreckungsmitgliedstaates, so kann der Einschränkung dort die Anerkennung versagt werden. Dies kann allerdings nicht dazu führen, dass dem Titel ohne Bestehen einer Abänderungszuständigkeit der Gerichte des Vollstreckungsmitgliedstaates ein anderer Inhalt gegeben wird. Hat zB ein Gericht einen begleiteten Umgang geregelt, so kann zwar ein zuständiges Gericht in einem anderen Mitgliedstaat diese Entscheidung ggf abändern und einen unbegleiteten Umgang anordnen. Jedoch kann nicht im Wege der Nichtanerkennung der angeordneten Begleitung des Umgangs dieser Titel als unbeschränkter Umgangstitel nach Art 40 ff vollstreckt wer17 18 19 20 21 22

Solomon FamRZ 2004, 1409, 1419; Helms FamRZ 2002, 1602; Rauscher EuLF 2005 I-37, I-46. Vgl BVerfG v 22.7.2005 – 1 BvR 1465/05, FamRZ 2005, 1657. Vgl auch Völker jurisPR-FamR 1/2006 Anm 1. Solomon FamRZ 2004, 1409, 1419. EuGH Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/ SC, AC, FamRZ 2012, 1466. Kommission, Leitfaden 32.

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den. Vollstreckbar ist vielmehr grundsätzlich das Umgangsrecht mit den vom Ursprungsgericht angeordneten Modalitäten.23 13 b) Der Begriff „Umgangsrecht“ ist in Art 2 Nr 10 legaldefiniert.24 Vorrangiges Kriterium

der Abgrenzung zwischen Umgangs- und sonstigen Sorgerechtsentscheidungen ist danach der vorübergehende Zeitraum, für den in dem Titel das Recht ausgesprochen ist, das Kind an einen anderen Ort als seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort zu verbringen.25 Erweiternd zu dem engen Wortlaut des Art 2 Nr 10 dürfte auch der Umgang durch Fernkommunikation (Telefon, Brief, E-mail) in den Anwendungsbereich fallen.26 Auch wenn Art 40 ff vor allem in Fällen Bedeutung erlangen werden, in denen ein Kind (mit dem Sorgeberechtigten) in einen anderen Mitgliedstaat verzogen ist und der Umgangsberechtigte im früheren Aufenthaltsstaat Umgang begehrt, ist die Internationalität der Umgangsausübung nicht notwendige Anwendungsvoraussetzung.27 Nach Art 40 ff vollstreckbar ist beispielsweise auch eine Umgangsregelung, die im bisherigen Aufenthaltsmitgliedstaat des Kindes und des Umgangsberechtigten ergangen ist, wenn alle Beteiligten ihren Aufenthalt in denselben anderen Mitgliedstaat verlegen. Nicht erfasst sind hingegen Regelungen im Rahmen sorgerechtlicher Wechselmodelle,28 selbst wenn diese gelegentlich im nationalen Kindschaftsrecht umgangsrechtlich unterlegt werden. 14 c) Erfasst ist nicht nur das Umgangsrecht von Elternteilen, sondern auch das Umgangs-

recht Dritter,29 zB des in §§ 1685, 1686a BGB beschriebenen Personenkreises,30 was mittelbar dazu führt, dass solche Umgangsrechte ohne Weiteres auch in Mitgliedstaaten vollstreckbar sind, die sich materiell einer solchen Erweiterung des Kreises der Umgangsberechtigten bisher nicht angeschlossen haben,31 Umgangsrechte des (nur) biologischen Vaters (§ 1686a BGB) mögen durchaus für andere Mitgliedstaaten ein ordre public-Problem sein. 15 d) In welchem Verfahren die Umgangsregelung ergangen ist, ist für die Bestimmung des

Anwendungsbereichs unerheblich. Insbesondere unterfallen Art 40 ff auch Umgangsentscheidungen im Versäumnisverfahren, für die jedoch die Prüfung der Mindestanforderungen an die Zustellung (Art 41 Abs 2 lit a) besondere Bedeutung hat.32 2. Rückgabe eines Kindes (lit b) 16 a) Rückgabeanordnungen sind nur in dem Sonderfall des Art 11 Abs 8 erfasst. Nur ein

Titel, der in einem Entführungsfall iSd Art 11 Abs 1 iVm dem HKindEntfÜbk im ursprüng23 24 25 26 27 28

29 30 31 32

334

Kommission, Leitfaden 33. Dazu Art 2 Rn 23, Art 1 Rn 27. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 21. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 21. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 21; anders wohl Rausch FuR 2005, 112, 115. Re D-F (Children) [2011] EWCA Civ 963; Re LSdC (a child) [2012] EWHC 983; In the matter of L (a child) [2012] EWCA Civ 115. Kommission, Leitfaden 32. NK-BGB/Benicke Rn 8. Deshalb noch gegen eine Einbeziehung KOM (2002) 222 zu Art 45. Anders noch der erste Kommissionsvorschlag KOM (2002) 222, dort Art 46 Abs 2 lit a.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

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lichen Aufenthaltsstaat des Kindes ergangen ist, nachdem die Rückführung gemäß Art 13 HKindEntfÜbk durch Gerichte des Verbringungsstaates abgelehnt wurde, ist nach Art 40 ff vollstreckbar.33 Insoweit stellt die Vollstreckung ohne das Erfordernis des Exequatur eine notwendige Ergänzung des Vorrangs solcher Titel nach Art 11 Abs 8 dar,34 denen anderenfalls regelmäßig der ordre public des Vollstreckungsmitgliedstaates, dessen Gerichte die Herausgabe mit qualifizierten Gründen verweigert haben, entgegengehalten würde. Nicht erforderlich ist jedoch, dass die Entscheidung im Verbringungsstaat, mit der die Rückgabe des Kindes versagt wird, rechtskräftig ist;35 die Vollstreckung der gegen die erstinstanzliche Entscheidung im B-Mitgliedstaat getroffenen Rückgabeanordnung des A-Mitgliedstaats wird durch den weiteren Verfahrensfortgang im B-Mitgliedstaat nicht mehr berührt.36 b) Andere auf die Herausgabe des Kindes gerichtete Titel können hingegen nur nach 17 Art 21 ff, 28 ff vollstreckt werden.37 Dies gilt insbesondere auch für primäre Anordnungen der Herausgabe des Kindes, die mit einer das Sorgerecht oder Aufenthaltsbestimmungsrecht regelnden38 oder abändernden Entscheidung verbunden sind. Erst recht nicht in den Anwendungsbereich der Art 40 ff fallen Entscheidungen über die Verteilung des Sorgerechts, die ohnehin regelmäßig nicht vollstreckungsfähig sind, sondern nur der Anerkennung nach Art 21 ff unterliegen. III. Verhältnis zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung (Abs 2) Die Möglichkeit einer Vollstreckung nach Art 40 ff steht der Vollstreckung nach Art 28 ff 18 nicht entgegen (Abs 2). Insbesondere kann der Antrag auf Vollstreckbarerklärung nicht wegen Fehlens eines Rechtsschutzbedürfnisses abgewiesen werden. Träger der elterlichen Verantwortung, zu denen insbesondere der aus dem Titel begünstigte Umgangsberechtigte gehört, haben also ein Wahlrecht39 zwischen den beiden Wegen der Erlangung der Vollstreckbarkeit. Dies gilt auch dann noch, wenn für den Titel bereits eine Bescheinigung nach Art 41 oder Art 42 erteilt wurde.40 Soweit Umgangsberechtigte, die nicht Eltern sind, in den in Art 2 Nr 8 legaldefinierten Begriff des „Trägers elterlicher Verantwortung“ nicht einbezogen sind,41 ist Abs 2 gleichwohl auch auf solche Umgangsberechtigte zu erstrecken.42 33

34 35

36 37 38 39

40

41 42

EuGH v 11.7.2008 – Rs C-195/08 PPU Inga Rinau, NJW 2008, 2973, 2974; OLG Celle v 24.5.2007 – 17 UF 72/07, FamRZ 2007, 1587, 1588. Oben Rn 8. EuGH v 11.7.2008 – Rs C-195/08 PPU Inga Rinau, NJW 2008, 2973, 2976; Schulz FamRZ 2008, 1732, 1733. EuGH v 11.7.2008 – Rs C-195/08 PPU Inga Rinau, NJW 2008, 2973, 2976; dazu Art 42 Rn 9. OLG Celle v 24.5.2007 – 17 UF 72/07, FamRZ 2007, 1587, 1588. Vgl Rn 13 zum Aufenthalt bei Wechselmodellen. EuGH v 11.7.2008 – Rs C-195/08 PPU Inga Rinau, NJW 2008, 2973, 2974; Gruber FamRZ 2005, 1603, 1607; Schulz FamRZ 2008, 1732, 1734; Tonolo Rivdir int priv proc 2011, 81, 90. Dies übersieht offenbar App Milano Riv dir int priv proc 2007, 739, 741, eine Zuständigkeit für die Anerkennung unter Hinweis auf Art 40 ablehnend. Dazu Art 2 Rn 24. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 18: Redaktionsversehen, da im ursprünglichen Entwurf solche umgangsberechtigten Personen von Art 40 ff insgesamt nicht erfasst waren, deren Umgangstitel also nur nach Art 28 ff vollstreckbar gewesen wären.

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19 Ein negativer Feststellungsantrag nach Art 21 Abs 3, der darauf abzielt, die Anerkennungs-

unfähigkeit der Entscheidung festzustellen, kann hingegen nur so lange gestellt werden, wie eine Bescheinigung nach Art 41 oder 42 noch nicht erteilt ist.43 Nach Erteilung der Bescheinigung würde ein negativer Feststellungsantrag im Vollstreckungsmitgliedstaat zur Umgehung des Grundsatzes führen, dass gegen den bescheinigten und damit vollstreckbaren Titel ein Rechtsbehelf dort nicht stattfindet (Art 43 Abs 2). Wurde hingegen auf einen vor Erteilung der Bescheinigung im A-Mitgliedstaat gestellten negativen Feststellungsantrag die Anerkennungsunfähigkeit festgestellt, so ergibt sich ein Entscheidungskonflikt, wenn sodann noch die Bescheinigung nach Art 41 oder 42 erteilt wird: 20 In Fällen, in denen in einem Verfahren nach Art 11 die Rückgabe des Kindes im B-Mit-

gliedstaat verweigert wurde, der A-Mitgliedstaat nach Art 11 Abs 8 die Rückgabe anordnet und, noch ehe diese Entscheidung nach Art 42 bescheinigt wird, im B-Mitgliedstaat ein negatives Anerkennungsfeststellungsverfahren eingeleitet wird, muss sich nach dem Sinn und Zweck des Art 11 Abs 8 gleichwohl die sodann bescheinigte Entscheidung des A-Mitgliedstaats durchsetzen, auch wenn damit eine weitere Entscheidung des B-Mitgliedstaats desavouiert wird. Zweckentsprechender erschiene es in diesem Fall, entgegen der Ansicht des EuGH44 schon einen auf die Feststellung der Anerkennungsunfähigkeit gerichteten Antrag im B-Mitgliedstaat als unzulässig anzusehen, denn nach der Systematik des Art 11 Abs 6 bis 8 soll der B-Mitgliedstaat ersichtlich nicht befugt sein, die abschließende Entscheidung im A-Mitgliedstaat abzuwehren. 21 Nicht ebenso eindeutig ist die Situation der Umgangsentscheidung zu beurteilen, weil

dieser kein Verfahren nach Art 11 vorausgeht, in dem Vor- und Nachrang eindeutig festgelegt sind. Die Ansicht des EuGH, bis zur Bescheinigung der Umgangsentscheidung im Ursprungsstaat sei auch ein negativer Anerkennungsfeststellungsantrag im potentiellen Vollstreckungsmitgliedstaat zulässig, würde obsolet, könnte der aus dem Umgangstitel Berechtigte dessen Vollstreckung immer noch über Art 40, 41 erreichen, auch wenn im Vollstreckungsmitgliedstaat ein negatives Anerkennungsfeststellungsurteil ergangen ist. Vielmehr schafft die negative Anerkennungsfeststellung ein Vollstreckungshindernis nach Art 47 Abs 2 S 2. In diesem Fall wird man den EuGH also so verstehen müssen, dass es zu einem Wettlauf der Beteiligten kommt, den ggf der Titelschuldner durch negative Anerkennungsfeststellung nach Art 21 Abs 3 abschließend gewinnen kann.

Artikel 41: Umgangsrecht (1) Eine in einem Mitgliedstaat ergangene vollstreckbare Entscheidung über das Umgangsrecht im Sinne des Artikels 40 Absatz 1 Buchstabe a), für die eine Bescheinigung nach Absatz 2 im Ursprungsmitgliedstaat ausgestellt wurde, wird in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt und kann dort vollstreckt werden, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann. Auch wenn das nationale Recht nicht vorsieht, dass eine Entscheidung über das Umgangsrecht ungeachtet der Einlegung eines Rechtsbehelfs von Rechts wegen vollstreckbar ist, kann das Gericht des Ursprungsmitgliedstaats die Entscheidung für vollstreckbar erklären. 43 44

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EuGH v 11.7.2008 – Rs C-195/08 Inga Rinau, NJW 2008, 2973, 2974; Schulz FamRZ 2008, 1732, 1734. EuGH v 11.7.2008 – Rs C-195/08 Inga Rinau, NJW 2008, 2973, 2975.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 41 Brüssel IIa-VO

(2) Der Richter des Ursprungsmitgliedstaats stellt die Bescheinigung nach Absatz 1 unter Verwendung des Formblatts in Anhang III (Bescheinigung über das Umgangsrecht) nur aus, wenn a) im Fall eines Versäumnisverfahrens das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück der Partei, die sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat, so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt wurde, dass sie sich verteidigen konnte, oder wenn in Fällen, in denen bei der Zustellung des betreffenden Schriftstücks diese Bedingungen nicht eingehalten wurden, dennoch festgestellt wird, dass sie mit der Entscheidung eindeutig einverstanden ist; b) alle betroffenen Parteien Gelegenheit hatten, gehört zu werden, und c) das Kind die Möglichkeit hatte, gehört zu werden, sofern eine Anhörung nicht aufgrund seines Alters oder seines Reifegrads unangebracht erschien. Das Formblatt wird in der Sprache ausgefüllt, in der die Entscheidung abgefasst ist. (3) Betrifft das Umgangsrecht einen Fall, der bei der Verkündung der Entscheidung einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist, so wird die Bescheinigung von Amts wegen ausgestellt, sobald die Entscheidung vollstreckbar oder vorläufig vollstreckbar wird. Wird der Fall erst später zu einem Fall mit grenzüberschreitendem Bezug, so wird die Bescheinigung auf Antrag einer der Parteien ausgestellt. I.

II.

Unmittelbare Vollstreckbarkeit (Abs 1) 1. Vollstreckbarkeit aufgrund unanfechtbarer Bescheinigung (Abs 1 S 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 a) Vollstreckbarkeit ohne Exequatur . . . . . . . 1 b) Automatische Anerkennung . . . . . . . . . . . . 4 c) Keine Anfechtung der Anerkennung . . 6 d) Durchführung der Vollstreckung . . . . . . . 7 e) Abänderung der Entscheidung . . . . . . . . 9 f) Widersprechende Entscheidungen . . . . . 10 2. Autonome Vollstreckbarerklärung unbeschadet nationalen Rechts (Abs 1 S 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 a) Autonome vorläufige Vollstreckbarkeit 11 b) Inlandswirkung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 c) Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Bescheinigung (Abs 2) 1. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

a) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 b) Form, Inhalt, Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 c) Keine Beteiligung des Vollstreckungsadressaten . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Voraussetzungen für die Erteilung der Bescheinigung (Abs 2 S 1 lit a bis c) . . . 24 a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 b) Zustellung in Versäumnisverfahren (Abs 2 lit a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 c) Anhörung betroffener Parteien (Abs 2 lit b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 d) Anhörung des Kindes (Abs 2 lit c) . . . . 28 3. Ausstellung von Amts wegen/auf Antrag (Abs 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 a) Auslandsbezug im Zeitpunkt der Entscheidung (Abs 3 S 1) . . . . . . . . . . . . . . . 29 b) Später eintretender grenzüberschreitender Bezug (Abs 3 S 2) . . . . . . . . 34

I. Unmittelbare Vollstreckbarkeit (Abs 1) 1. Vollstreckbarkeit aufgrund unanfechtbarer Bescheinigung (Abs 1 S 1) a) Vollstreckbarkeit ohne Exequatur Eine Entscheidung erlangt die Vollstreckbarkeit in allen Mitgliedstaaten aufgrund einer 1 Bescheinigung des Ursprungsmitgliedstaats.1 Eine Entscheidung, für die eine solche Bescheinigung erteilt wurde, wird in allen Mitgliedstaaten anerkannt und kann vollstreckt 1

Vomberg FPR 2011, 444, 446.

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werden. Die Vollstreckbarkeit umfasst den gesamten Inhalt der Entscheidung. Insbesondere sind grundsätzlich alle Details einer Umgangsregelung von der Vollstreckbarkeit erfasst2 und lassen sich nicht in ihrer Anerkennungs- und Vollstreckungsfähigkeit aufspalten. 2 Die Bescheinigung, deren Erteilung Abs 2 im Einzelnen regelt, ersetzt damit zum einen das

im Anerkennungs- und Vollstreckungssystem des 1. und 2. Abschnitts (Art 21 ff) vom Vollstreckungsmitgliedstaat zu erteilende Exequatur,3 dessen es im Rahmen der Art 40 ff nicht mehr bedarf. Dies gilt jedoch ausschließlich für die in Art 40 ausdrücklich genannten Entscheidungen, alle anderen Entscheidungen im Anwendungsbereich der VO sind ausschließlich aufgrund eines Exequaturverfahrens nach Art 28 ff vollstreckbar. 3 Da die gesamte Exequaturprüfung durch das formelle Vorliegen der Bescheinigung ersetzt

wird4 und diese die Vollstreckungsorgane des Vollstreckungsmitgliedstaates bindet, kommt der Ordnungsmäßigkeit der Bescheinigung erhebliche Bedeutung zu. Die Vollstreckung ist daher abzulehnen, wenn die Bescheinigung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild nicht von dem zuständigen Richter erteilt wurde, aber auch, wenn sie lückenhaft oder unvollständig ausgefüllt ist und dadurch zu erkennen gibt, dass der Richter im Ursprungsmitgliedstaat die nach Abs 2 gebotene Prüfung nicht oder nicht mit der gehörigen Sorgfalt durchgeführt hat. Insbesondere kann die in der Bescheinigung nicht bescheinigte Vollstreckbarkeit nicht durch außerhalb der Urkunde liegende Umstände impliziert werden.5 b) Automatische Anerkennung 4 Die Bescheinigung ersetzt aber auch – unbeschadet der Möglichkeit einer negativen An-

erkennungsfeststellung vor Ausstellung der Bescheinigung6 – die Anerkennungsprüfung. Da kein Exequaturverfahren stattfindet, in dem sonst implizit nach Art 21 ff die Anerkennung geprüft wird und auch nicht implizit im Vollstreckungsverfahren eine Anerkennungsprüfung erfolgt, werden die Anerkennungsvoraussetzungen nicht geprüft. Vielmehr statuiert Abs 1 S 1 die automatische Anerkennung in allen Mitgliedstaaten („wird … anerkannt“).7 Im Vollstreckungsverfahren erlangt dies zwar keine eigenständige Bedeutung. Hat sich jedoch ein nach Art 8 ff zuständiges Gericht eines anderen Mitgliedstaates mit dem Gegenstand der nach Abs 1 bestätigten Entscheidung erneut zu befassen, so hat es ebenfalls von deren Anerkennung auszugehen. Jede weitere Entscheidung ist damit als Abänderung dieser Entscheidung zu behandeln, die zwar in Umgangssachen regelmäßig möglich sein wird, aber ggf im materiellen Kindschaftsrecht von einschränkenden Voraussetzungen abhängig sein kann.

5 Erhebliche Teile der Anerkennungsprüfung nach Art 23 gehen allerdings in den Kriterien

für die Erteilung der Bescheinigung nach Abs 2 lit a bis c8 auf (Zustellung und Anhörungserfordernisse), bzw sind im eigentlichen Vollstreckungsverfahren durchzusetzen9 (insbe2 3 4 5 6 7 8 9

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Kommission, Leitfaden 32. App Milano Riv dir int priv proc 2007, 739. NK-BGB/Benicke Art 42 Rn 3. OGH 2.5.2011 www.unalex.eu/AT-740. Dazu Art 40 Rn 18 f. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 1; Rauscher EuLF 2005 I-37, I-45; Solomon FamRZ 2004, 1409, 1418. Unten Rn 24 ff. Dazu unten Rn 7 f.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

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sondere widersprechende Entscheidungen). Selbst der ordre public des Vollstreckungsmitgliedstaates erlangt im Vollstreckungsverfahren eine gewisse Bedeutung.10 c) Keine Anfechtung der Anerkennung Die ex lege eintretende Anerkennung kann weder im Ursprungs- noch im Vollstreckungs- 6 mitgliedstaat angefochten werden. Insbesondere können daher die in Art 23 aufgeführten Anerkennungsversagungsgründe in einem Mitgliedstaat nicht der Vollstreckung der mit der Bescheinigung versehenen Entscheidung entgegengehalten werden.11 d) Durchführung der Vollstreckung Die Durchführung der Vollstreckung beurteilt sich auch im Anwendungsbereich der Art 40 ff 7 nach der lex fori des Vollstreckungsmitgliedstaats (Art 47). In Deutschland bestimmt sich die Zuständigkeit für Vollstreckungsmaßnahmen für die Zwangsvollstreckung nach den Artikeln 41 und 42 gemäß § 10 IntFamRVG: Zuständig ist das Familiengericht, in dessen Zuständigkeitsbereich zum Zeitpunkt der Antragstellung 1. die Person, gegen die sich der Antrag richtet, oder das Kind, auf das sich die Entscheidung bezieht, sich gewöhnlich aufhält oder 2. bei Fehlen einer Zuständigkeit nach Nummer 1 das Interesse an der Feststellung hervortritt oder das Bedürfnis der Fürsorge besteht, 3. sonst das im Bezirk des Kammergerichts zur Entscheidung berufene Gericht. Die Zuständigkeitskonzentration gemäß §§ 12, 13 IntFamRVG12 erfasst auch diese Verfahren, so dass insbesondere im Bezirk jedes OLG nur ein Familiengericht nach § 12 IntFamRVG für solche Verfahren zuständig ist. Im Rahmen der Vollstreckung nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates greift 8 nicht nur ggf der vollstreckungsrechtliche ordre public ein.13 In Betracht kommen auch die lege fori statthaften Maßnahmen zur Einstellung der Zwangsvollstreckung. Da die VO, anders als Art 23 EG-VollstrTitelVO keine autonomen Bestimmungen zur Aussetzung der Zwangsvollstreckung bei Einlegung von Rechtsbehelfen einschließlich der Berichtigungsklage nach Art 43 Abs 1 enthält, ist auch insoweit die lex fori maßgeblich. Auch die Frage, ob bei Einlegung einer Beschwerde zum EGMR ggf die Zwangsvollstreckung auszusetzen ist, bestimmt sich lege fori. e) Abänderung der Entscheidung Einigkeit bestand offenbar zwischen den Delegationen im Rat, dass die Anerkennung und 9 Vollstreckung einer inzwischen im Ursprungsmitgliedstaat abgeänderten Entscheidung auch nach Art 40 ff nicht möglich sein dürfe.14 Da die VO hierzu keine Regelung enthält, insbesondere Art 35 auf das Exequaturverfahren zugeschnitten ist und nicht auf das Verfahren nach Art 40 ff übertragbar ist, kann diesem Ziel nur im Rahmen des vom nationalen Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates beherrschten (Art 47 Abs 1) Vollstreckungsverfah10 11 12 13 14

Dazu Art 40 Rn 9. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 1; Rauscher EuLF 2005 I-37, I-45; Tonolo Rivdir int priv proc 2011, 81, 90. Dazu Art 21 Rn 38 ff. Dazu Art 40 Rn 9. Rat der Europäischen Union, Vermerk der deutschen Delegation, 11.8.2003, 12006/03, 2.

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rens entsprochen werden. Der Vollstreckungsadressat ist also im Rahmen der gegen die Vollstreckung (nicht die Vollstreckbarkeit!) statthaften Rechtsbehelfe mit dem Vortrag zu hören, die Entscheidung sei inzwischen im Ursprungsmitgliedstaat, sei es im Instanzenzug, sei es in einem Abänderungsverfahren, geändert worden. Da § 44 IntFamRVG eine Regelung der gegen die Zwangsvollstreckung statthaften Rechtsbehelfe nicht enthält, dürfte nur eine entsprechende Anwendung der für die Vollstreckung von Umgangs- und Herausgabetiteln geltenden §§ 92 ff FamFG in Betracht kommen. f) Widersprechende Entscheidungen 10 Nicht durch die VO geklärt ist auch die Frage, in welchem Verhältnis die nach Abs 1 voll-

streckbare Entscheidung zu widersprechenden Entscheidungen steht, die von Gerichten des Vollstreckungsmitgliedstaates erlassen wurden oder in diesem Staat anzuerkennen sind.15 Diese – im Exequaturverfahren nach Art 28 ff durch Art 23 lit e, f geklärte – Frage wurde seitens der Kommission in der Begründung zur ersten Vorschlagsfassung dahingehend angesprochen, eine Berufung auf Unvereinbarkeit iSd Art 23 lit e und f „sollte stets möglich sein“;16 diese Ansicht findet in Art 47 Abs 2 ihren Niederschlag,17 ohne dass allerdings Art 47 Abs 2 einen ausdrücklichen autonomen Rechtsbehelf zur verfahrensrechtlichen Bewältigung des Konflikts mit widersprechenden Entscheidungen bereitstellt.18 Es kann nur gefolgert werden, dass der Vorrang einer später ergangenen vollstreckbaren unvereinbaren Entscheidung im Sinne von Art 23 lit e und f als selbstverständlich angesehen wurde, weil eine solche Entscheidung immer als Abänderungsentscheidung verstanden werden muss. In welcher Weise dieser Vorrang verfahrenstechnisch durchzusetzen ist, entscheidet wiederum19 die lex fori des Vollstreckungsmitgliedstaates. Erforderlich ist jedoch, dass das die Unvereinbarkeit begründende Entscheidung im Vollstreckungsmitgliedstaat erlassende Gericht sich auf eine Zuständigkeit in der Hauptsache stützt und nicht nur auf eine Zuständigkeit aus Art 20.20 2. Autonome Vollstreckbarerklärung unbeschadet nationalen Rechts (Abs 1 S 2) a) Autonome vorläufige Vollstreckbarkeit 11 Entscheidungen im Anwendungsbereich des Art 40 sind nicht notwendig vorläufig voll-

streckbar, solange gegen sie im Ursprungsmitgliedstaat Rechtsbehelfe noch zulässig oder bereits eingelegt sind. Abs 1 S 2 greift insoweit in das nationale Verfahrensrecht des Ursprungsmitgliedstaates ein und gestattet es unbeschadet dessen Regelungen dem Ursprungsgericht, die Entscheidung für vollstreckbar zu erklären. Ziel der Regelung ist es, eine Verzögerung der Vollstreckung durch dilatorische Rechtsbehelfe zu vermeiden.21 Die Bestimmung ermöglicht jedenfalls die Ausstellung der Bescheinigung nach Abs 2, bevor lege fori die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar ist.22 15 16 17 18 19 20 21 22

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Zur Behandlung negativer Anerkennungsfeststellungsentscheidungen Art 40 Rn 19 f. KOM (2002) 222, dort noch bezogen auf Art 44 des Entwurfs und Art 15 Abs 2 Brüssel II-VO. Solomon FamRZ 2004, 1409, 1419. Vgl Art 47 Rn 7. Vgl schon Rn 7. Vgl Art 20 Rn 16a. Kommission, Leitfaden 33. Vgl Geimer/Schütze/Paraschas Rn 2.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 41 Brüssel IIa-VO

b) Inlandswirkung? Nach seinem Wortlaut bezieht sich Abs 1 S 2 jedoch auch auf die interne Rechtslage im 12 Ursprungsmitgliedstaat; da die Anwendung der Art 40 ff nicht per se von einem Auslandsbezug abhängt und ein bei Erlass der Entscheidung fehlender Auslandsbezug nur dazu führt, dass die Bescheinigung nicht von Amts wegen ausgestellt wird (Abs 3), eröffnet Abs 1 S 2 die Möglichkeit, auf Antrag einer Partei (Abs 3) die Bescheinigung auszustellen und zugleich eine vorläufige Vollstreckbarkeit mit Inlandswirkung anzuordnen, auch wenn diese lege fori nicht vorgesehen ist. Zwar hat das Gericht die Anordnung nach Abs 1 S 2 nur nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen; die entsprechenden Voraussetzungen können jedoch bei reinen Inlandsfällen ebenso vorliegen wie bei Auslandsbezug. Diese Konsequenz ist zwar höchst bedenklich, weil reinen Inlandsfällen gewiss der Binnen- 13 marktbezug fehlt und deshalb eine gemeinschaftsrechtliche Regelungskompetenz schwerlich besteht. Andererseits lässt sich kaum eine geeignete teleologische Reduktion der Norm nach objektiven Kriterien finden, die eine rein interne Auswirkung der Vollstreckbarerklärung vermeidet, zumal die Kommission den Auslandsbezug iSd Abs 3 recht großzügig gehandhabt sehen will.23 Eine das nationale Verfahrensrecht auch ohne Auslandsbezug modifizierende Wirkung lässt sich also nur im Rahmen der Ermessensausübung des Gerichts vermeiden. c) Ermessen Das Gericht trifft die Entscheidung gemäß Abs 1 S 2 nach billigem Ermessen. Während die 14 Bescheinigung gemäß Abs 2 bei Vorliegen der Voraussetzungen, die das Gericht lediglich zu beurteilen hat, erteilt werden muss, ist das Gericht auch auf Antrag nicht gehalten, die vorläufige Vollstreckbarkeit herzustellen. Entsprechend dem Normzweck kommt die Entscheidung insbesondere in Betracht, wenn durch einen Rechtsbehelf eine dem Kindeswohl abträgliche Verzögerung zu besorgen ist. In die Abwägung sind aber auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs einzubeziehen und nur bei absehbar geringer Erfolgsaussicht ist die vorläufige Vollstreckbarkeit herzustellen.24 II. Bescheinigung (Abs 2) 1. Verfahren a) Zuständigkeit Die Bescheinigung stellt der Richter des Ursprungsmitgliedstaats aus. Diese Formulierung 15 wirft zwei Streitfragen auf: aa) Zum einen erscheint fraglich, ob die Verwendung des Begriffs „Richter“ im Sinn eines funktionalen Richterbegriffs zu verstehen ist, also eine Zuweisung lege fori an den Rechtspfleger bzw Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ausschließt. Auch wenn dafür der Vergleich zur ursprünglichen Vorschlagsfassung („Gericht im Ursprungsmitgliedstaat“)25 zu

23

24 25

Vgl Kommission, Leitfaden 34: Sitz des Gerichts nahe einer EG-Binnengrenze oder Staatsangehörigkeit eines Elternteils zu einem anderen Mitgliedstaat. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 2. KOM (2002) 222/2 dort Art 46 Abs 2.

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Art 41 Brüssel IIa-VO

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sprechen scheint,26 dürfte es doch einigermaßen gewagt sein, dem Europäischen Verordnungsgeber eine implizite funktionale Differenzierung zwischen dem Richter und dem Rechtspfleger zu unterstellen. Der Begriff ist in Art 2 Nr 2 legaldefiniert und schließt jeden Amtsträger ein, der lege fori entscheidungszuständig ist. Daraus lässt sich – unbeschadet der funktionalen Entscheidungszuständigkeit – folgern, dass die Bescheinigung von einem entscheidungszuständigen „Richter“ ausgestellt werden muss und diese Aufgabe nicht einem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle übertragen werden kann.27 16 Zudem dürfte der Übergang vom „Gericht“ zum „Richter“ vor dem Hintergrund der so-

gleich zu erörternden zweiten Streitfrage zu verstehen sein. Folgt man zu jener Frage28 der hier vertretenen Ansicht, dass das die Entscheidung erlassende Gericht auch bestätigungszuständig ist, so erklärt sich die Verwendung des Begriffs „Richter“ zwanglos in dem Sinn, dass die Bestätigung durch den die Entscheidung erlassenden Spruchkörper und nicht lediglich durch irgendeinen Richter desselben Gerichts ergeht. 17 bb) Die zweite Streitfrage lautet, ob autonom zwingend nach dieser Regelung der erken-

nende Richter selbst die Bescheinigung ausstellt29 oder ob diese Funktion durch nationale Ausführungsgesetze auch auf einen anderen Richter im Ursprungsmitgliedstaat übertragen werden kann.30 Zwar scheint für die zweite Ansicht ein Vergleich mit Art 42 Abs 2 zu sprechen, der die Kompetenz für die Bescheinigung ausdrücklich dem Richter zuweist, der die Entscheidung iSd Art 40 Abs 1 lit b erlassen hat. Die Frage muss aber auch vor dem Hintergrund der Diskussion zum Parallelproblem in der EG-VollstrTitelVO gesehen werden. Dort war zunächst die Bestätigung durch das Ursprungsgericht vorgeschlagen worden; mit Rücksicht auf Bedenken gegen die Qualität einer reinen Eigenkontrolle regelt nun aber Art 6 Abs 1 Hs 1 EG-VollstrTitelVO nur noch die Zuständigkeit zur Entgegennahme des Bestätigungsantrags und überlässt die Bestätigungszuständigkeit den nationalen Ausführungsgesetzen.31 Offenkundig hat ein solcher Tendenzwechsel im Rahmen der Art 40 ff nicht stattgefunden; sowohl Art 41 Abs 2 als auch Art 42 Abs 2 regeln weiter die Bescheinigungszuständigkeit, nicht bloß eine Entgegennahmezuständigkeit. Auch eine bewusste Differenzierung zwischen Art 41 Abs 2 und Art 42 Abs 2 liegt eher fern. Die unterschiedliche Formulierung geht auf den Ratsvermerk vom 30.4.200332 zurück und erweckt eher den Eindruck, als solle mit der Wendung in Art 42 Abs 2 angesichts der Beteiligung zweier Staaten im Verfahren nach Art 11 Abs 8 eine eindeutigere Kennzeichnung des zuständigen Gerichts erreicht werden, als dies mit der Verwendung des Wortes „Ursprungsmitgliedstaat“ möglich gewesen wäre. Die Annahme, der Formulierungsunterschied stelle eine bewusste differenzierende Lösung des Zuständigkeitsproblems dar, ist jedenfalls eine bloße Hypothese, die angesichts der klaren Lösung in der EG-VollstrTitelVO unwahrscheinlich ist. Im Ergebnis spricht also viel dafür, dass Art 41 Abs 2 und Art 42 Abs 2 die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts bestimmen, so wie dies auch in der EG-VollstrTitelVO vorgesehen war, dort aber aufgrund nachhaltiger Einwände geändert wurde. 26 27 28 29 30 31 32

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So Geimer/Schütze/Paraschas Rn 10. Insoweit zutreffend Geimer/Schütze/Paraschas Rn 10. Sogleich Rn 17. So Meyer-Götz/Noltemeier FPR 2004, 296, 299. So Geimer/Schütze/Paraschas Rn 11. Rauscher, Der Europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen (2004) Rn 72. Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 30.4.2003, 8281/03.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 41 Brüssel IIa-VO

cc) Das deutsche IntFamRVG weist die Zuständigkeit gemäß § 48 Abs 2 beim Gericht des 18 ersten Rechtszugs dem Familienrichter zu, vor dem OLG und dem BGH dem Vorsitzenden des Senats für Familiensachen, also dem die Entscheidung erlassenden Spruchkörper des Gerichts. b) Form, Inhalt, Sprache aa) Die Bescheinigung ist auf dem Formblatt nach Anhang III zu dieser VO zu erteilen. 19 Dadurch soll gewährleistet werden, dass das bestätigende Gericht die in Ziff 8 des Formblatts genannte Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat prüft, ggf nach Abs 1 S 2 herstellt und die in Abs 2 genannten Kautelen, deren Einhaltung es ausdrücklich bestätigt (Ziff 9 bis 11 des Formblatts), auch tatsächlich prüft.33 Die Kommission empfiehlt darüber hinaus, obgleich das Formblatt dies nicht vorsieht, auch eine Begründung aufzunehmen, wenn von der Einhaltung bestimmter Kautelen abgesehen wurde, insbesondere, wenn die Anhörung des Kindes untunlich erschien.34 Ist eine Umgangsregelung aus einer öffentlichen Urkunde oder Parteivereinbarung iSd Art 46 zu bestätigen, so bedarf es entsprechender Modifikationen des Formblatts, das nur auf gerichtliche Entscheidungen zugeschnitten ist.35 Einen Vergleich hat das Gericht sachgerecht auszulegen.35a bb) Formale Angaben zu den Beteiligten und deren Anschriften sollen den Vollstreckungs- 20 organen des Vollstreckungsmitgliedstaates die Durchführung der Vollstreckung erleichtern.36 Zudem sieht das Formblatt in Ziff 12 eine detaillierte Darstellung von Modalitäten des Umgangs vor, die das Ursprungsgericht angeordnet hat. cc) Schwer erreichbar dürfte hingegen der weitere Zweck sein, der mit Formblättern im 21 Anhang zu Verordnungen des EuZPR häufig verbunden ist: die Verständlichkeit unbeschadet der verwendeten Sprache. Auszustellen ist das Formblatt in der Sprache der zu vollstreckenden Entscheidung (Abs 2 S 2). Da die Vollstreckung einer Umgangsregelung ohne Kenntnis der angeordneten Modalitäten nicht möglich ist und diese, sowie eventuelle zusätzlich aufgenommene Begründungen37 Klartextmengen erfordern, die erheblich über die aus den bisherigen EuZPR-Formblättern bekannten hinausgehen, gewährleistet die Verwendung des Formblatts damit die Verständlichkeit in anderen Mitgliedstaaten nicht. dd)Die Notwendigkeit einer Übersetzung in eine Amtssprache des Vollstreckungsmitglied- 22 staates ergibt sich aus Art 45 Abs 2.38 c) Keine Beteiligung des Vollstreckungsadressaten Eine Beteiligung des Vollstreckungsadressaten, insbesondere dessen Anhörung, ist im Ver- 23 fahren zur Erteilung der Bescheinigung nicht vorgesehen. Da die durch die Bescheinigung 33 34 35 35a 36 37 38

Kommission, Leitfaden 33. Kommission, Leitfaden 33. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 13. AG Augsburg v 18.7.2013 – 411 F 2778/11, FamRZ 2014, 417, 418. Kommission, Leitfaden 33. Oben Rn 19. Dazu näher Art 45 Rn 9 ff.

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eintretende Anerkennungswirkung nicht anfechtbar ist (Abs 1 S 1) und auch im Ursprungsstaat nicht mit Rechtsbehelfen angegriffen werden kann (Art 43 Abs 2), bleibt dem Vollstreckungsadressaten einzig die Möglichkeit, gegen Fehler bei Erteilung der Bescheinigung deren Berichtigung im Ursprungsstaat (Art 43 Abs 1) zu beantragen.39 2. Voraussetzungen für die Erteilung der Bescheinigung (Abs 2 S 1 lit a bis c) a) Bedeutung 24 Kernstück der Ersetzung der Anerkennungsprüfung durch die Bescheinigung nach Abs 1 ist

die nach Abs 2 S 1 lit a bis c anzustellende Prüfung seitens des Richters im Ursprungsmitgliedstaat. Die in lit a bis c genannten Kriterien sind inhaltlich Art 23 lit b, c und d nachgebildet, wenn auch der Prüfungsmaßstab aufgrund der Verlagerung der Prüfungskompetenz auf den Richter im Ursprungsmitgliedstaat auf das Recht dieses Staates verlagert ist.40 Hinzu kommt, dass die Versagungsgründe aus Art 23 lit e, f keineswegs entfallen, sondern im Vollstreckungsverfahren nach Maßgabe des Rechts des Vollstreckungsmitgliedstaates geltend zu machen sind.41 Problematisch ist vor diesem Hintergrund, sieht man vom weitgehenden Entfall einer ordre public-Kontrolle ab, nicht eine Reduzierung der Kontrollkriterien, sondern die Verlagerung auf das Ursprungsgericht, die eine bloße Selbstkontrolle darstellt.42 b) Zustellung in Versäumnisverfahren (Abs 2 lit a) 25 Abweichend vom ursprünglichen Kommissionsvorschlag kann auch für Versäumnisent-

scheidungen die Bescheinigung erteilt werden.43 Beruht die Umgangsentscheidung auf einem Versäumnisverfahren, so kann die Bescheinigung nur erteilt werden, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück der säumigen Partei rechtzeitig und in einer die Verteidigung ermöglichenden Weise zugestellt wurde oder wenn dennoch festgestellt wird, dass diese Partei mit der Entscheidung eindeutig einverstanden ist. Die Formulierung des Abs 2 lit a greift – in den wesentlichen Kriterien wörtlich – die Formulierung des Art 23 lit c auf, verfolgt denselben Zweck und ist deshalb in derselben Weise auszulegen.44 Insoweit ist auch der Prüfungsmaßstab derselbe, weil die Art und Weise, in der die Zustellung zu erfolgen hatte, auch im Rahmen des Art 23 lit c nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates einschließlich EG-rechtlicher und völkerrechtlicher Regelungen zu beurteilen ist. Bewertungsunterschiede können sich gleichwohl deshalb ergeben, weil der Schwerpunkt der Prüfung nicht auf einer formalen Ordnungsgemäßheit liegt, sondern Wertungen (Rechtzeitigkeit, Verteidigungsmöglichkeit) erfordert. Der Ursprungsrichter wird, sofern er nicht über bemerkenswerte Dialektik verfügt, eher geneigt sein, die im Ursprungsmitgliedstaat übliche Praxis einer Zustellung für ausreichend zu halten als ein von außen auf diese Rechtsordnung blickender europäischer Jurist. 39 40 41 42 43 44

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Geimer/Schütze/Paraschas Rn 4; vgl im Einzelnen hierzu Art 43. KOM (2002) 222 zum dortigen Art 44. Dazu oben Rn 10. Solomon FamRZ 2004, 1409, 1419. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 6. Im Einzelnen zu den Voraussetzungen der Zustellung Art 23 Rn 10 ff, zum eindeutigen Einverständnis Art 23 Rn 14.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 41 Brüssel IIa-VO

c) Anhörung betroffener Parteien (Abs 2 lit b) aa) Der bescheinigende Richter hat weiter zu prüfen, ob „alle betroffenen Parteien“ Gele- 26 genheit hatten, gehört zu werden. Welche „Parteien“, was auch in diesem Kontext aus deutscher Sicht als „Beteiligte“ zu lesen ist, im Sinn dieser Regelung betroffen sind, entscheidet das Recht des Ursprungsmitgliedstaates.45 Zwar soll dieses Kriterium den in Art 23 lit d enthaltenen Gedanken aufgreifen, wobei die Erwartung zugrunde lag, die Meinung eines Trägers elterlicher Verantwortung werde „normalerweise berücksichtigt“;46 diese Erwartung impliziert freilich den „Normalfall“. Gewiss wird man davon ausgehen dürfen, dass in ganz Europa miteinander verheiratete Eltern verschiedenen Geschlechts als sorgeberechtigt angesehen werden und deshalb auch anzuhören sind. Problematisch sind aber die Nicht-Normalfälle, deren es angesichts der hohen Dynamik, mit der sich Sorgerecht an veränderte gesellschaftliche Familienbilder anpasst, doch einige gibt. In solchen neueren Bereichen der Zuweisung elterlicher Verantwortung, insbesondere in Ansehung nicht mit der Mutter verheirateter Väter oder hinsichtlich einer Sorgeberechtigung gleichgeschlechtlicher Lebens- oder Ehepartner, ist keineswegs sichergestellt, dass das Ursprungsgericht auch nur das Bestehen einer solchen Sorgeberechtigung ebenso beurteilt wie der potentielle Vollstreckungsmitgliedstaat.47 Da Umgangsregelungen auch das Umgangsrecht anderer Personen beschränken können, sind zudem Fälle möglich, in denen Umgangsberechtigte, die nicht Eltern sind, von einer Entscheidung betroffen sind, ohne dass sie angehört wurden. bb) Die Modalitäten der Anhörung, denen im Ursprungsverfahren genügt sein muss, be- 27 stimmen sich ebenfalls nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates. Insbesondere enthält lit b keine autonomen Festlegungen zu Mitteilungen und Zustellungen an zunächst nicht formell am Verfahren beteiligte Personen. Nicht autonom erforderlich ist insbesondere, dass der Anzuhörende sich tatsächlich geäußert hat. Auch hier liegt Spannungspotential begründet, wenn es zB nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates genügt, dass einem Beteiligten vor einer Jugendbehörde oder durch einen Sachverständigen Gehör gewährt wird, während der Vollstreckungsmitgliedstaat Unmittelbarkeit erwarten würde. d) Anhörung des Kindes (Abs 2 lit c) Voraussetzung der Erteilung der Bescheinigung ist schließlich, dass das Kind die Möglich- 28 keit hatte, gehört zu werden, sofern eine Anhörung nicht aufgrund seines Alters oder seines Reifegrades unangebracht erschien. Die Bestimmung parallelisiert Art 23 lit b und trägt wiederum das Problem des unterschiedlichen Beurteilungsmaßstabes in sich. Vor dem Hintergrund der zu Art 23 lit b ersichtlich einhellig vertretenen und sich auch aus dem Wortlaut des Art 23 lit b ergebenden Ansicht, dass das Recht des Anerkennungsstaates im Rahmen der Anerkennungsprüfung den Maßstab für die Erforderlichkeit der Kindesanhörung

45 46 47

Geimer/Schütze/Paraschas Rn 5. So KOM (2002) 222 zu Art 44 des ursprünglichen Verordnungsvorschlags. So wird zB ein deutsches Gericht ohne Abgabe einer gemeinsamen Sorgeerklärung auch bei gemeinsamer italienischer Staatsangehörigkeit aller Beteiligten bei gewöhnlichem Aufenthalt des Kindes in Deutschland (Art 21 EGBGB) den nicht mit der Mutter verheirateten Vater, der nach italienischem Recht kraft Anerkennung sorgeberechtigt ist, nicht für sorgeberechtigt halten. Umgekehrt wird ein italienisches Gericht das „kleine Sorgerecht“ (§ 9 Abs 1 LPartG) des deutschen Lebenspartners eines italienischen Elternteils für dessen italienisches Kind nicht berücksichtigen, weil es die elterliche Sorge italienischem Heimatrecht des Kindes unterstellt (Art 36 it IPRG).

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setzt,48 erscheint es naheliegend, hier zu Abs 2 lit c die Beurteilung dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates zu überlassen.49 Allerdings unterscheidet sich lit c im Wortlaut deutlich von Art 23 lit b und enthält durchaus materielle Kriterien, die als Ansatzpunkte für eine autonome Auslegung von Mindeststandards für eine Kindesanhörung dienen können. Der Regelung lässt sich zum einen entnehmen, dass die Anhörung nur ausnahmsweise unterbleiben kann, wobei auch die Kriterien für einen Verzicht auf Anhörung eindeutig auf Alter und Reife des Kindes beschränkt sind.50 Schließlich wird man lit c bei einer an Art 8 EMRK orientierten Auslegung entnehmen können, dass ein Anhörungsverzicht im Hinblick auf eine absolute Altersgrenze nur bei sehr kleinen Kindern zulässig sein dürfte. Es empfiehlt sich daher, die Maßstäbe zu lit c nicht dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates zu entnehmen, sondern eine qualitativ eher an hohen Standards orientierte autonome Auslegung zu suchen. Dies erfordert ggf den Mut des Richters, sein eigenes Verfahrensrecht als nicht mehr zeitgemäß zu erkennen, öffnet andererseits aber auch die Chance zu einer erheblich größeren Akzeptanz der Regelung. Gerade die Frage der Anhörung des Kindes – dessen Wille zu berücksichtigen ist, auch wenn er keineswegs das Maß des Kindeswohls darstellt – berührt im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht des Kindes durchaus einen ordre public-relevanten Bereich. 3. Ausstellung von Amts wegen/auf Antrag (Abs 3) a) Auslandsbezug im Zeitpunkt der Entscheidung (Abs 3 S 1) 29 aa) Betrifft das Umgangsrecht bereits bei Verkündung der Entscheidung einen Fall mit

grenzüberschreitendem Bezug, so wird die Bescheinigung nach Abs 1 von Amts wegen ausgestellt, sobald die Entscheidung vollstreckbar oder vorläufig vollstreckbar ist (Abs 3 S 1). Die vorläufige Vollstreckbarkeit kann in diesem Fall das Gericht auch nach Abs 1 S 2 von Amts wegen herstellen.51 30 Nach dem Wortlaut des Abs 3 S 1 muss der grenzüberschreitende Bezug bei Verkündung

der Entscheidung bestehen. Dies steht in einem gewissen Widerspruch zur Verwendung des Wortes „sobald“ hinsichtlich der Vollstreckbarkeit. Es fragt sich, ob die Bescheinigung auch dann von Amts wegen auszustellen ist, wenn die Entscheidung erst später vollstreckbar wird oder sogar dann, wenn der grenzüberschreitende Bezug noch nicht bei Verkündung, aber im Zeitpunkt des Eintritts der Vollstreckbarkeit vorlag. Ersteres legt der Wortlaut nahe, letzteres wäre dann konsequente Folge, da das Bedürfnis für die Bescheinigung in beiden Fällen in dem Zeitpunkt, in dem sie überhaupt erst erteilt werden kann, gleichermaßen vorliegt. Praktikabel ist beides kaum, denn das Gericht müsste, wenn es nicht von der Option des Abs 1 S 2 Gebrauch macht oder lege fori die vorläufige Vollstreckbarkeit anordnen kann, den Ablauf von Rechtsbehelfsfristen und den Gang von Rechtsmittelverfahren beobachten. Praxisnäher scheint deshalb eine Auslegung dahin, dass die Bescheinigung von Amts wegen

48 49 50

51

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Dazu Art 23 Rn 8. So Geimer/Schütze/Paraschas Rn 5. Allerdings dürfte kein Verstoß vorliegen, wenn die unmittelbare Anhörung des Kindes durch das Gericht an der Obstruktion des mit dem Kind in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen Elternteils scheitert: D v N & D [2011] EWHCV 471 (Fam). Geimer/Schütze/Paraschas Rn 9.

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nur dann erteilt wird, wenn bereits bei Verkündung der Entscheidung der grenzüberschreitende Bezug und die (vorläufige) Vollstreckbarkeit gegeben sind. bb) Wann ein grenzüberschreitender Bezug vorliegt, ist vor dem Hintergrund der Erwä- 31 gungen der Kommission in ihrem Leitfaden nicht unzweifelhaft. Fraglos besteht ein grenzüberschreitender Bezug, wenn der Umgangsberechtigte und das Kind in verschiedenen Mitgliedstaaten Wohnsitz haben und der Umgang grenzüberschreitend durchzuführen ist. Der Bezug ist aber auch dann zu bejahen, wenn der Umgang grenzüberschreitend in einem Nichtmitgliedstaat stattfinden muss, die Entscheidung aber nach der gegenwärtigen Wohnsitzkonstellation in einem anderen Mitgliedstaat als dem Entscheidungsstaat zu vollstrecken ist.52 Fraglich ist hingegen, ob auch ein potentieller grenzüberschreitender Bezug genügt, ins- 32 besondere, wenn ein Elternteil den Umzug mit dem Kind plant,53 oder gar nur eine potentielle Möglichkeit für das Entstehen eines grenzüberschreitenden Bezuges besteht. Angesichts der Möglichkeit, die Bescheinigung später auf Antrag zu erteilen, sollte nicht einer Praxis das Wort geredet werden, die im Zweifel die Bescheinigung von Amts wegen erteilt, weil ein Umzug des Kindes ins Ausland theoretisch denkbar ist.54 Allenfalls, wenn sich konkrete Anhaltspunkte ergeben, dass die Herstellung eines grenzüberschreitenden Bezugs unmittelbar bevorsteht, wird das Gericht die Bescheinigung sogleich von Amts wegen erteilen. Ein davon zu unterscheidender Aspekt ist, dass Gerichte unter dem Eindruck der Art 40 ff 33 das Ausgangsverfahren vor allem in potentiell grenzüberschreitenden Fällen – also auch bei entferntem Auslandsbezug – vorsorglich so gestalten sollten, dass die Kriterien des Abs 2 eingehalten sind. b) Später eintretender grenzüberschreitender Bezug (Abs 3 S 2) aa) Erlangt der Fall später grenzüberschreitenden Bezug, so wird die Bescheinigung auf 34 Antrag ausgestellt. Antragsberechtigt sind alle Beteiligten. Einer zu breiten Antragsberechtigung kann entweder dadurch begegnet werden, dass ein Rechtsschutzinteresse an der Erteilung der Bescheinigung gefordert wird. Näher dürfte es liegen, hier den Begriff der „Parteien“ autonom enger zu fassen und als antragsberechtigt nur jene Beteiligten anzusehen, die unmittelbare Adressaten der Umgangsregelung sind. bb) Der Maßstab des grenzüberschreitenden Bezuges ist in dieser Alternative nicht anders 35 zu sehen als bei amtswegiger Ausstellung im Zeitpunkt der Verkündung der Entscheidung.55 52

53 54

55

ZB Umgangsregelung im deutschen Scheidungsurteil (beide Ehegatten Deutsche, also Zuständigkeit nach Art 3 Abs 2, Art 12 Abs 1), das Kind lebt mit der Mutter in Frankreich, der umgangsberechtigte Vater in den USA. Auch für diesen Fall eindeutig bejahend Kommission, Leitfaden 34. Unklar insoweit Kommission, Leitfaden 34, wo unter der Thematik des nichtbestehenden grenzüberschreitenden Bezugs sogar erwogen wird, ob der Richter schon deshalb regelmäßig die Bescheinigung ausstellen sollte, weil das Gericht nahe einer EG-Binnengrenze angesiedelt ist oder die Eltern verschiedene Staatsangehörigkeiten haben. Dies würde für ganz Oberbayern die Bescheinigung zur Regel machen. Oben Rn 31 f.

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Auch für die Antragsausstellung haben Erwägungen, großzügig Bescheinigungen auf Vorrat auszustellen,56 keinen Platz.

Artikel 42: Rückgabe des Kindes (1) Eine in einem Mitgliedstaat ergangene vollstreckbare Entscheidung über die Rückgabe des Kindes im Sinne des Artikels 40 Absatz 1 Buchstabe b), für die eine Bescheinigung nach Absatz 2 im Ursprungsmitgliedstaat ausgestellt wurde, wird in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt und kann dort vollstreckt werden, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann. Auch wenn das nationale Recht nicht vorsieht, dass eine in Artikel 11 Absatz 8 genannte Entscheidung über die Rückgabe des Kindes ungeachtet der Einlegung eines Rechtsbehelfs von Rechts wegen vollstreckbar ist, kann das Gericht des Ursprungsmitgliedstaats die Entscheidung für vollstreckbar erklären. (2) Der Richter des Ursprungsmitgliedstaats, der die Entscheidung nach Artikel 40 Absatz 1 Buchstabe b) erlassen hat, stellt die Bescheinigung nach Absatz 1 nur aus, wenn a) das Kind die Möglichkeit hatte, gehört zu werden, sofern eine Anhörung nicht aufgrund seines Alters oder seines Reifegrads unangebracht erschien, b) die Parteien die Gelegenheit hatten, gehört zu werden, und c) das Gericht beim Erlass seiner Entscheidung die Gründe und Beweismittel berücksichtigt hat, die der nach Artikel 13 des Haager Übereinkommens von 1980 ergangenen Entscheidung zugrunde liegen. Ergreift das Gericht oder eine andere Behörde Maßnahmen, um den Schutz des Kindes nach seiner Rückkehr in den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts sicherzustellen, so sind diese Maßnahmen in der Bescheinigung anzugeben. Der Richter des Ursprungsmitgliedstaats stellt die Bescheinigung von Amts wegen unter Verwendung des Formblatts in Anhang IV (Bescheinigung über die Rückgabe des Kindes) aus. Das Formblatt wird in der Sprache ausgefüllt, in der die Entscheidung abgefasst ist. I.

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Unmittelbare Vollstreckbarkeit (Abs 1) . . . . 1 1. Vollstreckbarkeit aufgrund unanfechtbarer Bescheinigung . . . . . . . . . . 2 a) Unmittelbare Anerkennung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 b) Durchführung der Vollstreckung – ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 c) Kontrolle am Maß der EMRK/ EuGrCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5a d) Abänderung der Entscheidung . . . . . . . . 6 e) Widersprechende Entscheidungen . . . . . . 7 2. Autonome Vollstreckbarkeit unbeschadet nationalen Rechts (Abs 1 S 2) 10

II.

Bescheinigung (Abs 2) 1. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 a) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 b) Form, Inhalt, Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2. Voraussetzungen für die Erteilung der Bescheinigung (Abs 2 S 1 lit a bis c) . . . 14 a) Anhörungserfordernisse (lit a, b) . . . . . . 14 b) Keine Regelung für Versäumnisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 c) Berücksichtigung der Gründe und Beweismittel der Entscheidung nach Art 13 HKindEntfÜbk . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3. Ausstellung von Amts wegen (Abs 2 S 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

So muss die Kommission, Leitfaden 34 jedoch verstanden werden.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 42 Brüssel IIa-VO

I. Unmittelbare Vollstreckbarkeit (Abs 1) Die Regelung für die unmittelbare Vollstreckung von Entscheidungen iSd Art 40 Abs 1 lit b 1 stimmt in weiten Teilen mit Art 41, betreffend Umgangsentscheidungen iSd Art 40 Abs 1 lit a überein. Auf die Kommentierung zu Art 41 wird daher mit den nachfolgenden Besonderheiten Bezug genommen. 1. Vollstreckbarkeit aufgrund unanfechtbarer Bescheinigung a) Unmittelbare Anerkennung und Vollstreckung Art 42 betrifft ausschließlich Entscheidungen, welche in den Anwendungsbereich von 2 Art 40 Abs 1 lit b fallen, also die Rückgabe eines Kindes anordnen, nachdem im Verbringungsstaat die Rückgabe, gestützt auf Art 13 HKindEntfÜbk, abgelehnt wurde.1 Eine Entscheidung über die Rückgabe des Kindes, die als Entscheidung der Gerichte des ursprünglichen Aufenthaltsstaates (A-Mitgliedstaat) gegen eine auf Art 13 HKindEntfÜbk gestützte Nichtrückgabe-Entscheidung der Gerichte des Verbringungsstaates (B-Mitgliedstaat) gemäß Art 11 Abs 8 ergangen ist,2 hat Vorrang gegenüber der Nichtrückgabe-Entscheidung. Dieser Vorrang liegt der vollstreckungsrechtlichen Begünstigung solcher Entscheidungen zugrunde, die nach Abs 1 in allen anderen Mitgliedstaaten unmittelbar und ohne Anerkennungsprüfung anzuerkennen und ohne Exequaturverfahren zu vollstrecken sind, sofern sie nur von einer Bescheinigung iSd Art 42 begleitet sind.3 Andere auf Herausgabe eines Kindes lautende Entscheidungen sind hingegen nicht von Art 42 erfasst. Im Übrigen gelten die Ausführungen zur unmittelbaren Vollstreckung von Umgangsent- 3 scheidungen nach Art 41.4 Insbesondere findet auch in diesem Fall keine Prüfung der Anerkennungsversagungsgründe5 statt. b) Durchführung der Vollstreckung – ordre public Die Durchführung der Vollstreckung unterliegt auch in diesem Fall dem Recht des Voll- 4 streckungsmitgliedstaats.6 Wie im Fall des Art 41 besteht grundsätzlich kein Rechtsbehelf 7 gegen die Bescheinigung bzw die mit Bescheinigung versehene Entscheidung im B-Mitgliedstaat. Dessen Behörden können nur die Vollstreckbarkeit feststellen.8 Da auch der ordre public dieses Staates der Vollstreckung als solcher nicht als Anerkennungshindernis entgegengesetzt werden kann, wird gerade für Kindesherausgabe-Entscheidungen nach Art 11 Abs 8 der Anwendung des vollstreckungsrechtlichen ordre public erhebliche Bedeutung zukommen. 1

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EuGH v 11.7.2008 – Rs C-195/08 PPU Inga Rinau, NJW 2008, 2973, 2977; OLG Celle v 24.5.2007 – 17 UF 72/07, FamRZ 2007, 1587, 1588. Dazu Art 40 Rn 16 f. EuGH v 11.7.2008 – Rs C-195/08 PPU Inga Rinau, NJW 2008, 2973, 2974. Art 41 Rn 1-6. App Milano Riv dir int priv proc 2007, 739; Forcada Miranda [2012] IFL 39, 42. Dazu Art 41 Rn 7. EuGH v 22.12.2010 – Rs C-491/10 PPU Aguirre Zarraga/Pelz, FamRZ 2011, 355; EuGH v 26.4.2012 – Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, IPRax 2013, 431, 438. EuGH v 11.7.2008 – Rs C-195/08 PPU Inga Rinau, NJW 2008, 2973, 2976; EuGH v 1.7.2010 – Rs C-211/10 Povse/Alpago, FamRZ 2010, 1229, 1232; Schulz FamRZ 2008, 1732, 1734.

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5 Während man für Umgangsregelungen (Art 41) davon ausgehen darf, dass Ablehnung und

Skepsis eines Elternteils, bei dem das Kind lebt, oder auch die – nicht selten erst vor diesem Hintergrund gewachsene – Ablehnung des Kindes eher selten ein Maß annehmen, in dem die Vollstreckung das Kind in eine ausweglose Lage bringt, ist die Situation des Art 11 Abs 8 nahezu regelmäßig durch extreme Verhärtungen gekennzeichnet. Ein Elternteil, der ein Kind entführt oder zurückgehalten hat, der ein Verfahren nach dem HKindEntfÜbk durchgestanden und in diesem Verfahren die Gerichte des B-Mitgliedstaates davon überzeugt hat, dass die Rückgabe des Kindes so schwer dessen Wohl verletzen würde, dass der ordre public dieses Staates sich widersetzt, wird sich von Vollstreckungsmaßnahmen unterhalb der Ebene unmittelbarer Gewaltanwendung kaum beeindrucken lassen. Auch den Behörden dieses Staates wird eine einigermaßen gespaltene Haltung abverlangt, wenn sie eine Entscheidung durchsetzen sollen, die nach einer rechtskräftigen inländischen Entscheidung den internen ordre public verletzt. So richtig es sein mag, wenn Art 11 Abs 8 versucht, auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten das Missbehagen darüber aufzulösen, dass der „Entführer“ siegt, so ist doch absehbar, dass die Vollstreckungsorgane des B-Mitgliedstaates nicht selten auf den vollstreckungsrechtlichen ordre public zugreifen, zumal die Anwendung unmittelbarer Gewalt gegen das herauszugebende Kind mit oder ohne entsprechendes gesetzliches Verbot tabu sein muss und die Grenzziehung zwischen der – formal irrelevanten – Beurteilung der Rückführung als ordre public-widrig und der Einschätzung der Anwendung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels als rechtsstaatlich unzulässigen Eingriff keineswegs randscharf möglich ist. c) Kontrolle am Maß der EMRK/EuGrCh 5a Der EuGH geht davon aus, dass es den Gerichten des Vollstreckungsmitgliedstaates auch

verwehrt sei, der Vollstreckung einer Herausgabeentscheidung entgegenzuhalten, das Gericht im Ursprungsmitgliedstaat habe durch Unterlassen der gebotenen Anhörung des Kindes in Anwendung von Art 42 gegen eine gehörige Auslegung im Lichte des Art 24 der EuGrCh verstoßen; auch insoweit obliege die Beurteilung ausschließlich den Gerichten im Ursprungsmitgliedstaat.9 Gleiches gilt, wenn der Vollstreckungsmitgliedstaat eine Verletzung von Art 8, 14 EMRK erkennt.10 Selbst auf intergouvernementaler Ebene scheitern Versuche des Vollstreckungsmitgliedstaats, Grundrechtsverstöße im Ursprungsmitgliedstaat zu rügen: In einem letztlich zum EGMR gelangten Fall11 hatte die Republik Lettland gegen den Urteilsstaat Italien erfolglos vor der Europäischen Kommission geklagt, die argumentierte, das Jugendgericht in Rom habe sich zwar nicht eingehend mit den Argumenten der Kindeseltern auseinandergesetzt, dies sei jedoch nach der Brüssel IIa-VO auch nicht vorgeschrieben. 5b Solches grundrechtsblinde Beharren der EU-Organe auf der EU-Räson gerät zwangsläufig

in Konflikt mit der Bindung des Vollstreckungsmitgliedstaats an die EMRK, da der in der Vollstreckung liegende Eingriff, sofern die – unter Art 42 hilflose – Beurteilung der Entscheidung als Grund- oder Menschenrechtsverstoß zutrifft, gleichwohl gegenüber dem Bürger hoheitliches grund- oder menschenrechtswidriges Handeln des Vollstreckungsmitgliedstaates bedeutet.

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EuGH v 22.12.2010 – Rs C-491/10 PPU Aguirre Zarraga/Pelz, FamRZ 2011, 355. EuGH v 1.7.2010 – Rs C-211/10 Povse/Alpago, FamRZ 2010, 1229, 1233. EGMR Sneersone, Kampanella/Italien, FamRZ 2011, 1482.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 42 Brüssel IIa-VO

Der EGMR12 findet eine Lösung dahingehend, dass er einerseits den Vollstreckungsmit- 5c gliedstaat als durch den von Art 42 ausgehenden Vollstreckungszwang gerechtfertigt ansieht und andererseits dem Betroffenen die Geltendmachung, insbesondere des Kindeswohls, vor den Gerichten des Ursprungsmitgliedstaates auferlegt, gegen dessen Entscheidungen die Individualbeschwerde statthaft ist.13 Auch wenn damit letztlich ein Kompromiss zwischen Art 42 und der Wahrung der Menschenrechte versucht wird, erscheint es doch höchst bedenklich, dass dem Vollstreckungsmitgliedstaat eine Art Befehlsnotstand bei Umsetzung menschenrechtswidrigen Handelns eines ausländischen Staates zugebilligt wird, selbst wenn die Gerichte des handelnden Staates dies erkennen. Gleichermaßen bedenklich ist freilich, dass es der EU auch nach Inkrafttreten der EuGrCh nicht gelingt, den inakzeptablen Zustand zu bereinigen, dass es an einem effizienten verfahrensrechtlichen EU-internen Grundrechtsschutz fehlt, den nationalen Verfassungsgerichten die Hände gebunden sind und der EGMR mit dem in Kindschaftssachen regelmäßig zu späten Rechtsbehelf der Individualbeschwerde Grundrechts-Ordnung im europäischen Haus schaffen muss. d) Abänderung der Entscheidung Eine Abänderung der Entscheidung in dem nach Art 11 Abs 8, Art 10, Art 8 weiterhin 6 zuständigen A-Mitgliedstaat ist in gleicher Weise zu berücksichtigen wie bei der Vollstreckung von Umgangsentscheidungen.14 e) Widersprechende Entscheidungen Für die Behandlung widersprechender Entscheidungen ist Art 11 Abs 8 vorrangig. Eine 7 Zuständigkeit der Gerichte des B-Mitgliedstaates zur Abänderung der Herausgabeanordnung sollte sich danach nicht ergeben. Der von Art 11 Abs 8 angeordnete Vorrang hat freilich nicht Ewigkeitscharakter. Zwar erwerben die Gerichte des B-Mitgliedstaates gemäß Art 10 regelmäßig keine Aufenthaltszuständigkeit, wenn eine solche Entscheidung ergeht (Art 10 lit b iv e contrario). Behält das Kind jedoch nach Erlass der Rückgabeentscheidung weitere 12 Monate Aufenthalt im Verbringungsstaat bei, so kann auch die Konstruktion der Art 10, 11 nicht verhindern, dass dort ein gewöhnlicher Aufenthalt entsteht und damit die Gerichte dieses Staates nach Art 8 zuständig werden.15 Dasselbe gilt, wenn das Kind in einen weiteren Mitgliedstaat (C-Mitgliedstaat) verbracht 8 wird. Auch dort ist die Entscheidung aus dem A-Mitgliedstaat unmittelbar vollstreckbar. Auch die Gerichte des C-Mitgliedstaats erlangen jedoch Zuständigkeit nach Art 8 Abs 1, wenn das Kind dort einen gewöhnlichen Aufenthalt erlangt, ehe die Entscheidung des AMitgliedstaates vollstreckt ist. Für ein weiteres Rückführungsverfahren, also die erneute Anwendung des Art 10, besteht regelmäßig kein Rechtsschutzbedürfnis, weil die Entscheidung des A-Mitgliedstaates auch im C-Mitgliedstaat vollstreckbar ist und das Scheitern der Vollstreckung am vollstreckungsrechtlichen ordre public auch nicht durch eine weitere Entscheidung überwunden würde.

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Im Fall erfolgsloser Geltendmachung geänderter Verhältnisse: EGMR Povse, Povse/Österreich, FamRZ 2013, 1793. Ebenso im Fall der ursprünglichen Entscheidung: EGMR Sneersone, Kampanella/Italien, FamRZ 2011, 1482, dort auch zum Prüfungsumfang. Art 41 Rn 9. Vgl Art 10 Rn 9.

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9 Hingegen wirkt sich der weitere Verfahrensfortgang des Rückgabeverfahrens im B-Mit-

gliedstaat, in dem erstinstanzlich die Rückgabe versagt wurde, nicht auf die Erteilung und Wirksamkeit der Bescheinigung aus. Auch wenn die Versagung der Rückgabe des Kindes durch Gerichte des B-Mitgliedstaats ausgesetzt, abgeändert oder aufgehoben wurde oder sonst nicht rechtskräftig geworden ist, bleibt die hiergegen ergangene Rückgabeentscheidung des A-Mitgliedstaates nach Art 40, 42 vollstreckbar und eine erteilte Bescheinigung wirksam, solange das Kind nicht tatsächlich zurückgegeben wurde.16 Damit wird verhindert, dass durch weitere Verfahrensschritte im Vollstreckungsmitgliedstaat die Effizienz der Rückgabeentscheidung beeinträchtigt wird. 2. Autonome Vollstreckbarkeit unbeschadet nationalen Rechts (Abs 1 S 2) 10 Für die im Ermessen des Gerichts stehende Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit

gilt formal nichts anderes als im Rahmen von Art 41 Abs 1 S 2.17 Die Möglichkeit einer vorläufigen Vollstreckbarerklärung nach Abs 1 S 2 sollte auch hier nicht regelmäßig in Anspruch genommen werden. Gerade wegen der schwerwiegenden Konsequenzen der Vollstreckung der Rückführungsentscheidung muss das erstinstanzliche Gericht die mögliche Aufhebung seiner Entscheidung im Rechtsmittelzug sorgsam in Erwägung ziehen. Anders als in Fällen der unmittelbaren Kindeswohlgefährdung, in denen sogar der Vollstreckbarerklärung bedürftige Entscheidungen ggf trotz anhängigen Rechtsbehelfs schnell vollstreckt werden müssen,18 besteht in üblichen Kindesentführungsfällen eher selten eine unmittelbare Bedrohung des Kindeswohls. Es dient letztlich dem europäischen Gedanken auch nicht, wenn die Rückführung des Kindes überbeschleunigt wird und die Folgen in unzureichender Weise in Verfahren vor dem EGMR beseitigt werden müssen. Eine Inlandswirkung der autonomen vorläufigen Vollstreckbarerklärung wird sich regelmäßig nicht ergeben, da im Fall des Art 42 das Problem gerade darin besteht, dass sich das Kind nicht im A-Mitgliedstaat befindet. II. Bescheinigung (Abs 2) 1. Verfahren a) Zuständigkeit 11 Für Art 42 ist, anders als für Art 4119, zweifelsfrei, dass die Bescheinigung durch den

Spruchkörper im Ursprungsmitgliedstaat ausgestellt wird, der die Entscheidung erlassen hat.20 Dies folgt hier eindeutig aus dem Wortlaut des Abs 2 S 1. Im Übrigen gilt auch für Abs 2, dass der Begriff „Richter“ keine funktionale Beschränkung der Bestimmungen der lex fori beinhaltet, jedoch die Ausstellung nur einem entscheidungszuständigen Amtsträger, nicht einem Urkundsbeamten übertragen werden kann.21 § 48 IntFamRVG22 gilt auch für die Bescheinigung nach Art 42. 16 17 18 19 20 21

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EuGH v 11.7.2008 – Rs C-195/08 PPU Inga Rinau, NJW 2008, 2973, 2976; Gruber IPRax 2009, 413 ff. Art 41 Rn 11 ff. Dazu Art 28 Rn 8a. Dazu Art 41 Rn 15 ff. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 8. Dazu Art 41 Rn 15; Geimer/Schütze/Paraschas Rn 8.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 42 Brüssel IIa-VO

b) Form, Inhalt, Sprache Die Bescheinigung ist auf dem Formblatt nach Anhang IV zu dieser VO zu erteilen. Abs 2 12 S 2 iVm Ziff 14 des Formblatts erfordert insbesondere Angaben dazu, ob und welche Maßnahmen im A-Mitgliedstaat ergriffen wurden, um den Schutz des Kindes nach seiner Rückkehr sicherzustellen. Eine Erstreckung auf öffentliche Urkunden oder Parteivereinbarungen kommt hier nicht in 13 Betracht, da Art 11 Abs 8 eine gerichtliche Entscheidung voraussetzt. Gestattet das Recht des Ursprungsmitgliedstaates den Eltern des Kindes die konsensuale Ausgestaltung der Modalitäten auf Grund einer grundsätzlich gehaltenen gerichtlichen Rückgabeentscheidung, so ist diese Vereinbarung nur insoweit nach Art 40, 42 vollstreckbar, wie das Gericht des Ursprungsmitgliedstaats die Ausgestaltung in seinen Willen aufgenommen hat.23 Im Übrigen gelten die Ausführungen zu Art 41 Abs 2 entsprechend.24 Der Vollstreckungsadressat wird auch in diesem Verfahren nicht beteiligt.25 2. Voraussetzungen für die Erteilung der Bescheinigung (Abs 2 S 1 lit a bis c) a) Anhörungserfordernisse (lit a, b) Für die Anhörung des Kindes26 und der Beteiligten gilt grundsätzlich dasselbe wie im Fall 14 des Art 41.27 Allerdings ist der Kreis der anzuhörenden Beteiligten enger, was auch im Wortlaut erkennbar wird: Während Art 41 Abs 2 lit b „alle betroffenen Parteien“ nennt, bezieht sich Art 42 Abs 2 lit b auf „die Parteien“. Dies beruht darauf, dass die vollstreckbare Entscheidung aufgrund ihrer Vorgeschichte, insbesondere des nach dem HKindEntfÜbk geführten Rückgabeverfahrens, bereits einen definierten Beteiligtenkreis voraussetzt. Im Regelfall werden nur der die Rückgabe Fordernde und der „Entführer“ Parteien iSd lit b sein. b) Keine Regelung für Versäumnisverfahren Eine Art 41 Abs 2 lit a entsprechende Bestimmung fehlt, ohne dass ersichtlich ist, warum 15 anlässlich der erst als Folge des Kompromisses zu Art 10, 11 erfolgten Einbeziehung dieses Falles in Art 40 ff auf eine solche Regelung verzichtet wurde. Das Prozedere nach Art 11 Abs 7 stellt jedenfalls nicht sicher, dass der nicht-antragstellende Beteiligte von dem Verfahren Kenntnis erlangt, denn die Unterrichtungspflicht erstreckt sich nicht auf den durch den anderen Beteiligten gestellten Antrag. Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass Säumnisentscheidungen ohne Prüfung der Zustellung, insbesondere an einen mit dem Kind im B-Mitgliedstaat sich aufhaltenden Beteiligten, nach Abs 2 bescheinigt werden dürfen. Das Erfordernis, alle Beteiligten von dem Verfahren in Kenntnis zu setzen, geht vielmehr in der Anhörungsregelung (Abs 2 lit b) auf. 22 23 24 25 26

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Art 41 Rn 18. App Milano Riv dir int priv proc 2007, 739. Art 41 Rn 19-22. Dazu Art 41 Rn 23. EuGH v 11.7.2008 – Rs C-195/08 PPU Inga Rinau, NJW 2008, 2973, 2975; D v N & D [2011] EWHC 471: Verzicht auf unmittelbare Anhörung wegen Obstruktion des mit dem Kind im Ausland befindlichen Elternteils. Dazu Art 41 Rn 26-28.

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Art 43 Brüssel IIa-VO

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Da aufgrund des vorherigen Verfahrens die Parteien definiert sind, schließt die gebotene Anhörung der Parteien eine Bekanntgabe des Verfahrens ein. Insbesondere genügt es nicht, wenn sich das Gericht im A-Mitgliedstaat auf eine frühere Anhörung bezogen hat; die Anhörungsmöglichkeit muss in dem Verfahren gegeben worden sein, das zu der in Art 11 Abs 8 bezeichneten Entscheidung führt. c) Berücksichtigung der Gründe und Beweismittel der Entscheidung nach Art 13 HKindEntfÜbk 16 Die Bescheinigung ist zudem nur auszustellen, wenn das Gericht des A-Mitgliedstaates beim Erlass der Entscheidung nach Art 11 Abs 8 die Gründe und Beweismittel berücksichtigt hat, die der Entscheidung des Gerichts im B-Mitgliedstaat zur Ablehnung der Rückführung des Kindes gemäß Art 13 HKindEntfÜbk zugrundeliegen.28 Dies setzt voraus, dass diese Gründe und Beweismittel nicht nur zur Kenntnis genommen wurden, sondern erfordert, dass sie erkennbar in die Abwägung einbezogen und mit hinreichender Begründung als nach der Überzeugung des Gerichts im A-Mitgliedstaat letztlich nicht stichhaltig angesehen wurden. Hierzu sind Ausführungen in Ziff 13 des Formblatts (Anhang IV) vorgesehen, die nicht auf die bloße Angabe beschränkt werden sollten, dass die Gründe und Beweismittel berücksichtigt wurden. Gründliche Arbeit des Gerichts an dieser Stelle sowie zu den Schutzmaßnahmen nach Abs 2 S 2, Ziff 14 Anhang IV dürfte eine wesentliche Voraussetzung dafür sein, dass die Vollstreckung im B-Mitgliedstaat letztlich eine Chance hat und dort nicht der Rückzug in den vollstreckungsrechtlichen ordre public29 angetreten wird, bzw der Fall den EGMR30 befasst. 3. Ausstellung von Amts wegen (Abs 2 S 3) 17 Die Bescheinigung wird von Amts wegen ausgestellt. Eine Differenzierung wie in Art 41

Abs 331 ist nicht vorgesehen, da die Entscheidung nach Art 11 Abs 8 naturgemäß immer einen grenzüberschreitenden Bezug hat (Umkehrschluss aus Art 41 Abs 3).32 Redaktionell übersehen wurde in diesem Zusammenhang offenbar, dass das in Art 41 Abs 3 bestimmte Erfordernis der (vorläufigen) Vollstreckbarkeit, einschließlich der Möglichkeit nach Abs 1 S 2, auch für die Erteilung der Bescheinigung nach Art 42 gelten muss.33

Artikel 43: Klage auf Berichtigung (1) Für Berichtigungen der Bescheinigung ist das Recht des Ursprungsmitgliedstaats maßgebend. (2) Gegen die Ausstellung einer Bescheinigung gemäß Artikel 41 Absatz 1 oder Artikel 42 Absatz 1 sind keine Rechtsbehelfe möglich. I.

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Keine Rechtsbehelfe gegen die Ausstellung der Bescheinigung (Abs 2)

1. Keine Rechtsbehelfe im Ursprungsmitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Holzmann FPR 2010, 497, 501. Oben Rn 4. EGMR Sneersone, Kampanella/Italien, FamRZ 2011, 1482: Prüfung der Abwägung an Art 8 EMRK. Dazu Art 41 Rn 29 ff. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 7. So auch Geimer/Schütze/Paraschas Rn 7.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung a) Verweisung auf Rechtsbehelfe gegen die zu vollstreckende Entscheidung . . . . b) Anfechtung der Anordnung vorläufiger Vollstreckbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsbehelfe gegen die Versagung der Bescheinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein Rechtsbehelf im Vollstreckungsmitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . a) Negative Feststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II.

b) Aussetzung, Beschränkung der Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 c) Abänderung der zu vollstreckenden Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3. Nichtige Bescheinigungen . . . . . . . . . . . . . . . 8 Berichtigung der Bescheinigung (Abs 1) 1. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2. Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

I. Keine Rechtsbehelfe gegen die Ausstellung der Bescheinigung (Abs 2) 1. Keine Rechtsbehelfe im Ursprungsmitgliedstaat a) Verweisung auf Rechtsbehelfe gegen die zu vollstreckende Entscheidung Die Ausstellung der Bescheinigung nach Art 41 oder Art 42 kann nicht mit einem Rechts- 1 behelf angefochten werden. Der Vollstreckungsadressat kann sich also auch im Ursprungsmitgliedstaat nicht gegen die Ausstellung der Bescheinigung, sondern nur gegen die bescheinigte Entscheidung selbst mit den dagegen statthaften Rechtsbehelfen zur Wehr setzen. Dies entspricht dem Vorbild des Art 10 Abs 4 EG-VollstrTitelVO und soll verhindern, dass durch eine Verdoppelung des Instanzenzuges gegen die Entscheidung selbst und gegen die Bescheinigung der Effekt der Beschleunigung der Vollstreckung desavouiert wird.1 b) Anfechtung der Anordnung vorläufiger Vollstreckbarkeit Bedenklich ist allerdings, dass eine lege fori gewollte Bindung der Vollstreckbarkeit an die 2 formelle Rechtskraft durch Art 41 Abs 1 S 2 und Art 42 Abs 1 S 2 ebenfalls überwunden werden kann, indem das Gericht seine Entscheidung für autonom vollstreckbar erklärt. Vor allem bei Rückgabeentscheidungen kann dies zu einem mehrfachen Aufenthaltswechsel des Kindes führen. Fraglich ist, ob auch die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit nach Art 41 Abs 1 S 2, Art 42 Abs 1 S 2 keinen Rechtsbehelfen unterliegt. Abs 2 bezieht sich nach seinem Wortlaut nur auf die Erteilung der Bescheinigung, die freilich die Vollstreckbarkeit voraussetzt, was dafür zu sprechen scheint, dass auch die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit nicht angefochten werden kann. Dies dürfte allerdings zu unangemessenen Ergebnissen führen. Die Möglichkeit effektiven 3 Rechtsschutzes als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips gebietet es, dass ein mit dem Rechtsmittel befasstes Gericht die Möglichkeit hat, den status quo für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens zu sichern. Vor allem in Fällen des Art 42 käme es einem von Art 61 lit c, 65 EGV nicht mehr gedeckten Eingriff in die Rechtsbehelfsstruktur der lex fori gleich, wenn der erstinstanzliche Richter nach Art 42 Abs 1 S 2 vollendete Tatsachen schaffen kann, welche die Entscheidungsgrundlage des Rechtsmittelgerichts verändern, weil schon die Tatsache der erfolgten Rückführung eine andere Beurteilung des Kindeswohls bedeuten kann. Daraus ist zu folgern, dass das Rechtsmittelgericht eine lege fori zulässige vorläufige Regelung treffen kann, auch wenn hierdurch die vorläufige Vollstreckbarkeit ausgesetzt wird.

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NK-BGB/Benicke Rn 5; Geimer/Schütze/Paraschas Rn 1, 2.

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c) Rechtsbehelfe gegen die Versagung der Bescheinigung 4 Abs 2 erstreckt sich nach seinem Wortlaut nicht auf Rechtsbehelfe gegen eine Versagung der

Ausstellung der Bescheinigung. Die Frage ist in gleicher Weise zu entscheiden wie unter der EG-VollstrTitelVO, da hier wie dort die ratio der Beschleunigung der unmittelbaren Vollstreckung der Zulassung eines Rechtsbehelfs nicht entgegensteht;2 wo kein EG-vollstreckbarer Titel vorliegt, besteht auch kein Beschleunigungsbedarf. Statthaft sind daher die nach der lex fori des Ursprungsmitgliedstaates stattfindenden Rechtsbehelfe. 2. Kein Rechtsbehelf im Vollstreckungsmitgliedstaat a) Negative Feststellung 5 Gegen die durch die Bescheinigung bewirkte Vollstreckbarkeit kann sich der Vollstre-

ckungsadressat auch nicht im Vollstreckungsmitgliedstaat zur Wehr setzen. Da ein Exequaturverfahren dort nicht stattfindet, käme ohnedies nur ein (negatives) Feststellungsverfahren nach Art 21 Abs 3 in Betracht; da aber die Bescheinigung gemäß Art 41 Abs 1 S 1 und Art 42 Abs 1 S 1 auch die Anerkennungsvoraussetzungen und -hindernisse suspendiert, ist auch das negative Anerkennungsfeststellungsverfahren nicht statthaft.3 b) Aussetzung, Beschränkung der Vollstreckung 6 Anders als Art 23 EG-VollstrTitelVO sehen Art 40 ff auch keine Aussetzung oder Beschrän-

kung der Vollstreckung vor, wenn die zu vollstreckende Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat angefochten oder die Berichtigung der Bescheinigung (nach Abs 1) beantragt ist. Dies dürfte jedoch nicht dahingehend zu verstehen sein, dass die Aussetzung4 der Vollstreckung nicht statthaft wäre. Vielmehr gilt insoweit Art 47 Abs 1: Für entsprechende Rechtsbehelfe und Maßnahmen im Vollstreckungsverfahren ist das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates maßgeblich.5 Im Übrigen sind alle Rechtsbehelfe statthaft, die auch gegen vollstreckbare Entscheidungen von Gerichten des Vollstreckungsmitgliedstaates stattfinden.6 c) Abänderung der zu vollstreckenden Entscheidung 7 Eine Abänderung der zu vollstreckenden Entscheidung, auch wegen veränderter Verhält-

nisse, ist jedoch im Vollstreckungsmitgliedstaat nicht ohne weiteres möglich.7 Hierzu bedarf es vielmehr einer Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates nach Art 8 ff, die gerade im Fall des Art 42, also der Situation des Art 11 Abs 8 im Hinblick auf Art 10 lit b iv (zunächst) nicht bestehen wird.8 Insbesondere kann eine Abänderung wegen veränderter Verhältnisse durch die nicht nach den allgemeinen Bestimmungen zuständigen Gerichte im Vollstreckungsmitgliedstaat nicht die Verweigerung der Vollstreckung der mit der Bescheinigung versehenen Rückführungsentscheidung durch den Vollstreckungsmitgliedstaat begründen.9 Diese 2 3 4

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Ebenso Geimer/Schütze/Paraschas Rn 9; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 5. Geimer/Schütze/Paraschas Art 41 Rn 1. Eine Beschränkung, insbesondere eine Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung kommt bei Umgangsoder Rückgabeentscheidungen schwerlich in Betracht. Vgl dazu Art 41 Rn 7 f. NK-BGB/Benicke Rn 9. Unklar Geimer/Schütze/Paraschas Rn 3. Dazu im Einzelnen Art 42 Rn 7.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 43 Brüssel IIa-VO

Gerichte können in der Konstellation des Art 43 iVm Art 11 Abs 8 nicht in der Hauptsache zuständig sein,10 weshalb sich die Frage der Unvereinbarkeit nur im Verhältnis zu einer Abänderung durch die Gerichte im Ursprungsmitgliedstaat stellen kann.11 3. Nichtige Bescheinigungen Von Abs 2 unberührt bleibt die Möglichkeit der Nichtigkeit der Bescheinigung wegen 8 schwerster Mängel. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn eine Bescheinigung nach Art 40 ff für eine Entscheidung erteilt wird, die nicht in den Anwendungsbereich gemäß Art 40 fällt, was durchaus nicht ganz fernliegt. Nichtig ist eine Bescheinigung auch dann, wenn sie nicht durch einen Richter, sondern durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erteilt wurde. II. Berichtigung der Bescheinigung (Abs 1) 1. Verfahren a) Abs 1 verweist für die Berichtigung der Bescheinigung nach Art 41 Abs 1 und Art 42 9 Abs 1 auf das Recht des Ursprungsmitgliedstaates. Dies bedeutet einerseits, dass auch insoweit Eingriffe im Vollstreckungsmitgliedstaat nicht möglich sind. Andererseits eröffnet diese Bestimmung jedoch einen Rechtsbehelf, der immerhin die Selbstkorrektur eigener Irrtümer des Gerichts12 erlaubt. b) Dieses Verfahren unterliegt vollständig der lex fori. Auch Erwägungsgrund Nr 24 S 2, wo 10 von einer „Klage auf Berichtigung“ gesprochen wird, ändert hieran nichts, weil selbst ein möglicher Widerspruch zwischen dieser Bezeichnung und der Verweisung auf die lex fori gemäß Abs 1 zugunsten eines Vorrangs des regelnden Teils der VO zu lösen wäre. Die lex fori entscheidet nicht nur darüber, wer antragsberechtigt ist und ggf innerhalb welcher Formen und Fristen ein Antrag gestellt werden kann und wie hierüber zu entscheiden ist.13 Abs 1 stellt auch das Ob des Verfahrens, insbesondere die Möglichkeit der Heilung von Fehlern, zur Disposition der lex fori. Allerdings dürfte sich aus Art 43 Abs 1 iVm dem Rechtsstaatsprinzip die Notwendigkeit ergeben, dass für substantielle Fehler der Bescheinigung ein Berichtigungsverfahren überhaupt vorgesehen werden muss. Im deutschen Recht erklärt § 49 IntFamRVG das Verfahren zur Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten nach § 319 ZPO für anwendbar.

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EuGH v 1.7.2010 – Rs C-211/10 Povse/Alpago, FamRZ 2010, 1229, 1233; OGH 13.7.2010 4 Ob 58/10y (Abschlussentscheidung zu Povse/Alpago); vgl Art 47 Rn 6. Das übersieht anscheinend OGH 13.7.2010 4 Ob 58/10y: „selbst dann nicht entgegen, wenn sie in der Hauptsache erginge und rechtskräftig würde“. EuGH v 1.7.2010 – Rs C-211/10 Povse/Alpago, FamRZ 2010, 1229, 1233. Kommission, Leitfaden 35. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 7.

Thomas Rauscher

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Art 44 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

2. Reichweite 11 Obgleich Abs 1 das Berichtigungsverfahren nicht regelt, ist die Reichweite des Begriffs der

„Berichtigung“ klärungsbedürftig. Abs 1 erweist sich im Verhältnis zu Abs 2 als eine Ausnahme vom Grundsatz, wonach keine Rechtsbehelfe zulässig sind. Im Gewand der Berichtigung lege fori dürfen daher keine Rechtsbehelfe einhergehen, die Abs 2 untersagt. Einen Definitionsversuch unternimmt Erwägungsgrund Nr 24 S 2, wonach die Berichtigung „materieller Fehler“ zulässig sein soll, aufgrund derer die Bescheinigung den Inhalt der Entscheidung nicht korrekt wiedergibt. Abs 1 eröffnet danach nur den Weg zu solchen Rechtsbehelfen der lex fori, mittels derer Fehler der Umsetzung der Entscheidung in die Bescheinigung, also Schreibfehler, aber auch substantielle Fehler der Wiedergabe des Inhalts der Entscheidung, beseitigt werden können.14 Dies ist auch dann der Fall, wenn die Entscheidung inzwischen von dem sie erlassenden Gericht geändert wurde.15 Hingegen sind Rechtsbehelfe, die eine Überprüfung der Erteilungsvoraussetzungen der Bescheinigung nach Abs 2 erlauben, insbesondere diejenigen, die auf die Beseitigung der Bescheinigung als solche zielen, nicht unter Abs 1 zu fassen.16

Artikel 44: Wirksamkeit der Bescheinigung Die Bescheinigung ist nur im Rahmen der Vollstreckbarkeit des Urteils wirksam.

Beschränkte Wirkung der Bescheinigung 1 Die Bestimmung entspricht Art 11 EG-VollstrTitelVO. Sie ist klarstellender Natur und

verdeutlicht, dass die Bescheinigung nach Art 41 und Art 42 Wirkungen nur für die Vollstreckbarkeit des Urteils hat, also Rechtswirkungen nur gemäß Art 41 Abs 1 und Art 42 Abs 1 hervorbringt. Die Bescheinigung verleiht dem Titel weder weitergehende Vollstreckungswirkungen, als er im Ursprungsstaat besitzt,1 noch verleiht die Bescheinigung einer Entscheidung höhere Bestandskraft. Der bescheinigte Titel unterliegt insbesondere weiterhin denselben Rechtsbehelfen im Ursprungsstaat;2 die Bescheinigung erschwert nicht die Abänderung, beseitigt nicht eine eventuelle Nichtigkeit und steht einer Wiederaufnahme nicht entgegen.

14 15

16 1 2

358

EuGH v 1.7.2010 – Rs C-211/10 Povse/Alpago, FamRZ 2010, 1229, 1232. Diesen Bezug stellt wohl auch EuGH v 1.7.2010 – Rs C-211/10 Povse/Alpago, FamRZ 2010, 1229, 1232 f her. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 6. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 1. Dazu Art 43 Rn 1.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 45 Brüssel IIa-VO

Artikel 45: Urkunden (1) Die Partei, die die Vollstreckung einer Entscheidung erwirken will, hat Folgendes vorzulegen: a) eine Ausfertigung der Entscheidung, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, und b) die Bescheinigung nach Artikel 41 Absatz 1 oder Artikel 42 Absatz 1. (2) Für die Zwecke dieses Artikels – wird der Bescheinigung gemäß Artikel 41 Absatz 1 eine Übersetzung der Nummer 12 betreffend die Modalitäten der Ausübung des Umgangsrechts beigefügt; – wird der Bescheinigung gemäß Artikel 42 Absatz 1 eine Übersetzung der Nummer 14 betreffend die Einzelheiten der Maßnahmen, die ergriffen wurden, um die Rückgabe des Kindes sicherzustellen, beigefügt. Die Übersetzung erfolgt in die oder in eine der Amtssprachen des Vollstreckungsmitgliedstaats oder in eine andere von ihm ausdrücklich zugelassene Sprache. Die Übersetzung ist von einer hierzu in einem der Mitgliedstaaten befugten Person zu beglaubigen. I. II.

Verhältnis zum Vollstreckungsverfahren lege fori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorzulegende Urkunden (Abs 1) 1. Urkundenvorlage als zwingende Vollstreckungsvoraussetzung . . . . . . . . . . . 2. Vorzulegende Urkunden (Abs 1) . . . . . . . a) Ausfertigung der Entscheidung . . . . . . . . . b) Bescheinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

III. 1

3 7 7 8

IV.

Erforderliche Übersetzungen (Abs 2) 1. Abschließende Regelung, Ausnahmen 9 a) Titel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 b) Bescheinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Bescheinigung nach Art 41 . . . . . . . . . . . . 13 3. Bescheinigung nach Art 42 . . . . . . . . . . . . 14 4. Zugelassene Übersetzer und Sprachen 15 Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

I. Verhältnis zum Vollstreckungsverfahren lege fori Grundsätzlich unterliegt das Vollstreckungsverfahren sowohl nach Erteilung eines Exequa- 1 tur als auch nach Bescheinigung gemäß Art 40 ff der lex fori des Vollstreckungsmitgliedstaates (Art 47 Abs 1). Die Bestimmung macht hiervon insoweit eine Ausnahme, als für die unmittelbare Vollstreckung eines nach Art 41 Abs 1 und Art 42 Abs 1 bescheinigten Titels die für die Vollstreckung vorzulegenden Urkunden autonom bestimmt werden. Ob diese Regelung abschließend ist, erscheint fraglich. Nach der aus Brüssel I bekannten 2 und in Art 37 ff der vorliegenden VO aufgegriffenen Konzeption liegt es nahe, die in Art 45 aufgeführten Urkunden und Übersetzungserfordernisse nicht bloß als Mindestanforderungen,1 sondern als abschließende Regelung zu verstehen. Jedenfalls hinsichtlich der vorzulegenden Urkunden entspricht dies auch der Intention, die Prüfung vollständig auf den Richter im Ursprungsmitgliedstaat zu verlagern. Die Partei, die die Vollstreckung begehrt, hat ausschließlich die in Abs 1 genannten Urkunden vorzulegen und auch nur die in Abs 2 genannten Übersetzungen zu beschaffen. Lege fori dürfen keine weiteren urkundlichen Voraussetzungen errichtet werden. Etwas anderes gilt nach Art 47 nur für das Vollstreckungsverfahren, nicht aber für das in Art 45 geregelte Vollstreckbarerklärungsverfahren.2 1 2

So hinsichtlich der Übersetzungen Geimer/Schütze/Paraschas Rn 5. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 2.

Thomas Rauscher

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Art 45 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Hinsichtlich der Übersetzungserfordernisse ergibt sich dagegen zumindest Klarstellungsbedarf.3 II. Vorzulegende Urkunden (Abs 1) 1. Urkundenvorlage als zwingende Vollstreckungsvoraussetzung 3 a) Abs 1 geht von der Vollstreckung auf Betreiben einer Partei/eines Beteiligten aus. Dieser

hat die nachfolgend bezeichneten Urkunden vorzulegen. Da die Herstellung der Vollstreckungsfähigkeit durch Bescheinigung nach Art 40 ff ein formalisiertes urkundliches Verfahren darstellt, in dem die Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaates keine sachliche Prüfungskompetenz haben, sondern nur die Vollständigkeit und äußere Richtigkeit der Urkunden prüfen können, kommt, anders als bei der Vollstreckbarerklärung im Exequaturverfahren (Art 37), ein Absehen von der Vorlage einzelner Urkunden nach Ermessen des Gerichts (Art 38) nicht in Betracht.4 4 b) Bei Fehlen einer erforderlichen Urkunde ist der Vollstreckungsantrag zurückzuweisen;

da die Vollstreckung aus einem der in Art 40 genannten Titel regelmäßig nicht von der Einhaltung von Fristen abhängt, können fehlende Urkunden jedoch nachgereicht werden. Die Vollstreckung darf aber erst beginnen, wenn die Urkunden den zuständigen Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaates vollständig vorliegen.5 5 c) Ist eine vorgelegte Urkunde mangelhaft, so dürfte dies nicht ohne weiteres der Voll-

streckung entgegenstehen. Insbesondere kann nicht jeder Schreibfehler beim Ausfüllen der Bescheinigung nach Anhang III und IV die Vollstreckbarkeit blockieren. 6 Andererseits sind angesichts der vollständigen Verlagerung der Überprüfung auf den Ur-

sprungsrichter hohe Anforderungen an die Vollständigkeit der Bescheinigung zu stellen. Fehlen wesentliche Angaben zur Identifikation der Beteiligten und der bescheinigten Entscheidung oder ist nicht vermerkt, ob die Entscheidung vollstreckbar ist,6 so kann die Bescheinigung den mit ihr verfolgten Zweck nicht erfüllen. Dasselbe gilt, wenn Modalitäten des Umgangs (Anhang III Nr 12) oder Angaben zu der Berücksichtigung der Gründe und Beweismittel der entgegenstehenden Entscheidung nach Art 13 HKindEntfÜbk (Anhang IV Nr 13) fehlen. In einem solchen Fall ist der Vollstreckungsantrag mangels vollständiger Urkunden zurückzuweisen. Dem Antragsteller steht es frei, die Bescheinigung im Ursprungsstaat vervollständigen und/oder berichtigen zu lassen. 2. Vorzulegende Urkunden (Abs 1) a) Ausfertigung der Entscheidung 7 Vorzulegen ist eine Ausfertigung der Entscheidung, die die für ihre Beweiskraft erforder-

lichen Voraussetzungen erfüllt. Die Formulierung entspricht Art 37 Abs 1 lit a und bedeu3 4 5 6

360

Dazu unten Rn 9 f. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 1. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 2. OGH 2.5.2011 www.unalex.eu/AT-740.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 45 Brüssel IIa-VO

tet – wie dort7 – nicht mehr, als dass es einer Ausfertigung bedarf, welche die Qualität einer öffentlichen Urkunde im Ursprungsmitgliedstaat8 besitzt, die vollen Beweis für den Inhalt der Entscheidung erbringt. Eine Abschrift genügt trotz der Fixierung des Verfahrens auf die Bescheinigung nach Art 41 und Art 42 nicht. b) Bescheinigung Vorzulegen ist, je nach der Art der Entscheidung (Art 40 Abs 1 lit a bzw b), außerdem die 8 Bescheinigung nach Art 41 Abs 1 bzw Art 42 Abs 1. Diese Bescheinigung ist im Original vorzulegen. III. Erforderliche Übersetzungen (Abs 2) 1. Abschließende Regelung, Ausnahmen a) Titel Abs 2 bestimmt autonom, welche Übersetzungen zu den nach Abs 1 vorzulegenden Ur- 9 kunden zu beschaffen sind. Im Gegensatz zum Verfahren bei Antrag auf Anerkennungsfeststellung oder Vollstreckbarerklärung (Art 38 Abs 2) räumt Abs 2 den Vollstreckungsbehörden des Vollstreckungsmitgliedstaates nicht ausdrücklich Ermessen ein, weitere Übersetzungen zu verlangen. Insbesondere kann danach eine Übersetzung des zu vollstreckenden Titels nicht verlangt werden. Dies, sowie die sehr eingeschränkten Anforderungen an die (Teil-)Übersetzung der Beschei- 10 nigung nach Abs 2, könnte jedoch dazu führen, dass ein Titel vollstreckt werden muss, dessen Inhalt sich den Vollstreckungsorganen nicht (mit Gewissheit) erschließt. Da die Vollstreckungsorgane in einer solchen Situation die Vollstreckung verweigern müssten, ergibt sich schon a maiore ad minus, dass auch die Befugnis besteht, nach pflichtgemäßem Ermessen die Vollstreckung bis zur Klärung des Inhalts des Titels durch eine Übersetzung auszusetzen. Eine solche Regelung muss sich dann nicht aus der lex fori des Vollstreckungsmitgliedstaats ergeben,9 sondern ist für alle Mitgliedstaaten im Wege rechtsstaatlicher autonomer Auslegung des Art 45 zu gewinnen. b) Bescheinigung Auch die ausdrücklich in Abs 2 geregelte Teilübersetzung der Bescheinigung lässt ggf 11 Unklarheiten bestehen, insbesondere, wenn das Ursprungsgericht, wie hier empfohlen,10 klarstellende Ergänzungen aufgenommen hat. Abs 2 geht offenbar davon aus, dass es sich bei allen anderen Formularstellen um von der verwendeten Sprache unabhängige Angaben handelt, die auch ohne Sprachkenntnisse verständlich sind. Daraus ergibt sich im Wege teleologischer Auslegung des Abs 2, dass eine Übersetzung zumindest verlangt werden kann, soweit diese Annahme nicht zutrifft, weil der die Bescheinigung ausstellende Richter Erläuterungen und Ergänzungen vorgenommen hat. 7 8 9

10

Art 37 Rn 6. Geimer/Schütze/Paraschas Rn 3. So, nur im Ergebnis ähnlich Geimer/Schütze/Paraschas Rn 5, die allerdings im Rahmen von Art 47 Abs 1 die Übersetzungserfordernisse des Abs 2 nur als Mindeststandards ansieht und vollständig auf die lex fori des Vollstreckungsmitgliedstaates abstellt. Art 42 Rn 16.

Thomas Rauscher

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Art 45 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

12 Aber auch bei schlichter formularmäßiger Ausfüllung der Anhänge III oder IV kann sich

weitergehender Übersetzungsbedarf ergeben, da schon die Bezeichnung des Gerichts in einer Amtssprache des Ursprungsmitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat nicht ohne weiteres als solche erkennbar sein dürfte. Auch banale Kommunikationsprobleme sind hier absehbar: So wird man nicht von jedem Vollstreckungsorgan erwarten dürfen, dass es in der Lage ist, griechische oder kyrillische Schriftzeichen zu lesen. 2. Bescheinigung nach Art 41 13 Im Fall der Vollstreckung aus einem Umgangstitel ist von der Bescheinigung nach Art 41

iVm Anhang III jedenfalls die Nr 12, also die Angaben zu den Modalitäten der Ausübung des Umgangsrechts, zu übersetzen. Dies legt es rückschließend nahe, eine besonders eingehende, die Umgangsregelung der zu vollstreckenden Entscheidung lückenlos darstellende Ausfüllung dieser Stelle des Formblatts zu fordern. Je sorgsamer hier der Ursprungsrichter vorgeht, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass im Vollstreckungsmitgliedstaat zum Verständnis auf die Entscheidung selbst zurückgegriffen und ggf eine Übersetzung nachgefordert11 werden muss. Ggf kann auch eine weitergehende Übersetzung verlangt werden.12 3. Bescheinigung nach Art 42 14 Bei der Vollstreckung eines Rückgabetitels ist von der Bescheinigung nach Art 42 iVm

Anhang IV jedenfalls die Nr 14 zu übersetzen. Entgegen dem irreführenden Wortlaut des Abs 2, 2. Strich, handelt es sich hierbei nicht um Maßnahmen zur Sicherstellung der Rückgabe, sondern um die in Art 42 Abs 2 S 2 erwähnten Maßnahmen, um den Schutz des Kindes nach seiner Rückkehr sicherzustellen. Diese Maßnahmen mögen zwar aus Sicht des A-Mitgliedstaates die Rückgabe sicherstellen; ihre Darlegung in der Bescheinigung hat aber den Zweck, die Gerichte des B-Mitgliedstaates davon zu überzeugen, dass die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz des Kindes getroffen werden und deshalb die dort zunächst erfolgte Verweigerung der Rückgabe nach Art 13 HKindEntfÜbk nicht nur formal, sondern auch zu Recht durch die zu vollstreckende Entscheidung überwunden wird. Auch hier kann ggf eine weitergehende Übersetzung verlangt werden.13 4. Zugelassene Übersetzer und Sprachen 15 a) Die Übersetzung hat in die (oder eine der) Amtssprachen des Vollstreckungsmitglied-

staates oder in eine andere von diesem ausdrücklich zugelassene Sprache zu erfolgen. Die Mitgliedstaaten teilen die zugelassenen Sprachen gemäß Art 67 lit c der Kommission mit, die sie veröffentlicht, hier abgedruckt im Anhang zu Art 67. 16 b) Die Übersetzung ist von einer hierzu in einem der Mitgliedstaaten befugten Person zu

11 12 13

362

Oben Rn 9. Oben Rn 11. Oben Rn 11.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 46 Brüssel IIa-VO

beglaubigen. Wie für die Übersetzung nach Art 38 Abs 2 kann also nicht eine Übersetzung durch eine im Vollstreckungsmitgliedstaat zugelassene Person verlangt werden. IV. Zuständigkeit Für die Vollstreckung von Entscheidungen, für die eine Bescheinigung nach Art 41, 42 erteilt 17 wurde, sind in Deutschland die zentralisierten Familiengerichte gemäß §§ 10, 12 IntFamRVG zuständig.14 Die Vollstreckungsmaßnahmen bestimmen sich nach § 44 IntFamRVG.15

Abschnitt 5: Öffentliche Urkunden und Vereinbarungen Artikel 46 Öffentliche Urkunden, die in einem Mitgliedstaat aufgenommen und vollstreckbar sind, sowie Vereinbarungen zwischen den Parteien, die in dem Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sind, werden unter denselben Bedingungen wie Entscheidungen anerkannt und für vollstreckbar erklärt. I. II.

Einbeziehung in das Anerkennungsund Vollstreckungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Anwendungsbereich 1. Vollstreckbare außergerichtliche Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

III.

2. Öffentliche Urkunden und Gerichtliche Vergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 3. Errichtung in einem Mitgliedstaat . . . . . 6 4. Vollstreckbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Anwendbare Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

I. Einbeziehung in das Anerkennungs- und Vollstreckungssystem Die Bestimmung beruht mit einigen Änderungen auf Art 13 Abs 3 Brüssel II-VO. Öffent- 1 liche Urkunden und Vereinbarungen werden in das Vollstreckbarkeitssystem der VO einbezogen. Sie werden jedoch im Gegensatz zu Art 57, 58 Brüssel I-VO nicht – vorbehaltlich des ordre public – schlicht für vollstreckungsfähig erklärt, sondern für Zwecke der Vollstreckung auch dem für Entscheidungen geltenden Anerkennungssystem der Art 21 ff und damit insbesondere den weiteren Anerkennungshindernissen nach Art 22, 23 unterstellt.1 Hintergrund ist die erhebliche Zurückhaltung gegenüber vergleichsweisen Regelungen von personenstands- und sorgerechtlichen Streitigkeiten.2 Die Einbeziehung in das Anerkennungssystem geht allerdings systematisch deutlich über das 2 eigentliche Ziel der Verstärkung der Vollstreckungs-Hinderungsgründe hinaus. Sie bedeutet, dass konsensuale Rechtsakte, die bis dato der Wirksamkeitsprüfung nach dem vom IPR 14 15 1 2

BT-Drs 15/3981, 24. BT-Drs 15/3981, 29. Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 586; Hausmann EuLF 2000/01, 345, 348. Die mit dem ordre public-Vorbehalt nicht ausreichend zu erfassen wäre, Borrás-Bericht Nr 61.

Thomas Rauscher

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Art 46 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

berufenen materiellen Recht unterlagen, auch in ihrem materiellen Inhalt verfahrensrechtlich anzuerkennen sind.3 Dies gilt jedoch nur, soweit es sich um Urkunden mit vollstreckungsfähigem Inhalt handelt und die Anerkennung als Voraussetzung der Vollstreckbarerklärung zu prüfen ist (dazu Rn 10). II. Anwendungsbereich 1. Vollstreckbare außergerichtliche Vereinbarungen 3 Gegenüber Art 13 Abs 3 Brüssel II-VO ist der Anwendungsbereich neben Öffentlichen

Urkunden von vormals „gerichtlichen Vergleichen“ auf „Vereinbarungen … die in dem Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sind“ erweitert. Dies trägt allerdings nur dem Umstand Rechnung, dass Irland, das UK und skandinavische Staaten vollstreckbare Privaturkunden kennen4 und hat klarstellende Bedeutung. Solche Sorgerechtsvereinbarungen waren sogar ursprünglich der Anlass, die Anerkennung und Vollstreckung öffentlicher Urkunden und Vergleiche überhaupt zu regeln.5 2. Öffentliche Urkunden und Gerichtliche Vergleiche 4 Im Übrigen bezieht sich die Bestimmung wie bisher auf öffentliche Urkunden sowie ge-

richtliche Vergleiche. Auszugehen ist von einem aus Art 57 f Brüssel I-VO übernommenen autonomen Verständnis6 der Begriffe der öffentlichen Urkunde und des gerichtlichen Vergleichs; nationales Recht des Errichtungsstaates ist nur insoweit maßgeblich,7 als die Qualifikation des Ausstellenden als Behörde dem nationalen Recht obliegt. 5 Die Einbeziehung von Urkunden und Vergleichen reicht nicht über den Anwendungsbe-

reich der VO, also über Art 1, hinaus. Erfasst sind daher insbesondere Vereinbarungen zur elterlichen Verantwortung, die einen vollstreckungsfähigen Inhalt haben. Nicht erfasst sind insbesondere nicht urkundliche oder vergleichsweise Regelungen zu Folgesachen,8 die selbst nicht der VO unterliegen. Das gilt auch, wenn solche Regelungen die Voraussetzung für eine bestimmte Art und Weise der Durchführung der Ehescheidung sind (vgl § 630 ZPO aF9). 3. Errichtung in einem Mitgliedstaat 6 a) Das Anerkennungs- und Vollstreckungssystem der VO erfasst nur Entscheidungen aus

Mitgliedstaaten. Art 46 beschränkt daher auch die Ausdehnung auf solche Öffentliche Urkunden, die in einem Mitgliedstaat aufgenommen wurden. Dies ist unbeschadet des Aufenthaltes und der Staatsangehörigkeit der Parteien der Fall, wenn das beurkundende Organ ein Organ eines Mitgliedstaates ist, auch wenn es, wie konsularische Behörden, in einem Drittstaat residieren mag.10 3 4 5 6 7 8 9

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Eingehend hierzu: Ancel/Muir Watt Rev crit dip 2001, 437 ff, 441. NK-BGB/Andrae Rn 8. Zum finnischen und schottischen Recht: Borrás-Bericht Nr 61. EuGH Rs C-260/97 Unibank AS/Fleming G Christensen EuGHE 1999 I 3715, 3730. Weiter wohl Rieck FPR 2007, 425. Schack RabelsZ 65 (2001) 627. Dazu Rieck FPR 2007, 425.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 46 Brüssel IIa-VO

b) Für Vereinbarungen fehlt eine solche Bezugnahme, obgleich auch diese nach dem Wort- 7 laut einen „Ursprungsmitgliedstaat“ haben. Handelt es sich um gerichtliche Vergleiche, so ist entsprechend auf die Zugehörigkeit des Gerichts zur Justizorganisation eines Mitgliedstaates abzustellen. Für vollstreckungsfähige Privaturkunden kann hingegen die Zuordnung nur danach erfolgen, nach welchem Recht diese Urkunde die Vollstreckbarkeit erlangt hat. Problematisch ist hierbei allerdings, nach welcher Rechtsordnung dies zu beurteilen ist, da 8 mangels Beteiligung einer Behörde oder eines Gerichts keine institutionelle Zuordnung erfolgt. Eine Beurteilung nach dem IPR des Vollstreckungsmitgliedstaates oder dessen Sachrecht11 würde dem Zweck der Regelung kaum gerecht, die von einer präexistenten Vollstreckbarkeit in einem Ursprungsmitgliedstaat ausgeht. Andererseits lässt sich die Vollstreckbarkeit einer Privatvereinbarung nicht als bloße Frage der (Orts-)Form12 begreifen; ob zB Eltern eine per se vollstreckbare Umgangsvereinbarung treffen können, ist eine prozessrechtliche Frage. Es kann schlechterdings nicht gewollt sein, dass zB deutsche Eltern ohne jeden Bezug zu Schottland während eines Kurzbesuchs in Edinburgh eine nach dortigem Recht vollstreckbare Umgangsregelung treffen. Abzustellen ist deshalb auf das materielle Recht, das nach dem IPR des Staates, nach dem die Vereinbarung vollstreckbar sein soll, auf die Vereinbarung samt ihrer Form anzuwenden ist.13 Ist also im vorgenannten Beispiel aus schottischer Sicht schottisches Recht anzuwenden, so hat die Vereinbarung einen schottischen „Ursprung“ und unterfällt Art 46. Insbesondere sind vollstreckbare Urkunden, die aus einer Mediation während der Anhängigkeit eines sorgerechtlichen Verfahrens hervorgehen, die im Gerichtsstaat stattfindet, diesem Mitgliedsstaat zuzurechnen.14 4. Vollstreckbarkeit a) Die Bestimmung ist beschränkt auf Urkunden und Vereinbarungen, die im Ursprungs- 9 mitgliedstaat vollstreckbar sind. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Urkunde ohne ein weiteres Titulierungsverfahren im Ursprungsmitgliedstaat unmittelbar vollstreckt werden kann. Nicht genügend ist, dass eine Urkunde dieser Art im in Aussicht genommenen Vollstreckungsmitgliedstaat vollstreckbar wäre, es aber im Ursprungsmitgliedstaat nicht ist.15 Umgekehrt bedarf es jedoch nicht der Möglichkeit, nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates solche Urkunden zu errichten. b) Nicht erfasst sind Urkunden und Vereinbarungen, die keinen vollstreckungsfähigen 10 Inhalt haben; eine isolierte Anerkennung von Urkunden ohne vollstreckungsfähigen Inhalt nach dem Anerkennungssystem der Art 21 ff ist nicht möglich.16 Damit sind insbesondere 10 11

12 13 14

15 16

NK-BGB/Andrae Rn 9. So aber offenbar App Milano Riv dir int priv proc 2007, 739: Mediationsvergleich aus Frankreich nur vollstreckbar, wenn in ausländisches Urteil aufgenommen, da dem italienischen Recht ein solcher Vergleich nicht bekannt ist. NK-BGB/Andrae Rn 10; aA Geimer/Schütze/Paraschas Rn 16. Unklar NK-BGB/Andrae Rn 10. App Milano Riv dir int priv proc 2007, 739 erwägt hingegen von seinem Standpunkt (Beurteilung nach italienischem Recht) die Vollstreckbarkeit nicht. NK-BGB/Andrae Rn 11. Zöller/Geimer Rn 4 ff; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 4; aA Geimer/Schütze/Paraschas Rn 10; Rieck FPR 2007, 425, 427.

Thomas Rauscher

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Art 47 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Privatscheidungen auch auf diesem Weg nicht einzubeziehen.17 Scheidungserschwerende Vereinbarungen und Vergleiche18 sind ebenfalls mangels vollstreckbarem Inhalt, jedoch auch deshalb auszunehmen, weil ihre Anerkennung eine ähnliche Funktion hätte wie die antragsabweisender Entscheidungen. III. Anwendbare Vorschriften 11 1. Von Art 46 erfasste Urkunden und Vereinbarungen werden gemäß Art 21 ff anerkannt.

Es gelten dieselben Anerkennungshindernisse wie für Urteile (Art 22, 23). Möglich ist auch ein Anerkennungsfeststellungsverfahren nach Art 21 Abs 3. 12 2. Vollstreckbarkeit erlangen diese Urkunden und Vergleiche nur im Verfahren nach

Art 28 ff. Auch insoweit gelten vollständig die für Entscheidungen konzipierten Bestimmungen einschließlich der Rechtsbehelfe (Art 33, 34). Der Umstand, dass die Urkunde bzw Vereinbarung im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sein muss, um überhaupt Art 46 anzuwenden, verleiht ihr nicht per se die Vollstreckbarkeit in anderen Mitgliedstaaten, sondern stellt sie nur Entscheidungen gleich.19 13 3. Praktische Schwierigkeiten ergeben sich in Anwendung von Art 37 Abs 1 lit b, 39, da die

Formulare in Anhang I und II nicht auf Urkunden und Vereinbarungen zugeschnitten sind. Unklar ist auch, welche Behörde im Ursprungsmitgliedstaat eine ggf an die Bedürfnisse der Urkunde oder Vereinbarung angepasste Bescheinigung20 auszustellen befugt ist. Für in Deutschland errichtete gerichtliche Vergleiche sollte § 48 IntFamRVG entsprechend angewendet, die Bescheinigung also vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ausgestellt werden. Für in Deutschland errichtete öffentliche Urkunden kommt, in weiter Analogie zum Rechtsgedanken des § 48 IntFamRVG nur das jeweilige Organ in Betracht, das für eine Vollstreckung im Inland die vollstreckbare Ausfertigung erteilt, bei notariellen Urkunden also der errichtende Notar.

Abschnitt 6: Sonstige Bestimmungen Artikel 47: Vollstreckungsverfahren (1) Für das Vollstreckungsverfahren ist das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats maßgebend. (2) Die Vollstreckung einer von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats erlassenen Entscheidung, die gemäß Abschnitt 2 für vollstreckbar erklärt wurde oder für die eine Bescheinigung nach Artikel 41 Absatz 1 oder Artikel 42 Absatz 1 ausgestellt wurde, erfolgt im Vollstreckungsmitgliedstaat unter denselben Bedingungen, die für in diesem Mitgliedstaat ergangene Entscheidungen gelten. 17 18 19 20

366

Zöller/Geimer Rn 3, 6; anders hier in der 1. Auflage Art 13 Rn 22. Zur Behandlung im deutschen Recht Staudinger/Rauscher (2010) § 1564 BGB Rn 41 ff. NK-BGB/Andrae Rn 12. So NK-BGB/Andrae Rn 14.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 47 Brüssel IIa-VO

Insbesondere darf eine Entscheidung, für die eine Bescheinigung nach Artikel 41 Absatz 1 oder Artikel 42 Absatz 1 ausgestellt wurde, nicht vollstreckt werden, wenn sie mit einer später ergangenen vollstreckbaren Entscheidung unvereinbar ist. I.

Vollstreckung nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates (Abs 1) 1. Anwendung der lex fori . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Spezielle Vollstreckungsregeln im IntFamRVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

II.

a) Ordnungsmittel zur Vollstreckung von Sorgerechtsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . 2 b) Vollstreckung von Kostentiteln . . . . . . . . . 4 Bedingungen der Vollstreckung (Abs 2) . . . 6

I. Vollstreckung nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates (Abs 1) 1. Anwendung der lex fori Die VO regelt in Art 28 ff sowie 40 ff lediglich die Voraussetzungen, unter denen Titel aus 1 einem Mitgliedstaat in anderen Mitgliedstaaten vollstreckbar sind. Das Vollstreckungsverfahren bestimmt hingegen die lex fori des Vollstreckungsmitgliedstaates. Dies war bereits unter der Brüssel II-VO, die eine entsprechende Bestimmung nicht ausdrücklich enthielt, anerkannt und entspricht im Übrigen dem europäischen Vollstreckungssystem seit dem EuGVÜ. Die Gerichte im Vollstreckungsmitgliedstaat sind insbesondere im Fall der Vollstreckbarkeit nach Art 40 ff (nur) befugt, die Modalitäten des Vollzuges der vollstreckungsfähigen Entscheidung zu regeln.1 2. Spezielle Vollstreckungsregeln im IntFamRVG a) Ordnungsmittel zur Vollstreckung von Sorgerechtsentscheidungen Aus Anlass des Übergangs zur Brüssel IIa-VO hat der deutsche Gesetzgeber mit § 44 Int- 2 FamRVG ein eigenständiges auf die Vollstreckung nach Art 47 anwendbares System geschaffen2 und hierbei das Systems der Vollstreckung von sorgerechtlichen Titeln, insbesondere von Umgangsentscheidungen und Herausgabeanordnungen wesentlich geändert. Die hierzu angeordnete Vollstreckung durch Ordnungsmittel3 nahm schon vor Inkrafttreten der §§ 88 ff FamFG die Abkehr von den Zwangsmitteln des § 33 FGG aF vorweg.4 Auch nach Inkrafttreten des FamFG werden nach der Brüssel IIa-VO zu vollstreckende Titel gemäß § 44 IntFamRVG idF des FGG-Reformgesetzes vollstreckt. Titel für die Vollstreckung ist die im Verfahren nach Art 28 ff ergangene Vollstreckbar- 3 erklärung. Unterfällt der Titel der unmittelbaren Vollstreckung nach Art 40 ff, so ist er der Titel selbst, ebenfalls nach § 44 IntFamRVG, zu vollstrecken. b) Vollstreckung von Kostentiteln Für die Vollstreckung von Kostentiteln gilt hingegen nicht § 44 IntFamRVG (dort Abs 1 2. 4 1 2 3 4

EuGH v 1.7.2010 – Rs C-211/10 Povse/Alpago, FamRZ 2010, 1229, 1233; OGH 13.7.2010 4 Ob 58/10y. Schulte-Bunert FamRZ 2007, 1608, 1613. Zu § 44 IntFamRVG: Rausch FuR 2005, 115. Zur Problematik der Erledigung von Zwangsmitteln nach § 33 FGG aF im Einzelnen Staudinger/Rauscher (2005) § 1684 Rn 233 ff.

Thomas Rauscher

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Art 47 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Hs), sondern es gelten die allgemeinen Bestimmungen über die Zwangsvollstreckung von Geldforderungen. Sonderregelungen enthält das IntFamRVG insoweit jedoch für den Schadensersatz im Fall der Aufhebung der Zulassung der Zwangsvollstreckung (§ 34 IntFamRVG) sowie für die Vollstreckungsgegenklage (§ 36 IntFamRVG). 5 Im Rahmen der Vollstreckungsgegenklage gegen die Zwangsvollstreckung aus für voll-

streckbar erklärten Kostentiteln können Einwendungen gegen den Anspruch selbst (nur) geltend gemacht werden, wenn die Gründe, auf denen die Einwendungen beruhen, nach Ablauf der Frist für die Beschwerde nach Art 33, § 24 IntFamRVG entstanden sind, oder wenn sie nach Beendigung des Beschwerdeverfahrens entstanden sind (§ 36 Abs 1 IntFamRVG). Für die Vollstreckungsgegenklage zuständig ist das Gericht, welches über den Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel entschieden hat (§ 36 Abs 2 IntFamRVG). II. Bedingungen der Vollstreckung (Abs 2) 6 Abs 2 S 1 bestätigt seinem Wortlaut nach das Prinzip des Abs 1, wobei klargestellt wird, dass

das Prinzip der Vollstreckung nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates auch für Entscheidungen gilt, die kraft einer Bescheinigung nach Art 41 Abs 1, Art 42 Abs 1 unmittelbar und ohne Exequatur vollstreckt werden. Diese Klarstellung verdeutlicht, dass „unmittelbare“ Vollstreckbarkeit nicht bedeutet, dass Vollstreckungsorgane des Ursprungsmitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat nach ihrem Recht tätig werden dürften. Soweit die Art und Weise der Vollstreckung einer Festsetzung von Details bedarf, obliegt dies den Gerichten des Vollstreckungsmitgliedstaats. 7 Ein wesentliches Vollstreckungshindernis bestimmt hingegen Abs 2 S 2. Die Vollstreckungs-

fähigkeit einer für vollstreckbar erklärten oder nach Art 41, 42 vollstreckbaren Entscheidung ist auch in zeitlicher Hinsicht ebenso begrenzt wie die Vollstreckungsfähigkeit einer inländischen Entscheidung des Vollstreckungsmitgliedstaates. Unabhängig davon, ob die Entscheidung für vollstreckbar erklärt wurde oder ob sie aufgrund einer Bescheinigung nach Art 41, 42 vollstreckbar ist, entfällt die Vollstreckbarkeit, wenn später eine vollstreckbare Entscheidung ergeht, mit der die ursprüngliche Entscheidung unvereinbar ist. So klar die ratio dieser auf Sorge- insbesondere Umgangsregelungen zugeschnittenen Bestimmung ist, so unklar sind ihre verfahrensrechtlichen Auswirkungen. Sie kann offenbar nicht als autonome Regelung zum Entfall der Vollstreckungsfähigkeit verstanden werden. Im Kontext der Durchführung des Vollstreckungsverfahrens lege fori wird die Bestimmung am ehesten dahingehend zu verstehen sein, dass jeder Mitgliedstaat nach Maßgabe seines Vollstreckungsrechts befugt ist, einer überholten Entscheidung die Vollstreckungsfähigkeit zu nehmen. Während dies im System der Vollstreckbarerklärung unzweifelhaft war,5 ist es für das System des europäischen Umgangstitels einer Klarstellung wert. Der nach Art 41, 42 vollstreckbare Umgangstitel ist also gegenüber späteren Entscheidungen nicht aufgrund seiner besonderen Art der Vollstreckbarkeit abänderungsfest.6 5

6

368

AA Zöller/Geimer Rn 7: Entfall der Vollstreckbarkeit durch nach Vollstreckbarerklärung ergangene inländische Titel nur unter den Voraussetzungen der Art 23 lit e, f iVm § 34 IntFamRVG analog. Vgl dazu auch Art 41 Rn 10.

Oktober 2014

Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 48 Brüssel IIa-VO

Die Vollstreckung einer Rückgabeentscheidung nach Art 11 Abs 8, Art 42 kann nicht nach 8 Abs 2 S 2 wegen einer entgegenstehenden jüngeren Entscheidung aus dem Vollstreckungsmitgliedstaat verweigert werden, weil es in der Konstellation des Art 11 Abs 8 an der Zuständigkeit der dortigen Gerichte in der Hauptsache fehlt.7 Entgegenstehen kann jedoch eine jüngere Entscheidung der (weiterhin) zuständigen Gerichte im Ursprungsmitgliedstaat.8

Artikel 48: Praktische Modalitäten der Ausübung des Umgangsrechts (1) Die Gerichte des Vollstreckungsmitgliedstaats können die praktischen Modalitäten der Ausübung des Umgangsrechts regeln, wenn die notwendigen Vorkehrungen nicht oder nicht in ausreichendem Maße bereits in der Entscheidung der für die Entscheidung der in der Hauptsache zuständigen Gerichte des Mitgliedstaats getroffen wurden und sofern der Wesensgehalt der Entscheidung unberührt bleibt. (2) Die nach Absatz 1 festgelegten praktischen Modalitäten treten außer Kraft, nachdem die für die Entscheidung in der Hauptsache zuständigen Gerichte des Mitgliedstaats eine Entscheidung erlassen haben.

I. Festsetzung der Modalitäten von Umgangsentscheidungen (Abs 1) 1. Anwendungsbereich Die neu in die Brüssel IIa-VO aufgenommene Bestimmung steht im Zusammenhang mit 1 dem System der unmittelbaren Vollstreckung von Umgangs- und Herausgabeentscheidungen nach Art 40 ff sowie dem Prinzip der Durchführung des Vollstreckungsverfahrens lege fori (Art 47). Im Rahmen des Vollstreckbarerklärungsverfahrens nach Art 28 ff entsprach es schon bisher 2 der Praxis, dass das für die Klauselerteilung zuständige Gericht den Titel aus dem Ursprungsmitgliedstaat so modifizieren konnte, dass seine Tenorierung einen im Inland vollstreckungsfähigen Inhalt erhielt.1 Diese Praxis bestätigt Abs 1 jedoch nicht nur, sondern schafft die Voraussetzungen dafür, dass auch bei Titeln, die nach Art 40 ff der Vollstreckbarerklärung nicht mehr bedürfen, eine solche Modifikation möglich wird. Andernfalls würde die angestrebte Beschleunigung darin enden, dass die Vollstreckung nicht möglich ist.2 2. Festsetzung der Modalitäten Nach Abs 1 können die Gerichte des Vollstreckungsmitgliedstaates praktische Modalitäten 3 der Ausübung des Umgangsrechts regeln. Dies setzt voraus, dass in dem vollstreckbaren Titel diese Modalitäten aus Sicht des Vollstreckungsrechts des Vollstreckungsmitgliedstaates nicht oder nicht ausreichend geregelt sind, um die Zwangsvollstreckung zu ermöglichen. 7 8 1 2

EuGH v 1.7.2010 – Rs C-211/10 Povse/Alpago, FamRZ 2010, 1229, 1233. EuGH v 1.7.2010 – Rs C-211/10 Povse/Alpago, FamRZ 2010, 1229, 1233. Zu Problemen der Tenorierung ausländischer Umgangstitel Heß IPRax 2000, 361, 362. NK-BGB/Andrae Rn 1.

Thomas Rauscher

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Art 49 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Abs 1 schafft hingegen keine originäre Regelungszuständigkeit3 und auch keine Änderungsbefugnisse.4 Aus deutscher Sicht erlaubt Abs 1 insbesondere die Konkretisierung von unbestimmten Umgangstiteln, in denen zB nur ein wöchentlicher Umgang ohne Zeitbestimmung getroffen ist, eine Feiertagsregelung fehlt oder ein Ferienumgang ohne Angabe des Zeitraums geregelt ist. Auch der Umgangsort5 und Modalitäten des Holens und Bringens des Kindes sind im Rahmen von Abs 1 ergänzungsfähig. 4 Zuständig für die Ausübung dieser Befugnisse ist im Rahmen der Art 28 ff das nach §§ 10 ff

IntFamRVG für die Vollstreckbarerklärung zuständige Familiengericht. Für nach Art 41 und 42 vollstreckbare Titel ist ebenfalls das nach §§ 10 ff IntFamRVG für die Zwangsvollstreckung zuständige Familiengericht zur Modifikation befugt. II. Außerkrafttreten (Abs 2) 5 Abs 2 sichert den Entscheidungsvorrang der in der Hauptsache zuständigen Gerichte. Re-

gelungen zu praktischen Modalitäten treten außer Kraft, sobald die nach Art 8 ff zuständigen Gerichte insoweit detaillierte Regelungen getroffen haben. Bedarf der entsprechende Titel der Vollstreckbarerklärung (Art 28 ff), so kann diese Wirkung jedoch erst eintreten, wenn der jeweils neue Titel im Vollstreckungsmitgliedstaat für vollstreckbar erklärt wurde.

Artikel 49: Kosten Die Bestimmungen dieses Kapitels mit Ausnahme der Bestimmungen des Abschnitts 4 gelten auch für die Festsetzung der Kosten für die nach dieser Verordnung eingeleiteten Verfahren und die Vollstreckung eines Kostenfestsetzungsbeschlusses.

I. Einbeziehung von Kostentiteln in Anerkennung und Vollstreckung 1 1. Die – ohne Inhaltsänderung aus Art 13 Abs 2 Brüssel II-VO übernommene – Regelung

bezieht ausdrücklich Entscheidungen über die Kostenfestsetzung in das Anerkennungsund Vollstreckungssystem der Art 28 ff ein. Eine Vollstreckung aufgrund Bescheinigung nach Art 40 ff kommt, was die Worte „mit Ausnahme der Bestimmungen des Abschnitts 4“ klarstellen, für Kostentitel nicht in Betracht. Das gilt auch, wenn es sich um Kostentitel in Umgangs- und Herausgabesachen handelt.1 2 Erfasst sind jedoch nur Kostenfestsetzungen für Entscheidungen im Anwendungsbereich der

VO,2 also solche in Ehesachen, wo die Kostenfestsetzung den einzigen nach der VO vollstreckbaren Tenor bedeutet sowie in Sorgerechtssachen. 3 2. Erfasst sind nur Entscheidungen über die Festsetzung von Kosten sowie Kostenfest3 4 5 1 2

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Kommission, Leitfaden 36. Hof Arnhem NIPR 2010, 480, 482. Hof Arnhem NIPR 2010, 480, 482. NK-BGB/Andrae Rn 1. BGH FamRZ 2005, 1540, 1545.

Oktober 2014

Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 49 Brüssel IIa-VO

setzungsbeschlüsse. Dies betrifft einerseits die Verteilung der Kosten zwischen den Parteien, andererseits die Festsetzung der konkreten Höhe der einer Partei von der anderen zu erstattenden Kosten. Nicht erfasst sind hingegen Beschlüsse, welche die Vergütung des eigenen Anwalts im Verhältnis zur vertretenen Partei festsetzen.3 II. Reichweite 1. Fraglich ist, ob auch die Kosten für eine die Statusänderung ablehnende Entscheidung 4 unter Art 49 fallen, da solche Entscheidungen im Sachausspruch nicht nach der VO anerkennungsfähig sind. Die Einbeziehung der zugehörigen Kostenentscheidung ist hingegen geboten. Nicht zwingend erscheint zwar das Argument, es komme sonst zu einer Lücke in der Freizügigkeit von Kostenentscheidungen; eine die Auslegung beeinflussende Lücke kann nur angenommen werden, wenn die VO im Kontext mit anderen europarechtlichen Instrumenten die Funktion übernommen hat, auch Kostenentscheidungen flächendeckend verkehrsfähig zu machen, was angesichts des lückenhaften Anerkennungssystems nicht ohne weiteres feststellbar ist. Für Kostenentscheidungen dieses Typs fällt jedoch das zugrundeliegende Verfahren als solches durchaus in den Anwendungsbereich der VO. Die Anerkennung der Sachentscheidung ist lediglich aus teleologischen Gründen zur Vermeidung von Präklusionswirkungen ausgeschlossen, was aber der (positiven) Anerkennung des Kostenausspruchs nicht entgegensteht.4 2. Fraglich ist auch, ob die Kostenentscheidung, soweit sie sich auf Verbundsachen bezieht, 5 die nicht der VO unterfallen, in die Anerkennung nach der VO einzubeziehen ist. Würde über diese Materien in einem isolierten Verfahren entschieden, so beurteilte sich die Anerkennung nicht nach der VO, sondern ggf nach den insoweit nicht verdrängten Haager Übereinkommen von 1954 über den Zivilprozess und von 1980 über die Erleichterung des internationalen Zugangs zu den Gerichten (Art 60 Abs 1, Art 59 Abs 1).5 Besteht zwischen den beteiligten Staaten keine Bindung nach diesen Übereinkommen oder ergibt sich keine Anerkennungsfähigkeit, so besteht kein Grund, den Kostengläubiger unter dem unspezifischen Ziel der Verkehrsfähigkeit von Kostenentscheidungen besser zu stellen. Es ist daher bei Verbundentscheidungen zu differenzieren: Soweit sich aus der Entscheidung 6 unter Zuhilfenahme der Gründe abtrennbare Kosten für nicht der VO unterliegende Folgesachen ergeben, nehmen diese an der Anerkennung nicht teil.6 Sind nicht abtrennbare Kosten, jedoch aufteilbare Streitwerte mitgeteilt, so sind die Kosten verhältnismäßig auf die Streitwerte aufzuteilen und nur die Kosten der Ehe- und Sorgesache in Art 49 einbezogen.7

3 4

5 6

7

NK-BGB/Andrae Rn 2. NK-BGB/Andrae Rn 2; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 3; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 1; Zöller/Geimer Rn 2; kritisch Geimer/Schütze/Paraschas Rn 2. Borrás-Bericht Nr 2. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 3; Geimer/Schütze/Paraschas Rn 3; aA Zöller/Geimer Rn 3; Thomas/ Putzo/Hüßtege Rn 1. Die Frage ist nicht ohne Bedeutung: Während zB die Streitwertanteile des Versorgungsausgleichs und einer Hausratsentscheidung relativ geringfügig ins Gewicht fallen, wäre es völlig unangebracht, die Kosten eines im Verbund mitentschiedenen Zugewinnausgleichs, der den Streitwert der Ehesache bei weitem übersteigen kann, in die Anerkennung und Vollstreckung nach der VO einzubeziehen.

Thomas Rauscher

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Art 50 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Nur wenn und soweit eine Abtrennung der Kosten für eine Folgesache nicht möglich ist, untersteht die Kostenentscheidung insgesamt Art 49.8

Artikel 50: Prozesskostenhilfe Wurde dem Antragsteller im Ursprungsmitgliedstaat ganz oder teilweise Prozesskostenhilfe oder Kostenbefreiung gewährt, so genießt er in dem Verfahren nach den Artikeln 21, 28, 41, 42 und 48 hinsichtlich der Prozesskostenhilfe oder der Kostenbefreiung die günstigste Behandlung, die das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats vorsieht.

I. Reichweite 1 Die Bestimmung – mit redaktionellen Änderungen und Anpassung an die weiteren Ver-

fahren nach der VO übernommen aus Art 30 Brüssel II-VO – entspricht inhaltlich Art 50 Brüssel I-VO.1 Sie gewährt dem Antragsteller Meistbegünstigung hinsichtlich von Kostenbefreiungs- und Prozess- bzw Verfahrenskostenhilfevorschriften im Vollstreckungsmitgliedstaat. Erfasst sind alle Verfahren nach Art 21, 28, 41, 42 und 48, also das selbstständige Anerkennungsverfahren (Art 21 Abs 3), das Vollstreckbarerklärungsverfahren (Art 28), das Bescheinigungsverfahren (Art 41, 42) sowie das Verfahren zur Bestimmung der Modalitäten des Umgangsrechts (Art 48).2 Für die Rechtsbehelfsverfahren nach Art 33 und 34 gilt die Regelung nicht; hier kann der Antragsteller (und andere Beteiligte) nur nach den im Vollstreckungsmitgliedstaat geltenden Bestimmungen Kostenbefreiung oder Prozess- bzw Verfahrenskostenhilfe erhalten.3 II. Umfang der Kostenhilfe im Vollstreckungsmitgliedstaat

2 1. Voraussetzung ist, dass dem Antragsteller im Ursprungsmitgliedstaat der Entscheidung

ganz oder teilweise Prozess- bzw Verfahrenskostenhilfe oder Kostenbefreiung nach den dort geltenden Bestimmungen gewährt wurde. Entscheidend ist nur die tatsächlich gewährte Bewilligung, ob diese zu Recht erfolgte, ist nicht zu prüfen. 3 2. Rechtsfolge ist die Gewährung von Prozess- bzw Verfahrenskostenhilfe oder Kosten-

befreiung nach dem Maßstab der günstigsten Behandlung im Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates. Der Antragsteller erhält also kraft Gesetzes, ohne ein lege fori sonst erforderliches Bewilligungsverfahren, die nach diesem Recht inhaltlich günstigste Behandlung, vor deutschen Gerichten zB Verfahrenskostenhilfe ohne Eigenbeteiligung unter Beiordnung eines Rechtsanwalts.4 Das gilt auch dann, wenn er im Ursprungsmitgliedstaat Kostenhilfe nur teilweise erhalten hat.5

8 1 2 3 4 5

372

BGH FamRZ 2005, 1540, 1545. Vgl auch Rauscher/Mankowski Art 50 Brüssel I-VO. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 2; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 1. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 4. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 3. Kropholler/von Hein EuZPR Rn 3.

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Kapitel III: Anerkennung und Vollstreckung

Art 51 Brüssel IIa-VO

Sieht das Recht dieses Staates solche Rechtsinstitute für mittellose Parteien nicht vor, so 4 geht die Regelung ins Leere.

Artikel 51: Sicherheitsleistung, Hinterlegung Der Partei, die in einem Mitgliedstaat die Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung beantragt, darf eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung, unter welcher Bezeichnung es auch sei, nicht aus einem der folgenden Gründe auferlegt werden: a) weil sie in dem Mitgliedstaat, in dem die Vollstreckung erwirkt werden soll, nicht ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder b) weil sie nicht die Staatsangehörigkeit dieses Staates besitzt oder, wenn die Vollstreckung im Vereinigten Königreich oder in Irland erwirkt werden soll, ihr „domicile“ nicht in einem dieser Mitgliedstaaten hat.

I. Verbot der Ausländersicherheit 1. Die – zu Art 31 Brüssel II-VO wortgleiche – Bestimmung verbietet, trotz sprachlich 1 größeren Aufwands inhaltlich in Übereinstimmung mit Art 51 Brüssel I-VO, den Vertragsstaaten die Auferlegung von Sicherheitsleistung oder Hinterlegung gegenüber dem ausländischen Antragsteller, der die Vollstreckbarerklärung begehrt. Die Bestimmung gilt nur für das Exequaturverfahren und ist nicht auf das Anerkennungsfeststellungsverfahren nach Art 21 Abs 3 anzuwenden.1 2. Erfasst sind unabhängig von der Bezeichnung alle Formen der Sicherung, die einer 2 Partei abverlangt werden, weil sie in dem Vollstreckungsmitgliedstaat nicht ihren gewöhnlichen Aufenthalt (lit a) hat oder nicht die Staatsangehörigkeit dieses Staates, bzw im UK oder Irland ihr domicile dort hat (lit b). Verboten ist damit jede Form der cautio iudicatum solvi.2 3. Da die Anordnung von Ausländersicherheit gegenüber EU-Bürgern ohnehin gegen das 3 Diskriminierungsverbot (Art 18 AEUV) verstieße, hat die Bestimmung eigenständige Bedeutung nur für Antragsteller mit Drittstaatenangehörigkeit, da das Verbot alle Fälle der Vollstreckbarerklärung unter Art 28 ff sowie der Vollstreckung nach Art 40 ff erfasst, also auf die Herkunft der Entscheidung und nicht des Antragstellers abstellt. II. Sonstige Sicherheitsleistung, Kosten 1. Nicht diskriminierende Bestimmungen, die dem Vollstreckungs-Antragsteller Sicher- 4 heitsleistung unabhängig von den in lit a und lit b genannten Kriterien (Aufenthalt etc) abverlangen, bleiben unberührt.3

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Geimer/Schütze/Paraschas Rn 2; aA NK-BGB/Andrae Rn 1. Borrás-Bericht Nr 101. MünchKommFamFG/Gottwald Rn 3; vgl Rauscher/Mankowski Art 51 Brüssel I-VO.

Thomas Rauscher

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Art 52 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

5 2. Ein Art 52 Brüssel I-VO entsprechendes Verbot streitwertabhängiger Gebühren oder

Stempelabgaben enthält die VO nicht, was vor dem Hintergrund erklärbar ist, dass in Sorgesachen abgestufte Streitwerte regelmäßig nicht vorstellbar sind. 6 Soweit die Vollstreckung eine Kostenentscheidung betrifft, greift jedoch der Zweck des

Art 52 Brüssel I-VO, Vollstreckungshemmnisse zu verhindern, auch hier ein, weshalb Art 52 Brüssel I-VO insoweit analog angewendet werden sollte.

Artikel 52: Legalisation oder ähnliche Förmlichkeit Die in den Artikeln 37, 38 und 45 aufgeführten Urkunden sowie die Urkunde über die Prozessvollmacht, falls eine solche erteilt wird, bedürfen weder der Legalisation noch einer ähnlichen Förmlichkeit.

1 1. Die – abgesehen von der Änderung der Normverweise unverändert aus Art 35 Brüssel

II-VO übernommene – Bestimmung stimmt mit Art 56 Brüssel I-VO überein. Sie befreit die nach Art 37, 38 und 45 vorzulegenden Urkunden sowie eine Urkunde über eine Vollmacht im Rahmen des Exequaturverfahrens (Art 28 ff) von jedem Erfordernis der Legalisation, also insbesondere der Apostille oder der Legalisation iSd § 438 Abs 2 ZPO. Soweit es sich um öffentliche Urkunden handelt, haben diese per se auch im Vollstreckungsmitgliedstaat die Beweiskraft öffentlicher Urkunden.

2 Dass Art 39, ehemals Art 33 Brüssel II-VO, anders als in der entsprechenden Bestimmung

des Art 35 Brüssel II-VO nicht mehr genannt ist, beruht gewiss auf einem Redaktionsversehen. Auch die Bescheinigungen nach Art 39, Anhang I und II bedürfen keiner Legalisation. Ebenso bedeutet es keine inhaltliche Änderung, dass auf Art 38 insgesamt und nicht lediglich, was richtiger wäre, auf Art 38 Abs 2 verwiesen wird. 3 2. Art 52 stellt hingegen nicht Privaturkunden einer ausländischen öffentlichen Urkunde

gleich. Bedarf es lege fori der Erteilung einer Prozessvollmacht durch öffentliche Urkunde, so befreit Art 52 diese von der Legalisation, wertet aber nicht eine bloße privatschriftliche Vollmacht auf.

Kapitel IV: Zusammenarbeit zwischen den zentralen Behörden bei Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung Artikel 53: Bestimmung der Zentralen Behörden Jeder Mitgliedstaat bestimmt eine oder mehrere Zentrale Behörden, die ihn bei der Anwendung dieser Verordnung unterstützen, und legt ihre räumliche oder sachliche Zuständigkeit fest. Hat ein

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Kapitel IV: Zusammenarbeit zwischen den zentralen Behörden

Art 53 Brüssel IIa-VO

Mitgliedstaat mehrere Zentrale Behörden bestimmt, so sind die Mitteilungen grundsätzlich direkt an die zuständige Zentrale Behörde zu richten. Wurde eine Mitteilung an eine nicht zuständige Zentrale Behörde gerichtet, so hat diese die Mitteilung an die zuständige Zentrale Behörde weiterzuleiten und den Absender davon in Kenntnis zu setzen.

I. Einrichtung Zentraler Behörden Die Schaffung zentraler Behörden ist im Rahmen einer Zuständigkeits- und Anerkennungs- 1 VO vom Typ „Brüssel“ neu. Sie ist dem Umstand geschuldet, dass durch die Erstreckung auf Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung Kommunikationsbedarf zwischen den Gerichten und Behörden der Mitgliedstaaten entstanden ist. Hierzu übernehmen Art 53 bis 58 das im Rahmen des HKindEntfÜbk entwickelte und in das Haager KSÜ übertragene System der Zentralen Behörden. Idealiter sollten die Behörden nach Art 53 mit denen nach den Haager Übereinkommen identisch sein.1 Die Einrichtung mehrerer Zentraler Behörden ist zulässig. Art 53 S 2, 3 gehen implizit vom Prinzip des (nicht-diplomatischen) direkten Verkehrs der 2 Zentralen Behörden verschiedener Mitgliedstaaten untereinander aus. Die Mitgliedstaaten haben hierbei einen Gestaltungsspielraum.2 Die den Zentralen Behörden obliegende Unterstützung in Durchführung der Verordnung ist weit zu verstehen. Sie kann insbesondere auch instrumentalisiert werden, um Informationen über ein erforderliches Eingreifen von Gerichten und Behörden in Angelegenheiten der elterlichen Verantwortung auszutauschen.3 II. Zentrale Behörde in der Bundesrepublik Deutschland Deutschland hat in diesem Fall nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, mehrere 3 Zentrale Behörden in den Bundesländern einrichten zu lassen. Zentrale Behörde iSd Art 53 ist seit dem 1.1.2007 das Bundesamt für Justiz, das zugleich Zentrale Behörde nach Art 6 HKindEntfÜbk und Art 2 europäisches Sorgerechtsübereinkommen ist (§ 3 Abs 1 IntFamRVG4). § 6 Abs 1 IntFamRVG bestimmt ausdrücklich den unmittelbaren Verkehr der Zentralen Behörde in Deutschland mit zuständigen Stellen im In- und Ausland, was auch den unmittelbaren Verkehr mit Gerichten in anderen Mitgliedstaaten ohne Vermittlung der dortigen Zentralen Behörde einschließt.

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So der Wunsch der Kommission, Leitfaden 55. EuGH v 26.4.2010 – Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466 = IPRax 2013, 431, 436 Rn 77. EuGH v 2.4.2009 – Rs C-523/07 A, FamRZ 2009, 843, 846; Information der nach Art 8 zuständigen Gerichte über einstweilige Maßnahmen und das Erfordernis einer dauerhaften Anschlussregelung. IdF durch Art 4 Abs 11 des Gesetzes zur Errichtung und zur Regelung der Aufgaben des Bundesamts für Justiz vom 17.12.2006, BGBl 2006 I 3171.

Thomas Rauscher

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Art 54 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Artikel 54: Allgemeine Aufgaben Die Zentralen Behörden stellen Informationen über nationale Rechtsvorschriften und Verfahren zur Verfügung und ergreifen Maßnahmen, um die Durchführung dieser Verordnung zu verbessern und die Zusammenarbeit untereinander zu stärken. Hierzu wird das mit der Entscheidung 2001/470/EG eingerichtete Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen genutzt.

1 Die Bestimmung regelt als allgemeine Aufgaben der Zentralen Behörden die Bereitstellung

von Informationen über nationale Vorschriften sowie generelle Maßnahmen zur Verbesserung der Durchführung der VO1 und der Zusammenarbeit. Die Integration der Zentralen Behörden in das Justizielle Netz soll dazu genutzt werden, bei regelmäßigen Treffen die Anwendung der VO zu erörtern und Lösungen für allgemeine Problemstellen zu suchen.2 Umfangreicher und auch erheblich kostenintensiver3 dürfte allerdings die Mitwirkung in individuellen Verfahren sein (dazu Art 55).

Artikel 55: Zusammenarbeit in Fällen, die speziell die elterliche Verantwortung betreffen Die Zentralen Behörden arbeiten in bestimmten Fällen auf Antrag der Zentralen Behörde eines anderen Mitgliedstaats oder des Trägers der elterlichen Verantwortung zusammen, um die Ziele dieser Verordnung zu verwirklichen. Hierzu treffen sie folgende Maßnahmen im Einklang mit den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats, die den Schutz personenbezogener Daten regeln, direkt oder durch Einschaltung anderer Behörden oder Einrichtungen: a) Sie holen Informationen ein und tauschen sie aus über i) die Situation des Kindes, ii) laufende Verfahren oder iii) das Kind betreffende Entscheidungen. b) Sie informieren und unterstützen die Träger der elterlichen Verantwortung, die die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung, insbesondere über das Umgangsrecht und die Rückgabe des Kindes, in ihrem Gebiet erwirken wollen. c) Sie erleichtern die Verständigung zwischen den Gerichten, insbesondere zur Anwendung des Artikels 11 Absätze 6 und 7 und des Artikels 15. d) Sie stellen alle Informationen und Hilfen zur Verfügung, die für die Gerichte für die Anwendung des Artikels 56 von Nutzen sind. e) Sie erleichtern eine gütliche Einigung zwischen den Trägern der elterlichen Verantwortung durch Mediation oder auf ähnlichem Wege und fördern hierzu die grenzüberschreitende Zusammenarbeit.

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EuGH v 26.4.2012 – Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466 = IPRax 2013, 431, 436 Rn 75. Kommission, Leitfaden 55. Zur geschätzten erforderlichen Ausstattung der Zentralen Behörde BT-Drs 15/3981, 19.

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Kapitel IV: Zusammenarbeit zwischen den zentralen Behörden

Art 56 Brüssel IIa-VO

I. Zusammenarbeit in individuellen Fällen, die elterliche Verantwortung betreffend Die Bestimmung sieht eine Einschaltung der Zentralen Behörden beider beteiligter Mit- 1 gliedstaaten in individuellen Verfahren, welche die elterliche Verantwortung betreffen, nach dem Vorbild der Art 31, 32 KSÜ vor. Die Aufgaben reichen von der Vermittlung von Informationen (lit a: zur Situation des Kindes, laufenden Verfahren, das Kind betreffende Entscheidungen1), über die Vermittlung der Zusammenarbeit der Gerichte (lit c: insbesondere im Verfahren nach Verweigerung der Rückgabe eines entführten Kindes gemäß Art 11 Abs 6 und 7 sowie im Rahmen der Verweisung an ein forum conveniens nach Art 15), hin zum unmittelbaren Tätigwerden durch Information und Beratung der Träger elterlicher Verantwortung in Fragen der Anerkennung und Vollstreckung sowie Kindesrückgabe (lit b) sowie dem mediativen Einwirken auf eine gütliche Einigung (lit e). Aufgabe der Zentralen Behörde ist es auch, Gerichten in anderen Mitgliedstaaten die nach Art 56 zuständige Behörde mitzuteilen.2 Gerade im mediativen Sektor sollten die eigenen (personellen) Möglichkeiten der Zentralen 2 Behörden allerdings nicht überschätzt werden.3 Diese Aufgaben nimmt die Zentrale Behörde nicht notwendig durch eigenes Personal wahr; vorrangige Aufgabe wird es sein, unmittelbares Zusammenwirken der Gerichte mit dem Ziel gütlicher Einigung auf dieser Ebene zu fördern. S 1 sieht daher ausdrücklich die Einschaltung anderer Gerichte und Behörden vor.4 § 6 Abs 1 IntFamRVG bestätigt dies für das deutsche Recht. II. Tätigwerden Die Zentralen Behörden werden in individuellen Verfahren nur auf Antrag der Zentralen 3 Behörde eines anderen Mitgliedstaates in laufenden Verfahren tätig (S 1). Anders als nach dem HKindEntfÜbk und dem Europäischen SorgerechtsÜbk ist die Einleitung von Verfahren durch die Zentralen Behörden nicht vorgesehen.5

Artikel 56: Unterbringung des Kindes in einem anderen Mitgliedstaat (1) Erwägt das nach den Artikeln 8 bis 15 zuständige Gericht die Unterbringung des Kindes in einem Heim oder in einer Pflegefamilie und soll das Kind in einem anderen Mitgliedstaat untergebracht werden, so zieht das Gericht vorher die Zentrale Behörde oder eine andere zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats zurate, sofern in diesem Mitgliedstaat für die innerstaatlichen Fälle der Unterbringung von Kindern die Einschaltung einer Behörde vorgesehen ist. (2) Die Entscheidung über die Unterbringung nach Absatz 1 kann im ersuchenden Mitgliedstaat nur 1

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Kritisch im Hinblick auf die Wahrung datenschutzrechtlicher Bestimmungen des nationalen Rechts die deutsche Delegation: Rat der Europäischen Union, Vermerk der deutschen Delegation, 21.3.2003, 7730/03, 14. EuGH v 26.4.2012 – Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466 = IPRax 2013, 431, 436 Rn 83. Die Kommission, Leitfaden 55 betont insbesondere diese, gewiss zeitaufwendige und wohl nur selten durch die Zentrale Behörde zu verwirklichende Aufgabe. Kommission, Leitfaden 55. BT-Drs 15/3981, 19.

Thomas Rauscher

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Art 56 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

getroffen werden, wenn die zuständige Behörde des ersuchten Staates dieser Unterbringung zugestimmt hat. (3) Für die Einzelheiten der Konsultation bzw. der Zustimmung nach den Absätzen 1 und 2 gelten das nationale Recht des ersuchten Staates. (4) Beschließt das nach den Artikeln 8 bis 15 zuständige Gericht die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie und soll das Kind in einem anderen Mitgliedstaat untergebracht werden und ist in diesem Mitgliedstaat für die innerstaatlichen Fälle der Unterbringung von Kindern die Einschaltung einer Behörde nicht vorgesehen, so setzt das Gericht die Zentrale Behörde oder eine zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats davon in Kenntnis.

I. Einschaltung der Behörden bei Unterbringung eines Kindes 1 1. Die Bestimmung regelt die Einschaltung der Behörden – nicht notwendig der Zentralen

Behörden – eines Mitgliedstaates (Unterbringungsmitgliedstaat), in dem das nach Art 8 bis 15 zuständige Gericht eines anderen Mitgliedstaates (Entscheidungsmitgliedstaat) ein Kind in einem Heim oder einer Pflegefamilie unterbringen will. In einem solchen Fall ist zwingend1 die Zentrale Behörde des Unterbringungsmitgliedstaates oder eine sonstige zuständige Behörde zu konsultieren,2 wenn nach dem Recht des Unterbringungsmitgliedstaates die Einschaltung einer Behörde für innerstaatliche Fälle der Unterbringung vorgesehen ist (Abs 1). Maßgeblich ist also die lex fori des Unterbringungsmitgliedstaates. Da deren Zuständigkeitsregeln für das ausländische Gericht oft schwer zugänglich sein werden, kommt auch hier faktisch die Einschaltung der Zentralen Behörde als einfachster Weg in Betracht.

2 2. Die Erforderlichkeit der behördlichen Mitwirkung iSd Abs 1 letzter Hs muss in jedem

Mitgliedstaat klar geregelt sein.3 Im deutschen Recht und damit für eine Unterbringung in Deutschland ergibt sich die Erforderlichkeit der Einschaltung bei Unterbringung, die mit Freiheitsentzug verbunden ist, aus § 1631b BGB, für Pflegefamilien aus § 44 SGB VIII. Entsprechend ist bei Unterbringung in Deutschland die Konsultation nach § 45 ff IntFamRVG in allen von Art 56 Abs 1 genannten Fällen vorgesehen. II. Zustimmungserfordernis (Abs 2, 3) 3 1. Liegen die Voraussetzungen der Konsultation (Abs 1) vor, so kann die Entscheidung

über die Unterbringung nur mit vorheriger4 Zustimmung der zuständigen Behörde des ersuchten Staates (Unterbringungsmitgliedstaates) ergehen (Abs 2), damit die Wirksamkeit der Anordnung der Heimunterbringung gesichert ist.5 Besteht nachträglich Ungewissheit, ob die zuständige Behörde zugestimmt hat, so kommt jedoch eine Heilung durch nachträgliche Einwilligung in Betracht.6 „Behörde“ muss hierbei regelmäßig eine öffentlich1

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EuGH 26.4.2012 – Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, IPRax 2013 431, 436; (in FamRZ 2012, 1466 insoweit gekürzt). VB v Doncaster MBC & Child AB [2012] EWCA Civ 978; Kroll-Ludwigs GPR 2013, 46, 47. EuGH Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466, 1468. EuGH 26.4.2012 – Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466 = IPRax 2013, 431, 436; Kroll-Ludwigs GPR 2013, 46, 47. VB v Doncaster MBC & Child AB [2012] EWCA Civ 978: „to ensure that children at risk are not sent into a transnational void“.

Oktober 2014

Kapitel IV: Zusammenarbeit zwischen den zentralen Behörden

Art 56 Brüssel IIa-VO

rechtliche Stelle sein; die Zustimmung eines zur entgeltlichen Aufnahme bereiten privatrechtlichen Heimes ist nicht Zustimmung iSd Abs 2.7 Die Zustimmung ersetzt jedoch nicht die Vollstreckbarerklärung nach Art 28 ff; eine entsprechende Anwendung von Art 40 ff auf Unterbringungsentscheidungen kommt auch bei Eilbedürftigkeit nicht in Betracht.8 Eine Berechtigung eines anderen Mitgliedstaates, die Unterbringung des Kindes auf seinem Territorium von den Gerichten des entscheidungszuständigen Mitgliedstaates zu verlangen, ergibt sich aus Art 56 nicht.9 2. Für die Einzelheiten von Konsultation und Zustimmung verweist Abs 3 auf die lex fori 4 des Unterbringungsmitgliedstaates.10 In Deutschland liegt die Zuständigkeit für die Erteilung der Zustimmung beim überörtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, also dem Landesjugendamt,11 in dessen Bereich das Kind nach dem Vorschlag der ersuchenden Stelle untergebracht werden soll; andernfalls bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit nach dem engsten Bezug, hilfsweise ist das Land Berlin zuständig (§ 45 IntFamRVG). Das Landesjugendamt wird bei seiner Entscheidung ggf das betroffene örtliche Jugendamt zuziehen.12 Die Kriterien für die Zustimmung im Konsultationsverfahren bestimmt § 46 IntFamRVG; 5 der Prüfungsumfang ist eingeschränkt. Eine umfassende Prüfung der Unterbringungsvoraussetzungen findet nicht statt; geprüft wird nur, ob die Unterbringung des Kindes gerade im Inland geboten und durchführbar ist. Für eine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung enthält § 46 Abs 2 IntFamRVG zusätzliche Ablehnungsgründe, welche die Vereinbarkeit mit Art 104 Abs 2 S 1 GG sicherstellen sollen.13 Die Übernahme der Kosten durch den Entscheidungsmitgliedstaat ist, entgegen einem Änderungsersuchen des Bundesrates,14 nicht zwingende Voraussetzung der Erteilung der Zustimmung, sondern nach § 46 Abs 1 Nr 6 IntFamRVG eine positive Regelvoraussetzung für die Zustimmung. Es sind daher Fälle möglich, in denen die Zustimmung auch ohne die Regelung der Kosten zu erteilen ist.15 Die Zustimmung bedarf der Genehmigung des Familiengerichts (§ 47 Abs 1 IntFamRVG), 6 die durch begründungsbedürftigen, unanfechtbaren Beschluss ergeht (§ 47 Abs 3 IntFamRVG). Das Verfahren ist FG-Familiensache nach § 14 Nr 2 IntFamRVG.16 Örtlich zuständig ist das Familiengericht am Sitz des Oberlandesgerichts, in dessen Zuständigkeitsbereich das Kind untergebracht werden soll, wobei die Bestimmungen über die Zuständig6 7

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EuGH Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466, 1469. EuGH Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466, 1468; Kroll-Ludwigs GPR 2013, 46, 47. EuGH Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466, 1469 f. VB v Doncaster MBC & Child AB [2012] EWCA Civ 978. EuGH 26.4.2012 – Rs C-92/12 PPU Health Service Executive/SC, AC, FamRZ 2012, 1466 = IPRax 2013, 431, 436. Angesichts von mehr als 600 kommunalen Gebietskörperschaften erschien diese Konzentration im Hinblick auf Fälle mit Auslandsbezug sachgerecht, BT-Drs 15/3981, 30. BT-Drs 15/3981, 30. Im Einzelnen BT-Drs 15/3981, 30. BT-Drs 15/3981, 35. Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drs 15/3981, 37. BT-Drs 15/3981, 23.

Thomas Rauscher

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Art 57 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

keitskonzentration (§ 12 Abs 2, 3 IntFamRVG) entsprechend gelten (§ 47 Abs 2 IntFamRVG). III. Unterbringung ohne Zustimmungserfordernis (Abs 4) 7 Nur für Fälle der Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie (nicht bei Heimunter-

bringung), für die die lex fori des Unterbringungsmitgliedstaates die Einschaltung einer Behörde nicht vorsieht, bedarf es lediglich des Informationsverfahrens nach Abs 4. Das Gericht setzt in diesem Fall lediglich die Zentrale Behörde oder eine zuständige Behörde des Unterbringungsmitgliedstaates in Kenntnis. Deren Zustimmung bedarf es nicht.

Artikel 57: Arbeitsweise (1) Jeder Träger der elterlichen Verantwortung kann bei der Zentralen Behörde des Mitgliedstaats, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder bei der Zentralen Behörde des Mitgliedstaats, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder in dem es sich befindet, einen Antrag auf Unterstützung gemäß Artikel 55 stellen. Dem Antrag werden grundsätzlich alle verfügbaren Informationen beigefügt, die die Ausführung des Antrags erleichtern können. Betrifft dieser Antrag die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung, die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt, so muss der Träger der elterlichen Verantwortung dem Antrag die betreffenden Bescheinigungen nach Artikel 39, Artikel 41 Absatz 1 oder Artikel 42 Absatz 1 beifügen. (2) Jeder Mitgliedstaat teilt der Kommission die Amtssprache(n) der Organe der Gemeinschaft mit, die er außer seiner/seinen eigenen Sprache(n) für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zulässt. (3) Die Unterstützung der Zentralen Behörden gemäß Artikel 55 erfolgt unentgeltlich. (4) Jede Zentrale Behörde trägt ihre eigenen Kosten.

I. Einschaltung der Zentralen Behörden durch Träger der elterlichen Verantwortung 1 1. Gemäß Abs 1 kann sich jeder Träger der elterlichen Verantwortung mit einem Antrag

auf Unterstützung nach Art 55 wahlweise an die Zentrale Behörde des Mitgliedstaates wenden, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder in dem das Kind gewöhnlichen bzw schlichten Aufenthalt hat. Hierbei treffen den Antragsteller grundsätzlich Mitwirkungserfordernisse, er hat alle verfügbaren Informationen beizufügen, welche die Ausführung des Antrags erleichtern können (Abs 1 S 2). Hierzu gehören insbesondere bereits ergangene Entscheidungen über die elterliche Verantwortung sowie Stellungnahmen von Behörden der Jugendhilfe. 2 2. Begehrt ein Träger elterlicher Verantwortung Unterstützung bei der Anerkennung und/

oder Vollstreckung einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung, so ist die Beschaffung der erforderlichen Bescheinigungen (nach Art 39 für ein Exequaturverfahren, nach Art 41 Abs 1 oder Art 42 Abs 1 für ein unmittelbares Vollstreckungsverfahren) Sache des Antragstellers; diese Bescheinigungen sind dem Antrag an die Zentrale Behörde beizufügen (Abs 1 S 3).

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Kapitel V: Verhältnis zu anderen Rechtsinstrumenten

Art 59 Brüssel IIa-VO

II. Verfahrensweise 1. Zentrale Behörden müssen nur tätig werden, wenn der an sie gerichtete Antrag in einer 3 nach Abs 2 zugelassenen Sprache verfasst wird. Die zulässigen Sprachen teilen die Mitgliedstaaten gemäß Art 67 lit b der Kommission mit.1 Kosten für die eigene Tätigkeit2 der Zentralen Behörde werden nicht erhoben. Dies gilt 4 sowohl gegenüber dem Antragsteller und anderen Beteiligten (Abs 3) als auch im Verhältnis der Zentralen Behörden untereinander (Abs 4). 2. Die Zentrale Behörde in Deutschland kann es ablehnen, tätig zu werden, solange Mit- 5 teilungen oder beizufügende Schriftstücke nicht in deutscher Sprache abgefasst oder von einer Übersetzung in die deutsche Sprache begleitet sind (§ 4 Abs 1 IntFamRVG). Vermittelt die Zentrale Behörde bei ausgehenden Ersuchen, so veranlasst sie auf Kosten des Antragstellers die Übersetzung, wenn dieser die Übersetzung nicht beschafft (§ 5 Abs 1 IntFamRVG); zur Befreiung von der Erstattungspflicht § 5 Abs 2 IntFamRVG; zur Kostenbemessung – nach JVEG – § 54 IntFamRVG.

Artikel 58: Zusammenkünfte (1) Zur leichteren Anwendung dieser Verordnung werden regelmäßig Zusammenkünfte der Zentralen Behörden einberufen. (2) Die Einberufung dieser Zusammenkünfte erfolgt im Einklang mit der Entscheidung 2001/470/EG über die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen.

Die Bestimmung regelt, anknüpfend an Art 54, die für die Durchführung der dort bestimm- 1 ten allgemeinen Aufgaben notwendige regelmäßige Kommunikation durch regelmäßige Zusammenkünfte im Einklang mit der Einrichtung des Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen.1

Kapitel V: Verhältnis zu anderen Rechtsinstrumenten Artikel 59: Verhältnis zu anderen Rechtsinstrumenten (1) Unbeschadet der Artikel 60, 61, 62 und des Absatzes 2 des vorliegenden Artikels ersetzt diese Verordnung die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bestehenden, zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten geschlossenen Übereinkünfte, die in dieser Verordnung geregelte Bereiche betreffen. 1 2 1

Vgl hierzu den Anhang zu Art 67. Zu Übersetzungskosten sogleich Rn 5. Näher http://europa.eu.int/comm/justice_home/ejn/index_de.htm.

Thomas Rauscher

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Art 59 Brüssel IIa-VO

(2) a) Finnland und Schweden können erklären, dass das Übereinkommen vom 6. Februar 1931 zwischen Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden mit Bestimmungen des internationalen Verfahrensrechts über Ehe, Adoption und Vormundschaft einschließlich des Schlussprotokolls anstelle dieser Verordnung ganz oder teilweise auf ihre gegenseitigen Beziehungen anwendbar ist. Diese Erklärungen werden dieser Verordnung als Anhang beigefügt und im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Die betreffenden Mitgliedstaaten können ihre Erklärung jederzeit ganz oder teilweise widerrufen. b) Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung von Bürgern der Union aus Gründen der Staatsangehörigkeit wird eingehalten. c) Die Zuständigkeitskriterien in künftigen Übereinkünften zwischen den in Buchstabe a) genannten Mitgliedstaaten, die in dieser Verordnung geregelte Bereiche betreffen, müssen mit den Kriterien dieser Verordnung im Einklang stehen. d) Entscheidungen, die in einem der nordischen Staaten, der eine Erklärung nach Buchstabe a) abgegeben hat, aufgrund eines Zuständigkeitskriteriums erlassen werden, das einem der in Kapitel II vorgesehenen Zuständigkeitskriterien entspricht, werden in den anderen Mitgliedstaaten gemäß den Bestimmungen des Kapitels III anerkannt und vollstreckt. (3) Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission a) eine Abschrift der Übereinkünfte sowie der einheitlichen Gesetze zur Durchführung dieser Übereinkünfte gemäß Absatz 2 Buchstaben a) und c), b) jede Kündigung oder Änderung dieser Übereinkünfte oder dieser einheitlichen Gesetze. I. II.

Vorrang vor altrechtlichen Übereinkommen (Abs 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Nordisches Ehesachenübereinkommen v 6.2.1931 (Abs 2) 1. Erklärungen durch Schweden und Finnland (Abs 2 lit a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2. Diskriminierungsverbot, Anpassungsgebot (Abs 2 lit b, c) . . . . . . 10

III. IV.

3. Anerkennung und Vollstreckung schwedischer und finnischer Entscheidungen in anderen Mitgliedstaaten (Abs 2 lit d) . . . . . . . . . . . . 12 Notifikation an die Kommission . . . . . . . . . 14 Keine neuen Ausführungsübereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . 15

I. Vorrang vor altrechtlichen Übereinkommen (Abs 1) 1 1. Die Bestimmung entspricht mit einer Änderung in Abs 2 lit b dem Art 36 Brüssel II-VO.

Abs 1 bestimmt wie Art 69 Brüssel I-VO als Grundprinzip vorbehaltlich besonderer Regelungen in Art 60 ff den Vorrang der VO1 gegenüber den am 1.3.2001, dem Tag des Inkrafttretens der VO, bestehenden bi- und multilateralen Übereinkünften2 zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten. Im Gegensatz zu Art 69 Brüssel I-VO enummeriert Abs 1 diese Übereinkünfte nicht; die Bestimmung bezieht sich jedoch insbesondere, aber nicht ausschließlich, auch auf die in Art 69 Brüssel I-VO genannten Übereinkommen, soweit diese auch den Anwendungsbereich der VO berühren. 2 Der Vorrang gilt für das Zuständigkeits- sowie das Anerkennungs- und Vollstreckungs-

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2

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Gonzales Beilfuss in: Nuyts/Watté (ed), International Civil Litigation in Europe and Relations with Third States (2005) 493, 498. Andrae ERA-Forum 2003, 28, 29.

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Kapitel V: Verhältnis zu anderen Rechtsinstrumenten

Art 59 Brüssel IIa-VO

system grundsätzlich auch dann, wenn nach den völkervertraglichen Übereinkommen günstigere Anerkennungs- und Vollstreckungsregeln bestünden.3 2. Der Vorrang ist sachlich und zeitlich begrenzt. Die VO ersetzt die Übereinkommen nur 3 hinsichtlich der in Art 1 Abs 1 genannten Bereiche. Für Bereiche, die weder von Brüssel I noch von Brüssel II erfasst sind, bleiben diese Übereinkommen in Kraft (Art 62 Abs 1). Die VO ersetzt die Übereinkommen auch nur, soweit der zeitliche Anwendungsbereich der 4 VO (Art 64) für das konkrete Verfahren (Zuständigkeit) oder die konkrete Entscheidung (Anerkennung, Vollstreckung) eröffnet ist. Dies ergibt sich zwar nicht mehr ausdrücklich aus der VO (vgl dagegen Art 38 Abs 2 Brüssel II-VO),4 jedoch im Umkehrschluss aus Art 64, der den zeitlichen Anwendungsbereich der VO mit Rücksicht auf die vorangegangene Brüssel II-VO komplexer regelt. Der Vorrang der VO erfasst damit ohne weiteres seit dem 1.3.2005 eingeleitete Verfahren, er erfasst nie vor dem 1.3.2001 ergangene Entscheidungen und nur nach Maßgabe von Art 64 Abs 2 bis 4 Entscheidungen, die seit dem 1.3.2001 bzw seit dem 1.3.2005 ergangen sind, jedoch auf Verfahren beruhen, die vor einem oder beiden dieser Stichtage eingeleitet wurden. 3. Der Vorrang ist auch räumlich begrenzt. Die VO ersetzt die Übereinkommen nur in 5 ihrem räumlichen Anwendungsbereich. Dies mit der Formel „in den wechselseitigen Beziehungen der Mitgliedstaaten“5 zu erfassen, erscheint zumindest missverständlich. Soweit Gegenstand des verdrängten Übereinkommens die Anerkennung und Vollstreckung ist, bezieht sich der Vorrang der VO in der Tat auf die Anerkennung von Entscheidungen aus Mitgliedstaaten in anderen Mitgliedstaaten. Soweit Übereinkommen jedoch Zuständigkeitsregeln enthalten,6 werden sie verdrängt, so- 6 weit der durch Art 6, 7 und 14 bestimmte räumliche Anwendungsbereich der Zuständigkeitsbestimmungen der VO reicht; ein in anderer Weise definiertes Verhältnis zwischen Mitgliedstaaten muss nicht hinzutreten. Soweit die VO gegenüber der lex fori nicht ausschließlich ist (Art 6 bzw Art 14 e contrario), verdrängt sie auch nicht völkervertragliche Übereinkommen. 4. Aus deutscher Sicht kommen die in Art 69 Brüssel I-VO genannten Übereinkommen in 7 Betracht,7 sowie das Abkommen zwischen der BRep Deutschland und dem UK.8 Alle anderen die Materie der VO betreffenden völkervertraglichen Übereinkommen, an denen Deutschland beteiligt ist, sind in Art 60 geregelt. 3

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Was allerdings im Rahmen der Übereinkommen, die Art 59 unterfallen, kaum der Fall sein wird; vgl aber die unter Art 60, 61 fallenden Haager Übereinkommen, dazu Borrás-Bericht Nr 115. Borrás-Bericht Nr 110; Schack RabelsZ 65 (2001) 630; kritisch Jänterä-Jareborg YB PIL 1999, 28 wegen der damit verbundenen Perpetuierung der Anerkennungsprobleme bei Alt-Entscheidungen. So Jänterä-Jareborg YB PIL 1999, 28. Wie es beim Nordischen Ehesachenübereinkommen der Fall wäre, vgl dazu Abs 2, unten Rn 8 ff. Deutsch-italienisches Abkommen v 9.3.1936, RGBl 1937 II 145; deutsch-belgisches Abkommen v 30.6. 1958, BGBl 1959 II 766; deutsch-österreichischer Vertrag v 6.6.1959, BGBl 1960 II 1246; deutsch-griechischer Vertrag v 4.11.1961, BGBl 1963 II 110; deutsch-spanischer Vertrag v 14.11.1983, BGBl 1987 II 35; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 1. V 14.7.1960, BGBl 1961 II 302; vgl auch Kohler NJW 2001, 13 Fn 30.

Thomas Rauscher

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Art 59 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

II. Nordisches Ehesachenübereinkommen v 6.2.1931 (Abs 2) 1. Erklärungen durch Schweden und Finnland (Abs 2 lit a) 8 Finnland und Schweden, den einzigen Vertragsstaaten des nordischen Ehesachenüberein-

kommens, die zugleich Mitgliedstaaten iSd VO (Art 2 Nr 3) sind, räumt Abs 2 mit Rücksicht auf Art 40 EUV ein Recht ein, zu erklären, dass an der Stelle der VO das Übereinkommen vom 6.2.1931 zwischen Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden mit Bestimmungen des internationalen Verfahrensrechts über die Ehe etc gilt.9 Diese Erklärungen haben Schweden und Finnland abgegeben. Sie sind in Anhang VI der VO abgedruckt. Die Erklärungen gelten, solange sie nicht widerrufen werden.10 9 Diese Ausnahme ist nicht anzuwenden auf die in Art 59 nicht genannte Zusammenarbeit

zwischen den nordischen Staaten auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung von Verwaltungsentscheidungen über die Inobhutnahme und über die Unterbringung von Personen.11 2. Diskriminierungsverbot, Anpassungsgebot (Abs 2 lit b, c) 10 Im Rahmen der Anwendung des nordischen Ehesachenübereinkommens zwischen Schwe-

den und Finnland anstelle der VO ist eine Diskriminierung (Art 18 AEUV) von EU-Bürgern (Art 20 AEUV) aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten (Abs 2 lit b). Die Neufassung der lit b in Art 59 Abs 2 formuliert dies im Sinn einer Feststellung, während Art 36 Abs 2 lit b Brüssel II-VO ein ausdrückliches Verbot enthielt. Die diplomatisch mildere Formulierung in Art 59 dürfte dem Umstand Rechnung tragen, dass wegen Art 40 EUV ein an die beiden nordischen Mitgliedstaaten gerichtetes Verbot fragwürdig wäre. 11 Die Zuständigkeitskriterien künftiger bzw novellierter Übereinkünfte müssen mit den Kri-

terien der VO in Einklang stehen (Abs 2 lit c). 3. Anerkennung und Vollstreckung schwedischer und finnischer Entscheidungen in anderen Mitgliedstaaten (Abs 2 lit d) 12 Abs 2 lit d beschränkt die Anwendung der VO (Kapitel III) auf die Anerkennung und

Vollstreckung von Entscheidungen aus einem Mitgliedstaat, der die Erklärung nach Abs 2 lit a abgegeben hat, auf Entscheidungen, die auf Grund eines Zuständigkeitskriteriums erlassen werden, das einem der in der VO (Kapitel II) vorgesehenen Zuständigkeitskriterien entspricht.12 Damit stehen solche Entscheidungen den nach dem 1.3.2001 erlassenen Entscheidungen in früher anhängigen Verfahren (Art 64 Abs 2, 4) gleich; hingegen werden Entscheidungen aus Verfahren, die nach dem 1.3.2001 eingeleitet werden (für den Zeitraum 9

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Im Einzelnen Jänterä-Jareborg YB PIL 1999, 29 ff; dies LA Pintens (2012) 733, 739; dort auch zu entsprechenden Ausnahmen in anderen EU-Instrumenten. Borrás-Bericht Nr 113. EuGH RS C-435/06 C IPRax 2008, 509, 512, wo der sachliche Anwendungsbereich der VO auch auf behördliche Inobhutnahme erstreckt wird, dazu Art 1 Rn 32. Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 555.

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Kapitel V: Verhältnis zu anderen Rechtsinstrumenten

Art 60 Brüssel IIa-VO

bis zum 1.3.2005 mit der Einschränkung auf den Anwendungsbereich der Brüssel II-VO), unbeschadet einer Zuständigkeitsprüfung nach der VO anerkannt und vollstreckt (Art 64 Abs 1, 3). Hintergrund dieser ungünstigeren Behandlung im Vergleich zu sonstigen Entscheidungen 13 aus Mitgliedstaaten, die unabhängig von der angewendeten Zuständigkeitsquelle nach Kapitel III der VO behandelt werden, ist, dass für solche Entscheidungen aus Schweden und Finnland feststeht, dass das Zuständigkeitssystem der VO nicht angewendet wurde, während im Übrigen seit Inkrafttreten der VO Grundlage der Anerkennung das wechselseitige Vertrauen in die (zutreffende) Anwendung der Zuständigkeiten des Kapitels II ist. Dies ist nicht unstimmig: Zwar können auch unter der VO Entscheidungen in einer Zuständigkeit lege fori ergehen (Art 7, 14);13 dies aber nur insoweit, wie die VO ihren Anwendungsbereich selbst begrenzt, während die Anwendung des nordischen Übereinkommens gerade auch den positiven Geltungsanspruch des Zuständigkeitssystems der VO überwindet. III. Notifikation an die Kommission Abs 3 verpflichtet Schweden und Finnland zur Übermittlung der dort genannten Urkun- 14 den an die Kommission. IV. Keine neuen Ausführungsübereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten Aufgrund der ersatzlosen Streichung von Art 39 Brüssel II-VO anlässlich der Neufassung 15 durch die Brüssel IIa-VO14 ist die Zulässigkeit von Übereinkünften zur Ergänzung der VO und zur Erleichterung ihrer Durchführung entfallen.15 Das in Art 39 Abs 2 Brüssel II-VO enthaltene Verbot des Neuabschlusses von Übereinkommen im Bereich der Anerkennung und Vollstreckung folgt nur noch a fortiori aus der Streichung von Art 39 Abs 1 sowie, ebenfalls a fortiori, aus Art 59 Abs 1.

Artikel 60: Verhältnis zu bestimmten multilateralen Übereinkommen Im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten hat diese Verordnung vor den nachstehenden Übereinkommen insoweit Vorrang, als diese Bereiche betreffen, die in dieser Verordnung geregelt sind: a) Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen, b) Luxemburger Übereinkommen vom 8. September 1967 über die Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen, c) Haager Übereinkommen vom 1. Juni 1970 über die Anerkennung von Ehescheidungen und der Trennung von Tisch und Bett, d) Europäisches Übereinkommen vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses und 13 14 15

Vor diesem Hintergrund kritisch Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 8. Vgl Anhang V, Entsprechungstabelle Art 39. Vgl zu Art 39 Brüssel II-VO die Kommentierung in der 1. Auflage.

Thomas Rauscher

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Art 61 Brüssel IIa-VO

e) Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung.

Artikel 61: Verhältnis zum Haager Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern Im Verhältnis zum Haager Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern ist diese Verordnung anwendbar, a) wenn das betreffende Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat; b) in Fragen der Anerkennung und der Vollstreckung einer von dem zuständigen Gericht eines Mitgliedstaats ergangenen Entscheidung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats, auch wenn das betreffende Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Drittstaats hat, der Vertragspartei des genannten Übereinkommens ist. I.

Vorrang der VO gegenüber multilateralen Übereinkommen 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Erweiterung des Vorrangs durch die Brüssel IIa-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

II.

Umfang des Anwendungsvorrangs 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2. Verhältnis zum HKindEntfÜbk . . . . . . . . . 8 3. Verhältnis zum Haager KSÜ . . . . . . . . . . . . 9

I. Vorrang der VO gegenüber multilateralen Übereinkommen 1. Grundsatz 1 Die Art 60, 61 gehen zurück auf Art 37 Brüssel II-VO, wobei die Neuordnung des Verhält-

nisses zum HKindEntfÜbk und zum Haager KSÜ zu Änderungen geführt hat. Die Abspaltung des Verhältnisses zum KSÜ, das in Art 61 eigenständig geregelt ist, beruht auf der im Verfahren eingefügten klarstellenden Beschränkung des Vorrangs der VO gegenüber dem KSÜ auf Kinder, die in einem Mitgliedstaat gewöhnlichen Aufenthalt haben.1 2 Über Art 59 hinaus bestimmen Art 60, 61 einen Vorrang der VO auch gegenüber multila-

teralen Übereinkommen, die den Anwendungsbereich der VO betreffen. Die Bestimmung war nicht unumstritten, zumal sie die grundlegende Frage berührt, ob die Inanspruchnahme einer Zuständigkeit zur Schaffung der VO angesichts der bestehenden Haager Übereinkommen, insbesondere des KSÜ, des HKindEntfÜbk und des Haager Ehescheidungsübereinkommens rechtspolitisch klug war.2 Der Vorrang der VO soll der Rechtssicherheit und

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Vgl dazu Entwurf KOM (2002) 222, 20; Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes, 30.4.2003, 8281/03, 20. Vgl dazu Einl Rn 2.

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Kapitel V: Verhältnis zu anderen Rechtsinstrumenten

Art 61 Brüssel IIa-VO

dem Vertrauensschutz dienen3 und erweist sich gegenüber den anderweitigen Ehescheidungsübereinkommen (Art 60 lit b, c) jedenfalls als sinnvoll. 2. Erweiterung des Vorrangs durch die Brüssel IIa-VO Er wirft aber im Verhältnis zu den kindschaftsrechtlichen Übereinkommen (Art 60 lit a, d, e, 3 Art 61) Abstimmungsprobleme auf. Auch nach Ausdehnung der VO auf selbstständige Sorgerechtsverfahren bleibt die VO ein reines Instrument der internationalen Zuständigkeit, während das Haager KSÜ, zu dem das Verhältnis der VO nun in Art 61 geregelt ist, IPR und internationale Zuständigkeit regelt. Im Übrigen ist das KSÜ schlicht das besser durchdachte Rechtsinstrument, dessen Anwendung im Verhältnis zu Vertragsstaaten, die nicht Mitgliedstaaten sind, desavouiert wird. Während sich die Brüssel II-VO im Verhältnis zum HKindEntfÜbk Selbstbeschränkung auferlegte, beansprucht die Brüssel IIa-VO vor dem Hintergrund des eigenen Konzepts in Art 10, 11 auch insoweit Vorrang, was die Neuaufnahme des Art 60 lit e begründet. II. Umfang des Anwendungsvorrangs 1. Grundsatz Wie im Verhältnis zu den in Art 59 erfassten Übereinkommen ist die VO auch gegenüber 4 den in Art 60, 61 enumerierten nur insoweit vorrangig, wie ihr sachlicher, zeitlicher und räumlicher Anwendungsbereich reicht.4 Soweit ein Mitgliedstaat Vertragsstaat eines der Übereinkommen ist, bleibt dessen Anwendung im Übrigen unberührt; Art 62 gilt auch für die in Art 60, 61 genannten Übereinkommen. Art 60, 61 sind aber nicht als positiver Anwendungsauftrag dahingehend zu verstehen, dass 5 jenseits des Anwendungsbereichs der VO die genannten multilateralen Übereinkommen in völkervertraglich nicht gebundenen Mitgliedstaaten Anwendung finden sollen oder allen Mitgliedstaaten zur Zeichnung nahegelegt werden.5 Hinsichtlich der in Art 60 genannten Übereinkommen fehlt es, anders als in Art 61 für das 6 KSÜ6, für die dort genannten kindschaftsrechtlichen Übereinkommen, insbesondere das MSA, an einer ausdrücklichen Beschränkung des Vorrangs der VO auf Kinder mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Mitgliedstaat. Die Verordnung beansprucht also auch Vorrang, wenn das Kind sich in einem Vertragsstaat gewöhnlich aufhält, der nicht Mitgliedstaat ist.7 Das gilt allerdings nur „im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten“8, so dass insbesondere die Zuständigkeit im Verhältnis zum Aufenthaltsstaat des Kindes in solchen Fällen nicht nach der VO beurteilt werden kann. Somit ist das Zuständigkeitssystem des MSA gegenüber dem der VO jedenfalls dann vorrangig, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in 3 4 5 6 7 8

Borrás-Bericht Nr 115. De Boer FJR 2005, 90, 222, 223; dazu Art 59 Rn 3 ff. Borrás-Bericht Nr 116. Unten Rn 9. Solomon FamRZ 2004, 1409, 1414. Dazu De Boer FJR 2005, 90, 222, 223; Gonzales Beilfuss in: Nuyts/Watté (ed), International Civil Litigation in Europe and Relations with Third States (2005) 493, 500.

Thomas Rauscher

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Art 61 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

einem MSA-Vertragsstaat hat, der nicht Mitgliedstaat ist.9 Da Art 3 und 4 MSA auch an die Staatsangehörigkeit des Kindes anknüpfen, dürfte das MSA auch dann vorrangig sein, wenn das Kind einem MSA-Staat angehört, der nicht Mitgliedstaat ist, sich aber in einem Mitgliedstaat gewöhnlich aufhält.10 7 Erhebliche Bedeutung hat der Unterschied zwischen der Behandlung des MSA nach Art 60

und der des KSÜ nach Art 61 für das Anerkennungssystem der VO: Unbeschadet des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes unterliegen Entscheidungen aus einem Mitgliedstaat in Abgrenzung zum MSA der Anerkennung nach der Verordnung, auch wenn das Kind in einem MSA-Vertragsstaat, der nicht Mitgliedstaat ist, gewöhnlichen Aufenthalt hat. 2. Verhältnis zum HKindEntfÜbk 8 Anders als die Brüssel II-VO (dort Art 4) sieht die VO in Art 60 lit e ihren Vorrang im

Verhältnis der Mitgliedstaaten gegenüber dem HKindEntfÜbk vor. Dieser Vorrang ist jedoch auch im sachlichen und räumlichen Anwendungsbereich der VO nicht umfassend, da Art 10, 11 das Verfahren nach dem HKindEntfÜbk nicht vollständig verdrängen, sondern nur modifizieren.11 Im Verhältnis zu einem Vertragsstaat des HKindEntfÜbk, der nicht Mitgliedstaat ist, besteht kein Vorrang der Verordnung.12 3. Verhältnis zum Haager KSÜ 9 a) Das Zuständigkeitssystem des KSÜ wird durch das der VO ausdrücklich (nur) dann

verdrängt, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat (Art 61 lit a);13 es bleibt also für die Zuständigkeit anwendbar, wenn das Kind gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat hat, der nicht Mitgliedstaat der VO ist. Dies entspricht Art 52 KSÜ, der Vereinbarungen zwischen Vertragsstaaten nur für solche Fälle zulässt.14 10 b) Das Anerkennungs- und Vollstreckungssystem des KSÜ wird verdrängt, wenn eine in

einem anderen Mitgliedstaat ergangene Entscheidung betroffen ist; auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes kommt es nicht an. Trotz des missverständlichen Wortlauts in lit b („auch wenn“) gilt jedoch das KSÜ für die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung aus einem Vertragsstaat, der nicht Mitgliedstaat (= Drittstaat)15 ist. Zwar könnte man den Wortlaut so verstehen, dass die Vorrangregeln nach lit a und lit b kumulativ im Bereich von Anerkennung und Vollstreckung gelten. Es wäre aber gänzlich sinnwidrig, auf die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus Drittstaaten Art 21, 28 ff oder gar Art 40 ff anzuwenden. 9

10 11 12 13

14 15

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OLG Oldenburg v 25.10.2006 – 2 UF 50/06, FamRZ 2007, 1827; OLG Zweibrücken v 6.1.2014 – 2 UF 100/13 Rn 13; Andrae IPRax 2008, 82, 84: Schweiz und Türkei. Siehr FS Schwab (2005) 1267, 1270; Andrae IPRax 2008, 82, 84. NK-BGB/Gruber Art 60 Rn 2. OLG Zweibrücken v 12.11.2009 – 6 UF 118/09, FamRZ 2010, 913, 914. BGH v 16.3.2011 – XII ZB 407/10, FamRZ 2011, 796, 797; OLG Karlsruhe v 12.11.2013 – 5 UF 140/11 Rn 25 ff; Benicke IPRax 2013, 44, 52. Teixeira de Sousa FamRZ 2005, 1612; vgl auch Art 8 Rn 4. Re I (a child) [2009] UKSC 10 = EuLF 2010, I-200, 201.

Oktober 2014

Kapitel V: Verhältnis zu anderen Rechtsinstrumenten

Art 62 Brüssel IIa-VO

c) Die Kollisionsnormen der Art 15 ff KSÜ sind hingegen durch die VO auch in deren 11 räumlichem Anwendungsbereich nicht betroffen, weil die VO das anwendbare Recht nicht erfasst (Art 62).16

Artikel 62: Fortbestand der Wirksamkeit (1) Die in Artikel 59 Absatz 1 und den Artikeln 60 und 61 genannten Übereinkünfte behalten ihre Wirksamkeit für die Rechtsgebiete, die durch diese Verordnung nicht geregelt werden. (2) Die in Artikel 60 genannten Übereinkommen, insbesondere das Haager Übereinkommen von 1980, behalten vorbehaltlich des Artikels 60 ihre Wirksamkeit zwischen den ihnen angehörenden Mitgliedstaaten.

I. Sachliche Reichweite des Vorrangs der VO (Abs 1) Abs 1 – insoweit inhaltsgleich aus Art 38 Abs 1 Brüssel II-VO übernommen – begrenzt 1 entsprechend Art 70 Brüssel I-VO sowohl für die in Art 59 als auch für die in Art 60 und 61 genannten Übereinkommen den dort angeordneten Vorrang der VO. Die VO geht den Übereinkommen nur vor, soweit sie sachlich anwendbar ist, denn im Übrigen bleiben die Übereinkommen anwendbar. Insoweit bedeutet Abs 1 nur eine klarstellende Wiederholung der auch e contrario aus Art 59 Abs 1 und 60 S 1 herzuleitenden sachlichen Begrenzung des Anwendungsvorrangs.1 II. Aufhebung von Art 38 Abs 2 Brüssel II-VO Abs 2 tritt an die Stelle der in die Brüssel IIa-VO nicht übernommenen intertemporalen 2 Vorrangregeln des Art 38 Abs 2 Brüssel II-VO, deren Grundsatz, wonach der Vorrang der VO auch in zeitlicher Hinsicht gilt, jedoch fortgelten dürfte. Es ergäbe keinen Sinn, da die VO ihren intertemporalen Anwendungsbereich in Art 64 positiv beschreibt, einen Vorrang der VO gegenüber völkervertraglichen Abkommen jenseits ihres intertemporalen Anwendungsbereichs zu postulieren. Sie würde dann die Übereinkommen verdrängen, selbst aber nicht Anwendung finden, also Raum für die lex fori schaffen. Das kann schwerlich gewollt sein. III. Wirksamkeit zwischen den Mitgliedstaaten (Abs 2) Der neue Abs 2 ist sibyllinisch.2 Die Bestimmung verdunkelt sich selbst durch die Ver- 3 wendung des Begriffs „Mitgliedstaaten“ in einem anderen als dem in Art 2 Nr 3 definierten Sinn. Gemeint ist offenbar „Vertragsstaaten“. Womöglich müsste die Bestimmung lauten: „Die in Art 60 genannten Übereinkommen … behalten vorbehaltlich des Art 60 ihre Wirksamkeit für die ihnen angehörenden Mitgliedstaaten im Verhältnis zu anderen Vertragsstaaten“. Denkbar ist auch eine Auslegung dahingehend, dass Art 62 Abs 2 ein weiteres Mal 16

1 2

OLG Karlsruhe v 19.8.2011 – 16 UF 140/11, FamRZ 2011, 1963, 1964; zu den sich daraus ergebenden Fragen vgl Art 8 Rn 21 ff. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 1. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 2: „eher unklar“.

Thomas Rauscher

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Art 63 Brüssel IIa-VO

nach Art 60 und Art 62 Abs 1 wiederholt, dass die Übereinkommen für die nicht von der VO erfassten Bereiche gelten.3 Vergeblich sucht man auch nach einem Grund, warum der Grundsatz, welcher es auch immer sei, „insbesondere“ für das HKindEntfÜbk gelten soll, andererseits aber das KSÜ (Art 61) nicht erwähnt ist. 4 Insgesamt also eine Norm, bei der man sich wünschen würde, die Gesetzgebungsorgane der

EU würden Entwurfsbegründungen vorlegen müssen. Man fühlt sich zu der Vermutung veranlasst, dass es sich hier um einen jener berühmten politischen Kompromisse handelt, bei denen am Ende niemand mehr weiß, was sie eigentlich bezwecken.

Artikel 63: Verträge mit dem Heiligen Stuhl (1) Diese Verordnung gilt unbeschadet des am 7. Mai 1940 in der Vatikanstadt zwischen dem Heiligen Stuhl und Portugal unterzeichneten Internationalen Vertrags (Konkordat). (2) Eine Entscheidung über die Ungültigkeit der Ehe gemäß dem in Absatz 1 genannten Vertrag wird in den Mitgliedstaaten unter den in Kapitel III Abschnitt 1 vorgesehenen Bedingungen anerkannt. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für folgende internationalen Verträge (Konkordate) mit dem Heiligen Stuhl: a) Lateranvertrag vom 11. Februar 1929 zwischen Italien und dem Heiligen Stuhl, geändert durch die am 18. Februar 1984 in Rom unterzeichnete Vereinbarung mit Zusatzprotokoll, b) Vereinbarung vom 3. Januar 1979 über Rechtsangelegenheiten zwischen dem Heiligen Stuhl und Spanien. c) Vereinbarungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Malta über die Anerkennung der zivilrechtlichen Wirkungen von Ehen, die nach kanonischem Recht geschlossen wurden, sowie von diese Ehen betreffenden Entscheidungen der Kirchenbehörden und -gerichte, einschließlich des Anwendungsprotokolls vom selben Tag, zusammen mit dem zweiten Zusatzprotokoll vom 6. Januar 1995. (4) Für die Anerkennung der Entscheidungen im Sinne des Absatzes 2 können in Spanien, Italien oder Malta dieselben Verfahren und Nachprüfungen vorgegeben werden, die auch für Entscheidungen der Kirchengerichte gemäß den in Absatz 3 genannten internationalen Verträgen mit dem Heiligen Stuhl gelten. (5) Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission a) eine Abschrift der in den Absätzen 1 und 3 genannten Verträge, b) jede Kündigung oder Änderung dieser Verträge. I. II. III.

Hintergrund der Bestimmung . . . . . . . . . . . . . . 1 Vorbehalt der Konkordate (Abs 1, Abs 3) 6 Anerkennung kirchengerichtlicher Eheaufhebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 IV.

3

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1. Anerkennung in anderen Mitgliedstaaten (Abs 2, Abs 3) . . . . . . . . . 7 2. Delibations-Vorbehalt in Spanien, Italien und Malta (Abs 4) . . . . . . . . . . . . . . . 8 Notifikationsverpflichtung (Abs 5) . . . . . . . . 9

Geimer/Schütze/Bischoff Rn 1; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 3; Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 2.

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Kapitel V: Verhältnis zu anderen Rechtsinstrumenten

Art 63 Brüssel IIa-VO

I. Hintergrund der Bestimmung 1. Die – in der ursprünglich verkündeten Fassung der Brüssel IIa-VO aus Art 40 Brüssel 1 II-VO übernommene – Bestimmung wurde noch vor ihrem Inkrafttreten aus Anlass des Beitritts von Malta durch VO (EG) Nr 2116/2004 vom 2.12.20041 geändert. Sie trägt den Besonderheiten Rechnung, die sich im Anwendungsbereich von Art 1 Abs 1 lit a (Ehesachen) für einige südeuropäische Mitgliedstaaten aus den mit dem Heiligen Stuhl geschlossenen Konkordaten betreffend die nach katholischem Ritus geschlossenen und zivilrechtlich anerkannten Ehen (Konkordatsehen) ergeben. 2. Gemäß Art XXV des Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und Portugal vom 7.5. 2 1940 idF vom 4.4.1975 sowie gemäß Art 1625, 1626 cc sind für die Ungültigerklärung von katholischen Ehen, die nach den Regeln des Konkordats geschlossen wurden, ausschließlich die kirchlichen Gerichte zuständig. Hingegen ist nach Art XXIV idF vom 4.4.1975 den staatlichen Gerichten eine Scheidung solcher Ehen gestattet; kirchliche Gerichte sind insoweit unzuständig, da das kanonische Recht eine Scheidung der Ehe nicht kennt.2 Kirchengerichtliche Entscheidungen werden staatlicherseits ohne Überprüfung anerkannt und vollstreckt (Art 1626 cc). 3. Gemäß Art 34 des Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien vom 27.5.1929 3 idF vom 18.2.1984 (Lateranvertrag) sind kirchliche Gerichte für die Ungültigerklärung einer Konkordatsehe zuständig; diese Zuständigkeit ist jedoch nicht mehr ausschließlich. Die Konkordatsehe erlangt erst durch Eintragung in das Personenstandsregister (trascrizione) zivilrechtliche Wirkung, für deren Beseitigung im Wege der Ehescheidung staatliche Gerichte zuständig sind. Entscheidungen von Kirchengerichten über die Ungültigerklärung wirken nicht unmittelbar, sondern kraft Delibation gemäß Art 8 Abs 2 der Neufassung des Konkordats, die der Anerkennung ausländischer Urteile nach dem bis 1995 geltenden Recht (Art 796 ff cpc aF) nachgebildet ist, also eine Überprüfung vorsieht.3 4. Die Situation in Spanien gemäß Art VI Abs 2 des Konkordats zwischen dem Heiligen 4 Stuhl und Spanien vom 3.1.1979 ist der in Italien vergleichbar. Die Ehegatten können für die Ungültigerklärung der Ehe die Kirchengerichte anrufen; die Zuständigkeit der Kirchengerichte ist seit Inkrafttreten der Verfassung von 1978 nicht mehr ausschließlich. Solche Entscheidungen bedürfen einer staatlichen Delibation, die der Vollstreckbarerklärung ausländischer Zivilurteile nachgebildet ist, also wiederum eine Überprüfung vorsieht (Art 80 cc). 5. Die Rechtslage in Malta ergibt sich aus der Vereinbarung vom 3.2.1993 zwischen dem 5 Heiligen Stuhl und Malta über die Anerkennung der zivilrechtlichen Wirkungen von Ehen, die nach kanonischem Ritus geschlossen wurden, sowie von diese Ehen betreffenden Entscheidungen der Kirchenbehörden und -gerichte, einschließlich des Anwendungsprotokolls vom selben Tag und dem zweiten Zusatzprotokoll vom 6.1.1995.4 Auch nach diesem Kon1

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ABl EU 2004 L 367/1; die Erwägungsgründe dieser VO sind im Anhang zu Art 63 abgedruckt, die durch sie bewirkten Änderungen des Art 63 sind im vorstehenden Text bereits berücksichtigt. Diese Änderungs-VO ist gleichzeitig mit der Brüssel IIa-VO am 1.3.2005 in Geltung getreten. Borrás-Bericht Nr 120. Vgl Borrás-Bericht Nr 121, 123. Text unter http://host.uniroma3.it/progetti/cedir/cedir/Lex-doc/Mal_Matr-93.pdf.

Thomas Rauscher

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Art 63 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

kordat ergibt sich eine der Rechtslage im Verhältnis zu Italien vergleichbare Situation. Malta anerkennt mit zivilrechtlicher Wirkung die Konkordatsehen betreffenden Nichtigkeits- und Aufhebungsentscheidungen kirchlicher Gerichte im Wege eines staatlichen Delibationsverfahrens (Art 5 des Konkordats). Die Zuständigkeit der Kirchengerichte ist jedoch nicht ausschließlich. Dies gilt auch mit res judicata-Wirkung für die Wirksamkeit der Ehe bestätigende Entscheidungen (2. Zusatzprotokoll). II. Vorbehalt der Konkordate (Abs 1, Abs 3) 6 Die VO gilt „unbeschadet“ der Konkordate des Heiligen Stuhls mit Portugal (Abs 1) und

Italien (Abs 3 lit a), Spanien (Abs 3 lit b) und Malta (Abs 3 lit c). Diese Mitgliedstaaten sind damit nicht gezwungen, in Anwendung der VO völkervertragliche Pflichten aus den Konkordaten zu verletzen. Dies bedeutet insbesondere, dass Entscheidungen des Gerichts eines Mitgliedstaates über die Ungültigerklärung einer kanonischen Ehe in Portugal die Anerkennung versagt werden kann, wenn die Entscheidung die ausschließliche Zuständigkeit der Kirchengerichte oder den Katalog der Ungültigkeitsgründe verletzt.5 Da Italien, Spanien und Malta nach den jeweiligen Konkordaten nicht die ausschließliche Zuständigkeit der Kirchengerichte zugesagt haben, sondern nur die staatliche Anerkennung kirchengerichtlicher Entscheidungen, kann dort die Anerkennung einer solchen Entscheidung aus einem Mitgliedstaat nur scheitern, wenn sie auf einen mit dem jeweiligen Konkordat unvereinbaren Ungültigkeitsgrund gestützt ist und soweit diese Ungültigkeitsgründe nach der Konkordatsregelung staatlicherseits nicht erweitert werden dürfen. III. Anerkennung kirchengerichtlicher Eheaufhebungen 1. Anerkennung in anderen Mitgliedstaaten (Abs 2, Abs 3) 7 Abs 2 sowie Abs 3 lit a und lit b verpflichten andere Mitgliedstaaten zur Anerkennung von

Ungültigerklärungen durch kirchliche Gerichte, die im Rahmen eines der vier Konkordate ergehen, nach den Bestimmungen der VO (Art 21 ff). Insoweit stehen bestätigte kirchengerichtliche Entscheidungen einer Entscheidung eines staatlichen Gerichts gleich.6 Anerkannt werden auch insoweit nur Entscheidungen, welche die Ungültigkeit der Ehe aussprechen,7 denn antragsabweisende Entscheidungen sind nach der VO ohnehin nicht anzuerkennen. Die Verpflichtung zur Anerkennung kann jedoch nur dann bestehen, wenn die kirchliche Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat Wirkung entfaltet. Unmittelbar anzuerkennen sind daher nur portugiesische Entscheidungen; italienische und spanische Entscheidungen bedürfen dagegen dort innerstaatlich der Delibation und sind deshalb auch nur in Form der staatlichen Delibationsentscheidung anzuerkennen. 2. Delibations-Vorbehalt in Spanien, Italien und Malta (Abs 4) 8 Abs 4 gestattet es Italien, Spanien und Malta, die in ihren Konkordaten die innerstaatliche

Anerkennung von kirchengerichtlichen Entscheidungen unter Delibations-Vorbehalt gestellt haben, diesen Delibations-Vorbehalt auch auf die nach Abs 2 anzuerkennenden kir5 6 7

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Borrás-Bericht Nr 120. Vgl Art 2 Rn 8. Kohler NJW 2001, 14.

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Kapitel V: Verhältnis zu anderen Rechtsinstrumenten

Art 63 Brüssel IIa-VO

chengerichtlichen Entscheidungen unter dem portugiesischen Konkordat zu erstrecken. Diese Möglichkeit ist einerseits plausibel, weil dadurch portugiesischen Entscheidungen in den beiden anderen Staaten keine weitergehenden unmittelbaren Wirkungen verliehen werden als kirchengerichtlichen Entscheidungen im jeweiligen Inland. Gleichwohl ist die Regelung merkwürdig, weil Mitgliedstaaten, die, wie Deutschland, kein Konkordat vergleichbaren Inhalts abgeschlossen haben, portugiesische kirchengerichtliche Entscheidungen nicht unter einen erweiterten Prüfungsvorbehalt stellen können, letztlich also leichter anerkennen als die drei anderen Konkordats-Staaten. IV. Notifikationsverpflichtung (Abs 5) Abs 5 verpflichtet die vier Staaten, der Kommission eine Abschrift der in Abs 1 und 3 9 genannten Konkordate sowie jede Änderung oder Kündigung der Konkordate zu übermitteln.

Anhang Art 63: Erwägungsgründe und Artikel der ÄnderungsVO Nr 2116/2004 vom 2.12.2004, ABl EU 2004 L 367/1 (1) Nach Maßgabe von Artikel 40 der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten1 wird eine Entscheidung über die Ungültigkeit der Ehe gemäß den Verträgen Portugals, Italiens und Spaniens mit dem Heiligen Stuhl (Konkordate) in den Mitgliedstaaten unter den in Kapitel III der Verordnung vorgesehenen Bedingungen anerkannt. (2) Mit Anhang II der Beitrittsakte von 2003 wurde die Vereinbarung vom 3. Februar 1993 zwischen dem Heiligen Stuhl und Malta über die Anerkennung der zivilrechtlichen Wirkungen von Ehen, die nach kanonischem Recht geschlossen wurden, sowie von diese Ehen betreffenden Entscheidungen der Kirchenbehörden und -gerichte, zusammen mit dem zweiten Zusatzprotokoll vom 6. Januar 1995 in Artikel 40 der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 aufgenommen. (3) Die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr.1347/20002 ist am 1. August 2004 in Kraft getreten und gilt ab 1. März 2005 in den Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks. (4) Malta hat um Änderung des dem Artikel 40 der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 entsprechenden Artikels 63 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 dahingehend ersucht, dass die Vereinbarung Maltas mit dem Heiligen Stuhl darin aufgenommen wird. (5) Erfordern vor dem Beitritt erlassene Rechtsakte aufgrund des Beitritts eine Anpassung, so werden diese Anpassungen gemäß Artikel 57 der Beitrittsakte von 2003 nach einem vereinfachten Verfahren vorgenommen, bei dem der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission beschließt. (6) Dem Ersuchen Maltas sollte nachgekommen und die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 entsprechend geändert werden – 1

2

ABl. L 160 vom 30.6.2000, S. 19. Verordnung zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1804/2004 der Kommission (ABl. L 318 vom 19.10.2004, S. 7). ABl. L 338 vom 23.12.2003, S. 1.

Thomas Rauscher

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Art 64 Brüssel IIa-VO

Artikel 1 Artikel 63 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 wird wie folgt geändert: (Änderungen sind im Text eingearbeitet) Artikel 2 Diese Verordnung tritt am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. Sie gilt ab 1. März 2005.

Kapitel VI: Übergangsvorschriften Artikel 64 (1) Diese Verordnung gilt nur für gerichtliche Verfahren, öffentliche Urkunden und Vereinbarungen zwischen den Parteien, die nach Beginn der Anwendung dieser Verordnung gemäß Artikel 72 eingeleitet, aufgenommen oder getroffen wurden. (2) Entscheidungen, die nach Beginn der Anwendung dieser Verordnung in Verfahren ergangen sind, die vor Beginn der Anwendung dieser Verordnung, aber nach Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 eingeleitet wurden, werden nach Maßgabe des Kapitels III der vorliegenden Verordnung anerkannt und vollstreckt, sofern das Gericht aufgrund von Vorschriften zuständig war, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels II der vorliegenden Verordnung oder der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 oder eines Abkommens übereinstimmen, das zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens zwischen dem Ursprungsmitgliedstaat und dem ersuchten Mitgliedstaat in Kraft war. (3) Entscheidungen, die vor Beginn der Anwendung dieser Verordnung in Verfahren ergangen sind, die nach Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 eingeleitet wurden, werden nach Maßgabe des Kapitels III der vorliegenden Verordnung anerkannt und vollstreckt, sofern sie eine Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe oder eine aus Anlass eines solchen Verfahrens in Ehesachen ergangene Entscheidung über die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder zum Gegenstand haben. (4) Entscheidungen, die vor Beginn der Anwendung dieser Verordnung, aber nach Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr.1347/2000 in Verfahren ergangen sind, die vor Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 eingeleitet wurden, werden nach Maßgabe des Kapitels III der vorliegenden Verordnung anerkannt und vollstreckt, sofern sie eine Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe oder eine aus Anlass eines solchen Verfahrens in Ehesachen ergangene Entscheidung über die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder zum Gegenstand haben und Zuständigkeitsvorschriften angewandt wurden, die mit denen des Kapitels II der vorliegenden Verordnung oder der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 oder eines Abkommens übereinstimmen, das zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens zwischen dem Ursprungsmitgliedstaat und dem ersuchten Mitgliedstaat in Kraft war. I.

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Prinzip 1. Keine rückwirkende Geltung . . . . . . . . . . . 1 2. Beitrittsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

II. III.

Intertemporale Anwendung der Zuständigkeitsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Intertemporale Anwendung der Anerkennungs- und Vollstreckungsregeln 6

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Kapitel VI: Übergangsvorschriften 1. Grundregel: Anwendung auf Neuverfahren (Abs 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2. Anwendung auf unter Brüssel II-VO eingeleitete, am 1.3.2005 nicht abgeschlossene Verfahren (Abs 2) . . . . . . 8 3. Anwendung auf vor dem 1.3.2005 unter Brüssel II-VO ergangene Entscheidungen (Abs 3) . . . . . . . . . . . . . . . . 12 4. Anwendung auf vor dem 1.3.2005 ergangene Entscheidungen in gemäß Art 42 Abs 2 Brüssel II-VO übergeleiteten Verfahren (Abs 4) . . . . . 14

Art 64 Brüssel IIa-VO

IV. V.

5. Keine Anwendung auf Altentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 6. Lücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 a) Offene Brüssel II-VO Altverfahren . . . 17 b) Nach dem 1.3.2001 und vor dem 1.3.2005 errichtete Vereinbarungen und öffentliche Urkunden . . . . . . . . . . . . . . 18 Intertemporale Anwendung von Art 19 20 Intertemporale Anwendung des IntFamRVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

I. Prinzip 1. Keine rückwirkende Geltung Die Bestimmung regelt die intertemporale Anwendung der VO und hat dabei über die in 1 der Vorgängernorm (Art 42 Brüssel II-VO) geschaffenen Kategorien von Alt- und Neuverfahren hinaus zu berücksichtigen, dass zwischen dem 1.3.2001 und dem 28.2.2005 die Brüssel II-VO mit einem gegenüber der neuen VO engeren Anwendungsbereich galt. Dies führt zu einer Vermehrung der zu bedenkenden Übergangsprobleme. Die Regelung beruht auf dem aus Art 54 Abs 1, 2 EuGVÜ und den dortigen Beitrittsüber- 2 einkommen bekannten Prinzip der grundsätzlichen (mit Ausnahmen in Abs 2, 3, 4) Beschränkung auf Neuverfahren (Abs 1). 2. Beitrittsstaaten Die Bestimmung gilt mutatis mutandis auch für das Inkrafttreten in Mitgliedstaaten, die der 3 EG/EU erst nach Inkrafttreten der Verordnung beitreten (Beitrittsstaaten). Da in solchen Staaten die VO – anders als vormals EWG-Übereinkommen – mit dem Beitritt gilt und daher ohne Übergangsregelungen in Kraft tritt, sind die Grundsätze des Art 64 auch auf diesen Fall anzuwenden. „Beginn der Anwendung dieser VO“ iSd Abs 1 ist in solchen Staaten der Tag des Wirksamwerdens ihres Beitritts.1 Soweit für die Anwendung der VO zu entscheiden ist, ob eine Entscheidung aus einem Mitgliedstaat stammt (Anerkennungsund Vollstreckungsregeln) oder ob ein Verfahren in einem Mitgliedstaat anhängig ist (Rechtshängigkeitsregeln), ist ein solcher Staat erst von diesem Stichtag an Mitgliedstaat; die Eigenschaft, Mitgliedstaat zu sein, wirkt nicht zurück.2 Dies gilt insbesondere auch für die Brüssel II-Überleitungsfälle nach Abs 2, 3; diese Bestimmungen finden nur Anwendung

1

2

Zu Art 41 Abs 1, 46 Brüssel II-VO EuGH Rs C-312/09 Michalias/Ioannou-Michalias FamRZ 2010, 2049 (LS); entsprechend für Art 66 Brüssel I-VO: OLG Dresden v 11.4.2007 – 8 U 1939/06, NJW-RR 2007, 1145. EuGH Rs C-312/09 Michalias/Ioannou-Michalias FamRZ 2010, 2049 (LS); OGH EuLF 2005, II-107.

Thomas Rauscher

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Art 64 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

auf Entscheidungen aus Mitgliedstaaten, die schon bei Einleitung des Verfahrens Mitgliedstaaten waren.3 II. Intertemporale Anwendung der Zuständigkeitsregeln 4 1. Für die Anwendung der Zuständigkeitsregeln im II. Kapitel gilt ausnahmslos Abs 1. Die

VO ist nur anwendbar, wenn das Verfahren erstinstanzlich4 nach dem Inkrafttreten der VO, also seit dem 1.3.2005 (Art 72) eingeleitet wurde (BIIa-Verfahren).5 Damit ist insbesondere die Zuständigkeit für am 1.3.2005 bereits anhängige Verfahren, ebenso wie für vor dem 1.3. 2005 abgeschlossene Verfahren,6 weiter nach der Brüssel II-VO zu bestimmen.7 Selbstständige Sorgerechtssachen, die vor dem 1.3.2005 anhängig wurden, sind nach den Bestimmungen des MSA zu beurteilen. Insbesondere gilt nicht das Prinzip der Anwendung des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung geltenden Zuständigkeitsrechts. 5 2. Der Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens bestimmt sich entsprechend Art 16; er-

forderlich ist also der Eingang des verfahrenseinleitenden Schriftstücks bei Gericht.8 Anlass, insoweit auf die lex fori abzustellen,9 besteht nicht. Die Interessenlage, aus der heraus Art 16 geschaffen wurde, ist durchaus ähnlich der hier zu entscheidenden; insbesondere sollte die Anwendung der VO bei konkurrierenden Verfahren nicht von zufälligen Laufzeiten internationaler Zustellungen abhängen. III. Intertemporale Anwendung der Anerkennungs- und Vollstreckungsregeln 1. Grundregel: Anwendung auf Neuverfahren (Abs 1) 6 a) Die Anerkennungs- und Vollstreckungsbestimmungen im Kapitel III sind, wiederum

nach Abs 1, jedenfalls anzuwenden, wenn das zugrundeliegende Verfahren seit dem 1.3. 2005, dem ersten Tag der Geltung der Verordnung,10 eingeleitet wurde („BIIa-Verfahren“). Die Verfahrenseinleitung bestimmt sich ebenso wie für die Zuständigkeit.11 7 b) Vollstreckbare Vereinbarungen und öffentliche Urkunden werden nach den Bestim-

mungen der VO anerkannt und vollstreckt, wenn sie seit dem 1.3.2005 geschlossen bzw aufgenommen wurden (Abs 1).

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11

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Fachausschuss StAZ 2006, 301; dort auch zur Umsetzung und Erläuterung des Art 64 in § 159a Abs 3 DA. Hof Arnhem NIPR 2010, 653, 655. KG EuLF 2007, II-120; OLG Koblenz v 26.11.2008 – 9 UF 653/06, FamRZ 2009, 611; Hof ’s-Hertogenbosch NIPR 2007, 365; Hof Arnhem NIPR 2007, 358; Hof Arnhem NIPR 2010, 229; unzutreffend OLG München IPRspr 2005 Nr 198; vgl Völker jurisPR-FamR 3/2006 Anm 5. Cass civ Bull Civ 2005, no 89. Hof Arnhem NIPR 2010, 653, 655. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 2; Geimer/Schütze/Dilger Rn 4; MünchKomZPO/Gottwald Rn 3; Pabst Rn 277 ff; implizit wohl auch BGH IPRax 2003, 145. So die Gegenansicht: Wagner IPRax 2001, 80; Hausmann EuLF 2001, 271, 275. Unzutreffend auf das Inkrafttreten der VO am 1.8.2004 abstellend T v L [2009] IL Pr 5, 4648 (Irish Supreme Court). Oben Rn 5.

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Kapitel VI: Übergangsvorschriften

Art 64 Brüssel IIa-VO

2. Anwendung auf unter Brüssel II-VO eingeleitete, am 1.3.2005 nicht abgeschlossene Verfahren (Abs 2) a) Abs 2 erfasst jene Verfahren, die nach Art 42 Brüssel II-VO ohne weiteres in deren 8 Anwendungsbereich fielen (Art 42 Abs 1), weil die Verfahrenseinleitung seit dem 1.3.2001 erfolgte.12 Soweit in einem solchen Verfahren erst nach Inkrafttreten der Brüssel IIa-VO Entscheidungen ergehen, gilt mutatis mutandis dasselbe Prinzip wie es für übergeleitete Altverfahren Art 42 Abs 2 Brüssel II-VO vorsah: In solchen „übergeleiteten BII-Verfahren“ ergangene Entscheidungen werden nach den Regelungen des Kapitel III der (neuen!) VO vollstreckt, sofern das Gericht aufgrund von Vorschriften zuständig war, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Kapitel II der Brüssel IIa-VO oder der Brüssel II-VO oder einem Abkommen, das bei Verfahrenseinleitung zwischen dem Ursprungsmitgliedstaat und dem Anerkennungs-/Vollstreckungsmitgliedstaat in Kraft war, übereinstimmen.13 b) Für seit dem 1.3.2001 und vor dem 1.3.2005 eingeleitete Ehesachen ändert sich dadurch 9 nichts, weil insoweit das Zuständigkeits- und Anerkennungssystem der VO dem der Brüssel II-VO entspricht. In diesem Zeitraum eingeleitete und seit dem 1.3.2005 entschiedene Sorgerechtssachen unterfallen durch diese Überleitung jedoch den neuen Anerkennungs- und Vollstreckungsregeln. Das bedeutet, dass selbstständige Sorgerechtsentscheidungen, die von der Brüssel II-VO nicht erfasst gewesen wären, nun unter den Voraussetzungen des Abs 214 nach den Bestimmungen des III. Kapitels anerkannt und vollstreckt werden.15 Für solche Entscheidungen gelten überdies auch Art 40 ff, so dass eine Vollstreckung aufgrund Bescheinigung gemäß Art 41, 42 in Betracht kommt.16 Dies ist, anders als in den noch zu erörternden, vor dem 1.3.2005 entschiedenen Fällen, deshalb gerechtfertigt, weil noch im Verfahren im Ursprungsmitgliedstaat auf die für Art 40 ff notwendigen Verfahrenskautelen geachtet werden konnte und nicht einer abgeschlossenen Entscheidung eine erweiterte Vollstreckbarkeit verliehen wird. c) Der Zeitpunkt, in dem eine Entscheidung ergeht, bestimmt sich nach der jeweiligen lex 10 fori. Anders als für die Verfahrenseinleitung ergibt sich keine autonome Regelung. Maßgeblich ist, wann die Entscheidung gegenüber den Verfahrensbeteiligten wirksam geworden ist.17 Auf das Wirksamwerden gegenüber allen materiell Beteiligten kann es hingegen nicht ankommen, da sonst insbesondere in Sorgesachen eine spätere Zustellung an einen bis dahin womöglich unbekannten Beteiligten die Anwendbarkeit der VO beeinflussen könnte. d) Das Gericht im Anerkennungs- und Vollstreckungsmitgliedstaat muss also, abweichend 11 von Art 24 und 31 Abs 2, die Zuständigkeit des Gerichts im Ursprungsmitgliedstaat nachprüfen. Fraglich ist insoweit der Umfang der Prüfungsbefugnis. Außer Zweifel steht, dass der Zweitrichter nicht an die im Urteil genannten Zuständigkeitsbestimmungen gebunden

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Zur Unanwendbarkeit der Brüssel II-VO auf früher ergangene Urteile: DT v FL [2007] IL Pr 56, 763, 765 (Irish High Court). Zur Anwendung der Kriterien in Abs 2: EuGH RS C-435/06 C IPRax 2008, 509, 513. Diese liegen zB regelmäßig vor, wenn das Gericht nach Art 1 MSA zuständig war. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 27. De Boer FJR 2005, 90, 222, 224 f. Wagner IPRax 2001, 81; Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 3.

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Art 64 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

ist. Vielmehr ist zu prüfen, ob die Zuständigkeit auch auf verordnungs- oder abkommenskompatible Bestimmungen hätte gestützt werden können. Auch hinsichtlich der Subsumtion zuständigkeitsbegründender Tatsachen unter bestimmte Zuständigkeitsnormen ist der Zweitrichter nicht gebunden. Folgt man dem Zweck der Regelung, eine Prüfung der Zuständigkeit zu ermöglichen, die der Antragsgegner im Ursprungsmitgliedstaat nicht vornehmen konnte, weil auf das Verfahren die Zuständigkeitsbestimmungen der VO noch nicht anzuwenden waren,18 so muss schließlich der Zweitrichter sogar befugt sein, die der Zuständigkeit zugrundeliegenden Tatsachenfeststellungen zu überprüfen. 3. Anwendung auf vor dem 1.3.2005 unter Brüssel II-VO ergangene Entscheidungen (Abs 3) 12 a) Ist in einem nach dem 1.3.2001 eingeleiteten Verfahren bereits vor dem Inkrafttreten der

Brüssel IIa-VO die Entscheidung ergangen („abgeschlossene BII-Verfahren“), so handelt es sich eigentlich nicht um einen Überleitungsfall. Gleichwohl unterliegt die Anerkennung und Vollstreckung dem Kapitel III der neuen VO, jedoch nur, sofern die Entscheidung in den sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel II-VO fällt. 13 b) Wiederum ändert sich nichts für diese zwischen dem 1.3.2001 und dem 1.3.2005 einge-

leiteten und abgeschlossenen Ehesachen. Für in diesem Zeitraum eingeleitete und abgeschlossene Sorgerechtssachen gelten die Bestimmungen des III. Kapitels nur, wenn es sich um solche aus Anlass eines Verfahrens in Ehesachen über gemeinsame Kinder handelt. Gleichwohl stellt sich auch in diesen Fällen die Frage nach einer Vollstreckung gemäß Art 40 ff. Eine dadurch bewirkte Erweiterung des Vollstreckungssystems kann aber für bereits vor dem 1.3.2005 abgeschlossene Verfahren schwerlich der Intention der Überleitungsbestimmungen entsprechen, insoweit „alles beim Alten“ zu belassen. Insbesondere wäre eine Anwendung von Art 40 ff auf Titel, bei deren Entstehung sich kein Beteiligter auf dieses potentielle Vollstreckungsverfahren einzustellen hatte, schwerlich rechtsstaatlich zu rechtfertigen. 4. Anwendung auf vor dem 1.3.2005 ergangene Entscheidungen in gemäß Art 42 Abs 2 Brüssel II-VO übergeleiteten Verfahren (Abs 4) 14 a) Abs 4 betrifft eine Kategorie von Verfahren, die bereits Gegenstand der Regelung in

Art 42 Abs 2 Brüssel II-VO waren, weil sie vor dem 1.3.2001 eingeleitet, jedoch am 1.3.2001 noch nicht abgeschlossen waren (BII-Altverfahren). Wurden diese Verfahren vor dem 1.3. 2005 abgeschlossen, so bleibt es im Grundsatz bei der Regelung aus Art 42 Abs 2 Brüssel II-VO.19 Auch Abs 4 leitet jedoch solche Entscheidungen in das Anerkennungs- und Vollstreckungssystem der Brüssel IIa-VO über. Hierzu kumuliert Abs 4 jedoch die beschränkenden Anforderungen gemäß Abs 2 und Abs 3. Entscheidungen aus BII-Altverfahren werden nur dann nach den Bestimmungen des Kapitels III anerkannt und vollstreckt, wenn sie in den sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel II-VO fallen (wie Abs 3) und den in Abs 2 genannten Zuständigkeitskriterien genügen. Es ist also für Zwecke des Abs 4 die Zuständigkeit der Gerichte im Ursprungsmitgliedstaat zu prüfen; soweit es hierbei auf die

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Borrás-Bericht Nr 111. Dazu BGH FamRZ 2005, 1540, 1542.

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Kapitel VI: Übergangsvorschriften

Art 64 Brüssel IIa-VO

Staatsangehörigkeit ankommt (insbesondere Art 3 Abs 1 lit b) muss bei Doppelstaatern jede Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats gleichwertig berücksichtigt werden, auch wenn der Doppelstaater zugleich dem Anerkennungsstaat angehört; es darf also nicht das Vorliegen der Zuständigkeit verneint werden, weil nach Ansicht der Gerichte im Anerkennungsstaat die Staatsangehörigkeit des Urteilsstaates nicht die kollisionsrechtlich maßgebliche war.20 Insbesondere bleiben Entscheidungen, die in vor dem 1.3.2001 eingeleiteten Verfahren zwischen dem 1.3.2001 und dem 1.3.2005 ergangen sind, anerkennungsunfähig, wenn sie von einem nach dem MSA unzuständigen Gericht erlassen worden sind.21 b) Wiederum ändert sich nichts für Ehesachenentscheidungen, die bereits nach Art 42 15 Abs 2 Brüssel II-VO den Bestimmungen der Brüssel II-VO unterstellt wurden.22 Für Entscheidungen in Sorgerechtssachen ergibt sich keine Änderung des sachlichen Anwendungsbereichs, der auf Entscheidungen aus Anlass einer Ehesache beschränkt bleibt.23 Dagegen stellt sich die Frage der Anwendung von Art 40 ff entsprechend und ist ebenso wie für die abgeschlossenen BII-Verfahren24 zu verneinen. 5. Keine Anwendung auf Altentscheidungen Hingegen findet das Anerkennungs- und Vollstreckungssystem der VO keine Anwendung 16 auf Entscheidungen, Prozessvergleiche oder öffentliche Urkunden, die bis einschließlich 28.2.2001 ergangen sind oder aufgenommen bzw errichtet wurden.25 Es gilt also für die Anerkennung von Altentscheidungen weiterhin die lex fori bzw bestehende völkervertragliche Übereinkommen; insbesondere ist auch § 107 FamFG anzuwenden.26 6. Lücken a) Offene Brüssel II-VO Altverfahren Das scheinbar vollständige System des Art 64 weist gleichwohl Lücken auf. Zum einen findet 17 sich keine Regelung für Verfahren, die vor dem 1.3.2001 eingeleitet wurden, aber am 1.3. 2005 noch anhängig waren, was bei mehreren Instanzen nicht ausgeschlossen erscheint. Auf solche Verfahren wäre ohne den Übergang zur Brüssel IIa-VO Art 42 Abs 2 Brüssel II-VO anwendbar gewesen. Dies legt eine Analogie zu Abs 4 nahe. Andererseits handelt es sich um Verfahren, die erst unter der Brüssel IIa-VO abgeschlossen werden, was zu einer analogen Anwendung von Abs 2 führt. Setzt man den Rechtsgedanken der Übernahme von Altverfahren in die neue Regelung, sofern nur die angewendeten Zuständigkeitsregeln kompatibel sind, der schon Art 42 Abs 2 Brüssel II-VO zugrunde lag, für diese Fälle ein, so kann es in der Tat keine Rolle spielen, ob der sachliche Anwendungsbereich der Brüssel II-VO eröffnet

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EuGH v 16.7.2009 – Rs C-168/08 Hadadi/Mesko, IPRax 2010, 66, 69 f.; Cass civ JDI 2010, 814. So zu Art 42 Abs 2 Brüssel II-VO BGH FamRZ 2005, 1540, 1542, insoweit wie OLG Nürnberg v 23.7. 2003 – 7 WF 1144/03, FamRZ 2004, 278. Geimer/Schütze/Dilger Rn 14. Unzutreffend Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 34, der offenbar die ausdrückliche Begrenzung in Abs 4 übersieht. Oben Rn 13. Borrás-Bericht Rn 110. Thomas/Putzo/Hüßtege Rn 7; vor 1.9.2009 Art 7 § 1 FamRÄndG.

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Art 64 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

war. Solche Fälle sind also wie übergeleitete BII-Verfahren27 entsprechend Abs 2 zu behandeln.28 b) Nach dem 1.3.2001 und vor dem 1.3.2005 errichtete Vereinbarungen und öffentliche Urkunden 18 Vereinbarungen und Öffentliche Urkunden kommen in Abs 2 bis 4 nicht vor, was insofern folgerichtig ist, als es bei diesen kein zeitliches Auseinanderfallen von Verfahrenseinleitung und -beendigung gibt. Gleichwohl ist das Art 42 Brüssel II-VO insoweit zugrundeliegende Stichtagsprinzip, dem die Behandlung von seit dem 1.3.2005 errichteten Vereinbarungen und Urkunden in Abs 1 entspricht, gestört: Bei Errichtung vor dem Inkrafttreten der VO gibt es die Kategorie der Errichtung vor dem 1.3.2001 und die der Errichtung seit dem 1.3. 2001. Da bei Errichtung vor dem 1.3.2001 schon die Brüssel II-VO nicht anwendbar war, gilt a fortiori auch die neue VO nicht. 19 Hingegen kann nicht für gerichtliche Vergleiche und Urkunden, die seit dem 1.3.2001

errichtet wurden, also dem Kapitel III Brüssel II-VO unterlagen, nun die Anerkennungsund Vollstreckungsfähigkeit entfallen. Will man nicht systemwidrig insoweit die Bestimmungen der Brüssel II-VO perpetuieren, entspricht dieser Kategorie am ehesten eine Analogie zu Abs 3, also den abgeschlossenen BII-Verfahren. Das bedeutet, dass zwar das III. Kapitel der Brüssel IIa-VO anzuwenden ist, jedoch nur im sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel II-VO, was nicht nur eine Beschränkung auf Ehesachen und mit ihnen verbundene Sorgeentscheidungen bedeutet, sondern auch eine Beschränkung auf öffentliche Urkunden und gerichtliche Vergleiche.29 IV. Intertemporale Anwendung von Art 19 20 Fraglich ist die intertemporale Anwendung der Bestimmungen zur Beachtung der Rechts-

hängigkeit (Art 19), wenn das später eingeleitete Verfahren zuständigkeitsrechtlich bereits der VO unterliegt, nicht aber das früher eingeleitete Verfahren.30 Nach dem Zweck der Regelung, Entscheidungen zu vermeiden, deren Anerkennung an Art 22 lit d, 23 lit f scheitert, ist die Anwendung von Art 19 vor dem Hintergrund der intertemporalen Anwendung der Anerkennungsregeln zu lösen, die freilich auf die Zuständigkeitsregeln Bezug nehmen, nach denen das Erstgericht seine Zuständigkeit annimmt. Dabei ist zu beachten, dass das Problem nur auftritt, wenn das erste Verfahren am 1.3.2001 noch anhängig war, also ein Verfahren ist, das anerkennungsrechtlich Abs 2 bis 4 unterliegen kann. 21 Die dadurch heraufbeschworene Vielfalt wird insofern gemildert, als die Rechtshängigkeits-

regeln der Brüssel II-VO mit denen der Brüssel IIa-VO inhaltlich übereinstimmen und das Problem nur auftritt, wenn beide Verfahren am 1.3.2005 noch anhängig waren. 22 Dabei kann nach den Prinzipien verfahren werden, die der EuGH bereits zur intertempo-

ralen Anwendung von Art 21 EuGVÜ entwickelt hat.31 Art 19 ist also anzuwenden, wenn das zuerst angerufene Gericht sich nach einer Bestimmung für zuständig erklärt, die Abs 2 27 28 29 30

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Oben Rn 8. Staudinger/Spellenberg (2005) Rn 5. Zur Änderung des Anwendungsbereichs vgl insoweit Art 46 Rn 1 ff. Ausführlich Pabst Rn 573 ff.

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Kapitel VI: Übergangsvorschriften

Art 64 Brüssel IIa-VO

entspricht, also eine Anerkennung nach der VO eröffnet.32 Art 19 setzt in diesen Fällen zunächst eine Beurteilung der Zuständigkeit des Erstgerichts durch das Zweitgericht auf der Grundlage von Abs 2 voraus, weil es sonst nicht zur Aussetzung nach Art 19 Abs 1 kommt.33 Erklärt sich das erstangerufene Gericht dann auf der Grundlage einer Abs 2 entsprechenden Bestimmung für zuständig, so ist weiter nach Art 19 zu verfahren. V. Intertemporale Anwendung des IntFamRVG Soweit Verfahren nach dem 1.3.2005 noch in Anwendung der Zuständigkeitsbestimmungen 23 der Brüssel II-VO zu führen sind,34 sind gemäß § 55 IntFamRVG die Bestimmungen des IntFamRVG entsprechend anzuwenden. Die für die Brüssel II-VO geltenden Bestimmungen des AVAG wurden nicht in Kraft belassen.35 Die Vollstreckung in den unter die Brüssel II-VO fallenden Verfahren erfolgt jedoch gemäß 24 Art 64 Abs 2, 3, 4 ausnahmslos nach dem III. Kapitel der Brüssel IIa-VO. Abs 3 (abgeschlossene BII-Verfahren) und Abs 4 (BII-Altverfahren) decken den gesamten Bereich der originär von der Brüssel II-VO erfassten und der durch Art 42 Abs 2 Brüssel II-VO übergeleiteten Verfahren ab. Vor dem 1.3.2005 ergangene Entscheidungen, die nicht von Abs 3 und 4 erfasst sind, sind auch nicht von der Brüssel II-VO erfasst. Daher kommt ohne weiteres insoweit auch das IntFamRVG, insbesondere § 44 IntFamRVG (Zwangsmittel), zur Anwendung. Fälle der Zwangsvollstreckung nach der Brüssel II-VO gibt es hingegen nicht. Es gab al- 25 lerdings den rein im deutschen Recht stattfindenden (vgl Art 47 Abs 1) Überleitungsfall vom alten Vollstreckungssystem des § 33 FGG aF zu dem des IntFamRVG, den § 55 IntFamRVG jedenfalls seiner ratio nach regelt: Auch vor dem 1.3.2005 ergangene Entscheidungen unterliegen danach dem neuen deutschen Vollstreckungsrecht. Bei der Zwangsvollstreckung solcher Entscheidungen (also Fällen des Art 64 Abs 3 und 4) genügte eine unter Geltung von § 33 FGG aF ergangene Androhung von Zwangsmitteln nicht, um sodann nach § 44 IntFamRVG ein Ordnungsmittel zu verhängen. Dessen Androhung war also erneut erforderlich.36

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OGH IPRax 2003, 456; Hau IPRax 2003, 461; vgl zum EuGVÜ: EuGH Rs C-163/95 Elsbeth Freifrau von Horn/Kevin Cinnamond EuGHE 1997 I 5451. Geimer/Schütze/Dilger Rn 5; MünchKommFamFG/Gottwald Rn 4. Watté/Boularbah Rev trim dr fam 2000, 554; anders als bei Anwendung von Abs 2 im Anerkennungsstadium hat das Zweitgericht aber nicht die abschließende Prüfungskompetenz, denn diese kommt nach Art 19 dem erstangerufenen Gericht zu. Oben Rn 4. BT-Drs 15/3981, 32. BT-Drs 15/3981, 32.

Thomas Rauscher

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Art 65 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Kapitel VII: Schlussbestimmungen Artikel 65: Überprüfung Die Kommission unterbreitet dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss spätestens am 1. Januar 2012 und anschließend alle fünf Jahre auf der Grundlage der von den Mitgliedstaaten vorgelegten Informationen einen Bericht über die Anwendung dieser Verordnung, dem sie gegebenenfalls Vorschläge zu deren Anpassung beifügt.

1 Die – aus Art 43 Brüssel II-VO übernommene – Bestimmung entspricht Art 73 Brüssel

I-VO. Da im Gegensatz zu einem völkervertraglichen Rechtsinstrument zwischen den Mitgliedstaaten die VO als Teil des sekundären Europarechts automatisch auf Beitrittsstaaten erstreckt wird, entfällt die Überprüfung aus Anlass von Beitrittsverhandlungen. Deshalb ist eine interne Überprüfung nach Ablauf von etwa 7 Jahren seit Inkrafttreten vorgesehen.1

Artikel 66: Mitgliedstaaten mit zwei oder mehr Rechtssystemen Für einen Mitgliedstaat, in dem die in dieser Verordnung behandelten Fragen in verschiedenen Gebietseinheiten durch zwei oder mehr Rechtssysteme oder Regelwerke geregelt werden, gilt Folgendes: a) Jede Bezugnahme auf den gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat betrifft den gewöhnlichen Aufenthalt in einer Gebietseinheit. b) Jede Bezugnahme auf die Staatsangehörigkeit oder, im Fall des Vereinigten Königreichs, auf das „domicile“ betrifft die durch die Rechtsvorschriften dieses Staates bezeichnete Gebietseinheit. c) Jede Bezugnahme auf die Behörde eines Mitgliedstaats betrifft die zuständige Behörde der Gebietseinheit innerhalb dieses Staates. d) Jede Bezugnahme auf die Vorschriften des ersuchten Mitgliedstaats betrifft die Vorschriften der Gebietseinheit, in der die Zuständigkeit geltend gemacht oder die Anerkennung oder Vollstreckung beantragt wird.

I. Harmonisierung mit Art 47 KSÜ 1 Die – wortgleich aus Art 41 Brüssel II-VO übernommene – Regelung lehnt sich an die

Mehrrechtsstaatenregeln des KSÜ an.1 Da die VO weder das Kollisionsrecht noch das materielle Recht betrifft, waren Art 48, 49 KSÜ entsprechende Regelungen nicht zu treffen. Aus dem Katalog des Art 47 KSÜ werden diejenigen zuständigkeitsbegründenden Kriterien übernommen, die in der VO Verwendung finden.

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Zum Bericht der Kommission v 15.4.2014 s Einl Rn 60. Borrás-Bericht Nr 126.

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Kapitel VII: Schlussbestimmungen

Art 66 Brüssel IIa-VO

II. Autonome Verlängerung der Zuständigkeitskriterien 1. Mehr-Jurisdiktionen-Staat Voraussetzung ist, dass ein Mitgliedstaat zwei oder mehr Jurisdiktionen umfasst, also ver- 2 fahrensrechtlich verschiedene Gebiete aufweist.2 Das ist derzeit insbesondere für die Bestimmung der Zuständigkeit von Gerichten im UK von Bedeutung. Für Spanien dürfte die Frage nicht bedeutsam werden, weil die foralen Partialrechte nicht den Anwendungsbereich der VO berühren. Für die Anerkennung und Vollstreckung hat die Bestimmung nur aus Sicht des Mehr-Jurisdiktionen-Staates selbst Bedeutung insoweit, als die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nur für die jeweilige Teil-Jurisdiktion erfolgt. 2. Autonome jurisdiktionelle Unteranknüpfung a) Die in einem solchen Fall erforderliche jurisdiktionelle Unteranknüpfung wird nicht 3 dem Recht des Mehrrechtsstaates überlassen, sondern autonom durch Verlängerung des jeweiligen Zuständigkeitskriteriums geregelt. Problemfrei ist dies für rein räumliche Bezugskriterien, weil diese sich immer durch den 4 Gesamtstaat hindurch auf die Teil-Jurisdiktion fokussieren lassen. Für den gewöhnlichen Aufenthalt ist auf die jeweilige Teil-Jurisdiktion abzustellen (lit a).3 Bezugnahmen auf den Mitgliedstaat, dem eine Behörde oder ein Gericht angehört (lit c) oder der um eine Entscheidung ersucht ist (lit d), beziehen sich auf die Behörden und Gerichte der Teil-Jurisdiktion. b) Nicht oder nicht rein räumlich bestimmte Kriterien wie das domicile und die Staats- 5 angehörigkeit erfordern dagegen eine wertende Verlängerung in eine Teil-Jurisdiktion, die sich mit dem Gedanken eines „Europa der Regionen“ gut verträgt. Auch insoweit verweist lit c nicht auf das interlokale Prozessrecht des Mehrrechtsstaates.4 Für den Anwendungsbereich der VO ist derzeit insbesondere die Verlängerung des domicile relevant, das bei Berührung des UK die Staatsangehörigkeit ersetzt (vgl Art 3 Abs 1 lit a Str 6, Abs 2, Art 6 lit b). Insoweit ergibt sich keine Spannung zum innerstaatlichen Recht, welches ohnehin das domicile nicht auf das UK als Gesamtstaat, sondern auf die Teil-Jurisdiktionen bezieht.5 In einem Mehr-Jurisdiktionen-Staat kontinentaler Prägung müsste ggf auf die Staatsange- 6 hörigkeit zu seinen Teilstaaten abgestellt werden, die es in föderativen Mitgliedstaaten auch ohne für die VO relevante jurisdiktionelle Spaltung geben kann.6 Für Spanien wäre im Bedarfsfall die maßgebliche Zuordnung zB auf der Basis der vecindad zu treffen.

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Borrás-Bericht Nr 126. ZB haben Ehegatten, von denen einer in England, der andere in Schottland lebt, keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt iSd Art 2 Abs 1 lit a 1. Strich. AA Geimer/Schütze/Bischoff Rn 2. Ein schottisch domizilierter Ehemann hat damit für Zwecke des Art 3 Abs 1 lit b mit seiner englisch domizilierten Ehefrau kein zuständigkeitsbegründendes gemeinsames domicile. ZB in einigen deutschen Bundesländern nach den jeweiligen Länderverfassungen.

Thomas Rauscher

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Art 67 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Artikel 67: Angaben zu den Zentralen Behörden und zugelassenen Sprachen Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission binnen drei Monaten nach Inkrafttreten dieser Verordnung Folgendes mit: a) die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel, b) die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind, und c) die Sprachen, die gemäß Artikel 45 Absatz 2 für die Bescheinigung über das Umgangsrecht zugelassen sind. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission jede Änderung dieser Angaben mit. Die Angaben werden von der Kommission veröffentlicht.

1 Die Bestimmung regelt die Bekanntmachung der nach Art 53 durch die Mitgliedstaaten zu

benennenden Zentralen Behörden und der nach Art 57 Abs 2 sowie Art 45 Abs 2 zugelassenen Sprachen. 2 Im deutschen Recht ist Zentrale Behörde iSd Art 53 das Bundesamt für Justiz (§ 3 Abs 1

IntFamRVG)1; das Verfahren ist Justizverwaltungsverfahren (§ 3 Abs 2 IntFamRVG) und ist näher geregelt in §§ 3 bis 9 IntFamRVG. 3 Unbeschränkt zugelassen iSd Art 57 Abs 2 ist nur die deutsche Sprache; die Zentrale Be-

hörde kann bei Ersuchen in anderer Sprache das Tätigwerden ablehnen (§ 4 Abs 1 IntFamRVG). Eine Veranlassung der Übersetzung durch die Zentrale Behörde ist nur für Ersuchen nach Art 24 HKindEntfÜbk vorgesehen (§ 4 Abs 2 IntFamRVG); diese Bestimmung sollte jedoch auf Ersuchen im Rahmen von Art 10, 11 entsprechend angewendet werden, da sonst die Verlagerung in die VO Verzögerungen heraufbeschwört. Für ausgehende Ersuchen veranlasst die Zentrale Behörde die Übersetzung, wenn der Antragsteller sie nicht beschafft (§ 5 Abs 1 IntFamRVG). 4 Die nach Art 45 zulässige Sprache für eingehende Urkunden regelt das IntFamRVG natur-

gemäß nicht; für Bescheinigungen über inländische Entscheidungen gelten §§ 48, 49 IntFamRVG. 5 Die Liste nach Art 67 liegt in einer konsolidierten Fassung samt der zugehörigen Ände-

rungen und Berichtigungen2 vor, die, soweit die in Art 67 genannten Daten betroffen sind, im Anhang zu Art 67 abgedruckt ist.3 1 2

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Zur Ablösung des Generalbundesanwalts beim BGH in dieser Funktion Art 53 Rn 3. Konsolidierte Fassung. Angaben zu den Zentralen Behörden, Sprachen, Gerichten und den Rechtsbehelfen gemäß Artikel 67 und 68 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (Stand: 20.1.2012). Der aktuelle Stand kann auch abgerufen werden unter: http://ec.europa.eu/justice_home/judicialatlascivil/ html/rc_jmm_centralauthorities_de.htm (Zentrale Behörden, Art 53; Sprachen, Art 57 Abs 2) und

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Kapitel VII: Schlussbestimmungen

Anh zu Art 67 Brüssel IIa-VO

Die Konsolidierte Fassung enthält noch keine Angaben zu dem erst am 1.7.2013 beigetretenem Kroatien. Die in der Verordnung (EU) Nr 517/2013 des Rates vom 13. Mai 2013 vorgesehenen Änderungen anderer Verordnungen aus Anlass des Beitritts betreffen nicht die Brüssel IIa-VO. Darüber hinaus wurden alle im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen von Kroatien gelieferten Informationen in kroatischer und englischer Sprache veröffentlicht.4 Unter den Informationen findet sich eine Mitteilung zu Name und Anschrift der Zentralen Behörde gemäß Art 53 (Art 67 (a)): Ministry of Social Policy and Youth Savska cesta 66 10000 Zagreb Web: www.mspm.hr E-Mail: [email protected] Telefon: +385 1 555 7111 Fax: +385 1 555 7222 Contact Person: Marija Stojević, dipl. iur. Telefon: +385 1 555 71075

Anhang zu Art 67: Konsolidierte Fassung1 der Angaben zu den Zentralen Behörden, Sprachen, Gerichten und den Rechtsbehelfen gemäß Artikel 67 und 68 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/20002

[hier nur in den Art 67 betreffenden Teilen (Angaben zu den Zentralen Behörden und zugelassenen Sprachen) und alphabetisch geordnet abgedruckt] BELGIEN Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: Service public federal Justice/Federale Overheidsdienst Justitie Boulevard de Waterloo/Waterloolaan 115 1000 Bruxelles/Brussel Telefon: +32 2 542 67 00

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http://ec.europa.eu/justice_home/judicialatlascivil/html/rc_jmm_communications_de.htm (Sprachen, Art 45 Abs 2). https://e-justice.europa.eu/content_croatia__cooperation_in_civil_matters-276-de.do (17.3.2014). https://e-justice.europa.eu/fileDownload.do?id=b8cb99ae-78a6-44fa-8979-28da939cc9aa(17.3.2014). Ohne Obligo der Europäischen Institutionen. http://ec.europa.eu/justice_home/judicialatlascivil/html/pdf/vers_consolide_cr2201_de.pdf(12.3.2014).

Thomas Rauscher

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Anh zu Art 67 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Fax: +32 2 542 70 06 E-Mail: [email protected] Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Französisch, Niederländisch, Deutsch, Englisch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Der Bescheinigung ist eine Übersetzung in der Amtssprache des Vollstreckungsortes beizulegen. Diese Sprache (je nach Fall Französisch, Niederländisch oder Deutsch) wird in Spalte II des Verzeichnisses (Handbuchs) der belgischen Gemeinden und Gerichtsbezirke der erstinstanzlichen Gerichte angegeben, das der Verordnung über die Beweiserhebung (Obtention des preuves) beigefügt ist (F für Französisch, N für Niederländisch und D für Deutsch). BULGARIEN Artikel 67 (a) Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie technische Kommunikationsmittel: Justizministerium Direktion Internationaler Rechtsschutz des Kindes und Internationale Adoptionen Telefon: (+359 2) 9237302 E-Mail: [email protected] Fax: (+359 2) 9871557 Anschrift: Ul. Slawjanska 1 1040 Sofia Bulgarien (In allen in der Verordnung geregelten Angelegenheiten betreffend Kindesentführungen und die Unterbringung von Kindern – Artikel 56) Direktion Internationale Justizielle Zusammenarbeit und Europaangelegenheiten Telefon: (+359 2) 9237413 Fax: (+359 2) 9809223 Anschrift: Ul. Slawjanska 1 1040 Sofia Bulgarien (In allen in der Verordnung geregelten Angelegenheiten, ausgenommen Fälle von Kindesentführungen und der Unterbringung von Kindern – Artikel 56) Artikel 67 (b) Die für die Kommunikation mit den Zentralen Behörden nach Artikel 57 Absatz 2 zugelassenen Sprachen sind: Bulgarisch, Englisch oder Französisch.

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Kapitel VII: Schlussbestimmungen

Anh zu Art 67 Brüssel IIa-VO

Artikel 67 (c) Die für die Bescheinigung betreffend das Umgangsrecht gemäß Artikel 45 Absatz 2 zugelassenen Sprachen sind: Bulgarisch, Englisch oder Französisch. DEUTSCHLAND Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: Bundesamt für Justiz Zentrale Behörde – Adenauerallee 99 – 103 53113 Bonn Telefon: +49 228 410 5212 Fax: +49 228 410 5401 E-Mail: [email protected] Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Deutsch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Deutsch. ESTLAND Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: Justiitsministeerium Tõnismägi 5a 15191 Tallinn Telefon: +372 6 208 100 Fax: +372 6 208 109 E-Mail: [email protected] Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Estnisch, Englisch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Estnisch, Englisch.

Thomas Rauscher

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Anh zu Art 67 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

FINNLAND Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: Oikeusministeriö Kansainvälinen yksikkö PL 25 00023 Valtioneuvosto Telefon: +358 9 1606 7628 Fax: +358 9 1606 7524 E-Mail: [email protected] Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Finnisch, Schwedisch, Englisch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Finnisch, Schwedisch, Englisch. FRANKREICH Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: Ministère de la Justice, Direction des Affaires Civiles et du Sceau Bureau de l’entraide civile et commerciale internationale (D3) 13 place Vendôme 75042 Paris Cedex 01 Büroanschrift: 5, boulevard de la Madeleine Paris 1 er (allgemeine Aufgaben und Zusammenarbeit in Fällen, die speziell die elterliche Verantwortung betreffen – Artikel 54 und 55). Telefon: +33 1 44 77 61 05/+33 (01) 44 77 69 02 Fax: +33 1 44 77 61 22 E-Mail: [email protected] Ministère de la Justice, Direction de la Protection Judiciaire de la Jeunesse Bureau des affaires judiciaires et de la législation 13, place Vendôme 75042 Paris Cedex 01 Büroanschrift: 251, rue Saint Honoré 1er (Unterbringung des Kindes – Artikel 56). Telefon: +33 (01) 44 77 69 02 Fax: +33 (01) 44 77 25 78 E-Mail:[email protected] [email protected] [email protected]

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Kapitel VII: Schlussbestimmungen

Anh zu Art 67 Brüssel IIa-VO

[email protected] Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Französisch, Englisch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Französisch, Englisch. GRIECHENLAND Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: Υπουργείο Δικαιοσύνης Τμήμα Διεθνούς Δικαστικής Συνεργασίας σε Αστικές Υποθέσεις κα Αργυρώ Ελευθεριάδου κ. Θεόφιλος Τσαγρής Μεσογείων 96 11527 ΑθήναTelefon: +30 210 7767321 Fax: +30 210 7767499 E-Mail: [email protected] Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Griechisch, Englisch, Französisch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Griechisch, Englisch, Französisch. IRLAND Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: Ministry for Justice, Equality and Law Reform Department of Justice, Equality and Law Reform Bishop’s Square Redmond Hill Dublin 2 Telefon: +353 1 4790200 Fax: +353 1 4790201 E-Mail: [email protected]

Thomas Rauscher

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Irisch, Englisch, Französisch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Irisch, Englisch. ITALIEN Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: Autorità Centrale per l’intero territorio nazionale è il Dipartimento per la Giustizia Minorile Via Giulia 131 00187 Roma Telefon: +39 06 681881 Fax: +39 06 68807087 E-Mail: [email protected] Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Italienisch, Englisch, Französisch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Italienisch, Englisch, Französisch. LETTLAND Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: The Ministry of Justice of the Republic of Latvia Brīvības bulvāris 36 Riga, LV– 1536 Latvia Telefon: +371 67036836 Fax: +371 67036852 E-Mail: [email protected] Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Lettisch, Englisch.

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Kapitel VII: Schlussbestimmungen

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Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Lettisch, Englisch. LITAUEN Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: Justizministerium der Republik Litauen Gedimino ave. 30/1 LT– 01104 Vilnius Telefon: +370 5 2662933 Fax: +370 5 2625940 Ministerium für Arbeit und Soziales A. Vivulskio str., 11 LT– 03610 Vilnius Telefon: +370 5 266 42 01 Fax: +370 5 260 38 13 Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Litauisch, Englisch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Litauisch. LUXEMBURG Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: Parquet Général Cité Judiciaire, Bâtiment CR Plateau du Saint-Esprit L-2080 Luxembourg Telefon: +352 47 59 81/336 Fax: +352 47 05 50 E-Mail: [email protected] Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Französisch, Deutsch, Englisch.

Thomas Rauscher

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Französisch, Deutsch, Englisch. MALTA Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: The Director Department for Social Welfare Standards Ministry for the Family and Social Solidarity Bugeia Institute St Joseph High Road Sta Verena – MALTA Telefon: +356 21 441 311/21 480130 Fax: +356 21 490 468 Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Maltesisch, Englisch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Maltesisch, Englisch. NIEDERLANDE Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: Abteilung für rechtliche und internationale Angelegenheiten Direktion für Jugendsachen, Justizministerium Schedeldoekshaven 100 Postbus 20301 2500 ’s-Gravenhage Telefon: +31 70 370 48 93 Fax: +31 70 370 75 07 Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Niederländisch, Französisch, Deutsch, Englisch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Niederländisch, Deutsch, Englisch.

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Kapitel VII: Schlussbestimmungen

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ÖSTERREICH Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: Bundesministerium für Justiz Museumstrasse 7 Abteilung I 10 1016 Wien Telefon: +43-1 52152/2134 Fax: +43-1 52152/2829 E-Mail: [email protected] Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Deutsch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Deutsch. POLEN Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: Ministerstwo Sprawiedliwości Departament Wspólpracy Międzynarodowej i Prawa Europejskiego Al. Ujazdowskie 11 00-950 Warszawa Telefon/fax: +48 22 628 09 49 Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Polnisch, Deutsch, Englisch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Polnisch. PORTUGAL Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel:

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Direcção-Geral de Reinserção Social Autoridade Central Portuguesa Avenida Almirante Reis, 72 1150-020 Lisboa Telefon: +351 21 114 25 00 Fax: +351 21 317 61 71 E-Mail: [email protected] Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Portugiesisch, Englisch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Portugiesisch, Englisch. RUMÄNIEN Artikel 67 (a) Die rumänische zentrale Behörde ist das Justizministerium (Artikel 3 von Artikel I3 des Gesetzes Nr. 191/2007 zur Genehmigung der Notverordnung der Regierung Nr. 119/2006 betreffend erforderlicher Maßnahmen zur Anwendung von bestimmten Gemeinschaftsverordnungen nach dem EU-Beitritt Rumäniens). Ministerul Justiţiei şi Libertăţilor Cetăţeneşti Direcţia Drept Internaţional şi Tratate Serviciul Cooperare judiciară internaţională în materie civilă Strada Apolodor 17 Sector 5, Bucureşti, Cod 050741 Tel: +40372041077, +403742041078 (cabinet director) Tel: +40372041083, +40372041217, +40372041218 (Serviciul Cooperare judiciară internaţională în materie civilă şi comercială) Fax: +40.37204 1079 E-mail: [email protected] Artikel 67 (b) Rumänien akzeptiert Rumänisch, Englisch und Französisch für die Bescheinigung über die Rückgabe oder den Besuch des Kindes und für die Zustellungen an die zentralen Behörden. Artikel 67 (c) Rumänien akzeptiert Rumänisch, Englisch und Französisch für die Bescheinigung über die Rückgabe oder den Besuch des Kindes und für die Zustellungen an die zentralen Behörden. SCHWEDEN Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel:

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Kapitel VII: Schlussbestimmungen

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Utrikesdepartementet Enheten för konsulära och civilrättsliga ärenden (Abteilung für Konsularsachen und Zivilrecht) S- 103 39 STOCKHOLM Telefon: +46 (8) 405 1000 (växel)/+46 (8) 405 5001 (Telefon vid nödsituationer annan tid än kontorstid) Fax: +46 (8) 723 1176 E-Mail: [email protected] Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Schwedisch, Englisch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Schwedisch, Englisch. SLOWAKEI Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: Ministerstvo spravodlivosti Slovenskej republiky Župné námestie 13 813 11 Bratislava (Artikel 55 Buchstabe c) Telefon: +421 2 59 353 111 Fax: +421 2 59 353 600 Web: www.justice.gov.sk Centrum pre medzinárodnoprávnu ochranu detí a mládeže Špitálska 8 P.O. Box 57 814 99 Bratislava (Artikel 55 Buchstaben a, b, d und e und Artikel 56) Telefon: +421 2 20 46 32 08 Fax: +421 2 20 46 32 58 E-Mail: [email protected] Web: www.cipc.sk Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Slowakisch, Englisch, Französisch (Artikel 53 Buchstabe c); Slowakisch, Englisch (Artikel 55 Buchstabe d); Slowakisch, Englisch, Deutsch (Artikel 55 Buchstaben a, b und e). Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Slowakisch.

Thomas Rauscher

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

SLOWENIEN Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: Ministrstvo za delo, družino in socialne zadeve Kotnikova 5 1000 Ljubljana Telefon: +386 (0)1 478 34 68 Fax: +386 (0)1 478 34 80 E-Mail: [email protected] Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Slowenisch, Englisch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Slowenisch. SPANIEN Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: Dirección General de Cooperación Jurídica Internacional del Ministerio de Justicia Servicio de Convenios San Bernardo 62 28015 Madrid Telefon: +34 91 3904437/+34 91 3904273 Fax: +34 91 3902383 E-Mail: [email protected] [email protected] Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Spanisch, Englisch, Französisch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Spanisch.

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Oktober 2014

Kapitel VII: Schlussbestimmungen

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TSCHECHISCHE REPUBLIK Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: Úřad pro mezinárodněpravní ochranu dětí Šilingrovo náměstí 3 Tel.: 00420 542 215 522 Fax: 00420 542 212 836 E-mail: [email protected] Webseite: www.umpod.cz Kontaktpersonen: Zdeněk Kapitán, Direktor Markéta Nováková, Stellvertretender Direktor Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Tschechisch, Französisch, Deutsch, Englisch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Tschechisch, Deutsch, Englisch. UNGARN Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: Ifjúsági, Családügyi, Szociális és Esélyegyenlőségi Minisztérium 1054 Budapest Akadémia u. 3. (für alle Angelegenheiten im Anwendungsbereich der Verordnung mit Ausnahme der Kindesentführung) Telefon: +36 1 312 7285 Fax: +36 1 312 7021 E-Mail: [email protected] Jogellenes gyermekelvitellel kapcsolatos ügyekben: az Igazságügyi Minisztérium 1055 Budapest Kossuth tér 4 (in Fällen von Kindesentführung) Telefon: + 36 1 441 3110 Fax: +36 1 441 3112 E-Mail: [email protected]

Thomas Rauscher

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Anh zu Art 67 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Ungarisch, Englisch, Deutsch, Französisch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Ungarisch, Englisch, Deutsch, Französisch. VEREINIGTES KÖNIGREICH Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: (England & Wales) The International Child Abduction and Contact Unit Victory House 30-34 Kingsway London WC2B 6EX Telefon: +44 (0) 20 3681 2608 Fax: +44 (0) 20 3681 2763 E-Mail: [email protected] (Scotland) Scottish Government Central Authority & International Law Team St Andrew’s House (2W) Regent Road Edinburgh EH1 3DG Telefon: +44 (0) 131 244 4827/4832 Fax: +44 (0) 131 244 4848 E-Mail: [email protected] (Casework Manager); [email protected] (Team Leader) (Northern Ireland) Civil Policy Division Northern Ireland Court Service 5th Floor Laganside House 23-27 Oxford Street Belfast BT1 3LA Telefon: +44 28 9041 2910 Fax: +44 28 9072 8944 E-Mail: [email protected]

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Oktober 2014

Kapitel VII: Schlussbestimmungen

Anh zu Art 67 Brüssel IIa-VO

Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Englisch, Französisch. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2: Englisch, Französisch. ZYPERN Artikel 67 (a) Die Namen und Anschriften der Zentralen Behörden gemäß Artikel 53 sowie die technischen Kommunikationsmittel: Υπουργείο Δικαιοσύνης και Δημοσίας Τάξεως (Ministry of Justice and Public Order) Μονάδα Διεθνούς Νομικής Συνεργασίας (International Legal Cooperation Unit) Λεωφόρος Αθαλάσσας 125 (125 avenue Athalassas) Δασούπολη 1461, Λευκωσία (Dasoupoli 1461, Leucosia) ΚΥΠΡΟΣ (Cyprus) Kontakt: Κα. Γιουλίκα Χατζηπροδρόμου (Mrs. Yioulika Hadjiprodromou) Νομικός Σύμβουλος (Legal Officer) Μονάδα Διεθνούς Νομικής Συνεργασίας (Unit for International Legal Cooperation) Υπουργείο Δικαιοσύνης και Δημοσίας Τάξεως (Ministry of Justice and Public Order) Tel.: (+357) 22805943 Fax: (+357) 22518328 E-mail: [email protected] Κα. Τροοδία Διονυσίου (Mrs. TroodiaDionysiou) Διοικητικός Λειτουργός (Administrative Officer) Μονάδα Διεθνούς Νομικής Συνεργασίας (Unit for International Legal Cooperation) Υπουργείο Δικαιοσύνης και Δημοσίας Τάξεως (Ministry of Justice and Public Order) Tel.: (+357) 22805932 Fax: (+357) 22518328 E-mail: [email protected] Artikel 67 (b) Die Sprachen, die gemäß Artikel 57 Absatz 2 für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zugelassen sind: Mitteilungen an die Zentrale Behörde (Art. 57 Abs. 2 und Art. 45 Abs. 2) sind in den Amtssprachen der Republik Zypern, d.h. griechisch, türkisch und englisch zu verfassen. Artikel 67 (c) Für die Bescheinigung über das Umgangsrecht und die Rückgabe eines Kindes – Artikel 45 Absatz 2:

Thomas Rauscher

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Art 68 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Mitteilungen an die Zentrale Behörde (Art. 57 Abs. 2 und Art. 45 Abs. 2) sind in den Amtssprachen der Republik Zypern, d.h. griechisch, türkisch und englisch zu verfassen.

Artikel 68: Angaben zu den Gerichten und den Rechtsbehelfen Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission die in den Artikeln 21, 29, 33 und 34 genannten Listen mit den zuständigen Gerichten und den Rechtsbehelfen sowie die Änderungen dieser Listen mit. Die Kommission aktualisiert diese Angaben und gibt sie durch Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union und auf andere geeignete Weise bekannt.

1 1. Art 68 beruht auf der Änderung des Verfahrens der Festlegung der in den Mitglied-

staaten zuständigen Gerichte und statthaften Rechtsbehelfe gegenüber der Brüssel II-VO (dort Art 44). Dort waren diese Gerichte in Anhängen zur VO bestimmt, Art 68 schafft ein Verfahren der selbstständigen Veröffentlichung dieser Angaben auf Mitteilung der Mitgliedstaaten im Amtsblatt. 2 2. Erfasst sind die nach Art 21, 29, 33 und 34 von den Mitgliedstaaten zu benennenden

Gerichte und Rechtsbehelfe. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission diese Gerichte und Rechtsbehelfe in Listen mit. Diese werden gesondert bekanntgemacht; eine Änderung führt daher nicht zur Änderung des Textes der VO. Da es sich um einen gebundenen Vollzug im jeweiligen Mitgliedstaat demokratischer Legitimation bedürftiger Entscheidungen handelt, bestehen insoweit keine rechtsstaatlichen Bedenken. 3 Die Liste zu Art 681 liegt in einer ersten Aktualisierung vor, die im Anhang zu Art 68

abgedruckt ist. Die konsolidierte Fassung enthält noch keine Angaben zu Kroatien. Die von Kroatien bereits gelieferten Informationen2 zu Art 68 betreffen lediglich die zu benennenden Gerichte. Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei municipal courts zu stellen.3 Rechtsbehelfe gemäß Art 33 sind ebenfalls bei municipal courts einzulegen.4

Anhang zu Art 68: Erste Aktualisierung der Angaben zu den Gerichten und den Rechtsbehelfen gemäß Artikel 68 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/20001

1 2 3 4 1

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ABl EU 2013 C 85/6. https://e-justice.europa.eu/content_croatia__cooperation_in_civil_matters-276-de.do (17.3.2014). https://e-justice.europa.eu/fileDownload.do?id=b8cb99ae-78a6-44fa-8979-28da939cc9aa (17.3.2014). https://e-justice.europa.eu/fileDownload.do?id=b8cb99ae-78a6-44fa-8979-28da939cc9aa (17.3.2014). ABl EU 2013 C 85/6 – http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2013:085:0006:000 8:DE:PDF (14.3.2014).

Oktober 2014

Kapitel VII: Schlussbestimmungen

Anh zu Art 68 Brüssel IIa-VO

[hier in alphabetischer Reihenfolge abgedruckt] BELGIEN Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Belgien beim tribunal de première instance/Rechtbank van eerste aanleg/erstinstanzliches Gericht Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Belgien: a) kann die Person, die den Antrag auf Vollstreckbarerklärung gestellt hat, einen Rechtsbehelf beim cour d’appel oder beim Hof van beroep einlegen b) kann die Person, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, beim tribunal de première instance/Rechtbank van eerste aanleg/erstinstanzlichen Gericht Einspruch einlegen Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Belgien mit einer Kassationsbeschwerde BULGARIEN Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Bulgarien beim окръжният съд Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Bulgarien beim апелативен съд София Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Bulgarien mit einem касационно обжалване beim Върховния касационен съд DEUTSCHLAND Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Deutschland: a) im Bezirk des Kammergerichts (Berlin) beim Familiengericht Pankow/Weißensee, b) im Bezirk der Oberlandesgerichte Braunschweig, Celle und Oldenburg beim Familiengericht Celle c) in den Bezirken der übrigen Oberlandesgerichte beim Familiengericht am Sitz des betreffenden Oberlandesgerichts

Thomas Rauscher

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B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Deutschland beim Oberlandesgericht Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Deutschland mit einer Rechtsbeschwerde ESTLAND Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Estland beim maakohus Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Estland beim ringkonnakohus Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Estland mit einem kassatsioonkaebus FINNLAND Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Finnland beim käräjäoikeus/tingsrätt Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Finnland beim hovioikeus/hovrätt Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Finnland mit einem Rechtsbehelf beim korkeimpaan oikeuteen/genom besvär hos högsta domstolen FRANKREICH Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Frankreich beim Président du Tribunal de grande instance Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Frankreich bei der Cour d’appel

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Kapitel VII: Schlussbestimmungen

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Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Frankreich mit einer pourvoi en cassation beim Cour de cassation GRIECHENLAND Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Griechenland beim Πρωτοδικείο Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Griechenland beim Εφετείο Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Griechenland mit einer Kassationsbeschwerde IRLAND Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Irland beim High Court Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Irland beim High Court Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Irland mit einem auf Rechtsfragen beschränkten Rechtsbehelf beim Supreme Court ITALIEN Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Italien beim Corte d’appello Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Italien beim Corte d’appello Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Italien mit einer Kassationsbeschwerde

Thomas Rauscher

423

Anh zu Art 68 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

LETTLAND Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Lettland beim rajona (pilsētas) tiesā Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Lettland beim apgabaltiesā ar rajona (pilsētas) tiesas starpniecību Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Lettland mit einem pārsūdzību kasācijas kārtībā Augstākās tiesas Senātā ar apgabaltiesas starpniecību LITAUEN Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Litauen beim Lietuvos apeliaciniam teismui Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Litauen beim Lietuvos apeliaciniam teismui Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Litauen mit einer Kassationsbeschwerde beim Lietuvos Aukščiausiajam Teismui LUXEMBURG Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Luxemburg beim vorsitzenden Richter des Tribunal d’arrondissement Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Luxemburg beim Cour d’appel Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Luxemburg mit einer Kassationsbeschwerde MALTA Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen:

424

Oktober 2014

Kapitel VII: Schlussbestimmungen

Anh zu Art 68 Brüssel IIa-VO

– in Malta beim Prim’Awla tal-Qorti Ċivili oder beim il-Qorti tal-Maġistrati ta’ Għawdex fil-ġurisdizzjoni superjuri tagħha Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Malta beim Qorti tal-Appell nach dem in der Zivilprozessordnung (Kodiċi tal-Organizzazzjoni u Proċedura Ċivili – Kap. 12) festgelegten Verfahren Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Malta können keine weiteren Rechtsbehelfe eingelegt werden NIEDERLANDE Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in den Niederlanden beim voorzieningenrechter van de rechtbank Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in den Niederlanden beim rechtbank Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in den Niederlanden mit einer Kassationsbeschwerde ÖSTERREICH Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Österreich beim Bezirksgericht Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Österreich beim Bezirksgericht Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Österreich mit einem Revisionsrekurs POLEN Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Polen beim sąd okręgowy Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen:

Thomas Rauscher

425

Anh zu Art 68 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

– in Polen beim sąd apelacyjny za pośrednictwem sądu okręgowego Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Polen mit einem skarga kasacyjna do Sądu Najwyższego PORTUGAL Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Portugal beim Tribunal de comarca oder beim Tribunal de Família e Menores Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Portugal beim Tribunal da Relação Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Portugal mit einem recurso restrito à matéria de direito beim Supremo Tribunal de Justiça RUMÄNIEN Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Rumänien beim tribunalul Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Rumänien beim Curtea de Apel Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Rumänien mit einer contestaţia în anulare und einer revizuirea SCHWEDEN Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Schweden beim Svea hovrätt Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Schweden beim Svea hovrätt Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Schweden mit einem Rechtsbehelf beim Högsta domstolen

426

Oktober 2014

Kapitel VII: Schlussbestimmungen

Anh zu Art 68 Brüssel IIa-VO

SLOWAKEI Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in der Slowakischen Republik (a) beim Krajský súd v Bratislave für Anträge auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe. (b) beim Okresný súd für den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes oder beim Okresný súd Bratislava I für Anträge in Bezug auf die elterliche Verantwortung, wenn das Kind keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Slowakischen Republik hat Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in der Slowakischen Republik beim Okresný súd Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in der Slowakischen Republik mit einem dovolanie SLOWENIEN Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Slowenien beim okrožno sodišče Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Slowenien beim okrožno sodišče Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Slowenien mit einem pritožba beim Vrhovnem sodišču Republike Slovenije SPANIEN Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Spanien beim Juzgado de Primera Instancia Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Spanien beim Audiencia Provincial Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Spanien mit einer Kassationsbeschwerde

Thomas Rauscher

427

Anh zu Art 68 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

TSCHECHISCHE REPUBLIK Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in der Tschechischen Republik beim okresnímu soudu oder beim soudnímu exekutorovi Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in der Tschechischen Republik beim okresního soudu Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in der Tschechischen Republik mit einem žalobou pro zmatečnost und einem dovoláním UNGARN Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Ungarn beim helyi bíróság und in Budapest beim Budai Központi Kerületi Bíróság Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Ungarn beim helyi bíróság und in Budapest beim Budai Központi Kerületi Bíróság Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Ungarn mit einem felülvizsgálati kérelem VEREINIGTES KÖNIGREICH Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – im Vereinigten Königreich: a) in England und Wales beim High Court of Justice – Principal Registry of the Family Division b) in Schottland beim Court of Session, Outer House c) in Nordirland beim High Court of Justice Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – im Vereinigten Königreich: a) in England und Wales beim High Court of Justice – Principal Registry of the Family Division b) in Schottland beim Court of Session, Outer House c) in Nordirland beim High Court of Justice Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden:

428

Oktober 2014

Kapitel VII: Schlussbestimmungen

Art 70 Brüssel IIa-VO

– im Vereinigten Königreich mit einem einzigen weiteren, auf Rechtsfragen beschränkten Rechtsbehelf: a) in England und Wales beim Court of Appeal b) in Schottland beim Court of Session, Inner House c) in Nordirland beim Northern Ireland Court of Appeal ZYPERN Liste 1 Anträge nach den Artikeln 21 und 29 sind bei folgenden Gerichten zu stellen: – in Zypern beim Οικογενειακó Δικαστήριο Λευκωσίας-Κερύνειας, beim Οικογενειακó Δικαστήριο Λεμεσού- Πάφου oder beim Οικογενειακó Δικαστήριο Λάρνακας-Αμμοχώστου Liste 2 Der Rechtsbehelf gemäß Artikel 33 ist bei folgenden Gerichten einzulegen: – in Zypern beim Δευτεροβάθμιο Οικογενειακó Δικαστήριο Liste 3 Rechtsbehelfe gemäß Artikel 34 können nur eingelegt werden: – in Zypern können keine weiteren Rechtsbehelfe eingelegt werden

Artikel 69: Änderungen der Anhänge Änderungen der in den Anhängen I bis IV wiedergegebenen Formblätter werden nach dem in Artikel 70 Absatz 2 genannten Verfahren beschlossen.

Die Bestimmung geht auf Art 44 Abs 2 Brüssel II-VO zurück. Sie ermächtigt die Kommis- 1 sion zu Änderungen der in den Anhängen I bis IV abgedruckten Formblätter. Solche Änderungen erfolgen im Verfahren nach Art 70 Abs 2. Dies erscheint rechtsstaatlich nicht unbedenklich. Schon die in Art 44 Abs 2 Brüssel II-VO vorgesehene „Aktualisierung und technische Anpassung“ konnte zu einer Erweiterung oder Reduzierung der Nachweiserfordernisse im Vollstreckbarerklärungsverfahren führen, für die es im beratenden Verfahren nach Art 70 Abs 2 an einer demokratischen Legitimierung der Kommission fehlt. Die nun vorgenommene Erweiterung auf jedwede Änderung bedeutet praktisch eine Rechtssetzungskompetenz der Kommission, was schlicht rechtswidrig wäre. Die Bestimmung ist daher auf bloße technische Anpassungen, Erweiterungen und Klarstellungen zu beschränken.

Artikel 70: Ausschuss (1) Die Kommission wird von einem Ausschuss (nachstehend „Ausschuss“ genannt) unterstützt. (2) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten die Artikel 3 und 7 des Beschlusses 1999/468/EG. (3) Der Ausschuss gibt sich eine Geschäftsordnung.

Thomas Rauscher

429

Art 71 Brüssel IIa-VO

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

1 Die Bestimmung – wortgleich aus Art 45 Brüssel II-VO übernommen – entspricht Art 75

Brüssel I-VO. Sie steht im Zusammenhang mit der Übertragung von Durchführungsbefugnissen hinsichtlich der VO durch den Rat auf die Kommission. Die Kommission wird durch einen beratenden Ausschuss unterstützt (Abs 1). Für das Beratungsverfahren durch den nach Abs 1 einzurichtenden Ausschuss gilt gemäß Abs 2 des Art 3 des Beschlusses vom 28.6. 1999 (1999/468/EG).1 Grundsätze für die nach Abs 3 zu errichtende Geschäftsordnung enthält Art 7 dieses Beschlusses.

Artikel 71: Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (1) Die Verordnung (EG) Nr.1347/2000 wird mit Beginn der Geltung dieser Verordnung aufgehoben. (2) Jede Bezugnahme auf die Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 gilt als Bezugnahme auf diese Verordnung nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang VI.

1 1. Mit Beginn der Geltung der VO (Art 72) ist die Brüssel II-VO (EG Nr 1347/2000) außer

Kraft getreten (Abs 1). Sie findet allerdings für die Bestimmung der Zuständigkeit in den nach Art 64 Abs 1 nicht von der Brüssel IIa-VO erfassten anhängigen Verfahren, bezogen auf Verfahrenseinleitungen vor dem 1.3.2005, weiter Anwendung. Anerkennungs- und vollstreckungsrechtlich ist die Brüssel II-VO auch für Altentscheidungen aufgrund der umfassenden Übergangsregeln in Art 64 Abs 2 bis 4 nicht mehr anwendbar. 2 2. Abs 2 stellt, in einer aus deutscher Sicht ungewohnten Weise, sicher, dass Verweisungen

im sonstigen Europarecht nun nicht ins Leere gehen. Anstatt andere Rechtsinstrumente, die auf die VO verweisen, entsprechend zu ändern, was für die Kommission angesichts der nicht leichten Übersicht über die Rechtsquellen nicht einfach, aber anwenderfreundlich gewesen wäre, werden mit Abs 2 die Verweisungen in dritten Instrumenten auf die Brüssel II-VO als Verweisungen auf die Brüssel IIa-VO umdefiniert. Der Rechtsunterworfene hat dabei auch die Aufgabe zu bewältigen, nach Maßgabe der Konkordanztabelle in Anhang VI, womit – by the way – Anhang V gemeint ist,1 die verwiesenen Normen umzusetzen. Für die Praxis ist diese Methode irritierend, weil grundsätzlich unterstellt werden darf, dass ein Rechtsinstrument, auf das in geltendem Recht verwiesen wird, in Geltung ist. Abs 2 findet nur, wer weiß, dass die Brüssel IIa-VO die Brüssel II-VO abgelöst hat.

1 1

430

ABl EG 1999 L 184/23. Insoweit stören nicht nur die Flüchtigkeitsfehler in Verordnungen, sondern auch das ersichtliche Desinteresse, diese zu eliminieren, ohne auf eine Totalreform zu warten.

Oktober 2014

Kapitel VII: Schlussbestimmungen

Art 72 Brüssel IIa-VO

Artikel 72: In-Kraft-Treten Diese Verordnung tritt am 1. August 2004 in Kraft. Sie gilt ab 1. März 2005 mit Ausnahme der Artikel 67, 68, 69 und 70, die ab dem 1. August 2004 gelten.

Das Inkrafttreten der VO am 1.8.2004 bedeutet nicht deren Anwendung1 mit Ausnahme 1 der Bestimmungen über die Einrichtung der organisatorischen und technischen Schlussbestimmungen in Art 67 bis 70. Die Geltung der VO ab 1.3.2005 bedeutet deren Anwendbarkeit in allen Teilen, jedoch nicht 2 notwendig in allen an diesem Tag noch schwebenden Verfahren. Der intertemporale Anwendungsbereich bestimmt sich, auch im Verhältnis zu unter der Brüssel II-VO eingeleiteten Verfahren, nach Art 64. Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft unmittelbar in den Mitgliedstaaten.

Geschehen zu Brüssel am 27. November 2003. Im Namen des Rates Der Präsident R. CASTELLI

1

Wohl aA Siehr IPRax 2009, 332.

Thomas Rauscher

431

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Anh I Brüssel IIa-VO

L 338/20

Amtsblatt der Europäischen Union

DE

23.12.2003

ANHANG I BESCHEINIGUNG GEMÄSS ARTIKEL 39 ÜBER ENTSCHEIDUNGEN IN EHESACHEN (1) 1.

Ursprungsmitgliedstaat

2. Ausstellendes Gericht oder ausstellende Behörde 2.1. Bezeichnung 2.2. Anschrift 2.3. Telefon/Fax/E-Mail 3. Angaben zur Ehe 3.1. Ehefrau 3.1.1. Name, Vornamen 3.1.2. Anschrift 3.1.3. Staat und Ort der Geburt 3.1.4. Geburtsdatum 3.2. Ehemann 3.2.1. Name, Vornamen 3.2.2. Anschrift 3.2.3. Staat und Ort der Geburt 3.2.4. Geburtsdatum 3.3. Staat, Ort (soweit bekannt) und Datum der Eheschließung 3.3.1. Staat der Eheschließung 3.3.2. Ort der Eheschließung (soweit bekannt) 3.3.3. Datum der Eheschließung 4. Gericht, das die Entscheidung erlassen hat 4.1. Bezeichnung des Gerichts 4.2. Gerichtsort 5. Entscheidung 5.1. Datum 5.2. Aktenzeichen 5.3. Art der Entscheidung 5.3.1. Scheidung 5.3.2. Ungültigerklärung der Ehe 5.3.3. Trennung ohne Auflösung des Ehebandes (1) Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000.

432

Oktober 2014

Anhänge

Anh I Brüssel IIa-VO

23.12.2003

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 338/21

5.4. Erging die Entscheidung im Versäumnisverfahren? 5.4.1. Nein 5.4.2. Ja (1) 6. Namen der Parteien, denen Prozesskostenhilfe gewährt wurde 7.

Können gegen die Entscheidung nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats weitere Rechtsbehelfe eingelegt werden? 7.1.

Nein

7.2. Ja 8. Datum der Rechtswirksamkeit in dem Mitgliedstaat, in dem die Entscheidung erging 8.1. Scheidung 8.2. Trennung ohne Auflösung des Ehebandes

Geschehen zu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . am

....................................

Unterschrift und/oder Dienstsiegel

(1) Die in Artikel 37 Absatz 2 genannten Urkunden sind vorzulegen.

Thomas Rauscher

433

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Anh II Brüssel IIa-VO

L 338/22

Amtsblatt der Europäischen Union

DE

23.12.2003

ANHANG II BESCHEINIGUNG GEMÄSS ARTIKEL 39 ÜBER ENTSCHEIDUNGEN ÜBER DIE ELTERLICHE VERANTWORTUNG (1) 1.

Ursprungsmitgliedstaat

2. Ausstellendes Gericht oder ausstellende Behörde 2.1. Bezeichnung 2.2. Anschrift 2.3. Telefon/Fax/E-Mail 3. Träger eines Umgangsrechts 3.1. Name, Vornamen 3.2. Anschrift 3.3. Geburtsdatum und -ort (soweit bekannt) 4. Träger der elterlichen Verantwortung, die nicht in Nummer 3 genannt sind (2) 4.1. 4.1.1. Name, Vornamen 4.1.2. Anschrift 4.1.3

Geburtsdatum und -ort (soweit bekannt)

4.2. 4.2.1. Name, Vornamen 4.2.2. Anschrift 4.2.3. Geburtsdatum und -ort (soweit bekannt) 4.3. 4.3.1. Name, Vornamen 4.3.2. Anschrift 4.3.3. Geburtsdatum und -ort (soweit bekannt) 5. Gericht, das die Entscheidung erlassen hat 5.1. Bezeichnung des Gerichts 5.2. Gerichtsort 6. Entscheidung 6.1. Datum 6.2. Aktenzeichen 6.3. Erging die Entscheidung im Versäumnisverfahren? 6.3.1. Nein 6.3.2. Ja (3) (1) Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000. (2) Im Fall des gemeinsamen Sorgerechts kann die in Nummer 3 genannte Person auch in Nummer 4 genannt werden. (3) Die in Artikel 37 Absatz 2 genannten Urkunden sind vorzulegen.

434

Oktober 2014

Anhänge

Anh II Brüssel IIa-VO

23.12.2003

Amtsblatt der Europäischen Union

DE 7.

L 338/23

Kinder, für die die Entscheidung gilt (1) 7.1.

Name, Vornamen und Geburtsdatum

7.2. Name, Vornamen und Geburtsdatum 7.3. Name, Vornamen und Geburtsdatum 7.4. Name, Vornamen und Geburtsdatum 8. Namen der Parteien, denen Prozesskostenhilfe gewährt wurde 9. Bescheinigung über die Vollstreckbarkeit und Zustellung 9.1. Ist die Entscheidung nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats vollstreckbar? 9.1.1. Ja 9.1.2. Nein 9.2. Ist die Entscheidung der Partei, gegen die vollstreckt werden soll, zugestellt worden? 9.2.1. Ja 9.2.1.1. Name, Vornamen der Partei 9.2.1.2. Anschrift 9.2.1.3. Datum der Zustellung 9.2.2. Nein 10. Besondere Angaben zu Entscheidungen über das Umgangsrecht, wenn die Vollstreckbarkeitserklärung gemäß Artikel 28 beantragt wird. Diese Möglichkeit ist in Artikel 40 Absatz 2 vorgesehen: 10.1. Modalitäten der Ausübung des Umgangsrechts (soweit in der Entscheidung angegeben) 10.1.1. Datum, Uhrzeit 10.1.1.1. Beginn 10.1.1.2. Ende 10.1.2. Ort 10.1.3. Besondere Pflichten des Trägers der elterlichen Verantwortung 10.1.4. Besondere Pflichten des Umgangsberechtigten 10.1.5. Etwaige Beschränkungen des Umgangsrechts 11. Besondere Angaben zu Entscheidungen über die Rückgabe von Kindern, wenn die Vollstreckbarkeitserklärung gemäß Artikel 28 beantragt wird. Diese Möglichkeit ist in Artikel 40 Absatz 2 vorgesehen: 11.1. In der Entscheidung wird die Rückgabe der Kinder angeordnet. 11.2. Rückgabeberechtigter (soweit in der Entscheidung angegeben) 11.2.1. Name, Vornamen 11.2.2 Anschrift

Geschehen zu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . am

....................................

Unterschrift und/oder Dienstsiegel

(1) Gilt die Entscheidung für mehr als vier Kinder, ist ein weiteres Formblatt zu verwenden.

Thomas Rauscher

435

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Anh III Brüssel IIa-VO

L 338/24

Amtsblatt der Europäischen Union

DE

23.12.2003

ANHANG III BESCHEINIGUNG GEMÄSS ARTIKEL 41 ABSATZ 1 ÜBER ENTSCHEIDUNGEN ÜBER DAS UMGANGSRECHT (1) 1.

Ursprungsmitgliedstaat

2. Ausstellendes Gericht bzw. ausstellende Behörde 2.1. Bezeichnung 2.2. Anschrift 2.3. Telefon/Fax/E-Mail 3. Träger eines Umgangsrechts 3.1. Name, Vornamen 3.2. Anschrift 3.3. Geburtsdatum und -ort (soweit vorhanden) 4. Träger der elterlichen Verantwortung, die nicht in Nummer 3 genannt sind (2) (3) 4.1. 4.1.1. Name, Vornamen 4.1.2. Anschrift 4.1.3

Geburtsdatum und -ort (soweit bekannt)

4.2. 4.2.1. Name, Vornamen 4.2.2. Anschrift 4.2.3. Geburtsdatum und -ort (soweit bekannt) 4.3. Andere 4.3.1. Name, Vornamen 4.3.2. Anschrift 4.3.3. Geburtsdatum und -ort (soweit bekannt) 5. Gericht, das die Entscheidung erlassen hat 5.1. Bezeichnung des Gerichts 5.2. Gerichtsort 6. Entscheidung 6.1. Datum 6.2. Aktenzeichen (1) Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000. (2) Im Fall des gemeinsamen Sorgerechts kann die in Nummer 3 genannte Person auch in Nummer 4 genannt werden. (3) Das Feld ankreuzen, das der Person entspricht, gegenüber der die Entscheidung zu vollstrecken ist.

436

Oktober 2014

Anhänge

Anh III Brüssel IIa-VO

23.12.2003

DE 7.

Amtsblatt der Europäischen Union

L 338/25

Kinder, für die die Entscheidung gilt (1) 7.1.

Name, Vornamen und Geburtsdatum

7.2. Name, Vornamen und Geburtsdatum 7.3. Name, Vornamen und Geburtsdatum 7.4. Name, Vornamen und Geburtsdatum 8. Ist die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar? 8.1. Ja 8.2. Nein 9. Im Fall des Versäumnisverfahrens wurde das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück der säumigen Person so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt, dass sie sich verteidigen konnte, oder, falls es nicht unter Einhaltung dieser Bedingungen zugestellt wurde, wurde festgestellt, dass sie mit der Entscheidung eindeutig einverstanden ist. 10. Alle betroffenen Parteien hatten Gelegenheit, gehört zu werden. 11. Die Kinder hatten die Möglichkeit, gehört zu werden, sofern eine Anhörung nicht aufgrund ihres Alters oder ihres Reifegrads unangebracht erschien. 12. Modalitäten der Ausübung des Umgangsrechts (soweit in der Entscheidung angegeben) 12.1. Datum, Uhrzeit 12.1.1. Beginn 12.1.2. Ende 12.2. Ort 12.3. Besondere Pflichten des Trägers der elterlichen Verantwortung 12.4. Besondere Pflichten des Umgangsberechtigten 12.5. Etwaige Beschränkungen des Umgangsrechts 13. Namen der Parteien, denen Prozesskostenhilfe gewährt wurde

Geschehen zu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . am

....................................

Unterschrift und/oder Dienstsiegel

(1) Gilt die Entscheidung für mehr als vier Kinder, ist ein weiteres Formblatt zu verwenden.

Thomas Rauscher

437

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Anh IV Brüssel IIa-VO

L 338/26

Amtsblatt der Europäischen Union

DE

23.12.2003

ANHANG IV BESCHEINIGUNG GEMÄSS ARTIKEL 42 ABSATZ 1 ÜBER ENTSCHEIDUNGEN ÜBER DIE RÜCKGABE DES KINDES (1) 1.

Ursprungsmitgliedstaat

2. Ausstellendes Gericht oder ausstellende Behörde 2.1. Bezeichnung 2.2. Anschrift 2.3. Telefon/Fax/E-Mail 3. Rückgabeberechtigter (soweit in der Entscheidung angegeben) 3.1. Name, Vornamen 3.2. Anschrift 3.3. Geburtsdatum und -ort (soweit bekannt) 4. Träger der elterlichen Verantwortung (2) 4.1. Mutter 4.1.1. Name, Vornamen 4.1.2. Anschrift 4.1.3

Geburtsdatum und -ort (soweit bekannt)

4.2. Vater 4.2.1. Name, Vornamen 4.2.2. Anschrift 4.2.3. Geburtsdatum und -ort (soweit bekannt) 4.3. Andere 4.3.1. Name, Vornamen 4.3.2. Anschrift (soweit bekannt) 4.3.3. Geburtsdatum und -ort (soweit bekannt) 5. Beklagte Partei (soweit bekannt) 5.1. Name, Vornamen 5.2. Anschrift (soweit bekannt) 6. Gericht, das die Entscheidung erlassen hat 6.1. Bezeichnung des Gerichts 6.2. Gerichtsort (1) Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000. (2) Dieser Punkt ist fakultativ.

438

Oktober 2014

Anhänge

Anh IV Brüssel IIa-VO

23.12.2003

DE 7.

Amtsblatt der Europäischen Union

L 338/27

Entscheidung 7.1.

Datum

7.2. Aktenzeichen 8. Kinder, für die die Entscheidung gilt (1) 8.1. Name, Vornamen und Geburtsdatum 8.2. Name, Vornamen und Geburtsdatum 8.3. Name, Vornamen und Geburtsdatum 8.4. Name, Vornamen und Geburtsdatum 9. In der Entscheidung wird die Rückgabe des Kindes angeordnet. 10. Ist die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar? 10.1. Ja 10.2. Nein 11. Die Kinder hatten die Möglichkeit, gehört zu werden, sofern eine Anhörung nicht aufgrund ihres Alters oder ihres Reifegrads unangebracht erschien. 12. Die Parteien hatten die Möglichkeit, gehört zu werden. 13. In der Entscheidung wird die Rückgabe der Kinder angeordnet, und das Gericht hat in seinem Urteil die Gründe und Beweismittel berücksichtigt, auf die sich die nach Artikel 13 des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung ergangene Entscheidung stützt. 14. Gegebenenfalls die Einzelheiten der Maßnahmen, die von Gerichten oder Behörden ergriffen wurden, um den Schutz des Kindes nach seiner Rückkehr in den Mitgliedstaat seines gewöhnlichen Aufenthalts sicherzustellen 15. Namen der Parteien, denen Prozesskostenhilfe gewährt wurde Geschehen zu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . am

....................................

Unterschrift und/oder Dienstsiegel

(1) Gilt die Entscheidung für mehr als vier Kinder, ist ein weiteres Formblatt zu verwenden.

Thomas Rauscher

439

B.I.1 Brüssel IIa-Verordnung

Anh V Brüssel IIa-VO

L 338/28

Amtsblatt der Europäischen Union

DE

23.12.2003

ANHANG V ENTSPRECHUNGSTABELLE ZUR VERORDNUNG (EG) Nr. 1347/2000 Entsprechende Artikel des neuen Textes

Aufgehobene Artikel

1

1, 2

2

3

26

3

12

4 5

4

6

5

7

Entsprechende Artikel des neuen Textes 32 33

27

34

28

35

29

36

30

50

31

51

6

32

37

8

7

33

39

9

17

34

38

10

18

35

52

11

16, 19

36

59

12

20

37

60, 61

38

62

13

2, 49, 46

14

21

15

22, 23

16

440

Aufgehobene Artikel 25

39 40

63

41

66

42

64

17

24

43

65

18

25

44

68, 69

19

26

45

70

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Anhänge

Anh VI Brüssel IIa-VO

23.12.2003

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 338/29

ANHANG VI Erklärungen Schwedens und Finnlands nach Artikel 59 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000.

Erklärung Schwedens Gemäß Artikel 59 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 erklärt Schweden, dass das Übereinkommen vom 6. Februar 1931 zwischen Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden mit Bestimmungen des internationalen Verfahrensrechts über Ehe, Adoption und Vormundschaft einschließlich des Schlussprotokolls anstelle dieser Verordnung ganz auf die Beziehungen zwischen Schweden und Finnland anwendbar ist.

Erklärung Finnlands Gemäß Artikel 59 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 erklärt Finnland, dass das Übereinkommen vom 6. Februar 1931 zwischen Finnland, Dänemark, Island, Norwegen und Schweden mit Bestimmungen des internationalen Verfahrensrechts über Ehe, Adoption und Vormundschaft einschließlich des Schlussprotokolls anstelle dieser Verordnung in den gegenseitigen Beziehungen zwischen Finnland und Schweden in vollem Umfang zur Anwendung kommt.

Thomas Rauscher

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B.I.2 Verordnung (EG) Nr 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen ABl EU 2009 L 7/1 Art 75 Abs 1, 2, Anh II, III (de) berichtigt ABl EU 2011 L 131/26 Anh X, XI geändert durch DVO (EU) Nr 1142/2011 v 10.11.2011 ABl EU 2011 L 293/24 Art 75 Abs 2 (de) berichtigt ABl EU 2013 L 8/19 Anh I-VII geändert durch VO (EU) Nr 517/2013 v 13.5.2013 ABl EU 2013 L 158/1 (Beitritt Kroatien) Anh VI (de) berichtigt ABl EU 2013 L 281/29

Schrifttum Amos, Unterhalt für Kinder und geschiedene Ehegatten nach dem englischen Rechtsystem, FamRZ 2012, 500 Andrae, Das neue Auslandsunterhaltsgesetz, NJW 2011, 2545 Andrae, Der Unterhaltsregress öffentlicher Einrichtungen nach der EuUntVO, dem HUÜ 2007 und dem HUP, FPR 2013, 38 Andrae, Familiensachen mit Auslandsberührung, in Garbe/Ulrich (Hrsg), Verfahren in Familiensachen3 (2012) § 13, zitiert Garbe/Ulrich/Andrae Andrae, Internationales Familienrecht3 (2014) Andrae, Zum Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zum Haager Protokoll über das Unterhaltskollisionsrecht, GPR 2010, 196, 203 Andrae, Zum Verhältnis der Haager Unterhaltskonvention 2007 und des Haager Protokolls zur geplanten EU-Unterhaltsverordnung, FPR 2008, 196 Arnold, Entscheidungseinklang und Harmonisierung im internationalen Unterhaltsrecht, IPRax 2012, 311 Bartl, Die neuen Rechtsinstrumente zum IPR des Unterhalts auf internationaler und europäischer Ebene (2011) Beaumont, International Family Law in Europe – the Maintenance Project, the Hague Conference and

Marianne Andrae

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EG-UntVO den Vollstreckung europäischer Unterhaltstitel nach der Brüssel I-VO, FamRZ 2010, 1860 Botur, Besonderheiten bei der Vollstreckbarerklärung englischer Unterhaltsentscheidungen in Deutschland, FPR 2010, 519 Breuer, Übernationale Rechtsgrundlagen für die Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Unterhaltstiteln, FamRB 2014, 30 Brückner, Unterhaltsregress im internationalen Privat- und Verfahrensrecht (1994) Coester-Waltjen, Die Abänderung von Unterhaltstiteln – Intertemporale Fallen und Anknüpfungsumfang, IPRax 2012, 528 Conti, Grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen in Europa (2011), zitiert: Conti Curry-Summer, Administrative co-operation and free legal aid in international child maintenance recovery – What is the added value of the European Maintenance Regulation, NIPR 2010, 611 Dimmler, Zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte durch rügelose Einlassung gem. Art 5 EuUntVO Anmerkung zur Entscheidung des OLG Stuttgart 17 WF 229/13, FamRB 2014, 138 Dörner, Der Vorschlag für eine europäische Verordnung zum Internationalen Unterhalts- und Unterhaltsverfahrensrecht in FS Koresuke Yamauchi (2006) 81 Dörner, Internationales Unterhaltsrecht, Internationales Unterhaltsverfahrensrecht, in Eschenbruch/ Schürmann/Menne (Hrsg), Der Unterhaltsprozess6 (2013), zitiert: Eschenbruch/Dörner Dörner, Vorschlag für eine Unterhalspflichtenverordnung – Vorsicht bei Gebrauch der deutschen Fassung!, IPRax 2006, 550 Dörner, in: Saenger (Hrsg), Nomos-Kommentar ZPO5 (2013), EG-UntVO, zitiert NK-ZPO/Dörner Dose, Das deutsche Unterhaltsrecht unter dem Einfluss der Unterhalts-VO und der Haager Unterhaltsübereinkommen – Vollstreckbarkeit ausländischer Unterhaltstitel, in Coester-Waltjen/Lipp/ Schumann/Veit (Hrsg), Europäisches Unterhaltsrecht. Die Bedeutung der Haager Übereinkommen und der UnterhaltsVO für das englische und deutsche Recht (2010) S 81 Dose, in Wendl/Dose (Hrsg), Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis8 (2011), § 9, 2.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung Auslandsberührung, Verfahrensrecht einschließlich Vollstreckung, zitiert Wendl/Dose/Dose Eichel, Europarechtliche Fallstricke im Vollstreckbarerklärungsverfahren nach dem AVAG und dem neuen Auslandsunterhaltsgesetz, GPR 2011, 193 Eichel, Neuer Schwung für das Mahnverfahren als Option der grenzüberschreitenden Anspruchsverfolgung, FamRZ 2011, 1441 Eichel, Unstreitige materiell-rechtliche Einwendungen im Vollstreckbarerklärungsverfahren, FamRZ 2013, 576 Eilers, Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes im europäischen Zivilrechtsverfahren (1991) Finger, Die Europäische Unterhaltsverordnung und das Haager Unterhaltsprotokoll, FuR 2014, 82 Finger, Verordnung EG Nr 4/2009 des Rates (EuUnterhaltsVO), FuR 2011, 254 Fucik, in Fasching/Konecny (Hrsg), Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen2 (2010) 5. Band 2. Teilband, zitiert: Fasching/Konecny/Fucik Garber/Neumayr, Kindl/Meller-Hannich/Wolf (Hrsg), Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung2 (2013), EG-UntVO, zitiert: Kindl/Meller-Hannich/ Wolf/Garber/Neumayr Gebauer K, Vollstreckung von Unterhaltstiteln nach der EuVTVO und der geplanten Unterhaltsverordnung, FPR 2006, 252 Geimer, Anerkennung und Vollstreckung polnischer Vaterschaftsurteile mit Annexentscheidung über den Unterhalt etc, IPRax 2004, 419 Geimer, Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit und Justizgewährungsanspruch, NJW 1984, 527 Geimer, Das Brüssel I-System und seine Fortentwicklung im Lichte der Beschlüsse von Tamperre in FS János Németh (2003) 229 Geimer, in Zöller (Begr), Zivilprozessordnung30 (2014), EG-UntVO, zitiert Zöller/Geimer Gottwald, Anm zu AG Landstuhl, Urteil vom 6.9. 2001, FamRZ 2002, 1343 Gottwald, Die internationale Zwangsvollstreckung, IPRax 1991, 285 Gottwald, Prozessuale Zweifelsfragen der geplanten EU-Verordnung in Unterhaltssachen in FS Walter F Lindacher (2007) 13 Gronstedt, Grenzüberschreitender einstweiliger Rechtsschutz (1994) Gruber, Das Haager Protokoll zum internationalen Unterhaltsrecht in FS Ulrich Spellenberg (2010) 177

Oktober 2014

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung Gruber, Die neue EG-Unterhaltsverordnung, IPRax 2010, 128 Gruber, Die Vollstreckbarkeit ausländischer Unterhaltstitel – altes und neues Recht, IPRax 2013, 325 Gruber, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack (Hrsg), Nomos-Kommentar BGB, Allgemeiner Teil, EGBGB2 (2011) Art 18, Anh zu Art 18 EGBGB, zitiert: NK-BGB/Gruber Gsell/Netzer, Vom grenzüberschreitenden zum potenziell grenzüberschreitenden Sachverhalt – Art 19 EuUnterhVO als Paradigmenwechsel im Europäischen Zivilverfahrensrecht, IPRax 2010, 403 Harten/Jäger-Maillet, Durchsetzung übergangener Unterhaltsansprüche im Ausland, in: Schmidt (Hrsg), Internationale Unterhaltsrealisierung. Rechtsgrundlagen und praktische Anwendung (2011) Harten/Jäger-Maillet, Wenn Kindesunterhaltsansprüche übergangen sind: Durchsetzung im Ausland, JAmt 2008, 413 Hau, Das Zuständigkeitssystem der Europäischen Unterhaltsverordnung – Überlegungen aus der Perspektive des deutschen Recht, in Coester-Waltjen/ Lipp/Schumann/Veit (Hrsg), Europäisches Unterhaltsrecht. Die Bedeutung der Haager Übereinkommen und der UnterhaltsVO für das englische und deutsche Recht (2010) 57 Hau, Die Zuständigkeitsgründe der Europäischen Unterhaltsverordnung, FamRZ 2010 516 Hau, Fallstudie zur internationalen Durchsetzung von Unterhaltsforderungen, FamRBint 2012, 19 Hau, Zur internationalen Zuständigkeit für ein Unterhaltsverfahren nach Wechsel von der bezifferten Leistungsklage zur Stufenklage und zwischenzeitlichem Wohnsitzwechsel des Klägers, Anmerkung zu BGH XII ZR 23/12, FamRZ 2013, 1116 Hau, in: Prütting/Helms (Hrsg), FamFG3 (2013), Anhang 3 zu § 110 FamFG, EG-UntVO, zitiert: Prütting/Helms/Hau Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht (2013), zitiert: Hausmann, IntEuSchR Hausmann, Überlegungen zum Kollisionsrecht registrierter Partnerschaften in FS Dieter Henrich (2000) 241 Heger, Die europäische Unterhaltsverordnung, ZKJ 2010, 52 Heger, Haager Unterhaltsübereinkommen und Un-

Marianne Andrae

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EG-UntVO titeln mit Auslandsbezug nach dem AUG, FPR 2013, 27 Hess/Vollkommer, Die begrenzte Freizügigkeit einstweiliger Maßnahmen nach Art 24 EuGVÜ, IPRax 1999, 220 Hilbig, Der Begriff des Familienverhältnisses in Art 1 HPUnt 2007 und Art 1 EuUntVO, GPR 2011, 310 Hilbig-Lugani, Forderungsübergang als materielle Einwendung im Exequatur- und Vollstreckungsgegenantragsverfahren, IPRax 2012, 333 Hilbig/Picht/Reuß, in: Geimer/Schütze (Hrsg), Internationaler Rechtsverkehr, Band II, (Lfg 44 – 2013), EG-UntVO, zitiert: Geimer/Schütze/Bearbeiter Hirsch, Das neue Haager Unterhaltsübereinkommen und das Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht, in Coester-Waltjen/ Lipp/Schumann/Veit (Hrsg), Europäisches Unterhaltsrecht. Die Bedeutung der Haager Übereinkommen und der UnterhaltsVO für das englische und deutsche Recht (2010) 17 Hohloch, Grenzüberschreitende Unterhaltsdurchsetzung und ordre public – Zur Verjährung und Verwirkung im internationalen Unterhaltsrecht in FS Rainer Frank (2008) 141 Hohloch, Grenzüberschreitende Unterhaltsvollstreckung, FPR 2004, 315 Hohloch, Internationale Vollstreckung familienrechtlicher Titel, FPR 2012, 495 Hüßtege, Der europäische Vollstreckungstitel, in: Gottwald (Hrsg), Perspektiven der Justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen in der Europäischen Union (2004) 113 Jayme, Rechtshängigkeit kraft Verbunds im Ausland und inländisches gesondertes Unterhaltsverfahren, IPRax 1987, 295 Junggeburth, Grenzüberschreitender Unterhalt im Übergang: Internationale und europäische Rechtsinstrumente, in: Schmidt (Hrsg), Internationale Unterhaltsrealisierung. Rechtsgrundlagen und praktische Anwendung (2011) 47 Junker, Das Internationale Zivilverfahrensrecht der Europäischen Unterhaltsverordnung in FS DaphneAriane Simotta (2012) 263 Karsten, The new Hague Convention and EU Regulation on Maintenance Obligations – an English Perspective, in Coester-Waltjen/Lipp/Schumann/ Veit (Hrsg), Europäisches Unterhaltsrecht. Die Be-

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung deutung der Haager Übereinkommen und der UnterhaltsVO für das englische und deutsche Recht (2010) 47 Koch, Anerkennungsfähigkeit ausländischer Prozessvergleiche in FS Ekkehard Schumann (2001) 267 Kohler, Systemwechsel im europäischen Anerkennungsrecht: Von der EuGVVO zur Abschaffung des Exequaturs, in Baur/Mansel (Hrsg), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002) 147 Kohler, Von der EuGVVO zum Europäischen Vollstreckungstitel, in Reichelt/Rechberger (Hrsg), Europäisches Kollisionsrecht (2004) 63 Kropholler/Blobel, Unübersichtliche Gemengelage im IPR durch EG-Verordnungen und Staatsverträge in FS Hans Jürgen Sonnenberger (2004) 453 Kohler/Pintens, Entwicklungen im europäische Familien- und Erbrecht 2008-2009, FamRZ 2009, 1529 Kuntze, Unterhaltsrückgriff nach dem SGB II mit Auslandsbezug durch die Jobcenter und Optionskommunen, FPR 211, 166 Leipold, Zuständigkeitsvereinbarung und rügelose Einlassung nach dem Europäischen Gerichtsstandsund Vollstreckungsübereinkommen, IPRax 1982, 222 Leipold, Neuere Erkenntnisse des EuGH und des BGH zum anerkennungsrechtlichen ordre public in FS Hans Stoll (2001) 624 Leutner, Die vollstreckbare Urkunde im europäischen Rechtsverkehr (1996) Linke, Die Europäisierung des Unterhaltsverfahrensrechts, FPR 2006, 237 Lipp, in: Rauscher (Hrsg), Münchener Kommentar zum FamFG2 (2013), EG-UntVO, AUG; zitiert: MünchKommFamFG/Lipp Lipp, Parteiautonomie im internationalen Unterhaltsrecht, in LA Walter Pintens (2012) 849 Mankowski, Die internationale Zuständigkeit nach Art 3 EuUnterhVO und der Regress öffentlicher Einrichtungen, IPRax 2014, 249 Mankowski, Im Dschungel der für die Vollstreckbarerklärung ausländischer Unterhaltsentscheidungen einschlägigen Abkommen und ihrer Ausführungsgesetze, IPRax 2000, 188 Mankowski, Zur Frage des Unterhaltsabänderungsantrags bei einem in die Türkei gezogenen Kindes, Anmerkung zu OLG Stuttgart Az: 17 WF 229/13, NZFam 2014, 267 Martiny, Geltendmachung und Durchsetzung von

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung auf öffentliche Einrichtungen übergegangenen Unterhaltsforderungen, insbesondere internationale Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung, FamRZ 2014, 429 Martiny, Grenzüberschreitende Unterhaltsdurchsetzung nach europäischem und internationalem Recht, FamRZ 2008, 1681 Martiny, Unterhaltsrückgriff durch öffentliche Träger im europäischen internationalen Privatund Verfahrensrecht, IPRax 2004, 195 Matscher, Die Einwirkungen der EMRK auf das Internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht in FS Fritz Schwind (1993) 71 Meller-Hannich, Kindl/Meller-Hannich/Wolf (Hrsg), Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung2 (2013), AUG, zitiert: Kindl/Meller-Hannich/ Wolf/Meller-Hannich Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt: Versuch eines Beitrags zur Lehre vom Renvoi im internationalen Zivilprozess (1975) Motzer, Anwendungsbeginn der EU-Unterhaltsverordnung, FamRBInt 2011, 56 Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht7 (2013), zitiert: Nagel/Gottwald, IZPR Pfeiffer, Einheitliche unmittelbare und unbedingte Urteilsgeltung in Europa in FS Erik Jayme (2004) 675 Rausch, Unterhaltsvollstreckung im Ausland, FPR 2007, 448 Rauscher, Gerichtsstandsvereinbarungen in Unterhaltssachen mit Auslandsberührung, FamFR 2013, 25 Rauscher, Internationales Privatrecht mit internationalem Verfahrensrecht4 (2012), zitiert: Rauscher, IPR Rauscher, OLG Frankfurt a.M.: Zuständigkeitskonzentration bei Unterhaltsverfahren nach der EGUntVO, FamFR 2012, 216 Rauscher, Teleologische Grenzen des Art 21 EuGVÜ?, IPRax 1993, 21 Rauscher, Zuständigkeitskonzentration bei Unterhaltsverfahren nach der EG-UntVO, Anmerkung zu OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 11.01.2012 – 1 UFH 43/11, FamFR 2012, 216 Rechberger, Die Vollstreckung notarieller Urkunden nach der EuGVVO in FS Georg Weissmann (2003) 771 Reuß, Unterhaltsregress revisited – Die internationale gerichtliche Zuständigkeit für Unterhaltsre-

Marianne Andrae

EG-UntVO gressklagen nach der EuUntVO in FS DaphneAriane Simotta (2012) 483 Riegner, Die verfahrensrechtliche Behandlung von Unterhaltsstreitverfahren mit Auslandsbezug nach dem FamFG, FPR 2013, 4 Roth, Konkretisierung unbestimmter ausländischer Titel, IPRax 1994, 350 Roth, Systembedingt offene Auslandstitel, IPRax 2006, 22 Schack, Anerkennung eines ausländischen trotz widersprechenden deutschen Unterhaltsurteils, IPRax 1986, 218 Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht5 (2010), zitiert: Schack, IZPR Schack, Zur Anerkennung ausländischer Forderungspfändungen, IPRax 1997, 318 Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im europäischen Rechtsraum (2011) Schlosser, Europäisches Zivilprozessrecht3 (2009) Schulte-Beckhausen, Internationale Zuständigkeit durch rügelose Einlassung im Europäischen Zivilprozessrecht (1994) Schulz, Einstweilige Maßnahmen nach dem Brüssler Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), ZEuP 2001, 805 Schürmann, Die einstweilige Anordnung nach dem FamFG, FamRB 2008, 375 Schütze, Deutsches und Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivilprozessrechts2 (2005) Schütze, Ausgewählte Probleme des internationalen Zivilprozessrechts (2006) Simotta, Zur Gerichtsstandsvereinbarung in Unterhaltssachen nach Art 4 EuUnterhaltsVO, in GS Stylianos N Koussoulis (2010) 527 Stadler, Erlass und Freizügigkeit einstweiliger Maßnahmen im Anwendungsbereich des EuGVÜ, JZ 1999, 1089 Stadler, Das Europäische Zivilprozessrecht – Wie viel Beschleunigung verträgt Europa?, IPRax 2004, 2 Strasser, Abänderung und Vollstreckung von Unterhaltstiteln aus dem EU-Ausland in Deutschland, FPR 2007, 451 Stein, Der Europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen – Einstieg in den Ausstieg

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EG-UntVO aus dem Exequaturverfahren bei Auslandsvollstreckungen, EuZW 2004, 679 Stürner/Münch, Die Vollstreckung indexierter ausländischer Unterhaltstitel, JZ 1987, 178 Sujecki, Die Möglichkeiten und Grenzen der Abschaffung des ordre public Vorbehalts im Europäischen Zivilprozessrecht, ZEuP 2008, 458 Sujecki/Bartosz, Das Europäische Mahnverfahren, NJW 2007, 1622 von Swieykowski-Trzaska, Die einstweilige Anordnung im Unterhaltsstreitverfahren, FPR 2010, 168 Trittmann/Merz, Die Durchsetzbarkeit des Anwaltsvergleichs gemäß §§ 796a ff ZPO im Rahmen des EuGVÜ/LugÜ, IPRax 2001, 178 Ueker, Zur Frage der Zulässigkeit von einstweiligen Anordnungsverfahren zur Regelung des Trennungsunterhaltes für Auslandsdeutsche vor deutschen Gerichten, FPR 2013, 35 Unger, Unterhaltsrechtliche Grundfragen: Das internationale Privatrecht und das internationale Zivilverfahrensrecht, in: Schmidt (Hrsg), Internationale Unterhaltsrealisierung. Rechtsgrundlagen und praktische Anwendung (2011) 69 Veith, Die Rolle der Zentralen Behörde und des Ju-

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung gendamts bei der Geltendmachung und Durchsetzung von Unterhaltsforderungen, FPR 2013, 46 Visinoni-Meyer, Die vollstreckbare öffentliche Urkunde im internationalen und nationalen Bereich (2004) Wagner, Vom Brüsseler Übereinkommen über die Brüssel I-Verordnung zum europäischen Vollstreckungstitel IPRax 2002, 75 Wagner, Vollstreckbarerklärungsverfahren nach der EuGVVO und Erfüllungseinwand – Dogmatik vor Pragmatismus?, IPRax 2012, 326 Wagner, Zur Vollstreckung deutscher dynamisierter Unterhaltstitel im Ausland in FS Hans Jürgen Sonnenberger (2004) 727 Wagner/Janzen, Das Lugano-Übereinkommen vom 30.10.2007, IPRax 2010, 308 Weber, Der sachliche Anwendungsbereich der EUUnterhaltsverordnung, ÖJZ 2011, 947 Weller, Zur Abgrenzung von ehelichem Güterrecht und Unterhaltsrecht im EuGVÜ, IPRax 1999, 14 Wolf/Lange, Das Europäische System des einstweiligen Rechtsschutzes – doch noch kein System, RIW 2003, 55.

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Erwägungsgründe arbeit im Bereich der Unterhaltspflichten vom 26.11.2007 Europäischer Rat, Schlussfolgerungen des Vorsitzes Europäischer Rat (Tampere) 15./16.10.1999, NJW 2000, 1925 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten“ vom 8.8.2006, ABl EU 2006 C 185/35 Hess, Study No. JAI/A3/2002/02 on making more efficient the enforcement of judicial decisions within European Union: Transparency of Debtors’s Assets, Attachement of Bank Accounts, Provisional Enforcement and Protective Measures Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch Unterhaltspflichten, 15.4.2004, KOM (2004) 254 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten vom 15.12. 2005, KOM (2005), 649 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Erläuterungen zu den Artikeln des Vorschlags für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten, 12.5.2006, KOM (2006), 206 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch effiziente Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in der Europäischen Union:

EG-UntVO Transparenz des Schuldnervermögens vom 6.3.2008, KOM (2008) 128 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Entscheidung vom 8. Juni 2009 zum Wunsch des Vereinigten Königreichs auf Annahme der Verordnung (EG) Nr 4/2009 des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl. EU 2009 L 149 S. 7 Pocar, Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Erläuternder Bericht, ABl 2009 C 319/1 Rat der Europäischen Gemeinschaften, Beschluss vom 5.10.2006 über den Beitritt der Gemeinschaft zur Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, ABl. EU 2006 L 297 S. 1. Rat der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen – Politische Einigung vom 21.10.2008. Rat der Europäischen Gemeinschaften, Beschluss vom 30.11.2009 über den Abschluss des Haager Protokolls vom 23.11.2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht durch die Europäische Gemeinschaft (2009/941/EG), ABl EU 2009 L 331/17. Rat der Europäischen Union, Beschluss vom 31. März 2011 über die Unterzeichnung des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen im Namen der Europäischen Union, ABl. EU 2011 L 93 S. 9 Verwilghen, Erläuternder Bericht zu den Haager Übereinkommen 1973, BT-Drucks. 10/258, 31.

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION* – gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 61 Buchstabe c und Artikel 67 Absatz 2, auf Vorschlag der Kommission,

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Die zu den Erwägungsgründen abgedruckten nummerierten Fußnoten sind solche des amtlichen Textes.

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nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments1, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses2, in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Gemeinschaft hat sich zum Ziel gesetzt, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist, zu erhalten und weiterzuentwickeln. Zur schrittweisen Schaffung eines solchen Raums erlässt die Gemeinschaft unter anderem Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen, soweit dies für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist. (2) Nach Artikel 65 Buchstabe b des Vertrags betreffen solche Maßnahmen unter anderem die Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen und der Vorschriften zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten. (3) Die Gemeinschaft hat hierzu unter anderem bereits folgende Maßnahmen erlassen: die Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen3, die Entscheidung 2001/470/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen4, die Verordnung (EG) Nr 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen5, die Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen6, die Verordnung (EG) Nr 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung7, die Verordnung (EG) Nr 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen8 sowie die Verordnung (EG) Nr 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstücken)9. (4) Der Europäische Rat hat auf seiner Tagung vom 15. und 16. Oktober 1999 in Tampere den Rat und die Kommission aufgefordert, besondere gemeinsame Verfahrensregeln für die Vereinfachung und Beschleunigung der Beilegung grenzüberschreitender Rechtsstreitigkeiten unter anderem bei Unterhaltsansprüchen festzulegen. Er hat ferner die Abschaffung der Zwischenmaßnahmen gefordert, die notwendig sind, um die Anerkennung und Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung, insbesondere einer Entscheidung über einen Unterhaltsanspruch, im ersuchten Staat zu ermöglichen. (5) Am 30. November 2000 wurde ein gemeinsames Maßnahmenprogramm der Kommission und des Rates zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen10 verabschiedet. Dieses Programm sieht die Abschaf1 2 3 4 5 6 7 8 9

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Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 13.12.2007. Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses. ABl EG 2001 L 12/1. ABl EG L 2001 174/25. ABl EG L 2001 174/1. ABl EG L 2003 26/41. ABl EU L 2003 338/1. ABl EU L 2004 143/15. ABl EU L 2007 324/79.

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fung des Exequaturverfahrens bei Unterhaltsansprüchen vor, um die Wirksamkeit der Mittel, die den Anspruchsberechtigten zur Durchsetzung ihrer Ansprüche zur Verfügung stehen, zu erhöhen. Am 4. und 5. November 2004 hat der Europäische Rat auf seiner Tagung in Brüssel ein neues Programm mit dem Titel „Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union“ (nachstehend das „Haager Programm“ genannt)11 angenommen. Der Rat hat auf seiner Tagung vom 2. und 3. Juni 2005 einen Aktionsplan des Rates und der Kommission12 angenommen, mit dem das Haager Programm in konkrete Maßnahmen umgesetzt wird und in dem die Annahme von Vorschlägen zur Unterhaltspflicht als notwendig erachtet wird. Im Rahmen der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht haben die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten an Verhandlungen teilgenommen, die am 23. November 2007 mit der Annahme des Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen (nachstehend das „Haager Übereinkommen von 2007“ genannt) und des Protokolls über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (nachstehend das „Haager Protokoll von 2007“ genannt) abgeschlossen wurden. Daher ist diesen beiden Instrumenten im Rahmen der vorliegenden Verordnung Rechnung zu tragen. Es sollte einem Unterhaltsberechtigten ohne Umstände möglich sein, in einem Mitgliedstaat eine Entscheidung zu erwirken, die automatisch in einem anderen Mitgliedstaat ohne weitere Formalitäten vollstreckbar ist. Um dieses Ziel zu erreichen, sollte ein gemeinschaftliches Rechtsinstrument betreffend Unterhaltssachen geschaffen werden, in dem die Bestimmungen über Kompetenzkonflikte, Kollisionsnormen, die Anerkennung, Vollstreckbarkeit und die Vollstreckung von Entscheidungen sowie über Prozesskostenhilfe und die Zusammenarbeit zwischen den Zentralen Behörden zusammengeführt werden. Der Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich auf sämtliche Unterhaltspflichten erstrecken, die auf einem Familien-, Verwandtschafts-, oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen; hierdurch soll die Gleichbehandlung aller Unterhaltsberechtigten gewährleistet werden. Für die Zwecke dieser Verordnung sollte der Begriff „Unterhaltspflicht“ autonom ausgelegt werden. Um den verschiedenen Verfahrensweisen zur Regelung von Unterhaltsfragen in den Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen, sollte diese Verordnung sowohl für gerichtliche Entscheidungen als auch für von Verwaltungsbehörden ergangene Entscheidungen gelten, sofern jene Behörden Garantien insbesondere hinsichtlich ihrer Unparteilichkeit und des Anspruchs der Parteien auf rechtliches Gehör bieten. Diese Behörden sollten daher sämtliche Vorschriften dieser Verordnung anwenden. Aus den genannten Gründen sollte in dieser Verordnung auch die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Vergleiche und öffentlicher Urkunden sichergestellt werden, ohne dass dies das Recht einer der Parteien eines solchen Vergleichs oder einer solchen Urkunde berührt, solche Instrumente vor einem Gericht des Ursprungsmitgliedstaats anzufechten. In dieser Verordnung sollte vorgesehen werden, dass der Begriff „berechtigte Person“ für die Zwecke eines Antrags auf Anerkennung und Vollstreckung einer Unterhaltsentscheidung auch öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen umfasst, die das Recht haben, für eine ABl EG C 2001 12/1. ABl EU C 2005 53/1. ABl EU C 2005 198/1.

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unterhaltsberechtigte Person zu handeln oder die Erstattung von Leistungen zu fordern, die der berechtigten Person anstelle von Unterhalt erbracht wurden. Handelt eine öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung in dieser Eigenschaft, so sollte sie Anspruch auf die gleichen Dienste und die gleiche Prozesskostenhilfe wie eine berechtigte Person haben. Um die Interessen der Unterhaltsberechtigten zu wahren und eine ordnungsgemäße Rechtspflege innerhalb der Europäischen Union zu fördern, sollten die Vorschriften über die Zuständigkeit, die sich aus der Verordnung (EG) Nr 44/2001 ergeben, angepasst werden. So sollte der Umstand, dass ein Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat hat, nicht mehr die Anwendung der gemeinschaftlichen Vorschriften über die Zuständigkeit ausschließen, und auch eine Rückverweisung auf die innerstaatlichen Vorschriften über die Zuständigkeit sollte nicht mehr möglich sein. Daher sollte in dieser Verordnung festgelegt werden, in welchen Fällen ein Gericht eines Mitgliedstaats eine subsidiäre Zuständigkeit ausüben kann. Um insbesondere Fällen von Rechtsverweigerung begegnen zu können, sollte in dieser Verordnung auch eine Notzuständigkeit (forum necessitatis) vorgesehen werden, wonach ein Gericht eines Mitgliedstaats in Ausnahmefällen über einen Rechtsstreit entscheiden kann, der einen engen Bezug zu einem Drittstaat aufweist. Ein solcher Ausnahmefall könnte gegeben sein, wenn ein Verfahren sich in dem betreffenden Drittstaat als unmöglich erweist, beispielsweise aufgrund eines Bürgerkriegs, oder wenn vom Kläger vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, dass er ein Verfahren in diesem Staat einleitet oder führt. Die Notzuständigkeit kann jedoch nur ausgeübt werden, wenn der Rechtsstreit einen ausreichenden Bezug zu dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts aufweist, wie beispielsweise die Staatsangehörigkeit einer der Parteien. In einer zusätzlichen Zuständigkeitsvorschrift sollte vorgesehen werden, dass – außer unter besonderen Umständen – ein Verfahren zur Änderung einer bestehenden Unterhaltsentscheidung oder zur Herbeiführung einer neuen Entscheidung von der verpflichteten Person nur in dem Staat eingeleitet werden kann, in dem die berechtigte Person zu dem Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung ergangen ist, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in dem sie weiterhin ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Um eine gute Verknüpfung zwischen dem Haager Übereinkommen von 2007 und dieser Verordnung zu gewährleisten, sollte diese Bestimmung auch für Entscheidungen eines Drittstaats, der Vertragspartei jenes Übereinkommens ist, gelten, sofern das Übereinkommen zwischen dem betreffenden Staat und der Gemeinschaft in Kraft ist, und in dem betreffenden Staat und in der Gemeinschaft die gleichen Unterhaltspflichten abdeckt. Für die Zwecke der Anwendung dieser Verordnung sollte vorgesehen werden, dass der Begriff „Staatsangehörigkeit“ in Irland durch den Begriff „Wohnsitz“ ersetzt wird; gleiches gilt für das Vereinigte Königreich, sofern diese Verordnung in diesem Mitgliedstaat nach Artikel 4 des Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands, das dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt ist, anwendbar ist. Im Hinblick auf eine größere Rechtssicherheit, Vorhersehbarkeit und Eigenständigkeit der Vertragsparteien sollte diese Verordnung es den Parteien ermöglichen, den Gerichtsstand anhand bestimmter Anknüpfungspunkte einvernehmlich zu bestimmen. Um den Schutz der schwächeren Partei zu gewährleisten, sollte eine solche Wahl des Gerichtsstands bei Unterhaltspflichten gegenüber einem Kind, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ausgeschlossen sein. In dieser Verordnung sollte vorgesehen werden, dass für die Mitgliedstaaten, die durch das Haager Protokoll von 2007 gebunden sind, die in jenem Protokoll enthaltenen Bestimmungen

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über Kollisionsnormen gelten. Hierzu sollte eine Bestimmung aufgenommen werden, die auf das genannte Protokoll verweist. Die Gemeinschaft wird das Haager Protokoll von 2007 rechtzeitig abschließen, um die Anwendung dieser Verordnung zu ermöglichen. Um der Möglichkeit Rechnung zu tragen, dass das Haager Protokoll von 2007 nicht für alle Mitgliedstaaten gilt, sollte hinsichtlich der Anerkennung, der Vollstreckbarkeit und der Vollstreckung von Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten, die durch das Haager Protokoll von 2007 gebunden sind und jenen, die es nicht sind, unterschieden werden. Es sollte im Rahmen dieser Verordnung präzisiert werden, dass diese Kollisionsnormen nur das auf die Unterhaltspflichten anzuwendende Recht bestimmen; sie bestimmen nicht, nach welchem Recht festgestellt wird, ob ein Familienverhältnis besteht, das Unterhaltspflichten begründet. Die Feststellung eines Familienverhältnisses unterliegt weiterhin dem einzelstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten, einschließlich ihrer Vorschriften des internationalen Privatrechts. Um die rasche und wirksame Durchsetzung einer Unterhaltsforderung zu gewährleisten und missbräuchlichen Rechtsmitteln vorzubeugen, sollten in einem Mitgliedstaat ergangene Unterhaltsentscheidungen grundsätzlich vorläufig vollstreckbar sein. Daher sollte in dieser Verordnung vorgesehen werden, dass das Ursprungsgericht die Entscheidung für vorläufig vollstreckbar erklären können sollte, und zwar auch dann, wenn das einzelstaatliche Recht die Vollstreckbarkeit von Rechts wegen nicht vorsieht und auch wenn nach einzelstaatlichem Recht ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung eingelegt wurde oder noch eingelegt werden könnte. Um die mit den Verfahren gemäß dieser Verordnung verbundenen Kosten zu begrenzen, wäre es zweckdienlich, so umfassend wie möglich auf die modernen Kommunikationstechnologien zurückzugreifen, insbesondere bei der Anhörung der Parteien. Die durch die Anwendung der Kollisionsnormen gebotenen Garantien sollten es rechtfertigen, dass Entscheidungen in Unterhaltssachen, die in einem durch das Haager Protokoll von 2007 gebundenen Mitgliedstaat ergangen sind, ohne weiteres Verfahren und ohne jegliche inhaltliche Prüfung im Vollstreckungsmitgliedstaat in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden und vollstreckbar sind. Alleiniger Zweck der Anerkennung einer Unterhaltsentscheidung in einem Mitgliedstaat ist es, die Durchsetzung der in der Entscheidung festgelegten Unterhaltsforderung zu ermöglichen. Sie bewirkt nicht, dass dieser Mitgliedstaat das Familien-, Verwandtschafts-, eherechtliche oder auf Schwägerschaft beruhende Verhältnis anerkennt, auf der die Unterhaltspflichten, die Anlass zu der Entscheidung gegeben haben, gründen. Für Entscheidungen, die in einem nicht durch das Haager Protokoll von 2007 gebundenen Mitgliedstaat ergangen sind, sollte in dieser Verordnung ein Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung vorgesehen werden. Dieses Verfahren sollte sich an das Verfahren und die Gründe für die Verweigerung der Anerkennung anlehnen, die in der Verordnung (EG) Nr 44/2001 vorgesehen sind. Zur Beschleunigung des Verfahrens und damit die berechtigte Person ihre Forderung rasch durchsetzen kann, sollte vorgesehen werden, dass die Entscheidung des angerufenen Gerichts außer unter außergewöhnlichen Umständen innerhalb bestimmter Fristen ergehen muss. Ferner sollten die Formalitäten für die Vollstreckung, die Kosten zulasten des Unterhaltsberechtigten verursachen, so weit wie möglich reduziert werden. Hierzu sollte in dieser Verordnung vorgesehen werden, dass der Unterhaltsberechtigte nicht verpflichtet ist, über eine Postanschrift oder einen bevollmächtigten Vertreter im Vollstreckungsmitgliedstaat zu verfügen, ohne damit im Übrigen die interne Organisation der Mitgliedstaaten im Bereich der Vollstreckungsverfahren zu beeinträchtigen. Zur Begrenzung der mit den Vollstreckungsverfahren verbundenen Kosten sollte keine Über-

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setzung verlangt werden, außer wenn die Vollstreckung angefochten wird, und unbeschadet der Vorschriften für die Zustellung der Schriftstücke. Um die Achtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens zu gewährleisten, sollte in dieser Verordnung vorgesehen werden, dass ein Antragsgegner, der nicht vor dem Ursprungsgericht eines durch das Haager Protokoll von 2007 gebundenen Mitgliedstaats erschienen ist, in der Phase der Vollstreckung der gegen ihn ergangenen Entscheidung die erneute Prüfung dieser Entscheidung beantragen kann. Der Antragsgegner sollte diese erneute Prüfung allerdings innerhalb einer bestimmten Frist beantragen, die spätestens ab dem Tag laufen sollte, an dem in der Phase des Vollstreckungsverfahrens seine Vermögensgegenstände zum ersten Mal ganz oder teilweise seiner Verfügung entzogen wurden. Dieses Recht auf erneute Prüfung sollte ein außerordentliches Rechtsbehelf darstellen, das dem Antragsgegner, der sich in dem Verfahren nicht eingelassen hat, gewährt wird, und das nicht die Anwendung anderer außerordentlicher Rechtsbehelfe berührt, die nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats bestehen, sofern diese Rechtsbehelfe nicht mit dem Recht auf erneute Prüfung nach dieser Verordnung unvereinbar sind. Um die Vollstreckung einer Entscheidung eines durch das Haager Protokoll von 2007 gebundenen Mitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat zu beschleunigen, sollten die Gründe für eine Verweigerung oder Aussetzung der Vollstreckung, die die verpflichtete Person aufgrund des grenzüberschreitenden Charakters der Unterhaltspflicht geltend machen könnte, begrenzt werden. Diese Begrenzung sollte nicht die nach einzelstaatlichem Recht vorgesehenen Gründe für die Verweigerung oder Aussetzung beeinträchtigen, die mit den in dieser Verordnung angeführten Gründen nicht unvereinbar sind, wie beispielsweise die Begleichung der Forderung durch die verpflichtete Person zum Zeitpunkt der Vollstreckung oder die Unpfändbarkeit bestimmter Güter. Um die grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsforderungen zu erleichtern, sollte ein System der Zusammenarbeit zwischen den von den Mitgliedstaaten benannten Zentralen Behörden eingerichtet werden. Diese Behörden sollten die berechtigten und die verpflichteten Personen darin unterstützen, ihre Rechte in einem anderen Mitgliedstaat geltend zu machen, indem sie die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung bestehender Entscheidungen, die Änderung solcher Entscheidungen oder die Herbeiführung einer Entscheidung beantragen. Sie sollten ferner erforderlichenfalls Informationen austauschen, um die verpflichteten und die berechtigten Personen ausfindig zu machen und soweit erforderlich deren Einkünfte und Vermögen festzustellen. Sie sollten schließlich zusammenarbeiten und allgemeine Informationen auszutauschen sowie die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden ihres Mitgliedstaats fördern. Eine nach dieser Verordnung benannte Zentrale Behörde sollte ihre eigenen Kosten tragen, abgesehen von speziell festgelegten Ausnahmen, und jeden Antragsteller unterstützen, der seinen Aufenthalt in ihrem Mitgliedstaat hat. Das Kriterium für das Recht einer Person auf Unterstützung durch eine Zentrale Behörde sollte weniger streng sein als das Anknüpfungskriterium des „gewöhnlichen Aufenthalts“, das sonst in dieser Verordnung verwendet wird. Das Kriterium des „Aufenthalts“ sollte jedoch die bloße Anwesenheit ausschließen. Damit sie die unterhaltsberechtigten und -verpflichteten Personen umfassend unterstützen und die grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsforderungen optimal fördern können, sollten die Zentralen Behörden gewisse personenbezogene Daten einholen können. Diese Verordnung sollte daher die Mitgliedstaaten verpflichten sicherzustellen, dass ihre Zentralen Behörden Zugang zu solchen Angaben bei den öffentlichen Behörden oder Stellen, die im Rahmen ihrer üblichen Tätigkeiten über die betreffenden Angaben verfügen, erhalten. Es sollte jedoch jedem Mitgliedstaat überlassen bleiben, die Modalitäten für diesen Zugang festzulegen.

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So sollte ein Mitgliedstaat befugt sein, die öffentlichen Behörden oder Verwaltungen zu bezeichnen, die gehalten sind, der Zentralen Behörde die Angaben im Einklang mit dieser Verordnung zur Verfügung zu stellen, gegebenenfalls einschließlich der bereits im Rahmen anderer Regelungen über den Zugang zu Informationen benannten öffentlichen Behörden oder Verwaltungen. Bezeichnet ein Mitgliedstaat öffentliche Behörden oder Verwaltungen, sollte er sicherstellen, dass seine Zentrale Behörde in der Lage ist, Zugang zu den gemäß dieser Verordnung erforderlichen Angaben, die im Besitz jener Behörden oder Verwaltungen sind, zu erhalten. Die Mitgliedstaaten sollten ferner befugt sein, ihrer Zentralen Behörde den Zugang zu den erforderlichen Angaben bei jeder anderen juristischen Person zu ermöglichen, die diese besitzt und für deren Verarbeitung verantwortlich ist. Im Rahmen des Zugangs zu personenbezogenen Daten sowie deren Verwendung und Weiterleitung ist es angebracht, die Anforderungen der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr13, wie sie in das einzelstaatliche Recht der Mitgliedstaaten umgesetzt ist, zu beachten. Es ist angebracht, die spezifischen Bedingungen für den Zugang zu personenbezogenen Daten, deren Verwendung und Weiterleitung für die Anwendung dieser Verordnung festzulegen. In diesem Zusammenhang wurde die Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten14 berücksichtigt. Die Benachrichtigung der von der Datenerhebung betroffenen Person sollte im Einklang mit dem einzelstaatlichen Recht erfolgen. Es sollte jedoch die Möglichkeit vorgesehen werden, diese Benachrichtigung zu verzögern, um zu verhindern, dass die verpflichtete Person ihre Vermögensgegenstände transferiert und so die Durchsetzung der Unterhaltsforderung gefährdet. Angesichts der Verfahrenskosten sollte eine sehr günstige Regelung der Prozesskostenhilfe vorgesehen werden, nämlich die uneingeschränkte Übernahme der Kosten in Verbindung mit Verfahren betreffend Unterhaltspflichten gegenüber Kindern, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, die über die Zentralen Behörden eingeleitet wurden. Folglich sollten die aufgrund der Richtlinie 2003/8/EG bestehenden Vorschriften über die Prozesskostenhilfe in der Europäischen Union durch spezifische Vorschriften ergänzt werden, mit denen ein besonderes System der Prozesskostenhilfe in Unterhaltssachen geschaffen wird. Dabei sollte die zuständige Behörde des ersuchten Mitgliedstaats befugt sein, in Ausnahmefällen die Kosten bei einem unterlegenen Antragsteller, der eine unentgeltliche Prozesskostenhilfe bezieht, beizutreiben, sofern seine finanziellen Verhältnisse dies zulassen. Dies wäre insbesondere bei einer vermögenden Person, die wider Treu und Glauben gehandelt hat, der Fall. Darüber hinaus sollte für andere als die im vorstehenden Erwägungsgrund genannten Unterhaltspflichten allen Parteien die gleiche Behandlung hinsichtlich der Prozesskostenhilfe bei der Vollstreckung einer Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat garantiert werden. So sollten die Bestimmungen dieser Verordnung über die Weitergewährung der Prozesskostenhilfe so ausgelegt werden, dass sie eine solche Hilfe auch einer Partei gewähren, die beim Verfahren zur Herbeiführung oder Änderung einer Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat keine Prozesskostenhilfe erhalten hat, die aber später im selben Mitgliedstaat im Rahmen eines Antrags auf Vollstreckung der Entscheidung in den Genuss der Prozesskostenhilfe gekommen ist. Gleichermaßen sollte eine Partei, die berechtigterweise ein unentgeltliches Verfahren vor einer der in Anhang X aufgeführten Verwaltungsbehörden in Anspruch genommen hat, im Vollstreckungsmitgliedstaat in den Genuss der günstigsten Prozesskostenhilfe oder umfassendsten KostenABl EG L 1995 281/31. ABl EU C 2006 242/20.

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und Gebührenbefreiung kommen, sofern sie nachweisen kann, dass sie diese Vergünstigungen auch im Ursprungsmitgliedstaat erhalten hätte. Um die Kosten für die Übersetzung von Beweisunterlagen zu reduzieren, sollte das angerufene Gericht unbeschadet der Verteidigungsrechte und der für die Zustellung der Schriftstücke geltenden Vorschriften die Übersetzung dieser Unterlagen nur verlangen, wenn sie tatsächlich notwendig ist. Um die Anwendung dieser Verordnung zu erleichtern, sollte eine Verpflichtung für die Mitgliedstaaten vorgesehen werden, der Kommission die Namen und Kontaktdaten ihrer Zentralen Behörden sowie sonstige Informationen mitzuteilen. Diese Informationen sollten Praktikern und der Öffentlichkeit durch eine Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union oder durch Ermöglichung des elektronischen Zugangs über das mit der Entscheidung 2001/470/EG eingerichtete Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen bereitgestellt werden. Darüber hinaus sollte die Verwendung der in dieser Verordnung vorgesehenen Formblätter die Kommunikation zwischen den Zentralen Behörden erleichtern und beschleunigen und die elektronische Vorlage von Ersuchen ermöglichen. Die Beziehung zwischen dieser Verordnung und den bilateralen Abkommen oder multilateralen Übereinkünften in Unterhaltssachen, denen die Mitgliedstaaten angehören, sollte geregelt werden. Dabei sollte vorgesehen werden, dass die Mitgliedstaaten, die Vertragspartei des Übereinkommens vom 23. März 1962 zwischen Schweden, Dänemark, Finnland, Island und Norwegen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen sind, dieses Übereinkommen weiterhin anwenden können, da es günstigere Bestimmungen über die Anerkennung und die Vollstreckung enthält als diese Verordnung. Was künftige bilaterale Abkommen in Unterhaltssachen mit Drittstaaten betrifft, sollten die Verfahren und Bedingungen, unter denen die Mitgliedstaaten ermächtigt wären, in ihrem eigenen Namen solche Abkommen auszuhandeln und zu schließen, im Rahmen der Erörterung eines von der Kommission vorzulegenden Vorschlags zu diesem Thema festgelegt werden. Die Berechnung der in dieser Verordnung vorgesehenen Fristen und Termine sollte nach Maßgabe der Verordnung (EWG, Euratom) Nr 1182/71 des Rates vom 3. Juni 1971 zur Festlegung der Regeln für die Fristen, Daten und Termine15 erfolgen. Die zur Durchführung dieser Verordnung erforderlichen Maßnahmen sollten nach Maßgabe des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse erlassen16 werden. Insbesondere sollte die Kommission die Befugnis erhalten, alle Änderungen der in dieser Verordnung vorgesehenen Formblätter nach dem in Artikels 3 des Beschlusses 1999/468/EG genannten Beratungsverfahren des zu erlassen. Für die Erstellung der Liste der Verwaltungsbehörden, die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen, sowie der Liste der zuständigen Behörden für die Bescheinigung von Prozesskostenhilfe sollte die Kommission die Befugnis erhalten, das Verwaltungsverfahren nach Artikel 4 jenes Beschlusses anzuwenden. Diese Verordnung sollte die Verordnung (EG) Nr 44/2001 ändern, indem sie deren auf Unterhaltssachen anwendbare Bestimmungen ersetzt. Vorbehaltlich der Übergangsbestimmungen dieser Verordnung sollten die Mitgliedstaaten bei Unterhaltssachen, ab dem Zeitpunkt der Anwendbarkeit dieser Verordnung die Bestimmungen dieser Verordnung über die Zuständigkeit, die Anerkennung, die Vollstreckbarkeit und die Vollstreckung von Entscheidungen und über die Prozesskostenhilfe anstelle der entsprechenden Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr 44/2001 anwenden. ABl EG L 1971 124/1. ABl EG L 1999 184/23.

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Einleitung

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(45) Da die Ziele dieser Verordnung, nämlich die Schaffung eines Instrumentariums zur effektiven Durchsetzung von Unterhaltsforderungen in grenzüberschreitenden Situationen und somit zur Erleichterung der Freizügigkeit der Personen innerhalb der Europäischen Union, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht hinreichend verwirklicht und daher aufgrund des Umfangs und der Wirkungen dieser Verordnung besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Verordnung nicht über das für die Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus. (46) Gemäß Artikel 3 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hat Irland mitgeteilt, dass es sich an der Annahme und Anwendung dieser Verordnung beteiligen möchte. (47) Gemäß den Artikeln 1 und 2 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands beteiligt sich das Vereinigte Königreich nicht an der Annahme dieser Verordnung, und ist weder durch diese gebunden noch zu ihrer Anwendung verpflichtet. Dies berührt jedoch nicht die Möglichkeit für das Vereinigte Königreich, gemäß Artikel 4 des genannten Protokolls nach der Annahme dieser Verordnung mitzuteilen, dass es die Verordnung anzunehmen wünscht. (48) Gemäß den Artikeln 1 und 2 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über die Position Dänemarks beteiligt sich Dänemark nicht an der Annahme dieser Verordnung und ist weder durch diese gebunden noch zu ihrer Anwendung verpflichtet, unbeschadet der Möglichkeit für Dänemark, den Inhalt der an der Verordnung (EG) Nr 44/2001 vorgenommenen Änderungen gemäß Artikel 3 des Abkommens vom 19. Oktober 2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen17 anzuwenden.

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Einleitung I. II. III.

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Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Geschichtliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Charakteristische Merkmale 1. Umfassendes Rechtsinstrument . . . . . . . . 13 2. Zusammenwirken mit der Haager Konferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 3. Weiter sachlicher Anwendungsbereich 18 4. Einzelne Bereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

IV.

V.

Auslegung 1. Auslegungskompetenz des EuGH . . . . . . 33 2. Auslegungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3. Entscheidungen des EuGH zum EuGVÜ und zur Brüssel I-VO . . . . . . . . . 44 Schwachstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

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I. Allgemeines 1 Die VO (EG) Nr 4/2009 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung

und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (iF EG-UntVO)1 ist am 18.12.2008 in Kraft getreten. Sie findet ab dem 18.6.2011 Anwendung. Rechtsgrundlage für den Erlass bilden Artt 61 lit c, 65 und 67 Abs 2 EGV. Der räumliche Geltungsbereich der EG-UntVO bestimmt sich im Grundsatz nach den für das Gemeinschaftsrecht geltenden allgemeinen Vorschriften, also nach Art 299 EGV.2 Irland, Dänemark und das Vereinigte Königreich beteiligen sich an der Verordnung.3 2 Die EG-UntVO findet Anwendung auf Unterhaltssachen mit grenzüberschreitenden Bezü-

gen, die aus Familienbeziehungen resultieren. Das Kriterium „grenzüberschreitend“ ist für die einzelnen Kapitel unterschiedlich bestimmt. Während Kapitel II (internationale Zuständigkeit) einen universellen, nicht räumlich-personell beschränkten Anwendungsbereich hat, setzen die folgenden Kapitel einen mitgliedstaatlichen Bezug voraus, der – je nach Sachgebiet – unterschiedlich zu definieren ist. In ihrem sachlichen Anwendungsbereich tritt die EG-UntVO an die Stelle der Brüssel I-VO.4 Die EG-VollstrTitelVO5 findet auf Unterhaltssachen keine Anwendung mehr, soweit sich die Vollstreckung eines Titels nach Kapitel IV Abschnitt 1, 3 EG-UntVO richtet. 3 Die Verordnung hat im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander Vorrang vor Überein-

kommen und Vereinbarungen, die Regelungsbereiche umfassen, die in der EG-UntVO geregelt sind.6 Für den Abschluss oder den Beitritt zu internationalen Rechtsinstrumenten besitzt die EG in dem von der EG-UntVO erfassten Regelungsbereich die ausschließliche Außenkompetenz.7 II. Geschichtliches 4 Der Unterhalt war bereits vom sachlichen Anwendungsbereich des EuGVÜ in seiner ur-

sprünglichen Fassung vom 27.9.1968 erfasst. Das EuGVÜ und ihm nach nachfolgend die Brüssel I-VO halten nur in Art 5 Nr 2 eine spezielle Vorschrift für die konkurrierende 1 2

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7

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ABl EU 2009 L 7/1. Hierzu, weil übereinstimmend, Rauscher/Staudinger Einl Brüssel I-VO Rn 13 ff. Mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon findet sich die Norm in Artt 349, 355 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (iF AEUV) wieder. Zu den Besonderheiten s Art 1 Rn 48 ff. Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12.2000, ABl EG 2001 L 12/1. Verordnung (EG) Nr 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen vom 21.4.2004, ABl EU 2004 L 143/15. Ausnahme das in Art 69 genannte Übereinkommen zwischen Schweden, Dänemark, Finnland, Island und Norwegen. Zu der vergleichbaren Problematik Gutachten des EuGH Avis 1/03 zur Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluss des neuen Übereinkommens von Lugano über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen; siehe auch Art 15 Rn 13 sowie Art 69 Rn 19.

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Einleitung

Einl EG-UntVO

Zuständigkeit in Unterhaltssachen bereit, im Übrigen unterliegen Unterhaltssachen denselben Regeln wie Zivilsachen im Allgemeinen. Art 57 EuGVÜ ließ diejenigen besonderen Übereinkommen unberührt, denen die Vertragsstaaten des EuGVÜ angehören. Dazu gehörten das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern vom 15.4.19588 (iF HUntAVÜbk 1958) und das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen9 (iF HUntAVÜbk 1973). Das Verhältnis zwischen dem EuGVÜ und den Haager Übereinkommen war durch Art 57 EuGVÜ derart geregelt, dass sich die Voraussetzungen für die Anerkennung und Vollstreckung nach den speziellen Übereinkommen richten, in jedem Fall jedoch die Bestimmungen des EuGVÜ über das Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen angewandt werden. Diese Regelung hatte ihre Berechtigung insoweit, als die Haager Übereinkommen unter Umständen im konkreten Fall die Anerkennung erleichterten. Wie noch Art 27 Nr 4 LugÜbk 1988 enthielt das ursprüngliche EuGVÜ einen Vorbehalt 5 hinsichtlich der Lösung statusrechtlicher Vorfragen in Entscheidungen, soweit diese im Widerspruch zum IPR des Zweitstaates erfolgte. Die beiden Haager Übereinkommen sehen solche Beschränkungen für die Anerkennung und damit für die Vollstreckung nicht vor. Der statusrechtliche Vorbehalt wurde aus dem EuGVÜ bei dessen Revision gestrichen und das Verhältnis zu den Übereinkommen auf besonderem Gebiet wurde durch das EuGVÜ verbindlich interpretiert. Im Ergebnis dessen genießen nach den Art 57 Abs 2 EuGVÜ, Art 71 Abs 2 Brüssel I-VO die Haager Übereinkommen als Spezialübereinkommen Vorrang. Da diese jedoch vom Günstigkeitsprinzip ausgehen, kann ein Titelgläubiger die Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung nach dem EuGVÜ/der Brüssel I-VO begehren.10 Er kann sich aber auch auf das Haager Übereinkommen berufen, wenn die Anerkennungsvoraussetzungen ausnahmsweise gläubigerfreundlicher sind.11 Nur kann er beide Rechtsquellen hinsichtlich der Anerkennungsvoraussetzungen nicht kombinieren. Da sich auf diese Weise die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen in der Praxis nach der Brüssel I-VO richten können, erstrecken sich auf sie die entscheidenden Veränderungen, die hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung mitgliedstaatlicher Entscheidungen erreicht wurden. Zwar sieht die Brüssel I-VO noch das Zwischenverfahren der Vollstreckbarerklärung vor, jedoch erfolgt auf der ersten Verfahrensstufe keine Prüfung der Versagungsgründe der Artt 34 und 35 mehr. Lediglich werden Förmlichkeiten nach Art 53 überprüft, in diesem Stadium wird der Schuldner nicht gehört.12 Erst das Rechtsbehelfsverfahren ist als ein kontradiktorisches Verfahren vorgesehen, in denen die materiellen Versagungsgründe geprüft werden.13 Auf seiner Tagung in Tampere am 15./16.10.1999 brachte der Europäische Rat zum Aus- 6 druck, dass er für die Weiterentwicklung eines europäischen Rechtsraumes, der dem Ein8 9 10

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12 13

BGBl 1961 II 1006. BGBl 1986 II 826. Ua OLG München v 1.7.2002 – 25 W 1526/02, FamRZ 2003, 462; Mankowski IPRax 2000, 188, 193; Geimer IPRax 2004, 419, 420; Rauscher/Mankowski Art 77 Brüssel I-VO Rn 18. Ua OLG Hamm v 8.7.2003 – 29 W 34/02 IPRax 2004, 437, 438 = FamRZ 2004, 719; Geimer IPRax 2004, 419, 420; Rauscher/Mankowski Art 71 Brüssel I-VO Rn 18. Zu Einzelheiten Rauscher/Mankowski Artt 38 ff Brüssel I-VO. Kropholler/von Hein Art 41 Brüssel I-VO Rn 5; Rauscher/Mankowski Art 41 Brüssel I-VO Rn 4.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

zelnen die grenzüberschreitende Verfolgung seiner Rechte erleichtern soll, einen weiteren Abbau der Zwischenmaßnahmen für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in anderen Mitgliedstaaten für erforderlich hält.14 Daraufhin wurde am 30.11.2000 ein gemeinsames Maßnahmenprogramm des Rates und der Kommission verabschiedet, mit dem ein stufenweiser Abbau der Hindernisse für einen freien Verkehr der gerichtlichen Entscheidungen erreicht werden soll.15 Für die erste Stufe wurden zunächst einzelne Bereiche aus dem Anwendungsbereich der Brüssel I-VO herausgegriffen, für welche zeitiger als für die übrigen Entscheidungen das Exequaturverfahren abgeschafft werden soll. 7 Als erstes Ergebnis in dieser Hinsicht wurde die EG-VollstrTitelVO in Kraft gesetzt, die

vollstreckbare Unterhaltstitel mit erfasst. Unter den in der EG-VollstrTitelVO festgelegten Voraussetzungen entfällt das Vollstreckbarerklärungsverfahren im Vollstreckungsstaat. Auf Antrag des Titelgläubigers bestätigt das Ursprungsgericht den Titel als Europäischen Vollstreckungstitel, der in den anderen Mitgliedstaaten so gestellt wird, als sei er dort ergangen. Die Möglichkeit besteht für vollstreckbare Entscheidungen, gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden. Der bestätigende Titel muss eine Forderung auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme betreffen (Art 4 Nr 3 EG-VollstrTitelVO), die fällig ist, oder, sofern sie künftig fällig wird, deren Fälligkeit im Vollstreckungstitel angegeben ist.16 Davon wird auch ein dynamisierter Unterhaltstitel erfasst.17 Bei inländischen dynamisierten Unterhaltstiteln sieht § 245 FamFG die Möglichkeit vor, auf Antrag die Unterhaltsverpflichtung zu beziffern, um den Bestimmtheitsanforderungen zu genügen. 8 Die Forderung muss unbestritten sein, wobei es iSd Verordnung zwei Kategorien unbe-

strittener Forderungen gibt. Die eine Gruppe unbestrittener Forderungen sind solche, bei denen der Schuldner die Forderung ausdrücklich anerkannt oder ihr zugestimmt hat (Art 3 Abs 1 lit a und d EG-VollstrTitelVO).18 Die andere Gruppe erfasst gerichtliche Entscheidungen, bei denen aus dem Verhalten des Schuldners im gerichtlichen Verfahren gefolgert wird, dass er die Forderung nicht oder nicht mehr bestreitet (Art 3 Abs 1 lit b und c EGVollstrTitelVO).19 Im Hinblick auf unbestrittene Forderungen aus gerichtlichen Entscheidungen ist die Erteilung der Bestätigung an die Einhaltung verfahrensrechtlicher Mindestvorschriften gebunden, die die ordnungsgemäße Zustellung des verfahrenseinleitenden Dokuments und seinen Inhalt betreffen und sichern sollen, dass dem Schuldner in diesem Verfahrensstadium rechtliches Gehör gewährt wurde.20 Eine Entscheidung, die im Ursprungsmitgliedstaat als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt worden ist, wird in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt und unmittelbar voll14 15 16 17 18 19 20

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Schlussfolgerungen von Tampere NJW 2000, 1925. ABl EG 2001 C 12/1 ff. Zur Problematik dynamisierter Unterhaltstitel siehe Wagner IPRax 2005, 401, 409 f. Gebauer NJ 2006, 103, 104. Rellermeyer Rpfleger 2005, 389, 393. Wagner IPRax 2005, 189, 193. Art 12-19 EG-VollstrTitelVO, ausführlich Gebauer NJ 2006, 103, 105.

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streckt (Art 5 EG-VollstrTitelVO). Die noch in der Brüssel I-VO vorgesehenen Anerkennungshindernisse und der ordre public Einwand sind entfallen. Die EG-BagatellVO,21 die ein autonomes eigenständiges europäisches Verfahren für gering- 9 fügige Forderungen vorsieht, das im Ergebnis zu einer Entscheidung führt, die in allen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt wird, ohne dass es einer Vollstreckbarkeitserklärung bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann, umfasst Unterhaltsforderungen nicht. Die EG-MahnVO22, die von einem vergleichbaren Prinzip wie die EG-BagatellVO ausgeht, schließt zwar Unterhaltsforderungen nicht aus. Jedoch ist erforderlich, dass die zu beziffernde Geldforderung zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags auf Erlass des Europäischen Zahlungsbefehls fällig ist. Dieses Rechtsinstrument kann deshalb nur für rückständige Unterhaltszahlungen genutzt werden, nicht jedoch für die Durchsetzung laufend fällig werdenden Unterhalts. Neben unbestrittenen Forderungen und Ansprüchen mit geringem Streitwert wurde im 10 Maßnahmenkatalog auch die Abschaffung des Zwischenverfahrens für Unterhaltspflichten aufgenommen. Dieser Bereich fand besondere Aufmerksamkeit, da Unterhaltsgläubiger als besonders schützenswert angesehen wurden und weil in einzelnen Mitgliedstaaten bis zu 50% der Unterhaltsforderungen nicht durchgesetzt werden können.23 2004 hat die Kommission ein Grünbuch zu Unterhaltspflichten24 vorgelegt, in denen die 11 Rechtsfragen der grenzüberschreitenden Unterhaltspflichten komplex aufgeworfen wurden. Auch wird hieraus deutlich, dass die Abschaffung des Exequaturverfahrens nur ein, wenn auch wesentlicher Bestandteil einer zukünftigen europäischen Regelung sein sollte. Daneben wurden ua die Fragen nach dem unterhaltsrechtlichen Kollisionsrecht und der Zusammenarbeit der zuständigen Zentralen Behörden aufgeworfen. Bereits im Grünbuch wird berechtigt nachgefragt, ob es sinnvoll sei, auf gemeinschaftsrechtlicher und internationaler Ebene zu unterschiedlichen Lösungen für das Kollisionsrecht zu kommen. Aus dem Grünbuch ergibt sich auch, dass die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten in Anwendung des New Yorker Übereinkommens über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland vom 20.6.195625 nicht besonders effektiv ist.26 Gleichzeitig wird gesehen, dass die Probleme, die in einem internationalen oder nur gemeinschaftlichen Rahmen gelöst werden müssen, zwar zweifellos ähnlich sind, jedoch innerhalb des Rechtsraums der Gemeinschaft auch in diesem Bereich mit Sicherheit viel umfassendere und wirksamere Lösungen eingeführt werden können. Im Dezember 2005 wurde ein Vorschlag einer Verordnung des Rates27 vorgelegt, in dem die 12 21

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Verordnung (EG) Nr 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen vom 11.7.2007, ABl EU 2007 L 199/2. Verordnung (EG) Nr 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens vom 12.12.2006, ABl EU 2006 L 399/1. Europäische Kommission, Grünbuch Unterhaltspflichten, 15.4.2004, KOM (2004) 254, 7; Redaktion EuZW, EuZW 2004, 322, 323. Europäische Kommission, 15.4.2004, KOM (2004) 254. BGBl 1959 II 150. Europäische Kommission, 15.4.2004, KOM (2004) 254, 39. Europäische Kommission, 15.12.2005, KOM (2005) 649.

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Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten komplex geregelt waren. Die EG-UntVO unterscheidet sich in allen Teilen vom EG-UntVO-E. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der stärkere Gleichklang mit den neuen Haager Rechtsinstrumenten. Auf bestimmte Aspekte, die noch in dem EG-UntVO-E vorgesehen waren, konnten sich die Mitgliedstaaten nicht einigen.28 Kritikpunkte aus der Literatur, die zum Teil in der schlechten deutschen Übersetzung des Entwurfs ihren Ursprung hatten,29 wurden berücksichtigt sowie die mangelnde Abstimmung zwischen einzelnen Teilen behoben. III. Charakteristische Merkmale 1. Umfassendes Rechtsinstrument 13 Die EG-UntVO zeichnet sich dadurch aus, dass sie ein Rechtsinstrument ist, das alle Rechts-

fragen grenzüberschreitender Unterhaltsbeziehungen – wenn von Querschnittsproblemen der Zustellung und der Beweiserhebung abgesehen wird – in einem Regelwerk vereinigt. Geregelt werden: die internationale Zuständigkeit, einschließlich der Beachtung der ausländischen Rechtshängigkeit und zusammenhängender Verfahren; das Kollisionsrecht; die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, gerichtlichen Vergleichen und öffentlichen Urkunden; die Prozesskostenhilfe; die Zusammenarbeit auf Verwaltungsebene über Zentrale Behörden, einschließlich eines Antragsverfahrens; sowie die Einbeziehung öffentliche Aufgaben wahrnehmender Einrichtungen, die anstelle des Verpflichteten Unterhalt leisten, in das System der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Unterhaltssachen. 14 Die EG-UntVO zielt mit ihren kohärenten Regelungsbereichen darauf ab, die grenzüber-

schreitende Durchsetzung von Unterhaltspflichten zu erleichtern. Vom Regelungssystem her ist sie vergleichbar mit dem KSÜ.30 Sie geht in ihrem sachlichen Anwendungsbereich im Regelungsumfang insoweit über die Brüssel IIa-VO hinaus, als sie das Kollisionsrecht einschließt und die Prozesskostenhilfe in grenzüberschreitenden Unterhaltssachen komplex regelt. Sie verkörpert damit – vom System her – ein umfassendes Rechtsinstrument, wie es die Haager Konferenz für Unterhaltspflichten gegenüber Kindern und in anderen Familienbeziehungen im internationalen Maßstab anstrebte.31 Bei Letzterem waren wesentliche Abstriche von diesem Ziel erforderlich, um das Übereinkommen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.32

28 29 30

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Anordnung monatlicher Pfändung und vorübergehende Kontensperre, Art 34, 35 EG-UntVO-E. Dörner IPRax 2006, 550. Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht und die Anerkennung und Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19.10.1996 (BGBl 2009 II 603). Siehe Final Act of the Nineteenth Session, Proceedings of the Nineteenth Session, Volume I Miscellaneous Matters S 34-47, insb S 44. Hierzu Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 18 ff.

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2. Zusammenwirken mit der Haager Konferenz Die EG ist am 3.4.2007 der Haager Konferenz beigetreten33 und hat bereits zuvor als Be- 15 obachter an der Ausarbeitung des Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23.11. 200734 (iF HUntVerfÜbk 2007) und des Protokolls über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.200735 (iF HUntStProt 2007) teilgenommen. Dasselbe gilt für eine Reihe von Mitgliedstaaten, einige von ihnen sind selbst Teilnehmerstaaten der Haager Konferenz. Sowohl das HUntVerfÜbk 2007 als auch das HUntStProt 200736 ermöglichen den Beitritt regionaler Wirtschaftsorganisationen, die für einige oder alle dort geregelten Angelegenheiten zuständig sind. Der Beitritt der EG zum HUntStProt 2007 wird durch Beschluss vom 30.9.2009 gebilligt.37 Die EG-UntVO ist mit dem HUntVerfÜbk 2007 so abgestimmt, dass der EU der Beitritt zum HUntVerfÜbk 2007 möglich ist. Die EU ist dem Übereinkommen am 9.4.2014 beigetreten.38 Es ist in den Mitgliedstaaten seit dem 1.8.2014 mit Ausnahme von Dänemark anwendbar. HUntVerfÜbk 2007 und EG-UntVO können nebeneinander bestehen. So ist zB Art 8 EG- 16 UntVO, der die Zuständigkeit für Abänderungsentscheidungen betrifft, mit Art 18 HUntVerfÜbk 2007 abgestimmt. Nach Art 51 Abs 4 HUntVerfÜbk 2007 lässt dieses zudem die Anwendung der Bestimmungen der EG-UntVO in Bezug auf die im Übereinkommen geregelten Angelegenheiten im Verhältnis der Mitgliedstaaten unberührt, vorausgesetzt, das Verhältnis der Mitgliedstaaten zu den Vertragsstaaten des Übereinkommens wird davon nicht betroffen.39 Die EG hat auf eine eigenständige kollisionsrechtliche Regelung verzichtet, vielmehr das HUntStProt 2007 mit Art 15 in die EG-UntVO integriert. Dies ist eine weise Entscheidung, weil ein Nebeneinander zweier kollisionsrechtlicher Regelungen mit universellem Geltungsanspruch (loi uniforme) nicht möglich und eine territoriale Eingrenzung von Kollisionsnormen für den Unterhalt nicht sinnvoll ist.40 Einige Kapitel der EG-UntVO sind zwar nicht identisch, aber stark an die Ergebnisse, die 17 auf der Haager Konferenz erzielt wurden, angelehnt. Zum Teil betrifft es einzelne Regelungen. Vor allem sei hier das Kapitel VII (Zusammenarbeit der Zentralen Behörden), das Kapitel VIII (öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen) und – wenn auch eingeschränkt – Kapitel V (Zugang zum Recht) genannt. Die Ergebnisse der Verhandlungen zum Abschluss der Haager Rechtsinstrumente sind 33 34

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Hierzu näher Art 15 Rn 1. ABl EU 2011 L 192, 51 auch abrufbar unter: http://www.hcch.net/index_en.php?act=conventions.pdf& cid=131. ABl EU 2009 L 331 auch abrufbar unter: http://www.hcch.net/index_en.php?act=conventions.pdf&cid= 133. Art 52 HUntVerfÜbk 2007, Art 24 HUntStProt 2007. ABl EU 2009 L 331, 17. Hierzu Beschluss des Rates v 9.6.2011 ABl EU 2011 L 192, 39. Einzelheiten hierzu Art 69 Rn 9 ff. Zum HUntStProt 2007 im Einzelnen Art 15 Rn 3 ff.

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insoweit mit in die EG-UntVO eingeflossen. Die separate Regelung – außerhalb des Kollisionsrechts – ermöglicht es jedoch, weitergehende und umfassendere Regelungen aufgrund der vertieften Integration der Mitgliedstaaten in der Europäischen Gemeinschaft festzulegen. Auf internationaler Ebene lässt sich ein Standard, wie er in der Gemeinschaft bereits mit der Brüssel I-VO hergestellt und durch die EG-UntVO erhöht worden ist, nicht erreichen. Das betrifft die zentralen Kapitel II (Zuständigkeit) und Kapitel IV (Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung von Entscheidungen). Im ErwGr 8 wird ausdrücklich auf den Zusammenhang zwischen dem gemeinschaftsrechtlichen Rechtsinstrument und der Übereinkommen der Haager Konferenz hingewiesen. 3. Weiter sachlicher Anwendungsbereich 18 Die EG-UntVO ist durch einen weiten sachlichen Anwendungsbereich gekennzeichnet, der

sich einheitlich auf jedes Kapitel der Verordnung erstreckt. Sie findet auf alle Unterhaltspflichten aus Familie, Verwandtschaft, Ehe und Schwägerschaft Anwendung. Nur das HUntStProt 2007 hat gleichfalls diesen weiten Anwendungsbereich, während sich das HUntVerfÜbk 2007 auf Unterhaltspflichten aus einer Eltern-Kind-Beziehung gegenüber einer Person beschränkt, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, wobei sich jeder Vertragsstaat vorbehalten kann, das erfasste Alter auf die Vollendung des 18. Lebensjahres zu reduzieren. Der sachliche Anwendungsbereich erstreckt sich auch auf die Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten und früheren Ehegatten. Jedoch sind hier die zentralen Kapitel über die Zusammenarbeit auf Verwaltungsebene und die Anträge über die Zentralen Behörden ausgespart. Die Vertragsstaaten können durch Erklärungen das HUntVerfÜbk 2007 oder einzelne Teile auf andere Beziehungen der Familie, Verwandtschaft, Ehe oder Schwägerschaft erstrecken. Die Erweiterung gilt dann nur im Verhältnis zwischen jenen Vertragsstaaten, die eine solche Erklärung abgegeben haben, soweit diese übereinstimmen. 19 Der weite Anwendungsbereich und der Ausschluss von Vorbehalten innerhalb der Gemein-

schaft sind zu begrüßen, weil sie die Anwendung vereinfachen und von dem großen Vertrauen der Staatengemeinschaft in die Rechtsstaatlichkeit und Ausgewogenheit der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet zeugen. 20 Auch das Kapitel „Zusammenarbeit der Zentralen Behörden“ hat diesen weiten sachlichen

Anwendungsbereich, während das HUntVerfÜbk 2007 auf diesem Gebiet auf die Unterhaltspflichten im Eltern-Kind-Verhältnis gegenüber Kindern bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres beschränkt ist. In der Präambel des HUntVerfÜbk 2007 wird insbesondere der Zusammenhang zwischen diesem Übereinkommen und den Art 3, 27 UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes v 20.11.198941 hingewiesen. Hervorgehoben wird in diesem Zusammenhang, dass – „bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt ist, der vorrangig zu berücksichtigen ist; – jedes Kind das Recht auf einen seiner körperlichen, geistigen, seelischen, sittlichen und sozialen Entwicklung angemessenen Lebensstandard hat; – es in erster Linie Aufgabe der Eltern oder anderer für das Kind verantwortlichen Per-

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sonen ist, im Rahmen ihrer Fähigkeiten und finanziellen Möglichkeiten die für die Entwicklung der Kinder notwendigen Lebensbedingungen sicherzustellen; – die Vertragsstaaten alle geeigneten Maßnahmen, einschließlich des Abschlusses internationaler Übereinkünfte, treffen sollen, um die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen des Kindes gegenüber den Eltern oder gegenüber anderen für ihn verantwortlichen Personen sicherzustellen, insbesondere wenn die betreffenden Personen in einem anderen Staat leben als das Kind“. Das Gleiche muss für die EG-UntVO gelten und hätte es gerechtfertigt, die Zusammenarbeit 21 der Zentralen Behörden – die tatsächlich im Kern den Kindesunterhalt umfassen wird – auch rechtlich darauf zu beschränken. Dies hätte zB eine vertiefte Zusammenarbeit und weniger Beschränkungen hinsichtlich der Einkommensermittlung von Schuldnern ermöglicht, die sich der Unterhaltsverpflichtungen gegenüber ihren Kindern entziehen.42 Die EG-UntVO ist insoweit in sich auch nicht stimmig. Auf der einen Seite werden alle 22 Unterhaltspflichten aus jedem Familienverhältnis gleich welcher Art in den Anwendungsbereich des Kapitels VII einbezogen. Auf der anderen Seite sieht das HUntStProt 2007 das Günstigkeitsprinzip durch eine Kaskadenanknüpfung tatsächlich nur noch für den Unterhaltsanspruch eines Kindes gegenüber seinen Eltern vor. Nur diese Unterhaltspflichten und die aus der Ehe sind von der kumulativen Anknüpfung aufgrund einer Einrede des Unterhaltsschuldners ausgenommen (Art 6 HUntStProt 2007), die dazu führt, dass in grenzüberschreitenden Fällen gegenüber solchen ausschließlich innerstaatlicher Natur die Entstehung von Unterhaltspflichten erschwert wird. Das HUntStProt 2007 ist deshalb von einem besonderen Schutzanliegen in Bezug auf den Kindesunterhalt gekennzeichnet. Insbesondere hinsichtlich der Gewährung der unentgeltlichen Prozesskostenhilfe bei Anträgen auf Unterhaltsleistungen für Kinder nach Art 46 entspricht die EG-UntVO diesem Anliegen. Sie stellt jedoch undifferenziert den Apparat der behördlichen Zusammenarbeit für alle Antragsteller mit Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat zur Verfügung, wenn der sachliche Anwendungsbereich eröffnet ist. 4. Einzelne Bereiche Die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit weisen im Vergleich zur Brüssel I 23 und IIa-VO eine neue Qualität auf. Sie ist für Unterhaltssachen abschließend geregelt, es bleibt kein Raum für das autonome Recht. Leider wird der einstweilige Rechtsschutz hiervon nicht erfasst. Vom Grundsatz her werden internationale und örtliche Zuständigkeit zusammen geregelt. In grenzüberschreitenden Fällen finden die nationalen Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit regelmäßig keine Anwendung. Was das Kollisionsrecht betrifft, so wird erstmals das relevante Haager Rechtsinstrument, 24 das HUntStProt 2007 – an deren Ausarbeitung sich die EG und Mitgliedstaaten beteiligt haben – in die EG-UntVO integriert.43 Festgelegt ist eine ipso iure Anerkennung von Entscheidungen der Gerichte/Behörden eines 25 Mitgliedstaates in einem anderen Mitgliedstaat, ohne dass es Ablehnungsgründe für die 42 43

Hierzu insb Vorbem Art 61 ff Rn 8. Zu den wesentlichen Merkmalen Art 1 HUntStProt 2007 Rn 2.

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Anerkennung gibt. Vor allem kann der ordre public nicht mehr eingewendet werden. Diese bedingungslose Anerkennung ist jedoch davon abhängig gemacht, dass der Entscheidungsmitgliedstaat an das HUntStProt 2007 gebunden ist. Der Wegfall des ordre public für die Anerkennung ist bereits in der EG-VollstrTitelVO anzutreffen. Hier kann er darauf gestützt werden, dass es um unbestrittene Forderungen geht und Vorkehrungen für die Gewährung des rechtlichen Gehörs im verfahrenseinleitenden Stadium getroffen worden sind. Auch die EG-UntVO stellt dem Antragsgegner, gegen den die Entscheidung erlassen wurde, Rechtsbeihilfe zur Seite, um dessen Rechte zu gewährleisten. 26 Der Zusammenhang zwischen dem Verzicht auf den ordre public Einwand und dem

HUntStProt 2007 erschließt sich nur schwer, aber er ist vorhanden. Bis auf den Unterhalt der Eltern gegenüber den Kindern und den Unterhalt zwischen Eheleuten ist im HUntStProt 2007 eine fakultative Kumulation der Anknüpfungen vorgesehen. Mit ihr wird bewirkt, dass bei den anderen Beziehungen eine Unterhaltspflicht nur besteht, wenn sowohl das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsbegehrenden einerseits und andererseits das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsverpflichteten oder das gemeinsame Heimatrecht eine solche vorsehen. Weiterhin hält Art 14 HUntStProt 2007 eine einheitliche internationale Sachnorm bereit, wonach in allen Fällen der Anwendung in- oder ausländischen Rechts auch die Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten und die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten zu berücksichtigen sind. 27 Anwendungsfälle des materiell-rechtlichen ordre public sind natürlich weiterhin denkbar,

dürften jedoch eine Ausnahmeerscheinung bleiben,44 abgesehen von Fällen einer anderen Sicht auf die Existenz eines Statusverhältnisses. Hier beseht jedoch die Möglichkeit, über die Herbeiführung einer entgegenstehenden Entscheidung über das Statusverhältnis im Anerkennungsstaat, der ausländischen Entscheidung ihre wichtigste Wirkung, nämlich ihre Vollstreckungswirkung nach Art 21 Abs 2 UAbs 2, zu nehmen. Hat das angerufene Gericht des Erststaates das Recht, sei es das HUntStProt 2007 oder das materielle Recht, grob fehlerhaft angewendet, so ist dem mit denselben Rechtsbehelfen im Erlassstaat zu begegnen wie in rein inländischen Fällen. Die Anwendung des ordre public in Bezug auf die Anerkennung und Vollstreckung kann auch die Reaktion auf die Verletzung von verfahrensrechtlichen Grundprinzipien im Erlassstaat sein. In diesem Zusammenhang heißt es im ErwGr 18 EG-UntVO-E noch: „Um alle Zwischenmaßnahmen auszuschalten, muss eine Mindestharmonisierung der Verfahrensregeln erfolgen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass in allen Mitgliedstaaten ein wirksamer Rechtsschutz nach denselben Vorschriften gewährt wird.“45 Die EG-UntVO sieht keine solche flankierenden verfahrensrechtlichen Garantien vor. Ausnahme bildet der Art 19, in dem ein einheitliches gerichtliches Nachprüfungsverfahren im Ursprungsmitgliedstaat für einen Antragsgegner vorgesehen ist, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat. In diesem wird geprüft, ob im verfahrenseinleitenden Stadium rechtliches Gehör gewährt wurde. 28 Eine vollstreckbare Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist, der an das

HUntStProt 2007 gebunden ist, ist in einem anderen Mitgliedstaat unmittelbar vollstreck44 45

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Hierzu Art 21 Rn 39. Hierzu auch Stockholmer Programm-Entwurf, KOM (2009) 262; Wagner IPRax 2010, 97, 98 f.

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bar. Ein Vollstreckbarerklärungsverfahren als Voraussetzung für die Vollstreckung gibt es nicht. Auch wird die Konzeption der Bestätigung eines Titels als Europäischer Vollstreckungstitel nach der EG-VollstrTitelVO nicht fortgeführt. Anders als nach der EG-BagatellVO liegt dem auch kein autonomes europäisches Erkenntnisverfahren zugrunde. Vielmehr richtet sich dieses in familienrechtlichen Unterhaltssachen nach dem Recht des Gerichtsstaates (Art 19). Für vollstreckbare gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden wird vom Anerken- 29 nungsprinzip ausgegangen und auf diese Weise werden sie den gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung gleichgestellt. Die Vorschriften über die Prozesskostenhilfe zeichnen sich dadurch aus, dass sie alle Ver- 30 fahrensstadien erfassen, der Umfang der Prozesskostenhilfe einheitlich autonom bestimmt ist und eine Prozesskostenbefreiung für alle Anträge an die Zentrale Behörde erfolgt, die die Unterhaltsverpflichtungen der Eltern gegenüber ihren Kindern betrifft, die noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet haben. Für die Erleichterung der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen über die Grenze inner- 31 halb der Gemeinschaft wird das Modell der Zusammenarbeit Zentraler Behörden, wie es in der Brüssel IIa-VO und in den Haager Konventionen für den Schutz der Kinder im HKEntÜbK 1980, KSÜ, HAdoptÜbk 1993 und im HUntVerfÜbk 2007 vorgesehen ist, nutzbar gemacht. Der Regress öffentlicher Einrichtungen, die Leistungen an den Berechtigten anstelle von 32 Unterhalt erbringen, wird ausdrücklich erfasst. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Regress auf einem Forderungsübergang beruht oder einen selbständigen, öffentlich-rechtlich ausgestalteten Anspruch darstellt. IV. Auslegung 1. Auslegungskompetenz des EuGH Rechtsgrundlage für das Vorabentscheidungsverfahren ist Art 267 AEUV (Art 234 EGV). 33 Mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon entfällt Art 68 EGV,46 sodass nunmehr Art 267 AEUV (Art 234 EGV) ohne Einschränkung Anwendung findet. Demnach kann jedes Gericht eines Mitgliedstaates eine Auslegungsfrage zur EG-UntVO dem EuGH vorlegen, wenn es dessen Entscheidung darüber für den Erlass seiner Entscheidung für erforderlich hält. Stellt sich einem mitgliedstaatlichen Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Mitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, in einem schwebenden Verfahren eine solche entscheidungserhebliche Auslegungsfrage, so ist es berechtigt aber auch zugleich verpflichtet, diese dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen. Solche Vorlagepflicht betrifft den letztinstanzlichen Spruchkörper im konkreten Rechtsstreit. Unter den Begriff Rechtsmittel fallen alle ordentlichen Rechtsbehelfe.47

46 47

Everling EuR-Beil 2009, 71, 79. Hierzu mit Hinweisen auf weiterführende Literatur Rauscher/Staudinger Einl Brüssel 1-VO Rn 45 ff; Kropholler/von Hein Einl Brüssel 1-VO Rn 54 ff.

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Auf die Auslegungskompetenz des EuGH in Bezug auf das HUntStProt 2007 wird bei Art 15 eingegangen. 2. Auslegungsgrundsätze 34 Für die EG-UntVO können die durch den EuGH für das EuGVÜ und die Brüssel I-VO

herausgebildeten Auslegungsmethoden herangezogen werden.48 Vorrang hat die gemeinschaftliche autonome Auslegung. Das bedeutet, dass „in erster Linie die Systematik und die Zielsetzung der Verordnung zu berücksichtigen sind, um deren einheitliche Anwendung in allen Vertragsstaaten zu sichern“.49 Damit soll sichergestellt werden, dass sich aus der Verordnung für die Mitgliedstaaten und die betroffenen Personen soweit wie möglich gleiche und einheitliche Rechte und Pflichten ergeben.50 35 Die Besonderheit der EG-UntVO besteht darin, dass es enge Bezüge zum HUntVerfÜbk

2007 gibt und mit Art 15 das HUntStProt 2007 unmittelbar in das System der EG-UntVO einbezogen ist. Insbesondere dort, wo die Begriffe identisch sind, sollte eine einheitliche Auslegung angestrebt werden. Als Beispiele seien genannt: der sachliche Anwendungsbereich, wo EG-UntVO und HUntStProt 2007 übereinstimmen, die Begriffe „öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen“ oder der „gewöhnliche Aufenthalt“. Besonders erforderlich ist die abgestimmte Auslegung von EG-UntVO und HUntStProt 2007, da beide Rechtsdokumente in derselben Unterhaltssache zur Anwendung kommen. Art 20 HUntStProt 2007 verpflichtet die Staaten bei seiner Anwendung seinem internationalen Charakter und der Notwendigkeit, eine einheitliche Anwendung zu fördern, Rechnung zu tragen. Dies ist bei der gemeinschaftsautonomen Auslegung von Begriffen der EG-UntVO zu berücksichtigen, um einer Auseinanderentwicklung entgegenzuwirken. Praktiziert hat der EuGH das zB für die Brüssel IIa-VO in Bezug auf das KSÜ, indem er es für die Auslegung des sachlichen Anwendungsbereichs „elterliche Verantwortung“ und den Begriff „Zivilsachen“ herangezogen hat.51 Dieselbe Methodik ist für die EG-UntVO fruchtbar zu machen. In dieser Hinsicht ist auch ErwGr 8 zu verstehen, wonach diesen beiden Instrumenten, dh dem HUntVerfÜbk 2007 und dem HUntStProt 2007, im Rahmen der EG-UntVO Rechnung zu tragen ist. 36 Für die Auslegung gelten die allgemeinen Grundsätze, einschließlich der rechtsvergleichen-

den Interpretation, wobei auch für die EG-UntVO der teleologischen Auslegung eine herausragende Bedeutung zukommt. Alle Fassungen in den Amtssprachen der Mitgliedstaaten sind verbindlich. Dies ist vorteilhaft, weil sich der Rechtsanwender auf die Fassung in der von ihm beherrschten Sprache verlassen kann. Die Wortwahl in den einzelnen Fassungen ist nicht identisch, trotzdem wird vermutet, dass sie in jeder die gleiche Bedeutung hat. In Zweifelsfällen sollten Fassungen in anderen Sprachen herangezogen werden, um möglichst eine einheitliche gemeinschafts48

49 50 51

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Zur Weitergeltung der Rechtsfindungsmethoden für die Brüssel I-VO in Bezug auf das EuGVÜ ua Rauscher/Staudinger Einl Brüssel I-VO Rn 35; Kropholler, Die Auslegung von EG-Verordnungen zum Internationalen Privatrecht in: Basedow ua (Hrsg), Aufbruch nach Europa (2001) 583, 589. Für das EuGVÜ EuGH Rs C-464/01 Gruber/Bay Wa Rn 31 mit Nachweisen früherer Rspr. ZB EuGH Rs C-9/87 Arcad/Haviland Rn 10; EuGH Rs C-189/87 Kalfelis/Schröder Rn 15. EuGH Rs C-435/06 C IPRax 2008, 509 ff.

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Einleitung

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rechtliche Wortbedeutung zu suchen und auf diese Weise die einheitliche Rechtsanwendung zu fördern.52 Die systematische Auslegung stellt die einzelnen Normen in den Bedeutungszusammen- 37 hang der EG-UntVO als Ganzes und kann den Bezug zu anderen Gemeinschaftsrechtsakten herstellen. Typisches Beispiel hierfür ist der Gerichtsstand am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten. Diesen Gerichtsstand gab es bereits in dem EuGVÜ und der Brüssel I-VO. Nur war er nicht als allgemeiner, sondern als konkurrierender Gerichtsstand in Art 5 Nr 2 geregelt. Aus der Systematik des EuGVÜ hat der EuGH die Folgerung gezogen, dass die Zuständigkeit der Gerichte im Wohnsitzstaat des Beklagten den allgemeinen Grundsatz darstelle und dass die davon abweichenden besonderen Zuständigkeitsregeln keiner Auslegung zugänglich sind, die über die in dem Übereinkommen ausdrücklich vorgesehenen Fälle hinausgeht. Eine solche Auslegung gilt dabei erst Recht bei einer Zuständigkeitsregel wie Art 5 Nr 2 EuGVÜ53 mit der Folge, dass eine öffentliche Einrichtung an diesem Gerichtsstand nicht ihre Regressforderung geltend machen kann. In der EG-UntVO ist dieser Gerichtsstand, gleichgestellt neben dem des gewöhnlichen Aufenthaltes des Beklagten, zu einem allgemeinen Gerichtsstand geworden. Aufgrund der anderen systematischen Stellung ist die Auslegung zu Art 5 Nr 2 EuGVÜ nicht übertragbar.54 Ein weiteres Beispiel: Auch wenn weiterhin davon auszugehen ist, dass die EG-UntVO in 38 Übereinstimmung mit Art 61 lit c EGV (Artt 61 Abs 4, 81 AEUV) nur Zivilsachen betrifft, kann es für sie zu einer neuen Begriffsbestimmung kommen. Der EuGH hat die Eingrenzung für Unterhaltssachen in Übereinstimmung mit seiner Rechtsprechung zur Abgrenzung von öffentlich-rechtlichen Sachen bei Art 1 Brüssel I-VO vorgenommen. Danach ist eine Rückgriffsklage einer öffentlichen Einrichtung nur dann eine Zivilsache, soweit für die Grundlage dieser Klage und die Modalitäten ihrer Erhebung die allgemeinen Vorschriften über Unterhaltsverpflichtungen gelten. Ist dagegen diese auf Bestimmungen gestützt, mit denen der Gesetzgeber der öffentlichen Stelle eine eigene besondere Befugnis verliehen hat, kann sie nicht als Zivilsache angesehen werden.55 Da der Zusammenhang zu Art 1 Brüssel I-VO systematisch nicht mehr besteht, vielmehr zu Art 64 EG-UntVO und dieser wiederum gleich lautend mit Art 36 HUntVerfÜbk 2007 ist, lässt sich diese Auslegung nicht mehr aufrechterhalten.56 Bei Kapitel V (Zugang zum Recht), das im Kern die Prozesskostenhilfe in Unterhaltssachen 39 regelt, besteht ein Zusammenhang zur Richtlinie 2003/8/EG.57 Die EG-UntVO nimmt inhaltlich wesentliche Elemente der PKH-RL auf und verbindet sie mit Elementen aus dem HUntVerfÜbk 2007 zu einer speziellen Regelung für Unterhaltssachen. Wegen des systematischen Zusammenhangs können die PKH-RL, ihre Erwägungsgründe und die für sie

52 53 54 55 56 57

Kropholler/von Hein Einl Brüssel I-VO Rn 71. EuGH Rs C-433/01 Freistaat Bayern/Jan Blijdenstein EuGHE 2004 I 981 Rn 25. Hierzu Art 3 Rn 43. EuGH Rs C-271/00 Gemeente Steenbergen/Luc Baten EuGHE 2002 I 10489 Rn 37. Hierzu näher Art 1 Rn 38 ff. ABl EG 2003 L 26/41; hierzu Vorbem Art 44 ff Rn 1.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

bereits herausgebildeten Auslegungen für einzelne Begriffe und Regelungen, soweit Identität besteht, herangezogen werden. 40 Gerade für die EG-UntVO in ihrer ersten Zeit spielt die historische Auslegung gleichfalls

eine bedeutende Rolle. Zu fragen ist, wo die einzelnen Abschnitte oder die einzelnen Regelungen ihren Ursprung haben, um dann die Auslegung für die Ursprungsregelung – auch in ihrer Entwicklung – für die EG-UntVO zu nutzen. Mitunter betrifft es auch einzelne Abs von Artikeln. So kann zB in Kapitel II, für Art 5 (rügeloses Einlassen), Art 9 (Anhängigkeit), Art 12 (Rechtshängigkeit), Art 13 (zusammenhängende Verfahren) und Art 14 (einstweilige Maßnahmen) die Auslegung für die übereinstimmenden Bestimmungen der Brüssel I-VO fruchtbar gemacht werden. Aus ErwGr 15 wird deutlich, dass der europäische Gesetzgeber die Bestimmungen der Zuständigkeit, die in der Brüssel I-VO auf Unterhaltssachen zutreffen, zum Ausgangspunkt für die EG-UntVO genommen und sie angepasst hat. Soweit einzelne Bestimmungen verändert sind, können Teilaspekte der bisherigen Auslegung übernommen werden. Das trifft zB auf Art 4 (Gerichtsstandsvereinbarung) zu. 41 Nicht wenige Vorschriften sind identisch oder angelehnt an Bestimmungen des HUntVer-

fÜbk 2007 und des HUntStProt 2007. Für ihre Auslegung können die erläuternden Berichte zu beiden Rechtsinstrumenten sowie die vorbereitenden Dokumente, die alle im Internet veröffentlicht sind58, herangezogen werden.59 So ist zB Art 52 (Vollmacht) nur verständlich im Zusammenhang mit der Diskussion um die Vertretungsberechtigung der Antragsteller seitens der Zentralen Behörden in Bezug auf die identische Bestimmung im HUntVerfÜbk 2007. Für die Auslegung des Begriffs „Familienverhältnis“ in Art 1 ist der Kompromiss für die Auslegung desselben Begriffs, der auf der 21. Tagung der Haager Konferenz im November 2007 für das HUntStProt 2007 erzielt wurde60, zu beachten. 42 Weiterhin spielt natürlich auch für die EG-UntVO die teleologische Auslegung eine be-

sondere Rolle. Die Auslegung hat sich hierbei vor allem auch an den Vorschriften vorangestellten Erwägungsgründen zu orientieren. Obwohl die Erwägungsgründe leider in nicht unerheblichem Umfang den Inhalt nachfolgender Bestimmungen wiedergeben, enthalten sie gleichzeitig wesentliche Hinweise für die Ziele der EG-UntVO im Allgemeinen und ihrer einzelnen Abschnitte, Regelungen und Begriffe. Am präzisesten wird zB das Hauptziel der EG-UntVO im ErwGr 45 definiert. Dieses besteht in der Schaffung eines Instrumentariums zur effektiven Durchsetzung von Unterhaltsforderungen in grenzüberschreitenden Situationen, um damit zur Erleichterung der Freizügigkeit der Personen innerhalb der Europäischen Union beizutragen. Daraus lässt sich zB ableiten, dass der europäische Gesetzgeber in Bezug auf die Zuständigkeitsbestimmungen nicht die nationalen Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit im Allgemeinen vereinheitlichten wollte, sondern diese Frage nur für grenzüberschreitende Unterhaltssachen gleich mitgeregelt hat, um für diese den Zugang zu

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59 60

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Zum HUntStProt 2007 siehe http://www.hcch.net/index_en.php?act=conventions.publications&dtid= 35&cid=133; zum HUntVerfÜbk 2007 siehe http://www.hcch.net/index_en.php?act=conventions.publi cations&dtid=35&cid=131. Ähnlich Fasching/Konecny/Fucik Vor Art 1 Rn 8. Hierzu Bonomi YB PIL 2008, 333, 338.

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den Gerichten zu erleichtern.61 Aus ErwGr 36 ergibt sich zB das Verhältnis zur Richtlinie 2003/8/EG (PKH), das sich aus dem Inhalt der Regelung nicht so sehr erschließt. Letztlich hat auch die rechtsvergleichende Auslegungsmethode Bedeutung für die auto- 43 nome Auslegung. Dabei kommt nicht nur ein Vergleich zwischen den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, sondern auch mit den bereits bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Rechtsinstrumenten und relevanten internationalen Übereinkommen in Frage. 3. Entscheidungen des EuGH zum EuGVÜ und zur Brüssel I-VO In seinen Entscheidungen zum EuGVÜ hat sich der EuGH in Vorabentscheidungsverfahren 44 mit folgenden Fragen, die den Unterhalt betreffen, befasst: Abgrenzungskriterien in Bezug auf den von dem EuGVÜ erfassten Unterhalt und das ausgeschlossene Güterrecht,62 sowie zwischen Unterhaltsstreitsachen und öffentlich-rechtlichen Sachen, speziell zum Bereich der sozialen Sicherheit, bezogen auf den Regress öffentlicher Einrichtungen,63 weiterhin wie der Begriff Unterhaltsberechtigter für Art 5 Nr 2 auszulegen ist und ob öffentliche Einrichtungen für ihre Regressansprüche diese Zuständigkeit in Anspruch nehmen können.64 Außerdem haben für Unterhaltssachen natürlich die Entscheidungen des EuGH zu anderen Zivilrechtssachen Bedeutung, soweit sie sich auf übergreifende Fragen, wie zB die Zuständigkeit aufgrund von rügelosem Einlassen oder für einstweilige Maßnahmen beziehen. Soweit Bestimmungen identisch oder teilidentisch sind oder sich Regelungsaspekte aus dem EuGVÜ/der Brüssel I-VO wieder finden, kann die Rechtsprechung des EuGH hierzu nutzbar gemacht werden, es sei denn, aus dem Regelungssystem der EG-UntVO ergibt sich etwas anderes. Um für beides ein Beispiel zu nennen: Die Abgrenzung, die der EuGH in der Rechtssache 45 Boogaard/Laumen zum Güterrecht vorgenommen hat, bleibt auch für die EG-UntVO aktuell. Dagegen ist seine Rechtsprechung zu dem Unterhaltsregress öffentlicher Einrichtungen nicht auf die EG-UntVO übertragbar, weil zum einen Art 64 zu einer anderen Auslegung zwingt und zum anderen der Gerichtsstand des Unterhaltsberechtigten in einen anderen Zusammenhang gestellt wird. V. Schwachstellen Die EG-UntVO ist von wesentlichen Schwachstellen des im Jahr 2005 veröffentlichten 46 Entwurfs befreit und im Gesamtkonzept stimmig. Dies schließt nicht aus, dass einzelne Bereiche oder Normen noch optimaler hätten gestaltet werden können. Einige seien im Folgenden genannt: Übergreifend ist zu nennen, die Begriffe Familienverhältnis und Ehe für die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs in den Mitgliedstaaten nicht einheitlich autonom bestimmt wird. Damit erfolgt – wenn auch in Randbereichen – keine einheitliche Rechtsanwendung und insoweit ist das Ziel, die Gleichbehandlung aller Unter61 62

63 64

Hierzu Art 3 Rn 20. EuGH Rs C-220/95 van den Boogaard/Laumen EuGHE 1997 I 1147 = IPRax 1999, 35; EuGH v 6.3.1980 – Rs C-120/79 de Cavel/de Cavel EuGHE 1980, 731 = IPRax 1981, 19. EuGH Rs C-271/00 Gemeente Steensbergen/Baten EuGHE 2002 I 10489, 10526. EuGH Rs C-295/95 Farrell/Long EuGHE 1997 I 1683; EuGH Rs C-433/01 Freistaat Bayern/Jan Blijdenstein EuGHE 2004 I 981 = IPRax 2004, 240.

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haltsberechtigten zu gewährleisten,65 nicht in vollem Umfang verwirklicht. Dies stellt einen notwendigen Kompromiss dar. In den nationalen Rechtsordnungen wird unterschiedlich beurteilt, welche Verhältnisse familienrechtlichen Charakter tragen, wobei dem Grundauffassungen zugrunde liegen können, insoweit wird auch der ordre public betroffen. Dies musste für die Verordnung berücksichtigt werden, um die Einstimmigkeit des Rates für diesen Rechtsakt zu erreichen. 47 Im Bereich der Zuständigkeitsbestimmungen ist kritisch zu sehen, dass nicht zum Aus-

druck kommt, dass die internationale Zuständigkeit den Kern der Regelungen ausmacht und die örtliche Zuständigkeit nur als Begleitung mitgeregelt ist. Es fehlt eine normative Abgrenzung zu den einzelstaatlichen Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit. Es fragt sich, ob der Verordnungsgeber mit der Regelung der örtlichen Zuständigkeit im Rahmen der allgemeinen Zuständigkeiten in Art 3 das in Art 5 EGV (Art 5 EUV) niedergelegte Subsidiaritätsprinzip und den dort genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch gewahrt oder nicht in diesem Punkt in die nationalen Rechtsordnungen eingegriffen hat, ohne dass dies für die Erreichung der Ziele der Verordnung erforderlich war. 48 Neben anderen Einzelfragen bildet der einstweilige Rechtsschutz eine Schwachstelle. Über-

nommen wurde Art 31 Brüssel I-VO und damit das der EG-UntVO zugrunde liegende Prinzip der abschließenden autonomen Regelung der internationalen Zuständigkeit durchbrochen. Dies ist umso bedauerlicher im Hinblick darauf, dass die Schwachstellen von Art 31 Brüssel I-VO, die durch die Rechtsprechung des EuGH zwar eingegrenzt aber nicht behoben werden, bekannt sind.66 49 Bei den Vorschriften zur Prozesskostenhilfe ist der Anwendungsbereich nicht eindeutig

und nicht alle Regelungen, die zusammen gehören und die auch für den Bürger von Bedeutung sind, sind an einer Stelle zusammengefasst. Um zwei Beispiele zu nennen: In Art 45 wird der Umfang der Prozesskostenhilfe autonom bestimmt. In Art 56 Abs 3 wird dieser für Beistand und Vertretung bei Inanspruchnahme der Zentralen Behörden eingeschränkt, ohne dass sich ein Hinweis hierfür in Art 45 findet. Art 46 regelt den Grundsatz der unentgeltlichen Prozesskostenhilfe bei Anträgen auf Unterhaltsleistungen für Kinder, die über die Zentralen Behörden gestellt werden. An ganz anderer Stelle der Verordnung (Art 67) ist vorgesehen, dass unter bestimmten Voraussetzungen von der unterlegenen Partei die Erstattung der Kosten verlangt werden kann. 50 Vermisst wird, dass die Stellung der öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtungen

in Bezug auf den Unterhaltsregress nicht komplex geregelt wird, vielmehr ist lediglich die entsprechende Regelung des Art 36 HUntVerfÜbk 2007 übernommen worden, sodass sich zB bei Kapitel II die Frage stellt, ob sie überhaupt erfasst werden und wenn ja, welche Zuständigkeiten sie in Anspruch nehmen können. 51 In Bezug auf die Zusammenarbeit der Zentralen Behörden wird eine Konzentration auf die

Unterhaltspflichten gegenüber Kindern und jungen Erwachsenen sowie – möglicherweise – 65 66

472

ErwGr 11. Hierzu Europäische Kommission, Grünbuch Überprüfung der Verordnung (EG) Nr 44/2001 […], 21.4. 2009, KOM (2009) 175, Punkt 6; Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr 44/2001 […], 21.4.2009, KOM (2009) 174.

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Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Art 1 EG-UntVO

gegenüber unterstützungsbedürftigen Erwachsenen vermisst.67 Die EG-UntVO lehnt sich in diesen Teilen an das HUntVerfÜbk 2007 an, das jedoch hier auf die Unterhaltspflichten aus einem Eltern-Kind-Verhältnisses gegenüber einer Person beschränkt ist, die noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat. Die Regelungen dort tragen dem besonderen Schutzanliegen gegenüber Kindern Rechnung, und es besteht keine Notwendigkeit, sie auf andere Unterhaltsbeziehungen, insbesondere was das Erkenntnisverfahren betrifft, auszudehnen. Zum anderen stellt der breite sachliche Anwendungsbereich des Kapitels VII offensichtlich 52 einen Hinderungsgrund dar, weitergehende erleichternde Regelungen für die Zusammenarbeit für die grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsforderungen zu treffen. Besonders deutlich wird das bei Art 53 (Ersuchen um besondere Maßnahmen) und bei Art 61 (Zugang zu Informationen). Die Regelung in Kapitel VII ist von starren Vorgaben für Antragstellung, Bearbeitung und Information gekennzeichnet. Dieses Kapitel macht immerhin über vier Seiten im Amtsblatt der EG aus, hinzu kommen noch 5 Formblätter. Die Gefahr besteht, dass durch den streng gesteckten Rahmen Flexibilität und Kreativität der Zusammenarbeit zumindest nicht gefördert werden.

Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen Artikel 1: Anwendungsbereich (1) Diese Verordnung findet Anwendung auf Unterhaltspflichten, die auf einem Familien-, Verwandtschafts-, oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen. (2) In dieser Verordnung bezeichnet der Begriff „Mitgliedstaat“ alle Mitgliedstaaten, auf die diese Verordnung anwendbar ist. I.

II.

Erfasster Personenkreis 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Eheliche Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 3. Verwandtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 4. Schwägerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 5. Familienbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Unterhaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

Rechtsgrund der Unterhaltspflicht . . . . . . . Regressansprüche Privater . . . . . . . . . . . . . . . . . Öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zivilsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Territorialer Anwendungsbereich . . . . . . . .

III. IV. V.

29 33 38 44 48

I. Erfasster Personenkreis 1. Einführung Die erfassten persönlichen Beziehungen, die den Grund für die Unterhaltspflichten bilden, 1 müssen „auf einem Familien-, Verwandtschafts-, oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen“. Die Umschreibung des personellen Anwendungsbereiches stimmt inhaltlich überein mit der im HUntStProt 2007 und im HUntVerfÜbk 2007, an 67

Andere Sicht: Fasching/Konecny/Fucik Vor Art 1 Rn 9.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

deren Ausarbeitung die Europäische Gemeinschaft und Mitgliedstaaten beteiligt waren.1 Entsprechende Regelungen sind wiederum zu finden in Art 1 Abs 1 HUntStÜbk 19732 sowie in Art 1 Abs 1 HUntAVÜbk 1973.3 2 Art 1 Abs 1 HUntStProt 2007 lautet diesbezüglich: „Unterhaltsverpflichtungen, die sich aus

einer Familienbeziehung, Verwandtschaft, Ehe oder Schwägerschaft ergeben, einschließlich der Unterhaltspflicht gegenüber einem Kind ungeachtet des Familienstandes seiner Eltern“. Die Aufnahme des letzten HS in die EG-UntVO war nicht erforderlich, da in allen Mitgliedstaaten die Unterhaltspflicht gegenüber Kindern – unabhängig vom Status ihrer Eltern – als selbstverständlich begriffen wird. Für eine möglichst übereinstimmende Auslegung vor allem der EG-UntVO und des HUntStProt 20074 sprechen folgende Umstände: – Der europäische Verordnungsgeber hat im Laufe des Gesetzgebungsprozesses eine Anpassung an die Umschreibung des personellen Geltungsbereichs der Haager Übereinkommen vorgenommen und damit auf einen Gleichlauf mit den Begriffen in den Ausschlusstatbeständen in den Artt 1 Abs 2 Rom I-VO und Rom II-VO verzichtet.5 – Er hat mit der Verordnung das Ziel, ein kohärentes gemeinschaftliches Rechtsinstrument für Unterhaltssachen zu schaffen verfolgt, das das Kollisionsrecht mit einschließt.6 Dementsprechend lautet es im Titel der Verordnung „die Zuständigkeit, das anwendbare Recht …“ Sein Art 15 bestimmt, dass letzteres sich nach dem HUntStProt 2007 für die Mitgliedstaaten richtet, soweit sie daran gebunden sind. Dies verdeutlicht den gewollten engen Zusammenhang beider Rechtsinstrumente. – Die EG-UntVO stellt einen direkten Zusammenhang zwischen der Bindung eines Mitgliedstaates an das HUntStProt 2007 und der Abschaffung des ordre public-Vorbehalts bezogen auf die Anerkennung sowie die direkte Vollstreckbarkeit von Unterhaltstiteln ohne Exequaturverfahren her.7 Damit setzt sie jedoch voraus, dass beide Rechtsinstrumente in ihrem personellen Anwendungsbereich übereinstimmen, sonst würde das gewollte Junktim nicht lückenlos gegeben sein. Die Verordnung beschreibt den personellen Geltungsbereich mit einem Sammelbegriff „Familienverhältnis“ und durch die Aufzählung von einzelnen Arten von Beziehungen. Mit Letzterer wird normativ festgelegt, dass es sich um Familienverhältnisse iSd Verordnung handelt, die Unterhaltspflichten begründen können, auch wenn im einzelstaatlichem Recht dies nicht vorgesehen ist.8 1 2

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Vgl ErwGr 8. Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 2.10.1973, BGBl 1986 II 837. Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2.10.1973, BGBl 1986 II 826. So auch Hilbig GPR 2011, 310, 313; MünchKommFamFG/Lipp Rn 5; Hausmann, IntEuSchR C Rn 43. Im EG-UntVO-E hieß es stattdessen „Familienverhältnis oder Beziehungen, die nach einschlägigem Recht eine ähnliche Wirkung entfalten“. ErwGr 10. ErwGr 24, Art 17; kritisch hierzu: Andrae GPR 2010, 196, 203 f; Prütting/Helms/Hau § 110 FamFG Anh 3 Rn 85. Geimer/Schütze/Reuß Rn 45 (Mindestumfang); Hausmann, IntEuSchR C Rn 44; aA MünchKommFmFG/ Lipp Rn 14, wonach die Aufzählung keine eigenständige Bedeutung hat; auch im Bonomi-Bericht zum HUntStProt 2007 Rn 29 ist von einigen Beispielen die Rede.

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Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

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2. Eheliche Beziehungen Unterhalt aus ehelichen Beziehungen umfasst die Unterhaltspflicht zwischen den Eheleuten 3 bei bestehender Ehe und der Trennung ohne Auflösung des Ehebandes sowie zwischen ehemaligen Eheleuten nach der Scheidung.9 Erfasst werden auch Ehen, die Mängel aufweisen, Nichtehen oder ohne gerichtliche Entscheidung von Beginn an nichtige Ehen.10 Dies rechtfertigt sich vor allem daraus, dass bei Beziehungen mit internationalem Bezug die Frage, ob ein Ehemangel vorliegt und welche statusrechtlichen Folgen ein solcher hat, in den berührten Rechtsordnungen durchaus unterschiedlich gesehen werden kann (sog hinkende Ehe). Durch eine weite Auslegung des Begriffs eheliche Beziehungen wird vermieden, dass bereits bei der Frage, ob der Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet ist, die Existenz der Ehe, ihre Mängel und ihre Rechtsfolgen für den ehelichen Status zu prüfen sind und hierfür vorweg das dafür maßgebliche Recht zu bestimmen ist. Da die Vorfrage des ehelichen Status stets auf der Ebene des Kollisionsrechts und als materielle Vorfrage für die Begründetheit eines Unterhaltsanspruchs auftritt, sollte er an jener Stelle vom Gericht des Mitgliedstaates geprüft werden, das für die Entscheidung angerufen wird und hierfür nach Artt 3 ff zuständig ist. So wird verhindert, dass im Anwendungsbereich der Verordnung ein weiterer ungeschriebener Ablehnungsgrund der Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen entsteht. Nicht eingewandt werden kann daher, dass die Beziehung, aus der nach der Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat eine Unterhaltspflicht resultiert, nach der Rechtsordnung des Vollstreckungsmitgliedstaates eine Nichtehe oder absolut nichtige Ehe ist. Unter den Begriff Ehe fallen jedenfalls zwingend Beziehungen, die auch vom Anwendungs- 4 bereich der Brüssel IIa-VO und der Rom III-VO erfasst werden. Es handelt sich um die Beziehung zwischen einer Frau und einem Mann, die statusrechtlich als Ehen angesehen werden.11 Die EG-UntVO sieht nur in Art 4 Abs 1 lit c eine spezielle Regelung für die Unterhalts- 5 pflichten zwischen Ehegatten oder ehemaligen Ehegatten vor. Insoweit ist die Frage, ob homosexuelle Partnerschaften, die durch Eintragung bei einer Behörde begründet wurden, auch unter den Begriff Ehe nach der Verordnung fallen, kein zentrales Problem.12 Bedeutender ist die Frage, ob es sich um Familienbeziehungen iSd Verordnung handelt. Folgende Argumente können dafür angeführt werden, dass de lege lata jeder Mitgliedstaat selbst bestimmt, welche institutionelle Verbindungen gleichgeschlechtlicher oder verschiedengeschlechtlicher Paare iSd EG-UntVO neben der traditionellen Ehe unter den Begriff der Ehe 9

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Trennung ohne Auflösung des Ehebandes, Scheidung und Ungültigkeitserklärung der Ehe sind wie für Art 1 Abs 1 lit a Brüssel IIa-VO auszulegen; hierzu Rauscher/Rauscher Art 1 Brüssel IIa-VO Rn 1 ff. Bereits Verwilghen-Bericht zum HUntStÜbk 1973 Rn 155; einschränkend Hausmann, IntEuSchR C Rn 487 (für das HUntStProt in Bezug auf Nichtehen). Für die Brüssel IIa-VO Rauscher/Rauscher Brüssel IIa-VO Art 1 Rn 5 ff mwH;. Andrae IFR § 4 Rn 11; aA NK-BGB/Gruber Art 1 Rom III-VO Rn 14 ff jeweils mwH; Auffassung der Begriff der Ehe in der EGUntVO erfasst gleichgeschlechtliche Ehen bei Hausmann, IntEuSchR C Rn 45; Hau FamRZ 2010, 516; Auffassung keine Ehe nach der EG-UntVO: MünchKommFamFG/Lipp Rn 29; Geimer/Schütze/Reuß Rn 36. Anders für das HUntStProt, wo es darum geht, ob auf diese Verbindungen Artt 5 oder 6 Anwendung finden, hierzu Andrae IFR § 8 Rn 17, 133 u 134.

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zu subsumieren sind. Zum einen sprechen dafür die Lösungen in dem EU-GüterstVO-E und dem EU-LPartGüterstVO-E. Im ErwGr 10 EU-GüterstVO-E heißt es, dass der Begriff der Ehe „durch das einzelstaatliche Recht der Mitgliedstaaten definiert wird.“ ErwGr 10 EULPartGüterstVO-E bestimmt in gleicher Weise den Begriff der Lebenspartnerschaft. Zum anderen kann hierfür die Kompromisslösung für das HUntStProt angeführt werden. In der zuständigen Kommission wurde Einvernehmen dahin gehend erzielt, dass jene Vertragsstaaten, die solche Institutionen in ihrem Rechtssystem kennen oder bereit sind, ausländische Rechtsinstitutionen dieser Art anzuerkennen, auf die Unterhaltspflichten aus diesen Beziehungen die kollisionsrechtliche Regelung für den Ehegattenunterhalt (Art 5 HUntStProt) erstrecken können.13 Die Aufnahme einer entsprechenden Öffnungsklausel in die Reglung konnte jedoch nicht erreicht werden. Der Begriff der Vertragsstaaten umfasst in Bezug auf die Europäische Union sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Organisation selbst.14 Möglich ist es deshalb, dass sich zukünftig eine einheitliche Auslegung in den Mitgliedstaaten herausbildet, welche Partnerbeziehungen außerhalb der herkömmlichen heterosexuellen ehelichen Verbindung vom Begriff Ehe erfasst werden bzw auf welche Beziehungen die Bestimmungen für eheliche Beziehungen entsprechend Anwendung finden.15 Dadurch kann dann ein Gleichlauf der Auslegung für die EG-UntVO und das HUntStProt erreicht werden. Zusammengefasst: Vom Begriff Ehe wird zwingend die traditionelle eheliche Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau erfasst. Er ist offen für andere institutionelle Formen der Partnerschaft zwischen zwei Menschen. Auf Grund der unterschiedlichen Ansicht in den Mitgliedstaaten zu dieser Frage ist die Zuordnung de lege lata dem einzelstaatlichen Recht überlassen. 5a Für Deutschland ist davon auszugehen, dass der Begriff der Ehe bezogen auf das HUntSt-

Prot und die EG-UntVO mit dem Begriff in Art 13 EGBGB übereinstimmt.16 Die Bestimmungen über die Unterhaltspflichten zwischen Eheleuten werden auch erstreckt auf: die eingetragene Lebenspartnerschaft nach deutschem Recht, die registrierte Partnerschaften nach ausländischen Rechtsordnungen unabhängig von der Geschlechtszugehörigkeit der Partner sowie die gleichgeschlechtliche Ehe, die im Ausland eingegangen wurde. 3. Verwandtschaft 6 Hierzu gehören insbesondere die Unterhaltspflichten zwischen Kindern und Eltern, auch

soweit der Kindesunterhalt durch einen eigenen Unterhaltsanspruch des Elternteils geltend zu machen ist, dem das Kind im Fall einer Trennung/Scheidung zugewiesen wurde.17 Weiterhin zählen hierzu Unterhaltspflichten zwischen anderen Personen, die in gerader Linie

13

14 15 16 17

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Hierzu die Darstellung bei Bonomi YB PIL 10 (2008) 333, 339 sowie Bonomi-Bericht zum HUntStProt 2007 Rn 31; für das HUntVerfÜbk 2007 Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 527 f. Art 24 Abs 5 HUntStProt. Andrae GPR 2010, 196, 202; NK-BGB/Gruber Anh zu Art 18 EGBGB Art 5 HUntStProt 2007 Rn 8. Andrae IFR § 1 Rn 6 ff mwH auch zu gegenteiligen Auffassungen. Wie etwa im ital Recht, hierzu BGH v 9.10.1985 – IVb ZR 36/84, IPRax 1987, 314, 315; Wuppermann FamRZ 1970, 177, 183.

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Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Art 1 EG-UntVO

verwandt sind, wie zwischen den Enkelkindern und den Großeltern sowie zwischen den in der Seitenlinie Verwandten, so zwischen Geschwistern.18 Verwandtschaft wird im weiten Sinne verstanden. Sie schließt die durch Adoption begrün- 7 deten, bestehen bleibenden oder erloschenen Unterhaltspflichten zu den Adoptiveltern und deren Verwandten sowie den natürlichen Verwandten ein. Dabei kommt es nicht darauf an, ob durch die Adoption im Rechtssinne Verwandtschaft begründet oder beendet wird. Vom Geltungsbereich erfasst sind also sowohl Unterhaltspflichten aufgrund von Voll- als auch schwacher Adoption.19 Die Verordnung sagt nicht, auf welcher Grundlage die Verwandtschaft bestimmt wird. Diese 7a Frage ist vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeklammert. Bei der Elternschaft kann sowohl die rechtliche als auch die genetische gemeint sein. So erstreckt sich zB die Verordnung auf eine (vermeintliche) Unterhaltspflicht der Leihmutter und/oder der Wunschmutter bei einer Leihmutterschaft20 sowie der Co-Mutter bei der Co-Mutterschaft nach spanischem Recht. Worauf es für die Begründetheit des Unterhalsanspruchs ankommt, ist als Vorfrage im Erkenntnisverfahren durch das angerufene mitgliedstaatliche Gericht zu klären.21 Dies berührt den Anwendungsbereich der Verordnung nicht. Erfasst wird auch die sog Zahlvaterschaft, mit der die Unterhaltspflicht eines natürlichen 7b Vaters umschrieben wird, wobei rechtlich eine Verwandtschaft zwischen dem Vater und dem Kind nicht besteht, weil das Kind aus der Beziehung nicht verheirateter Personen hervorgegangen ist.22 Nicht eingeschlossen sind Unterhaltspflichten aus kafala, weil durch sie kein Eltern-Kind- 7c Verhältnis zwischen den Beteiligten begründet wird. Ungeachtet dessen handelt es sich um eine Familienbeziehung iS von Art 1 Abs 1. 4. Schwägerschaft Die Schwägerschaft besteht zu den Verwandten des anderen Ehegatten. Sie besteht fort, 8 wenn die Ehe durch die sie begründet wurde, aufgelöst ist.23 Eine Schwägerschaft besteht deshalb auch zu den Kindern des anderen Ehegatten. Unterhaltsansprüche im Verhältnis zu den Stiefkindern fallen daher in den Anwendungsbereich der Verordnung. 5. Familienbeziehungen Ob und welche Beziehungen darüber hinaus erfasst werden, hängt von dem Verhältnis des 9 Begriffs „Familienbeziehungen“ zu den weiteren Aufzählungen ab; die Erwägungsgründe treffen hierzu keine Aussagen. Dies erstaunt, weil der personelle Anwendungsbereich dies-

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Bereits Verwilghen-Bericht zum HUntStÜbk 1973 Rn 20. Verwilghen-Bericht zum HUntStÜbk 1973 Rn 19. Zur Leih- und Co-Mutterschaft mwH Andrae IFR 6 Rn 49 ff. Vgl ErwGr 21 S 2. Hierzu Verwilghen-Bericht zum HUntStÜbk 1973 Rn 19. Siehe Definition § 1590 BGB.

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bezüglich im EG-UntVO-E noch anders formuliert war24 und hierbei weitgehend konform mit der Rom I und Rom II-VO ging.25 In den Erwägungsgründen zu diesen beiden Verordnungen heißt es: Familienverhältnisse sollten die Verwandtschaft in gerader Linie, die Ehe, die Schwägerschaft und die Verwandtschaft in der Seitenlinie umfassen.26 10 Wäre diese Deutung Art 1 Abs 1 EG-UntVO zugrunde zu legen, wäre der Begriff Familien-

verhältnis lediglich ein Oberbegriff und hätte keine selbständige Bedeutung. Andere Beziehungen, wenn sie erfasst werden sollten, hätten mit Beziehungen ähnlicher Wirkungen – wie etwa in der Rom I und Rom II-VO – bezeichnet werden müssen. Für diese Auslegung spricht, dass den für die Abgrenzung des Anwendungsbereiches der einzelnen Verordnungen verwendeten Begriffen derselbe Inhalt beigemessen werden sollte. Zudem entstammen sie derselben Zeitperiode. 11 Der Verordnungsgeber hat hier aber auf eine Übereinstimmung mit seiner eigenen Gesetz-

gebung verzichtet, um dem engen Bezug zum HUntVerfÜbk 2007 und HUntStProt 2007 gerecht zu werden. 12 Für die Haager Übereinkommen von 1973 geht der Bericht von Verwilghen davon aus, dass

mit dem Begriff „Familienbeziehungen“ kein über die konkret bezeichneten Beziehungen hinausgehender Anwendungsbereich eröffnet wird.27 Auch aus den möglichen Vorbehalten gemäß Artt 13, 14 HUntStÜbk 1973 und Art 26 HUntAVÜbk 1973 lässt sich ableiten, dass diese Übereinkommen auf die aufgezählten einzelnen Beziehungen beschränkt sind und der Begriff „Familienbeziehungen“ darüber hinaus keine selbständige Bedeutung besitzt. Die Vorbehalte der Übereinkommen beziehen sich allein auf Ehegatten, Verwandte in der Seitenlinie und Verschwägerte. 13 Jedoch spricht ganz wesentlich für ein darüber hinausgehendes Verständnis des Begriffs

„Familienbeziehungen“ im HUntVerfÜbk 2007 und HUntStProt 2007, dass der Dynamik der Auslegung, welche Beziehungen zum Unterhalt verpflichtende Familienbeziehungen sein könnten, Rechnung getragen und nicht der Stand von 1970 konserviert werden sollte.28 Die weite Auslegung wird im dem HUntVerfÜbk 2007 zugrunde liegenden Konzept des personellen Anwendungsbereichs erkennbar. Vorgesehen ist ein Kernbereich, welcher die Unterhaltspflichten der Eltern gegenüber einem Kind unter 21 Jahren sowie den ehelichen Unterhalt betrifft.29 Durch Vorbehalt kann der Anwendungsbereich einerseits auf Kinder bis zum Alter von 18 Jahren reduziert werden.30 Andererseits hat jeder Vertragsstaat die Möglichkeit, das Übereinkommen auf jede Unterhaltspflicht auszudehnen, die aus Familienbeziehungen, Verwandtschaft, Ehe und Schwägerschaft, insbesondere auch Pflichten gegenüber schutzbedürftigen Personen, erwächst. Eine solche Erklärung schafft nur dann Verpflichtungen zwischen zwei Vertragsstaaten, wenn ihre Erklärungen dieselben Unterhalts24 25 26 27

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Hierzu Rn 1. Vgl Art 1 Abs 2 lit b Rom I-VO und Art 1 Abs 2 lit a Rom II-VO. ErwGr 8 Rom I-VO und ErwGr 10 Rom II-VO. Verwilghen-Bericht zum HUntStÜbk 1973 Rn 18: „Unterhaltspflichten aus Beziehungen der Familie, dh die Unterhaltspflichten aus Blutsverwandtschaft, Ehe und Schwägerschaft“. So für das HUntStÜbk 1973 Staudinger/Mankowski (2003) Anh I zu Art 18 EGBGB Rn 113. Art 2 Abs 1 HUntVerfÜbk 2007. Art 2 Abs 2 HUntVerfÜbk 2007.

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verpflichtungen und Teile der Konvention betreffen.31 Diese Konstruktion ermöglicht jedem Vertragsstaat, unter den Begriff „Familienbeziehungen“ die persönlichen Verbindungen zu fassen, denen er familienrechtlichen Charakter beimisst und die er vom Übereinkommen erfasst wissen will.32 Da die EU und nicht die einzelnen Mitgliedstaaten dem Übereinkommen beitreten, liegt es in ihrer Kompetenz, diese Erklärung abzugeben.33 Der Beschluss zum Beitritt der EU behält sich die Erweiterung auf andere Familienbeziehungen vor, ohne sie näher zu bezeichnen, so dass sich hieraus keine Folgerungen für eine einheitliche Auslegung in den Mitgliedstaaten ableiten lassen.34 Auch die Strukturierung des HUntStProt 2007 lässt eine weite und zugleich flexible Inter- 14 pretation des Begriffs Familienbeziehungen zu.35 Statt der Möglichkeit der Vorbehaltserklärung in Bezug auf bestimmte Familienbeziehungen, wie im HUntStÜbk 1973, sieht Art 6 HUntStProt 2007 eine kollisionsrechtliche Schutzbestimmung für den Unterhaltsschuldner aus Verpflichtungen vor, die sich weder gegenüber einem Kind aus den Eltern-Kind-Beziehungen noch aus der Ehe oder nachehelichen Beziehungen ergeben. Aus der breiten Fassung dieser Bestimmung ist zu folgern, dass sie zB auch in den Beziehungen zwischen homo- und heterosexuellen Partnern außerhalb der traditionellen Ehe zur Anwendung kommen kann.36 Das HUntStProt lässt letztlich diese Frage wegen der fundamental gegensätzlichen Auffassungen in den Staaten hierzu gewollt offen.37 Welche anderen Beziehungen iSd HUntStProt 2007 Familienbeziehungen sind, ist nicht 14a einheitlich autonom auszulegen, sondern bestimmt sich nach dem Recht des Vertragsstaates, dessen Gericht im konkreten Fall angerufen wird.38 Dabei ist jedoch nicht das materielle Familienrecht dieses Staates zugrunde zu legen, vielmehr ist nach der im IPR des Forumstaates herrschenden Methode zu qualifizieren. Für die durch den Beitritt der Europäischen Union gebundenen Mitgliedstaaten ermöglicht diese Lösung, den Begriff für das HUntStProt 2007 und die EG-UntVO einheitlich zu verstehen. Möglich ist in Bezug auf die Mitgliedstaaten eine einheitliche autonome Auslegung,39 welche Beziehungen außer Verwandtschaft, Ehe und Schwägerschaft vom Begriff erfasst werden. Möglich ist jedoch auch, dies 31 32 33

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Art 2 Abs 3 S 2 HUntVerfÜbk 2007; Borrás-Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 51 ff. Borrás-Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 57. Als beigetretene Organisation hat die EU die Rechte und Pflichten eines Vertragsstaates, Art 59 Abs 1 S 2 HUntVerfÜbk 2007. Beschluss des Rates vom 9.6.2011 über die Genehmigung des Haager Übereinkommens vom 23.11.2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen im Namen der Europäischen Union, ABl EU 2011 L 192/39–50. Bonomi-Bericht zum HUntStProt 2007 Rn 29 (eher weite Auslegung des Begriffs Familienbeziehungen). Die Einbeziehung der in Staaten bestehenden verschiedenen institutionellen Formen der gleichgeschlechtlichen Ehen und Partnerschaften in den sachlichen Anwendungsbereich des HUntStProt 2007 wurde auf der 21. Tagung der Haager Konferenz diskutiert. Konsens wurde dahin gehend erzielt, dass jeder Vertragsstaat selbst über die Qualifikation derartiger Beziehungen als Familienbeziehungen entscheidet, Bonomi YB PIL 10 (2008) 333, 339. Bonomi-Bericht zum HUntStProt 2007 Rn 31. Hilbig, GPR 2011, 310, 311 f. Hierfür u. a.NK-ZPO/Dörner Rn 1; Prütting/Helms/Hau § 110 FamFG Anh 3 Rn 5 (autonom mit Rücksicht auf die lex causae); Geimer/Schütze/Reuß Rn 44; NK-BGB/Gruber, Anh zu Art 18 EGBGB Art 1 HUntStProt 2007 Rn 4.

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den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu überlassen, denn für das HUntStProt 2007 gelten Europäische Union und Mitgliedstaaten gleichermaßen als Vertragsstaaten. Beide Methoden können kombiniert werden, indem bestimmte Beziehungen autonom einheitlich40 zu den Familienbeziehungen gezählt werden und im Übrigen die Zuordnung den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen überlassen wird.41 15 Für die Mitgliedstaaten sind einheitlich eingetragene Partnerschaften vom Begriff Fami-

lienbeziehungen in der EG-UntVO42 und dem HUntStProt 2007 erfasst.43 Dafür spricht vor allem der Vorschlag für eine Verordnung zum Güterrecht dieser Partnerschaften (EULP-GüterVO-E).44 In den Erwägungsgründen45 zu diesem Verordnungsvorschlag heißt es ausdrücklich, dass sich die Unterhaltspflichten im Innenverhältnis der Partner zueinander nach der EG-UntVO richten.46 Der Begriff eingetragene Partnerschaft bezieht sich auf die gesetzlich vorgesehene Form der Lebensgemeinschaft, die durch Eintragung bei einer Behörde begründet wird.47 Der genaue Inhalt des Begriffes48 bestimmt sich nach dem innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten,49 wobei das IPR und damit die dafür Anwendung findende Qualifikationsmethode eingeschlossen ist. Ein Ausschluss gleichgeschlechtlicher Paare ist hierbei unzulässig, weil dies gegen das Diskriminierungsverbot des Art 14 EMRK iVm Art 8 EMRK verstößt.50 16 Unterhaltsansprüche eines Elternteils, die sich aus der Geburt51 und Betreuung52 eines ge-

meinsamen Kindes gegenüber dem anderen Elternteil ergeben, sind einheitlich als Unterhaltsansprüche aus Familie zu qualifizieren. 17 Welche anderen Beziehungen durch den Begriff „Familienbeziehungen“ darüber hinaus 40

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Ausschließlich für eine autonome einheitliche Auslegung ua MünchKommFmFG/Lipp Rn 14; Hausmann, IntEuSchR C Rn 49; NK-ZPO/Dörner Rn 1. AA Geimer/Schütze/Reuß Rn 44. Geimer/Schütze/Reuß Rn 48; Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 17; Gruber IPRax 2010, 128, 130; MünchKommFmFG/Lipp Rn 30; Fasching/Konecny/Fucik Rn 2; Hausmann, IntEuSchR C Rn 50, 489; Thomas/Putzo/Hüßtege Vor Art 1 Rn 13; NK-ZPO/Dörner Rn 1; Prütting/Helms/Hau § 110 FamFG Anh 3 Rn 6; Conti S. 36 ff., 47. Andrae IFR § 8 Rn 22; insoweit gegenüber der 1. Auflage (Rn 17-19) weitergehend. KOM (2011) 127. ErwGr 12 EU-LP-GüterVO-E. Andrae IFR § 8 Rn 22; Hausmann, IntEuSchR C Rn 489. Art 2 lit b EU-LP-GüterVO-E, in der Begründung zum Regelungsvorschlag (S. 3) findet sich die Umschreibung: „Verbindung zweier Personen, die in einer stabilen, bei einer Behörde registrierten Partnerschaft zusammenleben“. Damit ist wohl in erster Linie die Abgrenzung zur Ehe gemeint. ErwGr 10 EU-LP-GüterVO-E. EGMR Beschwerden Nr 2981/09/32684/09, FamRZ 2014, 189 (betrifft das materielle Recht). NK-BGB/Bischoff Art 19 EGBGB Rn 33; NK-ZPO/Dörner Rn 1. BGH v 10.11.2010 – XII ZR 37/09, FamRZ 2011, 97 Rn 17, 22 (durch die gemeinsame Elternschaft entstandene Familie); NK-BGB/Gruber Art 18 EGBGB Rn 45; Palandt/Thorn Art 1 HUntStProt Rn 6; MünchKommBGB/Siehr (2010) Art 18 Anh I Rn 44; NK-ZPO/Dörner Rn 1.

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erfasst sind, ist nicht einheitlich autonom bestimmt. Es sind die Beziehungen, die in der Diktion der Rom I und II-VO eine den Familienverhältnissen vergleichbare Wirkung entfalten. Ob dies für die in Frage stehende Beziehung zutrifft, richtet sich zumindest gegenwärtig nach nationalem Recht. Jedoch ist hierfür nicht generell die lex causae des vermeintlichen Unterhaltsanspruchs heranzuziehen. Dieses Herangehen ist nicht sinnvoll, weil dadurch Teile der Begründetheitsprüfung bereits in die Prüfung des Anwendungsbereichs verlagert würden. Zudem sieht die kollisionsrechtliche Regelung nach dem HUntStProt 2007 für diese Familienbeziehungen Kombinationen von Verweisung auf verschiedene Rechtsordnungen vor. Zugrunde zu legen ist die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende Methode der Qualifikation. In Deutschland findet sowohl für das internationale Zivilverfahrensrecht als auch für das 18 Kollisionsrecht die funktionelle Qualifikationsmethode Anwendung,53 die ihren Ausgangspunkt in der lex fori Qualifikation hat, sich aber darin nicht erschöpft. Unter den Begriff Familienbeziehungen fallen danach alle Beziehungen, die nach deutschem Sachrecht familienrechtlichen Charakter haben. Zudem werden Beziehungen erfasst, die in der eigenen Rechtsordnung unbekannt oder als familienrechtliche Beziehungen (noch) nicht anerkannt sind, wenn sie durch besondere persönliche Beziehungen eigener Art gekennzeichnet sind. Hierunter können zB Unterhaltspflichten innerhalb einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft54, einschließlich gegenüber dem Kind des anderen Lebenspartners, oder die im englischen Recht bekannte Rechtsfigur des „child of the family“ subsumiert werden.55 Ist die EG-UntVO nicht anwendbar, weil es zwar um Unterhalt geht, der jedoch nicht aus 19 einem Familienverhältnis resultiert, ist die Brüssel I-VO berufen.56 Ein wichtiges Ziel der EG-UntVO, nämlich die Gleichbehandlung aller Unterhaltsberech- 20 tigten in der Union zu gewährleisten, wird für die überwiegende Zahl der betroffenen Beziehungen durch die dargestellte Methode der Qualifikation als Familienbeziehung erreicht. Jedoch ist es im Einzelfall nicht ausgeschlossen, dass bei einzelnen Arten von Beziehungen die Entscheidung in den Mitgliedstaaten mit Konsequenzen für die Anwendung der Verordnung unterschiedlich ausfällt. Dies ist dann besonders misslich, wenn Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten mit der Unterhaltsstreitsache befasst werden. So hat im Erkenntnisverfahren ein mitgliedstaatliches Gericht in einem auslandsberührenden Fall zu prüfen, ob die Beziehung, die dem Unterhaltsstreit zugrunde liegt, eine Familienbeziehung iSd Verordnung ist. Ob dies im Vollstreckungsmitgliedstaat noch einmal geprüft wird, hängt davon ab, ob das Vollstreckungsorgan an die diesbezügliche Feststellung des Erstgerichts gebunden

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Siehe nur BGH IPRspr 1966-67 Nr 19 S 64-67 (66); BGH IPRspr 1966-67 Nr 90 S 289-300 (298); vHoffmann/Thorn IPR9 (2007) § 6 Rn 27 ff; Kegel/Schurig IPR9 (2004) § 7 III 3 S 346; Kropholler IPR6 (2006) § 17 I S 126 ff. Zu den Haager Übereinkommen 1973: Hausmann FS Henrich (2000) 241, 260; Staudinger/Mankowski (2003) Anh I Art 18 EGBGB Rn 12; zur EG-UntVO: MünchKommFmFG/Lipp Rn 32;.Geimer/Schütze/ Reuß Rn 49; Prütting/Helms/Hau § 110 FamFG Anh 3 Rn 5; Gruber IPRax 2010, 128, 130; im Ergebnis auch Conti S 36 ff, 47; aA Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 17. Hierzu mit Nachweisen Martiny Rec 247 (1994 III) 135, 150. Ähnlich MünchKommFmFG/Lipp Rn 40; nach Art 68 Abs 1 wird die Brüssel I-VO nur insoweit verdrängt, wie die EG-UntVO Anwendung findet.

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ist. Verneint man dies,57 so ist im Anerkennungs- und Vollstreckungsmitgliedstaat erneut zu prüfen, ob die Entscheidung des Erstgerichts unter den Anwendungsbereich der Verordnung fällt. Es ist davon auszugehen, dass der EuGH im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren einheitliche Kriterien für die Zuordnung zu Familienbeziehungen iSd Verordnung herausbildet, um dem mit der Verordnung angestrebten Regelungsziel nahezukommen. 21 Die EG-UntVO ist nicht auf erbrechtlich zu qualifizierende Zahlungsverpflichtungen an-

wendbar. Die Abgrenzung zur EG-ErbVO muss autonom und einheitlich erfolgen. Die Zuordnung ist über eine Qualifikation des Anspruchs zu suchen, die das angerufene Gericht durchführen muss.58 Voraussetzung für die Anwendung der EG-UntVO ist vor allem, dass der Grund der Zahlungsverpflichtung in einem Familienverhältnis liegt. Bei einer unterhaltsrechtlichen Zuordnung bleibt es hinsichtlich solcher Unterhaltsverpflichtungen, die bereits dem Erblasser oblagen und die – möglicherweise modifiziert – auf die Erben als Nachlassverbindlichkeiten übergegangen sind.59 Beispiel hierfür ist der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten nach § 1586b BGB. Dagegen sind Ansprüche nächster Familienangehöriger des Erblassers als erbrechtlich einzuordnen, auch wenn sie auf die Sicherung ihrer Lebensgrundlagen gerichtet sind, wenn die Verbindlichkeiten originär in der Person der Erben entstehen und wirtschaftlich betrachtet eine Beteiligung am Nachlass bilden.60 Dies ist darin begründet, dass der Anspruch nicht aus den familiären Beziehungen der Verpflichteten zu dem Berechtigten resultiert. Beispiel hierfür ist der Dreißigste gemäß § 1969 BGB, der als eine Art gesetzliches Vermächtnis nach deutschem Erbrecht anzusehen ist.61 II. Unterhaltspflichten 22 Der Begriff Unterhaltspflichten ist in der Verordnung und in den Erwägungsgründen nicht

näher umschrieben. Auch die Haager Übereinkommen enthalten hierzu keine allgemeine Definition. Herangezogen werden können die Auslegungen für das EuGVÜ/die Brüssel I-VO.62 Wie der Begriff Unterhalt63 ist der Begriff der Unterhaltspflichten autonom64 und weit auszulegen.65 57

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So für EuGVÜ/Brüssel I-VO Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art 32 Brüssel I-VO Rn 9; Kropholler/von Hein Art 32 Brüssel I-VO Rn 3; Rauscher/Leible Art 36 Brüssel I-VO Rn 2. Verwilghen-Bericht zum HUntStÜbk 1973 Rn 24. Ob Unterhaltsschulden des Erblassers bestehen bzw ob Unterhaltsschulden auf die Erben übergehen, betrifft das Entstehen und Erlöschen der Unterhaltsschuld selbst und hat daher keine erbrechtliche Prägung, MünchKomm-BGB/Siehr (2010) Art 18 EGBGB Anh I Rn 52, 53. AA: NK-BGB/Gruber Art 18 EGBGB Rn 59 (Unterhaltsrechtliche Qualifikation, soweit der Anspruch seiner Funktion nach den Wegfall des zum Unterhalt verpflichteten Erblassers kompensieren soll). MünchKommBGB/Siehr (2010) Art 18 EGBGB Anh I Rn 54; NK-BGB/Gruber Art 18 EGBGB Rn 57. ErwGr 44 EG-UntVO. EuGH Rs 120/79 De Cavel EuGHE 1980, 731 Rn 5, 9 = IPRax 1981, 19, 20; Kropholler/von Hein Art 5 Brüssel I-VO Rn 56; Rauscher/Leible Art 5 Brüssel I-VO Rn 62; Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art 5 Brüssel I-VO Rn 164 jeweils mit weiteren Literaturangaben. Ausdrücklich für den Begriff Unterhaltspflicht ErwGr 11; ua NK-ZPO/Dörner Rn 1; Hausmann, IntEuSchR Rn C 38. Siehe Art 1 HUntStProt 2007 Rn 10 ff.

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Auf die Bezeichnung in den nationalen Rechtsordnungen kommt es nicht an, mehrere 23 Rechtsbegriffe aus ein und derselben Rechtsordnung können hierunter fallen.66 Entscheidend ist die Funktion des Anspruchs, dem Begünstigten das Bestreiten seines Lebensunterhalts zu ermöglichen.67 Erfasst sind daher alle Ansprüche, die sich zumindest wesentlich an der Bedürftigkeit des Berechtigten und der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten orientieren.68 Der Anspruch ist vielfach auf periodische Zahlung gerichtet, jedoch ist dies nicht Voraussetzung, weil es in erster Linie auf die Funktion des Anspruchs ankommt.69 Deshalb gehört auch der Anspruch auf Zahlung eines einmaligen Betrages – isoliert oder zusätzlich zu einer Geldrente – hierzu, wenn er der Deckung eines Sonderbedarfs dient.70 Als Beispiele für das deutsche Recht sind etwa der Anspruch eines unterhaltsberechtigten Ehegatten auf Prozesskostenvorschuss nach § 1360a Abs 4 BGB71 und der Anspruch auf Erstattung der ihm durch das begrenzte Realsplitting nach deutschem Steuerrecht entstandenen Nachteile zu nennen.72 Auch die prestation compensatoire (Ausgleichszahlung) nach Art 270 Cciv73 und eine lump sum nach englischem Recht74 sind als Unterhaltssachen iSd Verordnung einzuordnen. Schwierig ist die Abgrenzung zum Güterrecht, auf das sich der Anwendungsbereich der 24 EG-UntVO nicht erstreckt. Das Problem besteht darin, dass die Verpflichtung zu einer einmaligen Ausgleichsleistung bei Beendigung der Ehe doppelfunktional sein kann. Sie kann einerseits den unterschiedlichen Vermögenszuwachs der Ehegatten während der Ehe ausgleichen, gleichzeitig aber auch die wirtschaftliche Grundlage für die Versorgung des einen Ehegatten bilden. Die Abgrenzungen sind nach den Kriterien vorzunehmen, die für das EuGVÜ/die Brüssel I-VO herausgearbeitet wurden. Die Leistung ist als unterhaltsrechtlich einzuordnen, wenn sie dazu bestimmt ist, den Un- 25 terhalt eines bedürftigen Ehegatten zu sichern oder wenn die Bedürfnisse und die Mittel beider Ehegatten bei ihrer Festsetzung Berücksichtigung finden. Ist die Leistung dagegen nur auf die Aufteilung der Güter zwischen den Ehegatten gerichtet, so betrifft sie die ehe-

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Schlosser-Bericht zum EuGVÜ Rn 91. Er weist auf die unterschiedlichen Bezeichnungen im ital (alimenti, assegni) und franz Recht (aliments, devoir de secours, devoir d’entretien, contributions aux charges du ménage) hin; weitere Beispiele bei Hausmann, IntEuSchR C Rn 40. So zB auch MünchKommFamFG/Lipp Rn 9; Geimer/Schütze/Reuß Rn 19. EuGH Rs C-220/95 Van den Boogaard EuGHE 1997 I 1147, 1163 = IPRax 1999, 35, 37; EuGH Rs 120/79 De Cavel EuGHE 1980, 731 Rn 5 = IPRax 1981, 19, 20; Schlosser Art 5 Brüssel I-VO Rn 12; Rauscher/ Leible Art 5 Brüssel I-VO Rn 62; Kropholler/von Hein Art 5 Brüssel I-VO Rn 56 f. Schlosser-Bericht zum EuGVÜ Rn 93. BGH v 17.10.2007 – XII ZR 146/05, FamRZ 2008, 40 = NJW-RR 2008, 156, 157; Kropholler/von Hein Art 5 Brüssel I-VO Rn 57; Rauscher/Leible Art 5 Brüssel I-VO Rn 62; Schlosser-Bericht zum EuGVÜ Rn 93; Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art 5 Brüssel I-VO Rn 172. So die hM, Rauscher/Leible Art 5 Brüssel I-VO Rn 62; Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art 5 Brüssel I-VO Rn 93; MünchKommFmFG/Lipp Rn 11. BGH v 17.10.2007 – XII ZR 146/05, FamRZ 2008, 40 ff = NJW-RR 2008, 156 ff. EuGH Rs 120/79 De Cavel EuGHE 1980, 731 Rn 5, 9 = IPRax 1981, 19, 20. OLG Celle v 14.10.2008 – 17 WF 130/08 FamRZ 2009, 359.

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lichen Güterstände.75 Bei der Zuordnung besteht keine Bindung an die Einordnung in dem nationalen Recht, dessen Gericht über den Anspruch entscheidet oder dessen Recht kraft kollisionsrechtlicher Verweisung Anwendung findet.76 Die Leistung eines Pauschalbetrags ist insbesondere dann Unterhalt, wenn er ein zuvor festgesetztes Einkommensniveau sichern soll.77 Das trifft selbst dann zu, wenn zu diesem Zwecke die Übertragung des Eigentums an bestimmen Gegenständen zwischen den früheren Ehegatten angeordnet wird, wenn es sich insoweit um die Bildung von Kapital handelt, durch das der Unterhalt einer der Parteien gesichert werden soll.78 26 Der EuGH vertritt die Auffassung, dass die Pauschalleistung nach dem EuGVÜ teilweise

vollstreckt werden kann, wenn aus der betreffenden Entscheidung klar hervorgeht, welchem der beiden Zwecke die verschiedenen Teile der angeordneten Leistung jeweils zugeordnet sind.79 Dem kann für den Anwendungsbereich der Verordnung gefolgt werden, wenn die Voraussetzung einer eindeutigen Trennung in Bezug auf den Antrag (im Erkenntnisverfahren) bzw auf die Entscheidung (bei der Vollstreckung) erfüllt ist. 27 Typisches Beispiel ist die Regelung der vermögensrechtlichen Scheidungsfolgen im eng-

lischen Recht gemäß dem Matrimonial Causes Act 1973 (MCA 1973), der dem Gericht einen weiten Ermessensspielraum einräumt und Regelungsgegenstände betrifft, die nach deutschem Recht in Unterhalt, Güterrecht, Versorgungsausgleich sowie Hausrats- und Wohnungszuweisung zu unterscheiden wären.80 Wenn sich die Anträge bzw der Inhalt der Entscheidung danach aufteilen lassen, ob sie Anordnungen zur finanziellen Versorgung (Financial Provision Orders) einer Partei, einschließlich der Anordnung zur Sicherung wiederkehrender Leistung einerseits und zur Aufteilung der Vermögensgüter (Propper Adjustment Orders) andererseits zum Gegenstand haben, so unterliegen nur erstere der EG-UntVO.81 Ist aber die Leistung eines Pauschalbetrages doppelfunktional, ohne dass eine eindeutige Trennung zwischen dem unterhaltsrechtlichen und dem güterrechtlichen Teil möglich ist, so sollte die Zuordnung nach der hauptsächlichen Funktion der Leistung erfolgen. Überwiegt die unterhaltsrechtliche Funktion, dann sollte die EG-UntVO für die gesamte Leistung Anwendung finden.82 Dies rechtfertigt sich daraus, dass der Begriff Unterhaltspflichten weit 75

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EuGH Rs C-220/95 Van den Boogaard EuGHE 1997 I 1147, 1163 = IPRax 1999, 35, 37, Rn 22; SchlosserBericht zum EuGVÜ Rn 97; BGH v 12.8.2009 – XII ZB 12/05, FamRZ 2009, 1659 hierzu auch Heiderhoff IPRax 11, 156; OLG Celle v 14.10.2008 – 17 WF 130/08 FamRZ 2009, 359. Zum weiten Begriff der ausgeschlossenen güterrechtlichen Streitigkeiten siehe Rauscher/Leible Art 1 Brüssel I-VO Rn 11 mit Rechtsprechungs- und Literaturhinweisen. EuGH Rs 143/78 De Cavel EuGHE 1979 1055, 1066 Rn 7 = NJW 1979, 1100. EuGH Rs C-220/95 Van den Boogaard EuGHE 1997 I 1147, 1163 = IPRax 1999, 35, 37 Rn 23. EuGH Rs C-220/95 Van den Boogaard EuGHE 1997 I 1147, 1163 = IPRax 1999, 35, 37 Rn 25. EuGH Rs C-220/95 Van den Boogaard EuGHE 1997 I 1147, 1163 = IPRax 1999, 35, 37 Rn 22; auch BGH v 12.8.2009 – XII ZB 12/05, IPRax 2011, 187 = FamRZ 2009, 1659 Rn 16 ff. Vgl hierzu Weller IPRax 1999, 1517; Süß/Ring/Odersky, Eherecht in Europa2 (2012) England und Wales Rn 41 ff; zur zuständigkeitsrechtlichen und kollisionsrechtlichen Einordnung Heiderhoff IPRax 2011, 156 f; Hausmann, IntEuSchR C Rn 475; Botur FPR 2010, 519 f. Für Art 1 Brüssel I-VO vgl BGH v 12.8.2009 – XII ZB 12/05, FamRZ 2010, 365 und OLG Celle v 14.10. 2008 – 17 WF 130/08, FamRZ 2009, 359. So auch MünchKommFmFG/Lipp Rn 43. Der BGH hat in seiner Entscheidung (BGH v 12.8.2009 – XII ZB 12/05, IPRax 2011, 187 = FamRZ 2009, 1659) im konkreten Fall eine Vollstreckung nach der Brüssel

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Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Art 1 EG-UntVO

auszulegen ist und für die güterrechtlichen Ausgleichspflichten noch keine der EG-UntVO entsprechende europäische Regelung vorhanden ist. Selbst soweit das Projekt einer Güterrechtsverordnung umgesetzt wird, muss die Leistung einer der beiden Verordnungen zugeordnet werden, weil sie dann erst recht nicht in den dem einzelstaatlichen Recht überlassenen Regelungsbereich fallen kann. Von der EG-UntVO werden Streitigkeiten um Ehewohnung und Haushaltsgegenstände im 27a Falle des Getrenntlebens und der Scheidung nicht erfasst. Es geht primär um die Verteilung der der Familie dienenden Gebrauchsgegenstände sowie der Wohnung unter Beachtung der Eigentumsverhältnisse. Hierbei werden die Bedürfnisse und die Mittel beider Partner berücksichtigt. Im Mittelpunkt steht die Verteilungsfunktion unter spezifischen familienrechtlichen Gesichtspunkten, was eine Zuordnung zu dem weit verstandenen ehelichen Güterstand iSd Art 1 Abs 2 lit. a Brüssel I-VO rechtfertigt.83 Auch der Versorgungsausgleich84 ist, wenn auch nicht zweifelsfrei,85 dem Ausschlusstat- 27b bestand des Art 1 Abs 2 lit. a Brüssel I-VO zuzuordnen.86 Er betrifft den Ausgleich zwischen den Partnern hinsichtlich von Anwartschaften auf eine Versorgung wegen des Alters oder der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, die sie während der Ehezeit erworben oder aufrechterhalten haben. Der Versorgungsausgleich hat zweifellos unterhaltsrechtliche Funktionen, denn er soll einen Partner im Falle des Alters und der Invalidität wiederkehrend finanziell absichern und regelmäßige Unterhaltszahlungen überflüssig machen.87 Insoweit können für ihn sowohl Unterhaltsfunktionen angenommen als auch in ihm ein Anspruch auf Vermögensauseinandersetzung gesehen werden. Im Zeitpunkt der Ehescheidung/der Auflösung der eingetragenen Lebenspartnerschaft hat er meist mehr den Charakter einer Vermögensauseinandersetzung, seine unterhaltsrechtlichen Funktionen treten regelmäßig viel später in Erscheinung. Streitigkeiten aus einer Morgengabevereinbarung fallen ebenfalls aus dem Anwendungs- 27c bereich der Brüssel I-VO und der EG-UntVO, weil sie eine vermögensrechtliche Absprache unmittelbar auf die Ehe bezogen darstellt und ihr primärer Zweck nicht in der Unterhaltssicherung für die Frau besteht.88 Erfasst wird die Verpflichtung, Unterhaltsrückstände, einschließlich Zinsen,89 zu beglei- 28

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I-VO abgelehnt, weil die englische „Entscheidung über eine abschließende Entscheidung zum Unterhalt hinaus auch einen vollständigen Vermögensausgleich enthält“; zustimmend Hausmann, IntEuSchR Rn C 51. OLG München v 16.3.1999 – 25 W 1144/99 IPRspr 1999 Nr 158, 377, 378 = OLGR München 1999, 146; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 1 Brüssel I-VO Rn 5; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 1 Brüssel I-VO Rn 88. Siehe zum Kollisionsrecht § 4 Rn 84 ff. Zweifelnd für den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich Hausmann, IntEuSchR C Rn 54. Kropholler/von Hein Art 1 Brüssel I-VO Rn 27; Rauscher/Mankowski Art 1 Brüssel I-VO Rn 12; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 1Brüssel I-VO Rn 5. BGH v 8.6.1988 – IVb ZR 80/87, FamRZ 1988, 933, 935; BGH v 21.3.1979 – IV ZB 142/78, BGHZ 74, 38, 46 ff = FamRZ 1979, 477. Andrae IFR § 3 Rn 9, 140 ff; aA Hausmann, IntEuSchR C Rn 41. Art 19 Abs 1 HUntVerfÜbk 2007, Art 11 lit c HUntStProt 2007.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

chen. Die EG-UntVO sollte auch auf Rückzahlung von geleistetem Unterhalt, der nicht geschuldet war, Anwendung finden.90 Das rechtfertigt sich deshalb, weil es im Kern um das Bestehen oder Nichtbestehen der Unterhaltspflicht und ihrer Höhe geht. 28a Die EG-UntVO erfasst sowohl Leistungs- als auch Feststellungsanträge, einschließlich über

das Nichtbestehen einer Leistungspflicht, sowie entsprechende Entscheidungen, gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden.91 Auch Hilfsanträge, die der Durchsetzung des Hauptanspruchs auf Unterhalt dienen, wie Antrag auf Auskunft und Versicherung der Richtigkeit gehören zum Begriff Unterhaltssachen und damit auch der Stufenantrag, bei dem der Antrag auf Auskunft mit einem zunächst unbezifferten Leistungsantrag verbunden wird.92 III. Rechtsgrund der Unterhaltspflicht 29 Die Unterhaltsverpflichtung muss ihren Grund in der Familienbeziehung der Parteien ha-

ben. Die EG-UntVO findet daher keine Anwendung, wenn der Rechtsgrund deliktischer Natur ist oder wenn sich ein Dritter, der außerhalb der erfassten Familienbeziehungen steht, vertraglich zu Unterhaltsleistungen verpflichtet hat. 30 Der Anwendung der EG-UntVO steht nicht entgegen, dass ein Unterhaltsanspruch durch

Vertrag näher konkretisiert wurde, der dem Grunde nach durch einen familienrechtlichen Status schon gesetzlich begründet war.93 Dies ist bereits für (familienrechtliche) Unterhaltsstreitigkeiten im Anwendungsbereich von Art 5 Nr 2 Brüssel I-VO anerkannt.94 Es ist davon auszugehen, dass die EG-UntVO insoweit nicht hinter dieser Interpretation zurückbleibt, da ihr Schutzzweck jedenfalls mit Art 5 Nr 2 Brüssel I-VO übereinstimmt. 31 Darüber hinaus ist sie jedoch auf alle Unterhaltsansprüche aus Verträgen zu erstrecken,

soweit sie ihren Grund in dem familienrechtlichen Band bzw seiner Auflösung (zB Scheidungsvereinbarung) haben und den vereinbarten Zahlungen Unterhaltsfunktion zukommen soll, ohne Rücksicht darauf, ob eine gesetzliche Unterhaltspflicht tatsächlich besteht.95 Andernfalls würde die Eröffnung des Anwendungsbereichs dadurch überfrachtet, dass bereits eine gesetzliche Unterhaltspflicht gemäß kollisionsrechtlicher Verweisung geprüft werden müsste. Eine weite Auslegung ist möglich, da Art 1 EG-UntVO keine ausdrückliche Beschränkung auf Unterhaltspflichten kraft Gesetzes vorsieht. Für dieses Vorgehen spricht auch, dass nach der Begriffsbestimmung des Art 2 Abs 1 Nr 11 EG-UntVO eine „verpflichtete Person“ nicht nur die ist, die den Unterhalt leisten muss, sondern auch angeblich leisten 90 91

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Fasching/Konecny/Fucik Rn 4; Geimer/Schütze/Reuß Rn 29; aA NK-ZPO/Dörner Rn 5. Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 14; Saenger ZPO/Dörner Art 3 Rn 1; Hau FamRZ 2010, 516, 518 Gruber IPRax 2010, 128, 130; Geimer/Schütze/Reuß Rn 34. BGH v 17.4.2013 – XII ZR 23/12, IPRax 2013, 581 = FamRZ 2013, 1113 Rn 18. Ua NK-ZPO/Dörner Rn 4. Schlosser-Bericht zum EuGVÜ Rn 92; Kropholler/von Hein Art 5 Brüssel I-VO Rn 56; Martiny IPRax 2004, 195, 203; Rauscher/Leible Art 5 Brüssel I-VO Rn 63. Bonomi YB PIL 2008, 333, 340; im Ergebnis ebenso Hausmann, IntEuSchR Rn C 58; Vgl hierzu auch die Kommentierung zu Art 1 HUntStProt 2007; MünchKommFamFG/Lipp Rn 23 ff; Geimer/Schütze/Hilbig Art 17 Rn 43; aA Fasching/Konecny/Fucik Rn 3; Geimer/Schütze/Reuß Rn 149; NK-ZPO/Dörner Rn 4; Zöller/Geimer Rn 2, 11.

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Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Art 1 EG-UntVO

muss. Für den Anwendungsbereich genügt daher die schlüssige Darlegung. Die Prüfung erfolgt erst bei der Begründetheit (doppelt relevante Tatsache). Der nacheheliche Unterhalt fällt unstreitig unter die EG-UntVO. Jedoch kann er nach dem 32 Unterhaltsstatut hinsichtlich der Begründetheit oder der Höhe davon abhängen, welcher Ehegatte die Gründe für die Scheidung gesetzt hat. Der Anspruch weist deshalb möglicherweise kompensatorische Züge für erlittene Schäden – auch immaterieller Art – bzw seine Ablehnung pönale Züge auf. Dies hindert die Anwendung der Verordnung aber nicht, weil dem Anspruch selbst Unterhaltsfunktion zukommt.96 IV. Regressansprüche Privater Für das EuGVÜ/die Brüssel I-VO wurde die Frage der Regressansprüche Dritter für ge- 33 leisteten Unterhalt im Zusammenhang mit der dortigen Zuständigkeitsregelung in Art 5 Nr 2 diskutiert. Ihre Einbeziehung allgemein in den Geltungsbereich nach Art 1 EuGVÜ/ Brüssel I-VO wurde nicht in Zweifel gezogen. Nach herrschender Auffassung steht Art 5 Nr 2 Brüssel I-VO für Regressklagen nicht zur Verfügung, weil sie vom Schutzzweck der Norm nicht erfasst sind.97 Man könnte diesen Gedanken auf die EG-UntVO übertragen und Regressansprüche aus- 34 schließen.98 Dafür spricht, dass die Verordnung darauf zielt, einem Unterhaltsberechtigten ohne Umstände zu ermöglichen, in einem Mitgliedstaat eine Entscheidung zu erwirken, die automatisch in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckbar ist.99 Darin kommt ebenso wie in Art 5 Nr 2 Brüssel I-VO ein besonderes Schutzanliegen gegenüber dem unmittelbaren Unterhaltsberechtigten zum Ausdruck, das gegen die Einbeziehung von Regressklagen Dritter sprechen könnte. Für die Einbeziehung von Regressansprüchen Dritter kann jedoch angeführt werden, dass 35 Gegenstand des Verfahrens das Bestehen und die Erfüllung der Unterhaltspflicht des Unterhaltsschuldners ist, die Streitigkeit also eine Unterhaltssache ist.100 Zudem erfasst die EGUntVO in Kapitel VIII, Art 64 Regressansprüche von Einrichtungen, welche öffentliche Aufgaben wahrnehmen, und geht auf sie im ErwGr 14 gesondert ein.101 Für die Einbeziehung von Regressansprüchen Privater lässt sich aufgrund dessen argumentieren, dass auch ein privater Dritter schutzwürdig ist, wenn er aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen anstelle des säumigen primären Unterhaltsschuldners den Unterhalt geleistet hat. Ihm sollten deshalb die gleichen Vorteile wie den öffentlichen Einrichtungen gewährt werden, was bedeutet, dass sich die EG-UntVO im gleichen Umfang auf sie erstrecken sollte.

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Bereits Schlosser-Bericht zum EuGVÜ Rn 94, 95; für die Brüssel I-VO Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art 5 Brüssel I-VO Rn 171; differenzierend Hausmann, IntEuSchR C Rn 55. Kropholler/von Hein Art 5 Brüssel I-VO Rn 65. Für den Ausschluss Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 16. ErwGr 9. Für die Brüssel I-VO bereits Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art 5 Brüssel I-VO Rn 162; Martiny IPRax 2004, 195, 203; MünchKommZPO/Gottwald Art 5 Brüssel I-VO Rn 56. Für das HUntStÜbk 1973 MünchKommBGB/Siehr (2010) Art 18 EGBGB Anh I Rn 188. Hierzu Rn 38 ff.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

36 Erforderlich ist:

a) Der Regressgläubiger muss selbst zu dem Unterhaltsberechtigten in einer von Art 1 EGUntVO erfassten Familienbeziehung stehen. b) Er hat Unterhalt an den Unterhaltsberechtigten geleistet. c) Seine Leistung beruht auf einer gesetzlichen Verpflichtung. d) Die Leistung muss anstelle der Erfüllung des gesetzlich vorrangig oder gleichrangig verpflichteten Unterhaltsschuldners erbracht worden sein. e) Dem Regress muss eine Legalzession oder ein Anspruch auf Abtretung des Unterhaltsanspruchs nach dem dafür maßgeblichen Recht zugrunde liegen. 37 Einbezogen werden sollten auch die Regressansprüche des Scheinvaters gegenüber dem

Vater, wenn ersterer wegen der vermeintlichen Elternschaft Unterhalt an das Kind geleistet hat.102 Nicht erfasst sind eigene Ansprüche privater Dritter, wenn sie an den Unterhaltsberechtigten Unterhalt geleistet haben (zB Schadensersatz, Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung oder Gesamtschuldnerausgleich).103 In diesen Fällen ist Rechtsgrund für die Verpflichtung des Unterhaltsschuldners nicht mehr seine Unterhaltsverpflichtung, vielmehr ist sie nur noch Vorfrage in Bezug auf den eigentlichen Streitgegenstand. V. Öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen 38 Zu den Unterhaltssachen iSd Art 1 gehören Verfahren, an denen öffentliche Aufgaben

wahrnehmende Einrichtungen (iF öAwE)104 beteiligt sind, in denen sie für eine unterhaltsberechtigte Person handeln oder in denen es um Regress für Leistungen geht, die anstelle von Unterhalt erbracht wurden.105 Für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen ergibt sich dies unmittelbar aus Art 64. Weiterhin sieht ErwGr 14 zusätzlich vor, dass öAwE, die in dieser Eigenschaft tätig werden, den Anspruch auf die gleichen Dienste und die gleiche Prozesskostenhilfe wie berechtigte Personen haben. Daraus folgt, dass neben dem Kapitel IV (Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung von Entscheidungen) Kapitel V (Zugang zum Recht), Kapitel VI (Gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden) und Kapitel VII (Zusammenarbeit der Zentralen Behörden) in diesem Zusammenhang Anwendung finden. Die öAwE werden in Bezug auf die in diesen Kapiteln geregelten Gegenstände als unterhaltsberechtigte Personen behandelt. Sie werden weiterhin vom HUntStProt 2007 erfasst,106 was in diesem Zusammenhang von Interesse ist, weil Art 15 für das Kollisionsrecht auf das HUntStProt 2007 verweist. 39 Auch das verbleibende Kapitel II (Zuständigkeiten) findet Anwendung, soweit die öAwE für

den Unterhaltsberechtigten handelt, sei es als Vertreter oder in Prozessstandschaft. Denn in diesen Fällen ist materiell-rechtlich Berechtigter die natürliche Person, welcher der Unterhalt geschuldet wird. Darüber hinaus ist jedoch auch von der Erstreckung des Kapitels II auf 102 103

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Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art 5 Brüssel I-VO Rn 162; Martiny IPRax 2004, 195, 203. Rauscher/Leible Art 5 Brüssel I-VO Rn 63; aA Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 5 Brüssel I-VO Rn 173. Zum Begriff siehe Art 64. Zur Auslegung siehe Art 64. Art 10 HUntStProt 2007.

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Art 1 EG-UntVO

öAwE auszugehen, wenn sie als Prozesspartei wegen eines eigenen, auf sie übergegangenen oder kraft Gesetzes bestehenden Anspruchs im Erkenntnisverfahren als Kläger oder Beklagte einen Prozess führt. Von der rechtstechnischen Lösung des Verhältnisses öAwE/ Unterhaltsgläubiger kann die maßgebliche Zuständigkeitsordnung nicht abhängen, wenn es dem Grunde nach stets um die Beitreibung von Unterhaltszahlungen geht, die der Unterhaltsverpflichtete originär dem Unterhaltsberechtigten (natürliche Person) schuldet und die durch die öAwE geleistet werden. Hierfür spricht auch, dass die öAwE bezüglich der Unterhaltsklagen vom EuGVÜ/von der 40 Brüssel I-VO, einschließlich der Zuständigkeitsordnung, erfasst waren, soweit es sich um eine Zivilsache handelt.107 Der Ausschluss betrifft dort nur die besondere Zuständigkeit für Unterhaltsklagen,108 nicht jedoch die allgemeine Zuständigkeit und zB die aufgrund rügelosen Einlassens. Es wäre merkwürdig, wenn die Anerkennung und Vollstreckung eines Titels zugunsten der öAwE nach Kapitel IV der Verordnung erfolgt, sich jedoch die Zuständigkeit aus der Brüssel I-VO ergeben sollte. Die Nichteröffnung der Zuständigkeit nach Art 5 Nr 2 EuGVÜ bzw Brüssel I-VO für 41 Regressklagen öffentlicher Einrichtungen ist damit begründet worden, dass dieser Gerichtsstand wegen seines Ausnahmecharakters nur dem Unterhaltsberechtigten, der in einem solchen Verfahren als die schwächere Partei angesehen wird, eine alternative Zuständigkeitsgrundlage bieten soll. Öffentliche Einrichtungen wären von seinem Schutzbereich nicht erfasst. Nicht in Zweifel steht und besonders erörtert worden ist jedoch, ob der Unterhaltsregress öffentlicher Einrichtungen selbst unter den Begriff Unterhaltssache zu subsumieren ist.109 Wenn es sich aber um Unterhaltssachen handelt, – dafür spricht ihre Aufnahme im Übrigen in die Unterhaltsverordnung und in die Haager Übereinkommen –, dann ist auch die Zuständigkeitsordnung der EG-UntVO und nicht mehr die der Brüssel I-VO anzuwenden. Art 64 übernimmt weitgehend die Regelung des Art 36 HUntVerfÜbk 2007. Für Letzteren 42 war man nicht veranlasst, auf die direkte internationale Zuständigkeit einzugehen, da sie im Übereinkommen nicht geregelt ist. Zu erwähnen ist jedoch, dass das HUntVerfÜbk 2007 die Zuständigkeit als Voraussetzung für die Anerkennung und Vollstreckung (sog Anerkennungszuständigkeit) regelt. Hiervon werden auch Entscheidungen zugunsten der Regressforderungen öAwE erfasst.110

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EuGH Rs C-271/00 Steinbergen/Baten EuGHE 2002 I 10489 Rn 37 = IPRax 2004, 237, 238; EuGH Rs C-433/01 Freistaat Bayern/Jan Blijdenstein EuGHE 2004 I 981 Rn 20 = IPRax 2004, 240, 242; Rauscher/ Mankowski Art 1 Brüssel I-VO Rn 4h mit weiteren Literaturnachweisen. Bereits Schlosser-Bericht zum EuGVÜ Rn 97; EuGH Rs C-433/01 Freistaat Bayern/Jan Blijdenstein EuGHE 2004 I 981 Rn 34 = IPRax 2004, 240, 243; Kropholler/von Hein Art 5 Brüssel I-VO Rn 65; Rauscher/Leible Art 5 Brüssel I-VO Rn 67 f jeweils mit weiteren Literaturnachweisen. Für das LugÜbk 1988 OLG Dresden v 28.9.2006 – 21 UF 381/06, NJW 2007, 446 f. So auch ausdrücklich der EuGH Rs C-271/00 Steinbergen/Baten EuGHE 2002 I 10489 Rn 37 = IPRax 2004, 237, 239: „… dass der Begriff Zivilsache eine Rückgriffsklage umfasst, … soweit für die Grundlage dieser Klage und die Modalitäten ihrer Erhebung die allgemeinen Vorschriften über Unterhaltsverpflichtungen gelten“; dem folgend Rauscher/Mankowski Art 1 Brüssel I-VO Rn 4h mwH. Siehe nur Art 36 Abs 1 iVm Art 20 Abs 4 HUntVerfÜbk 2007.

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Art 1 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

43 ErwGr 14 der EG-UntVO ist nicht in dem Sinne zu interpretieren, dass öAwE von den

Zuständigkeitsbestimmungen des Kapitels II als Verfahrenspartei ausgeschlossen sind. Er besagt nur, dass sie für dieses Kapitel nicht als berechtigte Person gelten, was sich bereits aus Art 2 Abs 1 Nr 10 ergibt. Zusammengefasst ist deshalb die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass sich Kapitel II111 – und damit die EG-UntVO insgesamt – auf den Unterhaltsregress öAwE bezieht. VI. Zivilsache 44 Art 1 sieht anders als Art 1 Brüssel I-VO den Begriff Zivilsachen zur Eingrenzung der

erfassten Streitsachen nicht vor, auch werden verwaltungsrechtliche Angelegenheiten und die soziale Sicherheit nicht durch ausdrückliche Regelung ausgeschlossen. Jedoch ist im Vorspann zur Verordnung als Rechtsgrundlage Art 61c EGV – Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen nach Art 65 – genannt. Auch die Erwägungsgründe nehmen auf Art 65 EGV Bezug und charakterisieren die Verordnung als eine solche Maßnahme für Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug. Weiterhin wird auf ihre Verankerung in den Maßnahmeplänen des europäischen Rates zur Ausgestaltung des Art 65 EGV hingewiesen. Aus allem folgt, dass auch die EG-UntVO als Anwendungsvoraussetzung eine „Zivilsache“ erfordert. Besondere Bedeutung hat die Abgrenzung für Regressforderungen öAwE. Auch hier ist der Begriff autonom auszulegen, es kommt deshalb auf Abgrenzungskriterien nach nationalem Recht nicht an. Solange Unterhaltssachen vom sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel I-VO erfasst wurden, mussten zur Wahrung der Einheitlichkeit der Auslegung des Rechtsinstruments die vom EuGH herausgearbeiteten Abgrenzungskriterien zu öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten112 auch hierauf erstreckt werden. Nach der Auffassung des EuGH hindert die Verfahrensbeteiligung öAwE nicht das Vorliegen einer Zivilsache, womit der Anwendungsbereich des Rechtsaktes eröffnet ist, soweit Grundlage der Rückgriffsklage und die Modalitäten ihrer Erhebung die allgemeinen Vorschriften über Unterhaltsverpflichtungen bilden. Insoweit ließe sich die Rechtsstellung der öAwE mit der einer privaten Person vergleichen, die in die Rechtsstellung des Gläubigers eingetreten ist, nachdem sie die Unterhaltsschuld eines anderen getilgt hat.113 Eine Zivilsache wird vom EuGH jedoch verneint, soweit die Rückgriffsklage auf Bestimmungen gestützt wird, mit denen der Gesetzgeber der öffentlichen Stelle eine eigene besondere Befugnis verliehen hat.114 45 Jedoch muss die Abgrenzung, wie sie der EuGH für das EuGVÜ vorgenommen hat, nicht

unbedingt für die EG-UntVO zugrunde gelegt werden.115 Der EuGH hat dem Begriff Zivilsache für die Brüssel IIa-VO in Bezug auf die elterliche Verantwortung gegenüber dem EuGVÜ/der Brüssel I-VO eine eigenständige Bedeutung beigemessen. Er hat hier den Be111 112

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Im Ergebnis so Geimer/Schütze/Reuß Rn 32. Ua EuGH Rs 29/76 LTU/Eurocontrol EuGHE 1976, 1541; Rs 133/78 Gourdain EuGHE 1979, 733; Rs 814/79 Rüffer EuGHE 1980, 3807; Rs C-172/91; Sonntag EuGHE 1993, I-1963 = IPRax 1994, 37. EuGH Rs C-433/01 Freistaat Bayern/Jan Blijdenstein EuGHE 2004 I 981 Rn 20 = IPRax 2004, 240, 242; Kropholler/von Hein Art 1 Brüssel I-VO Rn 6; Martiny IPRax 2004, 195, 201; Rauscher/Mankowski Art 1 Brüssel I-VO Rn 3a, 4h mwH. EuGH Rs C-271/00 Steinbergen/Baten EuGHE 2002 I 10489 Rn 38 ff = IPRax 2004, 237, 239. So jedoch BT-Drs 17/4887, 33; hierzu Andrae FPR 2013, 38, 39 ff.

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Art 1 EG-UntVO

griff aus dem Sinn und Zweck der Brüssel IIa-VO in Bezug auf diese Verfahren und dem engen Zusammenhang zum KSÜ abgeleitet.116 Ähnlich ist auch für die EG-UntVO heranzugehen. Zwischen den beiden neuen Haager Übereinkommen und der EG-UntVO besteht ein enger Zusammenhang, auf den in ErwGr 8 eingegangen wird.117 Die speziellen Bestimmungen von EG-UntVO und HUntVerfÜbk 2007 zu den öffentlichen Einrichtungen stimmen im Wortlaut weitgehend überein. Zwischen der Verordnung und dem HUntStProt gibt es eine enge Verzahnung. Wenn die Haager Übereinkommen für den Unterhaltsregress nicht zwischen dem zivilrechtlichen und dem öffentlich-rechtlichen Charakter von Erstattungsansprüchen unterscheiden, sondern ein einheitliches materiell-rechtliches Kriterium festlegen, so ist dem für die EG-UntVO zu folgen. Für die Haager Übereinkommen von 1973 wird einheitlich vertreten, dass sich die Bestimmungen zu den öAwE sowohl auf abgeleitete als auch auf selbständige Ersatzansprüche beziehen.118 Selbständige Ersatzansprüche werden selbst dann erfasst, wenn sie als öffentlich-rechtlich eingeordnet werden können.119 Von der Ausgestaltung des Regresses der öffentlichen Einrichtung im betreffenden nationalen Recht soll die Anwendung der Bestimmungen der beiden Konventionen nicht abhängen,120 wenn er von ihren Regelungszweck gedeckt ist. Vermieden werden dadurch erhebliche Abgrenzungsprobleme zwischen privatrechtlich und öffentlich-rechtlich einzuordnenden Regressansprüchen. Es ist davon auszugehen, dass diese Auslegung für die entsprechenden Bestimmungen der neuen Haager Übereinkommen übernommen werden kann.121 Für die Abgrenzung in der EG-UntVO kann nunmehr auf Art 64 Abs 1 zurückgegriffen 46 werden.122 Eine Zivilsache liegt dann vor, wenn die dort genannten Kriterien erfüllt sind, unabhängig davon, ob die Rechtsgrundlage für den Anspruch aus dem allgemeinen Zivilrecht oder speziell für die öffentlichen Stellen geschaffenen Regelungen resultieren. Eine Zivilsache erfordert, dass die öAwE a) für die unterhaltsberechtigte Person handelt oder b) die Erstattung einer Leistung vom Unterhaltsverpflichteten fordert, die sie statt seiner an den Unterhaltsberechtigten erbracht hat. Die Klage bzw die Entscheidung muss „die Erstattung einer der berechtigten Person anstelle 47 von Unterhalt erbrachten Leistung“123 betreffen. Nicht entscheidend für die Eröffnung des Anwendungsbereiches ist, ob der öffentlichen Einrichtung eine gegenüber privaten Gläubigern bezogen auf den Regress eine günstigere oder oft auch eine eingeschränktere Rechts116 117

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EuGH Rs 435/06 IPRax 2008, 509, 512 Rn 53; Gruber IPRax 2008, 490, 493; Dutta FamRZ 2008, 835, 839. Siehe auch BT-Drs 17/10492, 10, Die EG-UntVO ist dabei „sowohl in ihrer Entstehung als auch in ihrer Struktur sehr eng an das Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 geknüpft“. Ua Verwilghen-Bericht Rn 90; MünchKommBGB5/Siehr (2010) Art 18 EGBGB Anh I Rn 186 f; Martiny IPRax 2004, 195, 199; Wandt ZVglRWiss 86 (1987), 272, 295; Staudinger/Mankowski (2003) Anh I zu Art 18 EGBGB Rn 303, 304. Martiny IPRax 2004, 195, 199; Wandt ZVglRWiss 86 (1987), 272, 295; StaudingerEGBGB/Mankowski (2003) Anh I zu Art 18 EGBGB Rn 303, 304. StaudingerEGBGB/Mankowski (2003) Anh I zu Art 18 EGBGB Rn 303, 304. Der Borrás/Degeling-Bericht Rn 586 zum HUntVerfÜbk 2007 bezieht sich bezogen auf die öAwE ausdrücklich auf Art 18 HUntVerfÜbk 1973. Wie hier MünchKommFamFG/Lipp Rn 55; aA Beibehaltung der bisherigen Abgrenzung ua BT-Drs 17/4887, 33; Geimer/Schütze/Reuß Rn 5 f; Mankowski IPRax 2014, 249 f; Hausmann, IntEuSchR C-59. Art 10 HUntStProt.

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Art 1 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

stellung eingeräumt wird. Nur auf diesem Weg wird eine Gleichbehandlung aller Unterhaltsschuldner in der Europäischen Union erreicht. Bestes Beispiel hierfür ist der dem EuGH unterbreitete Fall Gemeente Steenbergen/Luc Baten.124 Art 94 niederl ABW ist seinem Charakter nach eine Eingriffsnorm, die darauf zielt, den Regressanspruch gegenüber einem gesetzlich verpflichteten Unterhaltsschuldner, dessen Leistungspflicht durch Unterhaltsvereinbarung oder Unterhaltsverzicht abgedungen wurde, durchzusetzen. Das deutsche Recht kennt eine vergleichbare Regelung nicht. Jedoch kann ein Unterhaltsverzicht eines vermögenslosen, bedürftigen Ehegatten den guten Sitten zuwiderlaufen und damit nichtig sein, wenn er dadurch zwangsläufig der Sozialhilfe anheimfallen muss, auch wenn er nicht auf einer Schädigungsabsicht der Ehegatten zulasten des Trägers der Sozialhilfe beruht.125 Dasselbe Regelungsziel beider Rechtsordnungen, dass ein Unterhaltsverzicht nicht zulasten Dritter, nämlich des Staates, von Gebietskörperschaften, karitativen Einrichtungen u. a. anerkannt wird, wird mit unterschiedlichen Methoden realisiert: einmal mittels einer Eingriffsnorm und ein anderes Mal über eine allgemeine zivilrechtliche Generalklausel. Es geht nicht an, nur den letzteren Fall vom Anwendungsbereich der EG-UntVO erfasst zu sehen. Der durch die öffentliche Einrichtung in Anspruch Genommene wird ausreichend durch die kumulative Anknüpfung für den Erstattungsanspruch im Kollisionsrecht geschützt.126 Das dagegen vorgebrachte Argument, dass dann auch Verwaltungsakte, in denen die öAwE ihren Regressanspruch selbst titulieren, der Verordnung unterliegen würden,127 greift nicht. Diese Fälle werden definitiv ausgeschlossen, weil sie vom Begriff Entscheidung nicht erfasst werden. Die EG-UntVO erstreckt sich nach Art 2 Abs 2 auch auf Entscheidungen von Verwaltungsbehörden,128 was für die hier vertretene Auffassung spricht. Deren Zuständigkeit regelt sich auch nach Kapitel II und ihre Entscheidungen werden nach Kapitel IV vollstreckt. Sie müssen jedoch den in Art 2 Abs 2 aufgelisteten Erfordernissen entsprechen: Unparteilichkeit; Recht der Parteien auf rechtliches Gehör, Möglichkeit der Anfechtung, gerichtliche Nachprüfbarkeit, vergleichbare Rechtskraft und Wirksamkeit wie gerichtliche Entscheidungen. Die betreffenden Verwaltungsbehörden sind im Anhang X aufgelistet. Jedenfalls erfüllt die Entscheidung einer öAwE, die sich den Regressanspruch selbst zuweist, nicht die Kriterien.129 Andere Argumente gegen die hier vertretene Auffassung, außer dass auf die bekannte Rechtsprechung des EuGH zur Natur des Anspruchs bezogen auf die Brüssel I-VO Bezug genommen wird, werden nicht vorgebracht. Die Entscheidung des EuGH zur Brüssel IIa-VO130 zeigt jedoch, dass die Abgrenzungsfrage nicht abstrakt, sondern in den Kontext der betreffenden Verordnung und hier insbesondere auch in den Zusammenhang zu den Haager Übereinkommen zu stellen ist. Das gilt um so mehr, wenn die Europäische Union ihnen angehört. Die praktischen Konsequenzen der Gegenauffassung sind: Der Anwendungsbereich der EG-UntVO wäre nicht eröffnet, soweit der Erstattungsanspruch auf Bestimmungen gestützt wird, mit denen der Gesetzgeber der öffentlichen 124 125

126 127 128 129 130

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EuGH Rs C-271/00 Gemeente Steenbergen/Luc Baten IPRax 2004, 237 m Anm Martiny 195 ff. Ua BGH v 28.11.1990 – XII ZR 16/90, FamRZ 1991, 306 (auch § 242 BGB); BGH v 8.12.1982 – IVb ZR 333/81, FamRZ 1983, 137; OLG Naumburg v 20.8.2001 – 8 WF 169/01, FamRZ 2002, 456. Hierzu Andrae, Internationales Familienrecht3 (2014) § 8 Rn 200. Geimer/Schütze/Reuß Rn 6. Vergleichbare Bestimmung Art 19 Abs 1 S 1, Abs 3 HUntVerfÜbk. So bereits selbst Geimer/Schütze/Reuß Rn 6. EuGH Rs C-435/06 C IPRax 2008, 509, 512 Rn 53.

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Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Art 1 EG-UntVO

Stelle eine eigene, besondere Befugnis verliehen hat. Folge wäre, dass sich die internationale Zuständigkeit dann nach einzelstaatlichem Recht richtet. Für das auf den Erstattungsanspruch anwendbare Recht wäre das HUntStProt heranzuziehen. Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung über den Erstattungsanspruch der Gerichte eines Mitgliedstaates in einem anderen Mitgliedstaat würden nicht der EG-UntVO sondern dem HUntVerfÜbk 2007 unterliegen, soweit der Titel von dessen personellem Anwendungsbereich erfasst wird. Die EG-UntVO hat nämlich im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten untereinander nur insoweit Vorrang, als sich ihre Gegenstände decken. Dieses Ergebnis kann letztlich nicht gewollt sein. VII. Territorialer Anwendungsbereich Irland und das Vereinigte Königreich beteiligen sich an der Verordnung. Irland hat eine 48 solche Erklärung für die EG-UntVO bereits zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung abgegeben.131 Das Vereinigte Königreich unterbreitete im Januar 2009 der Kommission und dem Rat den Wunsch, die Verordnung anzuwenden. Daraufhin erfolgte die Entscheidung der Kommission vom 8.6.2009, dass die EG-UntVO ab dem 1.07.2009 für das Vereinigte Königreich in Kraft tritt. Im Übrigen gelten im Verhältnis zum Vereinigten Königreich für das zeitliche Inkrafttreten Art 76 S 2 bis 4.132 Auf Grund dessen ist das Vereinigte Königreich Mitgliedstaat iSd Abs 2. Das Vereinigte Königreich beteiligt sich nicht am HUntStProt 2007.133

49

Auch Dänemark ist im Sinne von Abs 2 Mitgliedstaat. Das gilt jedoch nicht für Kapitel III 50 und VII. Für Dänemark trifft die Möglichkeit der „opt-in“ Beteiligung nach Art 3 Protokoll Nr 4 Amsterdamer Vertrag (Art 3 Protokoll Nr 4 zum Vertrag von Lissabon) hinsichtlich der auf Art 61 EGV (Art 70 AEUV) gestützten Sekundärrechtsakte nicht zu. Rechtsgrundlage für die Beteiligung Dänemarks ist das Abkommen vom 10.10.2005 zwischen der EG und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.134 Durch das Abkommen werden die Brüssel I VO und ihre Durchführungsbestimmungen auf das Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und Dänemark erstreckt. Weiterhin ist die Kompetenz des EuGH für die Auslegung des Abkommens geregelt. Gemäß Art 3 Abs 2 dieses Abkommens teilt Dänemark bei jeder Annahme von Änderungen der Brüssel I-VO der Kommission mit, ob es die Änderung umsetzen wird. Hiervon ausgehend hat Dänemark der Kommission mit Schreiben vom 14.1.2009 mitgeteilt, dass „es die mit der Verordnung (EG) Nr 4/2009 vorgenommenen Änderungen der Verordnung (EG) Nr 44/2001 umsetzen wird“.135 Ausgangspunkt hierfür bildet Art 68 EG-UntVO, wonach die Brüssel I-VO – vorbehaltlich der Übergangsbestimmungen des Art 75 Abs 2 – dahingehend geändert wird, dass deren für Unterhaltssachen geltenden Bestimmungen ersetzt werden. Zwar wird die Brüssel I-VO dahingehend geändert, als sie den Familienunterhalt nicht mehr erfasst. Jedoch ist die EG-UntVO 131 132 133

134 135

ErwGr 46. Vgl Art 76 Rn 1. Vgl Protokoll zur Ratssitzung vom 7.2.2008, 593/08 JUSTCIV20, S 3 f; Beschluss des Rates zum HUntStProt 2007, ABl EU 2009 L 331/17, Art 3. ABl EU 2005 L 299/62; in Kraft seit dem 1.7.2007, ABl EU 2007 L 94/70. Mitteilung der Kommission, ABl EG 2009 L 149/80.

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Art 2 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

nicht Teil der Brüssel I-VO, sondern stellt eine eigenständige komplexe Regelung der grenzüberschreitenden Fragen des Familienunterhalts dar. Die gefundene rechtstechnische Lösung, die den Abschluss eines weiteren Abkommens zwischen der EG und Dänemark erspart, kann nur dann als vom Abkommen vom 10.10.2005 gedeckt angesehen werden, wenn Art 3 Abs 2 des Abkommens weit ausgelegt wird. Als Änderung der Brüssel I-VO sind danach nicht nur Änderungen im Text dieser Verordnung selbst anzusehen, sondern auch die Herausnahme von der in der Brüssel I-VO geregelten Bereiche in selbständige Rechtsinstrumente. Dänemark beteiligt sich gemäß der Mitteilung vom 14.1.2009 nicht an Kapitel III (Anwendbares Recht) und Kapitel VII (Zusammenarbeit der Zentralen Behörden). Dies wird dadurch noch einmal bekräftigt, als Art 2 und Kapitel IX (Allgemeine Bestimmungen und Schlussbestimmungen) im Verhältnis Dänemark zu den anderen EG-Mitgliedstaaten nur anwendbar sind, als sie die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung, Vollstreckbarkeit sowie Vollstreckung von Entscheidungen betreffen. Die Mitteilung bezieht sich nicht ausdrücklich auf die Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung von öffentlichen Urkunden und Vergleichen (Kapitel VI). Da diese Gegenstand der Brüssel I-VO sind, ist davon auszugehen, dass sie von der dänischen Erklärung über Anwendung der EG-UntVO mit erfasst werden. Das ist auch für Kapitel VIII (öffentliche Aufgaben, wahrnehmende Einrichtungen) anzunehmen. Zum einen wäre sonst – so wie für Kapitel III und VII – der Ausschluss ausdrücklich bestimmt worden. Zum anderen war der Regress öffentlicher Aufgaben wahrnehmender Einrichtungen in Unterhaltssachen – soweit sie als Zivilsachen zu qualifizieren sind – vom Anwendungsbereich der Brüssel I-VO erfasst.136 Kapitel V (Zugang zum Recht) wird durch die Mitteilung nicht ausgeschlossen, ist folglich im Verhältnis zu Dänemark anwendbar.137 Dies folgt auch daraus, dass für die Anerkennung und Vollstreckung die Prozesskostenhilfe in Art 50 und 51 Brüssel I-VO geregelt ist. Für den Bereich des Unterhaltsrechts ersetzt die EG-UntVO insoweit die Brüssel I-VO. Ausgenommen von der Anwendung im Verhältnis zu Dänemark sind jedoch die Bestimmungen des Kapitels V, die einen unmittelbaren Bezug zum ausgeschlossenen Kapitel VII haben. Die für die innerstaatliche Rechtsanwendung erforderliche Verwaltungsmaßnahme ist im Königreich Dänemark bereits am 30.1.2009 in Kraft getreten.138 51 Aus Art 355 AEUVergibt sich, in welchen Gebieten der Mitgliedstaaten die Verordnung gilt.

Artikel 2: Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Begriff 1. „Entscheidung“ eine von einem Gericht eines Mitgliedstaats in Unterhaltssachen erlassene Entscheidung ungeachtet ihrer Bezeichnung wie Urteil, Beschluss, Zahlungsbefehl oder Vollstreckungsbescheid, einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbe136 137 138

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Siehe hierzu auch Art 64 Rn 12. AA MünchKommFamFG/Lipp Art 44 Rn 20. Mitteilung der Kommission, ABl EU L 149/80.

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Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Art 2 EG-UntVO

diensteten. Für die Zwecke der Kapitel VII und VIII bezeichnet der Begriff „Entscheidung“ auch eine in einem Drittstaat erlassene Entscheidung in Unterhaltssachen; 2. „gerichtlicher Vergleich“ einen von einem Gericht gebilligten oder vor einem Gericht im Laufe eines Verfahrens geschlossenen Vergleich in Unterhaltssachen; 3. „öffentliche Urkunde“ a) ein Schriftstück in Unterhaltssachen, das als öffentliche Urkunde im Ursprungsmitgliedstaat förmlich errichtet oder eingetragen worden ist und dessen Beweiskraft i) sich auf die Unterschrift und den Inhalt der öffentlichen Urkunde bezieht und ii) durch eine Behörde oder eine andere hierzu ermächtigte Stelle festgestellt worden ist; oder b) eine mit einer Verwaltungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaats geschlossene oder von ihr beglaubigte Unterhaltsvereinbarung; 4. „Ursprungsmitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, in dem die Entscheidung ergangen, der gerichtliche Vergleich gebilligt oder geschlossen oder die öffentliche Urkunde ausgestellt worden ist; 5. „Vollstreckungsmitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, in dem die Vollstreckung der Entscheidung, des gerichtlichen Vergleichs oder der öffentlichen Urkunde betrieben wird; 6. „ersuchender Mitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, dessen Zentrale Behörde einen Antrag nach Kapitel VII übermittelt; 7. „ersuchter Mitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, dessen Zentrale Behörde einen Antrag nach Kapitel VII erhält; 8. „Vertragsstaat des Haager Übereinkommens von 2007“ einen Vertragsstaat des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen (nachstehend „Haager Übereinkommen von 2007“ genannt), soweit dieses Übereinkommen zwischen der Gemeinschaft und dem betreffenden Staat anwendbar ist; 9. „Ursprungsgericht“ das Gericht, das die zu vollstreckende Entscheidung erlassen hat; 10. „berechtigte Person“ jede natürliche Person, der Unterhalt zusteht oder angeblich zusteht; 11. „verpflichtete Person“ jede natürliche Person, die Unterhalt leisten muss oder angeblich leisten muss. (2) Im Sinne dieser Verordnung schließt der Begriff „Gericht“ auch die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten mit Zuständigkeit in Unterhaltssachen ein, sofern diese Behörden ihre Unparteilichkeit und das Recht der Parteien auf rechtliches Gehör garantieren und ihre Entscheidungen nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem sie ihren Sitz hat, i) vor Gericht angefochten oder von einem Gericht nachgeprüft werden können und ii) eine mit einer Entscheidung eines Gerichts zu der gleichen Angelegenheit vergleichbare Rechtskraft und Wirksamkeit haben Die betreffenden Verwaltungsbehörden sind in Anhang X aufgelistet. Dieser Anhang wird auf Antrag des Mitgliedstaats, in dem die betreffende Verwaltungsbehörde ihren Sitz hat, nach dem Verwaltungsverfahren des Artikels 73 Absatz 2 erstellt und geändert. (3) Im Sinne der Artikel 3, 4 und 6 tritt der Begriff „Wohnsitz“ in den Mitgliedstaaten, die diesen Begriff als Anknüpfungspunkt in Familiensachen verwenden, an die Stelle des Begriffs „Staatsangehörigkeit“. Im Sinne des Artikels 6 gilt, dass Parteien, die ihren „Wohnsitz“ in verschiedenen Gebietseinheiten desselben Mitgliedstaats haben, ihren gemeinsamen „Wohnsitz“ in diesem Mitgliedstaat haben. I.

Absatz 1 1. Entscheidung (Nr 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

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2. Gerichtlicher Vergleich (Nr 2) . . . . . . . . . . 4 3. Öffentliche Urkunde (Nr 3) . . . . . . . . . . . . . 8

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Art 2 EG-UntVO

II.

4. Berechtigte Person (Nr 10) . . . . . . . . . . . . . 13 5. Verpflichtete Person (Nr 11) . . . . . . . . . . . 16 Verwaltungsbehörden (Abs 2) . . . . . . . . . . . . . 17

III.

Absatz 3 1. Satz 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2. Satz 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

1 Art 2 enthält einige Begriffsbestimmungen für die in der EG-UntVO verwendeten Begriffe.

Diese sind zum größten Teil anderen Rechtsinstrumentarien entnommen.1 I. Absatz 1 1. Entscheidung (Nr 1) 2 Der Begriff der Entscheidung entspricht weitestgehend dem der Brüssel I-VO.2 Nach Art 2

Abs 1 Nr 1 S 1 bezeichnet der Begriff „Entscheidung“ eine von einem Gericht eines Mitgliedstaates in Unterhaltssachen erlassene Entscheidung ungeachtet ihrer Bezeichnung wie Urteil, Beschluss, Zahlungsbefehl oder Vollstreckungsbescheid, einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses. Die Aufzählung ist nicht abschließend.3 Indem Art 2 Abs 1 Nr 1 klarstellt, dass es sich um eine Unterhaltssache handeln muss, wird der sachliche Anwendungsbereich der EG-UntVO in Bezug genommen. Der Begriff der Unterhaltssache ist demnach iSv Art 1 Abs 1 zu verstehen.4 Die Entscheidung in der Unterhaltssache muss in einem Mitgliedstaat ergangen sein. Mitgliedstaat meint dabei alle Mitgliedstaaten, auf die die EG-UntVO anwendbar ist (Art 1 Abs 2).5 Nur für die Zwecke der Kapitel VII (Bestimmung der Zentralen Behörden) und VIII (Öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen) bezeichnet der Begriff Entscheidung auch in einem Drittstaat erlassene Entscheidung in Unterhaltssachen (S 2). 3 Gericht ist jedes Rechtsprechungsorgan, das kraft seines Auftrages selbst über Streitigkeiten

zwischen den Parteien entscheidet.6 Auf die funktionelle Zuständigkeit innerhalb des Gerichts kommt es nicht an.7 Art 2 Abs 2 bezieht auch Verwaltungsentscheidungen aus Mitgliedstaaten ein, in denen Verwaltungsbehörden in Unterhaltssachen zuständig sind.8 Zudem werden vorläufige Entscheidungen, dh vorläufig vollstreckbare Entscheidungen (Art 39) und Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz, wie Arreste und einstweilige Anordnungen, erfasst werden.9

1 2 3 4 5 6 7 8 9

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Siehe Europäische Kommission, 12.5.2006, KOM (2006) 206, 2. Vgl Art 32 Brüssel I-VO. MünchKomm/Lipp Rn 3. Hierzu die Kommentierung zu Art 1. Vgl zum Begriff Mitgliedstaat die Ausführungen zu Art 1 Rn 48 ff. Dazu näher Rauscher/Leible Art 32 Brüssel I-VO Rn 17 ff. MünchKommZPO/Gottwald Art 32 Brüssel I-VO Rn 8. Näheres hierzu Rn 17 ff, Art 16 Rn 3. Hierzu Art 16 Rn 4.

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Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Art 2 EG-UntVO

Im Übrigen sei auf die Darstellung zu Art 16 und Art 32 Brüssel I-VO10 verwiesen. 2. Gerichtlicher Vergleich (Nr 2) Um den verschiedenen Verfahrensweisen zur Regelung von Unterhaltsfragen in den Mit- 4 gliedstaaten Rechnung zu tragen, gilt die Verordnung auch für gerichtliche Vergleiche.11 Der Begriff „gerichtlicher Vergleich“ ist an den der Brüssel I-VO angelehnt12 und bezeichnet einen von einem Gericht gebilligten oder vor einem Gericht im Laufe eines Verfahrens geschlossenen Vergleich in Unterhaltssachen. Ob eine Unterhaltssache vorliegt, bestimmt sich auch hier nach Art 1 Abs 1. Art 2 Abs 1 Nr 2 spricht zwar nicht ausdrücklich davon, dass der Vergleich von einem 5 Gericht eines Mitgliedstaates gebilligt bzw vor einem Gericht eines Mitgliedstaates im Laufe des Verfahrens geschlossen worden sein muss; da aber sowohl nach Nr 1 als auch nach Nr 3 die Entscheidung bzw öffentliche Urkunde aus einem Mitgliedstaat stammen muss, kann für den gerichtlichen Vergleich iSv Nr 2 nichts anderes gelten. Für die Einordnung als Vergleich kommt es nicht auf das Verständnis der einzelnen na- 6 tionalen Rechtsordnungen an, vielmehr ist der Begriff des Vergleichs autonom auszulegen.13 Er ist in einem weiten Sinn zu verstehen. So genügt es gemäß der Formulierung, dass der Vergleich vor einem Gericht geschlossen wird.14 Damit wird die Protokollierung sowohl durch einen Richter als auch einen Justizfunktionär, der an einem solchen Spruchkörper beschäftigt ist, erfasst.15 Anwalts- oder Mediationsvergleiche fallen regelmäßig nicht unter den Begriff des Vergleichs.16 Einigen sich die Parteien auf Vorschlag des Gerichts hin (§ 278 Abs 5 S 2 ZPO) vor einem Mediator oder im Wege eines Anwaltsvergleichs, handeln sie zeitlich betrachtet „im Laufe eines (Gerichts-)Verfahrens“, jedoch erfolgt kein Abschluss „vor dem Gericht“.17 Etwas anderes gilt dagegen, wenn der Mediationsvergleich nach Wiederaufnahme des Gerichtsverfahrens in einem mündlichen Termin vom Richter protokolliert wird.18 Um den Anforderungen eines gerichtlichen Vergleichs zu genügen, muss der Vergleich nach 7 dem Wortlaut des Art 2 Abs 1 Nr 2 im Ursprungsmitgliedstaat nicht vollstreckbar sein. Dieses Erfordernis für die Vollstreckbarkeit in einem anderen Mitgliedstaat ergibt sich aus Art 48 Abs 1 sowie aus den Anhängen I und II.

10 11 12 13 14

15 16

17 18

Rauscher/Leible Art 32 Brüssel I-VO Rn 5 ff. ErwGr 12 und 13. Vgl Art 58 Brüssel I-VO. Zur Brüssel I-VO Rauscher/Staudinger Art 58 Brüssel I-VO Rn 6. Art 2 Abs 1 Nr 2 und Art 58 Brüssel I-VO sind damit weiter gefasst als Art 51 EuGVÜ, der einen Abschluss vor einem Richter verlangt. Rauscher/Staudinger Art 58 Brüssel I-VO Rn 7; Rauscher/Pabst Art 3 EG-VollstrTitelVO Rn 11. Kropholler/von Hein Art 58 Brüssel I-VO Rn 1; Rauscher/Staudinger Art 58 Brüssel I-VO Rn 9; MünchKommFamFG/Lipp Rn 9. Rauscher/Staudinger Art 58 Brüssel I-VO Rn 7. Rauscher/Staudinger Art 58 Brüssel I-VO Rn 7; Rauscher/Pabst Art 3 EG-VollstrTitelVO Rn 11.

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Art 2 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

3. Öffentliche Urkunde (Nr 3) 8 Der Begriff öffentliche Urkunde stimmt weitestgehend mit Art 4 Nr 3 EG-VollstrTitelVO

überein. Er beruht auf der EuGH-Rechtsprechung zu Art 50 EuGVÜ.19 Erfasst werden nur Urkunden, die in den sachlichen Anwendungsbereich der EG-UntVO fallen, also solche die eine Unterhaltssache iSv Art 1 Abs 1 zum Gegenstand haben. Es muss sich um eine Urkunde handeln, die im Ursprungsmitgliedstaat förmlich errichtet oder in ein Register eingetragen worden ist. Die Beurkundung oder die Registrierung hat durch eine Behörde des Mitgliedstaates oder eine andere gemäß der Rechtsordnung dieses Staates hierzu ermächtigte Person/Stelle zu erfolgen.20 Dies wird vielfach ein Notar sein.21 Beispiel im deutschen Recht sind auch Jugendamtsurkunden gemäß § 59 Abs 1 SGB VIII.22 Urkunden, die von Behörden bzw ermächtigten Stellen aus Drittstaaten ausgestellt sind, werden nicht erfasst.23 Diplomatische und konsularische Vertretungen eines Staates gelten als Behörden oder ermächtigte Personen dieses Staates. 9 Die Beweiskraft muss sich sowohl auf die Unterschrift als auch auf den Inhalt beziehen

(Nr 3 lit a sublit i).24 Unterschriftsbeglaubigungen auf privatschriftlichen Schuldanerkenntnissen, mit denen lediglich die Echtheit der Unterschrift bestätigt wird, erfüllen den Urkundsbegriff nicht.25 Privaturkunden, also auch der hierunter fallende Anwaltsvergleich, sind grundsätzlich keine öffentlichen Urkunden iSd EG-UntVO.26 Der Anwaltsvergleich ist aber dann als öffentliche Urkunde zu qualifizieren, wenn er vom Notar für vollstreckbar erklärt wurde (§ 796c ZPO).27 Im Gegensatz zur Unterschriftenbeglaubigung erstreckt sich die Beweiskraft auch auf den Inhalt der Niederschrift.28 Der Notar nimmt zudem eine gewisse inhaltliche Kontrolle vor,29 die angesichts der Gleichstellung von öffentlichen Urkunden mit gerichtlichen Entscheidungen erforderlich ist. 10 Wird der Anwaltsvergleich vom Gericht nach deutschem Recht für vollstreckbar erklärt

(§ 796a ZPO), handelt es sich um einen gerichtlich gebilligten Vergleich iSv Art 2 Abs 1 Nr 2 und nicht um eine öffentliche Urkunde.30 Das Gericht überprüft neben der ordnungsgemäßen Niederlegung auch die Wirksamkeit des Vergleichs, es prüft, ob jeder der durch Unterwerfungserklärung vollstreckbar gestellten Ansprüche vergleichsfähig ist, der Vergleich gegen die öffentliche Ordnung verstößt und er mindestens eine Unterwerfungserklärung 19 20

21 22 23 24 25 26 27

28 29 30

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Hierzu die Kommentierung zu Art 48 Rn 2 mwN. Bezogen auf einen nach dem Recht des Ursprungsstaates vollstreckbaren Schuldschein (sog Gældbrev), der nicht von einer Behörde oder einer anderen von diesem Staat hierzu ermächtigten Stelle beurkundet worden ist EuGH Rs C-260/97 Unibank DNotZ 1999, 920 ff. Hierzu Art 48 Rn 2. Zu weiteren ermächtigten Stellen Rauscher/Pabst Art 4 EG-VollstrTitelVO Rn 37. MünchKommFamFG/Lipp Rn 11. Rauscher/Pabst Art 4 EG-VollstrTitelVO Rn 30. Rauscher/Pabst Art 4 EG-VollstrTitelVO Rn 29. Geimer IPRax 2000, 366, 367; Rauscher/Pabst Art 4 EG-VollstrTitelVO Rn 29. Rauscher/Pabst Art 4 EG-VollstrTitelVO Rn 39; Reinmüller IPRax 2001, 207, 208. MünchKommZPO/Gottwald Art 57 Brüssel I-VO Rn 11; Rauscher/Pabst Art 4 EG-VollstrTitelVO Rn 39; Trittmann/Merz IPRax 2001, 178, 181. Vgl Trittmann/Merz IPRax 2001, 178, 181. Ausführlich hierzu Trittmann/Merz IPRax 2001, 178, 181 f. Rauscher/Pabst Art 4 EG-VollstrTitelVO Rn 39.

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Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Art 2 EG-UntVO

enthält.31 Das Gericht nimmt eine gewisse materielle Prüfung vor und übernimmt somit zugleich eine inhaltliche Verantwortung, sodass die für einen gerichtlich gebilligten Vergleich erforderliche inhaltliche Überprüfung durch das Gericht erfolgt. Dass für das Vorliegen eines gerichtlich gebilligten Vergleichs eine gewisse inhaltliche Überprüfung notwendig ist, ergibt sich aus einem Vergleich zu der Bestimmung des Art 21 HUntAVÜbk 1973, die im Gegensatz zu Art 2 Abs 1 Nr 1 nur von „Vergleich“ spricht und damit weiter gefasst ist. Zu den öffentlichen Urkunden werden nach Art 2 Abs 1 Nr 3 lit b ferner die mit einer 11 Verwaltungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaates geschlossene oder von ihr beglaubigte Unterhaltsvereinbarung gezählt. Bedeutung hat dies vor allem für die skandinavischen Länder.32 Um den Anforderungen einer öffentlichen Urkunde zu genügen, muss die Vereinbarung mit der Behörde geschlossen oder von ihr beglaubigt worden sein, wenn sie etwa zwischen Unterhaltberechtigtem und -verpflichtetem geschlossen wurde. Eine lediglich vor ihr geschlossene, also von ihr vermittelte Unterhaltsvereinbarung, wird demnach nicht erfasst.33 Im Übrigen wird auf die Ausführungen zu Art 48 Rn 2 verwiesen.

12

Das Erfordernis der Vollstreckbarkeit nach der Rechtsordnung des Ursprungsstaates für die Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat ergibt sich aus Art 48 Abs 1. 4. Berechtigte Person (Nr 10) Nach Art 2 Abs 1 Nr 10 ist berechtigte Person jede natürliche Person, der Unterhalt zusteht 13 oder angeblich zusteht. Ob der betreffenden Person bereits zuvor ein Anspruch auf Unterhalt zuerkannt wurde oder ob sie die Klage erstmals erhebt, ist unerheblich, auch der erstmalig Klagende ist berechtigte Person. Mit „berechtigte Person“ ist nur der ursprünglich Berechtigte gemeint, dem der Unterhalt (vermeintlich) zusteht, nicht aber derjenige, der die Forderung erworben hat, nicht also der Zessionar.34 Entscheidend ist, wer materiell-rechtlich (vermeintlicher) Inhaber des Anspruchs ist. Darauf, ob der betreffenden Person tatsächlich ein Unterhaltsanspruch zusteht, kommt es nicht an, vielmehr genügt die schlüssige Darlegung.35 Juristische Personen sind keine berechtigten Personen iSv Art 2 Abs 1 Nr 10. Besonderes gilt 14 aber für die öffentlichen Aufgaben wahrnehmenden Einrichtungen (öAwE). Nach ErwGr 14 umfasst der Begriff „berechtigte Person“ für die Zwecke eines Antrags auf Anerkennung und Vollstreckung einer Unterhaltsentscheidung auch öAwE, die das Recht haben, für eine unterhaltsberechtigte Person zu handeln oder die Erstattung von Leistungen zu fordern, die 31 32

33

34 35

MünchKommZPO/Wolfsteiner § 796a ZPO Rn 14. Siehe Europäische Kommission, 14.7.1999, KOM (1999) 348, 26 (zu Art 55 des Brüssel I-VO-E). Hierzu auch Art 48 Rn 2. Rauscher/Pabst Art 4 EG-VollstrTitelVO Rn 36. Zur Brüssel I-VO Rauscher/Staudinger Art 57 Brüssel I-VO Rn 4. Näheres hierzu Art 3 Rn 42. Ob ein Unterhaltsanspruch besteht, ist eine Frage der Begründetheit (sog doppelt relevante Tatsache). Hierzu Art 1 Rn 31.

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Art 2 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

der berechtigten Person anstelle von Unterhalt erbracht wurden.36 Werden die öAwE in dieser Eigenschaft tätig, haben sie den Anspruch auf die gleichen Dienste und die gleiche Prozesskostenhilfe wie berechtigte Personen. Daraus folgt, dass öAwE in Bezug auf die in Kapitel IV geregelten Gegenstände als unterhaltsberechtigte Personen zu behandeln sind,37 Dasselbe trifft für die Kapitel V bis VII zu, vorausgesetzt, es geht um die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltstiteln in anderen Mitgliedstaaten. 15 In Art 3 lit b umfasst der Begriff berechtigte Person die öAwE nicht. Folglich wird bei

Regressklagen von öAwE kein Gerichtsstand am Sitz/an der Niederlassung der Einrichtung begründet.38 Hiervon zu unterscheiden ist die Möglichkeit seitens der öAwE, an den Gerichtsständen des Art 3 Anträge einzubringen. Dass sie für Kapitel II nicht als berechtigte Person anzusehen ist, schließt die Inanspruchnahme der Zuständigkeitsbestimmungen des Kapitels II durch die öAwE nicht aus.39 5. Verpflichtete Person (Nr 11) 16 Verpflichtete Person ist jede natürliche Person, die Unterhalt leisten muss oder angeblich

leisten muss. Nur der, der unmittelbar (vermeintlich) Unterhalt schuldet, ist Verpflichteter iSv Art 2 Abs 1 Nr 11. Ob die betreffende Person bereits zuvor zur Zahlung von Unterhalt verurteilt wurde, ist unerheblich. II. Verwaltungsbehörden (Abs 2) 17 Die Vorschrift geht auf Art 62 Brüssel I-VO zurück40 und ist einer verfahrensrechtlichen

Besonderheit in einigen Mitgliedstaaten geschuldet. Das schwedische Recht sieht Entscheidungen in summarischen Verfahren betalningsföreläggande (Mahnverfahren) und handräckning (Beistandsverfahren) vor, die vom kronofogdemyndighet (Amt für Beitreibung) getroffen werden. In Dänemark sind Verwaltungsbehörden (Staatsamt) für Entscheidungen in Unterhaltssachen zuständig.41 Da eine Entscheidung iSd Art 32 Brüssel I-VO grundsätzlich nur gerichtliche Entscheidungen umfasst, weitet Art 62 Brüssel I-VO den Anwendungsbereich der Brüssel I-VO auch auf Entscheidungen des schwedischen Amtes für Beitreibung und der dänischen Verwaltungsbehörden aus. 18 Diese Problematik wird in der EG-UntVO auf eine andere Weise gelöst. Nach Art 2 Abs 2

werden grundsätzlich auch Unterhaltsentscheidungen der Verwaltungsbehörden erfasst. Die Vorschrift stellt an diese Entscheidungen aber bestimmte Anforderungen. Für einen leichteren Umgang werden die betreffenden Verwaltungsbehörden im Anhang X der Verordnung aufgeführt, wenn die Voraussetzungen des Art 2 Abs 2 zutreffen. Dadurch wird eine schnelle und präzise Klärung ermöglicht, ob die Entscheidungen, die Unterhaltspflichten festlegen, der Anerkennung und Vollstreckung nach der Verordnung unterliegen. 36 37 38 39 40 41

500

Einzelheiten zu den öAwE Art 64. Hierzu auch Art 1 Rn 38 ff. Zur Prozesskostenhilfe ausführlich Art 44 Rn 5. Hierzu Art 3 Rn 41. Ausführlich Art 3 Rn 44. Vgl insoweit auch die Ausführungen zu Art 56 Rn 2. Vgl auch Art 4 Nr 7 EG-VollstrTitelVO. Vgl OLG Hamburg ZfJ 1992, 547.

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Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Art 2 EG-UntVO

Denn die nationalen Vollstreckungsbehörden müssen zB bestimmen, ob eine beantragte unmittelbare Vollstreckung nach Kapitel IV Abschnitt 1 erfolgen kann. Sie müssen hierfür nicht die Voraussetzungen des Art 2 Abs 2 prüfen, sondern lediglich, ob die aussprechende Behörde in der Liste eingetragen ist. Mit der Aufnahme in den Anhang wird die Vergleichbarkeit konstitutiv, eine Prüfung der Vergleichbarkeit im Einzelfall ist damit ausgeschlossen.42 Die Erstellung und Änderung dieser Liste erfolgt auf Antrag des jeweiligen Mitgliedstaates 19 nach dem Verfahren gemäß dem Beschluss des Rates vom 28.6.1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (1999/468/EG). Innerhalb dieses Verfahrens ist zu prüfen, ob die in die Liste aufzunehmenden Behörden die in Art 2 Abs 2 aufgeführten Voraussetzungen erfüllen. Im Anhang X sind folgende Behörden aufgelistet: für Finnland der Sozialausschuss (Sosiaa- 19a lilautakunta/Socialnämnd), für Schweden die Vollstreckungsbehörde (Kronofogdemyndigheten), für England und Wales sowie Schottland die Kommission für Kinderunterhaltspflicht und Vollstreckung (Child Maintenance and Enforcement Commission – CMEC) und für Nordirland das Ministerium für soziale Entwicklung, Nordirland (Department for Social Development Northern Ireland – DSDNI).43 Hinzu kommt für Dänemark44 die Regionale Staatsverwaltung (Statsforvaltningen) und das Ministerium für Soziales, Kinder und Integration (nationales Sozialbeschwerdeamt, Familienrechtsabteilung) (Social-, Borne- og Integrationsministeriet – Ankestyrelsen, Familieretsafdelingen). III. Absatz 3 1. Satz 1 Art 2 Abs 3 S 1 bestimmt, dass in den Artt 3, 4 und 6 an die Stelle des Begriffs „Staats- 20 angehörigkeit“ der Begriff „Wohnsitz“ in den Mitgliedstaaten tritt, die diesen Begriff als Anknüpfungspunkt in Familiensachen verwenden. Der Begriff „Wohnsitz“ ist dabei im Sinne von domicile zu verstehen. Dies ergibt sich zum einen aus der englischen Fassung und zum anderen daraus, dass nur das domicile ein Äquivalent zur Staatsangehörigkeit darstellt. Es vertritt in den wichtigsten Fällen die Staatsangehörigkeit.45 Besser wäre gewesen, wie in der Brüssel IIa-VO, anstelle des Begriffs „Wohnsitz“ den Begriff „domicile“ zu verwenden. Die Bestimmung des Abs 3 trägt dem Umstand Rechnung, dass im common law nicht die 21 Staatsangehörigkeit, sondern das domicile das entscheidende Kriterium für die internationale Zuständigkeit ist. ErwGr 18 stellt insoweit klar, dass sich dieser Ersetzungstatbestand auf Irland und das Vereinigte Königreich bezieht. Während in der Brüssel IIa-VO nur im Falle Irlands und des Vereinigten Königreichs die Staatsangehörigkeit durch das domicile ersetzt wird,46 beschränkt die EG-UntVO den Ersetzungstatbestand nicht ausdrücklich auf 42 43 44 45 46

MünchKommFamFG/Lipp Rn 7. Veröffentlicht in Durchführungsverordnung (EU) Nr 1142/2011 vom 10.11.2011, ABl EU 2011 L 293/24. Vgl Mitteilung zum Brüssel I EU-DK Abk, ABl EU 2013 L 251/1. Siehe Henrich RabelsZ 25 (1960) 456, 457 für den domicile Begriff im engl IPR. Vgl etwa Art 3 Brüssel IIa-VO.

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Art 2 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

diese Staaten. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass der Ersetzungstatbestand auch auf andere Mitgliedstaaten, denen das domicile Prinzip bekannt ist, wie Malta oder Zypern, Anwendung finden kann. 22 Ob die betreffende Partei ihr domicile in dem Staat hat, dessen Gericht bzw Gerichte als

zuständig vereinbart wurden, bestimmt sich nach dem Recht dieses Staates.47 Das domicile kennzeichnet die Rechtsbeziehung zwischen einem Menschen und einem bestimmten Territorium und damit zu einer bestimmten Rechtsordnung.48 Eine natürliche Person kann nur ein domicile haben. Drei Arten des domicile sind zu unterscheiden: 1. domicile of origin 2. domicile of choice 3. domicile of dependency 23 Das domicile of origin (Ursprungsdomizil) erwirbt man mit der Geburt. Es kann durch das

domicile of choice (Wahldomizil) abgelöst werden. Dies setzt jedoch voraus, dass das alte domicile endgültig aufgegeben wird, bevor ein neues begründet werden kann. 24 Für die Begründung eines domicile of choice (Wahldomizil) ist zum einen erforderlich, dass

ein neuer Wohnsitz (residence) genommen wird und die Absicht besteht, diese neue residence für immer oder für unbestimmte Zeit beizubehalten (animus manendi). Es muss die Absicht einschließen, nicht mehr in das Land des Ursprungsdomizils zurückzukehren. Ob ein solcher animus manendi gegeben ist, wird in Gesamtbetrachtung von subjektiven und objektiven Umständen ermittelt. Gibt eine natürliche Person ihr domicile of choice auf, ohne ein neues domicile zu begründen, lebt das domicile of origin wieder auf. 25 Das domicile of dependency (Abhängigkeitsdomizil) besteht für Kinder bis zu einem be-

stimmten Alter sowie für nicht geschäftsfähige Personen. Ein bis dahin begründetes domicile of dependency bleibt als wandelbares domicile of choice bestehen. 2. Satz 2 26 Nach Art 2 Abs 3 S 2 gilt für die Auffangzuständigkeit nach Art 6, dass die Parteien, die ihren

Wohnsitz in verschiedenen Gebietseinheiten desselben Mitgliedstaates haben, ihren gemeinsamen Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat haben. Haben die Parteien also in unterschiedlichen Gebietseinheiten desselben Mitgliedstaates ihr domicile (England und Wales, Schottland, Nordirland), werden sie nur für Art 6 so behandelt, als hätten sie beide ihr domicile in diesem Mitgliedstaat (Vereinigtes Königreich).

47

48

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Siehe dagegen Art 3 Abs 2 Brüssel IIa-VO, wonach sich der Begriff „domicile“ iSd Verordnung nach dem Recht des Vereinigten Königreichs und Irlands bestimmt. Zum Begriff ausführlich Henrich RabelsZ 25 (1960) 456 ff; Kegel/Schurig IPR9 (2004) § 13 II S 450 f.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Vorbem zu Art 3 ff EG-UntVO

Kapitel II: Zuständigkeit Vorbemerkungen zu Art 3 ff I. II. III.

Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Wesentliche Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Keine Gerichtsstände des Zusammenhangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

IV. V. VI. VII.

Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . Gegenstand des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forum shopping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12 14 18 23

I. Anwendungsbereich Kapitel II regelt die internationale Zuständigkeit der Gerichte und Behörden iSd Art 2 Abs 2 1 in den Mitgliedstaaten im Erkenntnisverfahren. Gegenstand des Verfahrens muss eine Unterhaltsverpflichtung sein, die auf einem Familien-, Verwandtschafts- oder eherechtlichen Verhältnis oder der Schwägerschaft beruht. Die Bestimmungen sind universell anwendbar, es bedarf keines Bezugs zu einem anderen 2 Mitgliedstaat. Die Vorschriften der Mitgliedstaaten über die internationale Zuständigkeit ihrer Gerichte in familienrechtlichen Unterhaltssachen werden verdrängt. Lediglich die Bestimmung der EG-UntVO zu einstweiligen Maßnahmen (Art 14) lässt ein Zurückgreifen auf das autonome Recht zu. Die örtliche Zuständigkeit ist für die allgemeine Zuständigkeit, das rügelose Einlassen und bei der Gerichtsstandsvereinbarung (hier nicht unbedingt) mit erfasst. Soweit dies zutrifft, sind die nationalen Vorschriften zur örtlichen Zuständigkeit nicht anwendbar. Kapitel II ist auf alle Verfahren anwendbar, die ab dem 18.6.2011 anhängig gemacht werden 3 (Art 75 Abs 1). II. Wesentliche Veränderungen Im ErwGr 10 des EG-UntVO-E hieß es noch, dass die Vorschriften über die internationale 4 Zuständigkeit sich nur geringfügig von denen der Brüssel I-VO unterscheiden. Schon der Regelungsentwurf sah aber bereits wesentliche Veränderungen vor. Die EG-UntVO weist nur noch wenige Gemeinsamkeiten mit der Regelung der Zuständigkeit in der Brüssel I-VO auf. Folgende Unterschiede sind hervorzuheben: 5 – Die internationale Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten ist abschließend geregelt. Hierfür ist ein Rückgriff auf die einzelstaatlichen Regelungen zur internationalen Zuständigkeit ausgeschlossen. Weder ist die Zuständigkeit – wie in der Brüssel I-VO – räumlich begrenzt, noch gibt es eine Restzuständigkeit wie nach der Brüssel IIa-VO. – Der Wohnsitz wird als Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit durch den gewöhnli- 6 chen Aufenthalt verdrängt. Während der Wohnsitz noch nach den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemäß Art 59 Brüssel I-VO bestimmt wurde, wird der

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Vorbem zu Art 3 ff EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

gewöhnliche Aufenthalt autonom ausgelegt, wobei der Bezug zu den Haager Übereinkommen, insbesondere zum Unterhalt gewahrt wird. 7 – Nicht bei allen Zuständigkeiten, jedoch bei den für die Rechtspraxis wichtigsten, wird

nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit einheitlich unter Ausschluss des einzelstaatlichen Rechts geregelt. – Es gibt vier alternative allgemeine Zuständigkeiten nach Art 3, unter denen der Antragsteller wählen kann. Die in Art 5 Nr 2 Brüssel I-VO geregelten Zuständigkeiten sind zu allgemeinen Zuständigkeiten geworden. Damit entfällt ihr Ausnahmecharakter. – Es gibt eine weitere Annexzuständigkeit neben der bei Anhängigkeit einer Personenstandssache. Hinzugekommen ist die Entscheidung in der Unterhaltssache als Nebenentscheidung im Verfahren über die elterliche Verantwortung. 8 – Eine Gerichtsstandsvereinbarung ist nach Art 4 weiterhin zulässig. Jedoch ist der Un-

terhalt für Kinder bis zum 18. Lebensjahr ausgenommen, und es erfolgt eine Beschränkung auf Länder, zu denen mindestens eine Partei eine engere Beziehung aufweist. – Es gibt eine Auffangzuständigkeit für die Gerichte des Heimatstaates beider Ehegatten, wenn die vorhergehenden Zuständigkeiten zu keiner Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts führen. – Und letztlich ist eine Notzuständigkeit vorgesehen, um dem Justizgewährungsanspruch einer Person nachzukommen. 9 – Die Zuständigkeit für Abänderungsentscheidungen ist weiterhin nicht gesondert gere-

gelt. Sie unterliegt den allgemeinen Vorschriften. Sie ist nur dann gegeben, wenn ein Zuständigkeitsgrund nach den Art 3-7 vorliegt. Es kommt dabei nicht darauf an, ob es sich bei der abzuändernden Entscheidung um eine inländische oder ausländische handelt.1 Jedoch gibt es mit Art 8 eine Sperrung der Inanspruchnahme von Zuständigkeiten seitens des Unterhaltsverpflichteten, wenn die Erstentscheidung im Land des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsberechtigten ergangen ist und dieser seinen gewöhnlichen Aufenthalt weiter in diesem Staat hat. Von der Brüssel I-VO sind an sich nur die Regelungen zum rügelosen Einlassen und zu den einstweiligen Maßnahmen identisch übernommen. Alles Weitere ist anders oder zumindest in einem anderen Zusammenhang gestellt. III. Keine Gerichtsstände des Zusammenhangs 10 Die EG-UntVO kennt keine Gerichtsstände des Zusammenhangs, wie sie in Art 6 Brüssel

I-VO geregelt sind. Eine Widerklage, die eine Unterhaltspflicht zum Gegenstand hat, kann nur bei dem Gericht des Erstantrages erhoben werden, wenn dieses Gericht nach Artt 3 ff für die Widerklage zuständig ist. Die Verbindung der Klagen ergibt sich aus dem nationalen Recht.2 Wird die Widerklageforderung vom Anwendungsbereich der Brüssel I-VO erfasst, 1

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Beispiel OLG Stuttgart 20.01.2014 – 17 WF 229/13, FamRZ 2014, 850, Abänderungsantrag des Unterhaltsverpflichteten bezogen auf eine deutsche Entscheidung nachdem der Unterhaltsberechtigte in die Türkei verzogen ist und keine gemeinsame deutsche Staatsangehörigkeit vorliegt. Die Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist hier nur auf Grund der rügelosen Einlassung des Unterhaltsberechtigten nach Art 5 gegeben.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Vorbem zu Art 3 ff EG-UntVO

so bestimmt sich die Zuständigkeit nach dieser Verordnung. Deshalb kann für sie Art 6 Nr 3 Brüssel I-VO analog angewandt werden.3 Ist sie außerhalb des Anwendungsbereiches angesiedelt – zB wenn es um eine güterrechtliche Ausgleichsforderung geht oder der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Nichtmitgliedstaat hat – findet das einzelstaatliche Recht auf die Widerklagezuständigkeit Anwendung. Einen Mehrparteiengerichtsstand gibt es in der EG-UntVO ebenfalls nicht.4 Der Unter- 11 haltsberechtigte kann jedoch den Gerichtsstand an seinem gewöhnlichen Aufenthalt nutzen, um gegen mehrere Unterhaltsverpflichtete einen Antrag zu stellen. So kann zB ein Kind beide Eltern dort gerichtspflichtig machen. Auch zwei Unterhaltsberechtigte, die einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben, können natürlich denselben Unterhaltverpflichteten an ihrem Gerichtsstand verklagen.5 Inwieweit die Anträge verbunden werden können, regelt sich nach einzelstaatlichem Recht. IV. Aufrechnung Die Auffassung des EuGH, dass die Aufrechnung ein reines Verteidigungsmittel – im Un- 12 terschied zur Widerklage – und deshalb Bestandteil des vom Kläger in Gang gesetzten Verfahrens sei und durch die Vorschriften des nationalen Rechts gestaltet werde,6 trifft auf die Aufrechnung im Unterhaltsprozess ebenfalls zu. Für die einen unterhaltsrechtlichen Charakter tragenden Gegenforderungen ist nicht das Erfordernis der Zuständigkeit anzunehmen.7 Dies gilt umso mehr, als es keinen Gerichtsstand der Widerklage gibt. Würde das Zuständigkeitserfordernis aufgestellt werden, so wäre die Aufrechnung als Verteidigungsmittel stark eingeschränkt. Ob mit Forderungen nicht unterhaltsrechtlichen Charakters aufgerechnet werden kann, 13 bestimmt sich nach dem Recht der lex fori unter Einschluss des IPR. Für Gegenforderungen, die hinsichtlich der Zuständigkeit der Brüssel I-VO unterliegen würden, hängt die Entscheidung davon ab, wie die strittige Frage hinsichtlich des Zuständigkeitserfordernisses für die Aufrechnung gelöst wird. Die besseren Argumente sprechen dafür, ein Zuständigkeitserfordernis abzulehnen.8 Auch soweit sich die gerichtliche Geltendmachung der Gegenforderung nach dem deutschen autonomen IZPR richtet, sollte diese Schlussfolgerung gezogen werden.9 2 3 4 5 6

7 8

9

Wie hier Geimer/Schütze/Reuß Art 3 Rn 5; MünchKommFamFG/Lipp Vorb Art 3 ff Rn 17. Wie hier MünchKommFamFG/Lipp Vorb Art 3 ff Rn 20; aA Geimer/Schütze/Reuß Art 3 Rn 4. Kritisch Geimer/Schütze/Reuß Art 3 Rn 4. MünchKommFamFG/Lipp Vorb Art 3 ff Rn 18. EuGH Rs C-341/93 Danvern Production/Schuhfabriken Otterbeck EuGHE 1995 I 2053 Rn 12, 13 = IPRax 1997, 114 = NJW 1996, 42. Wie hier Geimer/Schütze/Reuß Art 3 Rn 5; MünchKommFamFG/Lipp Vorb Art 3 ff Rn 21. Hierzu ausführlich MünchKommZPO/Gottwald Art 6 Brüssel I-VO Rn 25; Art 23 Brüssel I-VO Rn 86 ff; Gruber IPRax 2002, 285, 288; Rauscher/Leible Art 6 Brüssel I-VO Rn 32; Rauscher, IPR Rn 1817; Mankowski ZZP 109 (1996) 376, 394; Roth RIW 1999, 819, 820; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 6 Brüssel I-VO Rn 7; aA Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art 6 Brüssel I-VO Rn 77; Wagner IPRax 1999, 65, 73. Ua MünchKommFamFG/Lipp Vorb Art 3 ff Rn 22; für die Brüssel I-VO Rauscher/Mankowski Art 6 Brüssel I-VO Rn 32; Roth RIW 1999, 819, 820; Gebauer IPRax 1998, 79, 85; offen BGH v 7.11.2001 – VIII ZR 263/00, BGHZ 149, 120, 127.

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V. Anerkennungszuständigkeit 14 Kapitel II regelt die internationale Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten im Er-

kenntnisverfahren. Ob das Gericht eines Mitgliedstaates, dessen Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt und vollstreckt wird, nach der Verordnung zuständig war, wird im Zweitstaat nicht geprüft. Dasselbe gilt im Verhältnis zu den Vertragsstaaten des LugÜbk, die nicht Mitgliedstaaten sind. 15 Die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidungen von Drittstaaten10 werden in

der EG-UntVO nicht geregelt. Diese richten sich entweder nach Staatsverträgen oder nach dem autonomen IZPR jedes Mitgliedstaates. Die maßgeblichen Staatsverträge – so die Haager Übereinkommen zu diesen Fragen – regeln die internationale Zuständigkeit als Voraussetzung für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen (direkte Regelung der Anerkennungszuständigkeit). Nach Inkrafttreten des HUntVerfÜbk 2007 für die EU haben die dadurch gebundenen Mitgliedstaaten die Bestimmungen dieses Übereinkommens über die Anerkennungszuständigkeit bezogen auf die Vertragsstaaten anzuwenden. 16 Auch das autonome Recht der Mitgliedstaaten macht die Anerkennung von der interna-

tionalen Zuständigkeit der Gerichte des Entscheidungsstaates abhängig. Dabei wird in Deutschland das Spiegelbildprinzip angewandt. Die eigenen Bestimmungen zur internationalen Zuständigkeit werden herangezogen und dann geprüft, ob eine internationale Zuständigkeit gegeben wäre, wenn diese im Erlassstaat gelten würden.11 Vor Inkrafttreten der EG-UntVO wurden nicht die Vorschriften der Brüssel I-VO zugrunde gelegt, sondern das autonome Recht. Auch nach dem Inkrafttreten der EG-UntVO gibt es keine aus dem europäischen Zivilverfahrensrecht resultierende Verpflichtung, die Zuständigkeitsnormen der EG-UntVO spiegelbildlich für die Prüfung der Anerkennungszuständigkeit von drittstaatlichen Gerichten heranzuziehen. Das gilt deshalb, weil die Anerkennung drittstaatlicher Entscheidungen bisher nicht vereinheitlicht ist. Jedoch ist eine spiegelbildliche Anwendung der Zuständigkeitsbestimmungen der EG-UntVO, jedenfalls für das deutsche autonome IZPR, zu empfehlen. 17 Zum einen trifft das Spiegelbildprinzip bei Anwendung der deutschen Vorschriften über die

örtliche Zuständigkeit auf die internationale Anerkennungszuständigkeit nur scheinbar zu, denn für die internationale Zuständigkeit im Erkenntnisverfahren sind sie durch die EGUntVO gänzlich ausgeschaltet. Zum anderen tragen die Zuständigkeitsvorschriften der EGUntVO den Regelungsinteressen bei grenzüberschreitenden Unterhaltssachen stärker Rechnung, weil sie auf internationale Sachverhalte ausgerichtet sind. VI. Gegenstand des Antrags 18 Der Antrag muss auf die Herbeiführung einer Entscheidung in einer Unterhaltssache

gerichtet sein. Gegenstand des Begehrens hat eine Unterhaltspflicht aus einem Familienverhältnis iSd Art 1 Abs 1 zu sein. Der Antrag kann darauf gerichtet sein, eine Entscheidung auf Leistung von Unterhalt herbeizuführen. Erfasst sind Entscheidungen auf künftige regel10 11

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Zum Begriff Art 4 Rn 69. ZB BGH v 3.12.1992 – IX ZR 229/91, IPRax 1994, 204 = NJW 1993, 1073; MünchKommZPO/Gottwald § 328 ZPO Rn 80 ff; Thomas/Putzo/Hüßtege § 328 ZPO Rn 8a; Rauscher, IPR Rn 2465.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Vorbem zu Art 3 ff EG-UntVO

mäßige Leistungen, auf Leistung von rückständigem Unterhalt und einmalige Leistungen. Art 3 regelt auch die Zuständigkeit für die Abänderung einer Unterhaltsentscheidung unabhängig davon, ob die Entscheidung von einem in- oder ausländischen Gericht gefällt wurde, hierbei ist jedoch die Sperrwirkung von Art 8 zu beachten. Weiterhin gehören hierzu die Anträge auf Feststellung des Nichtbestehens einer Unterhaltspflicht oder die Herabsetzung des Unterhalts. Die Zuständigkeit nach der Verordnung muss für die Entscheidung und für die Festsetzung des Kindesunterhalts im vereinfachten Verfahren nach §§ 249 ff FamFG vorliegen. Die hierfür begründete Zuständigkeit bleibt auch für das sich anschließende streitige Verfahren nach § 255 FamFG auf Antrag einer Partei bestehen, weil es Teil des vereinfachten Verfahrens ist.12 Auch für die Einleitung eines Mahnverfahrens, sei es zur Erlangung eines Europäischen Zahlungsbefehls nach der EG-MahnVO13 oder nach einzelstaatlichem Recht,14 richtet sich die internationale Zuständigkeit nach Art 3 ff. Bei der Prüfung der Zuständigkeit hat das Gericht nicht zu prüfen, ob eine Unterhaltspflicht 19 tatsächlich vorliegt. Es reicht aus, wenn sich aus dem Vortrag des Antragstellers schlüssig ergibt, dass eine Unterhaltspflicht bestehen könnte (sog doppelt relevante Tatsache). Dies lässt sich bereits aus den Definitionen der berechtigten und der verpflichteten Person in Art 2 Abs 1 lit 10 und 11 ableiten. Dies sind auch Personen, denen der Unterhalt „angeblich zusteht“ oder die diesen „angeblich leisten“ müssen.15 Für die zugrunde liegenden Statusverhältnisse ist zu unterscheiden: Wird im Unterhalts- 20 verfahren inzident die Existenz des Statusverhältnisses geprüft, so bedarf es hierfür keiner gesonderten Zuständigkeit. Anders ist es jedoch, wenn die Existenz des Statusverhältnisses selbst Gegenstand eines Verfahrens ist, auch wenn dieses mit dem Unterhalt verbunden ist. Die Zuständigkeit hierfür ist nicht in der EG-UntVO geregelt. Ob eine inzidente Prüfung möglich ist, ist nicht der EG-UntVO zu entnehmen. So kann ein 21 deutsches Gericht die Anerkennung einer Scheidung durch ein Gericht eines EU-Mitgliedstaates (außer Dänemark) inzident nach Art 21 Abs 4 Brüssel IIa-VO prüfen, während es bei Entscheidungen aus Drittstaaten nach § 107 FamFG nur dann die Anerkennung selbst prüfen kann, wenn ein Gericht des Heimatstaates beider Ehegatten die Scheidung ausgesprochen hat.

12

13 14

15

Umstritten ist, ob die Durchführung des vereinfachten Verfahrens auch zulässig ist, wenn ausländisches Recht Unterhaltsstatut ist, bejaht ua OLG Karlsruhe v 2.5.2006 – 20 WF 45/06, FamRZ 2006, 1393; MünchKommFamFG/Macco § 249 Rn 10; aA mit Nachweisen Bischoff IPRax 2002, 511, Büte FuR 2012, 585; Thomas/Putzo/Hüßtege Vorb § 249 FamFG Rn 2. Diese Frage hat sich mit dem HUntStProt 2007 rechtspraktisch erledigt, da nach Art 4 bezogen auf den Kindesunterhalt regelmäßig die lex fori Anwendung findet, hierzu Art 4 HUntStProt 2007 Rn 4 ff. Hierzu Art 68 Rn 9. MünchKommFamFG/Lipp Art 68 Rn 14; zum deutschen Auslandsmahnverfahren siehe Eichel FamRZ 2011, 1441 ff. Hierzu Art 2 Rn 13 ff und Art 2 Rn 16.

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22 Ob eine Vaterschaft aufgrund gesetzlicher Regelung, Anerkennung seitens des Mannes oder

aufgrund der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung erga omnes vorliegt, kann im deutschen Unterhaltsverfahren inzident geprüft werden. Ob die Vaterschaft im Übrigen inzident geprüft werden kann oder es einer Feststellungsentscheidung bedarf, richtet sich nach dem Recht, das über den Unterhalt entscheidet.16 Letzteres trifft auf das deutsche Unterhaltsrecht zu (§§ 1594 Abs 1, 1600d BGB). Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte hierfür ergibt sich aus § 100 FamFG. Unterliegt dagegen zB der Unterhaltsanspruch dem französischen Recht, so kann in einem Prozess, in dem es um den Unterhalt eines Kindes geht, dessen väterliche Abstammung rechtlich nicht feststeht, die für die Begründung aufgestellte Voraussetzung der Beiwohnung der Mutter im maßgeblichen Zeitraum im Unterhaltsprozess nach Art 342 cc geprüft werden. Das französische Recht vermeidet auf diese Weise die rechtliche Elternschaft mit erga omnes Wirkung, die im Unterhaltsverfahren nicht inzident geprüft werden könnte.17 VII. Forum shopping 23 Die alternativen allgemeinen Zuständigkeiten ermöglichen dem Unterhaltsberechtigten in

bestimmten Familienbeziehungen ein forum shopping.18 Er kann unter prozesstaktischen und prozessökonomischen Gesichtspunkten und unter Kostenaspekten das Forum auswählen. Außerdem kann er durch die Wahl des Forums die Bestimmung des für die Sachentscheidung maßgeblichen Rechts und damit die Sachentscheidung selbst beeinflussen. Das trifft selbst im Verhältnis zu den EU-Mitgliedstaaten zu, die durch das HUntStProt 2007 gebunden sind. Vor allem für die in Art 4 HUntStProt 2007 geregelten Unterhaltsbeziehungen, und hierbei insbesondere für die Unterhaltspflichten der Eltern gegenüber ihrem Kind, führt die dort vorgesehene Anknüpfung rechtspraktisch regelmäßig zur lex fori. Bei Unterhaltsansprüchen in Bezug auf eingetragene Partnerschaften kann die Wahl des Forums dafür entscheidend sein, ob diese nach der für den ehelichen Unterhalt geltenden kollisionsrechtlichen Regelung des Art 5 HUntStProt 2007 oder für die übrigen Familienbeziehungen nach Art 3 und 6 HUntStProt 2007 beurteilt werden.19 Im Verhältnis zu Großbritannien und Dänemark fehlt es an einem einheitlichen Kollisionsrecht. Der (vermeintliche) Unterhaltsberechtigte kann die kollisionsrechtliche Lösung in diesen Staaten mit der nach dem HUntStProt 2007 vergleichen und dies bei seiner Entscheidung über die Wahl des Forums berücksichtigen. In England zB findet auf den Kindes- und ehelichen bzw nachehelichen Unterhaltsanspruch regelmäßig die lex fori Anwendung.20

Artikel 3: Allgemeine Bestimmungen Zuständig für Entscheidungen in Unterhaltssachen in den Mitgliedstaaten ist a) das Gericht des Ortes, an dem der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder 16

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Andrae, Internationales Familienrecht3 (2014) § 8 Rn 39; MünchKommBGB/Siehr Art 18 EGBGB Anh I Rn 248 mwN. Hierzu Menne FuR 2006, 67 f. Hierzu auch Andrae, Internationales Familienrecht3 (2014) § 8 Rn 55; Arnold IPRax 2012, 311, 312; Geimer/Schütze/Reuß Art 3 Rn 11 ff; NK-BGB/Gruber Anh. zu Art 18 EGBGB Rn 12. Bereits Andrae, Internationales Familienrecht3 (2014) § 8 Rn 55. Hierzu sowie zum materiellen Recht Amos FamRZ 2012, 500.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 3 EG-UntVO

b) das Gericht des Ortes, an dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder c) das Gericht, das nach seinem Recht für ein Verfahren in Bezug auf den Personenstand zuständig ist, wenn in der Nebensache zu diesem Verfahren über eine Unterhaltssache zu entscheiden ist, es sei denn, diese Zuständigkeit begründet sich einzig auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien, oder d) das Gericht, das nach seinem Recht für ein Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung zuständig ist, wenn in der Nebensache zu diesem Verfahren über eine Unterhaltssache zu entscheiden ist, es sei denn, diese Zuständigkeit beruht einzig auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien. I.

II.

Allgemeines 1. Antragsberechtigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Kein Rangverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 3. Internationale und örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 4. Wahlgerichtsstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 5. Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 6. Grenzüberschreitender Bezug? . . . . . . . . . 15 7. Regelungen des AUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Einzelne Gerichtsstände 1. Gerichtsstand des Beklagten . . . . . . . . . . . . 22 a) Gewöhnlicher Aufenthalt . . . . . . . . . . . . . . . 23 b) Insbesondere gewöhnlicher Aufenthalt eines Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

c) Hilfsgerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Gerichtsstand des Unterhaltsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 a) Regelungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 b) Gewöhnlicher Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 c) Antragsberechtigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3. Nebenentscheidung im Statusverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 4. Nebenentscheidung im Verfahren über die elterliche Verantwortung a) Sinnzusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 b) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

I. Allgemeines 1. Antragsberechtigter Die Inanspruchnahme der Zuständigkeiten nach lit a und b steht jeder Partei offen. Die 1 Auffassung, dass die Zuständigkeit des Gerichts am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Unterhaltsberechtigten nur dem Unterhaltsberechtigten selbst zur Verfügung steht,1 kann für Art 3 lit b nicht fortgeschrieben werden. Dies folgt daraus, dass beide Zuständigkeiten allgemeine Zuständigkeiten darstellen und zur Auswahl des Antragstellers stehen. Die Zuständigkeit am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten hat keinen Ausnahmecharakter. Auch wenn sie vorrangig die Interessen des Unterhaltsberechtigten bedient, folgt daraus nicht, dass nur dieser diese Zuständigkeit in Anspruch nehmen kann. Wenn der Gesetzgeber die Einschränkung von Art 5 Nr 2 Brüssel I-VO hätte fortführen wollen, hätte er es in der Regelung zum Ausdruck bringen müssen. Für den Unterhaltsverpflichteten hat die Zuständigkeit am gewöhnlichen Aufenthalt des 2 Unterhaltsberechtigten geringe Bedeutung, weil bereits die Zuständigkeit nach lit a zum selben Gerichtsstand führt. Die Zuständigkeit steht auch öffentlichen Einrichtungen zur 1

Für Art 5 Nr 2 EuGVÜ/Brüssel I-VO ua Kropholler/von Hein Art 5 Brüssel I-VO Rn 64; Rauscher/Leible Art 5 Brüssel I-VO Rn 65; Schack IZVR Rn 435; aA Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art 5 Brüssel I-VO Rn 193; Schlosser Art 5 Brüssel I-VO Rn 13 unter Aufgabe von Schlosser-Bericht zum EuGVÜ Rn 105.

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Verfügung, die an den Unterhaltsberechtigten anstelle des Unterhaltsverpflichteten Leistungen erbracht haben und hierfür den Unterhaltsverpflichteten in Regress nehmen wollen.2 Der Gerichtsstand kann auch von Dritten bei gesetzlichem Übergang der Unterhaltsforderung auf sie genutzt werden, soweit diese Fallsituation von der EG-UntVO erfasst wird.3 3 Für lit c und d ist für die Antragsberechtigung der Sinn und Zweck dieser Gerichtsstände zu

berücksichtigen. Es geht hier um Verfahrenskonzentration. Die zwischen den Parteien bestehenden und aus dem jeweiligen Rechtsverhältnis resultierenden Probleme sollen in einem einheitlichen Verfahren geklärt werden, wenn wenigstens einer der Beteiligten dies beantragt. Deshalb sind die Gerichtsstände nicht Dritten zu eröffnen, sondern auf die Beteiligten im Hauptverfahren zu beschränken.4 Soweit nach der Rechtsordnung des angerufenen Gerichts im Annexverfahren eine Entscheidung über den Kindesunterhalt getroffen werden kann, zB im Scheidungsverfahren oder im Sorgerechtsverfahren, steht auch dem Kind oder der Person, die in Prozessstandschaft für das Kind den Prozess führt, dieser Gerichtsstand offen, auch wenn es nicht Partei im Hauptverfahren ist. Eine andere Frage ist, ob das Kind selbst Partei im Unterhaltsteil des Verfahrens sein kann, dies bestimmt sich nach dem auf die Unterhaltsverpflichtung anwendbaren Recht.5 4 Antragsteller, denen Art 3 lit c oder d ein Gerichtsstand eröffnet, müssen diesen nicht in

Anspruch nehmen. Für sie ergibt sich ein zusätzlicher Gerichtsstand zu den in lit a und b geregelten. Dies folgt wiederum aus dem Verbindungswort „oder“ sowie aus der Überschrift der Bestimmung „Allgemeine Zuständigkeit“. 2. Kein Rangverhältnis 5 Vorgesehen sind vier Zuständigkeiten: Gerichtsstand am gewöhnlichen Aufenthalt des Be-

klagten, Gerichtsstand am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten sowie Verbundzuständigkeit bei Anhängigkeit einer Statussache oder eines Verfahrens zur elterlichen Verantwortung. Die Zuständigkeiten stehen in keinem Rangverhältnis,6 sind also alternativ. Dies folgt daraus, dass ihre Inanspruchnahme an keine speziellen Voraussetzungen geknüpft ist und die Zuständigkeiten unter der Überschrift „Allgemeine Zuständigkeiten“ zusammengefasst sind. 6 Der Antragsteller kann zwischen den Gerichtsständen wählen. Der europäische Gesetzgeber

ermöglicht und fördert damit das forum shopping. Dies ist für die Rechtspraxis von besonderer Bedeutung, als die Inanspruchnahme einer Zuständigkeit nach dem HUntStProt 2007 Einfluss auf das anwendbare Recht hat. Die Grundanknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten im Eltern-Kind-Verhältnis und gegenüber Personen 2

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Ausführlich Andrae FPR 2013, 38, 41; wie hier MünchKommFamFG/Lipp Rn 19, 29; aA Fasching/ Konecny/Fucik Rn 4; Kuntze FPR 2011, 166, 170; Eschenbruch/Dörner Kap 6 Rn 48 hierzu auch Art 1 Rn 38 ff. Hierzu Art 1 Rn 33 ff. Wie hier Geimer/Schütze/Reuß Rn 30; MünchKommFamFG/Lipp Rn 25, Vorb Art 3 ff Rn 35; Martiny FamRZ 2014, 429, 433 (keine Zuständigkeit für Anträge eines Regressgläubigers). Art 11 lit d HUntStProt 2007. Wie hier Hausmann, IntEuSchR Rn C 82.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 3 EG-UntVO

unter 21 Jahren wird nach Art 4 Abs 3 HUntStProt 2007 durch die lex fori verdrängt, wenn der Unterhaltsberechtigte mit der Unterhaltssache das Gericht in dem Land befasst, in dem der Unterhaltsverpflichtete seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Kriterium für die Auswahl des Forums wird unter der Geltung der EG-UntVO und des HUntStProt 2007 sein, welches Recht das materielle Anliegen stützt, weil die Zuständigkeitsinanspruchnahme – zwar nicht immer, aber mehr als unter der Geltung des HUntStÜbk 1973 – mit der Anwendung des materiellen Rechts der lex fori verbunden ist. 3. Internationale und örtliche Zuständigkeit Die Zuständigkeitsvorschrift ist doppelfunktional. Sie regelt sowohl die internationale als 7 auch die örtliche Zuständigkeit. Dies folgt aus dem Anfang jeder Zuständigkeitsregel mit „das Gericht“. Man könnte meinen, der europäische Gesetzgeber ist zurückgekehrt zu dem im deutschen IZPR geltenden Grundsatz, die örtliche Zuständigkeit indiziert die internationale Zuständigkeit. Die gleichzeitige Regelung von internationaler und örtlicher Zuständigkeit bei der Grundzuständigkeit stellt eine wesentliche Änderung gegenüber der Brüssel I-VO dar. Diese bestimmt nur in Art 5 Nr 2 für die konkurrierende Zuständigkeit die örtliche Zuständigkeit mit. Die neue Lösung ist nicht als Fortschritt gegenüber dem bisherigen Regelungsmodell an- 8 zusehen. Jedenfalls im deutschen Familienverfahrensrecht gibt es bei der Anhängigkeit einer Ehesache eine zwingende örtliche Konzentration gerichtlicher Verfahren über den Trennungs- und nachehelichen Unterhalt sowie den Unterhalt für die gemeinsamen Kinder beim Gericht der Ehesache. Das gilt weiterhin für die güterrechtliche Auseinandersetzung, für Wohnungszuweisung, Hausratsverteilung und den Versorgungsausgleich. Der Komplexität familienrechtlicher vermögensrechtlicher Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit einer Ehesache wird verfahrensrechtlich die ausschließliche örtliche Zuständigkeit des Ehegerichts gerecht. Die Brüssel I-VO hat diesem Anliegen bei der Grundzuständigkeit am Wohnsitz des Be- 9 klagten Rechnung getragen, indem sie für diese nur die internationale Zuständigkeit regelte und den nationalen Rechtsordnungen ermöglicht, die örtliche Zuständigkeit unter familienrechtlichen Aspekten auszugestalten. Art 3 verhindert die zwingende Konzentration der örtlichen Zuständigkeit für die Unterhaltssache im Zusammenhang mit Verfahren über den Personenstand gemäß nationalem Recht. Das Wahlrecht des Klägers nach Art 3 bezieht sich auch auf die örtliche Zuständigkeit und verdrängt damit die nationalen Vorschriften von der zwingenden Verbundzuständigkeit. Aus den Erwägungsgründen ist die Motivation für diese wesentliche Änderung nicht erkennbar, jedenfalls reicht Vereinfachung und Übersichtlichkeit der Regelung nicht aus. 4. Wahlgerichtsstände Art 3 sieht vier unterschiedliche Gerichtsstände vor. Die internationale Zuständigkeit der 10 Gerichte eines Mitgliedstaates ist gegeben, wenn eines der alternativen Kriterien auf diesen Mitgliedstaat zutrifft. In Bezug auf die örtliche Zuständigkeit handelt es sich um gleichrangige konkurrierende Zuständigkeiten.7 Das gilt auch dann, wenn nach innerstaatlichem 7

Wie hier Prütting/Helms/Hau § 110 Anh 3 Rn 31.

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Recht eines dieser Gerichtsstände ausschließlich ist oder nur sekundäre Bedeutung zukommt. 11 Wenn mehrere Kriterien bezogen auf einen Mitgliedstaat erfüllt sind, jedoch zu unterschied-

lichen Gerichtsbezirken führen, so kann der Antragsteller nach dem Wortlaut den Gerichtsstand wählen, auch wenn im einzelstaatlichen Recht eine Priorität vorgeschrieben ist. Art 3 sieht keine Bevorzugung der Annexzuständigkeiten gegenüber der Zuständigkeit aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts vor. Damit hat der europäische Verordnungsgeber dem Interesse an der Einheitlichkeit und der Leichtigkeit der Bestimmung des zuständigen Gerichts in grenzüberschreitenden Fällen Vorrang vor den Regelungszielen der nationalen Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der örtlichen Zuständigkeit gegeben. Sind zwar die Gerichte des betreffenden Mitgliedstaates international zuständig, ist jedoch ein nach Art 3 nicht örtlich zuständiges Gericht angerufen worden, so kann innerhalb dieses Staates nach den innerstaatlichen Vorschriften eine Verweisung an das nach Art 3 örtlich zuständige Gericht erfolgen. 5. Zeitpunkt 12 Art 3 regelt nicht ausdrücklich den Zeitpunkt, zu welchem die Anknüpfungspunkte zutref-

fen müssen, um die Zuständigkeit zu begründen. Da von der Zuständigkeit für die Entscheidung die Rede ist, reicht es sicherlich, dass im Entscheidungszeitpunkt die Voraussetzungen vorliegen.8 Weil dieser Zeitpunkt ungewiss ist und für die Parteien Risiken schafft, kann auf ihn nicht allein abgestellt werden. Die Parteien müssen sich darauf verlassen können, dass, soweit die Voraussetzungen für die Begründung einer Zuständigkeit bei Verfahrensbeginn zutreffen, dies ausreichend ist. Wie für die Brüssel I-VO ist davon auszugehen, dass der Grundsatz der Fortdauer der einmal begründeten Zuständigkeit (perpetuatio fori) zur Anwendung kommt.9 13 Dieser Zeitpunkt kann ebenfalls autonom bestimmt werden, indem auf Art 9 lit a zurück-

gegriffen wird.10 Wenn die Einreichung des Antrags maßgebend ist, um die Priorität zwischen mehreren angerufenen Gerichten zu klären, so muss dieser Zeitpunkt auch ausreichen, um die Zuständigkeit zu begründen. Vorrang kann einem Gericht nur zukommen, wenn es auch die Entscheidungsmacht hat. Auf Art 9 lit b – Zeitpunkt der Übergabe an die für die Zustellung verantwortliche Stelle – kann es jedoch nicht ankommen, weil das Kriterium auf das Gericht zutreffen muss. 14 Daraus folgt: Die Zuständigkeit wird begründet, wenn der Beklagte oder der Unterhalts-

berechtigte zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts im Gerichtsbezirk seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Diese Zuständigkeit entfällt nicht, wenn der gewöhnliche Aufenthalt danach aufgegeben wird.11 Wird der gewöhnliche Aufenthalt während des Verfahrens im

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Ua Kropholler/von Hein vor Art 2 Brüssel I-VO Rn 13; wie hier Prütting/Helms/Hau § 110 Anh 3 Rn 33. Ua Kropholler/von Hein vor Art 2 Brüssel I-VO Rn 14; Rauscher/Mankowski Art 2 Brüssel I-VO Rn 4; . wie hier NK-ZPO/Dörner Rn 5; Prütting/Helms/Hau § 110 Anh 3 Rn 34. Für die entsprechende Lösung bei der Brüssel I-VO Kropholler/von Hein vor Art 2 Brüssel I-VO Rn 15. Für Art 5 Nr 2 Brüssel I-VO BGH v 17.4.2013 – XII ZR 23/12, IPRax 2013, 581 = FamRZ 2013, 1113

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 3 EG-UntVO

Gerichtsbezirk begründet, so reicht dies jedenfalls für die Zuständigkeitsbegründung. Der späteste Zeitpunkt ist die Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz.12 Der Grundsatz der perpetuatio fori gilt nicht für die Klageänderung, wenn ein neuer Streit- 14a gegenstand eingeführt wird.13 Für die Frage, ob eine Identität des Streitgegenstandes besteht, sind die Auslegungskriterien für Art 12 zugrunde zu legen.14 Es kommt also darauf an, ob es im Kern um denselben Anspruch geht. Hiervon ausgehend, liegt beim Wechsel von der Leistungsklage zur Stufenklage eine Identität des Streitgegenstandes vor, wenn beide denselben Lebenssachverhalt betreffen und demselben Zweck, nämlich der Durchsetzung der Unterhaltspflicht dienen.15 Folglich bleibt die internationale Zuständigkeit bestehen, wenn im Zeitpunkt des Eingangs der Klageumstellegung bei Gericht die zuständigkeitsbegründenden Kriterien nicht mehr zutreffen. Besonderheiten gelten für die Annexzuständigkeiten nach lit b und c. Da sich diese aus den 14b einzelstaatlichen Regelungen der Mitgliedstaaten ableiten, ist diesen auch der maßgebliche Zeitpunkt zu entnehmen. 6. Grenzüberschreitender Bezug? Dem Wortlaut des Art 3, insbesondere von lit a und b, ist nicht zu entnehmen, dass seine 15 Anwendung einen grenzüberschreitenden Bezug des Sachverhalts voraussetzt. Er könnte also auch auf rein innerstaatliche Fälle anzuwenden sein. Dies hätte zur Folge, dass die Bestimmungen der nationalen Verfahrensrechte zur örtlichen Zuständigkeit in Unterhaltssachen weitgehend an Bedeutung verlören. Das Problem ist bei der EG-UntVO von besonderer Brisanz, weil sie im Unterschied zu den allgemeinen Zuständigkeiten nach den Brüssel I und IIa-VO eben nicht nur die internationale Zuständigkeit regelt und nicht wie diese, die örtliche Zuständigkeit dem nationalen Recht überlässt. Die besondere Zuständigkeit für Unterhaltssachen in Art 5 Nr 2 Brüssel I-VO, die die örtliche Zuständigkeit mit erfasst, setzt stets einen grenzüberschreitenden Bezug voraus, da der Beklagte seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Gerichtsstaat haben muss. In den Erwägungsgründen finden sich Passagen, die für eine Beschränkung der Zuständig- 16 keiten auf Sachverhalte mit grenzüberschreitenden Bezügen herangezogen werden können, obwohl der Begriff der internationalen Zuständigkeit nicht verwandt wird.16 Im ErwGr 1 wird die EG-UntVO in die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen eingeordnet. Im ErwGr 2 findet sich ein Verweis auf Art 65 lit b EGV, wonach die Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen auf die Vermeidung von Kompetenzkonflikten

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Rn 21 f. Für die Brüssel I-VO im Allgemeinen BGH v 1.3.2011 – XI ZR 48/10, FamRZ 2011, 884 = NJW 2011, 2515 Rn 24. Vgl Kropholler/von Hein vor Art 2 Brüssel I-VO Rn 13. Noch bezogen auf Art 27 Brüssel I-VO BGH v 17.4.2013 – XII ZR 23/12, IPRax 2013, 581 = FamRZ 2013, 1113 Rn 23. BGH v 17.4.2013 – XII ZR 23/12, IPRax 2013, 581 = FamRZ 2013, 1113 Rn 26; siehe deshalb Art 12 Rn 5 ff. BGH v 17.4.2013 – XII ZR 23/12, IPRax 2013, 581 = FamRZ 2013, 1113 Rn 29. Anders ErwGr 2 Brüssel I-VO.

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gerichtet sind. Kompetenzkonflikte entstehen jedoch tatsächlich nur bei Sachverhalten mit grenzüberschreitenden Bezügen. 17 ErwGr 4 bezieht sich auf die Tagung des Europäischen Rates in Tampere am 15./16.10.1999,

auf der das Ziel formuliert wurde, gemeinsame Verfahrensregeln für eine vereinfachte und beschleunigte Beilegung von grenzüberschreitenden Streitfällen, insbesondere in Unterhaltssachen, aufzustellen. Auch aus ErwGr 10 lässt sich das Erfordernis eines grenzüberschreitenden Bezugs ableiten. Der Begriff „Kompetenzkonflikte“ wird im unmittelbaren Zusammenhang zu den Kollisionsnormen, der Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Entscheidungen und der behördlichen Zusammenarbeit gebraucht. Auch hier wird ein grenzüberschreitender Bezug vorausgesetzt. Wenn der europäische Gesetzgeber mit der Verordnung die nationalen Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit im allgemeinen harmonisieren wollte, hätte er dies in den Erwägungsgründen deutlich machen und seine Kompetenz hierfür auch begründen müssen. Für die Anwendung der Art 3 ff EG-UntVO ist folglich erforderlich, dass die Unterhaltssache einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist.17 18 Im Übrigen ist zu unterscheiden, ob es um die internationale oder örtliche Zuständigkeit

geht. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist bei jedem Fall mit Auslandsberührung zu prüfen. Dies muss unter Anwendung der EG-UntVO erfolgen, denn sie hat für die internationale Zuständigkeit eine einheitliche, die nationalen Bestimmungen ersetzende Regelung zum Ziel.18 Dabei kommt es an sich nicht darauf an, welcher Art der Auslandsbezug ist.19 19 Bezogen auf die örtliche Zuständigkeit ist jedoch das Kriterium der Auslandsberührung

strenger zu fassen.20 Ohne Eingrenzung führt Art 3 EG-UntVO rechtspraktisch zu einer erheblichen Einschränkung des Anwendungsbereiches der innerstaatlichen Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit. Gemeint sind die häufigen Fälle, in denen alle Beteiligte ihren Lebensmittelpunkt im Gerichtsstaat haben und nur durch die Staatsangehörigkeit beider oder eines Beteiligten, möglicherweise nur durch eine nicht effektive ausländische Staatsangehörigkeit ein grenzüberschreitender Bezug gegeben ist.21 Der Antragssteller wäre hier durch Art 3 gegenüber demjenigen in einem rein innerstaatlichen Fall durch alternative Gerichtsstände privilegiert, ohne dass dafür Gründe ersichtlich sind. Um die Relevanz zu verdeutlichen, sei ein Beispiel genannt: Unterhaltsberechtigter und -verpflichteter leben in Deutschland, der eine in Berlin und der andere in Düsseldorf. Einer von ihnen besitzt neben der deutschen eine ausländische Staatsangehörigkeit. Würde die Staatsangehörigkeit für den grenzüberschreitenden Bezug ausreichen, könnte der Berechtigte nach Art 3 wählen, ob er den Antrag bei dem Gericht des gewöhnlichen Aufenthalts des Antragsgegners oder bei dem Gericht geltend macht, in dessen Bezirk er selbst seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Wäre wegen Fehlens eines grenzüberschreitenden Moments die EG-UntVO nicht anwendbar, 17

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BT-Drs 17/4887, 41; NK-ZPO/Dörner Rn 2; Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 27; Gruber IPRax 2010, 128, 132. BT-Drs 17/4887, 41. NK-ZPO/Dörner Rn 2; Prütting/Helms/Hau § 110 Anh 3 Rn 14; insoweit Abweichung zur 1. Auflage. AA Prütting/Helms/Hau § 110 Anh 3 Rn 15, 44. Zweifelnd an der Anwendbarkeit der EG-UntVO Geimer/Schütze/Reuß, Art 1 Rn 8; anders Wagner, FamRZ 2006, 979, 982.

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würde nach dem autonomen deutschen Recht ein solches Wahlrecht nicht bestehen. Der Antrag müsste beim Gericht am gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners eingereicht werden. Nach deutschem Verfahrensrecht ist die Annexzuständigkeit bei Anhängigkeit einer Ehesache nach § 232 Abs 1 Nr 1 FamFG ausschließlich. Würde die Staatsangehörigkeit eines der Beteiligten für die Anwendung von Art 3 bezogen auf die örtliche Zuständigkeit ausreichen, so würde aus dieser zwingenden Zuständigkeit eine alternative werden. Der europäische Gesetzgeber hat die örtliche Zuständigkeit in Sachverhalten mit Auslands- 20 berührung gleich mitgeregelt, um hier den Zugang zu den Gerichten in grenzüberschreitenden Fällen zu erleichtern.22 Dem Antragsteller aus dem Ausland wird es erspart, die Zuständigkeiten nach nationalem Recht zu ergründen. Dieser Gesichtspunkt entfällt, wenn alle Beteiligten im Inland leben, auch wenn sie oder einer von ihnen eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen. Die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit23 sind nur dann gewahrt, wenn Art 3 EG-UntVO bezogen auf die örtliche Zuständigkeit bei der Auslegung teleologisch reduziert wird.24 Die innerstaatlichen Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit werden deshalb durch Art 3 EG-UntVO nur dann verdrängt, wenn wenigstens eine an der Unterhaltssache beteiligte Person ihren gewöhnlichen oder schlichten Aufenthalt,25 der nicht nur ganz kurzfristig sein darf, im Ausland hat.26 Als Beteiligte in diesem Sinne sind anzusehen, die Parteien des Verfahrens sowie der Unterhaltsberechtigte und -verpflichtete, soweit sie nicht Partei sind, zB bei Prozessstandschaft. Das Fehlen eines örtlich zuständigen Gerichts nach innerstaatlichem Recht ist nicht zu befürchten. Ist der Anwendungsbereich von Art 3 für die örtliche Zuständigkeit eröffnet, so wird für das Verfahren in Deutschland § 232 FamFG verdrängt.27 7. Regelungen des AUG Bei drei Bestimmungen des AUG stellt sich die Frage nach ihrer Vereinbarkeit mit Art 3. Die 21 eine betrifft die Regelung in § 26 Abs 2 AUG, dass § 233 FamFG unberührt bleibt. Danach ist, soweit eine Ehesache bei einem Gericht rechtshängig wird und bereits eine von der Annexzuständigkeit nach § 232 Abs 1 FamFG erfasste Unterhaltssache bei einem anderen Gericht im ersten Rechtszug anhängig ist, Letztere von Amts wegen an das Ehegericht abzugeben.28 Das berechtigte Regelungsanliegen ist, die gesetzlich vorgeschriebene Zuständigkeitskonzentration auch bei Verfahren mit internationalem Bezug zu sichern. Nicht geregelt ist der Fall, dass die Ehesache bereits anhängig ist und die Unterhaltssache bei einem nach Art 3 lit a oder b zuständigen deutschen Gericht anhängig gemacht wird. Die Reglung gehört zur örtlichen Zuständigkeit.29 Die Lösung steht im Widerspruch zum Wortlaut des Art 3, aus dem die Gleichrangigkeit der Gerichtsstände und damit das Wahlrecht

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Zur Zielstellung ErwGr 45; BegrRegE BT-Drs 17/4887, 41. Vgl Art 5 Abs 3 AEUV. Im Ergbnis ähnlich: Gruber IPRax 2010, 128, 133. Schlichter Aufenthalt im Sinne von ErwGr 32 zu verstehen. Ähnlich auf den gewöhnlichen Aufenthalt abstellend Gruber IPRax 2010, 128, 133. Prütting/Helms/Hau § 110 FamFG Anh 3 Rn 44; Rauscher FamFR 2012, 216. Zur Vorschrift im Zusammenhang mit Art 3 näher Andrae, Internationales Familienrecht3 (2014) § 8 Rn 53. Heger/Selg FamRZ 2011, 1101, 1105 (Randfragen der örtlichen Zuständigkeit).

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des Antragsstellers folgt.30 Deshalb müssen beide Regelungen durch Auslegung in Übereinstimmung gebracht werden. Vorstellbar ist es, Art 3 dahingehend einschränkend auszulegen, dass er die einzelstaatliche Verfahrenskonzentration, die ihren Grund in materiellrechtlichen Erwägungen hat, nicht berührt. Der Unterhaltsbeteiligte mit Aufenthalt im Ausland wird dadurch nicht beschwert, da er sowieso am Gerichtsstand für die Statussache gerichtspflichtig ist. Diese Auslegung lässt sich mit den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit rechtfertigen.31 Ein anderer Vorschlag geht dahin, § 26 Abs 3 AUG, § 233 FamFG dahin gehend korrigierend auszulegen, dass eine Abgabe an das Gericht der Ehesache nur auf Antrag des Klägers im Unterhaltsverfahren erfolgen darf.32 21a Eine weitere Bestimmung betrifft § 28 AUG, der die Verfahrenskonzentration in den Fällen

des Art 3 lit a und b bei einem Amtsgericht innerhalb eines Oberlandesgerichtsbezirks vorschreibt.33 Umstritten ist, ob § 28 AUG mit Art 3 konform geht. Das hängt davon ab, ob er als Bestimmung zur örtlichen Zuständigkeit34 oder zur Gerichtsorganisation einzuordnen ist.35 Für Letzteres spricht der Sinn und Zweck der Regelung. Sie zielt darauf, Verfahren in Unterhaltssachen mit internationalem Bezug an einem Familiengericht im jeweiligen Bezirk eines Oberlandesgericht zu konzentrieren, um dann durch personelle und sachliche Ausstattung optimale Voraussetzungen für die Rechtsprechung in solchen Fällen zu schaffen. Die Regelung soll mit Rücksicht auf die mögliche Anwendbarkeit ausländischen Rechts Kompetenz bündeln und mit Auslandsfällen selten befasste Gerichte entlasten.36 Dagegen wird argumentiert, dass § 28 AUG eine von Art 3 lit a und b abweichende örtliche Zuständigkeit zur Folge hätte und deshalb nicht verordnungskonform sei. In seinen Schlussanträgen zu den anhängigen Verfahren ist der Generalanwalt Jääskinen diesem Argument gefolgt.37 Die Regelung bringe für den Einzelnen Verfahrensnachteile mit sich, die geeignet seien, die Ausübung der aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte übermäßig zu erschweren. Dem Gericht, das aufgrund des gewöhnlichen Aufenthaltsorts der berechtigten Personen, normalerweise zuständig sei, werde seine Zuständigkeit entzogen, während diese Zuständigkeit für Entscheidungen über identische Klagen, die ihrerseits aber keinerlei Auslandsbezug aufweisen, erhalten bleibe. Fraglich ist jedoch in diesem Zusammenhang, ob 30 31 32 33

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Im Ergebnis wie hier MünchKommFamFG/Lipp Rn 38. Vgl Art 5 AEUV. MünchKommFamFG/Lipp Rn 37. Folgende Verfahren sind bezogen auf diese Frage beim EuGH anhängig: Rs C-400/13 Sanders/Verhaegen ABl EU 2013 C 274/13; Rs C-408/13 Huber/Huber ABl EU 2013 C 274/15; kritisch zur Vorschrift: Prütting/Helms/Hau § 110 FamFG Anh 3 Rn 44; MünchKommFamFG/Lipp Rn 37; ohne Einschränkung angewandt OLG Frankfurt v 11.1.2012 – 1 UFH 43/11 FamRZ 2012, 1508; OLG Stuttgart v 13.11.2012 – 17 UF 262/12 FamRZ 2013, 559. OLG Düsseldorf v 25.11.2013 – II-2 SAF 15/13, 2 SAF 15/13 FamRZ 2014, 583; AG Düsseldorf v 9.7. 2013 – 269 F 107/13; AG Karlsruhe 17.6.2013 – 4 F 30/13 FamRZ 2014, 1310; Hausmann IntEuSchR C Rn 393; Prütting/Helms/Hau Anh § 110 FamFG Rn 44; Rauscher, FamFR 2012, 216 (örtliche Komponente). BT-Drs 17/4887, 42; Heger FPR 2013, 1, 3; vgl § 13 a GVG, wonach jedoch hierfür die Zuständigkeit des Landes gegeben ist. BT-Drs 17/4887, 42; Heger/Selg FamRZ 2011, 1011, 1105; Heger FPR 2013, 1, 3. Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen Rs C-400/13 Sanders/Verhaegen und C-408/13 Huber/ Huber v 4. September 2014, insbesondere Rn 72 ff, http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/? uri=CELEX:62013CC0400&qid=1413813552870.

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Regelungszweck von Art 3 lit a und b ist, dem Verfahrensbeteiligten aus dem Gerichtsstaat ein örtlich nahes Gericht zu garantieren. § 28 AUG wirkt nicht zum Nachteil der Partei, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, denn dieser dürfte es egal sein, bei welchem Amtsgericht in dem betreffenden Oberlandesgerichtsbezirk das Verfahren stattfindet. Problematisch ist jedoch, dass – soweit die Sache bei dem nach § 28 AUG nicht zuständigen Amtsgericht anhängig gemacht wird – die Verweisungsvorschriften der ZPO Anwendung finden und damit die Verweisung nur auf Grund eines Antrags erfolgt.38 Für einen auswärtigen Antragsteller kann dies die Rechtsverfolgung im Inland erschweren. Letztlich geht es um § 29 AUG. Dieser besagt, dass im Anwendungsbereich der EG-Mahn- 21b VO § 1087 ZPO unberührt bleibt. Damit wird eine gerichtsorganisatorische Zuständigkeitskonzentration für das ganze Bundesgebiet beim Amtsgericht Wedding in Berlin erreicht. In diesem Zusammenhang besteht das Problem der Konkurrenz zwischen der Zuständigkeit nach der EG-MahnVO und der EG-UntVO. In Art 6 EG-MahnVO wird für die Zuständigkeit auf die hierfür geltenden Vorschriften des Gemeinschaftsrechts verwiesen. Wird dies nur als Verweis auf die internationale Zuständigkeit verstanden,39 dann kann der deutsche Gesetzgeber die Zuständigkeitskonzentration auch auf die Unterhaltssachen erstrecken. Art 6 EG-MahnVO sieht jedoch eine solche Beschränkung nicht vor, so dass auch die örtliche Zuständigkeit mit eingeschlossen sein könnte.40 Letzteres hätte vor allem den Vorteil, dass von Beginn an das Gericht mit der Sache befasst wird, das bei Einlegung eines Widerspruchs für die Weiterführung des Verfahrens zuständig ist. Erfasst Art 6 EG-MahnVO auch die örtliche Zuständigkeit, dann geht § 29 AUG zu weit, weil er im Ergebnis die Zuständigkeitskriterien nach der EG-UntVO ausschaltet. Für das einzelstaatliche Mahnverfahren sieht das AUG keine gesonderten Vorschriften für die örtliche Zuständigkeit vor. Die Bestimmungen der EG-UntVO zur örtlichen Zuständigkeit verdrängen §§ 689 und 703d ZPO, § 28 AUG findet Anwendung.41 Einschränkungen der Zulässigkeit ergeben sich, soweit die Zustellung im Ausland erforderlich ist. Nach § 688 Abs 3 ZPO iVm § 75 AUG kann ein Mahnverfahren nur eingeleitet werden, wenn diese in einem anderen Mitgliedstaat oder Vertragsstaat erfolgt. Vertragsstaaten sind Teilnehmerstaaten des LugÜbk 2007, des HUntVerfÜbk 2007 oder HUntAVÜbk 1973. Ob hierunter auch Israel42 und Tunesien43 auf Grund der bilateralen Abkommen zur Anerkennung und Vollstreckung fallen, ist zweifelhaft, da sie vom Anwendungsbereich des AUG nicht erfasst sind.44

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OLG Stuttgart FamRZ 2013, 559. So ua Rauscher/Gruber Art 6 EG-MahnVO Rn 1, 24, 25; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 6 EuMVVO Rn 1; Fasching/Konecny/Kodak Art 6 EG-MahnVO Rn 17. So ua MünchKommZPO/Ulrici Art 6 EG-MahnVO Rn 8; offen gelassen Sujecki NJW 2007, 1622, 1623. AA MünchKommFamFG/Lipp Art 68 Rn 1 4 (nach § 703d ZPO). Deutsch-israelischer Vertrag über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v 20.7.1977 (BGBl 1980 II 925, 1531). Deutsch-tunesischer Vertrag über Rechtsschutz und Rechtshilfe, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit v 19.7.1966 (BGBl II 1969, S 889) mit AusfG v 29.4.1969 (BGBl 1969 I 333). Bejahend MünchKommFamFG/Lipp Art 68 Rn 12.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

II. Einzelne Gerichtsstände 1. Gerichtsstand des Beklagten 22 Der Begriff Beklagter ist im weiten Sinne zu verstehen. Gemeint ist die Person, gegen die die

Klage/der Antrag in einem Verfahren über die Unterhaltspflicht vor einem Gericht/einer Behörde in einem Mitgliedstaat gerichtet ist. Geregelt sind die internationale und örtliche Zuständigkeit. Die internationale Zuständigkeit der Gerichte des betreffenden Mitgliedstaates ist gegeben, wenn der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Gerichtsstaat hat. Hat der Beklagte keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Gerichtsbezirk, hat er jedoch seinen gewöhnlichen Aufenthalt auf dem Gebiet des Staates des angerufenen Gerichts, so können die innerstaatlichen Vorschriften zur Verweisung an das nach lit a zuständige örtliche Gericht zur Anwendung kommen.45 Hat der Beklagte einen gewöhnlichen Aufenthalt in zwei Staaten,46 darunter im Staat des angerufenen Gerichts, so reicht das für die Zuständigkeitsbegründung. a) Gewöhnlicher Aufenthalt 23 Der gewöhnliche Aufenthalt ist in der EG-UntVO nicht definiert. Er ist Hauptkriterium für

die Begründung der internationalen Zuständigkeit und zugleich Hauptanknüpfungspunkt im HUntStProt 2007.47 Auch das HUntStProt 2007, das HUntVerfÜbk 2007 sowie die früheren Haager Übereinkommen zum Unterhalt definieren den Begriff nicht. Er hat durch die Rechtsprechung der nationalen Gerichte zu den Haager Unterhaltsübereinkommen, insbesondere zum Kollisionsrecht, Konturen erhalten. 24 Der ErwGr 8 steht dafür, dass für die Auslegung des Begriffs auf seine Prägung, die er durch

die Rechtspraxis bei Anwendung der Haager Übereinkommen erhalten hat, zurückgegriffen wird. Dafür spricht auch, dass der Begriff für die Zuständigkeit und für das Kollisionsrecht einheitlich ausgelegt werden sollte. Neben dem gewöhnlichen Aufenthalt wird in der EGUntVO auch an den Aufenthalt48 geknüpft und dieser wird wiederum vom Kriterium der bloßen Anwesenheit abgegrenzt.49 Damit übernimmt die EG-UntVO die Differenzierung des HUntVerfÜbk 2007.50 Gleichzeitig gibt es Parallelen zu der Brüssel IIa-VO.51 Hier sind der gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten bzw des Kindes Hauptkriterien für die internationale Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten in Ehesachen und für die Verfahren der elterlichen Verantwortung. Für letztere gibt es wiederum Bezüge zu den Haager Übereinkommen, nämlich dem MSA,52 dem KSÜ53 und dem HKEntÜbK 198054. Auch die Brüs-

45 46 47 48 49 50 51 52 53 54

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Im dt Recht § 281 Abs 1 ZPO. Ablehnung eines doppelten gewöhnlichen Aufenthalt für die EG-UntVO Geimer/Schütze/Reuß Rn 22. Zum HUntStProt 2007 Art 3. Art 44 Abs 1. ErwGr 32. Siehe Art 20 Abs 1 lit a, c und d sowie Art 9 HUntVerfÜbk 2007. So auch Fasching/Konecny/Fucik Rn 3. Art 1 MSA. Art 5 KSÜ. Art 4 HKindEntÜbk 1980.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 3 EG-UntVO

sel IIa-VO und das KSÜ kennen die Unterscheidung zwischen dem gewöhnlichen Aufenthalt und dem Aufenthalt.55 In den Fokus gerät die Frage, ob zumindest für familienrechtliche Rechtsakte der Gemein- 25 schaft der Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ einheitlich auszulegen ist, und welche Rolle hierbei seine Prägung durch die Rechtspraxis und Lehre in Bezug auf die Haager Übereinkommen zu dem Unterhalt und der elterlichen Verantwortung spielt. In der Rechtssache C-523/07 hat der EuGH den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts für 26 Art 8 Abs 1 Brüssel IIa-VO ausgelegt.56 Auch hierfür trifft zu, dass aus dem Erfordernis sowohl der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts als auch des Gleichheitssatzes folgt, dass die Begriffe einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts in der Regel eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen.57 Der Begriff ist im Zusammenhang mit dem Regelungskontext entsprechend seinem Sinn und Zweck zu konkretisieren.58 Dabei ist der gewöhnliche Aufenthalt anhand aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalles zu ermitteln.59 So sind neben der körperlichen Anwesenheit des Kindes in einem Mitgliedstaat auch andere Umstände zu berücksichtigen, die Ausdruck einer gewissen Integration in ein soziales und familiäres Umfeld sind, wie etwa die Dauer, die Regelmäßigkeit und die Verhältnisse des Aufenthaltes sowie die Gründe für diesen Aufenthalt und den Umzug der Familie in diesen Staat, die Staatsangehörigkeit des Kindes, Sprachkenntnisse und die sozialen Bindungen des Kindes.60 Ob der gewöhnliche Aufenthalt in einem Mitgliedstaat gegeben ist, ist vom nationalen Gericht anhand dieser Kriterien in einer Gesamtbetrachtung festzustellen.61 Im Kern ist dem Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes mE ein übereinstimmender Inhalt 27 in familienrechtlichen Rechtsakten der Gemeinschaft für die internationale Zuständigkeit und das anwendbare Recht beizumessen. Bei der Subsumtion im konkreten Fall bleibt dann dem nationalen Richter hinreichend Spielraum, für die Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände, die im konkreten Fall von Bedeutung sind;62 wobei auch die Regelungssystematik und der Sinngehalt der jeweiligen Anknüpfung Beachtung finden können. Bei der EG-UntVO spielt in diesem Zusammenhang sicherlich eine Rolle, dass sie – anders 28 als die Brüssel IIa-VO für die elterliche Verantwortung – keine Ersatzzuständigkeit vorsieht, wenn die für die Zuständigkeit ausschlaggebende Person nirgendwo einen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Für sie ist deshalb möglichst dieses Ergebnis zu vermeiden. Zudem kann die Frage, ob die betreffende Person einen gewöhnlichen Aufenthalt hat, nicht offen gelassen werden. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass die Kriterien für die Begründung des neuen gewöhnlichen Aufenthalts weniger streng zu handhaben sind, wenn im 55 56 57 58 59

60 61 62

Art 8, 13 Brüssel IIa-VO; Art 5, 6 KSÜ. EuGH Rs C-523/07 A EuGHE 2009 I 2805 = NJW 2009, 1868. Rn 34. Vgl auch EuGH Rs C-98/07 Nordania Finans/BG Factoring EuGHE 2008 I 1281 Rn 17. Rn 35. So bereits Generalanwältin Kokott Schlussanträge zu EuGH Rs C-523/07 A Rn 15 zu Art 8 Abs 1 Brüssel IIa-VO. EuGHE Rs C-523/07 A EuGHE 2009 I 2805 Rn 39 = NJW 2009, 1868. EuGHE Rs C-523/07 A EuGHE 2009 I 2805 Rn 42 = NJW 2009, 1868. Vgl Generalanwältin Kokott Schlussanträge zu EuGH Rs C-523/07 A Rn 15.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

anderen Fall für die Zuständigkeit das Ergebnis wäre, dass die Person ohne gewöhnlichen Aufenthalt im fraglichen Zeitpunkt ist. 29 Ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat eine Person in dem Staat, in dem sie ihren Daseins-

mittelpunkt hat.63 Dies ist der Ort, an dem sie sich nicht nur vorübergehend aufhält, an dem der Schwerpunkt ihrer Bindung, insbesondere in familiärer und beruflicher Hinsicht, besteht.64 Entscheidend sind in erster Linie die objektiven Merkmale der Dauer und der Beständigkeit des Aufenthalts.65 Eine bestimmte Frist hierfür gibt es nicht. Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, wann der Aufenthalt die notwendige Beständigkeit aufweist. Hierauf wirken entscheidend familiäre (wie Eheschließung, Nachzug der Familie, feste nichteheliche Lebensgemeinschaft), berufliche (wie unbefristetes Arbeitsverhältnis, Gründung eines Unternehmens oder Beteiligung daran) und soziale Umstände (wie Kontakte zu religiösen Gemeinschaften, zu Vereinen und Verbänden, kulturelle Verbindungen, freundschaftliche Beziehungen, auch nachbarschaftliche Beziehungen) ein.66 Ein wichtiger Aspekt ist auch die Verständigungsmöglichkeit in der Sprache des Aufenthaltsstaates, der jedoch dann zu relativieren ist, wenn man sich in der sozialen Umwelt der betreffenden Person vorwiegend in der Sprache des Herkunftsstaates verständigt. 30 Eine vorübergehende Abwesenheit verändert den gewöhnlichen Aufenthalt nicht, solange

der Lebensmittelpunkt bestehen bleibt. Jedoch „ist nicht mehr von einem gewöhnlichen Aufenthalt auszugehen, wenn eine Rückkehr an den ursprünglichen Aufenthaltsort aufgrund der tatsächlichen Umstände nicht mehr absehbar ist“.67 31 Der gewöhnliche Aufenthalt wird begründet:

– durch einen tatsächlich nicht zu geringen Aufenthalt und die dadurch entstandenen Bindungen der verschiedensten Art in einem bestimmten Staat. Bei dieser faktischen Begründung ist der subjektive Wille der Person, ihren Lebensmittelpunkt in diesem Staat zu begründen, nicht erforderlich. Notwendig ist jedoch eine gewisse Integration in die dortigen gesellschaftlichen Verhältnisse und die Aufnahme objektiv feststellbarer sozialer Beziehungen, was bei längerem Aufenthalt regelmäßig anzunehmen ist.68 32 – auch ohne eine längere Aufenthaltsdauer, wenn von vornherein ein längerfristiges Ver-

weilen und eine Integration in die gesellschaftlichen Beziehungen in diesem Staat beabsichtigt sind. Aus den Umständen muss sich ergeben, dass zukünftig anstelle des bisherigen Landes ein anderes Land Daseinsmittelpunkt sein soll.69 Zu diesen Umstän63

64

65

66 67 68

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Ua BGH v 29.10.1980 – IVb ZB 586/80, BGHZ 78, 293 = FamRZ 1981, 135; BGH v 5.2.1975 – IV ZB 103/73, NJW 1975, 1069; OLG München IPRspr 2005 Nr 198, 543; Rauscher IPR Rn 274; Rauscher/ Rauscher Art 3 Brüssel IIa-VO Rn 22. Ua BGH v 5.2.1975 – IV ZB 103/73, NJW 1975, 1069; BGH v 29.10.1980 – IVb ZB 586/80, FamRZ 1981, 135 = FamRZ 1981, 536 = NJW 1981, 520. Ua BGH v 3.2.1993 – XII ZB 93/90, IPRax 1994, 131 = FamRZ 1993, 798 = NJW 1993, 2047, 2049; OLG Karlsruhe v 2.10.1991 – 2a UF 35/91, FamRZ 1992, 316 = NJW-RR 1992, 1094; Spellenberg IPRax 1988, 1, 4 f. So Generalanwältin Kokott Schlussanträge zu EuGH Rs C-523/07 A Rn 40. Generalanwältin Kokott Schlussanträge zu EuGH Rs C-523/07 A Rn 42. BGH v 3.2.1993 – XII ZB 93/90, IPRax 1994, 131 = FamRZ 1993, 798 = NJW 1993 2047, 2049; BGH v 29.10.1980 – IVb ZB 586/80, FamRZ 1981, 135 = NJW 1981, 520; Rauscher IPR Rn 274.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 3 EG-UntVO

den gehören zB Anmietung von Wohnraum oder Erwerb einer Immobilie zu Wohnzwecken, Aufnahme einer unbefristeten Tätigkeit und die Anmeldung bei den zuständigen Behörden. Ein Aufenthalt muss jedoch auch hier begründet sein. Spiegelbildlich dazu sprechen die Aufgabe dieser Verbindungen zum bisherigen Aufenthaltsland und die Abmeldung bei den dortigen Behörden für die Aufgabe des bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsortes.70 Illegal sich in einem Mitgliedstaat aufhaltende bzw ausreisepflichtige Personen können den 33 gewöhnlichen Aufenthalt nicht von Beginn des Aufenthalts an begründen, weil dem fremdenrechtliche Bestimmungen entgegenstehen. Nicht ausgeschlossen ist jedoch die Begründung durch längeren Aufenthalt und gewisse soziale Integration, weil es in erster Linie auf die tatsächlichen Lebensumstände ankommt.71 Der gewöhnliche Aufenthalt kann ausnahmsweise ganz fehlen. Das ist dann der Fall, wenn der Aufenthalt in einem Staat gewollt nicht nur vorübergehend aufgegeben wird und sich nicht aus den Umständen ergibt, dass der gegenwärtige Aufenthalt nunmehr der Daseinsmittelpunkt dieser Person ist. b) Insbesondere gewöhnlicher Aufenthalt eines Kindes Der gewöhnliche Aufenthalt eines Kindes leitet sich nicht von dem seines Sorgerechtsbe- 34 rechtigten ab.72 Es bildet den räumlichen tatsächlichen Lebensmittelpunkt des Kindes.73 Erforderlich ist ein Aufenthalt von gewisser, nicht zu geringer Dauer in dem betreffenden Staat, wobei der Aufenthalt innerhalb des Staates durchaus wechseln kann. Feststehende Zeiten für die Mindestdauer des Aufenthalts gibt es nicht; der Zeitfaktor besitzt nur Indizienfunktion.74 Es kommt auch hier vor allem auf die Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts sowie die 35 familiäre und soziale Einbindung des Kindes an.75 Von Bedeutung kann dabei auch das Alter des Kindes sein. Ein nur vorübergehender Aufenthalt in einem anderen Staat hebt den gewöhnlichen Aufenthalt nicht auf, wenn der Lebensmittelpunkt des Kindes nach den Gesamtumständen im bisherigen Aufenthaltsstaat bestehen bleibt, zB bei einem auch längeren Ferienaufenthalt.76

69 70 71

72

73 74

75

76

BGH v 29.10.1980 – IVb ZB 586/80, FamRZ 1981, 135 = NJW 1981, 520. Generalanwältin Kokott Schlussanträge zu EuGH Rs C-523/07 A Rn 44. Ua Nagel/Gottwald IZPR § 3 Rn 311; Geimer IZPR Rn 299a; aA AG Landstuhl v 6.9.2001 – 1 F 247/99, FamRZ 2002, 1343 m krit Anm Gottwald (Ablehnung eines gewöhnlichen Aufenthalts nach sechsjährigem inländischen Aufenthalt); MünchKommZPO/Bernreuther § 606 ZPO Rn 17; Geimer/Schütze/ Reuß Rn 20 (Illegalität ist unerheblich). Zum MSA BGH v 18.6.1997 – XII ZB 156/96, FamRZ 1997, 1070 = NJW 1997, 3024; Staudinger/Kropholler (1994) Vorbem zu Art 19 EGBGB Rn 143 mwN. Generalanwältin Kokott Schlussanträge zu EuGH Rs C-523/07 A Rn 38. Generalanwältin Kokott Schlussanträge zu EuGH Rs C-523/07 A Rn 41; MünchKommBGB/Sonnenberger Einl IPR Rn 732 mwN; Winkler v Mohrenfels FPR 2001, 189, 190. Siehe hierzu auch EuGH Rs C-523/07 A NJW 2009, 1868; EuGH Rs C-497/10 Mercredi/Chaffe EUGHE 2010 I-14309 = IPRax 2012, 340 = FamRZ 2011, 617. Generalanwältin Kokott Schlussanträge zu EuGH Rs C-523/07 A Rn 42.

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36 Problematisch ist die Lösung bei langfristiger Unterbringung des Kindes in einem Internat

und Rückkehr in den Ferien nach Hause.77 Ähnlich ist die Situation bei einem Auslandsstudium. Für die Beibehaltung des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts spricht der von vornherein vorübergehende Charakter des Aufenthalts und das Bestehenbleiben der Familien- und sonstigen Kontakte. Gerade dieser Fall ist jedoch nicht unumstritten. Nach anderer Auffassung wäre der gewöhnliche Aufenthalt wegen der Sachnähe eher im Staat der Belegenheit des Internats oder am Studienort anzunehmen.78 Erforderlich ist eine Einzelfallbewertung.79 Neben dem Aufenthalt von gewisser Dauer müssen Umstände vorliegen, die eine dauerhafte Beziehung des Kindes zu seinem Aufenthaltsstaat anzeigen. Solche Umstände sind vor allem familiäre Bindungen (insbesondere Eltern, Geschwister, Großeltern und nahe Verwandte80), Besuch des örtlichen Kindergartens oder der Schule, Aktivitäten im Sportverein, kirchliche Bindung, Freundschaften und Kenntnis der Landessprache.81 Der gewöhnliche Aufenthalt bestimmt sich ausschließlich nach tatsächlichen Umständen, er hängt nicht von der Aufenthaltserlaubnis ab.82 37 Ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes kann auf zweierlei Art und Weise begründet

werden: Ein Wechsel kann schon bei einem Aufenthalt von sehr kurzer Dauer erfolgt sein, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der neue Aufenthalt auf Dauer angelegt ist83 und der neue Lebensmittelpunkt des Kindes sich dort befinden soll. Dies setzt jedoch einen entsprechenden Willen der Sorgerechtsberechtigten, die das Aufenthaltsbestimmungsrecht innehaben, voraus.84 Der Wille muss sich dabei in bestimmten äußeren Umständen manifestieren, wie sie unter Rn 32 aufgezählt sind. Für das Kind kommen hinzu Anmeldung und Besuch von Kindergarten, Schule und Sportverein. Ansonsten wird der neue gewöhnliche Aufenthalt durch die tatsächliche Dauer des Aufenthalts und die im Verlaufe des Aufenthalts entstandenen Bindungen der unter Rn 31 dargestellten Art begründet, sobald der neue Aufenthalt der Lebensmittelpunkt des Kindes ist. 37a Ein Säugling teilt zwangsläufig das soziale und familiäre Umfeld des Personenkreises, auf

den er angewiesen ist. Ist der Aufenthalt eines neugeborenen Kindes in einem Staat nach dem übereinstimmenden Willen der sorgerechtsberechtigten Kindeseltern nicht von vornherein lediglich auf wenige Tage, sondern zunächst auf ungewisse Dauer angelegt, begründet dies den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes.85 Wird der Säugling tatsächlich nur von einem Elternteil betreut, so kommt es auf dessen gewöhnlichen Aufenthalt an.86 77

78

79

80 81 82 83 84

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BGH FamRZ 1975, 272, 273; Soergel/Kegel Art 5 EGBGB Rn 46; Staudinger/Kropholler (1994) Vorbem zu Art 19 EGBGB Rn 140 f; MünchKommBGB/Sonnenberger Einl IPR Rn 732 jeweils mwN; Baetge IPRax 2001, 573, 575. Staudinger/Kropholler (1994) Vorbem zu Art 19 EGBGB Rn 155 f; MünchKommBGB/Sonnenberger Einl IPR Rn 732 f. Geimer/Schütze/Reuß Rn 21; OLG Hamm v 13.3.1989 – 10 WF 76/89, IPRax 1990, 58 = FamRZ 1989, 1331 (Beibehaltung des dt gewöhnlichen Aufenthalts), OLG Hamm v 2.5.2001 – 8 WF 27/01, FamRZ 2002, 54 (Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts am ausländischen Studienort). Generalanwältin Kokott Schlussanträge zu EuGH Rs C-523/07 A Rn 48. BGHZ 151, 63, 65; MünchKommBGB/Siehr Art 19 EGBGB Rn 10. OLG Wien ZfRV 2004, 75. Hierzu Winkler v Mohrenfels FPR 2001, 189, 191. BGHZ 78, 239, 135; OLG München IPRspr 2005 Nr 198, 543; hierzu näher Andrae, Internationales Familienrecht3 (2014) § 6 Rn 43.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 3 EG-UntVO

Auch bei Entführung oder Vorenthaltung eines Kindes richtet sich die Bestimmung des 38 gewöhnlichen Aufenthalts nach den allgemeinen Kriterien.87 Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts ist keine notwendige Voraussetzung für einen gewöhnlichen Aufenthalt.88 Fehlt der entsprechende Wille des anderen sorgerechtsberechtigten Elternteils, so kann der Aufenthalt des Kindes in dem anderen Staat zunächst noch nicht als auf Dauer angelegt angesehen werden.89 In einem solchen Fall bleibt der alte gewöhnliche Aufenthalt solange bestehen, bis der neue (rechtswidrige) Aufenthalt der tatsächliche Lebensmittelpunkt des Kindes geworden ist.90 Letzteres trifft erst zu, wenn der Aufenthalt des Kindes im Zufluchtsstaat von nicht geringer Dauer und eine soziale Integration insoweit erfolgt sind, dass es sich im neuen Aufenthaltsstaat eingelebt hat.91 c) Hilfsgerichtsstand Art 3 sieht keinen Hilfsgerichtsstand für den Fall vor, dass der Antragsgegner weder im 39 Inland noch im Ausland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ist nach der EG-UntVO die Zuständigkeit der Gerichte keines Mitgliedstaates in der konkreten Unterhaltssache gegeben, so könnte sie zwar über die Notzuständigkeit nach Art 7 begründet werden. Die Funktion der Notzuständigkeit92 besteht jedoch nicht darin, erkennbare Lücken in den Normen über die Zuständigkeit zu schließen. Besser ist es deshalb für den Fall, dass der Beklagte keinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Staat hat, eine ungeschriebene lückenschließende Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaates anzunehmen. In Betracht kommt die Anknüpfung an den Aufenthalt in einem Mitgliedstaat, der die bloße Anwesenheit jedoch ausschließt93 oder den letzten gewöhnlichen Aufenthalt, wenn dieser in einem Mitgliedstaat lag.94 2. Gerichtsstand des Unterhaltsberechtigten a) Regelungszweck Lit b schafft einen den Unterhaltsberechtigten begünstigenden Gerichtsstand. Für Anträge 40 85 86

87

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91 92 93 94

OLG Saarbrücken v 5.11.2010 – 9 UF 112/10, FamRZ 2011, 1235 Rn 27. EuGH Rs C-497/10 Mercredi/Chaffe EUGHE 2010 I 14309 = IPRax 2012, 340 = FamRZ 2011, 617 Rn 54 ff. BGH v 5.6.2002 – XII ZB 74/00, FamRZ 2002, 1182 m Anm Bauer IPRax 2003, 135, 136; BGH v 29.10. 1980 – IVb ZB 586/80, FamRZ 1981, 135 = NJW 1981, 520. BGH v 22.6.2005 – XII ZB 186/03, NJW 2005, 3424, 3427; BGH v 5.6.2002 – XII ZB 74/00, FamRZ 2002, 1182. BGH v 29.10.1980 – IVb ZB 586/80, BGHZ 78, 293, 294 = FamRZ 1981, 135; OLG Nürnberg v 24.4.2003 – 11 UF 682/01, FamRZ 2003, 163; OLG Hamm v 21.10.1991 – 4 WF 282/91, IPRax 1993, 104, 105. Insb zum MSA mwN ua BGH v 5.6.2002 – XII ZB 74/00, FamRZ 2002, 1182 = NJW 2002, 2955; OLG Nürnberg v 24.4.2003 – 11 UF 682/01, FamRZ 2003, 163; Palandt/Thorn Art 5 EGBGB Rn 11 sowie Anh zu Art 24 EGBGB Rn 12; siehe auch BVerfG v 29.10.1998 – 2 BvR 1206/98, FamRZ 1999, 85 = NJW 1999, 631. Zur mittlerweile veralteten aA (keine Änderung des gewöhnlichen Aufenthalts) siehe ua die Nachweise in OLG Hamm v 24.6.1996 – 12 WF 130/96, NJW-RR 1997, 5, 6. OGH Wien IPRax 2001, 142. Hierzu Art 7 Rn 1 ff. Wie in ErwGr 12. AA Geimer/Schütze/Reuß Rn 22 (Ausfall dieses Zuständigkeitsgrundes).

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

des Unterhaltsverpflichteten fällt er mit lit a zusammen und hat deshalb für ihn keine selbständige Bedeutung. Der Gerichtsstand ist durch seine Sachnähe begründet. Die Gerichte des Mitgliedstaates, in dem der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, haben den besten Zugang zu den Umständen, aus denen dessen Bedarfe resultieren, die für die Bemessung des Unterhalts entscheidend sind. Der Regelungszweck stimmt mit dem von Art 5 Nr 2 Brüssel I-VO überein. Der Gerichtsstand dient dem Schutz des Unterhaltsberechtigten als typischerweise schwächeren Partei. Ihr soll der Vorteil eines räumlich nahen Gerichtsstands zustatten kommen und damit der Zugang zu den Gerichten erleichtert werden.95 b) Gewöhnlicher Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten 41 Unterhaltsberechtigte Person ist die natürliche Person, der der Unterhalt zusteht oder ver-

meintlich zusteht.96 Im Fall der Prozessstandschaft kommt es auf die Person an, die materiell-rechtlich (vermeintlicher) Inhaber des Anspruchs ist und nicht auf die, die die Prozessführungsbefugnis innehat. Mit der Beschränkung auf natürliche Personen wird klargestellt, dass bei Regressklagen von öffentlichen Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen (öAwE)97 kein Gerichtsstand am Sitz/an der Niederlassung der Einrichtung begründet wird.98 Dies folgt auch aus ErwGr 14, wonach der Begriff „berechtigte Person“ für die Zwecke des Antrags auf Anerkennung und Vollstreckung einer Unterhaltsentscheidung und damit nicht für die Zuständigkeit öAwE einschließt. 42 Auch bei einem sonstigen gesetzlichen, von der EG-UntVO erfassten Forderungsüber-

gang99 wird kein Gerichtsstand am gewöhnlichen Aufenthalt des Zessionars begründet, selbst wenn dieser eine natürliche Person ist.100 Nur der ursprünglich Berechtigte, dem der Unterhalt zusteht, nicht derjenige, der die Forderung erworben hat, ist mit berechtigte Person gemeint. Neben der Begriffsbestimmung im Art 2 Abs 1 Nr 10 lässt sich dies aus dem Sinn und Zweck des Gerichtsstandes des Unterhaltsberechtigten herleiten. Weder ist der Zessionar herausgehoben schutzwürdig, noch besitzt das Gericht an seinem gewöhnlichen Aufenthalt/seiner Niederlassung eine besondere Sachnähe. Zum anderen wäre eine solche Zuständigkeit vom Prozessgegner nicht voraussehbar. Zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts siehe Rn 23 ff, zum Anknüpfungszeitpunkt siehe Rn 12 ff, zum Fehlen des gewöhnlichen Aufenthalts im Gerichtsbezirk siehe Rn 22 entsprechend.101 c) Antragsberechtigter 43 Der Gerichtsstand steht jeder Person für einen Antrag zur Verfügung, der vom Anwen-

dungsbereich der EG-UntVO erfasst wird.102 Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied zu 95

96 97 98 99 100 101

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EuGH Rs C-295/95 Farrell/Long EuGHE 1997 I 1683 Rn 19; EuGH Rs C-433/01 Freistaat Bayern/Jan Blijdenstein EuGHE 2004 I 981 Rn 29 = IPRax 2004, 240; hierzu auch Rauscher/Leible Art 5 Brüssel I-VO Rn 61. Art 2 Abs 1 Nr 10. Hierzu Art 1 Rn 38 ff und Art 64. Wie hier MünchKommFamFG/Lipp Rn 21. Hierzu auch Art 2 Rn 13. Wie hier MünchKommFamFG/Lipp Rn 22. Zum doppelten gewöhnlichen Aufenthalt siehe Rn 22.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 3 EG-UntVO

Art 5 Nr 2 Brüssel I-VO. Da dieser Gerichtsstand nunmehr als alternativer allgemeiner Gerichtsstand geregelt ist, ist die Inanspruchnahme nicht auf den Unterhaltsberechtigten beschränkt. Auch der (angeblich) Unterhaltsverpflichtete kann den Gerichtsstand nutzen, zB um die Unterhaltsverpflichtung herabsetzen zu lassen oder für die Einbringung eines negativen Feststellungsantrags.103 Das Günstigkeitsprinzip, das für Art 5 Nr 2 Brüssel I-VO vertreten wird,104 ist mit Stellung und Inhalt der Neuregelung nicht vereinbar. Dasselbe gilt für die Auffassung, dass öAwE105 für ihre Regressanträge diese Zuständigkeit nicht nutzen können,106 weil sie sich in keiner Situation der Schwäche gegenüber dem Unterhaltsverpflichteten befinden. Auch öAwE steht dieser Gerichtsstand zur Verfügung.107 Für die Möglichkeit seitens der 44 öAwE, an diesem Gerichtsstand Anträge einzubringen, spricht, dass die Zuständigkeitsordnung der EG-UntVO abschließenden Charakter aufweist. Würden sie von diesem Gerichtsstand ausgeschlossen, hätte dies zur Folge, dass diesen in keinem Mitgliedstaat ein Forum zur Verfügung stünde, wenn sie Leistungen an Unterhaltsberechtigte im EU-Raum erbringen würden, soweit der Unterhaltsverpflichtete seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat hat.108 Dies würde dem allgemeinen öffentlichen Interesse an der Eintreibung von Schulden gegenüber säumigen Unterhaltsverpflichteten, an dessen Stelle die Einrichtung geleistet hat, zuwiderlaufen. Die Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen schließen öAwE nicht von der Anerkennungszuständigkeit der Gerichte des Staates aus, in dem der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.109 Dies ist ein Grund mehr, ihnen die Möglichkeit im EU-Raum zu bieten, diese Zuständigkeit im Erkenntnisverfahren zu nutzen. Die hier vertretene Auffassung befindet sich in Übereinstimmung mit dem Gesamtkonzept der Verordnung. Die öAwE können nach Art 56 Abs 1 zwar Anträge auf Rechtshilfe in Hinblick auf die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, nicht aber auf die Herbeiführung einer Entscheidung im Land des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsberechtigten stellen.110 Steht ihnen die Zuständigkeit nach Art 3 lit b offen, ist Letzteres nicht erforderlich, denn sie können eine Entscheidung im Land des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsberechtigten herbeizuführen, um diese dann über die Zentralen Behörden über die Grenze vollstrecken zu lassen. Wäre die Gegenauffassung richtig, dann 102 103 104 105 106

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109 110

Hierzu Art 1 Rn 1 ff. So auch Prütting/Helms/Hau § 110 Anh 3 Rn 36; aA NK-ZPO/Dörner Rn 5. Hierzu bereits Einl Rn 37. Zum Begriff siehe Art 64 Rn 1 f; außerdem Art 1 Rn 38 ff. EuGH Rs C-433/01 Freistaat Bayern/Jan Blijdenstein EuGHE 2004 I 981 Rn 30 = IPRax 2004, 240; m Anm Martiny IPRax 2004, 195; Neu EuZW 2004, 278. AG Stuttgart 4.09.2013 – 28 F 1133/13, FamRZ 2014, 786 m Anm Gottwald = IPRax 2014, 280; Andrae, Internationales Familienrecht3 (2014) § 8 Rn 50; Andrae FPR 2013, 38, 41f; Hausmann, IntEuSchR Rn C 95; MünchKommFamFG/Lipp Rn 19, Vor Art 3 ff Rn 29 ff; Geimer/Schütze/Reuß Rn 28; Mankowski IPRax 2014, 249ff; aA Coester-Waltjen/Lipp/Schumann/Veit/Hau S 57, 76; Hau FamRZ 2010, 516, 519; Kuntze FPR 2011, 166, 170f; Prütting/Helms/Hau Anh. § 110 FamFG Rn 40; Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 33; NK-ZPO/Dörner Rn 5; Nagel/Gottwald § 4 Rn 100; nicht eindeutig Martiny FamRZ 2014, 429, 432 f. Beispiel AG Stuttgart 4.9.2013 – 28 F 1133/13, FamRZ 2014, 786 m Anm Gottwald = IPRax 2014, 280 (Antragsgegner mit gewöhnlichen Aufenthalt in der Türkei und Bezieher einer Rente in Deutschland). Hierzu näher Andrae FPR 2013, 38, 41 f. Hierzu Art 56 Rn 2.

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Art 3 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

musste die öAwE ein Erkenntnisverfahren im Land des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsverpflichten auf der Grundlage von Art 3 lit a anhängig machen und könnte dafür nicht die Hilfe der Zentralen Behörden der Mitgliedstaaten in Anspruch nehmen. Dieses Ergebnis kann rechtspolitisch nicht gewollt sein. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Zentralen Behörden im Erkenntnisverfahren ist gerade deshalb nicht vorgesehen, weil davon ausgegangen wird, dass die öAwE regelmäßig die Entscheidung im Land der Unterhaltsberechtigten herbeiführen wird.111 Gegen die hier vertretene Auslegung spricht nicht, dass die internationale Zuständigkeit in Art 64 Abs 1 nicht genannt ist.112 Dies ist dem Umstand geschuldet, dass der Verordnungsgeber sich hier an Art 36 HUntVerfÜbk 2007 angelehnt hat und das Übereinkommen, die direkte internationale Zuständigkeit nicht regelt. 45 Der Gerichtsstand steht weiterhin Privaten zur Verfügung, die (vermeintliche) Unterhalts-

ansprüche geltend machen, die (vermeintlich) durch Zession erworben wurden, soweit sie vom Anwendungsbereich der EG-UntVO erfasst sind.113 Insoweit sollte eine Gleichstellung dieser Personen mit öAwE in Bezug auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Gerichte eines Mitgliedstaates erfolgen.114 Auch hier kommt es auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten und nicht des Zessionars an. 3. Nebenentscheidung im Statusverfahren 46 Lit c regelt die Annexzuständigkeit für die Entscheidung über den Unterhalt, wenn in der

Hauptsache ein Verfahren in der Personenstandssache an diesem Gericht anhängig ist. Die Zuständigkeit umfasst wiederum die internationale und die örtliche Zuständigkeit. 47 Voraussetzungen

Folgende Voraussetzungen müssen für diese Zuständigkeit kumulativ erfüllt sein: (a) Es muss eine Personenstandssache an diesem Gericht anhängig sein, und dieses Gericht muss nach dem Recht des Gerichtsstaates für diese Personenstandssache zuständig sein. Ist die Statussache nicht mehr anhängig, so kann die Zuständigkeit für die Unterhaltssache nicht mehr begründet werden. Im Übrigen gilt auch hier für die Unterhaltssache der Grundsatz der perpetuatio fori. Personenstandssachen sind Ehesachen (Scheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes, Ungültigkeitserklärung der Ehe und Feststellung des Bestehens/Nichtbestehens der 111 112 113

114

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Siehe für das HUntVerfÜbk 2007 Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007Rn 591. Argument bei Martiny FamRZ 2014, 429, 433. Hierzu Art 1 Rn 33 ff; aA Nagel/Gottwald § 4 Rn 101. Die Frage, ob zB private Inkassozessionare den Gerichtsstand nutzen können, stellt sich nicht, da Klagen dieser Art nicht von der EG-UntVO erfasst werden. Die Zuständigkeit hierfür ergibt sich aus der Brüssel I-VO; aA wohl Prütting/Helms/Hau Anh § 110 FamFG Rn 41. Wie hier MünchKommFamFG/Lipp Vorb Art 3 ff Rn 29. Für Art 5 Nr 2 Brüssel I-VO wurde hauptsächlich vertreten, dass dieser Gerichtsstand auch für die Legalzession in Bezug auf Privatpersonen nicht zur Verfügung steht, hierzu mwN Rauscher/Leible Art 5 Brüssel I-VO Rn 67a.; so auch für die EG-UntVO Prütting/Helms/Hau Anh § 110 FamFG Rn 42.

Oktober 2014

Kapitel II: Zuständigkeit

Art 3 EG-UntVO

Ehe), Lebenspartnerschaftssachen, die die vergleichbaren Gegenstände betreffen, Abstammungssachen (Feststellung und Anfechtung der Elternschaft/Verwandtschaft), Adoptionsverfahren. Für Ehesachen ergibt sich die internationale Zuständigkeit vorrangig aus der Brüssel IIa-VO, nur insoweit Art 7 die Restzuständigkeit nach einzelstaatlichem Recht eröffnet, kann sie aus einzelstaatlichem Recht der Mitgliedstaaten folgen. Die örtliche Zuständigkeit in der Ehesache regelt sich nach innerstaatlichem Recht. Für andere Personenstandssachen bestimmt sich die internationale und örtliche Zuständigkeit nach einzelstaatlichem Recht des Gerichtsstaates. (b) Die internationale Zuständigkeit in der Statussache darf sich nicht allein auf die Staats- 48 angehörigkeit einer am Statusverfahren beteiligten Person gründen. Damit bleibt die Zuständigkeit möglich, wenn sie darauf beruht, dass beide Parteien die Staatsangehörigkeit des Entscheidungsstaates haben.115 Sie kann auch dann in Anspruch genommen werden, wenn neben der Staatsangehörigkeit noch ein anderes Kriterium für die Zuständigkeit entscheidend ist.116 Der Tatbestand sollte auch als erfüllt angesehen werden, wenn die innerstaatliche Bestimmung ausschließlich die Staatsangehörigkeit einer Partei ausreichen lässt, aber andere alternative Anknüpfungspunkte erfüllt sind. Beispiel: Im deutschen Recht reicht es für die Begründung der Zuständigkeit in Abstam- 49 mungssachen aus, wenn das Kind, die Mutter oder der (vermeintliche) Vater Deutsche sind oder im Inland ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Die Anwendung von Art 3 lit c ist zB möglich, wenn wenigstens zwei der Personen die deutsche Staatsangehörigkeit haben oder einer von ihnen auch einen deutschen gewöhnlichen Aufenthalt. (c) Über die Unterhaltspflichten ist als Nebensache im Verfahren über den Personenstand 50 zu entscheiden. Ob die Unterhaltssache als Nebensache in einem solchen Verfahren eingebracht werden kann, bestimmt sich nach dem einzelstaatlichen Recht des Gerichtsstaates.117 Im deutschen Recht ist eine solche Annexzuständigkeit vorgesehen bei Anhängigkeit einer Ehesache (Lebenspartnerschaftssache) für den aus der Ehe (Lebenspartnerschaft) begründeten Unterhalt und den Unterhalt gemeinsamer Kinder (§ 232 FamFG) und eines Verfahrens zur Feststellung der Vaterschaft (§ 237 FamFG). Nach nationalem Recht regelt sich auch, bis zu welchem Zeitpunkt der Antrag in der Unterhaltssache anhängig gemacht werden muss, um die Annexzuständigkeit zu begründen. Auch wenn dies im nationalen Recht für die örtliche Zuständigkeit vorgesehen ist,118 ist sie nach Art 3 nicht ausschließlich.119 Für das deutsche Recht wird vertreten, dass von der Zuständigkeit nach Art 3 lit c bezogen 50a auf die Anhängigkeit einer Ehesache nur Unterhaltssachen als Folgesachen iSd § 137 Abs 1 und 2 FamFG erfasst werden.120 Danach sei es nicht möglich, an diesem Gerichtsstand auch 115 116

117 118 119

Wie hier Prütting/Helms/Hau § 110 Anh 3 Rn 31; Conti 83 f; Gebauer/Wiedemann/Bittmann Rn 37. ZB Art 3 Abs 1 lit a Str 6 Brüssel IIa-VO, Staatsangehörigkeit und ein gewöhnlicher Aufenthalt von mindestens sechs Monaten. So auch Geimer/Schütze/Reuß Rn 31. So § 232 FamFG. Siehe jedoch Rn 21.

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Art 3 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

den Trennungsunterhalt geltend zu machen. Der Antrag bezogen Unterhalt für die gemeinsamen Kinder sei auf die Zeit nach der Scheidung beschränkt. Außerdem komme die zeitliche Beschränkung für die Antragstellung nach § 137 Abs 2 FamFG zum Zuge. Damit wird gegenüber der hM zu Art 5 Nr 2 Brüssel I eine Einschränkung vorgenommen. Das wird daraus abgeleitet, dass nach dem Wortlaut des Art 3 lit c über die Unterhaltssache „in der Nebensache“ zu entscheiden ist, während Art 5 Nr 2 Brüssel I-VO eine Entscheidung „im Zusammenhang“ mit einem Personenstandsverfahren erfordere. Aus dem unterschiedlichen deutschen Wortlaut allein lässt sich jedoch eine andere Auslegung nicht rechtfertigen. Die relevanten Phrasen in der EG-UntVO und der Brüssel I-VO stimmen in der englischen „acillary to those proceedings“ im Vergleich zu „matter is ancillary“ und der französischen Fassung „accessoire à cette action“ im Vergleich zu „accessoire à une action“ dem Sinn nach überein. Deshalb ist nicht anzunehmen, dass der europäische Gesetzgeber diesbezüglich der Regelung in der EG-UntVO einen anderen Sinn zulegen wollte. Die bisher weite Auslegung für Art 5 Nr 2 Brüssel I VO kann bestehen bleiben.121 Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass das angerufene Gericht nach seinem nationalen Recht sowohl über die Statussache als auch über den Unterhalt entscheiden darf.122 Einen weitergehenden Zusammenhang oder gar eine inhaltliche Abhängigkeit der Unterhaltssache vom Statusverfahren verlangt lit c nicht.123 Im Übrigen bestimmt sich nach der lex fori des angerufenen Gerichts, über welchen Unterhalt unter welchen Voraussetzungen das in der Statussache angerufene Gericht entscheiden kann. Im deutschen Recht ist die Frage speziell in den §§ 25 und 26 AUG geregelt. Auslegungsprobleme entstehen durch den Wortlaut beider Bestimmungen. § 25 Abs 1 AUG, der die internationale Zuständigkeit nach Art 3 lit c zum Gegenstand hat, bezieht sich auf Unterhalt, der im Scheidungs- oder Aufhebungsverbund geltend gemacht wird. Das legt für das deutsche Recht eine enge Auslegung iSd § 137 FamFG nahe, weil davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber für beide Gesetze den Begriff Verbund einheitlich versteht. § 26 Abs 1 AUG ist wiederum an der Regelung im FamFG für die Annexzuständigkeit nach § 224 Abs 1 FamFG bei Anhängigkeit einer Eheoder Lebenspartnerschaftssache orientiert. Insbesondere § 26 Abs 2 AUG lässt den Schluss zu, dass mit Art 3 lit c nicht nur der nacheheliche Unterhalt und der Kindesunterhalt nach der Scheidung, sondern auch der Trennungs-124 und der Kindesunterhalt insgesamt erfasst werden soll. Dies wird dem Anliegen einer Verfahrenskonzentration gerecht,125 denn die zu ermittelnden Tatsachen, insbesondere bezogen auf die Lebenssituation der gemeinsamen Kinder und die Einkommensverhältnisse, als Grundlage für die Entscheidung stimmen jeweils überein. Insgesamt sprechen die besseren Argumente für die weite Auslegung.

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121 122 123 124 125

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MünchKommFamFG/Lipp Rn 35, 36; Ebenso (zu Art 5 Nr 2 Brüssel I-VO) KG v 17.11.1997 – 3 WF 8280/97, FamRZ 1998, 564; Conti 80 f; aA NK-ZPO/Dörner Rn 8; Gebauer/Wiedemann/Bittmann Rn 36; Prütting/Helms/Hau § 110 Anh 3 Rn 30 (offengelassen). Im Ergebnis ebenso Geimer/Schütze/Reuß Rn 31; Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 34. MünchKommFamFG/Lipp Rn 33; Geimer/Schütze/Reuß Rn 31. MünchKommFamFG/Lipp Rn 33. Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 36. Geimer/Schütze/Reuß Rn 31.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 3 EG-UntVO

4. Nebenentscheidung im Verfahren über die elterliche Verantwortung a) Sinnzusammenhang Diese Annexzuständigkeit soll dem Umstand Rechnung tragen, dass die Verpflichtung zur 51 Barunterhaltsleistung der Eltern gegenüber einem Kind regelmäßig davon abhängig ist, bei wem sich das Kind überwiegend aufhält und wer deshalb den hauptsächlichen Betreuungsunterhalt leistet. Im Grünbuch der Unterhaltspflichten126 heißt es hierzu: Die Möglichkeit, diese beiden Arten von Anträgen – Anträge im Zusammenhang mit der elterlichen Verantwortung einerseits und Anträge im Zusammenhang mit Unterhaltspflichten andererseits – miteinander zu verknüpfen, kann sich in der Tat als sehr sinnvoll erweisen. So sehen Entscheidungen, die bestimmen, dass ein Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei einem Elternteil hat, nicht selten vor, dass der andere Elternteil Unterhalt zu zahlen hat. Die einfachste Lösung ist deshalb darin zu sehen, „die Zuständigkeit für die Entscheidung über beide Fragen den Behörden desselben Staates zu übertragen“. Auch ErwGr 11 der Brüssel IIa-VO ist auf eine einheitliche Zuständigkeit für Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung und in Unterhaltssachen orientiert, die dasselbe Kind betreffen. Die Struktur der Regelung entspricht der für den Annexgerichtsstand bei Anhängigkeit einer Personenstandssache. b) Voraussetzungen (a) Es muss ein Verfahren über die elterliche Verantwortung bei dem angerufenen mit- 52 gliedstaatlichen Gericht anhängig sein. Es sind solche Verfahren, die dem sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO unterliegen.127 (b) Das angerufene Gericht muss für das Verfahren zur elterlichen Verantwortung nach seinem Recht international und örtlich zuständig sein. Die internationale Zuständigkeit regelt sich dabei primär nach Artt 8 ff der Brüssel IIa-VO128 und nur über die Restzuständigkeit des Art 14 Brüssel IIa-VO129 nach einzelstaatlichem Recht. Die örtliche Zuständigkeit ist ausschließlich den nationalen Vorschriften zu entnehmen. Diese bestimmen auch darüber, ob – soweit ein örtlich nicht zuständiges Gericht angerufen wird – von Amts wegen oder auf Antrag eine Verweisung an das örtlich zuständige Gericht erfolgt. (c) Die internationale Zuständigkeit für die Entscheidung zur elterlichen Verantwortung darf nicht allein auf der Staatsangehörigkeit einer der Verfahrensbeteiligten beruhen.130 (d) Über die Unterhaltspflichten ist als Nebensache im Verfahren über die elterliche Verantwortung zu entscheiden. Ob die Unterhaltssache als Nebensache in einem solchen Verfahren eingebracht werden kann, bestimmt sich nach dem Recht des angerufenen Gerichts. Im deutschen Recht ist eine solche Annexzuständigkeit im FamFG nicht vorgesehen, so dass sie für Verfahren in Deutschland nicht genutzt werden kann. 126 127

128 129 130

Europäische Kommission, 15.4.2004, KOM (2004) 254, 15. Zur Auslegung von Art 1 Abs 1 lit b, Abs 2, 3 Brüssel IIa-VO Rauscher/Rauscher Art 1 Brüssel IIa-VO Rn 20 ff. Hierzu Rauscher/Rauscher Artt 8-13 Brüssel IIa-VO. Hierzu Rauscher/Rauscher Art 14 Brüssel IIa-VO. Für diese Voraussetzung siehe Rn 48.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Art 4 EG-UntVO

Nach nationalem Recht bestimmt sich auch, bis zu welchem Zeitpunkt die Unterhaltssache in diesem Verfahren anhängig gemacht werden muss. Diese Zuständigkeit steht nur den Beteiligten am Verfahren über die elterliche Verantwortung, einschließlich des Kindes, offen.

Artikel 4: Gerichtsstandsvereinbarungen (1) Die Parteien können vereinbaren, dass das folgende Gericht oder die folgenden Gerichte eines Mitgliedstaats zur Beilegung von zwischen ihnen bereits entstandenen oder künftig entstehenden Streitigkeiten betreffend Unterhaltspflichten zuständig ist bzw sind: a) ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem eine der Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat; b) ein Gericht oder die Gerichte des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehörigkeit eine der Parteien besitzt; c) hinsichtlich Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten oder früheren Ehegatten i) das Gericht, das für Streitigkeiten zwischen den Ehegatten oder früheren Ehegatten in Ehesachen zuständig ist, oder ii) ein Gericht oder die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die Ehegatten mindestens ein Jahr lang ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Die in den Buchstaben a, b oder c genannten Voraussetzungen müssen zum Zeitpunkt des Abschlusses der Gerichtsstandsvereinbarung oder zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts erfüllt sein. Die durch Vereinbarung festgelegte Zuständigkeit ist ausschließlich, sofern die Parteien nichts anderes vereinbaren. (2) Eine Gerichtsstandsvereinbarung bedarf der Schriftform. Elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, erfüllen die Schriftform. (3) Dieser Artikel gilt nicht bei einer Streitigkeit über eine Unterhaltspflicht gegenüber einem Kind, das noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat. (4) Haben die Parteien vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Staates, der dem am 30. Oktober 2007 in Lugano unterzeichneten Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen1 (nachstehend „Übereinkommen von Lugano“ genannt) angehört und bei dem es sich nicht um einen Mitgliedstaat handelt, ausschließlich zuständig sein soll bzw sollen, so ist dieses Übereinkommen anwendbar, außer für Streitigkeiten nach Absatz 3. I. II. III. IV.

1

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Wesentliche Neuerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Grenzüberschreitender Bezug . . . . . . . . . . . . . . . 8 Vereinbarung der internationalen und örtlichen Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Anforderungen an die Gerichtsstandsvereinbarung im Allgemeinen 1. Schriftformerfordernis (Abs 2) . . . . . . . . . 12 2. Wirksames Zustandekommen . . . . . . . . . . 20 3. Bestimmtheitserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . 26

V.

Beschränkte Wahlmöglichkeiten (Abs 1) 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Anforderungen an das Kriterium . . . . . . 31 3. Einzelne Kriterien a) Gewöhnlicher Aufenthalt einer Partei 33 b) Staatsangehörigkeit einer Partei . . . . . . . . 36 c) Ehegatten oder frühere Ehegatten . . . . . 40 aa) Ehegericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 bb) Letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

ABl EU 2007 L 339/3.

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Kapitel II: Zuständigkeit VI. Ausschluss Kindesunterhalt (Abs 3) . . . . . . 49 VII. Missbrauchskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 VIII. Wirkungen der Gerichtsstandsvereinbarung 1. Grundsätzlich ausschließliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Bindung des derogierten mitgliedstaatlichen Gerichts . . . . . . . . . . . . 58

Art 4 EG-UntVO IX.

X.

Derogation durch Wahl eines nichtmitgliedstaatlichen Gerichts 1. Island, Norwegen und die Schweiz (Abs 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Intertemporale Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

I. Wesentliche Neuerungen Die Neuregelung führt zu wesentlichen Einschränkungen der Möglichkeit, eine Gerichts- 1 standsvereinbarung für Unterhaltssachen zu treffen. Nach der bisherigen Rechtslage unterlagen Gerichtsstandsvereinbarungen für Unterhaltssachen dem Art 23 Brüssel I-VO, der in Bezug auf diese Streitigkeiten keine Beschränkungen vorsieht. Die Beschränkungen nach Art 4 beziehen sich auf die Person des Unterhaltsberechtigten (Abs 3), die zur Verfügung stehenden Gerichtsstände (Abs 1) und die strengeren Formerfordernisse (Abs 2). Die Regelung trägt einerseits dem Bedürfnis Rechnung, eine Gerichtsstandsvereinbarung 2 auch in Unterhaltssachen zu treffen. In der Rechtspraxis betrifft dies vor allem Gerichtsstandsvereinbarungen im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Ehevertrages, einer Scheidungsfolgevereinbarung oder auch eine bloße Unterhaltsvereinbarung. Hier sichert die Gerichtsstandsvereinbarung die Erkennbarkeit des Forums im Falle einer Streitigkeit aus dem Vertrag. Verhindert wird, dass eine Partei durch spätere Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts der anderen Partei mit der Zuständigkeit des Gerichts eines Staates konfrontiert wird, mit der sie beim Abschluss des Vertrages nicht zu rechnen brauchte. Andererseits rechtfertigt sich eine Einschränkung für Gerichtsstandsvereinbarungen in 3 Bezug auf Unterhaltstreitigkeiten. Das betrifft zum einen die zur Verfügung stehenden Wahlgerichtsstände. Die Eingrenzung dient dazu, nur eine solche Wahl zuzulassen, die zu einem Gerichtsstand führt, zu dem mindestens eine Partei eine engere Beziehung hat und der damit eher eine gewisse Sachnähe zu der Unterhaltssache aufweist. Zum anderen geht es um den Schutz des Unterhaltsberechtigten. Dies wird dadurch erreicht, dass für Streitsachen bezogen auf den Unterhalt von Kindern bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres eine Gerichtsstandsvereinbarung unzulässig ist. Das zwingende Schriftformerfordernis bewirkt darüber hinaus weiteren Schutz.2 Im Übrigen hat sich der Verordnungsgeber an die Struktur und den Inhalt von Art 23 Brüssel I-VO gehalten.3 Soweit eine Übereinstimmung besteht, können die entsprechenden, schon bewährten und sehr ausgefeilten Auslegungen für diese Verordnung mit herangezogen werden. Dies erleichtert die Rechtsanwendung in der ersten Zeit und schafft Rechtssicherheit.

2 3

Europäische Kommission, 12.5.2006, KOM (2006) 206, 3. Europäische Kommission, 12.5.2006, KOM (2006) 206, 3.

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Art 4 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

4 Art 4 regelt unter Ausschluss des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten Zulässigkeit, Vo-

raussetzungen, Form und Wirkungen einer Gerichtsstandsvereinbarung im sachlichen Anwendungsbereich der EG-UntVO.4 Dies liegt im Interesse der Rechtssicherheit. Den Parteien wird dadurch ermöglicht, eine Gerichtsstandsvereinbarung zu treffen, auf deren Wirksamkeit und Wirkungen sie sich bei Anrufung des Gerichts eines Mitgliedstaates verlassen können. Die Gerichte der Mitgliedstaaten entscheiden einheitlich nach den in Art 4 festgelegten Kriterien, die weder durch die nationalen Rechtsordnungen erweitert, noch eingeengt werden.5 5 Dem Wortlaut nach regelt Art 4 nur die Vereinbarung des Gerichts bzw der Gerichte eines

Mitgliedstaates. Da jedoch die internationale Zuständigkeit für die Gerichte der Mitgliedstaaten in der EG-UntVO abschließend geregelt und eine Verweisung auf das nationale Recht also nicht mehr gestattet ist, muss er auch Antwort auf die Frage geben, ob durch die Vereinbarung eines drittstaatlichen Gerichts die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaates derogiert wird. 6 Kritisch ist anzumerken, dass der Verordnungsgeber die Drittstaatenproblematik für die

Gerichtsstandsvereinbarung nicht bedacht hat.6 Auch fragt man sich, warum der Verordnungsgeber nicht die strengeren Schriftformerfordernisse der Haager Übereinkommen 2007 übernommen hat.7 Die Wahrung der Parallelität zu diesen Übereinkommen ist wichtiger als zu der Brüssel I-VO, die auf Unterhaltssachen nicht mehr anzuwenden ist, soweit der Anwendungsbereich der EG-UntVO reicht. Nur wenn die Gerichtsstandsvereinbarung den Anforderungen des HUntVerfÜbk 2007 entspricht, begründet sie auch eine Anerkennungszuständigkeit für die Vertragsstaaten. Außerdem verstärken strengere Formerfordernisse den Schutz der schwächeren Partei. Zudem wird eine Missbrauchsklausel, wie sie Art 8 Abs 5 HUntStProt 2007 für die Rechtswahl vorsieht, vermisst.8 7 Der Verordnungsgeber ist auch eine Begründung dafür schuldig geblieben, dass die Gerichte

des Heimatlandes einer Partei gewählt werden können, wenn keiner von ihnen im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung oder der Anrufung des Gerichts dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Eine solche Anknüpfung ist kein sachverhaltsbezogenes Kriterium für die Verbindung einer Unterhaltsbeziehung zu einer Rechtsordnung.9 II. Grenzüberschreitender Bezug 8 Art 4 eröffnet die Möglichkeit, in Unterhaltsbeziehungen mit grenzüberschreitendem Bezug

eine Gerichtsstandsvereinbarung zu treffen.10 Es muss immer auch um die internationale 4 5

6 7 8 9 10

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Hausmann, IntEuSchR C Rn 114. Die diesbzgl Ausführungen des EuGH zum EuGVÜ gelten entsprechend, vgl zB EuGH Rs 269/95 Benincasa/Dentalkit EuGHE 1997 I 3767 Rn 48; EuGH Rs 159/97 Transporti Castelletti/Trumpy EuGHE 1999 I 1597 Rn 49 ff. Hierzu Rn 70 ff. Kritisch wie hier MünchKommFamFG/Lipp Rn 13. Hierzu Rn 52 ff. AA Geimer/Schütze/Reuß Rn 7. MünchKommFamFG/Lipp Rn 7; Hausmann, IntEuSchR C Rn 115; Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 41.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 4 EG-UntVO

Zuständigkeit gehen. Diese muss nicht ausdrücklich vereinbart sein, sie kann sich auch aus der Vereinbarung des Gerichts an einem bestimmten Ort ergeben. Die Wahl zwischen den Gerichtsorten innerhalb eines Staates ohne grenzüberschreitenden Bezug wird nicht erfasst. Dies ergibt sich nicht aus dem Wortlaut von Art 4, ist jedoch aus der Rechtsgrundlage für die EG-UntVO, Artt 61 lit c, 65 EGV (81 AEUV), abzuleiten.11 Der notwendige grenzüberschreitende Bezug lässt sich auf verschiedene Weise feststellen. 9 So könnte er dann angenommen werden, wenn die gesetzlichen Zuständigkeiten nach Art 3 nicht ausschließlich zu den Gerichten eines Mitgliedstaates in der konkreten Unterhaltssache führen. Diese Methode hat den Nachteil, dass sie Rechtsunsicherheit schafft und die Rechtsanwendung erschwert. Zum anderen könnten die Anknüpfungspunkte in Art 4 Abs 1 selbst zum Ausgangspunkt genommen werden. Danach wäre Art 4 nur anzuwenden, wenn die dort aufgezählten Anknüpfungspunkte zu mindestens zwei Staaten zu den in Abs 1 S 2 genannten Zeiten führen. Dabei kann es sich um Mitgliedstaaten handeln, zwingend ist dies aber nicht.12 Dafür spricht, dass der Gesetzgeber selbst diese Kriterien ausgewählt hat, die es rechtfertigen, eine diesbezügliche Prorogation anzuerkennen. Diese Variante führt zu einer weiten Zulassung der Prorogation, die wohl dem Anliegen des Verordnungsgebers entspricht. Vorgeschlagen wird auch darauf abzustellen, ob die Prorogation die Derogation einer ansonsten in Art 3 vorgesehenen Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats bewirkt.13 III. Vereinbarung der internationalen und örtlichen Zuständigkeit Die Parteien können die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts eines Mitgliedstaates 10 wählen. Dann umfasst die Zuständigkeitsvereinbarung neben der internationalen auch die örtliche Zuständigkeit. Hat die Vereinbarung ausschließende Wirkung, so bezieht sich diese auch auf die örtliche Zuständigkeit. Sie hat gegenüber den Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit nach nationalem Recht Vorrang, selbst soweit dieses hierfür keine Gerichtsstandsvereinbarung zulässt und ausschließlichen Charakter trägt. Die Gerichtsstandsvereinbarung hat, bezogen auf die örtliche Zuständigkeit, insoweit derogative Wirkung. Eine Vereinbarung der Zuständigkeit des deutschen Gerichts in A derogiert zB die ausschließliche örtliche Zuständigkeit des deutschen Familiengerichts in B nach § 232 Abs 1 FamFG für den aus der Ehe resultierenden Unterhalt, wenn dort eine Ehesache anhängig ist. Die Parteien können sich jedoch auch auf die Vereinbarung der Gerichte eines Mitglied- 11 staates beschränken, dann haben sie nur die internationale Zuständigkeit geregelt. Für die Lösung in diesem Fall gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine besteht darin, die Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit dieses Mitgliedstaates heranzuziehen.14 Führt dies zu keiner Zuständigkeit, so sind die Mitgliedstaaten gleichwohl gehalten, dem Vertrauen der Parteien in den Erfolg ihrer Gerichtsstandsvereinbarung Rechnung zu tragen und eine Ersatzzuständigkeit bereitzustellen.15 In Deutschland kommt die analoge Anwendung von § 27 AUG infrage. Zuständig ist dann das Amtsgericht Pankow-Weißensee. 11 12 13 14 15

Hierzu bereits Art 3 Rn 15 ff. Auch die Berührung zu einem Drittstaat reicht Hausmann, IntEuSchR C Rn 116. Hausmann, IntEuSchR C Rn 115. So NK-ZPO/Dörner Rn 2. Zum Diskussionsstand in Bezug auf das Parallelproblem zu Art 23 Brüssel I-VO bzw Art 17 EuGVÜ Aull

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Art 4 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Die vorzuziehende andere Möglichkeit liegt darin, für die örtliche Zuständigkeit auf Art 3 zurückzukommen und nur subsidiär die Vorschriften des Mitgliedstaates heranzuziehen, dessen Gerichte als zuständig vereinbart wurden. Dafür spricht das Ziel der Verordnung, die Zuständigkeit umfassend und ohne Rückgriff auf das nationale Recht zu regeln.16 Art 3 erlaubt auch die isolierte Derogation eines mitgliedstaatlichen Gerichts.17 IV. Anforderungen an die Gerichtsstandsvereinbarung im Allgemeinen 1. Schriftformerfordernis (Abs 2) 12 Die Gerichtsstandsvereinbarung muss schriftlich erfolgen. Das Schriftformerfordernis ist

streng auszulegen. Dies resultiert daraus, dass mittels der Gerichtsstandsvereinbarung die allgemeinen Zuständigkeiten nach Art 3 abgewählt werden können, die sich für Unterhaltssachen durch eine besondere Sachnähe auszeichnen und mit dem Gerichtsstand am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten die schwächere Partei begünstigen. Die zwingende Form dient dem Schutz jeder Partei vor einer Gerichtsstandsvereinbarung, die sie tatsächlich nicht gewollt hat. Sie soll gewährleisten, dass die Einigung der Parteien tatsächlich feststeht. Aus der Einhaltung der Schriftform wird andererseits geschlussfolgert, dass die Einigung der Parteien über die Gerichtsstandsvereinbarung tatsächlich zustande gekommen ist.18 13 Das Schriftformerfordernis ist im Unterschied zu den Haager Übereinkommen nicht spe-

zifiziert. Nach Art 3 lit d HUntVerfÜbk 2007 bedeutet schriftliche Vereinbarung eine Vereinbarung, die auf einem Träger erfasst ist, dessen Inhalt für eine spätere Einsichtnahme zugänglich ist. Eine Vereinbarung in Papierform erfordert danach eine einheitliche Urkunde. Art 8 Abs 2 HUntStProt 2007 verlangt für die Rechtswahl, dass sie „schriftlich zu erstellen oder auf einen Datenträger zu erfassen ist, dessen Inhalt für eine spätere Einsichtnahme zugänglich gemacht wird und von beiden Parteien unterschrieben“ werden muss. Auch hier erfordert die Papierform eine einheitliche Urkunde, denn die Vereinbarung ist von beiden Partnern zu unterschreiben.19 14 Abs 2 ist leider aufgrund des anderen Wortlauts diese Bedeutung nicht beizumessen. Viel-

mehr ist für die Anforderungen an die Schriftform die Auslegung zu Art 23 Abs 1 S 2 lit a Alt 1 Brüssel I-VO unterstützend heranzuziehen. Dies leitet sich auch aus ErwGr 15 ab, wonach die Zuständigkeitsvorschriften der EG-UntVO ihren Ursprung in der Brüssel I-VO haben

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IPRax 1999, 226, 229; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 23 Brüssel I-VO Rn 146; Kropholler NJW 1981, 1904; Kropholler/von Hein Art 23 Brüssel I-VO Rn 75 ff. Geimer/Schütze/Reuß Rn 3 will ohne vorherige Prüfung von Art 3 § 27 AUG heranziehen, wenn die Parteien die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, nicht jedoch die örtliche Zuständigkeit vereinbart haben. Geimer/Schütze/Reuß Rn 14. Für das EuGVÜ bzw die Brüssel I-VO zB EuGH Rs 221/84 Berghoeffer/Asa, NJW 1985, 2893; BGH NJWRR 2005, 150, 151; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 23 Brüssel I-VO Rn 100; Rauscher/Mankowski Art 23 Brüssel I-VO Rn 39. Hierzu Art 8 HUntStProt 2007 Rn 16.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 4 EG-UntVO

und nur angepasste Varianten sind; noch deutlicher war der Bezug für die Gerichtsstandsvereinbarung im EG-UntVO-E.20 Von jeder Partei muss daher eine schriftlich abgegebene Erklärung vorliegen, aus der klar 15 und deutlich der Wille hervorgeht, die Gerichtsstandsvereinbarung treffen zu wollen.21 Ist die Gerichtsstandsklausel in einem durch beide Parteien unterzeichneten Vertrag enthalten, so ist das Schriftformerfordernis eingehalten, die Klausel muss nicht gesondert unterzeichnet werden. Gibt es nur eine Urkunde, so muss die Erklärung beider Parteien in ihr enthalten sein. Nicht erforderlich ist eine beiderseitig unterzeichnete Urkunde iSv § 126 Abs 2 BGB, vielmehr genügen getrennte Schriftstücke.22 Zwingend ist jedoch, dass die inhaltliche Übereinstimmung beider Erklärungen hinreichend deutlich wird.23 Die Unterschrift der beiden Parteien unter die Erklärung ist im Gegensatz zur Form einer Rechtswahl nach Art 8 Abs 2 HUntStProt 2007 nicht ausdrücklich verlangt. Die Gleichwertigkeit der in Art 4 Abs 2 EG-UntVO genannten Formvorschriften spricht jedenfalls nicht gegen die Erforderlichkeit einer Unterschrift, da auch bei einer elektronischen Übermittlung die Einfügung einer elektronischen Unterschrift technisch möglich und im Zivilprozessrecht verbreitet ist.24 Schon immer wurde die Unterschrift als starkes Indiz für die Zustimmung einer Partei gewertet.25 Mit Rücksicht auf die Schutzfunktion sollten die Erklärungen der Parteien nur mit deren Unterschrift Wirkung entfalten.26 Das Schriftformerfordernis ist nicht schon gewahrt, wenn die Partei, zu deren Lasten die 16 vorgesehene Gerichtsstandsvereinbarung geht, die Unterschrift unter einen Text geleistet hat, der die Gerichtsstandsklausel vorsieht, dieser Text jedoch von dem anderen Teil auf dieser oder einer anderen Urkunde nicht unterschrieben wurde.27 Schriftlichkeit liegt vor, wenn eine Partei zweifelsfrei den gesamten Inhalt der vom anderen Teil unterzeichneten Urkunde, über dessen Verbindlichkeit sich die Parteien bereits einig geworden sind, schriftlich bestätigt und die andere Seite dagegen keine Einwendungen erhebt.28 Das Erfordernis der Schriftlichkeit der Erklärungen besteht für beide Parteien gleicher- 17 maßen, es kommt nicht darauf an, wer durch die Gerichtsstandsklausel belastet wird.29 Auch ein Briefwechsel ist ausreichend. Nicht erforderlich ist, dass bei getrennten schriftlichen Erklärungen beide explizit die Gerichtsstandsklausel enthalten müssen. Damit jedoch von 20 21

22

23 24 25 26

27 28 29

Vgl Europäische Kommission, 15.12.2005, KOM (2005) 649 Art 4 EG-UntVO-E. EuGH Rs 71/83 Russ/Nova IPRax 1985, 152, 153; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 23 Brüssel I-VO Rn 78. Zur Bestimmtheit der Vereinbarung siehe Rn 26. Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 44; Für Art 23 Brüssel I-VO Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 23 Brüssel I-VO Rn 104; Kropholler/von Hein Art 23 Brüssel I-VO Rn 33; Rauscher/Mankowski Art 23 Brüssel I-VO Rn 15; aA MünchKommZPO/Gottwald Art 23 Brüssel I-VO Rn 31. BGH NJW-RR 2005, 150, 151; Kropholler/von Hein Art 23 Brüssel I-VO Rn 33. Vgl § 130b ZPO, Art 287 Abs 2 NCPC. Rauscher/Mankowski Art 23 Brüssel I-VO Rn 15. Für die Brüssel I-VO MünchKommZPO/Gottwald Art 23 Brüssel I-VO Rn 31 f; aA Geimer/Schütze/ Reuß Rn 19. BGH NJW-RR 2005, 150, 151; BGH NJW 2001, 1731. EuGH Rs C-313/85 Inveco Fiat/Van Hool EuGHE 1986, 3337 Rn 9. Kropholler/von Hein Art 23 Brüssel I-VO Rn 33; MünchKommZPO/Gottwald Art 23 Brüssel I-VO Rn 31; für das EuGVÜ BGH NJW 2001, 1731; BGH NJW-RR 2005, 150, 151.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

einer schriftlichen Vereinbarung auszugehen ist, muss die spätere zweite Erklärung (Annahme) sich auf die erstere beziehen (Angebot), welche die Gerichtsstandsabrede unmissverständlich vorsieht.30 18 Die schriftliche Gerichtsstandsklausel, die von einer Partei eingeführt wird, muss so gestaltet

sein, dass die andere Partei bei normaler Sorgfalt davon Kenntnis nehmen konnte.31 Diesen Anforderungen wird eine versteckte Klausel, die zudem kaum lesbar ist, nicht gerecht.32 Außerdem ist zu verlangen, dass die andere Partei die Klausel aufgrund ihrer besonderen (Lebens-)Umstände zur Kenntnis nehmen kann, wenn der Partei, welche die Klausel einbringt, diese Besonderheiten bekannt sind. Zumindest muss die andere Partei in einem solchen Fall nachweisbar über den Inhalt der Klausel aufgeklärt worden sein. Die schriftliche Gerichtsstandsklausel muss in einer Sprache abgefasst oder mit einer Übersetzung verbunden sein, welche die betroffene Partei verstehen kann. Dies resultiert daraus, dass Gegenstand der Streitigkeit eine familienrechtliche, persönliche Beziehung ist und deshalb der Empfängerhorizont die bekannte subjektive Seite einschließen sollte. Rechtsprechung und Lehre zu Art 17 EuGVÜ bzw Art 23 Brüssel I-VO zur Tragung des Sprachrisikos von Gerichtsstandsvereinbarungen im internationalen Wirtschaftsverkehr33 sind auf Unterhaltsstreitigkeiten nicht anzuwenden. 19 Das Schriftformerfordernis wird durch eine elektronische Übermittlung substituiert, die

eine dauerhafte Aufzeichnung ermöglicht.34 In erster Linie fällt hierunter der Vertragsabschluss per E-Mail.35 Ist das Schriftformerfordernis nicht erfüllt, so ist die Gerichtsstandsvereinbarung nicht wirksam zustande gekommen.36 Sie entfaltet keine prorogative oder derogative Wirkung. 2. Wirksames Zustandekommen 20 Die Parteien müssen zweifelsfrei eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen haben. Hierzu

bedarf es einer diesbezüglich übereinstimmenden Willenserklärung mit Bindungswillen. Ob dieser erforderliche Konsens vorliegt, ist vorrangig autonom aus den Erfordernissen des Art 4 abzuleiten.37 Dem dient vor allem das Formerfordernis der Schriftform. Ist diese gewahrt, so impliziert dies grundsätzlich die Einigung der Parteien. 30

31 32 33

34 35 36

37

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BGH NJW-RR 2005, 150, 151; Kropholler/von Hein Art 23 Brüssel I-VO Rn 33: Rauscher/Mankowski Art 23 Brüssel I-VO Rn 16a ff. BGH v 28.3.1996 – III ZR 95/95, IPRax 1997, 416 = NJW 1996, 1819. Rauscher/Mankowski Art 23 Brüssel I-VO Rn 15a. Hierzu mit Nachweisen Rauscher/Mankowski Art 23 Brüssel I-VO Rn 40; Kropholler/von Hein Art 123 Brüssel I-VO Rn 37. Näher Geimer/Schütze/Reuß Rn 20. Rauscher/Mankowski Art 23 Brüssel I-VO Rn 38 mwN. Entsprechend zu Art 23 Brüssel I-VO/Art 17 EuGVÜ ua EuGH Rs 25/76 Galeries Segoura SPRL/Rahim Bonakdarian EuGHE 1976, 1851, 1860 Rn 6; EuGH Rs 150/80 Elefanten-Schuh GmbH/Pierre Jacqmain EuGHE 1981, 1671, 1687 Rn 24. NK-ZPO/Dörner Rn 10; Geimer/Schütze/Reuß Rn 11 ff; Für das parallele Problem zur Brüssel I-VO siehe Rauscher/Mankowski Art 23 Brüssel I-VO Rn 39 und Kropholler/von Hein Art 23 Brüssel I-VO Rn 23 ff mwH.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 4 EG-UntVO

Der Streit, der im Zusammenhang mit Art 23 Brüssel I-VO darüber geführt wird, ob neben 21 den prozessualen Voraussetzungen und der Form auch die Einigung der Parteien mitgeregelt ist und deshalb insoweit das nach dem IPR des Forums berufene Recht keine Anwendung findet,38 kann auch auf Art 4 bezogen werden. Die besseren Argumente sprechen für das autonome Kriterium.39 Darüber hinaus kann die Einigung bei Einhaltung der strengen Schriftform vermutet werden,40 da der EuGH eine solche Vermutung schon annimmt, wenn die Einigung bei Art 23 Abs 1 lit c Brüssel I-VO in der Form eines internationalen Handelsbrauchs erfolgte.41 Willensmängel und ihre Rechtsfolgen sind nicht in Art 4 EG-UntVO geregelt. Sie unter- 22 stehen dem Recht, das nach dem Kollisionsrecht der lex fori hierfür maßgeblich ist. Gemäß dem Kollisionsrecht der lex fori werden die Geschäftsfähigkeit sowie die Stellvertretung teilangeknüpft.42 Das wirksame Zustandekommen der Gerichtsstandsvereinbarung ist unabhängig von der der Unterhaltsvereinbarung, in der die Klausel enthalten ist. Die Gerichtsstandsvereinbarung kann wirksam sein, während der Hauptvertrag unwirksam ist und umgekehrt.43 Unterhaltsvereinbarungen können in Eheverträgen und Scheidungsvereinbarungen vor- 23 gesehen sein, die Gerichtsstandsvereinbarung erstreckt sich dann möglicherweise auf die gesamte Vereinbarung, wie zur güterrechtlichen Auseinandersetzung und zum Versorgungsausgleich. Dies ist durch Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung zu ermitteln. Art 4 ist nur für den unterhaltsrechtlichen Teil heranzuziehen, die anderen Teile sind hinsichtlich ihrer Zulässigkeit und Wirksamkeit nach nationalem IZPR zu beurteilen. Hat zB ein deutsch-französisches Ehepaar, das in Deutschland lebt, eine notariell beurkun- 24 dete Scheidungsvereinbarung getroffen, in der sie umfassend ihre Vermögensbeziehungen für den Fall der Scheidung geregelt und die Zuständigkeit eines französischen Gerichts hierfür vereinbart haben, so muss ein angerufenes deutsches Gericht prüfen, ob dadurch seine Zuständigkeit abgewählt ist. Isoliert auf den Unterhalt bezogen, müsste das deutsche Gericht dies nach Art 4 bejahen und sich für unzuständig erklären, soweit kein rügeloses Einlassen nach Art 5 vorliegt. Betrachtet man jedoch die Gesamtvereinbarung, so ist sie in Bezug auf das Güterrecht nach § 38 Abs 3 ZPO und für den Versorgungsausgleich gänzlich unzulässig.

38

39 40

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43

Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 23 Brüssel I-VO Rn 75; Kropholler/von Hein Art 23 Brüssel I-VO Rn 28 mwN. Geimer/Schütze/Reuß Rn 10, 11. Hierzu ua Geimer IPRax 1991, 31, 34; Koch IPRax 1993, 19, 31; Kohler IPRax 1991, 299, 300; aA Geimer/ Schütze/Geimer, EuZVR Art 23 Brüssel I-VO Rn 101. EuGH Rs C-159/97 Transporti Castelletti Spedizioni SpA/Trumpy SpA EuGHE 1999 I 1597 = IPRax 2000, 219, 220. NK-ZPO/Dörner Rn 10; MünchKommFamFG/Lipp Rn 17; Einzelheiten wegen der Übereinstimmung bei Rauscher/Mankowski Art 23 Brüssel I-VO Rn 41 ff mwN. EuGH Rs C 269/95 Francesco Benincasa/Dentalkit Srl EuGHE 1997 I 3767 Rn 25; Geimer/Schütze/Reuß Rn 10.

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25 Ob trotzdem die Gerichtsstandsvereinbarung für den Unterhalt Wirkung zeitigen soll, ist

dem übereinstimmenden wirklichen oder mutmaßlichen Parteiwillen zu entnehmen. Sind die materiell-rechtlichen Vereinbarungen zu den Vermögensbeziehungen so miteinander verwogen, dass die eine Vereinbarung mit der anderen steht und fällt, so spricht dies gegen eine Teilwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung für den Unterhalt, wenn bei ihrem Fehlen ein einheitlicher inländischer Gerichtsstand bestehen würde. Die Beweislast dafür, dass die nur teilweise derogative Wirkung der Gerichtsstandsvereinbarung dem Parteiwillen widerspricht, liegt bei der Partei, die sich auf die inländische gesetzliche Zuständigkeit in der Unterhaltssache stützt.44 3. Bestimmtheitserfordernis 26 Die Gerichtsstandsvereinbarung muss auf eine bereits entstandene Streitigkeit oder künf-

tig zwischen den Parteien entstehende Streitigkeit bezogen auf Unterhaltspflichten gerichtet sein (Abs 1 S 1). Geregelt sind zwei Fallsituationen: – Die Parteien streiten bereits über die Unterhaltspflichten. Hier kann sich die Gerichtsstandsvereinbarung auf diesen konkreten Streitfall beschränken. – Ein Streit über die Unterhaltspflicht besteht (noch) nicht. Vorbeugend können die Parteien für den Fall, dass zwischen ihnen die Unterhaltspflicht strittig wird, eine Gerichtsstandsvereinbarung treffen. Voraussetzung ist dann, dass die Gerichtsstandsvereinbarung die Unterhaltspflicht im Verhältnis der Parteien zueinander betrifft. Dies muss nicht ausdrücklich erklärt werden, sondern kann auch konkludent vereinbart sein. Haben die Parteien zB einen Ehevertrag geschlossen und für alle Fragen aus dem Vertrag eine Gerichtsstandsvereinbarung aufgenommen, so erstreckt sich die Vereinbarung auch auf die im Ehevertrag geregelten unterhaltsrechtlichen Fragen. Ist in ihm nur der nacheheliche Unterhalt geregelt, so ist von der Gerichtsstandsvereinbarung nicht der Unterhalt während bestehender Ehe erfasst. V. Beschränkte Wahlmöglichkeiten (Abs 1) 1. Einführung 27 Die Wahlmöglichkeiten der Parteien werden auf die Gerichte in Mitgliedstaaten beschränkt,

zu denen sie oder eine von ihnen eine engere Beziehung aufweisen. Der Verordnungsgeber hat die Motivation hierfür in den Erwägungsgründen nicht aufgedeckt. Der Entwurf der EG-UntVO ging noch von der freien Wahlmöglichkeit aus. Auch Art 20 Abs 1 lit e HUntVerfÜbk 2007 grenzt für die Anerkennungszuständigkeit die Wahlmöglichkeiten nicht ein. Gewisse Parallelen gibt es zu Art 8 HUntStProt 2007, wonach die Rechtswahl für Unterhaltspflichten auf bestimmte Rechtsordnungen begrenzt ist. 28 Regelungsziel der Einschränkung ist wohl nicht der Schutz des Unterhaltsberechtigten, da

seine Verbindung zu einem bestimmten Mitgliedstaat nicht Auswahlkriterium ist. Vielmehr scheint die Regelung darauf gerichtet zu sein, eine Sachnähe des vereinbarten Gerichts zu sichern. Dieser Aspekt trifft jedenfalls auf zwei Kriterien zu, nämlich den gewöhnlichen Aufenthalt einer Partei und die Zuständigkeit des Ehegerichts. Für ersteres spricht, dass das 44

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So wie hier Fasching/Konecny/Fucik Rn 9.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 4 EG-UntVO

Gericht den Lebensumständen der betreffenden Partei sehr nahe ist, um deren Leistungsfähigkeit oder umgekehrt deren Bedürftigkeit zu ermitteln. Für das Ehegericht spricht die Möglichkeit der Bündelung aller Streitigkeiten, insbesondere auch der vermögensrechtlichen, im Zusammenhang mit der Eheauflösung. Nicht überzeugen kann die Möglichkeit der Wahl des Gerichts eines Staates, dem nur eine 29 der Parteien angehört. Dieses Kriterium bringt für Unterhaltssachen regelmäßig keine enge Verbindung zu einem Staat zum Ausdruck. Es geht hier nicht um die Wahrung der „kulturellen Identität“, sondern darum, den Lebensbedingungen der Parteien Rechnung zu tragen. Drei Faktoren sprechen gegen eine solche Wahlmöglichkeit: (a) die Erstreckung von Art 4 auch auf Unterhaltsbeziehungen, in denen die Staatsangehörigkeit einer Partei das einzige grenzüberschreitende Kriterium ist, die Unterhaltsbeziehungen jedoch tatsächlich nur mit einem anderen Staat verbunden sind,45 (b) der grundsätzlich ausschließliche Charakter der vereinbarten Zuständigkeit und (c) die analoge Anwendung von Art 4 auf die derogative Wirkung der Wahl eines drittstaatlichen Gerichtsstandes. Um es zu verdeutlichen: Abs 1 ermöglicht dem Wortlaut nach einem Ehepaar mit deutscher Staatsangehörigkeit, das schon immer in Deutschland lebte und bei dem ein Ehegatte außerdem noch die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates besitzt, für Unterhaltssachen den Gerichtsstand in diesem Staat zu vereinbaren, wobei damit die Zuständigkeit der deutschen Gerichte ausgeschlossen wird. Hier liegt ein Sachverhalt vor, der ausschließlich mit der deutschen Rechtsordnung verbunden ist, weshalb der Antragsteller die Möglichkeit behalten sollte, ein deutsches Gericht anzurufen. Die Gerichtsstandsvereinbarung dürfte in solchen Fällen – wenn überhaupt – nur zu einer zusätzlichen, nicht jedoch zu einer ausschließlichen Zuständigkeit führen. Die Regelung gibt dies jedoch nach ihrem Wortlaut nicht her. Die grundsätzlich ausschließliche Wirkung der Gerichtsstandsvereinbarung bezieht sich auf alle Wahlmöglichkeiten. ME wäre es sinnvoller gewesen, wenn der Gesetzgeber auf beschränkende Anknüpfungs- 30 kriterien für die Gerichtsstandsvereinbarung verzichtet hätte. Stattdessen wäre eine mit Art 3 Abs 3 Rom I-VO vergleichbare Regelung angebracht gewesen, die solche Gerichtsstandsvereinbarungen vom Anwendungsbereich ausgeschlossen hätte, bei denen die Unterhaltsbeziehung sowohl zum Zeitpunkt der Vereinbarung als auch zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts tatsächlich nur mit einem Staat verbunden ist. 2. Anforderungen an das Kriterium Die Parteien brauchen das maßgebliche Kriterium in der Gerichtsstandsvereinbarung nicht 31 zu nennen, vielmehr reicht es aus, wenn auf den bezeichneten Ort oder das bezeichnete Land ein in Abs 1 genanntes Kriterium zutrifft. Besonderheiten gelten für die Zuständigkeit des Ehegerichts. Die Kriterien stehen im alternativen Verhältnis, es reicht also aus, dass eines von ihnen auf die Vereinbarung zutrifft. Eines der Kriterien muss entweder zum Zeitpunkt des Abschlusses der Gerichtsstands- 32 vereinbarung oder im Zeitpunkt des Anrufens des Gerichts in der Unterhaltssache erfüllt sein. Letzterer Zeitpunkt bestimmt sich nach Art 9. Die alternative Regelung hat die typische 45

Hierzu Rn 36 f.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Fallsituation im Blick, dass die Gerichtsstandsvereinbarung meist zeitgleich im Zusammenhang mit einer Sachvereinbarung zur Unterhaltsverpflichtung – eventuell noch mit einer Rechtswahl verbunden – getroffen wird, wenn ein Streit noch nicht entstanden ist. Eine solche Vereinbarung hat vorsorglichen Charakter. Indem für die Kriterien alternativ auf den Vereinbarungszeitpunkt abgestellt wird, wird Vertrauen auf die Wirksamkeit im Streitfall geschaffen. Sinn und Zweck sind folglich Rechtssicherheit und Vertrauensschutz. Sie sichert jeder Partei den vereinbarten Gerichtsstand, auch wenn sich bei der Gegenpartei die Umstände geändert haben, welche die Gerichtsstandsvereinbarung zulassen. Der zweite Zeitpunkt, der Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts, rechtfertigt sich dadurch, dass, von der Staatsangehörigkeit abgesehen, eine enge Verbindung zum gewählten Gerichtsstaat besteht. 3. Einzelne Kriterien a) Gewöhnlicher Aufenthalt einer Partei 33 Die Auslegung des Begriffs erfolgt wie für Art 3 lit a und b. Es reicht aus, dass der gewöhn-

liche Aufenthalt im vereinbarten Gerichtsstaat zur Zeit der Abmachung oder im Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts besteht.46 Haben die Parteien zB den Gerichtsstand am gewöhnlichen Aufenthalt des Beklagten oder des Unterhaltsverpflichteten vereinbart und hat die betreffende Person zwischen der Vereinbarung und der Anrufung des Gerichts den gewöhnlichen Aufenthalt gewechselt, so ist die Zuständigkeit des Gerichts sowohl am alten als auch am gegenwärtigen gewöhnlichen Aufenthalt gegeben. 34 Haben sie dagegen den Gerichtsstand in der Stadt X vereinbart, dann kommt es darauf an,

dass eine der Parteien zum Zeitpunkt der Vereinbarung oder der Anrufung des Gerichts in dem Staat, in dem die Stadt X belegen ist, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte oder hat. Die Parteien können die internationale Zuständigkeit der Gerichte und zugleich auch die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts dieses Mitgliedstaates vereinbaren. Dabei brauchen die Parteien nach dem Wortlaut keine Verbindung zu dem als örtlich zuständig vereinbarten Gericht zu haben. Der gewöhnliche Aufenthalt der betreffenden Partei kann sich also in einem ganz anderen Gerichtsbezirk dieses Staates zum maßgeblichen Zeitpunkt befinden. 35 Art 4 setzt stets voraus, dass die Parteien auch die internationale Zuständigkeit regeln. Eine

isolierte Vereinbarung der örtlichen Zuständigkeit ist nicht möglich. Der Sachverhalt muss stets auch einen internationalen Bezug aufweisen, sodass die Vereinbarung eines bestimmten Gerichtsortes die Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit – zumindest stillschweigend – mit einschließt. Der grenzüberschreitende Bezug muss nicht bereits zum Zeitpunkt der Vereinbarung vorliegen. Es reicht aus, wenn er zu einem der beiden in Abs 1 S 2 genannten Zeitpunkten gegeben ist. Die Parteien können damit vorsorglich einem ausländischen Gerichtsstand für den Fall vorbeugen, dass einer von ihnen ins Ausland verzieht. Um ein Beispiel zu nennen: Deutsche Parteien, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, vereinbaren, dass das Familiengericht in X einen möglichen Unterhaltsstreit entscheiden soll. Fehlen zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts weiterhin grenzüberschreitende Berührungspunkte, so unterliegt die Gerichtsstandsvereinbarung nicht Art 4, sondern dem nationalen Recht. Ist jedoch in der Zwischenzeit eine Partei ins Ausland verzogen, findet Art 4 Anwendung. Soweit die Wirksamkeitsvoraussetzungen im 46

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Hierzu Art 3 Rn 12 ff.

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Art 4 EG-UntVO

Übrigen vorliegen, sind die deutschen Gerichte international und das Gericht in X örtlich ausschließlich zuständig. In Bezug auf die örtliche Zuständigkeit trifft das auch dann zu, wenn keine Partei je ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder eine andere Verbindung zu diesem Ort hatte. b) Staatsangehörigkeit einer Partei Die Parteien können die Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte des Mitgliedstaates 36 vereinbaren, dessen Staatsangehörigkeit eine der Parteien besitzt. Das Kriterium der Staatsangehörigkeit wird durch den Begriff domicile47 für die Mitgliedstaaten ersetzt, die diesen Begriff als Anknüpfungspunkt für Familiensachen verwenden (Art 2 Abs 3). ErwGr 18 bezieht diesen Ersetzungstatbestand ausdrücklich auf Irland und das Vereinigte Königreich.48 Haben die Parteien den Gerichtssand in einem Drittstaat vereinbart, der ebenfalls Familien- 37 beziehungen grundsätzlich an das domicile und nicht an die Staatsangehörigkeit knüpft, so sollte für die Prüfung der Derogation eines mitgliedstaatlichen Gerichts in analoger Anwendung von Art 449 auch auf das domicile abgestellt werden. Das betrifft vor allem die Staaten, die zum anglo-amerikanischen Rechtskreis gehören. Ob die betreffende Partei ihr domicile in dem Staat hat, dessen Gericht bzw Gerichte als zuständig vereinbart wurden, bestimmt sich nach dem Recht dieses Staates. Bei doppelter Staatsangehörigkeit kommt – wie für Art 3 Abs 1 lit b Brüssel IIa-VO – jede 38 Staatsangehörigkeit in Frage.50 Für den Zeitpunkt ist Abs 1 S 2 zu beachten. Die Gerichtsstandsvereinbarung legt das 39 zuständige Gericht fest, wenn eine der Parteien entweder zum Zeitpunkt der Vereinbarung oder zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts die Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaates hat, dessen Gericht/Gerichte vereinbart wurden. c) Ehegatten oder frühere Ehegatten Abs 1 S 1 lit c erkennt für Ehegatten und frühere Ehegatten verschiedene Verbindungen zu 40 Mitgliedstaaten an, die sie ihrer Gerichtsstandsvereinbarung zugrunde legen können. Der Begriff Ehegatten ist in Übereinstimmung mit Art 5 HUntStProt 2007 auszulegen.51 Die Regelung erstreckt auch auf Partner anderer anerkannter institutionalisierter Lebensgemeinschaften, wie die homosexuelle Ehe oder die eingetragene Lebenspartnerschaft.52 Rn 41 bleibt frei.

47 48 49 50

51 52

Vgl Art 2 Rn 20. Hierzu Art 2 Rn 20 ff. Hierzu Rn 71 ff. NK-ZPO/Dörner Rn 5; Gruber IPRax 2010, 128, 134; Prütting/Helms/Hau Anh § 110 FamFG Rn 49; aA Geimer/Schütze/Reuß Rn 23 (nur effektive Staatsangehörigkeit). Hierzu Rauscher/Andrae Art 5 HUntStProt 2007 Rn 6. Zur Einbeziehung dieser Unterhaltsstreitigkeiten in die Verordnung siehe Art 1 Rn 3 ff, Art 1 Rn 13 ff.

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42 Lit c schafft für Partner dieser Beziehungen zusätzliche Möglichkeiten für eine Gerichts-

standsvereinbarung.53 Dafür sprechen folgende Gesichtspunkte: Lit a und b sehen keine Beschränkung vor. Wenn der Verordnungsgeber hiervon Eheleute ausschließen wollte, hätte er es explizit festlegen müssen. Gerichtsstandsvereinbarungen in Familienunterhaltssachen haben – wenn überhaupt – praktische Bedeutung für den ehelichen bzw nachehelichen Unterhalt. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber die wichtigste Gruppe von den allgemeinen Wahlmöglichkeiten ausschließen wollte. Parallelen gibt es zu Art 8 HUntStProt 2007. Die Anknüpfungspunkte in lit a und b finden sich dort als Kriterien für die Rechtswahl – bezogen auf alle Unterhaltspflichten, unter Einschluss der Ehegatten/ ehemaligen Ehegatten – wieder. Außerdem gibt es dort zusätzliche Rechtswahlmöglichkeiten für Ehegatten/ehemalige Ehegatten. Insbesondere diese Strukturübereinstimmung spricht dafür, dass auch die Anknüpfungspunkte in lit c die Möglichkeiten der Gerichtsstandsvereinbarung erweitern. aa) Ehegericht 43 Für die Streitigkeiten aus Unterhaltspflichten können die Parteien die Zuständigkeit des

Gerichts vereinbaren, das auch für die Ehesache zuständig ist. In der Vereinbarung muss der Wille der Ehegatten zum Ausdruck kommen, das Gericht mit einer Unterhaltsstreitigkeit zwischen ihnen zu befassen, welche auch in der Ehesache zuständig wäre, ist oder war. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn die Ehegatten die Zuständigkeit eines konkreten Gerichts, in einem bestimmten Mitgliedstaat vereinbart haben, ohne den Bezug zur Ehesache herzustellen. 44 Die Möglichkeit, die Unterhaltssache zuständigkeitsrechtlich mittels Gerichtsstandsverein-

barung an das Ehegericht zu binden, hat erst richtig Sinn, wenn die Ehegatten das für die Ehesache zuständige Gericht eines Mitgliedstaates vereinbaren können. Nach der gültigen Fassung der Brüssel IIa-VO trifft das nicht zu. Die Zuständigkeit richtet sich nach den objektiven Kriterien der Artt 3 ff Brüssel IIa-VO. Vielfach sind alternative Zuständigkeiten gegeben. Das in der konkreten Ehesache zuständige Gericht wird erst mit Anrufung und Ausschluss der anderen an sich zuständigen Gerichte durch die Rechtshängigkeitssperre erreicht. Hinzu kommt, dass die Brüssel IIa-VO anders als die EG-UntVO grundsätzlich nur die internationale Zuständigkeit regelt. Solange die Gerichtsstandsvereinbarung für die Ehesache nicht zulässig ist, sind folgende zwei Fallsituationen zu unterscheiden: 45 1. Die Unterhaltssache wird zu einem Zeitpunkt anhängig, zu dem eine Ehesache (noch)

nicht anhängig ist. In diesem Fall steht das zuständige Ehegericht noch nicht fest. Die erforderliche Bestimmtheit für die Gerichtsstandsvereinbarung ist nicht gewahrt. Es reicht nicht aus, dass nach der gesetzlichen Regelung das angerufene Gericht hypothetisches Ehegericht sein könnte, weil die Zuständigkeit in der Unterhaltssache nicht die Zuständigkeit in der Ehesache präjudiziert. 46 2. Die Unterhaltssache wird mit der Ehesache, während der Anhängigkeit der Ehesache

oder nach Rechtskraft der Entscheidung in der Ehesache anhängig gemacht. Ist das angerufene mitgliedstaatliche Gericht in der Ehesache zuständig oder war es für die Entscheidung nach der Brüssel IIa-VO international zuständig, so ist es auch für die

53

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So auch MünchKomm/Lipp Rn 20; Geimer/Schütze/Reuß Rn 26; Gruber IPRax 2010, 128, 133.

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Art 4 EG-UntVO

Unterhaltssache zuständig. Das für die Unterhaltssache zuständige Ehegericht wird auf diese Weise unter Ausschluss der Gerichte anderer Mitgliedstaaten festgelegt. Abs 1 S 2 ist auf die Vereinbarung der Zuständigkeit des Ehegerichts für die Unterhaltsstreitigkeit nicht anzuwenden. bb) Letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt Eine Gerichtsstandsvereinbarung kann sich auch auf ein Gericht oder die Gerichte des 47 Mitgliedstaates beziehen, in dem die Parteien ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Der Aufenthalt muss nicht am selben Ort innerhalb dieses Staates liegen. Maßgeblich ist wiederum der Zeitpunkt der Vereinbarung oder des Anrufens des Gerichts. Der gewöhnliche Aufenthalt beider Parteien muss zu diesem Zeitpunkt mindestens ein Jahr in diesem Staat betragen haben. Er muss zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bestehen, beide können ihn aufgehoben haben. Beispiel:

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Die Ehegatten haben die Zuständigkeit des Gerichts in der Stadt X in einem bestimmten Mitgliedstaat vereinbart. Hat einer der Ehegatten in diesem Staat seinen gewöhnlichen Aufenthalt zur Zeit der Vereinbarung oder zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts, so braucht lit c nicht mehr geprüft zu werden, weil bereits lit a erfüllt ist. Das vereinbarte Gericht ist jedoch auch zuständig, wenn die Ehegatten zum Zeitpunkt der Vereinbarung ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat für mindestens ein Jahr und keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Staat begründet hatten. Trifft auch das nicht zu, ist letztlich das Gericht in der Stadt X zuständig, wenn die Ehegatten zum Zeitpunkt der Anhängigkeit ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt von mindestens einem Jahr in diesem Staat hatten und sie nunmehr in unterschiedlichen Staaten leben. Haben die Parteien nur die internationale Zuständigkeit bestimmt, so regelt sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Recht dieses Staates. Fehlt es danach an einem örtlich zuständigen Gericht, so kann nach deutschem Recht § 27 AUG entsprechend herangezogen werden.54 VI. Ausschluss Kindesunterhalt (Abs 3) Eine Gerichtsstandsvereinbarung ist unzulässig, wenn sie sich auf eine Streitigkeit über die 49 Unterhaltspflicht gegenüber einem Kind, das noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat, bezieht. Rechtsfolge ist die Nichtigkeit der Vereinbarung; die gesetzlichen Zuständigkeiten finden Anwendung. Es kommt nicht darauf an, wer die Vereinbarung getroffen hat und wann die Vereinbarung geschlossen worden ist. Entscheidend ist, worauf sie sich bezieht.55 Sie findet deshalb auch Anwendung, wenn das Kind nicht Partei des Verfahrens ist, weil gesetzlich eine Prozessstandschaft angeordnet ist.

54 55

Hierzu Rn 11. So auch MünchKommFamFG/Lipp Rn 10; Geimer/Schütze/Reuß Rn 30 (differenzierend); Gebauer/ Wiedmann/Bittmann Rn 46 (Zeitpunkt des Abschlusses); Fasching/ Konecny/Fucik Rn 4 (Zeitpunkt der Geltendmachung).

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50 Die Regelung zielt darauf zu verhindern, dass die den Unterhaltsberechtigten begünstigen-

den gesetzlichen Gerichtsstände abgedungen werden. Zugleich sichert sie die Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten, die der Unterhaltssache am sachnächsten sind. Sie berücksichtigt auch, dass das Kind selbst nicht an der Willensbildung beteiligt wird, sondern seine Vertreter die Vereinbarung schließen, deren Rechtsfolgen es letztlich tragen muss. 51 Umfasst die Vereinbarung den Kindesunterhalt über das 18. Lebensjahr hinaus, so stellt sich

die Frage nach der Gesamt- oder Teilnichtigkeit der Vereinbarung. Beide Lösungen sind denkbar. Sie sollte einheitlich autonom entschieden und nicht den nationalen Rechtsordnungen aufgrund kollisionsrechtlicher Verweisung überlassen werden. Ausgehend vom Schutzzweck der Norm sollte die Gesamtnichtigkeit der Vereinbarung angenommen werden. Nur wenn sich die Vereinbarung eindeutig und ausschließlich auf den Unterhalt bezieht, der gegenüber dem Kind nach der Vollendung des 18. Lebensjahres zu leisten ist, ist sie als zulässig anzusehen. Der Ausschluss erstreckt sich nur auf den Kindesunterhalt, nicht aber auf den der schwangeren Mutter oder auf den Unterhalt, den der nicht betreuende Elternteil dem anderen Elternteil wegen der Betreuung des Kindes schuldet. Er ist nicht analog auf Erwachsene anzuwenden, die in ihren persönlichen Fähigkeiten beschränkt sind.56 VII. Missbrauchskontrolle 52 Wie Art 23 Brüssel I-VO sieht Art 4 keine allgemeine Missbrauchskontrolle vor. Die Be-

schränkung der Wahlmöglichkeiten auf bestimmte Staaten führt zu keinem Schutz, weil bereits einseitige Verbindungen einer Partei, wie der gewöhnliche Aufenthalt und ihre Staatsangehörigkeit, ausreichend sind. Da die Gerichtsstandsvereinbarung im Allgemeinen ausschließlichen Charakter trägt, ist sie regelmäßig nachteilig für den Unterhaltsberechtigten. Daher sollte darüber nachgedacht werden, Gerichtsstandsvereinbarungen im Einzelfall auf einen Missbrauch hin zu prüfen.57 Die EG-UntVO zielt darauf, dem Unterhaltsberechtigten ohne Umstände zu ermöglichen, in einem Mitgliedstaat eine Entscheidung zu erwirken, die automatisch in einem anderen Mitgliedstaat, ohne weitere Formalitäten, vollstreckbar ist.58 Dem dienen auch die Vorschriften der Verordnung über die allgemeinen Zuständigkeiten. Die Begünstigung des Unterhaltsberechtigten bei der gesetzlichen Zuständigkeit kommt vor allem in dem Gerichtsstand an seinem gewöhnlichen Aufenthalt zum Ausdruck. Nun könnte argumentiert werden, dass Gerichtsstandsvereinbarungen für Unterhaltssachen Ausnahmecharakter haben, zumal Gerichtsstandsvereinbarungen in Bezug auf den Unterhalt von Kindern unter 18 Jahren ausgeschlossen sind. Dort, wo sie eine Rolle spielen, sollten sich beide Seiten den entsprechenden juristischen Rat leisten (können), bevor sie einer solchen Klausel zustimmen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass im Einzelfall die Möglichkeit der Gerichtsstandsvereinbarung missbraucht und ausgenutzt wird und die andere Seite sich der Tragweite der Vereinbarung – insbesondere ihrer derogativen Wirkung – nicht bewusst ist. Ein Ungleichgewicht kann zB im Verhältnis des jungen Erwachsenen zum unterhaltspflichtigen Elternteil, der Ehegatten zueinander oder in Bezug auf 56 57 58

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Fasching/Konecny/Fucik Rn 7; Gruber IPRax 2010, 133. So auch Geimer/Schütze/Reuß Rn 33 ff; ablehnend MünchKomm/Lipp Rn 26. ErwGr 9.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 4 EG-UntVO

einen Berechtigten bestehen, der aufgrund seiner Beeinträchtigung oder der Unzulänglichkeit seiner persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage ist, seine Interessen zu schützen.59 Gegen eine Missbrauchskontrolle spricht jedenfalls nicht das mit der Zulassung der Gerichtsstandsvereinbarung verfolgte Ziel, größere Rechtssicherheit, Vorhersehbarkeit und Eigenständigkeit der Vertragsparteien zu ermöglichen.60 Diese Regelungsziele bestehen auch bei der Rechtswahl und der materiell-rechtlichen Vertragsfreiheit in Unterhaltssachen. Dies hindert jedoch nicht daran, Grenzen für die Vertragsfreiheit und die Parteiautonomie zu setzen und, auch soweit sie bestehen, für den Einzelfall dem Missbrauch über Generalklauseln vorzubeugen.61 Der Verzicht auf die Missbrauchsklausel lässt sich nicht mit dem Hinweis darauf rechtfertigen, dass die Rechtspflege innerhalb der Gemeinschaft ebenbürtig ist und durch ein einheitliches Kollisionsrecht gesichert wird, dass die Gerichte in den Mitgliedstaaten auf eine Unterhaltssache dasselbe Recht anwenden würden. Zum einen trifft letzteres durch die Bevorzugung der lex fori im HUntStProt 2007 nicht in jedem Fall zu. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Beschränkung des Unterhaltsberechtigten durch Gerichtsstandsvereinbarung auf einen entfernten Gerichtsstand erhebliche tatsächliche Erschwerungen der Rechtsverfolgung mit sich bringen kann. Wie die Brüssel I-VO und die Rom I-VO zeigen, gibt es begründete Parallelen zwischen der Begrenzung der Freiheit, einen Gerichtsstand zu wählen und der Beschränkung der Parteiautonomie in einzelnen Bereichen.62 Für eine Missbrauchskontrolle kann weiterhin angeführt werden, dass Art 4 zugleich Maßstab für die Derogation eines mitgliedstaatlichen Gerichts durch Prorogation eines drittstaatlichen Gerichts ist.63 Eine Missbrauchskontrollklausel hätte zudem vorbeugende Wirkung. Sie würde der Partei, die die Gerichtsstandsvereinbarung anstrebt, verdeutlichen, dass die Gegenseite die Möglichkeit haben sollte, die Relevanz der Vereinbarung zu erkennen. Es gibt folglich gewichtige Gründe, in familienbezogenen Unterhaltssachen die Zulassung 53 von Gerichtsstandsvereinbarungen mit einer zurückhaltend angewandten Missbrauchskontrollklausel zu verbinden. Ein strenger Anwendungsmaßstab ist angezeigt, um die angestrebte Rechtssicherheit und Voraussicht hinsichtlich der Wirksamkeit und der Wirkungen der Gerichtsstandsvereinbarung zu gewährleisten. Der Maßstab kann nicht durch das Recht des angerufenen Gerichts oder des auf die Gerichtsstandsvereinbarung anwendbaren Rechts gewonnen werden. Die EG-UntVO schließt für die Zuständigkeit grundsätzlich einen Rückgriff auf das nationale Recht aus. Hierzu gehört auch die Inhaltskontrolle einer Gerichtsstandsvereinbarung.64 59 60 61

62

63 64

Kritisch in Bezug auf diese Personengruppe auch MünchKommFamFG/Lipp Rn 9. ErwGr 19. Das HUntStÜbk 1973 ließ keine Rechtswahl zu, das HUntStProt 2007 fügt der Rechtswahlmöglichkeit eine Missbrauchsklausel in Art 8 Abs 5 bei. Rauscher/Mankowski Art 21 Rn 1 Brüssel I-VO. Für Verbrauchersachen folgt die Einschränkung aus Art 17 Brüssel I-VO und Art 6 Abs 2 Rom I-VO; zugunsten von Arbeitnehmern aus Art 21 Brüssel I-VO und Art 8 Abs 1 Rom I-VO. Hierzu Rn 5, Rn 74. Hierzu Rn 21.

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Art 4 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

54 Fraglich ist, ob für Art 4 eine planwidrige Regelungslücke anzunehmen ist, die zB durch

Analogie zur Missbrauchskontrolle für die Rechtswahl nach Art 8 Abs 5 HUntStProt 2007 geschlossen werden könnte. Dagegen spricht, dass die Problematik dem Verordnungsgeber bekannt gewesen sein dürfte. Sie wird im Zusammenhang mit Art 17 EuGVÜ/23 Brüssel I-VO in der Literatur diskutiert.65 Ein Regelungsvorbild gibt es ua mit Art 6 lit c HCCA66 und Art 5 Abs 2 schweizerisches IPRG.67 Gegen eine Analogie spricht dagegen nicht Art 20 Abs 1 lit e HUntVerfÜbk 2007, wonach – ohne Einschränkung – die Anerkennungszuständigkeit über eine schriftliche Vereinbarung der Parteien begründet wird, sofern nicht der Rechtsstreit Unterhaltspflichten gegenüber einem Kind zum Gegenstand hatte. Diese Bestimmung betrifft nur die prorogative Wirkung der Gerichtsstandsvereinbarung, die gesetzlichen Gerichtsstände bleiben alternativ daneben anerkennungsfähig, sie stehen im Art 20 Abs 1 HUntVerfÜbk 2007 alternativ nebeneinander. Die mögliche derogative Wirkung der Gerichtsstandsvereinbarung bleibt bei der Anerkennungszuständigkeit unbeachtet. Einer Missbrauchsklausel speziell für die Gerichtsstandsvereinbarung bedarf es deshalb dort nicht, zumal nach dem HUntVerfÜbk 2007 das Ergebnis der Anerkennung der ordre public Kontrolle unterliegt. 55 Trotz Bedenken sollte mE von einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden.

Jedenfalls hat der Verordnungsgeber die derogative Wirkung der Vereinbarung des Gerichtsstandes in einem Drittstaat für die Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte nicht bedacht. Er hat in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt, dass eine Schutzbedürftigkeit von Unterhaltsberechtigten über den Kreis von Kindern unter 18 Jahren hinaus für den Einzelfall bestehen kann. Hinzu kommt, dass aufgrund der großzügigen Kriterien in Abs 1 die Möglichkeit der Gerichtsstandsvereinbarung auch für Unterhaltssachen eröffnet wird, die tatsächlich nur mit einem Mitgliedstaat verbunden sind. Typisches Beispiel wäre eine Unterhaltsvereinbarung zwischen Eheleuten, die in Deutschland aufgewachsen sind und hier ihren Lebensmittelpunkt haben, in welcher der Gerichtsstand des ausländischen Heimatlandes des Ehemannes, der eine doppelte Staatsangehörigkeit hat, gewählt worden ist. Auch hier fehlt ein Korrektiv, vergleichbar Art 3 Abs 3 Rom I-VO für das Kollisionsrecht und § 38 Abs 3 ZPO für die Gerichtsstandsvereinbarung. 56 Möglich ist eine Analogie zu Art 8 Abs 5 HUntStProt 2007.68 Dies würde bedeuten, dass die

prorogative und derogative oder – je nach den Umständen des Falls – auch nur die derogative Wirkung der Gerichtsstandsvereinbarung unbeachtet bleibt, wenn sie für eine der Parteien offensichtlich unbillige oder unangemessene Folgen hätte, es sei denn, dass diese im Zeitpunkt der Vereinbarung umfassend unterrichtet und sich der Folgen ihrer Wahl vollständig bewusst war oder bewusst sein musste.

65

66 67

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Hierzu ausführlich Kropholler/von Hein Art 23 Brüssel I-VO Rn 86 ff; Rauscher/Mankowski Art 23 Brüssel I-VO Rn 12e ff mwN. Hierzu mit Textwiedergabe Rauscher/Mankowski Art 23 Brüssel I-VO Rn 12g. Danach ist die Gerichtsstandsvereinbarung unwirksam, wenn einer Partei ein Gerichtsstand des schweiz Rechts entzogen wird. Ablehnend Geimer/Schütze/Reuß Rn 35, wonach das allgemeine Rechtsmissbrauchsverbot als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts heranzuziehen ist.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 4 EG-UntVO

VIII. Wirkungen der Gerichtsstandsvereinbarung 1. Grundsätzlich ausschließliche Zuständigkeit Eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 4 hat grundsätzlich ausschließlichen Charakter. 57 Die gesetzlichen Gerichtsstände nach der EG-UntVO werden derogiert. Die Parteien können jedoch der Gerichtsstandsvereinbarung eine andere Wirkung beimessen. Abs 1 S 3 stimmt mit Art 23 Abs 1 S 2 Brüssel I-VO überein, eine übereinstimmende Auslegung ist daher angezeigt.69 Der Wille der Parteien, der Gerichtsstandsvereinbarung konkurrierenden Charakter beizumessen, muss in der schriftlichen Vereinbarung eindeutig zum Ausdruck kommen. Aus dem Ausschlusstatbestand „sofern nicht …“ folgt die Vermutung, dass die Parteien von der Ausschließlichkeit nicht abgewichen sind.70 Im Zweifel gilt deshalb der Grundsatz der Ausschließlichkeit. 2. Bindung des derogierten mitgliedstaatlichen Gerichts Haben die Parteien nach Art 4 wirksam das Gericht oder die Gerichte eines anderen Mit- 58 gliedstaates mit ausschließlicher Wirkung vereinbart, so hat sich ein angerufenes Gericht eines anderen Mitgliedstaates von Amts wegen für unzuständig zu erklären (Art 10). Das gilt jedoch dann nicht, wenn der Antragsgegner sich gemäß Art 5 auf das Verfahren vor dem angerufenen Gericht einlässt, ohne die Unzuständigkeit zu rügen. Das rügelose Einlassen vor einem an sich unzuständigen Gericht überwindet auch die ausschließliche Zuständigkeit nach Art 4 Abs 1 S 3. IX. Derogation durch Wahl eines nichtmitgliedstaatlichen Gerichts 1. Island, Norwegen und die Schweiz (Abs 4)71 Art 23 LugÜbk 2007 regelt die Gerichtsstandsvereinbarung, die Bestimmung entspricht 59 Art 23 Brüssel I-VO. Art 4 Abs 4 ist zu entnehmen, dass das LugÜbk 2007 anwendbar ist, wenn die Parteien vereinbart haben, dass ein Gericht oder Gerichte eines Vertragsstaates dieses Übereinkommens ausschließlich zuständig sind. Damit wird zunächst zum Ausdruck gebracht, dass die Abgrenzung zwischen der Brüssel I-VO und dem LugÜbk 2007, wie sie in Art 64 Abs 2 lit a LugÜbk geregelt ist, bezogen auf die Gerichtsstandsvereinbarungen auf das Verhältnis der EG-UntVO zu diesem Übereinkommen im Allgemeinen übertragbar ist. Eine ausschließliche Zuständigkeitsvereinbarung wird für die Anwendung von Art 23 LugÜbk 2007 in Abgrenzung zur Brüssel I-VO und damit auch zur EG-UntVO nicht gefordert. Es ist nicht anzunehmen, dass der Verordnungsgeber mit Art 4 Abs 4 den Anwendungsbereich des LugÜbk 2007 einschränken wollte, da sich die Gemeinschaft mit Art 23 LugÜbk 2007 völkerrechtlich gebunden hat. Deshalb ist von Folgendem auszugehen: Haben die Parteien in einer Unterhaltssache ein Gericht oder die Gerichte in Island, Norwegen oder in der 69

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Hierzu Rauscher/Mankowski Art 23 Brüssel I-VO Rn 59 ff; Kropholler/von Hein Art 23 Brüssel I-VO Rn 90 ff jeweils mwN. Für die Brüssel I-VO Kropholler/von Hein Art 23 Brüssel I-VO Rn 92; Rauscher/Mankowski Art 23 Brüssel I-VO Rn 59. Zum Verhältnis der Bestimmungen über die Zuständigkeit der EG-UntVO und des LugÜbk 2007 siehe Art 69 Rn 16 ff.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Schweiz wirksam nach Art 23 LugÜbk 2007 als zuständig vereinbart, so bestimmt sich nach Art 23 Abs 1 S 2 LugÜbk 2007, ob die vereinbarte Zuständigkeit ausschließlich oder zusätzlich sein soll. Ist sie zusätzlich, dann werden die gesetzlichen Gerichtsstände nicht abgedungen. Hat der Beklagte in diesem Fall seinen Wohnsitz in Island, Norwegen und der Schweiz, so findet für die neben der vereinbarten Zuständigkeit bestehenden gesetzlichen Zuständigkeiten das LugÜbk 2007 Anwendung. Befindet sich der Wohnsitz des Beklagten in einem anderen Staat, regeln sich die gesetzlichen Zuständigkeiten nach der EG-UntVO. 60 Art 4 Abs 4 zielt auf die Einschränkung der Anwendung von Art 23 LugÜbk in einer

speziellen Fallsituation. Es muss eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung getroffen sein, die nach Art 23 LugÜbk 2007 wirksam zustande gekommen ist. Soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, wird von einer ausschließlichen Zuständigkeit ausgegangen. Die Regelung schließt die Anwendung des LugÜbk 2007 dann aus, wenn es um eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 4 Abs 3 geht, also um eine, die eine Unterhaltspflicht gegenüber einem Kind betrifft, das noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat. Für diese Unterhaltspflichten ist eine Gerichtsstandsvereinbarung nach der EG-UntVO nicht zulässig. Diesen Grundsatz haben die Gerichte der Mitgliedstaaten anzuwenden, wenn sie über die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung entscheiden, die dem LugÜbk 2007 unterliegt. 61 Die Möglichkeit der Einschränkung der Anwendung von Art 23 LugÜbk 2007 durch Art 4

Abs 4 ergibt sich aus Nr 1 des Protokolls Nr 3 zum LugÜbk 2007.72 Verwiesen wird für Rechtsakte der Europäischen Union, die die Zuständigkeit für besondere Gebiete regeln, auf Art 67 Abs 1 LugÜbk 2007, der den Vorrang von Bestimmungen in völkerrechtlichen Übereinkünften für solche besonderen Rechtsgebiete bestimmt. Hierunter fallen auch Rechtsakte, die Unterhaltssachen betreffen. 62-64 Rn 62, 63 und 64 entfallen.

2. Drittstaaten 65 Im Nachfolgenden geht es um die Vereinbarung eines Gerichtsstandes, der weder in einem

Mitgliedstaat iSd Art 1 Abs 2 noch in einem Teilnehmerstaat des LugÜbk 2007 liegt und deshalb als Drittstaat bezeichnet wird. Für Unterhaltssachen gibt es keine Staatsverträge, welche die EU oder Deutschland im Verhältnis zu Drittstaaten binden und die Begründung der internationalen Zuständigkeit im Erkenntnisverfahren durch Gerichtsstandsvereinbarung zum Gegenstand haben. Die Staatsverträge betreffen nur die Anerkennungszuständigkeit als Voraussetzung für die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung. Das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.200573 schließt nach Art 2 Abs 2 lit b Unterhaltspflichten aus. 66 Art 4 regelt dem Wortlaut nach nur die Vereinbarung der Zuständigkeit eines mitglied72 73

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MünchKommFamFG/Lipp Rn 12; Lipp, FS Pintens, 2012, S 99, 116; insoweit Korrektur zur Vorauflage. Zu finden ABl EU 2009 L 133, 3 sowie http://www.hcch.net/index_de.php?act=conventions.text&cid=98 (noch nicht in Kraft getreten, Stand Oktober 2014).

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 4 EG-UntVO

staatlichen Gerichts. Zunächst ist zu unterscheiden: Ob durch die Vereinbarung die Zuständigkeit der Gerichte oder des Gerichts eines Drittstaates begründet wird, bestimmt sich nach dessen Recht. Sind also die Gerichte des Staates X als zuständig vereinbart worden, dann bestimmt das Recht des Staates X, ob aufgrund dieser Vereinbarung die eigenen Gerichte zuständig sind. Für die mitgliedstaatlichen Gerichte ist diese Vereinbarung für die Frage von Bedeutung, ob 67 sie ihre nach der Verordnung bestehenden gesetzlichen Zuständigkeiten ausschließt.74 Es geht also um die derogative Wirkung einer solchen Vereinbarung in Bezug auf die eigene Zuständigkeit. Diese kann natürlich nur dann eintreten, wenn überhaupt nach Artt 3, 5 und 6 die Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts bestehen würde. Die EG-UntVO regelt die Derogation der Zuständigkeit mitgliedstaatlicher Gerichte durch Vereinbarung eines Gerichtsstandes in einem Drittstaat nicht ausdrücklich. Für das parallele Problem in Bezug auf die Brüssel I-VO werden zwei Lösungen vertreten. 68 Nach der einen ist Art 23 Brüssel I-VO entsprechend auf den Derogationseffekt anzuwenden.75 Nach der anderen Lösung beurteilt sich die derogative Wirkung nach dem autonomen IZPR des Mitgliedstaates, dessen Gericht von einer Partei angerufen wurde.76 Diese Sicht hat der EuGH ermöglicht, indem er unter Bezug auf den Bericht von Schlosser angenommen hat, dass Art 17 Abs 1 EuGVÜ nicht auf eine Klausel anwendbar ist, die als zuständiges Gericht das Gericht eines Drittstaates bestimmt.77 Für die Brüssel I-VO ist diese letztere Lösung dogmatisch vertretbar, weil ihr räumlich-personeller Anwendungsbereich begrenzt ist und sie Raum für autonome Regelungen der internationalen Zuständigkeit mit Drittstaatbezug lässt. Im Gegensatz dazu sind die Bestimmungen der EG-UntVO universell anwendbar und zur 69 internationalen Zuständigkeit daher abschließend. Ein Rückgriff auf die autonomen Vorschriften über die Zuständigkeit ist nicht möglich.78 Theoretisch gibt es daraufhin nur zwei Möglichkeiten der Problemlösung. Die eine besteht darin, die Derogation der Gerichte eines Mitgliedstaates, die nach der EG-UntVO zuständig sind, auszuschließen.79 Nach der anderen ist Art 4 Abs 1-3 entsprechend auf eine solche Derogation anzuwenden.80 Nur letztere kann rechtstatsächlich in Betracht kommen, denn das HUntStProt 2007 ermöglicht eine allseitige Rechtswahl und damit auch die Abwahl des Rechts eines Mitgliedstaates. Was hinsichtlich des materiellen Rechts möglich ist, sollte auch für die Zuständigkeit entsprechend zutreffen. Das HUntVerfÜbk 2007, an dessen Ausarbeitung sich die Europäische Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten beteiligt haben, sieht in Art 20 Abs 1 lit c vor, dass die Anerkennungszuständigkeit auch auf einer Gerichtsstandsvereinbarung beruhen 74

75

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77 78 79 80

Hierzu schon Schlosser-Bericht zum EuGVÜ Rn 72; hierzu auch Kropholler/von Hein Art 23 Brüssel I-VO Rn 14. Ua Rauscher/Mankowski Art 23 Brüssel I-VO Rn 3b; Geimer NJW 1986, 1439; von Hein IPRax 2006, 16, 17. Ua Schlosser-Bericht zum EuGVÜ Rn 72; Kropholler/von Hein Art 23 Brüssel I-VO Rn 14; BGH v 20.1. 1986 – II ZR 56/85, IPRax 1987, 168 = NJW 1986, 1438. EuGH Rs 387/98 Coreck Maritime/Handelsveem EuGHE 2000 I 9337, 9373 Rn 19 = NJW 2001, 501, 502. ErwGr 15. So in der Konsequenz: Rauscher FamFR 2013, 25, 27. Im Ergebnis wie hier Hausmann, IntEuSchR C Rn 119; Prütting/Helms/Hau Anh. § 110 FamFG Rn 52.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

kann. Weiterhin ist es international nicht üblich, zugunsten der eigenen Gerichte aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung einen Ausschluss der Zuständigkeit der Gerichte anderer Staaten anzunehmen und im umgekehrten Fall die derogative Wirkung rigoros abzulehnen. 70 Als Schlussfolgerung ergibt sich: Die Zulässigkeit, die Anforderungen und die Wirkungen

einer Derogation der Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaates bestimmen sich nach Art 4 analog. Abs 1 S 1 lit a bis c sind spiegelbildlich anzuwenden, eines dieser Kriterien muss für den gewählten Gerichtsstand zu dem in S 2 genannten Zeitpunkt zutreffen.81 71 Ob die Prorogation des Gerichts eines Drittstaates tatsächlich Erfolg hat, bestimmt sich

nach dem Recht des gewählten Gerichts. Ausnahmsweise kann es dann dazu kommen, dass vom Standpunkt des europäischen Zivilverfahrensrechts eine wirksame Derogation, nach dem Recht des Drittstaates jedoch keine Prorogation vorliegt. Um in diesem Fall eine Rechtsverweigerung zu vermeiden, ist im Ergebnis dann die Gerichtsstandsvereinbarung unbeachtlich.82 Trotz wirksamer Derogation wird das Gericht eines Mitgliedstaates durch rügeloses Einlassen nach Art 5 zuständig. X. Intertemporale Fragen 72 Haben die Parteien die Gerichtsstandsvereinbarung getroffen, bevor die EG-UntVO an-

zuwenden war, so stellt sich die Frage, ob Art 23 Brüssel I-VO oder Art 4 anzuwenden ist. Die Lösung ergibt sich zunächst aus Art 75 Abs 1. Danach kommt es auf den Zeitpunkt der Anhängigkeit des Verfahrens an,83 wobei sich dieser nach Art 9 EG-UntVO bzw Art 30 Brüssel I-VO bestimmt. Liegt der Zeitpunkt vor dem 18.6.2011, so ist die Brüssel I-VO maßgeblich, ab diesem Datum die EG-UntVO. Ist nach Art 4 die Gerichtsstandsvereinbarung nicht wirksam zustande gekommen, weil zB deren Formerfordernis nicht Rechnung getragen wurde oder der vereinbarte Gerichtsstand nicht die möglichen Anknüpfungspunkte beachtet, erfüllt sie jedoch die Anforderungen an die Gerichtsstandsvereinbarung in Unterhaltssachen nach dem zum Zeitpunkt der Vereinbarung geltenden europäischen Zivilverfahrensrecht (EuGVÜ/Brüssel I-VO), so sollte ihr Wirkung verliehen werden.84 Rechtssicherheit und Vertrauen auf die zum Zeitpunkt der Vereinbarung geltende Regelung sind insoweit zu schützen; eine Ausnahme stellt der Ausschluss nach Art 4 Abs 3 dar.85 Hier hat der Schutz der Minderjährigen durch Ausschluss jeglicher Gerichtsstandsvereinbarung in Bezug auf den Kindesunterhalt Vorrang vor dem Vertrauen auf die Wirksamkeit der Vereinbarung.

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So auch MünchKommFamFG/Lipp Rn 32; aA Geimer/Schütze/Reuß Rn 16. Möglich sind hier unterschiedliche Lösungswege, zum dt IZPR Schack, IZVR Rn 512. Hausmann, IntEuSchR C Rn 289. Rauscher FamFR 2013, 25, 26; offengelassen Hausmann, IntEuSchR C Rn 289; Zu dem vergleichbaren Problem bezogen auf die Brüssel I-VO ua Rauscher/Mankowski Art 23 Brüssel I-VO Rn 75, 76; Kropholler/von Hein Art 23 Brüssel I-VO Rn 11; Trunk IPRax 1996, 249, 251 mit weiterführenden Literaturhinweisen. Hausmann, IntEuSchR C Rn 289.

Oktober 2014

Kapitel II: Zuständigkeit

Art 5 EG-UntVO

Artikel 5: Durch rügelose Einlassung begründete Zuständigkeit Sofern das Gericht eines Mitgliedstaats nicht bereits nach anderen Vorschriften dieser Verordnung zuständig ist, wird es zuständig, wenn sich der Beklagte auf das Verfahren einlässt. Dies gilt nicht, wenn der Beklagte sich einlässt, um den Mangel der Zuständigkeit geltend zu machen. I. II.

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Abgrenzung zum innerstaatlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

III.

Inhalt der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1. Rügeloses Einlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2. Rüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 3. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

I. Vorbemerkung Art 5 ist neben Art 14 die einzige Bestimmung der EG-UntVO zur Zuständigkeit, die wort- 1 gleich aus der Brüssel I-VO entnommen wurde. Auch hier bestand Veranlassung, Besonderheiten zu berücksichtigen.1 Das betrifft in erster Linie Verfahren in Bezug auf den Unterhalt von Kindern unter 18 Jahren, für die eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 4 Abs 3 ausgeschlossen ist. Die dieser Regelung zugrunde liegenden Schutzerwägungen hätten auch dazu führen müssen, ein Einlassen zu Lasten des Unterhaltsberechtigten auszuschließen oder gesondert zu regeln. Während bei der Gerichtsstandsvereinbarung ein Rechtsbindungswille hinsichtlich der Zuständigkeitsbegründung erforderlich ist und dem Schriftformerfordernis eine gewisse Warnfunktion zukommt, gibt es solche Hürden für das rügelose Einlassen nicht. Der Tatbestand des rügelosen Einlassens erfüllt sich, ohne dass die betroffene Partei von der an sich fehlenden Zuständigkeit des angerufenen Gerichts und den Rechtsfolgen ihres Handelns Kenntnis hat. Die Einlassung des Beklagten ist als stillschweigende Anerkennung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts und somit als Vereinbarung der Zuständigkeit dieses Gerichts zu betrachten.2 Es fehlt eine vergleichbare Regelung wie sie in Art 26 Abs 2 Brüssel Ia-VO für bestimmte Vertragsstreitigkeiten zum Schutz der schwächeren Partei vorgesehen ist. Geregelt ist dort, dass sich das Gericht nur dann für zuständig erklären darf, wenn es sichergestellt hat, dass der Beklagte über sein Recht aufgeklärt wurde, die Unzuständigkeit geltend zu machen, sowie über die Rechtsfolgen der Einlassung oder Nichteinlassung.3 Das HUntAVÜbk 1973 und das HUntVerfÜbk 2007 regeln das Einlassen in das Verfahren 2 als zuständigkeitsbegründend bei der Anerkennungszuständigkeit.4 Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass erst das Einlassen in die Sache ohne Rüge der Zuständigkeit zur Zuständigkeitsbegründung führt. Um den Grad der Übereinstimmung zu erhöhen, wäre an Stelle eines Gleichklangs zur Brüssel I-VO auch ein solcher zu den Haager Übereinkommen möglich gewesen.

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3 4

A.A. Geimer/Schütze/Reuß Rn 3. EuGH Rs C-111/09 ČPP Vienna Insurance Group EuGHE 2010, I 4545 Rn 21; EuGH Rs C-1/13 Cartier parfums-lunettes und Axa Corporate Solutions Assurance SA Rn 34. Hausmann, IntEuSchR C Rn 174. Art 7 Nr 3 HUntAVÜbk 1973 und Art 20 Abs 1 lit b HUntVerfÜbk 2007.

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Art 5 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

II. Abgrenzung zum innerstaatlichen Recht 3 Art 5 ist jedenfalls anzuwenden, wenn in einer grenzüberschreitenden Unterhaltssache5 die

internationale Zuständigkeit des angerufenen mitgliedstaatlichen Gerichts zu klären ist. In solchen Fällen regelt Art 5 neben der internationalen auch die örtliche Zuständigkeit.6 Hinsichtlich der Kriterien, die eine Unterhaltssache zu einer grenzüberschreitenden machen, gibt es dieselben Schwierigkeiten wie bei Art 3.7 In den Fällen, in denen Art 3 zu keiner internationalen Zuständigkeit der Gerichte des Forum-Staates führt und sie auch nicht durch eine Gerichtsstandsvereinbarung begründet wird, ist Art 5 zu prüfen. 4 Problematisch ist, ob Art 5 auch dann Anwendung findet, wenn sich die internationale

Zuständigkeit der Gerichte des Forum-Staates bereits aus Art 3 oder 4 ergibt, nicht jedoch die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. Für die Anwendung von Art 5 auf solche Fälle spricht der Wortlaut. Erforderlich ist eine Abstimmung mit der allgemeinen Zuständigkeit nach Art 3. Soweit Art 3 die innerstaatliche Gesetzgebung über die örtliche Zuständigkeit der Gerichte für Unterhaltsstreitigkeiten mit Auslandsberührung verdrängt, ist es korrekt, dies auch für Art 5 zu vertreten. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Art 5 bezogen auf die örtliche Zuständigkeit nur dann maßgeblich ist, wenn in dem konkreten Fall hierfür Art 3 Anwendung findet und danach die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht gegeben ist.8 Bezogen auf Art 3 lit a und b ist deshalb erforderlich, dass wenigstens eine an der Unterhaltssache beteiligte Person ihren gewöhnlichen oder schlichten Aufenthalt,9 der nicht nur ganz kurzfristig sein darf, nicht im Gerichtsstaat hat. 5 Beispiel: Der Kläger mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland hat den Antrag in einem

Mitgliedstaat gestellt, in dem der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Jedoch befindet sich dieser nicht im Bezirk des angerufenen Gerichts. In diesem Fall sind die Gerichte des Forum-Staates nach Art 3 lit a international zuständig. Da einer der Beteiligten im Ausland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, bestimmt sich nicht nur die internationale sondern auch die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nach Art 3. Letztere liegt für das angerufene Gericht nicht vor. Möglich ist eine Zuständigkeitsbegründung durch rügelose Einlassung nach Art 5. Unter der Voraussetzung, dass § 28 AUG mit dem Zuständigkeitssystem der Verordnung vereinbar ist,10 findet Art 5 keine Anwendung, wenn der Antragsteller zwar das nach Art 3 lit a oder b örtlich zuständige Familiengericht angerufen, jedoch die Zuständigkeitskonzentration nach § 28 AUG nicht beachtet hat. 6 Art 5 bezieht sich nicht auf die sachliche und funktionelle Zuständigkeit des angerufenen

Forums, hierfür ist allein das einzelstaatliche Recht maßgeblich. 5 6 7 8

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Hausmann, IntEuSchR C Rn 165. So, jedoch ohne Differenzierung OLG Stuttgart 17 WF 229/13, FamRZ 2014, 850. Hierzu Art 3 Rn 15 ff. Für Art 24 Brüssel I-VO wird vertreten, dass er hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit nicht zur Anwendung kommt, wenn die diesbezügliche gesetzliche Zuständigkeit dem nationalen Recht überlassen ist, Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 24 Brüssel I-VO Rn 33. Schlichter Aufenthalt im Sinne von ErwGr 32 zu verstehen. Hierzu Art 3 Rn 21a.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 5 EG-UntVO

III. Inhalt der Regelung Da Art 5 im Wortlaut mit Art 18 EuGVÜ/Art 24 Brüssel I-VO übereinstimmt, können 7 Rechtsprechung und Literatur zur Auslegung dieser Normen herangezogen werden. Im Folgenden werden die wesentlichen Punkte skizziert, für Vertiefung wird auf die Kommentierung zu Art 24 Brüssel I-VO verwiesen. 1. Rügeloses Einlassen Unter Einlassen auf das Verfahren ist jede Verteidigung zu verstehen, die unmittelbar auf 8 Klageabweisung abzielt, ohne die fehlende internationale Zuständigkeit zu rügen.11 Die Rüge muss nicht ausdrücklich erfolgen; es genügt, dass sie sich sinngemäß aus dem Vortrag des Beklagten ergibt.12 Zuständigkeitsbegründend wirkt nicht nur die Einlassung auf die Hauptsache, sondern auch das Vorbringen von Einwendungen und Einreden, die das Verfahren betreffen.13 Es kommt allein auf den objektiven Tatbestand der Nichtrüge der internationalen Zuständigkeit an; unerheblich ist, ob der Beklagte die Rechtsfolgen kannte.14 Die Rüge ist verspätet, wenn der Beklagte sie erst nach Abgabe derjenigen Stellungnahme erhebt, die nach dem innerstaatlichen Prozessrecht als das erste Verteidigungsvorbringen vor dem angerufenen Gericht anzusehen ist.15 Ein rügeloses Einlassen liegt vor, wenn in einer schriftlichen Klageerwiderung die interna- 9 tionale Zuständigkeit nicht gerügt wird (dh bei Anrufung eines deutschen Gerichts bereits vor der mündlichen Verhandlung).16 Handlungen im Vorfeld der Verteidigung, wie die Anzeige der Verteidigungsbereitschaft, gehören noch nicht dazu,17 auch nicht der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe.18 Keine Einlassung stellen auch der Widerspruch gegen den Mahnbescheid und der Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid im deutschen Verfahren dar, weil Einwände gegen die Zulässigkeit des Verfahrens noch nicht vorzubringen sind; anders der Einspruch gegen eine Säumnisentscheidung wegen des in § 340

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Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 24 Brüssel I-VO Rn 4; Kropholler/von Hein Art 24 Brüssel I-VO Rn 7; Leible/Sommer IPRax 2006, 568, 568; Schulte-Beckhausen S 164. OLG Koblenz OLGR 2000, 413, 415 = IPRax 2001, 334, 336; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 24 Brüssel I-VO Rn 7; MünchKommZPO/Gottwald Art 24 Brüssel I-VO Rn 7. OLG Koblenz v 30.11.1990 – 2 U 1072/89, IPRspr 1990 Nr 194 = RIW 1991, 63; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 24 Brüssel I-VO Rn 3; näher hierzu Schulte-Beckhausen S 165 f. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 24 Brüssel I-VO Rn 4; Rauscher/Staudinger Art 24 Brüssel I-VO Rn 4. EuGH Rs 150/80 Elefanten Schuh/Pierre Jacqmain EuGHE 1981, 1671, 1686 Rn 16 f = IPRax 1982, 234, 237 m Anm Leipold, 222; EuGH Rs C-144/12 Goldbet Sportwetten, IPRax 2014, 64 = NJW 2013, 2657 Rn 37. OLG Frankfurt aM IPRax 2000, 525; Kropholler/von Hein Art 24 Brüssel I-VO Rn 15; Schlosser Art 24 Brüssel I-VO Rn 2. LG Frankfurt aM v 15.5.1990 – 3/11 O 158/89, IPRspr 1990 Nr 170 = EuZW 1990, 581; Rauscher/ Staudinger Art 24 Brüssel I-VO Rn 4; Geimer/Schütze/Reuß Rn 5, 7; Schlosser Art 24 Brüssel I-VO Rn 2; Schulte-Beckhausen S 167 f. Schulte-Beckhausen S 171 f.

Marianne Andrae

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Art 5 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Abs 3 ZPO bestimmten Inhalts der Einspruchsschrift.19 Die Erhebung des Einspruchs gegen einen Europäischen Zahlungsbefehl bewirkt nicht bereits eine Einlassung in das Verfahren iSd Art 5, wenn darin nicht die mangelnde Zuständigkeit des Ursprungsgerichts geltend gemacht wird. Das trifft selbst dann zu, wenn im Einspruch gegen die Begründetheit des Anspruchs vorgetragen wird.20 10 Art 5 findet auch Anwendung, wenn es um den Unterhalt eines Kindes geht, Art 4 Abs 3

findet keine entsprechend Anwendung. Art 5 berührt nicht die Anwendung einzelstaatlicher Verfahrensvorschriften über die Hinweispflicht des Gerichts zu seiner Unzuständigkeit, ihre Nichtbeachtung verhindert jedoch nicht die Rechtsfolge der rügelosen Einlassung. Im deutschen Verfahren besteht keine Hinweispflicht.21 § 504 ZPO ist bezogen auf Art 5 EG-UntVO nicht anwendbar,22 weil auf Unterhaltsverfahren als Familienstreitsachen nicht die Vorschriften der ZPO über das amtsgerichtliche Verfahren Anwendung finden.23 2. Rüge 11 Die Rüge der fehlenden Zuständigkeit hindert eine Zuständigkeitsbegründung nach Art 5,

wenn sie spätestens zum gleichen Zeitpunkt wie das erste Verteidigungsvorbringen erfolgt.24 Ein hilfsweises Verhandeln zur Sache nach erfolgter Zuständigkeitsrüge ist unschädlich. Der Antragsgegner muss während des ganzen Prozesses – auch in den höheren Instanzen25 – an der Rüge der internationalen Unzuständigkeit festhalten, solange die Entscheidung hierzu noch anfechtbar ist. Diesbezügliche Zweifel gehen jedoch nicht zu Lasten des Antragsgegners.26 12 Beteiligt sich der Antragsgegner nicht am Verfahren, ist Art 5 nicht anwendbar. Die Ein-

lassung in das Verfahren bzw die Rüge muss von der Person erfolgen, die für den Unterhaltsprozess die Postulationsfähigkeit besitzt.27 Dies bestimmt sich nach nationalem Recht.28 Die Rüge kann sich auf die internationale und örtliche Zuständigkeit oder nur auf eine davon beziehen, weil die EG-UntVO – anders als die Brüssel I-VO – bei der allgemeinen Zuständigkeit die örtliche miterfasst.29 Die Auslegung wird regelmäßig ergeben,

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Rauscher/Staudinger Art 24 Brüssel I-VO Fn 23; Geimer/Schütze/Reuß Rn 7; aA Schlosser Art 24 Brüssel I-VO Rn 3. EuGH Rs C-144/12 Goldbet Sportwetten, IPRax 2014, 64 = NJW 2013, 2657. Gruber IPRax 2010, 128, 134 Fn 72. Wohl anders MünchKommFamFG/Lipp Rn 9. Vgl § 113 Abs 1 S 2 FamFG; Prütting/Helms/Helms § 113 FamFG Rn 5; Thomas/Putzo/Hüßtege § 113 FamFG Rn 2. Europäische Kommission, 14.7.1999, KOM (1999) 348, 20 f = BR-Drs 534/99, 19 f; Kropholler/von Hein Art 24 Brüssel I-VO Rn 15; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 24 Brüssel I-VO Rn 7. Hausmann, IntEuSchR C Rn 170; Kropholler/von Hein Art 24 Brüssel I-VO Rn 13; Geimer/Schütze/ Geimer, EuZVR Art 24 Brüssel I-VO Rn 52. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 24 Brüssel I-VO Rn 52. So auch Geimer/Schütze/Reuß Rn 4. Kropholler/von Hein Art 24 Brüssel I-VO Rn 6.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 5 EG-UntVO

dass die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit sich auch auf die internationalen Unzuständigkeit bezieht, soweit sie einen internationalen Bezug enthält.30 Wird das Fehlen anderer Prozessvoraussetzungen angezeigt, so stellt dies keine Rüge iSd 13 Art 5 dar, sondern bedeutet Einlassen in das Verfahren. Dies wird in Bezug auf Art 24 Brüssel I-VO auch für den Einwand der doppelten Rechtshängigkeit vertreten.31 Dies ist jedoch deshalb problematisch, als in dieser Rüge auch enthalten ist, dass nicht dieses Gericht, sondern ein anderes Gericht die Kompetenz hat, den Streitfall zu entscheiden. Dies gilt umso mehr, als sich das zuletzt angerufene Gericht nach Art 12 Abs 2 für unzuständig zu erklären hat und Art 5 nur die Rüge des Mangels der Zuständigkeit fordert. Die Kenntnis von der an sich dogmatisch richtigen Unterscheidung zwischen der internationalen Zuständigkeit und der Rechtshängigkeitssperre ist von der Partei für Art 5 nicht zu verlangen. Nicht ausreichend ist jedoch, dass die sachliche oder funktionelle Zuständigkeit des Ge- 14 richts gerügt wird. Hat der Antragsgegner die Rüge der Unzuständigkeit geltend gemacht, um danach hilfsweise zur Sache zu verhandeln, so wird die Zuständigkeit nach Art 5 nicht begründet.32 3. Rechtsfolge Durch das rügelose Einlassen wird die internationale und örtliche Zuständigkeit des ange- 15 rufenen Gerichts begründet. Diese Rechtsfolge wird auch herbeigeführt, wenn die Parteien durch eine Gerichtsstandsvereinbarung die Zuständigkeit des Gerichts oder der Gerichte eines anderen Staates mit ausschließlicher Wirkung vereinbart haben.33 Bei einer grenzüberschreitenden Unterhaltsstreitigkeit, bei der sich die internationale Zuständigkeit der Gerichte des Forumsstaates, nicht jedoch die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts aus Art 3 und Art 4 ableitet, wird die örtliche Zuständigkeit ebenfalls nach Art 5 begründet. Beachtet das angerufene mitgliedstaatliche Gericht die Rüge nicht und trifft eine Sach- 16 entscheidung, so kann die betroffene Partei dagegen Rechtsmittel nach innerstaatlichem Recht unter Hinweis auf die fehlende Zuständigkeit einlegen. Das trifft jedoch im Verfahren vor deutschen Gerichten nur zu, wenn die fehlende internationale Zuständigkeit gerügt worden ist, auf den Mangel der örtlichen Zuständigkeit kann sich die Beschwerde bzw die Rechtsbeschwerde nicht stützen.34 29

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Geimer/Schütze/Reuß Rn 10; Zur Brüssel I-VO: OLG Frankfurt aM NJW-RR 2005, 935; Geimer/Schütze/ Geimer, EuZVR Art 24 Brüssel I-VO Rn 6; Rauscher/Staudinger Art 24 Brüssel I-VO Rn 19. BGH v 17.10.2007 – XII ZR 146/05, FamRZ 2008, 40; MünchKommFamFG/Lipp Fn 11; Hausmann, IntEuSchR C Rn 171. OLG München IPRspr 2000 Nr 143; OLG Koblenz v 30.11.1990 – 2 U 1072/89, IPRspr 1990 Nr 194 = RIW 1991, 63; Kropholler/von Hein Art 24 Brüssel I-VO Rn 7. Bereits zum EuGVÜ EuGH Rs 150/80 Elefanten Schuh/Pierre Jacqmain EuGHE 1981, 1671, 1686 Rn 17 = IPRax 1982, 234, 237; EuGH Rs 27/81 Rohr/Dina Ossberger EuGHE 1981, 2431; ausführlich hierzu Kropholler/von Hein Art 24 Brüssel I-VO Rn 10 ff. MünchKommFamFG/Lipp Rn 4; Hausmann, IntEuSchR C Rn 166; Geimer/Schütze/Reuß Rn 11; Prütting/Helms/Hau § 110 FamFG Anh 3 Rn 53; Gebauer/Wiedmann/Bittmann Art 4 Rn 43. Für das FamFG-Verfahren OLG Hamm v 2.2.2011 – II-8 UF 98/10, FamRZ 2012, 143; für §§ 513 Abs 2, 545 Abs 2 ZPO BGH v 16.12.2003 – XI ZR 474/02, NJW 2004, 1456; Thomas/Putzo/Reichold § 513 ZPO Rn 3.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Art 6 EG-UntVO

Artikel 6: Auffangzuständigkeit Ergibt sich weder eine Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats gemäß der Artikel 3, 4 und 5 noch eine Zuständigkeit eines Gerichts eines Staates, der dem Übereinkommen von Lugano angehört und der kein Mitgliedstaat ist, gemäß der Bestimmungen dieses Übereinkommens, so sind die Gerichte des Mitgliedstaats der gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Parteien zuständig. I. II. III. IV.

Regelungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

V. VI.

Ersetzung durch den gemeinsamen Wohnsitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Vertragsstaaten des LugÜbk . . . . . . . . . . . . . . . 12

I. Regelungsziel 1 Die EG-UntVO regelt die internationale Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten

abschließend. Anders als in der Brüssel IIa-VO gibt es keine sog Restzuständigkeit nach nationalem Recht.1 Der Verordnungsgeber musste dem berechtigten Anliegen Rechnung tragen, in bestimmten Fällen mit Auslandsberührung die Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts zu ermöglichen, auch wenn die Zuständigkeitskriterien nach Art 3 nicht zutreffen und keine Gerichtsstandsvereinbarung oder ein rügeloses Einlassen zu einer solchen Zuständigkeit führt. Er hat als zusätzlichen Anknüpfungspunkt die gemeinsame Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates eingeführt. 2 Es handelt sich um ein Kriterium, das im deutschen internationalen Zivilverfahrensrecht für

Unterhaltssachen nicht zur Anwendung kommt, jedoch in Frankreich als allgemeines Zuständigkeitskriterium,2 auch wenn es nur auf eine Partei zutrifft, anerkannt ist. Wenn einerseits berücksichtigt wird, dass es um Unterhaltsbeziehungen aus Familienbeziehungen geht, ihnen also regelmäßig persönliche Beziehungen zugrunde liegen und andererseits eine gemeinsame Staatsangehörigkeit auch meist eine enge Verbindung beider Parteien zu diesem Staat bewirkt, so ist diese Auffangzuständigkeit durchaus tragfähig.3 Ob die Inanspruchnahme der Zuständigkeit für den Antragsteller sinnvoll ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere davon, ob der Antragsgegner in einem Mitgliedstaat vollstreckungsfähiges Vermögen hat oder ob die zu erwartende Entscheidung in einem potentiellen Vollstreckungs-Drittstaat aufgrund einer solchen Zuständigkeit anerkennungsfähig ist. Während zB Art 7 HUntAVÜbk 1973 noch die gemeinsame Staatsangehörigkeit als Anknüpfungskriterium für die Anerkennungszuständigkeit vorsieht, fehlt es in der Auflistung des Art 20 HUntVerfÜbk 2007. 3 Es gibt Situationen, in denen natürliche Personen keinen gewöhnlichen Aufenthalt haben

bzw ihr gewöhnlicher Aufenthalt nicht festgestellt werden kann. Diese Situation hat zB in Art 13 Brüssel IIa-VO für die Zuständigkeit in Fragen der elterlichen Verantwortung ihren

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Siehe zur Restzuständigkeit nach Art 7 Brüssel IIa-VO Rauscher/Rauscher Art 7 Brüssel IIa-VO. Vgl Art 14, Art 15 cc. Ausführlich MünchKommFamFG/Lipp Rn 3; Kritisch Hau FamRZ 2010, 516/517; Geimer/Schütze/ Reuß Rn 3.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 6 EG-UntVO

Niederschlag gefunden.4 Eine vergleichbare Regelung für die EG-UntVO, die an den Aufenthalt knüpft, wäre durchaus als Auffangzuständigkeit regelungswürdig gewesen.5 II. Voraussetzungen Beide Parteien müssen Angehörige des Staates sein, dessen Gericht angerufen ist.6 Wei- 4 terhin darf keine Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts nach den Artt 3-5 begründet sein. Mitgliedstaaten sind iSv Art 1 Abs 2 auszulegen. Zunächst darf die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht bereits nach den vorhergehenden Artikeln bestehen. Die anderen Zuständigkeiten haben Priorität. In der Entscheidung sollte die Herleitung der Zuständigkeit aus diesen anderen Kriterien zum Ausdruck kommen, weil dies für die Anerkennung und Vollstreckung in Drittstaaten von Bedeutung sein könnte. Vorrang haben die Zuständigkeit aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung, des gewöhn- 5 lichen Aufenthalts des Antragsgegners oder des Unterhaltsberechtigten sowie die Annexzuständigkeiten bei Anhängigkeit eines Eheverfahrens oder eines Verfahrens über die elterliche Verantwortung nach Art 3. Das rügelose Einlassen hat gleichfalls Vorrang vor Art 6 und muss deshalb im Verfahren geprüft werden, bevor die Zuständigkeit aufgrund der gemeinsamen Staatsangehörigkeit in Anspruch genommen wird. Auch die Gerichte anderer Mitgliedstaaten dürfen nach Artt 3-5 nicht zuständig sein. Weder 6 der Antragsgegner noch der Unterhaltsberechtigte dürfen deshalb in einem anderen Mitgliedstaat einen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Der Ausschluss nach Art 3 lit c und d setzt voraus, dass das Statusverfahren bzw das Verfahren über die elterliche Verantwortung in dem anderen Mitgliedstaat bereits anhängig ist und nach den dort geltenden Vorschriften in der konkreten Unterhaltssache als Annex zu diesem Verfahren verhandelt werden kann. Auch eine nach Art 4 wirksame Vereinbarung eines Gerichtsstandes in einem anderen Mitgliedstaat schließt eine Zuständigkeit nach Art 6 aus. Fraglich ist, ob es einer Prüfung bedarf, wenn in der Unterhaltssache bereits ein Gericht 7 eines anderen Mitgliedstaates angerufen ist. Dafür spricht der Wortlaut von Art 6. Dies macht auch Sinn, weil Art 10 (Prüfung der eigenen Zuständigkeit) Vorrang vor Art 12 (Beachtung der Rechtshängigkeit) hat.7 Das angerufene Gericht hat zunächst seine eigene Zuständigkeit zu prüfen und wenn sie nicht besteht, sich von Amts wegen für unzuständig zu erklären. Stützt sich die eigene Zuständigkeit nicht auf die Artt 3-5, so hat das angerufene Gericht zu prüfen, ob nach denselben Vorschriften das Gericht eines anderen Mitgliedstaates für die Unterhaltssache zuständig ist oder bei Anrufung sein würde. Es entscheidet dabei nicht über die Zuständigkeit der ausländischen Gerichte, sondern prüft sie nur als Vorfrage für die eigene Zuständigkeit. Insofern ist, wenn das Gericht eines anderen Mitgliedstaates in derselben Unterhaltssache bereits angerufen ist, auch zu prüfen, ob der Tatbestand des Art 5 dort erfüllt ist.8 Dieselbe Unterhaltssache ist hier im engeren Sinne zu

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Siehe auch Art 6 KSÜ. Hierzu Art 3 Rn 28. Hierzu unter Rn 9. Im Prinzip wie hier MünchKommFamFG/Lipp Rn 6; Geimer/Schütze/Reuß Rn 4. Wie hier Hausmann, IntEuSchR C Rn 176.

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Art 6 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

verstehen. Die Kernpunkttheorie,9 die für die Beachtung der Rechtshängigkeit entwickelt wurde, um widersprechende Entscheidungen zu verhindern, findet erst für die Prüfung der Rechtshängigkeitssperre Anwendung. III. Rechtsfolge 8 Sind das angerufene Gericht bzw die Gerichte des Mitgliedstaates, dessen Gericht angerufen

wurde, bereits nach den Art 3-5 zuständig, kann die Zuständigkeit nicht auf Art 6 gestützt werden. Diese Zuständigkeit hat subsidiären Charakter.10 Besteht eine solche nicht, aber die Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines anderen Mitgliedstaates, so hat sich das angerufene Gericht nach Art 10 für unzuständig zu erklären. 9 Ergibt sich aus den Art 3-5 keine Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines

Mitgliedstaates, so besteht die internationale Entscheidungszuständigkeit in der Unterhaltssache, wenn beide Parteien die Staatsangehörigkeit des Gerichtsstaates haben. Bei Mehrstaatern kommt es nur darauf an, ob eine der Staatsangehörigkeiten die des Gerichtsstaates ist, nicht erheblich ist, mit welchem Heimatstaat die Person am engsten verbunden ist.11 Nach der Bestimmung kommt es auf die Parteien des Prozesses an, dh in wessen Namen der Prozess geführt wird. Bei Prozessstandschaft für den Kindesunterhalt ist jedoch auf die Staatsangehörigkeit des Kindes abzustellen, wenn das Kind der materiellrechtlich Berechtigte ist und die Entscheidung für und gegen das Kind wirken wird.12 Dafür spricht, dass das Kind oft aufgrund des Abstammungsprinzips im Staatsangehörigkeitsrecht dieselbe Staatsangehörigkeit des in Anspruch genommenen Verwandten hat, wogegen der Elternteil, der in Prozessstandschaft für das Kind den Prozess führt, in gemischt nationalen Beziehungen nicht selten einem anderen Staat angehört. IV. Örtliche Zuständigkeit 10 Art 6 regelt nur die internationale Zuständigkeit; die örtliche Zuständigkeit ist in solchen

Fällen dem einzelstaatlichen Recht zu entnehmen. In Deutschland ist nach § 27 AUG das Amtsgericht Pankow-Weißensee in Berlin ausschließlich zuständig. V. Ersetzung durch den gemeinsamen Wohnsitz 11 Für die Gerichte Irlands und des Vereinigten Königreichs tritt für die Zuständigkeitsbe-

gründung an die Stelle der Staatsangehörigkeit das gemeinsame domicile (Art 2 Abs 3 S 1). Das domicile bestimmt sich nach dem Recht Irlands bzw des Vereinigten Königreichs. Dabei werden die Parteien, die in unterschiedlichen Gebietseinheiten (England und Wales, Schottland, Nordirland) ihr domicile haben, für Art 6 so behandelt, als hätten sie beide ihr domicile im Vereinigten Königreich (Art 2 Abs 3 S 2).13 9

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Siehe zur Kernpunkttheorie MünchKommZPO/Gottwald Art 27 Brüssel I-VO Rn 10; Rauscher/Leible Art 27 Brüssel I-VO Rn 8 mwN. Ua Fasching/ Konecny/Fucik Rn 1. Hausmann, IntEuSchR C Rn 178; Geimer/Schütze/Reuß Rn 6; NK-ZPO/Dörner Rn 2; Prütting/Helms/ Hau Anh § 110 FamFG Rn 56. Wie hier Hausmann, IntEuSchR C Rn 178, Fasching/Konecny/Fucik Rn 2; Gruber IPRax 2010, 128, 134; aA wohl MünchKommFamFG/Lipp Rn 7; Geimer/Schütze/Reuß Rn 6.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 7 EG-UntVO

VI. Vertragsstaaten des LugÜbk Die Zuständigkeit nach Art 6 besteht für Gerichte der Mitgliedstaaten nicht, wenn die 12 Gerichte der Teilnehmerstaaten des LugÜbK 2007 (also Island, Norwegen und Schweiz) nach diesem Übereinkommen die Zuständigkeit besitzen. Die Zuständigkeit in Unterhaltssachen nach dem Übereinkommen entspricht der der Brüssel I-VO.

Artikel 7: Notzuständigkeit (forum necessitatis) Ergibt sich keine Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats gemäß der Artikel 3, 4, 5 und 6, so können die Gerichte eines Mitgliedstaats in Ausnahmefällen über den Rechtsstreit entscheiden, wenn es nicht zumutbar ist oder es sich als unmöglich erweist, ein Verfahren in einem Drittstaat, zu dem der Rechtsstreit einen engen Bezug aufweist, einzuleiten oder zu führen. Der Rechtsstreit muss einen ausreichenden Bezug zu dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts aufweisen. I. II. III.

Zweckbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autonome Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen 1. Mitgliedstaatliches Gericht unzuständig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unmöglichkeit des Verfahrens im Drittstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. V.

3. Unzumutbarkeit des Verfahrens in Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 4. Bezug zu dem Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . 12 Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

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I. Zweckbestimmung Die Abgrenzung der Justizzuständigkeiten in Unterhaltssachen durch die Regeln über die 1 internationale Zuständigkeit darf nicht dazu führen, dass im Ergebnis ein déni de justice eintritt.1 Die internationale Notzuständigkeit ist ein rechtliches Ventil, das den Justizgewährungsanspruch – wie er in Art 6 Abs 1 EMRK verankert ist2 – sichert. Er soll nicht daran scheitern, dass der betreffenden Person in einem grenzüberschreitenden Zivilrechtsfall kein Forum zur Verfügung steht, in dem sie ihre Klage einbringen kann. In diesem Fall wird von einem negativen internationalen Kompetenzkonflikt gesprochen. 2 Dieser kann dadurch auftreten, dass die Staaten – anders als in der Europäischen Gemeinschaft – die Zuständigkeiten ihrer Gerichte nicht koordinieren und dadurch Lücken in der Zuständigkeit auftreten. Weiterhin können tatsächliche Umstände, wie Krieg, Stillstand der Rechtspflege oder Verfolgung, daran hindern, die Klage in dem Land einzureichen, dessen Gerichte an sich zuständig wären. Mit der Notzuständigkeit wird für eingegrenzte Fälle die Möglichkeit eröffnet, in einer Unterhaltssache bei Vorliegen solcher Gegebenheiten die

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Siehe auch Art 2 Rn 26. Hierzu ua Schütze, Ausgewählte Probleme des IZPR S 301 ff. Hierzu ua Schütze, Deutsches Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivilprozessrechts Rn 128; Kropholler, IPR6 (2006) § 58 II 1d; Matscher FS Schwind (1993) 71, 79; Milleker, Der Negative Internationale Kompetenzkonflikt S 69.

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Art 7 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Gerichte eines Mitgliedstaates anzurufen, wenn zu diesem Mitgliedstaat eine Verbindung besteht. 3 Bisher bestand in Bezug auf das europäische Zivilverfahrensrecht kein tatsächliches Bedürf-

nis für eine internationale Notzuständigkeit, da das EuGVÜ/die Brüssel I-VO einen räumlich-personell beschränkten Geltungsbereich haben. Innerhalb dieser Zuständigkeitsordnung traten negative Kompetenzkonflikte der oben dargestellten Art nicht auf. Die Brüssel IIa-VO weist zwar keine solche Begrenzung auf, regelt jedoch die internationale Zuständigkeit nicht abschließend, sondern lässt über die Restzuständigkeit Raum für einzelstaatliche Zuständigkeiten. Innerhalb des Anwendungsbereichs der Brüssel I- und der Brüssel IIa-VO ist die internationale Notzuständigkeit grundsätzlich dem autonomen IZPR der Mitgliedstaaten überlassen. Diese Zuständigkeit ist zB in Deutschland,3 in Frankreich4 und Österreich5 anerkannt.6 4 Die Vorschriften der EG-UntVO haben in Bezug auf die internationale Zuständigkeit ab-

schließenden Charakter. Ein Rückgriff auf die nationalen Vorschriften über die internationale Zuständigkeit, einschließlich über die Notzuständigkeit, ist somit nicht möglich. Erfreulich ist, dass der Verordnungsgeber die Notzuständigkeit geregelt hat und sie nicht der Lückenschließung durch die Rechtsprechung überlässt. II. Autonome Auslegung 5 Die Tatbestandserfordernisse sind autonom auszulegen. Übereinstimmende Grundsätze,

die in nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu dieser Zuständigkeit entwickelt wurden, können für die Auslegung herangezogen werden. Die Auslegung hat sich von dem Zweck der Vorschrift leiten zu lassen, die Verletzung des Justizgewährungsanspruchs in Folge von negativen Kompetenzkonflikten in konkreten Fällen zu verhindern. III. Voraussetzungen 1. Mitgliedstaatliches Gericht unzuständig 6 Die Notzuständigkeit ist ausgeschlossen, wenn nach den Artt 3, 4, 5 und 6 wenigstens ein

Gericht eines Mitgliedstaates zuständig ist. Es ist also zu prüfen, ob diese Normen wenigs3

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Ua BAG JZ 1979, 647; OLG Frankfurt aM IPRax 1999, 247, 249; Schütze, Deutsches Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivilprozessrechts Rn 128 ff; Schütze, Ausgewählte Probleme des IZPR S 305 ff. Ua Cass civ 13.1.1981, JDI 1981, 360; Bureau/Watt, Droit international privé, Tome 1 (Partie générale) (2007) Rn 64 ff; Niboyet/de la Pradelle, DIP (2007) Rn 413. § 28 Abs 1 Nr 2 JN, dazu OGH 12.5.2003, 9 Nc 109/02g; Burgstaller/Neumayr FS Schlosser (2005) 119, 131. Gesetzlich ist die Notzuständigkeit auch in Art 3 schweiz IPRG geregelt. Es handelt sich um eine Zuständigkeit für den Ausnahmefall, was bei der Auslegung zu beachten ist. Eine gewisse Anlehnung von Art 7 an Art 3 schweiz IPRG ist zu erkennen, Art 3 schweiz IPRG lautet: „Sieht dieses Gesetz keine Zuständigkeit in der Schweiz vor und ist ein Verfahren im Ausland nicht möglich oder unzumutbar, so sind die schweizerischen Gerichte oder Behörden am Ort zuständig, mit dem der Sachverhalt einen genügenden Zusammenhang aufwies.“

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 7 EG-UntVO

tens zur Zuständigkeit irgendeines mitgliedstaatlichen Gerichts führen. Trifft das zu, liegt jedenfalls kein negativer Kompetenzkonflikt vor. Es gibt ein Forum, in dem das Verfahren eingeleitet werden kann und die Nutzung dieser Zuständigkeit ist dem Antragsteller auch zumutbar, weil in allen Mitgliedstaaten die Verfahren nach rechtsstaatlichen Grundsätzen durchgeführt werden. Zudem ist eine Entscheidung des nach der EG-UntVO zuständigen Gerichts in allen Mitgliedstaaten vollstreckbar. Dieser Ausschlussgrund ist entsprechend anzuwenden, wenn nach dem LugÜbk ein Gericht in Norwegen, Island und der Schweiz zuständig ist.7 2. Unmöglichkeit des Verfahrens im Drittstaat Die Einleitung des Verfahrens oder seine Führung muss in jedem Drittstaat unmöglich sein, 7 der zu dem Rechtsstreit einen engen Bezug aufweist. Drittstaaten sind alle Staaten, die Nichtmitgliedstaaten iSd Art 1 Abs 2 sind. Einbezogen sind auch Norwegen, Island und die Schweiz. Letzteres ist kein Widerspruch zu den Ausführungen unter Rn 6. Im Unterschied zu den Mitgliedstaaten kann sich die Zuständigkeit für die Gerichte dieser Staaten zusätzlich zum LugÜbk auch aus dem innerstaatlichen Recht ergeben. Die Prüfung muss alle Drittstaaten umfassen, zu denen der Rechtsstreit einen engen Bezug 8 aufweist. Ein solcher ist zumindest dann gegeben, wenn die Artt 3, 4 und 5 spiegelbildlich angewandt, zu einer Zuständigkeit des Drittstaates führen würden.8 Weitere Kriterien wären der Wohnsitz (domicile) oder die Staatsangehörigkeit einer Partei.9 Die Unmöglichkeit kann darauf beruhen, dass nach dem Recht des danach potentiell in Frage kommenden Drittstaates keine Zuständigkeit der dortigen Gerichte besteht. Sie kann nur tatsächlich vorliegen, weil die Rechtsverfolgung am an sich gegebenen Forum wegen Stillstands der Rechtspflege nicht möglich ist. Beispiele hierfür sind kriegerische Auseinandersetzung, Besetzung von Gebieten durch Terrororganisationen, revolutionäre Umstürze, Staatensukzession mit lang anhaltend nicht funktionsfähigem Gerichtswesen. Soweit eine geordnete gerichtliche Tätigkeit in absehbarer Zeit in Aussicht steht, liegt Unmöglichkeit der Inanspruchnahme der Zuständigkeit nicht vor.10 Eine zu erwartende überlange Prozessdauer kann nur dann den Tatbestand erfüllen, wenn hierdurch der Sinn der Erstreitung eines Unterhaltstitels – nämlich die geschuldete Leistung für den Lebensunterhalt zu erstreiten – verloren geht.11 3. Unzumutbarkeit des Verfahrens in Drittstaaten Der Unmöglichkeit ist die Unzumutbarkeit der Prozessführung in einem Drittstaat gleich- 9 gestellt, dessen Gerichte an sich zuständig sind. Die Unzumutbarkeit kann generell, aber auch bezogen auf die konkrete Unterhaltssache, bestehen. Eine generelle Unzumutbarkeit liegt vor, wenn bei dem drittstaatlichen Gericht eine sachgerechte, den „elementaren rechtsstaatlichen Garantien entsprechende Entscheidung des Rechtsstreits nicht gewährleistet

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9 10 11

Wie hier Hausmann, IntEuSchR C Rn 182. MünchKommFamFG/Lipp Rn 5 (Kriterien spiegelbildlich LugÜbk 2007 und HUntVerfÜbk 2007 entnehmend). Hausmann, IntEuSchR C Rn 183. Schütze, Ausgewählte Probleme des IZPR S 307. Wie hier Hausmann, IntEuSchR C Rn 184.

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Art 7 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

ist“,12 konkret zB wenn eine der Parteien in Bezug auf den betreffenden Drittstaat die Kriterien eines internationalen Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention13 erfüllt. Unzumutbar ist die Prozessführung im Drittstaat auch, wenn von vornherein unzweifelhaft feststeht, dass die zu erwartende Entscheidung den ordre public verletzt. Als Beispiel wäre hierfür die Stellung des Antrags auf Kindesunterhalt zu nennen, wenn im Drittstaat dieser Antrag sicher abgelehnt werden wird, weil die Eltern im maßgeblichen Zeitpunkt nicht verheiratet waren und deshalb das Kind dort nicht als vom Vater abstammend gilt. Eine im Allgemeinen dürftige Unterhaltsbemessungspraxis oder schleppende Justiz erfüllt den Tatbestand der Unzumutbarkeit nicht.14 10 In der deutschen Literatur wird noch eine weitere Fallsituation diskutiert, die gerade unter

der EG-UntVO von Relevanz sein könnte. Im innerstaatlichen Recht hängt die Anerkennung einer drittstaatlichen Entscheidung von der Gegenseitigkeit ab. Fehlt diese in Bezug auf den Drittstaat, ist der Zugriff auf ein in Deutschland belegenes Vermögen des Schuldners aufgrund dieser Entscheidung nicht möglich. Nachdem der BGH15 im Anschluss an das OLG Stuttgart16 für die Inanspruchnahme der Zuständigkeit nach § 23 ZPO das Erfordernis des Binnenbezuges des Sachverhalts aufgestellt hat, wird vertreten, dass – bei seinem Fehlen – dem Kläger ein inländischer Notgerichtsstand zur Vermeidung eines déni de justice zu gewähren ist.17 11 Die EG-UntVO kennt keinen Vermögensgerichtsstand, der als Ersatz für die fehlende

Vollstreckbarkeit einer drittstaatlichen Entscheidung mangels Gegenseitigkeit der Anerkennung einen Gerichtsstand für das Erkenntnisverfahren eröffnet. Den Umweg der Notzuständigkeit nach Art 7 einzuschlagen, ist problematisch, weil es sich dabei nicht um eine Ausnahmesituation handelt. Auch im deutschen IZPR gehört diese Konstellation an sich nicht zur Fallgruppe der Notzuständigkeit. Das innerstaatliche IZPR macht die Anerkennung vermögensrechtlicher Entscheidungen von der Gegenseitigkeit abhängig und eröffnet – zwar nicht nur, aber auch deswegen – die Zuständigkeit am inländischen Belegenheitsort des Vermögens, um dem Berechtigten die Durchsetzung seiner Ansprüche zu ermöglichen. Fällt mit der EG-UntVO der Vermögensgerichtsstand für Sachverhalte mit Drittstaatenbezug weg, müsste als Reaktion darauf die Gegenseitigkeit als Voraussetzung für die Anerkennung bei Unterhaltsentscheidungen abgeschafft werden, statt die Belegenheitszuständigkeit im Gewande der Notzuständigkeit, zumindest teilweise, beizubehalten.18

12 13

14 15

16 17 18

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So OLG Frankfurt aM IPRax 1999, 247, 249; Schütze, Ausgewählte Probleme des IZPR S 307. Genfer UN-Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951, BGBl 1953 II 560; Genfer Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.1.1967, BGBl 1969 II 1294. Fasching/ Konecny/Fucik Rn 2. BGH v 2.7.1991 – XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90 = IPRax 1992, 160 = NJW 1991, 3092; hierzu ua Fricke NJW 1992, 3066; Geimer NJW 1991, 3072; Schack JZ 1992, 54; Schütze DWiR 1991, 239, 245. OLG Stuttgart v 6.8.1990 – 5 U 77/89, IPRax 1991, 179 = RIW 1990, 829. Schütze, Ausgewählte Probleme des IZPR S 310. Andere Sicht Hausmann, IntEuSchR C Rn 185; MünchKommFamFG/Lipp Rn 6, 11; Prütting/Helms/ Hau Anh § 110 FamFG Rn 61.

Oktober 2014

Kapitel II: Zuständigkeit

Art 7 EG-UntVO

4. Bezug zu dem Mitgliedstaat Der Rechtsstreit muss einen ausreichenden Bezug zu dem Mitgliedstaat des angerufenen 12 Gerichts aufweisen. Es handelt sich dabei um Kriterien, die nicht die Zuständigkeit nach Artt 3-6 begründen, wie zB die Staatsangehörigkeit einer der Parteien19 oder ihr Wohnsitz, der gewöhnliche Aufenthalt des Unterhaltsverpflichteten, der Aufenthalt einer Partei, wobei bloße Anwesenheit nicht ausreicht. Auch die Belegenheit von Vermögen kann ein solches Kriterium bilden, wenn darauf in der Vollstreckung zurückgegriffen werden kann.20 IV. Rechtsfolge Liegen alle genannten Voraussetzungen vor, dann können die Gerichte des betreffenden 13 Mitgliedstaates über den Rechtsstreit entscheiden, dh sie müssen die internationale Notzuständigkeit nicht zwingend gewähren.21 Vielmehr handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Sie haben dabei einen strengen Maßstab anzulegen,22 was durch den Begriff „in Ausnahmefällen“ zum Ausdruck kommt. Art 7 darf nicht als Ausweichklausel begriffen werden. Im Gewand der Notzuständigkeit dürfen nicht die durch die EG-UntVO abgeschafften exorbitanten Zuständigkeiten nach nationalem Recht wieder eingeführt werden. Zu fragen ist in jedem Einzelfall, ob ein „unabweisbares Bedürfnis für die Gewährung gerade des Rechtsschutzes“ in dem betreffenden Mitgliedstaat besteht.23 Auch für die Notzuständigkeit gilt der Grundsatz der perpetuatio fori. Liegen bei Anhängig- 14 keit des Verfahrens die Voraussetzungen vor, so bleibt die Zuständigkeit bestehen, auch wenn die sie begründenden Umstände während des Verfahrens entfallen sind.24 V. Örtliche Zuständigkeit Art 7 regelt nur die internationale Notzuständigkeit, die örtliche ist dem nationalen Recht 15 des betreffenden Mitgliedstaates zu entnehmen, das dafür ein Forum zur Verfügung stellen muss. Nach Sinn und Zweck der internationalen Notzuständigkeit in besonders gelagerten grenzüberschreitenden Fällen müssen die Mitgliedstaaten abweichend von den allgemeinen Zuständigkeitsbestimmungen zur Wahrung des Justizgewährungsanspruchs ein Forum zur Verfügung stellen. Die Notzuständigkeit darf nicht am Fehlen eines örtlich zuständigen Forums scheitern. Auf welche Weise dies realisiert wird, bestimmt sich nach einzelstaatlichem Recht. In Deutschland ist gemäß § 27 AUG ausschließlich das Amtsgericht PankowWeißensee zuständig,

19 20

21

22

23 24

Ausdrücklich ErwGr 14. Für das dt IZPR Schütze, Deutsches Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivilprozessrechts Rn 130. Wie hier Hausmann, IntEuSchR C Rn 182; aA MünchKommFamFG/Lipp Rn 10; NK-ZPO/Dörner Rn 4; Prütting/Helms/Hau Anh § 110 FamFG Rn 63. Wie hier Hausmann, IntEuSchR C Rn 182; Fasching/Fucik Rn 4 (äußerst enge Auslegung abgeleitet aus der Entstehungsgeschichte der Norm). Schack, IZVR Rn 457. Wie hier Hausmann, IntEuSchR C Rn 180; MünchKommFamFG/Lipp Rn 11.

Marianne Andrae

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Art 8 EG-UntVO

Artikel 8: Verfahrensbegrenzung (1) Ist eine Entscheidung in einem Mitgliedstaat oder einem Vertragsstaat des Haager Übereinkommens von 2007 ergangen, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, so kann die verpflichtete Person kein Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat einleiten, um eine Änderung der Entscheidung oder eine neue Entscheidung herbeizuführen, solange die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt weiterhin in dem Staat hat, in dem die Entscheidung ergangen ist. (2) Absatz 1 gilt nicht, a) wenn die gerichtliche Zuständigkeit jenes anderen Mitgliedstaats auf der Grundlage einer Vereinbarung nach Artikel 4 zwischen den Parteien festgelegt wurde; b) wenn die berechtigte Person sich aufgrund von Artikel 5 der gerichtlichen Zuständigkeit jenes anderen Mitgliedstaats unterworfen hat; c) wenn die zuständige Behörde des Ursprungsstaats, der dem Haager Übereinkommen von 2007 angehört, ihre Zuständigkeit für die Änderung der Entscheidung oder für das Erlassen einer neuen Entscheidung nicht ausüben kann oder die Ausübung ablehnt; oder d) wenn die im Ursprungsstaat, der dem Haager Übereinkommen von 2007 angehört, ergangene Entscheidung in dem Mitgliedstaat, in dem ein Verfahren zur Änderung der Entscheidung oder Herbeiführung einer neuen Entscheidung beabsichtigt ist, nicht anerkannt oder für vollstreckbar erklärt werden kann. I. II. III.

Herkunft und Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abänderungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . Absatz 1 1. Antrag des Unterhaltsverpflichteten . . . . 2. Gewöhnlicher Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 3 6 IV.

3. Zuständigkeiten der Gerichte im Erststaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 4. Sperrwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 5. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Rechtliche Handhabung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

7

I. Herkunft und Relevanz 1 Art 8 stellt eine Abwandlung von Art 18 HUntVerfÜbk 20071 dar, indem er diesen an die

Zuständigkeitsordnung der EG-UntVO anpasst. Das HUntVerfÜbk 2007 regelt die internationale Entscheidungszuständigkeit nicht, vielmehr legt es in Art 20 fest, welche Verbindung der Unterhaltsfall zum Entscheidungsstaat haben muss, damit in einem anderen Vertragsstaat diese Entscheidung anerkannt wird (Anerkennungszuständigkeit). Hiervon macht Art 18 HUntVerfÜbk 2007 eine Ausnahme, sie betrifft die Entscheidungszuständigkeit in einem besonderen Fall: Es ist bereits eine Entscheidung in dem Vertragsstaat getroffen worden, in dem die unterhaltsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Art 18 sperrt im Grundsatz die Einleitung eines erneuten Verfahrens durch den Unterhaltsverpflichteten in einem anderen Vertragsstaat, solange der Unterhaltsberechtigte dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.2 Seine Nichtbeachtung hat die Nichtanerkennung der daraufhin getroffenen Entscheidung in einem anderen Vertragsstaat zur Folge, vgl Art 22 lit f HUntVerfÜbk 2007. Die Regelung dient dem Schutz des Unterhaltsberechtigten vor der aufgezwungenen Prozessführung vor einem fremden Forum. 1 2

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Siehe Kommentierung bei Borrás/Degeling-Bericht Rn 415 ff. So auch Geimer/Schütze/Reuß Rn 1.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 8 EG-UntVO

Bei Anwendung der Zuständigkeitsnormen der EG-UntVO wird regelmäßig das mit Art 18 2 HUntVerfÜbk 2007 angestrebte Regelungsziel ohnehin erreicht, sodass die praktische Relevanz von Art 8 nicht groß ist. Der Hauptfall einer sich aus Art 8 ergebenden Zuständigkeitssperre betrifft Art 6. Unterhaltsberechtigter und -verpflichteter haben die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates, der Unterhaltsberechtigte hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat des HUntVerfÜbk 2007, in dem auch die Erstentscheidung gefällt worden ist. In einer solchen Konstellation ist die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaates, dessen Staatsangehörigkeit beide Parteien besitzen und in dem möglicherweise der Unterhaltsverpflichtete seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, für den Antrag des Unterhaltsverpflichteten gesperrt. II. Abänderungsentscheidungen Die internationale Zuständigkeit für die Abänderung einer Entscheidung in Unterhalts- 3 sachen ist in der EG-UntVO nicht gesondert geregelt; sie bestimmt sich nach den Zuständigkeitsnormen der Verordnung.3 Das gilt selbst dann, wenn nach einzelstaatlichem Recht des Forum-Staates die Abänderung im Rechtsbehelfsverfahren gegen die ursprüngliche Entscheidung geltend zu machen ist.4 Der Umstand, dass ein mitgliedstaatliches Gericht im Erstprozess eine Sachentscheidung 4 getroffen hat, die in den anderen Mitgliedstaaten unmittelbar anzuerkennen ist, führt zu keiner Zuständigkeit dieses Gerichts für den Zweitprozess. Die Zuständigkeit hierfür leitet sich auch für dieses Gericht aus den Artt 3-7 ab. Maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei die Einleitung des Zweitprozesses, der Grundsatz der perpetuatio fori findet Anwendung. Daran ändert auch Art 8 nichts. Intertemporal unterliegen Anträge auf Abänderung, die ab dem 18.6.2011 anhängig gemacht werden, den Zuständigkeitsnormen der EG-UntVO, auch wenn sich die Zuständigkeit für die Erstentscheidung aus dem EuGVÜ bzw der Brüssel I-VO oder dem einzelstaatlichen Recht ergab. Wichtig ist zwischen einem Abänderungsbegehren und Einwänden gegen die Vollstre- 5 ckung zu unterscheiden. Ob ein in der Erstentscheidung zuerkannter Betrag noch angemessen ist oder gar gänzlich wegzufallen hat, ist im Erkenntnisverfahren zu prüfen. Es handelt sich um keine Einwände, die im Vollstreckungsverfahren nach Art 21 Abs 1 vorgebracht werden können.5 Für diese wiederum erzeugt Art 8 keine Sperrwirkung, so zB für den Vollstreckungsabwehrantrag nach § 767 ZPO.6

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5 6

Gilt ebenso für das EuGVÜ bzw die Brüssel I-VO; vgl OGH ZfRV 2003, 111, 113 f; OLG Jena IPRspr 1999 Nr 113; Kropholler/von Hein Art 5 Brüssel I-VO Rn 66. Für das EuGVÜ bzw die Brüssel I-VO: OGH ZfRV 2003, 111, 114. Hierzu Kropholler/von Hein Art 5 Brüssel I-VO Rn 66. Hierzu auch Art 21 Rn 11. Umstritten wie hier Geimer/Schütze/Reuß Rn 7; MünchKommFamFG/Lipp Rn 8; Gebauer/Wiedmann/ Bittmann Rn 55; aA Prütting/Helms/Hau § 110 FamFG Anh. 3 Rn 68; Zöller/Geimer Rn 4; Fasching/ Konecny/Fucik Rn 4.

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Art 8 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

III. Absatz 1 1. Antrag des Unterhaltsverpflichteten 6 Erfasst sind Anträge, die sich auf eine Unterhaltspflicht beziehen, für die bereits eine Ent-

scheidung in einem Mitgliedstaat iSd Art 1 Abs 2 oder einem Vertragsstaat des HUntVerfÜbk 2007 ergangen ist. Den erneuten Antrag muss der Unterhaltsverpflichtete gestellt haben. Nicht von Art 8 erfasst ist der Antrag des Unterhaltsberechtigten. Diesem steht es frei, aus den in Frage kommenden Zuständigkeiten die ihm passende auszuwählen. Der Antrag des Unterhaltsverpflichteten ist entweder auf Änderung der Erstentscheidung oder auf erneute Sachentscheidung, dieselbe Unterhaltspflicht betreffend, gerichtet.7 2. Gewöhnlicher Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten 7 Der Unterhaltsberechtigte muss seinen gewöhnlichen Aufenthalt entweder in einem Mit-

gliedstaat iSd Art 1 Abs 2 oder in einem Vertragsstaat des HUntVerfÜbk 2007 zu dem Zeitpunkt haben, zu dem die Erstentscheidung getroffen wurde. Dieser Staat muss zu diesem Zeitpunkt noch nicht Mitgliedstaat iSd EG-UntVO oder Teilnehmerstaat des HUntVerfÜbk 2007 gewesen sein. Unterhaltsberechtigter ist die Person, der materiell-rechtlich der Anspruch zusteht oder vermeintlich zusteht.8 Dieser gewöhnliche Aufenthalt muss weiterhin zum Zeitpunkt der Einreichung des Zweitverfahrens bestehen. Das Wort weiterhin9 deutet darauf hin, dass der gewöhnliche Aufenthalt sich in dieser Zeitspanne ununterbrochen in diesem Staat befinden muss.10 Ein Umzug innerhalb des Landes ist unbeachtlich. 3. Zuständigkeiten der Gerichte im Erststaat 8 Irrelevant für Art 8 ist, worauf das Gericht im ersten Verfahren seine Zuständigkeit gestützt

hat. Es kann durchaus eine Zuständigkeit sein, die aus dem Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsverpflichteten resultiert, weil er der Beklagte war. Es kommt nur darauf an, dass die unterhaltsberechtigte Person in diesem Staat zu diesem Zeitpunkt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dieser muss nicht im Gerichtsbezirk des entscheidenden Gerichts gelegen gewesen sein. Die Gerichte des Staates, in dem die Erstentscheidung getroffen worden ist, müssen für die Zweitentscheidung zuständig sein. Dies bestimmt Art 8 zwar nicht ausdrücklich. Die Regelung hat jedoch nur Sinn, wenn eine solche Zuständigkeit besteht. Für ein mitgliedstaatliches Gericht leitet sie sich aus Art 3 lit b ab. Abs 2 lit c ist zu entnehmen, dass sie auch für einen Vertragsstaat des HUntVerfÜbk 2007 vorausgesetzt wird. Ob dessen Zuständigkeit besteht, richtet sich nach dem Recht dieses Staates.

7 8 9 10

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Nicht so eindeutig bei MünchKommFamFG/Lipp Rn 6. Art 2 Abs 1 Nr 10. As long as creditor remains. Wie hier Geimer/Schütze/Reuß Rn 8; MünchKommFamFG/Lipp Rn 12; aA Gebauer/Wiedemann/Bittmann Rn 55; Fasching/Konecny/Fucik Rn 2. (angeführt werden hier Beispiele, bei denen sich der gewöhnliche Aufenthalt durch Abwesenheit nicht geändert hat, weil der Lebensmittelpunkt beibehalten wurde, so richtig MünchKommFamFG/Lipp Rn 12).

Oktober 2014

Kapitel II: Zuständigkeit

Art 8 EG-UntVO

4. Sperrwirkung Unter den genannten Voraussetzungen wird die Einleitung eines Verfahrens im Zweitstaat 9 gesperrt. Art 8 Abs 1 bestimmt diese Rechtsfolge für einen Mitgliedstaat als Zweitstaat, Art 18 Abs 1 HUntVerfÜbk 2007 für einen Vertragsstaat. Eine an sich bestehende internationale Zuständigkeit kann nicht ausgeübt werden. Durch Art 8 wird also kein eigenständiger Gerichtsstand für das Abänderungsverfahren im Sinne einer perpetuatio jurisdictionis des Gerichts der Erstentscheidung geschaffen.11 Art 8 berührt nicht die Zuständigkeit für den Vollstreckungsabwehrantrag auf der Grundlage von Art 21 Abs 1 im Vollstreckungsmitgliedstaat.12 5. Ausnahmen Abs 2 sieht eine Reihe von Umständen vor, bei deren Vorliegen die Sperrwirkung für mit- 10 gliedstaatliche Gerichte als Zweitgericht nicht eintritt. Die Regelung korrespondiert mit Art 18 Abs 2 HUntVerfÜbk 2007. Lit a betrifft eine Gerichtsstandsvereinbarung zwischen den Parteien, die nach Art 4 zu- 12 lässig und wirksam ist. Die Gerichtsstandsvereinbarung muss die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts vorsehen. Nicht entscheidend ist, zu welchem Zeitpunkt die Gerichtsstandsvereinbarung getroffen wurde. Auch eine Gerichtsstandsvereinbarung, die im ersten Verfahren keine ausschließliche Wirkung entfaltete, weil sich der Beklagte zB auf das Verfahren eingelassen hat, führt zur Aufhebung der Sperrwirkung. Voraussetzung ist in diesem Fall natürlich, dass sich die Gerichtsstandsvereinbarung auf alle Streitigkeiten aus der Unterhaltsbeziehung der Parteien bezieht und nicht nur den einzelnen konkreten Streitfall betraf, der sich mit dem Erstprozess erledigt hat. Lit b: Hat der im Zweitverfahren beklagte Unterhaltsberechtigte sich auf das Zweitverfahren 11 eingelassen, ohne zuvor die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts oder die Sperrwirkung zu rügen, so kann das Zweitgericht in der Sache eine Entscheidung fällen. Die Voraussetzungen für diesen Tatbestand des Einlassens sind Art 5 zu entnehmen. Lit c: Erfasst ist der Umstand, dass das zuständige Gericht/die zuständige Behörde des 13 Erststaates (= Vertragsstaat des HUntVerfÜbk 2007) seine durch Art 18 Abs 1 HUntVerfÜbk 2007 eingeräumte Möglichkeit einer abändernden oder erneuten Entscheidung nicht wahrnehmen kann oder es ablehnt, zu entscheiden. Lit c ist darauf gerichtet, zu sichern, dass es durch die in Abs 1 angeordnete Entscheidungssperre für die Gerichte des Zweitstaates (= Mitgliedstaat) nicht zu einem negativen internationalen Kompetenzkonflikt kommt. Geregelt sind zwei Tatbestände. Bereits ohne Anrufung eines Gerichts/einer Behörde des 14 Erststaates steht fest, dass der Unterhaltsverpflichtete in diesem Land keinen zweiten (Ab11

12

MünchKommFamFG/Lipp Rn 3; OLG Düsseldorf v 25.4.2012 – II-8 UF 59/12, FamRZ 2013, 55; nicht so eindeutig: Prütting/Helms/Hau Anh 3 § 110 FamFG Rn 66; Gruber IPRax 2010, 127, 135; Hess, EuZPR § 7 Rn 102. Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 55;Wohl andere Sicht Prütting/Helms/Hau Anh 3 § 110 FamFG Rn 68.

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Art 8 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

änderungs-)Prozess führen kann. Dies trifft jedenfalls dann zu, wenn die Gerichte des Erststaates für den erneuten Prozess nach ihrem Recht nicht zuständig sind. Die Unmöglichkeit kann sich aber auch aus objektiven Gesichtspunkten, insbesondere Stillstand der Rechtspflege ergeben.13 15 Nach dem zweiten Tatbestand hat der Unterhaltsverpflichtete das zuständige Gericht/die

zuständige Behörde des Erststaates angerufen und dieses/diese hat die Ausübung der Zuständigkeit für die Änderung der Entscheidung oder die neue Entscheidung abgelehnt. Der Unterhaltsverpflichtete muss das zuständige Gericht/die zuständige Behörde (englisch: competent authority) in Anspruch genommen haben. Das bezieht sich darauf, dass er die sachlich, funktionell und örtlich zuständige Behörde anzurufen hat. Nur wenn diese dann die nach Art 18 Abs 1 HUntVerfÜbk 2007 zugelassene Zuständigkeit verneint, kann das Verfahren in dem betreffenden Mitgliedstaat als Zweitstaat eingeleitet werden. 16 Lit d: Eine Sperrwirkung nach Abs 1 tritt letztlich ein, wenn die Entscheidung des Erst-

gerichts aus einem Vertragsstaat des HUntVerfÜbk 2007 in dem Mitgliedstaat, welches für die Zweitentscheidung angerufen ist, nicht anerkannt ist. Auch diese Ausnahme ist begründet. Die Nichtanerkennung der Erstentscheidung hat zur Folge, dass sie im Zweitstaat keine Wirkung entfaltet und deshalb der Prozess dort ohne Rücksicht auf die Erstentscheidung geführt wird. Die Rechtslage ist dort grundsätzlich so, als wenn noch keine Entscheidung vorliegen würde. Der Ausschluss betrifft nur Vertragsstaaten des HUntVerfÜbk 2007. Die Voraussetzungen für die Anerkennung und ihre Versagungsgründe sind in den Artt 20-22 HUntVerfÜbk 2007 einheitlich geregelt. Der Ausschlussgrund bezieht sich nicht auf Entscheidungen von Gerichten anderer Mitgliedstaaten als Erstgerichte. Für diese ist die Anerkennung nach Art 17 zwingend, ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann. Besonderheiten gelten im Verhältnis zum Vereinigten Königreich und Dänemark. In Bezug auf Entscheidungen aus diesen beiden Staaten ist lit d entsprechend anzuwenden, solange sich diese nicht am HUnStProt 2007 beteiligen und deshalb für die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung Kapitel IV Abschnitt 2 Anwendung findet. Dies folgt daraus, dass die Anerkennung von Unterhaltsentscheidungen von Gerichten oder Behörden dieser beiden Mitgliedstaaten aus in Art 24 EG-UntVO geregelten Gründen versagt werden kann.14 IV. Rechtliche Handhabung 17 Art 8 ist von Amts wegen zu beachten.15 Dies folgt sowohl aus Art 10 als auch aus dem

Wortlaut von Art 8 Abs 1 „kann … kein Verfahren … einleiten“. Rechtspraktisch ist eine Prüfung jedoch nur vorzunehmen, wenn sich der Beklagte im Zweitverfahren nicht eingelassen hat oder sich nur eingelassen hat, um die Zuständigkeit zu rügen bzw die Sperrwirkung geltend zu machen. Dies folgt daraus, dass Art 8 Abs 1 keine Anwendung findet, wenn ein rügeloses Einlassen vor dem mitgliedstaatlichen Zweitgericht vorliegt. In der Rüge der internationalen Zuständigkeit ist die Geltendmachung der Sperrwirkung mitenthalten.

13 14 15

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Hierzu auch Art 7 Rn 8. Wie hier MünchKommFamFG/Lipp Rn 16. Gebauer/Wiedemann/Bittmann Rn 56; aA Geimer/Schütze/Reuß Rn 3.

Oktober 2014

Kapitel II: Zuständigkeit

Art 9 EG-UntVO

Hinsichtlich der objektiven Beweislast (Feststellungslast) gilt Folgendes: Da Art 8 Abs 1 zur 18 Einschränkung der an sich gegebenen Zuständigkeit führt, trägt die Partei die Beweislast, der die Sperre zugutekommt, also der Unterhaltsberechtigte, während für die Tatbestände des Abs 2 der Unterhaltsverpflichtete die objektive Beweislast trägt.16 Für die Beibringung der Tatsachen gelten die Ausführungen zu Art 10 entsprechend. Trifft Art 8 Abs 1 zu und ist kein Ausschlussgrund nach Abs 2 ersichtlich, so hat das angerufene mitgliedstaatliche Gericht den Antrag als nicht zulässig abzuweisen, Art 10 kann hier direkt, möglicher Weise analog, herangezogen werden. Art 8 findet Anwendung, wenn es sich bei dem Titel, dessen Änderung angestrebt wird, um 19 einen gerichtlichen Vergleich handelt, nicht jedoch bezogen auf öffentliche Urkunden.17 Diese Lösung folgt aus einem Vergleich zum HUntVerfÜbk, aus dem die Regelung entnommen ist.18 Das Übereinkommen erstreckt sich nicht auf öffentliche Urkunden als solche. Deshalb ist nicht davon auszugehen, dass sie eine Sperrwirkung nach Art 18 HUntVerfÜbk 2007 herbeiführen. In sein Kapitel Anerkennung und Vollstreckung sind einerseits Vergleiche oder Vereinbarungen einbezogen, die vor einem Gericht/einer Verwaltungsbehörde19 geschlossen oder genehmigt worden sind und andererseits Unterhaltsvereinbarungen, die im Ursprungsstaat vollstreckbar sind. Erstere unterliegen hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung den Vorschriften für Entscheidungen.20 Eingeschlossen ist dabei auch der Anerkennungsversagungsgrund der Nichtbeachtung der Sperrung der Zuständigkeit nach Art 18 HUntVerfÜbk 2007. Für letztere sind die Anerkennungsversagungsgründe gesondert von Entscheidungen geregelt. Die Nichtbeachtung von Art 18 HUntVerfÜbk 2007 gehört nicht dazu. Zusammengefasst: Nach dem Übereinkommen unterliegen nur gerichtliche Vergleiche iSd der Verordnung der Zuständigkeitssperre. Für sie ist dies sinnvoll, weil sie regelmäßig in einem gerichtlichen Verfahren abgeschlossen werden und an die Stelle der ansonsten fälligen Entscheidung treten. Der Unterhaltsberechtigte ist hier genauso schutzwürdig. Gründe für die EG-UntVO von der Lösung des Übereinkommens abzuweichen sind nicht ersichtlich.

Artikel 9: Anrufung eines Gerichts Für die Zwecke dieses Kapitels gilt ein Gericht als angerufen a) zu dem Zeitpunkt, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht worden ist, vorausgesetzt, dass der Kläger es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstücks an den Beklagten zu bewirken, oder 16 17

18 19 20

Wie hier Fasching/Konecny/Fucik Rn 5. Wie hier Geimer/Schütze/Picht Art 48 Rn 8. Bejahend für öffentliche Urkunden und Vergleiche: Geimer/ Schütze/Reuß Rn 4; Gruber IPRax 2010, 128, 135; Münch Komm FamFG/Lipp Rn 9; Prütting/Helms/Hau § 110 FamFG Anh 3 Rn 65; Fasching/Konecny/Fucik Rn 2; NK-ZPO/Dörner Rn 2 (analog); bejahend für gerichtliche Vergleiche: OLG Düsseldorf v 25.4.2012 – II-8 UF 59/12, FamRZ 2013, 55 Rn 9; Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 532 f. Ablehnend: Vorauflage; Hausmann, IntEuSchR K Rn 289. Hierzu Rn 1. Die Charakterisierung entspricht annähernd Art 2 Abs 2. Hierzu Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 532 f.

Marianne Andrae

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Art 9 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

b) falls die Zustellung an den Beklagten vor Einreichung des Schriftstücks bei Gericht zu bewirken ist, zu dem Zeitpunkt, zu dem die für die Zustellung verantwortliche Stelle das Schriftstück erhalten hat, vorausgesetzt, dass der Kläger es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um das Schriftstück bei Gericht einzureichen.

1 Die EG-UntVO verwendet in Kapitel II die Begriffe Rechtshängigkeit,1 Anhängigkeit2 und

Anrufen3. Gemeint ist jeweils das gleiche Verfahrensstadium. Die Unterscheidung zwischen der Anhängigkeit und der Rechtshängigkeit, wie im deutschen Recht, nimmt die EG-UntVO nicht vor. Auf welchen Zeitpunkt es ankommt, wird in Art 9 einheitlich autonom geregelt,4 wobei die Hauptunterschiede hinsichtlich des Ingangsetzens des Verfahrens in den Mitgliedstaaten mittels des verfahrenseinleitenden Schriftstücks berücksichtigt werden. Der Zeitpunkt hat Bedeutung für a) das Vorliegen der Zuständigkeitskriterien nach der EGUntVO5 und b) die zeitliche Priorität von Verfahren in unterschiedlichen Mitgliedstaaten, für die die Voraussetzungen nach Art 12 oder Art 13 vorliegen. Die Regelung stimmt mit Art 16 Brüssel IIa-VO und Art 30 Brüssel I-VO überein.6 2 Es kommt auf das Einreichen des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an.7 Unerheblich ist

folglich, wann dieses Schriftstück dem Antragsgegner zugestellt wird. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Antragsteller die Dauer der Zustellung regelmäßig nicht beeinflussen kann. Es wird verhindert, dass der Antrag der einen Partei als späterer gegenüber dem der Gegenpartei angesehen wird, obwohl er früher eingereicht wurde, nur weil die Zustellung länger dauerte. 3 Der Antrag muss, damit das Kriterium des Anrufens erfüllt ist, bei der zuständigen Stelle

eingereicht sein. Dies ist nach Abs 1 das Gericht; das Schriftstück muss in den Machtbereich des Gerichts gelangt sein. Diese Variante findet in den Mitgliedstaaten Anwendung, in denen, wie in Deutschland, die Antragsschrift oder ein anderes verfahrenseinleitendes Schriftstück vor der Zustellung an den Antragsgegner einzureichen ist. Abs 2 betrifft die Mitgliedstaaten, in denen ein Ingangsetzen des gerichtlichen Verfahrens erst erfolgt, nach dem das verfahrenseinleitende Schriftstück dem Antragsgegner zugestellt worden ist. Hier kommt es dann auf den Zeitpunkt der Übergabe der Schrift an die für die Zustellung zuständige Behörde an. Welche das ist, regelt sich nach dem Recht des Gerichtsstaates. 4 Die Einreichung des Schriftstücks führt nur dann die Wirkung der Anhängigkeit herbei,

wenn der Antragsteller es anschließend nicht versäumt, alle Maßnahmen zu treffen, die seinerseits für die Zustellung an den Antragsgegner erforderlich sind.8 Welche Maßnahmen 1 2 3 4 5 6 7 8

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Vgl die Überschrift des Art 12. Art 12, Art 13. Art 4, Art 9, Art 10, Art 12-13. MünchKommFamFG/Lipp Rn 1, 4. Hierzu Art 3 Rn 12 ff. Siehe deshalb auch Rauscher/Rauscher Art 16 Brüssel IIa VO; Rauscher/Leible Art 30 Brüssel I-VO. Hierzu Art 11. Gruber FamRZ 2000, 1129, 1132 f; Geimer/Schütze/Reuß Rn 5.

Oktober 2014

Kapitel II: Zuständigkeit

Art 10 EG-UntVO

im Einzelnen erforderlich sind, bestimmt sich nach dem Recht des angerufenen Gerichts.9 Für Verfahren in Deutschland kann hierfür auf die Rechtsprechung zu § 167 ZPO zurückgegriffen werden.10 Hierzu gehören: Angabe der richtigen Adresse, die erforderlichen Abschriften für die Antragsschrift, die Einzahlung des Kostenvorschusses nach Aufforderung durch das Gericht, ordnungsgemäßer PKH-Antrag.11 Kommt der Antragsteller den Obliegenheiten zu einem verspäteten Zeitpunkt nach, so kommt es für die Anhängigkeit auf diesen an.12 Beruht der Mangel der Zustellung nicht auf einem Versäumnis des Antragstellers, so bleibt 5 es für den Zeitpunkt der Anhängigkeit bei der Einreichung der Schrift.13 Werden Versäumnisse nachgeholt, so kommt es auf den Zeitpunkt der Behebung des Mangels an.14 Der in Art 9 bestimmte Zeitpunkt ist nicht maßgeblich für Ausschluss- und Verjährungsfristen, diese richten sich nach nationalem Recht unter Einschluss des IPR.

Artikel 10: Prüfung der Zuständigkeit Das Gericht eines Mitgliedstaats, das in einer Sache angerufen wird, für die es nach dieser Verordnung nicht zuständig ist, erklärt sich von Amts wegen für unzuständig. I. II. III. IV. V.

Sinngehalt der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teleologische Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internationale und örtliche Zuständigkeit . Zeitpunkt der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 6 7 8 9

VI.

Unzuständigkeitserklärung von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Prüfungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Instanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10 11 12 13

I. Sinngehalt der Vorschrift Art 10 ist darauf gerichtet, zu sichern, dass ein mitgliedstaatliches Gericht in der Unter- 1 haltssache nur entscheidet, wenn es hierfür auch nach der EG-UntVO zuständig ist. Über die eigene Zuständigkeit nach der EG-UntVO entscheiden die Gerichte jedes Mitgliedstaates, die Gerichte anderer Mitgliedstaaten haben hierüber keine Entscheidungsbefugnis. Dies ist von besonderer Bedeutung, weil die Anerkennung der Sachentscheidung in den anderen Mitgliedstaaten nicht von der Einhaltung der Zuständigkeitsbestimmungen abhängig gemacht wird. Art 10 verpflichtet das angerufene Gericht zur Prüfung seiner Zuständigkeit. Kritisch ist zu 2 bewerten, dass Art 10 an Art 17 Brüssel IIa-VO orientiert ist. Der Systematik der Zuständigkeitsordnung der EG-UntVO hätte jedoch eine Anlehnung an Art 26 Abs 1 Brüssel I-VO

9 10 11 12 13 14

Gruber FamRZ 2000, 1129, 1133. Thomas/Putzo/Hüßtege Art 30 Brüssel I-VO Rn 4. Thomas/Putzo/Hüßtege Art 30 Brüssel I-VO Rn 4. Rauscher/Leible Art 30 Brüssel I-VO Rn 4e; Gruber FamRZ 2000, 1129, 1133. Vgl hierzu OLG Karlsruhe OLGR 2006, 714 = IPRspr 2006 Nr 111. Thomas/Putzo/Hüßtege Art 30 Brüssel I-VO Rn 4.

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Art 10 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

entsprochen, der eine Prüfung der Zuständigkeit durch das angerufene Gericht in den Fällen vorschreibt, in denen sich der Beklagte nicht auf das Verfahren eingelassen hat. 3 Art 25 Brüssel I-VO bestimmt, dass das angerufene Gericht eines Mitgliedstaates sich dann

von Amts wegen für unzuständig erklären muss, wenn die Gerichte eines anderen Mitgliedstaates nach Art 22 Brüssel I-VO ausschließlich zuständig sind.1 Die Prüfung soll sichern, dass in jedem Mitgliedstaat die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaates beachtet wird. Sie beugt auch der Nichtanerkennung der Entscheidung vor, weil die Nichtbeachtung der ausschließlichen Zuständigkeit ein Anerkennungsversagungsgrund nach Art 35 Brüssel I-VO darstellt.2 Zuständigkeiten mit solchem Charakter sieht die EG-UntVO nicht vor. Dies ist schon daran zu erkennen, dass grundsätzlich eine Gerichtsstandsvereinbarung zulässig ist und jedenfalls die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaates durch rügeloses Einlassen begründet wird. 4 Die Zuständigkeitsordnung der EG-UntVO ist bedingt vergleichbar mit der für Versiche-

rungs-, Verbraucher- und Arbeitsverträge nach der Brüssel I-VO. Es gibt gesetzliche Zuständigkeiten und eine eingeschränkte Möglichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung, jedoch begründet ein rügeloses Einlassen in das Verfahren die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. Konsequent hat nach Art 26 Abs 1 Brüssel I-VO das Gericht die Zuständigkeit von Amts wegen nur zu prüfen, wenn sich der Beklagte auf das Verfahren nicht einlässt.3 5 Nach Art 17 Brüssel IIa-VO hat sich das Gericht von Amts wegen für unzuständig zu

erklären, wenn es in einer Sache angerufen wird, für die es nach der Verordnung keine Zuständigkeit hat. Die Vorschrift korrespondiert mit der Systematik der Brüssel IIa-VO. Es gibt nur gesetzliche Zuständigkeiten und entscheidend ist, dass die Begründung der internationalen Zuständigkeit durch rügeloses Einlassen nicht vorgesehen ist. II. Teleologische Reduktion 6 Aus dem Vorhergehenden folgt, dass Art 10 entsprechend seinem Sinn und Zweck und in

Übereinstimmung mit der Systematik der Bestimmungen über die Zuständigkeit auf die Fallsituationen zu reduzieren ist, in denen der Antragsgegner sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat oder sich eingelassen hat, um den Mangel der Zuständigkeit zu rügen.4 Der erste Fall betrifft das Säumnisverfahren5 und das Mahnverfahren, wo die Entscheidung erlassen wird, ohne dass zuvor der Antragsgegner gehört wird. Den Tatbestand des Einlassens bzw Nichteinlassens auf das Verfahren und der Rüge hat das Gericht natürlich von Amts wegen zu prüfen.

1 2 3 4

5

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Näheres hierzu Rauscher/Mankowski Art 25 Brüssel I-VO. Hierzu Rauscher/Mankowski Art 25 Brüssel I-VO Rn 2. Hierzu Rauscher/Mankowski Art 26 Brüssel I-VO Rn 1b. Im Ergebnis wie hier Geimer/Schütze/Reuß Rn 4; aA MünchKommFamFG/Lipp Rn 5 (danach gehört die Prüfung von Art 5 in den Anwendungsbereich von Art 10). Fasching/Konecny/Fucik Rn 1.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 10 EG-UntVO

III. Anwendungsbereich Art 10 ist anzuwenden, wenn das Gericht eines Mitgliedstaates in einer Unterhaltssache iSd 7 Art 1 angerufen wird. Die Unterhaltssache muss einen internationalen Bezug aufweisen, weil in rein nationalen Fällen die EG-UntVO keine Anwendung findet. Es ist unerheblich, zu welchem anderen Staat eine Beziehung besteht und ob diese eine Zuständigkeit nach der EG-UntVO begründen würde. Auch Unterhaltssachen mit Drittstaatbezug fallen unter Art 10. IV. Internationale und örtliche Zuständigkeit Die Prüfung umfasst die internationale Zuständigkeit und die örtliche dann, wenn die EG- 8 UntVO neben der internationalen zugleich die örtliche mitregelt. Dies ist zwar nicht zwingend, weil es primär auf die internationale Zuständigkeit ankommt. Wenn der Verordnungsgeber die örtliche Zuständigkeit von Art 10 ausschließen wollte, hätte er es aber regeln sollen. V. Zeitpunkt der Entscheidung Das Gericht kann nach Art 10 nicht bereits nach Eingang des Antrags entscheiden, ohne 9 dass weitere Verfahrensschritte eingeleitet worden sind. Dies folgt daraus, dass die Zuständigkeit des Gerichts durch rügeloses Einlassen des Beklagten begründet werden kann. Deshalb ist der Antrag zuzustellen, dem Antragsgegner ist die Gelegenheit zur Einlassung zu geben.6 Das Gericht hat über seine Unzuständigkeit zu beschließen, wenn der Antragsgegner die Unzuständigkeit geltend macht, ohne sich vorher in das Verfahren einzulassen,7 oder es die Aussetzung des Verfahrens nach Art 11 beenden kann. VI. Unzuständigkeitserklärung von Amts wegen Von Amts wegen bedeutet, dass sich das Gericht bei Vorliegen von Tatsachen, aus denen sich 10 das Fehlen der Zuständigkeit nach der EG-UntVO ergibt, ohne eine diesbezügliche Rüge einer Partei für unzuständig erklären muss. Die Ermittlung der Tatsachen, die der Entscheidung zugrunde liegen, richtet sich nach nationalem Prozessrecht.8 Danach bestimmt sich, ob insoweit das Amtsermittlunsprinzip oder – wie im deutschen Unterhaltsprozess – der Beibringungsgrundsatz gilt.9 Ein Parteivortrag bindet das Gericht nicht, im Zweifel kann es die Partei zu Beweisen auffordern oder auch selbst Freibeweis erheben.10 Ob die die Zuständigkeit begründenden Tatsachen vorliegen, ist zeitlich nach dem Grundsatz der perpetuatio fori zu entscheiden.11 6 7 8 9

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11

Siehe Rauscher/Mankowski Art 26 Brüssel I-VO Rn 2. Vgl Art 5. Für Art 25 Brüssel I-VO Rauscher/Mankowski Art 25 Brüssel I-VO Rn 5 mwN. Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 64; Prütting/Helms/Hau § 110 FamFG Anh. 3 Rn 71; NK-ZPO/Dörner Rn 1; Rauscher/Rauscher Art 17 Brüssel IIa-VO Rn 15, 16. So für die Zulässigkeitsprüfung im dt Verfahren Thomas/Putzo/Reichold Vorbem § 253 ZPO Rn 12; für das europäische Verfahrensrecht Spellenberg FS Geimer (2002) 1257, 1277; Rauscher/Rauscher Art 17 Brüssel IIa-VO Rn 15. Hierzu Art 3 Rn 12.

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Art 10 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Für das Europäische Mahnverfahren ist im ersten Verfahrensstadium die internationale Zuständigkeit nach der EG-UntVO allein anhand der Angaben des Antragstellers zu prüfen. Der Antragsgegner kann dann im Rahmen der Einspruchsmöglichkeiten die fehlende internationale Zuständigkeit geltend machen.12 Entsprechendes hat für die Nutzung des nationalen Mahnverfahrens zu gelten. Für das deutsche Mahnverfahren bestimmt § 75 Abs 2 AUG, dass der Antragsteller das Schriftstück, aus der die Gerichtsstandsvereinbarung hervorgeht, beizufügen hat, wenn er die Zuständigkeit auf die Vereinbarung stützt. VII. Prüfungsumfang 11 Wie bei der Brüssel I-VO13 bezieht sich die Prüfungspflicht des Gerichts auf die gesetzlichen

Zuständigkeiten (Artt 3, 6 und 7). Die Begründung oder Derogation der Zuständigkeit durch eine Gerichtsstandsvereinbarung ist dann zu prüfen, wenn eine der Parteien sie vorträgt oder sich dafür im Verfahren Anhaltspunkte ergeben.14 Die Unterscheidung resultiert daraus, dass die Prorogation oder Derogation auf dem Parteiwillen beruht und es deshalb auch den Parteien überlassen sein sollte, sie zur Wirkung zu bringen. VIII. Instanzen 12 Art 10 ist in allen Instanzen zu beachten.15 Er hat Vorrang vor den nationalen Vorschriften.

Im deutschen Verfahrensrecht ist ohnehin die internationale Zuständigkeit in Unterhaltssachen nicht vom Ausschluss der Beschwerde wegen Unzuständigkeit des Gerichts im ersten Rechtszug erfasst.16 Aufgrund des Vorrangs der europäischen Regelung ist davon auszugehen, dass auch die §§ 65 Abs 4, 72 Abs 2 FamFG keine Anwendung finden, wenn sich die internationale Zuständigkeit aus der EG-UntVO selbst ergibt. IX. Rechtsfolge 13 Steht die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts nach den Vorschriften der EG-UntVO

fest, so hat sich dieses für unzuständig zu erklären. In welcher Form dies erfolgt, bestimmt sich nach nationalem Recht. In Deutschland wird der Antrag durch Beschluss wegen Unzulässigkeit abgewiesen. 14 Art 10 schließt es jedoch nicht aus, dass das angerufene Gericht den Rechtsstreit innerhalb

desselben Mitgliedstaates an das nach der EG-UntVO örtlich zuständige Gericht verweist.17 Wird zB ein Verfahren in Deutschland beim Familiengericht in X anhängig gemacht und 12 13 14

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Rauscher/Gruber Art 6 EG-MahnVO Rn 23. MünchKommZPO/Gottwald Art 26 Brüssel I-VO Rn 6; Rauscher/Mankowski Art 26 Brüssel I-VO Rn 8. MünchKommFamFG/Lipp Rn 6; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 26 Brüssel I-VO Rn 8; Rauscher/ Mankowski Art 26 Brüssel I-VO Rn 8. Vgl zu Art 25 Brüssel I-VO ua Kropholler/von Hein Art 25 Brüssel I-VO Rn 1; Rauscher/Mankowski Art 25 Brüssel I-VO Rn 14. Die Auslegung von §§ 513 Abs 2, 545 Abs 2 ZPO ist entsprechend auf §§ 65 Abs 4, 72 Abs 2 FamFG zu übertragen; vgl zur Auslegung BGH v 16.12.2003 – XI ZR 474/02, NJW 2004, 1456; BGH v 28.11.2002 – III ZR 102/02, FamRZ 2003, 370 = NJW 2003, 426; BGH v 27.5.2003 – IX ZR 203/02, FamRZ 2003, 1381 = NJW 2003, 2916. Wie hier Geimer/Schütze/Reuß Rn 5.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 10 EG-UntVO

stellt sich heraus, dass der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Gerichtsbezirk Z hat, so ist eine Verweisung nach § 281 Abs 1 ZPO auf Antrag des Klägers möglich.18 Dafür spricht die Prozessökonomie, da der Kläger jederzeit den Antrag beim örtlich zuständigen Gericht stellen kann. Eine Bindungswirkung nach § 281 Abs 2 ZPO tritt jedoch für die örtliche Zuständigkeit nicht ein, weil dies dem Art 10 widersprechen würde.19 Eine Verweisung über die Grenzen ist in der EG-UntVO nicht vorgesehen und deshalb 15 nicht möglich, § 281 ZPO ist auf die internationale Zuständigkeit nicht analog anzuwenden. Das hat seinen Grund in der sog Kompetenz-Kompetenz, aus Souveränitätsgründen entscheidet jedes Gericht nur über die internationale Zuständigkeit der inländischen Gerichte; eine Verweisung würde indirekt eine Entscheidung über die internationale Zuständigkeit des angewiesenen Gerichts mit umfassen. Eine vorausgehende ausländische Entscheidung, die ein deutsches Gericht für zuständig hält, bindet mE das Gericht nicht.20 Genauso wie eine grenzüberschreitende Verweisung der Sache bei Unzuständigkeit – ohne staatsvertraglicher oder europarechtlicher Regelung – nicht möglich ist, kann nicht bindend über die Zuständigkeit des Gerichts eines anderen Staates entschieden werden, weil die Souveränität des jeweiligen Gerichtsstaates betroffen ist. Eine solche Entscheidung unterliegt deshalb auch nicht den Vorschriften der EG-UntVO über die Anerkennung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten. Art 10 berührt nicht die Wirksamkeit einer Sachentscheidung, wenn das entscheidende 16 Gericht Art 10 nicht beachtet hat oder sich aufgrund fehlerhafter Anwendung der Zuständigkeitsvorschriften der EG-UntVO für zuständig hält.21 Es ist Sache des Beklagten in diesem Fall die Rechtsmittel zu nutzen, die im Entscheidungsstaat zur Verfügung stehen.22 Eine Verletzung von Art 10 berührt nicht die Anerkennungsfähigkeit der Entscheidung in den anderen Mitgliedstaaten. Sie ist nach Kapitel IV vollstreckbar, die fehlende internationale Zuständigkeit stellt kein Vollstreckungseinwand dar. Deshalb ist es dem Antragsgegner, der den Prozess am angerufenen Gericht nicht führen will, zu raten, dort die Einrede der Unzuständigkeit zu erheben, statt sich auf das Verfahren gar nicht erst einzulassen. In Bezug auf Drittstaaten kann die fehlende internationale Zuständigkeit des entscheiden- 17 den Gerichts durchaus ein Anerkennungs- und Vollstreckungshindernis sein. Es geht hierbei um die Anerkennungszuständigkeit als Voraussetzung für die Anerkennung der Wirkung einer ausländischen Entscheidung auf dem Territorium des Zweitstaates. Jedoch wird das im Drittstaat prüfende Gericht hierfür nicht die EG-UntVO zugrunde legen, vielmehr Staatsverträge, wie das HUntAVÜbk 1973, HUntVerfÜbk 2007 oder das eigene internationale Zivilverfahrensrecht.

18 19 20

21

22

Für die Brüssel I-VO Kropholler/von Hein Art 26 Brüssel I-VO Rn 2. AA für Art 26 Abs 1 Brüssel I-VO, vgl Kropholler/von Hein Art 26 Brüssel I-VO Rn 2. So auch Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 26 Brüssel I-VO Rn 11; aA MünchKommZPO/Gottwald Art 26 Brüssel I-VO Rn 5; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 26 Brüssel I-VO Rn 7; Rauscher/Mankowski Art 26 Brüssel I-VO Rn 6. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 26 Brüssel I-VO Rn 13; Rauscher/Mankowski Art 26 Brüssel I-VO Rn 3. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 26 Brüssel I-VO Rn 13; Kropholler/von Hein Art 26 Brüssel I-VO Rn 3; Rauscher/Mankowski Art 26 Brüssel I-VO Rn 3.

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Art 11 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Artikel 11: Prüfung der Zulässigkeit (1) Lässt sich ein Beklagter, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Staates als des Mitgliedstaats hat, in dem das Verfahren eingeleitet wurde, auf das Verfahren nicht ein, so setzt das zuständige Gericht das Verfahren so lange aus, bis festgestellt ist, dass es dem Beklagten möglich war, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück so rechtzeitig zu empfangen, dass er sich verteidigen konnte oder dass alle hierzu erforderlichen Maßnahmen getroffen wurden. (2) Anstelle des Absatzes 1 dieses Artikels findet Artikel 19 der Verordnung (EG) Nr 1393/2007 Anwendung, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nach Maßgabe jener Verordnung von einem Mitgliedstaat in einen anderen zuzustellen war. (3) Sind die Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr 1393/2007 nicht anwendbar, so gilt Artikel 15 des Haager Übereinkommens vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nach Maßgabe dieses Übereinkommens ins Ausland zu übermitteln war. I. II. III.

Zielstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Abgrenzung der Absätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Absatz 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2. Nichteinlassung auf das Verfahren . . . . . 5 3. Aussetzung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . 6

I. Zielstellung 1 Art 11 ist darauf gerichtet, einem Beklagten, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im

Entscheidungsstaat hat, die Kenntnis des verfahrenseinleitenden oder eines gleichwertigen Schriftstücks zu ermöglichen, damit er sich im Verfahren verteidigen kann. Die Vorschrift betrifft also nicht die Zuständigkeit, sondern die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs zu Verfahrensbeginn. II. Abgrenzung der Absätze 2 Detailliert sind die damit zusammenhängenden Fragen in Art 19 EG-ZustVO1 und Art 15

HZÜ2 geregelt. Die Abs 2 und 3 verweisen auf diese Rechtsakte. Da die EG-ZustVO oder das HZÜ Anwendung finden, wenn ihr Geltungsbereich eröffnet ist, haben die Abs 2 und 3 lediglich hinweisenden Charakter. Die eigentliche Bedeutung der Vorschrift liegt im Abs 1, der dann anzuwenden ist, wenn weder die EG-ZustVO noch das HZÜ greift. 3 Rechtspraktisch ist also zu prüfen:

(1) Unterliegt die Zustellung des verfahrenseinleitenden oder gleichgestellten Schriftstücks 1

2

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Verordnung (EG) Nr 1393/2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1348/2000 des Rates, ABl EU 2007 L 324/79. Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15.11.1965, BGBl 1977 II 1453. Eine Übersicht über die aktuellen Vertragsstaaten (engl) ist abrufbar unter http://www.hcch.net/index_en.php?act=conventions.status& cid=17.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 11 EG-UntVO

der EG-ZustVO? Dies ist dann der Fall, wenn das Schriftstück von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat zum Zwecke der Zustellung zu übermitteln ist.3 Die Verordnung findet keine Anwendung, wenn die Anschrift des Empfängers des Schriftstücks unbekannt ist.4 (2) Trifft dies nicht zu, so kommt die Zustellung nach dem HZÜ in Betracht. Dazu muss die Zustellung in einem Vertragsstaat des HZÜ zu bewirken sein und die Anschrift des Empfängers bekannt sein. Art 19 EG-ZustVO und Art 15 HZÜ stimmen im Wortlaut weitgehend überein.5 III. Absatz 1 1. Anwendungsbereich Abs 1 wurde inhaltlich aus Art 26 Abs 2 iVm Abs 1 Brüssel I-VO übernommen, jedoch mit 4 einem anderen Anwendungsbereich. Abgestellt wird auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Beklagten. Dieser muss in einem anderen Staat als im Gerichtsstaat liegen. Da die Regelung keine Einschränkung vorsieht, gilt sie unter dieser Voraussetzung auch bei einer Inlandszustellung.6 Anders als bei Art 26 Abs 1 Brüssel I-VO erfolgt keine Begrenzung auf einen Mitgliedstaat. Vielmehr ist jeder Staat, außer der Gerichtsstaat selbst, gemeint.7 Damit gewinnt Abs 1 anders als Art 26 Abs 2 Brüssel I-VO für die Rechtspraxis an Bedeutung. Jene Regelung ist weitgehend funktionslos, hat mehr deklaratorischen Charakter, da im Zustellungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten die EG-ZustVO Anwendung findet. 2. Nichteinlassung auf das Verfahren Die Nichteinlassung des Antragsgegners kann darauf hinweisen, dass er vom Verfahren 5 keine Kenntnis erlangt hat. Sie ist deshalb Veranlassung dafür, dass das Gericht prüft, ob ihm die verfahrenseinleitenden Schriftstücke zugegangen sind. Diese Tatbestandsvoraussetzung ist wie für Art 26 Abs 1 Brüssel I-VO und Art 18 Abs 1 Brüssel IIa-VO autonom auszulegen.8 Nichteinlassung liegt vor, wenn sich der Antragsgegner nicht am Prozess 3

4 5 6

7

8

Mitgliedstaaten iSd EG-ZustVO sind alle EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Königreiches Dänemark. Auf dieses wird die Anwendbarkeit in der derzeitigen Form gleichwohl mittels des Abkommens vom 19.10.2005, AB1 EU 2005 L 300, 55, und der Mitteilung zur Änderung der EG-ZustVO vom 20.11. 2007 ab dem 13.11.2008 erstreckt, vgl AB1 EU 2007 L 94, 70, sowie AB1 EU 2008 L 331, 21. Vgl Art 1 Abs 2 EG-ZustVO. Näheres hierzu Rauscher/Heiderhoff Art 1 EG-ZustVO 2007 Rn 18. Für die nähere Kommentierung siehe Rauscher/Heiderhoff Art 19 EG-ZustVO 2007 Rn 1 ff. Rauscher/Rauscher Art 18 Brüssel IIa-VO Rn 10. In der Literatur wird für eine erweiterte Anwendung von Abs 1 eingetreten. Danach soll er – abgeleitet aus dem Schutzzweck der Norm und dem gebotenen Gleichlauf mit dem Anwendungsbereich der EG-ZustVO und des HZÜ – bei jeder Form der Auslandszustellung unabhängig vom gewöhnlichen Aufenthalt des Beklagten einschlägig sein, so MünchKommFamFG/Lipp Rn 6; für die Brüssel IIa-VO Rauscher/Rauscher Art 18 Brüssel IIa-VO Rn 6, 9. MünchKommFamFG/Lipp Rn 5; so bereits die entsprechende Auslegung zu Art 18 Brüssel IIa-VO von Staudinger/Spellenberg (2005) Art 18 Brüssel IIa-VO Rn 5; MünchKommZPO/Gottwald/Art 18 Brüssel IIa-VO Rn 2 ebenso Rauscher/Rauscher Art 18 Brüssel IIa-VO Rn 4 ff. Siehe Rauscher/Rauscher Art 18 Brüssel IIa-VO Rn 8.

Marianne Andrae

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Art 11 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

beteiligt. Einlassung ist noch nicht gegeben, wenn der Antragsgegner lediglich die fehlende Zuständigkeit rügt, ohne sich sonst zu beteiligen.9 Ist ein nichtprozessfähiges Kind Antragsgegner, so muss die Person sich auf das Verfahren eingelassen haben, die den Prozess für das Kind als dessen gesetzlicher Vertreter führt. Bei Prozessstandschaft kommt es auf den Prozessführungsbefugten an. Natürlich kann die Einlassung auch durch einen bevollmächtigten Vertreter der Prozesspartei erfolgen. 3. Aussetzung des Verfahrens 6 Rechtsfolge ist die Aussetzung des Verfahrens von Amts wegen.10 Das Aussetzen hat solange

zu erfolgen, bis entweder (a) feststeht, dass der Verfahrensgegner das verfahrenseinleitende oder ein gleichwertiges Schriftstück so rechtzeitig empfangen konnte, wie es für eine Verteidigung erforderlich ist. Das verfahrenseinleitende Schriftstück ist eine Urkunde, durch deren Zustellung der Antragsgegner erstmals vom Verfahren Kenntnis erhält und in dem alle wesentlichen Elemente des Rechtsstreits aufgezeigt sind.11 Hierzu gehören zB die Antragsschrift oder die Ladung mit Angabe des Streitgegenstandes und der Aufforderung zur Einlassung.12 Die wesentlichen Antragsgründe sollten ersichtlich sein;13 nach der Rechtsprechung des BGH genügt es, wenn das Schriftstück Angaben enthält, die dem Antragsgegner, die sachgerechte Entscheidung darüber ermöglichen, ob er sich auf das Verfahren einlässt.14 Ein gleichgestelltes Schriftstück ist zB ein Mahnbescheid. Die nach dem Verfahrensrecht der lex fori vorgeschriebenen Urkunden sind an diesem Kriterium zu messen. Nicht erfasst sind Schriftstücke, die erst im Laufe des Verfahrens zuzustellen sind. 7 Rechtzeitigkeit des Zugangs liegt vor, wenn der Antragsgegner in Abhängigkeit vom Einzel-

fall genügend Zeit hatte, die Verteidigung vorzubereiten.15 Hierbei ist ua auch zu berücksichtigen, ob der Antragsgegner der Sprache mächtig ist, in der das Schriftstück verfasst ist, ob ihm eine Übersetzung beigefügt ist und ob ausreichend Zeit für die Konsultation eines mit Auslandssachverhalten betrauten Anwalts besteht. Rechtzeitigkeit ist eine Tatsachenfrage, die das Gericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu beurteilen hat.16 Diese Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Antragsgegner von dem Schriftstück Kenntnis erlangen konnte, auf die tatsächliche Kenntnisnahme kommt es nicht an.17 Eigene Nachlässigkeit oder die von Personen im Machtbereich des Antragsgegners gehen zu dessen Lasten.18 Das Kriterium ist jedenfalls bei einem nachgewiesenen Zugang erfüllt, auch wenn 9

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15 16 17 18

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EuGH Rs C-39/02 Maersk Olie & Gas A/S/Firma M de Haan en W de Boer EuGHE 2004 I 9657 Rn 57; Geimer/Schütze/Reuß Rn 6. Rauscher/Rauscher Art 18 Brüssel IIa-VO Rn 12. Vgl Rauscher/Rauscher Art 18 Brüssel IIa-VO Rn 15. Kropholler/von Hein Art 34 Brüssel I-VO Rn 29 mit Beispielen aus den Mitgliedstaaten. So Art 6 HUntAVÜbk 1973. BGH v 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286, 295 f = IPRax 2001, 230, 232; ausführlich dazu Kropholler/von Hein Art 34 Brüssel I-VO Rn 30. Siehe auch Hess IPRax 1994, 10, 16 f. Siehe hierzu Rauscher/Rauscher Art 18 Brüssel IIa-VO Rn 17. Vgl Jenard-Bericht zu Art 20 EuGVÜ S 40. Rauscher/Rauscher Art 18 Brüssel IIa-VO Rn 17. Jenard-Bericht zu Art 20 EuGVÜ S 40.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 12 EG-UntVO

die Zustellung nicht ordnungsgemäß erfolgte. Auf die Art der Zustellung und ihre Rechtsgrundlagen (Staatsvertrag oder nationales Recht) kommt es nicht an. Ebenso unerheblich ist, zu welchem Zeitpunkt nach der lex fori der Zugang als bewirkt angesehen wird (b) oder alle erforderlichen Maßnahmen getroffen wurden, um die rechtzeitige Kenntnis- 8 nahme zu ermöglichen. Der Unterschied zur ersten Variante besteht darin, dass die Möglichkeit der Kenntnisnahme nicht sicher ist oder die Maßnahmen nicht zum Erfolg geführt haben. Kriterium ist, ob das Gericht im konkreten Fall alle sinnvollen Maßnahmen ergriffen hat. Die Regelung ersetzt nicht die durch das Gericht einzuhaltenden Zustellungsvorschriften, sondern ergänzt sie nur. Deshalb ist Grundvoraussetzung zunächst, dass die diesbezüglichen Vorschriften eingehalten wurden und insofern eine ordnungsgemäße Zustellung erfolgte.19 Die zusätzlich erforderlichen Maßnahmen liegen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts 9 nach den Umständen des Einzelfalls. Hierzu heißt es im Jenard-Bericht zu der identischen Regelung im EuGVÜ, dass das Erfordernis erfüllt ist, wenn „festgestellt wird, dass bei den zuständigen Stellen des Wohnsitzstaates (in Bezug auf Art 11 des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts) alle notwendigen Schritte unternommen worden sind, um den Beklagten rechtzeitig zu erreichen. Gegebenenfalls ist auch nachzuweisen, dass alle Nachforschungen, welche die Sorgfalt sowie Treu und Glauben gebieten, vorgenommen worden sind, um den Beklagten ausfindig zu machen“.20 Die Nichtbeachtung des Art 11 berührt die Wirksamkeit der Entscheidung nicht. Der Antragsgegner kann die im Gerichtsstaat gegebenen Rechtsbehelfe bei Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften nutzen. Darüber hinaus gewährt ihm die EG-UntVO Rechtsschutz, wenn aus der Entscheidung Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat betrieben wird.21

Artikel 12: Rechtshängigkeit (1) Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Verfahren wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. (2) Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig. I. II. III.

Regelungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

IV. V.

Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Anhängigkeit in einem Nichtmitgliedstaat 17

I. Regelungsziel Die Vorschrift ist wortgleich mit Art 27 Brüssel I-VO, nur das Wort „Klagen“ ist durch das 1 Wort „Verfahren“ ersetzt. Für die Auslegung kann deshalb die umfangreiche Rechtspre19 20 21

Rauscher/Rauscher Art 18 Brüssel IIa-VO Rn 18; Geimer/Schütze/Reuß Rn 8. Vgl Jenard-Bericht zu Art 20 EuGVÜ S 40; Beispiele bei Geimer/Schütze/Reuß Rn 8. Siehe hierzu Art 19 und Art 24 lit b.

Marianne Andrae

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Art 12 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

chung und Literatur zu Art 21 EuGVÜ/Art 27 Brüssel I-VO herangezogen werden.1 Ziel ist es, Parallelverfahren in verschiedenen Mitgliedstaaten zu vermeiden, indem das Verfahren bei dem später angerufenen Gericht zunächst ausgesetzt und letztlich dadurch beendet wird, dass das später angerufene Gericht sich für unzuständig erklärt. II. Voraussetzungen 2 Folgende Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein:

(a) In zwei Mitgliedstaaten müssen Verfahren über Unterhaltspflichten iSd Art 1 Abs 1 anhängig sein. Beide Verfahren müssen also vom sachlichen Anwendungsbereich der EGUntVO erfasst sein.2 3 (b) Die Parteien müssen in beiden Verfahren identisch sein, auf die Parteienrolle kommt es

nicht an (Parteienidentität).3 Eine Identität ist ausnahmsweise auch anzunehmen, wenn die Parteien im Rechtsstreit zwar nicht identisch sind, aber die Interessen der Parteien hinsichtlich des Gegenstandes dieser beiden Verfahren so weit übereinstimmen, dass eine Entscheidung, die für oder gegen eine Partei ergeht, Rechtskraft gegenüber der anderen entfalten würde.4 4 Für das Unterhaltsverfahren ist deshalb Parteienidentität auch anzunehmen, wenn in dem

einen Verfahren das Kind Partei ist und in dem anderen Verfahren ein Elternteil in Prozessstandschaft für das Kind den Prozess führt, soweit die Entscheidung für und gegen das Kind wirkt.5 Keine Identität ist gegeben, wenn der Elternteil, der das Kind versorgt, einen eigenen Anspruch auf Ausgleich in einem anderen Verfahren geltend macht.6 Hier handelt es sich dann um zusammenhängende Verfahren iSd Art 13. Geht es in dem einen Verfahren nur um den Kindesunterhalt und in dem anderen Verfahren sowohl um den Kindesunterhalt, der dem Kind materiell-rechtlich zusteht, als auch um den Betreuungsunterhalt, so besteht nur Identität in Bezug auf den Kindesunterhalt.7 Im Übrigen liegen dann zusammenhängende Verfahren iSv Art 13 vor. Parteienidentität ist auch nicht anzunehmen, wenn in dem einen Verfahren der Unterhaltsberechtigte und in dem anderen Verfahren die Person, auf die der Unterhaltsanspruch (vermeintlich) durch Zession übergegangen ist, denselben Anspruch für sich requirieren.8 Auch hier geht es um Verfahren, die eher dem Art 13 zuzuordnen sind. Anders kann dies nur gesehen werden, wenn im ersten Prozess der Unterhaltsberechtigte Partei ist und sich die Rechtskraft dieser Entscheidung auf den Zessionar erstrecken wird.9 1 2 3

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Siehe deshalb auch Rauscher/Leible Art 27 Brüssel I-VO. Speziell für Unterhaltssachen: OLG Celle FamRZ 2009, 359. MünchKommFamFG/Lipp Rn 8; Kropholler/von Hein Art 27 Brüssel I-VO Rn 4; Rauscher/Leible Art 27 Brüssel I-VO Rn 6 mwN. EuGH Rs C-351/96 Drouot/CMII EuGHE 1998 I 3075 Rn 20; krit hierzu Jayme/Kohler IPRax 1998, 417, 422; Rauscher/Leible Art 27 Brüssel I-VO Rn 6a. MünchKommFamFG/Lipp Rn 8; Hausmann, IntEuSchR C Rn 236; Geimer/Schütze/Reuß Rn 8. Rauscher/Leible Art 27 Brüssel I-VO Rn 6; zum ital Recht BGH v 9.10.1985 – IVb ZR 36/84, IPRax 1987, 314, 315 m Anm Jayme IPRax 1998, 295. .Die Frage ist dem EuGH Rs C-442/13 Nagy/Nagy im Vorabentscheideungsverfahren vorgelegt. Kropholler/von Hein Art 27 Brüssel I-VO Rn 4; Geimer IPRax 2004, 505; ua OLG Köln IPRax 2004, 521.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 12 EG-UntVO

(c) Zudem ist eine Identität des Streitgegenstandes erforderlich. Hierzu müssen die An- 5 träge auf dieselbe Grundlage bezogen sein und denselben Gegenstand betreffen.10 Grundlage meint denselben Lebenssachverhalt, also dieselbe Unterhaltsbeziehung, resultierend aus einem konkreten familienrechtlichen Verhältnis. Beide Verfahren müssen die Unterhaltspflichten aus diesem konkreten Verhältnis zum Gegenstand haben. Es reicht aus, wenn die Anträge im Kern den gleichen Gegenstand haben.11 In Unterhaltsprozessen geht es meist im Kern darum, ob, in welcher Höhe und für welchen 6 Zeitraum die eine Partei der anderen Unterhalt schuldet. Identität ist anzunehmen bei dem Antrag auf Leistung von Unterhalt für die Zukunft einerseits und andererseits auf Feststellung der fehlenden und einer geringeren Unterhaltspflicht, weiterhin bei Abänderungsanträgen, wenn die eine Partei den Antrag stellt, den Betrag zu erhöhen und die andere ihn herabzusetzen. Im Kern geht es immer um die Frage, ob eine Unterhaltspflicht der einen Partei gegenüber der anderen besteht oder, wenn die Unterhaltspflicht selbst nicht streitig ist, in welcher Höhe zu leisten ist. Keine Identität besteht bei Anträgen, die den ehelichen Trennungsunterhalt und den nach- 7 ehelichen Unterhalt betreffen.12 Dagegen ist zumindest Teilidentität anzunehmen, wenn in dem einen Verfahren periodischer nachehelicher Unterhalt eingefordert wird und im anderen Mitgliedstaat um eine einmalige Ausgleichszahlung mit (auch) unterhaltsrechtlicher Funktion für die Zeit nach der Scheidung gestritten wird. So kann Identität vorliegen, wenn mit der in Deutschland erhobenen Klage die Zahlung eines nachehelichen Unterhalts begehrt wird, während bei dem englischen Gericht der Ehesache ein Antrag auf Regelung der Scheidungsfolgen (ancillary relief) anhängig ist, soweit dieser als unterhaltsrechtlich iSd Art 1 einzuordnen ist.13 Das trifft jedenfalls dann zu, wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte in England Regelungen zur finanziellen Versorgung (financial provision orders) in Form wiederkehrender Leistungen (periodical payment orders) geltend macht.14 Von einer Identität ist weiterhin auszugehen, wenn zB in einem Verfahren die Feststellung der Wirksamkeit eines Unterhaltsverzichts in einem Ehevertrag begehrt wird und vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaates der Unterhalt geltend gemacht wird, der geschuldet wäre, wenn die Vereinbarung nichtig wäre. Im Kern geht es in beiden Verfahren um die Wirksamkeit des Verzichts. Ebenso liegt Identität vor, wenn zum einen die Erfüllung einer Unterhaltsvereinbarung und zum anderen die Feststellung ihrer Unwirksamkeit oder ihre Aufhebung wegen veränderter Umstände begehrt wird. Von einer Identität des Streitgegenstandes ist auch dann auszugehen, wenn in einem Mitgliedstaat eine Stufenklage erhoben wird und in einem anderen Mitgliedstaat eine Leistungsklage oder eine Feststellungsklage eingereicht wird, vorausgesetzt es geht um dieselbe Unterhaltsverpflichtung für denselben Zeitraum.15 9

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Kropholler/von Hein Art 27 Brüssel I-VO Rn 4; Geimer IPRax 2004, 505, 506; Geimer/Schütze/Reuß Rn 8. Hierzu näher mit Rechtsprechungsnachweisen Rauscher/Leible Art 27 Brüssel I-VO Rn 8. Ua EuGH Rs C-144/86 Gubisch Maschinenfabrik/Palumbo EuGHE 1987, 4861 Rn 16 f. AA auf Grund autonomer Auslegung Fasching/Konecny/Fucik Rn 2. OLG Celle FamRZ 2009, 359. Zur Abgrenzung von Unterhalt und Güterrecht in Bezug auf das englische Recht vgl Art 1 Rn 26 f. OLG Celle FamRZ 2009, 359. BGH v 17.4.2013 – XII ZR 23/12, IPRax 2013, 581 = FamRZ 2013, 1113 Rn 26 ff.

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8 Es kommt auf die Identität der Anträge in beiden Verfahren an. Bloßes Verteidigungsvor-

bringen bleibt für die Bestimmung der Identität außer Betracht.16 Deshalb reicht es zB nicht, dass in dem einen Verfahren um rückständigen Unterhalt gestritten wird und in dem anderen mit diesen Posten aufgerechnet wird.17 Art 12 findet keine Anwendung auf das Verhältnis der Anträge im Hauptverfahren und einstweiliger Maßnahmen nach Art 14.18 Sind die Streitgegenstände nur teilweise identisch, so ist Art 12 nur auf diesen Teil anzuwenden.19 Geht es in beiden Verfahren um periodisch zu leistenden Unterhalt, so sind die Zeiträume zu vergleichen, auf die sich die Anträge beziehen. Wird in dem einen Verfahren Kindesunterhalt für die Vergangenheit und laufenden Unterhalt gefordert und begehrt im anderen Verfahren der Unterhaltsverpflichtete die Festsetzung des Kindesunterhalts ab dem Ausspruch der Scheidung so besteht nur Teilidentität und zwar bezogen auf den Zeitpunkt ab der Scheidung. 9 (d) Weitere Voraussetzungen sind nicht zu prüfen. Eine Prognose der Anerkennung der zu

erwartenden Entscheidung des Gerichts des anderen Mitgliedstaates ist schon deshalb ausgeschlossen, weil die Anerkennung vorbehaltlos und unanfechtbar gesetzlich vorgeschrieben ist.20 Der Einwand der Prozessverschleppung im früheren Verfahren ist grundsätzlich ausgeschlossen. Es ist nämlich davon auszugehen, dass in allen Mitgliedstaaten rechtsstaatliche Verfahren durchgeführt werden, die den Justizgewährungsanspruch der Parteien – auch hinsichtlich des Zeithorizonts – nicht verletzen. Das Problem von Torpedo-Klagen21 ist in der Rechtspraxis für Unterhaltsverfahren noch nicht bekannt geworden. 10 Die EG-UntVO insgesamt und insbesondere ihre Kapitel über die Anerkennung und Voll-

streckung sowie über die Zusammenarbeit der Zentralen Behörden sind darauf gerichtet, grenzüberschreitende Unterhaltsverfahren zu optimieren. Der Unterhaltsberechtigte soll, soweit sein Antrag begründet ist, in möglichst kurzer Zeit zu einem vollstreckbaren Titel kommen, der dann ohne weitere Hürden in allen Mitgliedstaaten vollstreckbar ist. Da für die Anerkennung selbst auf den ordre public verzichtet wurde, ist es mE nicht möglich, die Rechtsfolge nach Art 12 mit dem Einwand der Prozessverschleppung zu verhindern. Die Nichtbefolgung der Rechtshängigkeitssperre aus diesem Grund wäre eine spezielle Art eines prozessrechtlichen ordre public. 11 Gegen eine Prozessverschleppung ist mit den Rechtsbehelfen vorzugehen, die in dem be-

treffenden Mitgliedstaat vorgesehen sind, zugleich können die Zentralen Behörden nach 16 17

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EuGH Rs C-111/01 Ganner/Barsch EuGHE 2003, 4207. EuGH Rs C-111/01 Ganner/Barsch EuGHE 2003, 4207 = IPRax 2003, 443 Rn 26, 27; ausführlich hierzu Rauscher/Leible Art 27 Brüssel I-VO Rn 11; Kropholler/von Hein Art 27 Brüssel I-VO Rn 13; Reischl IPRax 2003, 426, 429. Schlosser Art 27 Brüssel I-VO Rn 5; Kropholler/von Hein Art 27 Brüssel I-VO Rn 14; Rauscher/Leible Art 27 Brüssel I-VO Rn 13; Geimer/Schütze/Reuß Rn 10; siehe hierzu jedoch auch Art 14 Rn 9 ff. Rauscher/Leible Art 27 Brüssel I-VO Rn 10a; Kropholler/von Hein Art 27 Brüssel I-VO Rn 9. Art 17 Abs 1. Hierzu für Art 12 EG-UntVO Hausmann, IntEuSchR Rn C 240; zu Art 27 Brüssel I-VO Rauscher/Leible Art 27 Brüssel I-VO Rn 10c, 18 ff mwH.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 12 EG-UntVO

Artt 49 ff eingeschaltet werden. Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, bei Verletzung des Justizgewährungsanspruchs nach Art 6 EMRK, den EGMR anzurufen.22 In solchen Fällen kann der Unterhaltsberechtigte zur Überbrückung einstweilige Maßnahmen bei dem später angerufenen Gericht nach Art 14 beantragen, wenn der Unterhaltsschuldner vollstreckungsfähiges Vermögen in diesem Staat hat.23 III. Rechtsfolgen Liegt Identität der Parteien und des Verfahrens vor, so hat das später angerufene Gericht das 12 Verfahren auszusetzen. Das trifft selbst dann zu, wenn das später angerufene Gericht aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung mit ausschließlicher Wirkung zuständig ist.24 Die zeitliche Reihenfolge ist auch dann entscheidend, wenn in einem Mitgliedstaat ein Feststellungsantrag auf fehlende oder geminderte Leistungspflicht eingebracht wurde.25 Problematisch ist diese Lösung – soweit der Leistungsantrag der spätere ist – vor allem deshalb, weil die EG-UntVO, anders als die Brüssel I-VO, nicht den Gerichtsstand der Widerklage kennt. Die Aussetzung hat von Amts wegen zu erfolgen. Das Gericht hat jedoch nicht von Amts 13 wegen zu ermitteln, ob in einem anderen Mitgliedstaat eine Rechtshängigkeit vorliegt, solange keine konkreten Hinweise hierfür vorliegen.26 Liegt nur eine Teilidentität der Anträge vor, so erfolgt die Aussetzung nur für diesen betreffenden Teil.27 Entsprechend der Artikelreihenfolge hat das später angerufene Gericht zuvor zu prüfen, ob es gemäß der Verordnung zuständig ist. Fehlt es daran, hat es sich nach Art 10 für unzuständig zu erklären, Art 12 kommt dann nicht mehr zur Anwendung. Die Aussetzung des Verfahrens durch das später angerufene Gericht dauert fort, bis die Zuständigkeit des früher angerufenen Gerichts feststeht (Abs 1 HS 2). Die Fortsetzung des Verfahrens steht deshalb nicht im Ermessen des später angerufenen Gerichts. Das Verfahren der Aussetzung bestimmt sich nach dem innerstaatlichen Recht. In Deutschland findet § 148 ZPO entsprechend Anwendung.28 Die Aussetzung hat in jedem Verfahrensstadium, auch in der Berufungsinstanz zu erfolgen.29 Mit der Aussetzung soll einer negativen Kompetenz vorgebeugt werden. 22

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So wie hier für Art 27 Brüssel I-VO Kropholler/von Hein Art 27 Brüssel I-VO Rn 21; hierzu auch EuGH Rs C-116/02 Gasser/MISAT EuGHE 2003 I 14693 = IPRax 2004, 243 Rn 71 ff; zu der viel diskutierten Problematik in Bezug auf Art 27 Brüssel I-VO ua Grothe IPRax 2004, 205, 208 ff; Schlosser Art 27 Brüssel I-VO Rn 11; Schilling IPRax 2004, 294, 297; Geimer NJW 1984, 527, 530; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 27 Brüssel I-VO Rn 59; Rauscher/Leible Art 27 Brüssel I-VO Rn 27. Siehe hierzu die Kommentierung zu Art 14. EuGH Rs C-116/02 Gasser/MISAT EuGHE 2003 I 4867 = IPRax 2004, 243 Rn 46 ff; Grothe IPRax 2003, 205, 206; hierzu auch Kropholler/von Hein Art 27 Brüssel I-VO Rn 19. EuGH Rs C-406/92 Tatry/Maciej Rataj EuGHE 1994 I 5439 = EuGH v 6.12.1994 – Rs C-406/92, IPRax 1996, 108 Rn 40 ff; BGHZ 134, 201, 209; OLG Hamm v 3.12.1993 – 12 U 18/92, IPRax 1995, 104, 107; Kropholler/von Hein Art 27 Brüssel I-VO Rn 10; Rauscher/Leible Art 27 Brüssel I-VO Rn 9; Rüßmann IPRax 1995, 76. Jenard-Bericht zum EuGVÜ S 41. Kropholler/von Hein Art 27 Brüssel I-VO Rn 9. OLG München v 17.7.1997 – 7 W 1583/97, RIW 1997, 872; OLG Frankfurt aM IPRax 2002, 523; Rauscher/Leible Art 27 Brüssel I-VO Rn 21. BGH v 6.2.2002 – VIII ZR 106/01, NJW 2002, 2795; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 27 Brüssel I-VO Rn 9; Rauscher/Leible Art 27 Brüssel I-VO Rn 21; aA Hau IPRax 2002, 117.

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14 Das zweitangerufene Gericht hat sich von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn

die Zuständigkeit des erstangerufenen Gerichts feststeht. Sinn dieser Regelung ist, einen negativen Zuständigkeitskonflikt zu verhindern. Vom Feststehen ist auszugehen, wenn sich das erstangerufene Gericht nicht für unzuständig erklärt hat und keine der Parteien seine Zuständigkeit vor oder mit der Stellungnahme gerügt hat, die nach dem innerstaatlichen Prozessrecht als das erste Verteidigungsvorbringen zur Sache vor diesem Gericht anzusehen ist.30 In diesem Fall steht jedenfalls die Zuständigkeit dieses Gerichts auf Grund der rügelosen Einlassung des Antragsgegners nach Art 5 fest. Über die Zuständigkeit des erstangerufenen Gerichts entscheidet dieses selbst.31 Ist der Tatbestand der rügelosen Einlassung nicht erfüllt, so muss die Entscheidung des erstangerufenen Gerichts über seine Zuständigkeit unanfechtbar sein,32 damit die Aussetzung beim später angerufenen Gericht durch Unzuständigkeitserklärung endet. Hat sich ersteres dagegen für unzuständig erklärt, so ist der Prozess am später angerufenen Gericht fortzusetzen. Ist die Sachentscheidung des Erstgerichts rechtskräftig geworden, so entfällt die Aussetzungssperre.33 Hat sich das später angerufene Gericht für unzuständig erklärt, so ist vor diesem Gericht ein erneuter Antrag zum identischen Gegenstand möglich, wenn dem nicht die Rechtskraft der Entscheidung des früher angerufenen Gerichts entgegensteht. 15 Art 12 bietet keine befriedigende Lösung für die Fälle, in denen der Antragsteller im zweiten

Verfahren aufgrund von Fristenregelungen zur gerichtlichen Geltendmachung des Unterhalts oder der Abänderung gerichtlicher Entscheidungen34 Rechtsverluste erleidet, wenn sich das Gericht nach Art 12 für unzuständig erklärt. Es fehlt eine Regelung zur Wahrung von Fristen. Anders als nach Art 6 Nr 3 Brüssel I-VO steht dem Antragssteller im zweiten Verfahren nicht der Gerichtsstand der Widerklage zur Verfügung. IV. Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes 16 Der Wortlaut von Art 12 schließt auch den Fall ein, dass die Parteien eine Gerichtsstands-

vereinbarung mit ausschließender Wirkung vereinbart haben, aber ungeachtet dessen eine Partei als erste das Gericht eines anderen Mitgliedstaates anruft. Später wird das vereinbarte Gericht wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien angerufen. Um dem ausschließlichen Charakter Rechnung zu tragen und missbräuchliche Prozesstaktiken zu vermeiden, sieht nun Art 31 Abs 2 Brüssel Ia-VO die gegensätzliche Rechtsfolge vor. Danach muss das zuerst angerufene Gericht das Verfahren aussetzen, sobald das vereinbarte Gericht angerufen wurde, und zwar so lange, bis das letztere Gericht erklärt, dass durch die Gerichtsstandsvereinbarung nicht seine ausschließliche Zuständigkeit begründet wird. Fällt die Ent30

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EuGH Rs C-1/13 Cartier parfums-lunettes und Axa Corporate Solutions Assurance, IPRax 2014, 428 Rn 28 ff m Anm Koechel, 394 ff. EuGH Rs C-351/89 Overseas Union/New Hampshire Insurance EuGHE 1991 I 3317 = IPRax 1993, 34 Rn 22 f; Kropholler/von Hein Art 27 Brüssel I-VO Rn 19; Rauscher IPRax 1993, 21, 24. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 27 Brüssel I-VO Rn 54; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 27 Brüssel I-VO Rn 9. BGH v 6.2.2002 – VIII ZR 106/01, NJW 2002, 2795, 2796; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 27 Brüssel I-VO Rn 10. Fristenregelung in § 238 Abs 3 FamFG.

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Art 12 EG-UntVO

scheidung zur ausschließlichen Zuständigkeit positiv aus, kann es das Verfahren fortsetzen, auch wenn das erstangerufene Gericht das Verfahren noch nicht ausgesetzt hat. Damit soll erreicht werden, dass das vereinbarte Gericht vorrangig über die Gültigkeit der Vereinbarung, ihre ausschließende Wirkung und darüber entscheidet, inwieweit die Vereinbarung auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit Anwendung findet.35 Das Regelungsziel ist für die EG-UntVO nicht anders, so dass sich eine entsprechende Übernahme an sich empfiehlt. Offen ist, ob dies ohne normative Regelung erfolgen kann. V. Anhängigkeit in einem Nichtmitgliedstaat Ist die Streitsache in Island, Norwegen und der Schweiz anhängig, so regelt sich das Problem 17 der doppelten Anhängigkeit nach Art 27 LugÜbk 2007.36 Art 12 erfasst die Drittstaatenproblematik nicht, auch eine analoge Anwendung ist abzulehnen. Das ist darin begründet, dass die Regelung in Art 12 EG-UntVO auf dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten in eine geordnete Rechtspflege und der einheitlichen Zuständigkeitsordnung beruht. Die Beachtung einer früheren Rechtshängigkeit nach autonomem IZVR eines Mitgliedstaates ist nicht ausgeschlossen.37 Dies lässt sich daraus ableiten, dass Art 21 Abs 2 in Bezug auf die Vollstreckung einer Entscheidung aus einem Mitgliedstaat die Einrede der widersprechenden anerkannten drittstaatlichen Entscheidung zulässt bzw nach Art 24 lit d diesbezüglich ein Anerkennungshindernis besteht. Hierfür spricht auch, dass diese Frage nunmehr in Art 33 Brüssel Ia-VO bejahend geregelt ist. Bezogen auf Unterhaltsstreitigkeiten beurteilt sich im deutschen autonomen IZVR das Ver- 18 fahrenshindernis der entgegenstehenden Rechtshängigkeit eines drittstaatlichen Gerichts nach § 113 Abs 1 FamFG iVm § 261 Abs 3 Nr 1 ZPO analog. Es ist von Amts wegen zu beachten.38 Die deutsche Lösung wird den Anforderungen gerecht, wie sie allgemein aus Art 33 Brüssel Ia-VO abgeleitet werden können. Das betrifft insbesondere das Erfordernis der positiven Anerkennungsprognose, die Einschränkung der Rechtsfolge auf das Aussetzen des inländischen Verfahrens und die Möglichkeit der Fortsetzung des inländischen Verfahrens, soweit die Gefahr einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Rechtsschutzes für den inländischen Antragsteller besteht.39 Problematisch ist lediglich der Zeitpunkt auf den für die Priorität abgestellt wird. Die Rechtsprechung favorisiert die Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts nach der lex fori des jeweils angerufenen Gerichts und stellt für das deutsche Verfahren auf die Rechtshängigkeit iSd § 253 ZPO ab.40 Aus Art 33 Brüssel Ia-VO lässt sich ableiten, dass diese Konzeption aufzugeben ist, weil sie den Antragsteller vor dem mitgliedstaatlichen (deutschen) Gericht gegenüber dem vor dem drittstaatlichen Gericht 35 36 37 38 39 40

ErwGr 22 Brüssel Ia-VO. Vgl Art 64 Abs 2 lit b LugÜbk 2007. Prütting/Helms/Hau Anh 3 § 110 FamFG Rn 77. Staudinger/Spellenberg Anh zu § 606a ZPO Rn 10 ff (speziell für das Eheverfahren). Einzelheiten zum deutschen IZVR Andrae, Internationales Familienrecht3 (2014) § 2 Rn 89 ff mwH. BGH v 12.2.1992 – XII ZR 25/91, FamRZ 1992, 1058 = IPRax 1994, 40, 41; BGH v 18.3.1987 – IVb ZR 24/86, IPRax 1989, 104 = FamRZ 1987, 580 = NJW 1987, 3083, 3084 m Anm Geimer; OLG München v 14.7.2009 – 12 WF 1296/09, FamRZ 2009, 2104 Rn 11; AG Hamburg v 4.8.2004 – 288 F 6/04, FamRZ 2005, 284; kritisch ua Linke IPRax 1982, 229, 230; ders, IPRax 1994, 17, 18; Geimer IZPR, Rn 2699; Schack, IZVR Rn 844.

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benachteiligen könnte. Die Lösung kann nur darin gesehen werden, dass auch im autonomen internationalen Verfahrensrecht zumindest für die Antragstellung in Deutschland nicht auf die Rechtshängigkeit iSd der ZPO, sondern auf die Anhängigkeit iSd Art 9 Abs 1 EG-UntVO abgestellt wird. Noch besser wäre es, auch die Rechtshängigkeit/Anhängigkeit im ausländischen Verfahren entsprechend Art 9 EG-UntVO autonom zu bestimmen.41

Artikel 13: Aussetzung wegen Sachzusammenhang (1) Sind bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Verfahren, die im Zusammenhang stehen, anhängig, so kann jedes später angerufene Gericht das Verfahren aussetzen. (2) Sind diese Verfahren in erster Instanz anhängig, so kann sich jedes später angerufene Gericht auf Antrag einer Partei auch für unzuständig erklären, wenn das zuerst angerufene Gericht für die betreffenden Verfahren zuständig ist und die Verbindung der Verfahren nach seinem Recht zulässig ist. (3) Verfahren stehen im Sinne dieses Artikels im Zusammenhang, wenn zwischen ihnen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. I. II.

Regelungszweck und sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Voraussetzungen 1. Anhängigkeit in Mitgliedstaaten . . . . . . . . 3 2. Vorrang von Art 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3a

III.

3. Anforderungen an die Verfahren . . . . . . . 4 Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1. Aussetzung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . 8 2. Erklärung der Unzuständigkeit . . . . . . . . 11

I. Regelungszweck und sachlicher Anwendungsbereich 1 Im Wortlaut stimmt – mit einer Ausnahme – Art 13 mit Art 28 Brüssel I-VO überein. Nur

das Wort „Klagen“ ist durch das Wort „Verfahren“ ersetzt worden. Die Vorschrift ist darauf gerichtet, widersprechende Entscheidungen in verschiedenen Mitgliedstaaten zu vermeiden und damit zur geordneten Rechtspflege innerhalb der Gemeinschaft beizutragen.1

Die Bedeutung dieser Vorschrift für Unterhaltsverfahren ist davon abhängig, ob hiervon auch solche Verfahren erfasst sind, die nicht in den sachlichen Geltungsbereich der EGUntVO gehören, die aber mit der Unterhaltssache im unmittelbaren Zusammenhang stehen, weil sie vorgreifliche Rechtsverhältnisse betreffen. Als Beispiel sei das Verfahren in Ehesachen, über die elterliche Verantwortung und ein Vaterschaftsanfechtungsprozess genannt. Zu Art 28 Brüssel I-VO wird – jedoch ohne nähere Begründung – vertreten, dass der Anwendungsbereich der Brüssel I-VO eröffnet sein muss.2

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So bereits Staudinger/Spellenberg Anh zu § 606a ZPO Rn 16; Schack, IZVR Rn 844 (de lege ferenda). EuGH Rs C-406/92 Tatry/Maciej Rataj EuGHE 1994 I 5439 Rn 52; Jenard-Bericht zum EuGVÜ S 41; hierzu auch ua Rauscher/Leible Art 28 Brüssel I VO Rn 1. OLG München RIW 2002, 66, 67; Rauscher/Leible Art 28 Brüssel I-VO Rn 2.

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Für die EG-UntVO ist zu differenzieren. Das Verfahren, in dem die Anwendung von Art 13 2 zu prüfen ist, muss eine Unterhaltspflicht iSd Art 1 Abs 1 zum Gegenstand haben. Dies folgt daraus, dass für diese Verfahren in Art 13 Rechtsfolgen geregelt sind. Das andere Verfahren, zu dem der Zusammenhang besteht und für das die EG-UntVO keine Rechtsfolgen anordnet, kann eine Unterhaltssache sein. Dies ist jedoch nicht zwingend.3 Für die Einbeziehung von Verfahren, die vorgreifliche Rechtsverhältnisse zum Gegenstand haben, spricht, dass sie Grundlage für die Unterhaltsentscheidung bilden. Sie müssen im Unterhaltsverfahren Berücksichtigung finden, um zu verhindern, dass nach Erlass der anderen Entscheidung die Unterhaltsentscheidung fehlerhaft und deshalb aufgehoben oder geändert werden muss. Zugleich wird damit der Einwand unvereinbarer Entscheidungen nach Art 21 Abs 3 verhindert. Für die Einbeziehung spricht weiterhin, dass Art 13 keine Einschränkung auf Unterhaltsverfahren vorsieht. Außerdem kann angeführt werden, dass die EG-UntVO dem Zusammenhang zwischen einer Personenstandssache bzw eines Verfahrens zur elterlichen Verantwortung und der Unterhaltssache bei der internationalen Zuständigkeit in Art 3 lit c und d Rechnung trägt. II. Voraussetzungen 1. Anhängigkeit in Mitgliedstaaten In verschiedenen Mitgliedstaaten sind Verfahren anhängig, typischerweise sind es zwei 3 Verfahren. Art 13 findet also keine Anwendung, wenn dass eine Verfahren in einem Mitgliedstaat und das andere Verfahren in einem Nichtmitgliedstaat anhängig ist.4 Die Lösung ist dem autonomen IZVR überlassen. Gibt es ein früheres Verfahren in einem Teilnehmerstaat des LugÜbk 2007, der nicht Mitgliedstaat ist, so findet Art 28 LugÜbk 2007 Anwendung. 2. Vorrang von Art 12 Art 12 besitzt gegenüber Art 13 Vorrang, letzterer ist also nur zu prüfen, wenn der Tat- 3a bestand des Art 12 nicht erfüllt ist.5 Parteien und Gegenstand des Anspruchs dürfen folglich nicht iSv Art 12 identisch sein. 3. Anforderungen an die Verfahren Das später anhängig gewordene Verfahren muss eine Unterhaltspflicht zum Gegenstand 4 haben. Das frühere Verfahren kann eine Unterhaltspflicht oder ein vorgreifliches Rechtsverhältnis zum Gegenstand haben. Welches Verfahren früher anhängig gemacht wurde, bestimmt sich nach Art 9. Anders als bei Art 12 bedarf es keiner Identität der Parteien. Ein Zusammenhang zwischen den Verfahren kann zB bestehen, wenn das Kind in dem einen Mitgliedstaat die Mutter und 3 4 5

Wie hier Geimer/Schütze/Reuß Rn 4; MünchKommFamFG/Lipp Rn 4. AA MünchKommFamFG/Lipp Rn 6. Hierzu näher Rauscher/Leible Art 28 Brüssel I-VO Rn 1a.

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in dem anderen Mitgliedstaat den Vater auf Unterhalt in Anspruch nimmt, derselbe Elternteil in unterschiedlichen Staaten von einem jeweils anderen Kind in Anspruch genommen wird oder die Eltern in einem Mitgliedstaat ein Sorgerechtsverfahren führen und in dem anderen Staat das Kind gerichtlich Unterhalt von einem Elternteil geltend macht.6 5 Zwischen den Verfahren muss ein Zusammenhang bestehen. Die Anforderungen daran

sind in Abs 3 legal definiert. Zwischen ihnen muss eine „so enge Beziehung gegeben sein“, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen können. Der Begriff ist weiter zu verstehen als der Begriff unvereinbar in Art 21 Abs 2. Er umfasst damit jedenfalls alle die Fälle, in denen Unvereinbarkeit droht: Es sind alle Verfahren umfasst, in denen die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen besteht, selbst, wenn die Entscheidungen getrennt vollstreckt werden können und sich ihre Rechtsfolgen nicht gegenseitig ausschließen.7 Eine solche existiert nur dann, wenn zu erwarten ist, dass die Entscheidung im früheren Verfahren in dem anderen Mitgliedstaat auch anerkennungsfähig ist.8 Ist das Erstverfahren auch eine Unterhaltssache, so verbietet sich eine Anerkennungsprognose, weil die Anerkennung ipso iure, ohne jede Voraussetzung und unanfechtbar erfolgt (Art 17 Abs 1). Bei Verfahren, die vorgreifliche Rechtsverhältnisse betreffen, kann geprüft werden, ob Anerkennungshindernisse ersichtlich sind. Eine solche negative Anerkennungsprognose erleichtert die Ermessensentscheidung darüber, ob das Unterhaltsverfahren ausgesetzt werden sollte.9 6 An Beispielen für einen Zusammenhang/fehlenden Zusammenhang aus veröffentlichter

Rechtsprechung, die Unterhaltssachen betreffen, fehlt es. Die Anwendung von Art 13 kommt ua in Frage, wenn der Unterhaltsverpflichtete von mehreren Unterhaltsberechtigten gerichtlich in Anspruch genommen wird und seine Leistungsfähigkeit aufgrund seines Einkommens begrenzt ist. Entsprechendes gilt, wenn der Unterhaltsberechtigte den sich aus seinem Bedarf ergebenden Geldbetrag gegenüber mehreren ihm zum Unterhalt verpflichteten Personen geltend macht hat und dieser Geldbetrag den Bedarf übersteigt. Ein Zusammenhang besteht auch zwischen einem anhängigen Vaterschaftsanfechtungsverfahren und einem Verfahren, in dem derselbe Mann gegenüber dem Kind zum Unterhalt verpflichtet werden soll.10 Dasselbe gilt im Verhältnis zwischen dem Vaterschaftsfeststellungs- und Unterhaltsverfahren. Ein Verfahren über die elterliche Verantwortung steht im Zusammenhang mit dem Unterhaltsverfahren für das Kind, wenn es im ersten Verfahren darum geht, bei wem das Kind lebt und im zweiten, wer deshalb den Betreuungsunterhalt zu leisten hat.

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Ähnliche Beispiele auch bei Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 77. EuGH Rs C-406/92 Tatry/Maciej Rataj EuGHE 1994 I 5439 Rn 53; Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 78. Wie hier Geimer/Schütze/Reuß Rn 8. Für eine solche negative Anerkennungsprognose in Bezug auf Art 22 EuGVÜ bzw Art 28 Brüssel I-VO OLG Frankfurt aM IPRax 2001, 227, 228 m Anm Geimer IPRax 2001, 191, 192; Rauscher/Leible Art 28 Brüssel I-VO Rn 5; Kropholler/von Hein Art 28 Brüssel I-VO Rn 10. Wie hier Geimer/Schütze/Reuß Rn 4.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 13 EG-UntVO

III. Rechtsfolgen Vorgesehen sind für das später anhängig gemachte Unterhaltsverfahren zwei mögliche 7 Rechtsfolgen, nach Abs 1 das Aussetzen dieses Verfahrens und nach Abs 2 die Unzuständigkeitserklärung. Letztere ist an zusätzliche Voraussetzungen gebunden. 1. Aussetzung des Verfahrens Das Gericht kann das Verfahren für die später anhängig gemachte Unterhaltssache aus- 8 setzen. Die Aussetzung steht im Ermessen dieses Gerichts.11 Sie erfolgt von Amts wegen, eines Antrags einer Partei bedarf es nicht. Folgende Faktoren sind zu berücksichtigen: Die Art und die Stärke des Zusammenhangs, die Gefahr widersprechender Entscheidungen, Stand, Dauer, Sach- und Beweisnähe beider Verfahren, Prozessökonomie und Parteiinteressen.12 Abzuwägen sind unter diesen Aspekten folgende mögliche Rechtsfolgen: Keine Aussetzung des Verfahrens, Aussetzung des Verfahrens und letztlich Unzuständigkeitserklärung nach Abs 2. Ein Aussetzen des Verfahrens kommt mE insbesondere in Betracht, wenn es im ersten 9 Verfahren nicht um die Unterhaltspflicht, sondern um vorgreifliche Rechtsverhältnisse geht. Eine gemeinsame Verhandlung beider Gegenstände durch dasselbe Gericht ist inhaltlich nicht geboten. Dem Antragsteller sollten deshalb nicht die Vorteile der Anrufung dieses Gerichts für die Unterhaltssache genommen werden. Nicht nur das Aussetzen des Verfahrens, sondern auch seine Dauer steht im Ermessen des Gerichts. Es endet spätestens mit der Rechtskraft der Entscheidung im ersten Verfahren.13 Für die Zeit des Aussetzens des Verfahrens kann das Gericht einstweilige Maßnahmen anordnen, insbesondere zur vorläufigen Unterhaltsleistung verpflichten. Da es für die Hauptsache zuständig ist, ist es dabei nicht auf Maßnahmen nach Art 14 beschränkt.14 Verfahrensweise und Rechtsmittel in Bezug auf die Aussetzung des Verfahrens regeln sich nach einzelstaatlichem Recht.15 Für das erstangerufene Gericht besteht nach Art 13 die Möglichkeit der Aussetzung des 10 Verfahrens nicht. Diese Folgerung bezieht sich nur auf den Fall, dass das später in Gang gesetzte Verfahren eine Unterhaltssache ist. Die Konstellation, dass das spätere Verfahren ein vorgreifliches Rechtsverhältnis und das erstere Verfahren eine Unterhaltssache zum Gegenstand hat, regelt die EG-UntVO nicht. Für sie kann deshalb insoweit das nationale Verfahrensrecht Anwendung finden, in Deutschland kommt eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO entsprechend in Betracht. 2. Erklärung der Unzuständigkeit Zusätzliche Voraussetzungen Die Erklärung der Unzuständigkeit durch das später angerufene Gericht erfordert zusätz- 11 liche Voraussetzungen: 11 12 13 14 15

Rauscher/Leible Art 28 Brüssel I-VO Rn 7. Kropholler/von Hein Art 28 Brüssel I-VO Rn 10; Rauscher/Leible Art 28 Brüssel I-VO Rn 7. Rauscher/Leible Art 28 Brüssel I-VO Rn 7a. Hierzu Art 14 Rn 8. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 28 Brüssel I-VO Rn 26.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Beide Verfahren müssen im ersten Rechtszug anhängig sein.16 Es bedarf des Antrages einer im späteren Verfahren beteiligten Partei, dabei spielt es keine Rolle, ob es der Antragsteller oder Antragsgegner ist. Zu beantragen ist, dass sich das Gericht für unzuständig erklärt. Das zuerst angerufene Gericht muss für eine Entscheidung über die Gegenstände zuständig sein, die in beiden Verfahren anhängig sind und miteinander im Zusammenhang stehen. Ob dies zutrifft, hat das später angerufene Gericht zu prüfen. Dies steht nicht im Widerspruch dazu, dass im Prinzip jedes Gericht die internationale Zuständigkeit der Gerichte seines Landes prüft. Hier erfolgt die Prüfung der Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Staates nur zur Vorbereitung der Entscheidung über die Erklärung der eigenen Unzuständigkeit. Diese Prüfung soll verhindern, dass für die Anträge kein Forum zur Verfügung steht, weil das eine Gericht nicht zuständig ist und das andere Gericht sich für unzuständig erklärt hat.17 12 Soweit die Verfahren Unterhaltspflichten zum Gegenstand haben, erfolgt die Prüfung nach

den Artt 3 ff. Letztlich muss nach dem Recht des erstangerufenen Gerichts eine Verbindung beider Verfahren zulässig sein. Die Regelung geht davon aus, dass nur in diesem Fall eine Erklärung der Unzuständigkeit des später angerufenen Gerichts sinnvoll ist. Wenn auch das Erstgericht beide Verfahren nicht verbinden kann, so trägt die Unzuständigkeitserklärung nicht dazu bei, dem Zusammenhang der Verfahrensgegenstände Rechnung zu tragen. Auch diese Frage hat das später angerufene Gericht zu prüfen. 13 Die in Abs 2 vorgesehene Prozedur schafft Risiken. Diese können dadurch reduziert werden,

dass – eventuell unter Hinzuziehung der Zentralen Behörden beider Mitgliedstaaten – das „abgebende“ Gericht vorsorglich anfragt, ob das früher angerufene Gericht die Sache zur Entscheidung annehmen würde, ohne dass dem natürlich Bindungswirkung zukommt. Um widersprechende Entscheidungen zu verhindern, will Abs 2 erreichen, dass zusammenhängende Verfahren, bei denen eine Verfahrensverbindung zweckmäßig ist, beim erstangerufenen Gericht konzentriert werden.18 Dies würde am besten durch eine Verweisung realisiert werden, die jedoch einer entsprechenden Regelung in der Verordnung, wie in Art 15 Brüssel IIa-VO, bedürfte. 14 Das autonome deutsche IZPR kennt keine Verweisung eines Verfahrens an ein ausländi-

sches Gericht bzw die Annahme der Verweisung durch Übernahme des Verfahrens von einem ausländischen Gericht. Die Prozedur kann deshalb nur so sein: Beendigung des Verfahrens beim später angerufenen Gericht durch Unzuständigkeitserklärung sowie Einreichung des Antrags, der zunächst beim später angerufenen Gericht anhängig war, bei dem erstangerufenen Gericht. Dieses kann dann nach seinem Verfahrensrecht die beiden anhängigen Prozesse verbinden. Ein solches Vorgehen ist auch deutschen Gerichten nach § 147 ZPO im Unterhaltsprozess möglich.19

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Zu den Gründen siehe Kropholler/von Hein Art 28 Brüssel I-VO Rn 8; Rauscher/Leible Art 28 Brüssel I-VO Rn 8. Ebenso Geimer/Schütze/Reuß Rn 11; zu einem möglichen negativen Kompetenzkonflikt und seiner Lösung Rauscher/Leible Art 28 Brüssel I-VO Rn 1a, 8. Zur Problematik auch Geimer/Schütze/Reuß Rn 14 ff. Anders Rauscher/Leible Art 28 Brüssel I-VO Rn 9; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 28 Brüssel I-VO Rn 3; Kropholler/von Hein Art 28 Brüssel I-VO Rn 8.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 14 EG-UntVO

Abs 2 lässt es durchaus zu, dass das später angerufene Gericht das Verfahren zunächst 15 aussetzt und der antragstellenden Partei empfiehlt, den Antrag bei dem Gericht des anderen Mitgliedstaates anhängig zu machen, um sich erst dann für unzuständig zu erklären. Das Verfahren für diesen Antrag wäre bei dem Gericht des anderen Mitgliedstaates zunächst nach Art 12 Abs 1 blockiert. Die Blockade wird durch die Unzuständigkeitserklärung aufgehoben. Die Erklärung der Unzuständigkeit durch das später angerufene Gericht liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Für eine zurückhaltende Anwendung sprechen insbesondere die Nachteile für den Antragsteller, wie doppelte Verfahrenskosten, Ausschlussund Verjährungsfristen. Sie kommt nur in Betracht, wenn der Zusammenhang von Verfahren nicht durch die Aussetzung des späteren Verfahrens gewahrt werden kann.

Artikel 14: Einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen Die im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, können bei den Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats aufgrund dieser Verordnung zuständig ist. I. II. III.

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einstweilige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuständigkeit nach der EG-UntVO . . . .

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2. Zuständigkeit nach einzelstaatlichem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3. Deutsches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

I. Vorbemerkung Art 14 übernimmt den Art 31 Brüssel I-VO (Art 35 Brüssel Ia-VO). Der einstweilige Rechts- 1 schutz wird nicht positiv eigenständig geregelt,1 sondern durch zwei Verweise. Einstweilige Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen können von einem Gericht, das nach den Artt 3-7 zuständig ist, erlassen werden, im Übrigen wird auf die einzelstaatlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten verwiesen. Diese Regelungsweise stellt ein Systembruch in der Zuständigkeitsordnung der EG-UntVO dar. Nach ErwGr 15 soll ein Rückgriff auf die innerstaatlichen Vorschriften über die Zuständigkeit gerade nicht mehr möglich sein. Diese Zielsetzung hätte Veranlassung geben sollen, die Zuständigkeit für den einstweiligen Rechtsschutz in der EG-UntVO abschließend zu regeln und diesen mit den neuen Bestimmungen zur Anerkennung und Vollstreckung abzustimmen. Art 14 besitzt, anders als Art 31 Brüssel I-VO, keinen räumlich begrenzten Anwendungs- 2 bereich. Er ist auf alle Fälle mit grenzüberschreitendem Bezug anzuwenden. Die Schwierigkeiten bei der Auslegung der Bestimmung werden – soweit es den Verweis auf die einzelstaatlichen Zuständigkeitsregeln zum einstweiligen Rechtsschutz betrifft – für die EG-Unt-

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Kropholler/von Hein Art 31 Brüssel I-VO Rn 1; Rauscher/Leible Art 31 Rn 2 Brüssel I-VO.

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VO potenziert. Einerseits ist den Bedingungen in der Gemeinschaft Rechnung zu tragen, andererseits ist die Drittstaatenproblematik zu beachten. Die Bestimmungen der EG-UntVO sind darauf gerichtet, den Beteiligten und insbesondere den Unterhaltsberechtigten vor mitgliedstaatlichen Gerichten im Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren effektiven und zügigen Rechtsschutz zu gewähren. Der Verweis auf die innerstaatlichen Vorschriften für den einstweiligen Rechtsschutz kann deswegen nicht mehr damit begründet werden, dass der Antragssteller vor Schäden bewahrt werden soll, die durch die jedem internationalen Verfahren eigene lange Verfahrensdauer verursacht werden. Anders ist dies zu sehen, wenn die Unterhaltssache Bezüge zu Drittstaaten aufweist. In der EG-UntVO hätte für den einstweiligen Rechtsschutz durchaus differenziert werden können. Im Verhältnis zwischen mitgliedstaatlichen Gerichten wäre als Mindestregelung eine Übernahme von Art 20 Abs 2 Brüssel IIa-VO möglich gewesen. II. Einstweilige Maßnahmen 3 Für die Merkmale der erfassten gerichtlichen Anordnungen kann auf die Auslegung für

Art 24 EuGVÜ/Art 31 Brüssel I-VO zurückgegriffen werden.2 Der Begriff umfasst Maßnahmen nach einzelstaatlichem Recht, die eine Veränderung der Sach- und Rechtslage verhindern sollen, um Rechte zu sichern, deren Anerkennung im Übrigen bei dem in der Hauptsache zuständigen Gericht beantragt wird.3 Ganz allgemein hat das Gericht seine Anordnung von Voraussetzungen abhängig zu machen, die dem einstweiligen und auf eine Sicherung gerichteten Charakter der Maßnahme gerecht werden.4 An diesen Kriterien ist zu messen, ob die nach einzelstaatlichem Recht zulässigen Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes oder ihre konkrete Ausgestaltung – bezogen auf die Unterhaltssache – unter den Begriff einstweilige Maßnahmen iSv Art 14 EG-UntVO fallen. 4 Die Maßnahmen lassen sich in Bezug auf Unterhaltssachen in zwei Hauptgruppen einteilen.

Zum einen handelt es sich um Anordnungen, die eine spätere Vollstreckung der Entscheidung in der Hauptsache sichern sollen (Sicherungsmaßnahmen), einschließlich der Anordnungen zur Sicherung des Rechtsfriedens während des Verfahrens. Hierzu gehört insbesondere die Anordnung von Verfügungssperren in Bezug auf Vermögensobjekte, die dem Unterhaltsschuldner gehören. Der zweite Bereich umfasst Leistungsverfügungen, die in einem beschleunigten Verfahren Unterhalt ganz oder teilweise zusprechen. Dabei kann es sich auch um eine vorläufige Befriedigung des Unterhaltsberechtigten handeln, der in einem Hauptverfahren einen Pauschalbetrag zB als Scheidungsfolge eingeklagt hat. 5 Typisch in Bezug auf Unterhaltssachen sind jedoch Leistungsanordnungen, die den in An-

spruch Genommenen verpflichten, für die Zeit bis zur Hauptentscheidung periodisch Unterhalt zu leisten.5 Zielstellung ist hier nicht nur, die Durchsetzung der späteren Haupt2 3

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Rauscher/Leible Art 31 Brüssel I-VO mwH. EuGH Rs C-104/03 St Paul Dairy Industries NV EuGHE 2005 I 3481 Rn 12; EuGH Rs C-261/90 Reichert/ Kockler/Dresdner Bank EuGHE 1992 I 2149 Rn 33. EuGH Rs C-125/79 Denilauler/Couchet Frères EuGHE 1980 1553 Rn 15; EuGH Rs C-391/95 van Uden/ Deco-Line EuGHE 1998 I 7091 Rn 38; EuGH Rs C-104/03 St Paul Dairy Industries NV EuGHE 2005 I 3481 Rn 12. Krit zu vorläufigen Zahlungen Hess Study 18.4.2004, JAI/A3/02/2002 S 139. Die Kommission erachtet

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 14 EG-UntVO

entscheidung zu sichern und den Antragsgegner zu motivieren, das Hauptverfahren nicht zu verzögern oder zu blockieren. Solche Anordnungen dienen in erster Linie dazu, den Unterhaltsberechtigten mit den notwendigen Mitteln für den Lebensunterhalt in dieser Zeit auszustatten. Auch wenn der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zugesprochene Betrag dem des Hauptantrags entspricht, fällt die Maßnahme unter Art 14, soweit sie zur Sicherstellung der Wirksamkeit der Entscheidung in der Hauptsache erforderlich ist und nur auf diese Weise dem Parteieninteresse auf Seiten des Unterhaltsberechtigten Rechnung getragen werden kann. Eine Leistungsverfügung in Gestalt einer einstweiligen Anordnung, durch die auf Antrag die Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt geregelt werden kann, sieht das deutsche Recht vor.6 Gleiches gilt ua im österreichischen,7 belgischen,8 französischen,9 luxemburgischen,10 niederländischen,11 portugiesischen12 und englischen Recht.13 Art 14 erfasst einstweilige Maßnahmen, die sich auf die Unterhaltspflichten beziehen. Es 6 kommt nicht darauf an, worum es im Hauptprozess geht. Wird im Ehescheidungsverfahren eine einstweilige Maßnahme mit unterhaltsrechtlichem Charakter iSd EG-UntVO beantragt, dann ist Art 14 EG-UntVO anwendbar.14 Dasselbe gilt zB auch, wenn der vermeintliche Vater im Vaterschaftsprozess zur vorläufigen Zahlung von Unterhalt verpflichtet wird. III. Internationale Zuständigkeit Art 14 regelt die Zuständigkeit zweigleisig. Zur Verfügung stehen die Gerichtsstände nach 7 der EG-UntVO und die nach dem einzelstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten. Die Bestimmung selbst sieht keine Priorität vor. Aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich rechtspraktisch hinsichtlich vorläufiger Leistungsanordnungen ein Vorrang für die Zuständigkeiten nach der EG-UntVO. Wird die Rechtsprechung des EuGH zu Art 24 EuGVÜ (Art 31 Brüssel I-VO) auf Art 14 übertragen, so sind in der einstweiligen Maßnahme der Zuständigkeitsgrund, also Artt 3 ff oder Art 14, sowie die dazu gehörenden Vorschriften des nationalen Prozessrechts, ausdrücklich zu nennen. Fehlt es daran, dann besteht die Vermutung, dass die einstweilige Maßnahme nach Art 14 erlassen wurde.15 Diese ist daraufhin an den einschrän-

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hingegen eine Verurteilung zu einer vorläufigen Zahlung für unproblematisch zulässig, Europäische Kommission, 21.4.2009, KOM (2009) 175, 8 f. § 246 FamFG; § 247 FamFG für einstweilige Anordnungen vor Geburt des Kindes; § 249 FamFG für einstweilige Anordnungen während der Anhängigkeit eines Vaterschaftsprozesses. § 382 Abs 1 lit a EO im Verhältnis zum unterhaltsberechtigtem Kind, Ehegatten oder geschiedenen Ehegatten. Art 1035 CJ ff. Art 809 Abs 2 ncpc. Art 933 Abs 2 ncpc. Art 254, 260 CCP. Art 399 cpc. CPR rule 25.1 (1) (k). Für die entsprechende Bestimmung im EuGVÜ EuGH Rs 120/79 De Cavel/De Cavel II EuGHE 1980, 731 Rn 5 ff; so auch MünchKommFamFG/Lipp Rn 5; Fasching/Konecny/Fucik Rn 2. EuGH Rs C-99/96 Mietz/Intership EuGHE 1999 I 2277 = IPRax 2000, 411, 416 Rn 54; Hess IPRax 2000, 370, 372.

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kenden Kriterien zu messen, die der EuGH für Maßnahmen entwickelt, die sich auf einzelstaatlichen Zuständigkeitsnormen gründen. 1. Zuständigkeit nach der EG-UntVO 8 Ein Gericht, das nach Art 3-7 für die Hauptsacheentscheidung in der Unterhaltssache

zuständig ist, ist es auch für einstweilige Maßnahmen.16 Die Zuständigkeit hängt nicht von weiteren Voraussetzungen ab.17 Insbesondere ist sie nicht an Bedingungen geknüpft, die der EuGH für Leistungsverfügungen im einstweiligen Rechtsschutz aufgestellt hat, um die Zuständigkeit nach einzelstaatlichem Recht einzuschränken.18 Ist die Hauptsache noch bei keinem Gericht eines anderen Mitgliedstaates anhängig und besteht nach Art 3 eine konkurrierende Zuständigkeit für mitgliedstaatliche Gerichte, so kann der Antragsteller wählen.19 8a Die Festlegung in Art 4 Abs 1, wonach eine Gerichtsstandsvereinbarung ausschließende

Wirkung zeitigt, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, erfasst auch einstweilige Maßnahmen.20 Die Zuständigkeit des Gerichts eines anderen Mitgliedstaates kann sich, soweit die Ausnahme nicht zutrifft, auf keine gesetzliche Zuständigkeit nach der Verordnung stützen. In diesem Fall kommt nur eine Zuständigkeit nach einzelstaatlichem Recht infrage, wenn die dafür durch den EuGH aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind. 8b In Bezug auf die Zuständigkeitsbegründung durch rügelose Einlassung hat der EuGH aus-

geführt, dass ein Gericht nicht schon dadurch für die Streitsache als Ganzes zuständig wird, dass sich der Antragsgegner im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, das auf den Erlass einstweiliger oder sichernder Maßnahmen in Eilfällen gerichtet ist, einlässt.21 Daraus folgt, dass sich die Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen nur dann auf Art 5 stützen kann, wenn diese Zuständigkeit bereits durch Einlassung auf die Hauptsache besteht. Davor greifen die für die Zuständigkeitsbegründung nach einzelstatlichem Recht bestehenden Beschränkungen gemäß Art 14.22 Ausgenommen von dieser Einschränkung sind jedoch ein Verfahren nach § 246 FamFG und vergleichbare Verfahren nach ausländischem Recht, die zwar vereinfacht und beschleunigt sind, jedoch nahezu gleichberechtigt neben dem Verfahren zur Hauptsache stehen und dieses nicht selten erübrigen.

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Zu der Zuständigkeit des vereinbarten Gerichts für Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes Rauscher/Mankowski Art 23 Brüssel I-VO Rn 66 mwH. EuGH Rs C-391/95 van Uden/Deco-Line EuGHE 1998 I 7091 Rn 22; EuGH Rs C-99/96 Mietz/Intership EuGHE 1999 I 2277 = IPRax 2000, 411, 414 Rn 41. Für die Brüssel I-VO Kropholler/von Hein Art 31 Brüssel I-VO Rn 12; Rauscher/Leible Art 31 Brüssel I-VO Rn 16; hierzu auch Rn 14. Für die Brüssel I-VO Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 31 Brüssel I-VO Rn 7; Kropholler/von Hein Art 31 Brüssel I-VO Rn 11. MünchKommZPO/Gottwald Art 23 EuGVO Rn 95; Kropholler/von Hein Art 23 Brüssel I-VO Rn 103; anders zB Hess, EuZPR § 6 Rn 142. EuGH Rs C-99/96 Mietz/Intership EuGHE 1999 I 2277 = IPRax 2000, 411, 414 Rn 52. Für die Brüssel I-VO Kropholler/von Hein Art 24 Brüssel I-VO Rn 9; Rauscher/Staudinger Art 24 Brüssel I-VO Rn 9.

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Ist die Hauptsache bereits bei einem mitgliedstaatlichen Gericht anhängig, bevor bei einem 9 Gericht eines anderen Mitgliedstaates eine einstweilige Maßnahme beantragt wird, so ist das tatsächlich mit der Hauptsache befasste Gericht Hauptsachegericht iSv Art 14. Soweit es seine Zuständigkeit für die Hauptsache als gegeben ansieht, können andere mitgliedstaatliche Gerichte ihre Zuständigkeit für eine einstweilige Maßnahme nicht mehr auf Artt 3 ff stützen.23 Möglich ist dann noch die Zuständigkeit nach nationalem Recht gestützt auf Art 14 unter Beachtung der dafür geltenden Einschränkungen. Weiterhin kann die Fallkonstellation auftreten, dass in einem Mitgliedstaat bei dem Gericht, 10 das nach Artt 3 ff zuständig ist, eine einstweilige Maßnahme beantragt wird und dann in der Hauptsache später ein anderes, auch nach Artt 3 ff zuständiges Gericht eines anderen Mitgliedstaats angerufen wird. Vom Grundsatz sind Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz und das Hauptsacheverfahren selbständige Verfahren, ersteres sperrt nicht letzteres Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat.24 Eine gegenteilige Lösung würde die Relationen zwischen beiden Verfahren in das Gegenteil verkehren, denn die einstweiligen Maßnahmen haben gegenüber dem Hauptverfahren dienende Funktionen. Das in der Unterhaltssache tatsächlich in der Hauptsache angerufene und nach Artt 3 ff zuständige mitgliedstaatliche Gericht ist auch zuständig für den vorläufigen Rechtsschutz.25 Der Grundsatz ist jedoch in Frage zu stellen, wenn im ersten Verfahren ein Antrag auf Leistung von Unterhalt für denselben Zeitraum im Rahmen eines vereinfachten, beschleunigten Verfahrens gestellt wird, das nahezu gleichberechtigt neben dem Verfahren zur Hauptsache steht. Typisches Beispiel ist ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 246 FamFG, das nicht notwendig ein Hautsacheverfahren in der Unterhaltssache erfordert. Solange ein solches summarisches Verfahren in einem Mitgliedstaat anhängig ist, ist es durchaus vertretbar, eine Anhängigkeitssperre iSd Art 12 EG-UntVO anzunehmen.26 Bei doppelten Anträgen oder Anordnungen zum einstweiligen Rechtsschutz ist zu unter- 11 scheiden, ob sie nebeneinander bestehen können. Hiervon ist auszugehen, wenn das erstangerufene Gericht lediglich Sicherungsmaßnahmen für die Durchsetzung der späteren Hauptentscheidung ergreift, zB eine Verfügungssperre über Vermögenswerte anordnet. Anders muss die Lösung für die einstweilige Anordnung von Unterhaltszahlungen ausfallen. Der Unterhaltsschuldner darf nicht durch zwei verpflichtende Entscheidungen für denselben Zeitpunkt belastet werden. Die Problematik in die Vollstreckungsphase zu verschieben und für die einstweilige Anordnung der Unterhaltszahlung durch das Gericht eines anderen Mitgliedstaates ein Vollstreckungshindernis nach Art 21 Abs 2 UAbs 2 anzuneh-

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Umstritten, dafür Kropholler/von Hein Art 31 Brüssel I-VO Rn 11; Andrae, Internationales Familienrecht3 (2014) § 8 Rn 93; Schulz ZEuP 2001, 805, 814; Wolf/Lange RIW 2003, 55, 61; aA Rauscher/Leible Art 31 Brüssel I-VO Rn 17; MünchKommZPO/Gottwald Art 31 Brüssel I-VO Rn 9; Stadler JZ 1999, 1089, 1094; Hess/Vollkommer IPRax 1999, 220, 224; Hess, EuZPR § 6 Rn 248; MünchKommFamFG/Lipp Rn 11; Hausmann, IntEuSchR C 258, 265. Für die Brüssel I-VO Rauscher/Leible Art 27 Brüssel I-VO Rn 13,Art 31 Rn 18; Geimer/Schütze/Försterling Art 27 Brüssel I-VO Rn 18. Für die Brüssel I-VO Rauscher/Leible Art 31 Brüssel I-VO Rn 15f mwN. Siehe Rn 16; hierzu auch Andrae, Internationales Familienrecht3 (2014) § 8 Rn 94.

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men,27 stellt keine optimale Lösung dar.28 Besser wäre die Konzentration einstweiliger Zahlungsanordnungen beim zuständigen tatsächlichen Hauptsachegericht. Leider fehlt eine Art 20 Abs 2 Brüssel IIa-VO entsprechende Regelung in Unterhaltssachen, wonach die ergriffenen Maßnahmen eines mitgliedstaatlichen Gerichts außer Kraft treten, wenn das in der Hauptsache zuständige Gericht die Maßnahmen getroffen hat, die es für angemessen hält. Eine solche Maßnahme könnte auch in der Bestätigung der zuvor getroffenen einstweiligen Maßnahme eines anderen mitgliedstaatlichen Gerichts liegen.29 2. Zuständigkeit nach einzelstaatlichem Recht 12 Art 14 ermöglicht es, die Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger Maßnahmen auf das

innerstaatliche Recht eines Mitgliedstaates zu stützen.30 Diese Zuständigkeit kann nach der Regelung auch dann in Anspruch genommen werden, wenn in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaates aufgrund der EG-UntVO zuständig ist.31 13 Der EuGH hat – bezogen auf die gleichlautende Regelung in Art 24 EuGVÜ/Art 31 Brüssel

I-VO – die Inanspruchnahme dieser Zuständigkeiten eingeschränkt, um einer Umgehung der gemeinschaftsrechtlichen Zuständigkeitsordnung durch Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entgegen zu wirken. Danach muss zwischen dem Gegenstand der beantragten Maßnahme und der gebietsbezogenen Zuständigkeit des angerufenen mitgliedstaatlichen Gerichts eine reale Verknüpfung bestehen.32 Das Erfordernis der realen Verknüpfung hat generalklauselartigen Charakter und muss jeweils konkretisiert werden.33 Eine solche ist jedenfalls dann gegeben, wenn die Maßnahme Vermögensgegenstände betrifft, die im Gerichtsstaat belegen sind oder die Vollstreckung hier erreicht werden kann.34

14 Für die Anordnung der vorläufigen teilweisen oder ganzen Erbringung der strittigen Leis27

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So aber die Lösung für widersprechende Anordnungen im einstweiligen Rechtschutzverfahren, der nicht den Unterhalt, sondern die Verwendung von Markenrechten betraf; EuGH Rs C-80/00 Italian Leather/ WECO Polstermöbel EuGHE 1999 I 2277 = RIW 2002, 708 Rn 52; für den Unterhalt MünchKommFamFG/Lipp Rn 19. Für eine Koordination, notfalls durch Aussetzung eines Verfahrens auch Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 31 Brüssel I-VO Rn 8; kritsch auch Fasching/Konecny/Fucik Rn 4. Eine ähnliche Aufhebungs- und Abänderungsbefugnis des Hauptsachegerichts hält auch die Kommission zur Abschichtung von einstweiligen Maßnahmen der verschiedenen Gerichte für vorzugwürdig, vgl Europäische Kommission, 21.4.2009, KOM (2009) 175, 8; so auch Hess, EuZPR § 6 Rn 252. Hausmann, IntEuSChR C Rn 259; MünchKommFamFG/Lipp Rn 13 ff; aA mit Hinweis auf Art 7 Hau FamRZ 210, 516, 519; Prütting/Helms/Hau Anh 3 § 110 FamFG Rn 78. Dem kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil dieser Artikel die Notzuständigkeit regelt und außerdem erfordert, dass keine Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts besteht. EuGH Rs C-391/95 Van Uden/Deco-Line EuGHE 1998 I 7091Rn 29, 34; Hausmann, IntEuSchR C Rn 264. EuGH Rs C-391/95 Van Uden/Deco-Line EuGHE 1998 I 7091 Rn 40; auch EuGH Rs C-125/79 Denilauler/Couchet Frères EuGHE 1980 1553 Rn 15 ff. Gegen ein Festhalten am Erfordernis der realen Verknüpfung spricht sich die Kommission aus, vgl Europäische Kommission, 21.4.2009, KOM (2009) 175, 8. Hierzu Hess/Vollkommer IPRax 1999, 220, 224 ff; Stadler JZ 1999, 1089, 1093 ff; Schulz ZEuP 2001, 805, 815 ff. MünchKommFamFG/Lipp Rn 15.

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Kapitel II: Zuständigkeit

Art 14 EG-UntVO

tung (Leistungsverfügung) durch ein nach einzelstaatlichem Recht dafür zuständiges Gericht hat der EuGH zusätzlich Schranken aufgestellt. Sie führen rechtspraktisch dazu, dass diese Zuständigkeit für die Anordnung vorläufiger Unterhaltszahlungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren regelmäßig entfällt. Eine einstweilige Maßnahme liegt danach nur vor, wenn die Rückzahlung des zugesprochenen Betrages für den Fall der anderweitigen Entscheidung in der Hauptsache gesichert ist und die beantragte Maßnahme nur bestimmte Vermögensgegenstände des Antragsgegners betrifft, die sich im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts befinden.35 Sinn und Zweck einstweiliger Anordnungen zur Unterhaltsverpflichtung ist darauf gerich- 15 tet, für den Anordnungszeitraum den Unterhaltsberechtigten mit den notwendigen Mitteln für den Lebensunterhalt auszustatten. Dieses Ziel wird konterkariert, wenn der Unterhaltsberechtigte für diese Zahlungen Sicherheit leisten muss.36 Jedoch sollte von diesem Kriterium auch für Art 14 nicht abgewichen werden.37 Rechtsfolge ist lediglich, dass die Zuständigkeit nach nationalem Recht nicht in Anspruch genommen werden kann. Die Zuständigkeit eines Gerichts, das nach Artt 3 ff EG-UntVO zuständig ist, bleibt erhalten.38 Damit wird der enge Zusammenhang zwischen der einstweiligen Anordnung der Unterhaltsleistung und der Durchführung des Hauptverfahrens hergestellt. Der Unterhaltsberechtigte wird dadurch nicht unangemessen benachteiligt, weil – soweit dem Verpflichteten im Verfahren rechtliches Gehör gewährt wurde39 – auch die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren in allen Mitgliedstaaten ohne Förmlichkeiten nach der EG-UntVO vollstreckt wird.40 Die Zuständigkeit nach Art 14 konzentriert sich deshalb auf sichernde Maßnahmen für die Durchsetzung der zu erwartenden Hauptsachenentscheidung. 3. Deutsches Verfahren Für das deutsche Recht kommen einstweilige Sicherungsmaßnahmen nach §§ 49 ff oder 16 119 Abs 2 FamFG, 916 ff ZPO in Frage,41 zB um die spätere Vollstreckung in das Vermögen des Unterhaltsschuldners zu sichern. Diese werden den oben genannten Kriterien gerecht. Nach § 246 FamFG kann das Gericht auf Antrag durch einstweilige Anordnung die Verpflichtung auf Unterhalt regeln. Nicht erforderlich hierfür ist, dass ein dringendes Bedürfnis 35

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EuGH Rs C-391/95 van Uden/Deco-Line EuGHE 1998 I 7091 Rn 43; EuGH Rs C-99/96 Mietz/Intership EuGHE 1999 I 2277 = IPRax 2000, 411, 414 Rn 52 ff. Die Ausgestaltung der Rückzahlungsgarantie stellt sich die Kommission künftig flexibler vor, vgl Europäische Kommission, 21.4.2009, KOM (2009) 175, 9. Im Grünbuch zur Überprüfung der Brüssel I-VO (KOM [2009] 175, 8) heißt es in diesem Zusammenhang: „Was die Rückzahlungsgarantie für eine Zwischenzahlung betrifft, wäre es vielleicht sinnvoll festzulegen, dass diese nicht unbedingt in Form einer vorläufigen Zahlung oder einer Bankgarantie erfolgen muss. Demgegenüber ließe sich der Standpunkt vertreten, dass die Rechtsprechung eine passende Antwort auf dieses Problem finden wird.“ Gebauer/Wiedemann/Bittmann Rn 83; aA Rauscher/Leible Art 31 Brüssel I-VO Rn 12; MünchKommFamFG/Lipp Rn 16; Geimer/Schütze/Reuß Rn 6; Fasching/ Konecny/Fucik Rn 3; Eschenbruch/Dörner Kap 6 Rn 68. Für eine Einschränkung bei Leistungsverfügungen auch Hess Study 18.4.2004, JAI/A3/02/2002 S 139 f. Der EuGH lässt hierbei auch nachträgliches rechtliches Gehör in einem Rechtsbehelfverfahren genügen, vgl EuGH Rs C 39/02 Maersk Olie & Gas/de Haan en de Boer EuGHE 2004 I 9657 Rn 51. Vgl Art 16 Rn 7. Kropholler/von Hein Art 31 Brüssel I-VO Rn 22 f.

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nach gerichtlicher Entscheidung besteht.42 Es handelt sich um ein selbstständiges Verfahren unabhängig von einem Hauptsacheverfahren.43 Die Regelung ist so konzipiert, dass die Einleitung eines Hauptsacheverfahrens vielfach nicht erforderlich wird.44 Insoweit entspricht eine einstweilige Anordnung nach § 246 FamFG nicht den Kriterien einstweiliger Maßnahmen nach Art 14 EG-UntVO.45 Die internationale Zuständigkeit hierfür ist folglich nur dann gegeben, wenn sie nach der EG-UntVO für das Hauptverfahren besteht. 16a Für in Deutschland durchzuführende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes führt

Art 14 EG-UntVO zu § 50 FamFG, der die örtliche Zuständigkeit für einstweilige Anordnungen im familiengerichtlichen Verfahren einheitlich regelt. Nach § 105 FamFG findet der Grundsatz der Doppelfunktionalität Anwendung, die örtliche Zuständigkeit indiziert die internationale Zuständigkeit für einstweilige Anordnungen. Außerdem ist für das Arrestverfahren § 919 ZPO doppelfunktional zu verstehen. 17 § 50 FamFG sieht zwei Zuständigkeiten vor. Die eine betrifft dringende Fälle. Für die

Zuständigkeit wird angeknüpft an den Ort, an dem das Bedürfnis für die gerichtliche Tätigkeit hervorgetreten ist oder sich die Person oder die Sache befindet, auf die sich die einstweilige Anordnung bezieht. Dringlichkeit kann in einem grenzüberschreitenden Fall angenommen werden, wenn die Anrufung des für die Hauptsache zuständigen ausländischen Gerichts für den Antragsteller eine nachteilige Verzögerung mit sich bringt oder es sich um Maßnahmen handelt, für die die Inanspruchnahme des örtlichen Gerichts besonders zweckmäßig ist. Letzteres kann zB auf die Anordnung von Verfügungssperren zutreffen. Für die Sicherung einer Zwangsvollstreckung durch Arrest führt § 919 ZPO diesbezüglich zur Belegenheit des vom Arrest betroffenen Gegenstandes. 18 Im Übrigen ist in erster Linie nach deutschem Recht das Gericht für die einstweilige An-

ordnung und den Arrest zuständig, das auch in der Hauptsache entscheidet. Fraglich ist, wie das Gericht der Hauptsache in diesem Zusammenhang zu bestimmen ist. Dieser Streit tritt bereits bei Art 31 Brüssel I-VO auf.46 Im Kern geht es darum, ob sich die diesbezügliche internationale Zuständigkeit aus der Verordnung ableitet oder ob das einzelstaatliche Recht hierfür heranzuziehen ist, obwohl es für die Entscheidung in der Hauptsache tatsächlich keine Anwendung findet. Rechtspraktisch konzentriert sich die Frage darauf, ob die Zuständigkeit für einstweilige Anordnungen auf § 23 ZPO gestützt werden kann.47 Geschuldet ist diese Problematik dem Umstand, dass der europäische Gesetzgeber bisher keine eigenständige Zuständigkeitsnorm für den einstweiligen Rechtsschutz geschaffen hat und es ein rechtlich zu befriedigendes Bedürfnis gibt, für die internationale Zuständigkeit der Gerichte den Belegenheitsort von Vermögen festzulegen. Das trifft insbesondere auf solche Maß42 43 44

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Hierzu Swieykowski-Trzaska FPR 2010, 167, 168. Hierzu Swieykowski-Trzaska FPR 2010, 167 ff. BT-Drucks. 16/6308, 173; Zum Verhältnis siehe u. a. Swieykowski-Trzaska FPR 2010, 169 f; Schürmann FamRB 2008, 375, 376 (Das Verfahren nach § 246 FamFG steht nahezu gleichberechtigt neben dem Hauptsacheverfahren). Andrae, Internationales Familienrecht3 (2014) § 8 Rn 89; aA wohl MünchKommFamFG/Lipp Rn 4, 6; Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 82; MünchKommZPO/Gottwald Art 31 Brüssel I-VO Rn 2. Hierzu Kropholler/von Hein Art 31 Brüssel I-VO Rn 17; Nagel/Gottwald § 17 Rn 10 ff; Rauscher/Leible Art 31 Brüssel I-VO Rn 21, 22; bezogen auf die EG-UntVO Geimer/Schütze/Reuß Rn 10. Für Unterhaltssachen kann man über § 232 Abs 3 S 1 FamFG zur Zuständigkeit nach § 23 ZPO kommen.

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Kapitel III: Anwendbares Recht

Art 15 EG-UntVO

nahmen zu, welche die Durchsetzung von Ansprüchen sichern sollen. Für die EG-UntVO tritt dieses Bedürfnis im besonderen Maße hervor, weil Art 14 keine räumliche Begrenzung aufweist, vielmehr in allen grenzüberschreitenden Unterhaltssachen Anwendung findet. Dogmatisch ist jedoch der Lösung, die über ein fiktives „Hauptsachegericht“ nach einzel- 19 staatlichem Recht zu § 23 ZPO kommt, nicht zu folgen. Der exorbitante Gerichtsstand des § 23 ZPO wird innerstaatlich für Unterhaltsverfahren aufgrund der EG-UntVO völlig verdrängt. Wenn nämlich der Beklagte keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, bestimmt sich die internationale und örtliche Zuständigkeit bei Unterhaltssachen mit grenzüberschreitendem Bezug allein nach der EG-UntVO und § 27 AUG. Dogmatisch eher vertretbarer ist es mE deshalb, aus § 23 ZPO eine spezielle Norm des deutschen Verfahrensrechts für die internationale und örtliche Zuständigkeit im einstweiligen Rechtsschutz für Unterhaltssachen abzuleiten und damit eine Lücke in der Zuständigkeitsordnung der Verordnung für den einstweiligen Rechtsschutz zu schließen

Kapitel III: Anwendbares Recht Artikel 15: Bestimmung des anwendbaren Rechts Das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht bestimmt sich für die Mitgliedstaaten, die durch das Haager Protokoll vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (nachstehend „Haager Protokoll von 2007“ genannt) gebunden sind, nach jenem Protokoll. I. II. III.

Beitritt zur Haager Konferenz . . . . . . . . . . . . . . 1 Geschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Beitritt zum HUntStProt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

IV. V. VI.

Stellung der EG und Mitgliedstaaten . . . . . 18 Zeitliche Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Auslegungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

I. Beitritt zur Haager Konferenz Die EG ist am 3.4.2007 der Haager Konferenz beigetreten. Dies beruht auf dem Beschluss 1 des Rates 2006/719/EG.1 Zuvor hatte der Rat die Europäische Kommission mit Beschluss vom 28.11.2002 ermächtigt, die Bedingungen und Modalitäten für den Beitritt der Gemeinschaft zur Haager Konferenz auszuhandeln. Erforderlich war hierfür die Änderung der Satzung der Haager Konferenz, um den Beitritt einer Organisation regionaler Wirtschaftsintegration zu ermöglichen.2 Der Anhang II des Beschlusses enthält eine Zuständigkeitserklärung der EG über die Be- 2 reiche, in denen die Mitgliedstaaten ihr die Zuständigkeiten übertragen haben und die zugleich Gegenstand der Haager Konferenz sind oder mit diesem in enger Beziehung stehen. Dabei werden in erster Linie die Regelungen in Art 61 lit c und Art 65 EGV (Art 81 AEUV) 1

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Beschluss des Rates 2006/719/EG vom 5.10.2006 über den Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zur Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, ABl EU 2006 L 297/1. Neufassung der Satzung in dt Sprache abrufbar unter http://www.hcch.net/upload/text01d_neu.pdf.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

aufgegriffen und die in diesem Rahmen erlassenen Verordnungen der EG aufgelistet. Aus diesen Bestimmungen des EG-Vertrages ergibt sich die interne Kompetenz der EG, Gemeinschaftsrecht auf dem Gebiet des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts zu erlassen. Die genannten Bestimmungen bilden nicht nur Rechtsgrundlage für gemeinschaftsinterne Rechtsakte, sondern auch für den Abschluss internationaler Übereinkommen durch die Gemeinschaft.3 Die Gemeinschaft kann internationale Vereinbarungen schließen, soweit sie bereits von der internen Kompetenz Gebrauch gemacht hat oder wenn die internationale Vereinbarung zur Erreichung eines Ziels der EG erforderlich ist.4 II. Geschichtlicher Hintergrund 3 Die EG und die Haager Konferenz haben parallel an der Ausarbeitung eines Rechtsinstru-

ments zum Kollisionsrecht auf dem Gebiet des Unterhaltsrechts gearbeitet. Die 19. Tagung der Haager Konferenz im Jahre 2002 beschloss, die Vorbereitung einer umfassenden Konvention über die internationale Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen von Kindern und anderen Familienangehörigen vorzubereiten.5 Diese sollte auf den Fundamenten der bisherigen Konventionen der Haager Konferenz und dem New Yorker UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland vom 20.6.19566 aufbauen. 4 Von den vier relevanten Haager Konventionen betreffen zwei das Kollisionsrecht, nämlich

das Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht vom 24.10.1956 (HUntStÜbk 1956)7 sowie das Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 2.10.1973 (HUntStÜbk 1973)8. Da die neue Haager Konvention auch das UN-Übereinkommen ersetzen soll, wurden für ihre Ausarbeitung auch Nichtmitgliedstaaten der Haager Konferenz eingeladen und eine Spezialkommission gebildet. 5 Unter den Delegierten dieser Spezialkommission war auf dem ersten Treffen im Mai 2003

strittig, ob die neue Konvention das Kollisionsrecht mit enthalten sollte.9 Während die Mehrzahl der Delegierten aus Staaten, die dem civil law system zugeordnet werden können, sich für die Aufnahme des Kollisionsrechts aussprachen, war die Mehrzahl der Vertreter aus dem common law Ländern dagegen. Auch einige Vertreter von Staaten, die zu den civil law Ländern gerechnet werden, wie zB Schweden, waren gegen kollisionsrechtliche Regelungen. Hintergrund war hier vor allem das administrative System der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen. Die Ablehner verband die Gemeinsamkeit, dass in ihren Ländern für den

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Beschluss 2006/719/EG Anh II Rn 6, ABl EU 2006 297/5. Beschluss 2006/719/EG Anh II Rn 6, ABl EU 2006 297/5. Zu Geschichte Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 1 ff. BGBl 1959 II 150. BGBl 1961 II 1013; abrufbar mit Übersicht der Vertragsstaaten http://www.hcch.net/index_de.php?act= conventions.text&cid=37. BGBl 1986 II 837; abrufbar mit Übersicht der Vertragsstaaten http://www.hcch.net/index_de.php?act= conventions.text&cid=86. Report on the first meeting of the Special Commission on the international recovery of child support and other forms of family maintenance (5-16 May 2003), Prel Doc No 5.

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Kapitel III: Anwendbares Recht

Art 15 EG-UntVO

Unterhalt die lex fori Anwendung findet und insoweit eine kollisionsrechtliche Regelung für entbehrlich gehalten wird.10 Diese Frage wurde hinausgeschoben und eine Arbeitsgruppe zum Kollisionsrecht gebildet, 6 die sich aus Vertretern von Teilnehmerstaaten der Haager Übereinkommen 1956 und 1973 und anderen interessierten Staaten zusammensetzte. Von den Mitgliedstaaten nahmen Vertreter aus Portugal, Frankreich, Schweden, Niederlande, Luxemburg, Italien, Spanien, Deutschland und Tschechien teil. Zum damaligen Zeitpunkt war noch nicht absehbar, ob es überhaupt zu einer Neuregelung des Kollisionsrechts im Rahmen der Haager Konferenz kommen würde und – soweit dies erfolgen würde –, ob dies in einem einheitlichen oder gesonderten Rechtsdokument sein sollte. Die Arbeitsgruppe legte im Frühjahr 2005 einen bereits überarbeiteten Entwurf einer kol- 7 lisionsrechtlichen Regelung der Spezialkommission vor.11 Der Vorschlag vom 15.12.2005 für eine EG-UntVO12 enthielt in seinem Kapitel III (Artt 12-21) gleichfalls Kollisionsnormen zum Unterhalt mit demselben Anwendungsbereich wie der Vorschlag der Arbeitsgruppe der Haager Konferenz, im Detail unterschieden sich beide Regelungsentwürfe jedoch erheblich.13 Es gab zwar zuvor Hinweise darauf, dass eine zukünftige Verordnung zu Unterhaltsverpflichtungen auch das Kollisionsrecht umfassen könnte, insbesondere durch die entsprechenden Fragestellungen im Grünbuch der Unterhaltspflichten,14 jedoch umfassten die vorhergehenden Dokumente15 bezogen auf Unterhaltspflichten das Kollisionsrecht nicht ausdrücklich. Vielmehr lag die Konzentration auf der Abschaffung des Zwischenverfahrens für die Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen. Der EG-UntVO-E war das erste Dokument im Rahmen von Artt 61 c, 65 EGV, in dem ein 8 Gegenstand – hier die Unterhaltspflichten – in Bezug auf seine grenzüberschreitenden Aspekte komplex geregelt wurde und das insoweit eine neue Qualität aufwies. Insbesondere wird in diesem Zusammenhang vertreten, dass die Vereinheitlichung des Kollisionsrechts eine unabdingbare Voraussetzung für liberale Anerkennungs- und Vollstreckungsregelungen bzw noch weitergehend für die Abschaffung des Exequaturverfahrens darstellt.16 Dies ist jedoch deshalb zu hinterfragen, weil bei der Prüfung der Anerkennung und im Vollstreckbarerklärungsverfahren ein Verbot der Überprüfung der ausländischen Entscheidung, einschließlich der Nachprüfung, welches Recht in der Streitsache angewandt wurde, besteht (Verbot der révision au fond).17 10 11 12 13 14 15

16 17

Hierzu Bonomi-Bericht zum HUntStProt 2007 Rn 1 ff. Proposal by the Working Group on the law applicable to maintenance obligations, Prel Doc No 14. KOM (2005) 649. Hierzu ausführlich Wagner FamRZ 2006, 979-987. Europäische Kommission, 15.4.2004, KOM (2004) 254. Insbesondere Schlussfolgerungen von der Tagung des Europäischen Rates von Tampere vom 15./16.10. 1999, NJW 2000, 1925 sowie die Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates von Brüssel vom 4./5.11.2004, online abrufbar unter http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/ de/ec/104697.pdf. Wagner FamRZ 2006, 979, 980 mit Bezug auf die Schlussfolgerungen von Tampere aus dem Jahre 1999. Mit Recht kritisch Kohler/Pintens FamRZ 2009, 1529, 1530 f; NK-ZPO/Dörner Art 16 Rn 1; Prütting/ Helms/Hau § 110 FamFG Anh 3 Rn 85; Geimer/Schütze/Hilbig Art 17 Rn 14 ff; positiv dagegen BoeleWoelki/Mom FPR 2010, 485, 488; Heger ZKJ 2010, 52, 54 f.

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Die Liberalisierung auf diesem Gebiet ist in erster Linie eine rechtspolitische Entscheidung, die durch den Gesamtkomplex von Maßnahmen auf dem Gebiet der justiziellen Zusammenarbeit innerhalb der EG und der Rechtsstaatlichkeit der Verfahren in allen Mitgliedstaaten ermöglicht wird. 9 Eine einheitliche Zuständigkeitsordnung innerhalb der Gemeinschaft sollte möglichst mit

einer einheitlichen kollisionsrechtlichen Regelung verbunden werden, damit im Idealfall das anwendbare Recht und damit die Sachentscheidung nicht mehr vom Forum abhängig ist. 10 Von vornherein war klar, dass für das unterhaltsrechtliche Kollisionsrecht das Nebeneinan-

dergelten in einer Verordnung und in einem Haager Übereinkommen innerhalb der Mitgliedstaaten keine empfehlenswerte Lösung ist, denn dies hätte eine räumlich-personelle Abgrenzung erfordert. Beide Entwürfe gingen dementsprechend auch davon aus, dass die Kollisionsnormen universell angewandt werden, der EG-UntVO-E sah nicht das Erfordernis eines mitgliedstaatlichen Bezuges vor. Eine EG-UntVO mit einem kollisionsrechtlichen Teil hätte praktisch das Aus für das Haager Projekt bedeutet, zumal dem HUntStÜbk 1956 und dem HUntStÜbk 1973 hauptsächlich Mitgliedstaaten der Gemeinschaft angehören. Ein Verzicht auf das Kollisionsrecht in der Verordnung, verbunden mit einer Empfehlung an die Mitgliedstaaten, dem neuen Haager Protokoll beizutreten, hätte dazu führen können, dass das Ziel, ein einheitliches Kollisionsrecht in der Gemeinschaft zu haben, in weite Ferne rückt. 11 Die gefundene Lösung ist ideal, weil sie den neuen Haager Regelungen dazu verhilft, sich

international zu etablieren und andererseits ein einheitliches Kollisionsrecht in der Gemeinschaft zur Geltung kommt, an dessen Ausarbeitung die Gemeinschaft selbst und ein Teil ihrer Mitgliedstaaten aktiv mitgewirkt haben.18 Ermöglicht wurde diese Lösung durch den Beitritt der EG zur Haager Konferenz und durch Art 24 des HUntStProt 2007, welches den Beitritt von Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration regelt und direkt auf die EG zugeschnitten ist. Begünstigt wurde diese Lösung dadurch, dass das Kollisionsrecht nicht Bestandteil des HUntVerfÜbk 2007 ist, sondern als – zwar ergänzendes aber gesondertes – Rechtsinstrument mit staatsvertraglichem Charakter angenommen worden ist.19 Als gesondertes Rechtsinstrument lässt es sich unkomplizierter in das Regelungssystem der EG-UntVO einfügen. 12 Die fast gleichzeitige Fertigstellung des Entwurfs der kollisionsrechtlichen Teile des Haager

Übereinkommens und der EG-UntVO hat die Diskussion um die beste inhaltliche Lösung beflügelt, Lösungen aus dem EG-UntVO-E sind in die Haager Regelung eingeflossen, andererseits sind Schwachstellen in dem EG-UntVO-E in das HUntStProt 2007 nicht übernommen worden. Der Wettstreit um die bessere kollisionsrechtliche Lösung20 hat jedenfalls im Ergebnis zu einer Lösung geführt, die ausgewogener und besser zu akzeptieren ist, als jeder Entwurf für sich genommen.21

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Hierzu die anschauliche Darstellung bei Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 519 ff. Hierzu Rauscher/Andrae Einl HUntStProt 2007 Rn 5 ff. Begriff bei Wagner FamRZ 2006, 979.

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Kapitel III: Anwendbares Recht

Art 15 EG-UntVO

III. Beitritt zum HUntStProt 2007 Die Europäischen Union hat am 8.4.2010 und Serbien am 10.4.2013 die Annahmeurkunde 13 hinterlegt, damit ist das HuntStProt gemäß Art 25 am 1.8.2013 in Kraft getreten.22 Nach Art 216 Abs 2 AEUV sind sowohl die Organe als auch die Mitgliedstaaten unmittelbar an dieses Übereinkommen gebunden. Rechtsgrundlage für den Beitritt der Europäische Union bildet der Beschluss vom 30.11. 14 2009 über den Abschluss des Protokolls über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht durch die Europäische Gemeinschaft (Beschluss zum HUntStProt 2007),23 der sich auf Art 61 lit c iVm Art 300 Abs 2 und 3 EGV (Art 81 Abs 2 lit c iVm Art 218 AEUV) stützt. Das Verfahren der innergemeinschaftlichen Beschlussfassung richtet sich aufgrund des familienrechtlichen Charakters des HUntStProt 2007 nach Art 67 Abs 1 EGV (Art 81 Abs 3 AEUV). Art 15 hat in diesem Zusammenhang keine rechtsbegründende Wirkung.24 In den Erwägungsgründen zum Beschluss heißt es, dass die Gemeinschaft in den von der Verordnung (EG) Nr 4/2009 erfassten Bereichen die ausschließliche Außenkompetenz erlangt hat. Für das Kollisionsrecht ist diese Erfassung dadurch erfolgt, dass sich die EG-UntVO im Titel und im Art 15 auf diesen Regelungsgegenstand bezieht. Daraus folgt, dass mit Inkrafttreten der EG-UntVO25 die Beitrittskompetenz bezogen auf das HUntStProt 2007 bei der EG und nicht bei den einzelnen Mitgliedstaaten lag, es sei denn, die EG hätte die Mitgliedstaaten hierzu ermächtigt.26 Letzteres erfolgte jedoch für das HUntStProt 2007 nicht, weil dieses mit Art 24 der EU ermöglicht, mit Bindung für die Mitgliedstaaten beizutreten. Rn 15 entfällt.

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Art 24 HUntStProt 2007 berechtigt die Gemeinschaft, das Protokoll zu unterzeichnen, 16 anzunehmen, zu genehmigen oder ihm beizutreten. Art 1 Beschluss zum HUntStProt 2007 bestimmt die Billigung des HUntStProt 2007 durch die Gemeinschaft und Art 2 regelt die Unterzeichnung für die völkerrechtliche Verbindlichkeitserklärung. In Einklang mit Art 24 HUntStProt 2007 ist im Art 3 Beschluss zum HUntStProt 2007 die Erklärung der Gemeinschaft vorgesehen, dass sie für alle Angelegenheiten, die das HUntStProt 2007 regelt, zuständig ist und es für die Mitgliedstaaten bei Abschluss durch die EG bindend wird. Weiterhin wird klargestellt, dass der Begriff der Gemeinschaft in Bezug auf das HUntStProt 2007 nicht Dänemark und das Vereinigte Königreich umfasst. Da diese beiden Staaten ausgenommen sind, können sie natürlich einzeln dem Protokoll beitreten. Art 76 S 3 EG-UntVO stellt ein Junktim zwischen der zeitlichen Anwendbarkeit der Ver- 17 ordnung und der des HUntStProt her. Bei Erlass der Verordnung war nicht vorauszusehen, 21

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Siehe zum einen den Vergleich der Entwürfe bei Wagner FamRZ 2006, 979 ff und des HUntStProt 2007 mit dem EG-UntVO-E Andrae FPR 2008, 196-202. Kritisch zum verzögerten Inkrafttreten des HUntStProt durch die Lösung für den Beitritt seitens der EU Mankowski, FamRZ 2010, 1487. Beschluss des Rates 2009/941/EG, ABl EU L 331/17. Ua NK-ZPO/Dörner Rn 1. Vgl Art 76 Abs 1 EG-UntVO So geschehen für das KSÜ durch Entscheidung des Rates 2008/431/EG vom 5.6.2008, ABl EU 2008 L 151/36.

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ob zu dem vorgesehenen Zeitpunkt (18.6.2011) die Voraussetzungen für das Inkrafttreten des Protokolls nach Art 25 vorliegen würden. Art 4 des Beschlusses zum HUntStProt 2007 sieht folgerichtig vor, dass das Protokoll ab dem 18.6.2011 in der Gemeinschaft vorläufig Anwendung findet, sofern es bis dahin noch nicht in Kraft getreten ist. Dieses Vorgehen ist durch Art 218 Abs 5 AEUV ermöglicht. Die Bestimmungen des Protokolls fanden infolgedessen für die Zeit zwischen dem 18.6.2011 und dem 31.7.2013 als sekundäres Gemeinschaftsrecht Anwendung. IV. Stellung der EU und Mitgliedstaaten 18 Die Stellung der Mitgliedstaaten und ihre Rechte in Bezug auf das HUntStProt 2007 ergeben

sich aus Art 24 Abs 5 HUntStProt 2007. Danach gilt jede Bezugnahme im HUntStProt 2007 auf einen Vertragsstaat oder Staat, gegebenenfalls für die EU und die Mitgliedstaaten. Was zutrifft, ist – soweit im HUntStProt 2007 nicht ausdrücklich bestimmt – aus dem Sinnzusammenhang der betreffenden Vorschrift des Protokolls abzuleiten. So sind die Verweise auf das Recht eines Staates natürlich Verweise auf das Recht eines Mitgliedstaates, wenn der Anknüpfungspunkt zu diesem Staat führt. Auch die ordre public Klausel meint die öffentliche Ordnung im Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts und nicht der Europäischen Union als solche. Art 19 HUntStProt 2007, der die Koordinierung mit anderen Übereinkommen regelt, bezieht sich auf die Mitgliedstaaten in Bezug auf bereits geschlossene Übereinkünfte und auf die EU in Bezug auf künftige Übereinkünfte, denn den Mitgliedstaaten fehlt für das unterhaltsrechtliche Kollisionsrecht seit der EG-UntVO die Abschlusskompetenz. Die Regelung in Art 29 HUntStProt 2007 über die Kündigung des Protokolls trifft wiederum nur auf die EU zu. V. Zeitliche Anwendung 19 Nach Art 22 HUntStProt 2007 findet das Protokoll keine Anwendung auf Unterhalt, der in

einem Vertragsstaat für einen Zeitraum vor Inkrafttreten des Protokolls in diesem Staat verlangt wird. Der Beschluss zum HUntStProt 2007 sieht in Art 5 Abs 2 zu dieser Frage eine spezielle Erklärung vor. Danach wird das HUntStProt 2007 auch auf Unterhaltsforderungen angewandt werden, die in den Mitgliedstaaten „für einen Zeitraum vor dem Inkrafttreten oder vorläufigen Anwendung des Protokolls in der Gemeinschaft geltend gemacht werden, sofern die Einleitung des Verfahrens, die Billigung oder der Abschluss des gerichtlichen Vergleichs oder die Ausstellung der öffentlichen Urkunde … [ab] dem 18.6.2011, dem Datum des Beginns der Anwendbarkeit der Verordnung, erfolgt ist.“ 20 Daraus ergibt sich Folgendes:

1. Für ein am 18.6.2011 in einem Mitgliedstaat bereits eingeleitetes Verfahren findet Art 22 HUntStProt 2007 Anwendung bzw entsprechend Anwendung.27 Danach ist in Bezug auf 27

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Umstritten wie hier OLG Celle JAmt 2012, 487; OLG Köln v 11.1.2012 – 27 WF 194/11, FamRZ 2012, 1509, 1510; OLG Nürnberg v 11.1.2012 – 7 UF 747/11, IPRax 2012, 551; NK-ZPO/Dörner Rn 1; Heger/ Selg FamRZ 2011, 1101, 1107; aA OLG Hamburg v 24.4.2012 – 4 WF 207/11, FamRZ 2013, 224; CoesterWaltjen IPRax 2012, 528, 529; MünchKommFamFG/Lipp Rn 10; offengelassen BGH v 26.6.2013 – XII ZR 133/11, IPRax 2014, 345 = FamRZ 2013, 1366 m Anm Gruber = NJW 2013, 2662 Rn 38.

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Kapitel III: Anwendbares Recht

Art 15 EG-UntVO

die Unterhaltspflichten vor dem Zeitraum des Inkrafttretens des Protokolls oder seines vorläufigen Inkrafttretens das bisherige Kollisionsrecht, in Deutschland das HUntStÜbk 1973 bzw HUntStÜbk 1956, anzuwenden.28 Unterhaltspflichten für den Zeitraum danach richten sich nach dem HUntStProt 2007.29 2. In Verfahren, die seit dem 18.6.2011 eingeleitet werden, wird einheitlich – unabhängig davon, für welchen Zeitraum der Unterhalt verlangt wird – das HUntStProt 2007 angewandt.30 Für den Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens ist Art 9 anzuwenden,31 maßgeblich ist der 21 Eingang des verfahrenseinleitenden Schriftstückes bei Gericht. Für gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden kommt es für das anwendbare Kollisionsrecht auf den Zeitpunkt des Abschlusses32 oder der Ausstellung an. Diese intertemporalen Überleitungsgrundsätze gelten nicht im Verhältnis eines Mitglied- 22 staates, der Teilnehmer der Haager Übereinkommen 1956 und/oder 1973 – wie Deutschland – ist, im Verhältnis zu den Teilnehmerstaaten dieser Übereinkommen, die nicht zugleich Mitgliedstaaten sind. Das HUntStÜbk 1956 wird also weiterhin im Verhältnis zu Liechtenstein und China-Macao und das HUntStÜbk 1973 im Verhältnis zu Japan, der Schweiz und der Türkei angewandt, solange diese Staaten nicht dem HUntStProt 2007 beitreten oder von einer Seite das betreffende Haager Übereinkommen gekündigt wird. Die Weiteranwendung der alten Haager Übereinkommen ergibt sich aus dem Zusammenwirken von Art 69 mit Art 19 Abs 1 HUntStProt 2007.33 Tritt ein Teilnehmerstaat des HUntStÜbk 1956 oder des HUntStÜbk 1973 dem HUntStProt 2007 bei, so wird die Anwendung der Rechtsinstrumente intertemporal nach Art 22 HUntStProt 2007 abgegrenzt. VI. Auslegungsbefugnis Der EuGH sieht die von der Gemeinschaft geschlossenen völkerrechtlichen Verträge als 23 Handlung der Organe der Gemeinschaft an und stützt darauf seine Auslegungskompetenz nach Art 234 Abs 1 lit b EGV (Art 267 AEUV).34 Die Auslegungskompetenz ist insoweit in Bezug auf die EG-UntVO und dem HUntStProt 2007 identisch. Die Einheitlichkeit der Auslegungskompetenz fördert den nach ErwGr 8 hervorgehobenen engen Zusammenhang zwischen der EG-UntVO und dem HUntVerfÜbk 2007 sowie dem HUntStProt 2007. Für die Auslegung von EG-UntVO und HUntStProt 2007 selbst sind die unterschiedlichen 24 28 29 30

31 32 33

34

Unstreitig ua OLG Celle JAmt 2012, 487. Hierzu Rauscher/Andrae Art 22 HUntStProt 2007. Unstreitig ua OLG Celle JAmt 2012, 487; OLG Hamburg FamRZ 2013, 224; Coester-Waltjen IPRax 2012, 528, 529; MünchKommFamFG/Lipp Rn 10. Heger/Selg FamRZ 2011, 1101, 1107 (differenzierend) AA Heger/Selg FamRZ 2011, 1101, 1107 (Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung). Einzelheiten der Abgrenzung der Haager Kollisionsrechtsübereinkommen sind strittig, auführlich hierzu Rauscher/Andrae Art 18 HUntStProt 2007 Rn 6. EuGH Rs C-181/73 Haegeman/Belgischer Staat EuGHE 1974, 449 Rn 2/6; hierzu auch Calliess/Ruffert/ Schmalenbach Art 216 AEUV Rn 53 ff mwH.

Marianne Andrae

605

Art 15 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Quellen zu beachten. Für die EG-UntVO steht im Vordergrund die unionsrechtliche autonome integrationsfördernde Auslegung,35 soweit die rechtsvergleichende Auslegungsmethode mit herangezogen wird, ist sie auf die Mitgliedstaaten bezogen.36 Das HUntStProt 2007 ist unter Beachtung seines internationalen Charakters und der Notwendigkeit, eine einheitliche Anwendung zu fördern, auszulegen.37 Ausgehend von seinem Wortlaut sind unter diesen Gesichtspunkten Gegenstand, Ziel, Sinn und Zweck des Protokolls und sein Zusammenhang mit dem HUntVerfÜbk 2007 zu würdigen und für die Auslegung nutzbar zu machen. 25 Andererseits ist eine übereinstimmende Auslegung von EG-UntVO und HUntStProt 2007

anzustreben, wenn in beiden Rechtsakten dieselben Begriffe verwandt werden, zumal der eine durch Art 15 auch rechtstechnisch mit dem anderen zusammengebracht wird. Von besonderer Bedeutung ist dies für die sachliche Gegenstandsbestimmung in Art 1 Abs 1 und Art 1 HUntStProt 2007 und für die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt.38 Dies ist ein Gebot der Rechtssicherheit und für die Verständlichkeit des Rechts für die Bürger unerlässlich. Für die EG-UntVO bedeutet dies, dass bei ihrer Auslegung das HUntStProt 2007 in die Betrachtung einbezogen wird und – da das HUntStProt 2007 auf die anderen Haager Übereinkommen zum Unterhalt aufbaut – auch diese. 26 Für die Teilnehmerstaaten, die Nichtmitgliedstaaten der EG sind, stellen sich die Entschei-

dungen des EuGH als nicht bindende Entscheidungen des Gerichts der beigetretenen Organisation der regionalen Wirtschaftsorganisation dar und zugleich als Entscheidungen eines Gerichts der Mitgliedstaaten, die iSd Art 24 Abs 5 HUntStProt 2007 als Vertragsstaaten behandelt werden. Die Entscheidungen werden in die Sammlung der Rechtsprechung zum HUntStProt 2007 der Haager Konferenz (Art 21 Abs 2 HUntStProt 2007) eingehen, und sie werden durch die Gerichte von Vertragsstaaten, die Nichtmitgliedstaaten sind, bei ihrer Rechtsprechung in die Betrachtung einbezogen, um die einheitliche Anwendung des Protokolls zu fördern. Umgekehrt haben die Gerichte der Mitgliedstaaten und der EuGH die Rechtsprechung der anderen Teilnehmerstaaten bei ihrer Rechtsprechung mit zu verfolgen, um Art 20 HUntStProt 2007 Rechnung zu tragen.39 Anders als bei dem LugÜbk 200740 gibt es für das HUntStProt 2007 keine Erklärungen über die wechselseitige Berücksichtigung der Rechtsprechung, schon weil das Protokoll ein beitrittsoffener Staatsvertrag ist.

35

36 37 38 39 40

606

Zur Brüssel I-VO Kropholler/von Hein Einl Rn 54 ff; Rauscher/Staudinger Einl Brüssel I-VO Rn 35 ff. Für die EG-UntVO selbst Einl Rn 34. Vgl Kropholler/von Hein Einl Rn 79 ff. Art 20 HUntStProt 2007. Hierzu Einl Rn 35; Art 1 Rn 11ff; Art 2 Rn 23 f. Wie hier Fasching/Konecny/Fucik Rn 14. Siehe Protokoll Nr 2 zum Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007, ABl EU 2009 L 339/3.

Oktober 2014

Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 16 EG-UntVO

Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung von Entscheidungen Vorbemerkungen zu den Artt 16 ff Für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen sieht die EG-UntVO zwei 1 verschiedene Verfahren vor. Jenes in Abschnitt 2 entspricht weitgehend der Brüssel I-VO. Das Verfahren in Abschnitt 1 enthält die wesentlichen Neuerungen im europäischen grenzüberschreitenden Vollstreckungsrecht, die auf die Tagung von Tampere zurückgehen1. Danach sind Entscheidungen aus Mitgliedstaaten, die durch das HUntStProt 2007 gebunden sind, in anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen, ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann. Darüber hinaus sind vollstreckbare Entscheidungen aus einem Mitgliedstaat, der durch das HUntStProt 2007 gebunden ist, unmittelbar in anderen Mitgliedstaaten vollstreckbar. Ein Zwischenverfahren, dh eine Vollstreckbarerklärung, ist hierfür nicht mehr erforderlich. Sinn und Zweck ist die rasche Durchsetzung von titulierten Unterhaltsforderungen über die Grenze ohne weitere Formalitäten im Interesse des Unterhaltsberechtigten zu erreichen. Die neben der Entscheidung vorzulegenden Schriftstücke sind formalisiert, um kostensparend Übersetzungen weitgehend zu erübrigen. Es gibt keine Anerkennungsversagungsgründe mehr. Die in Art 34 Brüssel I-VO und Art 24 2 bestimmten Anerkennungsversagungsgründe finden sich nur zum Teil als Vollstreckungsversagungsgründe wieder. Die Abschaffung des Zwischenverfahrens geht einher mit der Abschaffung des ordre public-Einwandes im Vollstreckungsmitgliedstaat. Weder kann die Verletzung des verfahrensrechtlichen noch des materiell-rechtlichen ordre public geltend gemacht werden. Die Verletzung der Gewährung des rechtlichen Gehörs bezogen auf das verfahrenseinleitende Schriftstück ist nicht mehr als herausgehobener ordre public-Einwand im Anerkennungs- und Vollstreckungsmitgliedstaat ausgestaltet. Vielmehr ist hierfür ein einheitlicher Rechtsbehelf im Art 19 vorgesehen, der jedoch im Ursprungsmitgliedstaat vorgebracht werden muss, um dann im Vollstreckungsmitgliedstaat die Vollstreckung zu hindern (vgl Art 21 Abs 3 UAbs 1 iVm Art 19). Möglich ist noch der Einwand der widersprechenden Entscheidung im Vollstreckungsmitgliedstaat (vgl Art 21 Abs 2 UAbs 2).

Artikel 16: Geltungsbereich dieses Kapitels (1) Dieses Kapitel regelt die Anerkennung, die Vollstreckbarkeit und die Vollstreckung der unter diese Verordnung fallenden Entscheidungen. (2) Abschnitt 1 gilt für Entscheidungen, die in einem Mitgliedstaat, der durch das Haager Protokoll von 2007 gebunden ist, ergangen sind. (3) Abschnitt 2 gilt für Entscheidungen, die in einem Mitgliedstaat, der nicht durch das Haager Protokoll von 2007 gebunden ist, ergangen sind. (4) Abschnitt 3 gilt für alle Entscheidungen. I. II. 1

Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Sachlicher Anwendungsbereich (Abs 1) . . . 2

1. Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2. Gegenstand der Entscheidung . . . . . . . . . . . 5

Vgl dazu Einl Rn 6.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

607

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Art 16 EG-UntVO 3. 4. 5. 6. 7.

Grenzüberschreitender Bezug . . . . . . . . . . . 6 Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . 7 Territorialer Anwendungsbereich . . . . . . . 8 Prüfung der Eröffnung des Geltungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

III.

IV.

Spezielle Anwendungsvoraussetzungen 1. Abschnitt 1 (Abs 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2. Abschnitt 2 (Abs 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 3. Abschnitt 3 (Abs 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 4. Gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Deutsche Ausführungsbestimmungen . . . 16

I. Normzweck 1 Abs 1 umschreibt den Geltungsbereich des Kapitels in sachlicher Hinsicht, Abs 2-4 bestim-

men den Anwendungsbereich der drei Abschnitte dieses Kapitels. II. Sachlicher Anwendungsbereich (Abs 1) 2 Das Kapitel regelt die Anerkennung und Vollstreckbarkeit sowie die Vollstreckung von

Entscheidungen der Gerichte und Behörden eines Mitgliedstaates in einem anderen Mitgliedstaat in Bezug auf Unterhaltspflichten, die aus einem Familienverhältnis, Ehe, Verwandtschaft und Schwägerschaft resultieren. 1. Entscheidung 3 Der Begriff der Entscheidung ist in Art 2 Abs 1 Nr 1 legaldefiniert und entspricht dem der

Brüssel I-VO. Diese Definition bestimmt den sachlichen Anwendungsbereich des Kapitels IV. Danach werden alle Entscheidungen eines staatlichen Gerichts eines Mitgliedstaates ungeachtet ihrer Bezeichnung erfasst. Gemäß Art 2 Abs 2 sind auch Verwaltungsentscheidungen aus Mitgliedstaaten eingeschlossen, in denen Verwaltungsbehörden in Unterhaltssachen zuständig sind, wie zB in Finnland.1 Die betreffenden Behörden werden in Anhang X der Verordnung aufgeführt.2 Ausgenommen sind Exequaturentscheidungen, dh Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten, die eine drittstaatliche Entscheidung in Anwendung völkerrechtlicher Verträge oder ihres innerstaatlichen Rechts für vollstreckbar erklären (keine Doppelexequatur).3 Gleiches gilt für Maßnahmen der Zwangsvollstreckung, da diese keinen Streit zwischen den Parteien entscheiden. Erfasst werden Kostenentscheidungen in Unterhaltssachen. 4 Auch vorläufig vollstreckbare Entscheidungen, vgl Art 39, und Entscheidungen im vor-

läufigen Rechtsschutz, wie Arreste und einstweilige Anordnungen, können erfasst werden.4 Als Voraussetzung dafür wird aber die Gewährung des rechtlichen Gehörs des Schuldners in 1 2

3 4

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Hierzu näher Art 2 Rn 17 ff. Eingefügt mit Durchführungsverordnung (EU) Nr 1142/2011 der Kommission vom 10.11.2011, ABl EU 2011 L 293/24. Die aktuelle Fassung der Verordnung nebst Anhängen kann jeweils unter www.eur-lex.eu ropa.eu Suche VO 4/2009 abgerufen werden. MünchKommZPO/Gottwald Art 32 Brüssel I-VO Rn 13; Rauscher/Leible Art 32 Brüssel I-VO Rn 14. Ebenso Geimer/Schütze/Hilbig Rn 6. Zur Brüssel I-VO: Kropholler/von Hein Art 32 Brüssel I-VO Rn 21 ff; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 32 Brüssel I-VO Rn 34 f.

Oktober 2014

Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 16 EG-UntVO

einem kontradiktorischen Verfahren (Ladung zur Anhörung in einer mündlichen Verhandlung) verlangt, bevor die Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt und vollstreckt werden kann.5 Es genügt, wenn dem Schuldner die Möglichkeit eines kontradiktorischen Verfahrens eingeräumt wurde.6 Dies gilt nach der weiter konkretisierenden Rechtsprechung des EuGH selbst dann, wenn erst nach der Bekanntgabe einer ex parte Entscheidung, dh ohne Anhörung des Schuldners, die Möglichkeit einer kontradiktorischen Erörterung durch Einwände oder Rechtsmittel für den Schuldner bestanden hätte, bevor die Anerkennung und Vollstreckung begehrt wird.7 Daher können unter diesen Voraussetzungen sowohl die italienische richterliche Zahlungsanordnung „ordinanza d’ingiunzione“ bzw „ordonanza ingiuntiva di pagamento“ (Art 186ter ital cpc),8 als auch die französische einstweilige Anordnung „ordonnance de référé“ (Art 808 ncpc)9 sowie die englische „freezing orde“ („mareva injunction“),10 nicht aber ein schwedischer Arrestbeschluss11 anerkannt und vollstreckt werden. 2. Gegenstand der Entscheidung Die Entscheidung muss eine Unterhaltspflicht zum Gegenstand haben. Der Begriff ist auto- 5 nom auszulegen.12 Die Unterhaltspflicht muss ihren Grund in einem Familien-, Verwandtschafts- oder eherechtlichen Verhältnis oder in einer Schwägerschaft haben. Soweit die Begriffe autonom auszulegen sind,13 müssten beide, Ursprungsgericht und das mit der Vollstreckbarerklärung oder der Vollstreckung befasste Organ im Zweitstaat, insoweit zu einer übereinstimmenden Beurteilung kommen. Die Ansicht des Gerichts im Erkenntnisverfahren bindet jedoch die zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaates nicht.14 Soweit die Zuordnung als Familienbeziehung noch nicht einheitlich, sondern nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaates, einschließlich seines IPR,15 erfolgt, kommt es wiederum für die Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung hierbei auf die Sicht im Zweitstaat an. Nicht entscheidend ist, ob das Erstgericht die Sache als Familienbeziehung qualifiziert hat oder ob es die Anwendbarkeit der EG-UntVO überhaupt geprüft hat. Es kann durchaus sein, dass sich für das Ursprungsgericht die Frage der Anwendung der Verordnung nicht gestellt hat, weil es im Zeitpunkt des Verfahrens überhaupt keinen grenzüberschreitenden Bezug in der Unterhaltssache gab. Auch dann ist die Verordnung anwendbar, wenn das zuständige Organ des Zweitstaates den Familiencharakter der Beziehung bejaht. Nimmt es an, dass keine Beziehung iSd Art 1 Abs 1 vorliegt, ist für die Anerkennung, Vollstreckbarkerklärung und Vollstreckung die Brüssel I-VO anzuwenden, da es sich dann um eine Zivil5

6 7 8

9 10 11 12 13 14 15

EuGH Rs 125/79 Denilauler/Couchet Frères EuGHE 1980, 1553; ua auch BGH v 21.12.2006 – IX ZB 150/05, NJW-RR 2007, 1573; BGH v 10.6.2009 – XII ZB 182/08, FamRZ 2009, 1297, 1299. Fasching/Konecny/Fucik Rn 2. EuGH Rs 39/02 Mærsk Olie & Gas/de Haan en de Boer EuGHE 2004 I 9657. OLG Frankfurt v 8.5.1992 – 20 W 356/91, RIW 1992, 677; OLG Stuttgart RIW 1997, 684; OLG Düsseldorf RIW 2001, 620; OLG Zweibrücken RIW 2006, 863. OLG Hamm v 28.12.1993 – 20 W 19/93, RIW 1994, 243 = NJW-RR 1995, 189. OLG Karlsruhe v 14.3.2001 – 9 W 79/00, FamRZ 2001, 1623 = IPRspr 2001 Nr 189. BGH v 21.12.2006 – IX ZB 150/05, WRP 2007, 330; krit Anm Geimer LMK 2007, 212640. Vgl ErwGr 11. Hierzu wird verwiesen auf die Ausführungen in Art 1 Rn 22 ff. Hierzu im Einzelnen Art 1 Rn 1 ff. Siehe Rn 9. Hierzu im Einzelnen Art 1 Rn 14 ff.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

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Art 16 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

sache handelt, die keinen Familienunterhalt zum Gegenstand hat. Soweit die Entscheidung jedoch iSd der Brüssel I-VO eine Güterrechtssache zum Gegenstand hat, richten sich die Anerkennung und Vollstreckung nach einzelstaatlichem Recht, in Deutschland nach §§ 108 Abs 1, 109, 110 FamFG. 3. Grenzüberschreitender Bezug 6 Der der Entscheidung in der Unterhaltssache zugrunde liegende Sachverhalt braucht selbst

keinen grenzüberschreitenden Bezug aufzuweisen. Der grenzüberschreitende Bezug für die Anwendung dieses Kapitels wird dadurch hergestellt, als es um die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung der Entscheidung in einem Mitgliedstaat geht. 4. Zeitlicher Anwendungsbereich 7 Der zeitliche Anwendungsbereich des Kapitels IV wird durch Artt 75 Abs 1 und 2, 76 UAbs

3 geregelt.16 5. Territorialer Anwendungsbereich 8 Entscheidungs- und Anerkennungs- bzw Vollstreckungsstaat müssen Mitgliedstaaten iSd

Art 1 Abs 2 sein, dh keine Anwendung auf drittstaatliche Entscheidungen.17 6. Prüfung der Eröffnung des Geltungsbereichs 9 Die zuständige Behörde im Vollstreckungsstaat hat die Eröffnung des Geltungsbereichs des

Kapitels IV zu prüfen. Das betrifft auch das Vorliegen der sachlichen Anwendungsvoraussetzungen nach Art 1 Abs 1. Sie ist dabei nicht an die Beurteilung dieser Frage durch das Gericht des Ursprungsmitgliedstaates gebunden.18 Dies ergibt sich daraus, dass es für die Vollstreckung gar nicht darauf ankommt, ob das erkennende Gericht seine internationale Zuständigkeit auf die EG-UntVO gegründet hat oder ob es deren Bestimmungen richtig angewendet hat.19 Zudem darf die Reichweite einer unmittelbaren Vollstreckungsmöglichkeit nicht durch eine möglicherweise falsche Rechtsanwendung des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaates erweitert werden.20 Gegen diese Sicht spricht auch nicht die Titelfreizügigkeit. Über den Anwendungsbereich wird gerade bestimmt, welche Titel frei im europäischen Rechtsraum zirkulieren können. Dass aus der ungebundenen Bestimmung des Anwendungsbereichs „Familienbeziehungen“ durch das Vollstreckungsgericht unterschiedliche Beurteilungen desselben Sachverhalts resultieren können (Umqualifikation), lässt sich nicht vermeiden.21 16 17 18

19 20 21

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Hierzu näher unter Art 75 Rn 1 ff. Zu den Besonderheiten zu Dänemark und dem Vereinigten Königreich s Art 1 Rn 48 ff. Siehe auch Art 1 Rn 20. Ebenso: Fasching/Konecny/Fucik Rn 3; Gebauer/Wiedmann/Bittmann Kap 36 Rn 89; Geimer/Schütze/Hilbig Art 17 Rn 44. Zum Anwendungsbereich des Titels III des EuGVÜ EuGH Rs 29/76 Eurocontrol EuGHE 1976, 1541; Kondring EWS 1995, 217, 219 ff mwN. Für die Brüssel I-VO vgl BGH 12.8.2009, Az XII ZB 12/05, FamRZ 2010, 365 (juris); aA Schmidt EWS 1993, 388, 394 ff, 397. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 32 Brüssel I-VO Rn 9. So zur Brüssel I-VO Kropholler/von Hein Art 32 Brüssel I-VO Rn 3. Geimer NJW 1977, 492.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 16 EG-UntVO

Die zuständige Behörde hat von Amts wegen zu entscheiden, ob die Verordnung anwendbar 10 ist. Bei fehlender Anwendbarkeit würde ein für die Vollstreckung erforderlicher vollstreckungsfähiger Titel fehlen.22 Eine Vollstreckungsmaßnahme, die ohne die Existenz eines Titels vorgenommen wird, ist nichtig.23 Der Vollstreckungsschuldner kann in diesem Fall mit einem prozessualen Gestaltungsantrag analog § 767 Abs 1 ZPO, § 120 Abs 1, 113 Abs 5 FamFG, § 66 AUG beantragen, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Titel für unzulässig erklärt wird.24 Soweit die allgemeinen Voraussetzungen für die Einleitung des Vorabentscheidungsverfahrens vorliegen (Art 267 AEUV), kann der EuGH in Zweifelsfällen angerufen werden, ob im konkreten Fall der Anwendungsbereich eröffnet ist. 7. Besonderheiten Besonderheiten gelten für den Rechtsbehelf des Schuldners im Ursprungsstaat nach Art 19 11 und die Bestimmungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit von Entscheidungen gemäß Art 39. Auch hier muss Gegenstand der Entscheidung jeweils eine Unterhaltssache iSd Art 1 Abs 1 sein. Jedoch ist nicht erforderlich, dass die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung oder Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat betrieben wird. Diese beiden Bestimmungen dienen der Harmonisierung prozessrechtlicher Vorschriften im Erkenntnisverfahren natürlich letztlich mit dem Ziel, die Titelfreizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft zu erleichtern. III. Spezielle Anwendungsvoraussetzungen 1. Abschnitt 1 (Abs 2) Für die Anwendung des Abschnitts 1 ist es erforderlich, dass der Mitgliedstaat, dessen 12 Gericht/Behörde die Entscheidung erlassen hat, durch das HUntStProt 2007 gebunden ist. Gebunden an das Protokoll sind alle Mitgliedstaaten außer Dänemark und das Vereinigte Königreich. Rechtsgrundlage bildet der Beschluss vom 30.11.2009 über den Abschluss des Protokolls über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht durch die Europäische Gemeinschaft.25 In Art 5 des Beschlusses ist bestimmt, dass das HUntStProt 2007 auf alle Entscheidungen Anwendung findet, die in Verfahren ergehen, die ab dem 18.6.2011 eingeleitet werden. Damit wird ein Gleichlauf mit Art 75 Abs 1 und Art 76 S 3 erreicht. Zusammengefasst: Abschnitt 1 gilt für Entscheidungen der Gerichte/Behörden aus den an das HUntStProt 2007 gebundenen Mitgliedstaaten, deren Verfahren seit dem 18.6.2011 eingeleitet wurden. Für Kroatien tritt an die Stelle des 18.6.2011 der 1.7.2013 (Tag des Beitritts). Der Begriff Einleitung bestimmt sich nach Art 9 lit a. Es kommt folglich auf den Zeitpunkt der Einreichung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks bei Gericht an. Auf Art 9 lit b kann nicht abgestellt werden, da zu verlangen ist, dass die Streitsache bei Gericht eingegangen sein muss. Der Regelungszweck von Art 9 lit b, die Antragsteller bei untereschiedlichen Zustel22 23 24

25

Thomas/Putzo/Hüßtege § 750 ZPO Rn 1. Thomas/Putzo/Hüßtege Vorb § 704 ZPO Rn 58; Andrae NJW 2011, 2545, 2547. BGH NJW 2005, 1577; BGH v 18.11.1993 – IX ZR 244/92, BGHZ 124, 164; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann/Hartmann Grundz § 704 ZPO Rn 57; ebenso Geimer/Schütze/Hilbig Art 17 Rn 44. Beschluss des Rates 2009/941/EG, ABl EU 2009 L 331/17; hierzu näher Art 15 Rn 13 ff.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

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Art 16 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

lungssystemen in der EU möglichst gleichzustellen, spielt für Art 16 keine Rolle. Unerheblich für die Zuordnung zu Abschnitt I ist, für welchen Zeitraum der Titel zur Unterhaltsleistung verpflichtet. Er ist auch anwendbar, wenn zur Leistung von Rückständen verpflichtet wird. Gleichfalls unerheblich ist, ob das Ursprungsgericht das HUntStProt 2007 angewandt oder nicht angewandt hat. 12a Besonderheiten gelten für Dänemark und das Vereinigte Königreich, solange diese Mit-

gliedstaaten an das HUntStProt 2007 nicht gebunden sind. Abschnitt 1 ist auf Entscheidungen von Gerichten und Behörden Dänemarks und des Vereinigten Königreiches unabhängig vom Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens nicht anzuwenden. Dagegen sind Entscheidungen der anderen Mitgliedstaaten, weil sie durch das HUntStProt 2007 gebunden sind, in allen anderen Mitgliedstaaten, dh auch in Dänemark und im Vereinigten Königreich, nach Abschnitt 1 anzuerkennen und zu vollstrecken. 12b Die Lösung bringt zum Ausdruck, dass die an das HUntStProt 2007 gebundenen Mitglied-

staaten nicht gewillt sind, auf den Vorbehalt des ordre public bezogen auf die Anerkennung und auf das Vollstreckbarerklärungsverfahren gegenüber nicht gebundenen Mitgliedstaaten zu verzichten. Dagegen haben Dänemark und das Vereinigte Königreich zugestimmt, dass in ihren Ländern die Entscheidungen aus gebundenen Mitgliedstaaten ohne Möglichkeit des ordre public-Vorbehalts anerkannt und direkt vollstreckt werden, ohne dass ein einheitliches Kollisionsrecht im Erst- und Zweitstaat gilt. Kurios ist dann jedoch, dass nach dem Wortlaut von Art 1 Entscheidungen aus Dänemark im Vereinigten Königreich und umgekehrt dem Abschnitt 2 unterliegen. Die Sinnhaftigkeit dieser Lösung ist nicht erkennbar. Das Prinzip der Gleichbehandlung der Entscheidungen im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander ist nicht gewahrt. Sinnvoll wäre es jedenfalls, die Anwendung von Abschnitt 1 – wenn diese Voraussetzung schon aufgestellt wird – daran festzumachen, dass Entscheidungs- sowie Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat beide an das HUntStProt 2007 gebunden sind. 2. Abschnitt 2 (Abs 3) 13 Abschnitt 2 ist anzuwenden, wenn zwar der sachliche Anwendungsbereich der EG-UntVO

eröffnet ist, jedoch die spezielle Voraussetzung des Abs 1 nicht zutrifft. Daraus ergibt sich, dass Abschnitt 2 anzuwenden ist, a) auf Entscheidungen aus Dänemark und dem Vereinigten Königreich, deren Verfahren ab dem 18.6.2011 eingeleitet wurden bzw werden, da beide Mitgliedstaaten nicht an das HUntStProt 2007 gebunden sind. Auf sie erstreckt sich weder der Beschluss des Rates vom 30.11.2009 noch sind sie dem Protokoll als Teilnehmerstaat beigetreten. 13a b) für Entscheidungen, aus allen Mitgliedstaaten der EU, die Gegenstand der Überleitungs-

vorschrift des Art 75 Abs 2 sind.26 13b c) Entscheidungen aus Kroatien, die vor dem Zeitpunkt des Beitritts Kroatiens ergangen

sind, unterliegen nicht dem Kapitel IV.27 Die Anerkennung und Vollstreckung bestimmt 26 27

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Siehe hierzu Art 75 Rn 7 ff. Für die Brüssel I-VO EuGH C-514/10 Wolf Naturprodukte GmbH NJW 2012, 2639.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 16 EG-UntVO

sich nach einzelstaatlichem IZVR. Für kroatische Entscheidungen, deren Verfahren vor dem Beitritt eingeleitet, die aber nach dem Beitritt erlassen wurden, findet Abschnitt 2 unter der Bedingung Anwendung, dass sich das kroatische Gericht für die internationale Zuständigkeit auf Bestimmungen gestützt hat, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels II der EG-UntVO übereinstimmen. Diese Schlussfolgerung lässt sich aus Art 75 Abs 2 lit b, Art 66 Abs 2 lit b Brüssel I-VO analog ableiten.28 3. Abschnitt 3 (Abs 4) Abs 4 stellt klar, dass der Abschnitt 3 des Kapitels IV für alle Entscheidungen zur Anwen- 14 dung kommt, die der EG-UntVO unterliegen. 4. Gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden Für vollstreckbare gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden ergibt sich die Zuord- 15 nung zu den Abschnitten des Kapitels IV aus Art 48 Abs 1 iVm Art 75. Werden sie in einem Mitgliedstaat, der an das HUntStProt 2007 gebunden ist, ab dem 18.6.2011 geschlossen oder errichtet, so treffen auf sie Abschnitt 1 und 3 zu. Im Übrigen finden Abschnitt 2 und 3 Anwendung. Nur wenn das Vollstreckbarerklärungsverfahren bereits bis zum 17.6.2011 anhängig wurde, bleibt es bei der Anwendbarkeit der Brüssel I-VO. IV. Deutsche Ausführungsbestimmungen Die Ausführungsbestimmungen werden durch das „Gesetz zur Geltendmachung von Un- 16 terhaltsansprüchen im Verkehr mit ausländischen Staaten (Auslandsunterhaltsgesetzt – AUG)“ getroffen.29 Die Vorschriften zur Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung von Entscheidungen befinden sich in §§ 30 ff AUG. Die Regelung differenziert zwischen den Titeln aus anderen Mitgliedstaaten, die unmittelbar nach Art 17 Abs 2 vollstreckbar sind (§§ 30 bis 34 AUG) und jenen, die dem Exequaturverfahren unterliegen (§§ 35-56 AUG). Für die Vollstreckung wird über § 65 AUG und § 120 FamFG auf die ZPO verwiesen. Spezielle Regelungen für die Vollstreckung in Deutschland werden in §§ 66 bis 69 AUG getroffen. Für deutsche Entscheidungen in Unterhaltssachen, die auf Grundlage der Verordnung in einem anderen Mitgliedsstaat vollstreckt werden können, gelten die §§ 70 bis 75 AUG.

28 29

So auch Art 75 Rn 13. Auslandsunterhaltsgesetz v 23.5.2011 (BGBl 2011 I 898), geändert durch Art 10 Gesetz v 31.8.2013 (BGBl 2013 I 3533); siehe hierzu Begründung zum Gesetzentwurf BT-Drs 17/4887.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Art 17 EG-UntVO

Abschnitt 1: In einem Mitgliedstaat, der durch das Haager Protokoll von 2007 gebunden ist, ergangene Entscheidungen Artikel 17: Abschaffung des Exequaturverfahrens (1) Eine in einem Mitgliedstaat, der durch das Haager Protokoll von 2007 gebunden ist, ergangene Entscheidung wird in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann. (2) Eine in einem Mitgliedstaat, der durch das Haager Protokoll von 2007 gebunden ist, ergangene Entscheidung, die in diesem Staat vollstreckbar ist, ist in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckbar, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf. I.

II.

Anerkennung 1. Ipso iure und bedingungslos . . . . . . . . . . . . . 2. Kein Anerkennungsfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Widersprechende Entscheidungen und Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollstreckbarkeit ohne Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

III. 1 IV. 2 3 4

Überblick über die Rechtsbehelfe des Vollstreckungsschuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Vollstreckung in Deutschland 1. Keine Vollstreckungsklausel . . . . . . . . . . . . 12 2. Bestimmtheitsanforderungen . . . . . . . . . . . 13 3. Voraussetzungen für die Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

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I. Anerkennung 1. Ipso iure und bedingungslos 1 Die Anerkennung erfolgt, wie bereits bei der Brüssel I-VO, ipso iure, dh ohne ein Verfahren,

in dem die Anerkennung festgestellt werden müsste. Es gibt keine Anerkennungsversagungsgründe. Daraus folgt, dass die Unterhaltsentscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist, unmittelbare Wirkung in einem anderen Mitgliedstaat zeitigt. Die Anerkennung kann nicht mehr geprüft, sondern nur noch festgestellt werden. Sie ist demnach auch unumstößlich. Um die Anerkennung einer Entscheidung außerhalb der Erlassstaaten zu beseitigen, muss die Entscheidung im Erlassstaat angegriffen werden. Es gibt keine Gründe, die die Anerkennung hindern könnten. Vollstreckungshindernisse im Vollstreckungsstaat, die im Art 21 geregelt sind, sind keine Anerkennungshindernisse. 2. Kein Anerkennungsfeststellungsverfahren 2 Anders als nach der Brüssel I-VO (vgl Art 33 Abs 2 Brüssel I-VO) und dem Abschnitt 2 (vgl

Art 23 Abs 2) kann die Anerkennung nicht mehr in einem gesonderten Verfahren festgestellt werden.1 Die EG-UntVO kennt ein Anerkennungfeststellungssverfahren, geregelt in Art 23 Abs 2, das jedoch nur Entscheidungen erfasst, die dem Abschnitt 2 unterliegen.2 1 2

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Wie hier Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Garber Rn 7; aA MünchKommFamFG/Lipp Rn 12. AA MünchKommFamFG/Lipp Rn 12.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 17 EG-UntVO

Wollte der europäische Gesetzgeber ein solches Verfahren generell zulassen, unter Einschluss der Entscheidungen, die vom Abschnitt 1 erfasst sind, hätte er es in den gemeinsamen Bestimmungen des Abschnitts 3 regeln müssen. Dementsprechend betrifft die Zuständigkeitsregelung in § 35 AUG für die Anerkennungsfeststellung nur Entscheidungen, die dem Kapitel IV Abschnitt 2 unterliegen. Ein Anerkennungsfeststellungsverfahren ist für Entscheidungen nach Abs 1 gewollt ausgeschlossen, weil dies der Konzeption der einspruchslosen Anerkennung zuwiderlaufen würde. Dem Antragsteller fehlt demzufolge hierfür das Rechtsschutzbedürfnis. Deshalb kann auch nicht ersatzweise auf ein Anerkennungsfeststellungsverfahren nach einzelstaatlichem Recht zurückgegriffen werden. Im deutschem Verfahrensrecht fehlt es zudem an einem solchen Verfahren, da § 108 Abs 2 FamFG das Feststellungsverfahren auf Entscheidungen nicht vermögensrechtlichen Inhalts beschränkt. Stellt sich in einem Erkenntnisverfahren die Vorfrage, ob eine Unterhaltsentscheidung aus 2a einem anderen Mitgliedstaat anzuerkennen ist, zB in einem Abänderungsverfahren, so hat das Gericht zu prüfen, ob die Verordnung und speziell ihr Kapitel IV Abschnitt 1 hierauf anwendbar ist.3 Trifft dies zu, ergibt sich die Anerkennung selbst aus Art 17 Abs 1. Probleme gibt es in Fällen widersprechender Entscheidungen, siehe Rn 4 ff. Ist die Unterhaltsentscheidung als Annexentscheidung in einem Statusverfahren ergangen, 2b so erstreckt sich die Anerkennung nach Art 17 Abs 1 allein auf den unterhaltsrechtlichen Teil. Dies wird durch Art 22 bestätigt.4 Andererseits wird die Anerkennung der Unterhaltsentscheidung nicht dadurch berührt, dass die Statusentscheidung selbst nicht anerkannt wird. Problematisch ist die Situation jedoch dann, wenn es im Anerkennungsstaat eine unvereinbare Statusentscheidung gibt oder die Nichtanerkennung der Statusentscheidung formell festgestellt ist. Die EG-UntVO bietet hierfür nur eine Lösung bezogen auf die Vollstreckung (Art 21 Abs 2 UAbs 2), nicht jedoch für die Anerkennung. 3. Wirkungen Mit der Anerkennung werden die Wirkungen, die die Entscheidung im Ursprungsmitglied- 3 staat hat, grundsätzlich auf das Inland erstreckt (Grundsatz der Wirkungserstreckung).5 Die automatische Anerkennung steht einem erneuten Leistungsurteil im Zweitstaat in derselben Sache zwischen denselben Parteien entgegen. Hierfür fehlt bereits das Rechtsschutzbedürfnis, weil ein im Inland vollstreckbarer Titel vorliegt. Das gilt selbst dann, wenn Vollstreckungsverweigerungsgründe nach der Verordnung oder dem nationalen Recht bestehen, die im Rahmen der Verordnung Geltung haben. Vom Grundsatz des Verbots einer Zweitentscheidung im Anerkennungsstaat wird nicht die Zulässigkeit einer Abänderungsentscheidung berührt. Dies ist nicht ausdrücklich geregelt, ergibt sich jedoch aus dem Gesamtzusammenhang (zB Art 8, Art 21 Abs 2 UAbs 3, Art 56 Abs 1 lit f).

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4 5

Hierzu Art 16 Rn 9 f; ebenso MünchKommFamFG/Lipp Rn 10; für das entsprechende Problem in der Brüssel I-VO: OLG Hamm v 22.7.1992 – 5 UF 418/91, FamRZ 1993, 189; Hohloch FPR 2004, 315, 324. Vgl dazu Art 22 Rn 1 ff. So auch MünchKommFamFG/Lipp Rn 4; Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 87; Prütting/Helms/Hau § 110 FamFG Anh 3 Rn 84; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 26 ff.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

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4. Widersprechende Entscheidungen und Anerkennung 4 In Ausnahmefällen kann es zu divergierenden Entscheidungen in zwei Mitgliedstaaten

kommen. Dies ist denkbar, wenn die doppelte Rechtshängigkeit oder die entgegenstehende Rechtskraft der früheren Entscheidung – aus welchen Gründen auch immer – nicht erkannt wurde. Ein weiterer Fall ist die Unvereinbarkeit mit einer statusrechtlichen Entscheidung. 5 Dieses Problem ist nicht geregelt. Für Art 5 EG-VollstrTitelVO wird vertreten, dass diese

Frage von jener Verordnung nicht erfasst wird und daher auf die Brüssel I-VO zurückzugreifen sei.6 Diese Auffassung kann aber nicht uneingeschränkt auf die EG-UntVO übertragen werden. Die Brüssel I-VO wird nach Art 68 Abs 1 verdrängt, und Art 24 lit c im Abschnitt 2, der eine ähnliche Regelung wie Art 34 Nr 3 Brüssel I-VO enthält, ist nicht anzuwenden, wenn der Ursprungsmitgliedstaat an das HUntStProt 2007 gebunden ist. Denkbar wäre allenfalls eine Analogie mit der Folge, dass analog Art 24 lit c die frühere Entscheidung der Anerkennung der späteren entgegensteht. Möglich ist jedoch auch, eine Analogie zu Art 21 Abs 2 UAbs 2 mit der Folge, dass in den Fällen, in denen es um die Anerkennung als Vorfrage in einem anderen Verfahren geht, das Gericht einen Ermessensspielraum hat, welche Entscheidung es zu Grunde legt.7 6 Eine Analogie zur Lösung im autonomen Recht ist nicht vorzuziehen,8 weil das Problem in

den Mitgliedstaaten einheitlich entschieden werden sollte. 7 Ein ähnliches Problem kann sich in einer Aufrechnungslage stellen, bei der eine der For-

derungen eine Unterhaltsforderung ist, hinsichtlich der es divergierende Entscheidungen gibt. Dieses kann auftreten, wenn der Unterhaltsgläubiger in einem Mitgliedstaat mit seinem Antrag unterliegt und in oben beschriebener Weise eine widersprechende Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat erwirkt, welche die Gegenpartei zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet. Diese zweite Entscheidung kann er im ersten Staat zwar nicht vollstrecken, weil der Schuldner gemäß Art 21 Abs 2 UAbs 2 mit der früheren entgegenstehenden Entscheidung die Verweigerung der Vollstreckung erwirken kann. Wegen der automatischen Anerkennung auch im ersten Staat stellt sich aber die Frage, wie eine Aufrechung des Unterhaltsgläubigers mit seiner titulierten Forderung zu behandeln ist, wenn er diese zB im Prozess gegen eine Forderung, die dem Schuldner ihm gegenüber zusteht, als Verteidigungsmittel erklärt. Das Gericht, das im Prozess über die Berechtigung der Aktivforderung entscheidet, prüft, welche der beiden rechtskräftigen Entscheidungen es hinsichtlich der Passivforderung zugrunde zu legen hat. Als Lösung kommt wiederum eine Analogie zu Art 21 Abs 2 UAbs 2 in Betracht. Das Gericht kann deshalb bei der materiell-rechtlichen Prüfung, ob die Forderung, mit der aufgerechnet wird, besteht, die frühere Entscheidung beachten oder ein dem Art 21 Abs 2 UAbs 2 entsprechendes Ermessen ausüben. Das würde einen Gleichlauf zur Vollstreckungsversagung herstellen. Dies lässt sich verallgemeinern. Wenn die Voraussetzungen des Art 21 Abs 2 UAbs 2 vor-

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Mit unterschiedlichem Ansatz: Coester-Waltjen FS Beys (2003) 183, 197; Rauscher/Pabst Art 5 EG-VollstrTitelVO Rn 4 ff, 9. Hierfür auch MünchKommFamFG/Lipp Rn 9; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 31. Geimer/Schütze/Hilbig Rn 31 Fn 97.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

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liegen, entfallen die Wirkungen der Anerkennung der ausländischen Entscheidung über die Vollstreckbarkeit hinaus, um innere Widersprüche zu verhindern.9 II. Vollstreckbarkeit ohne Zwischenverfahren Eine vollstreckbare Unterhaltsentscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist, ist 8 unmittelbarer Vollstreckungstitel in jedem Mitgliedstaat und dient damit dort direkt als Grundlage der Vollstreckung. Der Grundsatz der Wirkungserstreckung gilt auch für die Vollstreckbarkeit des Unterhaltstitels.10 Das trifft auch zu, wenn der Titel im Ursprungsmitgliedstaat lediglich vorläufig vollstreckbar ist. Auch die Kostenentscheidung ist der unmittelbaren Vollstreckung zugänglich (Art 2 Abs 1 Nr 1). Dies ergibt sich zudem aus Art 43, der das Verhältnis von titulierter Unterhaltsforderung und Forderungen bezüglich der Verfahrenskosten betrifft. Anders als nach der Brüssel I-VO (bzw nach dem Abschnitt 2) erfolgt keine Vollstreckbarerklärung im Vollstreckungsmitgliedstaat, durch die erst die Vollstreckbarkeit in diesem Staat hergestellt wird. Ebenso ist keine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel wie in der EG-VollstrTitelVO erforderlich. Die Lösung in Abschnitt 1 hat zur Folge, dass die Vollstreckbarkeit im Zweitstaat akzessorisch an die Vollstreckbarkeit im Entscheidungsstaat gebunden ist.11 Dazu im Widerspruch steht ein Detail in Art 21 Abs 3 UAbs 2, wonach die Aussetzung der Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat nicht automatisch diese Rechtsfolge im Vollstreckungsmitgliedstaat zur Folge hat, vielmehr eines Antrags hierfür bedarf. Gerechtfertigt wird dies mit praktischen Erwägungen.12 Eine dem Art 17 unterliegende Entscheidung ist hinsichtlich der Bedingungen der Vollstreckung im Vollstreckungsmitgliedstaat den in diesem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen gleichgestellt, vgl Art 41 Abs 1 S 2. Die Vollstreckung erfolgt aus der ausländischen vollstreckbaren Entscheidung und nicht aus 8a dieser in Verbindung mit dem Formblatt.13 Eine ganz andere Frage ist, welche Unterlagen für die Vollstreckung im Zweitstaat vorzulegen sind. Das folgt daraus, dass das Formblatt nicht über die Entscheidung hinausgeht, vielmehr lediglich einen formalisierten Auszug darstellt. Die einspruchslose ipso iure-Anerkennung von Unterhaltsentscheidungen aus anderen Mit- 9 gliedstaaten und ihre direkte Vollstreckbarkeit ist nicht begleitet von einer Angleichung nationaler Verfahrensvorschriften oder der Einführung bestimmter Mindesterfordernisse. Der europäische Gesetzgeber hat ungeachtet dessen auf die Sperrung der Vollstreckung im Zweitstaat mittels des Einwands des ordre public verzichtet.14 Die Anerkennungsversagungsgründe, der Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs im Einleitungsstadium des Verfahrens sowie wiedersprechender Entscheidungen finden sich jedoch im anderen Gewand in Art 19 und 21 Abs 2 UAbs 2 wieder. Alle übrigen Aspekte (Zuständigkeit, anwendbares 9

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Ähnlich Geimer/Schütze/Hilbig Rn 31; MünchKommFamFG/Lipp Rn 9; Kindl/Meller-Hannich/Wolf/ Garber Rn 5. MünchKommFamFG/Lipp Rn 13; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 22. Ähnlich Geimer/Schütze/Hilbig Rn 24. Geimer/Schütze/Hilbig Rn 24; hierzu näher Art 21 Rn 23. AA Geimer/Schütze/Hilbig Rn 22, Rn 3. Hierzu näher Art 21 Rn 44 ff.

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Recht und die ordre public-Widrigkeit der Entscheidung) dürfen nicht geprüft werden. Diese stellen keine Vollstreckungsversagungsgründe dar. Die Abschaffung des Exequaturverfahrens und die damit verbundene Verlagerung des Rechtsschutzes auf das ausländische Ursprungsgericht selbst verletzt nicht die Rechtsweggarantie des Art 19 Abs 4 GG. Dies folgt aus der Kompetenzübertragung auf die EG nach Art 23 GG iVm Art 61 lit c und Art 65 EGV, die einen gleichwertigen Rechtsschutz gewährleistet.15 9a Es fehlt eine Regelung zur Teilvollstreckung, wenn nur ein Teil der Entscheidung die Vor-

aussetzungen für eine Vollstreckung nach Abschnitt 1 erfüllt oder der Antrag des Gläubigers entsprechend lautet. Solche Fälle können wie bei Titeln vorliegen, die sich nach Abschnitt 2 richten.16 Hier ist eine Analogie zu Art 37 möglich. Ist durch die Entscheidung über mehrere Forderungen entschieden worden, deren Vollstreckung im Zweitstaat beantragt wird und liegen die Voraussetzungen für die Vollstreckung nach Abschnitt 1 nicht für alle vor, so erfolgt die Beschränkung auf die Forderungen, die die Anforderungen erfüllen. Entsprechendes trifft zu bei einer teilbaren Forderung. Dem Antragsteller ist es ohne Darlegung eines Grundes unbenommen, seinen Antrag auf Vollstreckung auf Teile der Entscheidung zu beschränken.17 III. Überblick über die Rechtsbehelfe des Vollstreckungsschuldners 10 Die EG-UntVO geht davon aus, dass der Titelschuldner vorrangig die Rechtsbehelfe im

Ursprungsmitgliedstaat in Anspruch nehmen muss, die zur Aufhebung der Entscheidung führen oder ihr ihre Vollstreckbarkeit nehmen. Sie regelt ausdrücklich folgende Rechtsbehelfe: Im Ursprungsmitgliedstaat Rechtsbehelf des Schuldners wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs und der Nichtausübung der Verteidigungsrechte aus ansonsten nicht zu vertretenen Umständen zu Verfahrensbeginn (Art 19), der ein autonomer Rechtsbehelf unionsrechtlichen Charakters ist. Es fehlt ein einheitlicher Rechtsbehelf, der die Erteilung und den Inhalt des Auszuges der Entscheidung nach Art 20 Abs 1 lit b betrifft. Selbst ein Verweis darauf, dass hierfür nationale Rechtsbehelfe greifen, ist nicht vorhanden. Hier besteht eine auszufüllende Regelungslücke. Sowohl für Titelgläubiger als auch Titelschuldner ist die Frage nach den Rechtsbehelfen essentiell, da die Vorlage des Auszuges Voraussetzung für die Vollstreckung im

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Vgl dazu Hess IPRax 2001, 389, 394; Wagner IPRax 2002, 75, 86; Stein IPRax 2004, 181, 186; aA Kohler in: Baur/Mansel (Hrsg), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002) 147, 160; Stadler IPRax 2004, 2, 8 f sowie Gsell/Netzer IPRax 2010, 403, 407 ff. Siehe die Beispiele bei Art 37 Rn 1 und Art 37 Rn 2. Geimer/Schütze/Hilbig Art 23 bezogen auf die Ausstellung des Formblatts.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

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Zweitstaat ist. Der deutsche Gesetzgeber geht sogar soweit, ihm die Funktion der Vollstreckungsklausel zuzuweisen.18 Rechtsbehelfe gegen die Ausstellung des Formblattes richten sich folglich nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates.19 Im Vollstreckungsmitgliedstaat 10a – Rechtsbehelfe gemäß dem einzelstaatlichen Vollstreckungsrecht des Vollstreckungsstaates, soweit sie der Verordnung nicht widersprechen (Art 21 Abs 1).20 Hierbei gilt der Grundsatz der Gleichstellung mit den Entscheidungen der eigenen Gerichte nach Art Art 41 Abs 1 S 2. – Unionsrechtliche Rechtsbehelfe, die einheitlich anzuwenden und im Vollstreckungsstaat zu erheben sind. Sie betreffen: – die Einrede der Vollstreckungsverjährung als autonomer Rechtsbehelf (Art 21 Abs 2 UAbs 1), – die Einrede einer entgegenstehenden Entscheidung als autonomer Rechtsbehelf (Art 21 Abs 2 UAbs 2), – die Aussetzung der Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat (Art 21 Abs 3). Kein Vollstreckungshinderungsgrund ist, dass das entscheidende Gericht die Zuständig- 11 keitsbestimmungen der Verordnung nicht oder nicht richtig angewendet hat. Das Gleiche gilt für die Bestimmungen des HUntStProt 2007. Es besteht das Verbot der sachlichen Nachprüfung der Entscheidung, Art 42. Der ordre public-Einwand kann nicht erhoben werden. IV. Vollstreckung in Deutschland 1. Keine Vollstreckungsklausel Das AUG sieht keine über Art 20 EG-UntVO hinausgehenden zusätzlichen Anforderungen 12 für die inländische Vollstreckung aus einem nach Abschnitt 1 direkt vollstreckbaren Unterhaltstitel vor. Die Vollstreckung durch das inländische Vollstreckungsorgan findet statt, ohne dass zuvor der ausländische Titel mit einer Vollstreckungsklausel nach § 724 ZPO zu versehen ist, § 30 Abs 1 AUG. Dies wird damit begründet, dass sich der [europäische] Gesetzgeber dafür entschieden habe, „dass mit Aufhebung des Exequaturverfahrens auch zusätzliche innerstaatliche Anforderungen entfallen sollen“.21 Weiterhin wird angeführt, dass im Ursprungsstaat das Formblatt ausgestellt wird, welches den Charakter einer Bestätigung habe, sowie Bestand und Vollstreckbarkeit des Titels dokumentiere. Die Funktion der vollstreckbaren Ausfertigung im Sinne des deutschen Vollstreckungsrechts übernehmen danach der ausländische Titel und das von der ausländischen Stelle ausgefüllte Formblatt.22 Um dies zu untermauern, verlangt § 30 Abs 3 AUG eine untrennbare Verbindung des Formblatts mit dem Unterhaltstitel. Jedoch ist diese Vorschrift als Ordnungsvorschrift 18 19 20 21 22

Hierzu Rn 12. Hierzu Art 20 Rn 19 f. Zum deutschen Recht siehe Art 21 Rn 12 ff. Gesetzesbegründung zu § 30 AUG, BT-Drs 17/4887, 43. BT-Drs 17/4887, 43.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

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(„soll“) ausgestaltet, so dass die fehlende Verbindung kein Vollstreckungshindernis ist.23 Die Gleichsetzung des ausgefüllten Formblattes mit der vollstreckbaren Ausfertigen im Sinne des deutschen Rechts überzeugt nicht.24 Wie es der Wortlaut sagt, ist es eher ein standardisierter Auszug der Entscheidung, der für die Vollstreckung wesentliche Angaben zusammenfasst. Er soll in erster Linie die Übersetzung der Entscheidung und regelmäßig auch des ausgefüllten Formblattes selbst für die Vollstreckung erübrigen.25 Keinesfalls bezeugt er das (Noch-)Bestehen und die Vollstreckungsreife des Titels. Dass eine Gleichsetzung nicht gerechtfertigt ist, zeigt sich ua daran, dass jede betroffene Partei den Antrag auf Ausstellung eines solchen Auszugs stellen kann, ohne dass es auf den Zweck der Verwendung ankommt, vgl Art 40 Abs 2 EG-UntVO. Macht zB eine Partei einen Änderungsantrag vor einem deutschen Gericht anhängig, kann dieses der Partei aufgeben, einen solchen Auszug vorzulegen. Es wäre nicht verordnungswidrig gewesen, wenn der deutsche Gesetzgeber für die direkte Vollstreckung aus einem anderen Mitgliedsstaat das Erfordernis der Erteilung der Vollstreckungsklausel vorgesehen hätte.26 Dies hätte sich in Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Gleichstellung der ausländischen mit der inländischen Entscheidung befunden. Damit wäre eine bessere Einpassung in das deutsche System der Zwangsvollstreckung möglich und das Erfordernis von Ersatzlösungen wäre weitgehend entfallen. Der Vorteil hätte darin bestanden, dass die sich auf die Vollstreckungsklausel beziehenden Vorschriften hätten angewandt werden können, soweit sie nicht im Widerspruch zu den Bestimmungen der Verordnung stehen. So sieht § 727 ZPO eine passende Regelung bezogen auf die Rechtsnachfolge nach Erlass der ausländischen Entscheidung vor und § 726 ZPO löst das Problem der an eine Bedingung geknüpfte Leistungspflicht des Schuldners, was zB in Hinblick auf Art 64 Abs 3 von Bedeutung ist. Lediglich für den Fall, dass der ausländische Titel konkretisiert werden muss, damit er die für die inländische Vollstreckung erforderliche Bestimmtheit hat, ist in § 34 AUG eine Lösung vorgesehen.27 Weiterhin wäre vermieden worden, dass die Prüfung der Voraussetzungen für die direkte Vollstreckung nach Abschnitt 1 bei dem Vollstreckungsorgan liegt, was auf Grund der im Übrigen beschränkten Prüfungskompetenz des Vollstreckungsorgans bedenklich ist.28 2. Bestimmtheitsanforderungen 13 Spricht das inländische Vollstreckungsorgan dem ausländischen Titel hinreichende Be-

stimmtheit ab, hat es die Vollstreckung aus diesem Grunde abzulehnen. Der Gläubiger kann in dem für diesen Fall vorgesehenen Verfahren gemäß § 34 AUG eine Konkretisierung begehren. Zuständig ist das Gericht, welches für eine Vollstreckbarerklärung zuständig gewesen wäre (§ 34 Abs 1 S 2, § 35 Abs 1 und 2 AUG). Auch wenn dies § 34 AUG nicht ausdrücklich erwähnt, kann das Gericht auch aussprechen, dass der Titel bereits hinreichend bestimmt und mithin die Vollstreckung zu Unrecht zurückgewiesen worden ist. Gemäß § 34 Abs 3 S 2

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BT-Drs 17/4887, 43; Die Bestimmung könnte im Widerspruch zu Art 20 EG-UntVO stehen. Andrae NJW 2011, 2545, 2547 f; Hess/Spanken FPR 2013, 27, 28. Hess/Spanken FPR 2013, 27, 28 bezeichnen dies treffend mit „Schablone“. Hierzu auch Art 41 Rn 4. Hierzu Rn 13. Hess/Spanken FPR 2013, 27, 28.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 17 EG-UntVO

ist der bestimmende Beschluss untrennbar mit dem ausländischen Titel zu verbinden. Einer Vollstreckungsklausel bedarf es nicht Eine Konkretisierung, um den Bestimmtheitsanforderungen zu entsprechen, setzt voraus, dass sich die Kriterien, nach denen sich die Leistungspflicht bestimmt, aus den ausländischen Vorschriften oder ähnlichen im Inland gleichermaßen zugänglichen oder sicher feststellbaren Umständen ergeben.29 Das trifft ua zu für Verurteilungen zu gesetzlichen Zinsen,30 Entscheidungen, die den Unterhaltstitel mit einem Preis- oder Lohnindex durch Gesetz verknüpfen und sich demgemäß kraft Gesetzes und ohne Umschreibung des Titels erhöhen,31 sowie Entscheidungen, die Währungsanpassungsklauseln in Bezug auf den bezifferten Unterhaltsbetrag enthalten.32 Die Konkretisierung muss nach ausländischem Recht automatisch und nicht erst im Wege nachträglicher gerichtlicher Ergänzung eintreten,33 der ausländische Titel demnach zumindest mittelbar eindeutig über die Höhe der Forderung befinden.34 Scheitert eine hinreichend genaue Fassung des Vollstreckungstitels insbesondere am Verbot der Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der ausländischen Entscheidung, ist der Antrag auf Vollstreckung zurückzuweisen.35 Unbestimmtheit ist auch gegeben, wenn die ausländische Entscheidung den Unterhalt an anspruchsbegründende Bedingungen knüpft, die eine Sachaufklärung im Erkenntnisverfahren erfordern.36 3. Voraussetzungen für die Vollstreckung Von der Besonderheit abgesehen, dass eine Vollstreckungsklausel für die inländische Voll- 14 streckung aus einem ausländischen Titel nicht erforderlich ist, unterliegt dieser den für inländische Titel geltenden vollstreckungsrechtlichen Regelungen, insbesondere ist von der Vollstreckungsklausel abgesehen – auch § 750 ZPO anwendbar.37 Ob die Voraussetzungen für eine unmittelbare Vollstreckbarkeit vorliegen, prüft das Vollstreckungsorgan (dh zB der Gerichtsvollzieher für die Pfändung körperlicher Gegenstände bzw der Rechtspfleger für die Forderungspfändung). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 30 AUG: „liegen die 29

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BGH Urt. v 27.06.1985 – III ZB 12/85, NJW 1986, 1440, 1441 = FamRZ 1986, 45, 46; Rahm/Künkel/ Breuer Bd 3 VIII Rn 293 mwN. Ua mwN BGH v 5.4.1990 – IX ZB 68/89, NJW 1990, 3084, 3085; OLG Hamburg OLGReport 1998, 87; OLG Frankfurt aM OLGReport 1992, 34; fehlerhaft OLG München v 16.9.1987 – 24 W 117/87, IPRax 1988, 291, 292. Entsprechende Entscheidungen ergehen zB in den Niederlanden (siehe OLG Düsseldorf v 22.1.2001 – 3 W 64/00, FamRZ 2001, 1019, 1020) und den skandinavischen Ländern (vgl mwN KG DAVorm 2000, 1147 = IPRspr 2000 Nr 162, 356, 358 f; OLG Schleswig v 11.3.1993 – 16 W 279/92, FamRZ 1994, 53 (Finnland). BGH v 4.3.1993 – IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16, 20 = IPRax 1994, 367 = NJW 1993, 1801, 1803. BGH v 4.3.1993 – IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16, 20 = IPRax 1994, 367 = NJW 1993, 1801, 1803; OLG Düsseldorf v 22.1.2001 – 3 W 64/00, FamRZ 2001, 1019, 1020 mwN. MünchKommZPO/Gottwald Art 31 EuGVÜ Rn 9. Für das Klauselerteilungsverfahren: BGH v 4.3.1993 – IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16, 19 = IPRax 1994, 367 = NJW 1993, 1801, 1803; OLG Zweibrücken OLGReport 2004, 260, 262 = RPfleger 2004, 300 (Prozesskosten = unbezifferte Kostengrundentscheidung); MünchKommZPO/Gottwald § 722 ZPO Rn 17. OLG Karlsruhe v 8.1.2002 – 9 W 51/01, FamRZ 2002, 1420, 1421 (Unterhalt bei ernsthaftem zielstrebigem Studium). BT-Drs 17/4887, 43.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Art 18 EG-UntVO

Voraussetzungen … vor“.38 Diese Prüfung beschränkt sich nicht nur darauf, ob sämtliche Unterlagen nach Art 20 vorliegen,39 sondern umfasst zunächst die Frage, ob der Anwendungsbereich des Abschnitts 1 eröffnet ist.40 Die vorgelegte Ausfertigung des Auszugs der Entscheidung unter Verwendung des Formblatts in Anhang I bindet diesbezüglich das Vollstreckungsorgan nicht.41 Außerdem hat das Vollstreckungsorgan zu prüfen, ob der Titel vollstreckbar ist, einen vollstreckbaren Inhalt besitzt und – soweit die Vollstreckung an Bedingungen geknüpft ist – ob die Bedingungen vorliegen.

Artikel 18: Sicherungsmaßnahmen Eine vollstreckbare Entscheidung umfasst von Rechts wegen die Befugnis, alle auf eine Sicherung gerichteten Maßnahmen zu veranlassen, die im Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats vorgesehen sind. I. II. III.

Regelungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

IV. V.

Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Rechtsbehelfe des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . 9

I. Regelungszweck 1 Die Sicherungsmaßnahmen sollen ein Beiseiteschaffen des Vermögens und den vorrangigen

Zugriff anderer Gläubiger auf das Vermögen verhindern, sie dürfen aber nicht zu einer Befriedigung des Gläubigers führen.1 Es erfolgt keine Überweisung gepfändeter Forderungen und keine Versteigerung gepfändeter Sachen. 2 Die Vorschrift hat ihren Ursprung in Art 47 Brüssel I-VO und ist der unmittelbaren Voll-

streckungsmöglichkeit von Entscheidungen aufgrund des Fehlens eines Zwischenverfahrens angepasst. Im Entwurf der Verordnung2 war sie noch nicht enthalten, denn dieser sah mit Art 34 (Anordnung monatlicher Pfändungen) und Art 35 (Anordnung einer vorübergehenden Kontensperrung) autonome Bestimmungen für Sicherungspfändungen unter der Voraussetzung vor, dass die Entscheidung im Ursprungsstaat vollstreckbar ist. Es war vorgesehen, dass das Ursprungsgericht auf Antrag des Unterhaltsberechtigten solche Sicherungsmaßnahmen anordnen konnte, die unmittelbar Pfändungswirkungen in dem anderen Mitgliedstaat hatten. Dieses Konzept hat sich letztlich nicht durchgesetzt, weil eine Kompatibilität mit dem Vollstreckungsrecht der einzelnen Mitgliedstaaten nicht gewährleistet ist. Eine solche Lösung setzt eine Angleichung des Vollstreckungsrechts der Mitgliedstaaten in Teilbereichen voraus, was die EG-UntVO nicht leisten kann.3 Art 18 ermöglicht gleichfalls derartige vollstreckungsrechtliche Sicherungsmaßnahmen, greift jedoch hierfür nicht 38 39 40 41 1 2 3

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Andrae, Internationales Familienrecht3 (2014) § 8 Rn 231; Heger/Selg FamRZ 2011, 1101, 1106. So jedoch BT-Drs. 17/4887, 50. Wie hier Geimer/Schütze/Hilbig Rn 44. Hierzu Art 20 Rn 17. Rauscher/Mankowski Art 47 Brüssel I-VO Rn 12 ff. KOM (2005) 649. Einen Vorstoß in diese Richtung wagt der europäische Gesetzgeber mit dem Entwurf einer Verordnung

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 18 EG-UntVO

in das nationale Vollstreckungsrecht ein. Vielmehr bestimmt er, dass der Titelgläubiger das Recht hat, die nach dem Recht des Vollstreckungsstaates vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen zu veranlassen. Zuständig hierfür sind die Gerichte/Behörden des Vollstreckungsstaates. Die internationale Zuständigkeit folgt unmittelbar aus Art 18,4 die örtliche regelt sich nach einzelstaatlichem Recht. Die Maßnahmen sind auf das Territorium des Vollstreckungsstaates beschränkt, was daraus folgt, dass sie der Sicherung der dort geplanten Vollstreckung dienen. Fraglich ist, welchen Sinn Art 18 für Entscheidungen in Unterhaltssachen macht, die auf- 3 grund der Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat die Eigenschaft der unmittelbaren Vollstreckbarkeit in den anderen Mitgliedstaaten erlangen. Sicherungsmaßnahmen für die Zeit eines Zwischenverfahrens, einschließlich einer Rechtsbehelfsfrist nach der Vollstreckbarerklärung bedarf es nicht. Mit der Entscheidung des deutschen Gesetzgebers gegen das Erfordernis einer Vollstreckungsklausel bezogen auf den ausländischen Titeln (§ 30 AUG)5 entsteht auch hier keine zeitliche Verzögerung, die mit Sicherungsmaßnahmen zu überbrücken wäre. Die Sicherungsmaßnahmen stehen dem Titelgläubiger rechtspraktisch in folgender Hinsicht zur Verfügung: – Er kann anstelle der endgültigen Vollstreckung zunächst nur sichernde Maßnahmen beantragen. Der Vorteil gegenüber der endgültigen Zwangsmaßnahme besteht darin, dass es für die Sicherungsmaßnahme zur Wahrung des Überraschungseffekts keiner vorherigen Zustellung des ausländischen Vollstreckungstitels an den Vollstreckungsschuldner bedarf.6 Erforderlich ist jedoch, dass der Titelgläubiger das ausgestellte Formblatt in Anhang I vorlegt.7 Als Alternative hat er jedoch auch die Möglichkeit, eine einstweilige Maßnahme nach Art 14 im Vollstreckungsstaat zu beantragen, zB in Deutschland nach §§ 119 Abs 1, 49 ff FamFG sowie § 119 Abs 2 FamFG §§ 916 ff ZPO. Zur Beschleunigung des Verfahrens ist es auch hier ratsam, das ausgestellte Formblatt mit einzureichen. – Hat der Schuldner nach Art 21 Rechtsbehelfe gegen die Vollstreckung eingelegt und wird diese daraufhin ausgesetzt, so kann er Sicherungsmaßnahmen nach Art 18 für die Zeit bewirken, bis die Vollstreckung fortgesetzt oder endgültig eingestellt wird.8 Der Gläubiger kann auch bei Beantragung der Zwangsvollstreckung bereits vorbeugend Sicherungsmaßnahmen nach Art 18 für den Fall beantragen, dass die Vollstreckung aus den Gründen des Art 21 gehindert ist. II. Sicherungsmaßnahmen Bei den Sicherungsmaßnahmen nach Art 18 handelt es sich in Abgrenzung zu Art 14 um 4 Maßnahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens. Dies ergibt sich aus der systematischen

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zur vorläufigen Kontenpfändung, KOM (2011) 445. Hierzu Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im europäischen Rechtsraum (2011) S 273 ff. Hausmann, IntEuSchR K Rn 61. Hierzu BT-Drs 17/4887, 43. Vgl dazu unten Rn 7; ebenso Geimer/Schütze/Hilbig Rn 2; MünchKommFamFG/Lipp Rn 8. Hierzu Rn 6. Ebenso Geimer/Schütze/Hilbig Rn 2; Fasching/Konecny/Fucik Rn 3.

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Stellung der Norm in Kapitel IV, Abschnitt 1. Art 14 dagegen eröffnet zuständigkeitsrechtlich ua die Möglichkeit, einen Titel im einstweiligen Rechtsschutzverfahren im Zweitstaat zu erhalten, während im Erststaat ein Erkenntnisverfahren anhängig ist bzw selbst nach Erlass einer dortigen Entscheidung. Die Art der Maßnahme und ihre Voraussetzungen bestimmen sich auch hier nach der lex fori des angerufenen Gerichts.9 Art 18 stellt ein Äquivalent zu Art 36 Abs 2 (bzw Art 47 Abs 2 Brüssel I-VO) dar. Dort wird im Ergebnis die Vollstreckbarerklärung wie ein Arrestbeschluss behandelt.10 Vergleichbares ist (mit Ausnahme des Formblattes) hier jedoch nicht erforderlich, denn die ausländische Entscheidung ist unmittelbar vollstreckbar. Ein erkenntnisverfahrensrechtlicher Teil der Sicherungsmaßnahme nach Art 18 ist daher gerade entbehrlich. Die vollstreckbare ausländische Entscheidung selbst ist Rechtsgrundlage für die vollstreckungsrechtliche Sicherungsmaßnahme. Welche Maßnahmen getroffen werden können, bestimmt das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates.11 Dazu gehören im deutschen Recht etwa die Vorpfändung (§ 845 ZPO), die Arrestpfändung (§§ 829, 857, 930 ZPO), die Pfändung von beweglichen Sachen (§§ 803, 808, 931 ZPO), die Arresthypothek (§ 932 ZPO) und die Sicherungsvollstreckung (§ 720a ZPO).12 Die Anwendung dieser Vorschriften ergibt sich aus den Verweisen in §§ 119 Abs 2 und 120 Abs 1 FamFG. Dagegen sind die Bestimmungen der ZPO über einstweilige Verfügungen (§§ 935 ff ZPO) ausgeschlossen,13 weil sie bei Familienstreitsachen keine Anwendung finden. Aus Art 19 folgt keine Pflicht der Erstreckung letzterer Bestimmungen auf ausländische Unterhaltsentscheidungen, denn auch hier trifft der Grundsatz der Gleichstellung mit inländischen Entscheidungen zu. Einstweilige Anordnungen nach §§ 246 ff FamFG gehören nicht in den Geltungsbereich des Art 18, da sie Leistungsverfügungen zum Gegenstand haben.14 Einstweilige Anordnungen nach §§ 49 ff FamFG sind möglich, soweit sie sich auf den Regelungszweck des Art 18 beschränken. III. Voraussetzungen 5 Die Unterhaltsentscheidung aus dem anderen Mitgliedstaat muss im Ursprungsmitglied-

staat (gegebenenfalls vorläufig) vollstreckbar sein.15 6 In formeller Hinsicht sind die Anforderungen des Art 20 hinsichtlich der vorzulegenden

Schriftstücke einzuhalten.16 Dafür spricht, dass nur auf ihrer Grundlage das zuständige Organ im Vollstreckungsstaat ermessen kann, ob eine vollstreckbare Entscheidung vorliegt, die die Voraussetzungen des Art 17 Abs 2 erfüllt. 9 10 11

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MünchKommFamFG/Lipp Art 14 Rn 1. Rauscher/Mankowski Art 47 Brüssel I-VO Rn 12; Hess/Hub IPRax 2003, 93, 97. Jenard-Bericht zu Art 39 EuGVÜ; Schlosser-Bericht zum EuGVÜ Rn 221; MünchKommZPO/Gottwald Art 47 Brüssel I-VO Rn 8; Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art 47 Brüssel I-VO Rn 9; Kropholler/von Hein Art 47 Brüssel I-VO Rn 12; Rauscher/Mankowski Art 47 Brüssel I-VO Rn 12a; für die EG-UntVO Hausmann, IntEuSchR K Rn 63. Hausmann, IntEuSchR K Rn 64. Geimer/Schütze/Hilbig Rn 13; aA Gebauer/Wiedemann/Bittmann Kap 36 Rn 90. Wie hier Hausmann, IntEuSchR K Rn 65; aA MünchKommFamFG/Lipp Rn 5; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 13; Kindl/Meller-Hannich/Wolf /Garber Rn 5. Ebenso Geimer/Schütze/Hilbig Rn 14; MünchKommFamFG/Lipp Rn 6 f. Ebenso Geimer/Schütze/Hilbig Rn 15; MünchKommFamFG/Lipp Rn 8.

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Die Maßnahme darf nicht über eine Sicherung hinausgehen und nicht bereits zur Vollstreckung selbst führen. Das Wahlrecht unter mehreren zur Verfügung stehenden Sicherungsrechten liegt beim Gläubiger, auch wenn dies im nationalen Recht dem Ermessen der zuständigen Behörde überlassen ist.17 Ungeachtet der nationalen Bestimmungen ist anders als bei einer endgültigen Vollstreckung 7 keine vorherige Zustellung der zu vollstreckenden Entscheidung an den Schuldner erforderlich.18 Der Grund hierfür liegt darin, dass der mögliche Überraschungseffekt bei Sicherungsmaßnahmen nach europäischem Vollstreckungsrecht gewollt ist.19 Die Befugnis zur Sicherungsvollstreckung folgt unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht, welches deshalb die Voraussetzungen abschließend vorgibt.20 Gegen das Erfordernis der Zustellung der Entscheidung vor der Sicherungsvollstreckung sprechen zudem die Art 36 Abs 2 und 31 Abs 2, die den Art 47 Abs 2 und 42 Abs 2 Brüssel I-VO entsprechen. Danach ist spätestens mit Zustellung der Vollstreckbarerklärung, soweit noch nicht bereits geschehen, auch die Entscheidung dem Schuldner zuzustellen. Sicherungsmaßnahmen nach Art 36 Abs 2 (Art 47 Abs 2 Brüssel I-VO) können aber bereits vor diesem Zeitpunkt getroffen werden. Die Übernahme dieser Regelung in Art 18 spricht dafür, dass der europäische Gesetzgeber daran auch für Unterhaltstitel, die der Vollstreckung nach Abschnitt 1 unterliegen, nichts ändern wollte. Begrüßenswert wäre eine Klarstellung gewesen. Die Realisierung der beantragten und im nationalen Recht vorgesehenen Sicherungsmaßnahme kann an keine weiteren Voraussetzungen gebunden werden (wie zB Dringlichkeit oder Gefahr im Verzug), auch wenn das nationale Recht dies vorsieht.21 IV. Dauer Sicherungsmaßnahmen bleiben bestehen, bis sie aufgrund eines Rechtsbehelfs des Vollstre- 8 ckungsschuldners oder auf Veranlassung des Vollstreckungsgläubigers aufgehoben, sie infolge des weiteren Betreibens des Gläubigers in die endgültige Vollstreckungsphase übergeleitet werden oder die Vollstreckung endgültig eingestellt wird. Darüber hinaus kann sich ihr Ende aus nationalen Vorschriften ergeben, die aus der Spezifik der Sicherungsmaßnahme resultiert. Als Beispiel sei hier die Vorpfändung nach deutschem Recht genannt (§ 845 ZPO). 17

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Anders nach Art 47 Brüssel I-VO, danach ist hierfür das Recht des Vollstreckungsstaates maßgebend; hierzu Schlosser-Bericht zum EuGVÜ Rn 221. Ebenso MünchKommFamFG/Lipp Rn 9 ff; aA Geimer/Schütze/Hilbig Rn 18 (bestimme sich nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates; offenbar, weil sie auch erkenntnisverfahrensrechtliche Sicherungsmaßnahmen des Vollstreckungsmitgliedstaates unter Art 18 subsumiert). So bereits zur Brüssel I-VO Kropholler/von Hein Art 47 Brüssel I-VO Rn 13; MünchKommZPO/Gottwald Art 47 Brüssel I-VO Rn 7; LG Stuttgart v 28.3.1988 – 2 T 1001/87, IPRax 1989, 41 = RIW 1988, 563, 564 = NJW-RR 1988, 1344; LG Bonn RIW 2003, 388, 389; für die EG-UntVO Hausmann, IntEuSchR K Rn 60. Für die Brüssel I-VO Kropholler/von Hein Art 47 Brüssel I-VO Rn 9; Gebauer/Wiedmann/Gebauer Kap 27 Rn 231; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 47 Brüssel I-VO Rn 3 (der allerdings in Rn 5 dennoch die Zustellung der Entscheidung fordert). EuGH Rs C-119/84 CapPeloni/Pelkmans EuGHE 1985, 3147; Jenard-Bericht zu Art 39 Abs 2 EuGVÜ; Kropholler/von Hein Art 47 Brüssel I-VO Rn 9; Rauscher/Mankowski Art 47 Brüssel I-VO Rn 12 ff; ebenso für die EG-UntVO MünchKommFamFG/Lipp Rn 9; aA Geimer/Schütze/Hilbig Rn 18.

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V. Rechtsbehelfe des Schuldners 9 Die Zulässigkeit der Sicherungsmaßnahme ist an die Existenz einer vollstreckbaren Ent-

scheidung gebunden. Die Sicherungsmaßnahme ist deshalb aufgrund des hierfür im nationalen Recht vorgesehenen Rechtsbehelfs aufzuheben, wenn die Entscheidung im Ursprungsstaat selbst aufgehoben oder ihr dort die Vollstreckbarkeit genommen wird. Im deutschen Recht finden die §§ 31-33 AUG entsprechend Anwendung.22 10 Hat der Titelschuldner mit Rechtsbehelfen nach Art 21 Abs 1 oder 2 im Vollstreckungsstaat

Erfolg, zB im deutschen Recht bei einer Erinnerung gemäß § 766 ZPO in Bezug auf Pfändungsfreigrenzen, aufgrund einer Vollstreckungsabwehrklage oder wegen des Einwandes der Vollstreckungsverjährung, so sind die Sicherungsmaßnahmen aufzuheben oder ausgeschlossen. Ist nur ein Teil der titulierten Forderung betroffen, so ist die Sicherungsmaßnahme teilweise aufzuheben. Die Vollstreckungsversagungs oder Aussetzungsgründe nach Art 21 Abs 2 und 3 können vor dem Vollstreckungsgericht im Vollstreckungsstaat auch gegen die Sicherungsmaßnahme in dem dort vorgesehenen Verfahren selbst eingewandt werden.23 Besteht ein Ermessen hinsichtlich der Aussetzung der Vollstreckung, so trifft dies auch hinsichtlich der Sicherungsmaßnahme zu. Wird folglich ein Antrag gemäß Art 19 im Ursprungsmitgliedstaat gestellt und entscheidet sich das zuständige Gericht/die zuständige Behörde im Vollstreckungsstaat für die Aussetzung des Verfahrens nach Art 21 Abs 3 UAbs 1 so ist die Aufrechterhaltung der Sicherungsmaßnahmen bzw die Beschränkung einer Vollstreckung auf Sicherungsmaßnahmen angebracht. Die zuständige Behörde hat bei ihrer Ermessensentscheidung die Interessen beider beteiligter Parteien zu berücksichtigen. Solange die Entscheidung des zuständigen Gerichts des Ursprungsmitgliedstaates gemäß Art 19 aussteht, hat der Gläubiger ein berechtigtes Interesse an den die endgültige Vollstreckung sichernden Maßnahmen. 11 In den §§ 49 ff AUG sind Regelungen vorgesehen, die sich auf Sicherungsmaßregelungen im

Zusammenhang mit dem Erfordernis der Vollstreckbarerklärung nach Kapitel IV Abschnitt 2 beziehen und der Umsetzung von Artikel 36 dienen. Diese können entsprechend herangezogen werden, wenn eine Sicherungsmaßnahme in Anwendung des Art 18 ergeht.24 Dem Titelschuldner stehen im Übrigen die allgemeinen Rechtsbehelfe des einzelstaatlichen Rechts bezogen auf die konkrete Maßnahme zur Verfügung: Soweit es sich um eine Sicherungsmaßnahme des Zwangsvollstreckungsrechts handelt, ist danach grundsätzlich die Erinnerung an das Vollstreckungsgericht nach § 766 ZPO eröffnet, sofern keine nach § 793 ZPO anzufechtende Entscheidung des Gerichts vorliegt.25 Beim Arrest kommt insoweit § 924 f ZPO zur Anwendung, während eine einstweilige Sicherungsmaßnahme nach § 49 ff FamFG nicht angefochten werden kann, siehe § 57 Abs 1 FamFG.

Artikel 19: Recht auf Nachprüfung (1) Ein Antragsgegner, der sich im Ursprungsmitgliedstaat nicht auf das Verfahren eingelassen hat, 22 23 24 25

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MünchKommFamFG/Lipp Rn 14. Geimer/Schütze/Hilbig Rn 16; MünchKommFamFG/Lipp Rn 18. MünchKommFamFG/Lipp Rn 12. MünchKommFamFG/Lipp Rn 16.

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hat das Recht, eine Nachprüfung der Entscheidung durch das zuständige Gericht dieses Mitgliedstaats zu beantragen, wenn a) ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, oder b) er aufgrund höherer Gewalt oder aufgrund außergewöhnlicher Umstände ohne eigenes Verschulden nicht in der Lage gewesen ist, Einspruch gegen die Unterhaltsforderung zu erheben, es sei denn, er hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte. (2) Die Frist für den Antrag auf Nachprüfung der Entscheidung beginnt mit dem Tag, an dem der Antragsgegner vom Inhalt der Entscheidung tatsächlich Kenntnis genommen hat und in der Lage war, entsprechend tätig zu werden, spätestens aber mit dem Tag der ersten Vollstreckungsmaßnahme, die zur Folge hatte, dass die Vermögensgegenstände des Antragsgegners ganz oder teilweise dessen Verfügung entzogen wurden. Der Antragsgegner wird unverzüglich tätig, in jedem Fall aber innerhalb einer Frist von 45 Tagen. Eine Verlängerung dieser Frist wegen weiter Entfernung ist ausgeschlossen. (3) Weist das Gericht den Antrag auf Nachprüfung nach Absatz 1 mit der Begründung zurück, dass keine der Voraussetzungen für eine Nachprüfung nach jenem Absatz erfüllt ist, bleibt die Entscheidung in Kraft. Entscheidet das Gericht, dass eine Nachprüfung aus einem der in Absatz 1 genannten Gründe gerechtfertigt ist, so wird die Entscheidung für nichtig erklärt. Die berechtigte Person verliert jedoch nicht die Vorteile, die sich aus der Unterbrechung der Verjährungs- oder Ausschlussfristen ergeben, noch das Recht, im ursprünglichen Verfahren möglicherweise zuerkannte Unterhaltsansprüche rückwirkend geltend zu machen. I. II.

III.

Regelungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1. Autonomer Rechtsbehelf . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2. Kein grenzüberschreitender Bezug . . . . . . 7 3. Nationale Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Voraussetzungen 1. Formelle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . 9 a) Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 b) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 c) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 d) Sonstige Verfahrensvorschriften . . . . . . . 14

2. Nichteinlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 3. Rechtsbehelfsmöglichkeit wahrgenommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 4. Nachprüfungsgründe a) Verletzung rechtlichen Gehörs (lit a) 17 b) Höhere Gewalt oder außergewöhnliche Umstände (lit b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 5. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 6. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

I. Regelungszweck Art 19 stellt dem Unterhaltsverpflichteten einen Rechtsbehelf zur Verfügung, in dem er 1 geltend machen kann, dass ihm im Erkenntnisverfahren kein rechtliches Gehör gewährt wurde. Geschützt wird das Interesse des Schuldners an einem fairen Verfahren.1 Darüber hinaus verfolgt die Vorschrift auch eine Harmonisierungsfunktion, da das Recht 2 auf Nachprüfung auch bei reinen Inlandsfällen gegeben ist. 1

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II. Einordnung 3 Die EG-UntVO sieht wie die anderen gemeinschaftsrechtlichen Regelungen eine doppelte

Prüfung des rechtlichen Gehörs vor. Zunächst erfolgt eine Prüfung im Rahmen des Erkenntnisverfahrens durch das Ursprungsgericht, wenn der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Staat hat (Art 11 EG-UntVO). Anschließend kann auf Antrag eine nochmalige Prüfung im Zusammenhang mit der Anerkennung und Vollstreckung begehrt werden. 4 Die EG-Verordnungen, die grenzüberschreitende Vollstreckung zum Gegenstand haben,

unterscheiden sich erheblich hinsichtlich der nochmaligen Überprüfung der Gewährung des rechtlichen Gehörs im verfahrenseinleitenden Stadium. Als besondere Ausformung des ordre public-Vorbehaltes sieht die Brüssel I-VO die nochmalige Überprüfung der Gewährung des rechtlichen Gehörs im Vollstreckungsmitgliedstaat vor, wenn der Schuldner einen Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung einlegt (Art 34 Nr 2 Brüssel I-VO). Mit der Abschaffung des Zwischenverfahrens in der EG-VollstrTitelVO, der EG-BagatellVO und der EG-MahnVO wird diese nochmalige Überprüfung in den Ursprungsmitgliedstaat verlagert und damit zur Voraussetzung für die Ausstellung der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel bzw als Europäischer Zahlungsbefehl durch das Ursprungsgericht gemacht, Art 12 EG-VollstrTitelVO, Art 20 Abs 2 EG-BagatellVO, Art 12 Abs 5 EG-MahnVO.2 Dies wurde in den drei vorgenannten Verordnungen dadurch begleitet, dass verfahrensrechtliche Mindestanforderungen an die Zustellung und den Inhalt des verfahrenseinleitenden Schriftstücks sowie an die Belehrung hinsichtlich seiner Verteidigungsrechte geschaffen wurden. Die EG-VollstrTitelVO erleichtert dem Richter die Überprüfung der Gewährung rechtlichen Gehörs dahingehend, dass sie unwiderlegbare Vermutungen aufstellt. Immer dann, wenn die in den Art 13-17 EG-VollstrTitelVO kodifizierten Mindestanforderungen erfüllt sind, dann ist davon auszugehen, dass dem Schuldner eine hinreichende Verteidigungsmöglichkeit zur Verfügung stand.3 5 Kapitel IV Abschnitt 1 sieht, anders als die vorgenannten Verordnungen, keine Mindest-

anforderungen vor, die das rechtliche Gehör im verfahrenseinleitenden Stadium sichern, auch gibt es keine einheitlichen verfahrensrechtlichen Regelungen. Die diesbezüglichen Bestimmungen des EG-UntVO-E (Artt 22 ff) wurden in die Verordnung nicht übernommen. Hiervon wurde abgesehen, weil diesbezüglich keine Einigung im Rat zu erzielen war.4 Zum Entwurf hieß es noch, dass eine Harmonisierung in gewissem Umfang mit der Abschaffung des Exequaturverfahrens zwingend einhergehen müsse.5 Ebenso betrachtete die Literatur eine Harmonisierung oder zumindest Mindeststandards für erforderlich.6 Statt2

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Gemäß Art 12 EG-VollstrTitelVO hat das Gericht vor der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel zu prüfen, ob die folgenden Verfahrensvorschriften eingehalten wurden. Bei der EG-BagatellVO wird gem Art 20 Abs 2, vom Erstgericht auf dem Formular bestätigt, dass der Titel in Übereinstimmung mit den Verfahrensvorschriften der EG-BagatellVO ergangen ist. Darin wird ua über Art 13 Abs 2 EGBagatellVO auch auf die Mindestanforderungen der EG-VollstrTitelVO an die Zustellung verwiesen. Bei der EG-MahnVO prüft das Erlassgericht vor der Ausstellung, ob der Zahlungsbefehl gemäß den Mindestvorschriften Artt 13 ff zugestellt wurde, vgl Art 12 Abs 5 EG-MahnVO. Ebenso MünchKommFamFG/Lipp Rn 1 f. Wagner NJW 2005, 1157, 1159; ErwGr 12 EG-VollstrTitelVO. Beyer FF 2007, 20, 26.

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dessen soll Art 19 die Nachprüfung rechtlichen Gehörs garantieren und dadurch die Abschaffung des Exequaturverfahrens ermöglichen.7 1. Autonomer Rechtsbehelf Art 19 ist ein autonomer Rechtsbehelf, mit dem der Antragsgegner geltend machen kann, 6 dass ihm im verfahrenseinleitenden Stadium kein hinreichendes rechtliches Gehör gewährt wurde und außerdem dass außerordentliche Umstände vorlagen, die ihn daran hinderten, Einspruch gegen die Unterhaltsforderung zu erheben. Positiv ist hervorzuheben, dass damit auch Fälle abgedeckt werden können, in denen sich der Verpflichtete aus objektiven nicht voraussehbaren Gründen nicht verteidigen konnte, obwohl die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks ordnungsgemäß erfolgte. Damit sind zwar nicht alle Fälle des verfahrensrechtlichen ordre public abgedeckt. Die Generalklausel ermöglicht jedenfalls, auch andere Fälle des tatsächlich fehlenden rechtlichen Gehörs bei Verfahrenseinleitung mit einzubeziehen. Problematisch ist dieser Rechtsbehelf wie bei der EG-VollstrTitelVO dann, wenn er vor demselben Gericht eingelegt werden muss, das auch im Hauptsacheverfahren entschieden hat, denn dieses hat im Rahmen einer eigenen Selbstkontorolle auch zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art 19 überhaupt vorliegen.8 Der Rechtsbehelf kann gegen alle Unterhaltsentscheidungen im Sinne von Art 2 Abs 1 Nr 1 6a eingelegt werden, so auch gegen eine den Unterhaltsanspruch ablehnende Entscheidung.9 2. Kein grenzüberschreitender Bezug Der Rechtsbehelf steht nicht erst zur Verfügung, wenn der Gläubiger in einem anderen 7 Mitgliedstaat als dem Entscheidungsstaat die Vollstreckung beantragt hat.10 Dies ergibt sich daraus, dass die Einlegung des Rechtsbehelfs befristet ist und die Frist ab Kenntnis von der Entscheidung läuft, ungeachtet etwaiger Vollstreckungsmaßnahmen. Daraus folgt, dass hier der europäische Gesetzgeber für familienrechtliche Unterhaltssachen einen einheitlichen Rechtsbehelf in den Mitgliedstaaten geschaffen hat. Weder muss die Unterhaltssache einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen noch die Vollstreckung im Ausland bevorstehen. 3. Nationale Rechtsbehelfe Daneben stehen dem Schuldner auch Rechtsbehelfe des nationalen Rechts des Ursprungs- 8 mitgliedstaates weiterhin zur Verfügung, solange diese nicht mit Art 19 unvereinbar sind.11 Gegen ein Versäumnisurteil steht dem Verpflichteten zB im deutschen Recht ein Einspruch 5

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Europäische Kommission, 12.5.2006, KOM (2006) 206 S 6 f; vgl auch Europäische Kommission, 15.12. 2005, KOM (2005) 649 ErwGr 18. Linke FPR 2006, 237, 238 f; Beyer FF 2007, 20, 26; Sujecki ZEuP 2008, 458, 476. Heger in: Coester-Waltjen, EuUR, 5, 12. MünchKommFamFG/Lipp Rn 11; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 14. MünchKommFamFG/Lipp Rn 4; Prütting/Helms/Hau Anh 3 zu § 110 FamFG Rn 96. Wie hier: MünchKommFamFG/Lipp Rn 5; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 11. Kritisch zur Regelungskompetenz daher Gsell/Netzer IPRax 2010, 403, 406. ErwGr 29; MünchKommFamFG/Lipp Rn 1, 7; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 58; Gebauer/Wiedmann/Bittmann Kap 36 Rn 92; Conti S 173.

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nach den § 113 Abs 1 FamFG, §§ 338 ff ZPO zu.12 Darüber hinaus sind die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand (§§ 230 ff, 233 ZPO), die Wiederaufnahme bei Nichtigkeits- und Restitutionsantrag (§ 48 Abs 2 FamFG iVm §§ 578 ff ZPO) sowie die Gehörsrüge (§ 321a ZPO) einschlägig. III. Voraussetzungen 1. Formelle Voraussetzungen a) Antrag 9 Die Nachprüfung erfolgt auf Antrag im Ursprungsstaat. Im Vollstreckungsstaat wird von

der zuständigen Vollstreckungsbehörde nicht geprüft, ob dem Vollstreckungsschuldner im Verfahren vor dem Ursprungsgericht hinreichend rechtliches Gehör gewährt wurde. Hat jedoch der Schuldner im Ursprungsstaat den Rechtsbehelf nach Art 19 eingelegt, so kann er im Vollstreckungsstaat einen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung nach Art 21 Abs 3 UAbs 1 stellen.13 Für die Überprüfung durch ein Gericht des Ursprungsmitgliedstaates spricht, dass dieses dem Verfahren näher steht und besser vertraut ist mit den nationalen Verfahrensvorschriften. Außerdem entspricht dies dem Grundsatz der ipso iure Anerkennung der ausländischen Entscheidung, ohne dass Anerkennungsversagungsgründe bestehen. 10 Antragsberechtigt ist der Antragsgegner im Erkenntnisverfahren. In Betracht kommt auch

der Antragsgegner eines negativen Feststellungsbeschlusses oder eines Änderungsantrags.14 b) Zuständigkeit 11 Der Antrag auf Nachprüfung ist bei dem zuständigen Gericht des Ursprungsmitgliedstaates

einzureichen. Um welches Gericht es sich dabei handelt, ist von den Mitgliedstaaten gemäß Art 71 Abs 1 lit c mitzuteilen. Für Entscheidungen aus Deutschland ist gemäß § 70 Abs 1 AUG das Gericht zuständig, das die Entscheidung erlassen hat. c) Frist 12 Die Frist innerhalb derer der Nachprüfungsantrag einzulegen ist, beträgt höchstens 45 Tage.

Sie beginnt, wenn der Antragsgegner tatsächlich Kenntnis vom Inhalt der Entscheidung erlangt und er (zB nach Krankheit) in der Lage ist, den Antrag auf Nachprüfung zu stellen.15 Es kommt daher insoweit nicht auf den Zeitpunkt der Zustellung an. Die Frist beginnt jedoch spätestens an dem Tage, an welchem dem Schuldner Vermögensgegenstände zum Zwecke der Vollstreckung zum ersten Mal entzogen werden.16 Die Frist ist einheitlich, es wird anders als nach Art 43 Abs 5 Brüssel I-VO nicht unterschieden, ob der Vollstreckungsschuldner im In- oder Ausland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Eine Fristverlängerung wegen größerer Entfernung wird durch Abs 2 S 3 ausdrücklich ausgeschlossen.

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BT-Drs 17/4887, 49. Siehe auch Rn 22. Prütting/Helms/Hau Anh 3 zu § 110 FamFG Rn 96; MünchKommFamFG/Lipp Rn 10. Zur Fristberechnung ist die Verordnung (EWG, Euratom) Nr 1182/71 heranzuziehen, vgl ErwGr 41. Vgl ErwGr 29.

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Der Antrag muss jedoch innerhalb dieser Frist „unverzüglich“ eingereicht werden. Der 12a Begriff ist autonom auszulegen. Eine Orientierung an § 121 BGB (ohne schuldhaftes Zögern) wird in Betracht gezogen.17 Eine starre Übertragung verbietet sich jedoch. Wegen der herausragenden Bedeutung des Art 19, der das hinreichende rechtliche Gehör des Schuldners sicherstellen soll, ist eine strenge Auslegung abzulehnen. In jedem Fall ist zu beachten, dass auch bei der Auslegung des Begriffs im deutschen Recht eine Orientierung an zwei Wochen nur erfolgt, wenn keine besonderen Umstände vorliegen.18 Zu Recht wird auch erwogen, mit Blick auf die Staffelung 30 bzw 45 Tage nach dem Wohnsitz (gewöhnlicher Aufenthalt) im Rahmen der Brüssel I-VO des Schuldners zu differenzieren.19 In der Praxis dürfte die Kombination der beiden Fristen (45 Tage und unverzüglich) Schwierigkeiten bereiten. Im Zweifelsfall sollte davon ausgegangen werden, dass die Frist gewahrt ist, wenn innerhalb der 45 Tage der Rechtsbehelf eingelegt wird. Der Beginn der Vollstreckung ist keine Voraussetzung für die Einlegung des Rechtsbehelfs 13 gemäß Art 19. Dieser Schluss lässt sich aus der Fristbestimmung in Abs 2 ziehen. Will der Schuldner nicht auf die Überprüfung verzichten, so muss er die Verletzung rechtlichen Gehörs im Ursprungsmitgliedstaat rügen, auch wenn noch keine Anzeichen für eine Vollstreckung im Ausland bestehen, weil für den Fristbeginn allein auf die Kenntnis von der Entscheidung abgestellt wird. Infolgedessen kann dem Schuldner dieser Rechtsschutz nicht mit dem Argument verwehrt werden, es handele sich um einen reinen Inlandsfall. d) Sonstige Verfahrensvorschriften Die zur Durchführung im jeweiligen Mitgliedstaat erforderlichen Angaben sind von den 14 Mitgliedstaaten gemäß Art 71 Abs 1 lit c zu bestimmen. Dazu zählen die Einzelheiten des Nachprüfungsverfahrens, dessen weitere Ausgestaltung den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, sowie das für das Verfahren zuständige Gericht. Die Ausgestaltung im deutschen Recht erfolgt durch § 70 AUG. Dieser orientiert sich an den Vorschriften des Versäumnisverfahrens.20 Mitteilungen der Mitgliedstaaten können im Europäischen Gerichtsatlas für Zivilsachen auf der Internetseite der Europäischen Kommission abgerufen werden.21 2. Nichteinlassung Ob dem Schuldner hinreichend rechtliches Gehör gewährt wurde oder er aufgrund höherer 15 Gewalt bzw außergewöhnlicher Umstände nicht in der Lage war, sich zu verteidigen, kann nur nachgeprüft werden, wenn sich dieser im Ursprungsmitgliedstaat nicht auf das Verfahren eingelassen hat.22 Der Begriff der Nichteinlassung ist autonom auszulegen. Hierfür

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Geimer/Schütze/Hilbig Rn 17; MünchKommFamFG/Lipp Rn 13; Fasching/Konecny/Fucik Rn 6. OLG Oldenburg v 30.10.2003 – 8 U 136/03, NJW 2004, 168, 169. Geimer/Schütze/Hilbig Rn 17. BT-Drs 17/4887, 49. http://ec.europa.eu/justice_home/judicialatlascivil/html/index_de.htm Unterhaltspflichten (Verordnung (EG) Nr 4/2009) – Mitteilungen der Mitgliedstaaten bzw Dokumente – Mitteilungen der Mitgliedstaaten – Konsolidierte Fassung. Vgl hierzu Art 11 Rn 5.

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Art 19 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

kann die Auslegung zu Art 11 Abs 123 sowie Artt 34 Nr 2 Brüssel I-VO, 22 Nr 2 Brüssel IIa-VO herangezogen werden. Einlassung ist danach jedes Verhandeln aus dem sich ergibt, dass der Antragssteller „von dem gegen ihn eingeleitenden Verfahren Kenntnis erlangt hat und die Möglichkeit der Verteidigung gegen den Angriff des Klägers erhalten hat.“24 Sie ist jedoch nicht schon dann gegeben, wenn der Schuldner allein die Zuständigkeit des Gerichts25 oder die fehlerhafte oder nicht rechtzeitige Zustellung rügt.26 3. Rechtsbehelfsmöglichkeit wahrgenommen 16 Der Rechtsbehelf gemäß Art 19 ist ausgeschlossen, wenn der Antragsgegner nicht den im

nationalen Recht des Ursprungsmitgliedstaats vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung eingelegt hat, Art 19 Abs 1 aE.27 Er wird danach ausgeschlossen, wenn a) das nationale Recht einen Rechtsbehelf vorsieht, mit dem Einspruch gegen die Entscheidung wegen der in Abs 1 genannten Gründen erhoben werden kann, er b) die tatsächliche Möglichkeit hatte diesen einzulegen und c) diese Möglichkeit nicht wahrgenommen hat. In der deutschen Rechtspraxis wird deshalb ein Antrag nach Art 19 Abs 1 bei Säumnisentscheidungen regelmäßig keinen Erfolg haben, da die Bestimmungen der ZPO zum Schutz des säumigen Antragsgegners einen gleichwertigen Schutz bieten. Nur wenn der Antragsgegner von den nationalen Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln28 unverschuldet keinen Gebrauch gemacht hat, kann der Antrag nach Art 19 Abs 1 weiterhelfen.29 4. Nachprüfungsgründe a) Verletzung rechtlichen Gehörs (lit a) 17 Der Rechtsbehelfsgrund ist in Art 34 Nr 2 Brüssel I-VO und in Art 22 Nr 2 Brüssel IIa-VO

als Anerkennungshindernis geregelt. Ihm ist für die Verordnung derselbe Inhalt beizumessen, deshalb kann die dortige Auslegung hierzu herangezogen werden. Die Regelungen stimmen darin überein, dass die nicht rechtzeitige Zustellung einen Versagungsgrund darstellt. Der Tatbestand ist dann erfüllt, wenn dem Antragsgegner innerhalb der ihm zur Verfügung stehenden Frist nach Zustellung nicht genügend Zeit zur Vorbereitung einer sachgerechten Beteiligung am Verfahren blieb.30 Hierzu sind die Umstände des Einzelfalls – wie Erforderlichkeit einer Übersetzung und Zeit für die Kontaktaufnahme zu einem spezialisierten Anwalt – abzuwägen.31 Der Zeitraum beginnt grundsätzlich erst zu laufen, wenn der Adressat von dem zugestellten Schriftstück Kenntnis nehmen konnte. 23 24

25 26 27 28 29

30

632

Art 11 Rn 5. EuGH Rs C-39/02 Mærsk Olie & Gas/de Haan en de Boer EuGHE 2004 I 9657 Rn 77; Kropholler/von Hein Art 34 Brüssel I-VO Rn 27. EuGH Rs 39/02 Mærsk Olie & Gas/de Haan en de Boer EuGHE 2004 I 9657 Rn 57. OLG Stuttgart IPRspr 1983 Nr 173; OLG Köln v 8.12.1989 – 2 W 118/89, IPRax 1991, 114. Vgl die gleich lautende Regelung in Art 34 Nr 2 Brüssel I-VO im Gegensatz zu Art 27 Nr 2 EuGVÜ. Hierzu Rn 8. BT-Drs 17/4887, 49. Ebenso: Geimer/Schütze/Hilbig Rn 44 (nachgelagert); MünchKommFamFG/Lipp Rn 23 (subsidiär). Ua EuGH Rs C-39/02 Maersk/de Boer EuGHE 2004 I 09657 Rn 61; Kropholler/von Hein Art 34 Brüssel I-VO Rn 35.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 19 EG-UntVO

Nicht notwendig ist, dass der Antragsgegner rechtzeitig tatsächlich von dem verfahrenseinleitenden Schriftstück Kenntnis genommen hat. Im Allgemeinen beginnt die Frist mit einer ordnungsgemäßen Zustellung, jedoch können außergewöhnliche Umstände vorliegen, dass die Zustellung, obgleich sie ordnungsgemäß erfolgt ist, nicht genügte, um dem Antragsgegner ausreichend Zeit zur Verteidigung zu geben.32 Auch hier bedarf es einer Einzelfallbewertung der Umstände, wie Art und Weise der Zustellung, der Beziehungen zwischen Antragsgegner und dem Antragsteller und die erforderlichen Maßnahmen zur Verteidigung.33 Ein weiterer Versagungsgrund betrifft Mängel in der Art und Weise der Zustellung. For- 18 male Zustellungsmängel, welche die Verteidigung nicht hindern, führen nicht zur Ablehnung der Anerkennung.34 Vielmehr sind Zustellungsmängel darauf zu prüfen, ob sie so schwerwiegend sind, dass durch sie die Verteidigungsmöglichkeit der Gegenseite eingeschränkt wurde. Dabei sind beide Kriterien – Nichtrechtzeitigkeit und Art und Weise der Zustellung – in ihrem Zusammenwirken auf die Verteidigungsmöglichkeit zu werten. So kann eine fehlerhafte Zustellung bezüglich der Sprache durch Einlassungsfristen kompensiert werden, die die Einholung einer Übersetzung ohne Weiteres ermöglichen.35 Schwerwiegende Zustellungsmängel (zB Zustellung an einen ehemaligen Wohnsitz) sind regelmäßig ein starkes Indiz dafür, dass dem Schuldner bei der Verfahrenseinleitung im Ursprungsmitgliedstaat kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt wurde.36 b) Höhere Gewalt oder außergewöhnliche Umstände (lit b) Es handelt sich um eine Generalklausel, wonach eine Nachprüfung der ursprünglichen 19 Entscheidung gerechtfertigt ist, wenn die fehlende Verteidigungsmöglichkeit auf höhere Gewalt oder außergewöhnliche Umstände zurückzuführen ist.37 Die Verordnung enthält keine präzisierenden Kriterien. Die Begriffe sind unter autonomen Gesichtspunkten zu bestimmen. Der Tatbestand ermöglicht es, Umstände zu berücksichtigen, die nach der Zustellung eingetreten sind und die der Antragsgegner nicht zu vertreten hat. Fälle höherer Gewalt sind solche, die völlig außerhalb des Einflussbereichs des Antragsgegners liegen, zB wenn er wegen eines Naturereignisses gehindert ist, zum Termin zu erscheinen und eine Vertretung nicht mehr zu organisieren war. Außergewöhnliche Umstände können durchaus im Machtbereich des Antragsgegners liegen, wie zB schwere Krankheit. Im Gegensatz zu lit a wird in lit b verlangt, dass den Antragsgegner kein Verschulden an den 31

32

33 34

35 36 37

Ua OLG Hamm v 3.8.1987 – 20 W 24/87, IPRax 1988, 289, 271 Anm Geimer; OLG Hamm IPRax 2004, 258; Kropholler/von Hein Art 34 Brüssel I-VO Rn 35 mwN. EuGH Rs C-166/80 Klomps/Michel EuGHE 1981 I 1593; hierzu Kropholler/von Hein Art 34 Brüssel I-VO Rn 39. EuGH Rs C-166/80 Klomps/Michel EuGHE 1981 I 1593. Hierzu Europäische Kommission, 14.7.1999, KOM (1999) 348, 25; hierzu auch Kropholler/von Hein Art 34 Brüssel I-VO Rn 39, 40. Vgl NK-BGB/Andrae Anh I zum III. Abschnitt EGBGB, Art 22 Brüssel IIa-VO Rn 11 mwN. BGH v 12.12.2007 – XII ZB 240/05, FamRZ 2008, 586. Vgl zur entsprechenden Auslegung die Art 20 Abs 1 EG-MahnVO sowie Art 18 Abs 1 EG-BagatellVO. Vgl ebenso Art 19 Abs 1 lit b EG-VollstrTitelVO; Kropholler/von Hein Art 19 EG-VollstrTitelVO Rn 8; Rauscher/Pabst Art 19 EG-VollstrTitelVO Rn 11 (jedoch mit der Besonderheit, dass dort ein nationaler Rechtsbehelf vorausgesetzt wird, hierzu MünchKommFamFG/Lipp Rn 21).

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Art 19 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

außergewöhnlichen Umständen trifft.38 An sich ist eine autonome Auslegung des Begriffs des Verschuldens angebracht. Bis sich diese herausgebildet hat, ist eine Orientierung am Verschuldensmaßstab bei der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gemäß § 233 ZPO hilfreich.39 5. Beweislast 20 Die Beweislast trägt für beide Nachprüfungsgründe der Schuldner. Dies folgt zum einen

daraus, dass nach den allgemeinen Beweislastregeln jede Partei die für sie günstigen Tatsachen vorzutragen und zu beweisen hat. Darüber hinaus zeigt der Blick auf den Entwurf, dass der europäische Gesetzgeber ganz bewusst die Beweislast in dieser Weise verteilt hat. Nach Art 24 Abs 1 lit a EG-UntVO-E40 war die Beweislast noch umgekehrt. Es genügte, dass nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann, ob der Antragsgegner das verfahrenseinleitende Schriftstück erhalten hat. Die Umformulierung lässt den Rückschluss auf die Geltung der allgemeinen Regelung zu. Liegt keine öffentliche Zustellung vor und ist die Zustellung an den Antragsgegner erfolgt, hat er zur Klärung der Frage, wann sie erfolgt ist, die Zustellungsurkunde vorzulegen.41 6. Rechtsfolgen 21 In Deutschland entscheidet gemäß § 70 Abs 2 AUG über den Antrag nach Abs 1 das Gericht

ggf ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss. Ist der Antrag nicht fristgerecht oder unbegründet, so bleibt die Entscheidung in Kraft, Art 19 Abs 3 UAbs 1. Anderenfalls erklärt das Gericht die angegriffene Entscheidung für nichtig, Art 19 Abs 3 UAbs 2 S 1. Hieraus könnte gefolgert werden, dass das ursprüngliche Verfahren nicht fortgesetzt wird, wie bei einer Wiederaufnahme des Verfahrens, sondern ein erneuter Antrag seitens des Antragstellers einzureichen wäre.42 Folgerichtig sieht S 2, eine Unterbrechung von Verjährungs- und Ausschlussfristen für die Zeit des ursprünglichen Verfahrens bis zum Abschluss des Verfahrens nach Art 19 vor. Zudem stellt S 2 klar, dass die im ursprünglichen Verfahren begehrten Unterhaltsleistungen rückwirkend erneut geltend gemacht werden können. § 70 AUG weicht davon ab. Es wird auf die Vorschriften zum Versäumnisverfahren verwiesen. Das Verfahren wird danach fortgeführt, zurückversetzt in die Lage vor Eintritt der Säumnis. Hinzukommt, dass gemäß § 70 Abs 3 S 3 AUG die Zwangsvollstreckung lediglich auf Antrag des Schuldners ohne Sicherheitsleistung einzustellen ist. Diese Lösung überrascht angesichts dessen, dass Abs 3 UAbs 2 zufolge die Entscheidung für nichtig zu erklären ist43 und sie nach Abs 3 UAbs 1 nur in Kraft bleibt, wenn der Antrag verspätet oder unbegründet war. Sie wird mit der Verfahrensökonomie und dem Gleichlauf zu den deutschen Vorschriften begründet.44 38 39 40 41

42 43 44

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MünchKommFamFG/Lipp Rn 22. MünchKommFamFG/Lipp Rn 22; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 38. KOM (2005) 649. So auch zur Brüssel I-VO Schlosser Artt 34-36 Brüssel I-VO Rn 21. Wie hier: Geimer/Schütze/Hilbig Rn 39; Gebauer/Wiedemann/Bittmann Kap 36 Rn 97. Ebenso Conti S 173. Engl: „null and void“; frz: „nulle et non avenue“. Andrae NJW 2011, 2545, 2548.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 20 EG-UntVO

Ob die Lösung in § 70 AUG in Übereinstimmung mit der Verordnung steht, hängt davon ab, ob der Begriff Nichtigkeit unionsrechtlich autonom auszulegen oder ob er der lex fori überlassen ist. Für letzteres spricht, dass damit eine bessere Einpassung in das ansonsten Anwendung findende einzelstaatliche Verfahrensrecht ermöglicht wird.45 Dagegen ist jedoch anzuführen, dass es sich um einen autonomen Rechtsbehelf handelt und deshalb die Rechtsfolgen der erfolgreichen Einlegung einheitlich in den Mitgliedstaaten sein sollten.46 Für eine einheitliche Auslegung der Nichtigkeit sprechen die weiterhin in Abs 3 UAbs 2 S 2 festgelegten Rechtsfolgen. Mit dem Antrag nach Art 19 kann für die Zeit bis zu einer Entscheidung hierüber die 22 Aussetzung der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat beantragt werden.47 Wird dem stattgegeben, dann wird auf Antrag die Vollstreckung im Vollstreckungsstaat nach Art 21 Abs 3 UAbs 2 zwingend ausgesetzt. Stattdessen kann die aus dem Titel verpflichtete Person jedoch auch den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung im Vollstreckungsstaat nach Art 21 Abs 3 UAbs 1 stellen. Dabei handelt es sich dann um eine Ermessensentscheidung. Die zuständige Behörde hat die aus ihrer Sicht bestehende Begründetheit/ Nichtbegründetheit des Antrages zu berücksichtigen. Der Gläubiger seinerseits kann bei Aussetzung der Vollstreckung Sicherungsmaßnahmen nach Art 18 veranlassen, damit die Vollstreckungsgegenstände weiterhin zur Verfügung stehen. Im Umkehrschluss aus Art 21 Abs 3 UAbs 1 ergibt sich, dass die Vollstreckung selbst dann weiter betrieben werden kann, wenn ein Rechtsbehelf gemäß Art 19 eingelegt worden ist.48 Gegen die Entscheidung nach Art 19 sieht die VO keinen Rechtsbehelf vor. Hieraus ist zu 23 folgern, dass die Rechtsbehelfsmöglichkeit den Mitgliedstaaten überlassen bleibt.49

Artikel 20: Schriftstücke zum Zwecke der Vollstreckung (1) Für die Vollstreckung einer Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat legt der Antragsteller den zuständigen Vollstreckungsbehörden folgende Schriftstücke vor: a) eine Ausfertigung der Entscheidung, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, b) einen Auszug aus der Entscheidung, den die zuständige Behörde des Ursprungsmitgliedstaats unter Verwendung des in Anhang I vorgesehenen Formblatts erstellt hat; c) gegebenenfalls ein Schriftstück, aus dem die Höhe der Zahlungsrückstände und das Datum der Berechnung hervorgehen; d) gegebenenfalls ein Transskript oder eine Übersetzung des Inhalts des in Buchstabe b genannten Formblatts in die Amtssprache des Vollstreckungsmitgliedstaats oder – falls es in diesem Mitgliedstaat mehrere Amtssprachen gibt – nach Maßgabe des Rechts dieses Mit45

46

47 48 49

Für eine lex fori Auslegung BT-Drs 17/4887, 49; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 49 ff (kritisch aber im Ergebnis zustimmend). So wohl auch MünchKommFamFG/Lipp Rn 28, der jedoch meint, Nichtigkeit sei nicht iSd deutschen Verfahrensrechts zu verstehen, sondern lediglich das bisherige Verfahrensergebnis solle keinen Bestand haben. In Deutschland anlog § 707 ZPO. BT-Drs 17/4887, 49. Geimer/Schütze/Hilbig Rn 53; MünchKommFamFG/Lipp Rn 30; Gebauer/Wiedemann/Bittmann Kap 36 Rn 100.

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Art 20 EG-UntVO

gliedstaats in die Verfahrenssprache oder eine der Verfahrenssprachen des Ortes, an dem die Vollstreckung betrieben wird, oder in eine sonstige Sprache, für die der Vollstreckungsmitgliedstaat erklärt hat, dass er sie zulässt. Jeder Mitgliedstaat kann angeben, welche Amtssprache oder Amtssprachen der Organe der Europäischen Union er neben seiner oder seinen eigenen für das Ausfüllen des Formblatts zulässt. (2) Die zuständigen Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats können vom Antragsteller nicht verlangen, dass dieser eine Übersetzung der Entscheidung vorlegt. Eine Übersetzung kann jedoch verlangt werden, wenn die Vollstreckung der Entscheidung angefochten wird. (3) Eine Übersetzung aufgrund dieses Artikels ist von einer Person zu erstellen, die zur Anfertigung von Übersetzungen in einem der Mitgliedstaaten befugt ist. I. II. III.

IV.

Regelungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Vorzulegende Schriftstücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Übersetzungen 1. Übersetzung des Auszugs (Art 20 Abs 1 lit d) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2. Übersetzung der Entscheidung . . . . . . . . . . 9 3. Anforderungen an die Übersetzung . . . 10 Bestimmbarkeit bei indexierten Unterhaltstiteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

V.

Rechtsnachfolge und befristete und bedingte Leistungspflichten . . . . . . . . . . . . . . 13a VI. Zustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13c VII. Einzelheiten zum Formblatt . . . . . . . . . . . . . . 13d VIII. AUG 1. Deutscher formalisierter Auszug . . . . . . . 20 2. Ausländischer formalisierter Auszug 25

I. Regelungszweck 1 Die Bestimmung gilt für Entscheidungen, gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkun-

den. Um dem Gläubiger die Durchsetzung der Unterhaltsansprüche zu erleichtern, werden die Anforderungen an die vorzulegenden Urkunden und vor allem das Erfordernis ihrer Übersetzung reduziert.1 Das Vollstreckungsorgan ist bei seiner Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Vollstreckung des Titels nach Art 17 Abs 2 vorliegen, auf die nach Art 20 vorzulegenden Urkunden beschränkt.2 Zu prüfen ist also auf dieser Grundlage, ob es sich um einen vollstreckbaren Unterhaltstitel aus einem Familienverhältnis handelt, der in einem Mitgliedstaat ergangen oder errichtet worden ist. Der Mitgliedstaat muss dabei zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens, des Abschlusses des gerichtlichen Vergleichs oder der Errichtung der öffentlichen Urkunde an das HUntStProt 2007 gebunden gewesen sein. Richtig ist, dass auf Grund der sich aus Art 20 ergebenden Beschränkungen, vor allem hinsichtlich der Übersetzungen, die zuständige Stelle im Vollstreckungsstaat oft nicht zu einer solchen Prüfung in der Lage ist.3 Im Rechtsbehelfsverfahren entfällt diese Begrenzung, eine umfassende Prüfung wird möglich.4 II. Vorzulegende Schriftstücke 2 Da ein Zwischenverfahren nicht mehr erforderlich ist, kann der Gläubiger unmittelbar das

Vollstreckungsverfahren bei der zuständigen Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaates 1 2 3 4

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Vgl ErwGr 27. MünchKommFamFG/Lipp Rn 4. Geimer/Schütze/Hilbig Rn 55. MünchKommFamFG/Lipp Rn 4.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 20 EG-UntVO

einleiten. Die hierfür vom Gläubiger neben dem Antrag vorzulegenden Schriftstücke werden in Abs 1 abschließend aufgezählt.5 Der Vollstreckungsantrag selbst ist nicht autonom geregelt, sein Inhalt, seine Form, das Erfordernis einer anwaltlichen Vertretung sowie die Sprache, in der der Antrag verfasst sein muss, bestimmen sich nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates.6 Hierbei gilt der Grundsatz der Gleichstellung mit inländischen Unterhaltstiteln. Darüber hinaus sind vorzulegen: – Eine Ausfertigung der zu vollstreckenden Entscheidung in der Originalsprache. Die 3 Ausfertigung muss die zur Authentifizierung erforderlichen Voraussetzungen erfüllen.7 Diese bestimmen sich nach dem Recht des Mitgliedstaates, dessen Gericht die Entscheidung erlassen hat.8 Nach deutschem Recht ist gemäß §§ 113 Abs 1 FamFG, 317 Abs 4 ZPO eine Ausfertigung mit der Unterschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle und dem Gerichtssiegel erforderlich. Gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden sind im Original oder in einer Abschrift vorzulegen, die hinsichtlich ihrer Beweiskraft nach dem Recht des Ursprungsstaates dem Orginal gleichgestellt ist. Für deutsche öffentliche Urkunden gilt insoweit § 435 ZPO. – Ferner ein Auszug der Entscheidung, den die zuständige Behörde im Ursprungsstaat unter Verwendung des Formblattes in Anhang I ausfertigt. Das Formblatt in Anhang I ist auch für gerichtliche Vergleiche zu verwenden, während für öffentliche Urkunden das Formblatt im Anhang III zutrifft. Aus dem ausgefüllten Formblatt sind alle für die Vollstreckung wesentlichen Angaben in standardisierter Weise ersichtlich. Für die Vollstreckbarkeit des Titels gibt es keine eigenständige Rubrik, nur aus der Anweisung, dass der Auszug nur auszufertigen ist, wenn der Titel „im Ursprungsstaat vollstreckbar ist“ lässt sich diese ableiten.9 – Wenn dies angebracht erscheint (englisch „where appropriate“) ein Schriftstück, aus dem sich der Betrag für alle Rückstände ergibt und welches das Datum angibt, an dem dieser Betrag berechnet wurde. Angebracht erscheint die Auflistung der Rückstände immer dann, wenn sich diese nicht aus dem Titel selbst ergeben, sondern diese Rückstände im Titel noch als laufende Unterhaltsansprüche ausgeurteilt wurden. Es handelt sich mit anderen Worten um die Unterhaltsforderungen, die noch nicht in der Entscheidung (und demzufolge nicht in der Kurzfassung im Formblatt) beziffert worden sind, sondern erst nach der Entscheidung entstanden sind.10 Für den geltend gemachten Betrag, der für die Zeit nach der Entscheidung begehrt wird, kann daher eine Auflistung erforderlich sein. Der Urheber des Schriftstücks wird nicht bezeichnet, der Gläubiger 5

6 7

8

9 10

So auch Helge/Selg FamRZ 2011, 1101, 1106; MünchKommFamFG/Lipp Rn 15; Hausmann, IntEuSchR K Rn 88; Geimer/Schütze/ Hilbig Rn 5. Geimer/Schütze/Hilbig Rn 6. Vgl zur identischen Formulierung in Art 53 Abs 1 Brüssel I-VO: Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 53 Brüssel I-VO Rn 3; Rauscher/Staudinger Art 53 Brüssel I-VO Rn 2; Kropholler/von Hein Art 53 Brüssel I-VO Rn 2. Zu Art 20 Abs 2 lit a EG-VollstrTitelVO vgl Rauscher/Pabst Art 20 EG-VollstrTitelVO Rn 9 ff; MünchKommZPO/Adolphsen § 1082 ZPO Rn 6. Jenard-Bericht zum EuGVÜ zu Art 46 EuGVÜ; BGH v 26.9.1979 – VIII ZB 10/79, BGHZ 75, 167; Rauscher/Staudinger Art 53 Brüssel I-VO Rn 2; Kropholler/von Hein Art 53 Brüssel I-VO Rn 2. Zu Einzelheiten siehe Rn 16 f. Ebenso wohl auch MünchKommFamFG/Lipp Rn 11, obgleich er auch auf den Zeitpunkt der Ausstellung des Formblattes abstellt.

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selbst kann die Aufstellung erstellen.11 Zu Recht wird hierin dann lediglich eine praktische Hilfestellung durch den Gläubiger für das Zwangsvollstreckungsorgan gesehen, da die Verordnung selbst keine Anforderungen an das Schriftstück stellt.12 – Wenn nötig (englisch „where necessary“) darf eine Transkription (lateinisch/griechisch) oder Übersetzung nur des Auszuges der Entscheidung, dh des Formblattes in Anhang I von der zuständigen Behörde im Vollstreckungsmitgliedstaat verlangt werden. 4 Darüber hinaus dürfen keine weiteren Dokumente verlangt werden.

III. Übersetzungen 1. Übersetzung des Auszugs (Art 20 Abs 1 lit d) 5 Eine Übersetzung des Auszugs der Entscheidung, dh des ausgefüllten Formblattes nach

Anhang I darf nur in Ausnahmefällen verlangt werden. 6 Rn 6 entfällt. 7 Für den gleichlautenden Art 20 Abs 2 lit c EG-VollstrTitelVO ist umstritten, wann die

Übersetzung der Bestätigung gefordert werden kann. Hierzu wird vertreten, dass die Übersetzung als zwingende Voraussetzung eingereicht werden muss, sobald individuelle Angaben im Formular gemacht werden, die über Namen, Zahlen sowie ein bloßes Ankreuzen hinaus gehen.13 Andere halten eine Übersetzung immer für zwingend erforderlich. Darauf könne nur dann verzichtet werden, wenn die Sprache, in der der Auszug ausgefüllt wurde, auch Amtssprache im Vollstreckungsstaat ist oder in diesem zugelassen wurde.14 8 Gegen eine Übertragung der letzteren Ansicht auf die EG-UntVO spricht ErwGr 28. Dieser

legt zur Kostenbegrenzung nahe, keine Übersetzung zu verlangen, es sei denn, der Schuldner setzt sich gegen die Vollstreckung zur Wehr. Zudem ist das Formular im Anhang I so detailliert und zugleich schablonenhaft, dass regelmäßig keine Übersetzung erforderlich ist. Nur in Ausnahmefällen, wenn sich der Inhalt des Auszugs hinsichtlich der Parteien und der Forderung nicht erschließt, so hauptsächlich bei individuellen Einfügungen, kann eine Übersetzung gefordert werden.15 Die Handschriftlichkeit ist kein geeignetes Abgrenzungskriterium.16 2. Übersetzung der Entscheidung 9 Art 20 Abs 2 stellt klar, dass vom Antragsteller zunächst keine Übersetzung der Entschei-

dung (des gerichtlichen Vergleichs oder der öffentlichen Urkunde) verlangt werden darf. 11

12 13 14 15

16

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MünchKommFamFG/Lipp Rn 12; Gebauer/Wiedmann/Bittmann Kap 36 Rn 115; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 74. Geimer/Schütze/Hilbig Rn 74. Kropholler/von Hein Art 20 EG-VollstrTitelVO Rn 7; MünchKommZPO/Adolphsen § 1083 ZPO Rn 1. Rauscher/Pabst Art 20 EG-VollstrTitelVO Rn 13 f. MünchKommFamFG/Lipp Rn 9; Gebauer/Wiedmann/Bittmann Kap 36 Rn 116; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 57 ff (für weite Auslegung). So jedoch BT-Drs 17/4887, 43; Hausmann, IntEuSchR K Rn 92.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 20 EG-UntVO

Nur für den Fall, dass der Schuldner sich mit einem nationalen Rechtsbehelf gegen die Vollstreckung zur Wehr setzt, vgl Art 21 Abs 1, oder gemäß Art 21 Abs 2 oder 3 die Verweigerung oder Aussetzung der Vollstreckung beantragt, kann eine Übersetzung der Entscheidung durch eine zur Übersetzung befugten Person vom Gläubiger nachzureichen sein.17 Das wird das Gericht nach seinem Ermessen immer dann verlangen, wenn es Sinn und Zweck der Entscheidung erfassen muss. Dass die Übersetzung der gesamten Entscheidung entgegen den normalen Beweisregeln durch den Gläubiger zu erbringen ist, ergibt sich aus dem Wortlaut des Art 20 Abs 2.18 Dies bedeutet jedoch nicht, dass dieser letztlich auch die Kosten hierfür zu tragen hat. Die Kostenlast ergibt sich aus dem nationalen Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates.19 Nach deutschem Recht hat somit der Schuldner die Kosten der Übersetzung der gesamten Entscheidung für den Fall zu tragen, dass sein Rechtsbehelf gegen die Zwangsvollstreckungsmaßnahme erfolglos bleibt. 3. Anforderungen an die Übersetzung Der Gläubiger hat die Wahl, in welchem Mitgliedstaat er die Entscheidung von einer be- 10 fugten Person übersetzen lässt.20 Eine Übersetzung genügt, auch wenn damit nach diesem Vollstreckungsversuch noch in einem anderen Mitgliedstaat, der diese Sprache ebenfalls zulässt, vollstreckt werden soll.21 Der Wortlaut ist so auszulegen, dass wie in den Parallelregelungen Art 55 Brüssel I-VO und Art 20 EG-VollstrTitelVO auch die Beglaubigung einer bereits vorgenommenen Übersetzung ausreicht. Selbst eine beglaubigte Übersetzung kann von der zuständigen Vollstreckungsbehörde zu- 11 rückgewiesen werden, wenn sie unverständlich oder missverständlich ist.22 Die Verordnung macht keine Ausführungen zu den Übersetzungskosten. Sie sind nach dem 12 Recht des Vollstreckungsstaates zu bestimmen.23 IV. Bestimmbarkeit bei indexierten Unterhaltstiteln Der Auszug des Titels auf dem Formblatt in Anhang I der EG-UntVO sieht unter Ziff 5.2. 13 1.4. die Möglichkeit vor, die Modalität für eine Berechnung der Unterhaltsforderung anzugeben, sodass folglich auch dynamisierte Unterhaltstitel der Vollstreckung nach der EGUntVO zugänglich sind.24 17 18 19 20

21 22

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24

So § 32 S 2 AUG. AA Geimer/Schütze/Hilbig Rn 16 (bestimmt sich nach dem Recht des Vollstreckungsstaates). So auch Geimer/Schütze/Hilbig Rn 17. Genau wie bei Art 55 Brüssel I-VO genügt abweichend von § 142 Abs 3 ZPO eine Übersetzung in einem der Mitgliedstaaten. Zur Brüssel I-VO vgl MünchKommZPO/Gottwald Art 55 Brüssel I-VO Rn 2; Jenard-Bericht zum EuGVÜ zu Art 48 EuGVÜ. MünchKommZPO/Gottwald Art 55 Brüssel I-VO Rn 4. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 55 Brüssel I-VO Rn 15; Rauscher/Staudinger Art 55 Brüssel I-VO Rn 3. Ebenso Fasching/Konecny/Fucik Rn 3. Für die Brüssel I-VO: Rauscher/Staudinger Art 55 Brüssel I-VO Rn 3; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 55 Brüssel I-VO Rn 16. Zu deutschen Unterhaltstiteln siehe auch Rn 22; Zur Konkretisierung ausländischer Unterhaltstitel Art 17 Rn 13.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

V. Rechtsnachfolge und befristete und bedingte Leistungspflichten 13a Weder die Verordnung noch das AUG enthalten hinsichtlich der Vollstreckung eine Rege-

lung für den Fall, dass auf der Gläubiger- oder Schuldnerseite eine Rechtsnachfolge eingetreten ist. § 39 AUG betrifft nur exequaturbedürftige Entscheidungen. Bedeutung hat dies zB für den nicht seltenen Übergang der Forderung auf öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen (öAwE), die anstelle des Unterhaltsverpflichteten Unterhalt geleistet haben. Ausgegangen wird davon, dass durch einen neuen Gläubiger bzw gegen einen neuen Schuldner im Ursprungsmitgliedstaat nach dem dort geltenden Recht eine Umschreibung des Titels und des Formblatts erfolgen muss.25 Das Formblatt in Anhang I sei als Nachweis für die Rechtsnachfolge nicht geeignet.26 Diese Lösung stimmt jedenfalls nicht mit Art 64 überein, soweit es den Vollstreckungsantrag der öAwE aus einem Titel betrifft, der zugunsten des Unterhaltsberechtigten ergangen ist. Es reicht danach die Vorlage der in Art 20 geregelten Urkunden sowie auf Verlangen der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaates Schriftstücke, aus denen sich das Regressrecht sowie die Erbringung der Unterhaltsersatzleistung an die berechtigte Person ergeben.27 Folgt der Unterhaltsregress aus gesetzlichen Bestimmungen, so muss die Bezugnahme hierauf gegebenenfalls mit Vorlage des amtlichen Gesetzestextes ausreichen. Im deutschen Recht reicht für den Nachweis der Zahlung der Überweisungsnachweis einer Bank (entsprechend § 775 ZPO). 13b Typisch für Unterhaltsentscheidungen ist, dass sie den Unterhaltsschuldner zu regelmäßig

wiederkehrenden Leistungen verpflichten, wobei der Fälligkeitstag oft angegeben ist. Die Formblätter sehen entsprechende Spalten vor. Auch bei Pauschalsummen gibt es eine Rubrik für den Fälligkeitstag und außerdem eine für Ratenzahlungen mit jeweiligem Fälligkeitsdatum. Daraus lässt sich ohne weiteres der Zeitpunkt der Vollstreckbarkeit bestimmen. Weitere Urkunden sind für die Vollstreckung im Zweitstaat nicht erforderlich. Hängt die Vollstreckbarkeit im Übrigen von dem Eintritt einer Bedingung ab und ist diese zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht eingetreten, so darf das Formblatt nicht ausgestellt werden.28 Erfolgt ungeachtet dessen, die Ausstellung des Formblatts, so kann der Unterhaltsschuldner die Rechtsbehelfe nutzen, die im Ursprungsmitgliedstaat zur Verfügung stehen. Im Vollstreckungsstaat kann er einwenden, dass die Vollstreckbarkeit nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates nicht besteht. Die Einwendung entfällt, wenn die Bedingung inzwischen eingetreten ist. VI. Zustellung 13c Die Verordnung trifft keine Regelung zum Erfordernis der Zustellung/Vorlage des Unter-

haltstitels und des Formblattes an den Schuldner vor der Vollstreckung. Mangels einheitlicher Regelung bestimmt sich dies nach dem Recht des Vollstreckungsstaates, wobei der Grundsatz der Gleichstellung mit inländischen Titeln besteht. Die Regelungen der Verordnung zu den Übersetzungserfordernissen haben als Adressaten die Vollstreckungsorgane im Visier. Der Schuldner wird, wenn er nicht der Amtssprache des Ursprungsstaates mächtig 25

26 27 28

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BT-Drs 17/4887, 43; MünchKommFamFG/Lipp Rn 14; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 53; Prütting/Helms/ Hau Anh 3 zu § 110 FamFG Rn 101. BT-Drs 17/4887, 43. Bereits Andrae FPR 2013, 38, 45. Ebenso Geimer/Schütze/Hilbig Rn 52.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 20 EG-UntVO

ist, weder das Formblatt noch die Entscheidung verstehen. Anders als bei der Vollstreckbarerklärung fehlt es an einem Titel in der Amtssprache des Vollstreckungsstaates. Der Verordnungsgeber hat dieses Problem gesehen. In ErwGr 28 heißt es dazu, dass keine Übersetzungen verlangt werden außer bei Anfechtung der Vollstreckung und „unbeschadet der Vorschriften für die Zustellung.“ Nach Art 8 EG-ZustVO 2007 kann der Empfänger die Annahme des Schriftstückes verweigern, wenn er die Sprache des Schriftstücks nicht versteht oder wenn sie nicht in der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaates abgefasst ist.29 Jedoch greift diese Regelung nur, wenn es sich um eine Zustellung von einem Mitgliedstaat in den anderen handelt. Erfolgt die Zustellung innerhalb eines Mitgliedstaates, dann gilt das einzelstaatliche Recht. VII. Einzelheiten zum Formblatt Rechtscharakter: Es handelt sich um ein Schriftstück, dass für die Vollstreckung im Zweit- 13d staat vorzulegen ist. Die Vollstreckung selbst erfolgt jedoch aus der Entscheidung und nicht aus der Entscheidung in Verbindung mit dem ausgefüllten Formblatt. Grundsätzlich handelt es sich lediglich um einen formalisierten Auszug des Titels. Es bestätigt auch nicht Bestand und Vollstreckbarkeit der Forderung zum Zeitpunkt der Erteilung des Auszugs, da es nur den Inhalt der Entscheidung nach bestimmten Vorgaben wiedergibt. Es ist deshalb nicht mit einer Klauselerteilung nach deutschem Recht gleichzusetzen.30 Das zeigt sich auch darin, dass es keine Vorgaben gibt, deren Einhaltung die auszustellende Stelle zu prüfen hat. Auch stehen keine autonome Rechtsbehelfe für Gläubiger und Schuldner zur Verfügung. Die Verordnung trägt noch nicht mal Vorsorge dafür, dass der Gegenpartei das Formblatt vor oder zum Zeitpunkt der Vollstreckung zugeht. Erteilende Behörde: Die Verordnung regelt nicht ausdrücklich, welches Gericht/ welche 13e Behörde zur Erteilung des Auszuges berechtigt ist, dies ist in den mitgliedstaatlichen Ausführungsbestimmungen zu regeln. Dem Art 40 Abs 2 ist jedoch zu entnehmen, dass davon ausgegangen wird, dass dies bei Entscheidungen und gerichtlichen Vergleichen seitens des Ursprungsgerichts erfolgt. Das ist sinnvoll, da lediglich der Inhalt der wesentlichsten Punkte des Titels wiedergeben wird, ohne dass zusätzlich eine Kontrollfunktion ausgeübt wird. Antragsberechtigung: Diese ist autonom in Art 40 Abs 2 S 2 geregelt. Danach hat das 13f Ursprungsgericht den Auszug auf Antrag jeder betroffenen Partei zu erteilen. Gemeint sind die Parteien des Ausgangsverfahrens. Außerdem ist die Berechtigung auch auf öAwE zu erstrecken, soweit nach Art 64 die noch für den Unterhaltsgläubiger titulierte Unterhaltsforderung auf sie nach Art 64 übergegangen ist. Der Antrag kann jederzeit gestellt werden; auch schon während des Unterhaltsverfahrens und natürlich auch nach Beendigung des Verfahrens.31 UE muss der Antragsteller den möglichen Vollstreckungsstaat darlegen, damit die erteilende Behörde prüfen kann, ob ein Auszug nach Anhang I oder III in Betracht kommt.32

29 30

31 32

Einzelheiten ua Rauscher/Heiderhoff Art 8 EG-ZustVO. Hierzu bereits Art 17 Rn 12, Andrae NJW 2011, 2545, 2547 ähnlich Geimer/Schütze/Hilbig Rn 30; aA BTDrs 17/4887, 43. Geimer/Schütze/Hilbig Rn 32. AA Geimer/Schütze/Hilbig Rn 32 (Auslandsbezug ist nicht darzulegen).

Marianne Andrae/Martin Schimrick

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

14 Unterschiedliche Formblätter: Anhänge I und II betreffen die Formblätter für gerichtliche

Entscheidungen und gerichtliche Vergleiche. Dabei beziehen sich Anhang I auf Titel, die der direkten Vollstreckung nach Abschnitt I unterliegen, und Anhang II, für die das Erfordernis der Vollstreckbarerklärung besteht. Die Formblätter unterscheiden sich zum einen in der Überschrift und zum anderen enthält das Formblatt in Anhang I den Hinweis, dass die Entscheidung unanfechtbar in anderen Mitgliedstaaten anerkannt und direkt vollstreckt wird. In der Überschrift bei Anhang I wird auf die Art 20 und Art 48 und für Anhang II auf Art 28 und 75 Abs 2 Bezug genommen. Im Übrigen sind die verlangten Angaben identisch. Anhänge III und IV betreffen die Auszüge aus öffentlichen Urkunden mit der gleichen Differenzierung 14a Vorprüfung: Vor Ausfertigung des Auszugs hat die ausstellende Behörde zu klären, ob die

Entscheidung den Anforderungen des Art 17 Abs 2 gerecht wird. Es hat folglich zu prüfen, ob der Titel eine Unterhaltsforderung aus einem Familienverhältnis betrifft, das Verfahren eingeleitet wurde, seitdem der Ursprungsstaat an das HUntStProt gebunden ist und der Titel vollstreckbar ist. Bei gerichtlichen Vergleichen kommt es auf den Zeitpunkt des Abschlusses und bei öffentlichen Urkunden auf den Zeitpunkt der Errichtung an. Für die Vollstreckbarkeit ist auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Ausstellung des Formblatts abzustellen.33 Übereinstimmung zwischen Auszug und Entscheidung: 15 Die Angaben, die auf dem Formblatt zu leisten sind, müssen in der Entscheidung oder dem

gerichtlichen Vergleich stehen. Sie können jedoch entsprechend dem einführenden Hinweis dem Ursprungsgericht auch auf andere Weise zur Kenntnis gekommen sein.34 Insofern umfasst der Begriff „Auszug aus der Entscheidung“ nicht den gesamten Inhalt des Formblattes. Zu diesen „mitgeteilten“ Angaben, gehören solche, die nicht die Forderung selbst betreffen, zB persönliche Angaben, wie Geburtsdatum oder Kennnummer bzw Sozialversicherungsnummer, oder Angaben dazu, ob den Parteien Prozesskostenhilfe gewährt wurde. Die verlangten Angaben, die die Forderung selber betreffen, sind im Formblatt unter der Überschrift „Tenor der Entscheidung/Inhalt des gerichtlichen Vergleichs“ zu machen. Dies schließt aus, hierzu Angaben aufzunehmen, die außerhalb dessen liegen. Insoweit können hier keine Angaben zum Eintritt der Bedingung bei bedingten Leistungen oder bei Rechtsnachfolge eingebracht werden, schon weil es um Ereignisse geht, die zeitlich nach Erlass der Entscheidung liegen. Dem Auszug kann deshalb auch nicht die Funktion vergleichbar einer vollstreckbaren Ausfertigung nach §§ 726, 727 ZPO zukommen. Verlangte Angaben: 16 Die Angaben betreffen das Ursprungsgericht, Antragsteller und Antragsgegner (gegebenen-

falls auch mehrere Personen auf jeder Seite), die Gewährung von Prozesskostenhilfe sowie Kosten- und Gebührenfreiheit bzw die Möglichkeit, ein unentgeltliches Verfahren vor einer Verwaltungsbehörde im Ursprungsmitgliedstaat in Anspruch nehmen zu können. In Bezug auf den Tenor der Entscheidung/des gerichtlichen Vergleichs selbst sind anzugeben, wer an wen tatsächlich die Unterhaltsforderung zu leisten hat und wer Unterhaltsverplichteter und 33 34

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Geimer/Schütze/Hilbig Rn 39. Hierzu Geimer/Schütze/Hilbig Rn 33; siehe auch Rn 13d.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 20 EG-UntVO

Unterhaltsberechtigter ist. Es gibt eine Rubrik für Einmalzahlungen, einschließlich möglicher Ratenzahlungen sowie eine Rubrik für regelmäßig wiederkehrende Leistungen (Turnus, Betrag mit Angabe der Währung, Beginn der Zahlung, Fälligkeit, Dauer und Angaben bei Indexierungen), einschließlich Unterhaltsrückständen und Zinsen, weitere Spalten für Sachleistungen, sonstige Zahlungsarten sowie für Kosten und Gebühren. Nicht verlangte Angaben: Nach der Rechtskraft der Entscheidung wird nicht gefragt. Dies 16a ist insoweit verständlich, als es hierauf für die Vollstreckung in anderen Mitgliedstaaten nicht ankommt. Entscheidend ist vielmehr die Vollstreckbarkeit, auch die vorläufige Vollstreckbarkeit genügt. Das Formblatt sieht jedoch für die Unterhaltsforderungen auch keine Rubrik für die Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat, einschließlich für vorläufige Vollstreckbarkeit oder Vollstreckbarkeit nur gegen Sicherheitsleistung vor. Dies wird dadurch abgefangen, dass auf dem Formblatt vorweg der Hinweis vorgesehen ist, dass es nur auszustellen ist, wenn die Entscheidung/der gerichtliche Vergleich/die öffentliche Urkunde im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar ist. Problematisch ist dies jedoch insoweit, wenn die Entscheidung nur teilweise vorläufig vollstreckbar ist oder nur gegen Sicherheitsleistung, zB bei Einmalzahlungen. Außerdem ist dem Formblatt auf diese Weise nur mittelbar die Vollstreckbarkeit zu entnehmen, direkt wird sie nicht bezeugt. Dass eine andere Lösung möglich ist, zeigt die standardisierte Bescheinigung nach Art 54 Brüssel I-VO, wonach die Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat anzugeben ist. UE sollte das Formblatt dahingehend ergänzt werden. Auch wenn dies nur deklaratorischen Charakters wäre, würde dadurch die Vermutung der Vollstreckbarkeit verstärkt. Das Formblatt enthält gleichfalls keine Angaben darüber, aus denen im Vollstreckungsstaat 17 auf die Eröffnung des Anwendungsbereiches der Unterhaltsverordnung im Allgemeinen und speziell des Kapitels IV Abschnitt 1 und 3 geschlossen werden kann. Zwar kann dem Formblatt entnommen werden, dass es sich um Unterhaltszahlungen handelt, nicht ersichtlich ist jedoch, ob diese in Familienbeziehungen überhaupt und in welcher Art von Familienbeziehungen sie ihre Grundlage haben. Nicht mitgeteilt ist, wann das Unterhaltsverfahren eingeleitet worden ist, was jedoch entscheidendes intertemporales Kriterium für die Freistellung vom Vollstreckbarerklärungsverfahren gemäß Art 75 Abs 1 ist. Stattdessen heißt es unter Punkt 1 des Formblattes (fettgedruckt und umrahmt): „Die Entscheidung/ der gerichtliche Vergleich wird in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt und kann dort vollstreckt werden, ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann und ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf …“ Das Formblatt verleiht jedoch der Entscheidung selbst nicht diesen Charakter, die Verlautbarung hat nur deklaratorische Bedeutung. Sie bindet das zuständige Organ im Vollstreckungsmitgliedstaat nicht bei der Prüfung der Frage, ob der Anwendungsbereich der EG-UntVO allgemein oder speziell des Kapitels IV Abschnitt 1 und 3 eröffnet ist. Das gilt schon deshalb, weil sich im Erkenntnisverfahren im Ursprungsmitgliedstaat die Frage der Anwendbarkeit der EG-UntVO nicht stellen muss und insoweit das Ursprungsgericht hierüber auch nicht entschieden haben muss.35 Selbst soweit dies inzident erfolgt ist, sind die Voraussetzungen für die Anwendung der Art 16 ff EG-UntVO im Vollstreckungsmitgliedstaat zu prüfen.

35

Wie hier Hausmann, IntEuSchR K Rn 90.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

18 Ausländische öffentliche Urkunde: Bei dem Auszug, ausgestellt von dem Gericht/der Be-

hörde eines anderen Mitgliedstaates, handelt es sich, vom Standpunkt des deutschen Prozessrechts, um eine ausländische öffentliche Urkunde. Sie steht – befreit von Legalisation und anderen Förmlichkeiten (Art 65 EG-UntVO) – mangels eigenständiger autonomer europarechtlicher Regelung einer inländischen öffentlichen Urkunde gleich. Nicht auf sie selbst, sondern nur auf die Ausfertigung der Entscheidung (Abs 1 lit a) ist § 417 ZPO anzuwenden. Letztere erbringt vollen Beweis, dass die Entscheidung nach Inhalt und den angegebenen Begleitumständen (wie Ort und Zeit) ergangen ist.36 Möglich ist jede Beweisführung gegen die Echtheit der Urkunde.37 Für das ausgefüllte Formblatt selbst trifft § 418 ZPO zu. Dieses begründet vollen Beweis der in ihm bezeugten Tatsachen. Der volle Beweis bezieht sich auf den Auszug aus der Entscheidung (Punkt 5 des Formblattes) und auf die Tatsache der Gewährung von Prozesskostenhilfe, Kosten- und Gebührenfreiheit sowie eines unentgeltlichen Verwaltungsverfahrens iSd Art 2. Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen, also vor allem die Nichtübereinstimmung des wiedergegebenen Inhalts der Entscheidung mit der Entscheidung selbst ist zulässig.38 Da die Vollstreckbarkeit der ausländischen Entscheidung im Formblatt nicht bezeugt, sondern nur vorausgesetzt wird, erstreckt sich § 418 ZPO hierauf nicht. Dasselbe gilt für die klauselartige Feststellung, dass die Entscheidung die in Art 17 geregelte Wirkung in anderen Mitgliedstaaten hat. Es handelt sich hier um keine Tatsache, sondern um eine rechtliche Würdigung, auf die § 418 ZPO unanwendbar ist.39 18a Rechtsbehelfe: Gegen die Ausstellung, die Verweigerung und den Inhalt des Auszuges muss

im Ursprungsmitgliedstaat vorgegangen werden. Die Rechtsbehelfe und die Zuständigkeiten bestimmen sich nach dem Recht dieses Staates.40 Die Verordnung sieht hierfür keinen einheitlichen Rechtsbehelf vor. 18b Keine Bindung an das Formblatt im Vollstreckungsstaat: Das Verbot der révision au fond

in Art 42 betrifft nur die Nachprüfung der Entscheidung selbst und nicht des Auszugs.41 Im Übrigen kann für die Frage der Bindung an das Formblatt die Rechtsprechung des EuGH42 zur Bindung an die Bestätigung nach Art 54 Brüssel I-VO nutzbar gemacht werden. Danach darf bei einem Antrag des Gläubigers auf Vollstreckung der Entscheidung aus einem anderen Mitgliedsstaat das Vollstreckungsorgan nur eine einfache formale Prüfung der Schriftstücke vornehmen, die für die Vollstreckung im Vollstreckungsmitgliedstaat erforderlich sind. In diesem Verfahrensabschnitt darf keine Prüfung der tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte erfolgen. Wenn der Schuldner jedoch mit den zulässigen Rechtsbehelfen 36 37

38 39 40

41 42

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Thomas/Putzo/Reichold § 417 ZPO Rn 2 mwH. Zöller/Geimer § 417 ZPO Rn 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann/Hartmann § 417 ZPO Rn 3; Stein/Jonas/Leipold § 417 ZPO Rn 4. Stein/Jonas/Leipold § 418 ZPO Rn 12; MünchKommZPO/Schreiber § 418 Rn 8. MünchKomZPO/Schreiber § 418 ZPO Rn 7; Zöller/Geimer § 418 ZPO Rn 3. Andrae, Internationales Familienrecht3 (2014) § 8 Rn 236; kritisch mit Recht: Geimer/Schütze/Hilbig Rn 68, zum deutschen Recht Rn 21. Geimer/Schütze/Hilbig Rn 29. EuGH v 6.9.2012 – Rs C-619/10 Trade Agency Ltd/Seramico Investments Ltd, IPRax 2013, 427 Rn 26 ff.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 20 EG-UntVO

gegen die Vollstreckung mit dem Einwand vorgeht, dass kein vollstreckbarer, dem Abschnitt I unterliegender Unterhaltstitel vorliegt, kann es die Richtigkeit der in dem Auszug enthaltenen tatsächlichen Angaben zu überprüfen. Änderung der Formblätter Die Formblätter können gemäß Art 72 im Verfahren nach Art 73 geändert werden, ohne 19 dass es der Änderung der Verordnung selbst bedarf. Vorrangig sind aus unserer Sicht folgende Punkte: Die Formblätter bedürfen einer Ergänzung hinsichtlich der Angaben zur Vollstreckbarkeit und zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens.43 Darüber hinaus sollte das Formblatt eine Rubrik zu dem zugrunde liegenden Familienverhältnis enthalten (Verwandtschaft, eherechtliches Verhältnis, Schwägerschaft oder sonstige Familienbeziehung).44 Sinnvoll wäre auch eine Rubrik über den Übergang der titulierten Forderung auf öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen. Die Verordnung sieht kein Formblatt für die Fälle vor, dass eine Entscheidung aufgehoben wird, nach Art 19 für nichtig erklärt wird sowie die Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat aufgehoben oder ausgesetzt wird. Ein solches Formblatt würde den Schuldnerschutz im Vollstreckungsmitgliedstaat erleichtern. VIII. AUG 1. Deutscher formalisierter Auszug Da der deutsche Gesetzgeber davon ausgeht, dass der formalisierte Auszug nach Art 20 20 Abs 1 lit b funktional der Vollstreckungsklausel entspricht,45 ist es konsequent, die Bestimmungen für die Erteilung und die Rechtsbehelfe im AUG entsprechend auszugestalten. Zuständig für die Ausstellung des Formblatts sind gemäß § 71 Abs 1 AUG das Gericht, die Behörde (so insbesondere das Jugendamt) oder der Notar, denen die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung obliegt. Soweit die Ausstellung in die Zuständigkeit der Gerichte fällt, obliegt die Ausstellung dem Amtsgericht. Nur soweit das Verfahren noch in einem höheren Rechtszug anhängig ist, ist der Auszug dort zu erteilen. Die funktionelle Zuständigkeit liegt beim Rechtspfleger, siehe § 20 Nr 10 RPflG. Rechtsbehelfe: Hierfür erfolgt nach § 71 Abs 2 S 3 eine entsprechende Anwendung der 21 Bestimmungen über Anfechtung der Entscheidung über die Erteilung der Vollstreckungsklausel. Daraus kann auch abgeleitet werden, dass sich die Zuständigkeit entsprechend bestimmen soll. Wegen der Spezifik, insbesondere hinsichtlich der Prüfung des Anwendungsbereichs von Art 17 Abs 2 wäre eine Zuständigkeitskonzentration gemäß § 35 AUG angebracht.46 Verwiesen wird auf die Klauselerinnerung § 732 ZPO bezogen auf Einwendungen des Schuldners gegen die Erteilung des Auszugs. Weiterhin ist ein Antrag des Schuldners möglich, dass die Voraussetzungen für die Erteilung des Auszugs nach Anhang I nicht vorliegen, so wenn der Titel nicht nach Abschnitt 1 vollstreckbar ist, vgl §§ 120 Abs 1,

43 44 45 46

Siehe Rn 16 und Rn 17. Siehe Rn 17. BT-Drs 17/4887, 43. Andrae NJW 2011, 2542, 2547; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 69.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

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113 Abs 5 FamFG, § 768 ZPO.47 Bei bloßen Schreib- und Übertragungsfehlern kommt § 319 ZPO analog in Betracht. 22 Konkretisierung des Titels: Zur Vermeidung von Problemen bezüglich der Bestimmbarkeit

von deutschen Unterhaltstiteln im Ausland eröffnet § 72 AUG mit Verweis auf § 245 FamFG die Möglichkeit, einen nach § 1612a BGB dynamisierten Unterhaltstitel beziffern zu lassen.48 23 Erteilung der Vollstreckungsklausel neben dem Auszug: Für die Vollstreckung in anderen

Mitgliedstaaten bedarf der inländische Unterhaltstitel keiner Erteilung einer Vollstreckungsklausel, jedoch schließt die Ausstellung des Formblatts nach Art 20 EG-UntVO das Recht auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel nach § 724 ZPO nicht aus (§ 71 Abs 3 AUG). Die Vollstreckungsklausel ist für die inländische Vollstreckung aus einem inländischen Titel erforderlich, das Formblatt ersetzt diese nicht. 24 Kosten der Übersetzungen: Die Kosten der Übersetzungen für den Antrag und den Auszug,

soweit dieser verlangt wird, kann für den Gläubiger ein Hinderungsgrund sein, seine titulierte Unterhaltsforderung im Ausland durchzusetzen. Inländische Verfahrenskostenhilfe wird hierfür vom Grundsatz nicht geleistet. Soweit für die Vollstreckung die Rechtshilfe über die zentralen Behörden der Mitgliedstaaten nach Art 56 Abs 1 lit b genutzt wird, besteht die Möglichkeit der Kostenübernahme nach § 10 AUG. Danach hat zwar der Antragsteller die Übersetzung nach Aufforderung der deutschen zentralen Behörde auf seine Kosten beizubringen. Bei Säumnis wird die Übersetzung auf Kosten des Antragsstellers veranlasst. Auf Antrag befreit das für die Vorprüfung zuständige Amtsgericht den Antragsteller nach den Grundsätzen der Verfahrenskostenhilfe von der Verpflichtung, der Zentralen Behörde die Übersetzungskosten zu erstatten. Erfasst werden von der Befreiung nur die von der Zentralen Behörde veranlassten Übersetzungskosten. In den Genuss der Regelung kommen nur natürliche Personen als Antragssteller, nicht öffentliche Einrichtungen.49 2. Ausländischer formalisierter Auszug 25 § 30 Abs 2 AUG verlangt, dass der formalisierte Auszug untrennbar mit dem zu vollstre-

ckenden Titel zu verbinden ist. Die Regelung wird davon getragen, dass der Gesetzgeber dem Auszug die Bedeutung vergleichbar einer Vollstreckungsklausel beimisst. Sie wird dadurch abgeschwächt, dass sie als Sollvorschrift ausgestaltet ist, um mit der Verordnung nicht in Kollision zu kommen. Die fehlende untrennbare Verbindung stellt kein Hinderungsgrund für die Vollstreckung dar.50 Soweit eine Übersetzung des Auszugs beizubringen ist, bestimmt § 30 Abs 3 AUG, dass diese in die deutsche Sprache von einer Person zu erfolgen hat, die in den Mitgliedstaaten befugt ist, in diese Sprache zu übersetzen.

47 48 49 50

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Geimer/Schütze/Hilbig Rn 69. Hierzu Leible/Lehmann NotBZ 2004, 453, 462. Begr BT-Drs 17/4887, 40. BT-Drs 17/4887, 43.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 21 EG-UntVO

Artikel 21: Verweigerung oder Aussetzung der Vollstreckung (1) Die im Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats vorgesehenen Gründe für die Verweigerung oder Aussetzung der Vollstreckung gelten, sofern sie nicht mit der Anwendung der Absätze 2 und 3 unvereinbar sind. (2) Die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats verweigert auf Antrag der verpflichteten Person die Vollstreckung der Entscheidung des Ursprungsgerichts insgesamt oder teilweise, wenn das Recht auf Vollstreckung der Entscheidung des Ursprungsgerichts entweder nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats oder nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats verjährt ist, wobei die längere Verjährungsfrist gilt. Darüber hinaus kann die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats auf Antrag der verpflichteten Person die Vollstreckung der Entscheidung des Ursprungsgerichts insgesamt oder teilweise verweigern, wenn die Entscheidung mit einer im Vollstreckungsmitgliedstaat ergangenen Entscheidung oder einer in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat ergangenen Entscheidung, die die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anerkennung im Vollstreckungsmitgliedstaat erfüllt, unvereinbar ist. Eine Entscheidung, die bewirkt, dass eine frühere Unterhaltsentscheidung aufgrund geänderter Umstände geändert wird, gilt nicht als unvereinbare Entscheidung im Sinne des Unterabsatzes 2. (3) Die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats kann auf Antrag der verpflichteten Person die Vollstreckung der Entscheidung des Ursprungsgerichts insgesamt oder teilweise aussetzen, wenn das zuständige Gericht des Ursprungsmitgliedstaats mit einem Antrag auf Nachprüfung der Entscheidung des Ursprungsgerichts nach Artikel 19 befasst wurde. Darüber hinaus setzt die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats auf Antrag der verpflichteten Person die Vollstreckung der Entscheidung des Ursprungsgerichts aus, wenn die Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat ausgesetzt ist. I. II.

Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Autonome Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1. Vollstreckungsverjährung (Abs 2 UAbs 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2. Unvereinbarkeit mit einer anderen Entscheidung (Abs 2 UAbs 2) . . . . . . . . . . . 7 a) Unvereinbare Entscheidung . . . . . . . . . . . . . 8 b) Keine zeitliche Priorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 c) Entgegenstehende Statusentscheidung 13 d) Abänderungsentscheidungen . . . . . . . . . . . 17 3. Nachprüfungsverfahren vor dem Ursprungsgericht (Abs 3 UAbs 1) . . . . . 18 4. Aussetzung der Vollstreckung im Ursprungsstaat (Abs 3 UAbs 2) . . . . . . . . 23 5. Deutsche Ausführungsbestimmungen 26 a) Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 b) Verweigerung der Vollstreckung (Art 21 Abs 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 c) Beschränkung und Aussetzung der Vollstreckung (Art 21 Abs 3) . . . . . . . . . . . 28

Marianne Andrae/Martin Schimrick

III.

IV.

Einzelstaatliche Vorschriften (Abs 1) 1. Grundsatz(Abs 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2. Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 b) Vollstreckungserinnerung, § 766 ZPO 34 c) Vorgehen nach § 775 ZPO analog . . . . . 35 d) Abwendungssicherheit, § 711 ZPO . . . . 37 e) Vollstreckungsabwehrantrag, § 767 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 f) § 33 AUG – Rechtsmitteleinlegung gegen die Entscheidung im Ursprungsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Keine ordre public-Kontrolle 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Vorsorge in Bezug auf den materiellrechtlichen ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3. Verfahrensrechtlicher ordre public . . . . 48 4. Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 5. Verletzung der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 6. Schadensersatz als Kompensation . . . . . 51

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Art 21 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

I. Allgemeines 1 Art 21 regelt die Rechtsbehelfe, die der durch die Entscheidung aus einem Mitgliedstaat

verpflichteten Person gegen die Vollstreckung der Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat zur Verfügung stehen. Zur Beschleunigung der Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen soll nur eine begrenzte Zahl von Gründen der Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat entgegenstehen dürfen.1 Gegenüber der Brüssel I-VO wurden demgemäß die Verweigerungsgründe eingeschränkt. Die Aufzählung der möglichen Gründe, aufgrund derer die zuständige Behörde im Vollstreckungsmitgliedstaat die Vollstreckung verweigern bzw aussetzen darf, soll gewährleisten, dass dadurch nur in Ausnahmefällen der Entscheidung zum Schutze des Unterhaltsschuldners ihre Wirkung genommen werden darf.2 Dadurch dass Rechtsbehelfe des Rechts des Vollstreckungsmitgliedstaates zugelassen sind, wird das Ziel jedoch nicht erreicht, die in der Praxis wesentlichen Gründe zu vereinheitlichen und zu reduzieren. Die autonomen Rechtsbehelfe sind in Absatz 2 und 3 geregelt, während der Verweis auf das Recht des Vollstreckungsstaates in Absatz 1 erfolgt. Da die einzelstaatlichen Rechtsbehelfe jedoch unter dem Vorbehalt stehen, dass sie nicht den in Absätzen 2 und 3 geregelten autonomen Einwänden entgegenstehen dürfen, werden zuerst letztere behandelt. II. Autonome Rechtsbehelfe 2 Charakteristisch ist, dass alle in Art 21 vorgesehenen Gründe für die Verweigerung oder

Aussetzung der Vollstreckung nicht von Amts wegen beachtet werden, sondern es dafür eines Antrags bei dem dafür nach nationalem Recht zuständigen Gericht (Behörde) bedarf. Die Ausgestaltung des Verfahrens ist dem nationalem Recht überlassen. Welche Behörden für die Verweigerung oder Aussetzung der Vollstreckung zuständig sind, ist gemäß Art 71 lit f von den Mitgliedstaaten mitzuteilen. 1. Vollstreckungsverjährung (Abs 2 UAbs 1) 3 Die Vollstreckung ist erst dann im Vollstreckungsmitgliedstaat gehindert, wenn sie sowohl

nach dem Recht des Ursprungs- als auch nach dem Recht des Vollstreckungsstaates eingetreten ist. Aufgrund der Kumulation gilt die längere Frist. Gemeint ist, dass die Vollstreckung nur zu versagen ist, wenn die Entscheidung nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates und des Vollstreckungsmitgliedstaates verjährt ist.3 4 Die Vollstreckungsverjährung wird nur auf Antrag des Verpflichteten von der zuständigen

Behörde beachtet, selbst wenn sie im Vollstreckungsstaat von Amts wegen zu beachten wäre. Ist der Antrag begründet, so ist die Vollstreckung im Vollstreckungsmitgliedstaat zu verweigern. Dem Gläubiger steht es frei die Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat zu versuchen, in dem die Vollstreckungsverjährung noch nicht abgelaufen ist, 5 Erfasst wird sowohl die Vollstreckungsverjährung von titulierten Unterhaltsrückständen als

auch fortlaufenden Unterhaltsansprüchen. Der Verweis in UAbs 1 bezieht sich nicht auf die Verjährung des Unterhaltsanspruchs, die im Erkenntnisverfahren zu beachten ist. Diese 1 2 3

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ErwGr 30. Differenzierter MünchKommFamFG/Lipp Rn 2 ff. Vgl Europäische Kommission, 12.5.2006, KOM (2006) 206 zu Art 33; Garbe/Ullrich/Andrae § 11 Rn 454. Geimer/Schütze/Hilbig Rn 12; MünchKommFamFG/Lipp Rn 9.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 21 EG-UntVO

unterliegt dem Unterhaltsstatut gemäß Art 11 lit e HUntStProt 2007. Allerdings entspricht zB nach deutschem Recht die Vollstreckungsverjährung bei zukünftigen, wiederkehrenden Leistungen der materiell-rechtlichen Verjährungsfrist. Der Verweis auf das Recht des Ursprungsmitgliedstaates sowie des Vollstreckungsmitglied- 6 staates stellt eine Sachnormverweisung dar. Verwiesen wird im deutschen Recht auf § 197 Abs 1 Nr 3 sowie Abs 2 BGB. Dies hat zur Folge, dass die Vollstreckungsmöglichkeit titulierter Rückstände nach 30 Jahren verjährt. Hingegen unterliegen titulierte künftig wiederkehrende Leistungen von ihrer Fälligkeit (§ 201 S 1 aE BGB) an der regelmäßigen Verjährung, §§ 195, 199 BGB. Die Verjährung kann der Gläubiger zB verhindern, indem er mit einem Vollstreckungsversuch ihren Neubeginn bewirkt, § 212 Abs 1 Nr 2 BGB. Dabei reichen auch adäquate Vollstreckungsversuche in anderen Staaten aus. 2. Unvereinbarkeit mit einer anderen Entscheidung (Abs 2 UAbs 2) Die Regelung in Art 21 Abs 2 UAbs 2 korreliert mit Art 24 lit c und d sowie 34 Nr 3 und 4 7 Brüssel I-VO. a) Unvereinbare Entscheidung Der Begriff der Entscheidung ist in Art 2 Abs 1 Nr 1 legaldefiniert. Wann zwei Entschei- 8 dungen unvereinbar sind, ist autonom zu bestimmen. Das trifft zu, wenn sich deren Rechtsfolgen wechselseitig ausschließen. Dabei sind die Wirkungen der Entscheidungen im Vollstreckungsstaat zu betrachten.4 Es braucht sich nicht um denselben Streitgegenstand iSd deutschen Verfahrensrechts zu handeln.5 Es kommt allein darauf an, ob die Kernpunkte der Entscheidungen unvereinbar sind.6 Die entgegenstehende Entscheidung muss gleichrangig sein, um einen Vollstreckungsversagungsgrund begründen zu können. Gleichrangigkeit ist zB bei einer inländischen Versagung der Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht und einer dem entgegenstehenden ausländischen Entscheidung nicht gegeben.7 Gleiches gilt bei einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz in Bezug auf eine Hauptsacheentscheidung.8 Bei dem Vergleich von Unterhaltsentscheidungen ist zu beachten, für welchen Zeitraum der Unterhalt jeweils zugesprochen ist.9 Zu gerichtlichen Vergleichen und öffentlichen Urkunden siehe Art 48 Rn 16. b) Keine zeitliche Priorität10 Das Gericht kann nach seinem Ermessen einer früheren oder späteren innerstaatlichen oder 9 anzuerkennenden Entscheidung den Vorzug geben und aus diesem Grunde die Vollstre4

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EuGH Rs C-145/86 Hoffmann/Krieg EuGHE 1988 645 Rn 22; Schack, IZVR Rn 858 ff; MünchKommZPO/Gottwald Art 34 Brüssel I-VO Rn 46; Rauscher/Leible Art 34 Brüssel I-VO Rn 45 f. Rauscher/Leible Art 34 Brüssel I-VO Rn 45; Kropholler/von Hein Art 34 Brüssel I-VO Rn 49. Vgl die Kernpunkttheorie EuGH Rs C-144/86 Gubisch Maschinenfabrik/Palumbo EuGHE 1987 4861 Rn 16; OLG Hamm v 30.10.2000 – 1 U 1/00, FamRZ 2001, 1015. BGH v 22.6.1983 – VIII ZB 14/82, BGHZ 88, 17 = IPRax 1984, 202. EuGH Rs C-80/00 Italiean Leather/WECO Polstermöbel EuGHE 2002 I 4995 Rn 47; Rauscher/Leible Art 34 Brüssel I-VO Rn 46. MünchKommFamFG/Lipp Rn 16. Hierzu auch Heger/Selg FamRZ 2011, 1101, 1107; Hausmann, IntEuSchR K Rn 110.

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ckung der Entscheidung des Ursprungsmitgliedstaates verweigern.11 Aus der Verordnung ergeben sich keine Anhaltspunkte für die Ermessensausübung, sodass Rechtsgedanken aus vergleichbaren Regelungen herangezogen werden können. Interessanterweise weist die Regelung eine Veränderung zu Art 34 Nr 3 und 4 Brüssel I-VO auf. Dort werden alle innerstaatlichen Entscheidungen hingegen nur spätere ausländische Entscheidungen als Anerkennungshindernis berücksichtigt, was zu Recht auf Kritik gestoßen ist.12 Anders ist auch die Regelung in Art 21 Abs 1 EG-VollstrTitelVO, wonach jeweils nur „frühere“ Entscheidungen zu berücksichtigen sind. Für die Priorität nur früherer Entscheidungen hätte gesprochen, dass damit dem Kläger die Motivation genommen wird, in einem anderen Mitgliedstaat zu versuchen, eine positive, die frühere Rechtskraft missachtende Entscheidung zu erwirken. 10 Bei Art 24 lit e und f Brüssel IIa-VO hat sich der europäische Gesetzgeber dafür entschieden,

späteren Entscheidungen über die elterliche Verantwortung den Vorrang einzuräumen, davon ausgehend, dass diese im Allgemeinen dem Kindeswohl mehr entspricht. Eine Übertragung dieses Rechtsgedankens auf die EG-UntVO ist möglich. Im Allgemeinen wird die spätere Entscheidung den aktuellen Lebensumständen der Parteien mehr entsprechen.13 Im Einzelfall kann dies jedoch anders sein, insoweit ist dies bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen. 11 Eine inländische oder anzuerkennende Abänderungsentscheidung steht der Vollstreckung

der Entscheidung entgegen, welche abgeändert wurde. Darüber hinaus kann auch eine spätere Unterhaltsentscheidung, die nicht als Abänderungsentscheidung ergangen ist, aber deren Voraussetzungen erfüllt, der Vollstreckung einer vorhergehenden entgegenstehen. 12 Hinsichtlich einer zweiten ausländischen entgegenstehenden Entscheidung kommt es zu-

sätzlich darauf an, dass sie die Voraussetzungen der Anerkennung erfüllt. Nach welchen Vorschriften sich dies richtet, hängt vom Herkunftsland und bei einer zweiten mitgliedstaatlichen Entscheidung auch von den intertemporalen Bestimmungen (Art 75) ab. c) Entgegenstehende Statusentscheidung 13 Einer ausländischen Unterhaltsentscheidung kann auch eine inländische oder anzuerken-

nende ausländische Statusentscheidungen (Scheidungsurteil, Vaterschaftsfeststellung, Adoptionsdekret) entgegenstehen.14 Nicht ausreichend ist jedoch, dass ein solches Statusverfahren anhängig ist.15 Auch hier kommt es auf den Zeitpunkt des Erlasses der Statusentscheidung nicht an (keine zeitliche Priorität). 11

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MünchKommFamFG/Lipp Rn 19; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 30; kritisch Prütting/Helms/Hau Anh 3 zu § 110 FamFG Rn 106 („seltsamerweise“); aA Gebauer/Wiedmann/Bittmann Kap 36 Rn 125 (mit Verweis auf die EG-VollstrTitelVO für Privilegierung der früheren Entscheidung). Hess IPRax 2001, 301, 304 Fn 54 (= Anm zu EuGH Krombach und EuGH Renault); Geimer IZPR Rn 2891; Schack, IZVR Rn 945 ff. Ebenso MünchKommFamFG/Lipp Rn 22. Kritisch zu einer generellen Anwendung des Posterioritätsprinzips Geimer/Schütze/Hilbig Rn 33. EuGH Rs 145/86 Hoffmann/Krieg EuGHE 1988, 645 = IPRax 1989, 159 = NJW 1989, 663 = RIW 1988, 820; dazu Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 34 Brüssel I-VO Rn 171; Henrich IFR § 5 V 3 c S 213 f; für die Brüssel I-VO Kropholler/von Hein Art 34 Brüssel I-VO Rn 49 f. Ebenso MünchKommFamFG/Lipp Rn 17; Hausmann, IntEuSchR K Rn 108.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 21 EG-UntVO

Typisch ist die Situation, dass im Ursprungsmitgliedstaat der Unterhaltsentscheidung ent- 14 weder eine Entscheidung zur Statusfrage in der Hauptsache zugrunde liegt oder hierüber im Unterhaltsverfahren inzident entschieden wurde. Die vorbehaltlose Anerkennung der Unterhaltsentscheidung erstreckt sich nicht auf die Staatusentscheidung oder auf die izidente Feststellung, siehe Art 22. Die Partei, welche die Gefahr sieht, im ausländischen Verfahren zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet zu werden oder bereits verpflichtet worden ist, kann im Inland oder in einem anderen Staat als dem Ursprungsstaat des Unterhaltstitels die Feststellung der Nichtanerkennungsfähigkeit der Statusentscheidung oder eine entgegenstehende Statusentscheidung anstreben, soweit die internationale Zuständigkeit hierfür gegeben ist. Bei solchen Statusentscheidungen erscheint die Berücksichtigung auch späterer Entschei- 14a dungen gerechtfertigt.16 Das Gericht kann in Ausübung seines Ermessens berücksichtigen, dass die aktuellere Statusentscheidung der derzeitigen Situation eher entspricht als die dem ausländischen Unterhaltstitel zugrunde liegende, die uU nur auf einer gesetzlichen Vermutung beruhte, ähnlich dem § 1592 Nr 1 BGB, welche im Wege der Anfechtung auch widerlegt werden kann. Beispiele für die Unvereinbarkeit sind: Eine ausländische Entscheidung, die zum ehelichen Unterhalt im Verhältnis zu einem inländischen Scheidungsurteil verpflichtet17 sowie eine ausländische Entscheidung zum Kindesunterhalt, die unvereinbar mit einer positiven Entscheidung zur Vaterschaftsanfechtung ist. Eine Unvereinbarkeit kann sich auch dadurch einstellen, dass in Bezug auf eine der aus- 15 ländischen Unterhaltsentscheidung zugrunde liegende Entscheidung zum Personenstand (wie Scheidung, Feststellung der Existenz/Nichtexistenz der Ehe oder Vaterschaft) eine inländische Feststellungsentscheidung zur Nichtanerkennungsfähigkeit getroffen wird. Für die Entscheidungen in Ehesachen von Gerichten anderer Mitgliedstaaten besteht die Möglichkeit eines fakultativen Feststellungsverfahrens nach Art 21 Abs 3 Brüssel IIa-VO, die Entscheidung des Familiengerichts hat erga omnes Wirkung.18 Für drittstaatliche Entscheidungen in Ehesachen steht das Verfahren nach § 107 FamFG, für andere Statussachen das fakultative Verfahren nach § 108 FamFG zur Verfügung, für ausländische Adoptionen ist ein fakultatives Verfahren nach § 2 AdoptWirkG19 vorgesehen. Entscheidungen in diesen Anerkennungs- bzw Nichtanerkennungsverfahren binden die inländischen Gerichte und Behörden,20 sie haben erga omnes Wirkung.21 Diese Feststellungsentscheidungen können insoweit einer entgegenstehenden Statusentscheidung gleichgestellt werden, wenn sie der Unterhaltsentscheidung ihre Grundlage nehmen. So würde einer ausländische Entscheidung auf nachehelichem Unterhalt eine inländische negative Anerkennungsfeststellungs-

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OLG Karlsruhe v 6.12.2011 – 8 W 34/11, IPRax 2013, 354 = FamRZ 2012, 660. Ebenso MünchKommFamFG/Lipp Rn 23; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 34. EuGH Rs 145/86 Hoffmann/Krieg EuGHE 1988, 645 Rn 25; krit Schack IPRax 1989, 139, 141. Umstritten: Dafür Andrae ERA 2003, 28, 29, 45 ff; Rauscher/Rauscher Art 21 Brüssel IIa-VO Rn 33. Dagegen: Helms FamRZ 2001, 257, 261; Schack RabelsZ 65 (2001) 615, 629; Hausmann EuLF 2000/01, 345, 351. Gesetz über Wirkungen der Annahme als Kind nach ausländischem Recht (Adoptionswirkungsgesetz) vom 5.11.2001, BGBl 2001 I 2950. §§ 107 Abs 9, 108 Abs 2 S 2 FamFG. So ausdrücklich § 4 Abs 2 S 1 AdoptWirkG.

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entscheidung bezüglich der Scheidung22 genauso entgegenstehen wie einer Entscheidung auf Kindesunterhalt eine negative Anerkennungsfeststellung der Vaterschaftsentscheidung.23 16 Einer ausländischen Entscheidung zum Kindesunterhalt kann auch eine inländische oder

anzuerkennende ausländische Entscheidung zur elterlichen Verantwortung entgegenstehen, so über das Sorgerecht oder zu der Frage, bei welchem Elternteil das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat.24 d) Abänderungsentscheidungen 17 Klarstellend regelt Abs 2 UAbs 3, dass der Vollstreckung einer Abänderungsentscheidung

aufgrund geänderter Umstände nicht eine vorhergehende Unterhaltsentscheidung in derselben Sache entgegensteht.25 Der Grund dafür liegt darin, dass die Rechtskraft von Unterhaltsentscheidungen aufgrund materiell-rechtlicher Überlegungen auch prozessual eingeschränkt ist. Wenn eine ausländische Entscheidung eine inländische oder eine frühere drittstaatliche Entscheidung abgeändert hat, dann ist sie, obwohl sie zeitlich später erlassen worden ist, vollstreckbar, weil sie mit der früheren Entscheidung nicht unvereinbar ist.26 Dabei genügt die faktische Abänderung, dh die Entscheidung muss nicht als Abänderungsentscheidung ergangen sein, sofern die Abänderungsvoraussetzungen tatsächlich vorgelegen haben.27 Dies trifft zu, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse von Unterhaltsgläubiger und -schuldner derart geändert haben, dass eine Abänderung gerechtfertigt erscheint. Auch der Wechsel des anzuwendenden Unterhaltsrechts kann eine Anpassung des bestehenden Unterhaltstitels ermöglichen.28 Einer Vollstreckung steht auch eine frühere abweisende Entscheidung nicht entgegen, wenn die spätere Entscheidung auf veränderten Umständen (Bedürftigkeit oder Leistungsfähigkeit) beruht. Hier ist die Situation vergleichbar mit der einer Abänderung. 3. Nachprüfungsverfahren vor dem Ursprungsgericht (Abs 3 UAbs 1) 18 Die Vollstreckung kann von der zuständigen Behörde im Vollstreckungsmitgliedstaat auf

Antrag hin insgesamt oder teilweise ausgesetzt werden, wenn ein Nachprüfungsverfahren der Ursprungsentscheidung vor dem Ursprungsgericht gemäß Art 19 eingeleitet ist. Auch hierfür ist ein Antrag des Vollstreckungsschuldners erforderlich. 19 Die Behörde verfügt über ein doppeltes Ermessen. Sie kann entscheiden, ob sie tätig wird 22 23 24 25

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OLG Hamm v 29.7.1981 – 20 W 28/79, MDR 1982, 504 = IPRspr 1981 Nr 187. OLG Hamm IPRax 2004, 437, 438. OLG Düsseldorf v 20.7.2012 – II-1 UF 70/12, FamRZ 2013, 484. Dies entspricht der bisherigen allg Auffassung, vgl Andrae, Internationales Familienrecht2 (2006) § 8 Rn 108; Kropholler/von Hein Art 34 Brüssel I-VO Rn 51; Schack IPRax 1986, 218, 220; Henrich IFR § 5 V 3 c S 212. OLG Zweibrücken v 10.03.1998 – 5 UF 36/97, FamRZ 1999, 33, 34; OLG Köln v 15.12.1986 – 26 UF 188/86, IPRax 1988, 30; zum HUntAVÜbk 1958 Staudinger/Kropholler (2003) Anh III zu Art 18 EGBGB Rn 78. AG Gummersbach v 9.8.1985 – 6a M 1519/85, IPRax 1986, 235, 236; AG Gelsenkirchen v 14.12.1994 – 24 F 308/94, FamRZ 1995, 1160; Schack IPRax 1986, 218, 220. BGH v 17.6.2009 – XII ZB 82/09, FamRZ 2009, 1402.

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und wie. Es besteht wie in den Parallelvorschriften in EG-Verordnungen kein Anspruch des Schuldners auf Aussetzung.29 Das Gericht soll prüfen, ob der Antrag auf Aussetzung willkürlich zur Verzögerung der Vollstreckung eingelegt wurde oder das im Ursprungsstaat eingelegte Rechtsmittel mutmaßlich Aussicht auf Erfolg haben wird.30 Eine Aussetzung ist selbst dann möglich, wenn das Gericht des Ursprungsmitgliedstaates diese versagt hat.31 Zu berücksichtigen sind auch mögliche Schäden beim Schuldner, die bei einer Vollstreckung nicht wieder gut zu machen wären.32 Hat das mit der Prüfung nach Art 19 befasste Gericht des Ursprungsmitgliedsstaates die 20 Vollstreckbarkeit ausgesetzt, ist auch im Vollstreckungsmitgliedstaat die Vollstreckung auszusetzen.33 Dies folgt dann aus Abs 3 U Abs 2.34 Woraus sich wiederum ergibt, dass auch in diesem Fall ein Antrag auf Aussetzung erforderlich ist. Die Aussetzung ist jedoch nunmehr zwingend.35 Dies folgt aus dem in Art 17 Abs 2 verankerten Grundsatz, dass die Entscheidung im Vollstreckungsmitgliedstaat nicht weiter reichende Wirkungen haben kann, als im Ursprungsmitgliedstaat. Auf reine Inlandsfälle ist dieser Rechtsbehelf zur Aussetzung der Vollstreckung nicht an- 21 zuwenden. Eine Aussetzung der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat kann sich in diesem Falle nur aus dem nationalen Recht ergeben.36 Zwar können Ursprungs- und Vollstreckungsstaat in Bezug auf Art 19 zusammenfallen, Sinn und Zweck dieser Regelung ist es aber, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass mit der Abschaffung eines Zwischenverfahrens bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung die Vollstreckungsorgane unmittelbar aufgrund einer ausländischen Entscheidung hoheitlich tätig werden. Auch dann, wenn der Unterhaltsschuldner anstelle des Nachprüfungsantrages nach Art 19 22 einen gleichwertigen Rechtsbehelf des nationalen Rechts zur Überprüfung der Verletzung seines rechtlichen Gehörs einlegt, kann die Vollstreckung gemäß Abs 3 UAbs 2 ausgesetzt werden.37 Erforderlich hierfür ist, dass die Voraussetzungen des Art 19 vorliegen. Die Anwendung dieses Aussetzungsgrundes über den Wortlaut hinaus auf einen nationalen Rechtsbehelf folgt daraus, dass der Schuldner anderenfalls den Rechtsbehelf des Art 19 neben dem des nationalen Rechts einlegen müsste unabhängig davon, ob letzterer bereits zum Erfolg führen würde. Dies würde eine unnötige Belastung der Gerichte nach sich ziehen. Erfolgt die Entscheidung auf den nationalen Rechtsbehelf hin jedoch nicht innerhalb der Frist des Art 19 Abs 2, kann der Schuldner gleichwohl gezwungen sein, zusätzlich den Nachprüfungsantrag nach Art 19 zu stellen, damit dieser nicht verfristet. 29

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Rauscher/Pabst Art 23 EG-VollstrTitelVO Rn 5; Rauscher/Rauscher Art 35 Brüssel IIa-VO Rn 6; ebenso Art 22 HUntVerfÜbk 2007, vgl Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 508. Thomas/Putzo/Hüßtege Art 35 Brüssel IIa-VO Rn 4; Kropholler/von Hein Art 46 Brüssel I-VO Rn 5. MünchKommFamFG/Lipp Rn 23. Rauscher/Pabst Art 23 EG-VollstrTitelVO Rn 5; EuGH Rs 183/90 Van Dalfsen EuGHE 1991 I 4743 Rn 29 zu Art 38 EuGVÜ; BGH v 21.4.1994 – IX ZB 8/94, NJW 1994, 2156 = IPRax 1995, 243 m Anm Grunsky 218 sowie Stadler 220. Im Ergebnis ebenso MünchKommFamFG/Lipp Rn 23 sowie Geimer/Schütze/Hilbig Rn 45. Geimer/Schütze/Hilbig Rn 45. Hierzu Rn 23. Im dt Recht bieten die Vorschriften der §§ 707 ff ZPO entsprechende Schutzmöglichkeiten. AA MünchKommFamFG/Lipp Rn 26.

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4. Aussetzung der Vollstreckung im Ursprungsstaat (Abs 3 UAbs 2) 23 Der letzte UAbs betrifft den Einwand der Aussetzung der Vollstreckbarkeit im Ursprungs-

mitgliedstaat. Die Regelung ist Ausdruck der Übertragung des Prinzips der Wirkungserstreckung für anerkannte ausländische Entscheidungen auf die Vollstreckbarkeit.38 Ausgehend vom Grundsatz, dass eine Entscheidung im Vollstreckungsstaat nicht weitergehende Wirkungen haben kann als im Ursprungsstaat, muss die Aussetzung der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat auf die Vollstreckung in anderen Mitgliedstaaten durchwirken.39 Voraussetzung für die Anwendung von Abs 3 UAbs 2 ist, dass im Ursprungsmitgliedstaat die Vollstreckbarkeit bereits ausgesetzt wurde. Der Grund dafür ist unerheblich. Hauptanwendungsfall ist natürlich der, dass im Ursprungsmitgliedstaat im Zusammenhang mit der Einlegung eines Rechtsmittels die Vollstreckbarkeit vorläufig ausgesetzt wurde. Weiterhin ist ein Antrag der verpflichteten Person an die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaates auf Aussetzung der Vollstreckung erforderlich. An sich würde aus dem Wirkungserstreckungsprinzip folgen, dass die Vollstreckung in einem solchen Fall im Vollstreckungsmitgliedstaat automatisch gleichfalls ausgesetzt ist. Das Problem besteht jedoch darin, dass das Vollstreckungsorgan im Zweitstaat von der Aussetzung im Ursprungsmitgliedstaat regelmäßig nur über die Parteien Kenntnis erlangt. Deshalb ist es gerechtfertigt, dass Wirkungserstreckungsprinzip hier insoweit durch das Antragserfordernis einzuschränken.40 Liegen die beiden Voraussetzungen vor, nämlich Aussetzung der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat und Antrag auf Aussetzung im Vollstreckungsstaat, so ist die Vollstreckung im Zweitstaat auszusetzen. Die Rechtsfolge ist zwingend, ein Ermessensspielraum besteht nicht. 24 Die Regelung ist neuartig und unterscheidet sich von der Regelung des vergleichbaren Pro-

blems in Art 46 Brüssel I-VO, Art 23 EG-VollstrTitelVO sowie Art 23 EG-Bagatell VO. Diese regeln explizit den Fall des Einlegens eines Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat. Dort ist neben einem entsprechenden Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung im Vollstreckungsstaat die Einlegung eines ordentlichen Rechtsbehelfs im Erststaat Tatbestandsvoraussetzung. Auf eine Aussetzung der Vollstreckung dort kommt es jedoch nicht an. Die Rechtsfolge der Aussetzung ist nicht zwingend, vielmehr in das Ermessen der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaates gestellt. Parallele Regelungen sind in der EG-UntVO selbst zu finden und zwar in Art 25 und 35. Der Unterschied zu Abs 3 UAbs 2 besteht darin, dass dort die Regelung auf den Fall der Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung im Erststaat begrenzt ist. 25 Soweit die Vollstreckbarkeit einer für vorläufig vollstreckbar erklärten Entscheidung von

einer Sicherheitsleistung nach dem nationalen Recht des Ursprungsmitgliedstaates abhängt, ist dies auch im Vollstreckungsstaat zu beachten. Auch hier darf die Wirkung der Entscheidung nicht weiter gehen als im Ursprungsmitgliedstaat. Die Vermutung der bedingungslosen Vollstreckbarkeit aufgrund eines ausgefüllten Entscheidungsauszuges auf dem Formblatt in Anhang I ist widerlegbar.41

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Fasching/Konecny/Fucik Rn 8; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 52; MünchKommFamFG/Lipp Rn 30. Vgl Stein EuZW 2004, 679, 682 zur EG-VollstrTitelVO. Insoweit Aufgabe der Position aus der Vorauflage Rn 33. Vgl Rn 12, Art 20 Rn 16, Art 39 Rn 6 f.

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5. Deutsche Ausführungsbestimmungen42 a) Zuständigkeiten Die Zuständigkeitsregelung in § 31 Abs 1 AUG betrifft nur die in Art 21 Abs 2 und 3 26 geregelten autonomen Rechtsbehelfe. Zuständig ist das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht. Für die örtliche Zuständigkeit wird auf § 764 Abs 2 ZPO verwiesen. Die funktionelle Zuständigkeit liegt beim Richter (§ 20 RpflG).43 b) Verweigerung der Vollstreckung (Art 21 Abs 2) § 31 AUG gestaltet den in Art 21 Abs 2 UAbs 1 enthaltenen autonomen Rechtsbehelf durch 27 ein vereinfachtes Verfahren im deutschen Recht aus. Andere Rechtsbehelfe nach einzelstaatlichem Recht sind gemäß Art 21 Abs 1 verdrängt.44 Die Entscheidung ergeht durch Beschluss, der der sofortigen Beschwerde unterliegt (§ 31 Abs 2 AUG). Bis zur Entscheidung kann das Gericht einstweilige Anordnungen nach § 769 Abs 1 und 3 ZPO treffen, die (isoliert) nicht anfechtbar sind.45 In Bezug auf den Einwand der Vollstreckungsverjährung wird teilweise vertreten, dass dem Verpflichteten neben dem Rechtsbehelf nach Art 21 Abs 2 UAbs 1 auch der Vollstreckungsabwehrantrag nach §§ 120 FamFG, § 767 ZPO zur Verfügung steht.46 Dagegen spricht jedoch, dass es sich bei Art 21 Abs 2 UAbs 1 um einen autonomen Rechtsbehelf handelt, der insoweit die nationalen Rechtsbehelfe verdrängt.47 Außerdem kann dafür angeführt werden, dass der verordnungsrechtlichen Regelung als speziellere vor der allgemeineren nationalen Regelung der Vorrang zukommt. Zudem kann es nicht sein, dass für die Entscheidung über denselben Versagungsgrund unterschiedliche Gerichte zuständig sind. c) Beschränkung und Aussetzung der Vollstreckung (Art 21 Abs 3) Die Entscheidung ergeht in Deutschland aufgrund der Dringlichkeit durch einstweilige 28 Anordnung.48 Sie ist nicht anfechtbar (§ 31 Abs 3 AUG).49 Mit der Entscheidung im Ursprungsstaat werden die im Inland getroffenen einstweiligen Anordnungen hinfällig.50 Wird dies durch das zuständige Vollstreckungsorgan nicht beachtet, dürfte ein Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Anordnung entsprechend § 31 AUG statthaft sein.51

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Hierzu näher Hausmann, IntEuSchR K Rn 507 ff. BT-Drs 17/4887, 44. ErwGr 30, BT-Drs 17/4887, 44. BT-Drs 17/4887, 44. So BT-Drs 17/4887, 44; MünchKommFamFG/Lipp Rn 36. Geimer/Schütze/Hilbig Rn 61 (ausschließlich Art 31 AUG). BT-Drs 17/4887, 44. Zur Brüssel IIa-VO vgl Rauscher/Rauscher Art 35 Brüssel IIa-VO Rn 6, insb weil vorliegend nicht einmal gegen die Entscheidung über den Antrag auf Nachprüfung gemäß Art 19 vorgegangen werden kann, vgl dort. BT-Drs 17/4887, 44. MünchKommFamFG/Lipp Rn 39.

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III. Einzelstaatliche Vorschriften (Abs 1) 1. Grundsatz (Abs 1) 29 Die Entscheidungen der Gerichte/Behörden anderer Mitgliedstaaten werden den inner-

staatlichen Entscheidungen für die Vollstreckung gleichgestellt. Sie werden nach den gleichen nationalen Verfahrensvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaates vollstreckt (Art 41 Abs 1). Folgerichtig bestimmt Art 21 Abs 1, dass sich neben den in Abs 2 und 3 geregelten Gründen einzelne Vollstreckungsverweigerungsgründe aus dem nationalen Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates ergeben können. Auch wenn die Versagungsgründe in der Verordnung gegenüber denen in der Brüssel I-VO reduziert wurden, soll dies die nationalen Verweigerungsgründe möglichst nicht beeinträchtigen.52 Begrenzt werden die nationalen Gründe dadurch, dass sie den Versagungsgründen in der Verordnung nicht widersprechen dürfen. Daraus folgt, dass Art 21 für die in den Abs 2 und 3 geregelten Gründe für die Ablehnung oder Aussetzung der Vollstreckung eine abschließende Regelung vorsieht.53 Hat der Verpflichtete im Ursprungsstaat einen Rechtsbehelf nach Art 19 eingelegt, darf die Vollstreckung daher nur nach Abs 3 UAbs 1 ausgesetzt werden, nationale Rechtsbehelfe stehen insoweit nicht zur Verfügung. Außerdem ist der Grundsatz der Gleichstellung der ausländischen mit der inländischen Entscheidung zu beachten. Es dürfen keine Rechtsbehelfe direkt oder indirekt zum Tragen kommen, die im einzelstaatlichen Recht speziell der Abwehr ausländischer Entscheidungen dienen. Typisches Beispiel ist hierfür der ordre public-Vorbehalt. 30 Als Beispiele für nationale Verweigerungsgründe werden in Erwägungsgrund 30 die zeitlich

nach der Entscheidung erfolgte Erfüllung und Pfändungsschutzvorschriften genannt. Daher kann sich der Schuldner im Vollstreckungsmitgliedstaat zB auf die dort geltenden Pfändungsfreigrenzen berufen.54 Hingegen ist der Pfändungsschutz im Ursprungsstaat für die Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat ohne Bedeutung.55 Voraussetzung für die grenzüberschreitende Vollstreckung ist nur die formelle Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ursprungsstaat, materielle Vollstreckungshindernisse im Ursprungsstaat, wie zB dortige Pfändungsfreigrenzen sind unerheblich.56 Wünschenswert wäre eine europäische Kollisionsvorschrift zu den Pfändungsfreigrenzen. Viel spräche für das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Schuldners, denn ihm soll der notwendige Lebensbedarf belassen werden. Daher kommt es dem Sinn und Zweck entsprechend eigentlich auf die dortigen Lebenshaltungskosten an. Dies würde insoweit einen Gleichlauf mit dem Selbstbehalt des Unterhaltsschuldners im materiellen Recht herstellen. 31 Auch sonstige Vollstreckungsbeschränkungen, wie zB die Unpfändbarkeit von Sachen, sind

vom Standpunkt des Vollstreckungsmitgliedstaats zu beurteilen. Ist die Pfändbarkeit einer 52 53 54

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ErwGr 30 S 2. Geimer/Schütze/Hilbig Rn 61. Im dt Recht also §§ 850 ff ZPO. Zu den Schuldnerschutzbestimmungen in den einzelnen europäischen Mitgliedstaaten vgl Hess Study 18.4.2004 JAI/A3/02/2002 S 67, abrufbar unter www.euzpr.eu. Schack IPRax 1997, 318, 320; offen gelassen LSG Essen HVBG-INFO 2000, 1012. Im Bezug auf die Vollstreckbarerklärung EuGH Rs 267/97 Corsier EuGHE 1999 I 2543, 2571 Rn 29; OLG Frankfurt OLGR 2002, 29, 30 = IPRax 2003, 246; Kropholler/von Hein Art 38 Brüssel I-VO Rn 9; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 38 Brüssel I-VO Rn 6.

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Forderung an deren Übertragbarkeit gekoppelt, bestimmt sich diese materiell-rechtliche Vorfrage nach dem Forderungsstatut.57 Welche Rechtswirkungen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf die Vollstreckbarkeit 32 einer Forderung gegen den Gemeinschuldner (= Unterhaltsschuldner) hat, der den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in einem Mitgliedstaat hat, bestimmt sich nach dem Insolvenzeröffnungsstatut, Art 3 Abs 1, Art 4 Abs 2 lit f EG-InsVO. 2. Deutsches Recht a) Überblick Bezogen auf das deutsche Recht verweist § 65 AUG auf § 120 FamFG. Folglich stehen dem 33 Vollstreckungsschuldner die Rechtsbehelfe nach §§ 765a, 766, 767, 775, 776, 793 ZPO zur Verfügung.58 b) Vollstreckungserinnerung, § 766 ZPO Die Vollstreckungserinnerung richtet sich gegen die Art und Weise der Zwangsvollstre- 34 ckung. Mit ihr können prozessual zB Pfändungsschutzvorschriften geltend gemacht werden. Dies betrifft auch die vom Rechtspfleger erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse. Denn bei Vollstreckungsmaßnahmen verdrängt nach herrschender Auffassung § 766 ZPO die Rechtspflegererinnerung, da die Entscheidung des Rechtspflegers ohne Anhörung des Schuldners (§ 834 ZPO) lediglich anstelle der richterlichen Entscheidung getroffen wird und gegen jene ebenfalls § 766 ZPO statthaft wäre.59 Nur gegen eine Entscheidung nach erfolgter Anhörung des Schuldners ohne mündliche Verhandlung, ist die Beschwerde (§ 793 ZPO) statthaft.60 c) Vorgehen nach § 775 ZPO analog Will der Schuldner eine Vollstreckung mit dem Einwand der Erfüllung nach Erlass der 35 Entscheidung abwenden, so steht ihm § 775 Nr 4 oder 5 ZPO zur Verfügung, wenn er dies durch Urkunden belegen kann. Weiterhin ist § 775 Nr 1 und 2 entsprechend anwendbar, wenn der Schuldner eine Entscheidung des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaates über die Nichtvollstreckbarkeit oder die Beschränkung der Vollstreckbarkeit vorlegt, siehe § 32 AUG. Letzteres ist nur die Konsequenz daraus, dass für die Vollstreckbarkeit das Wirkungserstreckungsprinzip gilt, Die Vorlagepflicht besteht nur mit Rücksicht auf die praktische Realisierung.61 Auf Verlangen ist eine Übersetzung dieser Entscheidung, erstellt von einer dazu in den Mitgliedstaaten befugten Person durch den Schuldner einzureichen. Hieran wird deutlich, dass die Übersetzungserleichterungen nach Art 20 Abs 1 lit d nur zugunsten des Gläubigers gelten, getragen von dem Ziel, eine beschleunigte und vereinfachte grenz57 58 59

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Schack IPRax 1997, 318, 320 mwN. Hess/Spancken FPR 2013, 27, 29 (sämtliche Vollstreckungshindernisse der ZPO). Thomas/Putzo/Seiler § 766 ZPO Rn 2, § 850d ZPO Rn 18; Zöller/Stöber § 766 ZPO Rn 3; Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann/Hartmann § 766 ZPO Rn 6, § 829 ZPO Rn 84; MünchKommZPO/Smid § 829 ZPO Rn 82, § 850d ZPO Rn 29. Ausnw aber § 11 Abs 2 RPflG im Privatinsolvenzverfahren MünchKommZPO/Smid § 850d ZPO Rn 32. Thomas/Putzo/Seiler § 829 ZPO Rn 55; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann/Hartmann § 829 ZPO Rn 84; MünchKommZPO/Smid § 829 ZPO Rn 84. Heger/Selg FamRZ 2011, 1101, 1107; Hausmann, IntEuSchR K Rn 511.

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überschreitende Zwangsvollstreckung zu erreichen. Hingegen ist eine Übersetzung der gesamten Entscheidung über die Nichtvollstreckbarkeit oder Beschränkung der Vollstreckbarkeit erforderlich, wenn diese auf Verlangen gemäß § 32 AUG vorzulegen ist. Die Formulierung ist sachgerecht. Eine Auslegung ist dahingehend angebracht, dass eine Übersetzung der Entscheidung als Ganzes nur gefordert werden kann, wenn dies erforderlich ist. Eine Übersetzung zumindest des Tenors der Entscheidung wird jedoch regelmäßig vorzulegen sein. 36 Ergibt sich die Beschränkung der Vollstreckbarkeit nur gegen Sicherheitsleistung bereits

aus der zu vollstreckenden Entscheidung selbst und somit aus dem Formblatt in Anhang I, muss dies für § 775 ZPO entsprechend ausreichen, wenn den Anforderungen des Art 20 Genüge getan ist. Ansonsten hat eine Vorlage gemäß § 32 AUG zu erfolgen. Für Zuständigkeit und Verfahren selbst sieht das AUG keine speziellen Regelungen vor. d) Abwendungssicherheit, § 711 ZPO 37 Die Vollstreckung darf wegen der Zahlung einer Abwendungssicherheit nur dann verwei-

gert werden, wenn eine solche im Ursprungsmitgliedstaat zugelassen und im Vollstreckungsstaat oder einem dritten Mitgliedstaat erbracht wurde. Dies nimmt dann der zugrunde liegenden Entscheidung ihre Vollstreckbarkeit.62 Wurde die Abwendungssicherheit bereits im Ursprungsmitgliedstaat erbracht und daraufhin die Vollstreckung dort eingestellt, trifft für den Vollstreckungsmitgliedstaat Art 21 Abs 3 UAbs 2 zu. e) Vollstreckungsabwehrantrag, § 767 ZPO 38 Der Schuldner hat die Möglichkeit des Vollstreckungsabwehrantrages gemäß §§ 66 AUG,

§ 120 Abs 1 FamFG und 767 ZPO. Art 21 Abs 1 lässt im Hinblick auf seine Statthaftigkeit keine Zweifel zu.63 Der entsprechend noch im Kommissionsentwurf vorgesehene europäische Rechtsbehelf Art 33 lit a EG-UntVO-E wurde in die Verordnung nicht übernommen. Die Gründe dafür sind dahingehend zu vermuten, dass insgesamt der Vorstoß der Kommission, in das Zwangsvollstreckungsrecht mit ersten europäischen Regelungen einzugreifen, nicht zu einem Konsens gebracht werden konnte. 39 Der Vollstreckungsabwehrantrag kann auf alle nach § 767 ZPO möglichen Einwände64

gestützt werden, soweit sie nicht mit den in Art 21 Abs 2 und 3 kollidieren und immer vorausgesetzt, die Gründe hierfür sind nach Erlass der Entscheidung entstanden. Hierzu gehört hauptsächlich die Einrede der Erfüllung der titulierten Unterhaltsforderung. Weitere typische Beispiele sind: der Übergang der titulierten Forderung auf eine öffentliche Einrichtung, die Unterhaltsersatzleistungen erbracht hat; der Eintritt der Volljährigkeit bei Verfahrensstandschaft mit der Folge, dass rechtlich nunmehr das Kind Forderungsinhaber ist und die Scheidung der Ehe, wenn die ausländische Entscheidung den Trennungsunterhalt betrifft.65 Auch die Verwirkung der titulierten Unterhaltsansprüche wäre mit dem Vollstreckungsabwehrantrag geltend zu machen.66 Ein Abwehrantrag, der sich auf die Vollstreckungsverjährung stützt, ist wegen des Vorrangs von Art 21 Abs 2 UAbs 1 ausgeschlos62 63 64 65 66

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Vgl Rn 35, Art 20 Rn 16, Art 39 Rn 6 f. Ausführlich hierzu MünchKommFamFG/Lipp Rn 46; kritisch dagegen Hess/Spancken FPR 2013, 27, 29. Zu den Einwänden mit weiteren Hinweisen Thomas/Putzo/Seiler § 766 ZPO Rn 20a f. BGH v 24.3.2010 – XII ZB 193/07, NJW 2010, 1750, Anm Heiderhoff FamRZ 2010, 1060. OLG Brandenburg FamRZ 2008, 906; BGH v 25.2.2009 – XII ZB 224/06, FamRZ 2009, 858, 860; BGH v

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sen.67 Schon gar nicht kann mittels des Vollstreckungsabwehrantrages geltend gemacht werden, dass die ausländische Entscheidung gegen den ordre public verstößt.68 Der Vollstreckungsabwehrantrag steht dem Schuldner auch bei gerichtlichen Vergleichen 40 und öffentlichen Urkunden zur Verfügung.69 Die Zuständigkeit ist durch § 66 Abs 3 S 2 AUG mit einem Verweis auf § 35 Abs 1 und 2 AUG geregelt. Daraus folgt die Verfahrenskonzentration bei dem Amtsgericht, das für den Sitz des Oberlandesgerichts zuständig ist; für den Bezirk des Kammergerichts entscheidet das Amtsgericht Pankow/Weißensee. Für die örtliche Zuständigkeit kann zwischen dem Gerichtsbezirk gewählt werden, in dem der Vollstreckungsschuldner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder in dem die Vollstreckung durchgeführt werden soll. Der Vollstreckungsabwehrantrag steht dem Schuldner neben der Möglichkeit, sich gegen 41 den Titel im Ursprungsmitgliedstaat zu wehren, wahlweise zur Verfügung.70 Bei der Abwägung der Vor- und Nachteile sprechen für den Vollstreckungsabwehrantrag im Vollstreckungsmitgliedstaat allein prozessökonomische Erwägungen. Hat der Schuldner nur vollstreckbares Vermögen in einem Mitgliedstaat, kann er sich das mit höherem Aufwand verbundene ausländische Verfahren im Ursprungmitgliedstaat ersparen. Zu bedenken ist, dass sich der Vollstreckungsabwehrantrag nur gegen die Vollstreckbarkeit im Inland richtet, auf den Titel selbst aber keinen Einfluss hat. Durch die mit der EG-UntVO verbesserte Titelfreizügigkeit kann der Schuldner sogar ein gesteigertes Interesse daran haben, mögliche Einwendungen mit Wirkung für den gesamten europäischen Rechtsraum geltend zu machen, indem er die Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat angreift. Wird die Vollstreckbarkeit daraufhin eingeschränkt oder aufgehoben, kann er dies in allen anderen Mitgliedstaaten geltend machen. Für die unmittelbare Vollstreckungsmöglichkeit gemäß Art 17 Abs 2 fehlt es dann an einem erforderlichen vollstreckungsfähigen Titel. Eine Vollstreckungsmaßnahme, die ohne die Existenz eines Titels vorgenommen wird, ist nichtig.71 Der Vollstreckungsschuldner kann in diesem Fall mit einem prozessualen Gestaltungsantrag analog § 767 Abs 1 ZPO, § 120 Abs 1, 113 Abs 5 FamFG, § 66 AUG beantragen, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Titel für unzulässig erklärt wird.72 Ein Vollstreckungsabwehrantrag gemäß § 767 ZPO ist streng von einem Antrag auf Ab- 42 änderung einer Unterhaltsentscheidung (§ 238 FamFG) zu unterscheiden. Einwendungen, dass die Umstände, die zur Verurteilung zur Leistung im ausländischen Titel geführt haben, sich geändert haben, können im Rahmen des Vollstreckungsabwehrantrages nicht erhoben werden. Der Schuldner ist insoweit auf die Erhebung eines Abänderungsantrags im Er-

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27.3.1991 – XII ZR 96/90, NJW-RR 1991, 899 = FamRZ 1991, 1040; aA OLG Köln NJWE-FER 2000, 144 = FamRZ 2000, 1043 für das dt Recht. Hess/Spancken FPR 2013, 27, 29. Hess/Spancken FPR 2013, 27, 29; aA Hausmann, IntEuSchR K Rn 101. Siehe zu den diesbzgl Besonderheiten Art 48 Rn 19. Heger in: Coester-Waltjen, EuUR S 14. So auch schon zur EG-VollstrTitelVO Wagner IPRax 2005, 401, 405; Geimer, IZVR Rn 3198. Thomas/Putzo/Seiler Vorb § 704 ZPO Rn 58 für das dt Recht. BGH NJW 2005, 1577; BGH v 18.11.1993 – IX ZR 244/92, BGHZ 124, 164; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann/Hartmann Grundz § 704 ZPO Rn 57.

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kenntnisverfahren angewiesen.73 Ein Vollstreckungsabwehrantrag darf nur bei punktuell eintretenden Ereignissen, wie der Erfüllung oder einem dem wirtschaftlich gleichkommenden Vorgang zugelassen werden. Hingegen ist ein Abänderungsantrag statthaft, wenn die geltend gemachten Gegengründe die titulierten künftigen Unterhaltsansprüche dauerhaft entkräften und nicht selbst vollständig oder teilweise wieder entfallen können. Er ist einzulegen, wenn eine Veränderung des tatbestandsbegründenden Sachverhaltes eingewendet wird, sich also die im Laufe der Zeit stets wandelbaren Verhältnisse verändert haben.74 So ist der Wegfall des Geschiedenenunterhaltes für die Zukunft einerseits wegen Wegfalls der Betreuungsbedürftigkeit des gemeinsamen Kindes der Parteien und andererseits wegen der nunmehr eingetretenen Eigenverantwortlichkeit der Ehefrau mit einem Abänderungsantrag geltend zu machen.75 Ein anderes Beispiel ist, wenn der Unterhaltsschuldner gegenüber weiteren Personen unterhaltspflichtig geworden ist und sich deshalb die für die Unterhaltsbemessung maßgeblichen Verhältnisse verändert haben.76 f) § 33 AUG – Rechtsmitteleinlegung gegen die Entscheidung im Ursprungsstaat 43 § 33 AUG führt zu §§ 707, 719 Abs 1 ZPO und 120 Abs 2 S 1 und 2 FamFG. Danach kann die

Zwangsvollstreckung vorläufig eingestellt werden, wenn gegen die vorläufig vollstreckbare Entscheidung in der Unterhaltssache im Ursprungsmitgliedstaat ein Rechtsmittel eingelegt oder die Wiedereinsetzung beantragt wird. Erforderlich ist, dass der Verpflichtete glaubhaft macht, dass die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und das Rechtsmittel nicht ohne Aussicht auf Erfolg ist.77 Für die Zuständigkeit wird wiederum auf § 35 AUG verwiesen.78 Begründet wird dies damit, dass nach Art 21 Abs 1 die Rechtsbehelfe nach nationalem Recht zulässig sind, wenn sie mit Abs 2 und 3 vereinbar sind.79 Aus Abs 3 UAbs 2 lässt sich jedoch ableiten, dass die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedsstaates die Zwangsstreckung nicht schon einstellen kann, wenn ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat eingelegt ist, sondern erst dann, wenn dort die Suspendierung angeordnet wird. Damit wird dem Gericht des Ursprungsstaates auf der Grundlage der lex fori die Entscheidung überlassen, ob die Gründe es rechtfertigen, die Zwangsvollstreckung vorläufig einzustellen. Für diese Lösung spricht auch Art 35, der die Problematik für das Vollstreckbarerklärungsverfahren regelt. Dieses ist auszusetzen, wenn im Ursprungsmitgliedstaat wegen der Einleitung eines Rechtsbehelfs die Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat vorläufig eingestellt wird. Art 35 unterscheidet sich hier von Art 46 Abs 1 Brüssel I-VO, wo es nur auf die Einlegung eines ordentliche Rechtsmittels im Ursprungsmitgliedsstaat ankommt. Die Verordnung zielt in Abschnitt 1 darauf, die formelle Vollstreckbarkeit eines Unterhaltstitels im Ursprungsmitgliedstaat auf die anderen Mitgliedstaaten direkt ohne Einschränkungen zu erstrecken. Wenn sie dort aufgehoben oder einstweilen eingestellt wird, so muss dies in den Mitgliedstaaten fortwirken. Der Schuldner 73 74

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BGHZ 171, 310, 318 f, Rn 21. BGHZ 171, 310, 319, Rn 22, vgl dazu Hess IPRax 2008, 25, 29 f; BGH v 8.6.2005 – XII ZR 294/02, BGHZ 163, 187; OLG Naumburg OLG Düsseldorf v 14.7.2005 – II-6 UF 169/03, FamRZ 2006, 347; OLG Brandenburg OLG-NL 2004, 108; AG Wiesbaden FamRZ 2009, 141. AA AG Wiesbaden FamRZ 2009, 141. BGHZ 171, 310. OLG Rostock v 7.3.2011 – 10 UF 219/10, FamRZ 2011, 1679. Thomas/Putzo/Hüßtege/Seiler § 120 FamFG Rn 7 mwH. Siehe deshalb Rn 40. BT-Drs 17/4887, 44.

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wird darauf orientiert, die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung im Ursprungsmitgliedstaat bei Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung zu erreichen, die dann nach Abs 3 UAbs 2 auf Antrag in jedem Mitgliedstaat folgt. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber für Entscheidungen, die dem Abschnitt 1 unterliegen, hinter Art 35 zurückbleiben wollte. Inhaltlich wird dahingehend argumentiert, dass § 33 AUG dem angemessenen Ausgleich der widerstreitenden Interessen von Gläubiger und Schuldner dient. Der Schuldner müsse vor irreparablen Fakten durch die Zwangsvollstreckung geschützt werden, wenn der Bestand des Titels zweifelhaft wird.80 Dem Verordnungsgeber war dieses Problem bekannt, denn in Art 23 EG-VollstrTitelVO sowie Art 23 EGBagatell VO ist die Regelung zugunsten der Möglichkeit der Aussetzung der Vollstreckung bei Einlegung eines Rechtsmittels getroffen worden. Dass in der EG-UntVO nunmehr eine entsprechende Regelung fehlt, spricht nicht dafür, dass es hierfür auf das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates ankommt, vielmehr dafür, dass konsequent das Prinzip des Durchwirkens der formellen Vollstreckbarkeit verfolgt wird, selbst wenn die EG-UntVO gegenüber den anderen Verordnungen im Schuldnerschutz zurückbleibt. Im Ergebnis ist deshalb § 33 AUG nicht verordnungskonform.81 V. Keine ordre public-Kontrolle 1. Grundsatz Kein Versagungsgrund stellt dar, dass die Entscheidung aus dem anderen Mitgliedstaat der 44 öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaates widerspricht. Der Ausschluss der ordre public-Kontrolle, der bereits in der EG-VollstrTitelVO, der EG-MahnVO und der EG-BagatellVO vollzogen wurde, wird auf den wichtigen Bereich der Unterhaltsverpflichtungen ausgedehnt. Dies ist ein konsequenter Schritt im Zusammenhang mit der Abschaffung des Exequaturverfahrens, in dessen Folge die ausländische Entscheidung unmittelbare Vollstreckungswirkung in den anderen Mitgliedstaaten erlangt. Es handelt sich in erster Linie um eine rechtspolitische Entscheidung. In diesem Zusammen- 45 hang ist zu sehen, dass die Exequaturentscheidung einen Hoheitsakt darstellt und nur aufgrund dessen die eigenen Gerichte für die Durchsetzung der Entscheidung in Anspruch genommen werden können. Die Abschaffung des Exequaturverfahrens stellt insoweit einen Systemwandel dar. In das gerichtliche Durchsetzungsmonopol von Entscheidungen für das betreffende Staatsgebiet werden die Entscheidungen der Gerichte der anderen Mitgliedstaaten direkt einbezogen, indem sie den inländischen gleichgestellt werden. In dieses System passt der ordre publicVorbehalt nicht.82 Er müsste natürlich beibehalten werden – mit der Folge, dass der Systemwandel nicht vollzogen wird –, wenn es gewichtige Gründe hierfür gäbe. Vorstellbar sind durchaus einzelne 80 81

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BT-Drs 17/4887, 44. AA BT-Drs 17/4887, 44; Heger/Selg FamRZ 2011, 1101, 1108; MünchKommFamFG/Lipp Rn 46; Geimer/ Schütze/Hilbig Rn 83 f; Hess/Spancken FPR 2013, 27, 29; Hausmann, IntEuSchR K Rn 513; Prütting/ Helms/Hau Anh 3 zu § 110 FamFG Rn 108 (nicht eindeutig). So auch Hohloch FS Kropholler (2008) 809, 818.

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Entscheidungen, die in Bezug auf ihren Inhalt oder in Bezug auf die Art und Weise des Zustandekommens den ordre public des Vollstreckungsstaates verletzen. Schon bisher gibt es jedoch kaum Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten, denen aus ordre public-Gründen die Anerkennung versagt wurde.83 Es fragt sich, ob solche extrem selten auftretenden Einzelfälle es rechtfertigen, ein Exequaturverfahren beizubehalten oder ein anderes Rechtsbehelfsverfahren zu installieren. Dagegen spricht zum einen, dass Schuldner solche Rechtsbehelfsverfahren ausnutzen werden für Fälle, in denen kein ordre public-Verstoß vorliegt, um die Vollstreckung hinaus zu zögern. Zum anderen ist mit der EG-UntVO Vorsorge getroffen worden, dass der materiell-rechtliche ordre public eines Mitgliedstaates grundsätzlich nicht berührt wird, es sei denn, es handelt sich bei der konkreten Entscheidung um ein Fehlurteil. Solche sind jedoch auch in der eigenen Gerichtspraxis möglich. Der Betroffene kann in solchen Fällen die zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe des Entscheidungsstaates nutzen. 2. Vorsorge in Bezug auf den materiell-rechtlichen ordre public 46 a) Der Begriff Familienbeziehungen im Art 1 Abs 1 ist offengehalten.84 Den Mitgliedstaa-

ten ist es möglich, die EG-UntVO auf solche Beziehungen nicht anzuwenden, die vom Standpunkt der eigenen Rechtsordnung – unter Einschluss des IPR – nicht als Familienbeziehung angesehen werden. Ausgenommen sind die Beziehungen aus Ehe, Verwandtschaft und Schwägerschaft. Damit können sie die Anwendung der Verordnung für die Beziehungen ausschließen, deren familienrechtlichen Charakter sie auch aus fundamentalen Gesichtspunkten ablehnen und bei denen sie deshalb auch eine Unterhaltspflicht verneinen. 47 b) Das spezielle Anknüpfungssystem des HUntStProt 2007 führt dazu – wenn es richtig

zur Anwendung kommt –, dass der materiell-rechtliche ordre public in Bezug auf Entscheidungen, die auf dieser Grundlage erlassen werden, noch mehr an Bedeutung verliert.

Art 4 HUntStProt 2007 begünstigt mit der Kaskadenanknüpfung die Gewährung von Unterhalt an Kinder in Eltern-Kind-Beziehungen. Art 6 betrifft alle Unterhaltspflichten, es sei denn, es handelt sich um solche der Eltern gegenüber einem Kind oder um die, die durch die Ehe begründet sind. Die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten unterscheiden sich erheblich in der Frage, ob bezogen auf diese Beziehungen eine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht. Die kollisionsrechtliche Lösung des Art 6 ist so getroffen, dass grundsätzlich kein mitgliedstaatliches Gericht veranlasst sein dürfte, eine Entscheidung, die aufgrund dieser Bestimmung getroffen worden ist, aus ordre public-Gründen abzulehnen. Unterhalt wird nämlich nur dann gewährt – soweit der Verpflichtete von seinem Einspruchsrecht Gebrauch macht –, wenn sowohl das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsberechtigten als auch des -verpflichteten dies vorsehen. Haben beide eine gemeinsame Staatsangehörigkeit ist zusätzlich eine Unterhaltspflicht gegeben, wenn das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts und die gemeinsame Staatsangehörigkeit dies bestimmen. Die kollisionsrechtliche Kumulation schließt zwar nicht die Anwendung des ordre public aus, schränkt jedoch mögliche Anwendungsfälle ein.85 83 84

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Ebenso Bartl S 178. Kritisch Conti S 163 ff. Hierzu Art 1 Rn 9 ff.

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Art 8 Abs 5 HUntStProt 2007 trifft Vorsorge, dass die Parteiautonomie nicht dazu benutzt wird, eine Vertragspartei, die die Konsequenzen der Rechtswahl nicht ermessen kann, an eine für sie unvorteilhafte Rechtswahl zu binden. Ein wesentliches Grundprinzip des materiellen Unterhaltsrechts, nämlich, dass bei Bemessung der Leistungspflicht die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten und die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten zu berücksichtigen sind, ist als einheitliche Sachnorm in Art 14 HUntStProt 2007 aufgenommen worden. Problematisch ist, dass ein mitgliedstaatliches Gericht in Bezug auf Art 13 HUntStProt 2007 das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts und damit auch des Rechts anderer Mitgliedstaaten am ordre public der eigenen Rechtsordnung misst. Perspektivisch kommt es darauf an, dem ordre public möglichst eine gemeinschaftsrechtliche Seite beizumessen, um ihm die gemeinsamen Grundwerte zugrunde zu legen, vor allem, wenn es um die Heranziehung des ordre public gegenüber dem Ergebnis der Anwendung des Rechts eines anderen Mitgliedstaates geht.86 c) Die Anerkennung nach der EG-UntVO umfasst nur den unterhaltsrechtlichen Teil einer 47a Entscheidung, nicht jedoch den Teil, der das zugrundeliegende Statusverhältnis betrifft. Die Gerichte haben mitunter die Anwendung des ordre public erwogen, wenn die der ausländischen Entscheidung zugrunde liegende Klärung der Vorfrage, insbesondere der Vaterschaft, nicht mit den Grundsätzen des deutschen Rechts übereinstimmt.87 Die Ablehnung der Vollstreckung aus diesem ordre public-Grund gegenüber einer mitgliedstaatlichen Entscheidung ist nicht mehr zulässig. Jedoch kann der Betroffene eine inländische Statusentscheidung mit erga omnes Wirkung herbeiführen, wenn es eine solche ausländische Entscheidung nicht gibt oder wenn diese nicht anzuerkennen ist. Diese steht dann zu der ausländischen Unterhaltsentscheidung iSd Art 21 Abs 2 UAbs 2 im Widerspruch, so dass der Rechtsbehelf Erfolg haben dürfte. 3. Verfahrensrechtlicher ordre public Gegen die Verletzung des verfahrensrechtlichen ordre public88 hat der europäische Gesetz- 48 geber weniger Barrieren als in der EG-VollstrTitelVO, EG-MahnVO und EG-BagatellVO aufgestellt. In Art 19 hat er immerhin einen autonomen Rechtsbehelf für die Fälle der Verletzung des rechtlichen Gehörs in der verfahrenseinleitenden Phase geschaffen. Die darüber hinaus denkbaren Fälle, wie zB die Verletzung des rechtlichen Gehörs nach der Verfahrenseinleitung, der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichts, der Gleichbehandlung der Parteien sowie des Fehlens eines fairen Verfahrens können außerhalb des Ursprungsstaates einer unmittelbaren Vollstreckungsmöglichkeit nach Abschnitt 1 nicht entgegengehalten werden.89 85 86

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Ebenso Bartl S 190. Siehr FS Kropholler (2008) 211, 222; eingeschränkt auch Rühl FS Kropholler (2008) 187, 208. Zur Entwicklung eines ordre public communautaire siehe auch Bartl S 185 f. Hierzu Art 24 Rn 10. Zum Begriff des verfahrensrechtlichen ordre public Hohloch FS Kropholler (2008) 809, 811 ff. Weitere Beispielen bei Hohloch FS Kropholler (2008) 809, 816 f.

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Der Verzicht auf die Kontrolle stützt sich wie im Bereich des materiell-rechtlichen ordre public auf das gegenseitige allgemeine Vertrauen der Mitgliedstaaten in eine rechtstaatliche Rechtspflege. Der gezeichnete einheitliche Rechtsraum wird jedoch vielfach als Fiktion beschrieben.90 Es fehlt jedoch an rechtstatsächlichen Untersuchungen, welche elementaren Mängel es in Unterhaltsverfahren in anderen Mitgliedstaaten gibt.91 Es kommt beim ordre public nicht darauf an, dass die ausländische Verfahrenspraxis mit der deutschen gleichwertig ist, sondern nur darauf, dass allgemeine Grundsätze des Verfahrensrechts nicht verletzt werden, auf deren Einhaltung zu bestehen ist, wenn die Entscheidung im Inland durchgesetzt werden soll.92 Aber trotz dieses hohen Maßstabes finden sich in der jüngeren deutschen Rechtspraxis Fälle, in denen die Vollstreckbarkeitserklärung eines ausländischen Unterhaltstitels am verfahrensrechtlichen ordre public scheitere.93 Es handelt sich also nicht nur um ein abstraktes Problem. Die Forderung aus der Literatur, die Versagungsgründe des Entwurfs um die justiziellen Garantien des GG und der EMRK zu erweitern, fand mit Recht kein Gehör, weil der prozessrechtliche ordre public nur in einem anderen Gewand erschienen wäre. Das Wegfallen des ordre public beschränkt den Rechtsschutz des Schuldners nicht substantiell. Er zwingt ihn dazu, die Verstrickung in einem im Ausland geführten Verfahren ernst zu nehmen.94 4. Verfassungsbeschwerde 49 Einer eigenen Untersuchung bedarf es, ob der Titelschuldner gegen die inländische Voll-

streckungsmaßnahme als Akt der öffentlichen Gewalt iSv Art 19 Abs 4 GG mit einer Verfassungsbeschwerde vorgehen kann, wenn im Verfahren vor dem ausländischen Gericht sein Recht auf rechtliches Gehör oder andere elementare, auf Grundrechte zurückzuführende Verfahrensgrundsätze verletzt wurden. Dies setzt zumindest voraus, dass die Unterhaltssache einen solchen Inlandsbezug aufweist und deshalb die Grundrechte Geltung verlangen. Erforderlich ist weiterhin, dass der Beschwerdeführer zuvor den Rechtsweg im Ursprungsstaat ausgeschöpft hat. Sodann fragt sich, ob die Grundrechtsprüfung nicht durch die Solange II-Rechtsprechung des BVerfG95 versperrt ist. Dazu wird vertreten, dass wenn der EuGH bei Überprüfung des EG-Rechts auch das nationale Recht des Erststaats mit einbezieht, die Solange II-Rechtsprechung des BVerfG einer Grundrechtsprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entgegensteht.96 90

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Oberhammer JBl 2006, 477, 497; Rauscher/Pabst Einl EG-VollstrTitelVO Rn 15; Sujecki ZEuP 2008, 458, 469. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Erfahrungsbericht von Hohloch als Mitglied eines Zivilsenats eines OLG, in dessen Zuständigkeit das Beschwerdeverfahren gem §§ 11 ff AVAG liegt. Im Ergebnis der Untersuchung stellt Hohloch fest, dass der Vorbehalt des verfahrensrechtlichen ordre public nur seltenst mit Erfolg bemüht werden kann; siehe Hohloch FS Kropholler (2008) 809 ff. Ua BGHZ 182, 188 = BGH v 26.8.2009 – XII ZB 169/07, FamRZ 2009, 1816 Rn 25, gestützt auf EuGH Rs C-38/98 Renault SA/Maxicar SpA, Orazio Formento, EuGHE 2000 I 2973: BGH v 2.9.2009 – XII ZB 50/06, FamRZ 2009, 2069 Rn 24; BGH v 21.3.1990 – XII ZB 71/89, IPRax 1992, 33 = FamRZ 1990, 868; OLG Stuttgart v 21.12.2011 – 17 UF 276/11, FamRZ 2012, 999 = IPRax 2013, 351 Rn 14. Hierzu mit Nachweisen Art 24 Rn 9 ff. Hohloch FS Kropholler (2008) 809, 818. BVerfG v 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339. Pfeiffer FS Jayme (2004) 675, 690; Bartl S 186.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 21 EG-UntVO

5. Verletzung der EMRK Dem Titelschuldner verbleibt die Möglichkeit, soweit die Entscheidung die EMRK verletzt, 50 eine Menschenrechtsbeschwerde vor dem EGMR zu erheben.97 Daraufhin kann der EGMR im Erfolgsfall eine „gerechte Entschädigung“ zusprechen, wenn das nationale Recht keine ausreichende Wiedergutmachung bei Verletzung der EMRK vorsieht.98 Effektiver jedoch wäre eine Verknüpfung zwischen der Individualbeschwerde zum EGMR und der Aussetzung der Vollstreckung,99 was jedoch wegen der langen Verfahrensdauer vor dem EGMR zu nicht hinnehmbaren Verzögerungen des Vollstreckungsverfahrens führen würde. Wünschenswert wäre auf europäischer Ebene die Ausgestaltung einer europäischen Grundrechtskontrolle in Form einer Individualbeschwerde vor dem EuGH gegen Verletzungen von Verfahrensgrundrechten bei grenzüberschreitenden Zivilverfahren.100 Angedacht wird auch eine Verknüpfung der Menschenrechtsbeschwerde mit Art 21. 6. Schadensersatz als Kompensation Unabhängig von diesen grundsätzlichen Betrachtungen, die auch aus der fehlenden Har- 51 monisierung und unterschiedlichen Niveaus der nationalen Systeme folgen, sind Fälle des Prozessbetrugs oder Täuschungen von Gericht oder Beklagten nicht gänzlich auszuschließen.101 Diese Problematik folgt jedoch nicht aus der Grenzüberschreitung zum Zwecke der Vollstreckung. In Deutschland steht gegen die Durchsetzung eines erschlichenen Titels oder der arglistigen Ausnutzung eines Titels die Klage nach § 826 BGB auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung bzw Schadensersatz (gegebenenfalls in Kombination mit einem Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 769 ZPO für die Zeit bis zu einer Entscheidung102) zur Verfügung.103 Dies stünde als nationaler Rechtsbehelf zur Verweigerung der Vollstreckung iSv Art 21 Abs 1 nicht im Widerspruch zu den übrigen Aussetzungsgründen der folgenden Absätze des Art 21. Insoweit wäre im Vollstreckungsstaat in diesen Fällen ein gewisses Äquivalent zur ordre public-Kontrolle durch den Rechtsschutz im Vollstreckungsverfahren gegeben. 97 98 99 100

101

102

103

Leipold FS Stoll (2001) 625, 645. Befürwortend auch Bartl S 184, zurückhaltender Conti S 166. Sittinger NJW 2001, 1238, 1239; Wagner IPRax 2002, 75, 92; Oberhammer JBl 2006, 477, 498. Rauscher/Pabst Einl EG-VollstrTitelVO Rn 46; Oberhammer JBl 2006, 477, 502. Stadler IPRax 2004, 2, 10; Rauscher/Pabst Einl EG-VollstrTitelVO Rn 43 sowie Art 5 EG-VollstrTitelVO Rn 14. Darauf, dass der EuGH nur Sekundärrecht auf Grundrechtsverstöße überprüft, verweist auch Pfeiffer FS Jayme (2004) 675, 689 f. Wagner IPRax 2002, 75, 93; Sujecki ZEuP 2008, 458, 477; Mankowski RIW 2004, 587, 588; Stadler IPRax 2004, 2, 8. LG Berlin v 24.8.2005 – 4 O 609/05, MDR 2005, 1254; OLG Zweibrücken v 14.6.1991 – 7 W 39/91, NJW 1991, 3041; OLG Karlsruhe v 23.9.1986 – 2 WF 103/86, FamRZ 1986, 1141; aA OLG Stuttgart v 23.12. 1996 – 2 W 83/96, NJW-RR 1998, 70 (§ 826 BGB ist eine Leistungsklage und keine prozessuale Gestaltungsklage, daher komme nur eine einstweilige Verfügung gegen die Realisierung des Titels in Betracht); ebenso OLG Frankfurt v 1.11.1991 – 22 W 42/91, NJW-RR 1992, 511. Oberhammer JBl 2006, 477, 500, mwN. Vgl zu den Voraussetzungen für die Durchbrechung der Rechtskraft mittels § 826 BGB BGH v 24.9.1987 – III ZR 187/86, BGHZ 101, 380, 383 ff und BGH v 13.9.2005 – VI ZR 137/04, FamRZ 2005, 2061 = NJW 2006, 154, 156 sowie OLG Köln 17.11.2008, Az 16 W 27/08 (allerdings wegen Präklusion ablehnend). Art 5 Nr 2 HUntStÜbk 1973 und Art 22 lit b HUntVerfÜbk 2007 sehen demgegenüber noch den Verweigerungsgrund der betrügerischen Machenschaft vor.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

665

Art 22 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Artikel 22: Keine Auswirkung auf das Bestehen eines Familienverhältnisses Die Anerkennung und Vollstreckung einer Unterhaltsentscheidung aufgrund dieser Verordnung bewirkt in keiner Weise die Anerkennung von Familien-, Verwandtschafts-, oder eherechtlichen Verhältnissen oder Schwägerschaft, die der Unterhaltspflicht zugrunde liegen, die zu der Entscheidung geführt hat.

1 Die Regelung entspricht Art 3 HUntAVÜbk 1973 und Art 19 Abs 2 HUntVerfÜbk 2007,

ohne die ein Konsens hinsichtlich einer Anerkennung und grenzüberschreitenden Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen nicht hätte erzielt werden können. Die Bestimmung beruht auf dem Grundsatz, dass die unanfechtbare Anerkennung und die direkte Vollstreckbarkeit sich nur auf den Unterhaltsteil der Entscheidung beziehen. Deren Wirksamkeit ist völlig unabhängig von dem Teil der Entscheidung, die dem Personenstand gewidmet ist.1 Damit soll die Akzessorietät dieser beiden Seiten der Entscheidung, die materiell-rechtlich gegeben ist, für die Anerkennung und Vollstreckung nicht zur Geltung kommen. Für die EG-UntVO besteht auch nicht die Möglichkeit, diese Akzessorietät über den ordre public wiederherzustellen. Zum einen gibt es den ordre public-Einwand nicht mehr, zum anderen wäre er wegen der speziellen Regelung, zu dieser Frage ausgeschlossen. Die Wertung von Art 22 ist insoweit eingegrenzt, als sie nicht die Herbeiführung einer entgegenstehenden Statusentscheidung iSd Art 21 Abs 2 UAbs 2 ausschließt.2 2 Konkret bedeutet dies für Art 22: Die Anerkennung erstreckt sich nicht auf das der Unter-

haltsentscheidung zugrunde liegende Familienverhältnis von Gläubiger und Schuldner, dh zB ob eine Ehe besteht, eine Verwandtschaft oder wirksame Adoption vorliegt. Bejaht das Ursprungsgericht einen Unterhaltsanspruch auf der Grundlage einer gesetzlichen Vermutung, wie zB für die Vaterschaft § 1592 Nr 1 BGB, hat dies keinen Einfluss auf die Beurteilung dieser Frage im Anerkennungsstaat. Selbst wenn die Unterhaltsentscheidung im Zusammenhang mit einer formellen Entscheidung zu der betreffenden Statusfrage, wie etwa der Ehescheidung oder Vaterschaftsfeststellung, getroffen wurde, verleiht die EG-UntVO der Statusentscheidung in anderen Mitgliedstaaten keine Wirkung. 3 Anderseits ist die Vollstreckung einer Unterhaltsentscheidung nicht davon abhängig, ob

eine ihr zugrunde liegende Statusentscheidung im Inland anerkannt wird. Folglich wird zum Zwecke der Vollstreckung auch nicht die Anerkennungsfähigkeit der Statusentscheidung geprüft.3 Es kommt auch nicht darauf an, ob überhaupt eine Entscheidung zur Statusfrage im Ursprungsmitgliedstaat erlassen wurde oder ob das Statusverhältnis lediglich als Vorfrage inzident beurteilt wurde. 1 2 3

666

Verwilghen-Bericht zum HUntStÜbk 1973 Rn 38. Hierzu bereits Art 21 Rn 22 ff. Andrae, Internationales Familienrecht3 (2014) § 8 Rn 115; Martiny FamRZ 2008, 1681, 1686; Geimer/ Schütze/Geimer, EuZVR Art 34 Brüssel I-VO Rn 158; zum HUntAVÜbk 1973 OLG Karlsruhe v 23.4. 1998 – 2 WF 14/98, NJW-RR 1999, 82, 83 m Anm Gottwald FamRZ 1999, 310; Staudinger/Kropholler (2003) Anh III zu Art 18 EGBGB Rn 20; MünchKommZPO/Gottwald § 328 ZPO Rn 207. Dies war nach Art 27 Nr 4 EuGVÜ noch anders, vgl Garbe/Ullrich/Andrae § 11 Rn 549 ff.

Oktober 2014

Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Vorbem zu Artt 23 ff EG-UntVO

Abschnitt 2: In einem Mitgliedstaat, der nicht durch das Haager Protokoll von 2007 gebunden ist, ergangene Entscheidungen Vorbemerkungen zu den Artt 23 ff I. II. III.

Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Änderungen und Präzisierungen zur Brüssel I-VO 1. Entgegenstehende Entscheidungen (Art 24 S 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geltendmachung einer angefochtenen Entscheidung (Art 25) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vollstreckbarkeit (Art 26) . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Örtliche Zuständigkeit/gewöhnlicher Aufenthalt (Art 27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2

3 4 7

IV.

5. Verfahren der Vollstreckbarerklärung (Art 28) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 6. Rechtsbehelf gegen Vollstreckbarerklärung (Art 32) . . . . . . . . 12 7. Aussetzung des Exequaturverfahrens (Art 35) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 8. Gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Übersicht zu den Veränderungen . . . . . . . . . 16

8

I. Allgemeines Der Abschnitt 2 entspricht dem System der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach 1 der Brüssel I-VO.1 Die Änderungen resultieren zum einen daraus, dass einige Lösungen in angepasster Form aus Abschnitt 1 anzutreffen sind, und zum anderen daraus, dass Besonderheiten des Vereinigten Königreichs, die auch in der Brüssel I-VO ihren Niederschlag finden, in der allgemeinen Regelung berücksichtigt werden. Bis auf wenige Ausnahmen kann auf die Kommentierungen zu Art 32-56 Brüssel I-VO verwiesen werden. II. Anwendbarkeit Abschnitt 2 hat zwei Anwendungsfelder: 2 a) Für Entscheidungen, deren Verfahren ab dem 18.6.2011 in einem Mitgliedstaat eingeleitet werden, der nicht durch das HUntStProt 2007 gebunden ist. Nach dem bisherigen Stand trifft dies auf Entscheidungen von Gerichten und Behörden aus Dänemark und dem Vereinigten Königreich zu.2 b) Für Entscheidungen der Gerichte und Behörden aller Mitgliedstaaten, die davor eingeleitet worden sind, wenn sich die Anwendung von Abschnitt 2 aus der intertemporalen Regelung des Art 75 Abs 23 ergibt.

1 2 3

ErwGr 26. Hierzu Art 1 Rn 48 ff. Hierzu Art 75 Rn 7 ff.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

667

Vorbem zu Artt 23 ff EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

III. Änderungen und Präzisierungen zur Brüssel I-VO 1. Entgegenstehende Entscheidungen (Art 24 S 2) 3 In Art 24 S 2, der dem Art 21 Abs 2 UAbs 3 entspricht,4 wird klargestellt, dass der An-

erkennung oder Vollstreckbarerklärung einer Abänderungsentscheidung nicht diejenige inländische oder anzuerkennende Entscheidung entgegensteht, welche abgeändert wurde. 2. Geltendmachung einer angefochtenen Entscheidung (Art 25) 4 Art 25 ist an Art 37 Brüssel I-VO orientiert, der die Aussetzung eines Verfahrens regelt, in

dem es um die Anerkennung der Entscheidung geht. Anders als dort, kommt es nicht nur auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs im Ursprungsstaat an, vielmehr muss dort wegen des Rechtsbehelfs die Vollstreckbarkeit ausgesetzt sein. Durch die Aussetzung des Verfahrens sollen letztlich sich widersprechende Entscheidungen vermieden werden. Es handelt sich, anders als nach der Brüssel I-VO um eine gebundene Entscheidung. Rn 5 und 6 entfallen. 3. Vollstreckbarkeit (Art 26) 7 Von der Vorschrift des Art 38 Brüssel I-VO wurde nur der erste Absatz übernommen.

Anstelle der deutschen Klauselerteilung erfolgt im Vereinigten Königreich eine Registrierung ausländischer Entscheidungen in dem jeweiligen Teilstaat England und Wales, Schottland bzw Nordirland. Dieses Registrierungserfordernis aus Art 38 Abs 2 Brüssel I-VO wurde für Art 26 nicht übernommen. 4. Örtliche Zuständigkeit/gewöhnlicher Aufenthalt (Art 27) 8 Angelehnt an die Haager Übereinkommen wird die frühere Anknüpfung durch die Brüssel

I-VO an den Wohnsitz durch die am gewöhnlichen Aufenthalt ersetzt .5 Dies gilt auch für Vollstreckbarerklärungsverfahren, vgl Artt 27, 32 Abs 4, 5. 5. Verfahren der Vollstreckbarerklärung (Art 28) 9 Die Erfordernisse an einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung sind in der EG-UntVO aus-

führlicher geregelt als in der Brüssel I-VO. So stellt zB Art 28 detaillierte Anforderungen an die beizufügenden Schriftstücke. Hier ist eine Angleichung an Art 20 erfolgt.6 10 Für die Anforderungen an den entsprechenden Antrag, die sich nicht aus der Verordnung

selbst ergeben, beinhaltete Art 40 Abs 1 Brüssel I-VO noch einen Verweis auf das Recht des Staates, in dem die Vollstreckbarerklärung beantragt wird. Trotz der ausführlicheren Re-

4 5 6

668

Vgl daher diesbzgl Art 21 Rn 25 f. Vgl Art 3 Rn 23 ff. Geimer/Schütze/Hilbig Art 28 Rn 1.

Oktober 2014

Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Vorbem zu Artt 23 ff EG-UntVO

gelungen in der EG-UntVO sind verfahrensrechtliche Fragen denkbar, die nicht in der Verordnung geregelt werden, etwa die Frage der Form des Antrages. Hierfür kann auf den Verweis auf das nationale Recht in Art 41 Abs 1 S 1 zurückgegriffen werden. Die Zeit innerhalb der eine Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung er- 11 gehen soll, wird zur Beschleunigung durch eine Fristsetzung in Art 30 auf 30 Tage begrenzt.7 6. Rechtsbehelf gegen Vollstreckbarerklärung (Art 32) Wie die Brüssel I-VO sieht Art 32 Abs 5 eine abgestufte Rechtsmittelfrist, je nach gewöhn- 12 lichem Aufenthalt des Vollstreckungsschuldners vor. Befindet sich dieser außerhalb des Vollstreckungsstaates, wird die Frist im Verhältnis zur Brüssel I-VO auf 45 Tage verkürzt. Hat er seinen Aufenthalt im Vollstreckungsmitgliedstaat, gilt eine 30 Tagesfrist. 7. Aussetzung des Exequaturverfahrens (Art 35) Art 35 betrifft die Aussetzung des Exequaturverfahrens in den Rechtsbehelfsinstanzen, 13 wenn in dem Ursprungsstaat wegen Einlegung eines Rechtsmittels die Vollstreckbarkeit einstweilen eingestellt ist. Die Regelung ist gegenüber Art 46 Abs 1 Brüssel I-VO insoweit verändert, als hier die Lösung des Art 21 Abs 3 UAbs 2 übernommen wird. Rn 14 entfällt. 8. Gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden Abschitt 2 ist auch auf gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden anzuwenden, wenn 15 Ursprungsstaat Dänemark oder das Vereinigte Königreich ist oder sie in einem Mitgliedstaat vor dem 18.6.2011 abgeschlossen oder errichtet wurden. Zu den Unterschieden wird auf die Kommentierung zu Art 48 verwiesen. IV. Übersicht zu den Veränderungen 16

Inhalt

EG-UntVO Brüssel I-VO Änderungen/Anmerkungen

Anerkennung

Art 23

Anerkennungsversagungsgründe

Art 24 lit a Art 34 Nr 1, Art 35 Abs 3 S 2 Brüssel I-VO wird direkt zum 35 Abs 3 S 2 ordre public gezogen – beides jetzt in lit a

keine

Art 24 lit b Art 34 Nr 2

keine

Art 24 lit c Art 34 Nr 3

keine

Art 24 lit d Art 34 Nr 4

keine

Art 24 S 2

7

Art 33

Hinweis, dass eine Abänderungsentscheidung nicht unvereinbar ist mit der Entscheidung, die sie abändert

ErwGr 26.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

669

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Vorbem zu Artt 23 ff EG-UntVO Inhalt

EG-UntVO Brüssel I-VO Änderungen/Anmerkungen

Aussetzung des Verfahrens, Art 25 in dem Anerkennung begehrt wird

Art 37 Abs 2 Übernimmt die Sonderregelung für Irland und das Vereinigte Königreich aus der Brüssel I-VO. Die Aussetzung erfolgt jedoch aufgrund gebundener Entscheidung, wenn die Vollstreckung im Ursprungsmitgliedstaat wegen der Einlegung eines Rechtsbehelfs einstweilen eingestellt wurde.

Vollstreckbarkeit

Art 26

Art 38

Das Erfordernis der Registrierung im Vereinigten Königreich aus Art 38 Abs 2 Brüssel I-VO wurde nicht übernommen.

örtliche Zuständigkeit

Art 27

Art 39

In Abs 2 tritt an die Stelle des Wohnsitzes der gewöhnliche Aufenthalt der Person, gegen die sich die Vollstreckung richten soll

Verfahren

Art 28

Art 40

Kein Verweis mehr auf Geltung des Rechts des Vollstreckungsmitgliedstaates für Antrag

Verfahren

Art 28

Artt 53, 54

Auszug der Entscheidung auf detaillierterem Formblatt; Übersetzung kann durch Gericht nur verlangt werden, wenn Rechtsbehelf nach Artt 32, 33 eingelegt (iÜ vgl Art 20); Konkretisierung zur Person des Übersetzers eingefügt

Nichtvorlage des Auszugs

Art 29

Art 55

keine

Vollstreckbarerklärung

Art 30

Art 41

Eine Frist von 30 Tagen ab der Erfüllung der Förmlichkeiten aus Art 28 wurde für die Vollstreckbarerklärung zusätzlich eingefügt.

Mitteilung der Entscheidung Art 31 über den Antrag auf Vollstreckung

Art 42

keine

Rechtsbehelf gegen die Ent- Art 32 scheidung über den Antrag

Art 43

In Abs 4, 5 nunmehr gewöhnlicher Aufenthalt statt Wohnsitz; in Abs 5 Frist von 30 Tagen anstelle eines Monats/bzw 45 Tage anstelle zweier Monate

Rechtsmittel gegen die Ent- Art 33 scheidung über den Rechtsbehelf

Art 44

keine

Versagung oder Aufhebung Art 34 einer Vollstreckbarerklärung

Art 45

Für Verfahren nach Art 32 Entscheidungsfrist von grds 90 Tagen nach Befassung; für Verfahren nach Art 33 bleibt es bei einer unverzüglichen Entscheidung

Aussetzung des Verfahrens

Art 35

Art 46

Als strengere Voraussetzung für eine Aussetzung muss die Vollstreckung im Ursprungsmitgliedstaat wegen der Einlegung eines Rechtsbehelfs einstweilen eingestellt sein. Die Aussetzung erfolgt aufgrund einer gebundenen Entscheidung. Eine Sicherheitsleistung für die Vollstreckung kann vom Rechtsbehelfsgericht nicht mehr angeordnet werden.

Einstweilige Maßnahmen

Art 36

Art 47

keine

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Oktober 2014

Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung Inhalt

Art 23 EG-UntVO

EG-UntVO Brüssel I-VO Änderungen/Anmerkungen

einschließlich Sicherungsmaßnahmen Teilvollstreckbarkeit

Art 37

Art 48

keine

Keine Stempelabgaben oder Art 38 Gebühren

Art 52

keine

Art 36

keine

Vorläufige Vollstreckbarkeit

Art 39

Durchsetzung einer anerkannten Entscheidung

Art 40

Vollstreckungsverfahren und Art 41 Bedingungen für die Vollstreckung Verbot der sachlichen Nach- Art 42 prüfung Kein Vorrang der Eintreibung Art 43 von Kosten Gerichtliche Vergleiche und Art 48 öffentliche Urkunden

Entspricht Art 43 Abs 1 HUntVerfÜbk 2007 Artt 57, 58

Zu den erheblichen Unterschieden vgl die Kommentierung zu Art 48 Rn 1 ff.

Artikel 23: Anerkennung (1) Die in einem Mitgliedstaat, der nicht durch das Haager Protokoll von 2007 gebunden ist, ergangenen Entscheidungen werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. (2) Bildet die Frage, ob eine Entscheidung anzuerkennen ist, als solche den Gegenstand eines Streites, so kann jede Partei, welche die Anerkennung geltend macht, in dem Verfahren nach diesem Abschnitt die Feststellung beantragen, dass die Entscheidung anzuerkennen ist. (3) Wird die Anerkennung in einem Rechtsstreit vor dem Gericht eines Mitgliedstaats, dessen Entscheidung von der Anerkennung abhängt, verlangt, so kann dieses Gericht über die Anerkennung entscheiden.

In Abs 1 ist der Grundsatz der automatischen Anerkennung der Unterhaltsentscheidung 1 aus einem anderen Mitgliedstaat bestimmt.1 Mit der Anerkennung werden die Wirkungen, die die Entscheidung im Erlassstaat hat, auf das Inland erstreckt (Grundsatz der Wirkungserstreckung).2 Ausgenommen hiervon ist die Vollstreckbarkeit. Die Anerkennung der Abschnitt 2 unterliegenden Entscheidungen erfolgt nicht vorbehaltlos, vielmehr gibt es die in Art 24 vorgesehenen Anerkennungsversagungsgründe. Anerkennungsfähig sind auch nicht

1 2

Näher bei Rauscher/Leible Art 33 Brüssel I-VO Rn 1 f. Ua EuGH Rs 145/86 Hoffmann/Krieg EuGHE 1988, 645 Rn 11; EuGH Rs C-420/07 Apostolides/Orams EuGHE 2009 I 3571 Rn 66; BGH NJW 1986, 1440; Rauscher/Leible Art 33 Brüssel I-VO Rn 3 ff; Kropholler/von Hein vor Art 33 Brüssel I-VO, Rn 9 ff mwH; für die EG-UntVO Hausmann, IntEuSchR K Rn 120.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

671

Art 23 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

rechtskräftige Unterhaltsentscheidungen. Es besteht eine Rechtsvermutung zugunsten der Anerkennung, die nur widerlegt ist, wenn einer der Versagungsgründe vorliegt.3 2 Die Anerkennung erfolgt ipso iure, eine förmliche Anerkennung ist nicht erforderlich. Ab-

satz 2 ermöglicht ein Anerkennungsfeststellungsverfahren, das fakultativen Charakter trägt. Die entsprechende deutsche Ausführungsbestimmung ist § 55 AUG. In der Rechtspraxis hat es geringe Bedeutung, da Unterhaltsentscheidungen meist Leistungsentscheidungen sind und hier regelmäßig die Vollstreckbarerklärung in der Rechtspraxis ausreichend ist. Seine Bedeutung liegt hauptsächlich bei solchen Unterhaltsentscheidungen, die keinen vollstreckungsfähigen Inhalt besitzen,4 also insbesondere hinsichtlich negativer Feststellungsentscheidungen. Möglich ist nach dem Wortlaut nur ein positiver Feststellungsantrag.5 Erforderlich ist, dass ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis für eine Feststellungsentscheidung besteht.6 Dieses kann zB gegeben sein, wenn der Antragsgegner die Anerkennungsfähigkeit der ausländischen Entscheidung im Inland bestreitet oder wenn diese Frage von Gerichten oder Behörden im Inland unterschiedlich beurteilt wird.7 Sie ist nicht gegeben, wenn die Verpflichtung aus dem Titel oder, soweit sich der Antrag nur auf einen Teil der Entscheidung bezieht, dieser im vollen Umfang erfüllt ist. 3 Das Anerkennungsfestellungsverfahren unterliegt nach Abs 2 den selben Bestimmungen

wie das Vollstreckbarerklärungsverfahren.8 Daraus folgt, dass im ersten Rechtszug die Prüfung auf das Vorliegen der Formalien nach Art 28 beschränkt ist, vgl Art 30.9 Im Rechtsbehelfsverfahren sind neben Anerkennungsversagungsgründe auch das Rechtsschutzinteresse prüfbar, wenn der Antragsgegner sein Fehlen einwendet. Das steht nicht im Widerspruch zu Art 34 und folgt daraus, dass es sich beim Fehlen des Rechtsschutzinteresses nicht um einen Grund handelt, aus dem die Anerkennung selbst versagt wird, sondern nur die Feststellung darüber.10 Erst im Rechtsbehelfsverfahren wird geprüft, ob Anerkennungsversagungsgründe nach Art 24 EG-UntVO bestehen. Diese sind in diesem Verfahrensstadium von Amts wegen zu prüfen.11 Die Partei trägt die Feststellungslast, die die Nichtanerkennung geltend macht.12 Das Anerkennungsverfahren kann auch neben dem Vollstreckbarerklärungsverfahren betrieben werden.13 4 Abs 3 regelt den Fall, dass sich in einem Verfahren die Frage der Anerkennung einer Unter3

4 5 6 7 8 9 10 11

12

13

672

Für EuGVÜ/Brüssel I-VO: Jenard-Bericht BT-Drs 12/6834, Art 26 EuGVÜ; Kropholler/von Hein vor Art 33 Brüssel I-VO Rn 7. Kropholler/von Hein Art 33 Brüssel I-VO Rn 2. Zur umstrittenen Frage mwH Rauscher/Leible Art 33 Brüssel I-VO Rn 13. Kropholler/von Hein Art 33 Brüssel I-VO Rn 8; Rauscher/Leible Art 33 Brüssel I-VO Rn 14 jeweils mwH. OLG Stuttgart v 28.10.2013 – 17 UF 189/13, FamRZ 2014, 865 Rn 17. Näher hierzu Kropholler/von Hein Art 33 Brüssel I-VO Rn 8. AA Hausmann, IntEuSchR K Rn 128. OLG Stuttgart v 28.10.2013 – 17 UF 189/13, FamRZ 2014, 865 Rn 17. Strittig bejahend Thomas/Putzo/Hüßtege Art 33 Brüssel I-VO Rn 1; aA Rauscher/Leible Art 34 Brüssel I-VO Rn 3; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 34 Brüssel I-VO Rn 62 ff (nur soweit Staatsinteressen unmittelbar betroffen sind). Für das Vollstreckbarerklärungsverfahren BGH v 6.10.2005 – IX ZB 360/02, FamRZ 2006, 198 = NJW 2006, 701; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 34 Brüssel I-VO Rn 1. Kropholler/von Hein Art 33 Brüssel I-VO Rn 5; Hausmann IntEuSchR K-133.

Oktober 2014

Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 24 EG-UntVO

haltsentscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat als Vorfrage stellt. Typische Beispiele sind: Im Zweitstaat wird eine Leistungsklage erhoben. Ist die Entscheidung aus dem anderen Mitgliedstaat anzuerkennen, so sperrt sie eine erneute inländische Entscheidung, soweit eine Identität des Streitgegenstandes besteht.14 Ein weiteres Beispiel ist der Antrag auf Änderung der ausländischen Entscheidung. Der Antrag kann nur Erfolg haben, wenn die ausländische Entscheidung hier anerkannt ist. Dies kann jeweils in dem Verfahren geklärt werden, in dem sich dies als Vorfrage stellt. Wie dies verfahrensrechtlich zu bewältigen ist, bestimmt sich nach der lex fori des Hauptverfahrens. Das Gericht muss sich mit den Anerkennungsversagungsgründen nach Art 24 nur befassen, wenn eine Partei einen diesbezüglichen Grund einwendet. Bei der inzidenten Anerkennung15 entsteht keine Bindung für ein nachfolgendes Verfahren oder für das Vollstreckbarerklärungsverfahren.16 Auf Antrag einer Partei kann in einem Verfahren, in dem die Anerkennungsfähigkeit der Unterhaltsentscheidung bestritten wird, hierüber auch aufgrund eines Zwischenfeststellungsantrags entschieden werden.17

Artikel 24: Gründe für die Versagung der Anerkennung Eine Entscheidung wird nicht anerkannt, a) wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde. Die Vorschriften über die Zuständigkeit gehören nicht zur öffentlichen Ordnung (ordre public); b) wenn dem Antragsgegner, der sich in dem Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Antragsgegner hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte; c) wenn sie mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die zwischen denselben Parteien in dem Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, ergangen ist; d) wenn sie mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat zwischen denselben Parteien in einem Rechtsstreit wegen desselben Anspruchs ergangen ist, sofern die frühere Entscheidung die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anerkennung in dem Mitgliedstaat erfüllt, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird. Eine Entscheidung, die bewirkt, dass eine frühere Unterhaltsentscheidung aufgrund geänderter Umstände geändert wird, gilt nicht als unvereinbare Entscheidung im Sinne der Buchstaben c oder d. I. II.

14

15

16 17

Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Ordre public (lit a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

III. IV.

Gewährung rechtlichen Gehörs (lit b) . . . 12 Unvereinbare Entscheidungen (lit c, d) 16

Kropholler/von Hein vor Art 33 Brüssel I-VO Rn 12; Andrae, Internationales Familienrecht3 (2014) § 8 Rn 299. Nach Rauscher/Leible Art 33 Brüssel I-VO Rn 17 wird von Abs 3 nicht nur die inzidente Anerkennung erfasst, vielmehr wird auch ein selbständiges Anerkennungsverfahren ermöglicht. Kropholler/von Hein Art 33 Brüssel I-VO Rn 11. Rauscher/Leible Art 33 Brüssel I-VO Rn 17; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 33 Brüssel I-VO Rn 6; MünchKommZPO/Gottwald Art 33 Brüssel I-VO Rn 24.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

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Art 24 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

I. Allgemeines 1 Grundsätzlich kann auf Kommentierungen zu Art 34 Brüssel I-VO verwiesen werden. Im

Folgenden werden nur einige Fragen behandelt, die von besonderer Bedeutung bezogen auf die Anerkennung von ausländischen Unterhaltsentscheidungen sind. 2 Ob die Anerkennungsversagungsgründe von Amts wegen zu prüfen sind, wenn sich in

einem Verfahren die Frage nach der Anerkennung der Abschnitt 2 unterliegenden Unterhaltsentscheidungen stellt, ist umstritten.1 Im Vollstreckungserklärungsverfahren können sie gemäß Art 30 und 34 Abs 1 erst im Rechtsbehelfsverfahren geprüft werden. Die Nichtanerkennungsgründe sind limitiert, sie haben Ausnahmecharakter und sind deshalb eng auszulegen.2 Daraus folgt auch, dass die Beweislast bei der Partei liegt, die sich auf die Nichtanerkennung beruft.3 3 Anders als Art 57 Abs 1 S 2 Brüssel I-VO sieht die EG-UntVO keine spezielle Regelung für

gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden vor. Nach Art 48 Abs 1 sind sie wie Entscheidungen anzuerkennen. Als Anerkennungsversagungsgrund kommt faktisch nur die Verletzung des ordre public infrage. II. Ordre public4 4 Die Anerkennung ist zu versagen, wenn sie zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen

Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere mit den Grundrechten, unvereinbar ist.5 Die Unvereinbarkeit kann sich sowohl aus verfahrensrechtlichen als auch materiellrechtlichen Gesichtspunkten ergeben. An die Unvereinbarkeit sind strenge Anforderungen zu stellen. Eine inhaltliche Überprüfung der ausländischen Entscheidung findet nicht statt. Der ordre public ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn die Person, gegen die die Entscheidung ergangen ist, nicht alle nach dem Recht des Ursprungsmitgliedsstaates statthaften, zulässigen und zumutbaren Rechtsmittel ausgeschöpft hat.6 Erforderlich ist hierfür jedoch, dass sie nicht nur von der Existenz einer Entscheidung, sondern auch von deren genauem Inhalt Kenntnis zu einem Zeitpunkt erlangt hat bzw erlangen konnte, in dem die Rechtsmittel zur Verfügung standen.7

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Bejahend Thomas/Putzo/Hüßtege Art 33 Brüssel I-VO Rn 1; aA Rauscher/Leible Art 34 Brüssel I-VO Rn 3; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 34 Brüssel I-VO Rn 62 ff (nur soweit Staatsinteressen unmittelbar betroffen sind). Hierzu Art 23 Rn 3f. Rauscher/Leible Art 34 Brüssel I-VO Rn 2 mit Nachweisen der Rechtsprechung. Rauscher/Leible Art 34 Brüssel I-VO Rn 3a. Die folgende Darstellung übernimmt weitgehend Andrae, Internationales Familienrecht3 (2014) § 8 Rn 320 ff. OLG Zweibrücken v 5.7.1996 – 2 UF 132/95, FamRZ 1997, 93, 95; OLG Bremen IPRax 1998, 366 f; Rahm/ Künkel/Breuer HdB-FamGVerf Kap VIII Rn 263. Für den verfahrensrechtlichen ordre public ua BGH v 3.8.2011 – XII ZB 187/10, FamRZ 2011, 1568 Rn 23; BGH v 26.8.2009 – XII ZB 169/07, FamRZ 2009, 1816 mwN; OLG Karlsruhe v 6.12.2011 – 8 W 34/11, IPRax 2013, 354 = FamRZ 2012, 660; OLG Stuttgart v 5.11.2013 – 5 W 13/13, FamRZ 2014, 792 (juris); OLG Celle v 25.4.2013 – 17 W 17/12, FamRZ 2014, 142; Kropholler/von Hein Art 34 Brüssel I-VO Rn 42. BGHZ 191, 9 Rn 23 = BGH v 3.8.2011 – XII ZB 187/10, FamRZ 2011, 1568 m Anm Heiderhoff NJW 2011,

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 24 EG-UntVO

In der neueren deutschen Rechtsprechung sind keine Entscheidungen anzutreffen, in denen 5 wegen des der ausländischen Unterhaltsentscheidung zugrunde liegenden ausländischen Rechts oder der ordre public-widrigen Anwendung des ausländischen materiellen Rechts die Anerkennung versagt wurde. Das steht in Übereinstimmung mit dem Grundsatz, dass die ausländische Entscheidung hinsichtlich ihrer Richtigkeit im Zweitstaat nicht überprüft wird (Verbot der révision au fond, Art 42). Gegen die Höhe des festgelegten Unterhaltsbetrages kann der ordre public nur eingewandt 6 werden, wenn eklatant und offensichtlich die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsgläubigers und/oder der Bedarf des Unterhaltsschuldners außer Acht gelassen wurden.8 Der ordre public ist jedoch nicht heranzuziehen, wenn der Schuldner im Erkenntnisverfahren versäumt hat, seine fehlende Leistungsfähigkeit darzulegen.9 Keine Verletzung des ordre public liegt ferner vor, wenn die ausländische Entscheidung bei der Berechnung des Unterhalts andere Werte als die in Deutschland gängigen Tabellen zugrunde legt.10 Auch die Berücksichtigung eines fiktiv erzielbaren Einkommens kann einen Verstoß gegen den deutschen ordre public allein nicht rechtfertigen.11 Die Verurteilung zu rückständigem Unterhalt, ohne dass dieser zuvor geltend gemacht wurde, verletzt nicht den ordre public.12 Die deutschen Gerichte haben bisher den ordre public wegen der Höhe der Unterhaltsverpflichtung nicht zur Anwendung gebracht, vielmehr den in Anspruch Genommenen auf die Möglichkeit des Abänderungsverfahrens13 sowie auf die Pfändungsfreigrenzen verwiesen.14 Auch soweit die ausländische Entscheidung einen zuvor erklärten oder vereinbarten Unter- 7 haltsverzicht bestätigt, führt dies grundsätzlich nicht zur Anwendung des ordre public. Anderes kann zutreffen, soweit es den Verzicht eines nicht volljährigen Kindes für die Zukunft betrifft15 oder der Verzichtende einkommens- und vermögenslos ist und auf Grund des Verzichts auf inländische Sozialleistungen angewiesen ist, um seinen Lebensunterhalt zu decken. Grundsätzlich nicht ordre public-widrig ist eine ausländische Entscheidung, in der es um 8 nachehelichen Unterhalt geht und die Ablehnung darauf beruht, dass das angewandte Recht einen nachehelichen Unterhalt nicht kennt oder ihn dann ablehnt, wenn der begehrende Ehegatte das Scheitern der Ehe verschuldet bzw mitverschuldet hat. Bei besonders engem Inlandsbezug und bei besonderen individuellen Umständen (zB Krankheit, Kindererzie-

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3103; BGH v 17.12.2009 – IX ZB 124/08, NJW-RR 2010, 571; BGH v 21.1.2010 – IX ZB 193/07, IPRax 2011, 265 = FamRZ 2010, 1071 = NJW-RR 2010, 1001. AG Hamburg IPRspr 1985 Nr 175 Anm Henrich AG Hamburg v 27.6.1985 – 289 F 57/85, IPRax 1986, 178; Staudinger/Kropholler Anh III zu Art 18 EGBGB Rn 83; Rahm/Künkel/Breuer HdB-FamGVerf Kap VIII Rn 263. OLG Karlsruhe v 6.12.2001 – 9 W 30/01, FamRZ 2002, 839. AG Charlottenburg IPRspr 1986 Nr 176. BGH v 12.8.2009 – XII ZB 12/05, IPRax 2011, 187 = FamRZ 2009, 1659 Rn 24. BGH v 17.6.2009 – XII ZB 82/09, FamRZ 2009, 1402 Rn 11. Ua BGH v 12.8.2009 – XII ZB 12/05, IPRax 2011, 187 = FamRZ 2009, 1659; OLG Hamm v 3.6.2005 – 29 W 64/04, FamRZ 2006, 969; OLG Zweibrücken OLGR 2008, 545; OLG Köln IPRspr 2003 Nr 189. OLG Köln IPRspr 2003 Nr 189. OLG Celle v 4.12.1990 – 18 UF 111/89, FamRZ 1991, 598, 599; Zöller/Geimer § 328 ZPO Rn 171.

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Art 24 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

hung, lange Dauer der Ehe) kann sich ein Verstoß gegen die Grundwerte der Verfassung (Art 6 GG) ergeben.16 9 Die Bedeutung des ordre public bezogen auf Unterhaltsentscheidungen fokussiert sich auf

seine verfahrensrechtliche Seite. Der Vorbehalt greift auch hier nur in Ausnahmefällen ein.17 Die Anerkennung wird nicht bereits schon deshalb versagt, weil die ausländische Entscheidung in einem Verfahren erlassen worden ist, das von zwingenden Vorschriften des deutschen Prozessrechts abweicht.18 Die ausländische Entscheidung muss aufgrund eines Verfahrens ergangen sein, das von den Grundsätzen des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, dass es nicht als in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann.19 Dabei sind zwei Prüfungsschwerpunkte in der deutschen Rechtspraxis auszumachen. 10 Der eine betrifft die Art und Weise der Feststellung der Vaterschaft des für den Kindes-

unterhalt in Anspruch Genommenen im isolierten oder verbundenen Statusverfahren bzw inzident im Unterhaltsverfahren.20 In der Rechtspraxis wurde der ordre public zur Anwendung gebracht, wenn der Betreffende jeden geschlechtlichen Verkehr mit der Mutter leugnete und die Vaterschaft ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens und nur gestützt auf die Aussage der Mutter oder einer Zeugin vom Hörensagen festgestellt wurde. Voraussetzung ist, dass der Antragsgegner angeboten hatte, an der Erstellung eines Vaterschaftsgutachtens mitzuwirken21 oder dass er hierzu keine Möglichkeit hatte, weil ihm im Verfahren rechtliches Gehör nicht gewährt wurde.22 Der ordre public kommt nicht zur Anwendung, wenn der Antragsgegner die für das serologische Abstammungsgutachten notwendige Blutabnahme im Entscheidungsstaat abgelehnt hat23 und auf eine Begutachtung in Deutschland bestand.24 Das gleiche trifft zu, wenn der Antragsgegner sich am Verfahren 16

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OLG Bremen IPRax 1998, 366, 366 f; OLG Zweibrücken v 5.7.1996 – 2 UF 132/95, FamRZ 1997, 93, 95; Zöller/Geimer § 328 ZPO Rn 171; Rahm/Künkel/Breuer HdB-FamGVerf Kap VIII Rn 263. Ua BGH v 26.8.2009 – XII ZB 169/07, FamRZ 2009, 1816 = NJW 2009, 3306 Rn 25; BGH v 2.9.2009 – XII ZB 50/06, FamRZ 2009, 2069 = NJW 2010, 153 Rn 24. BGH v 24.3.2010 – XII ZB 193/07, FamRZ 2010, 966 = FamRZ 2010, 1060 m Anm Heiderhoff = NJW 2010, 1750 Rn 19; BGH FamRZ 2000, 1816 Rn 25; BGH v 21.3.1990 – XII ZB 71/89, IPRax 1992, 33 = FamRZ 1990, 868, Rn 12; BGH v 2.9.2009 – XII ZB 50/06, FamRZ 2009, 2069 Rn 24. Ua BGHZ 182, 188 = BGH v 26.8.2009 – XII ZB 169/07, FamRZ 2009, 1816 Rn 25, gestützt auf EuGH Rs C-38/98 Renault SA/Maxicar SpA, Orazio Formento EuGHE 2000 I 2973: BGH v 2.9.2009 – XII ZB 50/06, FamRZ 2009, 2069 Rn 24; BGH v 21.3.1990 – XII ZB 71/89, IPRax 1992, 33 = FamRZ 1990, 868; OLG Stuttgart v 21.12.2011 – 17 UF 276/11, FamRZ 2012, 999 = IPRax 2013, 351 Rn 14. Ordre public bejaht: BGH v 26.8.2009 – XII ZB 169/07, FamRZ 2009, 1816 Rn 22 ff; OLG Naumburg v 15.7.2008 – 3 WF 168/08 (PKH), FamRZ 2009, 636; OLG Hamm v 26.4.2005 – 29 W 18/04, FamRZ 2006, 968; AG Würzburg v 4.8.1994 – 15 C 3054/93, FamRZ 1994, 1596; ordre public verneint: BGH v 22.1. 1997 – XII ZR 207/95, FamRZ 1997, 490; OLG Karlsruhe FamRZ 2008, 431; OLG Dresden v 9.11.2005 – 21 UF 670/05, FamRZ 2006, 563; OLG Düsseldorf v 7.11.1997 – 3 W 418/97, FamRZ 1998, 694; grundlegend BGH v 9.4.1986 – IVb ZR 28/85, IPRax 1987, 247 = FamRZ 1986, 665. BGHZ 182, 188 = BGH v 26.8.2009 – XII ZB 169/07, FamRZ 2009, 1816. OLG Hamm v 26.4.2005 – 29 W 18/04, FamRZ 2006, 968. OLG Dresden v 9.11.2005 – 21 4F 670/05, FamRZ 2006, 563; OLG Hamm v 8.7.2003 – 29 W 34/02, FamRZ 2004, 719 (Zur Blutentnahme nicht erschienen.). OLG Stuttgart v 14.2.2012 – 17 UF 331/11, FamRZ 2012, 1510 Rn 12.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 24 EG-UntVO

nicht beteiligte und mögliche Rechtsmittel im Ursprungsstaat nicht einlegte, obwohl er von der Entscheidung Kenntnis hatte oder Kenntnis haben musste.25 Auch der Umstand, dass das ausländische Verfahrensrecht eine DNA-Analyse nur auf ausdrücklichen, förmlichen Antrag eines Beteiligten vorsieht, begründet nicht einen ordre public-Verstoß.26 Der andere Schwerpunkt bezieht sich auf gravierende Verletzungen des Rechts auf Gewäh- 11 rung rechtlichen Gehörs im Unterhaltsverfahren selbst.27 Dabei kommt es auf die Grundsätze an, die vom Schutzbereich des Art 103 Abs 1 GG erfasst werden.28 In die Einzelbewertung sind u. a. einzubeziehen: der Beitrag des Antragsgegners zur Wahrung seiner Rechte im Entscheidungsstaat, die Art des Verfahrens, das System und die Struktur des ausländischen Verfahrensrechts sowie Möglichkeiten gegen Verfahrensbeschränkungen vorzugehen.29 Die Gründe, die die Anwendung des ordre public rechtfertigen, sind dabei meist nicht spezifisch für Unterhaltsverfahren. So fand der ordre public Anwendung, weil der im ausländischen Verfahren nach dortigem Recht zulässige Ausschluss des Beklagten wegen Missachtung des Gerichts zu einer offensichtlichen unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des Anspruchs des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs geführt hatte.30 In einem anderen Verfahren wurde die Anerkennung versagt, weil die Ausschlussfrist für die Einzahlung des Kostenvorschusses für die Berufungsinstanz so knapp angesetzt war, dass der nicht im Entscheidungsstaat lebende Antragsgegner in verfassungsrechtlich erheblicher Weise an der Wahrnehmung seiner Rechte gehindert war.31 III. Gewährung rechtlichen Gehörs (lit b) Die Regelung in lit b entspricht Art 38 Nr 2 Brüssel I-VO.32 Die Verletzung des rechtlichen 12 Gehörs gegenüber dem Antragsgegner bei Einleitung des Verfahrens auf Grund der nicht rechtzeitigen oder der Art und Weise der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks hat die Versagung der Anerkennung zur Folge. Geschützt wird das Interesse des Antragsgegners an einem fairen Verfahren. In ihrem Regelungsziel stimmt sie mit Art 19 Abs 1 lit a überein. Hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale der Nichteinlassung auf das Verfahren wird verwiesen auf Art 11 Rn 5; Art 19 Rn 15; des verfahrenseinleitenden oder gleichwertigen Schriftstücks auf Art 11 Rn 6; sowie der nicht rechtzeitigen oder der Art und Weise der Zustellung auf Art 19 Rn 17 f. Fiktive Zustellungen – wie die öffentliche Zustellung – sind im Regelfall nicht „rechtzeitig“, 13 weil sie dem Schuldner meistens keine effektive Möglichkeit eröffnen, vom Inhalt des zu25 26 27

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OLG Karlsruhe FamRZ 2008, 431; OLG Düsseldorf v 7.11.1997 – 3 W 418/97, FamRZ 1998, 694. OLG Hamm 28.6.2012, Az 11 UF 279/11, II-11 UF 279/11 (juris). Ordre public bejaht: BGH v 2.9.2009 – XII ZB 50/06, FamRZ 2009, 2069 Rn 22 f; OLG Hamm v 9.1.2007 – 29 W 33/06, NJW-RR 2007, 1722. BGH v 2.9.2009 – XII ZB 50/06, FamRZ 2009, 2069 = NJW 2010, 153. Hierzu BGH v 2.9.2009 – XII ZB 50/06, FamRZ 2009, 2069. BGH v 2.9.2009 – XII ZB 50/06, FamRZ 2009, 2069 gestützt auf EuGH Rs C-394/07 Marco Gambazzi/ DaimlerChrysler Canada Inc EuGHE 2009 I 2563. BGH v 20.5.2010 – IX ZB 121/07, NJW-RR 2010, 1221. Siehe deshalb die ausführliche Kommentierung zu Art 34 Brüssel I-VO bei Rauscher/Leible Art 34 Brüssel I-VO Rn 23 ff; Kropholler/von Hein Art 34 Brüssel I-VO Rn 22; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 34 Brüssel I-VO Rn 68 ff.

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Art 24 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

zustellenden Schriftstücks tatsächlich Kenntnis zu nehmen und sich in das Verfahren im Ursprungsstaat einzulassen.33 Die Anerkennung einer daraufhin ergangenen Säumnisentscheidung kommt jedoch in solchen Fällen in Betracht, in denen der Schuldner sich einer andersartigen Zustellung mutwillig entzogen oder auf andere Weise seine Unkenntnis vom Verfahren verschuldet hat.34 Hierfür spricht, wenn dieser in Kenntnis seiner möglichen Unterhaltspflicht seinen Aufenthaltsort wechselt, ohne diesbezüglich die unterhaltsberechtigten Personen zu benachrichtigen.35 Jedoch sind in die Gesamtbewertung auch etwaige Nachlässigkeiten des Gläubigers einzubeziehen, zB wenn der Gläubiger nach der fiktiven Zustellung während des laufenden Verfahrens im Erststaat den tatsächlichen Aufenthaltsort des Schuldners erfährt oder unschwer in Erfahrung bringen könnte.36 14 Der Schuldner wird mit seinem Einwand präkludiert, sofern er die Möglichkeit hatte, gegen

die Entscheidung im Ursprungsstaat einen Rechtsbehelf einzulegen und davon keinen Gebrauch gemacht hat.37 Die Regelung bezieht sich auf sämtliche Rechtsbehelfe, die auf die fehlende oder mangelhafte Zustellung gestützt werden können.38 Diese sind auch dann wahrzunehmen, wenn der Schuldner von dem Titel erst im Rahmen des Exequaturverfahrens Kenntnis erlangt.39 Die diesbezügliche Rechtslage nach ausländischem Recht ist von Amts wegen zu ermitteln.40 15 In Art 54 Brüssel I-VO ist vorgesehen, dass das Ursprungsgericht auf Antrag die Beschei-

nigung unter Verwendung des Formblatts in Anhang Vausstellt. In diesem Formblatt gibt es eine Rubrik zum Datum der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks, soweit die Entscheidung in einem Verfahren erging, auf dass sich der Beklagte nicht eingelassen hat. Ist die Rubrik ausgefüllt, so begründet dies zwar keine unwiderlegliche Vermutung zugunsten einer zu diesem Zeitpunkt erfolgten Zustellung.41 Vielmehr ist das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht des Vollstreckungsmitgliedsstaates berechtigt, die Übereinstimmung der Angaben in der Bescheinigung mit den vorgelegten Beweisen zu überprüfen.42 Die Bescheinigung führt jedoch dazu, dass der Antragsgegner die Unrichtigkeit der Bescheinigung 33

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BGH FamRZ 2008, 390 Rn 31; Linke IPRax 1993, 295, 296; zu verfahrenseinleitenden Schriftstücken, die nicht in der Sprache des Empfangsstaates oder in einer Sprache abgefasst sind, die der Empfänger versteht: OLG Hamburg OLGR 2009, 188. BGH FamRZ 2008, 390 Rn 32; öst OGH ZfRV 2001, 233, 235; Staudinger/Kropholler Anh III zu Art 18 EGBGB Rn 86. BGH FamRZ 2008, 390 Rn 32; öst OGH ZfRV 2001, 233, 235. EuGH Rs 49/84 Debaeker/Bouwman EuGHE 1985, 1779 Rn 31; BGH FamRZ 2008, 390 Rn 33; Linke IPrax 1993, 295, 296. Hierzu ua EuGH Rs C-420/07 Apostolides/Orams EuGHE 2009 I 3571, LS 4; BGH v 12.12.2007 – XII ZB 240/05, FamRZ 2008, 586 = NJW-RR 2008, 586. BGH v 21.1.2010 – IX ZB 193/07, IPRax 2011, 265 = FamRZ 2010, 1071 = WM 2010, 865 Rn 14; MünchKommZPO/Gottwald Art 34 Brüssel I-VO Rn 42; Thomas/Putzo/Hüßtege, Art 34 Brüssel I-VO Rn 13; Kropholler/von Hein, Art 34 Brüssel I-VO Rn 43; Rauscher/Leible Art 34 Brüssel I-VO Rn 40. BGH v 21.1.2010 – IX ZB 193/07, IPRax 2011, 265 = FamRZ 2010, 1071 = WM 2010, 865 Rn 13. BGH v 21.1.2010 – IX ZB 193/07, IPRax 2011, 265 = FamRZ 2010, 1071 = WM 2010, 865 Rn 12; BGH v 12.12.2007 – XII ZB 240/05, FamRZ 2008, 586 = NJW-RR 2008, 586 Rn 34. Jedoch Vermutung OLG Stuttgart v 5.11.2013 – 5 W 13/13, FamRZ 2014, 792 (juris). EuGH Rs C-619/10 Trade Agency Ltd/Seramico Investments Ltd EuGH v 6.9.2012 – Rs C-619/10, IPRax 2013, 427.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 24 EG-UntVO

darlegen und beweisen muss.43 Leider sieht das in Anh II vorgesehene Formblatt eine solche Rubrik nicht vor, auch fehlt eine Regelung für eine solche Bescheinigung. Sinnvoll ist es in den Fällen, in denen sich der Antragsgegner nicht auf das Verfahren in der Unterhaltssache eingelassen hat, die Beantragung einer Bescheinigung nach Art 54 Brüssel I-VO zu ermöglichen. IV. Unvereinbare Entscheidungen (lit c, d) Für den Begriff unvereinbare Entscheidung treffen die Ausführungen zu Art 21 Abs 2 16 UAbs 2 zu.44 Soweit es um den in lit c geregelten Fall der Unvereinbarkeit mit der Entscheidung eines Gerichts des Vollstreckungsstaates geht, kommt es nicht auf den Zeitpunkt des Erlasses beider Entscheidungen an. Die ausländische Entscheidung kann sowohl früher als auch später ergangen sein. Auch hier trifft Art 21 Abs 2 UAbs 3 entsprechend zu, wonach eine inländische Unterhaltsentscheidung der Anerkennung einer späteren ausländischen Entscheidung, die die inländische Entscheidung auf Grund veränderter Umstände abändert, keine unvereinbare Entscheidung darstellt.45 Hinsichtlich der Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat 17 oder einem Drittstaat (lit d) ist nicht die Regelung des Art 21 Abs 2 UAbs 2, sondern die des Art 34 Nr 4 Brüssel I-VO übernommen.46 Es gilt zwingend das Prioritätsprinzip, maßgeblich ist das Datum der Entscheidungen. Eine Anerkennung der infrage stehenden Unterhaltsentscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat ist gehindert, wenn sie unvereinbar ist mit einer früheren ergangenen und anzuerkennenden Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat oder Drittstaat. Folgende nicht geregelte Einschränkungen des Prioritätsprinzips sind erforderlich: Das zeitliche Prioritätsprinzip gilt nicht, wenn die infrage stehende mitgliedstaatliche Entscheidung die frühere Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat wegen veränderter Umstände ändert.47 – Es gilt weiterhin nicht für das Verhältnis der infrage stehenden mitgliedstaatlichen Unterhaltsentscheidung zu einer unvereinbaren anerkannten statusrechtlichen Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat oder Drittstaat. Bei einer solchen entgegenstehenden statusrechtlichen Entscheidung kommt es nicht darauf an, ob sie vor oder nach der Unterhaltsentscheidung erlassen wurde. Beispiel: V wurde in dem Mitgliedstaat A zur Zahlung von Kindesunterhalt für K verpflichtet, wobei über die Vaterschaft von V nur inzident entschieden wurde. Später erging im Mitgliedstaat B eine Statusentscheidung dahingehend, dass K nicht von V abstammt. Wird letztere Entscheidung im Anerkennungsstaat anerkannt, ist die Unterhaltsentscheidung nicht anzuerkennen, weil sie ihr ihre Grundlage nimmt. Sowohl c als auch d gelten nicht für das Verhältnis der infrage stehenden mitgliedstaatlichen Unterhaltsentscheidung zu gerichtlichen Vergleichen und öffentlichen Urkunden iSd Art 48 43 44 45 46 47

OLG Stuttgart v 5.11.2013 – 5 W 13/13, FamRZ 2014, 792 (juris). Siehe deshalb Art 21 Rn 17, Art 21 Rn 22 ff. Zur Auslegung siehe Art 21 Rn 26. Siehe deshalb die nähere Kommentierung bei Rauscher/Leible Art 34 Brüssel I-VO Rn 43 ff. Zur Auslegung siehe Art 21 Rn 26.

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Art 25 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

aus anderen Mitgliedstaaten. Das folgt daraus, dass diese Regelungen aus Art 34 Brüssel I-VO übernommen wurden und sich hier definitiv nur auf Entscheidungen beziehen.48 Es ist nicht davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber mit der Gleichstellung dieser Titel mit Entscheidungen in diesem Detail eine Änderung herbeiführen wollte. 18 Der Anerkennungsversagungsgrund ist zwingend. Im Unterschied zu Art 21 Abs 2 UAbs 2

hat das entscheidende Gericht keinen Ermessensspielraum, welcher Entscheidung sie den Vorrang einräumt.

Artikel 25: Aussetzung des Anerkennungsverfahrens Das Gericht eines Mitgliedstaats, vor dem die Anerkennung einer Entscheidung geltend gemacht wird, die in einem Mitgliedstaat ergangenen ist, der nicht durch das Haager Protokoll von 2007 gebunden ist, setzt das Verfahren aus, wenn die Vollstreckung der Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat wegen der Einlegung eines Rechtsbehelfs einstweilen eingestellt ist.

1 Die Vorschrift ist anzuwenden, wenn ein Anerkennungsverfahren anhängig ist.1 Wegen der

expliziten Überschrift ist es fraglich, ob die Bestimmung auch dann anzuwenden ist, wenn sich in einem Verfahren im Zweitstaat inzident die Frage nach der Anerkennungsfähigkeit der Entscheidung stellt. Dies wird für Art 37 Brüssel I-VO vertreten, der jedoch nicht so überschrieben ist, und auf Art 25 übertragen.2 Dagegen sprechen neben der Überschrift auch die unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen in beiden Vorschriften. Da die Aussetzung des Anerkennungsverfahrens an die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gebunden ist,3 was wenig Sinn macht,4 ist eine einschränkende Auslegung angebracht. Möglicherweise ist in Fällen der inzidenten Anerkennung iSd Art 23 Abs 3 die Problemlösung über Artt 12 oder 13 Abs 1 sinnvoller. Ist nämlich im Ursprungsmitgliedstaat ein ordentliches Rechtsmittel eingelegt, für das die Frist noch nicht abgelaufen ist, so ist Anhängigkeit iS von Artt 12 und 13 gegeben. 2 Die Vollstreckung der Entscheidung muss wegen der Einlegung eines Rechtsbehelfs einst-

weilen eingestellt sein. Gründe, die für das Abstellen auf die Vollstreckbarkeit im Ursprungstaat sprechen, sind nicht ersichtlich.5 Dagegen spricht schon, dass zu den Unterhaltsentscheidungen auch Feststellungsentscheidungen gehören, die keinen vollstreckungsfähigen Inhalt haben.

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Für gerichtliche Vergleiche EuGH Rs C-414/92 Solo Kleinmotoren/Bloch EuGHE 1994 I 2237 Rn 20; Rauscher/Leible Art 34 Brüssel I-VO Rn 44. MünchKommFamFG/Lipp Rn 5. MünchKommFamFG/Lipp Rn 5; nur bei Inzidentanerkennung anwendbar: Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 139; Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Neumayr Rn 2, Hausmann, IntEuSchR K Rn 178. Anders Art 37 Abs 1 Brüssel I-VO, dort wird auf die Einlegung eines ordentlichen Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung im Entscheidungsstaat abgestellt. MünchKommFamFG/Lipp Rn 3. Ausführlich dazu MünchKommFamFG/Lipp Rn 3.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 26 EG-UntVO

Die Berücksichtigung hat von Amts wegen zu erfolgen, anders als nach Art 35 bedarf es 3 keines Antrags. Im Gegensatz zu Art 37 Abs 1 Brüssel I-VO ist die Aussetzung des Anerkennungsverfahrens 4 zwingend.6

Artikel 26: Vollstreckbarkeit Eine Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist, der nicht durch das Haager Protokoll von 2007 gebunden ist, die in diesem Staat vollstreckbar ist, wird in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag eines Berechtigten für vollstreckbar erklärt worden ist.

Die dem Abschnitt 2 unterliegende vollstreckbare Unterhaltsentscheidung aus einem Mit- 1 gliedstaat1 wird in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag eines Berechtigten für vollstreckbar erklärt worden ist. Neben vollstreckbaren Entscheidungen sind auch vollstreckbare öffentliche Urkunden und gerichtliche Vergleiche erfasst. Die Vorschriften zur Vollstreckbarerklärung beziehen sich auch auf einstweilige Maßnah- 2 men,2 die von dem nach der EG-UntVO zuständigen Gericht erlassen wurde. Verlangt wird jedoch, dass der Gegenpartei hinsichtlich dieser Maßnahme rechtliches Gehör gewährt wurde. Dem Erlass der Maßnahme muss ein kontradiktorisches Verfahren vorausgegangen sein oder – bei Säumnisentscheidung – vorausgehen können.3 Ausreichend ist auch, wenn nach der ex-parte-Entscheidung, dh ohne Anhörung des Antragsgegners, die Möglichkeit einer kontradiktorischen Erörterung durch Einwände oder Rechtsmittel für diese Partei bestand, bevor die Vollstreckung begehrt wird.4 Maßnahmen, bei denen sich die Zuständigkeit auf Art 14 stützt, sind aufgrund der für sie zutreffenden Kriterien rechtspraktisch in anderen Mitgliedstaaten nicht nach der EG-UntVO vollstreckbar.5 Sie sind nach der Rechtsprechung des EuGH nämlich nicht anerkennungsfähig, wenn das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit nur auf das nationale Recht stützt und dabei die eingrenzenden Kriterien hierfür nicht beachtet, soweit Gegenstand der Eilentscheidung eine Leistungsverfügung zur vorläufigen Erbringung einer geschuldeten Hauptpflicht ist.6 Die Entscheidungen betrafen

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EuGH Rs C-391/95 Van Uden Maritime BV EuGHE 1998 I 7091; EuGH Rs C-99/96 Mietz/Intership Hierzu Vorbem Art 23 ff Rn 2. EuGH Rs C-39/02 Maersk Olie & Gas EuGHE 2004 I 9657 Rn 46. EuGH v 21.5.1980 – Rs C-125/79 Denilauter EuGHE 1980, 1553, 1568 Rn 11 ff = IPRax 1981, 95 m Anm Hausmann 79; Rauscher/Leible Art 32 Brüssel I-VO Rn 11 ff mwN; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 38 Brüssel I-VO Rn 41 mwN. EuGH Rs 125/79 Denilauter EuGHE 1980, 1553, 1568 Rn 13 ff; EuGH Rs C-9/02 Maersk Olie & Gas EuGHE 2004 I 9657. Hierzu Art 14 Rn 12 ff. EuGH Rs C-391/95 Van Uden Maritime BV EuGHE 1998 I 7091; EuGH Rs C-99/96 Mietz/Intership Yachting Sneek BV EuGHE 1999 I 2277; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 32 Brüssel I-VO Rn 4; Rauscher/ Leible Art 31 Brüssel I-VO Rn 13 (in bestimmten Fällen einschränkend); in der Literatur nicht immer eindeutig und kritisch so Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 31 Brüssel I-VO Rn 98 ff.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

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Art 26 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

vertraglich geschuldete Leistungen, offen ist, ob dies auch für gesetzliche Leistungspflichten zutrifft.7 3 Die Prozessführungsbefugnis für das Vollstreckbarerklärungsverfahren liegt bei demjeni-

gen, für und gegen den das ausländische Urteil wirkt, was sich grundsätzlich nach dem Recht des Entscheidungsstaates beurteilt.8 Wird die Prozessführungsbefugnis dort als materiell-rechtliche Frage angesehen, ist von einer Verweisung auf das Recht auszugehen, das das ausländische Gericht seiner Unterhaltsentscheidung zugrunde gelegt hat.9 Für das Vollstreckbarerklärungsverfahren antragsbefugt ist daher die Person, der nach diesem Recht der titulierte Betrag materiell-rechtlich zusteht. Wurde im ausländischen Eheverfahren als Nebenentscheidung über den Kindesunterhalt entschieden, ist zu differenzieren: Steht nach dem angewandten Recht der Anspruch einem Elternteil aus eigenem Recht zu, dann liegt die Prozessführungsbefugnis im Vollstreckbarerklärungsverfahren weiterhin bei diesem Elternteil. Wurde der Unterhalt im Erstverfahren dagegen dem Elternteil in Prozessstandschaft, vergleichbar § 1629 Abs 3 BGB, zugesprochen, ist auch das Kind antragsbefugt.10 4 Die titulierte Unterhaltsforderung kann einer anderen Person als dem Unterhaltsberech-

tigten zustehen. Infrage kommt insbesondere der Übergang der Forderung auf öffentliche Einrichtungen.11 Zu unterscheiden ist, ob der Übergang vor oder nach Erlass der Entscheidung im Ursprungsstaat eingetreten ist. Im ersten Fall steht seiner nachträglichen Berücksichtigung im Exequaturverfahren das Verbot der révision au fond entgegen.12 Im zweiten Fall ist die Rechtsnachfolge im Vollstreckbarerklärungsverfahren zu beachten. Aktiv legitimiert ist dann die Person, auf die die Forderung übergegangen ist.13 Auf ihren Antrag ist die Vollstreckungsklausel zugunsten des nunmehrigen Forderungsinhabers zu erteilen.14 Ob die Forderung tatsächlich wirksam übergegangen ist, beurteilt sich nach dem Recht des Erlassstaates der Entscheidung,15 jedoch bei einer öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtung, nach dem Recht dem sie unterliegt.16

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Hierzu Art 14 Rn 12 ff. MwN ua Andrae IPRax 2001, 98; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann/Hartmann § 722 ZPO Rn 7; Zöller/Geimer § 722 ZPO Rn 64; MünchKommZPO/Gottwald § 722 ZPO Rn 38. So zum ital Recht BGH v 9.10.1985 – IVb ZR 36/84, NJW 1986, 662, 663 = IPRax 1987, 314, 315 m zust Anm Jayme 295, 297; zum türk Recht OLG Stuttgart OLGReport 1998, 313, 314 = OLG Stuttgart v 23.1. 1998 – 5 W 46/98, FamRZ 1999, 312, 313 = IPRax 2001, 130, 131 m krit Anm Andrae 98; aA (nach türk Recht Anspruch des Kindes) OLG Celle v 4.12.1990 – 18 UF 111/89, FamRZ 1991, 598, 599 f. MwN ua BGH v 29.4.1992 – XII ZR 40/91, FamRZ 1992, 1060, 1061; BGH v 14.2.2007 – XII ZR 163/05, = FamRZ 2007, 717 = NJW-RR 2007, 722 Rn 10 ff (bei Volljährigkeit des Kindes); OLG Düsseldorf v 8.5. 1992 – 6 UF 207/91, FamRZ 1993, 346, 347 (zur insoweit vergleichbaren Abänderungsklage); Geimer, IZPR Rn 2240; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann/Hartmann § 722 ZPO Rn 7; s auch OLG Düsseldorf v 22.1.2001 – 3 W 64/00, FamRZ 2001, 1019, 1020 f (im niederl Recht ab Volljährigkeit). Hierzu im Einzelnen Anmerkungen zu Art 64. BGH v 2.3.2011 – XII ZB 156/09, IPRax 2012, 360 = FamRZ 2011, 802 Rn 18; Botur FamRZ 2010, 1860, 1866. BGH v 2.3.2011 – XII ZB 156/09, IPRax 2012, 360 = FamRZ 2011, 802 Rn 19. Geregelt für das deutsche Vollstreckbarerklärungsverfahren in § 39 Abs 1 AUG. § 39 Abs 1 AUG; Botur FamRZ 2010, 1860, 1867. Art 64 Abs 2 und die Anmerkungen hierzu Rn 5 ff.

Oktober 2014

Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 28 EG-UntVO

Artikel 27: Örtlich zuständiges Gericht (1) Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung ist an das Gericht oder an die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats zu richten, das beziehungsweise die der Kommission von diesem Mitgliedstaat gemäß Artikel 71 notifiziert wurde. (2) Die örtliche Zuständigkeit wird durch den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts der Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, oder durch den Ort, an dem die Vollstreckung durchgeführt werden soll, bestimmt.

In Deutschland ist gemäß § 35 AUG das Amtsgericht als Familiengericht für die Erteilung 1 der Vollstreckungsklausel ausschließlich zuständig. Örtlich zuständig ist sowohl das Gericht am Wohnsitz des Schuldners, als auch am Ort der Durchführung der Zwangsvollstreckung. Die beiden in Abs 2 vorgesehenen örtlichen Zuständigkeiten sind alternativ. Der Titelgläubiger kann, wenn beide Anknüpfungen für den Vollstreckungsmitgliedstaat zutreffen, unter ihnen wählen. § 35 Abs 1 AUG bestimmt eine Verfahrenskonzentration bei dem Amtsgericht, das für den 2 Sitz des OLG zuständig ist, in dessen Bezirk eine örtliche Zuständigkeit gegeben ist. Die Landesregierungen werden durch § 35 Abs 2 AUG ermächtigt, die Verfahrenskonzentration hiervon abweichend zu regeln. Die Vollstreckbarerklärung einer notariellen Urkunde kann in Deutschland auch durch 3 einen Notar erfolgen, § 35 Abs 3 AUG.

Artikel 28: Verfahren (1) Dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung sind folgende Schriftstücke beizufügen: a) eine Ausfertigung der Entscheidung, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, b) einen durch das Ursprungsgericht unter Verwendung des Formblatts in Anhang II erstellten Auszug aus der Entscheidung, unbeschadet des Artikels 29; c) gegebenenfalls eine Transskript oder eine Übersetzung des Inhalts des in Buchstabe b genannten Formblatts in die Amtssprache des Vollstreckungsmitgliedstaats oder – falls es in diesem Mitgliedstaat mehrere Amtssprachen gibt – nach Maßgabe des Rechts dieses Mitgliedstaats – in die oder eine der Verfahrenssprachen des Ortes, an dem der Antrag gestellt wird, oder in eine sonstige Sprache, die der Vollstreckungsmitgliedstaat für zulässig erklärt hat. Jeder Mitgliedstaat kann angeben, welche Amtssprache oder Amtssprachen der Organe der Europäischen Union er neben seiner oder seinen eigenen für das Ausfüllen des Formblatts zulässt. (2) Das Gericht oder die zuständige Behörde, bei dem beziehungsweise bei der der Antrag gestellt wird, kann vom Antragsteller nicht verlangen, dass dieser eine Übersetzung der Entscheidung vorlegt. Eine Übersetzung kann jedoch im Rahmen des Rechtsbehelfs nach Artikel 32 oder Artikel 33 verlangt werden. (3) Eine Übersetzung aufgrund dieses Artikels ist von einer Person zu erstellen, die zur Anfertigung von Übersetzungen in einem der Mitgliedstaaten befugt ist.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

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Art 29 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

1 Die Regelung zu den vorzulegenden Schriftstücken entspricht der in Art 20 Abs 1, siehe

deshalb dort. Es fehlt in der Auflistung nur das Schriftstück über mögliche Zahlungsrückstände. Vorzulegen ist ein Auszug unter Verwendung des Formblatts, in Anhang II (gerichtliche Entscheidung/gerichtlicher Vergleich) oder in Anhang IV (öffentliche Urkunde) abgedruckt. Der Inhalt der Formblätter ist weitgehend identisch mit dem der Formblätter, die für Titel zu verwenden sind, die der direkten Vollstreckung unterliegen. 2 Die formellen Anforderungen an die Antragstellung sind in der Verordnung nicht geregelt.

Für das deutsche Vollstreckbarerklärungsverfahren finden sie sich in § 36 AUG, dieser entspricht § 4 AVAG. Geregelt sind: 1. die Form des Antrags (schriftlich oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts), § 36 Abs 2 AUG, 2. das Erfordernis der Übersetzung des Antrags selbst in deutscher Sprache, soweit dieser in fremder Sprache abgefasst ist, § 36 Abs 3 AUG sowie 3. das Erfordernis von Abschriften, § 36 Abs 3 AUG. Im Verfahren des ersten Rechtszuges besteht kein Anwaltszwang, § 38 Abs 2 AUG. 3 Die Zuständigkeit für Ausstellung des Formblattes nach Abs 1 lit b für deutsche vollstreck-

bare Titel ist in § 71 Abs 1 und 2 AUG geregelt. Sie ist mit der für die Ausstellung des Formblatts nach Art 20 Abs 1 lit b identisch. Ebenfalls unterliegt die Ausstellung des Formblatts dem Rechtsbehelf nach § 71 Abs 2 S 2 AUG.1

Artikel 29: Nichtvorlage des Auszugs (1) Wird der Auszug nach Artikel 28 Absatz 1 Buchstabe b nicht vorgelegt, so kann das Gericht oder die zuständige Behörde eine Frist bestimmen, innerhalb deren er vorzulegen ist, oder sich mit einem gleichwertigen Schriftstück begnügen oder von der Vorlage des Auszugs befreien, wenn es eine weitere Klärung nicht für erforderlich hält. (2) In dem Fall nach Absatz 1 ist auf Verlangen des Gerichts oder der zuständigen Behörde eine Übersetzung der Schriftstücke vorzulegen. Die Übersetzung ist von einer Person zu erstellen, die zur Anfertigung von Übersetzungen in einem der Mitgliedstaaten befugt ist.

1 Wegen der Übereinstimmung wird auf die Kommentierungen zu Art 55 Brüssel I-VO ver-

wiesen.

Artikel 30: Vollstreckbarerklärung Sobald die in Artikel 28 vorgesehenen Förmlichkeiten erfüllt sind, spätestens aber 30 Tage nachdem diese Förmlichkeiten erfüllt sind, es sei denn, dies erweist sich aufgrund außergewöhnlicher Umstände als nicht möglich, wird die Entscheidung für vollstreckbar erklärt, ohne dass eine Prüfung gemäß Artikel 24 erfolgt. Die Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, erhält in diesem Abschnitt des Verfahrens keine Gelegenheit, eine Erklärung abzugeben. 1

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Siehe deshalb Art 20 Rn 20 ff.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 30 EG-UntVO

I. Allgemeines Die Vorschrift regelt das Verfahren, die Fristen und die Prüfungskompetenz des Gerichts im 1 ersten Rechtszug des Vollstreckbarerklärungsverfahrens. Die deutschen Ausführungsbestimmungen finden sich in §§ 35 bis 42 AUG. Art 30 entspricht im Wesentlichen Art 41 Brüssel I-VO. Zu weiteren Einzelheiten siehe deshalb die Kommentierungen zur Brüssel I-VO.1 Die Regelung begrenzt den Prüfungsumfang im ersten Rechtszug auf das Vorliegen der 2 Förmlichkeiten, die in Art 28 bestimmt sind. Als ungeschriebene Voraussetzungen hat das zuständige Gericht/die zuständige Behörde zu prüfen, ob der Anwendungsbereich der Verordnung2 und speziell ihres Kapitel IV Abschnitt 2 eröffnet ist. Trifft dies nicht zu, so ist der Antrag abzuweisen. Weiterhin zu prüfen ist, ob der Antragsteller antragsberechtigt ist und sich der Antrag gegen den Titelschuldner richtet und ob die Entscheidung nach dem Recht des Erststaates vollstreckbar ist.3 Es reicht die vorläufige Vollstreckbarkeit.4 Es kommt nur darauf an, ob der Titel selbst formell vollstreckbar ist, nicht ob materiell noch eine Vollstreckungsberechtigung besteht.5 Ausdrücklich ausgeschlossen ist die Prüfung des Vorliegens von Anerkennungsversagungsgründen. Die Erkenntnisgrundlage des Gerichts ist im Interesse der unverzüglichen Entscheidung auf die nach Art 28 vorzulegenden Urkunden beschränkt.6 Das sichert einen gewissen Automatismus der Entscheidung. Die vorherige Zustellung der Entscheidung ist nach der Verordnung keine Voraussetzung der Vollstreckbarerklärung.7 Für das Verfahren gilt der Beschleunigungsgrundsatz, die Vollstreckbarerkärung hat zu 3 erfolgen, sobald die Voraussetzungen hierfür in der Form des Art 28 nachgewiesen sind.8 Die Frist von 30 Tagen ab Eingang des Antrags darf nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände überschritten werden. Weder wird der Antragsgegner gehört noch ist eine mündliche Verhandlung zulässig. Art 30 4 S 2 bezieht sich nicht auf den Antragsteller im Vollstreckbarerklärungsverfahren. § 38 Abs 1 AUG regelt im Grundsatz, dass die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht, lässt jedoch die mündliche Anhörung des Antragstellers zu, wenn dieser damit einverstanden ist und sie der Beschleunigung des Verfahrens dient. 1

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Siehe deshalb auch die umfangreiche Kommentierung bei Rauscher/Mankowski Art 45 Brüssel I-VO; Kropholler/von Hein Art 45 Brüssel I-VO; MünchKommZPO/Gottwald Art 45 Brüssel I-VO jeweils mwH. MünchKommFamFG/Lipp Rn 8; für die Brüssel I-VO Thomas/Putzo/Hüßtege Art 41 Brüssel I-VO Rn 2; Wagner IPRax 2002, 75, 83. MünchKommFamFG/Lipp Rn 8; zur Prüfung des vollstreckungsfähigen Inhalts der Entscheidung vom Standpunkt des Rechts des Vollstreckungsstaates siehe Rn 10 ff. Für die Brüssel I-VO ua MünchKommZPO/Gottwald Art 38 Brüssel I-VO Rn 10. EuGH C-267/97 Coursier v Fortis Bank EuGHE 1999 I 2543; ua MünchKommZPO/Gottwald Art 38 Brüssel I-VO Rn 10. MünchKommFamFG/Lipp Rn 8. Für die Brüssel I-VO MünchKommZPO/Gottwald Art 38 Brüssel I-VO Rn 10; Rauscher/Mankowski Art 38 Brüssel I-VO Rn 29 mwN. MünchKommFamFG/Lipp Rn 7.

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Art 30 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

5 Der genaue Inhalt der Vollstreckbarerklärung und ihre Form sind dem einzelstaatlichen

Recht überlassen. Die §§ 40 und 41 AUG, die die Vollstreckbarerklärung selbst betreffen, sind an §§ 8 und 9 AVAG orientiert. Die Entscheidung ergeht durch Beschluss. Die positve Entscheidung lautet dahingehend, dass der Titel mit der Vollstreckungsklausel zu versehen ist. Der zu vollstreckende Tenor ist nach § 40 Abs 1 S 2 AUG in deutscher Sprache wiederzugeben. Die Vollstreckungsklausel selbst erteilt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle, deren Inhalt in § 41 AUG festgelegt ist. Die ablehnende Entscheidung des Antrags ist zu begründen. 6 Die Vollstreckbarkerklärung bewirkt, dass die Entscheidung in die Rechtsordnung des Voll-

streckungsmitgliedstaates integriert wird und auf Grund dessen vollstreckt wird. Sie entfaltet dadurch die Wirkungen eines vollstreckbaren nationalen Rechtstitels.9 Ungeachtet dessen herrscht in Deutschland die Auffassung, dass maßgebliche formelle Grundlage für die Zwangsvollstreckung im Inland die inländische Entscheidung über die Vollstreckbarkeit und nicht die ausländische Entscheidung selbst ist.10 Es handelt sich danach um ein titelschaffendes Verfahren für die inländische Vollstreckung.11 Folgerichtig geht § 67 AUG davon aus, dass mit Aufhebung der vollstreckbaren Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat nicht automatisch deren Vollstreckbarkeit in Deutschland nach Vollstreckbarerklärung beseitigt wird. Vielmehr bedarf es eines Antrags auf Aufhebung der Zulassung in einem besonderen Verfahren. Ein Antrag auf einstweilige Anordnung der Einstellung der Zwangsvollstreckung ist möglich. Fraglich ist, ob diese Lösung dogmatisch in das System der EGUntVO passt, jedenfalls schafft sie die für die inländische Zwangsvollstreckung erforderliche Rechtssicherheit hinsichtlich eines vollstreckbaren Titels. II. Vollstreckbarerklärung in Sonderfällen 7 Zur Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel in Sonderfällen übernimmt § 39 Abs 1 S 1

AUG die Regelung des § 7 Abs 1 S 1 AVAG. Der eine Fall betrifft die Abhängigkeit der Zwangsvollstreckung von der Erbringung einer Sicherheitsleistung, dem Ablauf einer Frist oder dem Eintritt einer anderen Tatsache. Die Frage ob die Zulassung der Zwangsvollstreckung vom Nachweis des Vorliegens dieser Voraussetzungen abhängig ist, bestimmt sich nach dem Recht des Ursprungsstaates. Der andere Fall betrifft den Gläubiger- oder Schuldnerwechsel nach Erlass der Entscheidung. § 39 Abs 1 S 1 AUG bestimmt, dass sich die Frage, ob der Titel für und gegen den Rechtsnachfolger vollstreckbar ist, ebenfalls nach dem Recht des Ursprungsstaates richtet. Soweit es sich um den Unterhaltsregress einer öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtung handelt, hat jedoch Art 64 Abs 2 und 3 Vorrang. 8 Nach § 39 Abs 1 S 2 AUG sind die erforderlichen Nachweise bezogen auf diese Sonderfälle 9

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EuGH v 13.10.2011 – Rs C-139/10 Prism Investments BV/Jaap Anne van der Meer, IPRax 2012, 357 = NJW 2011, 3506 Rn 31. MünchKommZPO/Gottwald Art 38 Brüssel I-VO Rn 11 f; Kropholler/von Hein Art 38 Brüssel I-VO Rn 14; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 38 Brüssel I-VO Rn 6; Rauscher/Mankowski Art 38 Brüssel I-VO Rn 3. Ua BGH v 4.3.1993 – IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16, 19 = IPRax 1994, 367 = NJW 1993, 1801, 1803; BGH v 21.11.2013 – IX ZB 44/12, FamRZ 2014, 295 = NJW 2014, 702 Rn 8; Mankowski ZZPInt 4 (1999) 276 ff; Rauscher/Mankowski Art 38 Brüssel I-VO Rn 3 mwN; Roth IPRax 2006, 22, 23; Wagner IPRax 2002, 79, 80 ff.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 30 EG-UntVO

durch Urkunden zu führen, soweit die betreffenden Tatsachen dem Gericht nicht offenkundig sind. Auch dieser Satz ist § 7 Abs 1 AVAG entnommen, dort jedoch im Vollstreckbarerklärungsverfahren nach der Brüssel I-VO nicht anwendbar. Es handelt sich um eine zusätzliche Anforderung, die in der Aufzählung in Art 28 nicht vorgesehen ist. Für die Vollstreckbarerklärung eines Titels seitens einer öffentlichen Einrichtung iSd Art 64 Abs 1 als Antragsteller wird die Bestimmung Art 64 Abs 4 gerecht. Diese hat danach auf Verlangen des Gerichts alle Schriftstücke vorzulegen, aus der sich ihr Recht auf Erstattung und die Erbringung der Unterhaltsersatzleistungen ergibt. § 39 Abs 1 S 2 ist darüber hinaus nicht als verordnungswidrig anzusehen, wenn die Auslegung dahingehend erfolgt, dass die Urkunden nur verlangt werden können, wenn sich nicht bereits aus dem Formblatt die erforderlichen Tatsachen ergeben und nur auf diese Weise vollstreckbarer Titel, Vollstreckungsgläubiger und -schuldner festgestellt werden können. Die Alternative wäre nämlich, den Gläubiger zB bei Rechtsnachfolge auf die Umschreibung des Titels im Ursprungsmitgliedstaat zu verweisen, was die grenzüberschreitende Vollstreckung verzögern würde. Art 30 S 2 schließt eine Anhörung der Person aus, die Antragsgegner im Vollstreckbar- 9 erklärungsverfahren ist. Ausnahmsweise kann sie gleichwohl gemäß deutscher Ausführungsregelung (§ 39 Abs 2 S 1 AUG) auf Antrag des Antragstellers erfolgen. Erforderlich ist, dass die Zwangsvollstreckung von dem Nachweis besonderer Voraussetzungen abhängig ist oder ein Fall des Gläubiger- oder Schuldnerwechsels vorliegt. Weiterhin muss der Nachweis nicht durch Urkunden geführt werden können. Diese spezielle Ausführungsbestimmung ist noch vereinbar mit Art 30 S 2, da sie mit seinem Regelungszweck übereinstimmt, die zügige Durchführung des Vollstreckbarerklärungsverfahren zu sichern, wenn anderenfalls der Antrag abzuweisen wäre. Die vergleichbare Regelung in § 7 AVAG ist gleichwohl im Anwendungsbereich der Brüssel I-VO ausgeschlossen, siehe § 55 Abs 1 AVAG. Dem Antragsgegner sind in diesem Verfahrensstadium keine Einwände gegen die Vollstreckbarerklärung selbst zu gestatten, zB den Einwand, dass der Antragsteller nicht Titelgläubiger ist. Weiterhin ist in § 39 Abs 2 AUG bestimmt, dass – soweit der Antragsgegner gehört wird – alle Beweismittel zulässig sind und eine mündliche Verhandlung angeordnet werden kann. Letztere Regelung führt zu einem kontradiktorischen Verfahren, das nach der Verordnung dem Rechtsbehelfsverfahren vorbehalten ist.12 Folgerichtig schließt § 55 Abs 1 AVAG die entsprechende Regelung in § 7 Abs 2 AVG für den Geltungsbereich der Brüssel I-VO aus. III. Vollstreckungsfähiger Inhalt Eine Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat wird in Deutschland nur vollstreckt, 10 wenn sie den Bestimmtheitsanforderungen des deutschen Vollstreckungsrechts gerecht wird. Dies kann sich darauf stützen, dass für die Zwangsvollstreckung der Grundsatz der Gleichstellung mit den inländischen Entscheidungen gilt; siehe Art 41 Abs 1 S 2. Der Titel ist hinreichend bestimmt, wenn er betragsmäßig festgelegt ist oder sich aus dem Vollstreckungstitel ohne Weiteres unter Zugrundelegung offenkundiger Umstände errechnen lässt. Ist die Berechnung nur unter Heranziehung von außerhalb des Titels liegenden nicht offen-

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Eichel GPR 2011, 193, 195; Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Meller-Hannich § 39 AUG Rn 2; aA wohl BTDrs 17/4887, 46; MünchKommFamFG/Lipp Rn 6.

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Art 30 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

kundigen Umständen möglich, so ist es den Vollstreckungsorganen grundsätzlich verwehrt, hierauf zurückzugreifen.13 An der erforderlichen Bestimmtheit kann es zB fehlen, wenn im ausländischen Titel eine Verurteilung zu gesetzlichen Zinsen erfolgt,14 der zu leistende Betrag mit einem Preis- oder Lohnindex gemäß Gesetz verknüpft ist und sich demgemäß kraft Gesetzes und ohne Umschreibung des Titels verändert,15 oder mit einer Währungsanpassungsklausel in Bezug auf den bezifferten Unterhaltsbetrag verbunden ist.16 Die EG-UntVO sieht keine Bestimmung vor, die es im Vollstreckbarerklärungsverfahren ermöglicht, im Beschluss über die Erteilung der Vollstreckungsklausel die zu vollstreckende Verpflichtung einem nach deutschem Recht erforderlichen vollstreckungsfähigen Inhalt zu verpassen. § 34 AUG regelt diese Frage explizit nur für einen nach Abschnitt 1 direkt vollstreckbaren Titel. Die Begründung zum Gesetzentwurf des AUG geht davon aus, dass, wie bisher, eine Anpassung des Titels im Vollstreckbarerklärungsverfahren möglich und geboten ist.17 Begründet wird dies damit, dass dies der Titelfreizügigkeit18 und der Prozessökonomie dient, Kosten spart und zu einer möglichst schnellen Realisierung eines Unterhaltsanspruchs beiträgt.19 11 Die Anpassung erfolgt nicht von Amts wegen,20 erforderlich ist ein diesbezüglicher Antrag

des Titelgläubigers.21 Das Gericht hat gegebenenfalls auf einen entsprechenden Hinweis hinzuwirken.22 Die Konkretisierung im Vollstreckbarerklärungsverfahren setzt voraus, dass sich die Kriterien, nach denen sich die Leistungspflicht bestimmt, aus den ausländischen Vorschriften oder ähnlichen im Inland gleichermaßen zugänglichen oder sicher feststellbaren Umständen ergeben.23 Sie muss nach ausländischem Recht automatisch und nicht erst im Wege nachträglicher gerichtlicher Ergänzung eintreten,24 Der ausländische Titel 13 14

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BT-Drs 17/4887, 44, 45. Ua mwN BGH v 5.4.1990 – IX ZB 68/89, NJW 1990, 3084, 3085; OLG Zweibrücken IPRspr 2005, Nr 165; OLG Hamburg OLGReport 1998, 87; OLG Frankfurt OLGReport 1992, 34; fehlerhaft OLG München v 16.9.1987 – 24 W 117/87, IPRax 1988, 291, 292. Entsprechende Entscheidungen ergehen zB in den Niederlanden (s OLG Düsseldorf v 22.1.2001 – 3 W 64/00, FamRZ 2001, 1019, 1020), und den skandinavischen Ländern (vgl mwN KG DAVorm 2000, 1147 = IPRspr 2000 Nr 162, 356, 358 f; OLG Schleswig v 11.3.1993 – 16 W 279/92, FamRZ 1994, 53: Finnland). BGH v 4.3.1993 – IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16, 20 = IPRax 1994, 367 = NJW 1993, 1801, 1803. BT-Drs 17/4887, 45; für die Brüssel I VO ua MünchKommZPO/Gottwald Art 38 Brüssel I-VO Rn 11 f. BGH v 21.11.2013 – IX ZB 44/12, FamRZ 2014, 295 = NJW 2014, 702 Rn 8. BT-Drs 17/4887, 44, 45. Insgesamt BGH v 4.3.1993 – IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16, 19 = NJW 1993, 1801, 1802 f m zust Anm Roth IPRax 1994, 350; Zöller/Geimer § 722 ZPO Rn 59; MünchKommZPO/Gottwald § 722 ZPO Rn 21. Eingehend hierzu BGH v 4.3.1993 – IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16, 17 ff = NJW 1993, 1801, 1802 f m zust Anm Roth IPRax 1994, 350; BGH v 6.11.1985 – IVb ZR 73/84, NJW 1986, 1440 f = FamRZ 1986, 45, 46 f; OLG Zweibrücken IPRspr 2005, Nr 165; Wagner FS Sonnenberger (2004) 735; Zöller/Geimer § 722 ZPO Rn 59; MünchKommZPO/Gottwald § 722 ZPO Rn 17. BGH v 4.3.1993 – IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16 = IPRax 1994, 367 Rn 18 = NJW 1993, 1801; OLG Saarbrücken v 3.8.1987 – 5 W 102/87, NJW 1988, 3100, 3101. BGH v 6.11.1985 – IVb ZR 73/84, NJW 1986, 1440, 1441 = FamRZ 1986, 45, 46. BGH v 4.3.1993 – IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16, 20 = IPRax 1994, 367 = NJW 1993, 1801, 1803; OLG Düsseldorf v 22.1.2001 – 3 W 64/00, FamRZ 2001, 1019, 1020 mwN.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 30 EG-UntVO

muss demnach zumindest mittelbar eindeutig über die Höhe der Forderung befinden.25 Unbestimmtheit, die nicht durch inländische Konkretisierung beseitigt werden kann, ist gegeben, wenn die ausländische Entscheidung den Unterhalt an anspruchsbegründende Bedingungen knüpft, die eine Sachaufklärung im Erkenntnisverfahren erfordern.26 Eine hinreichend genaue Fassung des Vollstreckungstitels kann am Verbot der Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der ausländischen Entscheidung scheitern.27 Ein von vornherein zweifelsfrei feststehender Betrag kann vorab für vollstreckbar erklärt werden (Teilvollstreckbarerklärung, vgl Art 37, § 41 Abs 2 AUG).28 Zwei Fälle sind problematisch: Der eine betrifft den Fall, dass der Antragsteller – aus wel- 12 chem Grund auch immer – seinen Antrag auf Vollstreckbarerklärung nicht mit dem Antrag auf Konkretisierung verbindet. Der zweite Fall umfasst die Situation, dass der Antrag zwar gestellt wird, der Titel vom Standpunkt des deutschen Vollstreckungsrecht nicht ausreichend bestimmt ist und eine Konkretisierung durch Auslegung nicht vorgenommen werden kann. Der BGH hat in seiner Entscheidung, die das EuGVÜ betraf, dazu ausgeführt, dass das Gesuch auf Vollstreckbarerklärung zurückgewiesen werden kann, weil es der deutschen öffentlichen Ordnung widersprechen würde, eine zu vollstreckende Anordnung zu erlassen, die von den Vollstreckungsorganen unmöglich sinngerecht ausgeführt werden könnte.29 In einer späteren Entscheidung zur Brüssel I-VO stützt er sich auf diese Grundsatzentscheidung.30 Die Rechtslage hat sich jedoch dahingehend geändert, dass das Gericht anders als nach Art 34 EuGVÜ im ersten Rechtszug die Anerkennungsversagungsgründe nicht prüfen darf und sie deshalb auch keinen Ablehnungsgrund darstellen. Die Prüfung in diesem Verfahrensabschnitt ist auf eine einfache formale Prüfung der Schriftstücke beschränkt, die für die Erteilung der Vollstreckbarerklärung in dem Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, erforderlich sind.31 Dies spricht dafür, dass die Vollstreckbarerklärung im ersten Rechtszug in den beiden genannten Fällen zu erfolgen hat, wenn die Entscheidung die Förmlichkeiten des Art 28 erfüllt, auch wenn sie nicht den Bestimmtheitsanforderungen des deutschen Rechts an die Vollstreckung gerecht wird. Andererseits bewirkt die Vollstreckbarerklärung, dass die Entscheidung in die Rechtsordnung des Vollstreckungsmitgliedstaates integriert wird und auf Grund dessen vollstreckt wird. Sie entfaltet dadurch die Wirkungen eines vollstreckbaren nationalen Rechtstitels.32 In der Nuance unterscheidet sich dies von der in Deutschland vertretenen Auffassung, wonach maßgebliche Grundlage für die Zwangsvollstreckung im Inland die inländische Entscheidung über die 25 26

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MünchKommZPO/Gottwald Art 38 Brüssel I-VO Rn 11 f. OLG Karlsruhe v 8.1.2002 – 9 W 51/01, FamRZ 2002, 1420, 1421 (Unterhalt bei ernsthaftem zielstrebigem Studium). BGH v 21.11.2013 – IX ZB 44/12, FamRZ 2014, 295 = NJW 2014, 702 Rn 8. BGH v 4.3.1993 – IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16, 20 = IPRax 1994, 367 = NJW 1993, 1801, 1803. BGH v 4.3.1993 – IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16 = IPRax 1994, 367 Rn 16 = NJW 1993, 1801. So BGH v 21.11.2013 – IX ZB 44/12, FamRZ 2014, 295 = WM 2014, 42; so auch OLG Karlsruhe v 8.1. 2002 – 9 W 51/01, FamRZ 2002, 1420, 1421; OLG Köln IPRax 2006, 51; hierzu ua NK-ZPO/Dörner Art 38 Brüssel I-VO Rn 3; Kindl/Meller-Hannich/Wolf /Mäsch Art 38 Brüssel I-VO Rn 12, 13 (aus der Natur der Sache). ErwGr 17; EuGH v 13.10.2011 – Rs C-139/10 Prism Investments BV/Jaap Anne van der Meer, IPRax 2012, 357 = NJW 2011, 3506 Rn 30. EuGH v 13.10.2011 – Rs C-139/10 Prism Investments BV/Jaap Anne van der Meer, IPRax 2012, 357 = NJW 2011, 3506 Rn 31.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

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Art 31 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Vollstreckbarkeit und nicht die ausländische Entscheidung selbst ist.33 Daraus wird abgeleitet, dass erstere den Bestimmtheitsanforderungen des deutschen Rechts zu entsprechen hat34. Folgt man der Ausführung des EuGH, was der Diktion der EG-UntVO mehr entspricht, geht es um die Anpassung des ausländischen Titels an die Erfordernisse des inländischen Zwangsvollstreckungsrechts, damit die Integration glückt. Die ausländische Entscheidung unterliegt nämlich nach Art 41 Abs 1 S 2 den gleichen Bedingungen hinsichtlich der Vollstreckung wie inländische Entscheidungen. Daraus folgt jedoch auch, dass dieser Rechtstitel den Anforderungen an einen solchen Titel gemäß dem Zwangsvollstreckungsrechts des Vollstreckungsstaates entsprechen muss. Das kann dafür angeführt werden, dass die abstrakte Vollstreckbarkeit des Titels nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates, gegebenenfalls seine Konkretisierung durch Auslegung, zum Gegenstand der Prüfung bereits im ersten Rechtszug des Vollstreckungserklärungsverfahren gemacht werden sollte, jedoch fehlt hierfür eine entsprechende Regelung in der Verordnung. Die Frage sollte dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt werden. 13 Eine Ablehnung der Vollstreckbarerklärung aus den oben dargestellten Gründen kann im

Rechtsbehelfsverfahren erfolgen, denn in diesem Verfahrensstadium sind für die Entscheidung über die Versagung oder die Aufhebung der Vollstreckbarerklärung die Anerkennungsversagungsgründe nach Art 24 maßgeblich. Ablehnungsgrund wäre die Nichtanpassungsfähigkeit des ausländischen Titels an die Erfordernisse des inländischen Zwangsvollstreckungsrechts, ein Grund der unter Art 24 lit a zu subsumieren wäre. Das setzt jedoch voraus, dass von einer Partei das Rechtsbehelfsverfahren (Beschwerdeverfahren) in Gang gesetzt wird. In diesem Verfahren kann der Antrag auf Konkretisierung auch erstmals gestellt werden, wenn dies im ersten Rechtszug verabsäumt wurde. 14 Aus allem folgt, dass in der Rechtspraxis durchaus die Situation entstehen kann, dass ein

ausländischer Titel mit einer Vollstreckungsklausel versehen wird, ohne die für die inländische Zwangsvollstreckung erforderliche Konkretisierung aufzuweisen. Man denke nur daran, dass auch Notare für notarielle Urkunden die Vollstreckbarerklärung vornehmen, soweit die Förmlichkeiten erfüllt sind. Möglich ist zunächst eine Auslegung durch das Vollstreckungsorgan selbst, soweit eine genügende Bestimmtheit vorliegt oder jedenfalls sämtliche Kriterien für die Bestimmbarkeit eindeutig festgelegt sind.35 Lehnt dieses die Vollstreckung ab, so scheint ein Verfahren analog § 34 AUG zur Bestimmung des vollstreckungsfähigen Inhalts der Entscheidung angebracht.

Artikel 31: Mitteilung der Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung (1) Die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung wird dem Antragsteller unverzüglich in der Form mitgeteilt, die das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats vorsieht. (2) Die Vollstreckbarerklärung und, soweit dies noch nicht geschehen ist, die Entscheidung werden der Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, zugestellt. 33 34

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Hierzu Rn 6. BGH NJW 1986 1440; BGH v 4.3.1993 – IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16, 19 = IPRax 1994, 367 = NJW 1993, 1801, 1803; BGH v 21.11.2013 – IX ZB 44/12, FamRZ 2014, 295 = NJW 2014, 702 Rn 8. Bezogen auf die Vollstreckbarerklärung selbst BGH v 21.11.2013 – IX ZB 44/12, FamRZ 2014, 295 = NJW 2014, 702 Rn 8.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 32 EG-UntVO

Die Bestimmung entspricht Art 42 Brüssel I-VO.1 § 42 AUG stellt die dazu gehörende 1 innerstaatliche Ausführungsbestimmung dar.

Artikel 32: Rechtsbehelf gegen die Entscheidung über den Antrag (1) Gegen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung kann jede Partei einen Rechtsbehelf einlegen. (2) Der Rechtsbehelf wird bei dem Gericht eingelegt, das der betreffende Mitgliedstaat der Kommission nach Artikel 71 notifiziert hat. (3) Über den Rechtsbehelf wird nach den Vorschriften entschieden, die für Verfahren mit beiderseitigem rechtlichen Gehör maßgebend sind. (4) Lässt sich die Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, in dem Verfahren vor dem mit dem Rechtsbehelf des Antragstellers befassten Gericht nicht ein, so ist Artikel 11 auch dann anzuwenden, wenn die Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat. (5) Der Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung ist innerhalb von 30 Tagen nach ihrer Zustellung einzulegen. Hat die Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als dem, in dem die Vollstreckbarerklärung ergangen ist, so beträgt die Frist für den Rechtsbehelf 45 Tage und beginnt von dem Tage an zu laufen, an dem die Vollstreckbarerklärung ihr entweder in Person oder in ihrer Wohnung zugestellt worden ist. Eine Verlängerung dieser Frist wegen weiter Entfernung ist ausgeschlossen.

Art 32 regelt einen einheitlichen Rechtsbehelf bezogen auf die Entscheidung im erstinstanz- 1 lichen Verfahren über die Vollstreckbarerklärung. Er übernimmt weitgehend Art 43 Brüssel I-VO.1 Die deutsche Ausführungsbestimmungen hierzu finden sich in §§ 43, 45 AUG. In Deutschland ist Rechtsmittelgericht das Oberlandesgericht. Es handelt sich um ein Be- 2 schwerdeverfahren. Subsidiär finden nach § 2 AUG die Vorschriften des FamFG hierzu Anwendung,2 soweit dies mit der Verordnung kompatibel ist. Die Beschwerde ist bei dem Gericht einzureichen, dessen Entscheidung angefochten wird, entweder durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle. Das Ausgangsgericht ist nur Empfangs- und Weiterleitungsstelle. Die Entscheidungsbefugnis liegt allein beim Oberlandesgericht, dies folgt aus Art 32. Anwaltszwang besteht im deutschen Verfahren erst bei Anordnung der mündlichen Verhandlung, worauf bei der Ladung hierzu hingewiesen wird. Dies folgt aus §§ 43 Abs 2, 45 Abs 2 AUG, 114 Abs 4 Nr 6 FamFG, 78 Abs 3, 215 ZPO.3 Beschwerdeberechtigt sind die Parteien des erstinstanzlichen Vollstreckbarerklärungsver- 3 1

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Siehe deshalb ua die Kommentierung von Rauscher/Mankowski Art 43 Brüssel I VO; Kropholler/von Hein Art 47 Brüssel I-VO; MünchKommZPO/Gottwald Art 47 Brüssel I-VO jeweils mwH. Siehe deshalb ua die Kommentierung von Rauscher/Mankowski Art 43 Brüssel I VO; Kropholler/von Hein Art 47 Brüssel I-VO; MünchKommZPO/Gottwald Art 47 Brüssel I-VO jeweils mwH. BT-Drs 17/4887, 47; MünchKommFamFG/Lipp Rn 4. Hierzu MünchKommFamFG/Lipp Rn 4, Rn 13.

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Art 32 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

fahrens.4 Es kommt nicht darauf an, ob sie Parteien im ausländischen Erkenntnisverfahren waren oder ob sie Titelgläubiger oder -schuldner sind. 4 Eine Beschwerdefrist für den Antragsteller ist in der Verordnung nicht vorgesehen. Die

Begründung zu § 43 AUG verweist auf die Monatsfrist des § 63 FamFG.5 Dies wird mit Recht mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH zum vergleichbaren Art 40 Abs 1 EuGVÜ6 kritisch beurteilt.7 Hier setzt sich der Vorrang der einheitlichen Auslegung der Verordnung durch. Die Beschwerde des Antragstellers ist folglich fristlos zulässig.8 Die Regelung zu den Fristen der Einlegung des Rechtsbehelfs für den Antragsgegner unterscheidet danach, ob er im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder im Ausland. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist autonom auszulegen.9 Hat der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Vollstreckungsstaat, beträgt die Frist 30 Tage. Sie beginnt mit der ordnungsgemäßen Zustellung und nicht erst mit Zustellung in Person oder in der Wohnung.10 Für den Antragsgegner im Ausland ist gegenüber der Brüssel I-VO die Frist auf 45 Tage verkürzt. Auch hier kommt es für den Fristbeginn auf die Zustellung an, wobei als zusätzliches Kriterium die Zustellung an seine Person oder Wohnung festgelegt ist. Gemäß ErwGr 41 berechnet sich die Frist nach der VO (EWG, Euratom) Nr 1182/71. 5 Im Rechtsbehelfsverfahren kann das Gericht die Vorlage einer Übersetzung der Entschei-

dung des ausländischen Gerichts verlangen, vgl Art 28 Abs 2. 6 Im Verfahren ist beiderseitiges rechtliches Gehör zu gewähren. Die Ausfüllung der Vor-

schrift ist dem nationalem Recht überlassen, solange dieser Grundsatz gewahrt wird.11 § 45 Abs 1 AUG sieht ein schriftliches Verfahren mit Anhörung des Antragsgegners vor. Nach § 45 Abs 2 AUG besteht auch die Möglichkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Zum Anwaltszwang siehe Rn 2. 7 Die Zustellung der Rechtsmittelschrift an den Beschwerdegegner ist in der Verordnung

nicht ausdrücklich bestimmt, ergibt sich jedoch notwendig aus dem Grundsatz des beiderseitigen rechtlichen Gehörs. Im deutschen Beschwerdeverfahren erfolgt die Zustellung von Amts wegen, geregelt in § 43 Abs 5 AUG. Abs 4 zur Aussetzung des Verfahrens schützt herausgehoben die Partei, gegen die die Voll4 5 6 7 8 9 10

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MünchKommFamFG/Lipp Rn 6. Für die Brüssel I-VO Rauscher/Mankowski Art 43 Brüssel I-VO Rn 3. BT-Drs 17/4887, 47. EuGH Rs C-3/05 Verdolina EuGHE 2006 I 1579 Rn 32. Eichel GPR 2011, 193, 197; MünchKommFamFG/Lipp Rn 6. Eichel GPR 2011, 193, 197; MünchKommFamFG/Lipp Rn 6. Hierzu Art 3 Rn 23 ff. Entgegen § 43 Abs 4 S 2 AUG, in dem das zusätzliche Zustellungskriterium für den Antragsgegner mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland nach Art 32 Abs 5 S 2 allgemein formuliert ist. Einzelheiten bei Rauscher/Mankowski Art 43 Brüssel I-VO Rn 3 ff mwH.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 34 EG-UntVO

streckung erwirkt werden soll. Es muss sich um ein Rechtsbehelfsverfahren handeln, das vom Antragsteller im Vollstreckbarerklärungsverfahren eingeleitet worden ist. Die Bestimmung ist begrenzt auf eine Partei, die nicht im Vollstreckungsmitgliedstaat ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die entsprechende Anwendung bedeutet, dass das Rechtsmittelverfahren auszusetzen ist, wenn sich diese Partei nicht am Rechtsbehelfsverfahren beteiligt, bis das Gericht die Feststellung nach Art 11 entsprechend getroffen hat.

Artikel 33: Rechtsmittel gegen die Entscheidung über den Rechtsbehelf Die über den Rechtsbehelf ergangene Entscheidung kann nur im Wege des Verfahrens angefochten werden, das der betreffende Mitgliedstaat der Kommission nach Artikel 71 notifiziert hat.

Die Bestimmung entspricht Art 44 Brüssel I-VO, siehe deshalb die Kommentierungen 1 hierzu. Statthaftes weiteres Rechtsmittel in Deutschland ist die Rechtsbeschwerde zum BGH, geregelt in §§ 46-48 AUG. Ergänzend finden gemäß § 2 AUG die Vorschriften des FamFG Anwendung, insb §§ 70 ff, soweit sich aus dem AUG nichts Abweichendes ergibt. Einer Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Oberlandesgericht bedarf es nicht. Auch erfolgt keine Beschränkung auf Gründe von grundsätzlicher Bedeutung oder weil sie für die Rechtsfortbildung von Bedeutung sind. Der Prüfungsumfang ist in § 48 Abs 1 AUG bestimmt. In § 46 AUG ist die Rechtsbeschwerdefrist geregelt.

Artikel 34: Versagung oder Aufhebung einer Vollstreckbarerklärung (1) Die Vollstreckbarerklärung darf von dem mit einem Rechtsbehelf nach Artikel 32 oder Artikel 33 befassten Gericht nur aus einem der in Artikel 24 aufgeführten Gründe versagt oder aufgehoben werden. (2) Vorbehaltlich des Artikels 32 Absatz 4 erlässt das mit einem Rechtsbehelf nach Artikel 32 befasste Gericht seine Entscheidung innerhalb von 90 Tagen nach seiner Befassung, es sei denn, dies erweist sich aufgrund außergewöhnlicher Umstände als nicht möglich. (3) Das mit einem Rechtsbehelf nach Artikel 33 befasste Gericht erlässt seine Entscheidung unverzüglich.

I. Gegenstand der Regelung Der Artikel regelt die Gründe für die Ablehnung der Vollstreckbarerklärung seitens der mit 1 den Rechtsbehelfen nach Artt 32 und 33 befassten Gerichte. Außerdem bestimmt er die Fristen, innerhalb derer die Entscheidung zu erlassen ist. Die Regelung entspricht im Wesentlichen Art 45 Brüssel I-VO.1 Abweichungen bestehen hinsichtlich der Fristen für eine Entscheidung.

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Siehe deshalb auch die umfangreiche Kommentierung bei Rauscher/Mankowski Art 45 Brüssel I-VO;

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Art 34 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

II. Prüfungsumfang 2 Die Prüfung im Rechtsbehelfsverfahren umfasst zunächst die Fragen, die auch Gegenstand

der Prüfung in erstinstanzlichen Verfahren waren, also die Eröffnung des Anwendungsbereiches der Verordnung, Vorliegen eines Titels, der dem Kapitel IV Abschnitt 2 unterliegt, formelle Vollstreckbarkeit des Titels im Ursprungsmitgliedstaat sowie Erfüllung der formellen Voraussetzungen der Artt 28 und 29.2 Dies ist nicht ausdrücklich geregelt, ergibt sich jedoch bereits daraus, dass im ersten Rechtszug dem Antragsgegner hierzu kein rechtliches Gehör gewährt wird.3 Eine Versagung der Vollstreckbarerklärung kann im Übrigen ausschließlich auf die in Art 24 aufgeführten Gründe gestützt werden. Dabei ist eine enge Auslegung geboten.4 In der Sache selbst darf die Entscheidung nicht nachgeprüft werden, vgl Art 42. Selbst unstreitige Einwendungen, soweit sie nicht unter die Anerkennungsversagungsgründe des Art 24 fallen, bleiben unberücksichtigt.5 So steht auch der Einwand der Erfüllung der titulierten Unterhaltsforderung der Vollstreckbarerklärung nicht entgegen,6 denn die Erfüllung nimmt dem Titel nicht die Eigenschaft eines Vollstreckungstitels.7 § 44 AUG, der Einwendungen gegen den vollstreckbaren Anspruch im Rechtsmittelverfahren zuließ, wurde aufgehoben, weil er im Widerspruch zu Art 34 EG-UntVO stand. 3 Aus allem folgt auch, dass der Unterhaltsschuldner im Vollstreckbarerklärungsverfahren

keine sachlichen Einwendungen gegen den titulierten Unterhaltsanspruch erheben kann, die im Wege eines Abänderungsantrags geltend zu machen wären.8 4 Die Versagungsgründe nach Art 24 sind in den Rechtsbehelfsverfahren von Amts wegen

auch ohne eine entsprechende Rüge des Antragsgegners zu prüfen; dagegen besteht aber keine Verpflichtung des Rechtsbehelfsgerichts, die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln.9

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Kropholler/von Hein Art 45 Brüssel I-VO; MünchKommZPO/Gottwald Art 45 Brüssel I-VO jeweils mwH. MünchKommFamFG/Lipp Rn 6; Prütting/Helms/Hau FamFG Anhang 2 zu § 110 FamFG Rn 145; für die Brüssel I-VO BGH v 12.12.2007 – XII ZB 240/05, FamRZ 2008, 586 = NJW-RR 2008, 586, Rn 15; Rauscher/Mankowski Art 45 Brüssel I-VO Rn 3 mwH; aA Thomas/Putzo/Hüßtege Art 45 Brüssel I-VO Rn 3b; zur Prüfung der erstinstanzlichen Zuständigkeit im Rechtsbehelfsverfahren Rauscher/Mankowski Art 45 Brüssel I-VO Rn 3. MünchKommFamFG/Lipp Rn 6; für die Brüssel I-VO BGH v 12.12.2007 – XII ZB 240/05, FamRZ 2008, 586 = NJW-RR 2008, 586, Rn 15; Rauscher/Mankowski Art 45 Brüssel I-VO Rn 3. EuGH v 13.10.2011 – Rs C-139/10 Prism Investments/van der Meer, IPRax 2012, 357 = NJW 2011, 3506 Rn 33, 43; EuGH Rs C-420/07 Apostolides EuGHE 2009 I 3571 Rn 55. MünchKommFamFG/Lipp Rn 5; anders noch BGH v 14.3.2007 – XII ZB 174/04, FamRZ 2007, 989 = NJW 2007, 3432; BGH v 12.8.2009 – XII ZB 12/05, FamRZ 2009, 1659 = IPRax 2011, 187 = NJW-RR 2010, 1, 4; BGH FPR 2013, 53 vor der Entscheidung des EuGH Rs C-139/10. EuGH v 13.10.2011 – Rs C-139/10 Prism Investments/van der Meer, IPRax 2012, 357 = NJW 2011, 3506; OLG Stuttgart 25.10.2013, Az 17 UF 189/13, FamRZ 2014, 865 (juris); OLG Stuttgart 5.11.2013, Az 5 W 13/13, FamRZ 2014, 792 (juris). EuGH v 13.10.2011 – Rs C-139/10 Prism Investments/van der Meer, IPRax 2012, 357 = NJW 2011, 3506 Rn 37, 39. BGH v 31.1.1990 – XII ZR 38/89, IPRax 1991, 111 = FamRZ 1990, 504; BGH v 14.3.2007 – XII ZB 174/04, FamRZ 2007, 989; BGH NJW-RR 2011, 651 Rn 11.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 34 EG-UntVO

III. Einwände gegen die Vollstreckung Einwände, die sich gegen die Vollstreckung richten, können vom Vollstreckungsgericht des 5 Vollstreckungsmitgliedstaats geprüft werden.10 Sobald die Entscheidung durch die Vollstreckbarerklärung in die Rechtsordnung des Vollstreckungsmitgliedstaats integriert ist, unterliegt sie seinen Rechtsvorschriften über die Zwangsvollstreckung ebenso wie eine inländische Entscheidung.11 Dem Antragsgegner ist deshalb nach der Vollstreckbarerklärung in Deutschland ein Vollstreckungsabwehrantrag nach § 120 FamFG iVm § 767 ZPO möglich. Die Gründe für die Einwendungen, die gegen die Vollstreckung vorgebracht werden, dürfen dabei erst nach dem Erlass der Entscheidung im Urspungsmitgliedstaat entstanden sein, vgl § 66 Abs 1 AUG, was § 767 Abs 2 ZPO entspricht.12 Ein möglicher im Rahmen von § 767 ZPO geltend zu machender Einwand ist der der Erfüllung der Forderung, ein weiterer der des Übergangs der Forderung auf eine andere Person, so auf eine öffentliche Einrichtung, wenn die Vollstreckungsklausel noch auf den Unterhaltsberechtigten lautet.13 Nach der bisherigen Rechtsprechung konnte der Vollstreckungsschuldner die fehlende Berechtigung des Titelgläubigers der ausländischen Entscheidung in der Beschwerdeinstanz des Vollstreckbarerklärungsverfahrens einwenden.14 Voraussetzung war, dass der Forderungsübergang nach Erlass der Entscheidung vonstatten ging. Angesichts der Entscheidung des EuGH Prism Investments/van der Meer, wonach die vorgesehenen Ablehnungsgründe ausschließlich und eng auszulegen sind, ist auch diese Rechtsprechung bezogen auf die EGUntVO als überholt anzusehen.15 Statt gegen die Vollstreckbarkeit der Entscheidung nach der Vollstreckbarerklärung im Voll- 6 streckungsmitgliedstaat auf der Grundlage des dort geltenden Vollstreckungsrechts vorzugehen, kann der aus dem Titel Verpflichtete auch die Rechtsbehelfe gegen die Zwangsvollstreckung im Ursprungsmitgliedstaat nutzen. Entfällt daraufhin die Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat formell, so hat dies Wirkungen auch für die anderen Mitgliedstaaten.16 Zwar regelt die Verordnung dies nicht ausdrücklich, die Konsequenz ergibt sich jedoch daraus, dass die Vollstreckbarkeit der betreffenden Entscheidung im Ursprungssmitgliedstaat eine Voraussetzung für die Vollstreckung der Entscheidung im Vollstreckungsmitgliedstaat ist.17 Die Umsetzung ist den nationalen Ausführungsbestimmungen überlassen. 9

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Für die Brüssel I-VO umstritten BGH v 12.12.2007 – XII ZB 240/05, FamRZ 2008, 586 = NJW-RR 2008, 586 Rn 23 ff mwH; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 45 Brüssel I-VO Rn 5; aA ua Rauscher/Leible Art 34 Brüssel I-VO Rn 41 mwH. EuGH v 13.10.2011 – Rs C-139/10 Prism Investments/van der Meer, IPRax 2012, 357 = NJW 2011, 3506. EuGH Rs 148/84 Deutsche Genossenschaftsbank EuGHE 1985, 1981, Rn 18; EuGH Rs 119/84 Capelloni EuGHE 1985, 3147 Rn 16; EuGH Rs 145/86 Hoffmann EuGHE 1988, 645; EuGH v 13.10.2011 – Rs C-139/10 Prism Investments B.V./Jaap Anne Van der Meer, NJW 2011, 3506 Rn 40; Wagner IPRax 2012, 326, 331. Zu öffentlichen Urkunden und gerichtlichen Vergleichen siehe Art 48 Rn 17 ff. BGH v 2.3.2011 – XII ZB 156/09, FamRZ 2011, 802 m Anm Heiderhoff = IPRax 2012, 360; Hilbig-Lugani IPRax 2012, 333 ff. BGH v 2.3.2011 – XII ZB 156/09, IPRax 2012, 360 = FamRZ 2011, 802 Rn 19 (noch für § 12 AVAG). Das schließt ihre Weiterführung in Bezug auf die Haager Übereinkommen und das autonome IZVR nicht aus. Rauscher/Mankowski Art 38 Brüssel I-VO Rn 12a. EuGH v 13.10.2011 – Rs C-139/10 Prism Investments/van der Meer, IPRax 2012, 357 = NJW 2011, 3506

Marianne Andrae/Martin Schimrick

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Art 35 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

In Deutschland regelt § 67 AUG ein Verfahren der Aufhebung der Zulassung zur inländischen Zwangsvollstreckung. Sie bezieht sich ausdrücklich auf die Aufhebung oder Änderung der Ursprungsentscheidung, betrifft jedoch auch die formelle Beseitigung der Vollstreckbarkeit.18 Diese Regelung hat als Spezialregelung Vorrang vor einem Vorgehen nach §§ 120 Abs 1 FamFG, 767 ZPO. Geschuldet ist dies dem Umstand, dass nach hM Grundlage für die Vollstreckung im Inland die inländische Vollstreckbarerklärung selbst und nicht der ausländische Titel ist,19 so dass erstere erst aufgehoben werden werden muss.20 Gegen eine Vollstreckung vor Aufhebung der Vollstreckbarerklärung steht dem Schuldner der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 120 Abs 1 FamFG, § 769 ZPO zur Verfügung.21 IV. Fristen 7 Für die Fristen, innerhalb derer die Entscheidung zu treffen ist, unterscheidet die Regelung

zwischen dem Rechtsbehelfsverfahren nach Art 32 und dem weiterem Rechtsbehelfsverfahren nach Art 33. Für ersteres gilt eine Frist von 90 Tagen ab Eingang des Antrags. Hiervon kann bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die ihren Grund in den Besonderheiten auf Seiten der Parteien oder des Falles haben, abgewichen werden. Hinsichtlich des weiteren Rechtsbehelfsverfahren gibt es keine festen Fristen, die Entscheidung ist unverzüglich zu treffen.

Artikel 35: Aussetzung des Verfahrens Das mit einem Rechtsbehelf nach Artikel 32 oder Artikel 33 befasste Gericht setzt auf Antrag der Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, das Verfahren aus, wenn die Vollstreckung der Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat wegen der Einlegung eines Rechtsbehelfs einstweilen eingestellt ist.

1 Art 35 unterscheidet sich erheblich von Art 46 Brüssel I-VO. Er ist an Art 21 Abs 3 UAbs 2

orientiert. An die Stelle der Aussetzung der Zwangsvollstreckung im Vollstreckungsstaat ist als Rechtsfolge die Aussetzung des Vollstreckbarerklärungsverfahren vorgeschrieben. 2 Die Auslegung der Vorschrift wird davon getragen, wessen Schutz die Aussetzung des Voll-

streckbarerklärungsverfahren dient. Zum einem könnte sie dem Schutz des Antragsgegners (Titelschuldners) dienen. Das würde dann zutreffen, wenn ohne diesen Antrag trotz einer förmlichen einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung im Ursprungsstaat die Vollstreckbarerklärung im Zweitstaat in den Rechtsmittelinstanzen nicht gehindert ist. Dafür

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Rn 38; EuGH Rs C-267/97 Coursier EuGHE 1999 I 2543 Rn 23; BGH v 11.3.2010 – IX ZB 94/07, WM 2010, 897 Rn 8, 9. BGH v 11.3.2010 – IX ZB 94/07, WM 2010, 897 Rn 8, 9; Rauscher/Mankowski Art 38 Brüssel I-VO Rn 12a. Ausführlich hierzu mwH Rauscher/Mankowski Art 38 Brüssel I-VO Rn 3 ff; hierzu auch Art 30 Rn 6. Rauscher/Mankowski Art 38 Brüssel I-VO Rn 3 ff; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 38 Brüssel I-VO Rn 2. Rauscher/Mankowski Art 38 Brüssel I-VO Rn 14b für die entsprechende Lösung im AVAG.

Oktober 2014

Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 35 EG-UntVO

spricht, dass gerade dem Antragsgegner des Ausgangsverfahren die Antragstellung möglich ist. Träfe dies nicht zu, hätte der Schuldner kein Interesse an dem Antrag auf Aussetzung, denn ohne ihn wäre der Antrag auf Vollstreckbarerklärung mangels eines vollstreckbaren Unterhaltstitels abzuweisen. Er würde also auf Grund des Antrags schlechter als mit Antrag stehen. Die Regelung könnte jedoch auch dem Schutz des Antragstellers (Titelgläubigers) dienen. Dies würde dann der Fall sein, wenn ohne die Möglichkeit der Aussetzung, der Antrag abzuweisen wäre, weil es an einem vollstreckbaren Unterhaltstitel mangelt.1 Dagegen spricht, jedoch, dass der Antragsteller nicht den Antrag auf vorläufige Einstellung des Rechtsbehelfsverfahrens stellen kann. UE hat hier der Verordnungsgeber eine autonom auszulegende Vorschrift erlassen, die insbesondere dem Gläubigerschutz dient, jedoch auch den Interessen des Unterhaltsschuldners in diesem Verfahrensstadium Rechnung trägt. Die einstweilige Einstellung der Vollstreckung im Ursprungsmitgliedstaat aufgrund der Einlegung eines Rechtsmittels hindert die Vollstreckbarerklärung im Vollstreckungsstaat nicht. Das entspricht dem Interesse des Gläubigers, dessen Antrag nicht abgewiesen wird und der folglich nicht mit der Antragstellung neu beginnen muss, wenn die einstweilige Einstellung aufgehoben wird. Der Antragsgegner kann sich dagegen mit dem Antrag auf Aussetzung des Rechtsbehelfsverfahrens wehren. Folgende Voraussetzungen im Einzelnen müssen vorliegen: 3 – Im Vollstreckungsmitgliedstaat ist ein Rechtsbehelfsverfahren nach Art 32 oder ein weiteres Rechtsbehelfsverfahren nach Art 33 anhängig. Die Aussetzung kann folglich nicht im erstinstanzlichen Verfahren erfolgen. – Die Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, muss einen Antrag auf Aussetzung des Vollstreckbarerklärungsverfahren in der betreffenden Rechtsbehelfsinstanz gestellt haben. Die Zwangsvollstreckung muss im Ursprungsmitgliedstaat vorläufig eingestellt worden sein, und zwar wegen der Einleitung eines Rechtsbehelfs.2 Gemeint sind nur ordentliche Rechtsbehelfe,3 sodass eine Anwendung von Art 35 nicht in Betracht kommt, wenn die Entscheidung rechtskräftig geworden ist. Erforderlich ist eine einstweilige Beseitigung der Vollstreckbarkeit.4 Entweder ergibt sich dies unmittelbar aus gesetzlichen Vorschriften des Ursprungsstaates oder sie muss gerichtlich angeordnet sein. Die Aussetzung ist zu beenden, wenn die einstweilige Aufhebung der Vollstreckbarkeit beendet ist. Liegen die Voraussetzungen vor, so ist während der vorläufigen Einstellung des Zwangsvollstreckung das Rechtsbehelfsverfahren zwingend einzustellen. Die Aussetzung kann nicht von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Regelung bezieht sich nicht auf das erstinstanzliche Vollstreckbarerklärungsverfahren. 4 Fehlt es im ersten Verfahrensstadium an einer formellen Vollstreckbarkeit der Entscheidung 1

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So MünchKommFamFG/Lipp Rn 2; BGH v 11.3.2010 – IX ZB 94/07, WM 2010, 897; Rauscher/Mankowski Art 38 Brüssel I-VO Rn 12a jeweils zur Brüssel I-VO. Geimer/Schütze/Hilbig Art 25 Rn 4. Begriff „ordentlicher Rechtsbehelf“ fehlt in Art 35, eine Auslegung hat wie bei Art 46 Abs 1 Brüssel I-VO zu erfolgen, für Irland und das Vereinigte Königreich ist Art 46 Abs 2 Brüssel-VO entsprechend heranzuziehen. MünchKommFamFG/Lipp Art 35 Rn 5; Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Neumayr Rn 3.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

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Art 36 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

aufgrund der einstweiligen Aussetzung der Vollstreckung im Entscheidungsstaat, so ist der Antrag auf Vollstreckbarerklärung abzuweisen. Der Titelgläubiger hat die Möglichkeit, den Antrag zu wiederholen, wenn die einstweilige Aussetzung der Vollstreckung im Ursprungsmitgliedstaat beseitigt ist. Er kann aber auch das Rechtsbehelfsverfahren nach Art 32 einleiten, dem Antragsgegner ist dann der Antrag nach Art 35 möglich.

Artikel 36: Einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen (1) Ist eine Entscheidung nach diesem Abschnitt anzuerkennen, so ist der Antragsteller nicht daran gehindert, einstweilige Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats in Anspruch zu nehmen, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung nach Artikel 30 bedarf. (2) Die Vollstreckbarerklärung umfasst von Rechts wegen die Befugnis, solche Maßnahmen zu veranlassen. (3) Solange die in Artikel 32 Absatz 5 vorgesehene Frist für den Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung läuft und solange über den Rechtsbehelf nicht entschieden ist, darf die Zwangsvollstreckung in das Vermögen der Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, nicht über Maßnahmen zur Sicherung hinausgehen.

1 Inhaltlich entspricht die Bestimmung Art 47 Brüssel I-VO.1

Artikel 37: Teilvollstreckbarkeit (1) Ist durch die Entscheidung über mehrere mit dem Antrag geltend gemachte Ansprüche erkannt worden und kann die Vollstreckbarerklärung nicht für alle Ansprüche erteilt werden, so erteilt das Gericht oder die zuständige Behörde sie für einen oder mehrere dieser Ansprüche. (2) Der Antragsteller kann beantragen, dass die Vollstreckbarerklärung nur für einen Teil des Gegenstands der Entscheidung erteilt wird.

1 Die Bestimmung entspricht Art 47 Brüssel I-VO.

Eine Teilvollstreckbarerklärung erfolgt nach Abs 1 von Amts wegen, soweit mehrere selbständige Ansprüche tituliert sind und nicht alle die Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung nach der EG-UntVO erfüllen. Typisches Beispiel ist, wenn die Entscheidung mehrere Scheidungsfolgen betrifft und nicht alle als unterhaltsrechtlich zu qualifizieren sind. Die Vollstreckbarerklärung nach der Verordnung umfasst dann nur den unterhaltsrechtlichen Teil.1 Ein anderes Beispiel ist, wenn nur die Hauptforderung den Bestimmtheitsanforderungen des Rechts des Vollstreckungsstaates erfüllt, nicht jedoch die Nebenforderung auf Verzugszinsen. 1

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Siehe deshalb die umfangreiche Kommentierung bei Rauscher/Mankowski Art 47 Brüssel I-VO; Kropholler/von Hein Art 47 Brüssel I-VO; MünchKommZPO/Gottwald Art 47 Brüssel I-VO jeweils mwH. EuGH Rs C-220/95 Van den Boogaard EuGHE 1997 I 1147, 1163 = IPRax 1999, 35, 37 Rn 22; auch BGH v 12.8.2009 – XII ZB 12/05, MDR 2009, 1225 = IPRax 2011, 187 = FamRZ 2009, 1659 Rn 16 ff.

Oktober 2014

Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Vorbem zu Artt 39 ff EG-UntVO

Möglich ist auch die quantitative Teilung des Anspruchs, wenn nur hinsichtlich eines Teils 2 die Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung vorliegen. Als Beispiel ist der teilweise Übergang der Forderung nach Erlass der Entscheidung auf eine öffentliche Einrichtung zu nennen, wenn die Unterhaltsersatzleistung nicht den gesamten Betrag der Unterhaltsforderung abdeckt. Dann liegt die Vollstreckungsbefugnis teilweise bei der öffentlichen Einrichtung und teilweise bei dem Unterhaltsberechtigten. Beantragt einer von ihnen die Vollstreckbarerklärung für den gesamten Betrag, so erfolgt eine Vollstreckbarerklärung nur für den jeweils zustehenden Teil. Kein dem Art 37 Abs 1 unterliegender Fall ist die teilweise Erfüllung der titulierten Forderung durch den Schuldner. Die Erfüllung stellt kein Hindernis für die Vollstreckbarerklärung dar, da sie die formelle Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat nicht berührt.2 Der Antragsteller kann von sich aus eine Teilvollstreckbarerklärung beantragen. Sie ist an 3 keine Gründe gebunden. Er kann sie also auch nutzen, wenn ein Teil der Forderung bereits erfüllt ist.

Artikel 38: Keine Stempelabgaben oder Gebühren Im Vollstreckungsmitgliedstaat dürfen im Vollstreckbarerklärungsverfahren keine nach dem Streitwert abgestuften Stempelabgaben oder Gebühren erhoben werden.

Abschnitt 3: Gemeinsame Bestimmungen Vorbemerkungen zu den Artt 39 ff Die folgenden Bestimmungen gelten sowohl für die dem Abschnitt 1 als auch dem Ab- 1 schnitt 2 unterliegenden Entscheidungen. Dies ist in Art 16 Abs 4 bestimmt und ergibt sich außerdem aus der Überschrift des Abschnitts. Erfasst werden alle vom sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung erfassten Unterhaltsentscheidungen aus einem Mitgliedstaat, um deren Anerkennung oder Vollstreckung es in einem anderen Mitglierdstaat geht. Sie müssen intertemporal nach Art 75 Abs 1 oder 2 der EG-UntVO unterliegen. Abschnitt 3 erstreckt sich auch auf gerichtliche Vergleiche oder öffentliche Urkunden aus einem Mitgliedstaat, wenn sie diese Fragen zum Gegenstand haben und die Regelungen inhaltlich auf diese Titel passen, vorausgesetzt sie werden nach Art 75 Abs 2 UAbs 3 intertemporal von der Verordnung erfasst. Es handelt sich um solche, die ab dem 18.6.2011 geschlossen oder errichtet wurden oder die hinsichtlich der relevanten Fragen zum Zeitpunkt des Abschlusses oder der Errichtung der Brüssel I-VO unterlagen.1

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Hierzu Art 34 Rn 2. Zu Einzelheiten siehe die Kommentierung zu Art 75.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

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Art 39 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Artikel 39: Vorläufige Vollstreckbarkeit Das Ursprungsgericht kann die Entscheidung ungeachtet eines etwaigen Rechtsbehelfs für vorläufig vollstreckbar erklären, auch wenn das innerstaatliche Recht keine Vollstreckbarkeit von Rechts wegen vorsieht.

I. Vorläufige Vollstreckbarkeit 1 Das Ursprungsgericht kann die vorläufige Vollstreckbarkeit anordnen, auch wenn seine

nationalen Verfahrensvorschriften diese nicht kennen.1 Die Bestimmung führt zu einer unionsrechtlichen Befugnis zu einer solchen Anordnung.2 Praktisch bedeutsam ist vor allem der Fall, dass die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat mittels eines Rechtsbehelfs angefochten wurde oder dessen Anfechtung noch möglich ist. Erfasst sind alle Unterhaltsentscheidungen, einschließlich der Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz, Erforderlich ist eine gerichtliche Anordnung. Die Regelung kann sich dem Sinn nach auf gerichtliche Vergleiche erstrecken.3 2 Die Verordnung formuliert für die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit keine Vo-

raussetzungen. Art 39 ermöglicht eine Ermessensentscheidung.4 Nach ErwGr 22 soll grundsätzlich die vorläufige Vollstreckbarkeit angeordnet werden. Dies wird insbesondere immer dann sachdienlich sein, wenn die titulierte Forderung den Lebensunterhalt des Berechtigten sichern soll.5 In Anbetracht dieses Ausgangspunktes sowie des Umstandes, dass die Vorschrift einen Antrag des Berechtigten nicht vorsieht, kann geschlussfolgert werden, dass das Gericht über die Frage, ob es eine vorläufige Vollstreckbarkeit anordnet, von Amts wegen zu entscheiden hat.6 3 Die Vorschrift erfasst nicht nur grenzüberschreitende Sachverhalte, sondern auch reine

Inlandsfälle, denn es ist mitunter bei Erlass der Entscheidung nicht absehbar, ob im Ausland vollstreckt werden soll.7 Ebenso wie es für ein Gericht im Erkenntnisverfahren unerheblich ist, ob der Schuldner zu dieser Zeit überhaupt über vollstreckungsfähiges Vermögen verfügt, kann es nicht darauf ankommen, ob der Gläubiger im Ausland vollstrecken will oder kann. 4 Wäre eine Auslandsbeziehung zu verlangen, so fragt sich, welche Anforderungen daran zu 1 2 3

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Vgl ErwGr 22. MünchKommFamFG/Lipp Rn 1, 6. MünchKommFamFG/Lipp Rn 4; Prütting/Helms/Hau Anh 3 zu § 110 FamFG Rn 150; aA Gruber IPRax 2010, 128, 138. Wie hier Hausmann, IntEuSchR K Rn 274; NK-ZPO/Dörner Art 39-43 Rn 1; aA Gebauer/Wiedmann/ Bittmann Kap 36 Rn 185. MünchKommFamFG/Lipp Rn 9. So auch MünchKommFamFG/Lipp Rn 7; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 7; Hausmann, IntEuSchR K Rn 274. Ebenso MünchKommFamFG/Lipp Rn 5; Hausmann, IntEuSchR K Rn 275; aA Gruber IPRax 2010, 128, 138 (teleologische Reduktion), Fasching/Konecny/Fucik Rn 2 (nur bei grenzüberschreitendem Bezug anwendbar, da allumfassende vorläufige Vollstreckbarkeit aus dem Entwurf nicht in die Verordnung aufgenommen wurde). Vermittelnd: Geimer/Schütze/Hilbig Rn 11 f (möglicher grenzüberschreitender Bezug im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen).

Oktober 2014

Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 39 EG-UntVO

stellen sind. Der Verordnung selbst sind keine Kriterien zu entnehmen. Auch enthält sie kein gestuftes Verfahren, welches zwischen anfänglichen und späteren Auslandsfällen unterscheidet, wie zB Art 41 Abs 3 Brüssel IIa-VO. Dort ist bei Fällen nachträglichen Auslandsbezuges ein Antrag erforderlich. In Fällen, bei denen der Auslandsbezug von Anfang an besteht, hat das Gericht von Amts wegen über die Vollstreckbarerklärung zu entscheiden. Ausgehend von dem Grundgedanken dieser Regelung ließe sich annehmen, dass die vorläufige Vollstreckbarkeit erst nachträglich anzuordnen ist, wenn der Berechtigte die Kurzfassung der Entscheidung nach Anhang I oder II für die Vollstreckung im Ausland beantragt. Da hierzu jedoch eine Ergänzung des Titels erforderlich wäre, müsste ein entsprechendes Verfahren zur Verfügung gestellt werden. Zudem würde es die Erteilung der Kurzfassung deutlich verzögern. Dies verstößt jedoch gegen das Regelungsziel der beschleunigten Vollstreckung von Unterhaltsforderungen, weshalb mangels Regelung ein solch gestuftes Verfahren auch nicht durch Auslegung hineinzuinterpretieren ist. Blieben nur von Anfang an definierbare Kriterien des Auslandsbezuges. Entsprechend dem oben Gesagten muss dabei jedoch allein die Möglichkeit genügen, dass der Vollstreckungsschuldner innerhalb der Vollstreckungsverjährung irgendwann in einem anderen Mitgliedstaat Vermögen haben wird. Da dies nie generell auszuschließen ist, gäbe es kein taugliches Kriterium zur Bestimmung des Auslandsbezuges iSv Art 39. Die Erstreckung auf Inlandsfälle respektiert auch den Grundsatz, dass eine Entscheidung im Ausland nicht weitere Wirkungen entfalten kann als im Ursprungsstaat.8 Eine Entscheidung im Anwendungsbereich der EG-UntVO kann daher in jedem Falle auch ohne Auslandsbezug für vorläufig vollstreckbar erklärt werden und daraufhin auch im Inland vollstreckt werden. Dadurch bewirkt die Norm eine Harmonisierung der Regelungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit. Das Problem der Inlandsfälle wurde bereits im Grünbuch Unterhaltspflichten gesehen.9 Die 5 dort bezeichnete Studie empfiehlt, alle Entscheidungen der Mitgliedstaaten in Unterhaltssachen von Rechts wegen mit der vorläufigen Vollstreckbarkeit auszustatten. Art 81 Abs 1 S 2 AEUV ermöglicht den Erlass von Maßnahmen zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, soweit dies für das Funktionieren des Binnenmarktes und hier insbesondere für die umfassende Gewährung der Personenfreizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft erforderlich ist. Art 39 zielt darauf, die rasche und wirksame Durchsetzung von Unterhaltsforderungen über die Grenze zu gewährleisten und missbräuchlichen Rechtsmitteln vorzubeugen.10 Da es an einem tauglichen Kriterium für Abgrenzung der Fälle mit grenzüberschreitenden Bezügen und reinen Inlandsfällen fehlt, rechtfertigt sich eine Regelung, die faktisch zu einer Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Bezug auf die vorläufige Vollstreckbarkeit führt.11 Für das deutsche Recht ergeben sich mit Art 39 keine Anpassungsprobleme.12 Nach § 116 5a 8 9 10 11

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Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 33 Brüssel I-VO Rn 11. Europäische Kommission, 15.4.2004, KOM (2004) 254, 22. ErwGr 22. Ähnlich für Art 41 Abs 1 S 2 Brüssel IIa-VO Rauscher/Rauscher Art 41 Brüssel IIa-VO Rn 13; kritisch Linke FPR 2006, 237, 239. So auch Prütting/Helms/Hau Anh 3 zu § 110 FamFG Rn 148; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 15 f.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

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Art 39 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Abs 3 S 3 FamFG ist bei Endentscheidungen über die Leistung von Unterhalt grundsätzlich die sofortige Wirksamkeit anzuordnen. Daraus folgt dann nach § 120 Abs 2 S 1 FamFG die Vollstreckbarkeit. Nur ausnahmsweise soll davon abgesehen werden, so wenn zur Zahlung rückständigen Unterhalts verurteilt wurde oder soweit der Unterhaltsanspruch kraft Gesetzes auf eine öAwE übergegangen ist.13 Es handelt sich um Fälle, in denen die titulierte Unterhaltsforderung nicht zur unmittelbaren Lebensbedarfsdeckung erforderlich ist. Bei Verurteilung auf nachehelichen Unterhalt ist die Wirksamkeit der Entscheidung auf den Zeitpunkt der Scheidung hinausgeschoben, vgl § 148 FamFG.14 Nach § 120 Abs 2 S 2 FamFG kann das Gericht die Vollstreckung vor Eintritt der Rechtskraft in der Endentscheidung auf Antrag des Vollstreckungsschuldners einstellen oder beschränken, wenn der Verpflichtete glaubhaft macht, dass die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.15 5b § 69 Abs 2 AUG sieht eine Schadensersatzpflicht im Falle einer Vollstreckung aus einer für

vorläufig vollstreckbar erklärten aber später aufgehobenen ausländischen Entscheidung vor, soweit die Entscheidung zum Zeitpunkt der Vollstreckungsmaßname noch mit einem ordentlichen Rechtsmittel angreifbar war. II. Sicherheitsleistung 6 Anders als im Entwurf (Art 26 S 2 EG-UntVO-E) wird die Anordnung einer Sicherheits-

leistung nicht mehr ausdrücklich ausgeschlossen.16 Da aber die vorläufige Vollstreckbarkeit regelmäßig angeordnet werden soll, darf lediglich in Ausnahmefällen eine Entscheidung nur gegen Sicherheitsleistung für vollstreckbar erklärt werden und nur wenn dies mit dem Sinn und Zweck der Verordnung nicht im Widerspruch steht. Diese sind auf die schnelle und effektive Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen gerichtet. Mit der vorläufigen Vollstreckbarkeit soll die Deckung des aktuellen Unterhaltsbedarfs gewährleistet werden. Ein Ausnahmefall kann zB dann gegeben sein, wenn bei einer Verurteilung zu einer Pauschalzahlung (lump sum) die vorläufige Vollstreckbarkeit angeordnet wird. Die Anordnung ist dann mit der EG-UntVO auch vereinbar, denn selbst wenn der Unterhaltsgläubiger die Sicherheitsleistung nicht aufbringen kann, gefährdet dies nicht sein aktuelles finanzielles Auskommen, denn für den laufenden Unterhalt ist eine bedingungslose Vollstreckung möglich. Denkbar ist es auch, die vorläufige Vollstreckbarkeit an eine Sicherheit zu binden, wenn der Unterhaltsgläubiger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat hat. Da die Sicherheitsleistung selbst in der Verordnung nicht geregelt ist, ergeben sich ihre Voraussetzungen, insbesondere auch das Erfordernis der Antragstellung, aus dem nationalen Recht. 7 Beantragt der Gläubiger, bezogen auf eine Entscheidung, die dem Abschnitt 1 unterliegt, die

Erstellung eines Auszuges der Entscheidung in Form des Formulars in Anhang I, so ist dieser erst dann zu erteilen, wenn die Sicherheitsleistung erbracht wurde,17 denn vor dieser 13 14 15 16 17

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Thomas/Putzo/Hüßtege § 116 FamFG Rn 10 mwH. Hierzu ua Thomas/Putzo/Hüßtege § 116 FamFG Rn 10; Keidel/Weber § 116 FamFG Rn 19. Hierzu MünchKommFamFG/Fischer § 120 FamFG Rn 10 ff. So auch MünchKommFamFG/Lipp Rn 9; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 13. Vgl Art 20 Rn 16, Art 21 Rn 12, Art 21 Rn 35.

Oktober 2014

Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 40 EG-UntVO

Leistung ist eine derartige Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat nicht vollstreckbar.18 Mithin fehlt auch die Grundlage für eine unmittelbare Vollstreckungsmöglichkeit in einem anderen Mitgliedstaat nach Abschnitt 1. Wenn andererseits das Ursprungsgericht einen Entscheidungsauszug unter Verwendung des Formblattes in Anhang I erstellt ohne darin anzugeben, dass die Vollstreckbarkeit der Entscheidung unter der Bedingung einer Sicherheitsleistung steht, so wird die Entscheidung dadurch nicht bedingungslos im Vollstreckungsstaat vollstreckbar. Eine ähnliche Situation tritt ein, wenn die Vollstreckbarkeit einer Säumnisentscheidung nachträglich auf den Einspruch des Schuldners hin von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht wird, wenn das Formblatt bereits erteilt ist oder die Änderung nicht berücksichtigt wird. Der Schuldner hat in diesem Fall die Möglichkeit, gegen die Entscheidung über die Ausstellung des Formblatts mit den Rechtsbehelfen vorzugehen, die im Ursprungsmitgliedstaat dafür vorgesehen sind. Betreibt der Gläubiger dennoch die Vollstreckung, hat das zuständige Vollstreckungsorgan die Durchführung zu verweigern, bis die für die Vollstreckung erforderliche Sicherheit im Ursprungsmitgliedstaat oder im Vollstreckungsmitgliedstaat geleistet wurde. Dem Titelschuldner stehen bei Vollstreckung aus dieser nicht vollstreckbaren Entscheidung im Vollstreckungsstaat die dafür vorgesehenen Rechtsbehelfe zur Verfügung. Die Rechtsfolge einer Vollstreckungsmaßnahme ohne Titel bestimmt sich nach dem nationalen Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates, nach deutschem Recht ist jene Vollstreckungsmaßnahme unwirksam. UE sollte das Formular für den Entscheidungsauszug in Anhang I um ein Feld für eventuell 8 erforderliche Sicherheitsleistungen ergänzt werden, wodurch die Abhängigkeit der Vollstreckung von der Sicherheitsleistung dokumentiert wird. Damit wäre dann klargestellt, dass die Erteilung des Formblatts auch vor Nachweis der Erbringung erfolgen kann.

Artikel 40: Durchsetzung einer anerkannten Entscheidung (1) Eine Partei, die in einem anderen Mitgliedstaat eine im Sinne des Artikel 17 Absatz 1 oder des Abschnitt 2 anerkannte Entscheidung geltend machen will, hat eine Ausfertigung der Entscheidung vorzulegen, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt. (2) Das Gericht, bei dem die anerkannte Entscheidung geltend gemacht wird, kann die Partei, die die anerkannte Entscheidung geltend macht, gegebenenfalls auffordern, einen vom Ursprungsgericht erstellten Auszug unter Verwendung des Formblatts in Anhang I beziehungsweise in Anhang II vorzulegen. Das Ursprungsgericht erstellt diesen Auszug auch auf Antrag jeder betroffenen Partei. (3) Gegebenenfalls übermittelt die Partei, die die anerkannte Entscheidung geltend macht, eine Transskript oder eine Übersetzung des Inhalts des in Absatz 2 genannten Formblatts in die Amtssprache des betreffenden Mitgliedstaats oder – falls es in diesem Mitgliedstaat mehrere Amtssprachen gibt – nach Maßgabe der Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats – in die oder eine der Verfahrenssprachen des Ortes, an dem die anerkannte Entscheidung geltend gemacht wird, oder in eine sonstige Sprache, die der betreffende Mitgliedstaat für zulässig erklärt hat. Jeder Mitgliedstaat kann angeben, welche Amtssprache oder Amtssprachen der Organe der Europäischen Union er neben seiner oder seinen eigenen für das Ausfüllen des Formblatts zulässt. (4) Eine Übersetzung aufgrund dieses Artikels ist von einer Person zu erstellen, die zur Anfertigung von Übersetzungen in einem der Mitgliedstaaten befugt ist.

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AA Geimer/Schütze/Hilbig Rn 14.

Marianne Andrae/Martin Schimrick

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Art 41 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

1 Die Vorschrift betrifft nicht die Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen, sondern de-

ren Beachtung in anderen Verfahren. Beispiele sind Abänderungsanträge oder der Fall einer Aufrechnung des Gläubigers mit Forderungen aus diesem Unterhaltstitel. Denkbar wäre auch der Einwand entgegenstehender Rechtskraft einer ausländischen Entscheidung. Begehrt eine Partei, dass eine Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat von einem Gericht für dessen Entscheidungsfindung beachtet wird, so hat die Partei die in Art 40 aufgeführten Schriftstücke beizubringen. Die Vorschrift ist genauso auszulegen, wie Art 20 und Art 28, die die Erfordernisse für die Vollstreckung bzw für die Erteilung einer Vollstreckbarerklärung statuieren. Im Gegensatz dazu ist gemäß Art 40 Abs 2 jedoch nicht zwingend ein Auszug der Entscheidung in Form des Formulars in Anhang I oder II erforderlich. Ob diese Kurzform des Titels verlangt wird, steht im Ermessen des Gerichts.1 Die Regelung ermöglicht damit eine flexible Gestaltung des Verfahrens. Nur für den Fall, dass der Inhalt der Entscheidung relevant ist oder (bei Entscheidungen nach Abschnitt 2) deren Anerkennungsfähigkeit bestritten wird, stellt sich dem Gericht die Frage, ob es mithilfe eigener Sprachkenntnisse den Inhalt der Entscheidung ergründen bzw die Einwände gegen eine Anerkennung ausräumen kann. 2 In Abs 2 S 2 ist geregelt, dass das Ursprungsgericht auf Antrag jeder betroffenen Partei einen

Auszug der Entscheidung gemäß Anhang I oder II erteilt. Es handelt sich um eine über den Anwendungsbereich des Art 40 hinausgehende Regelung von allgemeiner Bedeutung. Als Partei ist die Person zu verstehen, für und gegen die die Entscheidung unmittelbar wirkt. Dass sind neben den Parteien des Ausgangsverfahrens bei einer Entscheidung über den Kindesunterhalt das Kind, wenn der Kindesunterhalt von einem Elternteil in Prozessstandschaft erstritten wurde. Antragsberechtigt ist auch die öAwE, wenn die Forderung von ihr im Rahmen des Unterhaltsregress nach Art 64 Abs 3 geltend gemacht werden kann. Partei ist jedoch nicht ein am Ausgangsverfahren nicht beteiligter sonstiger Dritter, auf den die Forderung kraft Gesetzes oder Vertrag übergegangen ist.

Artikel 41: Vollstreckungsverfahren und Bedingungen für die Vollstreckung (1) Vorbehaltlich der Bestimmungen dieser Verordnung gilt für das Verfahren zur Vollstreckung der in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats. Eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung, die im Vollstreckungsmitgliedstaat vollstreckbar ist, wird dort unter den gleichen Bedingungen vollstreckt wie eine im Vollstreckungsmitgliedstaat ergangene Entscheidung. (2) Von der Partei, die die Vollstreckung einer Entscheidung beantragt, die in einem anderen Mitgliedstaat ergangen ist, kann nicht verlangt werden, dass sie im Vollstreckungsmitgliedstaat über eine Postanschrift oder einen bevollmächtigten Vertreter verfügt, außer bei den Personen, die im Bereich der Vollstreckungsverfahren zuständig sind.

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AA Geimer/Schütze/Hilbig Rn 7 (gebundene Entscheidung bei Vorliegen von Notwendigkeit) sowie MünchKommFamFG/Lipp Rn 6 (begrenzt die Pflicht der Parteien auf die Fälle der Notwendigkeit).

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 41 EG-UntVO

I. Grundsätze Die Vollstreckung erfolgt unter Anwendung der einzelstaatlichen Vorschriften des Voll- 1 streckungsmitgliedstaates (Abs 1 S 1). Dies darf den Bestimmungen der Verordnung nicht zuwiderlaufen. Anwendung findet der Grundsatz der Gleichstellung der ausländischen mit einer vergleichbaren inländischen Entscheidung in der Vollstreckung. Aus dem darin enthaltenden Diskriminierungsverbot folgt, dass die ausländische Entscheidung im Vollstreckungsverfahren nicht schlechter als eine inländische gestellt werden darf. Beides, die Einhaltung der Vorgaben der Verordnung und der Grundsatz der Gleichstellung, ist auch zu beachten bei Spezialregelungen, die der Einpassung der ausländischen Entscheidung in das einzelstaatliche System der Vollstreckung dienen. Eine Besserstellung der ausländischen Entscheidung wird nicht verlangt.1 Insoweit wird der Grundsatz der Wirkungserstreckung bezogen auf die Vollstreckbarkeit für die von Art 17 Abs 2 erfassten Titel durch den Grundsatz der Gleichstellung in der Vollstreckung begrenzt, soweit sich nicht aus der Verordnung selbst etwas anderes ableiten lässt. Ausprägung der in Abs 1 enthaltenen Grundsätze ist die Regelung in Art 21 Abs 1 hinsicht- 2 lich der Rechtsbehelfe gegen die Vollstreckung für die unmittelbar nach Abschnitt 1 vollstreckbaren Entscheidungen.2 Danach finden die im Vollstreckungsstaat vorgesehenen Gründe für die Verweigerung und Aussetzung der Vollstreckung Anwendung, soweit sie nicht den Regelungen der Verordnung widersprechen. Für die dem Abschnitt 2 unterliegenden Entscheidungen ist dies nicht ausdrücklich geregelt. Für diese gilt die Zweistufigkeit. Das Zwischenverfahren der Vollstreckbarerklärung ist unionseinheitlich geregelt. In dieser Stufe haben Einwendungen des Vollstreckungsschuldners aus dem einzelstaatlichen Recht des Vollstreckungsstaates keinen Platz.3 Nach der Vollstreckbarerklärung stehen gegen die Vollstreckung selbst die allgemeinen Rechtsbehelfe gegen die Vollstreckung zur Verfügung. Das ergibt sich daraus, dass mit der Vollstreckbarerklärung eine Integration der ausländischen Entscheidung in das inländische Vollstreckungssystem erfolgt. Außerdem kann dies aus Art 21 Abs 1 ableitet werden. II. Umsetzung im deutschen Recht Für die Vollstreckung der der Verordnung unterliegenden Unterhaltstitel aus anderen Mit- 3 gliedstaaten verweist § 65 AUG auf § 120 FamFG, der zu den Vorschriften der ZPO über die Zwangsvollstreckung führt. Für Entscheidungen, die Abschnitt 1 unterfallen, hat der deutsche Gesetzgeber in § 30 Abs 1 4 AUG vom Erfordernis einer Vollstreckungsklausel ausdrücklich abgesehen. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass die vollstreckbare Ausfertigung im Sinne des deutschen Vollstreckungsrechts durch die vom Ursprungsgericht gemäß Art 20 Abs 1 lit b auszustellende Kurzfassung des Titels auf dem Formblatt in Anhang I ersetzt wird.4 Die Lösung steht nicht im Widerspruch zur Verordnung, weil dies jedenfalls nicht zu einer Schlechterstellung der 1 2 3

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Geimer/Schütze/Hilbig Rn 13. Geimer/Schütze/Hilbig Rn 5. EuGH v 13.10.2011 – Rs C-139/10 Prism Investments/van der Meer, IPRax 2012, 357 = NJW 2011, 3506 Rn 33, 43; EuGH Rs C-420/07 Apostolides EuGHE 2009 I 3571 Rn 55; hierzu auch Art 34 Rn 2, 5. BT-Drs 17/4887, 43.

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Art 41 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

ausländischen Entscheidung, eher zu ihrer Besserstellung führt. Begründet wird sie damit, dass sie dem Anliegen der Verordnung gerecht wird, alle Zwischenverfahren und die mit der Anrufung eines Gerichts im Vollstreckungsstaat verbundenen Kosten und Verzögerungen zu vermeiden Der Verordnung hätte das Erfordernis einer Vollstreckungsklausel nicht widersprochen. Es hätte nicht gegen das Verbot der révision au fond verstoßen, denn die Entscheidung selbst wird bei der Klauselerteilung nicht überprüft. Zudem stellte es auch kein verstecktes Exequaturverfahren dar. Für sie hätte gesprochen, dass sie auch Voraussetzung der Vollstreckung aus einer inländischen Entscheidung ist und zum inländischen Vollstreckungsverfahren gehört. Über die Vollstreckungsklausel hätten die Fälle der Verurteilung zu einer bedingten Leistung, der Rechtsnachfolge nach Erlass der Entscheidung und zur Konkretisierung des Titels über die allgemeinen Bestimmungen über die Erteilung der Vollstreckungsklausel gelöst werden können. Für die Konkretisierung des Titels ist in § 34 AUG ein Verfahren bestimmt. Für die Rechtsnachfolge fehlt es an einer generellen Lösung. Verwiesen wird auf das Erfordernis der Titelumschreibung im Ursprungsmitgliedstaat.5 Dies könnte dem Grundsatz der Gleichstellung der ausländischen Entscheidung mit der inländischen Entscheidung widersprechen, weil für deutsche Entscheidungen die Klauselerteilung nach § 727 ZPO ausreichend ist. In Bezug auf die Rechtsnachfolge öAwE steht sie im Widerspruch zu Art 64 Abs 3. 5 Die Gleichstellung mit inländischen Vollstreckungstiteln hat zur Folge, dass der ausländi-

sche Titel den Bestimmtheitsanforderungen entsprechen muss, die das deutsche Recht an einen Vollstreckungstitel stellt.6 Im Rahmen des Abschnitts 2 wird, wenn die ausländische Entscheidung den Erfordernissen nicht entspricht, diese auf Antrag im Exequaturverfahren konkretisiert.7 Hinsichtlich der Entscheidungen, die Abschnitt 1 unterfallen, wird mit diesem Problem zunächst das inländische Vollstreckungsorgan konfrontiert. Möglich ist dann eine Auslegung durch das Vollstreckungsorgan selbst, soweit eine genügende Bestimmtheit vorliegt oder jedenfalls sämtliche Kriterien für die Bestimmbarkeit eindeutig festlegt sind.8 Hält das Vollstreckungsorgan den Titel für zu unbestimmt und kann es die Konkretisierung nicht selbst vornehmen, muss es die Vollstreckung ablehnen. § 34 AUG sieht für diesen Fall ein eigenes Verfahren vor, in dem der ausländische Titel auf Antrag des Gläubigers – wenn möglich – zu konkretisieren ist.9 III. Zustellung 6 Für das Erfordernis der Zustellung der Entscheidung an den Schuldner vor der Vollstre-

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BT-Drs 17/4887, 43. Eingehend hierzu BGH v 4.3.1993 – IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16, 17 ff = NJW 1993, 1801, 1802 f m zustimm Anm Roth IPRax 1994, 350; BGH v 6.11.1985 – IVb ZR 73/84, NJW 1986, 1440 f = FamRZ 1986, 45, 46 f; Wagner FS Sonnenberger (2004) 727, 735 ff; Zöller/Geimer § 722 ZPO Rn 58; MünchKommZPO/Gottwald § 722 ZPO Rn 17. Hierzu Art 30 Rn 10 ff. Bezogen auf die Vollstreckbarerklärung BGH v 21.11.2013 – IX ZB 44/12, FamRZ 2014, 295 = NJW 2014, 702 Rn 8. Hierzu Art 17 Rn 13.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit, Vollstreckung

Art 42 EG-UntVO

ckung gibt es keine Regelung in der Verordnung. Deshalb gilt hierfür das Recht des Vollstreckungsstaates. In Abweichung zu Art 40 Abs 2 Brüssel I-VO muss der Gläubiger, der die Vollstreckung in 7 einem anderen Mitgliedstaat nachsucht, dort kein Wahldomizil begründen oder dort anstelle dessen einen Zustellungsbevollmächtigten benennen. Dadurch sollen die Kosten, die dem Unterhaltsberechtigten im Vollstreckungsverfahren entstehen können, gering gehalten werden.10 Die Einschränkung in der schwer verständlichen deutschen Fassung des letzten Halbsatzes stellt klar, dass dies nicht das eventuelle Erfordernis der Vertretung durch einen zugelassenen Rechtsanwalt für die Postulationsfähigkeit ausschließt. In die nationalen Vorschriften zur Gestaltung des Vollstreckungsverfahrens der Mitgliedstaaten, die ein solches Erfordernis vorsehen, soll nicht durch den Verzicht auf einen Zustellungsbevollmächtigten eingegriffen werden.11 Art 40 Abs 2 Brüssel I-VO soll eine Verzögerung des Vollstreckungsverfahrens durch andernfalls notwendige Auslandszustellungen an den Antragsteller vermeiden. Vor allem für den Fall eines Rechtsbehelfs des Schuldners im Vollstreckbarerklärungsverfahren ist eine zeitnahe Zustellungsmöglichkeit an den Vollstreckungsgläubiger vonnöten.12 Mit der Abschaffung eines Zwischenverfahrens in Abschnitt 1 der EG-UntVO wird zum großen Teil der Rechtsschutz des Schuldners in den Ursprungsmitgliedstaat verlegt, in dem Zustellungen an den Gläubiger in den allermeisten Fällen im Inland erfolgen können. Unter Abwägung der Interessen der Prozessbeteiligten erscheint es daher angemessen, für eine rasche und einfache, grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsforderungen auf das Erfordernis einer Zustellungsadresse des Gläubigers im Vollstreckungsstaat hier zu verzichten. Folge dessen ist, dass bei Rechtsbehelfen, die der Unterhaltsschuldner gegen die Vollstreckung im Vollstreckungsstaat einlegt, grenzüberschreitende Zustellungen an den Gläubiger erforderlich sein können. Dadurch kann es zu Verzögerungen des Rechtsbehelfsverfahrens kommen.

Artikel 42: Verbot der sachlichen Nachprüfung Eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung darf in dem Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung, die Vollstreckbarkeit oder die Vollstreckung beantragt wird, in der Sache selbst nicht nachgeprüft werden.

Art 42 beinhaltet den fundamentalen Grundsatz für die grenzüberschreitende Anerkennung 1 und Vollstreckung, wonach ein Gericht/eine Behörde im Vollstreckungsstaat die Ursprungsentscheidung nicht daraufhin überprüfen darf, ob das Ursprungsgericht/die Ursprungsbehörde den Fall tatsächlich und rechtlich fehlerfrei gewürdigt hat (sog Verbot der révision au fond).1 Dies bedeutet nicht, dass eine ausländische Unterhaltsentscheidung 10 11 12 1

Vgl ErwGr 27 S 1. Vgl ErwGr 27 S 2 aE. Kropholler/von Hein Art 40 Brüssel I-VO Rn 5. OLG Düsseldorf RIW 2004, 391. Zu Einzelheiten dieses Prinzips Rauscher/Rauscher Art 26 Brüssel IIa-VO Rn 1; Rauscher/Leible Art 36 Brüssel I-VO Rn 1 mwN.

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Art 43 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

nicht abgeändert werden kann, wenn seit der Entscheidung Umstände eingetreten sind, die nach dem nun maßgeblichen Recht eine Änderung gebieten.2 Es stellt sich dann die Frage, inwieweit eine Bindung an die Entscheidung des Ursprungsgerichts besteht. Die Abänderung hat jedenfalls unter Wahrung der Grundlagen der Erstentscheidung zu erfolgen.3 Das Verbot der révision au fond steht gleichfalls nicht einem Vollstreckungsabwehrantrag mit nicht präkludierten, dh nachträglich entstandenen Einwendungen entgegen. 2 Praktische Bedeutung hat die Bestimmung für Abschnitt 2 des Kapitels. Dort gibt es noch

das Vollstreckbarerklärungsverfahren und Anerkennungsversagungsgründe. Folgerichtig ist deshalb das Verbot in die EG-UntVO aufzunehmen. Für Abschnitt 1, so könnte man sagen, schadet der Grundsatz nicht, er hat jedoch keine Funktion mehr.4 Aus ihm kann der Umkehrschluss gezogen werden, dass die Nachprüfung in der Sache allein in der Kompetenz der zuständigen Behörden/Gerichte des Ursprungsstaates liegt.

Artikel 43: Kein Vorrang der Eintreibung von Kosten Die Eintreibung von Kosten, die bei der Anwendung dieser Verordnung entstehen, hat keinen Vorrang vor der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen.

1 Zu den Kosten, die „bei der Anwendung“ der EG-UntVO entstehen, gehören die Kosten des

Exequaturverfahrens und des selbständigen Anerkennungsverfahrens, aber auch die Kosten für die unionsrechtlichen Rechtsbehelfe nach Artt 19 und 21 Abs 2 und 3 sowie des Vollstreckungsverfahrens, einschließlich der hierzu erfolgten Rechtsbehelfsverfahren.1 2 Während Art 36 EG-UntVO-E noch vorsah, dass Unterhaltsforderungen vorrangig vor

allen anderen Forderungen gegen den Unterhaltsschuldner einschließlich der Vollstreckungskosten zu befriedigen seien, schließt Art 43 nur einen Vorrang der Kostenbegleichung aus. Möglich ist folglich sowohl ein Vorrang der Hauptforderung als auch der gleiche Rang von Haupt- und Kostenforderung. Nationale Vorschriften, die zwingend einen Vorrang der Kostenbegleichung in der Zwangsvollstreckung vorsehen, sind ausgeschlossen. Soweit die Regelung für den Gläubiger dispositiv ist und er eine Reihenfolge bestimmt, ist diese maßgeblich. Ansonsten ist bei einer dispositiven Regelung von einer Gleichrangigkeit auszugehen.2

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Ähnlich bereits MünchKommFamFG/Lipp Rn 3 f. Hierzu im Einzelnen Einl HUntStProt 2007 Rn 32 f. Zum EG-UntVO-E siehe Linke FPR 2006, 237, 239 (Verbot ginge mangels Anerkennungsprüfung ins Leere); aA Geimer/Schütze/Hilbig Rn 5 (von Bedeutung bei der Frage der Zulässigkeit des Vollstreckungsgegenantrags); MünchKommFamFG/Lipp Rn 2 f (noch erforderlich für die Abgrenzung zwischen präkludierten und zulässigen Einwänden) MünchKommFamFG/Lipp Rn 1. Ähnlich bereits MünchKommFamFG/Lipp Rn 3 f.

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Kapitel V: Zugang zum Recht

Vorbem zu Artt 44 ff

Kapitel V: Zugang zum Recht Vorbemerkungen zu Artt 44 ff I. II.

Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Verhältnis zu anderen Rechtsinstrumentarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

1. Richtlinie 2003/8 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 2. Internationale Übereinkommen und Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

I. Gegenstand Kapitel V umfasst im Kern die Prozesskostenhilfe für Verfahren mit grenzüberschreiten- 1 den Bezügen, die in den Geltungsbereich der EG-UntVO fallen, einschließlich der Kostentragung für vorprozessuale Rechtsberatung. Die Kostentragung für die Inanspruchnahme der eigenen Dienste der Zentralen Behörden nach Kapitel VII ist gesondert in Art 54 geregelt. Zentrale Bestimmungen bilden zum einen Art 45, der den Gegenstand der Prozesskostenhilfe einheitlich festlegt und ihre Zielrichtung näher umschreibt und zum anderen Art 46, der den Grundsatz der Unentgeltlichkeit des Zugangs zum Recht in Bezug auf den Unterhalt von Kindern bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres festlegt, soweit die Zentralen Behörden der Mitgliedstaaten in Anspruch genommen werden. II. Verhältnis zu anderen Rechtsinstrumentarien 1. Richtlinie 2003/8 EG Eine unmittelbare Beziehung besteht zur Richtlinie 2003/8/EG1 (iF PKH-RL). Nach ErwGr 2 36 werden die aufgrund der PKH-RL bestehenden Vorschriften über die Prozesskostenhilfe durch spezifische Vorschriften ergänzt, mit denen ein besonderes System der Prozesskostenhilfe in Unterhaltssachen geschaffen wird. Das Besondere des Kapitels V besteht darin, dass die Prozesskostenhilfe erstmals mit dem Rechtsinstrument der Verordnung geregelt ist, die allgemeine Geltung hat und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt. Die EG-UntVO nimmt inhaltlich wesentliche Elemente der PKH-RL auf und verbindet sie mit Elementen aus dem HUntVerfÜbk 2007 zu einer speziellen Regelung für Unterhaltssachen, insbesondere soweit noch Art 54 in das System einbezogen wird. Die Regelungen in der EG-UntVO sind unvollständig, die Voraussetzungen für die Gewährung der Prozesskostenhilfe bestimmen sich teilweise nach nationalem Recht (Art 47 Abs 1). Auch wird das Verfahren zur Gewährung der Prozesskostenhilfe nicht gesondert geregelt. Insoweit sind die nationalen Vorschriften, einschließlich der umgesetzten Bestimmungen der PKH-RL, mit heranzuziehen, soweit die EG-UntVO keine speziellen Vorschriften vorsieht. Art 68 Abs 3 bestimmt ausdrücklich, dass die Anwendung der PKH-RL vorbehaltlich des Kapitels V unberührt bleibt. Für die Auslegung können auch die Erwägungsgründe der PKH-RL mitherangezogen werden. 1

Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27.1.2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen, ABl EG 2003 L 26/41.

Marianne Andrae

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Art 44 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

2. Internationale Übereinkommen und Vereinbarungen 3 Das Verhältnis von Kapitel V zu internationalen Übereinkommen und Vereinbarungen,

denen die Mitgliedstaaten angehören und die die Prozesskostenhilfe in Unterhaltssachen regeln, ergibt sich aus Art 69. Danach haben die Bestimmungen der EG-UntVO Vorrang im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander. Derselbe Grundsatz gilt nach Art 20 PKH-RL im Verhältnis der Richtlinie zu den von den Mitgliedstaaten geschlossenen bilateralen Verträgen und multilateralen Übereinkünften. Der Vorrang von Kapitel V und der PKH-RL im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander besteht in Bezug auf multilaterale Übereinkommen, insbesondere in Bezug auf das Straßburger Europäische Übereinkommen über die Übermittlung von Anträgen auf Verfahrenshilfe vom 27.1.1977 mit dem Moskauer Zusatzprotokoll vom 4.10.20012 sowie das Haager Übereinkommen über die Erleichterung des internationalen Zugangs zu den Gerichten vom 25.10.1980.3 Deutschland hat zwar beide Übereinkommen gezeichnet, jedoch nicht ratifiziert. 4 Für das Verhältnis des Kapitels V zu den entsprechenden Bestimmungen des HUntVerfÜbk

2007 wird auf Art 69 Rn 9 ff verwiesen. Kapitel V liegt kein eigenständiges Konzept zugrunde. Zusammengefügt wurden Regelungen der PKH-RL mit Bestimmungen des HUntVerfÜbk 2007 über juristische Unterstützung (Art 3 lit c HUntVerfÜbk 2007) sowie über den effektiven Zugang zu den Verfahren und die unentgeltliche juristische Unterstützung (Art 14-17 HUntVerfÜbk 2007). Im HUntVerfÜbk 2007 sind diese Bestimmungen Teil des Kapitels III und betreffen nur die juristische Hilfeleistung in Bezug auf Anträge, die über die Zentralen Behörde des Vertragsstaates, in dem der Antragsteller seinen Aufenthalt hat, an die Zentrale Behörde des ersuchten Vertragsstaates geleitet werden. Dagegen regelt Kapitel V die Prozesskostenhilfe unabhängig davon, ob die Anträge über die Zentralen Behörden übermittelt werden oder direkt bei dem Gericht/der Behörde gestellt werden. Der Regelungsgegenstand stimmt deshalb eher mit der PKH-RL bezogen auf Unterhaltssachen überein. 5 Die Zusammenfügung von Regelungen, denen unterschiedliche Konzepte zugrunde liegen,

führt dazu, dass die Bestimmungen des Kapitels V nicht in allen Teilen in sich stimmig sind, das trifft insbesondere auf Art 44 zu.4

Artikel 44: Anspruch auf Prozesskostenhilfe (1) Die an einem Rechtsstreit im Sinne dieser Verordnung beteiligten Parteien genießen nach Maßgabe der in diesem Kapitel niedergelegten Bedingungen effektiven Zugang zum Recht in einem anderen Mitgliedstaat, einschließlich im Rahmen von Vollstreckungsverfahren und Rechtsbehelfen. In den Fällen gemäß Kapitel VII wird der effektive Zugang zum Recht durch den ersuchten Mitgliedstaat gegenüber jedem Antragsteller gewährleistet, der seinen Aufenthalt im ersuchenden Mitgliedstaat hat.

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Text in dt Sprache abrufbar unter http://conventions.coe.int/Treaty/ger/Treaties/Html/092.htm. Text in engl und franz Sprache in RabelsZ 46 (1982) 768-794. So auch Fasching/Konecny/Fucik Vor Art 44 Rn 10.

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Kapitel V: Zugang zum Recht

Art 44 EG-UntVO

(2) Um einen solchen effektiven Zugang zu gewährleisten, leisten die Mitgliedstaaten Prozesskostenhilfe im Einklang mit diesem Kapitel, sofern nicht Absatz 3 gilt. (3) In den Fällen gemäß Kapitel VII ist ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet, Prozesskostenhilfe zu leisten, wenn und soweit die Verfahren in diesem Mitgliedstaat es den Parteien gestatten, die Sache ohne Prozesskostenhilfe zu betreiben, und die Zentrale Behörde die nötigen Dienstleistungen unentgeltlich erbringt. (4) Die Voraussetzungen für den Zugang zu Prozesskostenhilfe dürfen nicht enger als diejenigen, die für vergleichbare innerstaatliche Fälle gelten, sein. (5) In Verfahren, die Unterhaltspflichten betreffen, wird für die Zahlung von Verfahrenskosten keine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung gleich welcher Bezeichnung auferlegt. I. II. III. IV. 1.

Effektiver Zugang zum Recht (Abs 1) . . . . . . 1 Anwendungsbereich (Abs 1 S 1) . . . . . . . . . . . . 4 Antragsberechtigung nach Kapitel VII . . . 10 Pflicht zur Prozesskostenbefreiung und Ausnahme (Abs 2 und 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

2. 3. V. VI.

Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendbarkeit auf das deutsche Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regime national (Abs 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Befreiung von Sicherheitsleistungen (Abs 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Effektiver Zugang zum Recht (Abs 1) Der Begriff effektiver Zugang zum Recht wird in der EG-UntVO nicht definiert. Ein solcher 1 Begriff findet sich in Art 3 Abs 1 PKH-RL und in Art 14 Abs 1 HUntVerfÜbk 2007. Bezug besteht zu dem in Art 47 Charta der Grundrechte der EU1 geregelten Zugang zu den Gerichten. Danach wird Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten. Der Begriff Zugang zum Recht wurde gewählt, da es im Kapitel V und in dem damit ver- 2 bundenen Kapitel VII nicht nur um den Zugang zu den Gerichten und zu Behörden, die auf dem Gebiet der Unterhaltsverpflichtungen Entscheidungen treffen, sondern auch um vorprozessuale Rechtsberatung und außergerichtliche Streitbeilegung geht. Im Prinzip ist die EG-UntVO als Ganzes vom Grundsatz der Gewährleistung des effektiven Zugangs zum Recht in grenzüberschreitenden Fällen gekennzeichnet. Kapitel V betrifft den Teilbereich der Prozesskostenhilfe. Fehlende finanzielle Mittel einer Partei sollen diese nicht daran hindern, effektiven Zugang zum Recht zu erhalten. Dies ist in Unterhaltssachen von besonderer Bedeutung, da Unterhaltsberechtigte im Allgemeinen nur sehr begrenzte finanzielle Ausstattungen besitzen. Selbst finanziell geringe Hürden könnten sie deshalb davon abhalten, die Möglichkeiten, die die EG-UntVO bietet, zu nutzen. Die Kosten sollen deshalb nicht die Ursache sein, Dienste und Verfahren nach der EG-UntVO nicht in Anspruch zu nehmen. Andererseits sind die Kosten für die Inanspruchnahme des Zugangs zum Recht, die für die Mitgliedstaaten entstehen, zu begrenzen. Die Kosten sollten nicht disproportional zu dem Nutzen sein, der in Bezug auf den Kindesunterhalt und den Unterhalt sons-

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ABl EG 2000 C 364/1.

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Art 44 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

tiger Bedürftiger erreicht wird und der in der Konsequenz zur Reduzierung des Sozialhilfebudgets beiträgt.2 3 Der Begriff „effektiver Zugang zum Recht“ stellt keine Art Generalklausel dar, vielmehr

werden die hiervon erfassten Dienste und Verfahren durch die Phrase „nach Maßgabe, der in diesem Kapitel niedergelegten Bedingungen“ eingegrenzt. Zentrale Regelung bildet dabei Art 45, in dem der Gegenstand der Prozesskostenhilfe näher umschrieben ist. Mit effektivem Zugang zum Recht ist der Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe umschrieben, dieses Kriterium bildet den Maßstab für die teleologische Auslegung der Bestimmungen dieses Kapitels. Zu berücksichtigen ist auch, dass es in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Systeme der rechtlichen Durchsetzung von Unterhaltspflichten, insbesondere gegenüber Kindern gibt, die im Ergebnis hinsichtlich des effektiven Zugangs zum Recht äquivalent sind. Auf der einen Seite gibt es – wie in Schweden – ein effektives, einfaches Verwaltungsverfahren, ohne dass rechtliche Vertretung und kostenpflichtige Rechtsberatung erforderlich ist und gerichtliche Gebühren anfallen. In anderen Mitgliedstaaten müssen die Ansprüche gegenüber zahlungsunwilligen Unterhaltsschuldnern im gerichtlichen Verfahren mit komplizierten Verfahrensvorschriften wie in Deutschland geltend gemacht werden. Hinzu kommt, dass das gerichtliche Verfahren selbst kostenpflichtig ist. II. Anwendungsbereich (Abs 1 S 1)

4 Abs 1 S 1 ist dem Anwendungsbereich dieses Kapitels gewidmet, er regelt ihn jedoch nur

unvollständig. Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben die Parteien der Streitsache, also sowohl der Unterhaltsberechtigte als auch der Unterhaltsverpflichtete. Unterhaltsberechtigte oder -verpflichtete Person ist iSv Art 2 Abs 1 Nr 10 und 11 zu verstehen. Außerdem lässt sich aus Abs 1 ableiten, dass sich das Kapitel auf alle Unterhaltssachen iSd Art 1 Abs 1, also nicht nur auf die Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern bezieht. Erfasst wird sowohl die Prozesskostenhilfe für die Parteien im Erkenntnisverfahren als auch in Bezug auf das Vollstreckungsverfahren und, soweit nach der Verordnung noch die Vollstreckbarerklärung erforderlich ist, auch darauf. Die Prozesskostenhilfe erstreckt sich auch auf gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden. 5 Fraglich ist, ob diese Prozesskostenhilfe auch einer öAwE zusteht. Hierbei ist insbesondere

ErwGr 14 zu beachten. Nach ErwGr 14 S 2 soll eine öAwE Anspruch auf die gleichen Dienste und die gleiche Prozesskostenhilfe wie eine berechtigte Person haben, wenn sie für die unterhaltsberechtigte Person handelt oder selbst die Erstattung von Leistungen fordert, die der berechtigten Person anstelle von Unterhalt erbracht wurden. Liest man S 2 in Zusammenhang mit S 1, so folgt daraus, dass das nur für die Zwecke eines Antrags auf Anerkennung, Vollstreckbarerklärung oder Vollstreckung eines Unterhaltstitels gilt.3 Übernommen wurde hier die Konzeption des HUntVerfÜbk 2007. Ausgangspunkt ist, dass die öAwE regelmäßig danach streben, vollstreckbare Titel in dem Staat zu erlangen, in dem sie ihren Sitz und der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Hierfür benötigen sie dann weder grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe noch die Tätigkeit der 2 3

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Zum HUntVerfÜbk 2007 Borrás/Degeling-Bericht Rn 357. Aufgabe der in der Vorauflage vertretenen Auffassung.

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Kapitel V: Zugang zum Recht

Art 44 EG-UntVO

Zentralen Behörden.4 Die Diplomatische Konferenz sah deshalb keine Veranlassung, auf die öAwE den ganzen Kanon der Anträge an die Zentralen Behörden und damit korrespondierend die Prozesskostenhilfe zu erstrecken.5 Die Verordnung trägt dieser Konzeption Rechnung, indem sie die Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit der Gerichte im Land des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsberechtigten ermöglicht. Trotzdem ist vor allem die Beschränkung der Inanspruchnahme der Dienste der Zentralen Behörden kritisch zu bewerten. Im Einzelfall kann es effektiver sein, einen vollstreckbaren Titel im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsverpflichteten zu erreichen. Man denke zB an einseitige Verpflichtungserklärungen seitens des Unterhaltsschuldners, an Vereinbarungen außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, an die vorhergehende Klärung der Abstammung des Kindes oder die Schwierigkeiten der Einkommensermittlung bezogen auf den Unterhaltsschuldner, wenn dieser im Ausland lebt und arbeitet. Art 44 Abs 1 findet nur bei Unterhaltssachen Anwendung, die „den effektiven Zugang zum 6 Recht in einem anderen Mitgliedstaat“ betreffen.6 Daraus folgt, dass die Unterhaltssache Beziehungen zu mindestens zwei Mitgliedstaaten aufweisen muss.7 Nicht geregelt ist, welche Art der Verbindung als Anwendungsvoraussetzung bestehen muss. Abs 1 S 2 kann nicht direkt angewandt werden, denn dieser regelt die Antragsberechtigung zu den Zentralen Behörden der Mitgliedstaaten nach Kapitel VII und gehört regelungstechnisch dort hin. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sich die Regelungen des Kapitels V auf die Prozesskostenhilfe in den Fällen beschränken würde, in denen Anträge über die Vermittlung der Zentralen Behörden gestellt werden. Dies trifft auf die entsprechenden Bestimmungen des HUntVerfÜbk 2007 zu. Dort erstreckt sich deshalb Art 9, der mit Abs 1 S 2 übereinstimmt, auch auf die Regelungen zur juristischen Unterstützung, die auch die Prozesskostenhilfe mit erfasst. Anders ist dies jedoch für die Prozesskostenhilfe nach der EG-UntVO, weil sie auch Unterhaltssachen erfasst, in denen sich der Antragsteller direkt an die zuständigen Gerichte/ Behörden wendet. Nur für Art 46 ist mit Abs 1 S 2 zugleich der räumlich-personelle Anwendungsbereich 7 bestimmt. Für die verbleibenden Fälle gibt es mE zwei Möglichkeiten. Die eine besteht darin, Abs 1 S 2 8 entsprechend heranzuziehen. Das würde bedeuten, die antragstellende Person hat ihren Aufenthalt in einem Mitgliedstaat und es geht um die Gewährung der Prozesskostenhilfe in einer Unterhaltssache durch das zuständige Gericht/die Behörde in einem anderen Mitgliedstaat. Für diese Lösung spricht, dass damit für die Prozesskostenhilfe nach Kapitel Vein einheitliches Kriterium besteht und eine Abgrenzung zum HUntVerfÜbk 2007 ermöglicht wird. Die andere Möglichkeit besteht darin, den diesbezüglichen Anwendungsbereich in Übereinstimmung mit der PKH-RL festzulegen. Dafür spricht, dass die Bestimmungen der EG-UntVO und der PKH-RL verzahnt sind.8 Hinzu kommt, dass Art 47 Abs 1 auf das innerstaatliche Recht verweist. Dies umfasst auch die nationalen Bestimmungen, die die PKH-RL umsetzen, bei deren Anwendung der räumlich-personelle Anwendungsbereich 4 5 6 7 8

Borrás/Degeling-Bericht Rn 591. Borrás/Degeling-Bericht Rn 591. Zur Anwendung im Verhältnis zu Dänemark siehe Art 1 Rn 50. Geimer/Schütze/Picht Rn 3. Siehe ErwGr 36, 37 sowie Vorbem Art 44 ff Rn 2.

Marianne Andrae

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Art 44 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

der PKH-RL zu beachten ist. Dieser ist nach Art 2 PKH-RL eröffnet, wenn die beantragende Partei ihren Wohnsitz iSd Art 59 Brüssel I-VO oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat des Gerichtsstandes oder dem Vollstreckungsmitgliedstaat hat. Maßgeblicher Zeitpunkt ist der der Stellung des Antrags auf Prozesskostenhilfe. Da die EG-UntVO in keinem Kapitel auf den Wohnsitz iSd Brüssel I-VO abstellt, sollte er auch nicht als Abgrenzungskriterium für die Gewährung der Prozesskostenhilfe nach der EG-UntVO dienen. 9 Das räumlich-personelle Anwendungskriterium besteht deshalb darin, dass die betreffende

Partei entweder ihren Aufenthalt9 oder gewöhnlichen Aufenthalt10 in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Gerichtsstandes oder dem Vollstreckungsmitgliedstaat hat.11 Besonderheiten gelten für Art 47 Abs 2. III. Antragsberechtigung nach Kapitel VII 10 Abs 1 S 2 regelt, welche Verbindung zu einem Mitgliedstaat eine Person aufweisen muss,

um die in Kapitel VII geregelten Anträge (Art 56) in einem anderen Mitgliedstaat stellen zu können und in diesem Zusammenhang in den Vorzug der in jenem Kapitel geregelten Unterstützungen zu kommen. Die Bestimmung gehört an sich zu Art 55 oder Art 56. 11 Der Antragsteller muss seinen Aufenthalt in dem Mitgliedstaat haben, der im Kapitel VII

als ersuchender Mitgliedstaat bezeichnet wird. Der Begriff resultiert daraus, dass nach der Konzeption der EG-UntVO, wie des HUntVerfÜbk 2007, der Antragsteller seinen Antrag nicht unmittelbar bei der Zentralen Behörde einreicht, deren juristische Unterstützung er in Anspruch nehmen will, sondern bei der Zentralen Behörde seines Aufenthaltsstaates, die den Antrag dann an die Zentrale Behörde eines anderen, nämlich des ersuchten Mitgliedstaates weiterleitet. Das Kriterium des Aufenthalts ist weniger streng als das Anknüpfungskriterium des „gewöhnlichen Aufenthalts“, jedoch reicht eine bloße Anwesenheit nicht aus.12 Damit soll die Inanspruchnahme der Dienste der Zentralen Behörden erleichtert werden. Insbesondere das Kriterium der sozialen Integration, zB eines Kindes, entfällt. Auch an die Dauer des Aufenthalts sind nicht zu strenge Anforderungen zu stellen, eine gewisse Stetigkeit des Aufenthalts ist jedoch erforderlich. IV. Pflicht zur Prozesskostenbefreiung und Ausnahme (Abs 2 und 3) 12 Abs 2 sieht die Pflicht der Mitgliedstaaten vor, Prozesskostenhilfe nach Maßgabe des

Kapitels V zu gewähren. Diese besteht nicht, wenn die Voraussetzungen des Abs 3 vorliegen. Dieser ist an Art 14 Abs 3 HUntVerfÜbk 2007 angelehnt, die deutsche Fassung von Art 44 Abs 3 ist kaum verständlich.13 Das betrifft die Phrase „den Parteien gestatten, die Sache ohne 9 10 11

12

714

Kriterium in Abs 1 S 2. Kriterium in Art 2 Abs 1 PKH-RL. So auch Geimer/Schütze/Picht Rn 3; MünchKommFamFG/Lipp Rn 21 differenziert danach, ob die Zentralen Behörden angerufen werden, dann kommt es auch für die Prozesskostenhilfe auf Art 44 Abs 2 an, ansonsten ist auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers abzustellen, Vgl ErwGr 32; Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 228.

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Kapitel V: Zugang zum Recht

Art 44 EG-UntVO

Prozesskostenhilfe zu betreiben“, in der englischen Version heißt es dagegen „enable the parties to make the case without the need for legal aid“. 1. Voraussetzungen Die Pflicht, Prozesskostenhilfe zu leisten, besteht kumulativ unter folgenden Voraussetzun- 13 gen nicht: a) Es muss ein Fall gemäß Kapitel VII vorliegen. Gemeint ist damit wohl, dass die die 14 Prozesskostenhilfe beanspruchende Partei einen Antrag gemäß Art 56 gestellt haben muss. Dem Wortlaut nach ist Abs 3 nicht anzuwenden, wenn die Partei das Verfahren in einem Mitgliedstaat betreibt, der nicht der Staat seines (gewöhnlichen) Aufenthalts ist, ohne die Dienste der Zentralen Behörden in Anspruch zu nehmen, obwohl dazu nach Art 56 die Möglichkeit besteht. In einem solchen Fall kann ergänzend für die Auslegung der ErwGr 16 PKH-RL herangezogen werden. Danach stellt die Möglichkeit, im konkreten Fall auf andere Regelungen zurückzugreifen, die einen effektiven Zugang zum Recht gewährleisten – hier die Hilfeleistung durch die Zentralen Behörden nach Kapitel VII – keine Form der Prozesskostenhilfe dar. Nimmt die betreffende Person diese Möglichkeiten jedoch nicht in Anspruch, so kann das die Annahme rechtfertigen, dass sie trotz ungünstiger finanzieller Verhältnisse die Prozesskosten tragen kann.14 b) Es muss sich um ein so organisiertes Verfahren handeln, das den Parteien ermöglicht, 15 ihre Rechte ohne juristischen Beistand oder Vertretung im Verfahren wahrzunehmen, so dass ein Bedarf nach Prozesskostenhilfe nicht entsteht. Hierbei ist insbesondere an Verwaltungsverfahren iSv Art 2 Abs 2 gedacht, in denen weder ein Erfordernis der rechtlichen Vertretung noch der persönlichen Anwesenheit besteht.15 Wird jedoch Rechtsmittel gegen die Verwaltungsentscheidung bei Gericht eingelegt, kann Prozesskostenhilfe in diesem Stadium des Verfahrens aufgrund der Kompliziertheit oder Komplexität des Verfahrens erforderlich sein. c) Letztlich muss die Zentrale Behörde die für die Verfahrensführung notwendigen Dienst- 16 leistungen unentgeltlich erbringen. 2. Rechtsfolge Treffen die Voraussetzungen zu, ist der Mitgliedstaat nicht verpflichtet, Prozesskostenhilfe 17 zu leisten. Dabei kann sich dies auch nur auf Teilbereiche beziehen, die nach Art 45 Gegenstand der Prozesskostenhilfe bilden. Dies folgt aus der Phrase „wenn und soweit“.16

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14 15 16

Die engl Fassung von Art 14 Abs 3 HUntVerfÜbk 2007 lautet: „The requested State shall not be obliged to provide such free legal assistance if and to the extent that the procedures of that State enable the applicant to make the case without the need for such assistance, and the Central Authority provides such services as are necessary free of charge.“ Ähnlich Geimer/Schütze/Picht Rn 5. Borrás/Degeling-Bericht Rn 375. Fasching/Konecny/Fucik Rn 4.

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Art 44 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

3. Anwendbarkeit auf das deutsche Verfahren 18 Gerichtliche Verfahren und die Vollstreckung sind kostenpflichtig, die Gewährung von

Prozesskostenhilfe hierfür wird durch Abs 3 nicht berührt. Dasselbe gilt für die Beiordnung eines Rechtsanwalts im streitigen Verfahren, da hierfür Anwaltszwang besteht.17 Auch das vereinfachte Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger fällt nicht unter Abs 3, da selbst bei fehlendem internationalen Bezug wegen der immer noch gegebenen Kompliziertheit des Antragsverfahrens nach überwiegender Auffassung18 ein Rechtsanwalt beizuordnen ist.19 19 In Betracht kommt die Anwendung von Abs 3 auf die rechtliche Vertretung im Vollstre-

ckungsverfahren bei entsprechenden Dienstleistungen der Zentralen Behörden, solange der Unterhaltsverpflichtete keine Rechtsbehelfe gegen die Vollstreckung einlegt. Jedoch darf dem Gläubiger bei der Unterhaltsvollstreckung im Allgemeinen und bei der Lohnpfändung im Besonderen die Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht ohne Prüfung des Einzelfalls versagt werden. Hierbei sind die Schwierigkeiten der im konkreten Fall zu bewältigenden Rechtsmaterie und andererseits die persönlichen Fähigkeiten und Kenntnisse des Antragstellers zu bewerten.20 Es kann durchaus sein, dass im Einzelfall diese und weitere zusätzlich durch den Auslandsaufenthalt des Antragstellers hervorgerufenen besonderen Defizite durch die Inanspruchnahme der deutschen Zentralen Behörde und ihrer Dienstleistungen behoben werden und deshalb ein Rechtsanwalt nicht erforderlich ist. V. Regime national (Abs 4) 20 Abs 4 entspricht dem Art 14 Abs 4 des HUntVerfÜbk 2007. Er zielt darauf, zu verhindern,

dass Antragsteller aus anderen Mitgliedstaaten schlechter gestellt werden als bei rein inländischen Fällen. Soweit in vergleichbaren innerstaatlichen Fällen Prozesskostenhilfe gewährt wird, ist sie auch unter den gleichen oder äquivalenten Bedingungen in den von Kapitel V erfassten grenzüberschreitenden Unterhaltssachen zu gewähren. Abs 4 findet sowohl Anwendung, wenn die Unterstützung der Zentralen Behörden in Anspruch genommen wird als auch dann, wenn die Gerichte/Behörden direkt angerufen werden. Die Gleichstellung ist eine Mindestregelung, die Voraussetzungen für die Gewährung der Prozesskostenhilfe dürfen gegenüber rein nationalen Fällen nicht strenger bestimmt sein.21 Die Bestimmung bezieht sich auf die Voraussetzungen und auf den Umfang iSd vollständigen Übernahme, der Beteiligung an den Kosten oder einer Ratenzahlung. Der Gegenstand der Prozesskostenhilfe ist in Art 45 autonom bestimmt. Abs 4 findet sowohl zugunsten des Unterhaltsberechtigten als auch -verpflichteten Anwendung.

17 18

19 20

21

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§ 113 Abs 1 FamFG, § 78 Abs 1 ZPO. Ua OLG München v 16.11.1998 – 12 WF 1302/98, FamRZ 1999, 792; OLG Schleswig v 28.9.1999 – 15 WF 179/99, MDR 2000, 706; OLG Hamm v 12.6.2001 – 9 WF 136/01, NJW-RR 2002, 799 = FamRZ 2002, 403; einschränkend OLG Dresden v 4.9.2000 – 22 WF 244/00, FamRZ 2001, 634; hierzu auch van Els FamRZ 1999, 1356. Zu beachten ist Art 56 Abs 3. Ua BGH v 18.07.2003 – IXa ZB 124/03, NJW 2003, 3136; BGH v 23.03.2006 – IX ZB 130/05, NJW 2006, 1597. Hierzu auch Geimer/Schütze/Picht Rn 6.

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Art 45 EG-UntVO

VI. Befreiung von Sicherheitsleistungen (Abs 5) Auch Abs 5 ist dem Art 14 HUntVerfÜbk 2007 entnommen. Vorbild sind Art 9 New Yorker 21 UN-Übereinkommen sowie Art 16 HUntAVÜbk 1973. Er geht weiter als Art 51 Brüssel I-VO, denn er erstreckt sich nicht nur auf das Vollstreckungs-, sondern auch auf das Erkenntnisverfahren. Außerdem schließt er nicht nur die Anwendung innerstaatlicher Bestimmungen aus, die eine Sicherheitsleistung oder eine Hinterlegung von einer Partei verlangen, weil sie Ausländer ist oder im Ausland ihren Wohnsitz bzw gewöhnlichen Aufenthalt hat. Vielmehr werden Sicherheitsleistungen für die Verfahrenskosten generell ausgeschlossen, unabhängig davon, aus welchem Grund und in welcher Art sie nach nationalem Recht erhoben werden.22 Abs 5 hat keinen eigenständigen Anwendungsbereich, insoweit wird auf Rn 4 verwiesen.

Artikel 45: Gegenstand der Prozesskostenhilfe Nach diesem Kapitel gewährte Prozesskostenhilfe ist die Unterstützung, die erforderlich ist, damit die Parteien ihre Rechte in Erfahrung bringen und geltend machen können und damit sichergestellt werden kann, dass ihre Anträge, die über die Zentralen Behörden oder direkt an die zuständigen Behörden übermittelt werden, in umfassender und wirksamer Weise bearbeitet werden. Sie umfasst soweit erforderlich Folgendes: a) eine vorprozessuale Rechtsberatung im Hinblick auf eine außergerichtliche Streitbeilegung; b) den Rechtsbeistand bei Anrufung einer Behörde oder eines Gerichts und die rechtliche Vertretung vor Gericht; c) eine Befreiung von den Gerichtskosten und den Kosten für Personen, die mit der Wahrnehmung von Aufgaben während des Prozesses beauftragt werden, oder eine Unterstützung bei solchen Kosten; d) in Mitgliedstaaten, in denen die unterliegende Partei die Kosten der Gegenpartei übernehmen muss, im Falle einer Prozessniederlage des Empfängers der Prozesskostenhilfe auch die Kosten der Gegenpartei, sofern die Prozesskostenhilfe diese Kosten umfasst hätte, wenn der Empfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts gehabt hätte; e) Dolmetschleistungen; f) Übersetzung der vom Gericht oder von der zuständigen Behörde verlangten und vom Empfänger der Prozesskostenhilfe vorgelegten Schriftstücke, die für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich sind; g) Reisekosten, die vom Empfänger der Prozesskostenhilfe zutragen sind, wenn das Recht oder das Gericht des betreffenden Mitgliedstaats die Anwesenheit der mit der Darlegung des Falles des Empfängers befassten Personen bei Gericht verlangen und das Gericht entscheidet, dass die betreffenden Personen nicht auf andere Weise zur Zufriedenheit des Gerichts gehört werden können. I. II. III. IV.

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Autonome Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zentrale Behörden oder direkter Zugang Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umfang der Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . .

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1. 2. 3. 4.

Gerichtliche Vertretung und Beistand (lit b) Übersetzungskosten (lit f) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reisekosten (lit g) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tragung der Prozesskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5 6 7 8

So auch Fasching/Konecny/Fucik Rn 6.

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Art 45 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

I. Autonome Regelung 1 Art 45 hat eine doppelte Funktion. Zum einen wird allgemein bestimmt, was Gegenstand

der Prozesskostenhilfe sein kann. Zum anderen werden die Kriterien festgelegt, nach denen sich der Gegenstand der Prozesskostenhilfe im Einzelfall richtet. Es handelt sich um eine autonome Regelung unter Ausschluss des innerstaatlichen Rechts. Dies folgt zum einen aus Art 44 Abs 4, der nur in Bezug auf die Voraussetzungen für den Zugang zu der Prozesskostenhilfe eine Mindestgleichstellung mit vergleichbaren innerstaatlichen Fällen vorsieht und aus Art 47 Abs 1, der ausdrücklich Art 45 vorbehält. II. Zentrale Behörden oder direkter Zugang 2 Es ist sowohl die Prozesskostenhilfe erfasst, wenn die betreffende Partei einen Antrag nach

Art 56 stellt, als auch dann, wenn sie die zuständigen Gerichte/Behörden unmittelbar anruft. Art 45 bezieht sich auf beide Parteien und schließt die öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtungen mit ein.1 III. Kriterien 3 S 1 stellt die Verbindung zwischen dem effektiven Zugang zum Recht nach Art 44 Abs 1 und

dem Gegenstand der Prozesskostenhilfe im Einzelfall her, indem ihr Sinn und Zweck näher umschrieben wird. Durch das Wort erforderlich wird zum Ausdruck gebracht, dass die in S 2 genannten Gegenstände im Einzelfall nur dann von der gewährten Prozesskostenhilfe umfasst werden, wenn sie im konkreten Fall für den effektiven Zugang zum Recht erforderlich sind. Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung. Ob hier ein strenger oder weniger strenger Maßstab anzulegen ist, wird erst die Rechtspraxis zeigen. Die Einschränkung dient dazu, eine zu starke Belastung der Haushalte der Mitgliedstaaten zu verhindern, ihr liegen fiskalische Erwägungen zugrunde. Ausgeschlossen werden jedoch nur nicht erforderliche Leistungen; alle Gegenstände, die in S 2 aufgelistet werden und erforderlich sind, müssen von der Prozesskostenhilfe erfasst werden. Die Kriterien – Rechte in Erfahrung bringen und geltend machen zu können sowie Sicherstellung der umfassenden und wirksamen Bearbeitung der Anträge der Partei – sind alternativ zu begreifen. Welchen Einfluss die Nichtinanspruchnahme der Zentralen Behörden für Hilfeleistungen auf die Gewährung von Prozesskostenhilfe und ihren Umfang hat, ist in der EG-UntVO nicht geregelt. Für die Lösung kann Bezug genommen werden auf den ErwGr 16 der PKHRL.2 IV. Umfang der Prozesskostenhilfe 4 S 2 lit a-g sind Art 3 Abs 2 und Art 7 PKH-RL entnommen, es wird insoweit auf die

Kommentierung hierfür verwiesen.

1 2

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Hierzu Art 44 Rn 5. Hierzu bereits Art 44 Rn 14.

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Kapitel V: Zugang zum Recht

Art 45 EG-UntVO

1. Gerichtliche Vertretung und Beistand (lit b) Für lit b trifft Art 56 Abs 3 eine spezielle Regelung. Sie bezieht sich auf die Fälle, in denen 5 der Empfänger der Prozesskostenhilfe einen Antrag nach Art 56 Abs 1 oder 2 gestellt hat. Danach werden Beistand und Vertretung durch die Zentrale Behörde des ersuchten Mitgliedstaates, entweder unmittelbar oder über öAwE (zB Jugendamt) oder andere Stellen beziehungsweise Personen, geleistet. Erbringt die Zentrale Behörde diesen Service selbst, so regelt sich die Kostentragung nach Art 54 Abs 1 und 2 S 1. Die Kosten, die durch die Bestellung Dritter, einschließlich von Rechtsanwälten für die Vertretung und den Beistand vor Gericht entstehen, werden von der Kostenbefreiung nach Art 54 nicht erfasst.3 Sie können deshalb dem Antragsteller auferlegt werden. Insoweit müssen diese Kosten dann auch in die Prozesskostenhilfe nach lit b eingehen. Die Lösung ist auch deshalb sinnvoll, weil im Falle des Obsiegens des Antragstellers diese Kosten der Gegenpartei in den Mitgliedstaaten auferlegt werden, in denen die verlierende Partei die Prozesskosten der obsiegenden Partei zu tragen hat. 2. Übersetzungskosten (lit f) Kosten für die Übersetzung nach lit f werden dadurch reduziert, dass für Beweisunterlagen, 6 die in einer anderen Sprache als der Verfahrenssprache vorliegen, nur dann eine Übersetzung verlangt werden kann, wenn das Gericht der Ansicht ist, dass dies für seine Entscheidung oder für die Wahrung der Verteidigungsrechte erforderlich ist (Art 66). Auch bei der Antragstellung über die Zentralen Behörden reduziert sich das Erfordernis von Übersetzungs- und Dolmetscherleistungen aufgrund der verwendeten Formblätter und der Vertretung der Partei seitens der Zentralen Behörde oder einer von dieser bestellten Person. Zum Zwecke der Vollstreckung kann die Übersetzung der Entscheidung nicht, sondern nur gegebenenfalls des Formblattes, seitens des Vollstreckungsorgans verlangt werden (Art 20 Abs 1 lit d). 3. Reisekosten (lit g) Auch die Reisekosten sind möglichst zu reduzieren. Dabei hat das Gericht vor allem die 7 Möglichkeiten auszuschöpfen, die sich aus der EG-BewVO ergeben. 4. Tragung der Prozesskosten Die Verordnung regelt nicht ausdrücklich, für welchen Mitgliedstaat die Gewährung der 8 Hilfe in Frage kommt. Die Verteilung ergibt sich regelmäßig aus der Art der Kosten. So sind die im Zusammenhang mit dem Erkenntnisverfahren direkt anfallenden Kosten von der Prozesskostenhilfe seitens des Mitgliedstaates erfasst, in dem das Verfahren durchgeführt wird. Entsprechendes gilt für die Tragung der Kosten für die Vollstreckbarerklärung und die 3

So für die entsprechende Bestimmung im HUntVerfÜbk 2007 Borrás/Degeling-Bericht Rn 225. In Deutschland befreit auf Antrag das für die Vorprüfung zuständige Amtsgericht nach § 10 Abs 3 AUG den Antragsteller nach den Grundsätzen der Verfahrenskostenhilfe von der Verpflichtung, der Zentralen Behörde die Übersetzungskosten zu erstatten. Erfasst werden von der Befreiung nur die von der Zentralen Behörde veranlassten Übersetzungskosten. In den Genuss der Regelung kommen nur natürliche Personen als Antragssteller, nicht öffentliche Einrichtungen (BT-Drs 17/4887, 40).

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Art 46 EG-UntVO

Vollstreckung. Hierzu gehören auch die Kosten eines Rechtsbeistandes bei Anrufung des Gerichts und die gerichtliche Vertretung vor Gericht.4 Im Übrigen bleibt es bei den Grundsätzen der PKH-Richtlinie.5 Danach obliegt dem Mitgliedstaat, in dem der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, die Prozesskostenhilfe für die vorprozessuale Rechtsberatung.6

Artikel 46: Unentgeltliche Prozesskostenhilfe bei Anträgen auf Unterhaltsleistungen für Kinder, die über die Zentralen Behörden gestellt werden (1) Der ersuchte Mitgliedstaat leistet unentgeltliche Prozesskostenhilfe für alle von einer berechtigten Person nach Artikel 56 gestellten Anträge in Bezug auf Unterhaltspflichten aus einer ElternKind-Beziehung gegenüber einer Person, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. (2) Ungeachtet des Absatzes 1 kann die zuständige Behörde des ersuchten Mitgliedstaats in Bezug auf andere Anträge als solche nach Artikel 56 Absatz 1 Buchstaben a und b die Gewährung unentgeltlicher Prozesskostenhilfe ablehnen, wenn sie den Antrag oder einen Rechtsbehelf für offensichtlich unbegründet erachtet. I. II. 1. 2. 3. 4. III. 1.

Direkte Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen Antrag nach Art 56 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenstand des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfolgsaussichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einschränkungen Einschränkung nach Art 44 Abs 3 . . . . . . . . . . .

1 2 5 6 7

2. a) b) c) IV. V. VI.

Offensichtliche Unbegründetheit . . . . . . . . . . . . 9 Erfasste Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Zuständige Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Ablehnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Gegenstand und Unentgeltlichkeit . . . . . . . 13 Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Kostentragung eines unterlegenen Antragstellers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

8

I. Direkte Regelung 1 Art 46 regelt die Gewährung von Prozesskostenhilfe autonom, dh unabhängig vom Recht

des Staates des angerufenen Gerichts.1 Einheitlich werden bestimmt: Die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe, welcher Mitgliedstaat sie leisten muss und dass sie unentgeltlich ist. Es handelt sich um eine der zentralen Bestimmungen der EG-UntVO, um die grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsforderungen von Kindern innerhalb der Europäischen Union zu erleichtern. Die Bestimmung entspricht Art 15 HUntVerfÜbk 2007,2 in soweit können die Ausführungen des Berichtes von Barrás und Degeling hierzu herangezogen werden.3 4

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MünchKommFamFG/Lipp Art 44 Rn 31; aA Gebauer/Wiedemann/Bittmann Rn 202; Geimer/Schütze/ Picht Rn 56. MünchKommFamFG/Lipp Art 44 Rn 30 mit Hinweis auf Art 8 PKH-RL. Siehe Art 8 und ErwGr 23 PKH-RL. Zum Hintergrund Fasching/Konency/Fucik Rn 1. Zu dem Einfluss der Regelung im Übereinkommen, die auf Initiative der USA getroffen wurde, auf die Lösung in der Verordnung Beaumont RabelsZ 73 (2009), 509 517 ff.

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Art 46 EG-UntVO

Art 46 gilt nicht im Verhältnis zu Dänemark. Dänemark beteiligt sich nicht am Kapitel VII, so dass Art 56 keine Anwendung findet. Es ist weder ersuchter noch ersuchender Mitgliedstaat iSd Artt 46 und 56. II. Voraussetzungen 1. Antrag nach Art 56 Prozesskostenhilfe wird für Anträge nach Art 56 geleistet.4 Sie wird nur dem Unterhalts- 2 berechtigten und nicht dem Unterhaltsverpflichteten5 gewährt. Bei Prozessstandschaft kommt es auf die Person des materiell-rechtlich Berechtigten an. Alle in Art 56 Abs 1 aufgelisteten Anträge sind möglich. Anträge öAwE werden nur erfasst, wenn sie die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung von Unterhaltstitel betreffen, die solche Unterpflichten zum Gegenstand haben.6 Dasselbe hat zu gelten, wenn die öAwE den übergegangenen Unterhaltsanspruch im Einvernehmen auf den Unterhaltsberechtigten rücküberträgt, um sich den dann geltend gemachten Unterhaltsanspruch wiederum abtreten zu lassen.7 Der Antrag nach Art 56 ist bei der ersuchenden Zentralen Behörde des Mitgliedstaates 3 einzureichen, in dem der Antragsteller seinen Aufenthalt8 hat. Der Antrag selbst richtet sich an die Zentrale Behörde des Mitgliedstaates, in dem der Gerichtsstand belegen ist oder die Vollstreckung des Unterhaltstitels erfolgen soll. Für die Einreichung ist der in Art 55 vorgeschriebene Übermittlungsweg einzuhalten. Art 46 ist nicht anzuwenden, wenn der Antragsteller seinen Antrag direkt bei dem zuständigen Gericht/der Behörde stellt oder er andere Gegenstände betrifft. Weiterhin muss der räumlich-personelle Anwendungsbereich für Anträge nach Art 56 er- 4 öffnet sein. Der Antragsteller muss deshalb seinen Aufenthalt9 im Mitgliedstaat der ersuchenden Zentralen Behörde haben. Art 46 findet keine Anwendung auf die Prozesskostenhilfe für die Gegenpartei. 2. Gegenstand des Antrags Gegenstand des Antrags muss die Unterhaltspflicht gegenüber einer Person sein, die noch 5 nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat. Die Verpflichtung muss auf einer Eltern-Kind-Beziehung beruhen, diese kann auch durch Adoption begründet sein.10 Der festgelegte Zeitpunkt bezieht sich auf die Unterhaltspflicht und nicht auf den der Antragsstellung. Rückständiger Unterhalt aus der Zeit vor Erreichung der Altersgrenze von 21 Jahren unterfällt 3 4 5

6 7 8 9 10

Barrás/Degeling-Bericht Rn 381 ff. Geimer/Schütze/Picht Rn 4; Fasching/Konency/Fucik Rn 2; Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 203. Aufgabe der in der Vorauflage geäußerten Auffassung; Geimer/Schütze/Picht Rn 1, 3; für das HUntVerfÜbk 2007 Barrás/Degeling-Bericht Rn 384. Barrás/Degeling-Bericht Rn 384. Siehe auch Art 64 Rn 4a; Andrae FPR 2013, 38, 45. Hierzu Art 44 Rn 11. Hierzu Art 44 Rn 11. Hierzu Art 1 Rn 7.

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Art 46 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

daher Art 46.11 Von der Prozesskostenhilfe werden auch die Kosten für die gerichtliche Feststellung der Elternschaft, einschließlich des genetischen Tests gedeckt.12 3. Persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse 6 Prozesskostenhilfe nach Art 46 wird unabhängig von den persönlichen und wirtschaftlichen

Verhältnissen des Antragstellers gewährt (bedürfnisunabhängige Prozesskostenhilfe).13 Die finanzielle Situation des Antragstellers ist erst bei der Kostenerstattung nach Art 67 zu berücksichtigen. 4. Erfolgsaussichten 7 Gleichfalls ist als positive Voraussetzung nicht zu prüfen, ob der Antrag hinreichende

Aussicht auf Erfolg hat.14 Die Prozesskostenhilfe kann nur bei bestimmten Anträgen wegen offenkundiger Unbegründetheit abgelehnt werden. III. Einschränkungen 1. Einschränkung nach Art 44 Abs 3 8 Der Ausschluss bzw die Einschränkung nach Art 44 Abs 3 gilt auch für die Gewährung der

Prozesskostenhilfe nach Art 46.15 2. Offensichtliche Unbegründetheit 9 Der Ablehnungsgrund dient dazu, die Belastung des Haushalts des ersuchten Mitglied-

staates durch Gewährung von Prozesskostenhilfe in Fällen zu verhindern, in denen der Antrag offensichtlich unbegründet ist. Indirekt führt dies tatsächlich zugleich dazu, dass solche Anträge erst gar nicht gestellt oder zurückgenommen werden und insoweit die Zentralen Behörden und die zuständigen Behörden/Gerichte von solchen Anträgen verschont werden. a) Erfasste Anträge 10 Die offensichtliche Unbegründetheit eines Antrags nach Art 56 Abs 1 lit a und b stellt keinen

Ablehnungsgrund für die Gewährung der Prozesskostenhilfe dar. Das betrifft Anträge der berechtigten Person auf Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und/oder Vollstreckung einer Entscheidung.16 Für andere Anträge nach Art 56 kann die Prozesskostenhilfe abgelehnt werden, wenn der Antrag offensichtlich unbegründet ist. Erfasst sind alle Anträge der unterhaltsberechtigten Person, die auf die Herbeiführung einer Entscheidung im Erkenntnisverfahren gerichtet sind.17 11 12 13 14 15 16 17

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MünchKommFamFG/Lipp Rn 7. Barrás/Degeling-Bericht Rn 385. Geimer/Schütze/Picht Rn 2; MünchKommFamFG/Lipp Rn 8. Insofern ist § 22 Abs 2 S 2 AUG missverständlich, so auch MünchKommFamFG/Lipp Rn 12. Für das HUntVerfÜbk 2007 Barrás/Degeling-Bericht Rn 420; aA Geimer/Schütze/Picht Rn 1. Hierzu näher Art 56. Hierzu näher Art 56.

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Kapitel V: Zugang zum Recht

Art 46 EG-UntVO

b) Zuständige Behörde Die Ablehnung kann nur durch die nach nationalem Recht dafür zuständige Behörde 11 erfolgen. In Deutschland wäre dafür das Prozessgericht zuständig. Die Zentrale Behörde des ersuchten Staates kann nur die Bearbeitung des Antrags nach Art 56 selbst aus den in Art 58 Abs 8 genannten Gründen zurückweisen. Rechtsbehelfe gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe wegen offensichtlicher Unbegründetheit sind in der EG-UntVO nicht geregelt, ob sie eingelegt werden können und gegebenenfalls welche Behörde/welches Gericht hierfür zuständig ist, bestimmt sich nach nationalem Recht. c) Ablehnungsgrund Der Ablehnungsgrund „offensichtliche Unbegründetheit“ ist, wie für Art 6 Abs 1 PKH-RL, 12 unter Beachtung des ErwGr 17 PKH-RL auszulegen. Vom Kriterium in § 114 ZPO „hinreichende Aussicht auf Erfolg“ unterscheidet sich das Kriterium der offensichtlichen Unbegründetheit zum einen dahingehend, dass es sich um einen Ausschlussgrund handelt. Zum anderen ist das Kriterium für die Nichtgewährung strenger, ohne nähere Prüfung muss ersichtlich sein, dass der Antrag unbegründet ist. Das trifft zB zu, wenn nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaates unter Einschluss des IPR der für den Unterhalt in Anspruch genommene Mann nicht der Vater des Kindes ist, wenn Unterhalt für die Zeit nach Vollendung des 18. Lebensjahres verlangt wird, jedoch nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaates unter Einschluss des IPR der Anspruch nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres besteht oder es um die Prozesskostenhilfe im Rechtsmittelverfahren geht und offensichtlich ist, dass die Einlegung keinen rechtlichen Erfolg haben wird. Die Unbegründetheit muss sich ohne eingehende Prüfung ergeben. Ein für den Antragsteller günstiger Maßstab ist anzulegen.18 Für die Unbegründetheit ist die Sicht der für die Gewährung zuständigen Behörde des ersuchten Mitgliedstaates maßgebend. IV. Gegenstand und Unentgeltlichkeit Der Gegenstand der Prozesskostenhilfe bestimmt sich nach Art 45. Der Antragsteller hat 13 den Anspruch auf Unterstützung, die erforderlich ist, um ihm den effektiven Zugang zum Recht im konkreten Fall zu gewährleisten. Die Unterstützung ist unentgeltlich, nationale Vorschriften, die eine Beteiligung an den Verfahrenskosten – einschließlich von Ratenzahlungen – vorsehen, sind nicht anzuwenden. Die Prozesskostenhilfe erfasst alle Verfahrensstadien, einschließlich Rechtsbehelfe, auch wenn diese von der Gegenseite eingelegt werden.19 V. Verfahren Der Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ergibt sich unmittelbar aus Art 46. 14 Die Regelung sieht nicht das Erfordernis eines Antrags vor. Deshalb ist die Schlussfolgerung möglich, dass sie von Amts wegen zu gewähren ist, wenn die in Art 46 festgelegten Voraussetzungen zutreffen. Die zuständige Behörde für die Gewährung der Prozesskostenhilfe im ersuchten Staat bestimmt sich nach dem Recht dieses Staates.20 Das Verfahren ist in innerstaatlichen Durchführungsbestimmungen zu regeln. In Deutschland sieht § 22 AUG 18 19 20

Geimer/Schütze/Picht Rn 9. Art 9 und ErwGr 20 PKH-RL. Geimer/Schütze/Picht Rn 6.

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Art 46 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

für die Verfahrenskostenhilfe nach Art 46 keine besonderen verfahrensrechtlichen Vorschriften vor. Allgemein wird für die Verfahrenskostenhilfe nach der EG-UntVO durch § 20 AUG diesbezüglich über § 113 Abs 1 FamFG auf die entsprechenden Bestimmungen der ZPO über Prozesskostenhilfe verwiesen, soweit das AUG nicht etwas anderes bestimmt. Daraus kann die Folgerung gezogen werden, dass das Antragsverfahren zur Anwendung kommt,21 zumal nach § 22 AUG die Gewährung auf Grund einer Bewilligung erfolgt. § 22 AUG stimmt im Übrigen im Wortlaut nicht völlig mit Art 46 überein. Nach § 22 AUG ist einer „Person, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat“ Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen. Dagegen lautet der Passus im Art 46 „von einer berechtigten Person nach Art 56 gestellte Antrag.“ Unter Art 46 EG-UntVO lässt sich ohne Weiteres die Prozesskostenhilfe für einen Elternteil subsumieren, der in Prozessstandschaft für das Kind tätig wird, dagegen muss nach dem Wortlaut von § 22 Abs 1 AUG das Kind selbst Antragsteller sein.22 Als Ausschlussgrund für die Gewährung ist in § 22 AUG zusätzlich die Mutwilligkeit des Antrags genannt. Letztlich kommt es immer auf den Inhalt der Norm der Verordnung an,23 die einheitlich nach ihrem Sinn und Zweck auszulegen ist. 14a Im konkreten Fall haben die Zentralen Behörden alle Maßnahmen zu treffen, damit dem

Antragsteller die Prozesskostenhilfe gewährt wird.24 Die Vollmacht nach Art 52 umfasst die Vertretungsmacht für die hierfür nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaates erforderlichen Rechtshandlungen. VI. Kostentragung eines unterlegenen Antragstellers 15 Art 67 eröffnet die Möglichkeit, von der unterlegenen Partei, die Prozesskostenhilfe nach

Art 46 erhalten hat, die Erstattung dieser Kosten einzufordern. 16 Zuständig für die Entscheidung über die Rückerstattung der Kosten ist die „zuständige

Behörde“. Das ist das Gericht/die Behörde, die nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaates für die Gewährung der Prozesskostenhilfe zuständig ist, nicht jedoch die Zentrale Behörde. 17 Die Kosten können jeder Partei auferlegt werden, der für einen Antrag nach Art 56 Pro-

zesskostenhilfe nach Art 46 gewährt wurde und die im Verfahren hinsichtlich dieses Antrags unterlegen ist. Die Auferlegung der Kosten stellt eine Ermessensentscheidung dar. Von der Möglichkeit ist nur in Ausnahmefällen Gebrauch zu machen, folglich ist ein strenger Maßstab anzulegen.25 18 Durch die Verbindung „in Ausnahmefällen und wenn deren finanziellen Verhältnisse es

zulassen“ wird zum Ausdruck gebracht, dass zunächst ein Ausnahmefall vorliegen muss 21

22

23 24 25

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Dies ergibt sich auch aus den Erläuterungen in BT-Drs 17/4887 40f zu § 22 AUG, wo ua auf § 115 ZPO Bezug genommen wird. Im innerstaatlichen Recht kommt es bei Prozessstandschaft auf die wirtschaftlichen Verhältnisse beim antragstellenden Elternteil an, BGH v 11.5.2005 – XII ZB 242/03, FamRZ 2005, 1164 = NJW-RR 2005, 1237. § 1 Abs 1 S. 1 AUG. Art 51 Abs 2 lit a. Hierzu Fasching/Konecny/Fucik Art 67 Rn 2, 3.

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Kapitel V: Zugang zum Recht

Art 47 EG-UntVO

und wenn dies zutrifft, die finanzielle Situation abzuwägen ist.26 Die Anwendung von Art 67 kommt insbesondere in Betracht, wenn der Antragsteller, der die Prozesskostenhilfe bezieht, wider Treu und Glauben in Bezug auf den gestellten Antrag gehandelt hat. Das trifft zB zu, wenn er wissentlich oder grob fahrlässig unrichtige Angaben zum Streitverhältnis getätigt oder Umstände verschwiegen hat27 und deshalb die zuständige Behörde nicht veranlasst war, die Prozesskostenhilfe nach Art 46 Abs 2 abzulehnen. Ein solcher Fall kann auch dann vorliegen, wenn der Antragsteller trotz Kenntnis davon, dass die Vollstreckung in das Vermögen des Verpflichteten offensichtlich erfolglos sein wird, den Antrag auf Vollstreckung nach Art 56 gestellt hat. Für diese Anträge kann die Gewährung der Prozesskostenhilfe nicht vorweg nach Abs 2 abgelehnt werden, eine Kostenerstattung nach Art 67 ist jedoch zulässig. Ein Ausnahmefall iSd Art 67 liegt mE nicht vor, wenn die Unbegründetheit des Antrags bei Gewährung der Prozesskostenhilfe offensichtlich war und die zuständige Behörde deshalb nach Art 46 Abs 2 den Antrag hätte ablehnen können. Die Auferlegung der Kosten im Ausnahmefall ist nur dann zulässig, wenn die finanziellen 19 Verhältnisse der antragstellenden Partei dies rechtfertigen. Die Erwägungsgründe sprechen hier von einer „vermögenden Person“.28 Nicht geregelt ist, ob Maßstab die Lebens-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse im Staat der ersuchenden oder der ersuchten Zentralen Behörde ist. Insoweit sollte die Betrachtungsweise der PKH-RL zu Grunde gelegt werden. Maßstab sind diesbezüglich die Verhältnisse im ersuchten Mitgliedstaat. Der Inanspruchgenommene kann jedoch vorbringen, dass seine finanzielle Situation im Vergleich zu den Lebensumständen in seinem Aufenthaltsstaat die Anwendung von Art 67 ausschließt. Art 67 betrifft nur die Rückerstattung der Prozesskostenhilfe iSd Art 45, nicht die Kosten 20 der Zentralen Behörden.

Artikel 47: Fälle, die nicht unter Artikel 46 fallen (1) In Fällen, die nicht unter Artikel 46 fallen, kann vorbehaltlich der Artikel 44 und 45 die Gewährung der Prozesskostenhilfe gemäß dem innerstaatlichen Recht insbesondere von den Voraussetzungen der Prüfung der Mittel des Antragstellers oder der Begründetheit des Antrags abhängig gemacht werden. (2) Ist einer Partei im Ursprungsmitgliedstaat ganz oder teilweise Prozesskostenhilfe oder Kostenund Gebührenbefreiung gewährt worden, so genießt sie ungeachtet des Absatzes 1 in jedem Anerkennungs-, Vollstreckbarerklärungs- oder Vollstreckungsverfahren hinsichtlich der Prozesskostenhilfe oder der Kosten- und Gebührenbefreiung die günstigste oder umfassendste Behandlung, die das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats vorsieht. (3) Hat eine Partei im Ursprungsmitgliedstaat ein unentgeltliches Verfahren vor einer in Anhang X aufgeführten Verwaltungsbehörde in Anspruch nehmen können, so hat sie ungeachtet des Absatzes 1 in jedem Anerkennungs-, Vollstreckbarerklärungs- oder Vollstreckungsverfahren Anspruch auf Prozesskostenhilfe nach Absatz 2. Zu diesem Zweck muss sie ein von der zuständigen 26 27 28

Folglich Kumulation der beiden Voraussetzungen MünchKommFamFG/Lipp Rn 4. Vergleichbar § 124 Nr 1 ZPO. Vgl ErwGr 36.

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Art 47 EG-UntVO

Behörde des Ursprungsmitgliedstaats erstelltes Schriftstück vorgelegen, mit dem bescheinigt wird, dass sie die wirtschaftlichen Voraussetzungen erfüllt, um ganz oder teilweise Prozesskostenhilfe oder Kosten- und Gebührenbefreiung in Anspruch nehmen zu können. Die für die Zwecke dieses Absatzes zuständigen Behörden sind in Anhang XI aufgelistet. Dieser Anhang wird nach dem Verwaltungsverfahren des Artikels 73 Absatz 2 erstellt und geändert. I. II. III. 1.

Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Prozesskostenhilfe gemäß innerstaatlichem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1a Fortführung der Prozesskostenhilfe im Vollstreckungsverfahren Prozesskostenhilfe im Ursprungsmitgliedstaat (Abs 2) . . . . . . . . . . . . . . 6

2. IV.

Unentgeltliches Erkenntnisverfahren vor Verwaltungsbehörden (Abs 3) . . . . . . . . . . . . . . 11 Einzelstaatliche Durchführungsbestimmungen . . . . . . . . . . . . 13

I. Anwendungsbereich 1 Art 47 ist anzuwenden, wenn der Anwendungsbereich des Kapitels V im Allgemeinen

eröffnet ist und kein Fall des Art 46 vorliegt. Art 47 ist deshalb auf Prozesskostenhilfe für (vermeindlich) unterhaltsberechtigte Personen in Verfahren anzuwenden: – in denen es nicht um den Unterhalt aus einem Eltern-Kind-Verhältnis gegenüber einer Person geht, die noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat oder – es zwar um einen solchen Unterhalt geht, jedoch die Prozesskosten in Anspruch nehmende Partei keinen Antrag an die Zentrale Behörde iSd Art 56 gestellt hat. Die Bestimmung bezieht sich auf beide Verfahrensbeteiligte gleichermaßen. Sie schließt öAwE ein, soweit es die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung oder Vollstreckung eines Unterhaltstitels betrifft.1 Die Partei, der Prozesskostenhilfe zu gewähren ist, muss ihren (gewöhnlichen) Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem Gerichtsstaat haben,2 für Abs 2 siehe jedoch Rn 10. Abs 2 und 3 gelten auch im Verhältnis zu Dänemark.3 II. Prozesskostenhilfe gemäß innerstaatlichem Recht 1a Die Partei, der Prozesskostenhilfe zu gewähren ist, muss ihren (gewöhnlichen) Aufenthalt in

einem anderen Mitgliedstaat als dem Gerichtsstaat haben.4 2 Aus Abs 1 leitet sich ab, dass Prozesskostenhilfe gemäß innerstaatlichem Recht zu leisten ist.

Die Voraussetzungen für den Zugang zur Prozesskostenhilfe dürfen dabei nicht enger sein als diejenigen, die für vergleichbare innerstaatliche Fälle gelten (Art 44 Abs 4). Macht die 1 2 3 4

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Hierzu Art 44 Rn 5. Hierzu Art 44 Rn 8 f. Dies folgt aus dem Brüssel I EU-DK Abk, s ABl EU 2013 L 251/1. Siehe hierzu auch Art 1 Rn 50. Hierzu Art 44 Rn 8 f.

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Kapitel V: Zugang zum Recht

Art 47 EG-UntVO

innerstaatliche Gesetzgebung die Gewährung der Prozesskostenhilfe von der persönlichen finanziellen Situation des Antragstellers und den Erfolgsaussichten des Antrags abhängig, so können diese Regelungen auch auf die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe Anwendung finden. Die Prozesskostenhilfe muss nicht unentgeltlich erfolgen, sie kann eine Selbstbeteiligung oder Ratenzahlungen vorsehen. Wenn die nationale Rechtsordnung nur natürlichen Personen Prozesskostenhilfe gewährt, so führt dies zum Ausschluss öAwE, soweit sie den Unterhaltsregress in eigenem Namen gerichtlich durchsetzen.5 Der Verweis auf innerstaatliches Recht schließt die Anwendung der Bestimmungen ein, die 3 der Umsetzung der PKH-RL in dem betreffenden Mitgliedstaat dienen sowie die Auslegung der nationalen Vorschriften unter Beachtung der Ziele der Richtlinie. Wird Prozesskostenhilfe gewährt, so erstreckt sie sich auf das gesamte Verfahren, ein- 4 schließlich der Vollstreckung. Sie schließt auch die Prozesskostenhilfe für den Fall ein, dass gegen den Empfänger oder auch von ihm selbst Rechtsbehelfe eingelegt werden, sofern die Voraussetzungen im Hinblick auf die finanziellen Verhältnisse und den Inhalt der Streitsache weiter vorliegen.6 Für ein Gesuch auf Prozesskostenhilfe kann der Antragsteller das Verfahren nach der PKH- 5 RL nutzen, deren diesbezügliche Bestimmungen in Deutschland in den §§ 1076 ff ZPO umgesetzt sind. Wenn er einen Antrag an die Zentrale Behörde nach Art 56 stellt, so kann er dies mit einem Antrag auf Gewährung der Prozesskostenhilfe oder auf Erleichterung von Gewährung der Prozesskostenhilfe verbinden,7 dem Antrag sind dann die erforderlichen Nachweise beizufügen (Art 57 Abs 5). III. Fortführung der Prozesskostenhilfe im Vollstreckungsverfahren 1. Prozesskostenhilfe im Ursprungsmitgliedstaat (Abs 2) Abs 2 ist Art 50 Brüssel I-VO entlehnt. Eine entsprechende Bestimmung sieht bereits Art 15 6 HUntAVÜbk 1973 vor, sie ist in Art 17 lit b HUntVerfÜbk 2007 übernommen worden. Die Regelung ist auf beide Parteien anwendbar. Hierin unterscheidet sie sich von Art 50 Brüssel I-VO, der nur den Antragsteller personell erfasst. Rechtspraktisch kommt sie vor allem dem Unterhaltsberechtigten zugute. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller im Ursprungsmitgliedstaatstaat den Unterhaltstitel erlangt hat und ihm dabei Prozesskostenhilfe gewährt worden ist. Unerheblich ist, in welchem Verfahrensstadium dies geschehen ist.8 Selbst eine Bewilligung im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens im Ursprungsstaat soll genügen.9 Die Vorschrift erleichtert einem bedürftigen Gläubiger die grenzüberschreitende Vollstreckung des Titels in einem anderen Mitgliedstaat. Ist ihm im Ursprungsmitgliedstaat Prozesskostenhilfe gewährt worden, so genießt er im Vollstreckungsmitgliedstaat diesbezüglich die Meistbegünstigung. Das bedeutet, er erhält die günstigste Behandlung im Anerkennungs-, Vollstreckbarerklärungs- oder Vollstreckungsverfahren, die das Recht des Vollstre5 6 7 8 9

Wie hier Geimer/Schütze/Picht Rn 5. Art 9 PKH-RL, ErwGr 20. Art 51 Abs 2 lit a. MünchKommFamFG/Lipp Rn 11. MünchKommFamFG/Lipp Rn 11.

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ckungsstaates vorsieht.10 Das trifft auch dann zu, wenn im Ursprungsstaat nur teilweise Prozesskostenhilfe gewährt wurde. Dies trägt wesentlich zur Vereinfachung der Prozesskostengewährung im Zweitstaat bei. In Deutschland führt der Grundsatz der Meistbegünstigung dazu, dass die Prozesskostenhilfe ohne Eigenbeteiligung gewährt wird. Die zu gewährende Prozesskostenhilfe erstreckt sich auf sämtliche Verfahrensstadien,11 sie umfasst in der Vollstreckung auch die Verfahren, die durch Rechtsbehelfe des Schuldners eingeleitet werden. Der Umfang der Prozesskostenhilfe regelt sich nach Art 45. 7 Die Begünstigung nach Abs 2 wird ipso iure gewährt, ein Bewilligungsverfahren im Voll-

streckungsstaat findet nicht statt.12 8 Der Inanspruchnehmende hat den Nachweis zu erbringen, dass ihm im Ursprungsmitglied-

staat die vorausgesetzte Prozesskostenhilfe oder Freistellung von Kosten gewährt wurde. Das Formblatt „Auszug aus der Entscheidung“, abgedruckt als Anhang I und II, sieht eine Spalte für Prozesskostenhilfe und Kosten- und Gebührenbefreiung vor.13 Dem Antrag über die Zentralen Behörden nach Art 56 Abs 1 lit a und b ist zum Nachweis ein Schriftstück beizufügen, aus dem hervorgeht, dass der Antragsteller im Ursprungsmitgliedstaat Prozesskostenhilfe oder Kosten- und Gebührenbefreiung in Anspruch genommen hat.14 Die entsprechende Ausfüllung der Spalte in dem Fotmblatt (Anhang I und II) erfüllt diese Anforderung.15 Soweit der Antrag auf Anerkennung, Vollstreckbarerklärung oder Vollstreckung bei dem zuständigen Gericht/der Behörde des Vollstreckungsstaates direkt, also nicht über die Zentralen Behörden gestellt wird, genügt ebenfalls der Nachweis durch das ausgefüllte Formblatt. 9 Abs 2 will die betreffende Partei begünstigen. Er schließt deshalb die Gewährung der Pro-

zesskostenhilfe nach Abs 1 nicht aus. ZB kann eine Partei, der im Ursprungsmitgliedstaat wegen ihrer wirtschaftlichen Situation keine Prozesskostenhilfe gewährt wurde oder eine erst nach dem Erstprozess verarmte Partei, Prozesskostenhilfe nach Abs 1 im Vollstreckungsstaat erlangen.16 10 Abgeleitet aus seiner Herkunft, Art 15 HUntAVÜbk 1973, Art 44 Abs 1 EuGVÜ und Art 50

Brüssel I-VO, hat Abs 2 einen eigenständigen räumlichen Anwendungsbereich. Einziges diesbezügliches Kriterium ist, dass es um eine Entscheidung eines Mitgliedstaates in einem anderen Mitgliedstaat geht. Auf den Aufenthalt, gewöhnlichen Aufenthalt, den Wohnsitz oder die Staatsangehörigkeit der Partei kommt es nicht an. 2. Unentgeltliches Erkenntnisverfahren vor Verwaltungsbehörden (Abs 3) 11 Abs 3 betrifft ebenfalls den Anspruch auf Prozesskostenhilfe bei der Anerkennung, Voll10 11 12

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So auch Geimer/Schütze/Picht Rn 18. Für die Brüssel I-VO Rauscher/Mankowski Art 50 Brüssel I-VO Rn 5. Für Art 50 Brüssel I-VO Kropholler/von Hein Art 50 Brüssel I-VO Rn 4; Rauscher/Mankowski Art 50 Brüssel I-VO Rn 3; siehe auch Gottwald IPRax 1991, 285, 286; aA Linke, IZPR4 (2006) Rn 252. Ähnlich Geimer/Schütze/Picht Rn 14. Anhang VI. MünchKommFamFG/Lipp Rn 13. MünchKommFamFG/Lipp Rn 16; Geimer/Schütze/Picht Rn 17.

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streckbarerklärung und Vollstreckung eines Unterhaltstitels aus einem Mitgliedstaat in einem anderen Mitgliedstaat. Der Titel muss in einem Verfahren vor einer Verwaltungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaates errichtet worden sein. Um welche Verwaltungsbehörden sich es in den einzelnen Mitgliedstaaten handelt, wird in Anhang X aufgelistet. Das Verfahren vor dieser Verwaltungsbehörde muss für die nunmehr Prozesskostenhilfe beanspruchende Partei unentgeltlich gewesen sein. Das Verfahren darf nicht zu Kosten für die Partei geführt haben, die nach Art 45 Gegenstand der Prozesskostenhilfe sein können.17 Für die Gewährung der Prozesskostenhilfe ist eine Bescheinigung der zuständigen Behörde 12 des Ursprungsmitgliedstaates darüber vorzulegen, dass die wirtschaftlichen Voraussetzungen erfüllt sind, um ganz oder teilweise Prozesskostenhilfe oder Kosten- und Gebührenfreiheit in Anspruch nehmen zu können. Maßstab hierfür sind die Voraussetzungen im Ursprungsmitgliedstaat, einschließlich der umgesetzten PKH-RL, soweit die Partei von deren räumlich-personellen Anwendungsbereich erfasst wird.18 Die zuständigen Behörden für die Ausstellung der Bescheinigung sind nicht die Zentralen Behörden. Sie werden für die Mitgliedstaaten in Anhang XI aufgelistet.19 Die Gerichte/Behörden im Vollstreckungsmitgliedstaat sind an die Bescheinigung ebenso gebunden als wenn die Prozesskostenhilfe im Ursprungsstaat tatsächlich bewilligt worden wäre.20 Für die Prozesskostenhilfe selbst findet Abs 2 Anwendung, siehe deshalb Rn 6. Auch Abs 3 stellt eine Ergänzung zu Abs 1 dar. Das Günstigkeitsprinzip findet Anwendung, die Gewährung der Prozesskostenhilfe nach Abs 1 bleibt möglich. IV. Einzelstaatliche Durchführungsbestimmungen Die §§ 20-24 AUG fassen die sich aus der EG-UntVO und den staatsvertraglichen Rege- 13 lungen ergebenden Konsequenzen für die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für inländische Verfahren zusammen. Diese richtet sich – soweit das AUG keine speziellen Regelungen vorsieht – nach den allgemeinen innerstaatlichen Vorschriften. Im EU-Rechtsraum (mit Ausnahme Dänemark) finden die die Prozesskostenhilfe-Richtlinie umsetzenden §§ 1077 ff ZPO Anwendung. Für die Entgegennahme und Übermittlung von Anträgen auf grenzüberschreitende Verfahrenskostenhilfe ist im § 21 AUG die Verfahrenskonzentration bei dem für den Sitz des Oberlandesgerichts zuständigen Amtsgerichts, in Berlin beim Amtsgericht Pankow-Weißensee vorgesehen. Für eingehende Anträge findet nach § 21 Abs 2 AUG die Zuständigkeitsregelung des § 1078 ZPO Anwendung. Zuständig ist also je nach Verfahren das Prozessgericht oder das Vollstreckungsgericht. Für das Erkenntnisverfahren folgt dann die Verfahrenskonzentration aus § 28 AUG und für die Vollstreckbarerklärung aus § 35 AUG. In Übereinstimmung mit Art 47 Abs 2 erhält der Antragsteller gemäß § 23 AUG für die inländische Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung umfassende Verfahrenskostenhilfe, wenn im Ursprungsstaat für das Erkenntnisverfahren Verfahrenskostenhilfe bzw Kosten – oder Gebührenfreiheit gewährt wurde. In § 23 AUG werden die Begriffe bewilligen und Bewilligung verwandt, die in Art 47 Abs 2, übereinstimmend mit

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Geimer/Schütze/Picht Rn 19. Hierzu Art 44 Rn 8. Für Finnland das Amt für Prozesskostenhilfe („Oikeusaputoimisto/Rättshjälpsbyrå‚); Dänemark Justizministerium (Justitsministeriet). MünchKommFamFG/Lipp Rn 18; Geimer/Schütze/Picht Rn 20.

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Art 48 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Art 50 Brüssel IIa-VO fehlen, so dass hier ebenfalls von einer Gewährung der Verfahrenskostenhilfe von Amts wegen auszugehen ist.21

Kapitel VI: Gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden Artikel 48: Anwendung dieser Verordnung auf gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden (1) Die im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbaren gerichtlichen Vergleiche und öffentlichen Urkunden sind in einem anderen Mitgliedstaat ebenso wie Entscheidungen gemäß Kapitel IV anzuerkennen und in der gleichen Weise vollstreckbar. (2) Die Bestimmungen dieser Verordnung gelten, soweit erforderlich, auch für gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden. (3) Die zuständige Behörde des Ursprungsmitgliedstaats erstellt auf Antrag jeder betroffenen Partei einen Auszug des gerichtlichen Vergleichs oder der öffentlichen Urkunde unter Verwendung, je nach Fall, der in den Anhängen I und II oder in den Anhängen III und IV vorgesehenen Formblätter. I. II. III. IV. V. VI.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Öffentliche Urkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Gerichtliche Vergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Änderungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1. Vollstreckung ohne Exequaturverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 a) Keine Vollstreckungsklausel . . . . . . . . . . . . 15

b) Autonome Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 c) Rechtsbehelfe nach dem Recht des Vollstreckungsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2. Vollstreckung mit Exequaturverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 VII. Anwendung anderer Bestimmungen der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 VIII. Intertemporale Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

I. Einführung 1 In der Rechtspraxis kommt der Errichtung öffentlicher Urkunden über die Verpflichtung

zur Unterhaltszahlung gegenüber Kindern eine erhebliche Bedeutung zu. Unterhaltsverfahren werden nicht selten statt durch gerichtliche Entscheidungen, durch vom Gericht aufgenommene Vergleiche beendet. Art 48 unterscheidet sich erheblich von den Artt 57, 58 Brüssel I-VO. Öffentliche Urkunden und gerichtliche Vergleiche werden in der EG-UntVO weitgehend Entscheidungen der Gerichte der Mitgliedstaaten gleichgestellt.1 Das dokumentiert sich in der Gleichstellung hinsichtlich der Vollstreckung, der Einführung des Begriffs Anerkennung hinsichtlich dieser Instrumente sowie im Verweis des Abs 2 auf die Bestimmungen der Verordnung.

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Kropholler/von Hein Art 50 Rn 50; Rauscher/Mankowski Art 50 Brüssel I-VO Rn 3 mwH. Siehe zur Brüssel I-VO Rauscher/Staudinger Art 57 Brüssel I-VO Rn 10.

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Kapitel VI: Gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden

Art 48 EG-UntVO

II. Öffentliche Urkunde Der Begriff ist in Art 2 Abs 1 Nr 3 definiert, übernommen ist er von Art 4 Nr 3 EG-Voll- 2 strTitelVO. Er beruht auf der Rechtsprechung des EuGH zu Art 50 EuGVÜ.2 Es handelt sich um eine Urkunde, die im Ursprungsmitgliedstaat förmlich errichtet oder in ein Register eingetragen worden ist. Die Beurkundung oder Registrierung hat durch eine Behörde oder eine andere – gemäß der Rechtsordnung dieses Staates – hierzu ermächtigte Person/Stelle, vielfach ein Notar, zu erfolgen.3 In Deutschland sind es Urkunden, die von einem Notar (§ 794 Abs 1 Nr 5 ZPO) oder einem Gericht4 errichtet werden. Die Beurkundung oder Registrierung muss nach dem Recht des Errichtungsstaates Beweis für den Inhalt der Urkunde und die Unterschrift geben. Zu den öffentlichen Urkunden werden nach Art 2 Abs 1 Nr 3 lit b auch die mit einer Verwaltungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaates geschlossene oder von ihr beglaubigte Unterhaltsvereinbarung gezählt. Beispiel hierfür ist ein vor der schwedischen Unterhaltskasse geschlossener und vollstreckbarer Unterhaltsvertrag.5 Dazu gehören aber auch vor solchen Verwaltungsbehörden abgegebene und von diesen aufgenommene einseitige Verpflichtungen des Unterhaltsschuldners.6 Beispiel hierfür sind die durch deutsche Jugendämter aufgenommenen Zahlungsverpflichtungserklärungen.7 Die öffentliche Urkunde muss im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sein, dh, es muss sich um eine beurkundete Vereinbarung oder einseitige Erklärung handeln, aus denen die Zwangsvollstreckung nach dem Recht des Ursprungsstaates zugelassen ist. Es wäre angebracht, wenn die Mitgliedstaaten die Informationen, die im Rahmen des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen zu übermitteln sind, darauf erstrecken, welche Art von öffentlichen vollstreckbaren Urkunden in ihrem Land errichtet werden und wie die Vollstreckbarkeit nachgewiesen wird. Ursprungsmitgliedstaat ist der Staat, dessen Behörde auf seinem Territorium die öffentliche 3 Urkunde aufgenommen hat. Außerdem sind ihm Urkunden zuzurechnen, die durch seine diplomatischen Vertreter im Ausland aufgenommen wurden. Behörde ist im weiten Sinne zu verstehen, hierzu gehören auch Personen, wie Notare, die ermächtigt sind, solche Urkunden aufzusetzen. III. Gerichtliche Vergleiche Der Begriff ist in Art 2 Abs 1 Nr 2 legal definiert. Erfasst werden von einem Gericht gebil- 4 2

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EuGH Rs C-260/97 Unibank A/S/Flemming G Christensen EuGHE 1999, 3715 Rn 14 = IPRax 2000, 409, 410. Der Begriff ist bereits näher im Bericht von Jenard/Möller zum LugÜ 1988 Rn 72 umschrieben. Keine Urkunden iSd Vorschrift sind mangels Mitwirkung einer schwedischen Behörde deshalb Vereinbarungen, die auf einem Formular der schwedischen „Försäkringskassan“ geschlossen wurden, vgl OLG Karlsruhe v 30.1.2007 – 9 W 41/06, FamRZ 2007, 1581 f. § 794 Abs 1 Nr 5 ZPO, § 62 BeurkG, Zuständigkeit des Amtsgerichts für die Beurkundung von Verpflichtungen zur Erfüllung von Unterhaltsansprüchen eines Kindes oder nach § 1615l BGB. Besonderes Merkmal dieser Urkunden ist, dass sich der Schuldner der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwirft. Siehe zB OLG Düsseldorf v 6.3.2002 – 3 W 276/01, FamRZ 2002, 1422 f = IPRspr 2002 Nr 199. Ausdrücklich in die Begriffsbestimmung von Art 4 Nr 3 EG-VollstrTitelVO aufgenommen. § 60 SGB VIII, § 794 Abs 1 Nr 5 ZPO. Besonderes Merkmal dieser Urkunden ist, dass sich der Schuldner der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwirft.

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ligte oder vor einem Gericht im Laufe eines Verfahrens geschlossene Vergleiche in Unterhaltssachen.8 Der Vergleich ist dabei im weiten Sinne zu verstehen, es werden auch solche Vereinbarungen erfasst, bei der die materielle Rechtslage beim Abschluss nicht mehr streitig ist. Art 48 fordert als zusätzliche Voraussetzung die Vollstreckbarkeit des Vergleichs nach der Rechtsordnung des Ursprungsstaates. IV. Anerkennung 5 Nach Abs 1 sind die im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbaren gerichtlichen Vergleiche

und öffentlichen Urkunden in den anderen Mitgliedstaaten nach Kapitel IV anzuerkennen. 6 Die Anerkennung hat einen anderen Charakter als bei Entscheidungen. Dort geht es um

die Erstreckung der Urteilswirkungen als Hoheitsakt einer Behörde/eines Gerichts eines Mitgliedstaates auf die anderen Mitgliedstaaten.9 Öffentliche Urkunden enthalten dagegen privatrechtliche vertragliche oder einseitige rechtsgeschäftliche Verpflichtungserklärungen, der gerichtliche Vergleich ist jedenfalls auch ein materielles Rechtsgeschäft.10 Die Anerkennung bedeutet zweierlei. Die in der öffentlichen Urkunde oder im gerichtlichen Vergleich getroffene Regelung zu den Unterhaltspflichten ist in den anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen, wenn sie nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates wirksam zustande gekommen und vollstreckbar ist. Der Urkunde kommt dabei die Beweiskraft zu, die sie in dem Ursprungsmitgliedstaat hat.11 Für die Anerkennung trifft das Prinzip der Wirkungserstreckung zu. Der gerichtliche Vergleich und die öffentliche Urkunde erhalten im Zweitstaat die Wirkungen, die sie im Ursprungsmitgliedstaat haben.12 Aus ErwGr 13 kann abgeleitet werden, dass gegen sie ausschließlich vor den Gerichten des Ursprungsmitgliedstaates vorzugehen ist. Danach ist Regelungsziel, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Vergleiche und öffentlicher Urkunden sicherzustellen, ohne dass das Recht einer Partei berührt wird diese „vor dem Gericht des Ursprungsmitgliedstaats anzufechten.“ Anfechtung ist dabei im weiten Sinne zu verstehen, sie umfasst vor allem die Geltendmachung von materiell-rechtlichen Einwendungen gegen den Titel. Diese Lösung folgt auch aus dem im Art 42 geregelten Verbot der Überprüfung in der Sache selbst.13 7 Art 17 Abs 1 findet auf öffentliche Urkunden und Vergleiche entsprechend Anwendung,

wenn der Ursprungsmitgliedstaat an das HUntStProt 2007 gebunden ist. Das trifft auf alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Vereinigten Königreiches und Dänemarks zu. Voraussetzung ist, dass die öffentliche Urkunde oder der gerichtliche Vergleich nach dem 17.6.2011 errichtet bzw geschlossen wurde. Die Anerkennung erfolgt ipso iure ohne Ablehnungsmöglichkeit. Selbst die Verletzung des ordre public stellt kein Anerkennungsversagungsgrund dar. 8

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Zum Anwaltsvergleich und einem Vergleich im Mediationsverfahren siehe Rauscher/Staudinger Art 57 Brüssel I-VO Rn 5, 6. EuGH v 4.2.1988 – Rs C-145/86 Horst Ludwig Martin Hoffmann/Adelheid Krieg EuGHE 1988, 645 = IPRax 1989, 159 = NJW 1989, 663. Zur Doppelnatur nach dt Recht ua BGH v 30.09.2005 – V ZR 275/04, NJW 2005, 3576, 3577; BGH v 3.12. 1980 – VIII ZR 274/79, NJW 1981, 823, 823; BGH v 25.5.1981 – IVb ZR 589/80, NJW 1981, 2193, 2194. Hausmann, IntEuSchR Rn K 289 (offengelassen). Geimer/Schütze/Picht Rn 6; MünchKommFamFG/Lipp Rn 36. AA MünchKommFamFG/Lipp Rn 36.

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Kapitel VI: Gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden

Art 48 EG-UntVO

Ist der Ursprungsmitgliedstaat nicht durch das HUntStProt 2007 gebunden, so sind die 8 gerichtlichen Vergleiche und öffentlichen Urkunden ebenfalls ipso iure anzuerkennen. Jedoch gibt es Anerkennungsversagungsgründe, Art 48 Abs 1 verweist insoweit auch auf Art 24. Eine Nachprüfung in der Sache ist nach Art 42 ausgeschlossen. Über die Anerkennung kann in einem anderen Mitgliedstaat gemäß Art 23 Abs 2 und 3 gerichtlich entschieden werden. Möglich ist ein Anerkennungsfeststellungsverfahren sowie eine Inzidentanerkennung. Ein Anerkennungsfeststellungsverfahren setzt jedoch voraus, dass hierfür ein Rechtsschutzbedürfnis besteht.14 Dies ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn der Unterhaltsschuldner den Verpflichtungen aus der Urkunde oder dem Vergleich bisher nachgekommen ist.15 Nicht verständlich ist, warum die Ablehnungsgründe für gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden nicht gesondert geregelt sind, wie in Artt 57, 58 Brüssel I-VO. Die Vorschriften der Brüssel I-VO verweisen zudem nur auf die Vollstreckung dieser Titel und bringen so zum Ausdruck, dass eine Anerkennung wie bei einer Entscheidung schon nicht erforderlich ist. Die Ablehnungsgründe in Art 24 sind nämlich auf Entscheidungen ausgerichtet. Wie in der Brüssel I-VO hätte der ordre public Vorbehalt ausgereicht.16 Zwar bildet die Unvereinbarkeit mit Entscheidungen von Gerichten des Vollstreckungsmitgliedstaates oder anderer Staaten einen möglichen Ausschlussgrund,17 jedoch passt die Formulierung vor allem in Art 24 lit d nicht.18 V. Änderungsentscheidung Die Anerkennung einer öffentlichen Urkunde oder eines gerichtlichen Vergleichs hindert 9 nicht eine Änderungsentscheidung im Anerkennungsmitgliedstaat, wenn sich die der Vereinbarung oder der Verpflichtungserklärung zugrunde liegenden Umstände geändert haben.19 Die Zuständigkeit für die abändernde Entscheidung ergibt sich aus Art 3 ff. Art 8 ist auf gerichtliche Vergleiche nicht jedoch auf öffentliche Urkunden entsprechend anzuwenden.20 VI. Vollstreckung Die Vollstreckung gerichtlicher Vergleiche und öffentlicher Urkunden, die in einem anderen 10 Mitgliedstaat geschlossen oder errichtet wurden, erfolgt nach Kapitel IV. Für die Vollstreckung ist erforderlich, dass der gerichtliche Vergleich oder die öffentliche Urkunde im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sind. Ursprungsmitgliedstaat ist der Staat, in dem die Urkunde errichtet oder der Vergleich geschlossen wurde. Wiederum wird danach differenziert, ob im Ursprungsstaat das HUntStProt 2007 zur Anwendung kommt oder nicht.21 14 15 16 17 18

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OLG Stuttgart v 25.10.2013 – 17 UF 189/13, FamRZ 2014, 865. OLG Stuttgart v 25.10.2013 – 17 UF 189/13, FamRZ 2014, 865. Geimer/Schütze/Picht Rn 6. MünchKommFamFG/Lipp Rn 24. Ein Beispiel für eine eigenständige Regelung bildet Art 30 Abs 4 HUntVerfÜbk 2007; kritisch auch MünchKommFamFG/Lipp Rn 22. Argument aus Art 21 Abs 2 UAbs 3, Art 24 S 2. Insoweit Änderung zur Vorauflage, hierzu Art 8 Rn 19. Hierzu Rn 7 f.

Marianne Andrae

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Art 48 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Dies stellt zwar ein einfaches Abgrenzungskriterium dar, inhaltlich trägt es jedoch die Differenzierung nicht.22 1. Vollstreckung ohne Exequaturverfahren 11 In entsprechender Anwendung von Art 17 ist für gerichtliche Vergleiche und öffentliche

Urkunden, die in einem Mitgliedstaat nach dem 17.6.2011 geschlossen oder errichtet worden sind, in dem das HUntStProt 2007 angewendet wird, das Exequaturverfahren ausgeschlossen. Die Eigenschaft der Vollstreckbarkeit wird unmittelbar nach Art 48 Abs 1, Art 17 Abs 2 auf die anderen Mitgliedstaaten erstreckt. Der aus dem Vergleich oder der öffentlichen Urkunde Berechtigte kann die Sicherungsmaßnahmen nach Art 18 im Vollstreckungmitgliedstaat in Anspruch nehmen. Art 20 iVm Art 48 Abs 3 beschreibt, welche Schriftstücke der Antragsteller für die Zwangsvollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat vorzulegen hat. Zwingend gehören hierzu: Eine Ausfertigung der öffentlichen Urkunde oder des Vergleichs sowie ein Auszug aus diesen Urkunden, der unter Verwendung der in den Anhängen I und III vorgesehenen Formblätter zu erstellen ist. Nicht gefordert wird, dass es sich um eine vollstreckbare Ausfertigung handelt. Auch hat der Auszug nicht die Funktion, eine solche zu ersetzen oder die Vollstreckbarkeit zu bestätigen. Sie stellt nur die für die Vollstreckung wesentlichen Daten zusammen und erspart vor allem die Übersetzung des gesamten Titels. Dies lässt sich sowohl aus dem Inhalt des Formblattes als auch aus dem Umstand ableiten, dass jeder Partei auf Antrag ein solcher Auszug zu erteilen ist. a) Keine Vollstreckungsklausel 12 Nach Art 41 iVm Art 48 Abs 1 und 2 gilt für das Verfahren der Vollstreckung das Recht des

Vollstreckungsmitgliedstaates. Eine öffentliche Urkunde oder ein gerichtlicher Vergleich aus einem anderen Mitgliedstaat wird unter den gleichen Bedingungen vollstreckt wie vergleichbare Titel, die im Vollstreckungsmitgliedstaat ausgestellt oder errichtet sind. Die Zwangsvollstreckung nach deutschem Recht erfordert, dass in Bezug auf den gerichtlichen Vergleich oder die öffentliche Urkunde eine vollstreckbare Ausfertigung erteilt wird (§§ 797, 795, 724 ZPO). Ohne sie ist die Zwangsvollstreckung unzulässig. Dieser Grundsatz wurde auch bei Anwendung der Rechtsakte zum Europäischen Verfahrensrecht bisher auf unterschiedliche Weise gewahrt. So wird aufgrund der Vollstreckbarerklärung nach der Brüssel I-VO die Vollstreckungsklausel durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts oder durch einen deutschen Notar erteilt (§§ 8, 9, 55 Abs 3 AVAG). Für die EGVollstrTitelVO ersetzt die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel die Vollstreckungsklausel (§ 1082 ZPO). Auch die EG-BagatellVO kennt die Bestätigung (Art 20 Abs 2 EG-BagatellVO). In Deutschland ist hierfür das Gericht zuständig, dem die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Titels obliegt (§ 1106 Abs 1 ZPO). Ein ausländischer Vollstreckungstitel, der nach der EG-BagatellVO ergangen ist, bedarf nicht zusätzlich der Erteilung der Vollstreckungsklausel. Auch hier ersetzt von der Funktion her die Bestätigung die inländische Vollstreckungsklausel. Nach der EG-MahnVO wird der Europäische Zahlungsbefehl – unter Verwendung eines hierfür geschaffenen Formblattes – durch das Gericht im Ursprungsmitgliedstaat für vollstreckbar erklärt und der Antragsteller erhält dann diesen vollstreckbaren Europäischen Zahlungsbefehl. Auf dieser Grundlage wird folgerichtig – da es nicht der doppelten Vollstreckungsklausel bedarf – in § 1093 ZPO auf die Erteilung der Vollstreckungsklausel verzichtet. 22

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Kritisch auch MünchKommFamFG/Lipp Rn 3.

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Kapitel VI: Gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden

Art 48 EG-UntVO

Die EG-UntVO bietet vergleichbare Lösungen nicht. Der deutsche Gesetzgeber hat sich 13 trotzdem dafür entschieden, dass die ausländische öffentliche Urkunde oder der gerichtliche Vergleich für die inländische Zwangsvollstreckung keiner Vollstreckungsklausel bedarf.23 Anders als in der Begründung zum AUG-Entwurf dargestellt, besitzen ausgestellte Formblätter nach Anhang I und III nicht den Charakter einer Bestätigung, sondern von standartisierten Auszügen des Titels, vorrangig um Übersetzungskosten zu sparen.24 Das Erfordernis einer Vollstreckungsklausel hätte nicht im Widerspruch zu Art 17 Abs 2 gestanden, weil es sich nicht um eine Vollstreckbarerklärung handelt und ihm inländische Titel gleichermaßen unterliegen. Die Vollstreckbarerklärung verleiht dem Titel erst die inländische Vollstreckbarkeit, während die Vollstreckungsklausel lediglich die Vollstreckbarkeit bezeugt. Sie verlagert die der Zwangsvollstreckung vorausgehende Prüfung der Vollstreckungsreife vom Vollstreckungsorgan auf eine dafür fachlich besser ausgerüstete Stelle. Nach der vom deutschen Gesetzgeber gewählten Lösung muss das Vollstreckungsorgan prüfen, ob der Titel der EG-UntVO unterliegt, die Vollstreckungsreife besitzt und einen vollstreckungsfähigen Inhalt aufweist. Da auf das Erfordernis der Vollstreckungsklausel verzichtet wurde, stehen die in diesem Zusammenhang bestehenden Rechtsbehelfe gegen ihre Erteilung oder Verweigerung nicht zur Verfügung. Lediglich für den Fall, dass der ausländische Titel konkretisiert werden muss, damit er die für die inländische Vollstreckung erforderliche Bestimmtheit hat, ist in § 34 AUG ein Rechtsbehelf vorgesehen.25 b) Autonome Einwände Art 19 ist seinem Inhalt nach nicht auf gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden 14 anwendbar,26 jedoch Art 21, der direkte autonome Einwendungen in Abs 2 und 3 vorsieht und im Übrigen auf die Rechtsbehelfe des Vollstreckungsstaates verweist. Der Einwand der Vollstreckungsverjährung nach Art 21 Abs 2 UAbs 1 kann in Bezug auf 15 gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden erhoben werden.27 Dasselbe gilt auch für den Einwand entgegenstehender Entscheidungen eines Gerichts des Vollstreckungsstaates oder eines Drittstaates, die im Vollstreckungsstaat anerkannt werden (Art 21 Abs 2 UAbs 2). Die Regelung kann analog für das Verhältnis verschiedener vollstreckbarer öffentlicher Urkunden zueinander herangezogen werden. Dabei ist Art 21 Abs 2 UAbs 3 entsprechend auf abändernde Instrumente anzuwenden. Bezogen auf Art 21 Abs 3 kommt nur der Einwand der Aussetzung der Vollstreckbarkeit für gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden in Betracht. Indirekt ergibt sich aus Art 21 Abs 3 UAbs 2, dass die Einleitung eines Verfahrens im Ursprungstaat, in dem die sich aus der Urkunde oder dem Vergleich ergebende Unterhaltsverpflichtung angefochten wird, keinen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung im Vollstreckungsstaat begründet. Vielmehr muss der Antragsgegner die Aussetzung der Vollstreckbarkeit im Ursprungstaat erreichen.

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Ausdrücklich BT-Drs 17/4887, 43. Wegen Identität des Problems siehe Art 17 Rn 12. Wegen Identität der Probleme, siehe Art 17 Rn 13. MünchKommFamFG/Lipp Rn 28; aA Geimer/Schütze/Picht Rn 10; Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Neumayr Rn 15 (entsprechende Anwendung, wenn der Antragsgegner unverschuldet keine Gelegenheit hatte, eine Mitwirkungsmöglichkeit am Verfahren wahrzunehmen). Hierzu Art 21 Rn 13 ff; Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Neumayr Rn 16.

Marianne Andrae

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Art 48 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

c) Rechtsbehelfe nach dem Recht des Vollstreckungsstaates 16 Der Schuldner kann die im Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates vorgesehenen Gründe

für die Verweigerung oder Aussetzung der Vollstreckung geltend machen. Sie dürfen jedoch nicht mit Art 21 Abs 2 und 3 unvereinbar sein. Zu beachten ist außerdem das Verbot der Sachüberprüfung nach Art 42, das entsprechend auf gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden anzuwenden ist. 17 Im deutschen Recht kommt als Rechtsbehelf des Schuldners im Verfahren der Vollstreckung

ausländischer Unterhaltstitel vorrangig der Vollstreckungsabwehrantrag nach § 120 Abs 1 iVm 767 ZPO in Betracht.28 Nach innerstaatlichem Verfahrensrecht erstreckt sich die Präklusionswirkung des § 767 Abs 2 ZPO wegen des Ausschlusses in § 797 Abs 4 ZPO auf Grund der fehlenden Rechtskraftpräklusion29 nicht auf gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden. Deshalb kann der Schuldner auch Einwendungen vortragen, die auf Gründen beruhen, die vor dem Abschluss des Vergleichs oder der Errichtung der öffentlichen Urkunde liegen. § 66 AUG in seiner ursprünglichen Fassung30 bestimmte, dass der Schuldner Einwendungen, die sich gegen den Anspruch selbst richten, im Verfahren nach § 120 Abs 1 FamFG iVm 767 ZPO nur geltend machen kann, wenn die Gründe hierfür erst nach Erlass des Titels entstanden sind und im Ursprungsmitgliedstaat nicht mehr durch ein Rechtsmittel oder einen Rechtsbehelf geltend gemacht werden können. Die Regelung erfasste ausdrücklich auch ausländische Titel nach Art 48. Sie war, jedenfalls was diese Titel betrifft, zu weit. Da öffentliche Urkunden und gerichtliche Vergleiche keine Rechtskraftpräklusion bewirken, waren für sie rechtspraktisch materiell-rechtliche Einwendungen nach § 767 ZPO ausgeschlossen. Die Neuregelung bestimmt nun allgemein, dass der Schuldner Einwendungen gegen einen ausländischen Titel nach § 120 Abs 1 FamFG iVm § 767 ZPO geltend machen kann. Dann gibt es die Einschränkung, dass für eine gerichtliche Entscheidung dies nur gilt, soweit die Gründe, auf denen die Einwendungen beruhen, erst nach dem Erlass der Entscheidung entstanden sind. Dies lässt entweder den Schluss zu, dass der Gesetzgeber das Problem für gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden offen halten will oder für diese von der Lösung im einzelstaatlichen Zivilverfahrensrecht ausgeht, dies jedoch nicht ausdrücklich festlegen wollte. Die neue Regelung hat ihre Gründe eventuell auch darin, dass im AUG aF diese Frage speziell für mitgliedstaatliche Titel geregelt war, die ohne Exequaturverfahren vellstreckbar waren und die Neuregelung sich allgemein auf vom AUG erfasste ausländische Titel bezieht. Der Grundsatz der Gleichstellung gemäß Art 41 Abs 1 S 2 streitet dafür, dass öffentliche Urkunden und gerichtliche Vergleiche hinsichtlich des Vollstreckungsabwehrantrags nicht anders behandelt werden wie inländische Titel dieser Art Dogmatisch lässt sich hierfür auch die fehlende Rechtskraftpräklusion anführen.31 Dagegen spricht jedoch die Gleichstellung dieser Titel in der EG-UntVO hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung mit gerichtlichen Entscheidungen. Die Erstreckung der einzelstaatlichen Rechtsbehelfe in der Zwangsvollstreckung darf mit den Grundsätzen der Verordnung nicht unvereinbar sein. Die verordnungsrechtliche Gleichstellung mit gerichtlichen Entscheidungen hat deshalb Vorrang. Infolgedessen muss die Lösung in

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BGH v 7.12.2005 – XII ZR 94/03, FamRZ 2006, 261 = NJW 2006, 695-698; BGH v 15.3.2005 – XI ZR 135/04, NJW 2005, 1576-1579; BGH v 18.11.1993 – IX ZR 244/92, BGHZ 124, 164-173. BGH v 14.5.1987 – BLw 5/86, MDR 1987, 933 = FamRZ 1987, 804 = NJW-RR 1987, 1022, 1023. V 3.5.2011 (BGBl 2011 I 898). Hess/Spancken FPR 2013, 27, 29; Hess, EuZPR § 10 Rn 30 f, 34.

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Kapitel VI: Gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden

Art 48 EG-UntVO

Deutschland vergleichbar § 1086 Abs 2 ZPO sein. Die Regelungen in der EG-VollstrTitelVO und der EG-UntVO sind für öffentliche Urkunden und gerichtliche Vergleiche deckungsgleich, was die Anwendung der einzelstaatlichen Vorschriften zur Vollstreckung und das Verbot der Überprüfung in der Sache selbst betrifft. In beiden Regelungen wird entsprechend auf die für Entscheidungen geltenden Vorschriften verwiesen, so dass auch die einzelstaatlichen Durchführungsvorschriften sich diesbezüglich nicht unterscheiden dürften. Im Ergebnis ist bei einem Vollstreckungsabwehrantrag die Präklusionswirkung nach § 767 Abs 2 ZPO zu beachten. Es können nur die nach Errichtung der öffentlichen Urkunde oder des Abschlusses des Vergleichs entstandenen Einwendungen geltend gemacht werden.32 Der Schuldner kann weiterhin vortragen, dass der Titel nicht der EG-UntVO oder nicht 18 ihrem Kapitel IV Abschnitt 1 unterliegt und deshalb der Vollstreckbarerklärung bedarf oder keine öffentliche Urkunde vorliegt. Trifft dies zu, so fehlt es an einem vollstreckbaren Titel. Ungeachtet dessen vorgenommene Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sind unwirksam und können analog § 767 ZPO angefochten werden.33 Mittels eines Rechtsbehelfs, wie des Vollstreckungsabwehrantrages, kann der Schuldner die Vollstreckbarkeit im Vollstreckungsmitgliedstaat hemmen oder beseitigen. Dies zeitigt jedoch Wirkungen nur für den jeweiligen Vollstreckungsmitgliedstaat. Will der Schuldner die Vollstreckbarkeit für den gesamten europäischen Justizraum beseitigen, muss er die Vollstreckbarkeit aus der öffentlichen Urkunde oder dem gerichtlichen Vergleich im Ursprungsmitgliedstaat angreifen. Wird die Vollstreckbarkeit oder der Titel im Ursprungsmitgliedstaat aufgehoben, so hat dies Wirkungen auch für die anderen Mitgliedstaaten. Soweit der Ursprungsmitgliedstaat an das HUntStProt gebunden ist, entfällt direkt die Vollstreckbarkeit im Zweitstaat gemäß Art 17 Abs 2, da kein vollstreckbarer Titel mehr vorliegt. Vollstreckungsmaßnahmen in Deutschland, die ungeachtet dessen ergehen, sind aus deutscher Sicht unwirksam und können daher nach § 120 Abs 1 FamFG, § 767 ZPO analog angegriffen werden.34 Geht der Schuldner gegen eine deutsche öffentliche Urkunde bzw gerichtlichen Vergleich mit einer Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO im Inland vor, dann gilt natürlich die Präklusionswirkung des Abs 2 aufgrund des § 794 Abs 4 ZPO nicht. Die auf dieser Grundlage beseitigte Vollstreckbarkeit zeitigt Wirkung in allen Mitgliedstaaten. 2. Vollstreckung mit Exequaturverfahren Ist die öffentliche Urkunde oder der gerichtliche Vergleich in einem Mitgliedstaat aufge- 19 nommen worden, in dem das HUntStProt 2007 keine Anwendung findet, so bedarf es zur Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat der Vollstreckbarerklärung, vgl Artt 26 ff. 32

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So auch Geimer/Schütze/Picht Rn 10; Eichel GPR 2011, 193, 194 f; Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Neumayr Rn 17; aA MünchKommFamFG/Lipp Rn 45, 46 (Danach folgt eine Präklusion von Einwänden, die vor dem Abschluss des Vergleichs oder der Errichtung der Urkunde liegen, nicht aus dem Verbot der sachlichen Nachprüfung nach Art 42, sondern aus dem Wirkungserstreckungsprinzip. Sie setzt danach voraus, dass der Ursprungsstaat ihnen eine solche Wirkung beilegt.) Thomas/Putzo/Seiller Vorb § 704 ZPO Rn 58; BGH NJW 2005, 1577; BGH v 18.11.1993 – IX ZR 244/92, BGHZ 124, 164. Ebenda.

Marianne Andrae

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Art 48 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Das Verfahren hierfür entspricht den Regelungen in der Brüssel I-VO.35 Die deutschen innerstaatlichen Durchführungsbestimmungen finden sich in §§ 36 ff AUG. Für den Fall, dass die Vollstreckbarkeit oder der Titel im Ursprungsmitgliedstaat aufgehoben wird, sieht die Verordnung keine Lösung vor. Diese ist den nationalen Ausführungsbestimmungen überlassen. In Deutschland regelt § 67 AUG ein Verfahren der Aufhebung der Zulassung zur inländischen Zwangsvollstreckung, der auch auf gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden Anwendung findet. Gegen eine Vollstreckung vor Aufhebung der Vollstreckbarerklärung steht dem Schuldner der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 120 Abs 1 FamFG, § 769 ZPO zur Verfügung.36 VII. Anwendung anderer Bestimmungen der EG-UntVO 20 Die Bestimmungen der EG-UntVO über den Zugang zum Recht, die Zusammenarbeit der

Zentralen Behörden und zu den öAwE erstrecken sich auch auf öffentliche Urkunden und gerichtliche Vergleiche. Diese sind nach Art 65 von der Legalisation und ähnlichen Förmlichkeiten, wie der Apostille, befreit. Eine Übersetzung ist zur Rechtsverfolgung in anderen Mitgliedstaaten nur nach den für Entscheidungen getroffenen Regelungen erforderlich (Art 20, 28, 40, 66). Die Zuständigkeitsvorschriften der Art 3 ff erfassen nicht die internationale und örtliche Beurkundungszuständigkeit. VIII. Intertemporale Regelung 21 Art 48 ist auf öffentliche Urkunden und gerichtliche Vergleiche anwendbar, die ab dem 18.6.

2011 errichtet bzw geschlossen werden. Sind sie davor errichtet, wird ihre Anerkennung oder Vollstreckbarkeit in einem anderen Mitgliedstaat jedoch ab diesem Zeitpunkt beantragt, ist hierauf Kapitel IV Abschnitt 2 und 3 anzuwenden, wenn sie zuvor der Brüssel I-VO unterlagen (Art 75 Abs 2).37 Es bedarf folglich der Vollstreckbarerklärung; die Vorschriften entsprechen weitgehend der Brüssel I-VO. Die EG-UntVO beschränkt, anders als Art 57 Abs 1 S 2 Brüssel I-VO, die Versagungsgründe für die Vollstreckbarerklärung nicht ausdrücklich auf den ordre public. Von dieser Eingrenzung ist jedoch auch weiterhin auszugehen, denn die EG-UntVO hat die Erleichterung der grenzüberschreitenden Vollstreckung zum Ziel und will keine zusätzliche Hürde errichten. Aus diesem Grund können Titel, die bis zum 18.6.2011 erwirkt werden, als Europäische Vollstreckungstitel nach der EG-VollstrTitelVO bestätigt werden, wenn sie in den zeitlichen Anwendungsbereich fallen, um dann die Vollstreckung zu betreiben. Eine diesbezügliche ausdrückliche Überleitungsregelung fehlt leider in der EG-UntVO.

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Vgl dazu Vorbem Art 23 ff Rn 3 ff. Rauscher/Mankowski Art 38 Brüssel I-VO Rn 14b für die entsprechende Lösung im AVAG. Hierzu auch MünchKommFamFG/Lipp Rn 9.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Vorbem zu Artt 49 ff EG-UntVO

Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden Vorbemerkungen zu den Artt 49 ff Kapitel VII überträgt das bewährte Modell der grenzüberschreitenden behördlichen Zu- 1 sammenarbeit und der Rechtshilfe, wie es in der Brüssel IIa-VO sowie im HKindEntfÜbk 1980,1 im HAdoptÜbk 19932 und im KSÜ3 vorgesehen ist, auf den Unterhalt und passt es den spezifischen Erfordernissen der grenzüberschreitenden Durchsetzung von Unterhaltsverpflichtungen an. Bisher erfolgt die Rechtshilfe auf diesem Gebiet im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander unter Anwendung des New Yorker UN-Übereinkommens über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland vom 20.6.1956.4 Diese bedarf der Neugestaltung, um die Zusammenarbeit effektiver zu gestalten und größere Erfolge in Bezug auf die grenzüberschreitende Beitreibung von Unterhaltsforderungen zu erreichen. Auf internationaler Ebene ist dies durch das HUntVerfÜbk 2007 erfolgt. Kapitel VII lehnt 2 sich an die Regelungen des HUntVerfÜbk 2007 zur Zusammenarbeit auf Verwaltungsebene (Kapitel II) und über die Anträge über die Zentralen Behörden (Kapitel III) an.5 Das Besondere der EG-UntVO besteht darin, dass diese das Kapitel VII auf alle Unterhaltspflichten gemäß Art 1 Abs 1 erstreckt, während das HUntVerfÜbk 2007 die entsprechenden Kapitel nur auf die Unterhaltspflichten aus einer Eltern-Kind-Beziehung gegenüber einer Person, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, bezieht.6 Auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft wird der Schwerpunkt der Zusammen- 3 arbeit der Zentralen Behörden bei den Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern liegen. Es wäre durchaus vertretbar gewesen, das Kapitel auf den Kindesunterhalt zu beschränken oder hierfür günstigere ergänzende Regelungen zu treffen. Dies hätte mit dem besonderen Schutz- und Förderungsgebot für Kinder innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, ua auch unter Hinweis auf Art 3 und 27 des UN-Übereinkommens vom 20.11.19897, begründet werden können. Danach sollen die Vertragsstaaten alle geeigneten Maßnahmen treffen, um die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen des Kindes gegenüber den 1

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Art 6 ff Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung v 25.10.1980, BGBl 1990 II 207. Art 6 ff Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption v 29.5.1993, BGBl 2001 II 1035. Art 29 ff Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern v 19.10.1996, BGBl 2009 II 603. BGBl 1959 II 150 ff. Bei Übereinstimmung der Regelung ist für die Auslegung der erläuternde Bericht von Borrás/DegelingBericht Rn 77 ff zum Übereinkommen hilfreich. Art 2 Abs 1 HUntVerfÜbk 2007. Die Teilnehmerstaaten können eine Eingrenzung auf Personen vornehmen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Art 2 Abs 2). Sie können zudem durch Erklärung den personellen Anwendungsbereich erweitern (Art 2 Abs 3 HUntVerfÜbk 2007). Die Erweiterung gilt nur im Verhältnis zu den Vertragsstaaten, die die gleiche Erklärung abgegeben haben. BGBl 1992 II 990.

Marianne Andrae

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Art 49 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Eltern und gegenüber anderen verantwortlichen Personen sicherzustellen, insbesondere, wenn die betreffenden Personen in einem anderen Staat leben als das Kind. 4 Die Europäische Gemeinschaft hat zwar den Anwendungsbereich der behördlichen Zu-

sammenarbeit erweitert, geht jedoch inhaltlich nicht über die Kapitel II und III des HUntVerfÜbk 2007 hinaus. Kritisch ist vor allem anzumerken, dass zwar Art 3 lit b dem unterhaltsberechtigten Kind im eigenen Staat einen Gerichtsstand für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen zur Verfügung stellt, die Nutzung dieses Gerichtsstandes durch die Regelungen im Kapitel VII jedoch nicht gefördert wird.8 5 Kapitel VII regelt vier Komplexe: die Bildung und die Zusammenarbeit der Zentralen

Behörden im Allgemeinen (Artt 49, 50, 51); Anträge natürlicher Personen und öffentliche Aufgaben wahrnehmender Einrichtungen iSd Art 64 (Artt 51, 52, 54 bis 59); Ersuchen um Durchführung besonderer Maßnahmen (Artt 51, 53, 54); Zugang der Zentralen Behörden zu Informationen über personenbezogene Daten und deren Schutz (Artt 61 bis 63). 6 Dänemark beteiligt sich nicht am Kapitel VII.9 Es ist deshalb als Nichtmitgliedstaat für

dieses Kapitel anzusehen. Anwendung findet aufgrund dessen weiterhin das zwischen Dänemark und Deutschland geltende New Yorker UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland von 1956,10 solange dem HUntVerfÜbk 2007 Dänemark nicht beigetreten ist.

Artikel 49: Bestimmung der Zentralen Behörden (1) Jeder Mitgliedstaat bestimmt eine Zentrale Behörde, welche die ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben wahrnimmt. (2) Einem Mitgliedstaat, der ein Bundesstaat ist, einem Mitgliedstaat mit mehreren Rechtssystemen oder einem Mitgliedstaat, der aus autonomen Gebietseinheiten besteht, steht es frei, mehrere Zentrale Behörden zu bestimmen, deren räumliche und persönliche Zuständigkeit er festlegt. Macht ein Mitgliedstaat von dieser Möglichkeit Gebrauch, so bestimmt er die Zentrale Behörde, an die Mitteilungen zur Übermittlung an die zuständige Zentrale Behörde in diesem Staat gerichtet werden können. Wurde eine Mitteilung an eine nicht zuständige Zentrale Behörde gerichtet, so hat diese die Mitteilung an die zuständige Zentrale Behörde weiterzuleiten und den Absender davon in Kenntnis zu setzen. (3) Jeder Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission im Einklang mit Artikel 71 über die Bestimmung der Zentralen Behörde oder der Zentralen Behörden sowie über deren Kontaktdaten und gegebenenfalls deren Zuständigkeit nach Absatz 2.

1 Abs 1 bestimmt die Pflicht jedes Mitgliedstaates, eine Zentrale Behörde zu bestimmen,

welche die ihr nach der EG-UntVO obliegenden Aufgaben wahrnimmt, als zentrale Einrichtung für die Kooperation auf administrativer Ebene zu fungieren. Die Pflicht, die Zentrale Behörde zu bestimmen, schließt ein, sie mit Ressourcen und Befugnissen so aus8 9 10

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Hierzu Art 53 Rn 25 f, Vorbem Art 61 ff Rn 8, Art 61 ff Rn 17. ABl EU 2009 L 149/80. BGBl 1959 II 150.

Oktober 2014

Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 50 EG-UntVO

zustatten, dass sie die in der EG-UntVO vorgesehenen Aufgaben realisieren kann. Zwar nicht zwingend, jedoch zweckmäßig ist es, dieselbe Institution damit zu betrauen, welche die Funktionen der Zentralen Behörde nach dem HUntVerfÜbk 2007 wahrnimmt. Die Möglichkeit, mehrere Zentrale Behörden zu bestimmen, besteht für Mitgliedstaaten, 2 die eines der Kriterien in Abs 2 S 1 erfüllen. In diesem Fall hat der Mitgliedstaat ihre räumliche und personelle Zuständigkeit festzulegen und außerdem eine Zentrale Behörde zu bestimmen, welche die Funktion der Haupt-Zentralen Behörde wahrnimmt, an die die Mitteilungen aus anderen Mitgliedstaaten gesendet werden können. Damit wird erreicht, dass bei Zweifeln über die Zuständigkeit, die mitunter vom Ausland her schwer durchschaubar ist, Mitteilungen, zu denen auch die Ersuchen nach Art 53 und die Anträge nach Art 56 gehören, an die Haupt-Zentrale Behörde gerichtet werden können. Deutsche Zentrale Behörde ist das Bundesamt für Justiz (§ 4 AUG).

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Artikel 50: Allgemeine Aufgaben der Zentralen Behörden (1) Die Zentralen Behörden a) arbeiten zusammen, insbesondere durch den Austausch von Informationen, und fördern die Zusammenarbeit der zuständigen Behörden ihrer Mitgliedstaaten, um die Ziele dieser Verordnung zu verwirklichen; b) suchen, soweit möglich, nach Lösungen für Schwierigkeiten, die bei der Anwendung dieser Verordnung auftreten. (2) Die Zentralen Behörden ergreifen Maßnahmen, um die Anwendung dieser Verordnung zu erleichtern und die Zusammenarbeit untereinander zu stärken. Hierzu wird das mit der Entscheidung 2001/470/EG eingerichtete Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen genutzt.

Während in Art 51 präzise Aufgaben der Zentralen Behörden in Bezug auf einzelne Unter- 1 haltssachen aufgelistet sind, werden in Art 50 die Funktionen allgemeiner Art bestimmt und damit zugleich eine gewisse Flexibilität erreicht. Die Flexibilität erlaubt es, einerseits die unterschiedlichen Ressourcen und Befugnisse der Zentralen Behörden in den Mitgliedstaaten zu berücksichtigen und gleichzeitig Raum für die Erweiterung und Verbesserung der Dienste, die durch die Zentralen Behörden geleistet werden können, zu geben.1 Die in Art 50 vorgesehenen Aufgaben können nicht an andere Einrichtungen oder Stellen weitergeleitet, sondern müssen von der Zentralen Behörde selbst wahrgenommen werden. Ausdrücklich ist zudem die Integration der Zentralen Behörden in das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen vorgesehen. I. Kooperation Abs 1 lit a verpflichtet die Zentralen Behörden der Mitgliedstaaten selbst zur Zusammen- 2 arbeit, wobei hier insbesondere der Informationsaustausch genannt wird. Solche Informationen betreffen nicht nur die Veränderungen der Gesetzeslage, sondern auch Rechtspre1

Für Art 5 HUntVerfÜbk 2007 Borrás/Degeling-Bericht Rn 95.

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Art 51 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

chungstendenzen auf diesem Gebiet, woraus sich wiederum Schlussfolgerungen über die Erfolgsaussichten von Anträgen nach Art 56 allgemein ableiten lassen. Zum anderen haben die Zentralen Behörden die Zusammenarbeit der zuständigen Gerichte/Behörden ihrer Mitgliedstaaten zu fördern. Sie haben in diesem Zusammenhang zu sichern, dass die zuständigen Gerichte/Behörden über den Inhalt der EG-UntVO und die sich daraus für ihre Institution ergebenden Aufgaben im Rahmen der Zusammenarbeit informiert werden. Zudem sollen sie unterstützend tätig werden, damit diese Aufgaben effektiv realisiert werden.2 II. Lösungen für Schwierigkeiten 3 Abs 1 lit b betrifft Schwierigkeiten, die bei der Anwendung der EG-UntVO im Allgemeinen

auftreten, aber auch die einzelnen Fälle betreffen können. Die Schwierigkeiten können sowohl rein innerstaatlich entstehen, zB wenn das innerstaatliche System nicht in allen Teilen mit der EG-UntVO kompatibel ist oder die nationalen Behörden noch nicht ausreichend genug kooperieren. Sie können auch dadurch bedingt sein, dass die EG-UntVO in einzelnen Mitgliedstaaten durch die Verwaltungsbehörden unterschiedlich ausgelegt wird oder Lücken und Ungereimtheiten der EG-UntVO selbst auftreten. Die möglichen Schwierigkeiten sind vielfältig, Abs 1 lit b ermöglicht es, hierauf flexibel zu reagieren. Die regelmäßigen Zusammenkünfte der Zentralen Behörde nach Art 60 bilden einen wichtigen organisatorischen Rahmen für die Organisation und Verbesserung der Zusammenarbeit sowie die Lösung von Schwierigkeiten.

Artikel 51: Besondere Aufgaben der Zentralen Behörden (1) Die Zentralen Behörden leisten bei Anträgen nach Artikel 56 Hilfe, indem sie insbesondere a) diese Anträge übermitteln und entgegennehmen; b) Verfahren bezüglich dieser Anträge einleiten oder die Einleitung solcher Verfahren erleichtern. (2) In Bezug auf diese Anträge treffen die Zentralen Behörden alle angemessenen Maßnahmen, um a) Prozesskostenhilfe zu gewähren oder die Gewährung von Prozesskostenhilfe zu erleichtern, wenn die Umstände es erfordern; b) dabei behilflich zu sein, den Aufenthaltsort der verpflichteten oder der berechtigten Person ausfindig zu machen, insbesondere in Anwendung der Artikel 61, 62 und 63; c) die Erlangung einschlägiger Informationen über das Einkommen und, wenn nötig, das Vermögen der verpflichteten oder der berechtigten Person einschließlich der Belegenheit von Vermögensgegenständen zu erleichtern, insbesondere in Anwendung der Artikel 61, 62 und 63; d) gütliche Regelungen zu fördern, um die freiwillige Zahlung von Unterhalt zu erreichen, wenn angebracht durch Mediation, Schlichtung oder ähnliche Mittel; e) die fortlaufende Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen einschließlich der Zahlungsrückstände zu erleichtern; f) die Eintreibung und zügige Überweisung von Unterhalt zu erleichtern; g) unbeschadet der Verordnung (EG) Nr 1206/2001 die Beweiserhebung, sei es durch Urkunden oder durch andere Beweismittel, zu erleichtern; 2

742

Näher bei Geimer/Schütze/Picht Rn 2 ff.

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Art 51 EG-UntVO

h) bei der Feststellung der Abstammung Hilfe zu leisten, wenn dies zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen notwendig ist; i) Verfahren zur Erwirkung notwendiger vorläufiger Maßnahmen, die auf das betreffende Hoheitsgebiet beschränkt sind und auf die Absicherung des Erfolgs eines anhängigen Unterhaltsantrags abzielen, einzuleiten oder die Einleitung solcher Verfahren zu erleichtern; j) unbeschadet der Verordnung (EG) Nr 1393/2007 die Zustellung von Schriftstücken zu erleichtern. (3) Die Aufgaben, die nach diesem Artikel der Zentralen Behörde übertragen sind, können in dem vom Recht des betroffenen Mitgliedstaats vorgesehenen Umfang von öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtungen oder anderen der Aufsicht der zuständigen Behörden dieses Mitgliedstaats unterliegenden Stellen wahrgenommen werden. Der Mitgliedstaat teilt der Kommission gemäß Artikel 71 die Bestimmung solcher Einrichtungen oder anderen Stellen sowie deren Kontaktdaten und Zuständigkeit mit. (4) Dieser Artikel und Artikel 53 verpflichten eine Zentrale Behörde nicht zur Ausübung von Befugnissen, die nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats ausschließlich den Gerichten zustehen. I. II.

III. IV.

Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Hilfeleistung für Anträge nach Art 56 . . . . . 3 1. Übermittlung und Entgegennahme der Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2. Einleitung von Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Angemessene Maßnahmen (Abs 2) . . . . . . . . 6 Einzelne Aufgaben (Abs 2) 1. Prozesskostenhilfe (lit a) . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2. Ausfindigmachung des Aufenthaltsortes (lit b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 3. Informationen über das Einkommen (lit c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 4. Freiwillige Unterhaltszahlungen (lit d) 12

V. VI.

5. Fortlaufende Vollstreckung einschließlich von Rückständen (lit e) . . . . 13 6. Unterhaltsüberweisung (lit f) . . . . . . . . . . . 15 7. Unterstützung bei der Beweiserhebung (lit g) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 8. Feststellung der Abstammung (lit h) . . . 19 9. Sichernde einstweilige Maßnahmen (lit i) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 10. Zustellung von Schriftstücken (lit j) . . . 24 Wahrnehmung durch andere Einrichtungen (Abs 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Die den Gerichten vorbehaltenen Zuständigkeiten (Abs 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

I. Allgemeines Art 51 regelt, welche Maßnahmen die Zentralen Behörden in einer konkreten Unterhalts- 1 sache zu ergreifen haben. Diese brauchen sie nicht selbst durchzuführen, sie können von anderen Einrichtungen oder Stellen gemäß Abs 3 wahrgenommen werden. Die Regelung differenziert nicht zwischen den Anträgen des Unterhaltsberechtigten und des Unterhaltsverpflichteten. Sie gilt folglich für beide gleichermaßen.1 Abs 1 beinhaltet zwingende Funktionen in Bezug auf die Weiterleitung der Anträge und die 2 Ingangsetzung von Verfahren in Bezug auf Anträge nach Art 56. In Abs 2 sind Maßnahmen aufgelistet, die gleichfalls diese Anträge betreffen und zwingend zu ergreifen sind. Jedoch wird die Art der Erledigung mit „angemessenen Maßnahmen“ umschrieben, was Flexibilität zulässt. Die Art der Realisierung hängt von den Kompetenzen und den Ressourcen ab sowie

1

Kritisch zur Umsetzung im § 5 AUG MünchKommFamFG/Lipp Rn 8.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

von dem einzelstaatlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaates.2 Die Aufgaben, die in Art 51 genannt sind, sind dem Charakter nach Funktionen der Verwaltung; den Zentralen Behörden werden keine Funktionen auferlegt, die den Gerichten nach dem innerstaatlichen Recht des betreffenden Staates obliegen. Soweit eine Zentrale Behörde gemäß dem nationalen Recht mit Justizgewalt ausgestattet ist, kann sie diese zur Realisierung der Aufgaben einsetzen.3 Maßnahmen nach Art 51 sind nur bei Anträgen nach Art 56 zu ergreifen, außerdem im Umfang des Art 53 bei Ersuchen einer Zentralen Behörde,4 nicht jedoch, wenn eine Person, die ihren Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat, in einem anderen Mitgliedstaat direkt ein Erkenntnisverfahren einleitet oder die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und/oder Vollstreckung betreibt. Unterstützungsleistungen der Zentralen Behörden im letzteren Fall wären freiwillig erbracht und würden nicht unter die Verordnung fallen. II. Hilfeleistung für Anträge nach Art 56 3 Abs 1 bestimmt, dass die Zentralen Behörden Hilfeleistungen in Bezug auf die Anträge nach

Art 56 erbringen. Die beiden genannten Aufgaben, Vermittlung und Verfahrenseinleitung oder -erleichterung, sind zwingende – jedoch nicht abschließende – Maßnahmen der Hilfeleistung. In Betracht kommen weitere Hilfeleistungen, vor allem solche, die nicht in Abs 2 gesondert aufgelistet sind.5 Beispiele wären die rechtliche Beratung, die es dem Antragsteller ermöglicht, die Erfolgsaussichten seines Vorhabens einzuschätzen, Unterstützung bei der Antragstellung und der Beschaffung der erforderlichen Übersetzungen. 1. Übermittlung und Entgegennahme der Anträge 4 Es handelt sich um Hauptaufgaben der Zentralen Behörden, die in Art 58 spezifiziert sind.

Die Aufgaben selbst können auf Einrichtungen oder Behörden nach Abs 3 übertragen werden. 2. Einleitung von Verfahren 5 Die Anträge nach Art 56 sind auf die Herbeiführung von Entscheidungen oder auf die

Anerkennung, Vollstreckbarerklärung oder Vollstreckung aus einem Unterhaltstitel gerichtet. Je nach den Kompetenzen der Zentralen Behörde des ersuchten Mitgliedstaates und der in diesem Staat zur Verfügung stehenden (behördlichen oder gerichtlichen) Verfahren für Unterhaltssachen hat diese entweder solche Verfahren einzuleiten oder ihre Einleitung zu erleichtern. Dabei ist das Verfahren auszuwählen, das effektiven Zugang zum Recht in Bezug auf den gestellten Antrag gewährleistet. Zu den Maßnahmen gehören vor allem Personen, wie Rechtsanwälte, die spezielle Kenntnisse in Bezug auf grenzüberschreitende Unterhaltssachen besitzen, mit der Wahrnehmung der rechtlichen Vertretung zu beauftra-

2

3

4 5

744

In Bezug auf die entsprechende Regelung im HUntVerfÜbk 2007 (Art 6) Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 87, 103. In Bezug auf die übereinstimmende Bestimmung des Art 6 HUntVerfÜbk 2007 Borrás/Degeling-Bericht Rn 105. So auch Geimer/Schütze/Picht Rn 1. Wie hier Geimer/Schütze/Picht Rn 5.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 51 EG-UntVO

gen.6 Bestimmte Maßnahmen, die die Einleitung des Verfahrens erleichtern, sind im Abs 2 aufgelistet. III. Angemessene Maßnahmen (Abs 2) Abs 2 listet Aufgaben der Zentralen Behörden in Bezug auf die Anträge nach Art 56 auf. 6 Nicht alle Aufgaben treffen im Einzelfall zu. Welche Aufgaben zu lösen sind, ergibt sich aus dem jeweiligen Antrag und den Besonderheiten des Einzelfalls. Die Regelungen in Abs 2 sind hinsichtlich der Zielstellung – wie den Aufenthaltsort ausfindig zu machen oder Beweiserleichterung zu erreichen – verbindlich, soweit dies der Antrag erfordert. Die Art und Weise der Realisierung ist umschrieben mit „angemessenen Maßnahmen“. Welche Maßnahmen konkret ergriffen werden, hängt vom nationalen Recht des betreffenden Vertragsstaates ab und von den Kompetenzen und Ressourcen der ersuchten Zentralen Behörde.7 Anzustreben ist eine Angleichung in Bezug auf Kompetenzen und Ressourcen. Beitragen hierzu kann der Erfahrungsaustausch zwischen den Zentralen Behörden und positive Beispiele der Realisierung von Aufgaben. Die Formulierung ist flexibel. Sie ermöglicht es, den Maßnahmenkatalog schrittweise aufgrund von Erfahrungen, besserer Ausnutzung oder Erweiterung der Kompetenzen zu vervollkommnen und zu effektivieren, sog „progressive implementation“.8 Als geringste Maßnahme kommt die Weiterverweisung an zuständige Einrichtungen oder kompetente Personen bzw die Beratung des Antragstellers in Bezug auf einzuleitende oder zu unternehmende Schritte in Betracht.9 Das Wort „angemessen“ ist auch auf das Verhältnis der Maßnahme zu dem damit verbundenen Einsatz von Ressourcen und dem voraussichtlichen Erfolg anzuwenden. Es sind nur solche Maßnahmen gefordert, die hinsichtlich des Aufwandes im angemessenen Verhältnis zu dem wahrscheinlichen Erfolg stehen. IV. Einzelne Aufgaben (Abs 2) 1. Prozesskostenhilfe (lit a10) Die Prozesskostenhilfe selbst ist im Kapitel V geregelt. Die Verpflichtung, angemessene 7 Maßnahmen zu ergreifen, damit dem Antragsteller (Art 56) Prozesskostenhilfe gewährt wird, besteht nur dann, wenn die Umstände es erfordern, also nicht in jedem Einzelfall. Das trifft zB nicht zu, wenn es sich um ein Verfahren iSd Art 44 Abs 311 handelt oder ipso iure Prozesskostenhilfe, wie nach Art 47 Abs 2 oder 3 zu gewähren ist. Erfolgt die Gewährung der Prozesskostenhilfe durch zuständige Gerichte/Behörden auf Antrag, so in Bezug auf Art 47 Abs 1, so besteht folglich die Unterstützung vor allem in der Antragstellung durch die Zentrale Behörde bzw von ihr beauftragte Einrichtungen oder kundige Personen. Die Vollmacht nach Art 52 umfasst auch das Prozesskostenhilfeersuchen. Lit a bezieht sich nur auf 6 7

8 9 10

11

Zu der hierfür erforderlichen Vollmacht siehe die Ausführungen zu Art 52. Für die entsprechende Regelung im HUntVerfÜbk 2007 Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 120. Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 122; Geimer/Schütze/Picht Rn 7. Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 123. Die Regelung in Art 6 Abs 2 lit a HUntVerfÜbk 2007 ist weiter und bezieht sich auf die juristische Unterstützung, die die Prozesskostenhilfe mit einschließt. Hierzu Art 44 Rn 12.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

die Prozesskostenhilfe im ersuchten Mitgliedstaat. Er betrifft nur die Prozesskostenhilfe für den Antragsteller nach Art 56, nicht für die Gegenpartei. 2. Ausfindigmachung des Aufenthaltsortes (lit b) 8 Diese Aufgabe kann entweder aus einem Antrag nach Art 56 oder aus einem Ersuchen nach

Art 53 resultieren, wenn bekannt ist oder vermutet wird, dass sich die Person im ersuchten Mitgliedstaat aufhält. In der Mehrzahl der Fälle wird der Aufenthaltsort des Unterhaltsverpflichteten ausfindig zu machen sein. Die Feststellung des Aufenthaltsortes des Unterhaltsberechtigten kann im Zusammenhang mit Anträgen nach Art 56 Abs 2 erforderlich sein.12 9 Die Zentralen Behörden haben alle erforderlichen Maßnahmen zur Ausfindigmachung des

Aufenthaltsortes zu treffen. Die Verpflichtung ist im Hinblick auf die Informationserlangung von Behörden, Verwaltungen und juristischen Personen im ersuchten Staat in Art 61 näher spezifiziert. Der Zugang zu den Daten sowie der Datenschutz für die betroffene Person ist im Einzelnen in Artt 61, 62 geregelt, sie wird nach Art 63 über die Erhebung von Daten informiert. Das Wort „insbesondere“ in Abs 2 lit b macht deutlich, dass sich die Tätigkeit der ersuchten Zentralen Behörde nicht in der Anfrage bei Behörden und Verwaltungen nach Art 61 erschöpft, vielmehr auch andere Möglichkeiten in Betracht kommen. 3. Informationen über das Einkommen (lit c) 10 Auch diese Aufgabe kann sich aus einem Antrag nach Art 56 oder einem besonderen Er-

suchen nach Art 53 Abs 1 ergeben. Lit c bezieht sich sowohl auf den Unterhaltsberechtigten als auch -verpflichteten. Die Informationen betreffen das Einkommen und – soweit erforderlich – weitere finanzielle Umstände13 sowie die Belegenheit des Vermögens. Ob neben dem Einkommen über weitere Vermögensverhältnisse Informationen einzuholen sind, hängt von der mit dem Antrag angestrebten Entscheidung ab. Informationen über weitere Vermögensverhältnisse sind für das Erkenntnisverfahren dann erforderlich, wenn nach dem maßgeblichen Recht die Verpflichtung zur Unterhaltsleistung nicht nur vom Einkommen, sondern auch von der übrigen Vermögenslage abhängig ist. Die Feststellung der Belegenheit des Vermögens, des Arbeitgebers und der Bankverbindungen dient der Vorbereitung der Vollstreckung oder auch von vorläufigen sichernden Maßnahmen (hierzu lit i). Welche Feststellungen im Einzelnen für Anträge nach Art 56 erforderlich sind, obliegt dem Ermessen der ersuchten Zentralen Behörde unter Beachtung der Hinweise in den Anträgen. Das Ersuchen nach Art 53 ist durch die ersuchende Behörde zu spezifizieren und zu begründen, dabei ist das Erfordernis der Information über die anderen finanziellen Verhältnisse und die Belegenheit von Vermögen besonders zu begründen. 11 Die Zentrale Behörde kann ihre diesbezüglichen Aufgaben dadurch erfüllen, dass sie den

Unterhaltsschuldner/-gläubiger auffordert, freiwillig die entsprechenden Informationen zu liefern. Die Informationsbeschaffung auf andere Weise hat insbesondere unter Anwen12 13

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Näher Geimer/Schütze/Picht Rn 11. Im engl Text sowie im HUntVerfÜbk 2007 „other financial circumstances“, in der dt Fassung nur mit „Vermögen“ wiedergegeben; hierzu auch Geimer/Schütze/Picht Rn 13, 14.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

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dung des Art 61 zu erfolgen, der jedoch im Abs 2 die Informationsbeschaffung auf diese Weise für die Verwendung im Erkenntnisverfahren ausschließt. 4. Freiwillige Unterhaltszahlungen (lit d) Die Hauptverpflichtung der Zentralen Behörden nach lit d ist es, zur Vermeidung eines 12 Prozesses die freiwillige Erfüllung der Unterhaltspflichten zu fördern. Welche Möglichkeiten zu nutzen sind und in welcher Intensität dieser Aufgabe nachzukommen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Mediation, Schlichtung oder ähnliche Verfahren sind hierfür den Parteien nahezubringen, wenn dies angebracht ist. Solche freiwilligen Verfahren dürfen dem Unterhaltsschuldner nicht ermöglichen, die Unterhaltszahlungen hinauszuschieben. Zu nutzen sind die sich aus den nationalen Systemen ergebenden Möglichkeiten, auf den Unterhaltsschuldner einzuwirken, damit dieser freiwillig eine vollstreckbare Unterhaltsverpflichtung abgibt.14 5. Fortlaufende Vollstreckung einschließlich von Rückständen (lit e) Eine fortlaufende Vollstreckung soll nicht in jedem Fall angestrebt werden, sondern nur bei 13 wiederholten Unterhaltsrückständen.15 Lit e umfasst nicht die Kontrolle der laufenden Unterhaltszahlungen und die Mahnung eines säumigen Unterhaltsschuldners, wie sie in Mitgliedstaaten mit administrativen Systemen praktiziert werden. Die Vollstreckung von Zahlungsrückständen kann sich auf einen Titel beziehen, der allein 14 diese Rückstände betrifft. Sie kann auch einen Titel umfassen, der zur laufenden Zahlung von Unterhalt verpflichtet, dem der Unterhaltsschuldner nicht nachgekommen ist. Als erleichternde Maßnahme für die fortlaufende Vollstreckung kommt zB die Feststellung des Arbeitgebers oder der Bankverbindung in Frage, um die laufende monatliche Pfändung beantragen zu können. Zu den erleichternden Maßnahmen gehört die Beauftragung einer kompetenten Person, die entsprechende Anträge bei dem zuständigen Gericht/der Behörde für die fortlaufende Vollstreckung oder die Vollstreckung wegen der Rückstände stellt.16 6. Unterhaltsüberweisung (lit f) Gefördert werden soll eine kostengünstige, risikoarme und schnelle Überweisung des Un- 15 terhalts. Soweit es ein nationales System der Eintreibung laufender Unterhaltszahlungen gibt, kann darauf zurückgegriffen werden. 7. Unterstützung bei der Beweiserhebung (lit g) Die darauf gerichteten Maßnahmen kommen insbesondere bei entsprechenden Ersuchen 16 nach Art 53 in Frage. Typisch ist der Fall, dass in einem Mitgliedstaat ein Prozess geführt wird, es zB um die Änderung eines Unterhaltstitels geht, und für die Entscheidung Tatsa14 15 16

Näher Geimer/Schütze/Picht Rn 17 f. So Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 155, zu Art 6 Abs 2 lit e HUntVerfÜbk 2007. Zur Vollmacht siehe Art 52.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

chen in Bezug auf den konkreten Fall, aber auch zu den allgemeinen Lebensumständen in dem anderen Mitgliedstaat zu ermitteln sind. Das Gericht kann hier das ausdrücklich vorbehaltende Verfahren der EG-BewVO wählen. Es kann jedoch auch den weniger formellen Weg über die eigene Zentrale Behörde gehen, die dann ein Ersuchen nach Art 53 stellt. Welcher Weg gewählt werden sollte, hängt von den zu ermittelnden Tatsachen ab und welche Beweise hierfür in Betracht kommen. 17 Lit g stellt eine Ergänzung zu lit c dar und findet Anwendung, wenn es um erforderliche

Informationen geht, die nicht das Einkommen, die Vermögensverhältnisse und das Vermögen der Parteien betrifft. 18 Der Begriff Beweis ist weit auszulegen.17 Er umfasst alle Daten, die öffentlich im ersuchten

Staat verfügbar sind; es können aber auch Dokumente sein, die nur auf Nachfrage zu erhalten sind oder auch solche, die nur im Rahmen eines gerichtlichen Prozesses zugänglich sind.18 Im letzteren Fall ist vor allem abzuwägen, ob nicht ein Ersuchen nach der EG-BewVO der effektivere Weg wäre, zB für eine Beweiserhebung durch eidesstattliche Versicherung. 8. Feststellung der Abstammung (lit h) 19 Die Abstammung eines Kindes von einem Elternteil ist nicht Gegenstand der EG-UntVO.

Eine Unterhaltspflicht aus dem Eltern-Kind-Verhältnis besteht nur, wenn die Elternschaft der in Anspruch genommenen Person feststeht. Deshalb ist es zweckmäßig, die Zusammenarbeit der Zentralen Behörden in Bezug auf die grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern auch auf die Feststellung der Elternschaft zu erstrecken. 20 Die Hilfeleistung in Bezug auf die Feststellung der Abstammung ist beschränkt darauf, dass

sie zur Geltendmachung der Unterhaltspflicht erforderlich ist.19 Anträge zur Herbeiführung von Entscheidungen im ersuchten Mitgliedstaat nach Art 56 Abs 1 lit d können die Feststellung der Abstammung mit einschließen. Ein isolierter Antrag nach Art 56, die Feststellung der Abstammung herbeizuführen, ist nicht möglich. Anders ist es bei Ersuchen nach Art 53. Ein Ersuchen um Hilfeleistung bei der Feststellung der Abstammung ist darauf gerichtet, die Vorfrage zu klären, ob die betreffende Person Unterhaltsverpflichteter ist, bevor ein Antrag nach Art 56 Abs 1 lit d gestellt wird. 21 Die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten unterscheiden sich erheblich hin-

sichtlich der Feststellung der Elternschaft für den Unterhalt und die zur Verfügung stehenden Verfahren. So kann zB in Frankreich inzident im Unterhaltsprozess die Abstammung als Vorfrage geklärt werden, jedoch nur mit Wirkung für diesen begrenzten Zweck.20 In anderen Ländern, wie in Deutschland, muss die Abstammung erga omnes feststehen, um den Anspruch auf Unterhalt zu begründen. In einigen Ländern kann der genetische Test nur 17 18 19 20

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Geimer/Schütze/Picht Rn 25. Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 166. Geimer/Schütze/Picht Rn 27. Siehe Art 342, der subsidiär zu Art 324 cc (Urteile in Abstammungssachen) ist. Die deutsche Übersetzung dieser Art des franz Zivilgesetzbuches findet sich bei Bergmann/Ferid/Henrich/Chaussade-Klein/Henrich Frankreich (1.8.2009).

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 51 EG-UntVO

durch gerichtlichen Beschluss angeordnet werden. Grenzüberschreitend bedarf es dann eines Rechtshilfeersuchens nach der EG-BewVO. Ein solches Ersuchen kommt jedoch auch im Zusammenhang mit der Durchführung eines Unterhaltsverfahrens oder eines Verbundverfahrens, in dem die Abstammung geklärt wird, im ersuchenden Mitgliedstaat in Frage. In diesem Fall, – wenn bereits ein Gericht des ersuchenden Staates befasst ist –, kann die unmittelbare Rechtshilfe nach der EG-BewVO in Bezug auf die Klärung der Abstammung in Anspruch genommen werden.21 Die möglichen Hilfsmaßnahmen sind abhängig vom Recht des ersuchten Mitgliedstaates. 22 Beispiele sind Information über die rechtlichen Erfordernisse für einen genetischen Test, die zuständigen Institutionen, Hilfe bei dem Nachweis der Elternschaft, wenn nach dem Recht des ersuchten Staates die Elternschaft kraft gesetzlicher Vermutung besteht, Aufnahme eines Kontaktes mit dem vermeintlichen Vater, damit dieser die Vaterschaft anerkennt oder sich freiwillig einem genetischen Test unterzieht oder auch die Einleitung eines gerichtlichen Prozesses zur Feststellung der Elternschaft.22 9. Sichernde einstweilige Maßnahmen (lit i) Von Bedeutung sind insbesondere Maßnahmen, die Vermögensverschiebungen und -ver- 23 schleierungen unterbinden, um die Durchsetzung von Unterhaltsverpflichtungen zu sichern. Solche Maßnahmen können bei Anträgen nach Art 56 ergriffen werden. Sie kommen jedoch auch bei entsprechenden Ersuchen nach Art 53 in Betracht, zB, wenn im ersuchenden Mitgliedstaat ein Unterhaltsverfahren eingeleitet ist und der Unterhaltsverpflichtete Vermögen im ersuchten Mitgliedstaat hat. Die Kriterien für die Einleitung oder die Unterstützung zur Einleitung solcher Verfahren stimmen überein mit denen für die Inanspruchnahme der Zuständigkeit für solche Verfahren nach Art 14.23 Es muss sich um eine vorläufige oder zeitlich begrenzte Maßnahme handeln. Sie muss hinsichtlich ihrer Wirkungen auf das Territorium des ersuchten Staates begrenzt sein. Es kann sich auch um eine Maßnahme in einem Verfahren handeln, in dem die Gegenseite kein rechtliches Gehör erhält.24 Sie muss erforderlich für die Absicherung des Erfolges des anhängigen Unterhaltsverfahrens sein.25 Das Erfordernis bezieht sich sowohl auf die Verhältnismäßigkeit als auch auf die Art der Maßnahme. Erstere meint, dass überhaupt eine Gefährdung der Leistung des Unterhalts bestehen muss. Letztere bedeutet, dass die Maßnahme für den konkreten Sicherungszweck geeignet, erforderlich und angemessen ist.26 Das Erfordernis ist im Ersuchen nach Art 53 darzulegen. Bei einem Antrag nach Art 56 kommt sowohl ein zusätzliches diesbezügliches Ersuchen der ersuchenden Zentralen Behörde als auch die Einleitung einer sichernden einstweiligen Maßnahme – kraft eigener Initiative – der ersuchten Behörde gemäß den Umständen des Einzelfalls in Frage.

21 22

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25 26

Näheres hierzu ua Rauscher/von Hein Art 1 EG-BewVO Rn 28 ff. Zur entsprechenden Regelung im HUntVerfÜbk 2007 Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 176. Hierzu Art 14, so auch Geimer/Schütze/Picht Rn 30. Zur entsprechenden Regelung im HUntVerfÜbk 2007 Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 182. Geimer/Schütze/Picht Rn 31. Geimer/Schütze/Picht Rn 31.

Marianne Andrae

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Art 51 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

10. Zustellung von Schriftstücken (lit j) 24 Lit j behält die Anwendung der EG-ZustellVO vor, ermöglicht jedoch die Zustellung auf

einem zweiten Weg über die Zentralen Behörden der Mitgliedstaaten. Diese Möglichkeit erleichtert die Zustellung, wenn die Zentralen Behörden oder andere von einer Zentralen Behörde beauftragte Institution Schriftstücke an die Beteiligten oder umgekehrt zu übersenden haben. Der Vorteil besteht auch darin, dass alle Schriftstücke, die sich auf die einzelne Unterhaltssache beziehen, die Zentralen Behörden passieren, womit sie den Gang des Verfahrens verfolgen können. Lit j begründet nicht die Verpflichtung der Zentralen Behörden, die Zustellung selbst zu übernehmen. Die Zustellung ist nach der Regelung zu erleichtern. Möglich ist die Organisation unter Wahrung der rechtlichen Erfordernisse unter Hinzuziehung anderer Institutionen, selbst privater Einrichtungen.27 V. Wahrnehmung durch andere Einrichtungen (Abs 3) 25 Die in Art 51 Abs 1 und 2 aufgelisteten Aufgaben der Zentralen Behörden können auf

öffentliche Einrichtungen übertragen werden. Möglich ist auch die Übertragung auf andere Stellen, jedoch müssen diese hinsichtlich der übertragenden Aufgaben der Aufsicht der zuständigen Behörden unterliegen. Die Anforderungen an die Überwachung müssen bereits aus Gründen des Datenschutzes streng sein.28 Abs 3 schafft für die Mitgliedstaaten Flexibilität für die institutionelle Anpassung in das jeweilige rechtliche Verwaltungssystem. Die Übertragung von Aufgaben auf öffentliche Einrichtungen und andere Stellen muss im Recht des betreffenden Mitgliedstaates vorgesehen sein, dabei ist der Umfang ihrer Zuständigkeiten festzulegen. Nur Einrichtungen und andere Stellen, denen durch die innerstaatliche rechtliche Regelung selbst oder auf der Grundlage dieser Regelung im formalen Sinne Aufgaben nach Abs 1 und 2 übertragen werden, fallen unter Abs 3. Sie sind vom Mitgliedstaat, einschließlich von Kontaktdaten und Zuständigkeiten der Kommission, gemäß Art 71 mitzuteilen. In Deutschland kann gemäß § 4 Abs 3 AUG die Festlegung einer solchen Aufgabenwahrnehmung durch Rechtsverordnung des Bundesministerium der Justiz erfolgen. 26 Andere Einrichtungen, Stellen und Personen, denen sich die Zentrale Behörde zur Erfüllung

der Aufgaben nach Art 51 bedient, sind nicht von Abs 3 erfasst. VI. Die den Gerichten vorbehaltenen Zuständigkeiten (Abs 4) 27 Abs 4 hat klarstellende Funktion. Die Regelungen zu den Aufgaben der Zentralen Behörden

berühren nicht die in den Mitgliedstaaten den Gerichten ausschließlich vorbehaltenen Zuständigkeiten. Soweit dies der Fall ist, kann sich die Hilfeleistung der Zentralen Behörde nur auf die Einleitung eines solchen Verfahrens und die Unterstützung bei der Prozessführung beziehen.

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Zur entsprechenden Regelung im HUntVerfÜbk 2007 Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 190; Hierzu auch Geimer/Schütze/Picht Rn 34, 35. Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 193 in Bezug auf die entsprechende Bestimmung im HUntVerfÜbk 2007.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 52 EG-UntVO

Artikel 52: Vollmacht Die Zentrale Behörde des ersuchten Mitgliedstaats kann vom Antragsteller eine Vollmacht nur verlangen, wenn sie in seinem Namen in Gerichtsverfahren oder in Verfahren vor anderen Behörden tätig wird, oder um einen Vertreter für diese Zwecke zu bestimmen.

Art 52 regelt nur Teilaspekte einer Vollmacht, die ein Antragsteller der Zentralen Behörde 1 des ersuchten Mitgliedstaates erteilt. Er bezieht sich nur auf die Frage, in welchen Fällen eine Vollmachterteilung verlangt werden kann. Die Zentrale Behörde muss im Namen des Antragstellers in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren tätig werden. Um welches Verfahren es sich dabei konkret handelt, ergibt sich aus dem Antrag nach Art 56. Im Einzelfall kann auch im Rahmen der Realisierung besonderer Maßnahmen eine Vollmachterteilung erforderlich sein, zB bei Ersuchen um einstweilige sichernde Maßnahmen. Die Vollmacht kann auch einschließen, Untervollmacht zu erteilen, zB an einen Rechts- 2 anwalt oder eine Behörde, die in dem Mitgliedstaat die Vertretung in Unterhaltssachen übernimmt. Die Worte „kann vom Antragsteller eine Vollmacht nur verlangen“ bedeuten, dass mit Art 52 3 die Vollmacht nicht begründet wird, sondern die Zentrale Behörde ein Recht auf Vollmachterteilung im geregelten Umfang hat.1 Der zwingende Inhalt eines Antrags gemäß Art 57 sieht eine Vollmachterteilung nicht vor, auch die Formblätter für die Anträge enthalten die Vollmacht nicht. In Bezug auf Anträge nach Art 56 ist es möglich, dass die innerstaatlichen Ausführungsbestimmungen der Mitgliedstaaten zur EG-UntVO die Bevollmächtigung ihrer Zentralen Behörden in dem durch Art 52 vorgeschriebenen Umfang gesetzlich festlegen. Dies schafft Rechtssicherheit und erübrigt die Erteilung von rechtsgeschäftlichen Vollmachten.2 Wird die Vollmacht gesetzlich nicht vorgesehen, so muss insoweit eine rechtsgeschäftliche Vollmacht erteilt werden. Fehlt es an einer ausdrücklichen Vollmachtserteilung, so ist von einer konkludenten auszugehen, wenn die Realisierung des Antrags nach Art 56 erfordert, dass die ersuchte Zentrale Behörde oder eine andere von ihr bevollmächtigte Person im Namen des Antragstellers tätig wird.3 Dies steht auch in Übereinstimmung mit Art 56 Abs 3, der den Beistand oder die Vertretung des Antragstellers durch die Zentrale Behörde in Fällen der Prozesskostenhilfe vorsieht. Der Inhalt der Vollmacht bestimmt sich nach dem Recht des angerufenen Gerichts bzw der 4 Behörde, in dem durch Art 52 umschriebenen Rahmen. Für die besonderen Maßnahmen nach Art 53 gibt es keinen Antrag der unterhaltsberech- 5 tigten oder -verpflichteten Person. Soll in deren Namen im Mitgliedstaat der ersuchten Zentralen Behörde ein Verfahren, zB im einstweiligen Rechtsschutz, eingeleitet werden, bedarf es hierzu einer ausdrücklich erteilten Vollmacht. 1 2 3

Wie hier Geimer/Schütze/Picht Rn 2. Wie hier Geimer/Schütze/Picht Rn 2. Wie hier Geimer/Schütze/Picht Rn 5; MünchKommFamFG/Lipp Rn 3 weist richtig darauf hin, dass dies dann nicht zu einer wirksamen Vollmacht führt, wenn für diese eine besondere Form vorgeschrieben ist. Für das deutsche Recht vgl § 80 ZPO.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Art 53 EG-UntVO

6 In Deutschland gilt die Zentrale Behörde in Bezug auf eingehende Gesuche als bevollmäch-

tigt, im Namen des Antragsstellers selbst oder in Untervollmacht durch Vertreter außergerichtlich oder gerichtlich tätig zu werden, siehe § 5 Abs 4 AUG. Die Vollmacht umfasst insbesondere: die Regelung des Unterhaltsanspruchs im Wege des Vergleichs oder eines Anerkenntnisses, die Stellung eines Unterhaltsantrags bei Gericht und die zur Vollstreckung erforderlichen Tätigkeiten. Die gesetzliche Fiktion betrifft nur das Verhältnis zu Dritten; im Innenverhältnis zum Antragsteller finden die Grundsätze des Auftragsrechts entsprechend Anwendung.4

Artikel 53: Ersuchen um Durchführung besonderer Maßnahmen (1) Eine Zentrale Behörde kann unter Angabe der Gründe eine andere Zentrale Behörde auch dann ersuchen, angemessene besondere Maßnahmen nach Artikel 51 Absatz 2 Buchstaben b, c, g, h, i und j zu treffen, wenn kein Antrag nach Artikel 56 anhängig ist. Die ersuchte Zentrale Behörde trifft, wenn sie es für notwendig erachtet, angemessene Maßnahmen, um einem potenziellen Antragsteller bei der Einreichung eines Antrags nach Artikel 56 oder bei der Feststellung behilflich zu sein, ob ein solcher Antrag gestellt werden soll. (2) Im Falle eines Ersuchens hinsichtlich besonderer Maßnahmen im Sinne des Artikels 51 Absatz 2 Buchstaben b und c holt die ersuchte Zentrale Behörde die erbetenen Informationen ein, erforderlichenfalls in Anwendung von Artikel 61. Informationen nach Artikel 61 Absatz 2 Buchstaben b, c und d dürfen jedoch erst eingeholt werden, wenn die berechtigte Person eine Ausfertigung einer zu vollstreckenden Entscheidung, eines zu vollstreckenden gerichtlichen Vergleichs oder einer zu vollstreckenden öffentlichen Urkunde, gegebenenfalls zusammen mit dem Auszug nach den Artikeln 20, 28 oder 48, vorlegt. Die ersuchte Zentrale Behörde übermittelt die eingeholten Informationen an die ersuchende Zentrale Behörde. Wurden diese Informationen in Anwendung von Artikel 61 eingeholt, wird dabei nur die Anschrift des potenziellen Antragsgegners im ersuchten Mitgliedstaat übermittelt. Im Rahmen eines Ersuchens im Hinblick auf die Anerkennung, die Vollstreckbarkeitserklärung oder die Vollstreckung wird dabei im Übrigen nur angegeben, ob überhaupt Einkommen oder Vermögen der verpflichteten Person in diesem Staat bestehen. Ist die ersuchte Zentrale Behörde nicht in der Lage, die erbetenen Informationen zur Verfügung zu stellen, so teilt sie dies der ersuchenden Zentralen Behörde unverzüglich unter Angabe der Gründe mit. (3) Eine Zentrale Behörde kann auf Ersuchen einer anderen Zentralen Behörde auch besondere Maßnahmen in einem Fall mit Auslandsbezug treffen, der die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen betrifft und im ersuchenden Mitgliedstaat anhängig ist. (4) Die Zentralen Behörden verwenden für Ersuchen nach diesem Artikel das in Anhang V vorgesehene Formblatt. I. II. III.

4

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Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antragsvorbereitung (Abs 1 und 2) 1. Maßnahmenkatalog und angemessene Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erkenntnisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2

3 4

b) Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2. Notwendigkeit und Angemessenheit der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3. Anwendung von Art 61 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 4. Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Begr BT-Drs 17/4887, 35.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden IV.

Verfahren im ersuchenden Mitgliedstaat 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2. Maßnahmenkatalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Art 53 EG-UntVO 3. Grenzen besonderer Maßnahmen . . . . . 28 4. Ablauf der Zusammenarbeit/ Ermessensentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

I. Anwendungsbereich Art 53 regelt die Zusammenarbeit der Zentralen Behörden der Mitgliedstaaten in einem 1 Einzelfall, in dem kein Antrag der berechtigten oder verpflichteten Person iSd Art 56 gestellt ist. Die ersuchte Zentrale Behörde ergreift bestimmte Maßnahmen nach Art 51 Abs 2, um die sie die Zentrale Behörde eines anderen Mitgliedstaates ersucht hat.1 In Abgrenzung zu den Maßnahmen, die im Zusammenhang mit den Anträgen nach Art 56 getroffen werden, sind sie als besondere Maßnahmen bezeichnet. Die unterhaltsberechtigte oder -verpflichtete Person bzw eine öAwE nach Art 64 hat kein Antragsrecht in Bezug auf die besonderen Maßnahmen.2 II. Fallsituationen Die erste Situation ist in Abs 1 und 2 geregelt. Es gibt einen potentiellen Antragsteller im 2 Mitgliedstaat der ersuchenden Zentralen Behörde für einen Antrag gemäß Art 56. Die speziellen Maßnahmen dienen der Vorbereitung der Antragstellung oder auch dazu, den Antragsteller mit den Kenntnissen auszustatten, die es ihm ermöglichen, zu entscheiden, ob er überhaupt einen Antrag stellt. Sie können auch vorläufige Sicherungsmaßnahmen einschließen. Eine weitere Situation ist von Abs 3 erfasst: Ein Verfahren, das die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen betrifft, ist im Mitgliedstaat der ersuchenden Behörde anhängig. Die besonderen Maßnahmen dienen der Unterstützung der Durchführung dieses gerichtlichen Verfahrens und können auch auf vorläufige Sicherungsmaßnahmen gerichtet sein. III. Antragsvorbereitung (Abs 1 und 2) 1. Maßnahmenkatalog und angemessene Maßnahmen Die von Abs 1 erfassten besonderen Maßnahmen sind auf zweierlei Weise beschränkt. Zum 3 einen muss es sich um Maßnahmen nach Art 51 Abs 1 lit b, c, g, h, i und j handeln. Der Maßnahmenkatalog ist nicht erweiterungsfähig.3 Die Maßnahmen müssen zum anderen in angemessener Relation zu den Gründen stehen, die das Ersuchen um die besonderen Maßnahmen hervorrufen. Angemessenheit bedeutet, dass die Informationen nicht weitergehen müssen und zum Schutz des Unterhaltsverpflichteten nicht weitergehen dürfen, als dies zur Entscheidungsfindung erforderlich ist. Sie haben nur soweit zu gehen, einen Antrag zu ermöglichen und Entscheidungshilfe in Bezug auf die Zweckmäßigkeit eines Antrags zu geben bzw Ansprüche durch einstweilige Maßnahmen zu sichern. Die besonderen Maß-

1 2 3

MünchKommFamFG/Lipp Rn 5. Borrás/Degeling-Bericht Rn 194. MünchKommFamFG/Lipp Rn 6.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

nahmen sind nicht dazu bestimmt, vorweg die im Verfahren zu ermittelnden Umstände zu klären. a) Erkenntnisverfahren 4 Für das Erkenntnisverfahren ist das Ersuchen um Ausfindigmachung des Aufenthaltsortes

des Unterhaltsverpflichteten oder Unterhaltsberechtigten von besonderer Bedeutung (Art 51 Abs 2 lit b). Zwar muss der Antrag nach Art 56 Abs 1 lit c-e die Anschrift des Antragsgegners nicht enthalten, wenn sie nicht bekannt ist. Die vorhergehende Klärung kann jedoch dazu dienen, festzustellen, ob er überhaupt seinen gewöhnlichen Aufenthalt im ersuchten Staat als Voraussetzung für die Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates für Entscheidungen in der Sache hat. Einschlägige Informationen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Gegenpartei (Art 51 Abs 2 lit c) würden zwar wesentlich die Entscheidung über die Einleitung eines Verfahrens in der Unterhaltssache erleichtern. Eine restriktive Handhabung folgt aus dem notwendigen Schutz personenbezogener Daten und daraus, dass die für den Unterhaltsanspruch relevanten Einkommens- und Vermögensverhältnisse auf der Grundlage des maßgeblichen Rechts im Verfahren zu klären sind. Derartige Informationen, die von den Zentralen Behörden nach Art 61 eingeholt werden, sind nach Art 61 Abs 2 S 2 für die Herbeiführung einer Sachentscheidung und damit auch in ihrem Vorfeld ausgeschlossen. 5 Fehlen für einen Antrag nach Art 56 erforderliche Urkunden aus dem anderen Mitglied-

staat, so können deren Zentrale Behörden ersucht werden, diese zu beschaffen (Art 51 Abs 2 lit g). Im Vorfeld der Antragstellung kann als besondere Maßnahme um Unterstützung der Feststellung der Abstammung ersucht werden. Die diesbezüglichen Möglichkeiten bestimmen sich nach dem Recht des ersuchten Staates, vorbehalten sind die Befugnisse, die ausschließlich den Gerichten zukommen.4 6 Der Verweis auf Art 51 Abs 2 lit i kann nur dahingehend verstanden werden, dass es eines

anhängigen Unterhaltsantrags bei Ersuchen nach Art 53 Abs 1 nicht bedarf. Für die erfassten Fälle ist gerade charakteristisch, dass ein Antrag nach Art 56 noch nicht gestellt ist, mit der Folge, dass im Mitgliedstaat der ersuchten Behörde noch kein Unterhaltsverfahren anhängig ist. Möglich ist deshalb ein Ersuchen, ein Verfahren bei dem zuständigen Gericht/der zuständigen Behörde einzuleiten oder zu fördern, um eine vorläufige Anordnung über Unterhaltszahlung zu erreichen. Hierbei ist die Notwendigkeit der vorläufigen Maßnahme zu begründen. Für die Maßnahme selbst bedarf es einer Bevollmächtigung durch den potentiellen Antragsteller. 7 Die Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke (Art 51 Abs 2 lit j) ist zwar auch im Rahmen

der EG-ZustellVO möglich. Eine Zustellung über die Zentrale Behörde des Mitgliedstaates, in dem voraussichtlich das Verfahren eingeleitet wird, weist jedoch Vorteile auf. Sie unterliegt zum einen nicht dem Verfahrensgang und den Formalien der EG-ZustellVO. Zum anderen kann das Ersuchen um Aufenthaltsermittlung mit der Zustellung zB einer Leistungsaufforderung, die den Schuldner in Verzug setzt, verbunden werden. Letztlich wird damit die ersuchte Behörde frühzeitig mit der Unterhaltssache befasst.

4

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Hierzu Art 51 Rn 27.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 53 EG-UntVO

b) Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung Für die Entscheidung über eine Antragstellung oder die Vorbereitung des Antrags auf An- 8 erkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung ist gleichfalls das Ersuchen um Feststellung des Aufenthaltsortes des Unterhaltsverpflichteten von besonderer Bedeutung (Art 51 Abs 1 lit b). Vorabinformationen über seine finanzielle Situation (Art 51 Abs 2 lit c) sind notwendig, wenn nicht ausgeschlossen ist, dass er kein regelmäßiges Einkommen hat oder ein Einkommen, das unter der Pfändungsgrenze liegt und außerdem möglicherweise kein pfändbares Vermögen vorhanden ist. Sie erleichtern die Entscheidung darüber, ob die Vollstreckbarerklärung und/oder die Vollstreckung im Mitgliedstaat des ersuchten Gerichts betrieben werden sollte. Von besonderer Bedeutung ist außerdem ein Ersuchen um vorläufige sichernde Maßnahmen nach Art 51 Abs 2 lit i. Auch hier ist nach dem Sinn der Verweisung in Art 53 Abs 1 vom Erfordernis eines anhängigen Unterhaltsantrags abzusehen. Rechtspraktisch kann das Ersuchen um einschlägige Informationen nach Art 51 Abs 2 lit c zur Einkommens- und Vermögenssituation mit einem Ersuchen auf vorläufige sichernde Maßnahmen verbunden werden, wie sie nach der Rechtsordnung des Mitgliedstaates der ersuchten Behörde zulässig sind. Zwar ist der ersuchenden Behörde nach Abs 2 UAbs 2 auf das Ersuchen hin nur anzugeben, ob überhaupt Einkommen oder Vermögen vorhanden ist, soweit die Information auf Art 61 beruht; jedoch berührt die Einschränkung nicht die Möglichkeit der ersuchten Behörde, aufgrund des Ersuchens eine einstweilige sichernde Maßnahme einzuleiten. Auch hierfür bedarf es wiederum einer entsprechenden Bevollmächtigung durch den potentiellen Antragsteller. 2. Notwendigkeit und Angemessenheit der Maßnahme Die ersuchte Zentrale Behörde braucht die besondere Maßnahme, um die sie ersucht wird, 9 nur zu tätigen, wenn sie diese für notwendig hält. Die Entscheidung liegt also bei der ersuchten Behörde, auf ihre Sicht kommt es an. Die Notwendigkeit ist zu messen an dem Zweck der besonderen Maßnahme, den potentiellen Antragsteller bei der Einreichung des Antrags oder bei der Entscheidung darüber zu unterstützen, ob ein Antrag gestellt werden sollte.5 Ist die Maßnahme notwendig, so hat sie selbst in Bezug auf die konkrete Maßnahmen- 10 realisierung angemessen zu sein. Wenn also zB das Ersuchen um Feststellung des Aufenthaltsortes angemessen (Abs 1 S 1) und zugleich notwendig ist, um die Entscheidung in Bezug auf die Antragstellung zu unterstützen, dann hat die ersuchte Behörde hierfür die Maßnahmen im Rahmen des nationalen Rechts zu treffen, die angemessen unter Berücksichtigung des Zwecks der Feststellung sind.6 3. Anwendung von Art 61 Informationen über den Aufenthalt einer Person, über ihr Einkommen und über die sons- 11 tige Vermögenssituation, einschließlich der Belegenheit von Vermögen, sind von der ersuchten Behörde, erforderlichenfalls in Realisierung der besonderen Maßnahme, unter Anwendung von Art 61 zu beschaffen.

5 6

MünchKommFamFG/Lipp Rn 8. Im Ergebnis so Borrás/Degeling-Bericht Rn 201, 204.

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Art 53 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

12 Die Zentralen Behörden haben also, soweit die Einholung der Informationen erforderlich

und angemessen ist, die nach Art 61 gegebenen Informationsquellen in Anspruch zu nehmen. Dabei sieht Abs 2 erhebliche Einschränkungen vor, um die betroffene Partei vor Datenmissbrauch zu schützen. Es soll gesichert werden, dass die Informationen allein für den in Abs 1 S 2 genannten Zweck der Maßnahme genutzt werden. Verhindert werden soll, dass auf diese Weise Informationen beschafft werden, die ansonsten nicht frei zugänglich sind, um sie dann in anderem Zusammenhang ausnutzen zu können. 13 Keinen besonderen Beschränkungen unterliegt die Informationsermittlung über die in

Art 61 genannten Institutionen und ihre Weitergabe an die ersuchende Zentrale Behörde in Bezug auf die Anschrift der verpflichteten oder berechtigten Person nach Art 61 Abs 2 S 2 lit a. Der potentielle Antrag kann auf die Herbeiführung einer Sachentscheidung oder auf die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung oder Vollstreckung gerichtet sein. 14 Anderes gilt für Informationen über das Einkommen der verpflichteten Person, Nennung

des Arbeitgebers und/oder der Bankverbindungen der verpflichteten Person und über ihr Vermögen (Art 61 Abs 2 S 2 lit b, c, d). Betrifft der potentielle Antrag ein Erkenntnisverfahren (Erstentscheidung oder Änderungsentscheidung), so können solche Informationen nach Art 61 nicht eingeholt und weitergeleitet werden. Das folgt sowohl aus Art 61 Abs 2 S 3 als auch aus Art 53 Abs 2 S 2. Ihre Erteilung ist in Bezug auf ein Ersuchen zulässig, das sich auf einen potentiellen Antrag auf Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und/oder Vollstreckung bezieht. Als Beweis dafür hat die berechtigte Person eine Ausfertigung des vollstreckbaren Titels (Entscheidung, gerichtlicher Vergleich oder öffentliche Urkunde) der ersuchenden Behörde vorzulegen, gegebenenfalls einen Auszug des Titels gemäß Formblatt nach Art 20, 28 oder 48. Gegebenenfalls bedeutet, dass der entsprechende Auszug nur vorzulegen ist, wenn er im konkreten Fall ausgefertigt wurde oder seine Ausstellung erwirkt werden kann. Soll zB aus einem Titel, der im ersuchten Mitgliedstaat ergangen ist, vollstreckt werden, so bedarf es keines Auszugs. Handelt es sich um einen Titel aus einem Nichtmitgliedstaat, so entfällt natürlich gleichfalls das Erfordernis eines solchen Auszugs. Ausfertigung und Auszug sind der ersuchten Zentralen Behörde nicht zu übersenden. Die Vorlage ist im Formblatt für das Ersuchen durch die ersuchende Behörde zu vermerken. Von den unter Anwendung des Art 61 erhaltenen Informationen leitet die ersuchte Behörde an die ersuchende Behörde nur die Angabe weiter, ob überhaupt Einkommen und Vermögen in diesem Staat vorhanden sind, alle anderen Informationen werden vorbehalten. 4. Verfahrensablauf 15 Für ein Ersuchen nach Abs 1 bedarf es keines formellen Antrags. Rechtspraktisch wird sich

eine Person an die Zentrale Behörde ihres Aufenthaltsstaates gewandt haben und diese wird – wenn dies die konkrete Situation für zweckmäßig erscheinen lässt – empfehlen, dass sie zunächst vorweg um besondere Maßnahmen in dem anderen Mitgliedstaat ersucht. Der potentielle Antragsteller muss seinen Aufenthalt im ersuchenden Staat haben, denn nur dann kommt ein Antrag nach Art 56 in Frage. Die erwünschten Maßnahmen sind im Ersuchen zu bestimmen. Soll eine vorläufig sichernde Maßnahme nach Art 51 Abs 2 lit i ergriffen werden, ist eine entsprechende Bevollmächtigung durch den potentiellen Antragsteller beizufügen. 16 Eine Ablehnung der Antragsbearbeitung kommt in Betracht, wenn sich die ersuchte Be-

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 53 EG-UntVO

hörde nicht in der Lage sieht, die ersuchte Maßnahme einzuleiten oder zu fördern. Dies kann zutreffen, wenn sie die Maßnahme nicht für notwendig oder angemessen hält (Abs 1) oder wenn sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen (Abs 2 UAbs 3) daran gehindert ist. Die Ablehnung der Maßnahme ist unverzüglich unter Angabe von Gründen mitzuteilen. Unverzüglich bedeutet so schnell wie möglich unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Falls und der Ressourcen der Zentralen Behörde. Eingeschlossen in der Frist ist die Prüfung der Maßnahme auf ihre Notwendigkeit, Angemessenheit und die Möglichkeiten ihrer Umsetzung sowie eine Überlegungsfrist für die Mitteilung. Insgesamt steht hierbei entsprechend dem Sinn und Zweck der Regelung nur eine kurze Frist zur Verfügung. Die 60Tage-Frist nach Art 58 Abs 4 gibt insoweit keine Orientierung, da sie eine angemessene Frist ist, aber nicht das Kriterium der Unverzüglichkeit erfüllt. Soweit die ersuchte Behörde für die ersuchte Maßnahme Kostenübernahme nach Art 54 17 Abs 2 und 3 einfordert, hat sie dies der ersuchenden Behörde mitzuteilen, damit diese die Zustimmung des potentiellen Antragstellers einholt, es sei denn, diese liegt bereits vorweg vor. Ergibt sich im Verlauf der Bearbeitung, dass die ersuchten Informationen nicht zur Ver- 18 fügung stehen, so hat hierüber gleichfalls unverzüglich eine Information an die untersuchende Behörde zu erfolgen. Die Ablehnung der Bearbeitung und ein negatives Informationsergebnis in Bezug auf die 19 ersuchte Maßnahme sind zu begründen. Aus der Begründung lassen sich eventuell Schlussfolgerungen für eine Antragstellung nach Art 56 ziehen. Unverzügliche Mitteilung und Begründung der Nichtzurverfügungstellung der Informationen gegenüber der ersuchenden Zentralen Behörde sind verpflichtend. Anders als die Durchführung der Maßnahme selbst, hat die ersuchte Behörde hierfür keinen Ermessensspielraum. IV. Verfahren im ersuchenden Mitgliedstaat 1. Anwendungsbereich Abs 3 betrifft die Situation, dass im Staat der ersuchenden Zentralen Behörde ein Verfahren 20 anhängig ist, das die Geltendmachung von Unterhalt betrifft. Dabei kann es sich um ein Erstverfahren oder um ein Abänderungsverfahren handeln. Das Verfahren muss anhängig sein. Abs 3 findet keine Anwendung, wenn es um eine Vorbereitung geht. Die Anhängigkeit bestimmt sich nach Art 9. Die Regelung ist im Hinblick auf die allgemeine Zuständigkeit in Art 3 von besonderer 21 Bedeutung. Möglich ist, den Antrag auf Leistung von Unterhalt in dem Mitgliedstaat einzubringen, in dem der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Gerade bei der Durchführung eines solchen Verfahrens an diesem Gerichtsstand können die Notwendigkeit und das Bedürfnis entstehen, die Unterstützung der Zentralen Behörden eines anderen Mitgliedstaates in Anspruch zu nehmen. Art 56 ist nicht einschlägig, weil das Verfahren im Staat der ersuchenden und nicht der ersuchten Zentralen Behörde stattfindet und deshalb auch Art 51 Abs 2 keine unmittelbare Anwendung findet. Abs 3 beschränkt sich nicht auf Fälle der Inanspruchnahme der Zuständigkeit nach Art 3 22

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Art 53 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

lit b. Erforderlich ist lediglich, dass die Unterhaltssache einen Auslandsbezug aufweisen muss.7 Worin dieser bestehen könnte, ist nicht näher, auch nicht beispielhaft, umschrieben. Oft besteht er darin, dass einer der Beteiligten seinen (gewöhnlichen) Aufenthalt im ersuchten Mitgliedstaat hat; er kann aber auch darin gesehen werden, dass einer oder beide Parteien die Staatsangehörigkeit dieses Staates besitzen und zB Urkunden oder andere Schriftstücke aus diesem Staat erforderlich sind oder die verpflichtete Person Einkommen oder Vermögen in diesem Staat hat. 2. Maßnahmenkatalog 23 Ob der Maßnahmenkatalog des Abs 1 auch für Abs 3 zutrifft, kann offen gelassen werden,

weil die dort nicht aufgenommenen Maßnahmen aus Art 51 Abs 2 für die in Abs 3 geregelten Fälle tatsächlich nicht in Frage kommen. 24 Das Ersuchen um Hilfe, den Aufenthalt des Antragsgegners im Verfahren ausfindig zu

machen (Art 51 Abs 2 lit b), ist für dieses Verfahren von zentraler Bedeutung, um die Zustellung der Schriftstücke, insbesondere des verfahrenseinleitenden, zu erreichen und damit für den Antragsgegner nicht das Recht auf Nachprüfung der Entscheidung nach Art 19 entstehen zu lassen. 25 Eingeschränkt sind die tatsächlichen Möglichkeiten der Gerichte, über ein Ersuchen der

Zentralen Behörde des Gerichtsstaates zu einschlägigen Informationen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der verpflichteten Person in einem anderen Mitgliedstaat zu kommen (Art 51 Abs 2 lit c). Der Zugang der ersuchten Zentralen Behörde zu solchen Informationen regelt sich nach Art 61, soweit Informationsträger Behörden, Verwaltungen und juristische Personen sind. Nach Art 61 Abs 2 S 3 kann die ersuchte Zentrale Behörde solche Informationen nicht anfordern, wenn es im gerichtlichen Verfahren um die Herbeiführung oder Änderung einer Entscheidung geht. Anders ausgedrückt, die wichtigsten Informationsquellen für diese für das Erkenntnisverfahren wichtigen Umstände sind den Zentralen Behörden versperrt. In diesem Zusammenhang ist wiederum kritisch der weite Anwendungsbereich des Kapitels VII anzumerken. Dieser beschränkt sich leider – anders als das HUntVerfÜbk 2007 – in Bezug auf die behördliche Zusammenarbeit nicht auf den Unterhalt gegenüber Kindern und auf den zwischen Ehegatten, soweit dieser im Zusammenhang mit dem Kindesunterhalt geltend gemacht wird. Eine solche Beschränkung hätte es erleichtert, den grenzüberschreitenden Zugang zu Informationen dieser Art für die Gerichte in derartigen Unterhaltsverfahren bei gleichzeitiger Wahrung des Datenschutzes zu ermöglichen. 26 Ob und unter welchen Voraussetzungen für das Unterhaltsverfahren Auskünfte Dritter

über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Verfahrensbeteiligten eingeholt werden können, bestimmt sich nach dem Recht des Mitgliedstaates, in dem das Verfahren anhängig ist. Sind sie zulässig und sind sie nur in einem anderen Mitgliedstaat zu erlangen, so ist es effektiver, hierfür nach der EG-BewVO vorzugehen, als die Möglichkeit nach Abs 3, Art 51 Abs 2 lit c zu nutzen, weil letztere aufgrund von Art 61 Abs 2 S 3 beschränkt ist und die Unterstützung nach Abs 3 weder verpflichtend noch ein verbindliches Verfahren der Erledigung vorgegeben ist. Zwar ist die justizielle Informationsbeschaffung in Art 1 EG7

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Hierzu auch Borrás/Degeling-Bericht Rn 206.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 53 EG-UntVO

BewVO nicht ausdrücklich genannt, auch fehlt der Einschluss anderer gerichtlicher Handlungen.8 Wird der Begriff der Beweisaufnahme weit ausgelegt,9 kann sie darunter subsumiert werden. Um den Anforderungen eines Ersuchens nach der EG-BewVO gerecht zu werden, können über die Zentralen Behörden die notwendigen Informationen darüber eingeholt werden, welche Institutionen, Behörden oder andere juristische Personen im konkreten Fall für eine Auskunft in Frage kommen, die dann im Beweishilfeersuchen bezeichnet werden. Für die Erleichterung der Beweiserhebung (Art 51 Abs 2), insbesondere durch Urkunden, gelten die Ausführungen in Art 51 Rn 16 ff entsprechend. In Bezug auf die Feststellung der Abstammung kommen in Betracht: Beschaffung entsprechender Urkunden, aus der sich die Elternschaft ergibt, Unterstützung dahingehend, eine rechtswirksame Anerkennung der Elternschaft zu erreichen oder – in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung des ersuchten Mitgliedstaates – Vaterschaftstest oder eine Blutentnahme zu ermöglichen, die anschließend zur Analyse und gerichtlichen Verwertung ins Inland verbracht wird. Im letzteren Fall hat das Gericht abzuwägen, ob ein Ersuchen nach der EG-BewVO nicht aussichtsreicher ist.10 Denkbar ist es auch, die Zentrale Behörde eines anderen Mitgliedstaates zu ersuchen, einen Abstammungsprozess einzuleiten, wenn nach dem Recht des Gerichtsstaates, unter Einschluss des IPR, die Elternschaft erga omnes als Voraussetzung für die Verteilung zum Unterhalt festgestellt werden muss. Als Alternative hierzu stehen die Einleitung eines solchen Verfahrens im Gerichtsstaat des Unterhaltsverfahrens und die Beschaffung erforderlicher Beweise mit Unterstützung der Zentralen Behörden oder durch Ersuchen nach der EG-BewVO. Ist das Unterhaltsverfahren in einem Mitgliedstaat anhängig und lebt der Unterhaltsver- 27 pflichtete in einem anderen Mitgliedstaat und/oder hat er dort Einkommen und Vermögen, so kann nach Abs 3 in Verbindung mit Art 51 Abs 2 lit i um vorläufige sichernde Maßnahmen ersucht werden. Hat das Gericht in der Unterhaltssache durch einstweilige Maßnahme den Unterhalt vorläufig in einem vollstreckbaren Titel geregelt, so kann der Berechtigte, der seinen Aufenthalt im Gerichtsstaat hat, einen Antrag nach Art 56 stellen, um seine Vollstreckbarerklärung und/oder Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat – unter Inanspruchnahme der Zentralen Behörden – zu betreiben. 3. Grenzen besonderer Maßnahmen Auf Maßnahmen nach Abs 3 findet Art 51 Abs 4 entsprechend Anwendung. Die ersuchte 28 Behörde wird keine Maßnahmen treffen, die nach dem innerstaatlichen Recht ausschließlich den Gerichten obliegt.11 Die Inanspruchnahme besonderer Maßnahmen nach Abs 3 hat ihre Grenzen in den nationalen verfahrensrechtlichen Bestimmungen des ersuchenden Mitgliedstaates. Deren Einhaltung ist jedoch eine interne Angelegenheit im ersuchenden Staat und wird von der ersuchten Behörde nicht überprüft. 8 9

10

11

Anders Art 1 Abs 1 HBÜ. Hierfür Alio NJW 2004, 2706, 2707; Hess/Müller ZZPInt 6 (2001), 149, 152; Schlosser Art 1 EG-BewVO Rn 6; hierzu ausführlich Rauscher/von Hein Art 1 EG-BewVO Rn 13. Zur Anwendbarkeit der EG-BewVO mit umfangreichen Literaturhinweisen Rauscher/von Hein Art 1 EG-BewVO Rn 29, 30. Hierzu Art 51 Rn 27.

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Art 53 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

29 Ist ein Unterhaltsverfahren in Deutschland anhängig, so sind in Bezug auf Informationen

über die Einkommens- und Vermögenssituation der verpflichteten und berechtigten Person (Art 51 Abs 2 lit c) die §§ 235, 236 FamFG zu beachten. Danach hat die Auskunftserteilung der Partei auf Anordnung des Gerichts Vorrang vor der Einforderung von Auskünften und Belegen seitens Dritter. Ein deutsches Gericht kann demnach eine Information zu diesen Gegenständen erst über die Zentralen Behörden als besondere Maßnahme oder ein Ersuchen nach der EG-BewVO stellen, wenn die betreffende Partei innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist nicht oder nicht vollständig Auskunft erteilt hat. Im Übrigen ist § 236 FamFG nur auf Unterhaltssachen zugeschnitten, in denen Auskünfte bei inländischen Behörden und Institutionen einzuholen sind. Insoweit besteht eine Regelungslücke, die dadurch zu schließen ist, dass auch adäquate ausländische Informationsquellen unter Einschluss der Zentralen Behörden der Mitgliedstaaten und Vertragsstaaten des HUntVerfÜbk 2007 mit eingeschlossen werden. 4. Ablauf der Zusammenarbeit/Ermessensentscheidung 30 Im Falle des Abs 3 ersucht die Zentrale Behörde des Gerichtsstaates die Zentrale Behörde

eines anderen Mitgliedstaates um eine konkretere Maßnahme nach Art 51 Abs 2. Rechtlich gibt es, anders als bei Art 56, keinen Antrag seitens eines Antragstellers an die ersuchte Zentrale Behörde. Nicht geregelt ist, auf wen das Ersuchen zurückzuführen ist, dies könnte Gegenstand der nationalen Ausführungsbestimmungen sein. Die EG-UntVO lässt es zu, dass sich eine Partei des Verfahrens an die Zentrale Behörde des Gerichtsstaates wendet, damit diese ein Ersuchen nach Abs 3 stellt, zB wenn eine vorläufige sichernde Maßnahme angestrebt wird. Dabei kann dies darauf beruhen, dass das Gericht die Partei auffordert oder sie anregt, sich an die Zentrale Behörde zu wenden, zB um die Anschrift des Antragsgegners in einem anderen Mitgliedstaat in Erfahrung zu bringen oder um Urkunden zu erhalten. Möglich ist es jedoch auch, dass sich das Prozessgericht direkt an die Zentrale Behörde seines Landes wegen Einleitung besonderer Maßnahmen wendet.12 Das betrifft zB die Unterstützung der Beweiserhebung durch die Beschaffung von Urkunden oder durch andere Beweismittel. 31 Ob die ersuchte Behörde aufgrund eines solchen Ersuchens eine besondere Maßnahme

trifft, steht in ihrem Ermessen. Eine Rechtspflicht besteht nicht, dies bringt das Wort „kann“ zum Ausdruck. Bei der Entscheidung, ob und welche Maßnahmen in Frage kommen, wird sie wie für Abs 1 die Notwendigkeit und die Angemessenheit der Maßnahmen abwägen und dabei ihre eigenen Ressourcen berücksichtigen. Um diese Ermessensentscheidung zu ermöglichen, sind im Ersuchen die Gründe für die eingeforderten Maßnahmen darzulegen.13 Die Mitteilung über die Ablehnung der Bearbeitung des Ersuchens ist nicht geregelt, hierfür ist Abs 2 UAbs 3 entsprechend anzuwenden, was die Mitteilung über die Ablehnung und den Zeitpunkt der Mitteilung betrifft. Eine Begründung ist wünschenswert, aber nicht zwingend, da die Bearbeitung des Ersuchens im Ermessen der ersuchten Behörde steht. Zwischeninformationen über den Gang der Bearbeitung, einschließlich Fristen, sind nicht vorgesehen; Art 58 findet keine analoge Anwendung. Erbringt die Bearbeitung nicht die Informationen, um die ersucht wurde oder hat eine andere besondere Maßnahme, um die ersucht wurde, keinen Erfolg, hat eine Mitteilung entsprechend Abs 2 UAbs 3 zu erfolgen. 12 13

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Wie hier MünchKommFamFG/Lipp Rn 11. Analog Abs 1.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 54 EG-UntVO

Artikel 54: Kosten der Zentralen Behörde (1) Jede Zentrale Behörde trägt die Kosten, die ihr durch die Anwendung dieser Verordnung entstehen. (2) Die Zentralen Behörden dürfen vom Antragsteller für ihre nach dieser Verordnung erbrachten Dienstleistungen keine Gebühren erheben, außer für außergewöhnliche Kosten, die sich aus einem Ersuchen um besondere Maßnahmen nach Artikel 53 ergeben. Für die Zwecke dieses Absatzes gelten die Kosten im Zusammenhang mit der Feststellung des Aufenthaltsorts der verpflichteten Person nicht als außergewöhnlich. (3) Die ersuchte Zentrale Behörde kann sich die außergewöhnlichen Kosten nach Absatz 2 nur erstatten lassen, wenn der Antragsteller im Voraus zugestimmt hat, dass die Dienstleistungen mit einem Kostenaufwand in der betreffenden Höhe erbracht werden. I. II. III. IV.

Gegenstand der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigene Kostentragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gebührenfreiheit für den Antragsteller nach Art 56 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 4

Kosten für Ersuchen nach Art 53 . . . . . . . . . . 7 Kosten der Feststellung des Aufenthaltsortes der verpflichteten Person . . . . . . . . . . . 10 VII. Übersetzungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

V. VI.

5

I. Gegenstand der Regelung Gegenstand der Regelung ist die Tragung der Kosten, die den Zentralen Behörden ent- 1 stehen für die Erfüllung ihrer Aufgaben nach der EG-UntVO. Einbezogen sind auch die Leistungen der in Art 51 Abs 3 genannten Einrichtungen und Institutionen. Dies folgt daraus, dass sich aus der innerstaatlichen Aufteilung der Funktionen keine Benachteiligung für andere Mitgliedstaaten oder für Antragsteller ergeben dürfen. II. Kosten Erfasst sind die durch die administrative Tätigkeit entstandenen Kosten der Zentralen Be- 2 hörden, zB Empfang, Weiterleitung und Bearbeitung der Anträge, und die Einleitung von Maßnahmen nach Art 51 Abs 2, die als administrative Kosten bezeichnet werden können, weiterhin solche, die als eigene Dienstleistungen erbracht werden, zB, wenn die Zentrale Behörde oder die in Art 51 Abs 3 genannten Einrichtungen Dienstleistungen iSd Art 44 Abs 3 erbringen oder gemäß Art 56 Abs 3 den Beistand und die Vertretung nach Art 45 lit b unmittelbar wahrnehmen.1 Nicht erfasst werden die Kosten, die durch die Einbeziehung Dritter entstehen und die dem 3 Antragsteller unmittelbar oder der Zentralen Behörde in Rechnung gestellt werden, auch, soweit sie der Realisierung des Antrags dienen.2 Beispiele hierfür sind Übersetzungsleistungen und die Beurkundung von außergerichtlichen Erklärungen und Einigungen sowie Labortests zur Feststellung der Elternschaft außerhalb eines Gerichtsverfahrens. Die Kosten und Auslagen für vorprozessuale Rechtsberatung im Hinblick auf eine außergerichtliche 1 2

Wie hier MünchKommFamFG/Lipp Rn 2. Für die entsprechende Bestimmung von Art 8 HUntVerfÜbk 2007 Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 222.

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Art 54 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Streitbeilegung sowie für die Prozessführung sind Gegenstand der Prozesskostenhilfe nach Art 45. III. Eigene Kostentragung 4 Abs 1 betrifft die Kostentragung im Verhältnis der Zentralen Behörden zueinander. Jede

Zentrale Behörde hat die Kosten, die in Anwendung der EG-UntVO entstehen, selbst zu tragen. Ein Ausgleich/eine Verrechnung zwischen den Zentralen Behörden findet nicht statt. IV. Gebührenfreiheit für den Antragsteller nach Art 56 5 Abs 2 findet sowohl Anwendung auf die Kosten der ersuchenden als auch der ersuchten

Zentralen Behörde. S 1 regelt den Grundsatz der Gebührenfreiheit für den Antragsteller hinsichtlich der von den Zentralen Behörden erbrachten Dienstleistungen. Der Begriff Antragsteller ist im Sinne des Art 56 zu verstehen, neben einer natürlichen Person kann es auch eine öAwE iSd Art 64 sein. Gebührenfreiheit ist also einer Person zu gewähren, die im ersuchenden Mitgliedstaat ihren Aufenthalt hat und einen Antrag mit dem durch Art 56 vorgegebenen Inhalt über Vermittlung der Zentralen Behörde ihres Aufenthaltstaates (ersuchende Behörde) an die Zentrale Behörde eines anderen Mitgliedstaates (ersuchte Behörde) stellt. 6 Andere Personen sind von der Gebührenfreiheit nicht erfasst. Es ist Sache der nationalen

Gesetzgebung, sie von den Gebühren freizustellen oder Gebühren zu verlangen. So können zB einem Unterhaltsschuldner, der im Gerichtsprozess unterliegt oder dem Arbeitgeber, der eine Lohnpfändung missachtet, die der Zentralen Behörde in diesem Zusammenhang entstandenen Kosten auferlegt werden.3 V. Kosten für Ersuchen nach Art 53 7 Vom Grundsatz gilt auch hier für die Person, in deren Interesse das Ersuchen erfolgt, der

Grundsatz der Gebührenfreiheit. Die in Abs 2 S 1 HS 2 geregelte Kostentragung für außergewöhnliche Kosten ist als Ausnahme vom Grundsatz der Kostenfreiheit zu verstehen. 8 Für außergewöhnliche Kosten kann Kostenerstattung nur verlangt werden, wenn die be-

treffende Person (in der Regelung gleichfalls als Antragsteller bezeichnet) vorher zugestimmt hat, dass die betreffende Dienstleistung mit einem bestimmten Kostenaufwand erbracht wird. Die Auferlegung der Kosten ist eine Ermessensentscheidung, die Zentrale Behörde ist nach der EG-UntVO nicht verpflichtet, die Kosten geltend zu machen. Außergewöhnliche Kosten sind solche, die ungewöhnlich im Vergleich zu den normalen Dienstleistungen der Zentralen Behörden sind. Die Bestimmung lässt Spielraum für eine Differenzierung nach der Art der Dienstleistungen und der Person des Antragstellers. Durch die Handhabung lassen sich inhaltlich nicht vertretbare Differenzierungen hinsichtlich der Kostentragung in Bezug auf Anträge nach Art 56 und Ersuchen nach Art 53 vermeiden, insbesondere soweit es den Kindesunterhalt betrifft.

3

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So für die entsprechende Bestimmung im HUntVerfÜbk 2007 Borrás/Degeling-Bericht Rn 224.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 54 EG-UntVO

Die Regelung selbst ist mE nicht in allen Teilen überzeugend, weil sie nicht vordergründig 9 Gebührenfreiheit für Dienste gewährt, die der Durchsetzung der Unterhaltsverpflichtung im Eltern-Kind-Verhältnis gegenüber Kindern dienen. Art 56 erfasst neben Anträgen, die den Kindesunterhalt betreffen, den sonstigen Verwandtenunterhalt sowie den aus der Ehe und anderen Familienbeziehungen resultierenden Unterhalt. Art 54 gewährt hier Gebührenfreiheit. Dagegen können für Dienstleistungen nach Art 53 Abs 3, auch wenn es den Kindesunterhalt betrifft, Gebühren für außerordentliche Kosten erhoben werden. Art 3 ermöglicht es den Unterhaltsberechtigten, eine Entscheidung, einschließlich einer Änderungsentscheidung zum Unterhalt, in seinem Aufenthaltsstaat herbeizuführen, also keinen Prozess in einem anderen Mitgliedstaat zu führen. Dies wird er regelmäßig nutzen, zumal die EG-UntVO die Vollstreckung des Titels ohne Hindernisse in anderen Mitgliedstaaten ermöglicht. Für dieses Erkenntnisverfahren sind möglicherweise Dienstleistungen einer Zentralen Behörde zweckmäßig, was Art 53 Abs 3 ermöglicht. Es ist kein Grund ersichtlich, warum in diesen Fällen Gebühren für Dienstleistungen, die nach Art 51 Abs 2 in Bezug auf den Kindesunterhalt erbracht werden, erhoben werden können, wenn die gleichen Dienstleistungen gebührenfrei wären, wenn über einen Antrag nach Art 56 die Zuständigkeit der Gerichte des ersuchten Mitgliedstaates in Anspruch genommen wird. VI. Kosten der Feststellung des Aufenthaltsortes der verpflichteten Person Die Kosten der Feststellung des Aufenthaltsortes der verpflichteten Person gelten nicht als 10 außergewöhnlich und dürfen deshalb auch bei Ersuchen nach Art 53 nicht dem Antragsteller, der hinter einem solchen Ersuchen steht, auferlegt werden. Abs 2 S 2 gilt nicht, wenn der Aufenthaltsort der berechtigten Person ermittelt werden soll, diese Dienstleistung kann als außergewöhnlich und deshalb als kostenpflichtig angesehen werden. Fraglich ist, ob Abs 2 S 2 weit auszulegen ist und alle Kosten umfasst, die durch die Ein- 11 leitung von Maßnahmen nach Art 51 Abs 2 lit b im ersuchten Staat anfallen. Dafür spricht, dass der Aufenthaltsort der verpflichteten Person regelmäßig nicht durch die Zentrale Behörde, sondern durch die Einschaltung anderer Institutionen festgestellt werden wird. Die eigenen Kosten der Zentralen Behörden sind dann äußerst gering, einer speziellen Regelung hätte es nicht bedurft. VII. Übersetzungskosten Kosten für die notwendigen Übersetzungen sind nur in Art 44 geregelt. Danach erfasst die 12 Prozesskostenhilfe die Übersetzungen der vom Gericht oder von der zuständigen Behörde verlangten und vom Empfänger der Prozesskosten vorzulegenden Schriftstücke, die für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich sind. Daraus lässt sich folgern, dass diese Kosten von einer Partei selbst zu tragen sind, wenn sie keine Prozesskostenhilfe erhält. In der EG-UntVO fehlt eine spezielle Kostenregelung für Anträge an die Zentralen Behör- 13 den.4 Es ist deshalb davon auszugehen, dass auch die Kosten der Übersetzung im Zusam4

Art 45 Abs 2 und 3 HUntVerfÜbk 2007 sind nicht übernommen worden. Nach Abs 2 trägt danach der ersuchende Staat die Übersetzungskosten, sofern die Zentralen Behörden der betreffenden Staaten keine anderen Vereinbarungen getroffen haben. Abs 3 sieht vor, dass die ersuchende Zentrale Behörde dem Antragsteller die Kosten für die Übersetzung eines Antrags und der damit verbundenen Schriftstücke

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Art 55 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

menhang mit Anträgen nach Art 56 und Ersuchen nach Art 53 von Art 54 erfasst werden. Kosten, die in Realisierung des Art 59 entstehen, sind administrative Kosten und können dem Antragsteller nicht auferlegt werden, soweit es sich um Anträge nach Art 56 handelt. Etwas anderes gilt, wenn die Übersetzungsleistung von Dritten erbracht werden, die diese in Rechnung stellen. Das Erfordernis von Übersetzungen ist durch die Sprachregelung in Art 59 auf ein Mindestmaß reduziert.5 Bei Ersuchen nach Art 53 ist es möglich, die Erstattung der Übersetzungskosten – soweit sie die Übersetzung anderer Schriftstücke als des Formblattes betrifft – als außerordentliche Kosten vom Antragsteller zu verlangen.6

Artikel 55: Übermittlung von Anträgen über die Zentralen Behörden Anträge nach diesem Kapitel sind über die Zentrale Behörde des Mitgliedstaats, in dem der Antragsteller seinen Aufenthalt hat, bei der Zentralen Behörde des ersuchten Mitgliedstaats zu stellen.

1 Geregelt wird, wer einen Antrag nach Art 56 an eine Zentrale Behörde eines Mitgliedstaates

stellen kann und über welche Zentrale Behörde dies zu erfolgen hat. Die Bestimmung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit Art 44 Abs 1 S 2.1 Der Antragsteller muss seinen Aufenthalt in dem ersuchenden Mitgliedstaat haben. Aufenthalt meint einen Aufenthalt von gewisser Beständigkeit, der nicht den Anforderungen des gewöhnlichen Aufenthalts genügen muss, jedoch mehr als die schlichte Anwesenheit ist.2 Ersuchender Mitgliedstaat ist der Staat, dessen Zentrale Behörde den Antrag entgegennimmt und diesen nach Sicherstellung seiner Ordnungsgemäßheit an die ersuchte Zentrale Behörde weiterleitet. 2 Die Regelung entspricht der Lösung im Art 9 HUntVerfÜbk 2007.3 Der Sinn dieser Be-

schränkung besteht darin, möglichst sicherzustellen, dass die Anträge alle erforderlichen Angaben für die Bearbeitung enthalten. Dies ist durch die Zentrale Behörde bzw von Behörden und Einrichtungen iSd Art 51 Abs 3 des Staates, in dem sich der Antragsteller aufhält, aufgrund der Nähe effektiver zu erreichen, als durch die Zentrale Behörde des ersuchten Mitgliedstaates. Außerdem reduzieren sich für die Zentrale Behörde des ersuchten Staates die Kosten für die Antragsbearbeitung, da die ersuchende Behörde sicherzustellen hat, dass der Antrag den Erfordernissen des Art 57 entspricht.4 Die Artt 55 ff haben keinen eigenständigen sachlichen Anwendungsbereich. Der Antrag

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6 1 2 3

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auferlegen kann, es sei denn, die Kosten können durch ihr System der juristischen Unterstützung gedeckt werden. § 10 Abs 3 AUG sieht für ausgehende Anträge die Möglichkeit vor, auf Antrag die Befreiung von der Erstattungspflicht von Kosten zu erhalten, die durch von der Zentralen Behörde veranlassten Übersetzung entstanden sind. Wie hier MünchKommFamFG/Lipp Rn 12, 13. Hierzu Art 44 Rn 10 f. Siehe hierzu ErwGr 32. Anders zB Art 8 Abs 1 HKindEntfÜbk, dort leitet sich die Möglichkeit der direkten Inanspruchnahme der Zentralen Behörde des ersuchten Vertragsstaates aus der besonderen außerordentlichen Eilbedürftigkeit der Angelegenheit ab. Hierzu auch Art 58 Rn 4 ff.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 56 EG-UntVO

kann eine Unterhaltspflicht aus jeder der in Art 1 Abs 1 genannten Familienbeziehung betreffen. Die Bestimmungen finden Anwendung auf alle Anträge, die ab dem 18.6.2011 gestellt werden, auch wenn es um die Vollstreckung von Entscheidungen geht, die zuvor erlassen wurden, Art 75 Abs 3. Abgrenzungskriterium zum HUntVerfÜbk 2007 Kapitel III bilden der Aufenthalt des 3 Antragstellers einerseits und die ersuchte Zentrale Behörde andererseits. Das HUntVerfÜbk 2007 findet Anwendung, wenn der Antragsteller einen Aufenthalt in einem Vertragsstaat hat und die Zentrale Behörde eines Mitgliedstaates als ersuchte Behörde tätig werden soll. Sie finden weiterhin Anwendung, wenn der Antragsteller seinen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat und die ersuchte Zentrale Behörde die eines Vertragsstaates ist. Der Begriff Mitgliedstaat erfasst Dänemark nicht. Nicht dem Kapitel VII unterliegt die Fallkonstellation, dass der Antragsteller, der in einem 4 Mitgliedstaat seinen Aufenthalt hat, sich unmittelbar an die Zentrale Behörde eines anderen Mitgliedstaates mit einem Antrag wendet. Die EG-UntVO schließt dies jedoch nicht aus. Denkbar wäre dies zB in einem Fall, in dem der Staatsangehörige des Mitgliedstaates A, der nunmehr im Mitgliedstaat B lebt, sich unmittelbar an die Zentrale Behörde des Mitgliedstaates A wendet, um die Vollstreckung eines Unterhaltstitels aus diesem Mitgliedstaat A gegenüber einem Unterhaltsschuldner zu erreichen, der im Mitgliedstaat A lebt. Ob und wie ein solcher direkter Antrag durch die Zentrale Behörde des Mitgliedstaates A bearbeitet wird, bestimmt sich nach dem innerstaatlichen Recht dieses Staates. Die Vorschriften des Kapitels VII finden keine Anwendung.5 Die Inanspruchnahme der Zentralen Behörden in Angelegenheiten, die in Art 56 geregelt 5 sind, ist fakultativ. Der Antragsteller kann, ohne die Unterstützung der Zentralen Behörden in Anspruch zu nehmen, direkt seinen Antrag bei dem zuständigen Gericht oder bei der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaates einbringen.

Artikel 56: Zur Verfügung stehende Anträge (1) Eine berechtigte Person, die Unterhaltsansprüche nach dieser Verordnung geltend machen will, kann Folgendes beantragen: a) Anerkennung oder Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung; b) Vollstreckung einer im ersuchten Mitgliedstaat ergangenen oder anerkannten Entscheidung; c) Herbeiführen einer Entscheidung im ersuchten Mitgliedstaat, wenn keine Entscheidung vorliegt, einschließlich, soweit erforderlich, der Feststellung der Abstammung; d) Herbeiführen einer Entscheidung im ersuchten Mitgliedstaat, wenn die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung, die in einem anderen Staat als dem ersuchten Mitgliedstaat ergangen ist, nicht möglich ist; e) Änderung einer im ersuchten Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung;

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So die Lösung für die entsprechende Bestimmung des HUntVerfÜbk 2007 Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 240.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Art 56 EG-UntVO

f) Änderung einer Entscheidung, die in einem anderen Staat als dem ersuchten Mitgliedstaat ergangen ist. (2) Eine verpflichtete Person, gegen die eine Unterhaltsentscheidung vorliegt, kann Folgendes beantragen: a) Anerkennung einer Entscheidung, die die Aussetzung oder Einschränkung der Vollstreckung einer früheren Entscheidung im ersuchten Mitgliedstaat bewirkt; b) Änderung einer im ersuchten Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung; c) Änderung einer Entscheidung, die in einem anderen Staat als dem ersuchten Mitgliedstaat ergangen ist. (3) Bei Anträgen nach diesem Artikel werden der Beistand und die Vertretung nach Artikel 45 Buchstabe b durch die Zentrale Behörde des ersuchten Mitgliedstaats entweder unmittelbar oder über öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen oder andere Stellen oder Personen geleistet. (4) Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, werden Anträge gemäß den Absätzen 1 und 2 nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats behandelt und unterliegen den in diesem Mitgliedstaat geltenden Zuständigkeitsvorschriften. I. II.

III.

Antragskatalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Anträge des Unterhaltsberechtigten 1. Unterhaltsberechtiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 2. Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärung (Abs 1 lit a) . . . . 3 3. Vollstreckung einer Entscheidung (Abs 1 lit b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 4. Herbeiführung einer Sachentscheidung (Abs 1 lit c bis f) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Anträge der unterhaltsverpflichteten Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 1. Anerkennung einer Entscheidung . . . . . 15

IV. V.

2. Änderung einer Entscheidung . . . . . . . . . . 17 Prozesskostenhilfe für gerichtliche Vertretung und Beistand (Abs 3) . . . . . . . . 18 Rechtsgrundlagen (Abs 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1. Administrative Bearbeitung des Vorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Herbeiführung einer Entscheidung . . . . 22 3. Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 4. Änderung einer Unterhaltsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

I. Antragskatalog 1 Getrennt für den Unterhaltsberechtigten und den Unterhaltsverpflichteten werden die

möglichen Anträge bestimmt. Die Regelung stimmt fast wörtlich mit Art 10 HUntVerfÜbk 2007 überein, nur Abs 4 findet sich dort nicht wieder. Vermisst wird ein Antragskatalog, der den Besonderheiten der EG-UntVO gegenüber dem HUntVerfÜbk 2007 gerecht wird. Es wäre durchaus zweckmäßig gewesen, bei den Anträgen, die die Vollstreckung von Entscheidungen betreffen, zwischen den Mitgliedstaaten und anderen Staaten zu unterscheiden. Der Katalog der möglichen Anträge ist zwingend. Anträge mit diesem Inhalt müssen von der ersuchten Zentralen Behörde bearbeitet werden, eine Ablehnung ist nur unter den Voraussetzungen des Art 58 Abs 8 zulässig.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 56 EG-UntVO

II. Anträge des Unterhaltsberechtigten 1. Unterhaltsberechtiger Unterhaltsberechtigter iSd Art 56 ist der unmittelbar Unterhaltsberechtigte oder eine Per- 2 son, die für den Unterhaltsberechtigten handelt.1 ÖAwE iSd Art 64 können im Namen des Unterhaltsberechtigten und im eigenen Namen Anträge stellen. Im letzteren Fall sind diese beschränkt auf Anträge nach lit a und b, also auf Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung.2 Das trifft auch dann zu, wenn die öAWE einen auf sie übergegangenen Anspruch auf den Unterhaltsberechtigten rücküberträgt, damit dieser ihn dann im eigenen Namen, eventuell vertreten durch die öAwE, geltend macht.3 Obwohl es der Wortlaut des Art 64 in Verbindung mit ErwGr 14 nahelegt, kann die Einschränkung nicht gelten, wenn die öAwE für den Unterhaltsberechtigten handelt, wenn der Anspruch diesem ununterbrochen materiell-rechtlich zusteht In einem solchen Fall tritt die öAwE als Vertreter oder in Prozessstandschaft auf. Eine Gleichstellung mit anderen Fällen der Vertretung bzw der Prozessstandschaft für den Unterhaltsberechtigten ist hier angezeigt. Der europäische Verordnungsgeber hat an dieser Stelle die Konzeption des HUntVerfÜ 2007 übernommen. Es sind keine Gründe ersichtlich, warum die öAwE der Mitgliedstaaten für die Prozessführung gegen einen Schuldner in einem anderen Mitgliedstaat im Erkenntnisverfahren nicht die Unterstützung der Zentralen Behörden in Anspruch nehmen können. Das Interesse der Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten, um grenzüberschreitend die effektivere Durchsetzung der Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern zu erreichen und dadurch auch die Staatsbudgets zu entlasten, erfordert es, ihnen im breiten Umfang diese Unterstützung zu gewähren. Damit wird auch vermieden, dass allein zum Zwecke der Prozessführung im Ausland Ansprüche, die bereits gesetzlich auf die öAwE nach innerstaatlichem Recht übergegangen sind, rückübertragen werden, um die Einschränkung zu umgehen.4 Dem privaten Zessionar einer Unterhaltsforderung stehen im Übrigen die Anträge nicht zur Verfügung.5 2. Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärung (Abs 1 lit a) Der Antrag geht auf Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärung einer für die ersuchte 3 Zentrale Behörde ausländischen Entscheidung. Erfasst werden sowohl Entscheidungen aus den Mitgliedstaaten als auch aus anderen Staaten.6 Dafür spricht zunächst der Wortlaut der Regelung in lit a, weiterhin die Auslegung 1 2 3 4

5 6

Borrás/Degeling-Bericht Rn 235 bezogen auf Art 10 HUntVerfÜbk 2007. Insoweit Aufgabe der in der Vorauflage vertretenen Auffassung. Hierzu Art 64 Rn 5. Hierzu näher Art 64 Rn 5. Vgl § 7 Abs 4 S 2 des Gesetzes zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder Ausfallleistungen in der Fassung vom 17.7.2007, BGBl 2007 I 1446. Fasching/Konecny/Fucik Rn 2; MünchKommFamFG/Lipp Rn 5. IE Geimer/Schütze/Picht Rn 3, 14; MünchKommFamFG/Lipp Rn 10.

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Art 56 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

des entsprechenden Art 10 lit a HUntVerfÜbk 2007.7 Danach beziehen sich die Anträge auf die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus anderen Vertragsstaaten. Jedoch ist es durchaus möglich, einen diesbezüglichen Antrag für eine Entscheidung aus einem Nichtvertragsstaat einzureichen, auf den dann das innerstaatliche Recht oder ein Staatsvertrag, der zwischen dem Ursprungsstaat und dem ersuchten Mitgliedstaat gilt, Anwendung findet. Für die Übernahme dieser Auslegung spricht auch die Ausgestaltung des Formblattes für derartige Anträge.8 Dort gibt es eine besondere Rubrik im Hinblick auf die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einer in einem Drittstaat ergangenen Entscheidung. Der notwendige Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat wird also nicht durch die Herkunft der Entscheidung, sondern durch den Aufenthalt der Person des Antragstellers vermittelt. 4 In Bezug auf Mitgliedstaaten umfasst der Begriff „Entscheidungen“ gerichtliche Entschei-

dungen und Entscheidungen der Verwaltungsbehörden iSd Art 2 Abs 2 sowie die ihnen nach Art 48 Abs 2 gleichgestellten gerichtlichen Vergleiche und öffentlichen Urkunden. Für Vertragsstaaten des HUntVerfÜbk 2007 sind vollstreckbare Vergleiche oder Vereinbarungen mit eingeschlossen, die vor einem Gericht/einer Behörde geschlossen oder genehmigt wurden, das/die eine Unterhaltsentscheidung treffen kann.9 In Bezug auf mitgliedstaatliche Entscheidungen kann dieser Antrag nur Entscheidungen betreffen, die intertemporal nicht der EG-UntVO unterliegen10 oder bei der sich die Anerkennung und Vollstreckung nach Kapitel IV Abschnitt 2 richtet. Für die anderen entfällt das Exequaturverfahren, die Entscheidungen sind im anderen Mitgliedstaat unmittelbar vollstreckbar.11 Für ein Anerkennungsverfahren in Bezug auf solche Entscheidungen besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, weil die Anerkennung ipso iure erfolgt und nicht angefochten werden kann.12 Der alternative Antrag auf „Anerkennung und Vollstreckbarkeit“ ist nicht so zu verstehen, dass die Anerkennung förmlich festgestellt werden muss, wenn das für die Vollstreckbarerklärung nicht erforderlich ist. 3. Vollstreckung einer Entscheidung (Abs 1 lit b) 5 Lit b betrifft zum einen den Antrag auf Vollstreckung von Entscheidungen, gerichtlichen

Vergleichen und öffentlichen Urkunden, die im ersuchten Mitgliedstaat selbst ergangen sind bzw aufgesetzt wurden. Zum anderen sind solche ausländischen Titel gemeint, die im ersuchten Staat keiner Anerkennungs- oder Vollstreckbarerklärung bedürfen, weil diese bereits vorliegt oder weil der Titel von der Vollstreckbarerklärung befreit ist. Letzteres trifft für einen Unterhaltstitel aus einem anderen Mitgliedstaat zu, für den die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel nach der EG-VollstrTitelVO erfolgt ist oder für den sich die Vollstreckung nach Kapitel IV Abschnitt 1 EG-UntVO richtet.

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Borrás/Degeling-Bericht Rn 240. 243. Siehe EG-UntVO Anhang VI. Art 19 Abs 1 S 2 HUntVerfÜbk 2007. Hierzu Art 75. Hierzu Art 17 Rn 8. Art 17 Abs 1.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 56 EG-UntVO

4. Herbeiführung einer Sachentscheidung (Abs 1 lit c bis f) Der Antrag kann auf Herbeiführung einer Sachentscheidung gerichtet sein. Lit c regelt den 6 Antrag für den Fall, dass in der Unterhaltssache bisher keine Sachentscheidung getroffen wurde. Der Begriff Entscheidung umfasst wiederum auch einen vollstreckbaren gerichtlichen Vergleich oder eine öffentliche Urkunde. Ist als Voraussetzung für eine solche Entscheidung die Abstammung bisher nicht rechtlich 7 festgestellt, so kann der Antrag auch die Feststellung der Abstammung mit erfassen, und zwar in der Form und mit dem Inhalt, wie es im ersuchten Staat für den Erlass der Unterhaltsentscheidung erforderlich ist. Ein isolierter Antrag auf Feststellung der Abstammung ist nicht verfügbar und insoweit unzulässig.13 Er muss direkt bei dem zuständigen Gericht des betreffenden Mitgliedstaates eingereicht werden. Die Zentralen Behörden werden hierfür nicht tätig. Die Möglichkeit, einen verbundenen Antrag einzureichen, ist in Verbindung mit Abs 4 zu begreifen. Durch die Zulassung dieses Antrags werden nicht präjudiziert: die Zuständigkeit, die Voraussetzungen und die Wirkungen einer Entscheidung über die Abstammung, also, ob sie nur als erga omnes oder auch beschränkt mit Wirkung nur für die Unterhaltsverpflichtung getroffen werden kann. Dies bestimmt sich nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaates.14 Lit d betrifft den spezifischen Fall, dass in einem anderen Staat bereits eine Sachentschei- 8 dung vorgenommen wurde, diese jedoch im ersuchten Staat nicht anerkannt ist. Die Folge ist, dass diese Entscheidung dort keine Wirkungen entfaltet und deshalb die Rechtslage so ist, als wenn keine Entscheidung vorliegen würde. Zumindest in diesem Fall sollte die Möglichkeit bestehen, die Feststellung der Abstammung mit einzubeziehen.15 Die Bestimmung ist auch auf Entscheidungen anzuwenden, bei denen die Durchsetzung im 9 ersuchten Staat daran scheitert, dass der Entscheidung die erforderliche Bestimmtheit der Leistungsverpflichtung fehlt, wenn zB der Unterhalt im Prozentsatz zum Arbeitseinkommen des Verpflichteten ausgedrückt ist.16 In diesem Fall müsste jedoch der Antrag auf Konkretisierung der ursprünglichen Entscheidung hinsichtlich der Höhe der Unterhaltszahlung gerichtet sein, weil im Übrigen die Entscheidung selbst anzuerkennen ist.17 Daraus kann die allgemeine Schlussfolgerung gezogen werden, dass lit d bei Teilanerkennung sich nur auf den nicht anerkannten Teil bezieht. 13

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IE Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk Rn 247; ebenso Geimer/Schütze/Picht Rn 7; MünchKommFamFG/Lipp Rn 11. Hierzu unter Rn 23. Ob die Feststellung der Abstammung auch bei Anträgen nach Abs 1 lit d-f eingeschlossen werden kann, ist umstritten, siehe Geimer/Schütze/Picht Rn 7 (bejahend); MünchKommFamFG/Lipp Rn 12 (ablehnend). Siehe hierzu Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk Rn 255. Im Rahmen der Anträge auf Vollstreckbarerklärung oder Vollstreckung von Unterhaltstiteln nach der EG-UntVO kann in Deutschland der Antrag auf Herbeiführung der für die Vollstreckung erforderlichen Bestimmtheit des ausländischen Titels gestellt werden kann. Soweit eine Konkretisierung auf diesem Weg möglich ist, ist ein Antrag nach lit d ungeeignet, hierzu Andrae, Internationales Familienrecht3 (2014) § 8 Rn 233, 268.

Marianne Andrae

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

10 Die Nichtanerkennung der Entscheidung oder eines Teils der Entscheidung muss nicht

zuvor förmlich festgestellt werden, wenn sich bereits aus den maßgeblichen Vorschriften über die Anerkennung ausländischer Entscheidung die Nichtanerkennungsfähigkeit ergibt.18 Das trifft zB dann zu, wenn eine Voraussetzung für die Anerkennung die Anerkennungszuständigkeit der Gerichte des Entscheidungsstaates ist19 und diese im konkreten Fall nicht vorlag. Bei den übrigen Fällen, in denen eine Nichtanerkennung möglich erscheint – zB wegen Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs oder allgemein aus ordre public Gründen – kommt eine Verbindung des Antrags auf Anerkennung und Vollstreckbarerklärung und hilfsweise auf Entscheidung in Frage. Lit d hat keine Bedeutung für mitgliedstaatliche Titel, für die Kapitel IV Abschnitt 1 zutrifft, sowie für solche, die der EG-VollstrTitelVO unterliegen. 11 Lit e und f ermöglichen einen Antrag auf Änderung einer ergangenen Entscheidung. Dabei

betrifft lit e die Änderung einer Entscheidung der Gerichte/Behörden des ersuchten Staates und lit f die eines anderen als des ersuchten Staates. Es kann sich dabei um die Entscheidung des Gerichts/der Behörde eines Mitgliedstaates, eines Vertragsstaates des HUntVerfÜbk 2007 oder eines anderen Staates handeln. Die Änderung einer ausländischen Entscheidung setzt deren Anerkennung voraus. Hierzu bedarf es keines gesonderten Antrags, weil die Anerkennung inzident im Änderungsverfahren zu prüfen ist. Für die Zulässigkeit und Begründetheit des Antrags findet Abs 4 Anwendung. III. Anträge der unterhaltsverpflichteten Person 12 Abs 2 ermöglicht auch der unterhaltsverpflichteten Person, bestimmte Anträge zu stellen.

Damit wird deutlich, dass die Zentralen Behörden von der Konzeption her nicht Interessenvertreter des Unterhaltsberechtigten in grenzüberschreitenden Unterhaltssachen sind, sondern staatliche Funktionen in Realisierung der EG-UntVO bzw des HUntVerfÜbk 2007 wahrnehmen.20 13 Ein Schuldner soll auch grenzüberschreitend nur insoweit in Anspruch genommen werden,

wie seine Leistungsfähigkeit reicht und er rechtlich zum Unterhalt verpflichtet ist. Einerseits soll verhindert werden, dass der grenzüberschreitende Bezug es dem Schuldner ermöglicht, sich der Unterhaltspflicht zu entziehen. Andererseits soll dieser Umstand ihn nicht daran hindern, seine Leistungspflicht zu reduzieren oder zu eliminieren, wenn hierfür die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen. 14 Anträge der verpflichteten Person betreffen nur bereits existierende Entscheidungen, ein-

schließlich vollstreckbarer gerichtlicher Vergleiche und öffentlicher Urkunden. Nicht möglich ist die Beantragung einer Erstentscheidung, in der festgestellt wird, dass keine Unter-

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Für die entsprechende Bestimmung in HUntVerfÜbk 2007 Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk Rn 256. So für Entscheidungen von Gerichten der Vertragsstaaten des HUntVerfÜbk 2007 und soweit sich die Anerkennung nach nationalem Recht richtet. Jedoch nicht, wenn die Entscheidung der EG-UntVO, Brüssel I-VO oder dem LugÜbk unterliegt. Hierzu Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 267.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 56 EG-UntVO

haltspflicht oder diese nur in einer bestimmten Höhe besteht.21 Nicht ausgeschlossen sind natürlich direkte Anträge an das dafür zuständige Gericht. 1. Anerkennung einer Entscheidung Lit a betrifft folgende Fallsituation: Es gibt zwei Entscheidungen in der Unterhaltssache. 15 Die erste Entscheidung ist jedenfalls eine Sachentscheidung. Es kann sich um eine Entscheidung eines Gerichts/einer Behörde des ersuchten Staates oder eines anderen Staates handeln. Im letzteren Fall muss die Entscheidung im ersuchten Staat anerkannt und vollstreckbar sein. Es gibt eine zweite, spätere ausländische Entscheidung, typisch wäre eine Änderungsentscheidung oder eine Entscheidung, die ohne Rücksicht auf die Erstentscheidung ergangen ist. Möglich sind auch Prozessentscheidungen, zB über die Wiederaufnahme des Verfahrens. In einer solchen Konstellation sieht Abs 2 lit a die Möglichkeit vor, die Anerkennung der 16 Zweitentscheidung herbeizuführen, um die Aussetzung oder Einschränkung der Vollstreckung der früheren Entscheidung im ersuchten Mitgliedstaat zu erreichen. Der Antrag auf Anerkennung der Zweitentscheidung ist nicht der zweckmäßigste, weil außerdem noch die Aussetzung oder Einschränkung der Vollstreckung beantragt werden müsste. Eventuell sind hierfür unterschiedliche Gerichte/Behörden zuständig. Sinnvoller wäre es, den Antrag gleich auf die Aussetzung oder Einschränkung der Vollstreckung der früheren Entscheidung zu richten. In diesem Verfahren könnte dann die Anerkennungsfähigkeit der Zweitentscheidung als Vorfrage geklärt werden. 2. Änderung einer Entscheidung Lit b und c sehen die Möglichkeit des Antrags auf Änderung einer Unterhaltsentscheidung 17 des ersuchten Mitgliedstaates (lit b) und eines anderen Staates (lit c) vor. Hierfür gelten die Ausführungen in Rn 11 entsprechend. IV. Prozesskostenhilfe für gerichtliche Vertretung und Beistand (Abs 3) Abs 3 gehört zu Art 45 lit b. Wird dem Antragsteller Prozesskostenhilfe gewährt, so umfasst 18 diese den juristischen Beistand und die Vertretung von dem Gericht oder der Behörde, wenn es zum Prozess kommt. Der Antragsteller kann sich in diesem Fall Beistand und Vertreter nicht frei wählen. Diese Aufgaben werden von der Zentralen Behörde unmittelbar, von Einrichtungen iSv Art 51 Abs 3 oder einer von diesen in Untervollmacht bestellten Person erfüllt. Die Prozessvertretung gehört nicht zu den Aufgaben der Zentralen Behörden, sondern nur die Verantwortung dafür, dass der Antragssteller im Verfahren oder auch bei der gütlichen Einigung durch geeignete Personen vertreten wird.22 Diese Lösung ist aus zwei Gründen gerechtfertigt. Zum einen wird erreicht, dass der Bei- 19 stand und die Vertretung von Personen realisiert werden, die speziell mit Rechtsfragen der grenzüberschreitenden Unterhaltsbeziehungen befasst sind. Insoweit werden Vorausset21 22

Kritisch Prütting/Helms/Hau § 110 FamFG Anh 3 Rn 166; MünchKmmFamFG/Lipp Rn 12. AA MünchKommFamFG/Lipp Rn 18 (danach ist die Prozessvertretung Teil der von der Zentralen Behörde zu leistenden Rechtshilfe.)

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

zungen für ein hohes Niveau der Vertretung geschaffen. Zum anderen liegen der Regelung fiskalische Erwägungen zugrunde. Die Zentralen Behörden und die dazu gehörenden Einrichtungen sind von dem jeweiligen Mitgliedstaat zu finanzieren. Die Mitarbeiter müssen sich mit jedem Antrag inhaltlich befassen, um die geeigneten Maßnahmen einzuleiten oder die Einleitung zu fördern. Die Einschränkung in der freien Wahl des Beistandes oder des Vertreters kann zu Einsparungen führen, weil Doppelgleisigkeit verhindert wird und Kosten minimiert werden können. Zu der Vertretungsmacht siehe Art 52, zur Prozesskostenhilfe Art 45 und zu den Kosten der Zentralen Behörden Art 54. V. Rechtsgrundlagen (Abs 4) 20 Abs 4 erläutert pauschal die Rechtsgrundlagen für die Behandlung der Anträge im ersuchten

Mitgliedstaat und nennt hierbei die Zuständigkeiten gesondert. Vorrang hat die EG-UntVO und im Übrigen findet das Recht des ersuchten Mitgliedstaates Anwendung. Daraus ergibt sich Folgendes: 1. Administrative Bearbeitung des Vorgangs 21 Die administrative Bearbeitung des Vorgangs richtet sich in erster Linie nach den Vor-

schriften der EG-UntVO. Nicht geregelte Fragen werden durch die Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaates ergänzt. Welche Institutionen und Möglichkeiten zur Realisierung von Maßnahmen nach Art 51 Abs 2 zur Verfügung stehen, bestimmt sich nach innerstaatlichem Recht des ersuchten Staates. 2. Herbeiführung einer Entscheidung 22 Die internationale und örtliche Zuständigkeit für die Herbeiführung einer Entscheidung in

der Unterhaltssache, einschließlich der Änderung einer Entscheidung regelt sich nach Artt 3 ff EG-UntVO. Die sachlich-funktionelle Zuständigkeit ergibt sich aus dem nationalen Recht. Die Begründetheit wird nach dem gemäß Kollisionsrecht maßgeblichen Recht entschieden, für unterhaltsrechtlich zu qualifizierende Rechtsfragen findet einheitlich das HUntStProt 2007 für die Mitgliedstaaten Anwendung, die daran gebunden sind.23 23 Besonderheit: Abstammungsfeststellung

Die Abstammungsfeststellung kann freiwillig erfolgen. Vor welcher Behörde die erforderlichen Erklärungen abgegeben werden können, bestimmt sich nach dem Recht des ersuchten Staates. Die Anforderungen an das Anerkenntnis und die notwendigen Zustimmungserklärungen, ihre formelle und materielle Wirksamkeit und ihre Wirkungen regeln sich unter Einschluss des IPR nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaates. Für die gerichtliche 23

772

Siehe Art 15.

Oktober 2014

Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 56 EG-UntVO

Feststellung der Abstammung ist zunächst zu klären, ob die Feststellung erga omnes als eigenständige Entscheidung getroffen werden muss, auch wenn sie im Verbund mit dem Unterhalt ergeht, oder ob sie inzident im Unterhaltsverfahren als Vorfrage geprüft werden kann. Es wäre sinnvoll, wenn die Mitgliedstaaten, die durch das HUntStProt 2007 gebunden sind, diese Frage einheitlich dem Unterhaltsstatut zuordnen würden (Qualifikationsproblem),24 weil nur so der Entscheidungseinklang in einer Unterhaltssache herbeigeführt wird. Die internationale Zuständigkeit für eine eigenständige Entscheidung zur Abstammung bestimmt sich nach dem autonomen Recht des ersuchten Mitgliedstaates. 3. Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung Diese Frage richtet sich nach der EG-UntVO, soweit der vollstreckbare Titel aus einem Mit- 24 gliedstaat stammt und der zeitliche Anwendungsbereich der EG-UntVO eröffnet ist (hierzu Art 75). Für vollstreckbare Titel aus anderen Staaten finden das HUntVerfÜbk 2007, die zwischen dem ersuchten Mitgliedstaat und dem betreffenden Staat bestehenden Staatsverträge zu dieser Frage oder das autonome Recht des ersuchten Mitgliedstaates Anwendung. 4. Änderung einer Unterhaltsentscheidung Die internationale Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts für die Änderung einer 25 Unterhaltsentscheidung bestimmt sich nach Kapitel II. Die Änderung einer ausländischen Unterhaltsentscheidung setzt deren Anerkennung voraus. Die Anerkennung muss nicht förmlich festgestellt werden, dies kann inzident im Abänderungsverfahren erfolgen. Die Rechtsgrundlagen hierfür sind vom Ursprungsstaat abhängig. Für Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten, deren Verfahren vor dem 18.6.2011 eingeleitet worden sind, richtet sich dies nach Art 23. Für Entscheidungen, für die das Verfahren ab diesem Datum eingleitet wurde oder wird, ist Art 17 Abs 1 maßgeblich und bei Entscheidungen aus Dänemark oder Großbritannien kommt es wiederum auf Art 23 an. In Bezug auf andere Staaten kommt die Anerkennung nach einem Staatsvertrag oder dem autonomen Recht in Frage. Die sachlichen Voraussetzungen eines Abänderungsantrags bestimmen sich nach dem 26 Recht des Staates, dessen Gericht die Abänderung vornimmt25 und nicht nach dem Recht des Staates, dessen Gericht die Erstentscheidung getroffen hat. Auf Rechtsfragen, die materiell-rechtlich zu qualifizieren sind, findet das nach dem HUntStProt 2007 berufene Sachrecht, in den Mitgliedstaaten Anwendung, die daran gebunden sind. Aufgrund dessen kann es zum Statutenwechsel kommen. Dieser kann dadurch hervorgerufen sein, dass die Umstände, an die die Kollisionsnorm anknüpft, sich geändert haben. Er kann jedoch auch Folge der Ablösung des bisher geltenden Kollisionsrechts durch Kollisionsnormen des HUntStProt 2007 sein.26 Prozessrechtlich zu qualifizierende Rechtsfragen unterliegen der lex fori des Zweitgerichts.27 24

25

26 27

So bereits die Lösung in Deutschland auf der Grundlage des HUntStÜbk 1973, siehe hierzu Vorbem Art 3 ff Rn 22. BGH v 29.4.1992 – XII ZR 40/91, FamRZ 1992, 1060, 1062; grundlegend BGH v 1.6.1983 – IVb ZR 386/81, IPRax 1984, 320 = NJW 1983, 1976, 1977 = FamRZ 1983, 806, 808; OLG Köln FamRZ 2005, 534, 535; Garbe/Ullrich/Andrae § 11 Rn 319. Hierzu Einl HUntStProt 2007 Rn 32. Zur Abgrenzung Rauscher/Andrae Einl HUntStProt 2007 Rn 37 ff.

Marianne Andrae

773

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Art 57 EG-UntVO

Artikel 57: Inhalt des Antrags (1) Für Anträge nach Artikel 56 ist das in Anhang VI oder in Anhang VII vorgesehene Formblatt zu verwenden. (2) Anträge nach Artikel 56 müssen mindestens folgende Angaben enthalten: a) eine Erklärung in Bezug auf die Art des Antrags oder der Anträge; b) den Namen und die Kontaktdaten des Antragstellers, einschließlich seiner Anschrift und seines Geburtsdatums; c) den Namen und, sofern bekannt, die Anschrift sowie das Geburtsdatum des Antragsgegners; d) den Namen und das Geburtsdatum jeder Person, für die Unterhalt verlangt wird; e) die Gründe, auf die sich der Antrag stützt; f) wenn die berechtigte Person den Antrag stellt, Angaben zu dem Ort, an dem die Unterhaltszahlungen geleistet oder an den sie elektronisch überwiesen werden sollen; g) den Namen und die Kontaktdaten der Person oder Stelle in der Zentralen Behörde des ersuchenden Mitgliedstaats, die für die Bearbeitung des Antrags zuständig ist. (3) Für die Zwecke des Absatzes 2 Buchstabe b kann die persönliche Anschrift des Antragstellers im Falle familiärer Gewalt durch eine andere Anschrift ersetzt werden, sofern das innerstaatliche Recht des ersuchten Mitgliedstaats nicht vorschreibt, dass der Antragsteller für die Zwecke des Verfahrens seine persönliche Anschrift angibt. (4) Wenn angebracht und soweit bekannt, muss der Antrag außerdem Folgendes enthalten: a) Angaben über die finanziellen Verhältnisse der berechtigten Person; b) Angaben über die finanziellen Verhältnisse der verpflichteten Person, einschließlich des Namens und der Anschrift des Arbeitgebers der verpflichteten Person, sowie Art und Belegenheit der Vermögensgegenstände der verpflichteten Person; c) alle anderen Angaben, die es gestatten, den Aufenthaltsort des Antragsgegners ausfindig zu machen. (5) Dem Antrag sind alle erforderlichen Angaben oder schriftlichen Belege einschließlich gegebenenfalls Unterlagen zum Nachweis des Anspruchs des Antragstellers auf Prozesskostenhilfe beizufügen. Anträgen nach Artikel 56 Absatz 1 Buchstaben a und b und Absatz 2 Buchstabe a sind je nach Fall nur die in den Artikeln 20, 28 oder 48 oder die in Artikel 25 des Haager Übereinkommens von 2007 aufgeführten Schriftstücke beizufügen. I. II. III.

Formblätter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Inhalt eines Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

IV. V.

Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

1 Die Vorschrift betrifft nur die Anträge nach Art 56, nicht jedoch ein Ersuchen nach Art 53.

I. Formblätter 2 Der Inhalt der Anträge wird standardisiert durch Formblätter. Damit wird sowohl für die

vermittelnde Behörde als auch für die ersuchte Behörde Klarheit über die zu erteilenden bzw die abverlangten Angaben geschaffen, um eine schnellere und kostenreduzierende Bearbeitung zu ermöglichen. Die Übersetzung wird vereinfacht.

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Oktober 2014

Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 57 EG-UntVO

Es gibt ein Formblatt für einen Antrag im Hinblick auf die Anerkennung, die Vollstreck- 3 barerklärung oder die Vollstreckung einer Entscheidung1 sowie im Hinblick auf die Herbeiführung einer Entscheidung, die auch den Antrag auf Änderung einer Entscheidung einschließt.2 Die Formblätter enthalten jeweils einen Teil A, der durch die ersuchende Zentrale Behörde und einen Teil B, der vom Antragsteller oder gegebenenfalls von der Person/ Behörde auszufüllen ist, die im ersuchenden Mitgliedstaat befugt ist, das Formblatt im Namen des Antragstellers auszufüllen. Die Sprache, in der das Formblatt auszufüllen ist, ist in Art 59 geregelt. Die Benutzung des Formblattes ist zwingend, ausgefüllt werden müssen zumindest die Rubriken, die die Angaben betreffen, die nach Abs 2 zwingend sind. Die Änderung der Formblätter unterliegt nicht dem Verfahren der Änderung der EG-UntVO, sondern dem gesonderten Verfahren des Art 72. Die Regelung zu den Formblättern unterscheidet sich von der diesbezüglichen Lösung im 4 HUntVerfÜbk 2007. Nach Art 11 Abs 4 HUntVerfÜbk 2007 hat die Nutzung eines von der Haager Konferenz empfohlenen und veröffentlichten Formulars fakultativen Charakter. Der zwingende Charakter der Formblätter würde die notwendige Flexibilität für ihre möglichen Änderungen behindern.3 Die Antragsformulare sind deshalb nicht Bestandteil des HUntVerfÜbk 2007 und unterliegen nicht dem Verfahren der Änderung der Konvention. II. Inhalt eines Antrags Abs 2 regelt den zwingenden Inhalt eines Antrags. Gestattet wird nach Abs 3 in Fällen der 5 familiären Gewalt die persönliche Anschrift des Antragstellers durch eine andere Anschrift zu ersetzen, soweit die Rechtsordnung des ersuchten Mitgliedstaates zum Zwecke der Einleitung des Verfahrens nicht zwingend die persönliche Anschrift erfordert. Darüber müsste die ersuchte Behörde die ersuchende Behörde informieren, denn diese Detailkenntnis von der ausländischen Rechtsordnung ist von der ersuchenden Behörde nicht zu erwarten. Gegebenenfalls müsste eine Ergänzung des Antrags nach Art 58 Abs 9 erfolgen. Die in Abs 4 aufgelisteten Angaben sind zu machen, wenn sie angebracht und bekannt sind. 6 Sie sind also nicht fakultativ, die Auskunft darüber steht nicht im Ermessen des Antragstellers, vielmehr ist ihre Angabe zwingend, wenn die Kriterien zutreffen.4 So bedarf es Angaben über die finanzielle Situation der berechtigten Person nicht, wenn es um die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung oder Vollstreckung einer Unterhaltsentscheidung geht. Für eine Entscheidung im Erkenntnisverfahren sind dagegen solche Angaben regelmäßig erforderlich. Welche Angaben für die einzelnen Arten von Anträgen regelmäßig zu leisten sind, ergibt sich im Übrigen aus den betreffenden Antragsformularen. III. Unterlagen Abs 5 betrifft zum einen die Beifügung erforderlicher Belege und Unterlagen für die Ge- 7 währung von Prozesskostenhilfe, zum anderen die Schriftstücke, die dem Antrag auf Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung beizufügen sind. Letzteres ist ge1 2 3 4

Anhang VI. Anhang VII. Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 294. Wie hier Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 228; MünchKommFamFG/Lipp Rn 8.

Marianne Andrae

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Art 57 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

regelt für Titel, die diesbezüglich der EG-UntVO unterliegen. Es handelt sich um vollstreckbare Entscheidungen, gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden aus einem anderen Mitgliedstaat als dem ersuchten Mitgliedstaat. Die einzureichenden Schriftstücke ergeben sich aus Artt 20, 28 und 48. Weiterhin betrifft die Regelung Entscheidungen von Gerichten/ Behörden der Vertragsstaaten des HUntVerfÜbk 2007 sowie vollstreckbare Unterhaltsvereinbarungen gemäß Art 30 HUntVerfÜbk 2007. Die einzureichenden Schriftstücke sind in Art 25 HUntVerfÜbk 2007 aufgelistet, für vollstreckbare Unterhaltsvereinbarungen ist diesbezüglich Art 30 Abs 3 HUntVerfÜbk 2007 einschlägig. 8 Nicht geregelt sind die einzureichenden Schriftstücke, wenn die Vollstreckung einer im

ersuchten Mitgliedstaat selbst ergangenen Entscheidung oder eines anderen dort errichteten vollstreckbaren Titels beantragt wird. Ausreichend dürfte jedenfalls die Beifügung der nach dem Recht dieses Mitgliedstaates erforderlichen Urkunden sein. Weiterhin ist nicht geregelt, welche Schriftstücke einzureichen sind, wenn es um eine Entscheidung aus einem Nichtmitgliedstaat geht, der auch nicht Vertragsstaat des HUntVerfÜbk 2007 ist. Die erforderlichen Schriftstücke ergeben sich aus dem Recht des ersuchten Mitgliedstaates unter Einschluss von Staatsverträgen, die den ersuchten Mitgliedstaat und den Entscheidungsstaat binden. Als Beispiele für Letztere sind zu nennen Art 53 LugÜbk 2007 oder Art 17 HUntAVÜbk 1973. Notwendige Ergänzungen können auf der Grundlage von Art 58 Abs 9 angefordert werden. IV. Übersetzungen 9 Die Anträge und die ihnen beizufügenden Schriftstücke müssen den Übersetzungsanfor-

derungen von Art 59 genügen.5 V. Datenschutz 10 Die Anträge enthalten Informationen über den Unterhaltsverpflichteten und den Unter-

haltsberechtigten, einschließlich ihrer finanziellen Verhältnisse sowie Art und Belegenheit von Vermögensgegenständen. Art 62 und 63 betreffen den Datenschutz von Informationen, die auf der Grundlage von Art 61 gewonnen werden, nicht jedoch die Informationen, die sich aus den Anträgen selbst ergeben. Der Schutz letzterer Daten regelt sich nach den nationalen Vorschriften des ersuchenden und des ersuchten Staates, unter Einschluss der umgesetzten Richtlinie 95/46/EG,6 auf Letztere weist ErwGr 34 hin.

5 6

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Vgl insoweit die Kommentierung zu Art 59 EG-UntVO. Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl EG 1995 L 281/31.

Oktober 2014

Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 58 EG-UntVO

Artikel 58: Übermittlung, Entgegennahme und Bearbeitung der Anträge und Fälle durch die Zentralen Behörden (1) Die Zentrale Behörde des ersuchenden Mitgliedstaats ist dem Antragsteller behilflich, sicherzustellen, dass der Antrag alle Schriftstücke und Angaben umfasst, die nach Kenntnis dieser Behörde für seine Prüfung notwendig sind. (2) Nachdem sich die Zentrale Behörde des ersuchenden Mitgliedstaats davon überzeugt hat, dass der Antrag den Erfordernissen dieser Verordnung entspricht, übermittelt sie ihn der Zentralen Behörde des ersuchten Mitgliedstaats. (3) Innerhalb von 30 Tagen ab dem Tag des Eingangs des Antrags bestätigt die ersuchte Zentrale Behörde den Eingang des Antrags unter Verwendung des in Anhang VIII vorgesehenen Formblatts, benachrichtigt die Zentrale Behörde des ersuchenden Mitgliedstaats über die ersten Maßnahmen, die zur Bearbeitung des Antrags getroffen wurden oder werden, und fordert gegebenenfalls die von ihr für notwendig erachteten zusätzlichen Schriftstücke oder Angaben an. Innerhalb derselben Frist von 30 Tagen teilt die ersuchte Zentrale Behörde der ersuchenden Zentralen Behörde den Namen und die Kontaktdaten der Person oder Dienststelle mit, die damit beauftragt ist, Fragen im Hinblick auf den Stand des Antrags zu beantworten. (4) Innerhalb von 60 Tagen nach der Empfangsbestätigung unterrichtet die ersuchte Zentrale Behörde die ersuchende Zentrale Behörde über den Stand des Antrags. (5) Die ersuchende und die ersuchte Zentrale Behörde unterrichten einander a) über die Person oder Dienststelle, die für einen bestimmten Fall zuständig ist; b) über den Stand des Verfahrens und beantworten Auskunftsersuchen rechtzeitig. (6) Die Zentralen Behörden behandeln einen Fall so zügig, wie es eine sachgemäße Prüfung seines Gegenstands zulässt. (7) Die Zentralen Behörden benutzen untereinander die schnellsten und effizientesten Kommunikationsmittel, die ihnen zur Verfügung stehen. (8) Eine ersuchte Zentrale Behörde kann die Bearbeitung eines Antrags nur ablehnen, wenn offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen dieser Verordnung nicht erfüllt sind. In diesem Fall unterrichtet die betreffende Zentrale Behörde die ersuchende Zentrale Behörde umgehend unter Verwendung des in Anhang IX vorgesehenen Formblatts über die Gründe für ihre Ablehnung. (9) Die ersuchte Zentrale Behörde kann einen Antrag nicht allein deshalb ablehnen, weil zusätzliche Schriftstücke oder Angaben erforderlich sind. Die ersuchte Zentrale Behörde kann die ersuchende Zentrale Behörde jedoch auffordern, solche zusätzlichen Schriftstücke oder Angaben zu übermitteln. Geschieht dies nicht innerhalb von 90 Tagen oder einer von der ersuchten Zentralen Behörde gesetzten längeren Frist, so kann diese Behörde beschließen, die Bearbeitung des Antrags zu beenden. In diesem Fall unterrichtet sie die ersuchende Zentrale Behörde unter Verwendung des in Anhang IX vorgesehenen Formblatts. I. II. III.

Klare Verfahrensregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zügige Bearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahrensschritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ersuchende Zentrale Behörde . . . . . . . . . . . 2. Ersuchte Zentrale Behörde . . . . . . . . . . . . . .

Marianne Andrae

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Kommunikation mit dem Antragsteller . . . 8 Zurückweisung des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Unvollständige Angaben und Schriftstücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 VII. Deutsches Vorprüfungsverfahren . . . . . . . . . 13

IV. V. VI.

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Art 58 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

I. Klare Verfahrensregeln 1 Art 58 regelt detailliert das Verfahren der Bearbeitung der Anträge und die Ablehnung der

Bearbeitung durch die Zentralen Behörden. Die Aufgaben der Zentralen Behörden nach diesem Artikel können auch von Einrichtungen und Behörden nach Art 51 Abs 3 wahrgenommen werden. Vorgesehen ist ein strenges und klares Reglement, um eine zügige, einfache und kostensparende Bearbeitung zu erreichen. Die EG-UntVO übernimmt im Wesentlichen die entsprechenden Regelungen des Art 12 HUntVerfÜbk 2007. II. Zügige Bearbeitung 2 Hauptanliegen von Art 58 ist es, die zügige Bearbeitung des Antrags zu erreichen. Dies ist als

Grundsatz in Abs 6 geregelt. In der Anfangsphase der Bearbeitung werden der ersuchten Behörde Fristen für bestimmte Verfahrensschritte für alle Anträge gleichermaßen gesetzt (Abs 2 und 3) und damit der Grundsatz konkretisiert. Für die späteren Phasen ist dies nicht möglich, weil die Erledigung von den für die einzelnen Anträge zu ergreifenden Maßnahmen abhängig ist. Unter dem Gebot der Schnelligkeit der Bearbeitung soll ihre Effizienz nicht leiden. Die Behandlung des Falls hat deshalb so zügig zu erfolgen, wie es die ordnungsgemäße Prüfung seines Gegenstandes zulässt. Das schließt ein, dass alle im Fall erforderlichen Maßnahmen nach Art 51 Abs 2 getroffen werden und für ihre zügige Realisierung gesorgt wird. Die zügige Bearbeitung soll durch die Nutzung schnellster und effizienter Kommunikationsmittel, die zur Verfügung stehen, gefördert werden (Abs 7). Weiterhin dient dazu die unmittelbare Kommunikation zwischen den Personen oder Dienststellen, die im ersuchenden und ersuchten Mitgliedstaat für die Bearbeitung des konkreten Falls zuständig sind. Dies wird durch die wechselseitige Unterrichtung über die diesbezügliche Zuständigkeit (Abs 5 lit a) ermöglicht. III. Verfahrensschritte 3 Folgende Verfahrensschritte sind geregelt: Antragstellung (Abs 1), Übermittlung des An-

trags (Abs 2), Einleitung des Verfahrens im ersuchten Mitgliedstaat (Abs 3), Zwischenbericht (Abs 4). 1. Ersuchende Zentrale Behörde 4 Abs 1 und 2 verdeutlichen die Verantwortung der ersuchenden Zentralen Behörde für die

ordnungsgemäße Antragstellung, was sowohl die Angaben im Antrag selbst als auch die dem Antrag beizufügenden Schriftstücke betrifft.1 Die Verantwortung wird auch darin deutlich, dass die Formblätter für die Anträge (Art 57 Abs 1) einen Teil A enthalten, der von der ersuchenden Zentralen Behörde auszufüllen ist. 5 Die Verantwortung der ersuchenden Behörde resultiert daraus, dass im Allgemeinen sie und

nicht der Antragsteller die notwendige Kenntnis davon hat, welche Informationen der Antrag enthalten muss und welche Schriftstücke beizufügen sind. Sie kann dabei die Kenntnisse nutzen, die sich aufgrund allgemeiner Zusammenarbeit zwischen den Zentralen Behörden sowie aufgrund des Informationsaustausches ergeben und auf das Europäische 1

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Hierzu Borrás/Degeling-Bericht Rn 320 ff; MünchKommFamFG/Lipp Rn 4; Geimer/Schütze/Picht Rn 5.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 58 EG-UntVO

Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen zurückgreifen. In diesem Sinne ist die Hilfe der ersuchenden Behörde bei der Antragstellung zu verstehen. Wie diese Hilfe im Einzelnen ausgestaltet ist, ist Sache der inneren Organisation jeder Zentralen Behörde. Das Formblatt selbst enthält bereits die Möglichkeit, dass das Formblatt von einer Person/Behörde im Namen des Antragstellers ausgefüllt wird, die im ersuchenden Mitgliedstaat hierzu befugt ist. Vor der Übermittlung des Antrags hat sich die ersuchende Zentrale Behörde davon zu 6 überzeugen, dass der Antrag den Erfordernissen der EG-UntVO entspricht (Abs 2). Daraus lässt sich ableiten, dass eine Weiterleitung so lange abzulehnen ist, bis der Antrag den Erfordernissen der EG-UntVO entspricht. Die Ablehnung ist endgültig, wenn auch mit Hilfe der ersuchenden Zentralen Behörden der Antrag nicht mit ihr in Übereinstimmung gebracht wird. Die Ablehnung als Verwaltungsakt unterliegt den Rechtsbehelfen nach dem jeweiligen nationalen Recht. Die Regelung spezifiziert nicht, was unter Erfordernissen der EG-UntVO zu verstehen ist. Erfasst sind jedenfalls die formalen Anforderungen nach Art 57 und 59 an eine ordnungsgemäße Antragstellung.2 Die Weiterleitung kann nicht aus dem Grund abgelehnt werden, weil die ersuchende Zentrale Behörde der Auffassung ist, dass der Antrag unbegründet ist.3 Dies folgt daraus, dass die Zentralen Behörden nach der Konzeption der EG-UntVO nur administrative und organisatorische Funktionen haben und die Sachentscheidungen durch die im ersuchten Mitgliedstaat zuständigen Gerichte und Behörden zu treffen sind. Nach § 9 Abs 1 Nr 2 AUG erstreckt sich die Vorprüfung auch darauf, ob der Antrag mutwillig oder offensichtlich unbegründet ist.4 Damit wird eine verbindliche mitgliedstaatliche Auslegung getroffen, die grundsätzlich nicht zulässig ist.5 In der Literatur wird das Erfordernis der Evidenzkontrolle vertreten, in deren Folge die Weiterleitung von Anträgen abgelehnt wird, bei denen feststeht, dass der Rechtshilfeantrag oder der damit verfolgte Sachantrag keinen Erfolg haben kann.6 2. Ersuchte Zentrale Behörde Abs 3 legt verbindlich fest, dass die ersuchte Zentrale Behörde innerhalb von 30 Tagen nach 7 Eingang des Antrags der ersuchenden Behörde den Eingang unter Nutzung des Formblatts7 hierfür zu bestätigen hat. Geregelt sind weiterhin, welche Informationen innerhalb dieser Frist der ersuchenden Behörde zu geben sind. Für die Frist kommt es auf die Absendung an. Dabei ist für den Übertragungsweg das schnellste und effizienteste Kommunikationsmittel, das zur Verfügung steht, zu nutzen. Ein weiterer Bericht über den Stand der Bearbeitung hat dann innerhalb von 60 Tagen nach der Empfangsbestätigung zu erfolgen. 2

3 4 5

6 7

MünchKommFamFG/Lipp Rn 6; Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 323; Geimer/ Schütze/Picht Rn 5. Geimer/Schütze/Picht Rn 5. Hierzu Rn 13. Mit Recht kritisch Prütting/Helms/Hau Anh 2 § 110 FamFG Rn 17. Calliess/Ruffert/Ruffert EUV/AEUV Art 288 Rn 20; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 51. Ergänzungslieferung 2013 Art 288 Rn 101; deshalb kritisch MünchKommFamFG/Lipp Rn 13. MünchKommFamFG/Lipp Rn 6; Geimer/Schütze/Picht Rn 5. Anhang VIII.

Marianne Andrae

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Art 58 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

IV. Kommunikation mit dem Antragsteller 8 Das Verfahren ist interbehördlich ausgestaltet. Eine direkte Kommunikation zwischen dem

Antragsteller und der ersuchten Zentralen Behörde ist gesetzlich nicht vorgesehen. Sie ist jedoch nicht ausgeschlossen. Wenn es für die zügige und sachgemäße Bearbeitung angezeigt ist, unmittelbaren Kontakt mit dem Antragsteller aufzunehmen, dann sollte dies auch erfolgen. Dies könnte zB dann zutreffen, wenn der Antragsteller der Sprache des ersuchten Staates mächtig ist. Die direkte Kontaktaufnahme kann der ersuchenden Behörde im Rahmen der Unterrichtung nach Abs 5 lit b mitgeteilt werden. Im Übrigen ist es Sache der ersuchenden Behörde, den Antragsteller über den Stand der Bearbeitung des Antrags zu informieren, diese Frage ist in der EG-UntVO nicht geregelt und unterliegt deshalb der nationalen Gesetzgebung. V. Zurückweisung des Antrags 9 Einziger Ablehnungsgrund für die Bearbeitung des Antrags durch die ersuchte Zentrale

Behörde ist, dass der Antrag offensichtlich nicht die Voraussetzungen der EG-UntVO erfüllt. Mit dem Begriff „offensichtlich“ wird ausgedrückt, dass sich bereits klar und eindeutig aus den Dokumenten ergeben muss, dass die Voraussetzungen nicht vorliegen.8 Kein Ablehnungsgrund ist die Unbegründetheit des Antrags.9 Fälle, die direkt unter Abs 8 fallen, werden selten auftreten, weil eine Antragstellung, die nicht den Anforderungen der EGUntVO entspricht, meist von Abs 9 erfasst wird. Ein Beispiel für Abs 8 wäre, wenn ein Antrag gestellt wird, der nicht mit Art 56 korrespondiert. 10 Abs 8 betrifft nur die Ablehnung der Bearbeitung. Wenn sich während der Bearbeitung erst

herausstellt, dass die Voraussetzungen der Verordnung nicht vorliegen oder die Unbegründetheit des Antrags zweifelsfrei feststeht, hindert Abs 8 die ersuchte Behörde nicht, den Fall abzuschließen, ohne dass ein gerichtliches Verfahren eingeleitet wird. Möglich ist auch eine vorläufige Einstellung, zB wenn eine Vollstreckung gegenwärtig keine Aussicht auf Erfolg hat, weil der Unterhaltsschuldner mittellos ist. 11 Über die Ablehnung der Bearbeitung ist die ersuchende Behörde umgehend, unter Ein-

schluss der Gründe, zu informieren. Hierfür steht ein besonderes Formblatt zur Verfügung.10 Der Antragsteller selbst braucht von der ersuchten Behörde nicht informiert zu werden. Dies ist die Konsequenz daraus, dass die Antragsbearbeitung als interbehördliche Zusammenarbeit ausgestaltet ist. Daraus folgt weiterhin, dass dem Antragsteller gegen diese Entscheidung der ersuchten Behörde kein Rechtsbehelf zur Verfügung steht. Dem Antragsteller bleibt unbenommen, das Verfahren selbst bei dem zuständigen Gericht/ der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaates einzuleiten. VI. Unvollständige Angaben und Schriftstücke 12 Abs 9 schränkt die Anwendung von Abs 8 ein, denn, wenn Angaben und Schriftstücke 8 9 10

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Zur entsprechenden Bestimmung im HUntVerfÜbk 2007 Borrás/Degeling-Bericht Rn 344 f. Zur entsprechenden Bestimmung im HUntVerfÜbk 2007 Borrás/Degeling-Bericht Rn 345. Anhang IX.

Oktober 2014

Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 58 EG-UntVO

offensichtlich unvollständig sind, liegen die Voraussetzungen nach der EG-UntVO nicht vor. Dies stellt nur unter qualifizierten Voraussetzungen einen Ablehnungsgrund dar. Die Unvollständigkeit und/oder das Fehlen von Schriftstücken allein begründet kein Ablehnungsrecht. Zunächst hat die ersuchte Behörde die fehlenden Angaben und Schriftstücke spezifiziert anzufordern. Dann besteht eine Frist zur Heilung der Mängel von 90 Tagen oder eine gesetzte Frist, die mindestens 90 Tage betragen muss. Für den Beginn und das Ende der Frist, die nicht geregelt sind, ist einheitlich auf den Zugang abzustellen. Erst nach Verstreichen der Nachfrist kann die weitere Bearbeitung abgelehnt werden. Aus dem Wort „kann“ folgt, dass die Ablehnung keine zwingende Rechtsfolge ist. VII. Deutsches Vorprüfungsverfahren Die ausgehenden Anträge sind nicht direkt bei der Zentralen Behörde, sondern beim Amts- 13 gericht einzureichen. Vorgesehen ist eine Zuständigkeitskonzentration (§ 7 Abs 1 AUG). Zuständig ist das Gericht, das für den Bezirk am Sitz des OLG zuständig ist, in Berlin ist es das AG Pankow-Weißensee. Die örtliche Zuständigkeit wird über den gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers im Gerichtsbezirk des OLG bestimmt.11 Die Möglichkeit der Vorprüfung durch eine andere Stelle als die Zentrale Behörde ergibt sich aus Art 51 Abs 3 EGUntVO.12 Eingeschlossen kann auch die Entscheidung über die Weiterleitung des Antrags sein.13 Der Vorstand des Amtsgerichts oder ein dazu bestimmte Richter nimmt eine inhaltliche Vorprüfung (§ 9 AUG) vor, ob der Antrag mutwillig oder offensichtlich unbegründet ist. Das Kriterium ist, ob die mangelnde Erfolgsaussicht bereits ohne nähere Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen auf der Hand liegt. Soweit eine umfangreiche Prüfung des Kollisionsrechts erforderlich oder sonstige schwierige Rechtsfragen für den Anspruch zu klären sind, dürfte regelmäßig keine offensichtliche Unbegründetheit vorliegen.14 Sind keine Ablehnungsgründe gegeben, so übersendet das Amtsgericht den Antrag an die deutsche Zentrale Behörde. Eine ablehnende Entscheidung ist zu begründen und mit Rechtsmittelbelehrung dem Antragsteller zuzustellen. Sie ist als Justizverwaltungsakt nach § 23 EGGVG anfechtbar (§ 9 Abs 2 S 3 AUG). Die deutsche Zentrale Behörde prüft vor Weiterleitung, ob das Gesuch den förmlichen Anforderungen an ein Verfahren im Empfangsstaat entspricht. Hinsichtlich der Erfolgsaussichten ist sie an die Bescheinigung des Amtsgerichts gebunden. Die Zentrale Behörde verfolgt die ordnungsgemäße Erledigung des Gesuchs (§ 11 Abs 2 AUG). Die Ablehnung der Weiterleitung des Gesuchs ist als Justizverwaltungsakt ebenfalls nach § 23 EGGVG anfechtbar (§ 11 Abs 3 AUG).

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12

13 14

Das ist insoweit problematisch, als der Antragsteller nach Art 55 EG-UntVO/Art 9 HUntVerfÜbk 2007 lediglich seinen Aufenthalt im ersuchenden Mitgliedstaat haben muss, s Art 44 Rn 11 ff, Art 55 Rn 1, und für diesen Fall eine örtliche Zuständigkeit gegeben sein muss. Lipp vertritt dagegen die Auffassung, dass § 9 AUG den Vorrang der EG-UntVO missachtet. Die Verwerfungskompetenz stehe unionsrechtlich nicht dem Gericht, sondern nur der Zentralen Behörde zu. Deshalb sei § 9 Abs 4 AUG analog anzuwenden, MünchKommFamFG/Lipp Vorb zu §§ 7 ff AUG Rn 3. AA MünchKommFamFG/Lipp Rn 14. Begr BT-Drs 17/4887, 36; Zur Vereinbarkeit mit Art 58 Abs 2 siehe Rn 6.

Marianne Andrae

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Art 59 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Artikel 59: Sprachenregelung (1) Das Formblatt für das Ersuchen oder den Antrag ist in der Amtssprache des ersuchten Mitgliedstaats oder, wenn es in diesem Mitgliedstaat mehrere Amtssprachen gibt, der Amtssprache oder einer der Amtssprachen des Ortes, an dem sich die betreffende Zentrale Behörde befindet, oder in einer sonstigen Amtssprache der Organe der Europäischen Union, die der ersuchte Mitgliedstaat für zulässig erklärt hat, auszufüllen, es sei denn, die Zentrale Behörde dieses Mitgliedstaats verzichtet auf eine Übersetzung. (2) Unbeschadet der Artikel 20, 28, 40 und 66 werden die dem Formblatt für das Ersuchen oder den Antrag beigefügten Schriftstücke nur dann in die gemäß Absatz 1 bestimmte Sprache übersetzt, wenn eine Übersetzung für die Gewährung der beantragten Hilfe erforderlich ist. (3) Die sonstige Kommunikation zwischen den Zentralen Behörden erfolgt in der nach Absatz 1 bestimmten Sprache, sofern die Zentralen Behörden nichts anderes vereinbaren.

1 Art 59 regelt die Sprachenproblematik für die Zusammenarbeit der Zentralen Behörden

nach Kap VII. Danach unterscheiden sich die sprachlichen Anforderungen an die Kommunikation zwischen den zuständigen Stellen nach der Art der Dokumente. I. Formblätter für ein Ersuchen/einen Antrag (Abs 1) 2 Grundsätzlich müssen Formblätter für ein Ersuchen/einen Antrag – dies betrifft die Form-

blätter in den Anhängen V-IX – in der Amtssprache des Mitgliedstaates abgefasst sein, dessen Zentrale Behörden um eine Zusammenarbeit ersucht werden. Wenn der betreffende Mitgliedstaat mehrere Amtssprachen kennt, ist diejenige des Ortes zu verwenden, an dem sich die ersuchte Behörde befindet. Darüber hinaus steht es allen Mitgliedstaaten frei, die sonstigen Amtssprachen der Organe der Europäischen Gemeinschaft für ein Ersuchen für zulässig zu erklären.1 Das zwingende Abfassen in einer zulässigen Sprache rechtfertigt sich durch die Standardisierung der Formblätter, denn diese sind in allen Mitgliedstaaten identisch und oftmals durch bloßes Ankreuzen auszufüllen.2

3 Die Bestimmung der zulässigen Sprache ist der Kommission bis zum 18.9.2010 mitzutei-

len.3 Für die vergleichbare Problematik in der EG-BewO haben die Mitgliedstaaten jedoch nur sehr zurückhaltend von der Sprachwahl Gebrauch gemacht.4 4 Gegenüber der EG-BewO ist die Kommunikation insoweit erleichtert, als die ersuchte Zen-

trale Behörde auf eine Übersetzung auch verzichten kann.5

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Eine Übersicht über die derzeitig zulässigen Amtssprachen der Europäischen Gemeinschaft ist zu finden unter: http://europa.eu/abc/european_countries/languages/index_de.htm. Zur entsprechenden Regelung in der EG-BewVO Rauscher/von Hein Art 5 EG-BewVO Rn 1 ff; Gebauer/ Wiedmann/Huber Art 5 EG-BewVO Rn 88. Vgl Art 71 Abs 1 lit h. Übersicht bei Rauscher/von Hein Art 5 EG-BewVO Rn 3; Gebauer/Wiedmann/Huber Art 5 EG-BewVO Rn 90. Vgl Art 5 EG-BewO.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 60 EG-UntVO

II. Beigefügte Schriftstücke zu den Formblättern (Abs 2) Den Formblättern beigefügte Schriftstücke müssen dagegen gemäß Abs 2 grundsätzlich 5 nicht in die nach Abs 1 zulässige Sprache übersetzt werden.6 Die Verordnung geht insoweit davon aus, dass die standardisierten Formblätter die für einen Antrag oder ein Ersuchen wesentlichen Angaben zutreffend beinhalten. Diese Spracherleichterung kommt etwa in Betracht für die Anlagen zum Antrag – auf Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung einer Entscheidung nach dem Formblatt in Anhang VI – auf Herbeiführung oder Änderung einer Entscheidung nach dem Formblatt in Anhang VII. Lediglich im Ausnahmefall ist eine Übersetzung der Anlagen erforderlich, wenn andernfalls 6 die beantragte Hilfe nicht gewährt werden könnte. Dies muss wegen der grundsätzlichen Festlegung in Abs 2 die ersuchte Behörde im Einzelfall darlegen. Da die EG-UntVO eine einfache und schnelle Beilegung von Rechtsstreitigkeiten anstrebt,7 kann von der ersuchten Behörde jedoch keine umfassende Begründung verlangt werden. In Abs 2 ist darüber hinaus klar gestellt, dass die Spracherleichterung hinsichtlich der 7 Anlagen nicht für die besonderen Übersetzungsanforderungen nach Art 20 Abs 1 lit d (Vollstreckung),8 Art 28 Abs 1 lit c (Vollsteckbarerklärung), Art 40 Abs 3 und Art 66 (Beweisunterlagen) gilt. Die Übersetzungsanforderungen nach den genannten Vorschriften sind vorrangig zu beachten und gehen Art 59 Abs 2 immer vor. III. Sonstige Kommunikation (Abs 3) Sonstige Kommunikation zwischen den Zentralen Behörden, die nicht über die Formblätter 8 und den Anlagen hierzu erfolgt, bedarf einer Übersetzung in die nach Abs 1 von den Mitgliedstaaten festgelegte Sprache. Es steht den Zentralen Behörden aber frei, für die Verständigung untereinander hierzu eine Abweichung zu vereinbaren. Außerhalb der Formblätter sind die Zentralen Behörden damit nicht an Formvorgaben gebunden.

Artikel 60: Zusammenkünfte (1) Zur leichteren Anwendung dieser Verordnung finden regelmäßig Zusammenkünfte der Zentralen Behörden statt. (2) Die Einberufung dieser Zusammenkünfte erfolgt im Einklang mit der Entscheidung 2001/470/EG.

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Diese Regelung bringt eine weitere Erleichterung gegenüber der Sprachproblematik in der EG-BewO, für die die Sprache für Anlagen zu den Formblättern nicht zweifelsfrei ist. Hierzu Rauscher/von Hein Art 5 EG-BewVO Rn 4; Gebauer/Wiedmann/Huber Art 5 EG-BewVO Rn 90. Vgl ErwGr 4. Hierzu Art 20 Rn 5 ff.

Marianne Andrae

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Vorbem zu Artt 61 ff EG-UntVO

Vorbemerkungen zu den Artt 61 ff I. II. III.

Zielstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Information über die Adresse . . . . . . . . . . . . . . . 3 Informationen über die Einkommensund Vermögenssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

IV. V.

Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Deutsche Durchführungsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

I. Zielstellung 1 Art 61-63 stellen zentrale Bestimmungen im Kapitel VII dar. Sie regeln einheitlich in den

Mitgliedstaaten den Zugang der Zentralen Behörden zu Informationen, die in ihrem Staat andere Institutionen über die Anschriften der unterhaltsberechtigten oder -verpflichteten Person sowie über Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Unterhaltsverpflichteten besitzen, die Weiterleitung und die Verwendung dieser Informationen für die konkrete Unterhaltssache sowie die Informationen des Betroffenen von der Erhebung. Sie führen zu einer erheblichen Erleichterung für die grenzüberschreitende Geltendmachung und Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen. 2 Die Bestimmungen sind eingeordnet in das System der Zusammenarbeit der Zentralen

Behörden der Mitgliedstaaten in konkreten Unterhaltssachen. Das betrifft einerseits die Anträge nach Art 56 und andererseits die Ersuchen um besondere Maßnahmen nach Art 53. Zugleich beachten sie die Anforderungen der Richtlinie 95/46/EG.1 Art 68 bestimmt ausdrücklich, dass die Anwendung der Richtlinie 95/46/EG von der EG-UntVO unberührt bleibt. Inhaltlich sind in die Regelung die Hinweise in der Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zum Entwurf der EG-UntVO2 aufgenommen worden. Zusammenfassend kann die mit Art 61-63 verfolgte Zielstellung beschrieben werden: Erleichterung des Zugangs zu bestimmten personenbezogenen Daten (Adresse sowie Einkommensund Vermögensverhältnisse) unter Einhaltung der Anforderungen, die sich aus der Richtlinie 95/46/EG ergeben. II. Information über die Adresse 3 Die Geltendmachung und Durchsetzung von Forderungen in grenzüberschreitenden Un-

terhaltssachen ist bisher dadurch tatsächlich erheblich behindert worden, dass es äußerst schwierig ist, eine unbekannte Adresse3 der anderen Seite in einem anderen Mitgliedstaat zu ermitteln. Zwar werden in den meisten Mitgliedstaaten die Anschriften aller Einwohner in Melderegistern verzeichnet. Diese Register werden jedoch auf unterschiedlichste Weise geführt. In manchen Mitgliedstaaten gibt es Register auf kommunaler Ebene und in anderen Zentralregister. Die Zugangsmöglichkeiten zu den Registern sind unterschiedlich ausgestaltet.4 1

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Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr ABl EG 1995 L 281/31. Europäischer Datenschutzbeauftragter, 7.10.2006, ABl EU 2006 C 242/20. Es kommt auf die Zustellungsadresse an Geimer/Schütze/Picht Art 61 Rn 13.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Vorbem zu Artt 61 ff EG-UntVO

Art 61 berührt die verschiedenen Meldesysteme der Mitgliedstaaten nicht. Erleichtert wird 4 jedoch das Ausfindigmachen der Adresse der anderen Seite in Unterhaltssachen durch den einheitlich geregelten Zugang der Zentralen Behörden zu diesen Registern bei Anträgen nach Art 56 und bei einem besonderen Ersuchen nach Art 53 Abs 1 und 3, soweit sie auf die Register keinen direkten Zugriff haben. Die Information über die Adresse des Unterhaltsberechtigten oder -verpflichteten kann durch die Zentrale Behörde bei der hierfür zuständigen Institution ihres Landes eingeholt werden, wenn dies den Erlass, die Änderung, die Anerkennung, die Vollstreckbarerklärung oder Vollstreckung einer Entscheidung in einer konkreten Unterhaltssache erleichtert. Alle Anträge nach Art 56 können über die ersuchende Zentrale Behörde des Mitgliedstaa- 5 tes, in dem der Antragsteller seinen Aufenthalt hat, an die Zentrale Behörde des Mitgliedstaates weitergeleitet werden, in dem der Aufenthalt der anderen Partei vermutet wird, auch ohne Angabe der Adresse, wenn diese nicht bekannt ist. Die Zentrale Behörde ist dann nach Art 51 Abs 2 lit b verpflichtet, behilflich zu sein, den Aufenthalt (besser die Adresse), insbesondere unter Anwendung der Art 61-63, ausfindig zu machen. Die Adresse darf der antragstellenden Person nicht offen gelegt werden (Art 62 Abs 2). Sie wird lediglich darüber informiert, ob eine Adresse im ersuchten Mitgliedstaat besteht. Bei dem Ersuchen der Zentralen Behörde nach Art 53 an die Zentrale Behörde eines 6 anderen Mitgliedstaates erfordert dies einen Austausch der Information zwischen den Zentralen Behörden. Die eine Zentrale Behörde ersucht die andere Zentrale Behörde um die Information über die Adresse des Unterhaltsberechtigten oder -verpflichteten, entweder zur Vorbereitung eines Antrags nach Art 56 (Art 53 Abs 1) oder für ein bereits im Mitgliedstaat der ersuchenden Behörde anhängiges Erkenntnisverfahren (Art 53 Abs 3). Für den letzteren Fall ist die Information vor allem wichtig für die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an den Antragsgegner.5 III. Informationen über die Einkommens- und Vermögenssituation Informationen über die Einkommens- und Vermögenssituation der unterhaltsberechtigten 7 und -verpflichtenten Person sind bereits wichtig für die Entscheidung darüber, ob überhaupt und in welcher Höhe Unterhalt geschuldet wird. Unterhalt ist nur zu leisten, wenn die eine Seite bedürftig und die andere Seite wirtschaftlich leistungsfähig ist. Für ein Gericht ist es äußerst kompliziert die Einkommenssituation einer Partei für die Entscheidung ausfindig zu machen, wenn diese im Ausland ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder Einkommen bzw Vermögen hat, soweit diese selbst darüber nicht oder nicht vollständig Auskunft erteilt. Die nationalen Bestimmungen über die Auskunftserteilung durch Dritte, wie § 236 FamFG, 8 helfen in diesen Fällen nicht weiter, weil sie sich auf Informationsquellen im betreffenden Mitgliedstaat beziehen. Die EG-UntVO führt für dieses Verfahrensstadium nicht zu einer Verbesserung der Informationsbeschaffung der Gerichte der Mitgliedstaaten in solchen grenzüberschreitenden Fällen. Zwar haben nach Art 51 Abs 2 lit c die Zentralen Behörden allgemein angemessene Maßnahmen zur Erlangung einschlägiger Informationen über das 4

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Siehe hierzu Europäische Kommission, Grünbuch […] Transparenz des Schuldnervermögens, 6.3.2008, KOM (2008) 128, 7. Hierzu auch Art 53 Rn 24.

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Vorbem zu Artt 61 ff EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Einkommen und, wenn nötig, das Vermögen der verpflichteten oder der berechtigten Person – insbesondere unter Anwendung der Art 61-63 – zu treffen. Art 61 Abs 2 S 3 schließt die Anforderung dieser Informationen durch die Zentralen Behörden innerhalb ihres Landes bei Institutionen aus, soweit diese den Verpflichtungen des Datenschutzes unterliegen. Der gewisse Widerspruch in den Regelungen ist damit zu erklären, dass Art 51 Abs 2 den Art 6 Abs 2 des HUntVerfÜbk 2007 übernimmt, dieses aber nicht eine Art 61 vergleichbare Bestimmung vorsieht, sondern in Art 38-40 allgemein den Schutz personenbezogener Daten, ihre Vertraulichkeit und die Nichtoffenlegung von Informationen regelt. 9 Dagegen erreicht die EG-UntVO eine wesentliche Verbesserung hinsichtlich der Transpa-

renz des Schuldnervermögens in Fällen, in denen der Unterhaltsgläubiger seinen Aufenthalt in dem einen Mitgliedstaat hat und die Vollstreckung aus einem vollstreckbaren Titel in einem anderen Mitgliedstaat betreiben will, wenn er hierfür die Unterstützung der Zentralen Behörden in Anspruch nimmt. Nach Art 61 Abs 2 S 4 kann die ersuchte Zentrale Behörde alle in Abs 2 S 2 aufgelisteten Informationen für die Zwecke der Anerkennung, der Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung anfordern, wobei bis auf die Anschrift der verpflichteten Person die Informationen vor allem für die Vollstreckung von entscheidender Bedeutung sind. Die in Abs 2 S 2 aufgelisteten Informationen sind den Zentralen Behörden durch die Behörden und Institution ihres Staates auch dann zur Verfügung zu stellen, wenn diese Informationsquelle für die Vollstreckungsorgane bzw die Gläubiger nach nationalem Recht nicht zur Verfügung stehen. 10 Bisher war die Eintreibung von Forderungen aus vollstreckbaren Titeln, einschließlich

Unterhaltsforderungen, erheblich durch die Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtssystemen und die unzureichende Kenntnis der Gläubiger von der Informationsstruktur für die Vollstreckung in den einzelnen Mitgliedstaaten erschwert.6 Im Grünbuch Transparenz des Schuldnervermögens, das auf einer Studie über die effizientere Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union7 beruht, in dem die Rechtslage in 15 Mitgliedstaaten untersucht wurde, werden zwei verschiedene Vorgehensweisen bei der Erlangung von Auskünften unterschieden, die zT in den Mitgliedstaaten kombiniert sind. Bei der einen werden die Auskünfte vom Schuldner selbst erteilt in Form einer Offenlegung seines gesamten Vermögens8 oder, soweit es zur Befriedigung der Forderung notwendig ist (zB Spanien und Portugal). In anderen Mitgliedstaaten bilden Register und andere Informationsquellen die Hauptinformationsquelle.9 11 Die modernen Vollstreckungsordnungen10 ermöglichen den befugten Stellen den Zugang

zu nichtöffentlichen Dateien für vermögensrelevante Informationen, die für die Vollstreckung erforderlich sind. Dabei sind die Zugangsvoraussetzungen unterschiedlich ausgestaltet. Charakteristisch ist, dass nicht der Gläubiger unmittelbaren Zugang zu den Daten hat, 6

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Europäische Kommission, Grünbuch […] Transparenz des Schuldnervermögens, 6.3.2008, KOM (2008) 128, 4. Hess Study 18.4.2004, JAI/A3/02/2002, abrufbar unter www.euzpr.eu. ZB Griechenland und Deutschland. Europäische Kommission, Grünbuch […] Transparenz des Schuldnervermögens, 6.3.2008, KOM (2008) 128, 4. So der Ausdruck bei Europäische Kommission, Grünbuch […] Transparenz des Schuldnervermögens, 6.3.2008, KOM (2008) 128, 8.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Vorbem zu Artt 61 ff EG-UntVO

sondern das Vollstreckungsorgan, das Gericht oder zB in Frankreich der Staatsanwalt eingeschaltet werden muss.11 Art 61 geht von diesen „modernen“ Systemen des Informationszugangs in einer Reihe von Mitgliedstaaten aus. Er bestimmt einheitlich die Zentralen Behörden im jeweiligen Mitgliedstaat als zugangsberechtigte Behörde und regelt zugleich den Umfang und die Begrenzung ihres Zugangs zu Informationen, die bei Behörden und Verwaltungen im Rahmen derer gewöhnlichen Tätigkeit vorhanden sind. Dies ermöglicht den Zentralen Behörden bei Anträgen, insbesondere nach Art 56 lit b, die Vollstreckung aus der Unterhaltsentscheidung in vielen Fällen effizient zu erreichen. Grundsätzlich findet zwischen den Zentralen Behörden kein Austausch der Informationen 12 in Bezug auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse einer Person, die nach Art 61 erlangt werden, statt. Die Informationen werden von der ersuchten Behörde an das zuständige Gericht oder Vollstreckungsorgan ihres Landes, und nicht an die ersuchende Zentrale Behörde, weitergegeben. Diese Lösung rechtfertigt sich daraus, dass die EG-UntVO weder eine grenzüberschreitende Anordnung einer monatlichen Pfändung, noch eine vorübergehende Kontensperrung vorsieht. Eine Ausnahme vom fehlenden Informationsaustausch regelt Art 53 Abs 1 und 2. Hiernach 13 kann im Vorfeld eines Antrags nach Art 56 Abs 1 lit a und b die Zentrale Behörde eines Mitgliedstaates die andere Zentrale Behörde um Informationen zu diesem Gegenstand ersuchen, wobei sich die Information darauf beschränkt, ob überhaupt Einkommen und Vermögen in dem betreffenden Staat erzielt wird oder vorhanden ist, soweit die Information auf Art 61 beruht. Weiß der Unterhaltsgläubiger, der seinen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat, nicht, ob und in welchem Mitgliedstaat der Unterhaltsschuldner Einkommen oder Vermögen hat, so kann die Anfrage als Ersuchen der Zentralen Behörde seines Aufenthaltslandes an die Zentralen Behörden der in Frage kommenden Mitgliedstaaten einzeln erfolgen. Eine Zusammenfügung der Informationen zu einem Ganzen findet nicht statt. Die Informationsbeschaffung nach Art 61 hat keinen ausschließlichen Charakter, vielmehr 14 stellt sie eine zusätzliche Möglichkeit im Rahmen der Zusammenarbeit der Zentralen Behörden der Mitgliedstaaten bei Anträgen nach Art 56 und bei Ersuchen nach Art 53 dar. Die auf den Bestimmungen der lex fori beruhenden allgemeinen Informationszugänge für die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen im gerichtlichen Verfahren stehen zur Verfügung.12 Hinzukommen materiell-rechtliche Auskunftsansprüche, die sich nach dem Unterhaltsstatut richten. Grenzüberschreitend besteht für die Gerichten der Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die Rechtshilfe nach der EG-BewVO zu nutzen. IV. Fallgruppen Rechtspraktisch sind zusammenfassend hauptsächlich folgende Fallgruppen in Bezug auf 15 Informationen über das Einkommen und Vermögen des Unterhaltsschuldners zu unterscheiden:

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Beispielhaft dargestellt Europäische Kommission, Grünbuch […] Transparenz des Schuldnervermögens, 6.3.2008, KOM (2008) 128, 8. ZB in Deutschland § 236 ZPO für das Erkenntnisverfahren, § 802c ZPO für das Vollstreckungsverfahren; Hierzu MünchKommFamFG/Lipp Art 60 Rn 16.

Marianne Andrae

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Vorbem zu Artt 61 ff EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

1. Es gibt einen vollstreckbaren Unterhaltstitel (Entscheidung, gerichtlicher Vergleich oder öffentliche Urkunde) und der Unterhaltsberechtigte hat einen Antrag nach Art 56 Abs 1 lit a oder b gestellt. Die ersuchte Zentrale Behörde kann in diesem Fall Informationen nach Art 61 einholen und sie weiterleiten an die Gerichte und Vollstreckungsorgane ihres Staates nach Art 62. Außerdem stehen die nach allgemeiner rechtlicher Regelung bestehenden Informationsmöglichkeiten über das Schuldnervermögen im Vollstreckungsstaat zur Verfügung. In Deutschland kommt deshalb auch die Vermögensauskunft nach §§ 802 ff ZPO in Frage. Zu dieser Fallgruppe gehört auch die Vorabinformation über das Vorhandensein von Schuldnereinkommen und -vermögen nach Art 53 Abs 1 und 2. 16 2. Es ist ein Antrag auf Herbeiführung einer Entscheidung oder die Änderung einer Ent-

scheidung im ersuchten Mitgliedstaat gestellt (Art 56 Abs 1 lit c-f, Abs 2 lit b und c). Eine Information der ersuchten Zentralen Behörde über die finanzielle und Vermögenssituation eines Verfahrensbeteiligten nach Art 61 ist ausgeschlossen. Das in der Unterhaltssache angerufene Gericht kann für seine Entscheidung die Informationsmöglichkeiten nutzen, die den Gerichten in diesem Staat für Verfahren dieser Art im Allgemeinen zur Verfügung stehen, zB in Deutschland könnte es Auskünfte nach § 236 FamFG einholen, wenn der Unterhaltsschuldner seiner Auskunftspflicht nicht oder nicht ausreichend nachkommt. 17 3. Der Unterhaltsberechtigte leitet ein Verfahren in dem Mitgliedstaat ein, in dem er

seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, und im Laufe des Verfahrens sind Informationen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Unterhaltsschuldners in einem anderen Mitgliedstaat für die Entscheidung erforderlich, die das Gericht nicht über die ihm zur Verfügung stehenden Informationsquellen im eigenen Land erhalten kann. Die EG-UntVO schließt zwar eine diesbezügliche Zusammenarbeit der Zentralen Behörden nicht aus. Da aber Informationsbeschaffung seitens der ersuchten Zentralen Behörde nach Art 61 für diesen Zweck ausgeschlossen ist, führt sie zu keiner deutlichen Verbesserung gegenüber dem bisherigen Rechtszustand.13 V. Deutsche Durchführungsbestimmungen 18 §§ 16–19 AUG regeln die Datenerhebung durch die deutsche Zentrale Behörde als ersuchte

Behörde. Die Bestimmungen beziehen sich sowohl auf ihre Tätigkeit bei Ersuchen um Unterstützung in Unterhaltssachen nach der EG-UntVO als auch nach den einschlägigen Staatsverträgen und im Verhältnis zu den Staaten für die Gegenseitigkeit formell festgestellt ist. In § 16 sind die deutschen Institutionen genannt, bei denen Informationen über die Adresse der Person eingeholt werden können. Kann danach der Aufenthalt nicht ermittelt werden, darf ein Suchvermerk im Zentralregister eingeholt werden. 19 § 17 AUG widmet sich der Auskunft über Einkommen und Vermögen des Unterhalts-

schuldners zum Zweck der Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung des Unterhaltstitels. Die zentrale Behörde hat den Schuldner zunächst aufzufordern, Auskunft über sein Einkommen und Vermögen zu erteilen. Auskunft kann nur eingeholt werden, wenn dieser die Angaben verweigert. Die Möglichkeit besteht auch dann, wenn sich bei der Vollstreckung herausstellt, dass die angegebenen Vermögensgegenstände zur Vollstreckung nicht ausrei-

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Hierzu Rn 8 sowie Art 53 Rn 25.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 61 EG-UntVO

chen. Die Einholung der Auskünfte muss vorher angedroht werden. Die Institutionen, von denen Auskünfte eingeholt werden können, sind in § 17 AUG aufgelistet. § 18 AUG regelt die Benachrichtigung über die Datenerhebung. In Abs 1 ist bestimmt, dass 20 die zentrale Behörde den Antragsteller grundsätzlich nur darüber informiert, ob ein Auskunftsersuchen erfolgreich war. Die Regelung entspricht wohl noch inhaltlich Art 62 Abs 2 UAbs 2 EG-UntVO, nur fehlt dort das Wort „grundsätzlich“. Ausnahmen sind in der Verordnung nicht vorgesehen und die Wortwahl „dürfen nicht“ spricht gegen ihre Zulässigkeit.14 In der Begründung zum Gesetzentwurf werden mögliche, eng beschränkte Ausnahmen von der Informationsbeschränkung genannt, so wenn die Daten für die Führung eines bereits anhängigen Verfahrens, für seine Einleitung oder für die Beurteilung eines außergerichtlichen Vergleichsvorschlages erforderlich sind. Dies ist problemlos, wenn der Betroffene der Weitergabe der Daten zustimmt.15 Die gegenüber der EG-UntVO weitergehenden Lösung wird damit gerechtfertigt, dass es nicht der mit der Verordnung verfolgten effektiven Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen dient, wenn der Gläubiger in einer solchen Situation erst ein gerichtliches Verfahren einleiten muss, um die erforderlichen Informationen zu erhalten.16

Artikel 61: Zugang der Zentralen Behörden zu Informationen (1) Nach Maßgabe dieses Kapitels und abweichend von Artikel 51 Absatz 4 setzt die ersuchte Zentrale Behörde alle geeigneten und angemessenen Mittel ein, um die Informationen gemäß Absatz 2 einzuholen, die erforderlich sind, um in einem bestimmten Fall den Erlass, die Änderung, die Anerkennung, die Vollstreckbarerklärung oder die Vollstreckung einer Entscheidung zu erleichtern. Die Behörden oder Verwaltungen, die im Rahmen ihrer gewöhnlichen Tätigkeit im ersuchten Mitgliedstaat über die Informationen nach Absatz 2 verfügen und für ihre Verarbeitung im Sinne der Richtlinie 95/46/EG verantwortlich sind, stellen diese Informationen vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der nationalen oder öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt sind, der ersuchten Zentralen Behörde auf Anfrage in den Fällen, in denen die ersuchte Zentrale Behörde keinen direkten Zugang zu diesen Informationen hat, zur Verfügung. Die Mitgliedstaaten können die Behörden oder Verwaltungen bestimmen, die geeignet sind, der ersuchten Zentralen Behörde die Informationen nach Absatz 2 zur Verfügung zu stellen. Nimmt ein Mitgliedstaat eine solche Bestimmung vor, so achtet er darauf, dass er die Behörden und Verwaltungen so auswählt, dass seine Zentrale Behörde Zugang zu den erforderlichen Informationen gemäß diesem Artikel erhält. Andere juristische Personen, die im ersuchten Mitgliedstaat über die Informationen nach Absatz 2 verfügen und für ihre Verarbeitung im Sinne der Richtlinie 95/46/EG verantwortlich sind, stellen diese Informationen der ersuchten Zentralen Behörde auf Anfrage zur Verfügung, wenn sie nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats dazu befugt sind. Die ersuchte Zentrale Behörde leitet die so erlangten Informationen erforderlichenfalls an die ersuchende Zentrale Behörde weiter. (2) Bei den Informationen im Sinne dieses Artikels muss es sich um solche handeln, über die die 14 15 16

Hierzu bereits Geimer/Schütze/Picht Art 62 Rn 5. MünchKommFamFG/Lipp Art 61 Rn 11. Bt-Drs 17/4847, 40.

Marianne Andrae

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Art 61 EG-UntVO

Behörden, Verwaltungen oder Personen nach Absatz 1 bereits verfügen. Diese Informationen sind angemessen und erheblich und gehen nicht über das Erforderliche hinaus; sie betreffen Folgendes: a) Anschrift der verpflichteten oder der berechtigten Person, b) Einkommen der verpflichteten Person, c) Nennung des Arbeitgebers der verpflichteten Person und/oder der Bankverbindung(en) der verpflichteten Person und d) Vermögen der verpflichteten Person. Zur Herbeiführung oder Änderung einer Entscheidung kann die ersuchte Zentrale Behörde nur die Angaben nach Buchstabe a anfordern. Für die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung oder Vollstreckung einer Entscheidung kann die ersuchte Zentrale Behörde alle Angaben nach Unterabsatz 1 anfordern. Die Angaben nach Buchstabe d können jedoch nur dann angefordert werden, wenn die Angaben nach den Buchstaben b und c nicht ausreichen, um die Vollstreckung der Entscheidung zu ermöglichen. I. II. III. IV.

Gegenstand der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keine Anwendung von Art 51 Abs 4 . . . . . . Anforderungen an die Informationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zugang zu Informationen von Behörden und Verwaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Andere juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . 13 VI. Gegenstand der Information . . . . . . . . . . . . . . 14 VII. Einschränkungen der Informationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

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I. Gegenstand der Regelung 1 Die Pflicht der Zentralen Behörden, angemessene Maßnahmen zu treffen, um erforderliche

Informationen in Bezug auf den Aufenthaltsort von verpflichteter und berechtigter Person, sowie über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erhalten, ist bereits in Art 51 Abs 2 lit a und b für Anträge nach Art 56 geregelt. Außerdem kann ein Ersuchen um besondere Maßnahmen nach Art 53 auf solche Informationen gerichtet sein. Art 61 präzisiert diese Pflicht in Bezug auf Informationen, die in Abs 2 S 2 aufgelistet sind und regelt zugleich einheitlich den Zugang der Zentralen Behörden zu diesen Informationen, soweit sie über diese selbst nicht verfügen und diese auch allgemein öffentlich nicht zugänglich sind. Er stellt sicher, dass die Zentralen Behörden Zugang zu solchen Angaben bei Behörden oder Verwaltungen erhalten, die im Rahmen ihrer üblichen Tätigkeit über die betreffenden Angaben verfügen.1 Da es sich um personenbezogene Daten handelt, zu denen den Zentralen Behörden der Zugang ermöglicht wird, sind die Anforderungen aus der Richtlinie 95/46/EG in die Regelung aufgenommen. II. Keine Anwendung von Art 51 Abs 4 2 Die Zentralen Behörden können die in Abs 2 S 2 aufgelisteten Informationen bei den

Behörden und anderen Stellen auch anfordern, wenn nach nationalem Recht die Einforderung in der ausschließlichen Kompetenz der Gerichte liegt. Eine diesbezügliche Schranke des Informationszugangs nach nationalem Recht wird durch die verordnungsrechtliche Regelung für die Zentralen Behörden aufgehoben. 1

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ErwGr 33.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 61 EG-UntVO

III. Anforderungen an die Informationsbeschaffung Die Information muss erforderlich sein, um im konkreten Fall den Erlass, die Änderung, die 3 Anerkennung, die Vollstreckbarerklärung oder die Vollstreckung zu erleichtern. Welche Informationen bei Anträgen nach Art 56 erforderlich sind, ergibt sich aus dem konkreten Antrag und den Umständen des Einzelfalls und steht im pflichtgemäßen Ermessen der ersuchten Zentralen Behörde.2 Bei Ersuchen um besondere Maßnahmen hat die ersuchende Zentrale Behörde das Ersuchen zu begründen, woraus die ersuchte Zentrale Behörde dann die erforderlichen Maßnahmen ableiten kann. Der in Abs 1 UAbs 1 bestimmte Zweck der Informationsbeschaffung wird für Informatio- 4 nen, die nicht die Adresse des Unterhaltsverpflichteten oder -berechtigten betreffen, durch Abs 2 S 3-5 eingeschränkt bzw präzisiert.3 Um diese erforderlichen Informationen zu erlangen, hat die Zentrale Behörde alle geeigneten und angemessenen Mittel einzusetzen. In Abs 1 ist dies als Pflicht der Zentralen Behörde im Zusammenhang mit der Realisierung ihrer sich aus Kapitel VII ergebenden Aufgaben formuliert. Angemessenheit, Erheblichkeit und Erforderlichkeit sind gleichfalls Kriterien für den Zu- 5 gang zu den personenbezogenen Daten (Abs 2 S 2)4 und sind dort vor allem unter datenschutzrechtlichen Aspekten auszulegen. Geeignet ist die Nutzung solcher Informationsquellen, bei denen nicht nur gelegentlich/zufällig Informationen der betreffenden Art vorhanden sind, nicht jedoch solcher, die der Sammlung von Informationen ganz anderer Art dienen. Angemessen bedeutet, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei den Mitteln der Informationsbeschaffung gewahrt wird. Die Zentrale Behörde braucht keine Mittel einzusetzen, deren Aufwand in keiner angemessenen Relation zu dem zu erwartenden Informationsergebnis steht. IV. Zugang zu Informationen von Behörden und Verwaltungen Abs 1 UAbs 2 und 3 ermöglicht den Zentralen Behörden in ihrem Staat einen Zugang zu den 6 in Abs 2 S 2 bestimmten personenbezogenen Informationen bei Behörden und Verwaltungen, unabhängig davon, wer nach nationalem Recht den Zugang zu diesen Daten hat. Es handelt sich um eine gemeinschaftsrechtliche Sachregelung, die insoweit Vorrang vor den einzelstaatlichen Bestimmungen hat.5 Die Befugnis der Zentralen Behörden und die Pflicht zur Weitergabe von Informationen an sie seitens der Behörden und Verwaltungen in den einzelnen Mitgliedstaaten werden vereinheitlicht. Dies ist von besonderer Bedeutung, weil der Zugang der Gerichte und Vollstreckungsbehörden zu diesen Informationen in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ist.6 Diese Ebene wird durch Abs 1 nicht berührt. Jedoch werden für grenzüberschreitende Unterhaltssachen innerhalb der Gemeinschaft diese Unterschiede dadurch überbrückt, dass der Zugang der Zentralen Behörden in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen besteht. Der Vorteil besteht darin, dass die nationalen Systeme der 2

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Auch im Verhältnis zu den kontaktierten inländischen Behörden und Institutionen hierzu Geimer/ Schütze/Picht Rn 20. Hierzu Rn 15. Hierzu auch Geimer/Schütze/Picht Rn 5. Wie hier MünchKommFamFG/Lipp Rn 8. Hierzu Vorbem Art 61 ff Rn 3 ff.

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Art 61 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Informationsbeschaffung und ihrer Eingrenzung außerhalb der Zentralen Behörden nicht angetastet werden. 7 Die Regelung stellt eine Rechtsvorschrift iSd Art 13 RL 95/46/EG als rechtliche Voraus-

setzung für den Zugang der Zentralen Behörden zu personenbezogenen Daten dar, über die die einzelnen nationalen Behörden und Verwaltungen bereits verfügen. Diese Daten sind zu anderen Zwecken, als für die Erleichterung des Erlasses, der Änderung oder der Vollstreckung von Entscheidungen in Unterhaltssachen erhoben worden. Als Beispiel seien die Informationen bei den Finanzverwaltungen, den KFZ-Meldestellen oder den Sozialversicherungsträgern genannt. Die Weitergabe der Information an die Zentralen Behörden und deren Weiterreichung an die Zentrale Behörde eines anderen Mitgliedstaates (Abs 1 UAbs 4) sowie an Gerichte und Behörden nach Art 62 Abs 1 führt zur Veränderung des ursprünglichen Verwendungszwecks. 8 Damit ist ein elementares Prinzip des Schutzes personenbezogener Daten, nämlich der

Grundsatz der Zweckbeschränkung, betroffen.7 Danach werden personenbezogene Daten für festgelegte eindeutige und rechtmäßige Zwecke erhoben und in einer mit diesen Zweckbestimmungen zu vereinbarenden Weise weiter verarbeitet.8 Die Zulässigkeit der Änderung des Zwecks, zu dem personenbezogene Daten verarbeitet werden, ist in Art 13 der Richtlinie 95/46/EG geregelt.9 Sie muss in Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates angeordnet sein – diesem Erfordernis wird auch eine diesbezügliche gemeinschaftsrechtliche Vorschrift gerecht – und sie muss sich auf einen der dort festgelegten Gründe berufen. In Betracht kommt die Notwendigkeit aus Gründen des Schutzes der Rechte anderer Personen. 9 Folgende Voraussetzungen sind in Abs 2 für den Zugang zu den personenbezogenen Daten

bestimmt: 1. Informationsträger sind Behörden und Verwaltungen im ersuchten Mitgliedstaat. Das sind staatliche oder kommunale Institutionen, auch Selbstverwaltungsorgane, die administrative oder Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Welche im Einzelnen hierunter fallen, ergibt sich aus der staatlichen und der Verwaltungsorganisation des betreffenden Mitgliedstaates. Nach UAbs 3 können die Mitgliedstaaten die Behörden und Verwaltungen bestimmen, die der Zentralen Behörde ihres Landes die Informationen zur Verfügung stellen. Der Vorteil besteht darin, Rechtssicherheit hinsichtlich der erfassten Institutionen zu schaffen. Die Bestimmung nach Abs 3 hat zur Folge, dass die nicht genannten Behörden und Verwaltungen der Zentralen Behörden keine Daten nach Abs 2 zur Verfügung stellen. Die Mitgliedstaaten haben die Behörden und Verwaltungen so auszuwählen, dass die Zentrale Behörde den Zugang zu den Informationen nach Abs 2 erhält. 10 2. Es handelt sich um Informationen, über welche die Behörde oder Verwaltung im Rah-

men der gewöhnlichen Tätigkeit verfügen und für deren Verarbeitung sie nach der RL 95/46/EG verantwortlich sind. Letzteres bedeutet, dass sie allein oder gemeinsam mit anderen Institutionen über die Verarbeitung personenbezogener Daten entscheiden, wobei die

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Europäischer Datenschutzbeauftragter, 7.10.2006, ABl EU 2006 C 242/20, S 21. Art 6 Abs 1 RL 95/46/EG. Wie hier Geimer/Schütze/Picht Rn 1.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 61 EG-UntVO

Verarbeitung auch ihre Weitergabe durch Übermittlung umfasst.10 Die Information muss eine oder mehrere in Abs 2 S 2 geregelten Gegenstände betreffen und die Zentrale Behörde dieses Staates darf keinen direkten Zugang zu ihr haben. 3. Es bedarf eines Ersuchens der ersuchten Zentralen Behörde an den Informationsträger.11 11 Damit wird deutlich, dass ein Ersuchen um Information nur ergehen kann, wenn ein Antrag nach Artt 55, 56 von einer Zentralen Behörde eines anderen Mitgliedstaates übermittelt wurde oder diese ein Ersuchen um besondere Maßnahmen nach Art 53 gerichtet hat. Die Zentrale Behörde eines Mitgliedstaates hat nicht den unmittelbaren Zugang zu Informationen bei Behörden und Verwaltungen eines anderen Mitgliedstaates.12 Die nach Abs 1 UAbs 2 ersuchte Institution ist verpflichtet, die angeforderten Informatio- 12 nen der Zentralen Behörde ihres Landes zur Verfügung zu stellen, soweit sie bei ihr vorhanden sind. Vorbehalten sind Beschränkungen aus Gründen der nationalen oder öffentlichen Sicherheit. Die Modalitäten des Zugangs sind in der EG-UntVO nicht geregelt, sie unterliegen der einzelstaatlichen Regelung. V. Andere juristische Personen UAbs 4 eröffnet die Möglichkeit, für die einzelnen Mitgliedstaaten den Zugang der Zen- 13 tralen Behörde ihres Landes zu personenbezogenen Daten zu erweitern. Durch Rechtsvorschrift können sie die Weiterleitung der Informationen an die zentrale Behörde entsprechend der Regelung im UAbs 2 bestimmen, die bei anderen juristischen Personen vorhanden sind. Nur wenn eine solche nationale Regelung getroffen wird, kann die Zentrale Behörde aus den oben genannten Gründen von diesen anderen juristischen Personen Informationen nach Abs 2 erlangen. Hiervon ist vor allem Gebrauch zu machen, wenn Daten – der in Abs 2 S 2 genannten Art – regelmäßig bei einer juristischen Person konzentriert sind, die nicht unter Abs 2 und 3 fällt und diese Informationen bei einer Behörde oder Verwaltung dieses Staates nicht konzentriert sind. VI. Gegenstand der Information Die von der Zentralen Behörde eingeforderten Informationen können nur die in Abs 2 S 2 14 genannten Gegenstände betreffen, die Regelung hat abschließenden Charakter. Nur die Information über die Adresse bezieht sich auf die unterhaltsberechtigte und -verpflichtete Person, die Information über Einkommen, Arbeitgeber, Bankverbindungen und Vermögen nur auf den Unterhaltsverpflichteten. Die unterschiedliche Personenbezogenheit resultiert aus dem Verwendungszweck, der für die Verfahrensstadien unterschiedlich bestimmt ist. VII. Einschränkungen der Informationsbeschaffung Zur Herbeiführung oder Änderung einer Entscheidung, also bei Anträgen nach Art 56 Abs 1 15 10 11

12

Art 2 RL 95/46/EG. Im dt Text ist, wohl um die Doppelung der Begriffe zu vermeiden, der Begriff „Anfrage“ gewählt worden, im engl Text heißt es request. Der Begriff „Anfrage“ wird nicht der daran geknüpften Informationspflicht gerecht. Wie hier Geimer/Schütze/Picht Rn 7.

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Art 62 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

lit d-f, Abs 2 lit b und c, sowie bei Ersuchen nach Art 53 Abs 3, kann nur eine Information über die Adresse der Gegenseite angefordert werden. Für die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung können alle aufgelisteten Informationen eingefordert werden, die Regelung differenziert hier nicht zwischen dem Stadien der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung sowie der Vollstreckung. In rechtlicher Hinsicht ist die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung unabhängig davon, ob der Schuldner Einkommen oder Vermögen in dem betreffenden Mitgliedstaat hat. Rein tatsächlich ist eine Information darüber vorweg sinnvoll, um über die Zweckmäßigkeit der Vollstreckbarerklärung zu entscheiden. Zum Schutz des Unterhaltsverpflichteten hat sich die Informationsbeschaffung für dieses Verfahrensstadium darauf zu beschränken, ob es überhaupt Einkommen oder Vermögen der verpflichteten Person in diesem Mitgliedstaat gibt.13 Für die Informationsbeschaffung seitens der ersuchten Behörde ist diese Einschränkung aus Abs 2 S 2 abzuleiten.14 16 Die Einforderung von Informationen zum Vermögen (Abs 2 S 2 lit d) steht unter Vorbehalt.

Sie kann nur erfolgen, wenn entweder die Informationen zum Einkommen, Arbeitgeber und Bankverbindungen ergeben, dass eine Vollstreckung des Titels nicht oder nur teilweise möglich ist oder die Informationen selbst nicht ausreichend für eine erfolgreiche Vollstreckung sind. Abs 2 S 2 HS 1 beruht auf Art 6 Abs 1 lit c RL 95/46/EG. Für jede einzelne Unterhaltssache ist zu prüfen, welche Informationen angemessen und erheblich sind und ob sie nicht über das Erforderliche hinausgehen. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu prüfen, welche der potentiell verfügbaren Daten konkret angefordert und gemäß Art 62 weitergeleitet werden. Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist nur insoweit rechtlich gedeckt, wie dies im konkreten Fall für die Ermittlung der Adresse des Unterhaltsberechtigten und -verpflichteten und für die Vollstreckung erforderlich und hilfreich ist.15

Artikel 62: Weiterleitung und Verwendung der Informationen (1) Die Zentralen Behörden leiten die in Artikel 61 Absatz 2 genannten Informationen innerhalb ihres Mitgliedstaats je nach Fall an die zuständigen Gerichte, die für die Zustellung von Schriftstücken zuständigen Behörden und die mit der Vollstreckung einer Entscheidung betrauten zuständigen Behörden weiter. (2) Jede Behörde oder jedes Gericht, der/dem Informationen aufgrund von Artikel 61 übermittelt wurden, darf diese nur zur Erleichterung der Durchsetzung von Unterhaltsforderungen verwenden. Mit Ausnahme der Informationen, die sich einzig darauf beziehen, ob eine Anschrift, Einkommen oder Vermögen im ersuchten Mitgliedstaat bestehen, dürfen, vorbehaltlich der Anwendung von Verfahrensregeln vor einem Gericht, die Informationen nach Artikel 61 Absatz 2 nicht der Person gegenüber offen gelegt werden, die die ersuchende Zentrale Behörde angerufen hat. 13

14 15

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So für die Weitergabe von Informationen aufgrund eines Ersuchens nach Art 53 Abs 1 in Art 53 Abs 2 UAbs 2 S 2 geregelt. AA Geimer/Schütze/Picht Rn 17. Hierzu insgesamt Europäischer Datenschutzbeauftragter, 7.10.2006, ABl EU 2006 C 242/20, S 23 ff.

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Kapitel VII: Zusammenarbeit der zentralen Behörden

Art 62 EG-UntVO

(3) Jede Behörde, die eine ihr aufgrund von Artikel 61 übermittelte Information bearbeitet, bewahrt diese nur so lange auf, wie es für die Zwecke, für die die Information übermittelt wurde, erforderlich ist. (4) Jede Behörde, die ihr aufgrund von Artikel 61 übermittelte Informationen bearbeitet, gewährleistet die Vertraulichkeit dieser Informationen nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts.

I. Weiterleitung von Informationen Für die Weiterleitung der Informationen, die die ersuchte Zentrale Behörde nach Art 61 1 erhalten hat, ist zu unterscheiden: die Weiterleitung: 1. an die ersuchende Zentrale Behörde; 2. seitens der ersuchten oder ersuchenden Zentralen Behörden an das Gericht oder die für die Unterhaltssache zuständige Behörde im eigenen Land und 3. an die Person, die die ersuchende Behörde angerufen hat. Eine direkte Weiterleitung von Informationen von der ersuchten Zentralen Behörde an das Gericht im Land der ersuchenden Zentralen Behörde ist in der EG-UntVO nicht vorgesehen.1 Für die Verarbeitung, einschließlich der Weiterleitung, sind die Grundsätze der Datenver- 2 arbeitung nach Art 61 Abs 2 S 2 HS 1 zu beachten: Erforderlichkeit, Angemessenheit und Erheblichkeit.2 1. Die Weiterleitung von Informationen an die ersuchende Zentrale Behörde ist in Art 61 3 Abs 1 UAbs 5 geregelt. Eine Weiterleitung erfolgt nur dann, wenn dies im Einzelfall erforderlich ist. Konkret ist die Weiterleitung in Art 53 Abs 2 UAbs 2 geregelt, soweit die Informationsbeschaffung der ersuchten Zentralen Behörde aufgrund eines Ersuchens um besondere Maßnahmen erfolgt ist. Eine darüber hinausgehende Weitergabe von Informationen, die nach Art 61 erworben wurden, an die ersuchende Zentrale Behörde, ist auch bei Anträgen nach Art 56 im Allgemeinen nicht erforderlich. 2. Die Institutionen in den Mitgliedstaaten, an die die Zentralen Behörden Informationen 4 nach Art 61 Abs 2 weiterleiten können, sind in Abs 1 abschließend aufgelistet. Dies sind namentlich das zuständige Gericht, die für die Zustellung von Schriftstücken zuständige Behörde und das Vollstreckungsorgan. 3. Die Person, die die ersuchende Behörde angerufen hat (Art 62 Abs 2 UAbs 2) ist 5 diejenige, die einen Antrag nach Art 56 gestellt hat oder von der das Ersuchen um besondere Maßnahmen nach Art 53 ausgegangen ist. Grundsätzlich sind ihr keine nach Art 61 Abs 2 erhaltenen Informationen offenzulegen. Ausgenommen sind die Informationen, ob eine Anschrift (also nicht die Anschrift selbst) und Einkommen oder Vermögen (also nicht Art und Höhe, auch nicht, ob sie zur Vollstreckung zur Verfügung stehen) im ersuchten Mitgliedstaat bestehen. Nicht geregelt ist, auf welche Behörde sich die Regelung über die Weitergabe an den Antragsteller bezieht. Aus dem Zusammenhang zu UAbs 1 folgt, dass die Einschränkung jede Behörde/jedes Gericht meint, die Informationen in Anwendung des Art 61 und 62 Abs 1 erhalten hat.3 1 2 3

Kritisch zum System der Regelung Geimer/Schütze/Picht Rn 1. Siehe hierzu Art 61 Rn 3 ff. Geimer/Schütze/Picht Rn 4.

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Art 62 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Damit hat der Antragsteller im Grundsatz keinen Zugang zu personenbezogenen Daten, die im Rahmen der Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs ermittelt werden. Dies dient dem Schutz der am Verfahren Beteiligten, insbesondere dem Schutz von Kindern, zB in Fällen von häuslicher Gewalt.4 Nicht erfasst durch diese Einschränkung werden Informationen, die diese Person aufgrund der Anwendung verfahrensrechtlicher Bestimmungen im gerichtlichen Verfahren erhält, zB Kenntnis von der Adresse der Gegenpartei durch Schriftsätze.5 II. Weitere Festlegungen zum Schutz personenbezogener Daten 6 Abs 2, 3 und 4 zielen auf den Schutz personenbezogener Daten ab, indem sie ein einheit-

liches Schutzniveau hinsichtlich der nach Art 61 erlangten Informationen aufstellen und dabei die sich aus der RL 95/46/EG ergebenden Anforderungen in dem gemeinschaftsrechtlich unmittelbar anwendbaren Rechtsakt umsetzen. Im Abs 2 wird dem Grundprinzip der Zweckbeschränkung und -bindung Wirkung verliehen.6 Hierdurch können zugleich Hemmnisse bei der Übermittlung solcher Informationen möglichst gering gehalten werden, da die Informationen übermittelnden Institutionen sich darauf verlassen können, dass diese Daten nicht für andere Zwecke als für die Erleichterung der Durchsetzung von Unterhaltsforderung verwendet werden.7 7 Die Aufbewahrung der nach Art 61 übermittelten Informationen ist gemäß Abs 3 nur

solange statthaft, wie es für den Zweck der Informationsübermittlung erforderlich ist. Damit wird die Vorgabe des Art 6 lit e der Richtlinie 96/46/EG erfüllt, welcher vorsieht, dass personenbezogene Daten nicht länger aufbewahrt werden, als es für die Realisierung der Zwecke, für die sie an die Zentrale Behörde weitergeleitet wurden, nötig ist. Die Regelung ergänzt in sinnvoller Weise den vorhergehenden Absatz. Dürfen die übermittelten Informationen für keine anderen Zwecke als zur Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen verwendet werden, so hat ihre weitere Aufbewahrung nach Durchsetzung der Unterhaltsforderung keinen Sinn. Die Aufbewahrungsfrist ist flexibel und hängt vom Verarbeitungszweck ab. Für die Durchsetzung von Unterhaltsforderungen kann durchaus eine längere Aufbewahrung sinnvoll sein, damit zB der Richter regelmäßig die Gewährung und die Höhe des Unterhalts überprüfen kann.8 8 Gemäß Abs 4 richtet sich der Schutz der nach Art 61 übermittelten Informationen nach dem

jeweiligen innerstaatlichen Recht, unter Einschluss der innerstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung der RL 95/46/EG. Insoweit existiert in allen Mitgliedstaaten ein harmonisiertes Mindestschutzniveau, da die Richtlinie inzwischen von allen Mitgliedstaaten umgesetzt wurde.9 4

5 6 7

8 9

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Zur ähnlichen Regelung in Art 40 HUntVerfÜbk 2007 Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 627. Zu der Umsetzung von Art 62 in § 18 AUG s Vorbem Art 61 ff Rn 18. Europäischer Datenschutzbeauftragter, 7.10.2006, ABl EU 2006 C 242/20, S 23. Vgl die ähnliche Regelung in Art 38 HUntVerfÜbk 2007, Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 625. Europäischer Datenschutzbeauftragter, 7.10.2006, ABl EU 2006 C 242/20, S 24. Europäische Kommission, Stand des Arbeitsprogramms für eine bessere Durchführung der Datenschutzrichtlinie, 7.3.2007, KOM (2007) 87, 5.

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Kapitel VIII: Öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen

Art 64 EG-UntVO

Artikel 63: Benachrichtigung der von der Erhebung der Informationen betroffenen Person (1) Die Benachrichtigung der von der Erhebung der Informationen betroffenen Person über die Übermittlung dieser Informationen in Teilen oder ihrer Gesamtheit erfolgt gemäß dem innerstaatlichen Recht des ersuchten Mitgliedstaats. (2) Falls diese Benachrichtigung die Gefahr birgt, die wirksame Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs zu beeinträchtigen, kann sie um höchstens 90 Tage ab dem Tag, an dem die Informationen der ersuchten Zentralen Behörde übermittelt wurden, aufgeschoben werden.

Einheitlich wird die Pflicht zur Benachrichtigung der Person, die von der Übermittlung der 1 Daten an die Zentralen Behörden und deren weitere Übermittlung nach Art 62 betroffen ist, festgelegt. Wem die Benachrichtigung obliegt, innerhalb welcher Fristen sie vorzunehmen ist und welchen Inhalt sie hat, bestimmt sich nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaates. Einheitliche Mindestanforderungen sind durch die Umsetzung der Art 10 und 11 RL 95/46/EG erreicht. Unabhängig von den diesbezüglichen innerstaatlichen Vorschriften kann die Benachrichtigung für maximal 90 Tage ausgesetzt werden, wenn sie die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs in Gefahr bringen würde.

Kapitel VIII: Öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen Artikel 64: Öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen als Antragsteller (1) Für die Zwecke eines Antrags auf Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen oder für die Zwecke der Vollstreckung von Entscheidungen schließt der Begriff „berechtigte Person“ eine öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung, die für eine unterhaltsberechtigte Person handelt, oder eine Einrichtung, der anstelle von Unterhalt erbrachte Leistungen zu erstatten sind, ein. (2) Für das Recht einer öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtung, für eine unterhaltsberechtigte Person zu handeln oder die Erstattung der der berechtigten Person anstelle von Unterhalt erbrachten Leistung zu fordern, ist das Recht maßgebend, dem die Einrichtung untersteht. (3) Eine öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung kann die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung oder Vollstreckung folgender Entscheidungen beantragen: a) einer Entscheidung, die gegen eine verpflichtete Person auf Antrag einer öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtung ergangen ist, welche die Bezahlung von Leistungen verlangt, die anstelle von Unterhalt erbracht wurden; b) einer zwischen einer berechtigten und einer verpflichteten Person ergangenen Entscheidung, soweit der der berechtigten Person Leistungen anstelle von Unterhalt erbracht wurden. (4) Die öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung, welche die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung geltend macht oder deren Vollstreckung beantragt, legt auf

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Art 64 EG-UntVO

Verlangen alle Schriftstücke vor, aus denen sich ihr Recht nach Absatz 2 und die Erbringung von Leistungen an die berechtigte Person ergeben. I. II. III.

Begriff der öffentlichen Aufgaben wahrnehmenden Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . 1 Berechtigte Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Arten des Tätigwerdens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

IV. V. VI. VII.

Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Anerkennung und Vollstreckung . . . . . . . . . . 8 Nachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Dänemark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

I. Begriff der öffentlichen Aufgaben wahrnehmenden Einrichtung 1 Art 64 ist der Situation gewidmet, dass eine öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrich-

tung (iF öAwE) für eine unterhaltsberechtigte Person oder für die Einrichtung selbst die Anerkennung, Vollstreckbarkeit oder Vollstreckung einer Entscheidung nach Kapitel IV betreibt. Die Bestimmung ist weitgehend identisch mit Art 36 HUntVerfÜbk 2007. Der Begriff öAwE, der auch in den Haager Übereinkommen von 1973 verwandt wird, wird in keiner der Regelungen definiert. Der Ausdruck ist im weiten Sinne zu verstehen.1 Die Einrichtung muss Fürsorgeleistungen mit Unterhaltsfunktion erbringen.2 Maßgebliches Kriterium für die Abgrenzung ist, dass diese Leistungen auf der Grundlage eines öffentlichen Auftrages erfolgen.3 Der Begriff der Leistung ist dabei weit zu verstehen, neben Geld können darunter auch Sach- und Dienstleistungen fallen.4 Eine generelle Verpflichtung der Einrichtung, Fürsorgeleistungen mit Unterhaltsfunktion zu erbringen, ist eine wichtiges Indiz für den Charakter als öAwE.5 Dieser kann sich daraus ergeben, dass die diesbezügliche Tätigkeit staatlich anerkannt ist und im öffentlichen Interesse liegt. Nur gemeinnützige Einrichtungen werden erfasst, nicht jedoch solche, die mit dem primären Ziel der Gewinnerzielungsabsicht betrieben werden.6 2 Zu den öAwE gehören öffentliche Behörden im eigentlichen Sinne, wie eine öffentliche

Sozialbehörde oder ein Jugendamt. Auch halbstaatliche oder private gemeinnützige Organisationen, selbst Einzelpersonen, können darunter subsumiert werden, wenn ihnen die Befähigung (imperium) verliehen wurde, im Rahmen der Unterhaltsbeziehungen zwischen Unterhaltsverpflichteten und Unterhaltsberechtigten tätig zu werden.7 Für eine solche Stellung sprechen in Sozialgesetzen vorgesehene Übertragungen bzw Überlassungen solcher Aufgaben, ihre Anerkennung, selbst ihre Erwähnung,8 sie kann sich jedoch auch aus anerkannter Rechtspraxis ergeben. Welche Einrichtungen im Einzelnen dazu gehören, wenn sie diese allgemeinen Voraussetzungen erfüllen, bestimmt sich nach dem Recht des Staates, dem sie angehören. 1 2 3 4

5 6 7

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Verwilghen-Bericht zum HUntAVÜbk1973 Rn 90; Eschenbruch/Dörner Kap 6 Rn 322. Brückner S 91 ff; Verwilghen-Bericht zum HUntStÜbk 1973 Rn 90; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 8. Brückner S 94. Brückner S 92. Anders Verwilghen-Bericht zum HUntStÜbk 1973 Rn 87 ff, der nur von Geldleistungen ausgeht. Brückner S 93. Brückner S 95. Verwilghen-Bericht zum HUntStÜbk 1973 Rn 90; MünchKommBGB/Siehr Art 18 EGBGB Anh I Rn 186 f. Brückner S 95 mit Beispielen.

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Kapitel VIII: Öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen

Art 64 EG-UntVO

II. Berechtigte Person Abs 1 bestimmt, dass der Begriff „berechtigte Person“9 für den Antrag auf Anerkennung und 3 Vollstreckbarerklärung oder für den Zweck der Vollstreckung von Entscheidungen die öAwE mit einschließt. Die Regelung macht nach dem Wortlaut wenig Sinn, da im Kapitel IV die Beteiligten als Parteien oder Antragsteller und Antragsgegner bezeichnet sind. Lediglich an einer Stelle, im Art 19 Abs 3 S 3, ist von der berechtigten Person die Rede. Die Bestimmung ist jedoch im weiten Sinne zu verstehen. Sie soll auch zum Ausdruck bringen, dass die öAwE den Anspruch auf die gleichen Dienste und die gleiche Prozesskostenhilfe wie eine berechtigte Person hat.10 Sie kann folglich Anträge gemäß Art 56 Abs 1 an die Zentrale Behörde stellen und die unentgeltliche Prozesskostenhilfe nach Art 46 in Anspruch nehmen. Fraglich ist, ob sich die Gleichstellung hierfür nur auf die Anträge auf Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung von Entscheidungen bezieht, also nur auf Art 56 Abs 1 lit a und b oder für alle möglichen Anträge nach Art 56 Abs 1 gilt. Für die Beschränkung kann der Wortlaut von Art 64 angeführt werden. Dagegen jedoch, dass anders als im Art 36 Abs 1 HUntVerfÜbk 2007, der die Einschränkung ausdrücklich vorsieht, Abs 1 eine solche Eingrenzung nicht kennt. Dieses Argument ist jedoch nicht so stark, um eine Erweiterung de lege lata zu vertreten,11 zumal auch ErwGr 14 ausdrücklich die Erstreckung des Begriffs „berechtigte Person“ nur bezogen auf den Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung eines Unterhaltstitels bestimmt. III. Arten des Tätigwerdens Es gibt verschiedene Arten des Tätigwerdens der öAwE bezogen auf die Durchsetzung von 4 Unterhaltsansprüchen von Unterhaltsberechtigten, für die sie Unterhaltsersatzleistungen erbringen. In der ersten Konstellation handeln sie für den Unterhaltsberechtigten. Damit sind alle 4 Formen der Vertretung gemeint.12 Unerheblich ist, ob sie auf gesetzlicher Anordnung oder rechtsgeschäftlicher Übertragung beruht. Die Vertretungsmacht regelt sich nach dem Recht, dem die öAwE untersteht, siehe Rn 6. Gläubiger des Anspruchs ist in dieser Konstellation der Unterhaltsberechtigte. Für die Durchsetzung des Anspruchs über die Inanspruchnahme der zentralen Behörden können alle Anträge nach Art 56 Abs 1 gestellt werden. Verfahrenskostenhilfe ist nach den Art 44 ff zu gewähren, insbesondere kommt die Anwendung von Art 46 infrage. Steht der im Unterhaltstitel verbriefte Anspruch zum Zeitpunkt der Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat noch dem Unterhaltsberechtigten zu, so muss die öAwE noch keine Leistung an den Unterhaltsverpflichteten anstelle von Unterhalt erbracht haben.13 Der zu vollstreckende Titel kann sich auf rückständige und laufend fällig werdende Leistungen beziehen. Möglich ist hier eine Vollstreckung in Form einer fortwährenden monatlichen Pfändung und Überweisung für den laufenden Unterhalt.14 9 10 11 12

13 14

Differenziert in Art 2 Nr 10. Erwägungsgrund 14. Aufgabe des in der Vorauflage vertretenen Standpunktes. Vgl ErwGr 14, wonach öAwE als berechtigte Person zu behandeln sind, „die das Recht haben, für eine unterhaltsberechtigte Person zu handeln“; Geimer/Schütze/Hilbig Rn 9, 10. Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 597. In Bezug auf das HUntAVÜbk 1973 OLG Hamm v 25.10.1993 – 14 W 178/93, FamRZ 1994, 453.

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Art 64 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

4a Im zweiten Fall handelt die öAwE nicht für den Unterhaltsberechtigten, sondern für sich

selbst. Es geht um die Erstattung von Leistungen, die die Einrichtung anstelle des Unterhaltsschuldners an den Unterhaltsberechtigten erbracht hat.15 Nur jene Leistungen sind erfasst, die von der Funktion her den Unterhalt ersetzt haben. Die Abgrenzung zu allgemeinen Sozialleistungen, die nicht erfasst werden, kann im Einzelfall schwierig sein.16 Regelmäßig handelt es sich um Beträge, die dem Berechtigten zur Verfügung gestellt werden, damit dieser sie zur Deckung seiner Lebensbedürfnisse verwendet. Die Regelung geht nicht so weit wie Art 18 HUntAVÜbk 1973, in dem das Wort „anstelle von Unterhalt“ fehlt.17 Es kommt nicht darauf an, ob es sich um einen Anspruch handelt, der aufgrund einer Zession vom Unterhaltsberechtigten auf die öAwE übergegangen ist oder ob es ein originärer Erstattungsanspruch ist. Ansprüche, die aus eigener Tätigkeit der öAwE stammen (zB Aufwendungsersatz), sind nicht erfasst. Die Regressansprüche können wahlweise an den allgemeinen Gerichtsständen des Art 3 a und b eingeklagt werden. Anträge an die Zentralen Behörden nach Art 56 Abs 1 lit c-f stehen nicht zur Verfügung. Prozesskostenhilfe nach Art 46 wird demzufolge für das Erkenntnisverfahren nicht gewährt. Die Einschränkung nach Abs 1 hat rechtspraktisch zur Folge, dass öAwE für das Erkenntnisverfahren die Zuständigkeit der Gerichte nach Art 3 lit b nutzen, soweit der Unterhaltsschuldner seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat hat, um dann für die Vollstreckung die Dienste der Zentralen Behörden und bezogen auf den Kindesunterhalt die Prozesskostenhilfe nach Art 46 als berechtigte Person in Anspruch zu nehmen. Die öAwE kann in dieser Fallkonstellation die Vollstreckung einer Entscheidung nur für die Leistungen betreiben, die sie bereits anstelle von Unterhalt erbracht hat.18 Hierfür kann auch Abs 4 angeführt werden, wonach auf Verlangen Schriftstücke vorzulegen sind, aus denen sich die Erbringung der Leistung an den Unterhaltsberechtigten ergibt.19 5 In einem weiteren, in der EG-UntVO nicht geregelten Fall, überträgt die öAwE den auf sie

übergegangenen Unterhaltsanspruch im Einvernehmen auf den Unterhaltsberechtigten zurück, um sich den dann geltend gemachten Unterhaltsanspruch abtreten zu lassen.20 Dieses Vorgehen wird für die Geltendmachung der Ansprüche im Ausland empfohlen.21 In diesem Zusammenhang wird vertreten, dass diese Konstellation ebenso zu behandeln ist, als wenn vorher der Anspruch nicht auf die öAwE übergegangen wäre, weil sich der Charakter des Anspruchs nicht geändert hätte.22 Die für den Unterhaltsberechtigten geltenden Bestimmungen, auch wenn sie sich an sich nicht auf die öAwE erstrecken, sind danach anzuwenden.23 Auf diese Weise wurden für derartige Ansprüche vor Inkrafttreten der EG-UntVO und werden noch immer gegenüber Drittstaaten das Rechtshilfesystem nach dem UNÜbereinkommen vom 20.6.1956 über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im 15 16

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Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 594. Hierzu die unterschiedlichen Ansichten bei Fasching/Konecny/Fucik Rn 3 und Gruber IPRax 2010, 128, 137. Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 594. Geimer/Schütze/Hilbig Rn 14; hierzu auch Rn 8 ff. Zur Auslegung siehe Rn 10a und Rn 10b. Beispiel: § 33 Abs 4 SGB II; § 7 Abs 4 UVG Zur bisherigen Praxis: Harting/Jäger-Maillet, JAmt 2008, 413, 415; Hess § 6 II Rn 60 ff; Kuntze FPR 2011, 166, 168. Martiny FamRZ 2014, 429, 432. Hess, EuZPR § 6 II Rn 64; Martiny FamRZ 2014, 429, 432.

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Kapitel VIII: Öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen

Art 64 EG-UntVO

Ausland genutzt. Für dieses Übereinkommen ist nicht geklärt, ob zu den unterhaltsberechtigten Personen auch Regressgläubiger, insbesondere öffentliche Einrichtungen, zählen.24 Weiterhin wurde es danach für möglich gehalten, für das Erkenntnisverfahren die Zuständigkeit nach Art 5 Nr 2 Brüssel I-VO am gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz des Unterhaltsberechtigten zu nutzen,25 die nach der Rechtsprechung des EuGH den öAwE nicht offensteht.26 Der EuGH hat jedoch nie entschieden, ob für den Fall der Rückübertragung der auf die öAwE übergegangenen Unterhaltsansprüche dieser Gerichtsstand überhaupt zur Verfügung steht. Auch in einem solchen Fall ist die Notlage des Unterhaltsberechtigten beseitigt, und es besteht diesbezüglich keine Rechtfertigung mehr, dem Unterhaltsverpflichteten als Antragsgegner die Vorteil der internationalen Zuständigkeit der Gerichte in seinem Wohnsitzstaat nach Art 2 Brüssel II-VO zu nehmen. Letzteres Problem besteht für die EG-UntVO nicht, wenn der Auffassung gefolgt wird, dass am Gerichtsstand nach Art 3 lit b auch Anträge der öAwE bezogen auf den Unterhaltsregress eingebracht werden können. Dann ist es letztlich unerheblich, ob die öAwE den Anspruch selbst gerichtlich geltend macht oder sie ihn auf den Unterhaltsgläubiger rücküberträgt, damit dieser ihn im eignen Namen im Interesse der öAwE verfolgt. Anders ist dies für die Anträge an die zentrale Behörde nach Art 56 Abs 1 lit c-f zu sehen. Die Lösung, dass derartige Anträge nicht den öAwE für die Durchsetzung ihrer Regressasnsprüche im Ausland zur Verfügung stehen, ist auch auf diese Fallkonstellation zu erstrecken.27 Der Leistungsempfänger nimmt hier treuhänderisch Aufgaben der öAwE wahr.28 In solchen Fällen ist der Unterhaltsberechtigte nicht die im allgemeinen schwächere, bedürftige Partei. Er hat an ihrer Geltendmachung und Durchsetzung kein eigenes schutzwürdiges Interesse.29 Eine Rückübertragung ist zwar nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn sie nach dem dafür maßgeblichen Recht zulässig ist. Auf diese Weise können jedoch nicht die einschränkenden Lösungen in der EGUntVO bezogen auf den Unterhaltsregress öffentlicher Einrichtungen umfahren werden. Auch darf hierüber nicht eine für öffentliche Einrichtungen kostengünstigere Realisierung ihrer Rückgriffsansprüche im Ausland betrieben werden, so durch die Inanspruchnahme der Verfahrenskostenhilfe nach Art 46 für das Erkenntnisverfahren, wenn das auf Mehrkosten für andere Mitgliedstaten hinausläuft.30 Im Ergebnis unterliegen die auf den Unterhaltsberechtigten rückübertragenen Ansprüche denselben Regelungen wie die auf die öAwE übergeleiteten Ansprüche.31 Eine solche Lösung sichert zudem die Gleichbehandlung der öAwE der Mitgliedstaaten. Die Fallkonstellation der Rückübertragung steht nämlich nur für solche Einrichtungen aus Mitgliedstaaten zur Verfügung, bei denen der Unterhaltsanspruch auf die öAwE kraft Gesetzes oder durch Forderungsabtretung übergeht, nicht jedoch dort, wo ein selbständiger Rückgriffsanspruch vorgesehen ist. 24 25

26 27 28 29

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Staudinger/Kropholler Anh III zu Art 189 EGBGB. Nicht anwendbar Kuntze FPR 2011, 166, 168. UVG: Handlungsleitlinien für den Auslandsrückgriff Stand 30.09.2011 S 17 (https://www.berlin.de/impe ria/md/content/senfamilie/finanzielle_hilfen/unterhaltsvorschuss/handlungsleitlinien); Harten/JägerMaillet, JAmt 2008, 413 (415); Hess § 6 II Rn 64; Kuntze FPR 2011, 166, 168; Zweifelnd bereits CoesterWaltjen/Lipp/Schumann/Veit/Hau S 57, 76. Hierzu Art 1 Rn 40; Andrae FPR 2013, 38, 41 f mwH. Ausführlich Andrae FPR 2013, 38, 45; aA Kuntze FPR 2011, 166, 170 f. BGH FamRZ 2008, 1159 Rn 15. BGH FamRZ 2008, 1159 Rn 13 ff (für die innerstaatliche Prozessführung speziell bezogen auf die Verfahrenskostenhilfe). So bereits Andrae FPR 2013, 38, 45 mit Beispiel. Näher Andrae FPR 2013, 38, 45; siehe auch Rn 5, 10b.

Marianne Andrae

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

IV. Kollisionsrecht 6 Abs 2 enthält eine kollisionsrechtliche Regelung für die Berechtigung der öAwE, für den

Unterhaltsberechtigten zu handeln oder die Erstattung der erbrachten Leistung zu fordern. Maßgeblich ist das Sachrecht, dem die öAwE untersteht. Die Regelung stimmt im letzten Teil mit Art 10 HUntStProt 2007 überein. Für den Unterhaltsberechtigten zu handeln, schließt ein, den Anspruch für diesen gegenüber dem Unterhaltsverpflichteten geltend zu machen und ihn gegebenenfalls einzuklagen sowie eine ergangene Entscheidung auch zur Vollstreckung zu bringen. Art 11 lit d HUntStProt 2007 unterstellt die Frage, welche Person zur Einleitung eines Unterhaltsverfahrens berechtigt ist, dem Unterhaltsstatut. Abs 2 HS 1 (auch Art 36 Abs 2 HS 1 HUntVerfÜbk 2007) ist in Bezug auf die Berechtigung der öAwE eine speziellere Regelung und verdrängt deshalb Art 11 lit d HUntStProt 2007. Auch diese Frage richtet sich nach dem Sachrecht, dem die Einrichtung untersteht. 7 Das Recht der öAwE bestimmt, ob und unter welchen Voraussetzungen der Unterhalts-

anspruch auf die öAwE übergeht bzw ein selbständiger Ersatzanspruch besteht.32 Damit ein solcher Anspruch der EG-UntVO unterliegt, ist erforderlich, dass die öAwE eine Leistung an den Unterhaltsberechtigten anstelle des Unterhalts erbracht hat. Dies setzt eine Unterhaltspflicht voraus, die nicht erfüllt wurde. Die Unterhaltspflicht selbst stellt in diesem Zusammenhang eine Vorfrage dar, die sich natürlich nicht nach Abs 2, sondern nach dem Unterhaltsstatut bestimmt. V. Anerkennung und Vollstreckung 8 Abs 3 regelt, für welche Entscheidungen die öAwE als Partei die Anerkennung, Vollstreck-

barerklärung und Vollstreckung nach der EG-UntVO beantragen kann. Das sind: 9 a) solche Entscheidungen, die Verfahren betreffen, in denen die öAwE selbst im Erkennt-

nisverfahren Antragsteller war. Die Aktivlegitimation für die Führung eines solchen Prozesses bestimmt sich nach dem Recht der Einrichtung. Der Antrag selbst muss darauf gerichtet gewesen sein, den Unterhaltsschuldner zur Erstattung von Leistungen zu verpflichten, die anstelle des Unterhalts erbracht wurden. Rechtsgrund kann wiederum die Zession oder ein selbständiger Erstattungsanspruch sein. 10 b) solche Entscheidungen, die zugunsten des Unterhaltsberechtigten als Partei gegen den

Unterhaltsverpflichteten selbst ergangen sind. Voraussetzung ist, dass nach dem Recht, dem die öAwE unterliegt, der titulierte Anspruch auf die öAwE übergegangen ist, nach dem die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat ergangen ist. Die Beachtung eines vorhergehenden Forderungsübergangs im Vollstreckbarerklärungs- oder Vollstreckungsverfahren im Zweitstaat steht das Verbot der révision au fond entgegen.33 Erfasst von Abs 3 lit b wird der Forderungsübergang der in Folge laufender Leistungen der öAwE nach Erlass der zu vollstreckenden Entscheidung eingetreten ist.34 Trifft für den Titel Kapitel IV Abschnitt 2 zu, 32 33 34

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Zu Einzelheiten Rauscher/Andrae Art 10 HUntStProt. BGH FPR 2013, 53, 54 Rn 18; Botur FamRZ 2010, 1860, 1866. BGH FPR 2013, 53, 54 Rn 18.

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Kapitel VIII: Öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen

Art 64 EG-UntVO

so wird im Vollstreckbarerklärungsverfahren die Vollstreckungsklausel auf Antrag in Höhe der übergegangenen Forderung zugunsten der öffentlichen Einrichtung erteilt, wenn die Voraussetzungen des Art 64 Abs 3 lit b vorliegen.35 Für das deutsche Exequaturverfahren ist dies in § 39 AUG geregelt. Anders als dort allgemein festgelegt, bestimmt sich die Frage, ob der Titel zugunsten der öAwE vollstreckbar ist, nicht nach dem Recht des Errichtungsstaates des Titels. Sie ist direkt unter Anwendung des Abs 3 lit b positiv zu beantworten, wenn der Forderungsübergang, nach dem von Abs 2 berufenen Recht eingetreten ist und von der öAwE die Ersatzleistung erbracht wurde. Erfolgt der Forderungsübergang auf die öAwE erst später oder ist die Umschreibung im Vollstreckbarerklärungsverfahren unterblieben, so kann die Umschreibung der Vollstreckungsklausel nach § 120 Abs 1 FamFG, § 727 ZPO auf Antrag vorgenommen werden. Für Unterhaltstitel aus anderen Mitgliedstaaten, die auf den Unterhaltsberechtigten lauten und der direkten Vollstreckung ohne Exequaturverfahren nach Art 17 ff. EuUntVO unterliegen, ergibt sich aus Abs 3 lit b iVm Abs 4, dass die öAwE, den auf sie übergegangenen Anspruch aus dem Titel vollstrecken kann, ohne im Ursprungsmitgliedstaat eine neue Entscheidung herbeizuführen oder den Titel im Ursprungsmitgliedstaat umschreiben zu lassen.36. Die verfahrensrechtliche Lösung ist dem einzelstaatlichen Recht überlassen. Das AUG in Deutschland sieht hierfür keine Regelung vor. Notwendig ist eine Lösung, die an § 727 ZPO orientiert ist, Vorbild könnte § 34 AUG sein. Die Regelung verlangt wörtlich, dass die öAwE in den beiden Fällen, die Unterhaltsersatz- 10a leistung an den Unterhaltsberechtigten erbracht hat, bevor im anderen Mitgliedstaat die Vollstreckbarerklärung/Vollstreckung gegenüber dem Unterhaltsschuldner betrieben wird. Sie stimmt insoweit mit Art 36 HUntVerfÜbk 2007 überein, und sie ist bereits im Art 18 HUntVerfÜbk 1973 anzutreffen. Der Bericht von Borrás/Degeling zum HUntVerfÜbk 2007 spricht nicht für eine großzügige Auslegung der Bestimmung,37 anders der Bericht von Verwilghen zum Übereinkommen von 1973. Dort heißt es38: „Um den Bestimmungen … nicht jede praktische Bedeutung zu nehmen, erscheint es zweckmäßig, die Worte „erbrachte Leistungen“ so zu verstehen, dass sie nicht nur schon erbrachte, sondern auch in Zukunft zu erbringende Leistungen erfassen. Man muss in der Tat vermeiden, dass die öffentlichen Aufgaben wahrnehmende Einrichtung gezwungen wird, immer wieder in ihrem Land zu klagen und danach ebenso regelmäßig die Vollstreckbarerklärung der erzielten Entscheidungen zu verlangen. Der Unterhaltsverpflichtete wird immer das Recht haben, sich gegen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu wenden, die sich auf Zahlungen beziehen, welche die öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung nicht selbst an den Berechtigten geleistet hat.“ Zu Grunde liegen dieser Interpretation die traditionellen Phasen bei einer Auslandsvollstreckung, von denen das HUntVerfÜbk 1973, das HUntVerfÜbk 2007 und Kapitel IV Abschnitt 2 EG-UntVO ausgehen: Erlangung eines vollstreckbaren Titels im Ursprungsstaat, 35 36

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BGH FPR 2013, 53, 54 Rn 19 für das HUntVÜbk 1973; Rauscher/Mankowski Art 38 Brüssel I-VO Rn 38. So jedoch für die Rechtsnachfolge allgemein, ohne die öAwE auszunehmen BT-Drucks. 17/4887 S 43; Heger/Selg FamRZ 2011, 1101, 1006; Hausmann, IntEuSchR K Rn 303; kritisch Andrae FPR 2013, 38, 44 f. Borrás/Degeling-Bericht zum HUntVerfÜbk 2007 Rn 594 ff: „The intervention of the public body is limited to seeking recognition and enforcement of the decision, but only to the extent of the benefits already provided to the creditor in place of maintenance.“ BT-Drs 10/258, 31 Rn 94.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

dann Vollstreckbarerklärung und letztlich die Vollstreckung im Zweitstaat selbst. Der vollstreckbare Titel und die Vollstreckbarerklärung kann auch zukünftig fällig werdende Forderungen der öAwE gegenüber dem Unterhaltsschuldner umfassen. Jedoch ist kenntlich zu machen, dass die Vollstreckung unter der aufschiebenden Bedingung der Unterhaltsersatzleistung an den Unterhaltsberechtigten steht.39 Die Vollstreckung selbst erfordert, dass die Unterhaltsersatzleistung an die berechtigte Person geleistet wurde.40 Dafür sprechen der übereinstimmende Text in den Rechtsinstrumenten und die Regelung, dass ein Nachweis der Ersatzleistung auf Verlangen zu erbringen ist. Dem Schuldner selbst steht der Einwand gegen die Vollstreckung zu, wenn die Ersatzleistung nicht oder noch nicht erbracht worden ist. 10b Wird diese Auslegung auf die direkte Vollstreckung nach Kapitel IV Abschnitt 1 projiziert,

so kann der vollstreckbare Titel wiederum auch auf zukünftig fällig werdende Forderungen lauten. Das Formblatt für die Vollstreckung im anderen Mitgliedstaat kann entsprechend ausgefüllt werden. Jedoch auch hier ergibt sich aus Abs 3, dass die Vollstreckung im Zweitstaat voraussetzt, dass die Unterhaltsersatzleistung bereits erbracht wurde. Für die Umsetzung wird nach Art 41 in das mitgliedstaatliche Zwangsvollstreckungsrecht verwiesen, wobei eine Gleichstellung mit innerstaatlichen Entscheiden zu erfolgen hat. In Deutschland ist bei innerstaatlichen Entscheidungen eine qualifizierte Vollstreckungsklausel nach § 726 ZPO zu erteilen. Die Möglichkeit entfällt jedoch bei Titeln, die dem Kapitel IV Abschn 1 unterliegen, weil der deutsche Gesetzgeber vom Erfordernis einer Klauselerteilung abgesehen hat. Das AUG trifft in dieser Frage keine Vorkehrung. Die Formblätter I-IV für die Unterhaltstitel sehen keine Rubriken für von Art 64 Abs 3 erfassten Entscheidungen vor. Dagegen hat das Formblatt VI für einen Antrag – Vollstreckbarerklärung und/oder die Vollstreckung nach Art 56 – eine Rubrik für öAwE. Weiterhin ist in diesem Formblatt bei der Rubrik der beigefügten Schriftstücke auch der Nachweis der Zahlung der Ersatzleistung aufgelistet. Für noch nicht fällige zukünftige Ersatzleistungen reicht es jedoch – schlussfolgernd aus dem oben Dargelegten – aus, wenn nach ihrer Erbringung die Nachweise jeweils an die Zentrale Behörde des Vollstreckungsstaates gesandt werden, die dann die Weiterleitung an die zuständige Behörde vornimmt. Das Formblatt berührt nicht die Festlegung in Art 64 Abs 4, dass der Nachweis nur auf Verlangen zu erfolgen hat. 10c Hinsichtlich der Frage, ob im Vollstreckungsmitgliedstaat die Rückgriffsberechtigung der

öAwE aus dem Titel zu prüfen ist, ist zwischen den Entscheidungen, die dem Abs 3 lit a und jenen zu unterscheiden, die dem Abs 3 lit b unterfallen. Bezogen auf Entscheidungen, bei denen der Titel bereits auf die öAwE lautet, verbietet sich eine Überprüfung der Berechtigung. Dies folgt zum einen aus dem Verbot der sachlichen Nachprüfung des Titels, vgl Art 42. Bei Entscheidungen, für die Kapitel IV Abschnitt 1 zutrifft, folgt dies zum anderen 39

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Diese Lösung korrespondiert mit der nach deutschem Recht. Hier steht der Forderungsübergang unter der aufschiebenden Bedingung der künftigen Leistungsgewährung. Die Erteilung der Vollstreckungsklausel erfolgt nach § 726 ZPO. Sie setzt den Nachweis des antragstellenden Landes voraus, dass die Bedingung eingetreten ist, dass also die Festsetzung erreichende Unterhaltsvorschussleistungen laufend gezahlt wurde. Vgl BGH FamRZ 2008, 1433; OLG Koblenz JAmt 2013, 603; OLG Stuttgart JAmt 2012 533; OLG Schlesweg JAmt 2011, 171. AA Geimer/Schütze/Hilbig Rn 14; MünchKommFamFG/Lipp Rn 27.

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Kapitel VIII: Öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen

Art 64 EG-UntVO

aus der unbedingten Anerkennung der Entscheidung, ohne dass Anerkennungsversagungsgründe zulässig sind, sowie aus Art 21, der die Verweigerungsgründe für die Vollstreckung abschließend aufzählt. Für Entscheidungen, die Kapitel IV Abschnitt 2 unterfallen, ergibt sich dies zum anderen daraus, dass die Vollstreckbarerklärung nur aus den in Art 24 aufgelisteten Gründen versagt werden kann.41 Die Gegenauffassung bezieht sich auf die Auslegung der entsprechenden Regelung in Art 18 HUntVÜbk 1973.42 Diese kann jedoch auf die EG-UntVO nicht übertragen werden. Anders als die Verordnung lässt das HUntVÜbk 1973 eine Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der Entscheidung zu, sofern das Übereinkommen dies vorsieht.43 Lautet der Titel zugunsten des Unterhaltsberechtigten, so kann die öAwE als Partei daraus im Zweitstaat vollstrecken und – soweit erforderlich – die Vollstreckbarerklärung beantragen, wenn sie ganz oder teilweise Inhaberin der Unterhaltsforderung geworden ist. Dies ist im Vollstreckungsmitgliedstaat nach dem gemäß Abs 2 maßgeblichen Recht zu prüfen. Nicht von Abs 3 ist der Fall erfasst, dass der Titel auf den Unterhaltsberechtigten lautet und 10d dieser als Partei im Vollstreckungsverfahren auftritt, nach dem nach Erlass der Entscheidung der Anspruch ganz oder teilweise auf die öAwE übergegangen ist und diese ihn auf den Unterhaltsberechtigten rückübertragen hat.44 Für die Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung gibt es keine Besonderheit. Die Erbringung der Unterhaltsersatzleistung ist nicht Voraussetzung für die Vollstreckung, weil der Unterhaltsberechtigte rechtlich stets Inhaber der Forderung ist, sei es dass sie ihm zusteht, weil die Ersatzleistung noch nicht erbracht wurde oder weil sie auf ihn rückübertragen wurde. Das trifft auch dann zu, wenn die öAwE für den Unterhaltsberechtigten die Durchsetzung des Unterhaltstitels betreibt. Diese Fallvariante ist für die Vollstreckung vor allem in den Fällen attraktiv, in denen die Unterhaltsforderung den Betrag der Unterhaltsersatzleistung übersteigt, für den Regress genommen werden kann, weil der Titel nicht zwischen dem Unterhaltsberechtigten und der öAwE aufgeteilt werden muss. Weiterhin kann es Titel geben, die zugunsten einer öAwE lauten und in denen der Unter- 10e haltsschuldner auf fortlaufende Zahlung einer bestimmten Summe verpflichtet wird, ohne dass dies im Titel unter die aufschiebende Bedingung der künftigen Leistungsgewährung gestellt wird. Jedenfalls kann nach Abs 3 lit a in einem solchen Fall die Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat nur für die jeweilig erbrachte Unterhaltsersatzleistung betrieben werden. Der Wortlaut kann jedoch weitergehend auch so verstanden werden, dass nur solche Titel bezogen auf zukünftige Leistungen überhaupt erfasst werden, die die Leistungspflicht des Schuldners gegenüber der öAwE davon abhängig machen, dass die Unterhaltsersatzleistungen erbracht wurden. Dann würden solche Titel nicht nach der EG-UntVO vollstreckbar sein. Diese Auslegung ist vorzuziehen, denn es liegt bei den öAwE Titel zu erstreiten, die inhaltlich konform mit Art 64 EG-UntVO gehen.

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Für die EUGVVO bezogen auf das Vollstreckbarerklärungsverfahren: EuGH Rs C-139/10 Prism Investments B.V./Jaap Anne Van der Meer EUGHE 2011 I 9511 = IPRax 2012, 357. Verwilghen-Bericht HUntStÜbk 1973 Rn 95. Vgl Art 12 HUntVerfÜbk 1973. Vgl § 7 Abs 4 S 3 UhVorschG.

Marianne Andrae

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Art 65 EG-UntVO

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VI. Nachweise 11 Abs 4 ist den Nachweisen gewidmet. Die öAwE hat auf Verlangen des zuständigen Gerichts/

der Behörde des Zweitstaates durch Schriftstücke nachzuweisen, dass sie nach dem Recht, dem sie untersteht, berechtigt ist, für den Unterhaltsberechtigten zu handeln oder die Erstattung erbrachter Leistungen vom Unterhaltsschuldner einzufordern. Wenn diese Befugnis sich aus dem Gesetz ergibt, reicht die Vorlage des Gesetzestextes.45 Weiterhin muss auf Verlangen ein schriftlicher Nachweis darüber geführt werden, dass eine Leistung anstelle des Unterhalts an den Berechtigten erbracht worden ist. Ausreichend hierfür ist eine einfache Bankbestätigung über die gezahlte Unterhaltsersatzleistung oder auch eine Zeugnisurkunde der zahlenden Behörde, die mit Dienstsiegel und Unterschrift Höhe und Art der Leistung urkundlich bezeugt.46 VII. Dänemark 12 Abs 1, 3 und 4 gelten auch im Verhältnis zu Dänemark.47

Fraglich ist, ob die Anwendung von Abs 2 seitens dänischer Gerichte und Behörden von der Beteiligungserklärung Dänemarks durch Schreiben vom 14.1.2009 an die Kommission auf der Grundlage von Art 3 Abs 2 des Abkommens der EG mit Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen gedeckt ist. Dagegen spricht, dass es sich um eine Bestimmung kollisionsrechtlichen Inhalts handelt und insoweit über den sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel I-VO hinausgeht. Außerdem beschränkt sich die Beteiligungserklärung erkennbar auf die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung von Entscheidungen und den Zugang zum Recht. Andererseits ist Art 64 Abs 2 in der Beteiligungserklärung nicht ausdrücklich ausgeschlossen.

Kapitel IX: Allgemeine Bestimmungen und Schlussbestimmungen Artikel 65: Legalisation oder ähnliche Förmlichkeiten Im Rahmen dieser Verordnung bedarf es weder der Legalisation noch einer ähnlichen Förmlichkeit.

1 Befreit werden Urkunden von der Legalisation oder sonstigen Förmlichkeiten, wie der

Apostille. Anders als Art 56 Brüssel I-VO und Art 52 Brüssel IIa-VO werden die Urkunden nicht spezifiziert, sondern allgemein umschrieben mit im „Rahmen dieser Verordnung“. Es werden alle öffentlichen Urkunden aus den anderen Mitgliedstaaten erfasst, wie Entschei45 46

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Fasching/Konecny/Fucik Rn 4. Für innerstaatliche Fälle des Anspruchsübergangs bezogen auf die Erteilung der Vollstreckungsklausel nach § 726 ZPO: BGH FamRZ 2008, 1428; OLG Hamm 7.4.2011 – II-5 WF 61/11. Hierzu Art 1 Rn 50; aA MünchKommFamFG/Lipp Rn 11 ff.

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Kapitel IX: Allgemeine Bestimmungen und Schlussbestimmungen

Art 67 Brüssel IIa-VO

dungen, gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden iSd Art 48, Auszüge aus Entscheidungen, öffentlichen Urkunden und gerichtlichen Vergleichen unter Verwendung der Formblätter, Nachweise über die Befreiung von den Prozesskosten nach Art 47 Abs 2, Bescheinigungen über die wirtschaftlichen Verhältnisse nach Art 47 Abs 3, Ersuchen und Anträge nach Art 53 und Art 56. Rechtsfolge in Deutschland ist, dass die erfassten öffentlichen Urkunden den inländischen 2 gleichgestellt werden und deshalb die Vermutung der Echtheit für sich haben.1 Auf private Urkunden trifft Art 65 nicht zu. Wird Vollmacht durch öffentliche Urkunde erteilt, so wird diese von der Legalisation befreit.2 Fraglich ist, ob sich Art 65 auch auf das Erkenntnisverfahren bezieht, da hierfür nur die internationale Zuständigkeit geregelt ist. ME ist hier zu differenzieren. Art 65 findet Anwendung, wenn das Verfahren auf Antrag der Partei nach Art 56 über die Zentralen Behörden in einem anderen Mitgliedstaat eingeleitet wird. Im Übrigen ist Art 65 nicht anzuwenden,3 die Befreiung von der Legalisation kann sich jedoch aus anderen Staatsverträgen ergeben.

Artikel 66: Übersetzung der Beweisunterlagen Unbeschadet der Artikel 20, 28 und 40 kann das angerufene Gericht für Beweisunterlagen, die in einer anderen Sprache als der Verfahrenssprache vorliegen, nur dann eine Übersetzung von den Parteien verlangen, wenn es der Ansicht ist, dass dies für die von ihm zu erlassende Entscheidung oder für die Wahrung der Verteidigungsrechte notwendig ist.

Wie Art 59 schränkt Art 66 die Übersetzungsanforderungen für Anlagen – hier für Beweis- 1 unterlagen – im gerichtlichen Verfahren ein. Die Vorschrift differenziert nicht und findet daher sowohl im Erkenntnis- als auch im Vollstreckungsverfahren Anwendung. Es bedarf grundsätzlich keiner Übersetzung der Beweisunterlagen, etwa der Einkommensnachweise, es sei denn, das Gericht hält eine Übersetzung für die von ihm zu erlassende Entscheidung oder für die Wahrung der Verteidigungsrechte für erforderlich. Die Entscheidung hierüber steht im Ermessen des Gerichts. Hierbei muss es die Entscheidung des Verordnungsgebers gegen eine generelle Übersetzungspflicht beachten und darf die Erstellung einer Übersetzung nur im Einzelfall anordnen. Die besonderen Übersetzungsanforderungen nach Art 20 Abs 1 lit d, Art 28 Abs 1 lit c und 2 Art 40 Abs 3 haben gegenüber Art 66 Vorrang.

Artikel 67: Kostenerstattung Unbeschadet des Artikels 54 kann die zuständige Behörde des ersuchten Mitgliedstaats von der unterliegenden Partei, die unentgeltliche Prozesskostenhilfe aufgrund von Artikel 46 erhält, in Aus1

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§§ 438, 437 ZPO, hierzu ua Thomas/Putzo/Hüßtege Art 56 Brüssel I-VO Rn 1; Geimer/Schütze/Geimer EuZVR Art 56 Brüssel I-VO Rn 1. Für die Brüssel IIa-VO Rauscher/Rauscher Art 52 Brüssel IIa-VO Rn 3. Im Ergebnis wie hier Geimer/Schütze/Picht Rn 3; MünchKommFamFG/Lipp Rn 4.

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Art 68 EG-UntVO

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nahmefällen und wenn deren finanzielle Verhältnisse es zulassen, die Erstattung der Kosten verlangen.

1 Vergleiche hierzu Art 46 Rn 15 ff.

Artikel 68: Verhältnis zu anderen Rechtsinstrumenten der Gemeinschaft (1) Vorbehaltlich des Artikels 75 Absatz 2 wird mit dieser Verordnung die Verordnung (EG) Nr 44/2001 dahin gehend geändert, dass deren für Unterhaltssachen geltende Bestimmungen ersetzt werden. (2) Diese Verordnung tritt hinsichtlich Unterhaltssachen an die Stelle der Verordnung (EG) Nr 805/2004, außer in Bezug auf Europäische Vollstreckungstitel über Unterhaltspflichten, die in einem Mitgliedstaat, der nicht durch das Haager Protokoll von 2007 gebunden ist, ausgestellt wurden. (3) Im Hinblick auf Unterhaltssachen bleibt die Anwendung der Richtlinie 2003/8/EG vorbehaltlich des Kapitels V von dieser Verordnung unberührt. (4) Die Anwendung der Richtlinie 95/46/EG bleibt von dieser Verordnung unberührt.

1 Geregelt wird nur das Verhältnis der EG-UntVO zu den Rechtsinstrumenten der Gemein-

schaft, zu deren Gegenständen die EG-UntVO Bestimmungen enthält.1 Unberührt bleibt die Anwendung von anderen Rechtsakten der Gemeinschaft auf Unterhaltssachen, die in Ausfüllung der Artt 61c, 65 EGV (Artt 67, 81 AEUV) – Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen – ergangen sind. Dazu gehören vor allem die EG-ZustVO und die EG-BewVO. Die EG-BagatellVO schließt in ihrem Art 2 Abs 2 lit b das Unterhaltsrecht vom sachlichen Anwendungsbereich aus, insoweit besteht keine Konkurrenz zur EG-UntVO. I. Brüssel I-VO 2 Die Brüssel I-VO erfasst vom sachlichen Gegenstand Unterhaltssachen und regelt die Zu-

ständigkeit, die Beachtung der Rechtshängigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung sowie die Abgrenzung zu anderen Rechtsakten der Gemeinschaft und zu Staatsverträgen. Damit besteht eine erhebliche Überschneidung der geregelten Gegenstände in Bezug auf Unterhaltssachen. Abs 1 bringt das Verhältnis beider Verordnungen auf juristisch nicht exakte Weise zum Ausdruck. Danach wird die Brüssel I-VO dahingehend geändert, dass die für Unterhaltssachen geltenden Bestimmungen ersetzt werden. Abs 1 ist dahingehend auszulegen, dass soweit der sachliche2 und zeitliche3 Anwendungsbereich der EG-UntVO eröffnet ist, die Anwendung der Brüssel I-VO ausgeschlossen ist.

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Zu den von der EU geschlossenen Verträgen, die in der EG-UntVO geregelten Gegenstände betreffen, siehe Art 69 Rn 9 ff, Art 69 Rn 16 ff. Hierzu Art 1. Hierzu Art 75-76.

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Kapitel IX: Allgemeine Bestimmungen und Schlussbestimmungen

Art 68 EG-UntVO

Die EG-UntVO hat gegenüber der Brüssel I-VO Priorität, soweit die Gegenstände: Zu- 3 ständigkeit, doppelte Rechtshängigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung betroffen sind. Die Zusammenarbeit der Behörden regelt allein die EG-UntVO. Insoweit gibt es keine Konkurrenz zur Brüssel I-VO.4 Die Geltung des Prioritätsgrundsatzes bei übereinstimmender Regelungsmaterie ergibt sich aus Art 67 Brüssel I-VO. Danach berührt die Brüssel I-VO nicht die Anwendung der Bestimmungen, die für besondere Rechtsgebiete die gerichtliche Zuständigkeit oder die Anerkennung und Vollstreckung regeln und in gemeinschaftlichen Rechtsakten enthalten sind.5 Mit der Formulierung in Art 68 Abs 1 sollte wohl das Verfahren der Beteiligung Dänemarks an der EG-UntVO erleichtert werden. Die Formulierung ist angelehnt an Art 3 Abs 2 des Abkommens vom 10.10.2005 zwischen der EG und Dänemark6, durch das die Brüssel I-VO auf das Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und Dänemark erstreckt wird. Nach dieser Vorschrift teilt Dänemark bei jeder Änderung der Brüssel I-VO der Kommission mit, ob es diese Änderungen umsetzt. Diese Mitteilung für die EG-UntVO seitens Dänemarks ist mit Schreiben vom 14.01.2009 erfolgt.7 Umgesetzt ist die EG-UntVO im Wege eines Verwaltungsakts. Auf diese Wiese wurde das Erfordernis des Abschlusses eines Abkommens zur Erstreckung der EG-UntVO auf Dänemark vermieden und die Umsetzung vereinfacht. Rechtspraktisch ist für die Abgrenzung im konkreten Fall Folgendes zu prüfen, wobei die 4 Reihenfolge nach Zweckmäßigkeit gewählt werden kann: a) Ist die EG-UntVO zeitlich anwendbar (Artt 75, 76)? Trifft dies nicht zu, kommt nur die Anwendung der Brüssel I-VO in Frage. b) Ist Gegenstand eine Unterhaltspflicht aus Familien-, Verwandtschafts- oder ehelichen Beziehungen bzw Schwägerschaft (Art 1 Abs 1)?8 Soweit das bejaht wird, ist die EGUntVO maßgebend. Vom Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO sind Unterhaltssachen ausgeschlossen.9 Dabei 4a muss es sich um eine Unterhaltssache handeln, die in den sachlichen Anwendungsbereich der EG-UntVO fällt. Ansonsten würde eine Regelungslücke entstehen, die der Verordnungsgeber nicht gewollt haben kann. II. EG-VollstrTitelVO Die EG-VollstrTitelVO hat den gleichen sachlichen Anwendungsbereich wie die Brüssel 5 I-VO und erstreckt sich auch auf Unterhaltssachen. Sie gilt für alle Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme von Dänemark. Auf Antrag werden Entscheidungen, gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden über unbestrittene Forderungen, die im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sind, als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt, wenn sie Mindestvoraussetzungen für die Gewährung des rechtlichen Gehörs erfüllen. Eine als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidung wird – ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung

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Prozesskostenhilfe für die Vollstreckung wird bereits nach Art 50 Brüssel I-VO gewährt. Hierzu Rauscher/Mankowski Art 67 Brüssel I-VO Rn 1 mit weiteren Literaturhinweisen. ABl EU 2005 L 299/62. ABl EU 2009 L 149/80. Hierzu Anm zu Art 1 Abs 1 Rn 1 ff. ErwGr 10 Brüssel Ia-VO. Die Verordnung ist ab dem 10.1.2015 anwendbar.

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Art 68 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

bedarf – in jedem Mitgliedstaat wie eine inländische Entscheidung vollstreckt.10 Zur EGUntVO besteht insoweit Konkurrenz, als beide die grenzüberschreitende Vollstreckung von Unterhaltstiteln zum Gegenstand haben, nur ist die EG-VollstrTitelVO auf unbestrittene Forderungen11 begrenzt. Die Forderung hat auf eine bestimmte Geldsumme zu lauten.12 Die Bestimmtheit kann insbesondere hinsichtlich eines Zins- oder Aufwertungsbetrages (indexierte Forderungen) problematisch sein. Eine Forderung ist nicht erst mit ihrer Bezifferung bestimmt iSd EG-VollstrTitelVO. Es genügt, wenn sich die konkrete Forderungshöhe mit den im Europäischen Vollstreckungstitel angegebenen Vorgaben bestimmen lässt.13 Letztlich muss die Unterhaltsforderung fällig oder es muss ein Fälligkeitsdatum im Unterhaltstitel bestimmt sein. Deshalb kann ein Titel nicht als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden, der die Verpflichtung zur Zahlung künftiger Beträge vorsieht, soweit die Angabe der jeweiligen Fälligkeit fehlt.14 6 Nach Art 68 Abs 2 verdrängt die EG-UntVO die EG-VollstrTitelVO im übereinstimmenden

Anwendungsbereich. Dies gilt nach HS 2 jedoch nur für solche Entscheidungen, gerichtlichen Vergleiche und öffentlichen Urkunden, die in einem Mitgliedstaat ergangen bzw errichtet worden sind, die durch das HUntStProt 2007 gebunden sind. Der Ausschluss rechtfertigt sich, weil die EG-UntVO gegenüber der EG-VollstrTitelVO die grenzüberschreitende Vollstreckung dieser Unterhaltstitel erheblich erleichtert. Der Priorität der EG-UntVO im Verhältnis zur EG-VollstrTitelVO liegt insoweit das Günstigkeitsprinzip zugrunde. Daraus folgt, dass die EG-VollstrTitelVO anwendbar bleibt auf Titel über unbestrittene Unterhaltsforderungen, bei denen das Verfahren bis zum 18.6.2011 eingeleitet wurde, oder die öffentliche Urkunde bzw der gerichtliche Vergleich bis dahin errichtet bzw geschlossen wurde. Für Unterhaltstitel aus dem Vereinigten Königreich, deren Verfahren nach diesem Zeitpunkt eingeleitet wurden bzw die danach errichtet oder geschlossen wurden, ist die EGVollstrTitelVO weiter anwendbar. In Bezug auf die genannten Titel kann es eine Konkurrenz zur Anwendung von Kapitel IV Abschnitt 2, 3 EG-UntVO geben. 7 Das Verhältnis der EG-UntVO zur EG-VollstrTitelVO ist hinsichtlich dieser Titel entspre-

chend Art 27 EG-VollstrTitelVO15 zu lösen. Dies lässt sich damit begründen, dass das Verfahren für die grenzüberschreitende Vollstreckung bezogen auf diese Unterhaltstitel weitgehend der Brüssel I-VO nachgebildet ist. Ist der Anwendungsbereich beider Verordnungen eröffnet, dann kann der Vollstreckungsgläubiger wählen, nach welcher Verordnung 10 11

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Zu Einzelheiten mit Literaturhinweisen Rauscher/Pabst Einl EG-VollstrTitelVO Rn 14 ff. Zum Begriff der unbestrittenen Forderung vgl Art 3 EG-VollstrTitelVO und die Literaturnachweise bei Rauscher/Pabst Art 3 EG-VollstrTitelVO Rn 4 ff. Vgl Art 4 Nr 2 EG-VollstrTitelVO. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, welche Anforderungen an die Bestimmtheit der Forderung im Titel zu stellen sind. Rauscher/Pabst Art 4 EG-VollstrTitelVO Rn 9. Dies entspricht der herrschenden Auffassung, die sich schon zu den Anforderungen an die Bestimmtheit der erststaatlichen Entscheidung nach Art 38 Brüssel I-VO bzw Art 31 EuGVÜ herausgebildet hat, vgl BGH v 4.3.1993 – IX ZB 55/92, IPRax 1994, 367, 368; OLG Zweibrücken IPRax 2006, 49, 50; OLG Köln IPRax 2006, 51; Rauscher/Mankowski Art 38 Brüssel I-VO Rn 22 ff; Roth IPRax 1994, 350, 351. Rauscher/Pabst Art 4 EG-VollstrTitelVO Rn 4. Hierzu Rauscher/Pabst Art 27 EG-VollstrTitelVO Art 27.

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Kapitel IX: Allgemeine Bestimmungen und Schlussbestimmungen

Art 68 EG-UntVO

er die Vollstreckung betreibt. Er kann die Vorzüge beider Verordnungen abwägen.16 Es steht ihm auch frei, beide Verfahren parallel zu betreiben.17 Ist aber eine Bestätigung als europäischer Vollstreckungstitel im Ursprungsmitgliedstaat erfolgt, so fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für die Vollstreckbarerklärung nach Kapitel IV Abschnitt 2 und 3 EG-UntVO.18 Wird die Erteilung eines Europäischen Vollstreckungstitels nach der EG-VollstrTitelVO abgelehnt, so behält der Vollstreckungsgläubiger die Möglichkeit, nach Kapitel IV Abschnitt 2 EG-UntVO die Vollstreckbarerklärung im Vollstreckungsstaat zu erwirken.19 Missbrauchsfällen einer Doppelvollstreckung aus demselben Titel kann der Schuldner auch mit Mitteln des Zwangsvollstreckungsrechts des Vollstreckungsstaates begegnen.20 III. PKH-RL und Datenschutz-RL Vorbehaltlich der besonderen Vorschriften über die Gewährung von Prozesskostenhilfe für 8 Unterhaltssachen in den Artt 44-47 EG-UntVO bleiben die nationalen Umsetzungsvorschriften21 der Prozesskostenrichtlinie22 anwendbar. Uneingeschränkt ist weiterhin die Datenschutzrichtlinie anwendbar.23 IV. EG-MahnVO Die EG- MahnVO wird durch die EG-UntVO nicht ausgeschlossen.24 Ihr Anwendungs- 9 bereich ist gegenüber der EG-UntVO bezogen auf Unterhaltssachen eingeschränkt. Art 2 lit d EG-MahnVO schließt von ihrem Anwendungsbereich Ansprüche aus außervertraglichen Schuldverhältnissen aus, soweit diese nicht Gegenstand einer Vereinbarung zwi16

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Hierzu die entsprechenden Vergleiche zwischen der EG-VollstrTitelVO und Brüssel I-VO, Rauscher/ Pabst Art 27 EG-VollstrTitelVO Rn 3. So im Verhältnis zur Brüssel I-VO Rauscher/Pabst Art 27 EG-VollstrTitelVO Rn 4; Wagner IPRax 2005, 189, 190. Für die Brüssel I-VO BGH v 4.2.2010 – IX ZB 57/09, NJW-RR 2010, 571; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 27 EG-VollstrTitelVO Rn 1. Für die Brüssel I-VO Kropholler Art 27 EG-VollstrTitelVO Rn 4; Rauscher/Pabst Art 27 EG-VollstrTitelVO EG-VollstrTitelVO 8. Für das Verhältnis zur Brüssel I-VO Leible/Lehmann NotBZ 2004, 453, 454; Rauscher/Pabst Art 28 EGVollstrTitelVO Rn 10. Im dt Recht §§ 1076-1078 ZPO, BGBl 2004 I 3392. Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27.1.2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen, ABl EG L 26/41; sie gilt nicht für Dänemark. Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl EG L 281/31; dt Umsetzung durch das Gesetz zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes vom 18.5.2001, BGBl 2001 I 904. Zulässigkeit eines Europäischen Mahnverfahens in Unterhaltssachen BT-Drucks. 17/4887 S. 42; MünchKommFamFG/Lipp Rn 10; Prütting/Helms/Hau § 110 FamFG Anh. 1 Rn 7; Gebauer/Wiedmann/Bittmann Rn 5; SaengerZPO/Dörner vor Art 1 Rn 6; aA Thomas/Putzo/Hüßtege Vor Art 1 Rn 8 (nicht anwendbar auf gesetzliche Unterhaltsansprüche).

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

schen den Parteien oder eines Schuldanerkenntnisses sind. Für Unterhaltsforderungen wird daraus geschlussfolgert, dass für diese ein Europäisches Mahnverfahren nur eingeleitet werden kann, wenn hierüber eine Vereinbarung getroffen wurde oder der Schuldner die betreffende Unterhaltspflicht anerkannt hat.25 Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass nur abstrakte Schuldanerkenntnisse genügen.26 Dem ist jedoch wegen des autonomen weiten Vertragsbegriffes mit dem Merkmal „freiwillig übernommene Verpflichtung“ nicht zu folgen. Mindestens eine der Parteien muss ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem des angerufenen Gerichts haben. Erforderlich ist, dass die Vereinbarung/das Anerkenntnis die Höhe der Unterhaltsverpflichtung als bezifferte Geldforderung festlegt. Die mit dem Antrag geltend gemachte Geldforderung muss zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits fällig sein, vgl Art 4 EG-MahnVO. Für die internationale Zuständigkeit wird in Art 6 Abs 1 EG-MahnVO auf die hierfür geltenden Vorschriften des Gemeinschaftsrechts verwiesen. Folglich richtet sich diese nach Kapitel II EG-UntVO.27 Ein vollstreckbarer Europäischer Zahlungsbefehl über eine Zahlungsverpflichtung unterliegt hinsichtlich der Vollstreckung der EG-MahnVO und nicht der EG-UntVO. Der Berechtigte muss deshalb vor Einleitung des Verfahrens entscheiden, ob er innerhalb der Europäischen Union einen Europäischen Zahlungsbefehl oder einen einzelstaatlichen gerichtlichen Titel anstrebt, der nach diesem Recht vollstreckbar ist, um ihn dann nach der EG-UntVO vollstrecken zu lassen. Zu den einzelstaatlichen gerichtlichen Titeln zählen auch Vollstreckungsbescheide/Zahlungsbefehle, die nach einzelstaatlichem Recht ergangen sind.28

Artikel 69: Verhältnis zu bestehenden internationalen Übereinkommen und Vereinbarungen (1) Diese Verordnung berührt nicht die Anwendung der Übereinkommen und bilateralen oder multilateralen Vereinbarungen, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme dieser Verordnung angehören und die die in dieser Verordnung geregelten Bereiche betreffen, unbeschadet der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten gemäß Artikels 307 des Vertrags. (2) Ungeachtet des Absatzes 1 und unbeschadet des Absatzes 3 hat diese Verordnung im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander jedoch Vorrang vor Übereinkommen und Vereinbarungen, die sich auf Bereiche, die in dieser Verordnung geregelt sind, erstrecken und denen Mitgliedstaaten angehören. (3) Diese Verordnung steht der Anwendung des Übereinkommens vom 23. März 1962 zwischen Schweden, Dänemark, Finnland, Island und Norwegen über die Geltendmachung von Unterhaltsforderungen durch die ihm angehörenden Mitgliedstaaten nicht entgegen, da dieses Übereinkommen in Bezug auf die Anerkennung, die Vollstreckbarkeit und die Vollstreckung von Entscheidungen Folgendes vorsieht: a) vereinfachte und beschleunigte Verfahren für die Vollstreckung von Entscheidungen in Unterhaltssachen und b) eine Prozesskostenhilfe, die günstiger ist als die Prozesskostenhilfe nach Kapitel V dieser Verordnung. 25 26 27 28

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Prütting/Helms/Hau Anh 1 § 110 FamFG Rn 7; SaengerZPO/Dörner Vor EuUntVO Rn 6. Rauscher/Gruber Art 2 EG-MahnVO Rn 24; aA MünchKommZPO/Ulrici Art 1 EG-MahnVO Rn 13. Hierzu Art 3 Rn 21b. Zum deutschen Auslandsmahnverfahren siehe Eichel FamRZ 2011, 1441 ff.

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Kapitel IX: Allgemeine Bestimmungen und Schlussbestimmungen

Art 69 EG-UntVO

Die Anwendung des genannten Übereinkommens darf jedoch nicht bewirken, dass dem Antragsgegner der Schutz nach den Artikeln 19 und 21 dieser Verordnung entzogen wird. I. II.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrseitige Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . 1. Haager Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) HUntAVÜbk 1958 und HUntAVÜbk 1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 4 5 III.

b) HUntVerfÜbk 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2. New Yorker Übereinkommen . . . . . . . . . . 15 3. Lugano Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . 16 Bilaterale Verträge und Vereinbarungen . 18

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I. Einführung In Art 69 ist – anders als in der Brüssel I-VO – das Verhältnis zu internationalen Über- 1 einkommen und Vereinbarungen allgemein geregelt. Es wird nicht mehr zwischen bilateralen und multilateralen internationalen Rechtsakten unterschieden. Die Regelung bezieht sich nicht nur auf Übereinkommen und Verträge, sondern umfasst mit dem Begriff Vereinbarungen auch solche, die auf Ministerialebene, insbesondere zur Untersetzung von Übereinkommen und Staatsverträgen geschlossen wurden. Vom Grundsatz hat die EG-UntVO im überschneidenden Anwendungsbereich Vorrang 2 vor den internationalen Übereinkommen und Verträgen, soweit es das Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander betrifft. Die Ausnahme bildet das Übereinkommen zwischen Schweden, Dänemark, Finnland, Island und Norwegen vom 23.3.1962 über die Geltendmachung von Unterhaltsforderungen, das nach Maßgabe des Abs 3 weiter angewandt werden kann. Art 69 bezieht sich auf alle Staatsverträge und Vereinbarungen, denen ein oder mehrere 3 Mitgliedstaaten am 18.12.2008 angehörten und die Regelungsbereiche betreffen, die in dieser Verordnung geregelt sind. II. Mehrseitige Übereinkommen Die Anwendung der mehrseitigen Übereinkommen wird durch die EG-UntVO nicht be- 4 rührt (Abs 1). Jedoch hat im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander die EG-UntVO Vorrang (Abs 2). Der Vorrang tritt ein, wenn die EG-UntVO intertemporal auf den betreffenden Vorgang Anwendung findet.1 1. Haager Übereinkommen a) HUntAVÜbk 1958 und HUntAVÜbk 1973 Die EG-UntVO überschneidet sich im sachlichen Anwendungsbereich mit folgenden Haa- 5 ger Übereinkommen:2 1 2

Hierzu Art 75-76. Zu den Haager Übereinkommen auf dem Gebiet des Kollisionsrechts vgl Rauscher/Andrae Art 18 HUntStProt 2007.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

– Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern vom 15.4.1958 (HUntAVÜbk 1958).3 – Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2.10.1973 (HUntAVÜbk 1973).4 Beide Übereinkommen regeln die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen, das HUntAVÜbk 1973 auch die von vollstreckbaren Vergleichen. Das HUntAVÜbk 1958 beschränkt sich auf den Unterhalt von Kindern bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, es ist auf Unterhaltspflichten zwischen Verwandten in der Seitenlinie nicht anwendbar. Das HUntAVÜbk 1973 umfasst alle Unterhaltspflichten aus Familie, Verwandtschaft, Ehe und Schwägerschaft.5 Beide Übereinkommen werden von der EG-UntVO in Bezug auf die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Unterhaltssachen eines Mitgliedstaates in einem anderen Mitgliedstaat verdrängt. Das gilt auch für Verfahren, die nach Art 75 Abs 2 für die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung Kapitel IV Abschnitt 2 unterliegen. 6 Für die Anwendung des HUntAVÜbk 1973 bleibt ein kleiner Bereich übrig: Art 21 bezieht in

die Anerkennung und Vollstreckung „im Ursprungstaat vollstreckbare Vergleiche“ mit ein. Erfasst sind damit auch Privatvergleiche, wenn sie nach dem Recht des Ursprungstaates vollstreckbar sind. Von der EG-UntVO werden diese nur erfasst, wenn sie in öffentlichen Urkunden aufgenommen sind. Auf Privatvergleiche, die dieses Kriterium nicht erfüllen, findet das HUntAVÜbk 1973 weiterhin Anwendung. 7 Ist die EG-UntVO intertemporal gemäß Artt 75, 76 nicht anwendbar, so ist für die An-

erkennung und Vollstreckung von Entscheidungen eines Mitgliedstaates in einem anderen Mitgliedstaat die Brüssel I-VO, einschließlich ihrer intertemporalen Vorschriften heranzuziehen. Für das Verhältnis zu dem HUntAVÜbk 1958 und dem HUntAVÜbk 1973 ist Art 71 Brüssel I-VO zu beachten.6 8 Beide Übereinkommen sind weiterhin anzuwenden, wenn es in einem Mitgliedstaat um die

Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung aus einem Teilnehmerstaat geht, der nicht Mitgliedstaat ist. Es ist auch uneingeschränkt anzuwenden auf Entscheidungen aus Verfahren, die im Ursprungs- oder Vollstreckungsmitgliedstaat – vor deren Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft oder zum LugÜbkbk 1988 – anhängig gemacht worden sind. b) HUntVerfÜbk 2007 9 Das Haager Übereinkommen über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsan-

sprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23.11.2007 (HUntVerfÜbk 3 4

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BGBl 1961 II 1006. BGBl 1986 II 826. Eine Übersicht über die aktuellen Vertragsstaaten ist in engl Sprache abrufbar unter htt p://www.hcch.net/index_en.php?act=conventions.status&cid=85. Zum sachlichen Anwendungsbereich vgl Artt 1, 2 HUntAVÜbk 1973. Für öffentliche Vergleiche vgl Art 25 HUntAVÜbk 1973. Zur Auslegung Geimer IPRax 2004, 419, 420; Rauscher/Mankowski Art 71 Brüssel I-VO Rn 17; Mankowski IPRax 2000, 188; hierzu auch Einl zur EG-UntVO Rn 4.

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Kapitel IX: Allgemeine Bestimmungen und Schlussbestimmungen

Art 69 EG-UntVO

2007) fällt nach seinem Inkrafttreten und dem Beitritt der Europäischen Gemeinschaft7 hierzu nicht unter die von Art 69 erfassten Übereinkommen.8 Es ist dann Bestandteil der Unionsrechtsordnung.9 Die Bindung der Mitgliedstaaten ergibt sich aus Art 216 Abs 2 AEUV. Mit der Veröffentlichung des Übereinkommens im Amtsblatt entfaltet es unmittelbare Wirkung für die nationalen Behörden und Gerichte der gebundenen Mitgliedstaaten.10 Nicht beteiligt ist Dänemark. Art 51 Abs 4 HUntVerfÜbk 2007 regelt das Verhältnis des Übereinkommens zu „Rechtsinstrumenten einer Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration, die Vertragspartei des Übereinkommens ist“. Hierzu gehört die EG-UntVO. Unberührt vom HUntVerfÜbk 2007 bleiben die Vorschriften der Europäischen Gemein- 10 schaft in Bezug auf die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten. Es kommt dabei nicht darauf an, wann diese Rechtsinstrumente erlassen wurden. Vorrang haben danach die Brüssel I-VO, die EG-VollstrTitelVO und die EG-UntVO für den Bereich der Unterhaltsverpflichtungen. Für die anderen im HUntVerfÜbk 2007 geregelten Komplexe ist das Verhältnis zu regio- 11 nalen Instrumenten geregelt, die nach Abschluss des Übereinkommens am 18.12.2007 erlassen wurden. Art 51 Abs 4 S 1 HUntVerfÜbk 2007 zielt dabei in erster Linie darauf ab, das Übereinkommen mit den Projekten der Europäischen Union zu den grenzüberschreitenden Unterhaltsbeziehungen zu koordinieren und ihr auf diese Weise den Beitritt zu dem Haager Übereinkommen zu ermöglichen. Das HUntVerfÜbk 2007 lässt die Anwendung der EG-UntVO in Bezug auf die im Übereinkommen geregelten Angelegenheiten unberührt. Sie stellt dies jedoch unter den Vorbehalt, dass die Verordnung im übereinstimmenden sachlichen Anwendungsbereich nicht das Verhältnis der Mitgliedstaaten zu den anderen Vertragsstaaten berührt. Die EG-UntVO hat dieser Regelung bei der Bestimmung ihres räumlichen Anwendungsbereiches und darüber hinaus in einzelnen Bestimmungen, in denen es Überschneidungen geben könnte, Rechnung getragen. Die Vorschriften der EG-UntVO über die internationale Zuständigkeit berühren das 12 HUntVerfÜbk 2007 direkt nicht, da es die Entscheidungszuständigkeit nicht regelt. Sie sind – wenn auch nicht in allen Einzelheiten – abgestimmt mit den Regelungen des Übereinkommens zur Anerkennungszuständigkeit in Art 20. Damit wird die Anerkennung und Vollstreckung mitgliedstaatlicher Entscheidungen in anderen Vertragsstaaten erleichtert. Art 8 stellt eine Umsetzung von Art 18 HUntVerfÜbk 2007 (Verfahrensbegrenzung) dar, um Unstimmigkeiten zwischen beiden Rechtsinstrumenten vorzubeugen. Das HUntVerfÜbk 2007 regelt die doppelte Rechtshängigkeit sowie zusammenhängende 13 Verfahren nicht. 7

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Zum Beitritt vgl Beschluss des Rates vom 9.6.2011 über die Genehmigung des Haager Übereinkommens vom 23.11.2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen (ABl EU 2011 L 192/39). Der Beitritt erfolgte am 9.4.2014 und das Inkrafttreten für die EU am 1.8.2014. MünchKommFamFG/Lipp Rn 5; aA Geimer/Schütze/Picht Rn 10. Ua EuGH Rs C-211/01 Kommission/Rat EUGHE 2003 I 8913, Rn 57; Rs 181/73 Haegeman EUGHE 1974, 449 Rn 2/6; Calliess/Ruffert/Schmalenbach Art 216 Rn 28 mwH. EuGH, Rs C-192/89 Sevince/Staatssekretaris van Justitie EUGE 1990 I 3461 Rn 24; Calliess/Ruffert/ Schmalenbach Art 216 Rn 37 mwH.

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

14 In Bezug auf die Zusammenarbeit der Zentralen Behörden hat die EG-UntVO die Ab-

grenzung so vorgenommen, dass andere Vertragsstaaten nicht berührt werden. Zum einen betrifft die EG-UntVO nur die Zusammenarbeit der zentralen Behörden der Mitgliedstaaten. Für die Antragsberechtigung ist dasselbe Kriterium wie in dem Haager Übereinkommen gewählt. Es kommt auf den Aufenthalt des Antragstellers in einem Mitgliedstaat an, und es ist die Tätigkeit der Zentralen Behörden eines anderen Mitgliedstaates gefordert. Die Bestimmungen des HUntVerfÜbk 2007 über den effektiven Zugang zum Recht umfassen die Prozesskostenhilfe in Verfahren, die über die Zentralen Behörden eingeleitet werden. Insoweit gelten dieselben Abgrenzungskriterien wie für die Inanspruchnahme der Zentralen Behörden. 2. New Yorker Übereinkommen 15 Das New Yorker UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprü-

chen im Ausland vom 20.6.195611 ist ein Rechtshilfeübereinkommen zur Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen, die auf gesetzlicher Grundlage beruhen. Die Rechtshilfe erfolgt über die in den Vertragsstaaten bestehenden Übermittlungsstellen. Personell findet es Anwendung auf Antragsteller, die sich in einem Vertragsstaat (Ausgangsstaat) aufhalten. Der Verpflichtete muss der Gerichtsbarkeit eines anderen Vertragsstaates (Empfangsstaates) unterstehen.12 Im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander ersetzt die EG-UntVO das UNÜbereinkommen in Bezug auf Ersuche und Anträge, die ab dem 18.6.2011 eingereicht werden. Der Antragsteller muss seinen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat haben. Übermittelnde und entgegennehmende Zentrale Behörden müssen die eines Mitgliedstaates sein. 3. Lugano-Übereinkommen 16 Das LugÜbk 2007 wird von Art 69 nicht erfasst, da Vertragspartner die Europäische Union

und nicht die einzelnen Mitgliedstaaten sind.13 Fragen der Abgrenzung der EG-UntVO und des LugÜbk 2007 können dem EuGH von Gerichten der Mitgliedstaaten im Vorabentscheidungsverfahren nach Art 267 AEUV vorgelegt werden, soweit dies im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Art 64 Abs 2 LugÜbk 2007 regelt das Verhältnis zur Brüssel I-VO. Er ist entsprechend auf das Verhältnis zur EG-UntVO anzuwenden.14 Dafür streitet allgemein Art 68 Abs 1, nachdem die EG-UntVO ein aus der Brüssel I-VO hervorgegangenes und diese ersetzendes Rechtsinstrument ist. Für die Klärung des Verhältnisses der beiden Rechtsakte zueinander ist jedoch auch Art 67 LugÜbk iVm Protokoll Nr 3 heranzuziehen.15 Danach bleiben Bestimmungen in Rechtsakten der Gemeinschaft zur Zuständig11

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BGBl 1959 II 150. Vertragsstaaten zu finden: https://www.bj.admin.ch/content/dam/data/gesellschaft/ internationale_alimentensache/uebermittlungsstellen-ny-ausland.pdf. Einzelheiten zum Übereinkommen nachzulesen bei Garbe/Ullrich/Andrae § 11 Rn 670 ff. Wie hier Prütting/Helms/Hau Anh 3 § 110 FamFG Rn 181; MünchKommFamFG/Lipp Rn 5; siehe hierzu die Ausführungen in Rn 9 entsprechend. Dänemark ist am LugÜbk 2007 als Vertragsstaat beteiligt, jedoch berührt dieses nicht die Anwendung der EG-UntVO. Dies folgt aus Art 64 Abs 1 LugÜbk 2007, der entsprechend auf das Verhältnis zur EG-UntVO Anwendung findet, soweit Dänemark an sie gebunden ist, hierzu Art 1 Rn 50. So Prütting/Helms/Hau § 110 FamFG Anh. 3 Rn 181; SaengerZPO/Dörner vor Art 1 Rn 8; Geimer/ Schütze/Picht Rn 12.

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Art 69 EG-UntVO

keit, Anerkennung und Vollstreckung für besondere Rechtsgebiete unberührt. Zu diesen Rechtsgebieten gehört auch das Unterhaltsrecht, so dass die EG-UntVO davon erfasst ist.16 Problematisch ist auf Grund dessen vor allem die Abgrenzung der Bestimmungen über die internationale Zuständigkeit in beiden Rechtsinstrumenten. Die besseren Argumente sprechen für die entsprechende Anwendung von Art 64 Abs 2 lit a LugÜbk 2007.17 Hierfür kann einmal Art 4 Abs 4 EG-UntVO angeführt werden.18 Zwar beruht die Bestimmung auf dem Protokoll Nr 3 LugÜbk 2007.19 Jedoch hat die Regelung zum Ausgangspunkt die Bestimmung über die Gerichtsstandsvereinbarung in Art 23 LugÜbk 2007, deren Anwendung sich wiederum aus Art 64 Abs 2 lit a LugÜbk 2007 ergibt. Auch Art 6 geht von der Anwendung des LugÜbk 2007 aus. Wichtig ist weiterhin, dass die Bestimmungen über die doppelte Anhängigkeit und über die Anerkennungsversagungsgründe darauf aufbauen, dass für die durch das Übereinkommen gebundenen Staaten die direkten gerichtlichen Zuständigkeiten im sachlichen Anwendungsbereich koordiniert werden. Dem wird die Grundlage entzogen, wenn sich für die Mitgliedstaaten die Zuständigkeit ausschließlich nach der EGUntVO und für die Nichtmitgliedstaaten nach dem LugÜbk 2007 richten soll.20 Für diese Deutung spricht auch, dass Art 67 Abs 1 LugÜbk eine Ausnahme von dem Grundsatz des Vorrangs des Übereinkommens darstellt und diese streng auszulegen ist.21 Daraus wird geschlussfolgert, dass die Anwendung des LugÜbk 2007 hinsichtlich der Zuständigkeit nur für Fragen ausgeschlossen wird, die in der besonderen Übereinkunft ausdrücklich benannt sind.22 Da nach Protokoll Nr 3 Rechtsakte der EU mit den von Art 67 Abs 1 LugÜbk 2007 erfassten Übereinkommen auf bestimmten Rechtsgebieten gleichgestellt sind, hat diese Auslegung auch für die Abgrenzung zu den Bestimmungen über die Zuständigkeiten in der EG-UntVO zu gelten. Für die Zuständigkeit hat deshalb das LugÜbk 2007 in den Mitgliedstaaten Vorrang, wenn 16a der Beklagte seinen Wohnsitz in Norwegen, Island oder der Schweiz hat. Für die Gerichtsstandsvereinbarung trifft dies zu, wenn es um die Vereinbarung der Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte dieser drei Staaten geht und eine Partei ihren Wohnsitz in einem durch das Übereinkommen gebundenen Staat hat. Ungeachtet dessen ist Art 4 Abs 3 in Bezug auf eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung anzuwenden, die sich auf den Kindesunterhalt bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres bezieht. Diese Lösung geht konform mit Art 67 LugÜbk 2007 iVm Protokoll Nr 3. Sie ist eine Ausnahmeregelung und ihr Vorrang vor dem LugÜbk 2007 ist in Art 4 Abs 4 ausdrücklich bestimmt.23 15

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MünchKommFamFG/Lipp Rn 11; Wagner/Janzen IPRax 2010, 298 308 (entweder Art 67 oder 68 LugÜbk 2007); Kropholler/von Hein, Einl Brüssel I-VO Rn 103. MünchKommFamFG/Lipp Rn 12. Im Ergebnis wie hier OLG Frankfurt FamRBInt 2012, 86; Prütting/Helms/Hau § 110 FamFG Anh 3 Rn 181; SaengerZPO/Dörner vor Art 1 Rn 8; Geimer/Schütze/Picht Rn 12; aA MünchKommFamFG/Lipp Rn 12 ff; offengelassen bei Wagner/Janzen IPRax 2010, 298, 308; Kropholler/von Hein Einleitung Einl Brüssel I-VO Rn 103. Hierzu Art 4 Rn 60. Hierzu Art 4 Rn 61. So MünchKommFamFG/Lipp Rn 14. Pocar, Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Erläuternder Bericht, ABl 2009 C 319/1 Rn 179. Pocar, Erläuternder Bericht, ABl 2009 C 319/1 Rn 179. Hierzu Art 4 Rn 59 ff.

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16b Die Regelungen des Übereinkommens zur doppelten Rechtshängigkeit und zu zusammen-

hängenden Verfahren gehen vor, wenn ein Verfahren in Island, Norwegen oder in der Schweiz und ein anderes in einem Mitgliedstaat anhängig sind. Das LugÜbk 2007 regelt die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, öffentlichen Urkunden und gerichtlichen Vergleichen in den Mitgliedstaaten, wenn Island, Norwegen oder die Schweiz Ursprungsstaaten des Titels sind. In Bezug auf die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltstiteln, die vor dem Inkrafttreten des LugÜbk 2007 erlassen wurden, ist die Übergangsvorschrift des Art 63 LugÜbk 2007 zu beachten. 17 Nach Inkrafttreten des HUntVerfÜbk 2007 für die Mitgliedstaaten durch den Beitritt der

EU ist in Bezug auf Vertragsstaaten des LugÜbk 2007, die auch Teilnehmerstaaten dieses Übereinkommens sind, noch diese Konkurrenz zu berücksichtigen.24 Sie besteht nur im übereinstimmenden sachlichen Anwendungsbereich.25 Für die direkte internationale Zuständigkeit bleibt es bei der Darstellung unter Rn 16. Hinzukommt, dass Art 16 HUntVerfÜbk bzw Art 8 EG-UntVO in diesem Verhältnis Anwendung finden. Die Beachtung der früheren Rechtshängigkeit regelt sich weiter nach dem LugÜbk 2007. Für die Anerkennung und Vollstreckung findet gleichfalls das LugÜbk 2007 Anwendung. Zwar führt Art 67 Abs 5 LugÜbk 2007 für die Voraussetzungen zum HUntVerfÜbk 2007. Da jedoch nach Art 52 HUntVerfÜbk 2007 dieses nicht der Anwendung günstigerer Übereinkommen zur Anerkennung und Vollstreckung entgegensteht, bleibt es letztlich beim LugÜbk 2007. Die Kapitel II und III HUntVerfÜbk, die die Zusammenarbeit der Zentralen Behörden, die Anträge über die Zentralen Behörden und die Verfahrenskostenhilfe in diesem Zusammenhang regeln, sind anwendbar, außerdem Art 50 bis 53 LugÜbk 2007, soweit sie für die betreffende Person günstiger sind. Bezogen auf öAwE gilt Art 36 HUntVerfÜbk 2007, für die Anerkennung und Vollstreckung hat jedoch das LugÜbk Vorrang, soweit es für die öffentlichen Einrichtungen günstiger ist. 17a Bezogen auf öAwE gibt es Probleme, die mit der Rechtsprechung des EuGH zum EuGVÜ

und zur Brüssel I-VO26 sowie der fehlenden Abstimmung zwischen dem LugÜbk 2007 mit dem HUntVerfÜbk 2007 zusammenhängen. Eines betrifft den Ausschluss von Regressansprüchen öAwE vom Anwendungsbereich des LugÜbk 2007, soweit sie nicht unter dem Begriff Zivilsachen iS des Übereinkommens subsumiert werden können,27 während das 24 25

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Norwegen ist dem HUntVerfÜbk bereits beigetreten. Es kommt damit auf Art 2 Abs 1 HUntVerfÜbk 2007 an, da die EU gegenwärtig von der Erweiterungsmöglichkeit nach Abs 3 keinen Gebrauch macht. Sie hat beim Beitritt erklärt, dass sie die Anwendung der Kapitel II und III des Übereinkommens auf Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten und früheren Ehegatten erstrecken wird, außerdem dass sie zu einem späteren Zeitpunkt die Möglichkeit prüfen wird, eine weitere Ausdehnung des Anwendungsbereichs vorzunehmen, Beschluss des Rates vom 9.6.2011 ErwGr 7 (ABl EU 2011 L 192/39) Zur möglichst einheitlichen Auslegung der Rechtsinstrumente siehe Protokoll Nr 2; hierzu ausführlich Kropholler/von Hein Einl Brüssel I-VO Rn 108. Vgl EuGH Rs C-271/00 Gemeente Steenbergen/Luc Baten EUGHE 2002 I 10489 Rn 38 ff = IPRax 2004, 237 m Anm Martiny 195; hierzu auch Art 1 Rn 44 ff mwH. Diese Auslegung ist auf das LugÜbk 2007 zu übertragen vgl Pocar, Erläuternder Bericht, ABl 2009 C 319/1 Rn 15. Danach werden vom Übereinkommen nicht erfasst „Rückgriffsklagen, die sich auf Bestimmungen stützen, mit denen der Gesetzgeber der öffentlichen Stelle eine eigene, besondere Befugnis verliehen hat, die ihr eine von den allgemein geltenden Vorschriften abweichende Rechtsstellung einräumt.“

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Kapitel IX: Allgemeine Bestimmungen und Schlussbestimmungen

Art 69 EG-UntVO

HUntVerfÜbk 2007 und die EG-UntVO sie erfassen.28 Die eine mögliche Lösung besteht darin, für den Unterhaltsregress die Auslegung für das LugÜbk 2007 an die beiden anderen Rechtsinstrumente anzupassen und ihn als vom LugÜbk 2007 erfasst anzusehen, wenn die Kriterien des Art 36 Abs 1 HUntVerfÜbk 2007 zutreffen. Die andere Möglichkeit besteht in der Beibehaltung der Einschränkung hinsichtlich der Eröffnung des Anwendungsbereichs nach Art 1 LugÜbk 2007. Dann würde sich die Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten für derartige Klagen öAwE einheitlich, also auch im Verhältnis zu den Vertragsstaaten des LugÜbk 2007, nach der EuUntVO richten, während die Zuständigkeit in den Vertragsstaaten des LugÜbk 2007 dem einzelstaatlichen Recht unterliegen würden. Im Übrigen würde das HUntVerfÜbk 2007 Anwendung finden. Ein anderes Problem betrifft den Ausschluss öAwE von der Möglichkeit, gegen den Unter- 17b haltsschuldner am Gerichtsstand des Unterhaltsberechtigten nach Art 5 Nr 2 LugÜbk 2007 vorzugehen, soweit ihr Regressbegehren vom Art 1 erfasst wird.29 Rechtspraktisch sind sie auf Klagen im Wohnsitzstaat des Unterhaltsschuldners nach Art 2 LugÜbk 2007 beschränkt. Sie können für die Erstreitung eines Titels in diesem Staat nicht die Rechtshilfe nach Kapitel III HUntVerfÜbk 2007 in Anspruch nehmen, weil dies ausgeschlossen ist.30 Die Einbeziehung der öAwE in die Rechtshilfe für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen hilft nicht weiter, weil im territorialen Anwendungsbereich des LugÜbk 2007 eine solche nicht erreichbar ist, wenn es bei der Auslegung für Art 5 Nr 2 LugÜbk 2007 bleibt. Zwar ist es theoretisch denkbar, dass über Art 67 Abs 1 LugÜbk 2007 iVm Protokoll Nr 3 in den Mitgliedstaaten für die internationale Zuständigkeit Art 3 lit b EG-UntVO auch im Verhältnis zu den Vertragsstaaten des LugÜbk 2007 zur Anwendung kommt. Dies würde jedoch der allgemeinen Auslegung hierzu widersprechen. Außerdem würde dies zu einer ungleichen Stellung der öAwE der gebundenen Staaten in Bezug auf die grenzüberschreitende Durchsetzung des Unterhaltsregress führen, soweit in den Vertragsstaaten an der bisherigen Auslegung des LugÜbk 2007 festgehalten wird. Insgesamt ist deshalb eine einheitliche erweiterte neue Auslegung von Art 5 Nr 2 LugÜbk 2007 für die an das LugÜbk 2007 gebundenen Staaten vorzuziehen. Diese sollte an Art 3 lit b EG-UntVO31 orientiert sein und mit der Lösung für die Anerkennungszuständigkeit in Art 20 lit c HUntVerfÜbk 2007 korrespondieren. III. Bilaterale Verträge und Vereinbarungen Soweit sich der Anwendungsbereich der zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden bila- 18 teralen Verträge und Vereinbarungen mit dem der EG-UntVO deckt, haben die Bestimmungen der EG-UntVO Vorrang. Grundsätzlich werden dadurch die bilateralen Verträge in Bezug auf den in Art 1 umschriebenen Anwendungsbereich verdrängt.

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Hierzu Art 1 Rn 45 ff. EUGH Rs C-433/01 Freistaat Bayern/Blijdenstein EUGHE 2003 I 981 Rn 27; hierzu Einl Rn 37; Art 3 Rn 43; Andrae FPR 2013, 38, 41; Kropholler/von Hein Art 5 Brüssel I-VO Rn 65; Rauscher/Leible Art 5 Brüssel I-VO Rn 67. mwH. Diese Auslegung ist auf das LugÜbk 2007 zu übertragen Pocar, Erläuternder Bericht, ABl 2009 C 319/1 Rn 55. Ausnahme: rügelose Einlassung nach Art 24 sowie Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 23 LugÜbk 2007. Siehe hierzu Art 3 Rn 44.

Marianne Andrae

819

Art 70 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Bilaterale Verträge mit Drittstaaten werden durch die EG-UntVO regelmäßig nicht berührt. 19 Mit dem Inkrafttreten der EG-UntVO erlangt die Gemeinschaft die ausschließliche Zustän-

digkeit für den Abschluss völkerrechtlicher Übereinkünfte in den von der Verordnung geregelten Bereichen, einschließlich des unterhaltsrechtlichen Kollisionsrechts.32 Andererseits besteht in Mitgliedstaaten das Bedürfnis, den Abschluss neuer oder die Revision bestehender Staatsverträge durch die Mitgliedstaaten mit Drittstaaten nicht auszuschließen. Als Beispiel sei das in Art 69 Abs 3 aufgeführte Übereinkommen der nordischen Staaten über die Geltendmachung von Unterhaltsforderungen genannt. Die VO (EG) Nr 664/2009 regelt ein Verfahren, welches die Mitgliedstaaten nutzen können, um ein bestehendes Abkommen mit Drittstaaten zu ändern oder ein neues Abkommen auszuhandeln und abzuschließen, „insbesondere solange die Gemeinschaft nicht ihr Interesse an der Wahrnehmung ihrer Außenkompetenzen und den Abschluss eines Abkommens im Wege eines bereits bestehenden oder eines geplanten Verhandlungsmandats bekundet hat“.33 Erfasst werden bilaterale und regionale Abkommen (Art 2 VO (EG) Nr 664/2009) nicht jedoch multilaterale Übereinkommen wie das HUntVerfÜbk 2007. Die VO (EG) Nr 664/2009 sieht ein Verfahren der Genehmigung zur Aufnahme förmlicher Verhandlungen sowie zum Abschluss des Abkommens mit dem Drittstaat vor. Das Genehmigungsverfahren soll sicherstellen, dass das reibungslose Funktionieren des durch die EG-UntVO geschaffenen Systems der rechtlichen Regelung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Unterhaltssachen sowie Gegenstand und Zweck der Gemeinschaftspolitik im Bereich der Außenbeziehungen der Gemeinschaft nicht beeinträchtigt werden.34 Das Verfahren berührt nicht die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft35 in dem von der EG-UntVO geregelten Bereich, vielmehr hat es seine Grundlage in dieser ausschließlichen Kompetenz. Der Abschluss und die Revision von Abkommen durch die Mitgliedstaaten mit Drittstaaten nach Inkrafttreten der Verordnung stellen einen Sonderfall dar und sind deshalb auch sachlich und zeitlich zu begrenzen,36 und sie sollen entsprechende Kündigungsmöglichkeiten vorsehen.37

Artikel 70: Der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellte Informationen Die Mitgliedstaaten übermitteln im Rahmen des durch die Entscheidung 2001/470/EG eingerichteten Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen die folgenden Informationen im Hinblick auf ihre Bereitstellung für die Öffentlichkeit:

32

33 34 35 36 37

820

ErwGr 5, 6 VO (EG) Nr 664/2009 des Rates zur Einführung eines Verfahrens für die Aushandlung und den Abschluss von Abkommen zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten, die die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen und Entscheidungen in Ehesachen, in Fragen der elterlichen Verantwortung und in Unterhaltssachen sowie das anwendbare Recht in Unterhaltssachen betreffen vom 7.7.2009, ABl EU 2009 L 200/46; für die Brüssel I-VO im Verhältnis zum LugÜbkbk 2007 vgl Gutachten 1/03 des EuGH vom 7.2.2006, EuGHE 2006 I 1145. ErwGr 8 VO (EG) Nr 664/2009. ErwGr 11, 19, Art 4 Abs 2 VO (EG) Nr 664/2009. ErwGr 8 VO (EG) Nr 664/2009. ErwGr 8 VO (EG) Nr 664/2009; KOM (2008) 894, 6. ErwGr 13, Art 5 VO (EG) Nr 664/2009.

Oktober 2014

Kapitel IX: Allgemeine Bestimmungen und Schlussbestimmungen

Art 72 EG-UntVO

a) eine Beschreibung der nationalen Rechtsvorschriften und Verfahren, die Unterhaltspflichten betreffen, b) eine Beschreibung der zur Erfüllung der Verpflichtungen aus Artikel 51 getroffenen Maßnahmen, c) eine Beschreibung darüber, wie ein effektiver Zugang zum Recht gemäß Artikel 44 gewährleistet wird, und d) eine Beschreibung der nationalen Vollstreckungsvorschriften und -verfahren, einschließlich Informationen über alle Vollstreckungsbeschränkungen, insbesondere über Vorschriften zum Schutz von verpflichteten Personen und zu Verjährungsfristen. Die Mitgliedstaaten halten diese Informationen stets auf dem neuesten Stand.

Artikel 71: Informationen zu Kontaktdaten und Sprachen (1) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission spätestens bis zum 18. September 2010 Folgendes mit: a) die Namen und Kontaktdaten der für Anträge auf Vollstreckbarerklärung gemäß Artikel 27 Absatz 1 und für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen über derartige Anträge gemäß Artikel 32 Absatz 2 zuständigen Gerichte oder Behörden; b) die in Artikel 33 genannten Rechtsbehelfe; c) das Nachprüfungsverfahren zum Zweck der Anwendung von Artikel 19 sowie die Namen und Kontaktdaten der zuständigen Gerichte; d) die Namen und Kontaktdaten ihrer Zentralen Behörden sowie gegebenenfalls deren Zuständigkeitsbereiche gemäß Artikel 49 Absatz 3; e) die Namen und Kontaktdaten der öffentlichen oder sonstigen Stellen sowie gegebenenfalls deren Zuständigkeitsbereiche gemäß Artikel 51 Absatz 3; f) die Namen und Kontaktdaten der Behörden, die für Vollstreckungssachen im Sinne des Artikel 21 zuständig sind; g) die Sprachen, die für Übersetzungen der in den Artikeln 20, 28 und 40 genannten Schriftstücke zugelassen sind; h) die Sprache oder Sprachen, die von ihren Zentralen Behörden für die Kommunikation mit den anderen Zentralen Behörden gemäß Artikel 59 zugelassen sind. Die Mitgliedstaaten unterrichten die Kommission über spätere Änderungen dieser Angaben. (2) Die Kommission veröffentlicht die gemäß Absatz 1 mitgeteilten Angaben im Amtsblatt der Europäischen Union, mit Ausnahme der in den Buchstaben a, c und f genannten Anschriften und anderen Kontaktdaten der Gerichte und Behörden. (3) Die Kommission hält alle gemäß Absatz 1 mitgeteilten Angaben auf andere geeignete Weise, insbesondere über das mit der Entscheidung 2001/470/EG eingerichtete Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen, für die Öffentlichkeit zugänglich.

Artikel 72: Änderung der Formblätter Änderungen der in dieser Verordnung vorgesehenen Formblätter werden nach dem Beratungsverfahren gemäß Artikel 73 Absatz 3 beschlossen.

Die Bestimmung stellt sicher, dass die Änderung der Formblätter (Anh I bis XI) nicht 1 demselben Verfahren unterliegt, wie dies für die Änderung der EG-UntVO selbst zutrifft.

Marianne Andrae

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Art 73 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

Artikel 73: Ausschuss (1) Die Kommission wird von dem durch Artikel 70 der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 eingesetzten Ausschuss unterstützt. (2) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten die Artikel 4 und 7 des Beschlusses 1999/468/EG. Der Zeitraum nach Artikel 4 Absatz 3 des Beschlusses 1999/468/EG wird auf drei Monate festgesetzt. (3) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten die Artikel 3 und 7 des Beschlusses 1999/468/EG.

1 Der in Abs 1 genannte Ausschuss hat die Funktion, die Kommission bei den ihr nach der

EG-UntVO obliegenden Aufgaben zu unterstützen. Es ist derselbe Ausschuss, der für die vergleichbaren Aufgaben nach Art 70 Brüssel IIa-VO zu bilden war und bereits arbeitet. Zu den Aufgaben gehören vor allem die Vorbereitung des Berichts nach Art 74 und notwendige Veränderungen der Formblätter. Der Beschluss 1999/468/EG1 legt die Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse fest.

Artikel 74: Überprüfungsklausel Die Kommission legt dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss bis spätestens fünf Jahre nach dem Beginn der Anwendbarkeit gemäß Artikel 76, dritter Unterabsatz einen Bericht über die Anwendung dieser Verordnung vor; dazu gehört auch eine Bewertung der praktischen Erfahrungen im Bereich der Zusammenarbeit zwischen den Zentralen Behörden, insbesondere hinsichtlich ihres Zugangs zu den Informationen, über die Behörden und Verwaltungen verfügen, und eine Bewertung der Funktionsweise des Anerkennungs-, Vollstreckbarerklärungs- und Vollstreckungsverfahrens, das auf Entscheidungen anwendbar ist, die in einem Mitgliedstaat, der nicht durch das Haager Protokoll von 2007 gebunden ist, ergangen sind. Dem Bericht werden erforderlichenfalls Vorschläge zur Anpassung dieser Verordnung beigefügt.

1 Art 74 füllt die Kontrollaufgabe der Kommission gemäß ex-Art 211 EGV (Art 17 EUV) aus.

Diese überwacht die Anwendung des Gemeinschaftsrechts ua gegenüber den Mitgliedstaaten. Spätestens 2016 wird sie ihren Bericht gegebenenfalls mit Empfehlungen zur Verbesserung der Verordnung vorlegen. Ihr bleibt es unbenommen, diese Stellungnahme zu einem früheren Zeitpunkt abzugeben.

1

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ABl EG 1999 L 184/23; geändert durch Beschluss 2006/512/EG, ABl EU 2006 L 200/11.

Oktober 2014

Kapitel IX: Allgemeine Bestimmungen und Schlussbestimmungen

Art 75 EG-UntVO

Artikel 75: Übergangsbestimmungen (1) Diese Verordnung findet vorbehaltlich der Absätze 2 und 3 nur auf ab1 dem Datum ihrer Anwendbarkeit eingeleitete Verfahren, gebilligte oder geschlossene gerichtliche Vergleiche und ausgestellte öffentliche Urkunden Anwendung. (2) Kapitel IV Abschnitte 2 und 3 findet Anwendung auf a) Entscheidungen, die in den Mitgliedstaaten vor dem Tag des Beginns der Anwendbarkeit dieser Verordnung ergangen sind und deren Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ab diesem Zeitpunkt beantragt wird; b) Entscheidungen, die ab dem Tag des Beginns der Anwendbarkeit dieser Verordnung in Verfahren, die vor diesem Zeitpunkt eingeleitet wurden, ergangen sind, soweit diese Entscheidungen für die Zwecke der Anerkennung und Vollstreckung in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr 44/2001 fallen.2 Die Verordnung (EG) Nr 44/2001 gilt weiterhin für die am Tag des Beginns der Anwendbarkeit dieser Verordnung laufenden Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren. Die Unterabsätze 1 und 2 geltend sinngemäß auch für in den Mitgliedstaaten gebilligte oder geschlossene gerichtliche Vergleiche und ausgestellte öffentliche Urkunden. (3) Kapitel VII über die Zusammenarbeit zwischen Zentralen Behörden findet auf Ersuchen und Anträge Anwendung, die ab dem Tag des Beginns der Anwendung dieser Verordnung bei der Zentralen Behörde eingehen.

Art 75 regelt den intertemporalen Anwendungsbereich. Die Vorschrift soll für Unterhalts- 1 sachen den Übergang von der Brüssel I-VO zur EG-UntVO gewährleisten.3 I. Grundsatz Nach Abs 1 ist der intertemporale Anwendungsbereich der EG-UntVO an den Tag ihrer 2 Anwendbarkeit geknüpft.4 Dies ist gemäß Art 76 Abs 3 der 18.6.2011. Auf ab diesem Tag eingeleitete Verfahren, gebilligte oder geschlossene Vergleiche und ausgestellte Urkunden findet die EG-UntVO Anwendung.5 Art 75 EG-UntVO ist Art 66 Brüssel I-VO nachgebildet, jedoch stellt die EG-UntVO statt 3 auf die Klageerhebung auf die Verfahrenseinleitung ab. Was Verfahrenseinleitung meint, ist in der Verordnung nicht gesondert erläutert. In Abgrenzung zu Abs 2 kann Verfahrenseinleitung iSv Abs 1 nicht die Einleitung eines Vollstreckungsverfahrens meinen, da Abs 2 den intertemporalen Anwendungsbereich der EG-UntVO gesondert für die Anerkennung und Vollstreckung nach Kapitel IVerweitert. Für gerichtliche Verfahren kommt es daher auf 1 2 3 4

5

In der deutschen Sprachfassung berichtigt ABl EU 2011 L 131/26. In der deutschen Sprachfassung berichtigt ABl EU 2011 L 131/26 und ABl EU 2013 L 8/19. ErwGr 44. Die Verordnung unterscheidet in Art 76 zwischen ihrem Inkrafttreten und ihrer Anwendbarkeit. Hieraus folgt, dass die Mitgliedstaaten durch die Verordnung schon vor deren Anwendbarkeit gebunden sind, etwa im Hinblick auf ihre Informationspflichten nach Art 71, die gerade der Vorbereitung zur Anwendung der Verordnung dienen. „after its date of application“ wurde zunächst unrichtig ins Deutsche übersetzt, nunmehr richtig „ab dem …“

Marianne Andrae

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Art 75 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

die Einleitung des Erkenntnisverfahrens an. Da die EG-UntVO in Art 2 Abs 2 auch Behörden uU den Gerichten gleichstellt, erfasst die Verfahrenseinleitung nach Abs 1 auch behördliche Verfahren, die in den Mitgliedstaaten zu einer Entscheidung in Unterhaltssachen führen. Eine autonome Festlegung über den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung hat der Verordnungsgeber nicht allgemein getroffen, sondern in Art 9 für das Kapitel über die Zuständigkeit den Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts/der gleichgestellten Verwaltungsbehörde geregelt. Insoweit erinnert die Problematik an die Bestimmung des Zeitpunktes der Klageerhebung in Art 66 Brüssel I-VO. Für diese Vorschrift ist strittig, ob Art 30 Brüssel I-VO herangezogen werden kann oder ob für den intertemporalen Anwendungsbereich sich der Zeitpunkt der Klageerhebung nach den jeweiligen nationalen Vorschriften bestimmt.6 4 Konsequenz der Anwendung der nationalen Vorschriften wäre jedoch ein Nebeneinander

sowohl über die Bestimmung der Klageerhebung bei Gericht als auch über die Einleitung eines behördlichen Verfahrens. Dieser Umstand würde die Anwendbarkeit der EG-UntVO unnötig verkomplizieren und nicht dem Charakter als gemeinschaftliches Rechtsinstrument gerecht werden.7 Daher ist eine autonome Auslegung zu befürworten und hierfür Art 9 heranzuziehen.8 Im Unterschied zu Art 9 stellt Art 75 zwar auf die Verfahrenseinleitung ab, nicht aber auf die Anrufung des Gerichts/einer gleichgestellten Verwaltungsbehörde.9 Letztlich kann jedoch nur von einer wirksamen Verfahrenseinleitung ausgegangen werden, wenn die das Verfahren einleitende Stelle sich als angesprochen betrachten muss. Die unterschiedliche Wortwahl in Art 9 und Art 75 Abs 1 ist daher unbeachtlich. 5 Für gerichtliche Vergleiche kommt es grundsätzlich auf den Tag ihres Abschlusses an. Ist

für die Wirksamkeit erforderlich, dass das Gericht den Vergleich billigt,10 ist dieser Zeitpunkt maßgeblich. 6 Bei öffentlichen Urkunden ist auf den Tag ihrer Ausstellung abzustellen. Um die Anwen-

dung des HUntStProt 2007 sicherzustellen, ist dies nicht erst der Tag ihrer Vollstreckbarkeit.11 II. Erweiterung in Abs 2 – Anerkennung und Vollstreckung 7 Abs 2 erweitert den zeitlichen Anwendungsbereich der Verordnung bezogen auf die An6

7 8 9

10 11

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Auch Art 30 Brüssel I-VO bestimmt ausdrücklich nur den Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts für die Belange der Zuständigkeit. Für eine analoge Anwendung auf Art 66 Brüssel I-VO etwa Geimer/Schütze/ Geimer EuZVR Art 66 Brüssel I-VO Rn 2; Kropholler/von Hein Art 66 Brüssel I-VO Rn 2. Für die Heranziehung der jeweiligen nationalen Regelungen BGH v 28.2.1996 – XII ZR 181/93, BGHZ 132, 105, 107 = FamRZ 1996, 601 = IPRax 1997, 187; Rauscher/Staudinger Art 66 Brüssel I-VO Rn 2; Thomas/ Putzo/Hüßtege Art 66 Brüssel I-VO Rn 2 jeweils mwN. Vgl ErwGr 10. Geimer/Schütze/Picht Art 75, 76 Rn 6. Im Unterschied hierzu verwendet die Brüssel I-VO die Begriffe Anrufung (Art 30) und Klageerhebung (Art 66). Wie etwa im engl Recht nach civ Proc Rules 40.6 [2001], hierzu auch Koch FS Schumann (2001) 276. Insoweit ist der Streit über den maßgeblichen Zeitpunkt der Errichtung einer öffentlichen Urkunden in Art 66 Abs 1 Brüssel I-VO hinfällig, der sich auf den Wortlaut von Art 66 und Art 57 Brüssel I-VO gründete, hierzu Rauscher/Staudinger Art 66 Brüssel I-VO Rn 5; Schlosser Art 66 Brüssel I-VO Rn 15.

Oktober 2014

Kapitel IX: Allgemeine Bestimmungen und Schlussbestimmungen

Art 75 EG-UntVO

erkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung von Unterhaltstiteln. Titel, die die Voraussetzungen des Abs 1 erfüllen, unterliegen in diesen Fragen bereits danach dem Kapitel IV. Ob sich die Anerkennung und Vollstreckung dann nach den Abschnitten 1 und 3 oder den Abschnitten 2 und 3 richten, bestimmt sich danach, ob der Ursprungsmitgliedstaat an das HUntStProt 2007 gebunden ist. Darüber hinaus werden – allgemein ausgedrückt – Unterhaltstitel aus Mitgliedstaaten er- 7a fasst, wenn sie anderenfalls hinsichtlich dieser Fragen der Brüssel I-VO unterliegen würden.12 Letzteres ergibt sich aus Art 66 iVm Art 76 Brüssel I-VO. Die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung dieser Unterhaltstitel richten sich nach Kapitel IV Abschnitt 2 und 3. Dies ist damit zu erklären, dass der Europäische Gesetzgeber für die Anwendung von Kapitel IV Abschnitt 1 ein Junktim zwischen der Bindung an das HUntStProt 2007 im Erkenntnisverfahren und der Abschaffung des Exequaturverfahrens zu Gunsten der direkten Vollstreckbarkeit von Entscheidungen eines Mitgliedstaates in anderen Mitgliedstaaten hergestellt hat.13 Die Bindung der Mitgliedstaaten an das Haager Protokoll ist mit dem 18.6.2011 eingetreten. Demgegenüber übernimmt Kapitel IV Abschnitt 2 weitgehend die entsprechenden Vorschriften der Brüssel I-VO. Seine Anwendung auf Entscheidungen, deren Verfahren zuvor der Brüssel I-VO unterlagen oder deren Anerkennung und Vollstreckung sich danach richteten, verändert deshalb weder die Rechtsstellung des Schuldners noch die des Gläubigers.14 Im Einzelnen sind folgende Unterhaltsentscheidungen nach Abs 2 von Kapitel IV Abschnit- 8 te 2 und 3 erfasst: – Entscheidungen, deren Verfahren in einem Mitgliedstaat vor dem 18.11.2011 eingeleitet wurden und die ab diesem Zeitpunkt ergangen sind (Abs 2 lit b). Diese Entscheidungen unterliegen auch dann dem Kapitel IV Abschnitt 2 und 3, wenn zu Unterhaltszahlungen nach dem 18.6.2011 verpflichtet wurde und/oder das Gericht das HUntStProt angewandt hat, weil es allein auf den Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens ankommt. – Entscheidungen, deren Verfahren in einem Mitgliedstaat ab dem 1.3.2002 (Zeitpunkt des Inkrafttretens der Brüssel I-VO) eingeleitet wurden und die ergangen sind, bevor die EGUntVO ab dem 18.6.2011 anwendbar war. Erforderlich ist, dass deren Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach dem 18.6.2011 beantragt wurde bzw wird. Gleichgestellt sind Entscheidungen, deren Verfahrenseinleitung im Ursprungsmitgliedstaat nach dessen Beitritt unter der Geltung der Brüssel I-VO erfolgte. Auch kommt es wiederum nicht darauf an, ob es um Unterhalt geht, der vor dem 18.6.2011 oder danach geschuldet ist.15 – Entscheidungen, bei denen die Klage im Ursprungsmitgliedstaat nicht unter der Geltung der Brüssel I-VO erhoben wurde und der Erlass jedoch nach diesem Zeitpunkt lag, wenn sie die Voraussetzungen des Art 66 Abs 2 lit a oder b Brüssel I-VO erfüllen.16 Auch hier ist 12 13 14

15

16

Botur FamRZ 2010, 1860, 1869. Vgl hierzu Art 15, 17. Vom Grundsatz her unterliegen alle Entscheidungen, deren Verfahren bis zum 18.6.2011 eingeleitet werden und deren Vollstreckbarerklärung in dem anderen Mitgliedstaat noch nicht erfolgt bzw anhängig ist, dem Kapitel IV Abschnitt 2 und 3, soweit sie vom zeitlichen Anwendungsbereich der Brüssel I-VO erfasst sind. OLG Karlsruhe v 27.1.2014 – 8 W 61/13, FamRZ 2014, 864; dagegen fehlerhaft OLG München v 12.1. 2012 – 12 UF 48/12, FamRZ 2012, 1512; OLG Stuttgart FamRZ 2012, 1. Hierzu Rauscher/Staudinger Art 66 Brüssel I-VO Rn 11 ff.

Marianne Andrae

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Art 75 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

erforderlich, dass der Antrag auf Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach dem 18.6.2011 gestellt wurde oder wird. 9 Die Regelung sichert, dass die EG-UntVO in ihrem sachlichen Anwendungsbereich die

Brüssel I-VO tatsächlich ersetzt, jedoch Entscheidungen außen vor bleiben, die wegen ihres frühen Einleitungs- oder Erlasszeitdatums nicht der Brüssel I-VO unterlagen. 10 Wann eine Entscheidung als ergangen gilt, richtet sich nach den Vorschriften des jeweiligen

Mitgliedstaates.17 Im deutschen Recht bedarf es nach §§ 310 Abs 1 und 2, 329 Abs 1 und 2 ZPO der Verkündung bzw der Zustellung. Nicht erforderlich ist hingegen der Eintritt der Rechtskraft.18 11 Der Verweis hinsichtlich gebilligter oder geschlossener Vergleiche und ausgestellter öffent-

licher Urkunden in UAbs 3 ist dahingehend zu verstehen, dass sich Kapitel IV Abschnitte 2 und 3 insoweit auf sie erstreckt, als sie nach der intertemporalen Überleitungsregelung der Brüssel I-VO dieser unterliegen. Für eine öffentliche Urkunde trifft dies zu, wenn sie aufgenommen worden ist, nachdem die Brüssel I-VO in dem betreffenden Mitgliedstaat in Kraft getreten ist,19 entsprechendes hat für Prozessvergleiche zu gelten.20 12 Wurde das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren für eine Entscheidung, öffentliche

Urkunde oder einen gerichtlichen Vergleich bereits vor dem Datum der Anwendbarkeit der Verordnung beantragt, bleibt die Brüssel I-VO nach Abs 2 UAbs 2 anwendbar. 13 Die EG-UntVO trifft keine Regelung für Titel aus einem Mitgliedstaat, der der EU erst nach

dem 18.6.2011 beigetreten ist.21 Obwohl es dem Wortlaut nach möglich ist, ist Abs 2 lit a nicht hierauf anwendbar, weil dieser auf die Abgrenzung zur Brüssel I-VO zielt. Folglich richtet sich diese Frage nach Abs 1. Die Anerkennung und Vollstreckung solcher Titel unterliegen dann der EG-UntVO, soweit das Verfahren nach dem Betritt eingeleitet wurde bzw der gerichtliche Vergleich geschlossen oder die öffentliche Urkunde aufgesetzt wurde. Die EG-UntVO erstreckt sich auch auf Entscheidungen, die zwar eingeleitet wurden, als der Erlassstaat noch nicht Mitgliedstaat war, die aber nach dem Beitritt ergangen sind. Voraussetzung ist, dass sich das Gericht des neuen Mitgliedstaates für die internationale Zuständigkeit auf Bestimmungen gestützt hat, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels II der EG-UntVO oder eines Abkommens übereinstimmen, denen dieser Staat und der Mitgliedstaat, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, zum Zeitpunkt der Klageerhebung angehören, Artt 75 Abs 2 lit b EG-UntVO, 66 Abs 2 lit b Brüssel I-VO analog. Entscheidungen der Gerichte des neuen Mitgliedstaates, die vor dem Zeitpunkt des Beitritts ergangen sind, werden von Kapitel IV nicht erfasst.22

17

18 19 20 21 22

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Gebauer/Wiedmann/Gebauer Art 66 Brüssel I-VO Rn 277; Kropholler/von Hein Art 66 Brüssel I-VO Rn 4; Thomas/Putzo/Hüßtege Art 66 Brüssel I-VO Rn 4; Rauscher/Staudinger Art 66 Brüssel I-VO Rn 10. MünchKommZPO/Gottwald Art 66 Brüssel I-VO Rn 4; Rauscher/Staudinger Art 66 Brüssel I-VO Rn 10. Vgl Art 66 Abs 1 Brüssel I-VO. Rauscher/Staudinger Art 66 Brüssel I-VO Rn 14; Kropholler/von Hein Art 66 Brüssel I-VO Rn 7. Gegenwärtig bedeutsam für Kroatien Beitritt 1.7.2013. Für die Brüssel I-VO EuGH C-514/10 Wolf Naturprodukte GmbH NJW 2012, 2639.

Oktober 2014

Kapitel IX: Allgemeine Bestimmungen und Schlussbestimmungen

Art 76 EG-UntVO

III. Doppelte Rechtshängigkeit Intertemporale Abgrenzungsfragen bezogen auf die doppelte Rechtshängigkeit sind un- 13a kompliziert zu lösen, da die Brüssel I-VO und die EG-UntVO inhaltlich übereinstimmen. Ist die Klage beim erstangerufenen Gericht vor den 18.6.2011 anhängig gemacht worden, bestimmt sich dessen internationale Zuständigkeit nach der Brüssel I-VO. Für das ab dem 18.6.2011 angerufene mitgliedstaatliche Zweitgericht regelt sich die Zuständigkeit und das Vorgehen wegen der früheren Anhängigkeit eines Verfahrens in einem anderen Mitgliedstaat nach der EG-UntVO.23 Für das Problem Beachtung der doppelten Rechtshängigkeit, wenn das erste Verfahren in einem Mitgliedstaat vor dessen Beitritt zur EU und das zweite danach eingeleitet wird, kann die Entscheidung des EuGH Rs C-163/95 entsprechend herangezogen werden. Art 12 ist anwendbar, wenn das zuerst angerufene Gericht sich aufgrund einer Vorschrift für zuständig erklärt hat, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels II oder eines Abkommens übereinstimmt, das im Zeitpunkt der Klageerhebung zwischen den beiden betroffenen Staaten in Kraft war. Hat das zuerst angerufene Gericht noch nicht über seine Zuständigkeit entschieden, ist Artikel 12 nur vorläufig anzuwenden.24 Die Lösung zielt darauf, Parallelverfahren vor Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten und daraus möglicherweise resultierende widersprüchliche Entscheidungen zu verhindern, deren Vollstreckung dann in dem anderen Mitgliedstaat an diesem Anerkennungsversagungsgrund scheitert.25 In allen anderen Fällen regelt sich die Beachtung der doppelten Rechtshängigkeit nach dem autonomen IZVR des Mitgliedstaates, dessen Gerichte nachfolgend angerufen wurden. Das unter Rn 12 Dargestellte trifft entsprechend zu, wenn es um die Beachtung eines vorher 13b anhängigen zusammenhängenden Verfahrens nach Art 13 geht. IV. Zusammenarbeit der Zentralen Behörden Abs 3 Die Zusammenarbeit der Zentralen Behörden richtet sich gemäß Abs 3 nach den Vorschrif- 14 ten der EG-UntVO für Anträge, die bei der Zentralen Behörde eingehen, nachdem die Verordnung anwendbar geworden ist.

Artikel 76: Inkrafttreten Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. Artikel 2 Absatz 2, Artikel 47 Absatz 3, Artikel 71, 72 und 73 gelten ab dem 18. September 2010. Diese Verordnung findet, mit Ausnahme der in Unterabsatz 2 genannten Vorschriften, ab dem 18. Juni 2011 Anwendung, sofern das Haager Protokoll von 2007 zu diesem Zeitpunkt in der Gemeinschaft anwendbar ist. Anderenfalls findet diese Verordnung ab dem Tag des Beginns der Anwendbarkeit jenes Protokolls in der Gemeinschaft Anwendung.

23 24 25

Geimer/Schütze/Picht Art 75, 76 Rn 13; MünchKommFamFG/Lipp Rn 11. EuGH Rs C-163/95 von Horn/Cinnamond EuGHE 1997 I 5451 Rn 30. EuGH Rs C-163/95 von Horn/Cinnamond EuGHE 1997 I 5451 Rn 16.

Marianne Andrae

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Art 76 EG-UntVO

B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

1 Art 76 UAbs 1 gibt für das Inkrafttreten der Verordnung Art 254 Abs 1 EGV (Artt 297, 298

AEUV) wieder. Davon zu unterscheiden ist die Anwendbarkeit der Verordnung. Für letztere stellt die Verordnung auf zwei verschiedene Zeitpunkte ab. Zunächst sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, bis zum 18.9.2010 bestimmte Informationen zu übermitteln. Darüber hinaus ist die Verordnung jedoch erst ab dem 18.6.2011 anzuwenden. Die Regelung stellt die zeitliche Anwendung der EG-UntVO unter die Bedingung, dass das HUntStProt zeitgleich in der Union anwendbar ist. Die zeitliche Übereinstimmung ist mit dem Beschluss über den Abschluss des Protokolls über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht durch die Europäische Gemeinschaft vom 30.11.2009 hergestellt worden.1

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft unmittelbar in den Mitgliedstaaten. Geschehen zu Brüssel am 18. Dezember 2008. Im Namen des Rates Der Präsident M. BARNIER

1

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Beschluss des Rates 2009/941/EG 30.11.2009, ABl EU L 331/17, hierzu näher Art 15 Rn 13 ff.

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Anh I EG-UntVO

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Anh I EG-UntVO

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

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Anh I EG-UntVO

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Anh I EG-UntVO

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

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Anh I EG-UntVO

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Anh I EG-UntVO

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

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Anh I EG-UntVO

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Anh I EG-UntVO

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

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Anh I EG-UntVO

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Anh II EG-UntVO

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

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Anh II EG-UntVO

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Anh II EG-UntVO

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

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Anh II EG-UntVO

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Anh II EG-UntVO

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

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Anh II EG-UntVO

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Anh II EG-UntVO

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

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Anh II EG-UntVO

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Anh II EG-UntVO

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

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Anh III EG-UntVO

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Anh III EG-UntVO

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

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Anh III EG-UntVO

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Anh III EG-UntVO

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

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Anh III EG-UntVO

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Anh III EG-UntVO

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

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Anh II EG-UntVO

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Anh IV EG-UntVO

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Anh IV EG-UntVO

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Anh IV EG-UntVO

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Anh IV EG-UntVO

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Anh IV EG-UntVO

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B.I.2 EG-Unterhaltsverordnung

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Anh IV EG-UntVO

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Anh IV EG-UntVO

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B.I.3 Haager Übereinkommen vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen ABl EU 2011 L 192/511 Schrifttum Alexandre, Introduction au futur Guide de mise en œuvre et problématiques de mise en œuvre, La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09), 52 Amos, Englisches Unterhaltsrecht – paternalistisch oder pragmatisch? – und wie es durch die Prismen der UnterhaltsVO und der Haager Unterhaltsübereinkommen aussehen könnte, in: Europäisches Unterhaltsrecht, Die Bedeutung der Haager Übereinkommen und der UnterhaltsVO für das englische und deutsche Recht (2010) 39 Andrae, Zum Verhältnis der Haager Unterhaltskonvention 2007 und des Haager Protokolls zur geplanten EU-Unterhaltsverordnung, FPR 2008, 196 Andrae, Der Unterhaltsregress öffentlicher Einrichtungen nach der EuUntVO, dem HUÜ 2007 und dem HUP, FPR 2013, 38 Andrae, Internationales Familienrecht3 (2014) Azcárraga Monzonís, El nuevo Convenio de La Haya sobre el cobro internacional de alimentos para los niños y otros miembros de la familia (sobre la negociación de determinados artículos en la sesión diplomática del 5 al 23 de noviembre de 2007), Revista Española de Derecho Internacional (REDI) LX (2008) 491 Barkley/Ménard, Le profil des Etats, une nouvelle source d’informations, La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09), 39 Bartl, Die neuen Rechtsinstrumente zum IPR des 1

Unterhalts auf internationaler und europäischer Ebene (2012), zitiert Bartl, Die neuen Rechtsinstrumente zum IPR des Unterhalts (2012) Bean/Matheson, Observations des Etats-Unis d’Amérique concernant l’accès effectif aux services, La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09), 45 Beaumont, La procédure de reconnaissance et d’exécution de la Convention, La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09), 41 Beaumont, International Family Law in Europe – the Maintenance Project, the Hague Conference and the EC: A Triumph of Reverse Subsidiarity, RabelsZ 73 (2009), 509 Beaumont/Hess/Walker/Spancken (eds), The Recovery of Maintenance in the EU and Worldwide (2014) Beaumont/Walker, Administrative and Judicial Cooperation in the Hague 2007 Maintenance Convention, in: Entre Bruselas y La Haya, FS Alegría Borrás (2013) 185 Boele-Woelki/Mom, Vereinheitlichung des internationalen Unterhaltsrechts in der Europäischen Union – ein historischer Schritt, FPR 2010, 485 Bonomi, La réforme des règles de conflit en matière d’obligations alimentaires. Quelques remarques sur les travaux en cours à La Haye et à Bruxelles, in: L’arbre de la méthode et ses fruits civils, FS Suzette Sandoz (2006) 201

Abgedruckt ist die zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz abgestimmte deutsche Übersetzung (Übersetzungskonferenz in Bern vom 16./17.7.2008); soweit die Übersetzungen divergieren, ist die für Deutschland geltende Übersetzung gewählt und auf die abweichende österreichische bzw schweizerische Fassung in Fußnoten hingewiesen. Der offizielle englische und französische Originaltext ist abrufbar unter www.hcch.net Conventions Nr 38.

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HUntVerfÜbk Bonomi, The Hague Protocol of 23 November 2007 on the Law Applicable to Maintenance Obligations, YB PIL 10 (2008), 333 Bonomi, Présentation du Protocole, La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09), 21 Borrás, La Comunidad Europea como miembro de la Conferencia de La Haya de Derecho internacional privado, AEDIPr VI (2006), 1179 Borrás, Dos nuevos instrumentos en materia de alimentos: El Convenio y el Protocolo de La Haya de 23 de noviembre de 2007, AEDIPr VII (2007), 1305 Borrás, The Necessary Flexibility in the Application of the New Instruments on Maintenance, in: Convergence and Divergence in Private International Law, FS Kurt Siehr (2010) 173 Borrás, The limit on proceedings in maintenance claims: an example of the compatibility between the European instruments and the 2007 Hague Convention, International Family Law (IFL) March 2012, 110 Borrás/Beilfuss, Conferencia de La Haya de Derecho Internacional Privado: Comisión especial sobre el cobro de alimentos con respecto a los niños y otras formas de manutención con respecto a la familia, Revista Española de Derecho Internacional (REDI) LV (2003), 582 Borrás/Degeling, Convention du 23 novembre 2007 sur le recouvrement international des aliments destinés aux enfants et à d’autres membres de la famille, Rapport explicatif (2013) Borrás Rodríguez/Parra Rodríguez, Conferencia de La Haya de Derecho Internacional Privado: Comisión especial sobre el cobro internacional de alimentos con respecto a los menores y otras formas de manutención con respecto a la familia, Revista Española de Derecho Internacional (REDI) LVI (2004), 572 Borrás Rodríguez/Parra Rodríguez, La tercera reunión de la Comisión especial sobre el cobro internacional de alimentos con respecto a los niños y otras formas de manutención con respecto a la familia, de la Conferencia de La Haya de Derecho Internacional Privado (4 a 15 de abril de 2005), Revista Española de Derecho Internacional (REDI) LVII (2005), 520 Borrás Rodríguez/Parra Rodríguez, Conferencia de La Haya de Derecho Internacional Privado: Comisión especial para la preparación de un Convenio en

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B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen materia de alimentos (19-28 de junio de 2006), Revista Española de Derecho Internacional (REDI) LVIII (2006), 600 Carlson, Projets pour la mise en œuvre aux EtatsUnis d’Amérique de la Convention de La Haye de 2007 sur le recouvrement international des aliments destinées aux enfants et d’autres membres de la famille, La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09), 29 Carlson, United States Perspective on the New Hague Convention on the International Recovery of Child Support and Other Forms of Family Maintenance, Family Law Quarterly (Fam LQ) 43 (2009), 21 Curry-Sumner, Administrative co-operation and free legal aid in international child maintenance recovery. What is the added value of the European Maintenance Regulation?, NIPR 2010, 611 Degeling/Borrás, Le rapport explicatif en tant qu’aide officielle à l’interprétation de la Convention, La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09), 54 Doogue, Perspective de la présidente de la Commission du Comité de rédaction, La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09), 23 Doogue, The drafting of the Hague Convention on the International Recovery of Child Support and Other Forms of Family Maintenance, International Family Law (IFL) March 2012, 106 Dose, Das deutsche Unterhaltsrecht unter dem Einfluss der Unterhalts-VO und der Haager Unterhaltsübereinkommen – Vollstreckbarkeit ausländischer Unterhaltstitel –, in: Europäisches Unterhaltsrecht, Die Bedeutung der Haager Übereinkommen und der UnterhaltsVO für das englische und deutsche Recht (2010) 81 Duncan, Jurisdiction to Make & Modify Maintenance Decisions. The Quest for Uniformity, in: Intercontinental Cooperation through Private International Law: Essays in Memory of Peter E. Nygh (2004) 89 Duncan, The Development of the New Hague Convention on the International Recovery of Child Support and Other Forms of Family Maintenance, Family Law Quarterly (Fam LQ) 38 (2004), 663 Duncan, The Hague Convention of 23 November on the International Recovery of Child Support and Other Forms of Family Maintenance. Comments on its Objectives and Some of its Special Features, YB PIL 10 (2008), 313

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B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen Duncan, The New Hague Child Support Convention: Goals and Outcomes of the Negotiations, Family Law Quarterly (Fam LQ) 43 (2009), 1 Duncan/Lortie, Introduction à la réunion de 2009 de la Commission spéciale, La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09), 51 Eames, Maintenance Enforcement: The 2007 Hague Convention and the EC Regulation, International Family Law (IFL) March 2009, 47 Estin, Families Across Borders: The Hague Children’s Conventions and the Case for International Family Law in the United States, Florida Law Review (Fla L Rev) 62 (2010), 47 Fankhauser, Der conflit mobile im Kindesunterhaltsrecht oder zur (Un-)Beständigkeit von Kindesunterhaltsregelungen, in: Private Law national – global – comparative, FS Ingeborg Schwenzer (2011), 481 Fucik, Unterhaltsdurchsetzung mit Auslandsbezug. Anspruchs- und Vollstreckungsgrundlagen, Interdisziplinäre Zeitschrift für Familienrecht (iFamZ) 2007, 315 Fucik, Habemus Conventionem Protocollumque! Unterhaltsübereinkommen und Protokoll in Den Haag gezeichnet, Interdisziplinäre Zeitschrift für Familienrecht (iFamZ) 2008, 56 Fucik, Das neue Haager Unterhaltsübereinkommen. Globale Kooperations- und Anerkennungsmechanismen, Interdisziplinäre Zeitschrift für Familienrecht (iFamZ) 2008, 219 Goicoechea, Le rôle des Etats d’Amérique latine dans le processus de négociation, La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09), 36 Harten/Jäger-Maillet, Wenn Kindesunterhaltsansprüche übergegangen sind: Durchsetzung im Ausland, JAmt 2008, 413 Hau, Das Zuständigkeitssystem der Europäischen Unterhaltsverordnung – Überlegungen aus der Perspektive des deutschen Rechts, in: Europäisches Unterhaltsrecht, Die Bedeutung der Haager Übereinkommen und der UnterhaltsVO für das englische und deutsche Recht (2010) 57 Heger, Haager Unterhaltsübereinkommen und UnterhaltsVO der Europäischen Union, in: Europäisches Unterhaltsrecht, Die Bedeutung der Haager Übereinkommen und der UnterhaltsVO für das englische und deutsche Recht (2010) 5 Heger, Haager Unterhaltskonvention 2007, in: In-

Christoph A. Kern

HUntVerfÜbk ternationale Unterhaltsrealisierung. Rechtsgrundlagen und praktische Anwendung (2011), 38, zitiert: Heger Unterhaltsrealisierung Hess, Die Verordnung Nr. 4/2009/EG zum Unterhaltsrecht (EU-Unterhaltsverordnung), in: Internationale Unterhaltsrealisierung. Rechtsgrundlagen und praktische Anwendung (2011), 27, zitiert: Hess Unterhaltsrealisierung Hess/Mack, Der Verordnungsvorschlag der EGKommission zum Unterhaltsrecht, JAmt 2007, 229 Hirsch, Neues Haager Unterhaltsübereinkommen – Erleichterte Geltendmachung und Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen über Ländergrenzen hinweg, FamRBint 2008, 70 Hirsch, Das neue Haager Unterhaltsübereinkommen und das Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht, in: Europäisches Unterhaltsrecht, Die Bedeutung der Haager Übereinkommen und der UnterhaltsVO für das englische und deutsche Recht (2010) 17 Hohloch, Grenzüberschreitende Unterhaltsvollstreckung, FPR 2004, 315 Janzen, Die neuen Haager Übereinkünfte zum Unterhaltsrecht und die Arbeiten an einer EG-Unterhaltsverordnung, FPR 2008, 218 Junggeburth, Grenzüberschreitender Unterhalt im Übergang. Internationale und europäische Instrumente, in: Internationale Unterhaltsrealisierung. Rechtsgrundlagen und praktische Anwendung (2011), 47, zitiert: Junggeburth Unterhaltsrealisierung Karsten, The new Hague Convention and EU Regulation on Maintenance Obligations – an English Perspective, in: Europäisches Unterhaltsrecht, Die Bedeutung der Haager Übereinkommen und der UnterhaltsVO für das englische und deutsche Recht (2010) 47 Katsanou, Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland – New Yorker Unterhaltsübereinkommen, FPR 2006, 255 Kurucz, Perspective de la présidente de la Commission I, La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09), 4 Kurucz, The Hague Maintenance Convention: response to practical demands, International Family Law (IFL) March 2012, 103 Lansky, Neue Wege zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland, FamRZ 1959, 193 Lenzing, Mise en œuvre de la Convention au sein

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HUntVerfÜbk de l’Union Européenne et son lien avec le futur règlement européen, La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09), 27 Levante, Die Reform des internationalen Unterhaltsrechts. Das Haager Unterhaltsübereinkommen und das Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht von 2007, in: Innovatives Recht, FS Ivo Schwander (2011) 729 Long, The New Hague Maintenance Convention, ICLQ 57 (2008), 984 Lortie, The Development of Medium and Technology Neutral International Treaties in Support of Post-Convention Information Technology Systems. The Example of the 2007 Hague Convention and Protocol, YB PIL 10 (2008), 359 Lortie, The 2007 Hague Child Support Convention and its Protocol on the Law Applicable to Maintenance Obligations: challenges and opportunities for domestic reforms, International Family Law (IFL) March 2012, 118 Markus/John, Le régime des accords en matière d’obligations alimentaires sous la Convention, La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09), 47 Malatesta, La Convenzione e il Protocollo dell’Aja del 2007 in materia di alimenti, Riv dir int priv proc 2009, 829 Permanent Bureau of the Hague Conference, International Recovery of Child Support and Other Forms of Family Maintenance, International Family Law (IFL) September 2003, 151 Moraes Soares, La mise en œuvre de la Convention au Brésil, La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09), 31 Morrow, Les problèmes de mise en œuvre auxquels sont confrontés les systèmes canadiens de recouv-

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen rement des aliments destinés aux enfants, La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09), 33 Nimmerrichter, Handbuch Internationales Unterhaltsrecht (2011), zitiert: Nimmerrichter Handbuch Rausch, Unterhaltsvollstreckung im Ausland, FPR 2007, 448 Rosettenstein, Choice of Law in International Child Support Obligations: Hague or vague, and does it matter? An American perspective, International Journal of Law, Policy and the Family 22 (2008), 122 Sampson, Introductory Note to the New Hague Maintenance Convention, International Legal Materials (ILM) 47 (2008), 255 Smith, Child Support at Home and Abroad: Road to the Hague, Family Law Quarterly (Fam LQ) 43 (2009), 37 Solomon-Fears/Smith, Hague Convention Treaty on Recovery of International Child Support and H.R. 1896, July 15, 2013, Congressional Research Service, R43109 Spector, Maintenance in Private International Law in the United States: Harmonization of Divergent Rules and the Proposed Hague Maintenance Convention, YB PIL 7 (2005), 65 Unger, Unterhaltsrechtliche Grundfragen: Das internationale Privatrecht und das internationale Zivilverfahrensrecht, in: Internationale Unterhaltsrealisierung. Rechtsgrundlagen und praktische Anwendung (2011), 69, zitiert: Unger Unterhaltsrealisierung Walker, From Brussels I and the Maintenance Convention to the Maintenance Regulation: Is the resulting Maintenance Regulation consistent with the other EU PIL instruments?, NPIL 2013, 167.

Materialien 1. HUntVerfÜbk Doc prél No 1 de septembre 1995 – Note sur le fonctionnement des Conventions de La Haye relatives aux obligations alimentaires et de la Convention de New York sur le recouvrement des aliments à l’étranger Doc prél No 10 de mai 1996 à l’intention de la Dixhuitième session, Conclusions de la Commission spéciale de 1995 sur le fonctionnement des Con-

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ventions de La Haye et de New York (1956) sur les obligations alimentaires Doc prél No 1 de novembre 1998 – Questionnaire sur les obligations alimentaires Doc prél No 2 de janvier 1999 – Note sur l’opportunité de réviser les Conventions de La Haye sur les obligations alimentaires et d’inclure dans un nouvel instrument des dispositions sur la coopération judiciaire Doc prél No 3 d’avril 1999 – Extraits des réponses au

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B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen Questionnaire de novembre 1998 sur les obligations alimentaires Rapport et Conclusions de la Commission spéciale sur les obligations alimentaires d’avril 1999 + Annexe (Formules modèles) Doc prél No 1 de juin 2002 – Note d’information et Questionnaire concernant un nouvel instrument mondial sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille Doc prél No 2 d’avril 2003 – Compilation des réponses au Questionnaire de 2002 concernant un nouvel instrument mondial sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille Doc prél No 3 d’avril 2003 – Vers un nouvel instrument mondial sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille Doc prél No 4 d’avril 2003 – Filiation et aliments internationaux envers les enfants – réponses au Questionnaire de 2002 et analyse des différents points Doc prél No 5 d’octobre 2003 – Rapport relatif à la première réunion de la Commission spéciale sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et autres membres de la famille (5-16 mai 2003) Doc prél No 6 de février 2004 – Questionnaire supplémentaire concernant un nouvel instrument mondial sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille + Réponses Doc prél No 7 d’avril 2004 – Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille Doc prél No 8 de mai 2004 – Procédures de reconnaissance et d’exécution à l’étranger des décisions concernant les aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille Doc prél No 9 de mai 2004 – Transfert de fonds et utilisation des technologies de l’information dans le cadre du recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille Doc prél No 10 de mai 2004 – Coûts et frais judiciaires et administratifs, comprenant assistance et

Christoph A. Kern

HUntVerfÜbk aide juridique, en vertu de la nouvelle Convention sur le recouvrement international des aliments Doc prél No 11 de mai 2004 – Application d’un instrument sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille sans égard au caractère international ou interne de la réclamation d’aliments Doc trav No 34 du 17 juin 2004 – Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille Doc prél No 12 de septembre 2004 – Questionnaire relatif à la loi applicable aux obligations alimentaires Doc prél No 13 de janvier 2005 – Esquisse d’une convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille Doc prél No 14 de mars 2005 – Proposition du Groupe de travail sur la loi applicable aux obligations alimentaires Doc prél No 15 de mars 2005 – Rapport du Groupe de travail sur la coopération administrative de la Commission spéciale d’avril 2005 sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille Doc prél No 16 d’octobre 2005 – Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille Doc prél No 17 de mai 2006 – Rapport du Groupe de travail chargé des formulaires de la Commission spéciale sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille Doc prél No 18 de juin 2006 – Coordination entre le projet sur les aliments et d’autres instruments internationaux + Annexes Doc prél No 19 de juin 2006 – Rapport du Groupe de travail sur la coopération administrative de la Commission spéciale de juin 2006 sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille Doc. d’info No 1 de juin 2006 – Développement d’un système international électronique de gestion de dossiers et de communication à l’appui de la future Convention de La Haye sur le recouvrement international des aliments

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HUntVerfÜbk Doc prél No 20 de juin 2006 – Forme des règles en matière de loi applicable et possibles clauses finales Doc prél No 21 de juin 2006 – Questions se rapportant à l’esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille Doc prél No 22 de juin 2006 – Rapport du Groupe de travail sur la loi applicable Doc prél No 23 de juin 2006 – Observations portant sur l’Esquisse de projet de Convention (Doc prél No 16) Doc prél No 24 de janvier 2007 – Esquisse relative à la loi applicable Doc prél No 25 de janvier 2007 – Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille Doc prél No 26 de janvier 2007 – Observations du Comité de rédaction sur le texte de l’avant-projet de Convention Doc prél No 27 d’avril 2007 – Rapport du Groupe de travail sur la loi applicable Doc prél No 28 de mai 2007 – Esquisse relative à la loi applicable – projet de dispositions additionnelles Doc prél No 29 de juin 2007 – Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les Doc prél No 30 de juin 2007 – Avant-projet de Protocole sur la loi applicable aux obligations alimentaires Doc prél No 31 de juillet 2007 – Rapport du Groupe de travail chargé des formulaires – Rapport & Formulaires recommandés Doc prél No 32 d’octobre 2007 – Projet de Rapport explicatif sur l’avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille Doc prél No 33 d’août 2007 – Avant-projet de Protocole sur la loi applicable aux obligations alimentaires – Rapport explicatif Doc prél No 34 d’octobre 2007 – Rapport du Groupe de travail sur la coopération administrative Doc prél No 35 d’octobre 2007 – Observations sur l’avant-projet révisé de Convention (Doc prél No 29) et sur l’avant-projet de Protocole (Doc prél No 30)

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B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen Doc prél No 36 d’octobre 2007 – Liste complète des observations relatives à l’avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille enfants et d’autres membres de la famille (alle abrufbar unter www.hcch.net Conventions Nr 38 Documents préliminaires). 2. Genehmigung durch den Rat der EU Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen durch die Europäische Gemeinschaft, 28.7.2009, KOM(2009) 373 = Rat der EU, 30.7.2009, 12265/09 Europäisches Parlament, Legislative Entschließung zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates [wie vorstehend], 11.2.2010, ABl EU 2010 C 341E/98 Deutscher Bundestag, Rechtsausschuss, Beschlussempfehlung und Bericht, 23.3.2011, BT-Drs 17/5241 (Stellungnahme gem Art 23 Abs 3 GG) Beschluss 2011/432/EU des Rates vom 9.6.2011 über die Genehmigung des Haager Übereinkommens vom 23.11.2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen im Namen der Europäischen Union, ABl EU 2011 L 192/39. 3. Deutsche Durchführungsgesetzgebung BR-Drs 311/12 (Gesetzentwurf) BT-Drs 17/10492 (Gesetzentwurf) BT-Drs 17/11885 (Beschlussempfehlung und Bericht) BGBl 2013 I 273. 4. Österreichische Durchführungsgesetzgebung BGBl I Nr 34/2014.

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Einleitung

Einl HUntVerfÜbk

Einleitung I. II.

III.

Hintergrund und Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Bisherige verfahrensrechtliche Übereinkommen 1. New Yorker UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland vom 20.6.1956 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2. Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflichten gegenüber Kindern vom 15.4.1958 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 3. Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2.10.1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Das Haager Übereinkommen über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23. November 2007 im Überblick 1. Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 3. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . 18

IV.

Entstehungsgeschichte 1. Die Evaluation der bestehenden Übereinkommen (1993-1995) . . . . . . . . . . 21 2. Der Prüfungsauftrag der 18. Haager Konferenz (1996-1999) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3. Die Entscheidung der 19. Haager Konferenz für die Ausarbeitung einer neuen Konvention (2000) . . . . . . . . . . . . . . . 24 4. Die Vorarbeiten des Ständigen Büros (2000-2003) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 5. Die Kommissionsarbeit (2003-2007) . . 26 6. Die Annahme durch die 21. Haager Konferenz (2007) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 V. Inkrafttreten und Stand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 VI. Genehmigung durch den Rat der EU 1. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Abschlusskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3. Erster Beschluss und Änderungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 4. Hinterlegung der Genehmigungsurkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 VII. Verhältnis zur EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 VIII. Durchführungsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . 50

I. Hintergrund und Umfeld Die grenzüberschreitende Geltendmachung und Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen 1 stellt Gläubiger und Schuldner, aber auch die beteiligten Rechtsordnungen vor besondere Herausforderungen. Schon unabhängig von jedem grenzüberschreitenden Bezug sind Unterhaltsansprüche in 2 der Lebenswirklichkeit von erheblicher Bedeutung. Einerseits ist der Gläubiger typischerweise über längere Zeit hinweg auf regelmäßigen Unterhalt angewiesen, um grundlegende menschliche Bedürfnisse zu befriedigen und damit seine Existenz zu sichern. Andererseits sind Unterhaltsansprüche für den Schuldner, der über lange Zeiträume regelmäßige Leistungen erbringen und seinen eigenen Lebensstandard einschränken muss, besonders beschwerlich. Zudem sind die Situationen, in denen eine Unterhaltspflicht in Rede steht – insbesondere der Aufenthalt und damit das Aufwachsen der eigenen Kinder beim anderen Elternteil – oftmals von zwischenmenschlichen oder familiären Verwerfungen begleitet. Die existenzielle Bedeutung für den Gläubiger, die erhebliche Belastung für den Schuldner, die Dauerhaftigkeit der Rechtsbeziehung und ihre Abhängigkeit von wechselnden äußeren Umständen sowie die oft emotionsgeladene Beziehung zwischen den verschiedenen Beteiligten erklären, warum um Unterhaltsansprüche oft über lange Zeit hinweg oder wiederholt

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B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

und besonders erbittert gestritten wird.2 Nicht zuletzt stehen auch in hohem Maße öffentliche Interessen im Raum. Zum einen wirkt es sich auf die Gesellschaft aus, wenn Menschen in prekären Verhältnissen leben, obwohl ihnen von Rechts wegen Unterhalt zustehen würde. Zum anderen belastet es die öffentlichen Haushalte, wenn der Staat anstelle des Unterhaltsschuldners die Grundbedürfnisse des Unterhaltsgläubigers befriedigt.3 3 Befinden sich die Beteiligten in verschiedenen Staaten, so bringt dies zusätzliche Probleme

und Kosten mit sich und birgt zusätzliches Konfliktpotential.4 In erster Linie ist es für den Gläubiger beschwerlich, den im Ausland befindlichen Schuldner überhaupt ausfindig zu machen, in Anspruch zu nehmen und gegebenenfalls den Anspruch auf regelmäßige Leistung zwangsweise durchzusetzen.5 Aber auch für den Schuldner kann die Inanspruchnahme aus dem Ausland unangenehm sein. Er muss sich ggf dort am Verfahren beteiligen und zu allfälligen Grenzen seiner Leistungsfähigkeit mehr darlegen und beweisen als in einem Inlandsfall, da die ihn treffenden Lebenshaltungskosten dem Gläubiger und einem ausländischen Gericht nicht ohne Weiteres bekannt sind. 4 Mit diesen tatsächlichen Besonderheiten gehen rechtliche Besonderheiten einher, die die

grenzüberschreitende Geltendmachung und Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen erschweren. Zum einen handelt es sich um immer wiederkehrende Ansprüche, die nach ihrem Ob und ihrem Wie von Umständen sowohl auf Gläubiger- als auch auf Schuldnerseite abhängen und daher Anpassungen unterliegen können. Zum anderen verlangt die regelmäßige, schnelle und effiziente Vollstreckung, auf die es im Unterhaltsrecht typischerweise ankommt, in internationalen Fällen von den beteiligten Personen, Behörden und Gerichten ein besonders hohes Maß an Kooperationsbereitschaft und Einfühlungsvermögen in fremde Rechtsordnungen und Rechtskulturen, sind doch die verfahrensrechtlichen wie materiellrechtlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen auf dem Gebiet des Unterhaltsrechts nach wie vor sehr groß. 5 Es kann daher nicht verwundern, dass mit der abnehmenden familiären Bindung und

Bindungsdauer bei gleichzeitig zunehmender internationaler Mobilität5a seit der Mitte des letzten Jahrhunderts vermehrt Bemühungen unternommen wurden, die internationale Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen zu erleichtern.6 Ergebnisse dieser Bemühungen sind mehrere internationale Übereinkommen sowie innerhalb Europas zunächst die Einbeziehung des Unterhalts in das Brüsseler Übereinkommen v 27.9.1968 (EuGVÜ) und die nachfolgende Brüssel I-VO v 22.12.2000 bzw das Luganer Übereinkommen v 16.9.1988 (LugÜbk 1988) und dessen Neufassung v 30.10.2007 (LugÜbk 2007) und nunmehr innerhalb der Europäischen Union die Europäische Unterhaltsverordnung v 18.12.2008 (EGUntVO). Alle diese internationalen oder supranationalen Rechtstexte beinhalten indes kein 2

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Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1311; Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 80; Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 612; Hess Unterhaltsrealisierung Rn 2; Lortie YB PIL 10 (2008) 359, 360. Lortie IFL March 2012, 118 f; Smith Fam LQ 43 (2008) 37, 43 ff. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 492; Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1311; Hess Unterhaltsrealisierung Rn 3. Siehe nur Hohloch FPR 2004, 315, 322. Siehe nur Stösser/Hartini Mutschler/Karle FPR 2013, 216, 217. Vgl Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 492; Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 511; Lortie IFL March 2012, 118 mit statistischen Angaben.

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vereinheitlichtes materielles Unterhaltsrecht, sondern befassen sich nur mit dem Kollisionsrecht oder dem Verfahrensrecht. Dies erklärt sich daraus, dass eine Verständigung über das Kollisionsrecht und Verfahrensrecht erfahrungsgemäß einfacher ist als eine Verständigung über einheitliches materielles Recht, da das Kollisions- und das Verfahrensrecht weit weniger stark von grundlegenden Wertentscheidungen einer Rechtsordnung und Rechtskultur geprägt sind als das materielle Recht. Dennoch darf die Bedeutung kollisionsrechtlicher und verfahrensrechtlicher Regeln gerade auf dem Gebiet des Unterhaltsrechts nicht unterschätzt werden. Die Vereinheitlichung des Kollisionsrechts soll – wie auch sonst – das forum shopping 6 eindämmen, für das gerade im Unterhaltsrecht wegen der ganz erheblichen materiellrechtlichen Unterschiede ein großer Anreiz besteht;7 sie soll aber auch die Anerkennung von Unterhaltstiteln im Ausland erleichtern, kann doch die Anerkennung ausländischer Titel von der Anwendung des vom Kollisionsrecht der lex fori berufenen Rechts abhängen.8 Auf dem Gebiet des Kollisionsrechts zu nennen sind das Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht vom 24.10.1956 (HUntStÜbk 1956),9 das Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 2.10.1973 (HUntStÜbk 1973)10 sowie nunmehr das Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007 (HUntStProt 2007),11 dessen Anwendbarkeit für die Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und Dänemarks zunächst mit Ratsbeschluss vom 30.11.2009 herbeigeführt wurde12 und das nunmehr seit dem 1.8.2013 auch als völkerrechtlicher Vertrag gilt.13 Auf dem Gebiet des Verfahrensrechts14 sind zunächst auf europäischer Ebene die Regelun- 7 gen über die direkte Zuständigkeit (Entscheidungszuständigkeit), Anerkennung und Vollstreckung in EuGVÜ bzw Brüssel I-VO sowie in den Luganer Übereinkommen 1988 bzw 2007 zu nennen.15 Über Europa hinaus war eine Verständigung über die direkte Zuständigkeit bislang nicht möglich; sehr wohl aber bemühen sich seit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gleich mehrere Rechtstexte um eine Vereinheitlichung und Verbesserung der Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen sowie um die praktisch besonders wichtige internationale Zusammenarbeit der Behörden und Gerichte. Erfolgreichstes Ergebnis der Bemühungen um eine Vereinfachung der internationalen Zusammenarbeit ist bislang das New Yorker UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland vom 20.6.1956 (NYUntÜbk 1956), das derzeit 65 7

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Andrae FPR 2008, 196, 198; Hess/Mack JAmt 2007, 229, 231; Bsp bei Fankhauser FS Schwenzer (2011) 481 f. So zB früher in Frankreich, s Cass civ 1re v 7.1.1964, JCP 1964 II 13590 note Ancel JDI 1964 302 note Goldman Rev crit DIP 1964 344 note Batiffol (arrêt Munzer). BGBl 1961 II 1013 = AS 1964 1279. BGBl 1986 II 826 = AS 1976 1559. ABl EU 2009 L 331/19. Beschluss des Rates vom 30. November 2009 über den Abschluss des Haager Protokolls vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht durch die Europäische Gemeinschaft (2009/941/EG), ABl EU 2009 L 331/17. Vgl www.hcch.net Conventions Nr 39 Etat présent. Für einen ausführlicheren Überblick siehe Junggeburth Unterhaltsrealisierung Rn 6 ff. Siehe nur Hau Europäisches Unterhaltsrecht (2010) 57, 59.

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Vertragsstaaten hat (Rn 9);16 anders als der Unterzeichnungsort vermuten lassen könnte, sind die USA allerdings nicht Mitglied dieses Übereinkommens, wie sie überhaupt keinem der hier aufgeführten multilateralen Übereinkommen angehören, sondern zunächst nur Einzelstaaten bilaterale, nicht bindende Vereinbarungen geschlossen haben, denen erst jüngst einige Vereinbarungen auf Bundesebene nachfolgten.17 Etwas weniger Erfolg hatten die auf erleichterte Anerkennung und Vollstreckung abzielenden Übereinkommen, nämlich das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern vom 15.4.1958 (HUntAVÜbk 1958) mit derzeit 19 Vertragsstaaten (Rn 11)18 sowie das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2.10.1973 (HUntAVÜbk 1973) mit derzeit 24 Vertragsstaaten (Rn 13).19 Zu den jüngeren Übereinkommen zählt die Interamerikanische Konvention über Unterhaltsverpflichtungen,20 deren Text von der 4. Interamerikanischen Spezialkonferenz über das Internationale Privatrecht21 unter der Ägide der Organisation Amerikanischer Staaten am 15.7.1989 in Montevideo verabschiedet wurde, seit 1996 in Kraft ist und derzeit 13 Vertragsstaaten zählt.22 Nicht in Kraft getreten ist das – stark an das NYUntÜbk 1956 angelehnte – Übereinkommen von Rom über die Vereinfachung des Verfahrens zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen vom 6.11. 1990.23 Kurz nach dem hier zu kommentierenden Haager Übereinkommen über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23.11.2007 (HUntVerfÜbk 2007), das sich sowohl der internationalen Zusammenarbeit als auch der Anerkennung und Vollstreckung annimmt, wurde zudem die Europäische Unterhaltsverordnung vom 18.12.2008 (EG-UntVO) verabschiedet.24 Diese Verordnung vereint ebenfalls Regeln auf dem Gebiet der internationalen Zusammenarbeit mit Regeln über die Anerkennung und Vollstreckung; sie regelt zudem aber auch die direkte Zuständigkeit mit gegenüber EuGVÜ, EuGVVO und LugÜbk 1988/2007 etwas modifizierten und erweiterten Gerichtsständen und vor allem unter fast vollständiger Verdrängung nationalen Zuständigkeitsrechts.25 Die EG-UntVO gilt für die Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und Dänemarks.26 8 Wegen der ihnen gemeinsamen verfahrensrechtlichen Regelungsmaterie und ihrem Einfluss

auf die Entstehung des hier zu kommentierenden HUntVerfÜbk 2007 sollen die für Europa wichtigsten bisherigen verfahrensrechtlichen Übereinkommen im Folgenden kurz näher beleuchtet werden. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass viele Länder des Common Law den bisherigen Übereinkommen nicht beigetreten sind und daher nationale 16 17 18 19 20 21 22

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Stand 23.10.2014, Liste abrufbar unter http://treaties.un.org Chapter XX Nr 1. Zu den Hintergründen Smith Fam LQ 43 (2008) 37, 53 f, zu bilateralen Vereinbarungen id S 54-58. Stand 23.10.2014, Liste abrufbar unter http://www.hcch.net Conventions Nr 9. Stand 23.10.2014, Liste abrufbar unter http://www.hcch.net Conventions Nr 23. In Kraft seit dem 6.3.1996; Text abgedruckt in OAS Treaties Series No 71 und 1989 I Unif L Rev os 348 ff. Quatrième Conférence spécialisée interaméricaine sur le droit international privé (CIDIP-IV). Stand 23.10.2014, Liste abrufbar unter http://www.oas.org/dil/CIDIPIV_home.htm Inter-American Convention on Support Obligations. Zur Entstehung Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 497. Vgl Grünbuch Unterhaltspflichten, KOM(2004) 254 endg S 8 Fn 3; zur Kritik Sumampouw FS Voskuil (1992) 213. ABl EU 2009 L 7/1. Hau Europäisches Unterhaltsrecht (2010) 57, 60 ff. ErwGr 47, 48.

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Lösungen wie die des deutschen Auslandsunterhaltsgesetzes27 praktisch eine erhebliche Rolle spielen. II. Bisherige verfahrensrechtliche Übereinkommen 1. New Yorker UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland vom 20.6.1956 Schon das mit seinen 21 Artikeln relativ kurze New Yorker UN-Übereinkommen über die 9 Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland vom 20.6.1956 (NYUntÜbk 1956)28 sieht mit den Übermittlungs- und Empfangsstellen Zentrale Behörden vor, die dem Berechtigten bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen einen in einem anderen Vertragsstaat befindlichen Unterhaltsschuldner behilflich sein sollen (vgl Art 1 Abs 1 NYUntÜbk 1956 – „Kooperationsmodell“29). Der Berechtigte reicht bei der Übermittlungsstelle ein Gesuch ein, das einen bestimmten Mindestinhalt hat und im Übrigen den Anforderungen des Empfangsstaates genügen muss (Art 3 NYUntÜbk 1956). Nach Übersendung durch die Übermittlungsstelle (Art 4, 5 NYUntÜbk 1956) unternimmt die Empfangsstelle „alle geeigneten Schritte, um die Leistung von Unterhalt herbeizuführen“, wozu insbesondere eine vergleichsweise Regelung, aber auch eine Klageerhebung und die Vollstreckung eines Titels gehören (Art 6 NYUntÜbk 1956). Neben dem Verfahren mit Zentralen Behörden sieht das Übereinkommen insbesondere noch Erleichterungen bei Rechtshilfeersuchen in Unterhaltssachen vor (Art 7 NYUntÜbk 1956). Angesichts der großen Zahl von Vertragsstaaten, die nicht zugleich auch Vertragsstaaten 10 eines späteren Übereinkommens oder durch die Europäische Unterhaltsverordnung gebundene Mitgliedstaaten der EU sind, spielt das NYUntÜbk 1956 nach wie vor in der Praxis eine gewisse Rolle. Allerdings wird das Übereinkommen uneinheitlich interpretiert und angewandt. Auch kommen nicht alle Vertragsstaaten ihren Verpflichtungen nach.30 Daher wurde das Übereinkommen als dringend überarbeitungsbedürftig angesehen.31 2. Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflichten gegenüber Kindern vom 15.4.1958 Auf die praktisch besonders wichtige Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kin- 11 dern32 beschränkt ist das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstre27

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Gesetz zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Verkehr mit ausländischen Staaten v 19.12. 1986, BGBl 1986 I 2563, nunmehr v 23.5.2011, BGBl 2011 I 898. Zum Hintergrund Uhlig/Berard NJW 1987, 1521. Deutschland: BGBl 1959 II 150; Österreich: BGBl 1969/316; Schweiz: AS 1977 1910; kurzer Überblick bei Hohloch FPR 2004, 315, 322. Fucik iFamZ 2007, 315. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 2; Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 612. Andrae FPR 2008, 196, 197; Pelichet, Obligations alimentaires. Note sur le fonctionnement des Conventions de La Haye relatives aux obligations alimentaires et de la Convention de New York sur le recouvrement des aliments à l’étranger, Doc prél No 1, septembre 1995, Rn 7. Pelichet, Obligations alimentaires. Note sur le fonctionnement des Conventions de La Haye relatives aux

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ckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflichten gegenüber Kindern vom 15.4.1958 (HUntAVÜbk 1958).33 In seinen 19 Artikeln sieht es die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Unterhaltsentscheidungen vor, die eine nach dem Übereinkommen international zuständige (Art 3 HUntAVÜbk 1958) Behörde eines Vertragsstaates in einem Verfahren getroffen hat, sofern bestimmte weitere, an die Anerkennungs- und Vollstreckungsvoraussetzungen der meisten nationalen Rechte34 angelehnte und teils mildere35 Voraussetzungen erfüllt sind (Art 2 HUntAVÜbk 1958). 12 In der Praxis spielt das HUntAVÜbk 1958 heute nur noch eine geringe Rolle, da das Haager

Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2.10.1973 im Verhältnis seiner Vertragsstaaten untereinander Vorrang hat (Art 29 HUntAVÜbk 1973) und im Verhältnis derjenigen EU-Mitgliedstaaten, für die die Europäische Unterhaltsverordnung gilt, diese Verordnung das HUntAVÜbk 1958 verdrängt (Art 69 Abs 2 EG-UntVO).36 Soweit die Anwendung des HUntAVÜbk 1958 nicht aus diesen Gründen ausscheidet, gilt es für die Vertragsstaaten des LugÜbk 2007 gem dessen Art 67 fort; ein Vorgehen nach dem Luganer Übereinkommen von 2007, das gem Art 11 HUntAVÜbk 1958 zulässig ist, ist jedoch zumeist günstiger.37 3. Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2.10.1973 13 Das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhalts-

entscheidungen vom 2.10.1973 (HUntAVÜbk 1973)38 will für von einem Gericht oder einer Behörde erlassene Entscheidungen und Vergleiche (Art 2 HUntAVÜbk 1973) über sämtliche Unterhaltspflichten gelten, die sich aus der Familie, Verwandtschaft, Ehe oder Schwägerschaft ergeben (Art 1 Abs 1 HUntAVÜbk 1973, siehe aber die Vorbehaltsmöglichkeit in Art 26, von der zahlreiche Vertragsstaaten Gebrauch gemacht haben39). Voraussetzung von Anerkennung und Vollstreckung ist wiederum die internationale Zuständigkeit nach den Regeln des Übereinkommens (Art 4 Abs 1 Nr 1 HUntAVÜbk 1973, Zuständigkeitsregeln in Art 7, 8 HUntAVÜbk 1973); im Übrigen gelten auch hier die aus den nationalen Rechten

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obligations alimentaires et de la Convention de New York sur le recouvrement des aliments à l’étranger, Doc prél No 1, septembre 1995, Rn 4; vgl auch Art 27 Abs 4 UN-Konvention über die Rechte der Kinder v 20.11.1989. Deutschland: BGBl 1961 II 1006; Österreich: BGBl 1961/294; Schweiz: AS 1964 1283. Siehe etwa für Deutschland §§ 328, 723 ZPO bzw §§ 109 Abs 1, 4, 110 FamFG; für Frankreich Cass civ 1re v 20.2.2007 (arrêt Cornelissen c Sté Avianca Inc), D 2007, 1115; für die Schweiz Art 25, 27 f IPRG; für Österreich §§ 80 f, 85 EO; für Liechtenstein Art 53 f EO. Vgl etwa zur Rechtskraft für Deutschland § 723 Abs 2 S 1 ZPO bzw § 110 Abs 3 S 2 FamFG mit Art 2 Nr 3 HUntAVÜbk 1958. Andrae FPR 2008, 196, 197. Hohloch FPR 2004, 315, 320 f; Andrae FPR 2008, 196, 197. Deutschland: BGBl 1986 II 826; Schweiz: AS 1976 1559. Österreich ist nicht Vertragsstaat dieses Übereinkommens. Einen Vorbehalt gem Art 26 Nr 2 hat ua Deutschland erklärt (die Schweiz hat ihren diesbezüglichen Vorbehalt mit Wirkung zum 1.6.1993 wieder zurückgenommen); vgl. www.hcch.net Conventions No 23, état complet.

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bekannten weiteren Anerkennungsvoraussetzungen und Anerkennungshindernisse40 mit teilweisen Abmilderungen.41 Ausdrücklich vorgesehen ist auch die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und Vergleichen, die einer öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtung einen Erstattungsanspruch zusprechen (Art 1 Abs 1 Nr 2, Art 18-20 HUntAVÜbk 1973). Hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über den Kindes- 14 unterhalt ersetzt das allgemeinere HUntAVÜbk 1973 das HUntAVÜbk 1958 (Art 29 HUntAVÜbk 1973). Zwischen den durch die EG-UntVO gebundenen Mitgliedstaaten der EU hat diese Verordnung jedoch Vorrang (Art 69 Abs 1 EG-UntVO). Für die Vertragsstaaten des LugÜbk 2007 gilt zwar gem dessen Art 67 das HUntAVÜbk 1973 fort; auch hier ist aber wiederum der – nach Art 23 HUntAVÜbk 1973 zulässige – Rückgriff auf das LugÜbk 2007 meist günstiger.42 In der Praxis ist das HUntAVÜbk 1973 daher derzeit nur im Verhältnis zu Albanien, Australien, der Türkei und der Ukraine von Bedeutung.43 III. Das Haager Übereinkommen über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23. November 2007 im Überblick 1. Regelungsgegenstand Das hier zu kommentierende Haager Übereinkommen über die internationale Geltendma- 15 chung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23. November 2007 (HUntVerfÜbk 2007) sieht zum einen zur Erleichterung der internationalen Zusammenarbeit ein System Zentraler Behörden vor, für deren Tätigkeit bestimmte Verfahrensregeln gelten, zum anderen schafft es Regeln für die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen. Nicht geregelt ist hingegen die direkte Zuständigkeit, da sich schon früh abzeichnete, dass 16 eine Einigung zwischen der großen Mehrheit aller Staaten, die dem Unterhaltsgläubiger einen Klägergerichtsstand gewähren,44 und den USA mit ihrem Verständnis von due process45, denen ein reiner Klägergerichtsstand widerstrebt und die zumindest minimum con-

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Siehe oben Fn 35. Vgl wiederum zur Rechtskraft für Deutschland § 723 Abs 2 S 1 ZPO bzw § 110 Abs 2 S 3 FamFG mit Art 4 Abs 2 HUntAVÜbk 1973. Hohloch FPR 2004, 315, 320 f; Andrae FPR 2008, 196, 197; Ancel/Muir Watt Rev crit dip 99 (2010) 457, 470; Rauscher JR 2010, 437; Unger Unterhaltsrealisierung Rn 6. Rauscher JR 2010, 437; Unger Unterhaltsrealisierung Rn 14. Siehe Art 5 Nr 2 EuGVÜ sowie Brüssel I-VO; Art 5 Nr 2 LugÜbk 1988 sowie Art 5 Nr 2 lit a LugÜbk 2007; Art 8 lit a Übereinkommen von Montevideo; für die Schweiz außerhalb des LugÜbk 2007 Art 79 Abs 1 IPRG (dazu Fankhauser FS Schwenzer [2011] 481, 482-484). US Constitution, Amendment XIV, § 1 cl 3; zur Bedeutung für personal jurisdiction grundlegend Pennoyer v Neff 95 US 714 (1877).

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tacts verlangen,46 nicht zustande kommen würde.47 Nicht im Übereinkommen, sondern in einem separaten, völlig unabhängigen48 Protokoll geregelt, ist auch das anwendbare Recht. Eine Trennung war unumgänglich, da zahlreiche Staaten nicht bereit oder in der Lage waren, von einer durchgehenden Anwendung der lex fori abzugehen. Zu nennen sind hier zum einen die Staaten des Common Law, die überwiegend dem Gleichlaufprinzip folgen.49 Zum anderen würde die Anwendung ausländischen Rechts denjenigen – teilweise ebenfalls zum Rechtskreis des Common Law gehörenden – Staaten große Schwierigkeiten machen, in denen für die Berechnung und Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen Behörden zuständig sind, die pauschalierende Formeln oder ein stark vereinfachendes Computerprogramm verwenden.50 2. Gliederung 17 Anders als noch das NYUntÜbk 1956 und das HUntAVÜbk 1958 verfügt das 65 Artikel

starke HUntVerfÜbk 2007 über eine Gliederung in neun Kapitel unterschiedlicher Länge, die jeweils eigene Überschriften tragen. Nach einem ersten Kapitel (Art 1-3), das mit seiner Festlegung von Ziel und Anwendungsbereich des Übereinkommens sowie der Definition bestimmter Begriffe den internationalen, der angloamerikanischen Gesetzgebungstechnik nahestehenden Gepflogenheiten folgt, widmen sich die Kapitel II (Art 5-8), III (Art 9-17) und IV (Art 18) der Einrichtung Zentraler Behörden und den vor diesen geltenden Verfahrensregeln. Kapitel V (Art 19-31) befasst sich mit den Voraussetzungen von Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Unterhaltsentscheidungen und enthält Regelungen für das Verfahren, das Anerkennung und Vollstreckung vorauszugehen hat. Zur Vollstreckung selbst, die nach dem Recht des Vollstreckungsstaats erfolgt (Art 32), finden sich einige allgemeine Vorgaben in Kapitel VI (Art 32-35). Kapitel VII (Art 36) ergänzt die bisherigen Regelungen um spezielle Vorschriften für den Fall, dass eine öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung Ansprüche geltend macht. Die in Kapitel VIII (Art 37-57) versammelten Allgemeinen Bestimmungen befassen sich unter anderem mit dem Datenschutz (Art 38-40), der im internationalen Verhältnis immer virulenten Sprachenfrage (Art 44 f) 46

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Vgl allgemein International Shoe v State of Washington 326 US 310 (1945); für Kindesunterhalt Kulko v Superior Court of California 436 US 84 (1978); Burnham v Superior Court 495 US 604 (1990); Section 201 Uniform Interstate Child Support Act; Morgan, Child Support Guidelines: Interpretation and Application2 (2013), § 3.03[B]; Sampson ILM 47 (2008), 255; Spector YB PIL 7 (2005), 63, 66 f; Statsky, Family Law6 (2012) 461; kritisch Ring 89 Cal L Rev 1125, 1131-1147 (2001); zur ablehnenden Haltung der NCCUSL gegenüber einer Revision von Kulko v Superior Court of California etwa Smith Fam LQ 43 (2008) 37, 49. Borrás/Beilfuss REDI LV (2003) 582, 583 f; Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1307-1309; Borrás IFL March 2012, 110; Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 18-22; Carlson Fam LQ 43 (2009) 21, 27 f; Duncan GS Nygh (2004) 89 ff; Duncan Fam LQ 38 (2004) 663, 681 f; Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 324; Duncan Fam LQ 43 (2009) 1, 14 f; Malatesta Riv dir int civ proc 2009, 829, 830. Bonomi La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09) 21. Siehe nur Bonomi La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09) 21, 22; Levante FS Schwander (2011) 729, 731; Malatesta Riv dir int civ proc 2009, 829, 839; für England Amos Europäisches Unterhaltsrecht (2010) 39, 40; Karsten ebd 47, 49 f; Eames IFL March 2009, 47. Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1309 f; Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 327 f; Malatesta Riv dir int civ proc 2009, 829, 839; das englische System beschreibt kurz Amos Europäisches Unterhaltsrecht (2010) 39, 41 f; näher noch unten Rn 30; zu den USA Rosettenstein International Journal of Law, Policy and the Family 22 (2008) 122 ff.

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und dem Verhältnis zu bestehenden und künftigen Übereinkommen (Art 47-52). Unter den Schlussbestimmungen des Kapitels IX (Art 58-65), die weitgehend der Üblichkeit entsprechen (zB Art 60 – Inkrafttreten; Art 62 – Vorbehalte), ist hervorzuheben die Möglichkeit des Beitritts etc durch eine Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration (Art 59). 3. Sachlicher Anwendungsbereich Seinem sachlichen Anwendungsbereich nach wählt das HUntVerfÜbk 2007 in mehrfacher 18 Weise einen Mittelweg zwischen den bisherigen Übereinkommen. Das HUntVerfÜbk 2007 ist anders als das HUntAVÜbk 1958 (Art 1 Abs 1, 3 HUntAVÜbk 1958) nicht von vornherein auf die Unterhaltspflichten aus einer Eltern-Kind-Beziehung beschränkt (vgl Art 2 Abs 1 lit a), sondern erfasst grundsätzlich auch Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten und früheren Ehegatten, allerdings nur hinsichtlich Anerkennung und Vollstreckung (Art 2 Abs 1 lit b, c); weitere Unterhaltspflichten aus Beziehungen der Familie, Verwandtschaft, Ehe oder Schwägerschaft müssen indes nicht wie unter dem Übereinkommen von 1973 (Art 16 HUntAVÜbk 1973) durch einen Vorbehalt ausgeschlossen, sondern aktiv einbezogen werden (Art 2 Abs 3, 63). Indem das HUntVerfÜbk 2007 zwar auch für Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten und 19 früheren Ehegatten gilt, aber seine Vorschriften über die Zusammenarbeit Zentraler Behörden für nicht anwendbar erklärt, bleibt es hinter dem NYUntÜbk 1956 zurück, das die Zusammenarbeit von Übermittlungs- und Empfangsstellen für alle Arten von Unterhalt vorsieht. Während das HUntAVÜbk 1958 Menschen bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres als 20 Kind ansah, sofern sie nicht verheiratet waren, behandelt das HUntVerfÜbk 2007 zwar Menschen bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres ebenfalls als Kind (Art 2 Abs 1 lit a), lässt aber eine Beschränkung auf die Vollendung des 18. Lebensjahres zu (Art 2 Abs 2, 62); unerheblich ist hingegen der Familienstand. Damit trägt das HUntVerfÜbk 2007 den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte Rechnung, in denen quasi überall das Volljährigkeitsalter auf 18 Jahre herabgesetzt, im Gegenzug aber oft der in vielen Rechtsordnungen verbreitete Satz „Heirat macht mündig“ abgeschafft wurde.51 IV. Entstehungsgeschichte52 1. Die Evaluation der bestehenden Übereinkommen (1993-1995) Der eigentliche Beginn der Verhandlungen über ein neues Haager Unterhaltsübereinkom- 21 men fiel in das Jahr 2003.53 Bereits ein Jahrzehnt zuvor, im Vorfeld der 17. Sitzung der 51

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So wurde zB in der Schweiz der frühere Art 14 Abs 2 ZGB zum 1.1.1996 durch Bundesgesetz vom 7.10. 1994 (AS 1995, 1126; BBl 1993 I 1169) abgeschafft; der Satz gilt aber nach wie vor etwa in Frankreich, Art 413-1 cc, und in der Türkei, Art 11 Abs 2 Türkisches ZGB (Gesetz Nr 4721). Guter Überblick zB bei Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 493 ff; Borrás AEDIPr VII (2007) 1305-1307; Duncan Fam LQ 43 (2009) 1-4; zu den Anfängen zB Duncan Fam LQ 38 (2004) 663 ff; sehr knapp Unif L Rev ns 12 (2007) 164. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 494; Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 513; Bonomi FS Sandoz (2006) 201.

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Haager Konferenz für Internationales Privatrecht (1993), war der Gedanke aufgekommen, die Funktionsfähigkeit der Übereinkommen zu evaluieren, die sich mit der internationalen Zusammenarbeit und dem anwendbaren Recht auf dem Gebiet des Kindes- und Erwachsenenunterhalts befassten. Dabei sollte neben den vier einschlägigen Haager Übereinkommen – also dem HUntStÜbk 1956, dem HUntAVÜbk 1958, dem HUntStÜbk 1973 und dem HUntAVÜbk 1973 – auch das NYUntÜbk 1956 in die Untersuchung einbezogen werden. Vorbild der geplanten Evaluation auf dem Gebiet der unterhaltsrechtlichen Übereinkommen sollte die ständige Evaluation und Begleitung anderer Haager Übereinkommen sein, die die Haager Konferenz in den Jahren zuvor begonnen hatte. Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen v 20.11.1989 hieß die Konferenz auf der 17. Sitzung diesen Vorschlag gut.54 Im September 1995 legte daraufhin der damalige stellvertretende Generalsekretär des Ständigen Büros, Michel Pelichet, eine Studie mit dem Titel „Note sur le fonctionnement des Conventions de La Haye relatives aux obligations alimentaires et de la Convention de New York sur le recouvrement des aliments à l’étranger“ vor („Note Pelichet“). Diese Studie gilt heute hinsichtlich des HUntVerfÜbk 2007 als ältestes Dokument der über 50 Dokumente umfassenden Materialien, obwohl die Aufgabe der Commission spéciale, der die Studie vorgelegt wurde, explizit nicht in der Vorbereitung eines neuen Übereinkommens liegen sollte,55 sondern vielmehr die Erarbeitung bloßer Empfehlungen angedacht war.56 22 Die Commission spéciale, die im November 1995 unter der Leitung von Michel Verwilghen

und Fausto Pocar tagte, anerkannte die Qualität der Übereinkommen und sah daher keinen Grund, eine Überarbeitung auch nur eines dieser Verträge vorzuschlagen.57 In ihren Conclusions générales beschränkte sie sich denn auch darauf, der 18. Sitzung der Haager Konferenz zu empfehlen, regelmäßig in vier- oder fünfjährigem Rhythmus eine Kommission einzuberufen, die das Funktionieren der beiden Haager Übereinkommen (HUntAVÜbk 1958 und 1973) und des NYUntÜbk 1956 untersuchen sollte, den Generalsekretär zu bitten, die Liste der vom NYUntÜbk 1956 vorgesehenen Behörden aktuell zu halten und ein bis zweimal jährlich den Behörden zu übermitteln sowie den Generalsekretär zu bitten, eine informelle Arbeitsgruppe einzuberufen, die mehrsprachige Modellformulierungen für die Verfahren unter dem NYUntÜbk 1956 entwerfen sollte.58 Als problematische Punkte identifizierte die Commission spéciale jedoch bereits die unterschiedlichen Ansätze der ver54

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Zu dieser Vorgeschichte Pelichet, Obligations alimentaires. Note sur le fonctionnement des Conventions de La Haye relatives aux obligations alimentaires et de la Convention de New York sur le recouvrement des aliments à l’étranger, Doc prél No 1, septembre 1995, Rn 1 ff. Pelichet, Obligations alimentaires. Note sur le fonctionnement des Conventions de La Haye relatives aux obligations alimentaires et de la Convention de New York sur le recouvrement des aliments à l’étranger, Doc prél No 1, septembre 1995, Rn 11, 33. Pelichet, Obligations alimentaires. Note sur le fonctionnement des Conventions de La Haye relatives aux obligations alimentaires et de la Convention de New York sur le recouvrement des aliments à l’étranger, Doc prél No 1, septembre 1995, Rn 13. Commission spéciale, Conclusions générales de la Commission spéciale de novembre 1995 sur le fonctionnement des Conventions de la Haye relatives aux obligations alimentaires et de la Convention de New York du 20 juin 1956 sur le recouvrement des aliments à l’étranger, Rn 6; Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 493; Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1306. Commission spéciale, Conclusions générales de la Commission spéciale de novembre 1995 sur le fonctionnement des Conventions de la Haye relatives aux obligations alimentaires et de la Convention de New

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schiedenen Staaten gegenüber der Verfahrenskostenhilfe und die Übersetzungsschwierigkeiten sowie für das NYUntÜbk 1956 unter anderem die Frage eines Eintretens der öffentlichen Hand in die Ansprüche des Unterhaltsgläubigers zum Zwecke ihrer Geltendmachung unter dem Regime der Konvention.59 2. Der Prüfungsauftrag der 18. Haager Konferenz (1996-1999) Tatsächlich ging die 18. Haager Konferenz über die Empfehlungen der Commission spé- 23 ciale insoweit hinaus, als sie in ihrer Schlussakte vom 19.10.1996 den Generalsekretär mit der Einberufung einer Kommission beauftragte, die nicht nur das Funktionieren der Haager Übereinkommen und des NYUntÜbk 1956 untersuchen sollte, sondern auch die Frage, ob eine Überarbeitung der Haager Übereinkommen und die Aufnahme neuer Bestimmungen über die Zusammenarbeit von Gerichten und Behörden wünschenswert sei.60 Daraufhin versandte der erste Sekretär William Duncan im November 1998 einen fünfseitigen Fragebogen über die Unterhaltspflichten, der neben einigen allgemeinen Fragen vor allem Fragen enthielt, die sich auf das NYUntÜbk 1956 sowie die beiden verfahrensrechtlichen Haager Übereinkommen (HUntAVÜbk 1958 und 1973) sowie die beiden kollisionsrechtlichen Haager Übereinkommen (HUntStÜbk 1956 und 1973) bezogen, und insoweit zwischen Mitgliedstaaten und Nichtmitgliedstaaten unterschied. Eine Zusammenfassung der Antworten wurde im April 1999 präsentiert.61 Zudem erstattete William Duncan einen vorbereitenden Bericht. Dieser Bericht führte wiederum Schwierigkeiten mit dem bestehenden Konventionssystem auf, etwa die unterschiedliche Auslegung einzelner Bestimmungen oder die Tatsache, dass manche Staaten trotz verschiedener Regelungsmaterien von einem Exklusivitätsverhältnis zwischen Haager Übereinkommen und NYUntÜbk 1956 ausgingen. Darüber hinaus fragte der Bericht nunmehr aber ausdrücklich auch nach Gründen, warum die bestehenden Übereinkommen für manche Staaten nicht attraktiv seien oder in Anbetracht der neueren Entwicklungen Reformbedarf bestehen könnte.62 Auf die Frage, ob es eines neuen internationalen Instruments bedürfe, gab der Bericht eine bejahende Antwort.63 Angefügt waren dem Bericht als Annex 1 die Vorschläge mehrsprachiger Modellformulare. Die Commission spéciale unter der Leitung von Fausto Pocar, der dieser Bericht als Ar-

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York du 20 juin 1956 sur le recouvrement des aliments à l’étranger Rn 3, 39 f, 41-44 sowie zusammenfassend Rn 54. Commission spéciale, Conclusions générales de la Commission spéciale de novembre 1995 sur le fonctionnement des Conventions de la Haye relatives aux obligations alimentaires et de la Convention de New York du 20 juin 1956 sur le recouvrement des aliments à l’étranger Rn 7 ff, 13 ff, 46 ff. Duncan, Obligations alimentaires. Note sur l’opportunité de réviser les Conventions de la Haye sur les obligations alimentaires et d’inclure dans un nouvel instrument des dispositions sur la coopération judiciaire et administrative, Doc prél No 2, janvier 1999, Rn 1, 7 f. Bureau Permanent, Extraits des réponses au questionnaire sur les obligations alimentaires, Doc prél No 3, avril 1999. Duncan, Obligations alimentaires. Note sur l’opportunité de réviser les Conventions de la Haye sur les obligations alimentaires et d’inclure dans un nouvel instrument des dispositions sur la coopération judiciaire et administrative, Doc prél No 2, janvier 1999, Rn 15. Duncan, Obligations alimentaires. Note sur l’opportunité de réviser les Conventions de la Haye sur les obligations alimentaires et d’inclure dans un nouvel instrument des dispositions sur la coopération judiciaire et administrative, Doc prél No 2, janvier 1999, Rn 56 ff, insbes 82: „Si l’idée qu’il faut concevoir un nouvel instrument s’impose, …“

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beitsvorlage diente, sprach sich im April 1999 nach Ausführungen über das Funktionieren der bestehenden Übereinkommen dann ausdrücklich dafür aus, dass die Haager Konferenz die Arbeit an einem neuen internationalen Instrument aufnehmen möge.64 3. Die Entscheidung der 19. Haager Konferenz für die Ausarbeitung einer neuen Konvention (2000) 24 Auf der Grundlage dieser Empfehlung kamen die Commission spéciale sur les affaires

générales im Mai 2000 und die Commission I sur les affaires générales et la politique der 19. Sitzung der Haager Konferenz im April 2002 zu dem Schluss, dass eine neue umfassende Konvention, die auch Regeln über die Zusammenarbeit der Gerichte und Behörden enthalten sollte, auszuarbeiten sei. Beide Kommissionen betonten dabei, dass auch diejenigen Staaten zur Mitarbeit eingeladen und ermuntert werden sollten, die der Haager Konferenz nicht angehörten, insbesondere die Mitgliedstaaten des NYUntÜbk 1956.65 Diese Positionen fanden sodann Eingang in die Schlussakte der 19. Sitzung. 4. Die Vorarbeiten des Ständigen Büros (2000-2003) 25 Daraufhin begann das Ständige Büro der Konferenz mit konkreten Vorarbeiten. Zunächst

versandte es wiederum einen Fragebogen, der auf dem vorherigen aufbaute und nicht nur der Bestandsaufnahme diente, sondern explizit danach fragte, welche Elemente in den neuen Text aufgenommen werden sollten.66 25 Staaten sowie zwei internationale Organisationen67 beteiligten sich und gaben umfangreich Auskunft.68 Der begleitende Bericht vom April 2003, der den programmatischen Titel „Vers un nouvel instrument mondial sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille“ trug, behandelte ausführlich die Fragen der Zusammenarbeit, der Anerkennung und Vollstreckung, der direkten Zuständigkeit für Erst- und Abänderungsentscheidungen, des anwendbaren Rechts, der Umsetzung eines Übereinkommens und seines Anwendungsbereichs. Man hoffte damals, der Text könne im ersten Halbjahr 2005 von einer diplomati-

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Commission spéciale, Rapport et Conclusions de la Commission spéciale sur les obligations alimentaires d’avril 1999, Rn 41 ff, insbes 46; Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 493 f; Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1306; Duncan Fam LQ 38 (2004) 663, 665 f. Duncan, Note d’information et questionnaire concernant un nouvel instrument mondial sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 1, juin 2002, Rn 5; Borrás AEDIPr VII (2007) 1305 f. Duncan, Note d’information et questionnaire concernant un nouvel instrument mondial sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 1, juin 2002, Rn 6 ff. Australien, Chile, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Hong Kong, Japan, Kanada, Kroatien, Luxemburg, Malta, Neuseeland, die Niederlande, Norwegen, Panama, Österreich, Rumänien, Schweden, die Schweiz, die Slowakei, Tschechien, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten von Amerika sowie das Instituto Interamericano del Niño und die Vereinten Nationen. Die Zusammenstellung der Antworten umfasst nahezu 350 Seiten, siehe Bureau Permanent, Compilation des réponses au questionnaire de 2002 concernant un nouvel instrument mondial sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 2, avril 2003.

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schen Sitzung verabschiedet werden.69 Schon zu diesem frühen Zeitpunkt waren aber die Schwierigkeiten einer Aufnahme einheitlicher Regeln über das anwendbare Recht erkannt und hierfür neben einer gänzlichen Abtrennung ein „optionales Element“ ins Gespräch gebracht.70 Neben diesem allgemeinen Bericht erstattete der erste Sekretär Philippe Lortie einen Spezialbericht zur Frage der Abstammung, der die Antworten auf den Fragebogen präsentierte und analysierte.71 5. Die Kommissionsarbeit (2003-2007) Im Mai 2003 trat dann eine vom Generalsekretär der Haager Konferenz berufene Com- 26 mission spéciale zusammen und setzte ein Redaktionskomitee unter dem Vorsitz von Jan Marie Doogue sowie eine Arbeitsgruppe über das anwendbare Recht und zwei informelle Arbeitsgruppen ein.72 Ein Fragebogen vom Februar 2004 erbat weitere Informationen, insbesondere hinsichtlich des Volumens und der Technik grenzüberschreitender Unterhaltszahlungen.73 Im April 2004 präsentierte das Redaktionskomitee einen ersten Entwurf.74 Dieser ging noch nach dem Vorbild des Art 1 HUntAVÜbk 1973 von einem weiten Anwendungsbereich des gesamten Übereinkommens auf alle Unterhaltspflichten aus familienrechtlichen Beziehungen aus und wollte öffentliche Einrichtungen, die einen Erstattungsanspruch geltend machen, ganz allgemein privaten Gläubigern gleichstellen (Art 2). Noch nicht festgelegt war der Entwurf in der Frage, ob auch die Feststellung der Abstammung für Zwecke des Unterhaltsrechts vom Übereinkommen erfasst sein sollte; er enthielt als Merkposten aber dahingehende Vorschriften (Art 11 Abs 3). Für die verschiedenen möglichen Anträge wollte der Entwurf jeweils eigene Voraussetzungen aufstellen (Art 12-20), zur Sprachenfrage enthielt er einen ersten vorläufigen Vorschlag (Art 23). Anerkennung und Vollstreckung waren in ihren Grundzügen bereits ähnlich geregelt, wie dies im verabschiedeten Übereinkommenstext schließlich der Fall ist (Art 26-34). Deutlich weniger umfangreich als im verabschiedeten Text waren die allgemeinen Bestimmungen (Art 41-44). Zum anwendbaren Recht enthielt der Entwurf keine Bestimmung.

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Duncan, Vers un nouvel instrument mondial sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 3, avril 2003, Rn 9. Duncan, Vers un nouvel instrument mondial sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 3, avril 2003, Rn 137. Lortie, Filiation et aliments internationaux envers les enfants. Réponses au questionnaire de 2002 et analyse des différents points, Doc prél No 4, avril 2003. Bureau Permanent, Rapport relatif à la première réunion de la Commission spéciale sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et autres membres de la famille (5-16 mai 2003), Doc prél No 5, octobre 2003, Rn 6; Bonomi FS Sandoz (2006) 201; Doogue La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09) 23; für einen Bericht über die Sitzungen der Kommission im Mai 2003 Borrás/Beilfuss REDI LV (2003) 582; Permanent Bureau of the Hague Conference IFL September 2003, 151. Lortie, Questionnaire supplémentaire concernant un nouvel instrument mondial sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 6, février 2004. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004.

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27 In der Folge wurden Berichte mit Formulierungsvorschlägen zu Einzelfragen ausgearbeitet.

Ein Bericht zur Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen75 stellte den ersten Entwurf den bestehenden internationalen Texten gegenüber und diskutierte die verschiedenen möglichen Erleichterungen, etwa die Vollstreckbarerklärung mit strengerer Kontrolle nur im Falle eines vom Gegner angestrengten Rechtsmittels nach der geltenden EuGVVO oder die gänzliche Abschaffung des Exequaturs. Die Präferenz des Berichterstatters galt dem Modell einer Vollstreckbarerklärung mit Rechtsmittelmöglichkeit,76 wie es denn auch Eingang in den endgültigen Übereinkommenstext fand. Ein Bericht zum internationalen Überweisungsverkehr und zur Informationstechnologie77 ermunterte die Staaten unter Verweis auf die jeweils einschlägigen UNCITRAL-Modellgesetze,78 die notwendigen Rechtsgrundlagen für einen effizienten internationalen Zahlungsverkehr und die Verwendung moderner Kommunikationsmittel zu schaffen. Ein Bericht zu den Verfahrenskosten,79 der sich auf die bisherigen Diskussionen, ein von der Commission spéciale 1999 nicht angenommenes Arbeitspapier sowie die Ergebnisse der Befragungen stützte, machte für die im Raum stehenden Kostenfragen verschiedene Vorschläge. So sollte der Unterhaltsberechtigte die Kosten der am Verfahren beteiligten Behörden nicht tragen müssen, ein Kostenersatz vom Unterhaltsverpflichteten aber zulässig sein, sofern dies nicht seine Fähigkeit zur Unterhaltsleistung beeinträchtigte; den Vertragsstaaten wollte der Vorschlag jedoch einzelne Vorbehalte gestatten, auf die wiederum das Gegenseitigkeitserfordernis anwendbar sein sollte. Für das Verhältnis zwischen den beteiligten Zentralen Behörden, die Kosten der Übersetzung und der medizinischen Vaterschaftsfeststellung gab der Bericht Denkanstöße; für Rechtsberatungskosten wurde ein differenzierender Vorschlag gemacht. Schließlich befasste sich ein kurzes Papier mit der Frage, ob die zu schaffenden Regeln auf alle Unterhaltsverpflichtungen unabhängig von deren internationalem Charakter – also einer grenzüberschreitenden Zahlung – anwendbar sein sollten, wenn nur die Unterstützung durch eine ausländische Behörde oder die Anerkennung und Vollstreckung im Ausland notwendig erscheint.80 Diese Frage wurde bejaht und eine dem Art 3 Abs 2 des HUntAVÜbk 1973 entsprechende Vorschrift empfohlen. 28 Im Juni 2004 erarbeitete das Redaktionskomitee sodann einen weiteren Entwurf, der einige

Anregungen der Berichte aufgriff und weitere Neuerungen enthielt.81 So wurden etwa aus75

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Duncan, Procédures de reconnaissance et d’exécution à l’étranger des décisions concernant les aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 8, mai 2004. Duncan, Procédures de reconnaissance et d’exécution à l’étranger des décisions concernant les aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 8, mai 2004, Rn 21. Lortie, Transfert de fonds et utilisation des technologies de l’information dans le cadre du recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 9, mai 2004. UNCITRAL Model Law on International Credit Transfers (1992); UNCITRAL Model Law on Electronic Commerce (1996); UNCITRAL Model Law on Electronic Signatures (2001). Duncan/Harnois, Coûts et frais judiciaires et administratifs, comprenant assistance et aide juridique, en vertu de la nouvelle Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 10, mai 2004. Lortie, Application d’un instrument sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille sans égard au caractère international ou interne de la réclamation d’aliments, Doc prél No 11, mai 2004. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Proposition du Comité de rédaction, Doc trav No 34 F, 17

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drücklich auch nicht grenzüberschreitende Unterhaltsforderungen einbezogen (Art 3), die Wahrnehmung der der Zentralen Behörde übertragenen Aufgaben durch andere Einrichtungen oder Behörden geregelt (Art 8 Abs 2, vgl heute Art 6 Abs 3 S 1) und das Ersuchen um besondere Maßnahmen erstmals in noch rudimentärer Form aufgenommen (Art 9), die Regeln über Anerkennung und Vollstreckung umgestaltet (Art 30), eine Einschränkung bei der Verfahrenseinleitung vorgesehen (Art 45) und der Abschluss weitergehender Verträge gestattet (Art 30bis), vor allem aber eine Vorbehaltsmöglichkeit für andere Unterhaltsforderungen als Kindesunterhaltsforderungen vorgesehen (Art 46). Einen überarbeiteten Entwurf veröffentlichte das Redaktionskomitee im Januar 2005.82 29 Dort fanden sich zum ersten Mal der Vorschlag einer „Mindestdefinition“ von Kind, wonach Kind zumindest sein sollte, wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte (Art 3 lit a), eine ausführliche Vorschrift über Verwaltungskosten (Art 8) und einheitliche, vom Antragsziel unabhängige Regeln über den Antragsinhalt (Art 11). Für die sprachlichen Erfordernisse wurde nun eine Alternativlösung zur Diskussion gestellt (Art 34). Weiter ausgebaut war auch die Vorschrift über die Einschränkung der Verfahrenseinleitung (Art 40). Parallel zum Redaktionskomitee, dessen Entwürfe sich auf die verfahrensrechtlichen Fragen 30 konzentrierten und das anwendbare Recht außen vor gelassen hatten, befasste sich eine Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz Andrea Bonomis mit dem anwendbaren Recht.83 Im September 2004 wurde einmal mehr ein Fragebogen versandt,84 dem im März 2005 ein Vorschlag mit Regeln zum anwendbaren Recht folgte.85 Dabei sprach sich die Arbeitsgruppe mit aller Deutlichkeit dafür aus, diese Regeln mit wenigen Ausnahmen entweder zu einem lediglich optionalen Teil der Konvention zu machen oder in die Form eines Ad-hoc-Protokolls zu gießen, da eine weltweite Einigung über allgemeine Regeln zum anwendbaren Recht unmöglich erscheine.86 Zur Aufnahme in das Übereinkommen empfahl die Arbeitsgruppe eine Regelung, nach der für die Dauer der Unterhaltspflicht das Recht des Ursprungsstaats einer Entscheidung maßgeblich sein sollte; die Verjährungsfrist für Ansprüche auf rückständige Unterhaltszahlungen sollte die längere der Fristen sein, die das Recht des Ursprungs- oder des Vollstreckungsstaates vorsahen.87 Beide Regelungen haben Eingang in den tatsächlich verabschiedeten Text gefunden (Art 32 Abs 4, 5). Eine weitere Arbeitsgruppe, deren Thema die Zusammenarbeit der Behörden war, legte ebenfalls im März 2005

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juin 2004; für einen Bericht über die Sitzungen der Kommission im Juni 2004 Borrás Rodríguez/Parra Rodríguez REDI LVI (2004) 572. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005. Bonomi FS Sandoz (2006) 201, 203. Groupe de travail sur la loi applicable/Bureau Permanent, Questionnaire relatif à la loi applicable aux obligations alimentaires, Doc prél No 12, septembre 2004. Groupe de travail sur la loi applicable, Proposition du groupe de travail sur la loi applicable aux obligations alimentaires, Doc prél No 14, mars 2005. Groupe de travail sur la loi applicable, Proposition du groupe de travail sur la loi applicable aux obligations alimentaires, Doc prél No 14, mars 2005, Rn 6-9; Bonomi FS Sandoz (2006) 201, 206 f; Bonomi YB PIL 10 (2008) 333, 335. Groupe de travail sur la loi applicable, Proposition du groupe de travail sur la loi applicable aux obligations alimentaires, Doc prél No 14, mars 2005, Rn 70 f.

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ihren Bericht vor.88 Der Bericht, dessen Teile wiederum von Unterkomitees vorbereitet worden waren, gab nach einem einleitenden ersten Teil in einem zweiten Teil eine Übersicht über verschiedene Modelle innerstaatlicher Organisation; ein dritter Teil schlug Formulare zu den Anträgen vor, wie sie im Entwurf der Redaktionskommission vorgesehen waren; ein vierter Teil machte Vorschläge zur Sicherung der Funktionsfähigkeit und zur Umsetzung des künftigen Übereinkommens. 31 Im September 2005 legte das Redaktionskomitee einen neuen Entwurf vor, der mit 57

Artikeln um gut zehn Artikel länger als seine Vorgänger war.89 Angefügt war dem Entwurf ein Formular zur Übermittlung eines Antrags von der ersuchenden Zentralen Behörde an die ersuchte Zentrale Behörde. Die Abfolge zahlreicher Artikel dieses Entwurfs stimmt bereits mit der verabschiedeten Fassung überein. Anstelle einer Festlegung, wer Kind im Sinne des Übereinkommens ist, sah der Entwurf in seinem Art 44 schon die Möglichkeit eines Vorbehalts vor, das Übereinkommen auf Unterhaltsberechtigte zu beschränken, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (vgl heute Art 2 Abs 2). 32 Auf den Entwurf vom September 2005 folgte eine längere Phase, die der Behandlung ein-

zelner Fragen gewidmet war. Im Mai 2006 stellte die mit der Erstellung von Formularen betraute Arbeitsgruppe eine Reihe weiterer Formulare vor.90 Eine ganze Reihe von Dokumenten wurde zur 20. Sitzung der Haager Konferenz im Juni 2006 präsentiert. So veröffentlichte der erste Sekretär im Juni 2006 ein Dokument über die Abstimmung zwischen dem Projekt über den Unterhalt und anderen internationalen Instrumenten, darunter nicht zuletzt die damals parallel entstehende europäische Unterhaltsverordnung.91 Nach einer Untersuchung des bisherigen Standes und der allgemeinen Regeln des Völkerrechts sprach er die dringliche Empfehlung aus, Regelungen über das Verhältnis zu anderen internationalen Instrumenten aufzunehmen.92 Ebenfalls im Juni 2006 legte die mit der Zusammenarbeit der Behörden befasste Arbeitsgruppe einen weiteren Bericht vor, dem ein Diagramm über den Ablauf von Anerkennung und Vollstreckung auf der Basis des Entwurfs sowie ein überarbeitetes Formular „Landesprofil“ beigefügt war.93 Der Bericht drang auf die Aufnahme einer Verpflichtung der Staaten, dem Ständigen Büro zugleich mit dem Beitritt zum Übereinkommen Informationen über die Zentrale Behörde und das Rechtssystem zukommen zu lassen. Tatsächlich finden sich im verabschiedeten Entwurf dahingehende Regelungen, al88

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Groupe de travail sur la coopération administrative, Rapport du Groupe de travail sur la coopération administrative de la Commission spéciale d’avril 2005 sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 15, mars 2005. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005. Groupe de travail chargé des formulaires, Rapport du Groupe de travail chargé des formulaires de la Commission spéciale sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 17, mai 2006. Lortie, Coordination entre le projet sur les aliments et d’autres instruments internationaux, Doc prél No 18, juin 2006. Lortie, Coordination entre le projet sur les aliments et d’autres instruments internationaux, Doc prél No 18, juin 2006, Rn 8, 32-35. Groupe de travail sur la coopération administrative, Rapport du Groupe de travail sur la coopération administrative de la Comission spéciale de juin 2006 sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 19, juin 2006.

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lerdings größtenteils (Ausnahme zB Art 4 Abs 3 S 1) zusammengefasst und nicht direkt bei dem Artikel, der die Verpflichtung aufstellt (vgl Art 57). Für die Arbeitsgruppe über das anwendbare Recht erstattete deren Präsident Andrea Bonomi einen Bericht, der in Form eines Kommentars die einzelnen vorgeschlagenen Artikel behandelte und dabei den zwischenzeitlich veröffentlichten Verordnungsvorschlag der EU-Kommission berücksichtigte.94 Diverse Dokumente steuerte im Juni 2006 auch das Ständige Büro bei. So publizierte es die Grundlinien eines Internetportals zur elektronischen Aktenführung und zum Informationsaustausch über die Behandlung von Fällen unter dem künftigen Übereinkommen, das mithilfe einheitlicher, nur durch Ankreuzen auszufüllender Formulare Sprachbarrieren überwinden sollte.95 Auch machte das Ständige Büro Vorschläge für die Form, die ein Instrument über die Regeln des anwendbaren Rechts annehmen könnte – selbständiges Protokoll oder optionales Kapitel des Übereinkommens –, und die jeweiligen Schlussvorschriften.96 Vom Entwurf selbst, den Kommentaren einiger Staaten zum Entwurf,97 den Berichten der Arbeitsgruppen und den Eingaben weiterer Beteiligter aufgeworfene Fragen stellte das Ständige Büro in einem eigenen Dokument zusammen.98 Anfang 2007 wurden neue Entwürfe für das Übereinkommen99 und die Regeln über das 33 anwendbare Recht100 vorgestellt und von entsprechenden Berichten begleitet.101 Der Entwurf des Übereinkommens enthielt nun unter anderem in Art 27 eine Vorschrift über Entscheidungen, die aus dem Zusammenspiel einer vorläufigen und einer bestätigenden Entscheidung entstehen, wie sie insbesondere Staaten des Commonwealth kennen; die Vorschrift wurde mit einer Ergänzung als Art 31 Teil des verabschiedeten Textes. Der Bericht Andrea Bonomis als Präsident der Arbeitsgruppe über das anwendbare Recht äußerte sich auch zu der Kollisionsregel des Übereinkommenstexts über die Verjährung rückständiger Unterhaltsansprüche und schlug eine Pflicht zur Information über die diesbezüglichen Regeln vor.102 Zum Entwurf der Regeln über das anwendbare Recht machte das Ständige Büro im Mai wiederum Vorschläge, die sich an seine früheren Vorschläge anschlossen und vor allem eventuell notwendige Schlussvorschriften eines selbständigen Protokolls betrafen.103 94 95

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Bonomi, Rapport du Groupe de Travail sur la loi applicable, Doc prél No 22, juin 2006. Bureau Permanent, Développement d’un système international électronique de gestion de dossiers et de communication à l’appui de la future Convention de la Haye sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Document d’information No 1, juin 2006. Bureau Permanent, Forme de règles en matière de loi applicable et possibles clauses finales, Doc prél No 20, juin 2006. Bureau Permanent, Observations portant sur l’Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 23, juin 2006. Bureau Permanent, Questions se rapportant à l’esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 21, juin 2006. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007. Groupe de travail sur la loi applicable, Esquisse relative à la loi applicable, Doc prél No 24, janvier 2007. Comité de rédaction, Observations du Comité de rédaction sur le texte de l’avant-projet de Convention, Doc prél No 26, janvier 2007; Bonomi, Rapport du groupe de travail sur la loi applicable, Doc prél No 27, avril 2007. Bonomi, Rapport du groupe de travail sur la loi applicable, Doc prél No 27, avril 2007, Rn 6-8. Bureau Permanent, Esquisse relative à la loi applicable. Projet de dispositions additionnelles, Doc prél No 28, mai 2007.

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34 Auf die Sitzung der Commission spéciale hin, die im Mai 2007 stattfand, kam es im Juni

2007 wiederum zur Veröffentlichung überarbeiteter Entwürfe des Übereinkommenstexts104 und der Regeln über das anwendbare Recht.105 Der Übereinkommenstext enthielt nunmehr auch Schlussvorschriften; offen waren insbesondere noch Entscheidungen über die Entwürfe einer Kostenregelung (Art 14 bis/ter) und einer Regelung über Unterhaltsvereinbarungen (Art 26). Die Regeln über das anwendbare Recht nahmen gemäß der Entscheidung der Commission spéciale nunmehr die Form eines selbständigen Protokolls mit Präambel und Schlussvorschriften an. Im Juli 2007 stellte die mit der Ausarbeitung von Formularen betraute Arbeitsgruppe den Entwurf ihrer empfohlenen Formulare vor.106 Der begleitende Bericht betonte, dass großer Wert auf Formulare gelegt wurde, die lediglich ein Ankreuzen erforderten, um die Notwendigkeit von Übersetzungen möglichst gering zu halten.107 Er enthielt auch noch einige Vorschläge zur textlichen Änderung einzelner Artikel des Übereinkommensentwurfs.108 35 In Vorbereitung der 21. Sitzung der Haager Konferenz im November 2007 wurden im

Herbst 2007 erklärende Berichte zum Übereinkommen109 und dem Protokoll110 veröffentlicht. Im Oktober 2007 erstattete die Arbeitsgruppe über die Zusammenarbeit der Behörden nochmals einen Bericht, der insbesondere ein weiter überarbeitetes Formular „Landesprofil“ enthielt.111 Die verschiedenen Anmerkungen der einzelnen Staaten zu den Entwürfen vom Juni stellte das Ständige Büro im Oktober 2007 zusammen112 und erarbeitete aus ihnen eine nach Artikeln gegliederte Übersicht.113 6. Die Annahme durch die 21. Haager Konferenz (2007) 36 Auf der 21. Sitzung der Haager Konferenz wurden unter großer Beteiligung der Mitglieder 104

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Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007. Groupe de travail sur le droit applicable, Avant-projet de Protocole sur la loi applicable aux obligations alimentaires, Doc prél No 30, juin 2007. Groupe de travail chargé des formulaires, Rapport du Groupe de travail chargé des formulaires – Formulaires recommandés, Doc prél No 31-B, juillet 2007. Groupe de travail chargé des formulaires, Rapport du Groupe de travail chargé des formulaires – Rapport, Doc prél No 31-A, juillet 2007. Groupe de travail chargé des formulaires, Rapport du Groupe de travail chargé des formulaires – Rapport, Doc prél No 31-A, juillet 2007, Rn 23 ff. Borrás/Degeling, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille. Projet de Rapport explicatif, version provisoire, Doc prél No 32, octobre 2007. Bonomi, Avant-projet de Protocole sur la loi applicable aux obligations alimentaires. Rapport explicatif, Doc prél No 33, août 2007. Groupe de travail sur la coopération administrative, Rapport du Groupe de travail sur la coopération administrative, Doc prél No 34, octobre 2007. Bureau Permanent, Observations sur l’avant-projet révisé de Convention (Doc prél No 29) et sur l’avantprojet de Protocole (Doc prél No 30), Doc prél No 35, octobre 2007. Bureau Permanent, Liste complète des observations relatives à l’avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 36, octobre 2007.

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Einleitung

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der Konferenz einschließlich der kürzlich beigetretenen Europäischen Gemeinschaft,114 der Staaten mit Beobachterstatus und eingeladener internationaler Organisationen die beiden Entwürfe jeweils in einer Kommission diskutiert, teilweise nicht unwesentlich geändert und schließlich Übereinkommen und Protokoll in der Schlussakte vom 23.11.2007 verabschiedet.115 Begleitet wurden Übereinkommen und Protokoll von neun Empfehlungen.116 Sie gingen unter anderem dahin, die für die Formulare zuständige Arbeitsgruppe möge ihre Arbeiten fortsetzen (Empfehlung Nr 3), die Arbeitsgruppe über die Zusammenarbeit der Behörden möge vorläufig fortbestehen und weiterhin Fragen der behördlichen Zusammenarbeit diskutieren, bis der Rat für allgemeine und politische Angelegenheiten der Konferenz117 die Einsetzung eines ständigen Komitees für die Zusammenarbeit der Zentralen Behörden untersucht habe (Empfehlung Nr 5), und das mit der Erstellung der Staatenprofile befasste Unterkomitee möge weiter an der Ausarbeitung dieser Profile arbeiten (Empfehlung Nr 7). An neunter und letzter Stelle, aber als besonders vordringlich bezeichnet, wurde die Ausarbeitung eines Protokolls für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen schutzbedürftiger Personen empfohlen, das das Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen v 13.1.2000 ergänzen und auf ihm aufbauen würde. In Ausführung dieser Empfehlung wurde im Mai 2009 ein Fragebogen versandt,118 zu dem inzwischen zahlreiche Antworten eingegangen sind.119 V. Inkrafttreten und Stand Nach Ratifikation durch Norwegen am 6.4.2011 und Albanien am 13.9.2012 ist das HUnt- 37 VerfÜbk 2007 gem Art 60 Abs 1 für diese beiden Staaten am 1.1.2013 in Kraft getreten. Im Verhältnis zu Bosnien-Herzegowina gilt es nach Ratifikation vom 25.10.2012 gem Art 60 Abs 2 lit a seit dem 1.2.2013; im Verhältnis zur Ukraine nach Ratifikation vom 24.7.2013 seit dem 1.11.2013. Für die EU hat Spyridon Vrellis als Vertreter der griechischen Ratspräsidentschaft am 9.4.2014 die Beitrittsurkunde hinterlegt; das Übereinkommen gilt daher für ihre Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks seit dem 1.8.2014 (Rn 39 ff). Lediglich gezeichnet, aber noch nicht ratifiziert haben das Übereinkommen noch auf der 38 Schlusskonferenz die USA, was als Zeichen großer Unterstützung angesehen werden und andere Staaten ebenfalls zur Zeichnung motivieren sollte,120 und seither auch Burkina Faso.

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Siehe nur Unif L Rev ns 12 (2007) 156; dazu Borrás AEDIPr VI (2006) 1179. S 2-43 und S 44-53 der Schlussakte v 23.11.2007; zu den Verhandlungen Azcárraga Monzonís REDI LX (2008), 491, 495. S 54/55 der Schlussakte v 23.11.2007. Zu diesen Empfehlungen Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 520 f. Art 4 der Satzung der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht vom 15.7.1955 idF v 30.6.2005. Bureau Permanent, Questionnaire sur la faisabilité d’un Protocole à la Convention de la Haye du 23 Novembre 2007 sur le recouvrement international des aliments destinés aux enfants et à d’autres membres de la famille consacré au recouvrement international des aliments destinés aux personnes vulnérables, Doc prél No 1, mai 2009. Abrufbar unter www.hcch.net Conventions Nr 38 Questionnaires & Réponses. Dazu Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 521; Borrás AEDIPr VII (2007) 1305; Carlson Fam LQ 43 (2009) 21; Estin Fla L Rev 62 (2010) 47, 92 f.

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In den USA121 passierte nach zunächst schnellem Fortschritt122 nun doch erst, aber immerhin am 18.6.2013 der International Child Support Recovery Improvement Act (HR 1896)123 das Repräsentantenhaus.124 Die Seite Gov.Track.us sah die Chancen einer Verabschiedung bei 30%.125 Inzwischen haben die Regelungen jedoch als Teil des Preventing Sex Trafficking and Strengthening Families Act (HR 4980) am 18.9.2014 den Senat passiert und sind am 29.9.2014 Gesetz geworden.125a Die Ratifikation steht noch aus, dürfte aber zu erwarten sein. VI. Genehmigung durch den Rat der EU 1. Hintergrund 39 Nachdem die Kommission bereits am 23.2.2009 einen Vorschlag für einen Beschluss des

Rates über den Abschluss des Protokolls durch die Europäische Gemeinschaft angenommen hatte,126 veröffentlichte sie am 28.7.2009 einen Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen durch die Europäische Gemeinschaft.127 Ziel des vorgeschlagenen Abschlusses des Übereinkommens war es, die aufgrund der EG-UntVO bereits geltenden Regelungen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen sowie über die Zusammenarbeit der Zentralen Behörden weiter zu „festigen“, was sich durch die Geltung der innerhalb der Gemeinschaft – heute Union – geltenden Vorschriften auch im Verhältnis zu solchen Drittstaaten ergeben sollte, die Vertragsstaaten des Übereinkommens seien.128 2. Abschlusskompetenz 40 Für die im HUntVerfÜbk enthaltenen Regeln über die Anerkennung und Vollstreckung

von Entscheidungen stand der EG nach Maßgabe des EuGH-Gutachtens zum neuen Luganer Übereinkommen129 die ausschließliche Zuständigkeit zu. 41 Problematischer sind die Regeln über die unentgeltliche juristische Unterstützung130 und

insbesondere die internationale Zusammenarbeit der Behörden.131 Für die in dem Über121 122 123 124

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Zu den erforderlichen Umsetzungsakten Carlson La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09) 29. Carlson Fam LQ 43 (2009) 21 f. Dazu Solomon-Fears/Smith R43109 (2013) 9 ff. Office of the Clerk, US House of Representatives, clerk.house.gov/evs/2013/roll252.xml (zuletzt besucht am 9.2.2014). GovTrack.us, www.govtrack.us/congress/bills/113/hr1896 (zuletzt besucht am 9.2.2014). Public Law No 113-183. Europäische Kommission, 23.2.2009, COM (2009) 81. Europäische Kommission, 28.7.2009, COM (2009) 373. Europäische Kommission, 28.7.2009, COM (2009) 373 S 3. EuGH, Gutachten 1/03 v 7.2.2006 über die Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluss des neuen Übereinkommens von Lugano über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, EuGHE 2006 I 1150. Dazu Heger Europäisches Unterhaltsrecht (2010) 5, 15. Vgl nur Ancel/Muir Watt Rev crit dip 99 (2010) 457, 458 f; Fucik iFamZ 2008, 56, 57: gemischte Kompetenz.

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einkommen enthaltenen Regeln über die internationale Zusammenarbeit begründete die Kommission die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft damit, dass die EG-UntVO ebenfalls Rechtsvorschriften über die Zusammenarbeit der Behörden der Mitgliedstaaten enthalte, im Übrigen der Zweck des Übereinkommens auf Unterhaltsansprüche beschränkt sei.132 Diese Argumentation kann nicht voll überzeugen.133 In den Erwägungsgründen des Ratsbeschlusses wurde sie denn auch abgemildert.134 Dennoch erscheint ein einheitlicher Abschluss durch die Gemeinschaft sinnvoll. 3. Erster Beschluss und Änderungsbeschluss Die Europäische Kommission befürwortete den Verzicht auf alle Vorbehalte sowie eine 42 Ausdehnung der Geltung des Übereinkommens auf sämtliche Unterhaltspflichten aus Beziehungen der Familie, Verwandtschaft, Ehe oder Schwägerschaft, um insoweit Deckungsgleichheit mit der EG-UntVO zu erreichen; in einzelnen Fragen wollte sie auf begründeten Wunsch einzelner Mitgliedstaaten für diese einige der vom Übereinkommen vorgesehenen optionalen Erklärungen abgeben.135 Mit legislativer Entschließung vom 11.2.2010 stimmte das Europäische Parlament dem 43 Vorschlag der Kommission zu.136 Am 9.6.2011 fasste der Rat dann den entsprechenden Beschluss,137 an dessen Annahme und 44 Anwendung sich auch das Vereinigte Königreich und Irland beteiligten, nicht aber Dänemark.138 Dabei nahm der Rat in seinen Beschluss verschiedene Vorbehalte139 und Erklärungen140 für einzelne Mitgliedstaaten auf; die Kommission hatte sich mit ihrem Wunsch nach vorbehaltsloser Genehmigung also nicht ganz durchsetzen können.

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Europäische Kommission, 28.7.2009, COM (2009) 373 S 5. Zu Recht kritisch BT-Drs 17/5241 S 4 f. Vgl den von der Kommission vorgeschlagenen ErwGr 3 (Europäische Kommission, 28.7.2009, COM (2009) 373) und die schließlich in ErwGr 4 gewählte Formulierung (Rat der EU, 9.6.2011, ABl EU L 192/ 39). Europäische Kommission, 28.7.2009, COM (2009) 373 S 5 ff. Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 11. Februar 2010 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen durch die Europäische Gemeinschaft (KOM(2009)0373 – C7-0156/2009 – 2009/0100(NLE)), ABl EU 2009 C 341 E 98. Beschluss des Rates vom 9. Juni 2011 über die Genehmigung des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen im Namen der Europäischen Union (2011/432/EU), ABl EU L 192/39. ErwGr 14 u 15. Vorbehalte gem Art 44 Abs 3 gegen die Verwendung des Französischen im Schriftwechsel zwischen den Zentralen Behörden: Tschechien, Estland, Griechenland, Lettland, Litauen, Ungarn, Niederlande, Polen, Slowakei, Schweden, Vereinigtes Königreich. Erklärungen nach Art 11 Abs 1 lit g für Belgien, Tschechien, Deutschland, Lettland, Polen, die Slowakei und das Vereinigte Königreich (mit Differenzierungen zwischen England und Wales, Schottland und Nordirland); Erklärungen nach Art 44 Abs 1 für Tschechien, Estland, Litauen und die Slowakei; Erklärung nach Art 44 Abs 2 für Belgien.

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45 In der Folge wollten einige Mitgliedstaaten ihre früheren Erklärungen ändern oder neue

Erklärungen abgeben bzw einen neuen Vorbehalt einlegen. Daher machte die Kommission am 29.1.2013 einen Vorschlag für einen den früheren Entschluss ändernden Ratsbeschluss.141 Der Entwurf wurde vom Parlament am 17.4.2013 ohne Abänderung gebilligt. Am 9.4.2014 nahm der Rat den Beschluss formell an.141a 4. Hinterlegung der Genehmigungsurkunde 46 Am 9.4.2014 hinterlegte schließlich Spyridon Vrellis als Vertreter der griechischen Ratsprä-

sidentschaft die Genehmigungsurkunde nach Art 58 Abs 2. Äußerer Rahmen war die Tagung des Rats für allgemeine und politische Angelegenheiten der Haager Konferenz. Das Übereinkommen ist daher für die EU und ihre Mitgliedstaaten am 1.8.2014 in Kraft getreten. VII. Verhältnis zur EG-UntVO 47 Die EG-UntVO, die auf ein Grünbuch „Unterhaltspflichten“ der Kommission vom April

2004142 und einen bereits im Dezember 2005 vorgelegten Verordnungsvorschlag143 zurückgeht, wurde zwar erst am 18.12.2008 verabschiedet. Zum Ende der Ausarbeitung des Übereinkommens war aber bereits bekannt, dass die künftige Verordnung sämtliche in dem Übereinkommen geregelten Bereiche ebenfalls regeln und darüber hinaus insbesondere noch Regelungen über die direkte Zuständigkeit enthalten würde. Daher war absehbar, dass es einer Klärung des Verhältnisses von EG-UntVO und HUntVerfÜbk 2007 bedurfte, wenn der EU oder ihren Mitgliedstaaten ein Beitritt zu dem Übereinkommen ohne größere Schwierigkeiten möglich sein sollte.144 48 Im HUntVerfÜbk 2007 findet sich eine dahingehende Regelung in allgemeiner Form in

Art 51 Abs 4 S 1. Danach kann eine Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration wie die EU, die Vertragspartei des Übereinkommens ist, für ihren Binnenbereich auch nach Abschluss des Übereinkommens Regelungen auf den von ihm erfassten Gebieten treffen, wenn nur im Verhältnis der Mitgliedstaaten dieser Organisation zu Drittstaaten, die Vertragsstaaten des Übereinkommens sind, das Übereinkommen zur Anwendung kommt. 49 Die EG-UntVO ihrerseits bemüht sich in den Art 8 und 57 Abs 5 um eine Koordination mit

dem HUntVerfÜbk 2007; im Übrigen war aber mit Art 51 Abs 4 S 1 HUntVerfÜbk 2007 das Verhältnis ausreichend geregelt. 141

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Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung der Anhänge II und III des Beschlusses des Rates vom 9. Juni 2011 über die Genehmigung des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen im Namen der Europäischen Union, COM (2013) 35. Beschluss des Rates vom 9. 4.2014 zur Änderung der Anhänge I, II und III des Beschlusses 2011/432/EU über die Genehmigung des Haager Übereinkommens vom 23.11.2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen im Namen der Europäischen Union (2014/218/EU), ABl EU L 113/1. Europäische Kommission, 15.4.2004, KOM (2004) 254. Europäische Kommission, 15.12.2005, KOM (2005) 649. Vgl Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 500; Bonomi FS Sandoz (2006) 201 f.

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VIII. Durchführungsgesetzgebung Zur Durchführung des HUntVerfÜbk bedarf es ergänzender Regelungen in den nationalen 50 Rechten der Vertragsstaaten. In Vorbereitung der – mittlerweile erfolgten – Hinterlegung der Genehmigungsurkunde durch einen Vertreter der EU (Rn 46) hat Deutschland die entsprechenden Regelungen mit Gesetz v 20.2.2013145 in das AUG eingefügt, das bereits die Durchführungsvorschriften zur EG-UntVO, zum HUntAVÜbk 1973 und zum NYUntÜbk 1956 enthält.146 Österreich hat sich zum 1.8.2014 ein neues Auslandsunterhaltsgesetz gegeben.147 DIE UNTERZEICHNERSTAATEN DIESES ÜBEREINKOMMENS – In dem Wunsch, die Zusammenarbeit zwischen den Staaten bei der internationalen Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen zu verbessern; eingedenk der Notwendigkeit ergebnisorientierter Verfahren, die zugänglich, zügig, wirksam, wirtschaftlich, fair und auf unterschiedliche Situationen abgestimmt sind; in dem Wunsch, sich von den besten Lösungen der bestehenden Haager Übereinkommen und von anderen internationalen Übereinkünften, insbesondere dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. Juni 1956 über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland, leiten zu lassen; in dem Bestreben, Nutzen aus dem technologischen Fortschritt zu ziehen und ein flexibles System zu schaffen, das geeignet ist, sich den geänderten Bedürfnissen und den Möglichkeiten, welche die Technologien und ihre Entwicklungen bieten, anzupassen; unter Hinweis darauf, dass nach den Artikeln 3 und 27 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes – bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt ist, der vorrangig zu berücksichtigen ist; – jedes Kind das Recht auf einen seiner körperlichen, geistigen, seelischen, sittlichen und sozialen Entwicklung angemessenen Lebensstandard hat; – es in erster Linie Aufgabe der Eltern oder anderer für das Kind verantwortlicher Personen ist, im Rahmen ihrer Fähigkeiten und finanziellen Möglichkeiten die für die Entwicklung des Kindes notwendigen Lebensbedingungen sicherzustellen; – die Vertragsstaaten alle geeigneten Maßnahmen, einschließlich des Abschlusses internationaler Übereinkünfte, treffen sollen, um die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen des Kindes gegenüber den Eltern oder gegenüber anderen für es verantwortlichen Personen sicherzustellen, insbesondere wenn die betreffenden Personen in einem anderen Staat leben als das Kind – HABEN BESCHLOSSEN, DIESES ÜBEREINKOMMEN ZU SCHLIESSEN, UND DIE FOLGENDEN BESTIMMUNGEN VEREINBART: 145

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Gesetz zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen sowie zur Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts und des materiellen Unterhaltsrechts v 20.2.2013, BGBl 2013 I 273. Vgl § 1 Abs 1 S 1 Nr 1 und 2 AUG; dazu BR-Drs 311/12 S 1, BT-Drs 17/10492 S 1. Bundesgesetz über die Geltendmachung und Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen mit Auslandsbezug (Auslandsunterhaltsgesetz 2014 – AUG 2014), BGBl I Nr 34/2014 v 26.5.2014.

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Präambel HUntVerfÜbk

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Präambel1 I. Entstehungsgeschichte 1 Die Präambel hat im Laufe der Entstehung des Übereinkommenstextes mehrfach Verände-

rungen erfahren. In den ersten Entwürfen waren die Erwägungsgründe stets mit eckigen Klammern versehen, die darauf hinwiesen, dass der vorgeschlagene Text von der jeweiligen Kommission noch nicht vollständig behandelt worden war.2 2 Im ersten Erwägungsgrund wurde aus der „Betonung der Wichtigkeit einer internationalen

Zusammenarbeit der Behörden“, die in den ersten Entwürfen enthalten war und sich auf das Working Document No 1 berufen konnte,3 im weiteren Verlauf 4 der „Wunsch, die Zusammenarbeit … zu verbessern“. Damit wurde den bereits gepflogenen Formen der Zusammenarbeit auf der Grundlage der bestehenden Übereinkommen Rechnung getragen und der Eindruck vermieden, der Übereinkommenstext schaffe etwas völlig Neues. 3 Der zweite Erwägungsgrund fand zugleich mit der soeben beschriebenen Änderung Ein-

gang in den Entwurfstext.5 Mit seiner Betonung der Notwendigkeit vorteilhafter Verfahrensregelungen macht er deutlich, dass es dem Übereinkommen nicht nur um mehr informelle Regeln über die Zusammenarbeit, sondern auch um originär verfahrensrechtliche Regelungen geht. 4 Die im dritten Erwägungsgrund angesprochene Übernahme der besten Lösungen aus be-

stehenden Übereinkommen war wiederum bereits von Anfang an in den Entwürfen enthalten, stand dort jedoch an späterer Stelle. Sie geht zurück auf die Empfehlung der Commission spéciale von 1999.6 5 Der vierte Erwägungsgrund, demzufolge aus dem technischen Fortschritt Nutzen gezogen

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Die Überschrift „Präambel“ findet sich nur in den Entwürfen (zB Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 1 m Fn 1; Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 3), im endgültigen Übereinkommenstext ist sie nicht mehr enthalten. Vgl Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 1 m Fn 1; Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 3. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 1 Fn 2. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 3. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 3. Vgl Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 1 m Fn 8.

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Präambel

Präambel HUntVerfÜbk

werden sollte, war ebenfalls schon in den ersten Entwürfen vorgesehen und vom ursprünglichen Mandat inspiriert.7 Auch der Hinweis auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 6 1989 über die Rechte des Kindes im fünften Erwägungsgrund geht auf die ersten Entwürfe zurück. Die unter den Spiegelstrichen aufgeführten Erwägungen waren zunächst aber als eigene Erwägungsgründe formuliert, sodass ihre Verankerung in dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes nicht auf den ersten Blick erkennbar war.8 Vermutlich wollte das Redaktionskomitee kurz vor der entscheidenden Sitzung der Haager Konferenz9 mit dem deutlichen Hinweis auf das erfolgreiche Übereinkommen über die Rechte des Kindes im endgültigen Text die Chancen einer Ratifikation auch des HUntVerfÜbk 2007 erhöhen. Zwei weitere ursprünglich nur stichwortartig vorgesehene Erwägungsgründe – die Aner- 7 kennung der Wichtigkeit anderer Formen von Familienunterhalt und die Anerkennung der Bedeutung des Verantwortungsprinzips („Accountability“)10 – wurden nicht in den endgültigen Text übernommen. Ob dies eine bewusste Entscheidung gegen die genannten Gründe war oder auf Zeitnot beruhte, geht aus den zugänglichen Materialien nicht hervor. Allerdings spricht die Tatsache, dass diese Stichworte ohne jede Behandlung durch das Redaktionskomitee ihren Weg in die Entwürfe gefunden hatten,11 gegen die Annahme, der Nichtaufnahme dieser Gründe könne bei der Auslegung des Übereinkommens Gewicht beigemessen werden. II. Bedeutung Nach den allgemeinen Regeln über die Auslegung völkerrechtlicher Verträge12 kann die 8 Präambel zur Auslegung des Übereinkommens herangezogen werden.13 Besonderes Gewicht kommt dabei dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes zu, das für eine kindesfreundliche Auslegung spricht.14 Man könnte zwar daran denken, im Gegenzug dann eine weniger unterhaltsfreundliche Auslegung zu wählen, wenn es im konkreten Fall nicht um Kindesunterhalt geht. Angesichts der übrigen Erwägungsgründe und der Grundhaltung des Übereinkommens, wie sie in Art 1 klar zum Ausdruck kommt, dürfte sich eine solche Auslegung jedoch verbieten.

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Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 2 Fn 9. Hinweise darauf aber in Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 2 Fn 3-5. Vgl Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 3. Vgl Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 2. Vgl Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 2 Fn 6, 7. Art 31 Abs 1, Abs 2 vor lit a des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge v 23.5.1969. Vgl Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 527. Vgl Azcárraga Monzonís REDI LX (2008), 491, 503.

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Art 1 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

III. Vergleich mit der EG-UntVO 9 Die Erwägungsgründe der EG-UntVO, die ebenfalls zu deren Auslegung herangezogen

werden können, sind weitaus umfangreicher als die Erwägungsgründe der Präambel. Die in der Präambel genannten Aspekte finden sich teilweise ähnlich auch in der Verordnung, so etwa in Erwägungsgrund 31 der Verordnung, der die – auf europäischer Ebene allerdings erst noch zu schaffende und nicht nur zu verbessernde – Zusammenarbeit der Behörden betrifft, oder in Erwägungsgrund 23 der Verordnung, der die modernen Kommunikationstechnologien erwähnt.

Kapitel I: Ziel, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen Artikel 1: Ziel Ziel dieses Übereinkommens ist es, die wirksame internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen sicherzustellen, insbesondere dadurch, dass a) ein umfassendes System der Zusammenarbeit zwischen den Behörden der Vertragsstaaten geschaffen wird, b) die Möglichkeit eingeführt wird, Anträge zu stellen, um Unterhaltsentscheidungen herbeizuführen, c) die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen sichergestellt wird und d) wirksame Maßnahmen im Hinblick auf die zügige Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen gefordert werden.

I. Normzweck 1 Art 1 hält, wie es in modernen völkerrechtlichen Verträgen üblich geworden ist und zu-

nehmend auch in nationalen Gesetzen selbst in den Ländern des Civil Law vorkommt (vgl zB § 1 InsO), die mit dem Übereinkommen angestrebten Ziele fest. Wie die Präambel (dazu Präambel Rn 8) kann Art 1 zur Auslegung herangezogen werden,1 ihm kommt aber keine begrenzende Wirkung zu. II. Entstehungsgeschichte 2 Mit etwas anderer Formulierung waren die in lit a und c genannten Ziele bereits im Entwurf

des Redaktionskomitees von 2004 enthalten,2 die Hereinnahme des Wortes „Ziel“ in die Kapitelüberschrift erfolgte hingegen erst später.3 Die in lit b und d genannten Ziele enthielt bereits der Entwurf des Jahres 2005;4 lediglich in lit b wurde die Möglichkeit zur Einleitung 1 2

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Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 526. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 3.

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Kapitel I: Ziel, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Art 1 HUntVerfÜbk

anderer Verfahren wieder gestrichen. Art 1 wurde auf der diplomatischen Konferenz schon beim ersten Aufruf einstimmig angenommen.5 III. Einzelerläuterung Den Kernbegriff des Übereinkommens, den Begriff des Unterhaltsanspruchs, definiert das 3 Übereinkommen nicht. Der Begriff des Unterhalts ist weit und autonom auszulegen.6 Ungeachtet der Bezeichnung in den beteiligten nationalen Rechten7 ist Unterhalt im Sinne des Übereinkommens jede Leistung, die der Bestreitung der Kosten des täglichen Lebens dient.8 Die Qualifikation einer Leistung als Unterhalt ist zwar meist unproblematisch, wenn regelmäßige Zahlungen oder sonstige Leistungen erfolgen; keine Schwierigkeiten ergeben sich auch dann, wenn regelmäßige Leistungen explizit kapitalisiert wurden, zu Unterhaltszwecken ein eine Rente abwerfender Gegenstand übertragen wird oder es sich um einen einmaligen, neben den regelmäßigen Unterhalt tretenden Betrag handelt, der zur Deckung eines Sonderbedarfs dient.9 Das Vorliegen von Unterhalt ist aber durchaus fraglich, wenn eine Kapitalsumme zugesprochen wird, die von dem anwendbaren Recht nicht ausdrücklich und ausschließlich als kapitalisierter Unterhalt verstanden wird, sondern keine klare Zuordnung trägt und beispielsweise als Unterhalt, aber ebenso als güterrechtlicher Ausgleich oder gar als Ersatz für immaterielle Schäden begriffen werden kann. Solche Schwierigkeiten können insbesondere englische Scheidungsurteile machen, die einen einheitlichen Gesamtausgleich beinhalten.10 Zweifelhaft kann unter Umständen auch die Abgrenzung von erbrechtlichen Ausgleichsregelungen sein.11 In derartigen Fällen spricht für die Annahme von Unterhalt, wenn für die Bemessung der 4 Leistung die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten und vor allem die Bedürftigkeit des Berechtigten ausschlaggebend sind. Im Übrigen wird man zunächst nach einem klar überwiegenden Zweck,12 bei Fehlen eines klaren Überwiegens nach der Teilbarkeit13 (vgl Art 21) zu fragen haben. Wenn eine Entscheidung keine klaren Kriterien für eine Aufteilung enthält, spricht mehr für eine teilweise, notfalls hälftige, Behandlung als Unterhalt, als für die völlige 3

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Vgl Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 4. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 4. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 503. Statt aller Andrae Internationales Familienrecht § 8 Rn 6. Dazu Schlosser Bericht zum EuGVÜ Rn 91; Viarengo Riv dir int priv proc 2009, 805, 807. Nochmals Andrae Internationales Familienrecht § 8 Rn 6. Vgl Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 65; Nimmerrichter Handbuch Rn 211. Vgl Court of Appeal Moore v Moore [2007] 2 FLR 339 para 68-80; Andrae Internationales Familienrecht § 3 Rn 9; Karsten Europäisches Unterhaltsrecht (2010) 47, 51 f. Vgl Andrae Internationales Familienrecht § 8 Rn 8: § 1586b BGB auch nach Übergang auf die Erben Unterhaltsanspruch, § 1969 BGB erbrechtlicher Anspruch. Vgl BGH v 2.9.2009 – XII ZB 50/06, FamRZ 2009, 2069 m Anm Gottwald; Andrae Internationales Familienrecht § 3 Rn 8. Vgl EuGH Rs 220/95 Van den Boogard v Laumen EuGHE 1997 I 1147; BGH v 12.8.2009 – XII ZB 12/05, FamRZ 2009, 1659, 1661 = MDR 2009, 1225, 1226 = IPRax 2011, 187 = NJW-RR 2010, 1, 2 (Rn 16 ff); Andrae Internationales Familienrecht § 3 Rn 8.

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Art 1 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Ablehnung einer in Rede stehenden Anerkennung und Vollstreckung, wie dies der BGH 2009 entschied.14 Probleme werden unter dem Übereinkommen primär bei unmittelbaren Anträgen gem Art 37 auftreten; wird ein Antrag auf Anerkennung oder Vollstreckung über Zentrale Behörden gestellt und nimmt die ersuchte Zentrale Behörde eine Aufteilung vor, so ist dies in analoger Anwendung des Art 28 zu respektieren. 5 Das Ziel eines umfassenden Systems der Zusammenarbeit zwischen den Behörden der

Vertragsstaaten (lit a) lässt sogleich erkennen, wodurch das Übereinkommen in erster Linie die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im internationalen Rechtsverkehr erleichtern möchte. Behörden sind dabei nicht nur die Zentralen Behörden.15 Eine ähnliche Formulierung findet sich – wie der Entwurf von 2004 zu Recht bemerkt16 – in anderen Übereinkommen, etwa in Art 1 lit b des sehr erfolgreichen Haager Übereinkommens über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption vom 29.5.1993. Regeln über die Zusammenarbeit enthält das Übereinkommen insbesondere in den Art 4-17. Bemerkenswert ist, dass diese Regeln für die vom Übereinkommen ansonsten erfassten Unterhaltsansprüche zwischen Ehegatten und früheren Ehegatten keine Anwendung finden (vgl Art 2 Abs 1 lit b: nur Anerkennung und Vollstreckung oder Vollstreckung, Art 2 Abs 1 lit c: keine Anwendung der Kapitel II und III), sofern sich ein Vertragsstaat nicht ausdrücklich hierfür entscheidet (Art 2 Abs 3). 6 Die Möglichkeit zur Antragstellung (lit b) gewährleistet das Übereinkommen insbesondere

in Art 10; Art 37 stellt zudem sicher, dass auch die unmittelbare Antragstellung weiterhin möglich ist. Auch diese Regeln gelten aber nicht sämtlich auch für Ehegatten und frühere Ehegatten (vgl soeben Rn 5). 7 Anerkennung und Vollstreckung (lit c) regeln vor allem die Art 19-35, aber etwa auch

Art 36 Abs 3-4. Insoweit findet das Übereinkommen auf alle von ihm erfassten Unterhaltspflichten Anwendung, also auf Unterhaltspflichten gegenüber einer Person, die noch nicht 21 Jahre alt ist, und auf Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten und früheren Ehegatten. 8 Die besonders hervorgehobene zügige Vollstreckung (lit d) versucht das Übereinkommen

in Art 23 Abs 2-3, 5, 9, Art 24 Abs 2-3 („umgehend“, „unverzüglich“) und Art 23 Abs 11, Art 24 Abs 7 sowie insbesondere Art 32 Abs 2 („zügig“) explizit sicherzustellen; verschiedene verfahrensrechtliche Regelungen verfolgen mittelbar denselben Zweck, etwa die Beschränkung der Anfechtungsgründe in Art 23 Abs 7. IV. Vergleich mit der EG-UntVO 9 Die EG-UntVO enthält keinen eigenen Artikel über ihre Ziele. Die Ziele der Verordnung

sind aber in ihren Erwägungsgründen zu finden.17 Dort trifft man alle der in Art 1 genannten 14

15 16

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BGH v 12.8.2009 – XII ZB 12/05, FamRZ 2009, 1659, 1661 = MDR 2009, 1225, 1226 = IPRax 2011, 187 = NJW-RR 2010, 1, 3; dazu Dose Europäisches Unterhaltsrecht (2010) 81, 88-91. Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 527 m Fn 46. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 3 Fn 11; siehe auch Borrás/ Degeling Rapport explicatif Rn 39. Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 527.

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Kapitel I: Ziel, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Art 2 HUntVerfÜbk

Ziele an, wenn auch in anderer Hierarchisierung und teils mit weitergehenden Ambitionen. So nennt etwa Erwägungsgrund 31 in Entsprechung zu Art 1 lit a die Schaffung eines Systems der Zusammenarbeit zwischen Zentralen Behörden; Erwägungsgrund 9, nach dem es einem Unterhaltsberechtigten ohne Umstände möglich sein soll, in einem Mitgliedstaat eine Entscheidung zu erwirken, entspricht zunächst Art 1 lit b, geht sodann aber über diesen hinaus, indem er die automatische Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat ohne weitere Formalitäten verlangt; Erwägungsgründe 13, 24, 27 f, 30 widmen sich der von Art 1 lit c als Ziel formulierten Sicherstellung der Anerkennung und Vollstreckung und Erwägungsgrund 22 nennt ähnlich wie lit d die rasche und wirksame Durchsetzung einer Unterhaltsforderung.

Artikel 2: Anwendungsbereich (1) Dieses Übereinkommen ist anzuwenden a) auf Unterhaltspflichten aus einer Eltern-Kind-Beziehung gegenüber einer Person, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, b) auf die Anerkennung und Vollstreckung oder die Vollstreckung einer Entscheidung über die Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten und früheren Ehegatten, wenn der Antrag zusammen mit einem in den Anwendungsbereich des Buchstabens a fallenden Anspruch gestellt wird, und c) mit Ausnahme der Kapitel II und III auf Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten und früheren Ehegatten. (2) Jeder Vertragsstaat kann sich nach Artikel 62 das Recht vorbehalten, die Anwendung dieses Übereinkommens in Bezug auf Absatz 1 Buchstabe a auf Personen zu beschränken, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Ein Vertragsstaat, der einen solchen Vorbehalt anbringt, ist nicht berechtigt, die Anwendung des Übereinkommens auf Personen der Altersgruppe zu verlangen, die durch seinen Vorbehalt ausgeschlossen wird. (3) Jeder Vertragsstaat kann nach Artikel 63 erklären, dass er die Anwendung des gesamten Übereinkommens oder eines Teiles davon auf andere Unterhaltspflichten aus Beziehungen der Familie, Verwandtschaft, Ehe oder Schwägerschaft, einschließlich insbesondere der Pflichten gegenüber schutzbedürftigen Personen, erstrecken wird. Durch eine solche Erklärung werden Verpflichtungen zwischen zwei Vertragsstaaten nur begründet, soweit ihre Erklärungen dieselben Unterhaltspflichten und dieselben Teile des Übereinkommens betreffen. (4) Dieses Übereinkommen ist unabhängig vom Familienstand* der Eltern auf die Kinder anzuwenden. I. II. III.

*

Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Einzelerläuterung 1. Unterhaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2. Kindesunterhalt a) Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 b) Eltern-Kind-Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 c) Unterhaltsanspruch des Kindes . . . . . . . . 12

3. Unterhalt zwischen Ehegatten und früheren Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 a) Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 b) Grundregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 c) Antrag zusammen mit einem Kindesunterhalt betreffenden Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 4. Vorbehalt gem Abs 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 5. Erklärung gem Abs 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Schweiz: Zivilstand.

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Art 2 HUntVerfÜbk 6. Unerheblichkeit des Familien- bzw Zivilstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen IV.

Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . 29

I. Normzweck 1 Abs 1 bestimmt den sachlich-persönlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens

mithilfe einer Kombination aus der Natur des Anspruchs („Unterhaltspflicht“) und in lit b auch den Umständen seiner Geltendmachung („zusammen mit einem in den Anwendungsbereich des Buchstabens a fallenden Anspruch“), der Beziehung zwischen seinen Parteien („Eltern-Kind-Beziehung“ bzw „Ehegatten und frühere[] Ehegatten“) und in lit a auch dem Alter einer Partei („gegenüber einer Person, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat“) und den Regelungen des Übereinkommens (lit a: gesamtes Übereinkommen, lit b: Anerkennung und Vollstreckung, lit c: gesamtes Übereinkommen ohne Kapitel II – Zusammenarbeit auf Verwaltungsebene – und Kapitel III – Anträge über die Zentralen Behörden). 2 Abs 2 S 1 erlaubt einen inhaltlich beschränkten Vorbehalt zu Art 2 Abs 1 lit a. Danach kann

ein Vertragsstaat den Anwendungsbereich des Übereinkommens, soweit er Unterhaltspflichten gegenüber Kindern betrifft, auf Kinder limitieren, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Mithilfe dieses von der griechischen Delegation vorgeschlagenen Vorbehalts soll auch solchen Staaten der Beitritt zu dem Übereinkommen ermöglicht werden, die die in Abs 1 lit a gezogene Altersgrenze als unvereinbar mit ihrem innerstaatlichen, auf 18 Jahre abstellenden Recht ansehen.1 Abs 2 S 2 gestattet es den anderen Vertragsstaaten, gegenüber einem Staat, der den Vorbehalt erklärt hat, die Anwendung des Übereinkommens auf ältere Kinder zu versagen. 3 Abs 3 S 1 erlaubt den Vertragsstaaten die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des ge-

samten Übereinkommens oder von Teilen des Übereinkommens auf andere Unterhaltspflichten durch Erklärung gegenüber dem Verwahrer.2 Nach Abs 3 S 2 entstehen durch eine solche ausdehnende Erklärung Verpflichtungen zwischen den Vertragsstaaten nur, soweit diese sich deckende ausdehnende Erklärungen abgegeben haben. 4 Abs 4 stellt sicher, dass das Übereinkommen auf eheliche wie uneheliche Kinder gleicher-

maßen Anwendung findet. II. Entstehungsgeschichte 5 Wie schon das Vorhandensein der Vorbehalts- und Ausdehnungsmöglichkeiten in Abs 2 u 3

zeigt, war die Bestimmung des Anwendungsbereichs des Übereinkommens einer der schwierigen Punkte in den Verhandlungen.3 Ursprünglich war in Anlehnung an Art 1 Abs 1 HUntAVÜbk 1973 angestrebt worden, ein Übereinkommen für alle Unterhaltspflichten aus Beziehungen der Familie, Verwandtschaft, Ehe und Schwägerschaft zu schaffen.4 Bereits der 1 2 3

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Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 506. In österreichischer und schweizerischer Terminologie sowie im ABl EU 2011 L 192/51, 64: Depositar. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 504 ff; Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 318 f; Malatesta Riv dir int civ proc 2009, 829, 830 f.

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Kapitel I: Ziel, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Art 2 HUntVerfÜbk

Entwurf vom Oktober 2005 sah indes in seinem Art 44 eine umfangreiche Vorbehaltsmöglichkeit vor.5 Die endgültige Fassung der Abs 1-3 geht auf die entschiedene Haltung der USA zurück. Nach der dortigen föderalen Gewaltenteilung zwischen Einzelstaaten und Bund kann der Bund einem völkerrechtlichen Übereinkommen nur beitreten, wenn sich dieses auf Kindesunterhalt, auf die Anerkennung und Vollstreckung von Anträgen auf Ehegattenunterhalt, die im Zusammenhang mit Kindesunterhalt stehen, sowie auf Ehegattenunterhalt mit Ausnahme der Kapitel über die behördliche Zusammenarbeit beschränkt.6 Daher musste der Anwendungsbereich so formuliert und mit einer Vorbehaltsmöglichkeit kombiniert werden, dass den USA der Beitritt möglich blieb.7 In der Anwendbarkeit auf eheliche wie uneheliche Kinder (Abs 4) schließlich sahen einige Staaten unter Verweis auf das islamische Recht zunächst Schwierigkeiten, die Vorschrift konnte aber angenommen werden.8 III. Einzelerläuterung 1. Unterhaltspflicht Der Begriff der Unterhaltspflicht ist autonom auszulegen. Er umfasst sowohl ex lege be- 6 stehende als auch durch den Richter bestimmte Unterhaltspflichten. Entscheidend ist, dass es sich um Leistungen handelt, die den Empfänger von Aufwand und Kosten des alltäglichen Lebens zumindest teilweise entlasten sollen. Ein Rückgriff auf eine engere nationale Terminologie scheidet aus. Unerheblich ist, ob der Unterhalt in regelmäßig wiederkehrenden Leistungen oder in einer Gesamtabfindung besteht (zu allem Art 1 Rn 3). 2. Kindesunterhalt a) Kind Aus Abs 1 lit a folgt, dass Kind iSd Übereinkommens grundsätzlich jede noch nicht 21 Jahre 7 alte Person ist; ein Vertragsstaat kann allerdings gem Abs 2 durch Vorbehalt diese Altersgrenze auf 18 Jahre herabsetzen und ältere Kinder nicht in den Genuss des Übereinkommens kommen lassen. Das Alter hat die jeweils angerufene Behörde bzw das jeweils angerufene Gericht festzustellen; bei einem bereits laufenden Verfahren besteht eine Bindungswirkung nur, soweit Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung in Rede stehen (Art 27). 4

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Vgl Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 3 m Fn 13; ebenso noch Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 4. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 19. Bureau Permanent, Observations portant sur l’Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille reçues par le Bureau Permanent, Doc prél No 23, juin 2006, Proposal by the delegation of the United States of America, S 44; siehe schon Borrás/Beilfuss REDI LV (2003) 582, 583; Spector YB PIL 7 (2005) 63, 64 f; Carlson Fam LQ 43 (2009) 21, 26 f. Siehe nur Bartl Die neuen Rechtsinstrumente zum IPR des Unterhalts (2012) 36. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 505; Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 320; Malatesta Riv dir int civ proc 2009, 829, 832.

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Art 2 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

b) Eltern-Kind-Beziehung 8 Wann eine Eltern-Kind-Beziehung vorliegt, bestimmt das Übereinkommen nicht. Im Re-

gelfall stellen sich hier eher Tatsachen- als Rechtsfragen. Bei der Feststellung der tatsächlichen Abstammung können Zentrale Behörden eines anderen Vertragsstaats gem Art 6 Abs 2 lit h, ggf auf Antrag gem Art 10 Abs 1 lit c, zur Hilfe verpflichtet sein. Rechtsfragen werfen insbesondere die Fälle der Adoption, der Leihmutterschaft und der künstlichen Befruchtung auf.9 In Betracht kommt eine übereinkommensautonome Auslegung oder eine Bestimmung mithilfe des Internationalen Privatrechts. Allein Art 53 gibt noch nicht die autonome Auslegung vor, mag auch seine Grundidee hierauf hindeuten. Denn eine einheitliche Anwendung kann auch darin bestehen, dass alle Staaten die Frage einheitlich nach den Regeln ihres Internationalen Privatrechts beantworten. 9 Für die internationalprivatrechtliche Lösung ließe sich vorbringen, dass ohnehin an ir-

gendeiner Stelle das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs geprüft werden muss. Zur Prüfung eines Unterhaltsanspruchs ist aber auch das Vorliegen einer Eltern-Kind-Beziehung nach dem Recht zu prüfen, das das konkret anzuwendende Internationale Privatrecht beruft. Indessen wenden Gerichte und Behörden jeweils ihr eigenes Internationales Privatrecht an. Dies könnte in ein und demselben Fall zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, besteht doch in der Frage der Anwendbarkeit des Übereinkommens – anders als gem Art 28 in der Frage der sachlichen Richtigkeit einer anzuerkennenden und zu vollstreckenden Entscheidung – kein Verbot der révision au fond (vgl Art 12 Abs 8). Dass ein Übereinkommen, welches die Koordination zwischen Gerichten und Behörden verschiedener Staaten fördern will, eine unterschiedliche Handhabung des Anwendungsbereichs durch die beteiligen Behörden und Gerichte in ein und demselben Fall zulässt, kann kaum angenommen werden. 10 Das Gegenmodell einer übereinkommensautonomen Auslegung des Eltern-Kind-Verhält-

nisses schließt es aus, dass in ein und demselben Fall die Behörden und Gerichte eines Staates das Übereinkommen rechtlich zutreffend für anwendbar halten, die Behörden und Gerichte eines anderen Staats ebenfalls rechtlich zutreffend zum gegenteiligen Ergebnis kommen. Allerdings kann diese Lösung zur Folge haben, dass ein Gericht oder eine Behörde materiellrechtlich eine Eltern-Kind-Beziehung verneint und dennoch das Übereinkommen anwendet, wenn dieses einen weiteren Begriff des Eltern-Kind-Verhältnisses verwendet; ebenso könnte trotz Bejahens eines Anspruchs auf Kindesunterhalt nach dem anwendbaren Recht das Übereinkommen unanwendbar sein, wenn es das Eltern-Kind-Verhältnis enger versteht. Ein solches Auseinanderfallen kann indes hingenommen werden, da hierin angesichts der unterschiedlichen Aufgaben von materiellem Recht und Verfahrensrecht kein logischer Widerspruch liegt. Man wird daher das Vorliegen einer Eltern-Kind-Beziehung für die Zwecke des Übereinkommens autonom zu bestimmen haben. 11 Für eine Eltern-Kind-Beziehung iSd Übereinkommens, nach dem ein Kind noch keine

21 Jahre alt sein darf, wird man auf jeden Fall einen gewissen Altersunterschied sowie eine besondere Beziehung verlangen müssen, die auf unmittelbarer biologischer Abstammung im weitesten Sinne oder auf einer durch Hoheitsakt geschaffenen rechtlichen Verbindung beruht, deren Regeln denen angenähert sind, die in dem die Verbindung schaffenden Recht für das Verhältnis von Eltern und Kindern gelten. Weitere Einschränkungen vorzunehmen und so beispielsweise eine Eltern-Kind-Beziehung zwischen der genetischen Mutter und 9

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Rosettenstein International Journal of Law, Policy and the Family 22 (2008) 122, 123.

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Kapitel I: Ziel, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

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dem von einer Leihmutter ausgetragenen Kind abzulehnen, erscheint hingegen nicht angezeigt. Das Übereinkommen bemüht sich nur um verfahrensrechtliche Erleichterungen. Selbst wenn das Übereinkommen zB sowohl im Verhältnis zur Leihmutter als auch im Verhältnis zur genetischen Mutter zur Anwendung kommen sollte, ist die zweifache Anwendung seiner günstigen Verfahrensregeln auch für Rechtsordnungen erträglich, die davon ausgehen, dass ein Kind nur eine Mutter haben könne. c) Unterhaltsanspruch des Kindes Gem Art 2 Abs 1 lit a ist das – gesamte – Übereinkommen auf Unterhaltspflichten aus einer 12 Eltern-Kind-Beziehung gegenüber einem Kind vor Vollendung des 21. Lebensjahres anzuwenden. Diese Bestimmung erfasst nur Unterhaltsansprüche des Kindes gegen seine Eltern. Sie erfasst hingegen weder eventuelle Ansprüche der Eltern gegen das Kind noch eventuelle Ansprüche des Kindes gegen seine Großeltern, Geschwister oder andere Verwandte. Solche Ansprüche können aber durch Erklärung nach Abs 3 in den Anwendungsbereich des Übereinkommens einbezogen werden. 3. Unterhalt zwischen Ehegatten und früheren Ehegatten a) Ehegatten Das Übereinkommen lässt den Begriff der Ehegatten undefiniert. In Betracht kommt wie- 13 derum eine autonome Auslegung oder eine Lösung über das Internationale Privatrecht. Für die internationalprivatrechtliche Lösung kann auch hier ins Feld geführt werden, dass im Rahmen der Prüfung, ob eine Unterhaltspflicht besteht, ohnehin das Vorliegen einer Ehe nach dem auf diese Teilfrage anzuwendenden Recht festgestellt werden muss. Gegen die internationalprivatrechtliche Lösung spricht hingegen wiederum die Gefahr, dass Behörden und Gerichte in ein und demselben Fall die Frage der Anwendbarkeit des Übereinkommens unterschiedlich beurteilen (vgl Rn 7-9). Man sollte daher von einem übereinkommenseigenen Ehebegriff ausgehen. Ehe im Sinne des Übereinkommens sind sicher nur solche Partnerschaften, die in irgend- 14 einem Staat eine wie auch immer geartete förmliche Anerkennung gefunden haben und bei denen die Beziehungen zwischen den Partnern einem besonderen Rechtsregime unterliegen. Fraglich ist, ob darüber hinaus an eine Ehe iSd Übereinkommens weitere Anforderungen zu stellen sind, wie insbesondere die Verschiedengeschlechtlichkeit, die Monogamie, die Dauerhaftigkeit, eine über bloße Solidarität hinausgehende Zwecksetzung etc. Da viele Staaten mit gleichgeschlechtlichen Beziehungen Schwierigkeiten haben,10 das Übereinkommen aber insoweit keine Vorbehaltsmöglichkeit kennt, sollte als Ehe nur die klassische Partnerschaft zwischen Frau und Mann angesehen werden.11 Nicht ebenso dringend erscheint hingegen eine Beschränkung auf monogame Partnerschaften, sodass hier der Schutzgedanke ausschlaggebend sein sollte und etwa auch einer von mehreren Frauen eines Mannes die günstigen Vorschriften des Übereinkommens zugute kommen sollten.

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Vgl Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 528. Andrae Internationales Familienrecht § 8 Rn 16; vgl auch Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 49 zur Ablehnung eines Antrags, „situations analogues au mariage en vertu de la loi applicable“ mit einzubeziehen.

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Art 2 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

b) Grundregel 15 Die Grundregel für Unterhaltsansprüche zwischen Ehegatten und früheren Ehegatten stellt

Abs 1 lit c auf. Danach finden die Kapitel I über Ziel, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen, IV über Einschränkungen bei der Verfahrenseinleitung, V über die Anerkennung und Vollstreckung, VI über die Vollstreckung durch den Vollstreckungsstaat, VII über öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen sowie die Allgemeinen Bestimmungen des Kapitels VIII und die Schlussbestimmungen des Kapitels IX stets auch auf Unterhaltsansprüche zwischen Ehegatten und früheren Ehegatten Anwendung. Ein Vorbehalt ist diesbezüglich nicht möglich. Die Herausnahme der Kapitel II über die Zusammenarbeit auf Verwaltungsebene und III über Anträge über die Zentralen Behörden, die auf die Rechtslage in den USA zurückgeht (Rn 5), führt dazu, dass für Unterhaltsansprüche zwischen Ehegatten und früheren Ehegatten grundsätzlich nur unmittelbare Anträge gem Art 37 möglich sind.12 c) Antrag zusammen mit einem Kindesunterhalt betreffenden Anspruch 16 Abs 1 lit b, der die Anwendung des Übereinkommens auf die Anerkennung und Vollstre-

ckung oder die Vollstreckung einer Entscheidung über Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten oder früheren Ehegatten dann vorsieht, wenn der Antrag zusammen mit einem Kindesunterhalt betreffenden Anspruch nach Abs 1 lit a gestellt wird, erscheint zunächst überflüssig, da ja die Kapitel V und VI über Anerkennung und Vollstreckung sowie die Vollstreckung durch den Vollstreckungsstaat bereits von Abs 1 lit c erfasst sind. In der Tat hat er insoweit keine eigene Bedeutung, als die entsprechenden Regeln des Übereinkommens ohnehin gem Abs 1 lit c Anwendung finden. 17 Seltsam erscheint auch die Formulierung, nach der ein „Antrag“ zusammen mit einem

„Anspruch“ gestellt wird. Auch der verbindliche englische Text („the application is made with a claim“) bleibt unklar. Im ebenfalls verbindlichen französischen Text steht hingegen an der Stelle des Anspruchs eine Klage („la demande est présentée conjointement à une action“), mithin ebenfalls ein verfahrensrechtlicher Akt. Es geht also um zusammen gestellte Anträge,13 deren einer den Kindesunterhalt, der andere den Unterhalt zwischen Ehegatten oder früheren Ehegatten betrifft, wobei zumindest hinsichtlich des Antrags auf Ehegatten- bzw Scheidungsunterhalt nur die Anerkennung und Vollstreckung oder die Vollstreckung einer Entscheidung begehrt sein dürfen.

18 Sinn ergibt Abs 1 lit b nur dann, wenn man davon ausgeht, dass der den Kindesunterhalt

betreffende Antrag zumindest auch auf Anerkennung und Vollstreckung oder Vollstreckung gerichtet ist.14 Dann können die Erleichterungen, die die Kapitel II und III für einen solchen Antrag vorsehen, gem Abs 1 lit b ausnahmsweise auch Ehegatten oder früheren Ehegatten zugutekommen. In den Fällen des Abs 1 lit b können also gem Art 10 Abs 1 lit a, b, Abs 2 lit a iVm Art 6, 12, 14 Zentrale Behörden zur Übermittlung, Förderung und Hilfestellung im Zusammenhang mit Anträgen auf Anerkennung und Vollstreckung oder Vollstreckung solcher Unterhaltsentscheidungen eingeschaltet werden, die den Unterhalt zwi12 13 14

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Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 528. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 47. Vgl Levante FS Schwander (2011) 729, 733: „gleichzeitig mit der Kindesunterhaltssache geltend gemacht“; Malatesta Riv dir int civ proc 2009, 829, 831; undeutlich Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 47.

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Kapitel I: Ziel, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

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schen Ehegatten oder frühere Ehegatten betreffen; zur Anwendung kommen dann auch Art 13 und 17. Ein Vorbehalt hiergegen ist wiederum nicht möglich. Auch diese Vorschrift erklärt sich mit der Rechtslage in den USA (Rn 5). 4. Vorbehalt gem Abs 2 Gem Abs 2 S 1 kann ein Vertragsstaat einen Vorbehalt gegen die Behandlung solcher Per- 19 sonen als Kinder iSd Abs 1 lit a anbringen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Für den Zeitpunkt der Anbringung des Vorbehalts, seine Rücknahme und seine Wirkung gilt Art 62. Die Möglichkeit einer Beschränkung auf 18 Jahre hielten einige Staaten für erforderlich, um einen Widerspruch zu ihrem innerstaatlichen Volljährigkeitsalter zu vermeiden; auch durch wiederholte Hinweise, dass das Übereinkommen die Vertragsstaaten insoweit nicht zur Änderung ihres Rechts verpflichte, ließen sich die Bedenken dieser Staaten nicht ausräumen.15 Nach dem Wortlaut des Abs 2 S 1 nicht möglich ist ein Vorbehalt, der Abs 1 lit a auf 20 Personen beschränkt, die mehr als das 18. Lebensjahr vollendet haben, aber noch nicht 21 Jahre alt sind – also etwa eine Beschränkung auf Personen, die das 19. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Für die Zulassung auch solcher „milderer“ Vorbehalte könnte sprechen, dass auch andere Volljährigkeitsalter als 18 bzw 21 Jahre denkbar sind und Abs 2 S 2 von „Personen der Altersgruppe“ spricht, „die durch []einen Vorbehalt ausgeschlossen sind“, also die Altersgruppe offenzulassen scheint, weil er die vom Vorbehalt betroffenen Personen nicht exakt als Personen bezeichnet, die das 18. Lebensjahr vollendet, das 21. aber noch nicht vollendet haben. Schließlich würde es dem Ziel des Übereinkommens entgegenkommen, möglichst viele Personen zwischen 18 und 21 Jahren noch in seinen Anwendungsbereich einzubeziehen. Allerdings nimmt Abs 1 lit a gerade nicht auf die Frage der Volljährigkeit Bezug, die ohnehin in den meisten Ländern nicht mehr mit 21, sondern mit 18 Jahren einsetzt. Die Formulierung in Abs 2 S 2 kann auch lediglich deshalb gewählt worden sein, um eine weitere Nennung der Altersgrenze zu vermeiden. Vor allem aber zeigt sich im Ausschluss aller nicht explizit vorgesehenen Vorbehalte durch Art 62 Abs 1 S 2 das auch im Rahmen der Vorbereitung immer wieder geäußerte Bestreben, die Zahl der Abweichungen möglichst gering zu halten. Diesem Bestreben wird man größeres Gewicht zumessen müssen als dem Gedanken einer Einbeziehung möglichst vieler Personen, wäre doch sonst der Tolerierung verschiedenster Ausdehnungen seitens einzelner Vertragsstaaten Tür und Tor geöffnet. Bringt ein Vertragsstaat einen Vorbehalt nach Abs 2 S 1 wirksam an, so kann er nach Abs 2 21 S 2 von anderen Vertragsstaaten nicht die Anwendung des Übereinkommens auf Personen der ausgeschlossenen Altersgruppe verlangen. Es gilt Reziprozität (vgl Art 62 Abs 4). Schon aus dem Wortlaut („nicht berechtigt … zu verlangen“), erst recht aus Präambel, Zielen und Geist des Übereinkommens folgt aber, dass es anderen Vertragsstaaten nicht verwehrt ist, Personen dieser Altersgruppe dennoch die Erleichterungen und Begünstigungen des Übereinkommens zu gewähren. Einen Vorbehalt nach Abs 2 hat bislang nur die Ukraine angebracht.

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Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1314; Borrás FS Siehr (2010) 173, 184.

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Art 2 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

5. Erklärung gem Abs 3 23 Gem Abs 3 S 1 kann jeder Vertragsstaat die Anwendung des Übereinkommens durch

Erklärung nach Art 63 auf weitere Unterhaltspflichten aus Beziehungen der Familie, Verwandtschaft, Ehe oder Schwägerschaft ausdehnen; die Nennung der Pflichten gegenüber schutzbedürftigen Personen (Legaldefinition in Art 3 lit f) reflektiert die schwierigen Verhandlungen,16 hat aber nur exemplarischen Charakter. Dank dieser großzügigen Ausdehnungsmöglichkeit können die Vertragsstaaten den Anwendungsbereich des Übereinkommens dem Anwendungsbereich des HUntAVÜbk 1973 angleichen – das nach seinem Art 1 Abs 1 für alle diese Unterhaltspflichten gilt, in seinem Art 26 Abs 1 Nr 1 aber eine einschlägige Vorbehaltsmöglichkeit kennt, von der auch verschiedene Vertragsstaaten jenes Übereinkommens Gebrauch gemacht haben – und damit jenes Übereinkommen insoweit ersetzen (Art 48).17 Möglich und von der EU angestrebt (Rn 26) ist auch eine Angleichung an den gleichermaßen umfassenden Anwendungsbereich der EG-UntVO. 24 Die Ausdehnung kann unbeschränkt, aber grundsätzlich auch nach beliebigen (siehe aber

Rn 28) Kriterien wie etwa dem Alter beschränkt oder nur für bestimmte Teile des Übereinkommens erklärt werden.18 25 Für den Zeitpunkt der Erklärung, ihre Änderung, ihre Rücknahme und ihre Wirkung gilt

Art 63 und hinsichtlich der Gegenseitigkeit Abs 3 S 2, sodass ein anderer Vertragsstaat nur dann die Anwendung des Übereinkommens geltend machen kann, wenn er selbst ebenfalls eine erweiternde Erklärung nach Art 3 S 1 abgegeben hat, nach der auf einen spiegelbildlichen Fall das Übereinkommen Anwendung finden würde. 26 Erklärungen nach Abs 3 mit verschiedenen Beschränkungen haben Albanien, Norwegen

und die Ukraine abgegeben.19 Die EU hat eine Erklärung abgegeben, nach der sie die Anwendung der Kapitel II und III des Übereinkommens auf Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten und früheren Ehegatten erstreckt.20 Zudem hat sie im Wege einer – so nicht vorgesehenen – einseitigen Erklärung zugesichert, innerhalb von sieben Jahren die Möglichkeit einer Ausdehnung auf alle Unterhaltspflichten aus Beziehungen der Familie, Verwandtschaft, Ehe oder Schwägerschaft zu prüfen.21 6. Unerheblichkeit des Familien- bzw Zivilstands 27 Gem Abs 4 ist das Übereinkommen unabhängig vom Familienstand bzw Zivilstand

(schweizerische Terminologie) auf Kinder anzuwenden. Dies entspricht Art 1 Abs 1 HUntAVÜbk 1973, der Unterhaltspflichten gegenüber einem nichtehelichen Kind einbezog.

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Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 506 f; Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 319 f, Duncan Fam LQ 43 (2009) 1, 9; Goicoechea La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-9) 36, 37; Nimmerrichter Handbuch Rn 207. Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 528. Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 319. Im Einzelnen abrufbar unter www.hcch.net Conventions Nr 38 Etat présent. Rat der EU, 9.4.2014, Art 1 Nr 1 iVm Anhang I B, ABl EU L 113/1, 3. Rat der EU, 9.6.2011, Art 4 Abs 2 iVm Anhang IV, ABl EU L 192/39, 50 (insoweit durch Beschluss v 9.4. 2014 nicht geändert).

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Kapitel I: Ziel, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Art 3 HUntVerfÜbk

Damit steht fest, dass es im Rahmen des Abs 1 lit a nicht auf die Ehelichkeit eines Kindes ankommen kann. Der Formulierung als eigener, nach den Abs 2 und 3 stehender Absatz ohne Vorbehalts- 28 möglichkeit wird man zu entnehmen haben, dass auch im Rahmen von Vorbehalten oder erweiternden Erklärungen der Familien- bzw Zivilstand eines Kindes keine Rolle spielen darf. Hierfür sprechen auch Art 2 und 27 der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen v 20.11.1989, auf die sich die Präambel beruft. Ein Vertragsstaat darf also nicht etwa eine Erklärung gem Abs 3 abgeben, nach der der Anwendungsbereich des Übereinkommens lediglich für eheliche Kinder bis zu einem Alter von 25 Jahren ausgedehnt wird. Denn eine solche Erklärung stünde im Widerspruch zu Abs 4, der die Ehelichkeit für die gesamte Anwendung des Übereinkommens – also auch, wenn sie auf einer ausdehnenden Erklärung beruht – für unerheblich erklärt. IV. Vergleich mit der EG-UntVO Der Anwendungsbereich der EG-UntVO kommt ohne die recht komplizierten Windungen 29 des Abs 1 aus und umfasst alle Unterhaltspflichten, die auf einem Familien-, Verwandtschafts- oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen (Art 1 Abs 1 EGUntVO). Vorbehalte oder Ausdehnungen lässt die EG-UntVO als unmittelbar anwendbares Recht nicht zu. Die Unabhängigkeit der Kindeseigenschaft vom Familienstand der Eltern folgt schon aus dem Fehlen einer Differenzierung im Text selbst (vgl Art 46), im Übrigen aus Art 21 Abs 1 der Grundrechtecharta.

Artikel 3: Begriffsbestimmungen Im Sinne dieses Übereinkommens a) bedeutet „berechtigte Person“ eine Person, der Unterhalt zusteht oder angeblich zusteht; b) bedeutet „verpflichtete Person“ eine Person, die Unterhalt leisten muss oder angeblich leisten muss; c) bedeutet „juristische Unterstützung“ die Unterstützung, die erforderlich ist, damit die Antragsteller ihre Rechte in Erfahrung bringen und geltend machen können und damit sichergestellt werden kann, dass ihre Anträge im ersuchten Staat in umfassender und wirksamer Weise bearbeitet werden. Diese Unterstützung kann gegebenenfalls in Form von Rechtsberatung, Hilfe bei der Vorlage eines Falles bei einer Behörde, gerichtlicher Vertretung und Befreiung von den Verfahrenskosten geleistet werden; d) bedeutet „schriftliche Vereinbarung“ eine Vereinbarung, die auf einem Träger erfasst ist, dessen Inhalt für eine spätere Einsichtnahme zugänglich ist; e) bedeutet „Unterhaltsvereinbarung“ eine schriftliche Vereinbarung über Unterhaltszahlungen, die i) als öffentliche Urkunde von einer zuständigen Behörde förmlich* errichtet oder eingetragen worden ist oder ii) von einer zuständigen Behörde beglaubigt oder eingetragen, mit ihr geschlossen oder bei ihr hinterlegt worden ist und von einer zuständigen Behörde überprüft und geändert werden kann; *

Schweiz: formell.

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Art 3 HUntVerfÜbk

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f) bedeutet „schutzbedürftige Person“ eine Person, die aufgrund einer Beeinträchtigung oder der Unzulänglichkeit ihrer persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen.

I. Normzweck 1 Art 3 enthält Begriffsbestimmungen für einige der im Übereinkommen verwendeten Be-

griffe. Damit soll ein einheitliches Verständnis solcher Begriffe sichergestellt und festgeschrieben werden, die von zentraler Bedeutung für das Übereinkommen sind, in eher technischer Hinsicht unterschiedlich ausgelegt werden können oder das Ergebnis einer Einigung auf die Reichweite bestimmter Pflichten der Vertragsstaaten sind, die die Delegationen außer Streit stellen wollten. II. Entstehungsgeschichte 2 Der Entwurf vom April 2004 enthielt zwar bereits einen eigenen Artikel mit Definitionen.

Ob es einheitlicher Definitionen bedurfte, war jedoch seinerzeit noch nicht entschieden. Keiner der in diesem Entwurf definierten Begriffe findet sich so im heutigen Art 3. Die Definition von „Entscheidung“ ist in der heutigen Fassung allein in Art 19 Abs 1 S 2 als Kopfnorm des Kapitels V über die Anerkennung und Vollstreckung zu finden; allerdings sollten Entscheidungen im Sinne dieses Entwurfs auch bestimmte Unterhaltsvereinbarungen sein, denen sich heute lit d und e widmen.1 Der Entwurf vom Oktober 20052 befasste sich in seinen ersten drei Definitionen bereits mit Begriffen, die den Begriffen der heutigen lit a-c entsprechen; „juristische Unterstützung“ (lit c) war jedoch noch nicht allgemein, sondern nur anhand der auch im Übereinkommenstext in S 2 genannten Beispiele definiert. Die weiteren zwei Definitionen in diesem Entwurf wurden später wieder fallengelassen; Definitionen für Unterhaltsvereinbarungen waren in die Kopfnorm über Anerkennung und Vollstreckung abgewandert,3 von wo sie erst im letzten Moment in die allgemeine Vorschrift des Art 3 zurückgeführt wurden.4 Die allgemeine Definition der „juristischen Unterstützung“ fand ebenfalls erst spät Eingang in den Übereinkommenstext,5 wobei bis zuletzt umstritten war, ob die heute in lit c S 2 genannten Formen nur beispielhaft genannt oder einen zwingenden Mindeststandard darstellen sollten.6 Erst ganz zum Schluss kam die Definition der „schutzbedürftigen Person“ (lit f) hinzu.7 1

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Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 4 m Fn 18 f; zu den Diskussionen um eine Definition von „Entscheidung“ Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 60. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 4. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 11. Vgl noch Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 4, 13. Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 4. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 508 f. Vgl noch Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 4.

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Kapitel I: Ziel, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Art 3 HUntVerfÜbk

III. Einzelerläuterung 1. Berechtigte Person „Berechtigte Person“ ist nach lit a eine Person, der Unterhalt zusteht oder angeblich zusteht, 3 also der wahre Gläubiger oder derjenige, der einen ihm in Wahrheit nicht zustehenden Unterhaltsanspruch behauptet. Die Verwendung dieses allgemeinen Begriffs bietet sich für ein Übereinkommen an, das nicht die Feststellung der materiellen Rechtslage, sondern die Erleichterung des Verfahrens zum Gegenstand hat. Zugleich erleichtert sie eine Ausdehnung des persönlichen Anwendungsbereichs gem Art 2 Abs 3. Der Begriff der „berechtigten Person“ findet sich nur in der deutschen Übersetzung. In der 4 verbindlichen englischen und französischen Fassung ist vom Gläubiger („creditor“, „créancier“) die Rede. Die Übersetzung wollte damit wohl präziser sein als das Original und denjenigen, der sich eines in Wahrheit nicht bestehenden Unterhaltsanspruchs berühmt, nicht als Gläubiger bezeichnen. 2. Verpflichtete Person Für die Definition der „verpflichteten Person“ in lit b gilt das zur „berechtigten Person“ 5 Gesagte mutatis mutandis. Der verbindliche englische und französische sprechen wiederum unbefangener vom Schuldner („debtor“, „débiteur“). 3. Juristische Unterstützung Die in lit c definierte „juristische Unterstützung“ stellt einen Kernbegriff des Übereinkom- 5a mens dar, sind doch nicht nur die Zentralen Behörden nach Art 6 Abs 2 lit a verpflichtet, in Bezug auf die Unterhaltsanträge nach Kapitel III alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um juristische Unterstützung zu gewähren oder die Gewährung juristischer Unterstützung zu erleichtern, sondern müssen auch die Staaten selbst nach Art 14-17 in erheblichem Umfang juristische Unterstützung leisten. Zur Definition der „juristischen Unterstützung“ bringt lit c zunächst eine allgemeine Um- 6 schreibung, die unter zwei Aspekten auf die Erforderlichkeit abstellt. Geschuldet ist zum einen die Unterstützung, die erforderlich ist, damit ein „Antragsteller“ seine Rechte in Erfahrung bringen und geltend machen kann. Unter einem „Antragsteller“ ist dabei über den Wortlaut hinaus nach Sinn und Zweck nicht nur derjenige zu verstehen, der tatsächlich einen Antrag gestellt hat, sondern auch derjenige, der einen Antrag stellen könnte. Dabei zeigt Art 10 in seinen Absätzen 1 und 2, dass Antragsteller sowohl die berechtigte Person (Art 10 Abs 1) als auch die verpflichtete Person (Art 10 Abs 2) sein kann. Zum anderen ist geschuldet die Unterstützung, die erforderlich ist, um sicherzustellen, dass ein Antrag im ersuchten Staat effektiv, „in umfassender und wirksamer Weise“, bearbeitet werden kann. Die allgemeine Umschreibung der „juristischen Unterstützung“ wird in einem weiteren Satz 7 ergänzt um Beispiele von Formen, die diese Unterstützung annehmen kann, nämlich „Rechtsberatung, Hilfe bei der Vorlage eines Falles bei einer Behörde, gerichtliche[] Vertretung und Befreiung von den Verfahrenskosten“. Diese Liste ist nicht abschließend. Schon die genannten Beispiele umfassen die Rechtsberatung durch öffentliche Stellen wie etwa die

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Zentrale Behörde, aber auch durch Private, insbesondere Rechtsanwälte oder Unterstützungsvereine. Mit „Hilfe bei der Vorlage des Falles bei einer Behörde“ ist ebenfalls eine frühzeitige Hilfestellung durch öffentliche Einrichtungen oder Private abgedeckt. Gerichtliche Vertretung meint nicht die Wahrnehmung von Interessen des Unterhaltspflichtigen durch das Gericht, sondern die Vertretung vor Gericht („legal representation“, „représentation en justice“), etwa durch einen bestellten Vormund8 oder eine Behörde (zB das Jugendamt als Amtsvormund9).10 Befreiung von den Verfahrenskosten kann ganz oder teilweise erfolgen. Maßstab für die zu wählende Form der Unterstützung ist stets die in der allgemeinen Umschreibung enthaltende „doppelte Erforderlichkeit“ (Rn 6). 4. Schriftliche Vereinbarung 8 Die Definition der „schriftlichen Vereinbarung“ in lit d verwendet einen modernen Schrift-

lichkeitsbegriff, für den die Erfassung auf einem Träger genügt, der die spätere Einsichtnahme erlaubt;11 diese „Technologie- und Medienneutralität“12 soll das Übereinkommen für künftige Entwicklungen offen halten. Als Träger in diesem Sinne ist nicht nur ein Datenträger in den Händen einer der Parteien wie eine Festplatte, eine CD oder ein USB-Stick anzusehen, sondern auch die Speicherung an nicht ohne Weiteres bekanntem Ort in der „Cloud“, da auch dort ein Träger in Gestalt eines oder mehrerer Server existiert. Hierfür spricht Erwägungsgrund 4 der Präambel (vgl Präambel Rn 5, 8). Sicher erfasst ist mithin ein Schriftverkehr per E-Mail.13 Eine rein einseitige Erklärung stellt hingegen keine Vereinbarung dar. 5. Unterhaltsvereinbarung 9 „Unterhaltsvereinbarung“ iSd Übereinkommens ist gem lit e nur eine schriftliche Verein-

barung (lit d) über Unterhaltszahlungen, die von einer zuständigen Behörde – insbesondere auch einem Notar14 – in öffentlicher Urkunde errichtet oder eingetragen wurde (lit e Nr i) oder zumindest eine gewisse behördliche Anerkennung durch Beglaubigung, Eintragung, Abschluss mit der Behörde selbst oder Hinterlegung bei dieser erfahren hat (lit e Nr ii), wobei stets die Möglichkeit einer Überprüfung und Abänderung durch die zuständige Behörde gegeben sein muss (lit e aE). Entscheidend ist also die Beteiligung und inhaltliche Verantwortung der zuständigen Behörde.15

10 Bemerkenswert ist dabei, dass das Übereinkommen auf die Zuständigkeit der Behörde 8 9 10

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Vgl für Deutschland §§ 1773 ff BGB. Vgl für Deutschland §§ 1751 Abs 1 S 2 HS 1, 1791c BGB. Vgl Bureau Permanent, Questions se rapportant à l’esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 21, juin 2006, S 5 sub 2. Vgl die Textform des deutschen § 126b BGB. Hirsch Europäisches Unterhaltsrecht (2010) 17, 21 m Fn 17; Lortie YB PIL 10 (2008) 359, 360 ff; Lortie IFL March 2012, 118, 120. Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 533 Fn 52. Vgl Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 73. Vgl mit Beispielen erfasster Unterhaltsvereinbarungen in Österreich Nimmerrichter Handbuch Rn 227229.

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Kapitel I: Ziel, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Art 3 HUntVerfÜbk

großes Gewicht legt. Ob die Zuständigkeit nachzuprüfen ist bzw nachgeprüft werden darf, ist dem jeweiligen Kontext zu entnehmen. 6. Schutzbedürftige Person Als „schutzbedürftige Person“ sieht das Übereinkommen eine Person, die nicht für sich 11 sorgen kann, wobei als Ursache eine – spätere – Beeinträchtigung oder eine – anfängliche – Unzulänglichkeit ihrer persönlichen Fähigkeiten in Betracht kommt (lit f). Mit dem „FürSich-Sorgen“ muss im Kontext des Übereinkommens die Fähigkeit gemeint sein, eventuelle Unterhaltsansprüche zu erkennen und in erfolgversprechender Weise geltend zu machen. Diese Fähigkeit fehlt nur bei in der Person des Unterhaltsberechtigten liegenden – physischen, psychischen oder intellektuellen – Hindernissen, nicht bei materieller Bedürftigkeit oder Zeitmangel, etwa infolge einer fordernden Ausbildung.16 Schutzbedürftige Person iSd lit f kann eine nicht volljährige Person sein, da lit f Volljährig- 12 keit oder auch nur Alter mit keinem Wort erwähnt. Vor allem aber kann schutzbedürftige Person auch ein – insbesondere auch über 21 Jahre alter – Erwachsener sein, wie schon die terminologische Nähe zu Art 1 Abs 1 HErwSÜbk 2000 nahe legt. Nur hinsichtlich schutzbedürftiger Erwachsener kommt lit f innerhalb des Übereinkommens Bedeutung zu: Zum einen erlaubt Art 2 Abs 3 eine generelle Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf schutzbedürftige Personen durch Erklärung gem Art 63. Zum anderen lässt Art 37 Abs 3 unmittelbare Anträge auf Anerkennung und Vollstreckung auch insoweit unter das Übereinkommen fallen, als die anzuerkennende oder zu vollstreckende Entscheidung einer schutzbedürftigen Person wegen dieser Schutzbedürftigkeit Unterhalt auch für die Zeit nach Erreichen des 21. bzw 18. Lebensjahres zuspricht, sofern die Entscheidung vor Erreichen dieses Alters erging. Auf eine darüber hinausgehende Anwendbarkeit des Übereinkommens zugunsten schutzbedürftiger Personen konnten sich die Staaten nicht einigen, sodass schutzbedürftige Erwachsene insbesondere nicht die Zentralen Behörden benutzen können und von den Regeln über die juristische Unterstützung nur in Gestalt einer Befreiung von Sicherheitsleistung oder Hinterlegung gem Art 14 Abs 5 und einer Fortwirkung im Ursprungsstaat gewährter Unterstützung nach Maßgabe des Art 17 lit b profitieren.17 Immerhin besagt Empfehlung Nr 9 der 21. Sitzung der Haager Konferenz, dass ein Protokoll zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen schutzbedürftiger Personen ausgearbeitet werden soll (Einleitung Rn 36).18 IV. Vergleich mit der EG-UntVO Die EG-UntVO enthält in ihrem Art 2 ebenfalls Begriffsbestimmungen. „Berechtigte Per- 13 son“ und „verpflichtete Person“ sind in Art 2 Abs 1 Nr 10 und 11 EG-UntVO wie in Art 3 lit a und b definiert. Die Figur der „juristischen Unterstützung“ kennt die EG-UntVO in Art 45 unter dem deutlich blasseren Begriff der „Prozesskostenhilfe“, der dann aber ausführlicher beschrieben wird.19 Eine Definition der Schriftlichkeit von Vereinbarungen fehlt in der Verordnung ebenso wie eine Definition der „Unterhaltsvereinbarung“; allerdings 16 17 18 19

Nimmerrichter Handbuch Rn 299. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 506 f; Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 529 f. Zu den Hintergründen Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 521. Vgl Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 529.

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Art 4 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

definiert die Verordnung in Art 2 Abs 1 Nr 3 die „öffentliche Urkunde“, die auch eine rein einseitige Erklärung enthalten kann, und sieht in Art 48 deren Anerkennung und Vollstreckung gleich den Entscheidungen vor. Die „schutzbedürftige Person“ braucht die Verordnung nicht zu definieren, da Unterhaltspflichten gegenüber schutzbedürftigen Personen, soweit sie auf einem Familien-, Verwandtschafts- oder Eheverhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen, ohnehin in ihren breiten Anwendungsbereich fallen.20

Kapitel II: Zusammenarbeit auf Verwaltungsebene Artikel 4: Bestimmung der Zentralen Behörden (1) Jeder Vertragsstaat bestimmt eine Zentrale Behörde, welche die ihr durch dieses Übereinkommen übertragenen Aufgaben wahrnimmt. (2) Einem Bundesstaat, einem Staat mit mehreren Rechtssystemen oder einem Staat, der aus autonomen Gebietseinheiten besteht, steht es frei, mehrere Zentrale Behörden zu bestimmen, deren räumliche und persönliche Zuständigkeit er festlegen muss. Macht ein Staat von dieser Möglichkeit Gebrauch, so bestimmt er die Zentrale Behörde, an die Mitteilungen zur Übermittlung an die zuständige Zentrale Behörde in diesem Staat gerichtet werden können. (3) Bei der Hinterlegung der Ratifikations- oder Beitrittsurkunde oder einer Erklärung nach Artikel 61 unterrichtet jeder Vertragsstaat das Ständige Büro der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht über die Bestimmung der Zentralen Behörde oder der Zentralen Behörden sowie über deren Kontaktdaten und gegebenenfalls deren Zuständigkeit nach Absatz 2. Die Vertragsstaaten teilen dem Ständigen Büro unverzüglich jede Änderung mit.

I. Normzweck 1 Abs 1 verpflichtet die Vertragsstaaten zur Bestimmung einer Zentralen Behörde. Abs 2

gestattet Bundesstaaten, Staaten mit mehreren Rechtssystemen oder Staaten mit autonomen Gebietseinheiten die Bestimmung mehrerer Zentraler Behörden, verlangt dann aber, dass deren räumliche und persönliche Zuständigkeit innerhalb des Staates festgelegt und eine Zentrale Behörde bestimmt ist, an die Mitteilungen zur Übermittlung an die jeweils zuständige Behörde gerichtet werden können. Abs 3 sieht vor, dass das Ständige Büro von der Bestimmung der Zentralen Behörden und ihren Kontaktdaten unterrichtet wird und die Angaben aktuell gehalten werden. II. Entstehungsgeschichte 2 Abs 1 und 2, die in anderen Haager Übereinkommen eine Entsprechung haben, waren

bereits im Entwurf vom April 2004 so vorgesehen; für die Unterrichtungspflicht des Abs 3 sah dieser Entwurf noch einen eigenen Artikel am Ende des Kapitels vor.1 Als Abs 3 findet sich die Unterrichtungspflicht dann – noch ohne die Festlegung des Unterrichtungszeit20

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Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 530.

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Kapitel II: Zusammenarbeit auf Verwaltungsebene

Art 4 HUntVerfÜbk

punkts – im Entwurf vom Oktober 2005.2 Die Idee einer Unterrichtung vor Inkrafttreten im jeweiligen Vertragsstaat geht auf einen Bericht der Arbeitsgruppe über die Zusammenarbeit der Behörden vom Juni 2006 zurück;3 die Verknüpfung mit dem Zeitpunkt der Hinterlegung, die bereits Art 2 Abs 2 NYUntÜbk 1956 vorsah, findet sich dann im Entwurf vom Juni 2007.4 In den Verhandlungen gab Abs 2 zwar Anlass für eine Äußerung Argentiniens, Spaniens und Englands wegen schwebender territorialer Streitigkeiten; der Text selbst wurde jedoch unproblematisch angenommen.5 III. Einzelerläuterung Abs 1 verpflichtet die Vertragsstaaten zur Bestimmung einer Zentralen Behörde, die sodann 3 die im Übereinkommen den Zentralen Behörden übertragenen Aufgaben wahrzunehmen hat. Das Bestehen einer derartigen Verpflichtung versteht sich aus Sicht eines kontinentaleuropäischen Juristen angesichts der Vorschriften über die Aufgaben der Zentrale Behörde von selbst, selbst aus Sicht eines vom Common Law geprägten Juristen dürfte die ausdrückliche Statuierung einer solchen Pflicht nicht zwingend notwendig sein. Jedenfalls aber ist hiermit eine Klarstellung erreicht. In Deutschland ist Zentrale Behörde das Bundesamt für Justiz.6 Abs 2 S 1 trägt einer eventuellen internen Aufgabenzuweisung in Bundesstaaten, Staaten mit 4 mehreren Rechtssystemen oder Staaten, die sich aus autonomen Gebietseinheiten zusammensetzen, Rechnung, indem er die Bestimmung mehrerer Zentraler Behörden erlaubt. Um Unklarheiten zu vermeiden, fordert er dann aber eine klare Festlegung der räumlichen und persönlichen Zuständigkeit. Zur Vereinfachung für die Beteiligten eines Unterhaltsverfahrens verlangt S 2 zudem, dass eine einzige Zentrale Behörde bestimmt wird, an die Mitteilungen zur Übermittlung an diejenige von mehreren Zentralen Behörden gerichtet werden können, die im konkreten Fall zuständig ist.7 Dies impliziert, dass die „zentrale“ Zentrale Behörde die Zuständigkeit festzustellen und die Weiterleitung vorzunehmen hat. Der technischen Erleichterung dient die Pflicht zur Unterrichtung des Ständigen Büros von 5 der Bestimmung der Zentralen Behörde oder der Zentralen Behörden und von eventuellen Änderungen. Indem S 1 die Unterrichtung bei Hinterlegung der Ratifikations- oder Beitrittsurkunde oder einer Erklärung nach Art 61 vorsieht, will er sicherstellen, dass für jeden 1

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Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 5 m Fn 24, S 7. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 5. Groupe de travail sur la coopération administrative, Rapport du Groupe de travail sur la coopération administrative de la Comission spéciale de juin 2006 sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 19, juin 2006, S 12 (Rapport du Souscomité chargé du suivi et de l’examen du fonctionnement et de la mise en œuvre de la Convention). Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 5. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 509 f. Vgl §§ 1 Abs 1 S 1 Nr 2 lit a, 4 Abs 1 AUG. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 89: „Une telle désignation simplifie, clarifie et accélère les communications …“

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Art 5 HUntVerfÜbk

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Vertragsstaat von Anfang an eine Zentrale Behörde bestimmt und tunlichst auch funktionsfähig ist.8 Die Nichterwähnung der Hinterlegung einer Genehmigungsurkunde (vgl Art 58 Abs 2) beruht ersichtlich auf einem Redaktionsversehen. IV. Vergleich mit der EG-UntVO 6 Für die EU mit Ausnahme Dänemarks treffen Art 49 und 71 EG-UntVO weitgehend in-

haltsgleiche Regelungen. Für den Fall mehrerer Zentraler Behörden sieht Art 49 Abs 2 S 3 EG-UntVO zudem vor, dass die unzuständige Behörde eine an sie gerichtete Mitteilung an die zuständige Behörde weiterleiten und den Absender hiervon in Kenntnis setzen muss. Adressat der Unterrichtung über die Bestimmung der Zentralen Behörden und deren Kontaktdaten ist die Kommission (Art 49 Abs 3). Gem Art 71 Abs 1 S 1 EG-UntVO hatte die erstmalige Unterrichtung bis zum 18.9.2010 zu erfolgen; über Änderungen ist die Kommission gem Art 71 Abs 1 S 2 EG-UntVO zu unterrichten.

Artikel 5: Allgemeine Aufgaben der Zentralen Behörden Die Zentralen Behörden a) arbeiten zusammen und fördern die Zusammenarbeit der zuständigen Behörden ihrer Staaten, um die Ziele dieses Übereinkommens zu verwirklichen; b) suchen soweit möglich nach Lösungen für Schwierigkeiten, die bei der Anwendung des Übereinkommens auftreten.

I. Normzweck 1 Art 5 bestimmt zum einen in allgemeiner Form die Funktion der Zentralen Behörden, die in

ihrer – notwendigerweise internationalen – Zusammenarbeit besteht, zum anderen weist er den Zentralen Behörden die allgemeinen, nicht auf konkrete Tätigkeiten beschränkten Aufgaben einer Förderung der Zusammenarbeit der national zuständigen Behörden und einer Suche nach Lösungen für in der Praxis auftretende Schwierigkeiten zu. II. Entstehungsgeschichte 2 Bereits der Entwurf vom April 2004 und sodann auch die Entwürfe vom Oktober 2005 und

Juni 2007 enthielten eine entsprechende Vorschrift, die darüber hinaus noch die Pflicht der Zentralen Behörden zur Information des Ständigen Büros über das anwendbare nationale Recht vorsah.1 Diese Pflicht ist heute in Art 57 den Vertragsstaaten auferlegt, sodass sie an dieser Stelle gestrichen werden konnte.2 8 1

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Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 94. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 5; Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 5; Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 5.

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Kapitel II: Zusammenarbeit auf Verwaltungsebene

Art 5 HUntVerfÜbk

III. Einzelerläuterung Die den Zentralen Behörden in lit a aufgegebene Zusammenarbeit ist Grundlage dafür, 3 dass überhaupt Zentrale Behörden geschaffen werden. Parallelnormen sind unter anderem Art 30 Abs 1 KSÜ3 sowie Art 29 Abs 1 HErwSÜbk 2000.4 Einzelne Formen der Zusammenarbeit sind in den Art 6 ff normiert; aus lit a folgt aber, dass auch eine darüber hinausgehende Zusammenarbeit nicht nur erlaubt, sondern sogar geschuldet ist, wenn sie dazu dient, die Ziele des Übereinkommens zu verwirklichen. Die Einrichtung Zentraler Behörden verschafft diesen nicht auch intern die alleinige Zu- 4 ständigkeit für die im Übereinkommen geregelten Gegenstände. Vielmehr können intern andere Behörden für Aufgaben zuständig sein, die in den Regelungsbereich des Übereinkommens fallen. Ist dies so, so haben die Zentralen Behörden die interne, aber vorbehaltlich der Souveränitätsinteressen auch die internationale5 Zusammenarbeit auch der jeweils intern zuständigen Behörden zu fördern. Worin diese Förderung zu bestehen hat, ist an deren Zweck, der Verwirklichung der Ziele des Übereinkommens, auszurichten. In Betracht kommt neben der mehr technischen Herstellung unmittelbarer Kontakte auch die Beschaffung finanzieller und personeller Ressourcen. Nicht ausdrücklich genannt ist eine Zusammenarbeit der Zentralen Behörde eines Ver- 5 tragsstaats mit einer intern zuständigen Behörde eines anderen Vertragsstaates. Wenn aber neben der direkten Zusammenarbeit der Zentralen Behörden sogar die unmittelbare Zusammenarbeit intern zuständiger Behörden zu fördern ist, kann nichts anderes gelten, wenn auf einer Seite eine Zentrale Behörde, auf der anderen eine intern zuständige Behörde steht, sofern einer direkten Zusammenarbeit nicht das Souveränitätsverständnis eines der beteiligten Staaten entgegensteht. Lit b, der den Zentralen Behörden die Aufgabe überträgt, nach Lösungen für Schwierig- 6 keiten bei der Anwendung des Übereinkommens zu suchen, will die Zentralen Behörden zu pragmatischer und kreativer Zusammenarbeit animieren und einer auf eingefahrene Bahnen fixierten „Behördenmentalität“ entgegenwirken. Ein derartiges lösungsorientiertes Arbeiten ist bei internationalen Sachverhalten besonders wichtig, sind hier doch die Unterschiede von Fall zu Fall oft weitaus größer als bei rein nationalen Sachverhalten. Die Suche nach Lösungen impliziert auch deren Ergreifung. Mit den einleitenden Worten „soweit möglich“ soll aber zum einen einem ungezügelten, den Rahmen des Übereinkommens und des nationalen Rechts verlassenden Aktionismus vorgebeugt werden. Zum anderen kann dadurch ein Vertragsstaat unter Berufung auf – insbesondere rechtliche – Unmöglich-

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Vgl Bureau Permanent, Liste complète des observations relatives à l’avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 36, octobre 2007, S 12 f. Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern v 19.10.1996, abrufbar unter www.hcch.net Conventions Nr 34. Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen v 13.1.2000, abrufbar unter www.hcch.net Conventions Nr 35. Ohne diesen Aspekt allerdings Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 99 f.

Christoph A. Kern

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Art 6 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

keit einen Verstoß gegen das Übereinkommen vermeiden, wenn sich seine Zentrale Behörde der Suche oder Umsetzung einer bestimmten Lösung verweigert. 7 Hinsichtlich der Erfüllung der in Art 5 genannten allgemeinen Pflichten haben die Zen-

tralen Behörden kein Ermessen. Sie können die Erfüllung der Pflichten auch nicht vollumfänglich delegieren.6 IV. Vergleich mit der EG-UntVO 8 Art 50 Abs 1 EG-UntVO entspricht Art 5 fast wörtlich, enthält aber in lit a bei der Zu-

sammenarbeit der Zentralen Behörden noch den erläuternden, aber eigentlich überflüssigen7 Einschub, dass diese Zusammenarbeit insbesondere durch den Austausch von Informationen erfolgen könne.

Artikel 6: Besondere Aufgaben der Zentralen Behörden (1) Die Zentralen Behörden leisten bei Anträgen nach Kapitel III Hilfe, indem sie insbesondere a) diese Anträge übermitteln und entgegennehmen; b) Verfahren bezüglich dieser Anträge einleiten oder die Einleitung solcher Verfahren erleichtern. (2) In Bezug auf diese Anträge treffen sie alle angemessenen Maßnahmen, um a) juristische Unterstützung zu gewähren oder die Gewährung von juristischer Unterstützung zu erleichtern, wenn die Umstände es erfordern; b) dabei behilflich zu sein, den Aufenthaltsort der verpflichteten oder der berechtigten Partei ausfindig zu machen; c) die Erlangung einschlägiger Informationen über das Einkommen und, wenn nötig, das Vermögen der verpflichteten oder der berechtigten Person, einschließlich der Belegenheit von Vermögensgegenständen, zu erleichtern; d) gütliche Regelungen zu fördern, um die freiwillige Zahlung von Unterhalt zu erreichen, wenn angebracht durch Mediation, Schlichtung oder ähnliche Mittel; e) die fortlaufende Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen einschließlich der Zahlungsrückstände zu erleichtern; f) die Eintreibung und zügige Überweisung von Unterhalt zu erleichtern; g) die Beweiserhebung, sei es durch Urkunden oder durch andere Beweismittel, zu erleichtern; h) bei der Feststellung der Abstammung Hilfe zu leisten, wenn dies zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen notwendig ist; i) Verfahren zur Erwirkung notwendiger vorläufiger Maßnahmen, die auf das betreffende Hoheitsgebiet beschränkt sind und auf die Absicherung des Erfolgs eines anhängigen Unterhaltsantrags abzielen, einzuleiten oder die Einleitung solcher Verfahren zu erleichtern; j) die Zustellung von Schriftstücken zu erleichtern. (3) Die Aufgaben, die nach diesem Artikel der Zentralen Behörde übertragen sind, können in dem vom Recht des betroffenen Staats vorgesehenen Umfang von öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtungen oder anderen der Aufsicht der zuständigen Behörden dieses Staates 6

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Schlagwortartig Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 613 bei Fn 40: „general, mandatory, non-delegable functions“. Vgl Walker NIPR 2013, 167, 168.

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Kapitel II: Zusammenarbeit auf Verwaltungsebene

Art 6 HUntVerfÜbk

unterliegenden Stellen wahrgenommen werden. Der Vertragsstaat teilt dem Ständigen Büro der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht die Bestimmung solcher Einrichtungen oder anderen Stellen sowie deren Kontaktdaten und Zuständigkeit mit. Die Vertragsstaaten teilen dem Ständigen Büro umgehend jede Änderung mit. (4) Dieser Artikel und Artikel 7 sind nicht so auszulegen, als verpflichteten sie eine Zentrale Behörde zur Ausübung von Befugnissen, die nach dem Recht des ersuchten Staates ausschließlich den Gerichten zustehen. I. II. III.

Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Einzelerläuterung 1. Förderung gestellter Anträge . . . . . . . . . . . . 3 2. Ergreifen aller angemessenen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 a) Juristische Unterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . 8 b) Feststellung der Aufenthaltsorte . . . . . . . . 9 c) Informationen über Einkommen und Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 d) Förderung gütlicher Regelungen . . . . . . . 11

e) f) g) h) i) j) 3.

IV.

Fortlaufende Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . 16 Eintreibung und zügige Überweisung 17 Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Feststellung der Abstammung . . . . . . . . . . 19 Vorläufige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Zustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Aufgabenerfüllung durch andere Einrichtungen oder Stellen . . . . . . . . . . . . . 24 4. Keine Verpflichtung zur Ausübung richterlicher Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . 27

I. Normzweck Art 6 überträgt den Zentralen Behörden eine ganze Reihe näher beschriebener Aufgaben, die 1 der Förderung von Anträgen nach Kapitel III dienen. Abs 1 betrifft die unmittelbare Förderung gestellter Anträge als solcher, Abs 2 enthält eine Liste mit weiteren Maßnahmen, die sich auf gestellte Anträge beziehen. Abs 3 erlaubt eine Delegation, Abs 4 lässt einer Zuweisung der in Abs 1 und 2 sowie in Art 7 genannten Aufgaben an die Gerichte nach nationalem Recht den Vorrang. II. Entstehungsgeschichte Die Vorschrift über die besonderen Aufgaben der Zentralen Behörden war Gegenstand 2 heftiger Debatten.1 Dies kann nicht verwundern, musste doch eine Balance nicht nur zwischen effektiver Unterstützung für den Antragsteller und Schutz des Antragsgegners, sondern auch zwischen einer starken Ausstattung der Zentralen Behörden und deren Überlastung gefunden werden und spielte zudem die Belastung der öffentlichen Haushalte eine Rolle.2 Schon der Entwurf vom Oktober 2004 beinhaltete eine Liste einzelner Aufgaben, die sämtliche in den heutigen Abs 1 und 2 enthaltene Aufgaben nannte und sich dabei von älteren Haager Übereinkommen inspirieren ließ; der heutige Abs 3 war in zwei eigenen Artikeln enthalten.3 Im Entwurf vom Oktober 2005 begegnet bereits die Unterteilung der Liste in einen strengen ersten und einen flexibleren zweiten Absatz,4 die Hereinnahme des 1 2 3

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Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 109; Beaumont/Walker FS Borrás (2013) 185, 195. Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 614 f; Doogue IFL March 2012, 106, 107. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 5-7. Dazu Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 614.

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Art 6 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Rechts zur Übertragung und zur diesbezüglichen Information in Abs 3 sowie die Anfügung des Abs 4.5 III. Einzelerläuterung 1. Förderung gestellter Anträge 3 Nach Abs 1 hat die Zentrale Behörde bei Anträgen nach Kapitel III, die – wie sich schon aus

den Beispielen in Abs 1 lit a und b, sodann aber auch aus Art 7 Abs 1 ergibt – bereits gestellt sind, „Hilfe“ (französisch und englisch „assistance“) zu leisten. Anders als Abs 2, der von der Zentralen Behörde nur dann ein Tätigwerden verlangt, wenn Maßnahmen „angemessen“ sind, lässt Abs 1 hinsichtlich des Ob einer Hilfeleistung seinem Wortlaut nach keinen Raum für eine Prüfung der „Angemessenheit“ iSd Erforderlichkeit einer Hilfe. Die Zentrale Behörde darf also im Falle eines nach Kapitel III gestellten Antrags nicht vorab und womöglich abstrakt prüfen, ob eine Hilfeleistung durch sie überhaupt erforderlich ist, sondern muss in helfender Weise tätig werden.6 Nur wenn ausnahmsweise offensichtlich ist, dass der gestellte Antrag durch ein Tätigwerden der Zentralen Behörde in keiner Weise mehr gefördert werden kann, darf sie mangels Geeignetheit einer Hilfe untätig bleiben; dies dürfte aber kaum je praktisch werden.

4 Für das Wie der Hilfeleistung macht Abs 1 hingegen keine abschließenden Vorgaben. Er

nennt lediglich in lit a und b zwei beispielhafte Formen der Hilfeleistung. Die in lit a vorgesehene Übermittlung und Entgegennahme von Anträgen ist dabei klassische Aufgabe Zentraler Behörden und wird fast immer relevant sein.7 Die von der Zentralen Behörde selbst betriebene oder erleichterte Einleitung von Verfahren „bezüglich dieser Anträge“ („in respect of such applications“/„relatives à ces demandes“), die lit b vorsieht, meint Verfahren, die auf das in diesen Anträgen enthaltene Begehren gerichtet sind. Die Verfahren können, wie sich aus der Entstehungsgeschichte ergibt, gerichtliche oder behördliche Verfahren sein.8 Einleitung und Erleichterung stehen dabei in einem Stufenverhältnis: Nur wo nach dem einschlägigen nationalen Recht die Zentrale Behörde nicht selbst das Verfahren betreiben kann oder dies unnötig ist, darf sie sich auf dessen „Erleichterung“ im Sinne einer möglichst aktiven, den Antragsteller entlastenden Förderung beschränken. Welche weiteren Maßnahmen gem Abs 1 zwingend zu ergreifen sind, sagt das Übereinkommen nicht.9 Man wird eine Maßnahme dann als zwingend ansehen müssen, wenn ohne sie die in Art 1 genannten Ziele des Übereinkommens unter keinen Umständen erreicht werden können.

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Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 5 f. Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 613 m Fn 41. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 113. Vgl Borrás/Degeling, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille. Projet de Rapport explicatif, version provisoire, Doc prél No 32, octobre 2007, S 28 Rn 114; Bureau Permanent, Liste complète des observations relatives à l’avantprojet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 36, octobre 2007, S 14, observation de l’Australie ad Art 6(1)b). Kritisch daher Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 614.

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Art 6 HUntVerfÜbk

2. Ergreifen aller angemessenen Maßnahmen Nach Abs 2 hat die Zentrale Behörde im Hinblick auf bestimmte, in lit a-j genannte Ziele alle 5 angemessenen Maßnahmen zu treffen.10 Welche Maßnahmen dies im Einzelnen sein sollen, gibt das Übereinkommen nicht vor; die Maßnahmen müssen aber effektiv sein. Art 57 lit b verlangt eine Beschreibung der Maßnahmen, die in einem Mitgliedstaat zur Erfüllung der Verpflichtungen aus Art 6 in Betracht kommen. Anders als nach Abs 1 hat die Zentrale Behörde nach Abs 2 zwar alle, aber nur „alle an- 6 gemessenen Maßnahmen“ zu treffen. Ihr ist also eine Prüfung der Angemessenheit ausdrücklich vorgeschrieben. Angemessenheit sollte als Verhältnismäßigkeit mit ihren Stufen Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verstanden werden. Die Maßnahme muss also zur Erreichung eines der in den lit a bis j abschließend aufgezählten Ziele geeignet sein, bei gleicher Eignung mehrerer Maßnahmen die Ressourcen der Zentralen Behörde am wenigsten in Anspruch nehmen und eventuell betroffene Interessen des Antragsgegners am wenigsten beeinträchtigen sowie schließlich die Proportionalität im engeren Sinne zwischen Zielerreichung, in Anspruch genommenen Ressourcen und gegebenenfalls betroffenen Interessen des Antragsgegners wahren. Umstritten ist, ob und inwieweit die Angemessenheit auch von den Ressourcen und Befugnissen abhängen darf, mit denen die Zentralen Behörden von ihrem Staat ausgestattet werden. Angesichts der Ziele des Übereinkommens sollten solche Erwägungen nur in Ausnahmefällen eine Rolle spielen dürfen.11 Abs 2 verlangt von der Zentralen Behörde, dass sie alle angemessenen Maßnahmen „in 7 Bezug auf diese Anträge“ trifft. Mit „diesen Anträgen“ sind Anträge iSd Abs 1 gemeint, mithin also bereits anhängige Anträge nach Kapitel III. Dies folgt aus Art 7 Abs 1, der das Ersuchen um besondere Maßnahmen iSd Art 6 Abs 2 bei noch nicht anhängigen Anträgen betrifft und ein solches Ersuchen nur für ausgewählte Maßnahmen zulässt. a) Juristische Unterstützung Zwischen der Gewährung juristischer Unterstützung (Art 3 lit c) durch die Zentrale Behörde 8 selbst und der Erleichterung dieser Gewährung durch Dritte besteht in Abs 2 lit a, anders als in Abs 1 lit b, kein Stufenverhältnis, da hier eine Angemessenheitskontrolle erfolgt. Der nachgeschobene Konditionalsatz „wenn die Umstände es erfordern“ ist aufgrund der Angemessenheitsprüfung an sich überflüssig; die Doppelung fordert aber zu einer besonders genauen Erforderlichkeitsprüfung auf. b) Feststellung der Aufenthaltsorte Die Feststellung des Aufenthaltsorts der verpflichteten oder der berechtigten Person kann 9 sowohl für Anträge auf der Ebene des Erkenntnisverfahrens, insbesondere zur Feststellung der Zuständigkeit, als auch für Anträge auf der Ebene des Vollstreckungsverfahrens wichtig sein. Insoweit ist die Zentrale Behörde nur zur Hilfestellung, nicht aber selbst zur Fest10 11

Siehe für eine sehr ausführliche Darstellung Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 120 ff. AA Borrás/Degeling, Rapport explicatif, Rn 121; Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 614; ähnlich wie hier Beaumont/Walker FS Borrás (2013) 185, 194 f; vgl auch EGMR Appl no 7198/04 Iosub Caras/Rumänien (2008) 47 EHRR 35, Rn 34, der „approriate measures“ in Art 7 HKindEntfÜbk als „all necessary measures“ versteht.

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B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

stellung verpflichtet.12 Die Hilfestellung kann insbesondere in einer Einholung amtlicher Auskünfte bestehen, wenn diese Privaten nicht möglich ist. Die Ermächtigungsgrundlage für das Tätigwerden der Zentralen Behörde, insbesondere auch im Hinblick auf den Datenschutz, muss – jedenfalls in Staaten, die völkerrechtlich dem Dualismus folgen – das innerstaatliche Recht bereitstellen; in Deutschland kommen insoweit §§ 16, 17 Abs 1 S 1 AUG zur Anwendung. Zu beachten sind die Art 38-40. c) Informationen über Einkommen und Vermögen 10 Informationen über Einkommen und Vermögen der verpflichteten und der berechtigten

Person sind typischerweise zur Feststellung der Bedürftigkeit der berechtigten Person und der Leistungsfähigkeit der verpflichteten Person erforderlich, Informationen über das Vermögen der verpflichteten Person und die Belegenheit von Vermögensgegenständen darüber hinaus für die Vollstreckung eines titulierten Unterhaltsanspruchs gegen die verpflichtete Person. Auch hier ist der Zusatz, Informationen über das Vermögen seien nur „wenn nötig“ einzuholen, eigentlich überflüssig, wenn man die Angemessenheitsprüfung ernst nimmt und neben den Ressourcen der Zentralen Behörde auch die Interessen des Antragsgegners berücksichtigt (Rn 5); er weist aber darauf hin, dass es der Ermittlung des Vermögens vor allem bei Unterhaltsansprüchen Minderjähriger vielfach nicht bedarf, dessen Feststellung also unnötig in die Privatsphäre der berechtigten Person eingreift.13 Wie bei Abs 2 lit b muss die Zentrale Behörde gem Abs 2 lit c die Erlangung der Informationen lediglich erleichtern, nicht sie selbst beschaffen;14 sie darf dies aber tun, wenn das nationale Recht nicht entgegensteht. Auch hier kommt beispielsweise die Einholung solcher amtlicher Informationen in einem anderen Staat in Betracht, die für Private anders nicht zu erlangen sind; für Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltstiteln hat die Zentrale Behörde in Deutschland die Auskunftsrechte des § 17 AUG. d) Förderung gütlicher Regelungen 11 Die Förderung gütlicher Regelungen, die unter Einsatz von Mediation, Schlichtung oder

ähnlichen Verfahren geschehen kann, entspricht dem zeitgemäßen Trend zu alternativer Streitbeilegung, hat aber gerade auf dem Gebiet der Unterhaltspflichten aus den vom Übereinkommen erfassten familiären Beziehungen iwS eine besondere Berechtigung, da hier das Interesse an einer Vermeidung konfrontativer Konfliktlösung groß ist. Im nationalen Recht findet sie daher zumeist eine Entsprechung.15 12 Das von Abs 2 lit d vorgegebene Ziel, eine freiwillige Zahlung zu erreichen, ist so zu ver-

stehen, dass eine Zahlung ohne Titulierung oder gar Vollstreckung erfolgt; völlige Freiwilligkeit wird dann, wenn ein Teil eine Zentrale Behörde in Anspruch nimmt, kaum je vorliegen. 13 Ähnliche Mittel wie Mediation und Schlichtung iSd Abs 2 lit d sind nicht etwa alle Formen

privater Streitbeilegung, sodass auch Schiedsverfahren erfasst wären, sondern nur Konfliktlösungstechniken, die sich durch das Fehlen autoritativer Entscheidung eines Dritten aus12 13 14 15

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Zu dieser Abschwächung Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 614. Nimmerrichter Handbuch Rn 306. Zu dieser Abschwächung wiederum Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 614. Für Deutschland §§ 36 Abs 1 S 2, 36a Abs 1 FamFG; für Österreich § 13 Abs 3 Außerstreitgesetz (AußStrG); für die Schweiz §§ 197 ff ZPO.

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zeichnen. Dies folgt aus den benannten Beispielen Mediation und Schlichtung, aber auch dem Ziel, eine freiwillige Zahlung zu erreichen. Dass Mediation, Schlichtung oder ähnliche Mittel nur „wenn angebracht“ zu fördern sind, 14 ergibt sich einmal mehr schon aus der Angemessenheit, mahnt aber – in der heutigen Zeit wohl nicht ganz zu Unrecht – eine kritische Prüfung an. Da Ziel der Maßnahme die freiwillige Zahlung ist, kann die Förderung durch die Zentrale 15 Behörde auch darin bestehen, dass sie selbst die Rolle eines Mediators bzw Schlichters einnimmt.16 e) Fortlaufende Vollstreckung Unterhalt ist typischerweise in Form regelmäßig wiederkehrender, aber relativ geringfügiger 16 Zahlungen geschuldet. Hier jedes Mal von neuem eine Vollstreckung in Gang zu setzen, widerspricht letztlich den Interessen aller Beteiligter. Daher ist eine fortlaufende Vollstreckung wünschenswert, zB durch regelmäßig wiederkehrende Kontenpfändung. Die von der Zentralen Behörde gegebenenfalls zu treffenden Maßnahmen sollen eine solche Vollstreckung erleichtern, etwa durch die Unterstützung bei der Feststellung, ob eine derartige Vollstreckung in einem bestimmten Land möglich ist und welche Voraussetzungen hierfür bestehen sowie gegebenenfalls durch die Unterstützung bei der Herbeiführung der entsprechenden Voraussetzungen. Staaten, in denen Einziehung und Weiterleitung standardmäßig durch eine Behörde erfolgen, können lit e leichter gerecht werden als Staaten, in denen die berechtigte Person bei Nichtleistung selbst aktiv werden und ein Verfahren anstrengen muss.17 Umso mehr verdient die berechtigte Person im letzteren Fall Unterstützung. f) Eintreibung und zügige Überweisung Eintreibung ist das Beschaffen der geschuldeten Mittel vom Verpflichteten, Überweisung 17 deren Weiterleitung zum Berechtigten. Da die Zentrale Behörde zum einen nicht Vollstreckungsorgan ist, erst recht nicht, wenn sie im Ausland vollstrecken müsste, zum anderen nicht selbst den Überweisungsverkehr abwickelt, kann sie Eintreibung und zügige Überweisung nur erleichtern. Die Erleichterung der Eintreibung kann in der Unterstützung eines Vollstreckungsverfahrens, aber auch schlicht in der Aufforderung des Schuldners bestehen, die Erleichterung der Überweisung in der Zurverfügungstellung oder Nutzung von Überweisungsmechanismen, die Privaten nicht offenstehen.18 Eine ursprünglich vorgesehene Pflicht zur Überwachung der Weiterleitung wurde aufgegeben.19 g) Beweiserhebung Die Erleichterung der Beweiserhebung kann sich auf in- oder ausländische Beweismittel für 18 in- oder ausländische Verfahren beziehen. Unter Souveränitätsgesichtspunkten problematisch ist das Beschaffen ausländischer Beweismittel. Ob lit g im Widerspruch zu Beweis-

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Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 152. Vgl Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 157-159. Ausführliche Darstellung bei Lortie, Transfert de fonds et utilisation des technologies de l’information dans le cadre du recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 9, mai 2004. Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 615.

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B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

hilfeübereinkommen oder der EG-BewVO steht, wurde denn auch kontrovers diskutiert.20 Unter lit g ist indes nur die Erleichterung der Beweiserhebung, nicht aber die Beweiserhebung als solche geschuldet. Mithin bleiben die – nationalen oder internationalen – Regeln über die Beweisaufnahme unberührt, was Art 50 für die entsprechenden Übereinkommen nochmals in aller Deutlichkeit ausspricht.21 In Bezug auf ausländische Beweismittel wird die inländische Zentrale Behörde regelmäßig nicht die Beweiserhebung, sondern nur die Beweisübermittlung („Beweismittelimport“22) leisten können. Unproblematisch ist hingegen das Beschaffen (oder die Erleichterung des Beschaffens) inländischer Beweismittel für ein inländisches oder ausländisches (dann: „Beweismittelexport“) Verfahren. So kann die Zentrale Behörde etwa erforderliche Urkunden selbst ausstellen oder besorgen und übermitteln oder als Sachverständiger, unter Umständen gar als Zeuge, im In- und Ausland auftreten. h) Feststellung der Abstammung 19 Die Feststellung der Abstammung kann insbesondere für Kindesunterhalt von großer

Wichtigkeit sein. Zentrale Behörden können diese Feststellung etwa durch Information über die anerkannten Formen und ihre Voraussetzungen und die Beschaffung notwendiger Unterlagen erleichtern; die Zentrale Behörde ist aber nicht etwa selbst zur Durchführung eines Gentests verpflichtet.23 Der Hinweis auf die Notwendigkeit ist an sich wieder entbehrlich, da eine nicht notwendige Maßnahme nicht angemessen ist. Er bringt aber zum Ausdruck, dass hier Zurückhaltung geübt werden sollte, mag dies auch von mancher Seite mehr vom Wunsch getragen gewesen sein, die Chancen des Übereinkommens auf breite Annahme zu erhöhen.24 i) Vorläufige Maßnahmen 20 Ist ein Unterhaltsantrag anhängig, besteht nicht selten die Gefahr, dass der Verpflichtete sein

Vermögen verbirgt oder gar verprasst, um einer Inanspruchnahme zu entgehen. Daher besteht ein besonderer Bedarf an vorläufigen Sicherungsmaßnahmen. Diese kann die Zentrale Behörde gem Abs 2 lit i für das „betreffende“ Hoheitsgebiet selbst einleiten oder ihre Einleitung erleichtern. 21 „Betreffendes Hoheitsgebiet“ ist nicht notwendigerweise das Hoheitsgebiet des Staates der

Zentralen Behörde, sondern auch das Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates, auf das der Antrag gerichtet ist. Erlassen muss die Maßnahme stets ein Organ des Staates, in dem sie wirken soll. 22 Da auch vorläufige Sicherungsmaßnahmen nur bei Angemessenheit zu ergreifen sind, hätte

es wiederum des Hinweises auf die Notwendigkeit nicht bedurft; auch braucht zwischen Einleiten und Erleichtern anders als in Abs 1 lit b (Rn 4), aber ähnlich wie bei Unterstützen und Erleichtern in Abs 2 lit a (Rn 7), kein Stufenverhältnis angenommen zu werden.

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Siehe etwa die Stellungnahme der Schweiz, vgl Bureau Permanent, Liste complète des observations relatives à l’avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 36, octobre 2007, S 13 f. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 510 f; Borrás FS Siehr (2010) 173, 189. Fucik iFamZ 2008, 219, 220; ihm folgend Nimmerrichter Handbuch Rn 254. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 171. Vgl Heger Unterhaltsrealisierung Rn 14.

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Art 6 HUntVerfÜbk

j) Zustellung Eine Erleichterung der Zustellung kann durch das Eröffnen von Übermittlungswegen, die 23 als Zustellung anerkannt sind, oder durch die Unterstützung bei der Information über die Anforderungen einer Zustellung und deren Erfüllung erfolgen. Die Zulassung besonderer Zustellungsformen gebietet das Übereinkommen hingegen nicht, sodass auch hier kein Konflikt zu anderen Übereinkommen auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe25 oder zur EG-ZustVO 2007 besteht.26 3. Aufgabenerfüllung durch andere Einrichtungen oder Stellen Abs 3 S 1 erlaubt den Vertragsstaaten, die in den Abs 1 und 2 den Zentralen Behörden 24 zugewiesenen Aufgaben ganz oder teilweise anderen „öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtungen“ oder anderen unter Aufsicht der zuständigen Behörden stehenden Stellen zu übertragen. Anders als bei Art 5 ist hier also eine Delegation erlaubt.27 Nach S 2 muss hiervon das Ständige Büro unter Angabe der Kontaktdaten und Zuständigkeiten informiert werden; nach S 3 ist auch jede Änderung mitzuteilen. In Deutschland gilt für eine solche Übertragung oder Beleihung § 4 Abs 3 AUG. Bislang hat keiner der Vertragsstaaten eine solche Übertragung bekanntgegeben. In 25 Deutschland wurde von § 4 Abs 3 AUG noch nicht Gebrauch gemacht. 4. Keine Verpflichtung zur Ausübung richterlicher Befugnisse Abs 4 stellt für Art 6 und 7 klar, dass diesen keine Verpflichtung der Zentralen Behörde zur 26 Ausübung solcher Befugnisse entnommen werden kann, die nach dem Recht des ersuchten Staates ausschließlich den Gerichten zustehen. Damit will Abs 4 den unterschiedlichen Abgrenzungen zwischen Judikative und Exekutive in den verschiedenen Rechtsordnungen gerade hinsichtlich der hier wichtigen Randbereiche der öffentlichen Fürsorge und Vollstreckung Rechnung tragen. Zugleich soll so ein eventuelles Hindernis für eine breite Annahme des Übereinkommens aus dem Weg geräumt werden.28 IV. Vergleich mit der EG-UntVO Nahezu gleich wie Art 6 lautet Art 51 EG-UntVO. Zu Abs 2 lit g und j stellt die EG-UntVO 27 jedoch ausdrücklich klar, dass die Maßnahmen der Zentralen Behörden die EG-BewVO bzw die EG-ZustVO 2007 unberührt lassen.

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Auch hier kritisch aber die Stellungnahme der Schweiz, vgl Bureau Permanent, Liste complète des observations relatives à l’avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 36, octobre 2007, S 13 f. Vgl oben Rn 18; Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 510 f. Schlagwortartig Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 613 bei Fn 41: „specific, mandatory, delegable functions“. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 190.

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B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Artikel 7: Ersuchen um besondere Maßnahmen (1) Eine Zentrale Behörde kann unter Angabe der Gründe eine andere Zentrale Behörde auch dann ersuchen, angemessene besondere Maßnahmen nach Artikel 6 Absatz 2 Buchstaben b, c, g, h, i und j zu treffen, wenn kein Antrag nach Artikel 10 anhängig ist. Die ersuchte Zentrale Behörde trifft, wenn sie es für notwendig erachtet, angemessene Maßnahmen, um einem potenziellen Antragsteller bei der Einreichung eines Antrags nach Artikel 10 oder bei der Feststellung behilflich zu sein, ob ein solcher Antrag gestellt werden soll. (2) Eine Zentrale Behörde kann auf Ersuchen einer anderen Zentralen Behörde auch besondere Maßnahmen in einem Fall mit Auslandsbezug treffen, der die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen betrifft und im ersuchenden Staat anhängig ist.

I. Normzweck 1 Art 7 erweitert die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit zwischen den Zentralen Behör-

den in der Gestalt von Maßnahmen nach Art 6 Abs 2 in zweierlei Hinsicht. Zum einen kann eine Zentrale Behörde eine andere Zentrale Behörde auch dann um bestimmte Maßnahmen ersuchen, wenn ein Antrag nach dem Übereinkommen noch gar nicht anhängig ist (Abs 1). Solche Maßnahmen können wertvoll sein, damit der Unterhaltsberechtigte oder die Zentrale Behörde überhaupt in die Lage versetzt werden, einen erfolgversprechenden Antrag zu stellen; zugleich kann damit der Aufwand – insbesondere für die Übersetzung – eines vollständigen, aber später sich als nutzlos erweisenden Antrags vermieden werden, etwa wenn durch eine Maßnahme nach Art 6 Abs 2 lit b festgestellt wird, dass die verpflichtete Person gar keinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem Staat hat, in dem die Zentrale Behörde die berechtigte Person vermutete.1 2 Zum anderen können auf Ersuchen einer Zentralen Behörde Maßnahmen auch im Hinblick

auf solche Verfahren über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen getroffen werden, die im ersuchenden Staat anhängig sind und denen kein Verfahren nach dem Übereinkommen zugrunde liegt, sofern diese Verfahren einen Auslandsbezug aufweisen (Abs 2). Damit kann ein Vertragsstaat einen Fall in eigener Verantwortung bearbeiten, anstatt ihn insgesamt an die ersuchte Behörde eines Vertragsstaats zu übersenden, wenn die bloße Unterstützung durch einzelne besondere Maßnahmen ausreichend erscheint. In allen diesen Fällen besteht aber keine Pflicht der ersuchten Zentralen Behörde, dem Ersuchen nachzukommen. II. Entstehungsgeschichte 3 Der Entwurf vom April 2004 kannte in seinem Kapitel III einen vollwertigen Antrag auf

begrenzte Unterstützung.2 Im Entwurf vom Januar 2005 war begrenzte Unterstützung dann nur noch eine Form der behördlichen Zusammenarbeit nach Kapitel II.3 Nach zwischen1

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Kapitel II: Zusammenarbeit auf Verwaltungsebene

Art 7 HUntVerfÜbk

zeitlicher Beschränkung des Abs 1 jenes Art 7 auf wenige Maßnahmen wurde er auf Vorschlag der Delegation der USA4 wieder ausgedehnt, sein Abs 2 war noch als diskussionswürdig geklammert5 und wurde etwa von der Delegation der Schweiz mit dem Argument abgelehnt, dieser Fall sei mithilfe der bestehenden Rechtshilfeübereinkommen zu regeln.6 Im Vorentwurf vom Januar 2007 war dann schon weitgehend die heutige Fassung erreicht.7 III. Einzelerläuterung 1. Maßnahmen im Vorfeld eines Antrags nach Art 10 a) Zielrichtung der Maßnahmen Nach Abs 1 S 1 kann die Zentrale Behörde eines anderen Vertragsstaats nur um Maßnah- 4 men ersucht werden, die auf ausgewählte Ziele der Liste des Art 6 Abs 2 gerichtet sind, nämlich Maßnahmen gem Art 6 Abs 2 lit b – Feststellung der Aufenthaltsorte, lit c – Informationen über Einkommen und Vermögen, lit g – Beweiserhebung, lit h – Feststellung der Abstammung, lit i – vorläufige Maßnahmen und lit j – Zustellung. Eine Unterstützung bei der Aufenthaltsfeststellung (vgl Art 6 Abs 2 lit b) im Vorfeld eines Antrags wurde und wird von einigen Vertragsstaaten schon unter dem NYUntÜbk 1956 praktiziert.8 Die weiteren Ziele etwaiger Maßnahmen gehen hingegen über den bisherigen Stand teilweise weit hinaus. Vermutlich aus diesem Grund enthalten sowohl S 1 als auch S 2 das Erfordernis der Angemessenheit, das sich auch in Art 6 Abs 2 im einleitenden Satzteil vor den enumerierten Zielen der Maßnahmen findet, bei einer Auslegung, die diesen Satzteil in den Verweis in Abs 1 S 1 nicht einbezieht, aber hier nicht gälte. b) Ersuchen einer Zentralen Behörde Ist ein Antrag nach Art 10 noch nicht anhängig, so kommen besondere Maßnahmen einer 5 Zentralen Behörde nur auf ein Ersuchen einer anderen Zentralen Behörde in Betracht, das bestimmte Anforderungen erfüllt. Zum ersten bedarf es überhaupt eines Ersuchens einer Zentralen Behörde; ein Direktantrag eines Beteiligten scheidet aus. Zum zweiten muss dieses Ersuchen auf die Vornahme angemessener Maßnahmen nach Art 6 Abs 2 lit b, c, g, h, i und j gerichtet sein; ein Ersuchen um die Vornahme von Maßnahmen, die nicht auf die in Art 6 Abs 2 lit b, c, g, h, i und j aufgeführten Ziele gerichtet sind, ist bereits nicht

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les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 6; dazu Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 192. Vgl Bureau Permanent, Observations portant sur l’Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 23, juin 2006, Proposal by the delegation of the United States of America S 7 ad Art 7 Rn 2, 3. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 6. Bureau Permanent, Observations portant sur l’Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 23, juin 2006, Commentaires de la délégation suisse, S 2 sub 2.2. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 6. Vgl Bureau Permanent, Observations portant sur l’Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 23, juin 2006, Commentaires de la délégation suisse, S 2 sub 2.2.

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Art 7 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

zulässig. Eine Präzisierung, welche Maßnahme im Einzelnen vorgenommen werden soll, braucht das Ersuchen nicht zu enthalten; es ist nur auf die Vornahme angemessener Maßnahmen zu richten. Die Nennung einer bestimmten Maßnahme schadet aber nicht und wird sich im Regelfall empfehlen. Zum dritten bedarf das Ersuchen einer Angabe der Gründe. Aus den Gründen muss hervorgehen, dass ein Antrag nach Art 10 nicht gestellt ist, seine Stellung aber in Betracht kommt, was insbesondere Ausführungen zur Identität der Parteien und der zwischen ihnen bestehenden oder möglicherweise bestehenden Unterhaltspflicht verlangt. Sodann müssen die Gründe darlegen, warum aus Sicht der ersuchenden Zentralen Behörde das Ergreifen von Maßnahmen durch die ersuchte Behörde im Hinblick auf eines oder mehrere der in Art 6 Abs 2 lit b, c, g, h, i und j genannten Ziele notwendig ist, um einen Antrag nach Art 10 einreichen oder die Einreichung eines solchen Antrags prüfen zu können. Hat die ersuchende Behörde eine bestimmte Maßnahme angegeben, so empfiehlt sich auch die Angabe von Gründen, warum diese Maßnahme einem der in Art 6 Abs 2 lit b, c, g, h, i und j genannten Ziele zugeordnet werden kann und angemessen ist. Die präzise Angabe der Gründe ist wichtig, da das Übereinkommen fishing expeditions nicht erlauben will, mit denen erst die für die Schlüssigkeit des Unterhaltsbegehrens erforderlichen Informationen erlangt werden sollen.9 c) Reaktion der ersuchten Zentralen Behörde 6 Die ersuchte Zentrale Behörde hat nach Abs 1 S 2 ihrerseits die Notwendigkeit ihres Tä-

tigwerdens im Hinblick auf die potentielle Einreichung eines Antrags nach Art 10 oder die Feststellung, ob ein solcher Antrag gestellt werden soll, zu prüfen.10 7 Bejaht sie die Notwendigkeit, so ist sie verpflichtet, angemessene Maßnahmen zu treffen,

ein zusätzliches Ermessen steht ihr insoweit nicht zu. Wie bei Art 6 Abs 2 sind als angemessen solche Maßnahmen anzusehen, die zur Erreichung eines der Ziele des Art 6 Abs 2 geeignet, erforderlich und verhältnismäßig zu den aufzuwendenden Ressourcen und der eventuellen Belastung der von der Maßnahme betroffenen Person sind. Eine besonders strenge Angemessenheitsprüfung wird bei solchen Maßnahmen geboten sein, die auf die Ermittlung von Vermögen und Einkommen gerichtet sind, da bei noch nicht gestelltem Antrag eher zu befürchten ist, dass Unterhaltsansprüche nur vorgeschoben werden, um an solche sensiblen Informationen zu gelangen.11 8 Der Wortlaut des S 2 sagt nicht eindeutig, dass die ersuchte Zentrale Behörde nur Maß-

nahmen treffen darf, die auf die in Art 6 Abs 2 lit b, c, g, h, i und j genannten Ziele gerichtet sind. Dies ist jedoch aus dem Zusammenhang zu entnehmen; die ausgeschlossenen lit a, d, e und f passen im Übrigen auch der Sache nach kaum.

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Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 200; Levante FS Schwander (2011) 729, 736; Nimmerrichter Handbuch Rn 257. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 202-204. Vgl Bureau Permanent, Observations portant sur l’Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 23, juin 2006, Commentaires de la délégation suisse, S 2 sub 2.2.

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Kapitel II: Zusammenarbeit auf Verwaltungsebene

Art 7 HUntVerfÜbk

2. Maßnahmen in Begleitung eines nationalen Verfahrens a) Zielrichtung und Angemessenheit der Maßnahmen Nach Abs 2 kann die Zentrale Behörde eines Vertragsstaats zur Unterstützung eines in- 9 ländischen Verfahrens mit Auslandsbezug die Zentrale Behörde eines anderen Vertragsstaats um „besondere Maßnahmen“ ersuchen, wobei diese nicht auf Maßnahmen beschränkt sind, die den in Art 6 Abs 2 lit b, c, g, h, i und j genannten Zielen dienen.12 Denkbar ist etwa ein Antrag auf Feststellung ausländischen Vermögens der verpflichteten Person zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit im inländischen Verfahren. Abs 2 verlangt zwar nicht explizit die Angemessenheit. Unangemessene Maßnahmen darf eine Behörde indes schon nach allgemeinen Grundsätzen nicht treffen. Die Tatsache, dass dies in Art 6 Abs 2 und Art 7 Abs 1 nochmals ausdrücklich festgehalten wird, während in Art 7 Abs 2 die Angemessenheit nicht mehr genannt ist, lässt sich auch damit erklären, dass in Art 7 Abs 2 die ersuchte Zentrale Behörde ein Ermessen hat, während sie in Art 6 Abs 2, Art 7 Abs 1 angemessene Maßnahmen treffen muss. b) Ersuchen einer Zentralen Behörde Auch Ersuchen nach Abs 2 kann nur eine Zentrale Behörde stellen. Für den Inhalt des 10 Ersuchens macht Abs 2 keine Vorgaben, insbesondere verlangt er keine Begründung. Eine solche Begründung, die die Anhängigkeit eines die Geltendmachung von Unterhalt betreffenden Falls im ersuchenden Staat, den Auslandsbezug und die Notwendigkeit eines Tätigwerdens erklärt, empfiehlt sich aber. c) Reaktion der ersuchten Zentralen Behörde Die ersuchte Zentrale Behörde prüft zunächst, ob ein Fall, der die Geltendmachung von 11 Unterhaltsansprüchen betrifft, im ersuchenden Staat anhängig ist, ob dieser Fall einen Auslandsbezug aufweist und schließlich, welche angemessenen besonderen Maßnahmen in Betracht kommen. Ob sie eine oder mehrere dieser Maßnahmen trifft, steht sodann in ihrem Ermessen. Das Ermessen kann sich allerdings auf Null reduzieren, wenn dies eine Verwirklichung der Ziele des Übereinkommens gebietet oder aus einer Selbstbindung der Zentralen Behörde folgt. IV. Vergleich mit der EG-UntVO Parallelvorschrift zu Art 7 ist Art 53 EG-UntVO. Während die jeweiligen Absätze 1 gleich 12 sind und Art 53 Abs 3 EG-UntVO dem Abs 2 entspricht, regelt Art 53 Abs 2 EG-UntVO ausführlich die Reaktion der ersuchten Zentralen Behörde in einem der Fälle des Abs 1. Art 53 Abs 4 EG-UntVO erklärt für ein Ersuchen nach diesem Artikel ein Formblatt für verbindlich; dem Übereinkommen ist bislang ein entsprechendes Formblatt nicht beigegeben.

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Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 207.

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Art 8 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Artikel 8: Kosten der Zentralen Behörde (1) Jede Zentrale Behörde trägt die Kosten, die ihr durch die Anwendung dieses Übereinkommens entstehen. (2) Die Zentralen Behörden dürfen vom Antragsteller für ihre nach diesem Übereinkommen erbrachten Dienstleistungen keine Gebühren erheben, außer für außergewöhnliche Kosten, die sich aus einem Ersuchen um besondere Maßnahmen nach Artikel 7 ergeben. (3) Die ersuchte Zentrale Behörde kann sich die außergewöhnlichen Kosten nach Absatz 2 nur erstatten lassen, wenn der Antragsteller im Voraus zugestimmt hat, dass die Dienstleistungen mit einem Kostenaufwand in der betreffenden Höhe erbracht werden.

I. Normzweck 1 Art 8 normiert den Grundsatz der Kostenfreiheit für das Tätigwerden der Zentralen Be-

hörde für das Verhältnis der Zentralen Behörden bzw Vertragsstaaten untereinander (Abs 1) sowie für das Verhältnis einer Zentralen Behörde zum Antragsteller (Abs 2). Eine Ausnahme hiervon macht Abs 2 lediglich für die Fälle, in denen eine Zentrale Behörde im Vorfeld eines Antrags nach Art 10 oder zur Unterstützung eines rein nationalen Verfahrens nach Art 7 um besondere Maßnahmen ersucht wird. Insoweit dürfen dem Antragsteller für die außergewöhnlichen Kosten Gebühren auferlegt werden, sofern der Antragsteller im Voraus gem Abs 3 zugestimmt hat. Abs 2 kann nicht zuletzt dazu dienen, fishing expeditions oder umfangreiche Maßnahmen im Rahmen einer pre-trial discovery, zu deren Unterstützung die ersuchte Zentrale Behörde grundsätzlich bereit ist, zu begrenzen.1 II. Entstehungsgeschichte 2 Der Entwurf vom April 2004 sah zur Frage der Kosten eine auf den Grundsatz der Kosten-

freiheit beschränkte fragmentarische Regelung vor, zu der in einer Fußnote eine ganze Reihe möglicher Ausnahmen und offener Fragen aufgeführt wurde.2 Der Entwurf vom Oktober 2005 enthielt dann schon einen dem heutigen Abs 1 weitgehend entsprechenden Abs 3 und wollte gegenüber dem Antragsteller trotz der in seinem Abs 1 normierten grundsätzlichen Kostenfreiheit in einem Abs 2 die Erhebung von Kosten für zusätzliche oder über Art 6 Abs 2 hinausgehende Dienstleistungen zulassen; in einer Fußnote war zudem darauf hingewiesen, dass die Frage der Kosten für Dienstleistungen in den Fällen des Art 7 noch untersucht werden müsse.3 Nicht zuletzt auf Anregung der Delegation der USA,4 die von Anfang an für Kindesunterhalt auf die in ihrem Land geltende Kostenfreiheit gedrängt hatten, wurde dieser Abs 2 dann gestrichen und als Ausnahme von der Kostenfreiheit

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Nimmerrichter Handbuch Rn 257. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 14 m Fn 90. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 6. Bureau Permanent, Observations portant sur l’Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille reçues par le Bureau Permanent, Doc prél No 23, juin 2006, Proposal by the delegation of the United States of America, S 7.

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Kapitel II: Zusammenarbeit auf Verwaltungsebene

Art 8 HUntVerfÜbk

nur die in jener Fußnote vorgeschlagene Kostentragungspflicht für die Fälle des Art 7 zugelassen, wobei aber die Pflicht noch auf außergewöhnliche Kosten beschränkt wurde.5 III. Einzelerläuterung 1. Kostenfreiheit im Verhältnis der Vertragsstaaten Abs 1 statuiert die Kostenfreiheit im Verhältnis der Vertragsstaaten. Die Kosten, die einer 3 Zentralen Behörde durch die Erfüllung der vom Übereinkommen vorgesehenen Aufgaben entstehen, darf sie einer anderen Zentralen Behörde oder einem anderen Staat nicht in Rechnung stellen. 2. Grundsätzliche Kostenfreiheit im Verhältnis zum Antragsteller a) Grundsatz Abs 2 ordnet zunächst die grundsätzliche Kostenfreiheit für den Antragsteller an. „Gebühr“ 4 im Sinne des Abs 2 ist die vollständige oder teilweise Auferlegung von Kosten, die der Zentralen Behörde oder einer Einrichtung iSd Art 6 Abs 3 entstanden sind, oder eine aufwandsunabhängige Pauschale. Während auch die englische Fassung in Abs 2 zunächst von „charge“, im Weiteren dann aber wie in der Überschrift, Abs 1 und Abs 3 von „costs“ spricht, verwendet die französische Fassung einheitlich den Begriff „frais“. Die Kosten, die einer Zentralen Behörde durch die Erfüllung der vom Übereinkommen vorgesehenen Aufgaben entstehen, darf sie mithin auch dem Antragsteller grundsätzlich weder ganz noch teilweise in Rechnung stellen. Antragsteller kann – wie meist – die unterhaltsberechtigte Person oder eine öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung sein, aber auch die verpflichtete Person (vgl Art 10 Abs 1 und 2).6 Für Kosten, die anderen Behörden und Einrichtungen entstanden sind, kann der Antragsteller allerdings vorbehaltlich der Art 14 ff in Anspruch genommen werden, auch wenn sie im Rahmen einer Maßnahme nach den Art 6 und 7 angefallen sind.7 b) Ausnahmen Eine Ausnahme sieht Abs 2 lediglich für außergewöhnliche Kosten vor, die sich aus einem 5 Ersuchen um besondere Maßnahmen nach Art 7 ergeben. Kosten aus einem solchen Ersuchen sind vor allem die Kosten einer auf das Ersuchen hin ergriffenen besonderen Maßnahme. Vom Wortlaut gedeckt sind aber auch Kosten, die sich allein aufgrund des Ersuchens selbst ergeben, ohne dass eine Maßnahme getroffen wurde, etwa wenn die Vorprüfung von deren Angemessenheit hohe Kosten verursacht. Allerdings werden solche Kosten kaum je außergewöhnlich sein. Außergewöhnlich sind Kosten nicht schon dann, wenn sie aufgrund eines Ersuchens nach 6 Art 7 anfallen. Denn in diesem Fall hätte es des Wortes „außergewöhnlich“ gar nicht bedurft; auch wäre Art 7 dann stark entwertet, da die Kosten der in Betracht kommenden Maßnahmen, etwa einer Feststellung der Abstammung, durchaus erheblich sein können. Als außergewöhnliche Kosten wird man daher nur solche Kosten ansehen können, die deutlich 5 6 7

Zur Diskussion um Kostenfragen auch Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 322. Levante FS Schwander (2011) 729, 736. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 216.

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Art 8 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

höher sind als die Kosten, die bei herkömmlichen Gesuchen nach Art 7 und im Regelfall der Kostenverursachung durch die Maßnahme bei herkömmlichen Maßnahmen nach Art 6 Abs 2 entstehen. Dies können insbesondere umfangreiche Maßnahmen im Rahmen einer pre-trial discovery sein, wenn die ersuchte Zentrale Behörde zu deren Unterstützung bereit ist.8 7 Sind solche Kosten entstanden, dann kommt eine Inanspruchnahme des Antragstellers

nach Abs 3 nur in Betracht, wenn dieser im Voraus zugestimmt hat, dass ihm für eine Maßnahme nicht nur überhaupt Kosten in Rechnung gestellt werden, sondern auch Kosten in ebendieser Höhe. 8 Eine weitere Ausnahme enthält Art 45 Abs 3 für die Kosten der Übersetzung eines Antrags.

Diese Kosten brauchen weder außergewöhnlich zu sein, noch muss der Antragsteller im Voraus zugestimmt haben. 9 Die Zentrale Behörde kann sich die Kosten erstatten lassen, sie muss dies aber nicht, hat also

Ermessen, das im Einzelfall oder auch aufgrund einer Selbstbindung auf Null reduziert sein kann. 3. Verhältnis zum Antragsgegner und sonstigen Dritten 10 Zu der Inanspruchnahme des Antragsgegners und Dritter für Kosten äußert sich Art 8 nicht

ausdrücklich. Abs 1, nach dem jede Zentrale Behörde ihre Kosten selbst trägt, könnte auch in diesem Verhältnis gelten. Allerdings spricht die Entstehungsgeschichte gegen eine solche Auslegung, da zunächst ausdrücklich zwischen Kostenfreiheit für den Antragsteller und Kostenfreiheit für eine andere Zentrale Behörde unterschieden wurde.9 Der Antragsgegner und Dritte können somit, wenn dies das nationale Recht vorsieht, herangezogen werden,10 der Antragsgegner etwa nach dem Unterliegensprinzip, wenn der Antragsteller in einem Unterhaltsverfahren obsiegt hat (Art 43 Abs 2), Dritte nach dem Verursacherprinzip, wenn sie durch Missachtung von Anweisungen oder Vollstreckungsmaßnahmen Kosten bei einer Zentralen Behörde haben entstehen lassen.11 IV. Vergleich mit der EG-UntVO 11 Art 54 EG-UntVO entspricht wörtlich Art 8 mit der Ausnahme, dass Art 54 Abs 2 EG-

UntVO einen zweiten Satz enthält, nach dem die Kosten aus der Feststellung des Aufenthaltsortes der verpflichteten Person nicht als außergewöhnlich gelten, also insoweit nie Kostenersatz vom Antragsteller verlangt werden kann.

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Vgl Nimmerrichter Handbuch Rn 257. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 14. Unpräzise daher Fucik iFamZ 2008, 56 („[Die Leistungen der Zentralen Behörden] sind für die Parteien kostenfrei [Art 8].“). Vgl Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 215.

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Kapitel III: Anträge über die Zentralen Behörden

Art 9 HUntVerfÜbk

Kapitel III: Anträge über die Zentralen Behörden Artikel 9: Anträge über die Zentralen Behörden Anträge nach diesem Kapitel sind über die Zentrale Behörde des Vertragsstaats, in dem der Antragsteller seinen Aufenthalt hat, bei der Zentralen Behörde des ersuchten Staates zu stellen. Bloße Anwesenheit gilt nicht als Aufenthalt im Sinne dieser Bestimmung.

I. Normzweck Art 9 legt die Grundlage dafür, wie einer der von dem Übereinkommen erleichterten An- 1 träge gestellt und bearbeitet wird, und bestimmt zugleich, welche Zentralen Behörden international zuständig sind. II. Entstehungsgeschichte Schon im Entwurf vom April 2004 fand sich eine entsprechende Norm, dort allerdings noch 2 nach der Auflistung der einzelnen Anträge und mit einer ausschließlich positiven Bestimmung des ersuchenden Staates als dem Staat des – noch geklammert: gewöhnlichen – Aufenthalts.1 Das Arbeitspapier vom Juni 2004 stellte den Artikel vor die Anträge;2 im Entwurf vom Oktober 2005 wanderte dann die nähere Bestimmung des ersuchenden Staates als des Staates des – ggf gewöhnlichen – Aufenthalts in die Definitionen ab.3 Ob jeder Aufenthalt oder nur der gewöhnliche Aufenthalt ausreichen sollte, wurde – wie die Unentschlossenheit der Entwürfe andeutet – von Anfang an stark diskutiert;4 die Entscheidung fiel schließlich bei Art 8 für den „bloßen“ Aufenthalt, bei Art 20 lit a, c und d für den gewöhnlichen Aufenthalt. Ab Januar 2007 hatte der Artikel dann die vorliegende Fassung, deren S 2 die bloße Anwesenheit als unerheblich für die Bestimmung des Aufenthalts erklärt.5 III. Einzelerläuterung 1. Ablauf und Zuständigkeiten im Allgemeinen S 1 legt zum einen fest, dass Anträge nach dem Übereinkommen grundsätzlich (siehe aber 3 Art 37) den Weg über zwei Zentrale Behörden nehmen, nämlich über die Zentrale Behörde des Aufenthaltsstaats als des ersuchenden Staats bei der Zentralen Behörde des ersuchten 1

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Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 12. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Révision No 2, Doc trav No 34 F. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 4, 7. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 512. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 7.

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Art 9 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Staates zu stellen sind. Adressat des Antrags ist also die Zentrale Behörde des ersuchten Staates; der Antrag wird aber nicht vom Antragsteller direkt dort eingereicht, sondern von der Zentralen Behörde des Aufenthaltsstaats dorthin weitergeleitet. 4 Zum anderen bestimmt S 1 positiv die internationale Zuständigkeit der Zentralen Behörde,

bei der der Antrag eingereicht werden muss, indem er hierfür die Zentrale Behörde des Vertragsstaats festlegt, in dem der Antragsteller seinen (schlichten) Aufenthalt hat. 2. Der Aufenthalt im Besonderen 5 Dadurch, dass nur ein „Aufenthalt“, nicht der „gewöhnliche Aufenthalt“ verlangt wird, will

das Übereinkommen den Zugang zu den Zentralen Behörden erleichtern.6 S 2 bestimmt nicht positiv den Aufenthalt, sondern schließt negativ aus, dass die bloße Anwesenheit zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts herangezogen wird. Ausgeschlossen ist damit der Rückgriff auf die bloße Anwesenheit in den Fällen, in denen ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht festzustellen ist. Zweck ist die Vermeidung von forum shopping durch die Reise in ein Land mit dem einzigen Ziel, dort unter Verheimlichung eines anderweitigen gewöhnlichen Aufenthalts einen Antrag einzureichen. 6 Die positive Bestimmung des Aufenthalts muss im Wege autonomer Auslegung erfolgen,

die sich an den Traditionen der Vertragsstaaten zu orientieren hat (vgl Art 53). Dabei verlangt das Übereinkommen gerade nicht einen gewöhnlichen Aufenthalt. Vielmehr reicht für die Zuständigkeit einer Zentralen Behörde als Behörde, bei der ein Antrag eingereicht wird, jeder Aufenthalt aus, sofern es sich nur um mehr als bloße Anwesenheit handelt, also eine gewisse Dauerhaftigkeit der Verbindung zu dem entsprechenden Staat im Sinne zumindest wiederkehrender Anwesenheit besteht. Wo genau die Grenzlinie verläuft, lässt sich kaum abstrakt bestimmen. 3. Zentrale Behörde des ersuchten Staates 7 Über die Zentrale Behörde des ersuchten Staates trifft Art 9 ebenfalls keine nähere Bestim-

mung. Welche Behörde dies ist, ergibt sich aber daraus, in welchem Staat nach dem Antrag eine Maßnahme vorgenommen werden soll. Hierzu ist der Antrag von der Zentralen Behörde des Aufenthaltsstaates auszulegen, wobei die Auslegung selbst wiederum nicht nach nationalen Auslegungsgrundsätzen, sondern nach den gemeinsamen Grundsätzen der Vertragsstaaten erfolgen muss. IV. Vergleich mit der EG-UntVO 8 Art 55 EG-UntVO entspricht Art 9 S 1 des Übereinkommens; eine Entsprechung zu Art 9

S 2 findet sich nur in Erwägungsgrund 32 S 3 der EG-UntVO.7 Art 2 Abs 1 Nr 7 EG-UntVO enthält eine positive Bestimmung des ersuchten Staates.

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Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 228; Hirsch Europäisches Unterhaltsrecht (2010) 17, 23. Dass dieses „downgrading“ eine Auswirkung habe, verneint Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 613.

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Kapitel III: Anträge über die Zentralen Behörden

Art 10 HUntVerfÜbk

Artikel 10: Zur Verfügung stehende Anträge (1) Einer berechtigten Person im ersuchenden Staat, die Unterhaltsansprüche nach diesem Übereinkommen geltend machen will, stehen folgende Kategorien von Anträgen zur Verfügung: a) Anerkennung oder Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung; b) Vollstreckung einer im ersuchten Staat ergangenen oder anerkannten Entscheidung; c) Herbeiführen einer Entscheidung im ersuchten Staat, wenn keine Entscheidung vorliegt, einschließlich, soweit erforderlich, der Feststellung der Abstammung; d) Herbeiführen einer Entscheidung im ersuchten Staat, wenn die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung nicht möglich ist oder mangels Grundlage für eine Anerkennung und Vollstreckung nach Artikel 20 oder aus den in Artikel 22 Buchstabe b oder e genannten Gründen verweigert wird; e) Änderung einer im ersuchten Staat ergangenen Entscheidung; f) Änderung einer Entscheidung, die in einem anderen als dem ersuchten Staat ergangen ist. (2) Einer verpflichteten Person im ersuchenden Staat, gegen die eine Unterhaltsentscheidung vorliegt, stehen folgende Kategorien von Anträgen zur Verfügung: a) Anerkennung einer Entscheidung oder ein gleichwertiges Verfahren, die beziehungsweise das die Aussetzung oder Einschränkung der Vollstreckung einer früheren Entscheidung im ersuchten Staat bewirkt; b) Änderung einer im ersuchten Staat ergangenen Entscheidung; c) Änderung einer Entscheidung, die in einem anderen als dem ersuchten Staat ergangen ist. (3) Sofern in diesem Übereinkommen nichts anderes bestimmt ist, werden Anträge gemäß den Absätzen 1 und 2 nach dem Recht des ersuchten Staates behandelt; Anträge nach Absatz 1 Buchstaben c bis f und Absatz 2 Buchstaben b und c unterliegen den in diesem Staat geltenden Zuständigkeitsvorschriften. I. II. III.

Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelerläuterung 1. Anträge der berechtigten Person . . . . . . . . a) Anerkennung oder Anerkennung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Herbeiführen einer erstmaligen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV.

d) Herbeiführen einer erneuten Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 e) Änderung einer Entscheidung . . . . . . . . . . . 8 2. Anträge der verpflichteten Person . . . . . . 9 a) Aussetzung oder Einschränkung der Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 b) Änderung einer Entscheidung . . . . . . . . . . 11 3. Anwendbares Verfahrensrecht . . . . . . . . . 12 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . 16

I. Normzweck Art 10 listet in seinem Abs 1 die einer berechtigten Person, in Abs 2 die einer verpflichteten 1 Person möglichen Anträge auf, die in den Genuss des Übereinkommens kommen. Abs 3 HS 1 unterstellt die Behandlung der Anträge – nicht die Frage des Bestehens einer Unterhaltspflicht – grundsätzlich dem Recht des ersuchten Staates; HS 2 sieht für einzelne Anträge zudem vor, dass die im ersuchten Staat geltenden Zuständigkeitsvorschriften zur Anwendung kommen.

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Art 10 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

II. Entstehungsgeschichte 2 Eine Auflistung der Anträge, die unter das Übereinkommen fallen, enthielt bereits der

Entwurf vom April 2004. Die im heutigen Abs 3 enthaltene Regelung über das anwendbare Recht fehlte dort allerdings mit Ausnahme eines noch in Klammern stehenden, für sämtliche Anträge einer berechtigten wie einer verpflichteten Person geltenden Verweises auf die Zuständigkeitsvorschriften des ersuchten Staates. Ein Abs 3 sah seinerzeit noch isolierte Anträge zur Feststellung der Abstammung vor.1 Im Entwurf vom Oktober 2005 war dieser Abs 3 dann nicht mehr enthalten;2 der Entwurf vom Januar 2007 entsprach im Hinblick auf die einzelnen Anträge und den heutigen Abs 3 schon im Wesentlichen der heutigen Fassung.3 III. Einzelerläuterung3a 1. Anträge der berechtigten Person 3 Abs 1 enthält eine Liste der unter das Übereinkommen fallenden Anträge einer berechtigten

Person „im ersuchenden Staat“, also mit dortigem Aufenthalt (vgl Art 9 S 1, 2). a) Anerkennung oder Anerkennung und Vollstreckung 4 Nach lit a stehen zur Verfügung isolierte Anträge auf Anerkennung einer Entscheidung oder

auf Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung, wobei einer Entscheidung gem Art 30 Abs 2 eine Unterhaltsvereinbarung gleichsteht. Die Entscheidung, deren Anerkennung oder Anerkennung und Vollstreckung begehrt wird, muss in einem Vertragsstaat, aber nicht notwendigerweise dem ersuchenden Staat, ergangen sein;4 eine im ersuchten Staat ergangene Entscheidung bedarf keiner Anerkennung. Ein Antrag nach lit a steht gem Art 36 Abs 1 auch einer öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtung offen. b) Vollstreckung 5 Begehrt werden kann nach lit b auch isoliert die Vollstreckung einer im ersuchten Staat

selbst ergangenen Entscheidung oder einer Entscheidung, die in einem anderen Staat – auch einem Nichtvertragsstaat5 – ergangen und im ersuchten Staat anerkannt worden ist. Für die Zwecke von lit b stellt Art 30 Abs 2 ebenfalls eine Unterhaltsvereinbarung einer Entscheidung gleich. Lit b erlangt Bedeutung, wenn der Antragsteller zunächst davon ausging, der Schuldner werde nach Anerkennung freiwillig leisten, sich später aber doch die Notwendig1

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Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 7 f. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 7; dazu Borrás/ Degeling Rapport explicatif Rn 247. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 7. Siehe nunmehr auch das ausführliche Manuel pratique pour les responsables de dossiers concernant la Convention Recouvrement des aliments de 2007 (2013), abrufbar unter www.hcch.net, Conventions Nr 38 Publications. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 240 f. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 243.

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Kapitel III: Anträge über die Zentralen Behörden

Art 10 HUntVerfÜbk

keit einer Vollstreckung zeigt. Einen Antrag nach lit b kann gem Art 36 Abs 1 auch eine öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung stellen. c) Herbeiführen einer erstmaligen Entscheidung Liegt eine Entscheidung, die anerkannt und vollstreckt werden könnte, noch gar nicht vor, 6 ist nach lit c auch ein verfahrenseinleitender Antrag möglich. Der Antrag muss dabei unmittelbar auf eine Unterhaltsentscheidung gerichtet sein, er kann aber soweit erforderlich und gem Abs 3 zulässig auch die Feststellung der Abstammung mitumfassen. Erforderlich ist eine Entscheidung über die Abstammung, wenn die berechtigte Person wie beim Kindesunterhalt häufig auf die Feststellung der Abstammung angewiesen ist, um eine Unterhaltsentscheidung zu erreichen.6 Die Möglichkeit solcher Anträge war vor allem für die USA ein wichtiges Anliegen, da eine berechtigte Person mit Aufenthalt in den USA dort mangels Klägergerichtsstands nicht stets ein Verfahren einleiten kann.7 d) Herbeiführen einer erneuten Entscheidung Auch wenn eine Entscheidung bereits vorliegt, kann unter Mitwirkung der Zentralen Be- 7 hörden die Herbeiführung einer erneuten Entscheidung in einem Vertragsstaat beantragt werden, wenn die vorliegende Entscheidung von vornherein nicht anerkannt und vollstreckt werden kann (Prognose) oder Anerkennung und Vollstreckung berechtigterweise verweigert werden, weil die Voraussetzungen einer Anerkennung und Vollstreckung nach Art 20 nicht gegeben sind oder einer der in Art 22 lit b oder e genannten Fälle – Betrug oder Versäumnisentscheidung mit Gehörsverletzung – vorliegt. Dass nur auf Art 22 lit b und e verwiesen wird, erklärt sich daraus, dass in den anderen Fällen des Art 22 auch die Herbeiführung einer erneuten Entscheidung nicht aussichtsreich wäre, so bei offensichtlichem Verstoß gegen den ordre public (Art 22 lit a), bei früherer Rechtshängigkeit (Art 22 lit c) oder Rechtskraft bzw Anerkennungs- und Vollstreckungsfähigkeit (Art 22 lit d) im ersuchten Staat oder bei Verletzung des die Verfahrensbegrenzung regelnden Art 18 (Art 22 lit f). e) Änderung einer Entscheidung Nach lit e kann die Änderung einer im ersuchten Staat ergangenen Entscheidung, nach lit f 8 die Änderung einer in einem anderen Staat als dem ersuchten Staat ergangenen Entscheidung unter dem Übereinkommen beantragt werden. Allerdings ist Art 18 zu beachten. 2. Anträge der verpflichteten Person Abs 2 enthält im Gegenzug eine Liste der unter das Übereinkommen fallenden Anträge 9 einer verpflichteten Person „im ersuchenden Staat“, also mit dortigem Aufenthalt (vgl Art 9 S 1, 2). Dass – anders als unter dem NYUntÜbk 1956 – auch die verpflichtete Person die Möglichkeit haben sollte, Anträge über Zentrale Behörden zu stellen, war von Anfang an Konsens, um ein Gleichgewicht zwischen Gläubiger und Schuldner herzustellen und den Schuldner zur freiwilligen (Weiter-) Zahlung zu bewegen.8 a) Aussetzung oder Einschränkung der Vollstreckung Hat die verpflichtete Person in einem Staat eine Aussetzung oder Einschränkung der Voll- 10 6 7 8

Vgl Kurucz FLI March 2012, 103. Carlson Fam LQ 43 (2009) 21, 29. Kurucz La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09) 4, 5; Kurucz FLI March 2012, 103, 104.

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Art 10 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

streckung einer Unterhaltsentscheidung erreicht, so kann sie nach lit a die Anerkennung oder anderweitige Berücksichtigung9 dieser Entscheidung im ersuchten Staat beantragen. Art 30 Abs 2 stellt eine Unterhaltsvereinbarung einer Entscheidung gleich, und zwar mangels jeder Einschränkung im Wortlaut sowohl als vollstreckte bzw zu vollstreckende als auch als die Vollstreckung aussetzende oder einschränkende Entscheidung. b) Änderung einer Entscheidung 11 Nach lit b kann die Änderung einer im ersuchten Staat ergangenen Entscheidung, nach lit c

die Änderung einer in einem anderen Staat als dem ersuchten Staat ergangenen Entscheidung beantragt werden. Insbesondere die berechtigte Person hat Art 18 zu beachten. 3. Anwendbares Verfahrensrecht 12 Nach Abs 3 HS 1 werden die in den Abs 1 und 2 genannten Anträge grundsätzlich nach dem

Recht des ersuchten Staates behandelt. Gemeint ist damit nicht die materiellrechtliche Beurteilung der Frage, ob und ggf in welchem Umfang eine Unterhaltspflicht besteht (dazu zB das HUntStProt 2007). Vielmehr ist unter der „Behandlung“ der Anträge deren verfahrensrechtliche Bearbeitung zu verstehen, es handelt sich also um eine Regelung über das anwendbare Verfahrensrecht, die der Grundregel des internationalen Verfahrensrechts – Anwendbarkeit der jeweiligen lex fori des handelnden Organs – entspricht. 13 Diese Regel gilt nicht uneingeschränkt, da anderenfalls die besonderen verfahrensrecht-

lichen Regelungen des Übereinkommens für bestehende nationale Verfahren wieder ausgehebelt wären. Der einleitende Konditionalsatz, nach dem die lex fori nur gilt, „sofern in diesem Übereinkommen nichts anderes bestimmt ist“, stellt dies klar. Zu den verfahrensrechtlichen Regelungen des Übereinkommens, die dem Verfahrensrecht des ersuchten Staates vorgehen, gehören etwa die Art 14 ff. 14 Dass im Übrigen solche verfahrensrechtlichen Regelungen, die überhaupt erst aufgrund der

Einrichtung der von dem Übereinkommen vorgesehenen Zentralen Behörden und den Regeln über deren Zusammenarbeit zur Anwendung kommen, ungeachtet des nationalen Verfahrensrechts gelten, folgt schon aus dem Fehlen nationalen Verfahrensrechts für diese Fälle, kann aber auch auf Art 10 Abs 3 HS 1 gestützt werden. Derartige Regelungen sind etwa Art 12 Abs 7 und 9 sowie Art 13. 15 Abs 3 HS 2 schließlich sieht vor, dass für bestimmte Anträge die Zuständigkeitsvorschriften

des ersuchten Staats gelten. Bei diesen Anträgen handelt es sich sämtlich um solche, die auf ein neues Erkenntnisverfahren – zur erstmaligen bzw erstmaligen im ersuchten Staat anerkennungs- und vollstreckungsfähigen Titulierung oder zur Abänderung einer Unterhaltsentscheidung – gerichtet sind. Die Anträge auf Anerkennung und Vollstreckung sind in Abs 3 ausgenommen, da insoweit das Übereinkommen anderenorts (Art 23 f, 26, 32) Vorgaben macht. IV. Vergleich mit der EG-UntVO 16 Art 56 Abs 1 und 3 EG-UntVO entsprechen Abs 1 und 2, Art 56 Abs 4 EG-UntVO ent9

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Dazu Doogue La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09) 23, 24.

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Kapitel III: Anträge über die Zentralen Behörden

Art 11 HUntVerfÜbk

spricht weitgehend Abs 3, sieht aber durchweg die Geltung der Zuständigkeitsvorschriften des ersuchten Mitgliedstaates vor.

Artikel 11: Inhalt des Antrags (1) Anträge nach Artikel 10 müssen mindestens folgende Angaben enthalten: a) eine Erklärung in Bezug auf die Art des Antrags oder der Anträge; b) den Namen und die Kontaktdaten des Antragstellers, einschließlich seiner Adresse und seines Geburtsdatums; c) den Namen und, sofern bekannt, die Adresse sowie das Geburtsdatum des Antragsgegners; d) den Namen und das Geburtsdatum jeder Person, für die Unterhalt verlangt wird; e) die Gründe, auf die sich der Antrag stützt; f) wenn die berechtigte Person den Antrag stellt, Angaben zu dem Ort, an dem die Unterhaltszahlungen geleistet oder an den sie elektronisch überwiesen werden sollen; g) außer bei Anträgen nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe a und Absatz 2 Buchstabe a alle Angaben oder Schriftstücke, die vom ersuchten Staat in einer Erklärung nach Artikel 63 verlangt worden sind; h) den Namen und die Kontaktdaten der Person oder Dienststelle in der Zentralen Behörde des ersuchenden Staates, die für die Bearbeitung des Antrags zuständig ist. (2) Wenn angebracht und soweit bekannt, muss der Antrag außerdem Folgendes enthalten: a) Angaben über die finanziellen Verhältnisse der berechtigten Person; b) Angaben über die finanziellen Verhältnisse der verpflichteten Person, einschließlich des Namens und der Adresse des Arbeitgebers der verpflichteten Person, sowie Art und Belegenheit der Vermögensgegenstände der verpflichteten Person; c) alle anderen Angaben, die es gestatten, den Aufenthaltsort des Antragsgegners ausfindig zu machen. (3) Dem Antrag sind alle erforderlichen Angaben oder schriftlichen Belege einschließlich Unterlagen zum Nachweis des Anspruchs des Antragstellers auf unentgeltliche juristische Unterstützung beizufügen. Anträgen nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe a und Absatz 2 Buchstabe a sind nur die in Artikel 25 aufgeführten Schriftstücke beizufügen. (4) Anträge nach Artikel 10 können anhand eines von der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht empfohlenen und veröffentlichten Formblatts* gestellt werden. I. II. III.

Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Einzelerläuterung 1. Stets zu machende Angaben . . . . . . . . . . . . . 3 2. Nicht unbedingt zu machende Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3. Weitere Angaben und Unterlagen . . . . . 17

IV.

4. Erleichterung bei bestimmten Anträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 5. Konsequenz des Fehlens erforderlicher Angaben oder Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . 21 6. Formblatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . 23

I. Normzweck Art 11 regelt den Inhalt der Anträge, die beizufügenden Angaben und Belege sowie die 1 *

Schweiz: Formulars.

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fakultative Verwendung eines von der Haager Konferenz ausgearbeiteten Antragsformulars („Formblatts“). II. Entstehungsgeschichte 2 Im Entwurf vom April 2004 wie noch im Arbeitsdokument vom Juni 2004 waren die

notwendigen Bestandteile eines Antrags für jeden Antrag in einem eigenen Artikel aufgeführt; ob die Verwendung des Formblatts zwingend oder optional sein sollte, war noch offengelassen.1 Was den Inhalt eines Antrags angeht, orientierte man sich am „Model Form for a Request for Judicial and/or Administrative Assistance for the Recovery Abroad of Maintenance“, an Section 24 der „Bill 2, an Act Respecting the reciprocal issue and enforcement of support orders (Quebec)“ von 2003, an Section 311 des Uniform Interstate Family Support Act der USA von 1996 (UIFSA) sowie an Art 4 HUntAVÜbk 1973.2 Der Entwurf vom Januar 2005 enthielt bereits eine allgemeine Vorschrift über den Inhalt des Antrags, die weitgehend dem heutigen Art 11 entspricht, bot allerdings daneben noch eine zweite Fassung des Artikels für den Fall an, dass die Verwendung eines Formblatts zwingend vorgeschrieben würde.3 Noch näher an der heutigen Fassung liegen die Entwürfe vom Oktober 2005, vom Januar und vom Juni 2007, die aber ebenfalls noch eine – stark verkürzte – zweite Fassung für den Fall zwingender Verwendung eines Formblatts vorsahen,4 welche nach der Entscheidung für die fakultative Verwendung des Formblatts wegfiel.5 III. Einzelerläuterung 1. Stets zu machende Angaben 3 Abs 1 listet Angaben auf, die jeder der unter dem Übereinkommen möglichen Anträge

enthalten muss. 4 Aus der von lit a geforderten Erklärung über die Art des Antrags oder der Anträge soll das

Begehren seiner Art nach sogleich deutlich werden. 5 Die von lit b verlangte Angabe von Namen, Kontaktdaten einschließlich Adresse und Ge1

2

3

4

5

960

Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 9-12; Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Proposition du Comité de rédaction, Doc trav No 34 F, 17 juin 2004, S 5 f. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 9 Fn 53 f. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 8. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 7 f; Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 7 f; Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 7 f. Dazu Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 514.

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burtsdatum des Antragstellers dient zum einen der Sicherstellung der Kontaktaufnahme, zum anderen der eindeutigen Identifizierung. Unter Adresse ist dabei eine herkömmliche Postadresse zu verstehen, für die ein Postfach ausreichend sein sollte. Dass lit c nur den Namen des Antragsgegners zwingend voraussetzt, Adresse und Geburts- 6 datum aber nur sofern bekannt einfordert, kommt dem Antragsteller entgegen, der diese Daten möglicherweise nie gekannt oder verloren hat oder der nur eine veraltete Adresse kennt. Namen und Geburtsdatum der Person, für die Unterhalt verlangt wird, sind gem lit d stets 7 anzugeben. Diese Angaben können mit den Angaben über die Person des Antragstellers zusammenfallen; ein Auseinanderfallen ist insbesondere dergestalt denkbar, dass der Elternteil, bei dem sich ein unterhaltsberechtigtes Kind befindet, einen Antrag gegen den anderen Elternteil im eigenen Namen stellt. Lit e verlangt eine Angabe der Gründe, auf die sich der Antrag stützt, äußert sich aber nicht 8 dazu, wie detailliert diese Gründe anzugeben sind. Sicher erforderlich ist eine Angabe des Rechtsverhältnisses zwischen den Beteiligten, aus dem die Unterhaltspflicht herrühren soll. Ob und ggf in welchem Umfang es weiterer Angaben bedarf, lässt der Übereinkommenstext an dieser Stelle offen. Teilweise kann aus Vorschriften des Übereinkommens direkt abgeleitet werden, dass weitere Angaben zu machen sind, etwa aus Art 16 Abs 3 hinsichtlich der Mittel des Kindes. Ansonsten ist hier auf die Erforderlichkeit zur Bearbeitung des Antrags abzustellen (vgl Abs 3 S 1). Gem lit f sind bei Anträgen der berechtigten Person Angaben zu dem Ort, an dem die 9 Unterhaltszahlungen geleistet oder an den sie elektronisch überwiesen werden sollen, zu machen. Dies dient der technischen Vereinfachung und Beschleunigung, nicht zuletzt im Falle einer Weiterleitung. Mit Ausnahme von Anträgen auf Anerkennung oder Anerkennung und Vollstreckung 10 (Art 10 Abs 1 lit a) und Anträgen auf Aussetzung oder Einschränkung der Vollstreckung (Art 10 Abs 2 lit a) kann der ersuchte Staat in einer Erklärung nach lit g, Art 63 weitere Angaben oder Schriftstücke verlangen. Diese müssen dann gem lit g im Antrag enthalten sein. Derartige Erklärungen hat insbes die EU abgegeben, so Belgien, Tschechien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Kroatien, Lettland, Malta, Polen, Portugal, die Slowakei sowie das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland.6 Die Zahl der Erklärungen war vor dem Beitritt der EU immer weiter angewachsen.7 Stets anzugeben sind schließlich nach lit h Name und Kontaktdaten der Person oder Dienst- 11 stelle in der Zentralen Behörde des ersuchenden Staates, die für die Bearbeitung des Antrags zuständig ist. Diese Angaben kann und muss die Zentrale Behörde selbst machen.

6 7

Rat der EU, 9.4.2014, Art 1 Nr 3 iVm Anhang III Nr 1, ABl EU L 113/1, 5-16. S zunächst Rat der EU, v 9.6.2011, Art 6 iVm Anhang III Nr 1, ABl EU L 192/39, 43-48, sodann Europäische Kommission, 29.1.2013, COM (2013) 35 S 10-12.

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2. Nicht unbedingt zu machenden Angaben 12 Abs 2 verlangt einige weitere Angaben nur, wenn diese „angebracht“ sind und soweit sie

bekannt sind. Zwar werden dem Antragsteller hier weitere Angaben abverlangt. Da er diese nur machen muss, wenn sie ihm bekannt sind, und zudem die Angaben unter dem Vorbehalt des „Angebrachtseins“ stehen, liegt hierin aber nur eine relativ geringfügige Belastung; vor allem wirkt dieser Absatz zugunsten des Antragstellers, da er ihm garantiert, die entsprechenden Angaben nur machen zu müssen, wenn sie angebracht und ihm bekannt sind. 13 „Angebracht“ („appropriate“/„approprié“) sind Angaben jedenfalls nur, wenn sie für die

Bearbeitung des konkreten Antrags überhaupt relevant sind. Zudem kann „angebracht“ nur eine Angabe sein, für die der Antragsteller die primäre Darlegungs- und Beweislast trägt, was allerdings hinsichtlich der in lit a bis c genannten Umstände regelmäßig der Fall sein dürfte. Da Abs 3 von „erforderlichen“ Angaben spricht, wird man „angebracht“ als enger ansehen müssen, sodass an sich erforderliche Angaben im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände, etwa der Eilbedürftigkeit, nicht bereits im Antrag zu machen sind.

14 Unter dem Vorbehalt des „Angebrachtseins“ und der Kenntnis sind nach lit a Angaben über

die finanziellen Verhältnisse der berechtigten Person zu machen. Dies gilt sowohl für Anträge, die von dieser oder in deren Interesse gestellt sind, als auch für Anträge der verpflichteten Person. 15 Die spiegelbildliche Vorschrift enthält lit b für die finanziellen Verhältnisse der verpflich-

teten Person, wobei hier ausdrücklich noch Name und Adresse des Arbeitgebers sowie Art und Belegenheit der Vermögensgegenstände genannt sind, da man diese Angaben nicht notwendigerweise als Angaben über die finanziellen Verhältnisse als solche ansehen muss, sie aber insbesondere zum Zweck von Vollstreckungsmaßnahmen überaus wichtig sein können. 16 Lit c fordert alle anderen Angaben, die zur Ermittlung des Aufenthaltsorts des Antrags-

gegners beitragen können. Dies gilt wiederum für Anträge beider Seiten, wird aber vor allem bei Anträgen der berechtigten Person oder für diese gestellten Anträgen bedeutsam sein. 3. Weitere Angaben und Unterlagen 17 Nach Abs 3 S 1 sind dem Antrag im Übrigen alle erforderlichen Angaben oder schriftlichen

Belege beizufügen, die ihn stützen („supporting“/„justificatif“, keine Entsprechung im deutschen Text), einschließlich solcher Schriftstücke, die den Anspruch des Antragstellers auf unentgeltliche juristische Unterstützung belegen können. Man könnte zwar Abs 3 S 1 in der deutschen Fassung auch so lesen, dass er sich nur auf die Frage der unentgeltlichen juristischen Unterstützung bezieht. Die allein verbindliche englische und französische Fassung, in denen statt von „Schriftstück“ und „Unterlagen“ zweimal von „documentation“ bzw „document“ die Rede ist, lassen eine solche Auslegung aber nicht zu. 18 Zugleich folgt aus der Verwendung von „documentation“ bzw „document“ in der englischen

bzw französischen Fassung, dass die Übersetzung „Schriftstück“ nicht so verstanden werden darf, als erfasse sie nur solche Unterlagen, die von Anfang an in textlicher Form auf einem

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Papier festgehalten wurden, sondern alle Arten von Unterlagen, etwa auch Tabellen mit Zahlenkolonnen oder Ausdrucke. 4. Erleichterung bei bestimmten Anträgen Für Anträge der berechtigten Person auf Anerkennung oder Anerkennung und Vollstre- 19 ckung (Art 10 Abs 1 lit a) sowie Anträge der verpflichteten Person auf Aussetzung oder Einschränkung der Vollstreckung (Art 10 Abs 2 lit a) enthält Abs 3 S 2 eine Sonderregelung. Ihrzufolge sind diesen Anträgen lediglich die in Art 25 genannten Schriftstücke beizufügen. Das Wort „documents“ in der englischen und französischen Fassung zeigt wiederum, dass 20 unter „Schriftstücken“ nicht nur solche Unterlagen verstanden werden dürfen, die von Anfang an Informationen in textlicher Form auf einem Papier festhalten, sondern auch andere Dokumente wie nicht ausformulierte Zahlenreihen oder spätere Ausdrucke (vgl Rn 18). 5. Konsequenz des Fehlens erforderlicher Angaben oder Unterlagen Enthält ein Antrag nicht sämtliche erforderlichen Angaben oder Unterlagen, wird regel- 21 mäßig die Zentrale Behörde des ersuchenden Staates dem Antragsteller die Ergänzung aufgeben (Art 12 Abs 1). Geht dennoch ein unvollständiger Antrag bei einer ersuchten Zentralen Behörde ein, so darf diese den Antrag nicht allein deshalb sofort ablehnen, sondern erst, nachdem sie der ersuchenden Zentralen Behörde eine Frist zur Ergänzung gesetzt hat, die fruchtlos verstrichen ist (Art 12 Abs 9). 6. Formblatt Gem Abs 4 können Anträge nach Art 10 unter Verwendung eines Formblattes gestellt 22 werden, das die Haager Konferenz empfohlen und veröffentlicht hat. Ein solches Formblatt war bei Verabschiedung des Übereinkommens diesem nicht beigefügt und wurde auch bislang nicht veröffentlicht.8 IV. Vergleich mit der EG-UntVO Anders als nach Art 11 ist nach Art 57 Abs 1 EG-UntVO stets das entsprechende Formblatt 23 zu verwenden. Art 57 Abs 2, 4 und 5 entsprechen weitgehend Art 11 Abs 1, 2 und 3.

Artikel 12: Übermittlung, Entgegennahme und Bearbeitung der Anträge und Fälle durch die Zentralen Behörden (1) Die Zentrale Behörde des ersuchenden Staates ist dem Antragsteller behilflich, um sicherzustel-

8

Vgl Commission spéciale, Conclusions et recommandations de la Commission spéciale sur la mise en œuvre de la Convention de 2007 sur le recouvrement des aliments et du protocole de 2007 sur la loi applicable aux obligations alimentaires (10-17 novembre 2009), novembre 2009, S 3; siehe aber den Entwurf in Doc prél No 31-B, juillet 2007.

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(2)

(3)

(4) (5)

(6) (7) (8)

(9)

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len, dass der Antrag alle Schriftstücke und Angaben umfasst, die nach Kenntnis dieser Behörde für seine Prüfung notwendig sind. Nachdem sich die Zentrale Behörde des ersuchenden Staates davon überzeugt hat, dass der Antrag den Erfordernissen des Übereinkommens entspricht, übermittelt sie ihn im Namen des Antragstellers und mit seiner Zustimmung der Zentralen Behörde des ersuchten Staates. Dem Antrag ist das Übermittlungsformblatt* nach Anlage 1 beizufügen. Auf Verlangen der Zentralen Behörde des ersuchten Staates legt die Zentrale Behörde des ersuchenden Staates eine von der zuständigen Behörde des Ursprungsstaats beglaubigte vollständige Kopie der in Artikel 16 Absatz 3, Artikel 25 Absatz 1 Buchstaben a, b und d, Artikel 25 Absatz 3 Buchstabe b und Artikel 30 Absatz 3 aufgeführten Schriftstücke vor. Innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag des Eingangs des Antrags bestätigt die ersuchte Zentrale Behörde den Eingang anhand des Formblatts** nach Anlage 2, benachrichtigt die Zentrale Behörde des ersuchenden Staates über die ersten Maßnahmen, die zur Bearbeitung des Antrags getroffen wurden oder werden, und fordert gegebenenfalls die von ihr für notwendig erachteten zusätzlichen Schriftstücke oder Angaben an. Innerhalb derselben sechswöchigen Frist teilt die ersuchte Zentrale Behörde der ersuchenden Zentralen Behörde den Namen und die Kontaktdaten der Person oder Dienststelle mit, die damit beauftragt ist, Fragen im Hinblick auf den Stand des Antrags zu beantworten. Innerhalb von drei Monaten nach der Empfangsbestätigung unterrichtet die ersuchte Zentrale Behörde die ersuchende Zentrale Behörde über den Stand des Antrags. Die ersuchende und die ersuchte Zentrale Behörde unterrichten einander a) über die Identität der Person oder der Dienststelle, die für einen bestimmten Fall zuständig ist; b) über den Stand des Falles und beantworten Auskunftsersuchen rechtzeitig. Die Zentralen Behörden behandeln einen Fall so zügig, wie es eine sachgemäße Prüfung seines Gegenstands zulässt. Die Zentralen Behörden benutzen untereinander die schnellsten und effizientesten Kommunikationsmittel, die ihnen zur Verfügung stehen. Eine ersuchte Zentrale Behörde kann die Bearbeitung eines Antrags nur ablehnen, wenn offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen des Übereinkommens nicht erfüllt sind. In diesem Fall unterrichtet die betreffende Zentrale Behörde die ersuchende Zentrale Behörde umgehend über die Gründe für ihre Ablehnung. Die ersuchte Zentrale Behörde kann einen Antrag nicht allein deshalb ablehnen, weil zusätzliche Schriftstücke oder Angaben erforderlich sind. Die ersuchte Zentrale Behörde kann die ersuchende Zentrale Behörde jedoch auffordern, solche zusätzlichen Schriftstücke oder Angaben zu übermitteln. Geschieht dies nicht innerhalb von drei Monaten oder einer von der ersuchten Zentralen Behörde gesetzten längeren Frist, so kann diese Behörde beschließen, die Bearbeitung des Antrags zu beenden. In diesem Fall unterrichtet sie die ersuchende Zentrale Behörde von ihrer Entscheidung.

I. II. III.

Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Einzelerläuterung 1. Vollständigkeitskontrolle und

Hilfestellung durch die ersuchende Zentrale Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2. Übermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 3. Erste Handlungen der ersuchten

* Schweiz: Übermittlungsformulars. ** Schweiz: Formulars.

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Zentralen Behörde nach Eingang eines Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 4. Unterrichtungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 a) Unterrichtungspflicht der ersuchten Zentralen Behörde nach drei Monaten 8 b) Gegenseitige Unterrichtungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

5. Zügige Bearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 6. Kommunikationsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 7. Ablehnung der Bearbeitung . . . . . . . . . . . . 20 8. Behandlung unvollständiger Anträge . . 24 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . 26

IV.

I. Normzweck Art 12 gibt im Einzelnen vor, wie die Zentralen Behörden mit einem unter Kapitel III 1 fallenden Antrag (nicht einem Ersuchen nach Art 7) umzugehen haben, und will damit eine prompte und sachangemessene Behandlung sicherstellen.1 II. Entstehungsgeschichte Ein Vorgänger des heutigen Art 12 fand sich schon im Entwurf vom April 2004; er verlangte 2 aber von der ersuchenden Zentralen Behörde noch nicht explizit eine Hilfeleistung für den Antragsteller, kannte noch keine Formblätter, sah kürzere Fristen vor und verbot nicht die Ablehnung eines unvollständigen Antrags vor fruchtlosem Ablauf einer der ersuchenden Behörde gesetzten Frist.2 Der Entwurf vom Januar 2005 enthielt dann die Pflicht der Zentralen Behörde zur Hilfestellung und die – schon im Arbeitsdokument vom Juni 2004 enthaltene3 – sechswöchige Frist des Abs 3.4 Im Entwurf vom Oktober 2005 erschien erstmals der Verweis auf die Formulare sowie das ausdrückliche Verbot einer Zurückweisung allein wegen Unvollständigkeit.5 Der Entwurf vom Januar 2007 entsprach dann weitgehend der endgültigen Fassung.6 III. Einzelerläuterung6a 1. Vollständigkeitskontrolle und Hilfestellung durch die ersuchende Zentrale Behörde Abs 1 verlangt von der ersuchenden Zentralen Behörde, dem Antragsteller bei der Stellung 3 eines vollständigen Antrags behilflich zu sein. Dies setzt eine Kontrolle des Antrags auf 1 2

3

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5

6

6a

Duncan YB PIL 10 (2008), 313, 320; Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 316-318. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 12 f. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Proposition du Comité de rédaction, Doc trav No 34 F, 17 juin 2004, S 6. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 9. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 8 f. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 8 f. Siehe nunmehr wiederum das ausführliche Manuel pratique pour les responsables de dossiers concer-

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B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Vollständigkeit (Art 11, 44 f) voraus (vgl Abs 2). Die Hilfestellung besteht primär darin, vom Antragsteller fehlende Angaben und Unterlagen nachzufordern; ggf wirkt die Zentrale Behörde schon in diesem Stadium bei der Beschaffung von Angaben oder Unterlagen mit (vgl Art 6, 7 Abs 1). 2. Übermittlung 4 Ist die ersuchende Zentrale Behörde überzeugt, dass der Antrag dem Übereinkommen ent-

spricht, hat sie ihn ohne weitere Sachprüfung7 gem Abs 2 an die ersuchte Zentrale Behörde unter Beifügung des Formblatts nach Anlage 1 zu übermitteln. Diese Übermittlung erfolgt im Namen des Antragstellers und mit seiner Zustimmung, was eine nochmalige Rückfrage erfordern kann. 5 Gem S 3 kann die ersuchte Zentrale Behörde von der ersuchenden Zentralen Behörde eine

von der zuständigen Behörde des Ursprungsstaats (Art 20 Abs 1) beglaubigte vollständige Kopie bestimmter Unterlagen verlangen, nämlich im Fall des Art 16 der Bestätigung über die Mittel eines Kindes nach Art 16 Abs 3, im Fall der Anerkennung und Vollstreckung einer Unterhaltsentscheidung des Wortlauts der Entscheidung bzw einer Zusammenfassung, eines Vollstreckbarkeitsnachweises und eines Schriftstücks über Zahlungsrückstände und das Datum ihrer Berechnung (Art 25 Abs 1 lit a, b, d, Abs 3 lit b) oder, im Fall der Anerkennung und Vollstreckung einer Unterhaltsvereinbarung, des Wortlauts dieser Vereinbarung und eines Vollstreckbarkeitsnachweises (Art 30 Abs 3). Die ersuchte Zentrale Behörde kann dieses Verlangen sowohl im Einzelfall nach Erhalt eines Antrags (vgl Abs 3 S 1 aE) als auch im Voraus äußern (vgl Art 11 Abs 1 lit g). Wird eine angeforderte beglaubigte Kopie nicht vorgelegt, gilt mangels einer Spezialregelung Abs 9. 3. Erste Handlungen der ersuchten Zentralen Behörde nach Eingang eines Antrags 6 Abs 3 S 1 verlangt von der ersuchten Zentralen Behörde innerhalb von sechs Wochen nach

Eingang viererlei: Zum ersten die Bestätigung des Eingangs mithilfe des Formblatts nach Anlage 2, zum zweiten die Benachrichtigung über die ersten getroffenen oder zu treffenden Maßnahmen, zum dritten ggf die Anforderung fehlender Unterlagen oder Angaben und zum vierten die Mitteilung der Kontaktdaten der Person oder Dienststelle, an die sich die ersuchende Behörde bei Fragen zum Stand des Antrags wenden kann. Ziel dieses Absatzes ist es, durch die Frist und verschiedene Angaben die Bearbeitung zu beschleunigen. Disziplinierend wirkt bereits die Eingangsbestätigung, weil sie der ersuchten Zentralen Behörde verwehrt, sich auf die Nichterhaltung des Antrags zurückzuziehen. Disziplinierend wirkt sodann die Benachrichtigung über die ersten getroffenen oder zu treffenden Maßnahmen, weil dies zumindest eine inhaltliche Befassung mit dem Antrag voraussetzt und eine gezielte Rückfrage erlaubt, ob die Maßnahmen vorgenommen wurden und was ihr Ergebnis war. Auch das Erfordernis, fehlende Unterlagen binnen vier Wochen nachzufordern, wirkt disziplinierend, indem es ein späteres Berufen auf fehlende Unterlagen erschwert. Schließlich wird durch die Mitteilung einer Kontaktperson oder wenigstens Kontaktdienststelle der

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nant la Convention Recouvrement des aliments de 2007 (2013), abrufbar unter www.hcch.net, Conventions Nr 38 Publications. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 323.

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Kapitel III: Anträge über die Zentralen Behörden

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ersuchenden Behörde die Rückfrage erleichtert und damit mittelbar ebenfalls eine Disziplinierung erreicht. Die eindeutige Frist, die klaren Handlungsaufträge sowie die Sicherstellung einer Rückfrage- 7 möglichkeit sollen die ersuchte Zentrale Behörde dazu anhalten, den Vorgaben des Übereinkommens nachzukommen. Geschieht dies nicht, so liegt zwar ein Verstoß gegen das Übereinkommen und damit eine Verletzung von Völkervertragsrecht vor. Unmittelbare Sanktionen zieht dies jedoch, wie im Völkerrecht üblich, nicht nach sich.8 4. Unterrichtungspflichten a) Unterrichtungspflicht der ersuchten Zentralen Behörde nach drei Monaten Abs 4 setzt die Kombination aus Fristbestimmung und Disziplinierung fort, indem er 8 verlangt, dass die ersuchte Zentrale Behörde binnen dreier Wochen „nach der Empfangsbestätigung“ die ersuchende Zentrale Behörde über den Stand des Antrags unterrichtet. Der Beginn der Frist ist nicht eindeutig bestimmt. Um Unsicherheit zu vermeiden, wird 9 man indes auf die Absendung der Empfangsbestätigung und nicht auf deren Zugang abstellen müssen. „Stand des Antrags“ ist das verfahrensmäßige Stadium, in dem sich die Bearbeitung des 10 Antrags befindet. Zu unterrichten ist mithin über eventuelle Zwischenergebnisse, sofern sie nicht lediglich von untergeordneter Bedeutung sind, sowie ggf über das Endergebnis der Bearbeitung. Für die Information existieren Entwürfe antragsspezifischer Formblätter.9 Auch insoweit bestehen bei Nichteinhaltung keine Sanktionsmöglichkeiten (vgl Rn 7).

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b) Gegenseitige Unterrichtungspflichten Gem Abs 5 bestehen verschiedene allgemeine Pflichten zur gegenseitigen Unterrichtung, die 12 die Zusammenarbeit fördern sollen. Die von lit a vorgesehene gegenseitige Unterrichtung über die Identität der Person oder 13 Dienststelle, die für einen bestimmten Fall zuständig ist,10 soll wiederum zum einen eine direkte Kontaktaufnahme erleichtern, zum anderen mit ihrer individualisierten Zuweisung von Verantwortlichkeit disziplinierend wirken. Aus Sinn und Zweck folgt, dass die Informationen aktuell zu halten sind.11 Lit b sieht eine gegenseitige Pflicht zur Unterrichtung über den Stand des Falles vor. Stand 14 des Falles („case“/„affaire“) ist nicht nur der Stand des in Rede stehenden Antrags („application“/„demande“), um den es in Abs 4 geht, sondern der Stand des gesamten Unterhaltsbegehrens. Hierunter fällt mithin nicht nur die Behandlung des Antrags, der Anlass für 8 9 10

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Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 616. Doc prél No 31-B, juillet 2007. Eine entsprechende Angabe verlangt das Übermittlungsformblatt unter Nr 1 und 2. Redundant ist lit a indes nicht (aA Nimmerrichter Handbuch Rn 318), da das Formblatt keine Pflicht zur ggf erforderlichen Aktualisierung begründet. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 335.

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Art 12 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

den Kontakt der Zentralen Behörden ist, sondern etwa auch ein zwischenzeitlicher Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen oder eine Änderung des Anspruchsumfangs im ersuchenden Staat. Da derartige Ereignisse von Einfluss auf die Berechtigung oder die Sinnhaftigkeit des gestellten Antrags sein können, ist insoweit eine gegenseitige Unterrichtungspflicht geboten. 15 Nicht den Gegenstand der Unterrichtung, sondern die Art der Zusammenarbeit betrifft in

ganz allgemeiner Form der nach lit b stehende Halbsatz, nach dem Auskunftsersuchen rechtzeitig zu beantworten sind. Was rechtzeitig ist, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab; zumindest wird man aber verlangen müssen, dass eine Beantwortung so zeitig erfolgt, dass durch ihre Verzögerung keine unumkehrbaren Folgen geschaffen werden. 5. Zügige Bearbeitung 16 Ähnlich unbestimmt wie der Begriff „rechtzeitig“ in Abs 5 aE ist die Pflicht zur „zügigen“

Bearbeitung gem Abs 6. Neben Abs 5 aE ist sie schon deshalb nicht überflüssig, weil sie sich auf den gesamten Fall und nicht nur auf Auskunftsersuchen bezieht; zudem muss „rechtzeitig“ im Sinne einer Behandlung vor Eintritt unumkehrbarer Folgen nicht notwendigerweise auch „schnell“ bedeuten. 17 Adressat des Abs 6 sind sowohl die ersuchende als auch die ersuchte Zentrale Behörde.

Daher ist wiederum von der Behandlung des „Falls“ und nicht nur der Behandlung des „Antrags“ die Rede. 18 Abs 6 macht das Spannungsverhältnis zwischen Gründlichkeit und Schnelligkeit deutlich,

indem er die Aufforderung zur zügigen Bearbeitung in den Rahmen stellt, den eine sachgemäße Prüfung des Gegenstands des Falles erlaubt. Was sachgemäß ist, muss wiederum im Einzelfall bestimmt werden. 6. Kommunikationsmittel 19 Abs 7 verpflichtet die Zentralen Behörden auf die schnellsten und effizientesten Kommu-

nikationsmittel, die ihnen zur Verfügung stehen. Erlaubt sind alle denkbaren Kommunikationswege, unabhängig davon, ob sie von einer privaten oder einer öffentlichen Stelle angeboten werden. Im Regelfall wird eine Korrespondenz per E-Mail angezeigt sein, sofern die beteiligten Behörden entsprechend ausgestattet sind. 7. Ablehnung der Bearbeitung 20 Die Bearbeitung des Antrags insgesamt darf eine ersuchte Zentrale Behörde gem Abs 8 nur

ablehnen, wenn die Voraussetzungen des Übereinkommens offensichtlich nicht erfüllt sind. Voraussetzungen des Übereinkommens sind zunächst die Voraussetzungen seiner zeitlichen, räumlichen und sachlichen Anwendbarkeit überhaupt.12 Zu den Voraussetzungen gehört aber auch die Einhaltung der Vorgaben inhaltlicher Art, die das Übereinkommen macht; ausgenommen sind allerdings die Vorgaben über die Vollständigkeit eines Antrags, da hierfür Abs 9 ein eigenes Regime vorsieht. 12

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Nimmerrichter Handbuch Rn 323.

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Kapitel III: Anträge über die Zentralen Behörden

Art 12 HUntVerfÜbk

Die Voraussetzungen müssen – insoweit ist Abs 8 strenger als Abs 2 – „offensichtlich“ nicht 21 erfüllt sein, ihre Nichterfüllung muss also ohne größeren Prüfungsaufwand erkennbar sein. An die Offensichtlichkeit ist nach Sinn und Zweck des Übereinkommens ein strenger Maßstab anzulegen.13 Die ersuchte Zentrale Behörde muss die Bearbeitung des Antrags nicht ablehnen, sie ist 22 lediglich hierzu berechtigt. Die Ausübung dieses Ermessens kann nach dem Heimatrecht der ersuchten Zentralen Behörde rechtlichen Bindungen sowie einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen; völkerrechtlich ist die Entscheidung für oder gegen eine Ablehnung der Bearbeitung unter den in Abs 8 genannten Umständen aber nicht zu beanstanden. Entscheidet sich die ersuchte Zentrale Behörde dafür, die Bearbeitung eines Antrags gem 23 Abs 8 S 1 abzulehnen, so hat sie gem Abs 8 S 2 die ersuchende Zentrale Behörde hierüber und über die von ihr gesehenen Gründe umgehend zu unterrichten. Dies erlaubt der ersuchenden Zentralen Behörde zum einen die Prüfung, ob ein erneuter, dann übereinkommenskonformer Antrag gestellt werden soll, zum anderen kann die von der Korrektheit des Antrags überzeugte ersuchende Zentrale Behörde anhand der Gründe versuchen, die ersuchte Zentrale Behörde doch noch von einer Bearbeitung zu überzeugen. Nicht zuletzt hat die Begründungspflicht auch eine disziplinierende Wirkung. 8. Behandlung unvollständiger Anträge Nach Abs 9 S 1 darf die ersuchte Zentrale Behörde einen Antrag nicht allein deshalb 24 ablehnen, weil zusätzliche Schriftstücke oder Angaben erforderlich sind; Sanktion einer Nichteinhaltung des Art 11 kann also nicht die gänzliche Ablehnung eines Antrags sein. Die ersuchte Behörde kann vielmehr nach Abs 9 S 2 die ersuchende Zentrale Behörde zur Übermittlung der fehlenden Schriftstücke oder Angaben auffordern, was gem Abs 3 S 1 innerhalb von sechs Wochen nach Eingang des Antrags geschehen muss. Die ersuchende Zentrale Behörde wird dann versuchen, die fehlenden Schriftstücke zu beschaffen bzw die Informationen zu erheben, um die fehlenden Angaben machen zu können (vgl Art 6). Für die Übermittlung gilt nach Abs 9 S 3 entweder eine Dreimonatsfrist oder eine längere, 25 von der ersuchten Behörde gesetzte Frist. Nach Fristablauf kann die ersuchte Behörde nach Abs 9 S 4 beschließen, die Bearbeitung des Antrags zu beenden, sie muss dies aber nicht, sondern kann auch zuwarten und später eingereichte Unterlagen berücksichtigen. Ihr Ermessen ist völkerrechtlich frei, nach nationalem Recht aber eventuell gebunden (vgl Rn 22). Entscheidet sich die ersuchte Zentrale Behörde für eine Beendigung der Bearbeitung, so hat sie die ersuchende Zentrale Behörde hiervon zu unterrichten, um unnötigen Aufwand zu vermeiden. IV. Vergleich mit der EG-UntVO Art 58 EG-UntVO entspricht weitgehend Art 12, kennt aber nicht die Anforderung be- 26 stimmter beglaubigter Dokumente des Abs 2 S 2. Im Übrigen sieht die EG-UntVO in Abs 3 statt der sechswöchigen Frist eine kürzere Frist von 30 Tagen, in Abs 4 statt der dreimona13

Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 515; Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 345; Nimmerrichter Handbuch Rn 323.

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Art 13 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

tigen Frist eine kürzere Frist von 60 Tagen sowie in Abs 9 S 3 statt einer Frist von drei Monaten eine Frist von 90 Tagen vor. Auch enthält die EG-UntVO zwar nicht für die Übermittlung, wohl aber neben der Eingangsbestätigung auch für die Ablehnung der Bearbeitung nach Abs 8 und 9 jeweils ein eigenes Formblatt.

Artikel 13: Kommunikationsmittel Ein nach diesem Kapitel über die Zentralen Behörden der Vertragsstaaten gestellter Antrag und beigefügte oder von einer Zentralen Behörde beigebrachte Schriftstücke oder Angaben können vom Antragsgegner nicht allein aufgrund der zwischen den betroffenen Zentralen Behörden verwendeten Datenträger oder Kommunikationsmittel beanstandet werden.

I. Normzweck 1 Art 13 schließt aus, dass sich der Antragsgegner zur Abwehr eines nach diesem Kapitel

gestellten Antrags darauf beruft, dass die Zentralen Behörden in ihrer Kommunikation untereinander nicht die richtigen Datenträger oder Kommunikationsmittel verwendet haben. Er sichert damit die Technologie- und Medienneutralität des Übereinkommens ab1 und flankiert zugleich Art 12 Abs 7,2 der die Verwendung der schnellsten und effizientesten Kommunikationsmittel verlangt, in zweierlei Weise: Zum einen nimmt er den Zentralen Behörden die Furcht, ein unzulässiges Kommunikationsmittel ausgewählt zu haben. Zum anderen stellt er sicher, dass auch Anträge, im Hinblick auf die unter Verletzung von Art 12 Abs 7 nicht die schnellsten und effizientesten Kommunikationsmittel eingesetzt wurden, nicht allein deshalb angreifbar sind. II. Entstehungsgeschichte 2 Eine Bestimmung über den Ausschluss von Angriffen, die sich auf die zwischen den Zen-

tralen Behörden verwendeten Kommunikationsmittel stützen, findet sich erst im Entwurf vom Januar 2007.3 Sie war auf Fragen der Zulässigkeit beschränkt, was auf der diplomatischen Sitzung kritisiert wurde. Diese und weitere Kritik waren Anlass für die schließlich angenommene Umformulierung.4 III. Vergleich mit der EG-UntVO 3 Die EG-UntVO enthält keine dem Art 13 entsprechende Vorschrift. In der Sache gilt in

ihrem Anwendungsbereich indes nichts anderes, da lediglich erleichternde Abänderungen gegenüber dem HUntVErfÜbk 2007 vorgenommen werden sollten.

1 2 3

4

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Lortie YB PIL 10 (2008) 359, 360; dazu schon Art 3 Rn 8. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 515. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 9. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 515.

Oktober 2014

Kapitel III: Anträge über die Zentralen Behörden

Art 14 HUntVerfÜbk

Artikel 14: Effektiver Zugang zu Verfahren (1) Der ersuchte Staat gewährleistet für Antragsteller effektiven Zugang zu den Verfahren, die sich aus Anträgen nach diesem Kapitel ergeben, einschließlich Vollstreckungs- und Rechtsmittelverfahren. (2) Um einen solchen effektiven Zugang zu gewährleisten, leistet der ersuchte Staat unentgeltliche juristische Unterstützung nach den Artikeln 14 bis 17, sofern nicht Absatz 3 anzuwenden ist. (3) Der ersuchte Staat ist nicht verpflichtet, unentgeltliche juristische Unterstützung zu leisten, wenn und soweit die Verfahren in diesem Staat es dem Antragsteller gestatten, die Sache ohne eine solche Hilfe zu betreiben, und die Zentrale Behörde die nötigen Dienstleistungen unentgeltlich erbringt. (4) Die Voraussetzungen für den Zugang zu unentgeltlicher juristischer Unterstützung dürfen nicht enger als die für vergleichbare innerstaatliche Fälle geltenden sein. (5) In den nach dem Übereinkommen eingeleiteten Verfahren darf für die Zahlung von Verfahrenskosten eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung gleich welcher Bezeichnung nicht auferlegt werden. I. II. III. IV.

Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Systematik der Regeln über die unentgeltliche juristische Unterstützung . . 5 Einzelerläuterung 1. Gewährung effektiven Zugangs als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2. Unentgeltliche juristische Unterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

V.

3. Allgemeine Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 4. Nichtdiskriminierung beim Zugang zu unentgeltlicher juristischer Unterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 5. Keine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . 16

I. Normzweck Die Art 14-17 stehen zwar nicht unter einer eigenen Überschrift, gehören jedoch thematisch 1 zusammen. Ihr Ziel ist es, einen effektiven Zugang zu Unterhaltsverfahren sicherzustellen. Ganz im Vordergrund steht dabei die unentgeltliche juristische Unterstützung, die in Art 14 Abs 2-5, Art 15-17 im Einzelnen geregelt wird. Der Titel „Effektiver Zugang zu Verfahren“ nimmt Anleihen bei der „Access to Justice“-Bewegung, die den Zugang zur Justiz gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Verfahrenskosten ausführlich diskutierte.1 Mit Art 8 überschneiden sich die Art 14-17 nicht, auch soweit sie die unentgeltliche juris- 2 tische Unterstützung in Gestalt einer Befreiung von Verfahrenskosten betreffen. Denn Art 8 regelt in seinen Abs 2 und 3 die grundsätzliche Unentgeltlichkeit der Dienstleistungen der Zentralen Behörden für den Antragsteller sowie eine eng umgrenzte Ausnahme. Die Art 1417 betreffen hingegen die auf einen Antrag hin im ersuchten Staat einzuleitenden Verfahren und die dabei entstehenden Kosten.

1

Siehe nur Cappelletti (Hrsg), Access to justice I-IV (1978-1979); Cappelletti (Hrsg), Access to Justice and the Welfare State (1981).

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Art 14 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

II. Entstehungsgeschichte 3 Ein einziger Artikel über den effektiven Zugang zu Verfahren, der sich nur in einem Absatz

zur Zulässigkeit einer Prüfung der Bedürftigkeit des Antragstellers äußerte, fand sich im Arbeitspapier vom Juni 2004.2 Der Entwurf vom Januar 2005 übernahm die Vorschrift und merkte an, die Anwendbarkeit auf direkt gestellte Anträge sei noch zu entscheiden (heute Art 37 Abs 2).3 Im Entwurf vom Oktober 2005 hatte der Artikel bereits weitere Absätze gewonnen, die heute in den Art 15-17 geregelte Fragen ansprachen; die Frage der Anwendung auf unmittelbar gestellte Anträge war noch immer offen.4 Der Entwurf vom Januar 2007 stellte sodann optional einen den vorhergehenden Entwürfen folgenden einheitlichen Artikel oder vier einzelne Artikel mit teils sehr detaillierten Regelungen zur Einschränkung unentgeltlicher juristischer Unterstützung nebeneinander.5 Im Entwurf vom Juni 2007 fanden sich nicht nur diese beiden Optionen, sondern innerhalb eines der weiteren Artikel nochmals drei Optionen; auch abgesehen von den Optionen entsprach diese Lösung noch nicht vollständig der endgültigen Fassung.6 Erst auf der diplomatischen Konferenz erfolgte die Einigung auf die Art 14-17 in ihrer heutigen Gestalt.7 4 Schon in den Wandlungen der Entwurfsfassungen und den schließlich vier Artikeln, die

dem effektiven Zugang zu Verfahren und der unentgeltlichen juristischen Unterstützung gewidmet sind, wird deutlich, dass die Voraussetzungen der unentgeltlichen juristischen Unterstützung ein schwieriger Punkt in der Ausarbeitung des Übereinkommens waren.8 Es bedurfte einer informellen Arbeitsgruppe, um zunächst außerhalb des Plenums diskutieren und einen Entwurf ausarbeiten zu können.9 Die Mehrheit der Staaten unterstützte die differenzierende Lösung mehrerer Artikel, sei es der für höher erachteten Schutzbedürftigkeit von Kindern wegen, sei es aus rein fiskalischen Gründen.10 III. Systematik der Regeln über die unentgeltliche juristische Unterstützung 5 Die Systematik der Art 14 Abs 2-Art 17 stellt sich wie folgt dar:11 Ausgangspunkt ist Art 14

Abs 2, der unentgeltliche juristische Unterstützung anordnet. 2

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Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Proposition du Comité de rédaction, Doc trav No 34 F, 17 juin 2004, S 7 f. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 9 f m Fn 11. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 9. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 9-11. Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 9-11. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 361-367; Malatesta Riv dir int civ proc 2009, 829, 834. Siehe nur Long ICLQ 57 (2008) 984, 988. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 512, 516 ff; Beaumont/Walker FS Borrás (2013) 185, 188 ff; Doogue IFL March 2012, 106, 108. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 516; Nimmerrichter Handbuch Rn 275; allgemein Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1312.

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Kapitel III: Anträge über die Zentralen Behörden

Art 14 HUntVerfÜbk

Eine erste Einschränkung bringt Art 14 Abs 3, wonach bei der Möglichkeit einer Verfah- 6 rensführung ohne Hilfe und gleichzeitiger Unentgeltlichkeit der Dienstleistungen der Zentralen Behörde überhaupt keine unentgeltliche juristische Unterstützung zu leisten ist. Sodann stellt sich die Frage, ob es sich um einen Anspruch auf Kindesunterhalt, genauer 7 einen Unterhaltsanspruch aus einer Eltern-Kind-Beziehung gegenüber einer Person handelt, die noch nicht 21 Jahre alt ist (Art 15 Abs 1). Bejahendenfalls ist der ersuchte Staat stets zur unentgeltlichen juristischen Unterstützung verpflichtet, wenn es sich um Anträge auf Anerkennung und/oder Vollstreckung (Art 10 Abs 1 lit a und b) oder Anträge auf Durchführung eines Erkenntnisverfahrens wegen Unmöglichkeit der Anerkennung handelt (Art 20 Abs 4). Bei anderen Anträgen kann der ersuchte Staat die unentgeltliche juristische Unterstützung gem Art 15 Abs 2 ablehnen, wenn der Antrag oder das Rechtsmittel offensichtlich unbegründet sind. Anderenfalls ist er zur unentgeltlichen juristischen Unterstützung verpflichtet, sofern er keine Erklärung nach Art 16 Abs 1 abgegeben hat, wonach eine Prüfung der Bedürftigkeit des Kindes stattfindet. Fällt der Antrag in die Reichweite einer Erklärung nach Art 16 Abs 1, so muss im Anschluss an die Bedürftigkeitsprüfung gem Art 16 Abs 4 noch eine Günstigkeitsprüfung durchgeführt werden. In dieser Günstigkeitsprüfung sind die Regeln nach der Erklärung mit den einschlägigen nationalen Regeln zu vergleichen; zur Anwendung kommt das dem Antragsteller günstigste Recht. Richtet sich der Antrag nicht auf Kindesunterhalt iSd Art 16 Abs 1, so kann gem Art 17 lit a 8 die Gewährung unentgeltlicher juristischer Unterstützung von der Bedürftigkeit des Antragstellers oder der Begründetheit des Antrags abhängig gemacht werden; in diesem wie in allen anderen Fällen ist aber gem Art 17 lit b dann, wenn es um ein Anerkennungs- oder Vollstreckungsverfahren geht und im Ursprungsstaat unentgeltliche juristische Unterstützung gewährt wurde, auch im Anerkennungs- oder Vollstreckungsverfahren unentgeltliche juristische Unterstützung mindestens unter denselben Umständen zu gewähren, wie sie das Recht des Vollstreckungsstaats für innerstaatliche Fälle vorsieht. IV. Einzelerläuterung 1. Gewährung effektiven Zugangs als Ausgangspunkt Abs 1 statuiert als Ausgangspunkt der nachfolgenden Regelungen die Pflicht des ersuchten 9 Staates, für Antragsteller effektiven Zugang zu den in seinem Staat verfügbaren Verfahren zu gewähren, deren Einleitung und Durchführung zur Verfolgung eines der nach diesem Kapitel gestellten Anträge angezeigt ist, und schließt in die Verfahren auch Vollstreckungs- und Rechtsmittelverfahren ein. Antragsteller kann die berechtigte Person, die verpflichtete Person oder nach Maßgabe des Art 36 eine öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung sein.12 Die Beschränkung auf Anträge nach diesem Kapitel bedeutet, dass nur Anträge über die Zentralen Behörden erfasst sind; für unmittelbare Anträge gilt Art 14 also nicht.13 Effektiver Zugang erschöpft sich nicht im Abbau kostenmäßiger Schranken, dem sich die nachfolgenden Absätze und Artikel widmen, sondern geht darüber hinaus und umfasst 11 12

13

Siehe auch Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 323. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 368; Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 617; Hirsch Europäisches Unterhaltsrecht (2010) 17, 28. Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 617; Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 326.

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Art 14 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

etwa schleunige Bearbeitung, Nichtdiskriminierung (vgl für Spezialfälle Abs 4 sowie Art 33) und Abwesenheit von schikanösem Verhalten. Jeder Vertragsstaat hat gem Art 57 lit c zu beschreiben, wie er effektiven Zugang zu Verfahren sicherstellen will. 2. Unentgeltliche juristische Unterstützung 10 Kostenmäßigen Schranken, die einem effektiven Zugang zu Verfahren entgegenstehen kön-

nen, soll mit einer grundsätzlichen Pflicht des ersuchten Staates zur unentgeltlichen juristischen Unterstützung iSd Art 3 lit c begegnet werden, die den näheren Bestimmungen der Art 14-17 unterliegt und danach im Einzelfall durchaus auch ausgeschlossen sein kann. Abs 2 gilt wegen des Rückbezugs auf Abs 1 ebenfalls nur für Anträge über die Zentralen Behörden (Rn 9). 3. Allgemeine Ausnahme 11 Unabhängig vom Einzelfall besteht kein Anspruch auf unentgeltliche juristische Unterstüt-

zung, wenn und soweit zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. 12 Zum ersten müssen die Verfahren im ersuchten Staat so ausgestaltet sein, dass sie vom

Antragsteller ohne eine solche Hilfe betrieben werden können. Wann dies der Fall ist, bestimmt sich nach dem Inhalt der juristischen Unterstützung iSd Art 3 lit c. Mithin muss eine umfassende und wirksame Verfolgung der Anträge möglich sein, ohne dass der Antragsteller hierzu der Rechtsberatung, der Unterstützung bei der Betreibung eines behördlichen Verfahrens oder der gerichtlichen Vertretung bedarf und ohne dass dem Antragsteller mehr als nur unerhebliche Verfahrenskosten entstehen. Zur Beurteilung dessen, was dem Antragsteller möglich ist, ist zunächst auf das Unterhaltsverfahren im ersuchten Staat, sodann aber auch auf den konkreten Antragsteller und den konkreten Antrag14 abzustellen. Erfasst werden sollen die in Staaten wie Australien und Neuseeland verfügbaren administrativen Verfahren, in denen eine berechtigte Person lediglich ein einfaches Antragsformular bei einer Behörde einreichen muss.15 13 Zum zweiten muss die ersuchte Zentrale Behörde die im konkreten Fall nötigen Dienst-

leistungen unentgeltlich erbringen, es darf also keiner der Ausnahmefälle des Art 8 Abs 2 und 3 vorliegen, in dem die Zentrale Behörde ausnahmsweise den Antragsteller für die ihr entstandenen Kosten in Anspruch nehmen darf und konkret auch will. 4. Nichtdiskriminierung beim Zugang zu unentgeltlicher juristischer Unterstützung 14 Nach Abs 4 ist jedem Antragssteller, der einen Antrag über Zentrale Behörden nach diesem

Kapital gestellt hat,16 in gleicher Weise Zugang zu einer eventuell im ersuchten Staat in innerstaatlichen Fällen gewährten unentgeltlichen juristischen Unterstützung zu gewähren 14

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Zur Erforderlichkeit einer Beiordnung bei der Vollstreckung von Unterhaltsforderungen in Deutschland BGH v 9.8.2012 – VII ZB 84/11, FamRZ 2012, 1637 f = NJW-RR 2012, 1153. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 375; Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 618; Doogue La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09) 23, 25; Lortie IFL March 2012, 118, 119; siehe auch Nimmerrichter Handbuch Rn 223. Berechtigte oder verpflichtete Person, siehe nur Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 377.

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Kapitel III: Anträge über die Zentralen Behörden

Art 15 HUntVerfÜbk

wie einem rein innerstaatlichen Antragsteller. Damit kommt einem das Übereinkommen nutzenden Antragsteller ein günstigeres innerstaatliches Recht zugute; das Übereinkommen enthält also nur Mindestvoraussetzungen. Dementsprechend setzt sich ein günstigeres innerstaatliches Recht gegen die Beschränkungen in den Art 14 Abs 3, 15-17 durch. 5. Keine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung Abs 5 schließt es aus, dass in Verfahren nach diesem Kapitel vom Antragsteller eine Sicher- 15 heitsleistung, Hinterlegung oder sonstige Sicherheit verlangt wird. Er gilt sowohl für Anträge einer berechtigten als auch einer verpflichteten Person.17 V. Vergleich mit der EG-UntVO Die EG-UntVO enthält in ihrem Kapitel V (Art 44-47) Regelungen über den Zugang zum 16 Recht und die Prozesskostenhilfe, die sich mehr oder weniger eng an die Art 14-17 anlehnen. Parallelvorschrift zu Art 14 ist Art 44 EG-UntVO, der Art 14 weitgehend entspricht. Art 45 definiert die „Prozesskostenhilfe“ nach der Verordnung detaillierter als Art 3 lit c die „juristische Unterstützung“ nach dem Übereinkommen; in der Sache dürften indes kaum Unterschiede auftreten.

Artikel 15: Unentgeltliche juristische Unterstützung bei Anträgen auf Unterhalt für Kinder (1) Der ersuchte Staat leistet unentgeltliche juristische Unterstützung für alle von einer berechtigten Person nach diesem Kapitel gestellten Anträge in Bezug auf Unterhaltspflichten aus einer ElternKind-Beziehung gegenüber einer Person, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. (2) Ungeachtet des Absatzes 1 kann der ersuchte Staat in Bezug auf andere Anträge als solche nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstaben a und b und in Bezug auf die von Artikel 20 Absatz 4 erfassten Fälle die Gewährung unentgeltlicher juristischer Unterstützung ablehnen, wenn er den Antrag oder ein Rechtsmittel für offensichtlich unbegründet erachtet. I. II. III.

Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Einzelerläuterung 1. Grundsatz unentgeltlicher juristischer Unterstützung für Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . 3

IV.

2. Ausnahme bei offensichtlicher Unbegründetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . . . 9

I. Normzweck Art 15 statuiert in Abs 1 den Grundsatz unentgeltlicher juristischer Unterstützung in Kin- 1 desunterhaltsfällen und erlaubt in Abs 2 nur für bestimmte Anträge, diese Unterstützung davon abhängig zu machen, dass der Antrag oder das Rechtsmittel nicht offensichtlich unbegründet erscheinen.

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Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 516.

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Art 15 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

II. Entstehungsgeschichte 2 Art 15 hat sich aus einem einheitlichen Artikel über den effektiven Zugang zu Verfahren

entwickelt und erhielt die geltende Form erst ganz am Ende des Entwurfsprozesses (siehe schon Art 14 Rn 3 f). Der in Abs 1 festgehaltene Grundsatz der Unentgeltlichkeit fand allgemeine Zustimmung, problematisch waren jedoch die Ausnahmen. Neben der stark diskutierten Ausnahme des Abs 2 bei „offensichtlicher Unbegründetheit“1 sahen die Entwürfe auch eine ebenfalls umstrittene Ausnahme für genetische Abstammungsuntersuchungen vor. Gegen den anfänglichen Widerstand von Staaten wie Spanien, deren innerstaatliches Recht die Kosten genetischer Untersuchungen stets dem Antragsteller auferlegt, wurde diese Ausnahme auf der diplomatischen Konferenz nicht zuletzt auf Druck der südamerikanischen Länder gestrichen.2 Auch eine Ausnahme für Kinder in guter wirtschaftlicher Situation wurde, vor allem auf Betreiben der USA, wegen mangelnder Praktikabilität aufgegeben;3 der Gedanke einer Bedürftigkeitsprüfung kehrt aber in Art 16 wieder. III. Einzelerläuterung 1. Grundsatz unentgeltlicher juristischer Unterstützung für Kinder 3 Die unentgeltliche juristische Unterstützung für Kinder war ein Hauptanliegen der US-

amerikanischen Delegation, die diese in den USA nicht zuletzt zur Entlastung des Sozialhaushalts eingeführte Regel4 auch international angewandt sehen wollte.5 Abs 1 gilt nur für Anträge nach diesem Kapitel, also nur für Anträge über die Zentralen Behörden.6 Weiter verlangt er, dass der Antrag auf Unterhalt aus einer Eltern-Kind-Beziehung gerichtet ist und gegenüber einer Person geleistet werden soll, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. 4 Der Unterhalt muss also letztlich einem unter 21-jährigen Kind zugutekommen; dass ein

Elternteil unter 21 Jahre alt ist und einen Unterhaltsanspruch gegen sein Kind geltend macht, ist praktisch äußerst unwahrscheinlich, jedenfalls aber nicht intendiert und daher nicht erfasst. Antragsteller braucht das Kind nicht selbst zu sein, erfasst ist damit auch die Geltendmachung durch ein Elternteil im eigenen Namen. Die Vorschrift gilt hingegen, sehr zum Bedauern der USA,7 nicht für Anträge der verpflichteten Person.8

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Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 518; Beaumont/Walker FS Borrás (2013) 185, 187, 189 f. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 517 f; Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 391 f. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 519; Bean/Matheson La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09) 45, 46; Heger Unterhaltsrealisierung Rn 19 f und zum Neuigkeitswert in Europa Rn 9. Dazu Lortie IFL March 2012, 118, 119. Carlson Fam LQ 43 (2009) 21, 29-31; Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 516-519 mit dem Hinweis, dass die USA keinen Klägergerichtsstand akzeptieren, sodass ihre Bürger gewinnen würden, den USA aber kaum zusätzlichen Kosten entstünden; aufgegriffen von Levante FS Schwander (2011) 729, 732; weiter Bean/Matheson La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09) 45; Beaumont/Walker FS Borrás (2013) 185, 186; Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 322; Estin Fla L Rev 62 (2010) 47, 61, 92; Heger Unterhaltsrealisierung Rn 21-23; Nimmerrichter Handbuch Rn 275. Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 617; Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 326. Carlson Fam LQ 43 (2009) 21, 34. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 517.

Oktober 2014

Kapitel III: Anträge über die Zentralen Behörden

Art 16 HUntVerfÜbk

Schuldner des Unterhaltsanspruchs muss ein Elternteil sein; Ansprüche gegen entferntere 5 Verwandte sind nicht erfasst, da sie nicht unmittelbar einer Eltern-Kind-Beziehung entspringen. In Deutschland ist nach § 22 Abs 1 S 1 Nr 2 AUG nF Verfahrenskostenhilfe unabhängig von 6 den wirtschaftlichen Verhältnissen zu gewähren. 2. Ausnahme bei offensichtlicher Unbegründetheit Eine Ablehnung unentgeltlicher juristischer Unterstützung scheidet stets aus, wenn es sich 7 um einen Antrag handelt, der auf Anerkennung und/oder Vollstreckung (Art 10 Abs 1 lit a und b) gerichtet ist, oder wenn wegen Unmöglichkeit der Anerkennung gem Art 20 Abs 4 ein neues Erkenntnisverfahren eingeleitet wird. In allen anderen Fällen kommt eine Ablehnung nach Art 15 Abs 2 in Betracht, wenn der 8 ersuchte Staat – gemeint ist die über die Gewährung unentgeltlicher juristischer Unterstützung entscheidende Stelle9 – den Antrag oder ein Rechtsmittel für offensichtlich unbegründet erachtet. Dem Zweck des Übereinkommens entspricht es, diese Ausnahmevorschrift eng auszulegen.10 Offensichtlich unbegründet ist ein Antrag oder Rechtsmittel nur, wenn ohne weitere Sachprüfung sicher vorhergesagt werden kann, dass der Antrag oder das Rechtsmittel keinen Erfolg haben werden. Als Beispiele wurden auf der diplomatischen Konferenz Anträge genannt, die klar außerhalb des Anwendungsbereichs des Übereinkommens liegen, sowie Anträge auf Unterhalt von einem insolventen Schuldner.11 Letzterer Fall erscheint aber problematisch, da Unterhaltsansprüche bevorrechtigt sein könnten, die Notwendigkeit insolvenzrechtlicher Prüfung aber „Offensichtlichkeit“ ausschließen dürfte. IV. Vergleich mit der EG-UntVO Art 15 des Übereinkommens entspricht Art 46 EG-UntVO. Da unter der EG-UntVO eine 9 Unterhaltsentscheidung grundsätzlich immer anerkannt werden kann, besteht keine dem Art 20 Abs 4 entsprechende Regelung, sodass auch in Art 46 EG-UntVO eine Ausnahme für diesen Fall fehlt.

Artikel 16: Erklärung, die eine auf die Mittel des Kindes beschränkte Prüfung zulässt (1) Ungeachtet des Artikels 15 Absatz 1 kann ein Staat nach Artikel 63 erklären, dass er in Bezug auf andere Anträge als solche nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstaben a und b und in Bezug auf die von Artikel 20 Abs 4 erfassten Fälle unentgeltliche juristische Unterstützung auf der Grundlage einer Prüfung der Mittel des Kindes leisten wird. (2) Im Zeitpunkt der Abgabe einer solchen Erklärung unterrichtet der betreffende Staat das Ständige Büro der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht über die Art und Weise der Durch-

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11

Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 389. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 519; Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 390; Beaumont/ Walker FS Borrás (2013) 185, 188. Vgl Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 518.

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B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Art 16 HUntVerfÜbk

führung der Prüfung der Mittel des Kindes sowie die finanziellen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen. (3) Ein Antrag nach Absatz 1, der an einen Staat gerichtet wird, der eine Erklärung nach jenem Absatz abgegeben hat, muss eine förmliche* Bestätigung des Antragstellers darüber enthalten, dass die Mittel des Kindes den in Absatz 2 erwähnten Voraussetzungen entsprechen. Der ersuchte Staat kann zusätzliche Nachweise über die Mittel des Kindes nur anfordern, wenn er begründeten Anlass zu der Vermutung hat, dass die Angaben des Antragstellers unzutreffend sind. (4) Ist die günstigste juristische Unterstützung nach dem Recht des ersuchten Staates bei Anträgen nach diesem Kapitel in Bezug auf Unterhaltspflichten aus einer Eltern-Kind-Beziehung gegenüber einem Kind günstiger als die in den Absätzen 1 bis 3 vorgesehene, so ist die günstigste juristische Unterstützung zu leisten. I. II. III.

Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelerläuterung 1. Erklärung über die Prüfung der Mittel des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Notifikation und Wirksamkeit . . . . . . . . . .

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3 3 4 5

IV.

2. Unterrichtung des Ständigen Büros . . . . 6 3. Konsequenz für einen Antrag . . . . . . . . . . . 7 a) Antragsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 b) Anforderung zusätzlicher Nachweise . . . 8 4. Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 5. Günstigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 6. Bisherige Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . 12

I. Normzweck 1 Gem Art 16 kann sich ein Vertragsstaat durch Erklärung nach Art 63 eine Bedürftigkeits-

prüfung beim Kind vorbehalten und nur in Abhängigkeit von deren Ausgang unentgeltliche juristische Unterstützung leisten, sofern keiner der in Abs 1 ausgenommenen Anträge oder Fälle vorliegt. Damit soll das Übereinkommen auch für solche Staaten annehmbar gemacht werden, die unentgeltliche juristische Unterstützung nur bei Bedürftigkeit des Kindes gewähren wollen.1 II. Entstehungsgeschichte 2 Auch Art 16 hat Vorläufer in dem zunächst einheitlichen Artikel über den effektiven Zugang

zu Verfahren (siehe Art 14 Rn 3 f). Das Arbeitspapier vom Juni 2004 und die Entwürfe vom Januar und Oktober 2005 ließen in einem einzigen Absatz noch allgemein eine Prüfung der Bedürftigkeit des Kindes zu.2 Im Entwurf vom Januar 2007 ging eine Option dahin, eine Bedürftigkeitsprüfung vorzusehen und durch Erklärung des Vertragsstaats die Beschrän* 1 2

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Schweiz: formelle. Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1316; dies FS Siehr (2010) 173, 187. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Proposition du Comité de rédaction, Doc trav No 34 F, 17 juin 2004, S 7; Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 9; Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 9.

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Kapitel III: Anträge über die Zentralen Behörden

Art 16 HUntVerfÜbk

kung der Prüfung auf die Mittel des Kindes oder den gänzlichen Verzicht auf eine solche Prüfung zu ermöglichen; die andere Option sah einen komplizierten Rückfragemechanismus bei der ersuchenden Behörde vor.3 Der Entwurf vom Juni 2007 schließlich stellte innerhalb der zweiten Option drei Lösungen zur Verfügung, von denen die dritte einen gänzlichen Verzicht auf die Prüfung enthielt.4 Die heutige Lösung wurde erst auf der diplomatischen Konferenz entwickelt.5 III. Einzelerläuterung 1. Erklärung über die Prüfung der Mittel des Kindes a) Geltungsbereich Eine Erklärung über die Prüfung der Mittel des Kindes ist nicht uneingeschränkt möglich. 3 Vom Geltungsbereich einer solchen Erklärung sind vielmehr nach Abs 1 ausgeschlossen die praktisch wichtigen6 Anträge auf Anerkennung oder Anerkennung und Vollstreckung (Art 10 Abs 1 lit a) sowie auf Vollstreckung einer im ersuchten Staat ergangenen oder anerkannten Entscheidung (Art 10 Abs 1 lit b) und Fälle, in denen gem Art 20 Abs 4 eine neue Entscheidung herbeigeführt wird, weil eine Entscheidung aufgrund eines Vorbehalts nach Art 20 Abs 2 nicht anerkannt werden kann. b) Inhalt Ihrem Inhalt nach muss die Erklärung darauf gerichtet sein, innerhalb ihres Geltungsbe- 4 reichs unentgeltliche juristische Unterstützung nur auf der Grundlage einer Prüfung der Mittel des Kindes zu leisten. Schon der Wortlaut des Abs 1 stellt klar, dass nach der Erklärung lediglich die Mittel des Kindes für diese Bedürfnisprüfung ausschlaggebend sein dürfen und die Mittel des Elternteils, bei dem sich das Kind befindet, keine Rolle spielen.7 Man mag zweifeln, ob eine derart einschränkende Erklärung nicht eher einen Vorbehalt darstellt; immerhin sieht das Übereinkommen aber, anders als bei Vorbehalten, mit Art 16 eine Alternativlösung vor.8 c) Notifikation und Wirksamkeit Die Notwendigkeit einer Notifikation beim Verwahrer sowie Beginn und eventuelles Ende 5 der Wirksamkeit einer solchen Erklärung richten sich nach Art 63; die Erklärung wirkt nicht reziprok. 2. Unterrichtung des Ständigen Büros Abs 2 verlangt eine Unterrichtung des Ständigen Büros über die Art und Weise, nach der die 6 3

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Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 9 f. Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 9-11. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 519. Kurucz IFL March 2012, 103, 104. Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 617; Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 323; Fucik iFamZ 2008, 219, 223; Nimmerrichter Handbuch Rn 277. Treffend bemerkt von Borrás FS Siehr (2010) 173, 183.

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Art 16 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Prüfung der Mittel des Kindes in dem betreffenden Vertragsstaat durchgeführt wird, sowie über die finanziellen Voraussetzungen, unter denen dieser Vertragsstaat unentgeltliche juristische Unterstützung gewähren wird. Diese Unterrichtung und die darauf folgende Publikation durch das Ständige Büro sind erforderlich, damit der Antrag den Anforderungen des Abs 3 genügen kann. Zugleich wird damit einer willkürlichen Ablehnung unentgeltlicher juristischer Unterstützung vorgebeugt. 3. Konsequenz für einen Antrag a) Antragsinhalt 7 Gem Abs 3 S 1 muss ein Antrag an einen Staat, der eine Erklärung nach Abs 1 abgegeben hat,

eine „förmliche Bestätigung“ des Antragstellers enthalten, dass diese finanziellen Voraussetzungen erfüllt sind. Wer diese „förmliche Bestätigung“ abgeben kann, worin genau ihre „Förmlichkeit“ besteht und welchen Inhalt sie haben muss, legt das Übereinkommen nicht fest. Man wird hier die gegenüber der Zentralen Behörde abgegebene, selbständige Erklärung des Antragstellers über die Mittel des Kindes ausreichen lassen müssen. b) Anforderung zusätzlicher Nachweise 8 Abs 3 S 2 beschränkt das Recht des ersuchten Staats, zusätzliche Nachweise über die Mittel

des Kindes anzufordern, auf die Fälle, in denen er „begründeten Anlass zu der Vermutung hat, dass die Angaben des Antragstellers unzutreffend sind“. Wiederum nicht vom Übereinkommen vorgegeben ist, wann ein „begründeter Anlass“ vorliegt. In Betracht kommen hier Fälle, in denen dem ersuchten Staat bekannt ist oder er den dringenden Verdacht hat, dass das Kind dort oder anderswo über Vermögensgegenstände verfügt, deren Wert über das hinausgeht, was ein Kind an Mitteln haben darf, um in den Genuss unentgeltlicher finanzieller Unterstützung zu kommen.9 Das Recht, zusätzliche Nachweise zu fordern, impliziert auch das Recht zur Vornahme einer eigenen Prüfung, deren Ausgang dann über die Gewährung unentgeltlicher juristischer Unterstützung entscheidet. 4. Prüfungsmaßstab 9 In welchem Verfahren und nach welchem Maßstab ein Staat, der eine Erklärung nach Abs 1

abgegeben hat, die Prüfung der Bedürftigkeit des Kindes vornimmt, schreibt das Übereinkommen nicht vor. Es ist daher Sache des Staates, hierüber Regelungen zu treffen; er kann die Prüfung und die Schwellenwerte selbst bestimmen.10 5. Günstigkeitsprüfung 10 Abs 4 verlangt schließlich noch die Prüfung, ob unentgeltliche juristische Unterstützung

nach dem nationalen Recht des ersuchten Staats dem Kind günstiger ist, und ordnet an, dass die jeweils günstigste juristische Unterstützung zu leisten ist. Damit wird einer Diskriminierung von Anträgen unter dem Übereinkommen gegenüber rein innerstaatlichen Anträgen vorgebeugt.

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Vgl Nimmerrichter Handbuch Rn 278. Beaumont/Walker FS Borrás (2013) 185, 191.

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Kapitel III: Anträge über die Zentralen Behörden

Art 17 HUntVerfÜbk

6. Bisherige Bedeutung Erklärungen nach Art 16 hat bisher keiner der Vertragsstaaten abgegeben. Da vor allem 11 China, Japan und Russland mit dem Verzicht auf eine Bedürftigkeitsprüfung Schwierigkeiten hatten, wird erwartet, dass diese Staaten, sollten sie dem Übereinkommen beitreten, eine entsprechende Erklärung abgeben werden.11 IV. Vergleich mit der EG-UntVO Die EG-UntVO sieht in Art 46 die Gewährung unentgeltlicher juristischer Unterstützung 12 bei Anträgen auf Kindesunterhalt vor und erlaubt hiervon keine Ausnahmen. Eine dem Art 16 entsprechende Regelung enthält sie daher nicht.

Artikel 17: Nicht unter Artikel 15 oder 16 fallende Anträge Bei Anträgen, die nach diesem Übereinkommen gestellt werden und nicht unter Artikel 15 oder 16 fallen, a) kann die Gewährung unentgeltlicher juristischer Unterstützung von der Prüfung der Mittel des Antragstellers oder der Begründetheit des Antrags abhängig gemacht werden; b) erhält ein Antragsteller, der im Ursprungsstaat unentgeltliche juristische Unterstützung erhalten hat, in jedem Anerkennungs- oder Vollstreckungsverfahren eine unentgeltliche juristische Unterstützung, die mindestens der unter denselben Umständen nach dem Recht des Vollstreckungsstaats vorgesehenen Unterstützung entspricht. I. II. III.

Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelerläuterung 1. Kein Fall von Kindesunterhalt . . . . . . . . . . 2. Prüfung der Bedürftigkeit und Begründetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 IV.

3. Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . . . 8

3 4

I. Normzweck Art 17 gibt den Vertragsstaaten bei Anträgen unter dem Übereinkommen, die nicht Kin- 1 desunterhalt betreffen, zunächst die Freiheit, die Gewährung unentgeltlicher juristischer Unterstützung von einer Prüfung der Bedürftigkeit oder der Begründetheit abhängig zu machen, und ordnet dann an, dass im Falle einer vom Ursprungsstaat gewährten unentgeltlichen juristischen Unterstützung auch in einem Anerkennungs- oder Vollstreckungsverfahren unentgeltliche juristische Unterstützung mindestens in dem Umfang zu gewähren ist, wie sie der Vollstreckungsstaat in entsprechenden innerstaatlichen Verfahren vorsehen würde.

11

Beaumont/Walker FS Borrás (2013) 185, 191; Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 395.

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Art 17 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

II. Entstehungsgeschichte 2 Auch Art 17 hat sich aus dem zunächst einheitlichen Artikel über den effektiven Zugang zu

Verfahren entwickelt und seine heutige Form erst ganz am Ende des Entwurfsprozesses erhalten (siehe Art 14 Rn 3 f). In Art 25bis des Arbeitspapiers vom Juni 2004 sah Abs 3 in allgemeiner Form die Möglichkeit einer Mittelprüfung vor; Abs 5 bestimmte, dass bei im Ursprungsstaat gewährter unentgeltlicher juristischer Unterstützung auch in Anerkennungs- oder Vollstreckungsverfahren unentgeltliche juristische Unterstützung zu gewähren ist.1 Dieselben Regelungen fanden sich im Entwurf vom Januar 20052 und grundsätzlich auch in der jeweiligen ersten Option des Artikels in den Entwürfen von 2007;3 der letzte Artikel der jeweiligen zweiten Option kam dem heutigen Art 17 schon nahe.4 Auf der diplomatischen Konferenz gab diese Vorschrift keinen Anlass für größere Diskussionen.5 III. Einzelerläuterung 1. Kein Fall von Kindesunterhalt 3 Art 17 gilt nur für Anträge, die nicht Kindesunterhalt iSd Art 15 Abs 1 betreffen und für die

nicht generell unentgeltliche juristische Unterstützung nach Art 15 oder unentgeltliche juristische Unterstützung in Abhängigkeit von einer Mittelprüfung nach Art 16 zu leisten ist. Es handelt sich also um Anträge auf Unterhalt für ein über 21 Jahre altes Kind oder andere Personen, falls ein Staat eine dahingehende Erklärung nach Art 2 Abs 3 abgegeben hat, um Anträge auf Ehegattenunterhalt, um Anträge einer verpflichteten Person oder um Anträge, mit denen besondere Maßnahmen (Art 6) begehrt werden.6 Eine Anwendung in Fällen, in denen unentgeltliche juristische Unterstützung für ein unter 21 Jahre altes Kind gem Art 15 Abs 2 oder 16 versagt wurde, scheidet hingegen aus.7 2. Prüfung der Bedürftigkeit und Begründetheit 4 Lit a lässt zu, dass ein Vertragsstaat die Gewährung unentgeltlicher juristischer Unterstützung 1

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Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Proposition du Comité de rédaction, Doc trav No 34 F, 17 juin 2004, S 7 f. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 9 f. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 9; Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 9. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 10 f; Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 11. Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 520. Beaumont/Walker FS Borrás (2013) 185, 191. AA Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 402 sub b; wie hier Beaumont/Walker FS Borrás (2013) 185, 192.

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Kapitel III: Anträge über die Zentralen Behörden

Art 17 HUntVerfÜbk

von einer Prüfung der Mittel des Antragstellers iSv Einkommen und Vermögen oder der Begründetheit iS einer Prüfung der Erfolgsaussichten abhängig macht. Zulässig ist auch eine Kombination aus Mittelprüfung und Begründetheitsprüfung, wie sie im Prozesskostenhilferecht häufig ist;8 das „Oder“ ist also nicht exklusiv, sondern inklusiv zu verstehen. Möglich ist auch eine teilweise oder darlehensweise Gewährung juristischer Unterstützung.9 Für unmittelbare Anträge auf Anerkennung und Vollstreckung gilt lit a nicht (vgl Art 37 Abs 2). Ob ein Vertragsstaat die Gewährung unentgeltlicher juristischer Unterstützung überhaupt 5 von einer Prüfung der Mittel und der Begründetheit abhängig macht und welche Kriterien er dabei anlegt, steht ihm frei, das Übereinkommen enthält hierzu keine Vorgaben. Allerdings darf die Position des Antragstellers nicht völlig entwertet werden. 3. Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren Lit b schreibt einer im Ursprungsstaat (Art 20 Abs 1) getroffenen Entscheidung, unent- 6 geltliche juristische Unterstützung zu gewähren, eine gewisse Wirkung auch für Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren zu; er gilt gem Art 37 Abs 2 auch bei unmittelbaren Anträgen. Im Anerkennungs- oder Vollstreckungsverfahren ist nicht mehr neu über die Frage der Gewährung unentgeltlicher juristischer Unterstützung zu entscheiden. Dies gilt selbst dann, wenn der Ursprungsstaat weder eine Mittelprüfung noch eine Begründetheitsprüfung vorgenommen hat, der Anerkennungs- oder Vollstreckungsstaat eine derartige Prüfung aber vornehmen würde. Der Verweis auf eine Gewährung „unter denselben Umständen“ bezieht sich nicht hierauf, da anderenfalls die Vorschrift auf ein Diskriminierungsverbot reduziert wäre. Folge einer im Ursprungsstaat gewährten unentgeltlichen juristischen Unterstützung ist, dass 7 im Anerkennungs- oder Vollstreckungsverfahren ebenfalls eine unentgeltliche juristische Unterstützung zu gewähren ist. Diese Unterstützung darf der in entsprechenden innerstaatlichen Fällen gewährten Unterstützung nicht nachstehen, muss aber nicht dieselbe Form annehmen, wie sie im Ursprungsstaat angenommen hätte.10 Eine Diskriminierung von Anträgen, die unter dem Übereinkommen gestellt wurden, soll damit vermieden werden. IV. Vergleich mit der EG-UntVO Parallelnorm zu Art 17 ist der detailliertere Art 47 EG-UntVO. Art 47 Abs 2 und 3 EG- 8 UntVO sagen ausdrücklich, dass die Gewährung unentgeltlicher juristischer Unterstützung in Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren „ungeachtet des Absatzes 1“ erfolgt, der die Möglichkeit einer Mittelprüfung und einer Begründetheitsprüfung vorsieht. Zudem verlangt Art 47 Abs 2 nicht wie Art 17 lit b nur eine mindestens gleichwertige Unterstützung wie in vergleichbaren innerstaatlichen Fällen, sondern „die günstigste und umfassendste Behandlung, die das Recht des Vollstreckungsstaats [überhaupt] vorsieht“.11

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Für Deutschland § 76 Abs 1 FamFG, § 114 Abs 1 ZPO; für Österreich § 7 Abs 1 Außerstreitgesetz, § 63 ZPO; für die Schweiz Art 117 ZPO. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 406. Etwas undeutlich Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 410 f. Dazu Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 531.

Christoph A. Kern

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B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Art 18 HUntVerfÜbk

Kapitel IV: Einschränkungen bei der Verfahrenseinleitung Artikel 18: Verfahrensbegrenzung (1) Ist eine Entscheidung in einem Vertragsstaat ergangen, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, so kann die verpflichtete Person kein Verfahren in einem anderen Vertragsstaat einleiten, um eine Änderung der Entscheidung oder eine neue Entscheidung herbeizuführen, solange die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt weiterhin in dem Staat hat, in dem die Entscheidung ergangen ist. (2) Absatz 1 gilt nicht, a) wenn in einem Rechtsstreit über eine Unterhaltspflicht gegenüber einer anderen Person als einem Kind die gerichtliche Zuständigkeit jenes anderen Vertragsstaats auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung zwischen den Parteien festgelegt wurde, b) wenn die berechtigte Person sich der gerichtlichen Zuständigkeit jenes anderen Vertragsstaats entweder ausdrücklich oder dadurch unterworfen hat, dass sie sich, ohne bei der ersten sich dafür bietenden Gelegenheit die Unzuständigkeit geltend zu machen, in der Sache selbst eingelassen hat, c) wenn die zuständige Behörde des Ursprungsstaats ihre Zuständigkeit für die Änderung der Entscheidung oder für das Erlassen einer neuen Entscheidung nicht ausüben kann oder die Ausübung ablehnt oder d) wenn die im Ursprungsstaat ergangene Entscheidung in dem Vertragsstaat, in dem ein Verfahren zur Änderung der Entscheidung oder Herbeiführung einer neuen Entscheidung beabsichtigt ist, nicht anerkannt oder für vollstreckbar erklärt werden kann. I. II. III.

Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelerläuterung 1. Ausschluss weiterer Zuständigkeiten . . . a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verstoßfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 3 4 7 8

a) b) c) d)

IV.

Zuständigkeitsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . 8 Zuständigkeitsunterwerfung . . . . . . . . . . . . . 9 Negativer Kompetenzkonflikt . . . . . . . . . . 12 Anerkennungs- oder Vollstreckbarerklärungshindernis . . . . . . 13 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . 14

I. Normzweck 1 Anders als die EG-UntVO enthält das Übereinkommen keine Regeln über die direkte in-

ternationale Zuständigkeit in Unterhaltssachen. Einzige Ausnahme ist die negative Zuständigkeitsnorm des Art 18,1 der die internationale Zuständigkeit aller anderen Vertragsstaaten ausschließt, wenn die berechtigte Person im Vertragsstaat ihres gewöhnlichen Aufenthalts eine Entscheidung erlangt hat, dort noch immer ihr gewöhnlicher Aufenthalt ist und die verpflichtete Person einen Antrag mit dem Ziel der Abänderung einer Unterhaltsentschei1

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Bartl Die neuen Rechtsinstrumente zum IPR des Unterhalts (2012) 48; Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 419; Hau Europäisches Unterhaltsrecht (2010) 57, 75; Janzen FPR 2008, 218, 220 f; Levante FS Schwander (2011) 729, 737; Nimmerrichter Handbuch Rn 215.

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Kapitel IV: Einschränkungen bei der Verfahrenseinleitung

Art 18 HUntVerfÜbk

dung oder der Herbeiführung einer neuen Entscheidung anstrengt. Damit bezweckt Art 18 den Schutz des Unterhaltsgläubigers vor ihm nachteiligen Abänderungsentscheidungen oder neuen Entscheidungen in einem für ihn ungünstigen Forum, wie dies insbesondere im Vereinigten Königreich bei Anerkennung und Vollstreckung unter dem HUntAVÜbk 1973 vorkommen kann,2 und zugleich die Vermeidung von forum shopping durch den Unterhaltsschuldner.3 II. Entstehungsgeschichte Eine Vorschrift, die bestimmte direkte Zuständigkeiten ausschließt, kannte schon das EuG- 2 VÜ (Art 3 Abs 2); sie findet sich heute in Art 3 Abs 2 iVm Anhang I Brüssel I-VO und LugÜbk 2007 und war auch beim gescheiterten Haager Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen vorgesehen.4 Vor allem aber kennen die USA eine strenge Regelung im Uniform Interstate Family Support Act (UIFSA)5 nach dem Prinzip „one order at a time“.6 Einen ersten, von den Vertretern der EU angeregten7 Vorschlag für den heutigen Art 18 findet man im Arbeitspapier vom Juni 2004 als Art 45; einzige Ausnahmen waren dort Zuständigkeitsvereinbarung und Zuständigkeitsunterwerfung.8 Der auf ein Papier William Duncans zurückgehende Vorschlag war Gegenstand ausführlicher Diskussion.9 Im Entwurf vom Januar 2005 hatte der Artikel bereits seine heutige Struktur und kannte die Ausnahmen der lit a bis c, die allerdings noch weniger detailliert geregelt waren.10 Der Entwurf vom Oktober 2005 brachte bei den Ausnahmen Präzisierungen und die heutige Stellung.11 Im Entwurf vom Januar 2007 war die endgültige Fassung erreicht.12 2

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Long ICLQ 57 (2008) 984, 988 mit Verweis auf Pelichet, Obligations alimentaires. Note sur le fonctionnement des Conventions de La Haye relatives aux obligations alimentaires et de la Convention de New York sur le recouvrement des aliments à l’étranger, Doc prél No 1, septembre 1995, Rn 23-25. Zum ähnlich gelagerten Problem unter dem Uniform Reciprocal Enforcement of Support Act Smith Fam LQ 43 (2008) 37, 42 f, 46. Borrás IFL March 2012, 110, 111; Eames IFL March 2009, 47, 49; Levante FS Schwander (2011) 729, 737; Malatesta Riv dir int civ proc 2009, 829, 836. Siehe schon von Mehren Law & Contemp Probs 57 (1994) 271, 283; weiter Beaumont J Priv Int L 5 (2009) 125, 127-129; Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 532. Sec 205 Uniform Interstate Family Support Act; Spector YB PIL 7 (2005) 63, 78 ff. DeMaria, Journal of the American Academy of Matrimonial Lawyers 16 (1999) 243, 245; Smith Fam LQ 43 (2008) 37, 51. Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 536. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Proposition du Comité de rédaction, Doc trav No 34 F, 17 juin 2004, S 12. Borrás Rodríguez/Parra Rodríguez REDI LVI (2004) 572, 577. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 18. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 10. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 12; Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 12.

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Art 18 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

III. Einzelerläuterung 1. Ausschluss weiterer Zuständigkeiten 3 Abs 1 versagt es den Vertragsstaaten, eine an sich gegebene internationale Zuständigkeit für

solche Verfahren wahrzunehmen, in denen die verpflichtete Person die Änderung einer Entscheidung oder eine neue Entscheidung begehrt, wenn die erste Entscheidung im Aufenthaltsstaat der berechtigten Person ergangen ist und die berechtigte Person in diesem Staat noch immer ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Im Ergebnis wird damit auf eine Fortdauer der internationalen Zuständigkeit hingewirkt; unmittelbar ordnet das Übereinkommen aber keine solche Fortdauer an, wie sich aus Abs 2 lit c ergibt. Entscheidung ist dabei in einem weiten Sinn zu verstehen; die Gedanken des Art 19 Abs 1 und 2 sind auch im Rahmen des Art 18 heranzuziehen.13 a) Voraussetzungen 4 Anders als Art 9, der für die Zuständigkeit der Zentralen Behörde, über die der Antrag zu

stellen ist, jeden Aufenthalt ausreichen lässt, greift die von Abs 1 vorgesehene Verfahrensbegrenzung nur dann, wenn die berechtigte Person in dem Staat ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte und hat. 5 Art 18 gilt nur für Anträge der verpflichteten Person; für Anträge der berechtigten Person

gilt er auch nicht analog. 6 Des Weiteren gilt Art 18 nur für Anträge auf Abänderung der früheren Entscheidung oder

Herbeiführung einer neuen Entscheidung, nicht für andere Anträge wie etwa Anträge auf Vollstreckungsschutz in einem vom Aufenthaltsstaat der berechtigten Person verschiedenen Vollstreckungsstaat. b) Verstoßfolge 7 Ergeht eine Entscheidung unter Verletzung des Art 18, so können andere Vertragsstaaten

gem Art 22 lit f ihre Anerkennung und Vollstreckung verweigern. Zudem liegt ein Verstoß gegen Völkervertragsrecht vor, der allerdings nicht unmittelbar sanktioniert wird. 2. Ausnahmen a) Zuständigkeitsvereinbarung 8 Gem Abs 2 lit a können sich die Parteien durch eine schriftliche (Art 3 lit d) Zuständig-

keitsvereinbarung über die Vorschrift des Abs 1 hinwegsetzen, sofern nicht eine Unterhaltspflicht gegenüber einem Kind in Rede steht. Anders als in Art 15 Abs 1 fehlt in der Ausnahme für Kindesunterhalt eine altersmäßige Eingrenzung, sodass Zuständigkeitsvereinbarungen unabhängig vom Alter des Kindes nicht zur Begründung einer von Abs 1 verbotenen Zuständigkeit ausreichen.14

13 14

986

Ähnlich Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 532 f; aA wohl Borrás IFL March 2012, 110, 111. AA Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 533, der die Entscheidung dem jeweiligen Vertragsstaat überlassen will.

Oktober 2014

Kapitel IV: Einschränkungen bei der Verfahrenseinleitung

Art 18 HUntVerfÜbk

b) Zuständigkeitsunterwerfung Abs 2 lit b erlaubt Verfahren in einem anderen Vertragsstaat als dem Aufenthaltsstaat auch 9 dann, wenn sich die berechtigte Person der dortigen Zuständigkeit unterworfen hat. Die Zuständigkeitsunterwerfung muss ausdrücklich oder durch rügelose Einlassung zur Sache erfolgt sein; sie wirkt anders als nach lit a auch, wenn Kindesunterhalt in Rede steht. Ausdrücklich ist eine Zuständigkeitsunterwerfung, wenn sie gegenüber dem Gericht oder 10 der verpflichteten Person als solche erklärt wurde. Eine rügelose Einlassung liegt vor, wenn die erste sich dafür bietende Gelegenheit zur 11 Geltendmachung der Unzuständigkeit von der berechtigten Person nicht wahrgenommen wurde, sondern sie sich direkt und nicht nur unter dem Vorbehalt fehlender Zuständigkeit zur Sache selbst geäußert hat. Einen genauen Zeitpunkt für die spätest mögliche Geltendmachung konnte das Übereinkommen nicht vorsehen, da sowohl behördliche als auch gerichtliche Verfahren in Betracht kommen und sich diese stark unterscheiden können. Das Verstreichen der ersten Gelegenheit reicht nur aus, wenn die berechtigte Person auch zur Sache verhandelt hat, sich also zur Frage der Unterhaltspflicht geäußert hat. Fraglich ist, ob sich eine Gelegenheit auch „bietet“, wenn die Gerichte oder Behörden des entscheidenden Staats nach ihrem Recht zuständig waren, die nicht vereinheitlichte direkte Zuständigkeit also weiter als die indirekte Zuständigkeit geht. Man wird dies wohl verneinen müssen, sodass in einem solchen Fall Abs 1 zur Anwendung kommt.15 c) Negativer Kompetenzkonflikt Insbesondere weil Abs 1 nicht positiv eine internationale Zuständigkeit des Aufenthalts- 12 staats16 vorsieht, sondern umgekehrt eventuelle internationale Zuständigkeiten der Vertragsstaaten ausschließt, kann es sein, dass die zuständige Behörde des Aufenthaltsstaats ihre Zuständigkeit für die Änderung der Entscheidung oder die Herbeiführung einer neuen Entscheidung nicht ausüben kann oder die Ausübung ablehnt. Zwar wird dies nur selten vorkommen, da die berechtigte Person in diesem Staat normalerweise nach dem Grundsatz actor sequitur forum rei verklagt werden kann; denkbar sind solche Fälle aber bei abweichender Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts oder in Kriegsfällen.17 Wäre auch dann den Vertragsstaaten die Ausübung einer Kompetenz versagt, so würde der verpflichteten Person der Zugang zum Recht verwehrt. Daher sieht Abs 2 lit c für diesen Fall eine Ausnahme von Abs 1 vor, die sich an der entsprechenden Regel in den USA anlehnt.18 d) Anerkennungs- oder Vollstreckbarerklärungshindernis Lit d sieht schließlich noch eine Ausnahme für den Fall vor, dass die im Aufenthaltsstaat19 13 ergangene Entscheidung in dem Staat nicht anerkannt oder für vollstreckbar erklärt werden kann, in dem die verpflichtete Person ein Verfahren zur Abänderung oder zur Herbeifüh-

15 16

17 18 19

Vgl J Schröder NJW 1980, 473, 474 ff. „Ursprungsstaat“ ist iSd Staates des gewöhnlichen Aufenthalts der berechtigten Person zu verstehen, vgl Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 534. Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 534; Borrás IFL March 2012, 110, 112. Sec 615 Uniform Interstate Family Support Act; dazu Spector YB PIL 7 (2005) 63, 79 f. „Ursprungsstaat“ ist auch hier iSd Staates des gewöhnlichen Aufenthalts der berechtigten Person zu verstehen, vgl Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 535.

Christoph A. Kern

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Art 19 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

rung einer neuen Entscheidung herbeiführen will. Ein Anerkennungs- oder Vollstreckbarerklärungshindernis kann sich aus Art 22 ergeben. Dass der verpflichteten Person in diesem Staat in Ausnahme von Abs 1 die Möglichkeit eines Verfahrens eröffnet wird, beruht darauf, dass auch eine abändernde oder neue Entscheidung nicht anerkannt würde, sie also weiter wie bisher leisten müsste. Allerdings ist fraglich, ob eine Entscheidung aus dem von der verpflichteten Person gewählten Staat ihrerseits im Aufenthaltsstaat anerkannt würde (vgl insbes Art 22 lit f).20 IV. Vergleich mit der EG-UntVO 14 Die Parallelnorm des Art 8 EG-UntVO steht dort in Kapitel II, das Regeln über die – vom

Übereinkommen nicht geregelte – direkte Zuständigkeit enthält. Art 8 Abs 2 lit a EGUntVO enthält zwar keinen Ausschluss für Kindesunterhalt, dieser folgt jedoch aus Art 4 Abs 3 EG-UntVO, auf den verwiesen ist. In Art 8 Abs 2 lit b EG-UntVO fehlt die ausdrückliche Zuständigkeitsunterwerfung; durch rügelose Einlassung lässt sich aber stets dasselbe Ergebnis erzielen. Art 8 Abs 2 lit c und d EG-UntVO gelten für alle dem HUntVerfÜbk angehörenden Staaten; sie dürften aber nur dann eine praktische Rolle spielen, wenn der Ursprungsstaat nicht zugleich der Verordnung unterliegt.21

Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung Artikel 19: Anwendungsbereich dieses Kapitels (1) Dieses Kapitel ist auf Unterhaltsentscheidungen einer Behörde, sei es eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde, anzuwenden. Der Begriff „Entscheidung“ schließt auch Vergleiche oder Vereinbarungen ein, die vor einer solchen Behörde geschlossen oder von einer solchen genehmigt worden sind. Eine Entscheidung kann eine automatische Anpassung durch Indexierung und die Verpflichtung, Zahlungsrückstände, Unterhalt für die Vergangenheit oder Zinsen zu zahlen, sowie die Festsetzung der Verfahrenskosten umfassen. (2) Betrifft die Entscheidung nicht nur die Unterhaltspflicht, so bleibt die Wirkung dieses Kapitels auf die Unterhaltspflicht beschränkt. (3) Im Sinne des Absatzes 1 bedeutet „Verwaltungsbehörde“ eine öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung, deren Entscheidungen nach dem Recht des Staates, in dem sie begründet ist, a) vor Gericht angefochten oder von einem Gericht nachgeprüft werden können und b) vergleichbare Kraft und Wirkung haben wie eine Entscheidung eines Gerichts zu der gleichen Angelegenheit. (4) Dieses Kapitel ist auch auf Unterhaltsvereinbarungen nach Artikel 30 anzuwenden. (5) Dieses Kapitel ist auch auf Anträge auf Anerkennung und Vollstreckung anzuwenden, die nach Artikel 37 unmittelbar bei der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaats gestellt werden.

20 21

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Vgl Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 535 f; Borrás IFL March 2012, 110, 112. Walker NIPR 2013, 167, 174.

Oktober 2014

Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung I. II. III.

Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelerläuterung 1. Unterhaltsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . a) Entscheidende Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Art 19 HUntVerfÜbk 1 2 3 3

IV.

b) Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 c) Entscheidungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2. Unterhaltsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . 8 3. Unmittelbar gestellte Anträge . . . . . . . . . . . 9 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . 10

I. Normzweck Art 19 bestimmt als Kopfnorm des Kapitels V über die Anerkennung und Vollstreckung 1 dessen Anwendungsbereich. Er geht dabei von der Unterhaltsentscheidung (Abs 1) und der Unterhaltsvereinbarung (Abs 4) als Gegenstände der Anerkennung und Vollstreckung aus. Während er für die Unterhaltsvereinbarung lediglich auf Art 30 verweist, bringt er für die Unterhaltsentscheidung Erläuterungen über die Begriffe „Entscheidung“ (Abs 1) und „Verwaltungsbehörde“ (Abs 3). II. Entstehungsgeschichte Eine einheitliche Vorschrift für den Anwendungsbereich des Kapitels über Anerkennung 2 und Vollstreckung war zunächst nicht vorgesehen. Einzelne Elemente des heutigen Art 19 wie die Definition von „Entscheidung“ oder der Gedanke der Teilbarkeit fanden sich jedoch schon im Entwurf vom April 2004,1 die Definition von „Verwaltungsbehörde“ dann im Arbeitspapier vom Juni 2004.2 Der Entwurf vom Oktober 2005 führte diese und weitere Elemente in einer Norm über den Anwendungsbereich des Kapitels zusammen, die schon weitgehend der heutigen Fassung entsprach.3 Abs 3 lit b schwenkte erst spät von „derselben Kraft und derselben Wirkung“ („the same force and effect“/„la même force et le même effet“) zur vorsichtigeren Formulierung „vergleichbare Kraft und Wirkung“ („a similar force and effect“/„une force et un effet équivalant“) um.4 III. Einzelerläuterung 1. Unterhaltsentscheidungen a) Entscheidende Stelle Nach Abs 1 S 1 kann eine Unterhaltsentscheidung sowohl von einem Gericht als auch einer 3 Verwaltungsbehörde herrühren. Angesichts der Einbeziehung von Entscheidungen einer Verwaltungsbehörde kommt es nicht darauf an, ob eine gerichtliche Entscheidung nur vorliegt, wenn das Gericht als solches, also als Rechtsprechungsorgan, tätig geworden ist. 1

2

3

4

Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 4, 15 f. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Proposition du Comité de rédaction, Doc trav No 34 F, 17 juin 2004, S 8. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 11. Siehe noch Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 13.

Christoph A. Kern

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Art 19 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

4 Nach Abs 3 muss allerdings die Entscheidung einer Verwaltungsbehörde weiteren Anfor-

derungen genügen: Sie muss gerichtlich anfechtbar oder nachprüfbar sein (Abs 3 lit a) und „vergleichbare“ Kraft und Wirkung wie eine Entscheidung eines Gerichts haben. Mit dem Nebeneinander von Anfechtbarkeit und Nachprüfbarkeit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Gerichtsentscheidungen in manchen Staaten nur auf Bestätigung oder Aufhebung lauten können, während in anderen eine eigene Entscheidung des Gerichts in der Sache möglich ist. „Vergleichbare“ Kraft und Wirkung hat eine Behördenentscheidung, wenn sie nach deren nationalem Recht ohne weiteres gerichtliches Erkenntnis vollstreckt werden kann; die Abmilderung von einer „gleichen“ zu einer lediglich vergleichbaren Kraft und Wirkung lässt im Übrigen Unterschiede zu, wie sie sich etwa im deutschen Recht zwischen Rechtskraft und Bestandskraft finden. b) Entscheidung 5 In einem engen Sinne ist Entscheidung die von einem Dritten verantwortete autoritative

Festlegung. Um auch solche Fälle einzubeziehen, in denen die anzuerkennende oder zu vollstreckende Unterhaltspflicht nicht auf einer allein von dritter Seite herrührender, autoritativer Festlegung, sondern auf einer Verständigung der Parteien beruht, bezieht Abs 1 S 2 ausdrücklich auch Vergleiche und andere Vereinbarungen mit ein. Erfasst sind also sowohl Vereinbarungen, die auf gegenseitigem Nachgeben bei zunächst unterschiedlichen Positionen beruhen, als auch Vereinbarungen, bei denen von Anfang an Einvernehmen bestand. Die Vergleiche und Vereinbarungen müssen aber, sollen sie anerkannt oder vollstreckt werden, stets eine zumindest formelle hoheitliche Anerkennung gefunden haben. Diese ist gegeben bei Abschluss vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde oder deren nachträglicher Genehmigung. c) Entscheidungsinhalt 6 Inhaltlich muss es sich um eine Unterhaltsentscheidung, also eine Entscheidung über einen

Unterhaltsanspruch, handeln. Diese Entscheidung kann nicht nur Unterhalt für die Zukunft in fixer Höhe zusprechen, sondern nach Abs 1 S 3 weitere Inhalte haben. Anzuerkennen und zu vollstrecken ist danach auch eine Entscheidung, die eine automatische Anpassung durch Indexierung vorsieht,5 wobei der Index nicht vorgegeben ist,6 allerdings andere Formen der automatischen Anpassung nicht erfasst sind. Die Entscheidung kann auch zur Begleichung von Zahlungsrückständen nach einer ersten Entscheidung oder zu Unterhalt für die Vergangenheit vor einer ersten Entscheidung verpflichten.7 Ebenfalls erfasst sind Entscheidungen, die die Zahlung von Zinsen anordnen, sodass insbesondere Verzugs- oder Rechtshängigkeitszinsen nach den Regeln des Übereinkommens anzuerkennen und zu vollstrecken sind. Schließlich fällt auch die Festsetzung der Verfahrenskosten gegen den anderen Teil in Unterhaltssachen unter das Übereinkommen. 7 Hat eine Entscheidung einen darüber hinausgehenden anerkennungs- und vollstreckungs-

fähigen Inhalt, so findet Kapitel V des Übereinkommens insoweit keine Anwendung; die 5 6 7

990

Bisherige Unterschiede in deren Vollstreckung erwähnt Duncan Fam LQ 38 (2004) 663, 664. Zu Problemen indexierter Entscheidungen Nimmerrichter Handbuch Rn 213. Zu dieser Abgrenzung zwischen Zahlungsrückständen und Unterhalt für die Vergangenheit Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 11 Fn 21; Nimmerrichter Handbuch Rn 212.

Oktober 2014

Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 20 HUntVerfÜbk

unter das Übereinkommen fallenden Entscheidungswirkungen werden jedoch gem Abs 2 nach diesem Kapitel anerkannt und vollstreckt. Dies kann eine Rolle spielen bei Entscheidungen, die zugleich die Abstammung feststellen, wenn der Vollstreckungsstaat diese Feststellung nicht anerkennen will.8 Ergänzt wird Abs 2 durch Art 21, der die Teilbarkeit auch insoweit vorsieht, als der Anwendungsbereich des Kapitels eröffnet ist. 2. Unterhaltsvereinbarungen Gem Abs 4 gilt Kapitel V auch für Unterhaltsvereinbarungen nach Art 30, also solche 8 Unterhaltsvereinbarungen, die im Ursprungsstaat wie eine Entscheidung vollstreckt werden können (Art 30 Abs 1). Der Begriff der Unterhaltsvereinbarung ist in Art 30 lit e definiert; auch hier bedarf es wenigstens einer gewissen formellen Anerkennung. Gilt für eine Unterhaltsvereinbarung über Abs 4 Kapitel V, so sieht allerdings Art 30 verschiedene Modifikationen von den auf Unterhaltsvereinbarungen zugeschnittenen Regeln des Kapitels V vor. 3. Unmittelbar gestellte Anträge Abs 5 lässt Kapitel V auch dann zur Anwendung kommen, wenn ein Antrag auf Anerken- 9 nung und Vollstreckung nach Art 37 unmittelbar bei der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaats gestellt wird. Die fehlende Mitwirkung der Behörden des Ursprungs- oder Aufenthaltsstaats des Gläubigers kann hingenommen werden, da das Übereinkommen Anerkennung und Vollstreckung in weitem Umfang einheitlich und abschließend regelt, sodass der Mehrwert einer „Vorprüfung“ gering ist. Eine beschränkte Gegenausnahme findet sich in Art 20 Abs 4 S 2. IV. Vergleich mit der EG-UntVO Art 48 Abs 1 EG-UntVO stellt gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden Entschei- 10 dungen gleich, Art 2 Abs 1 Nr 1, 2 und 3 EG-UntVO definieren die Begriffe „Entscheidung“, „gerichtlicher Vergleich“ und „öffentliche Urkunde“ weiter. Die „Unterhaltsvereinbarungen“ des Übereinkommens fallen regelmäßig unter die „öffentlichen Urkunden“ der Verordnung. Art 2 Abs 2 EG-UntVO setzt Verwaltungsbehörden den Gerichten gleich, wenn diese den aus Abs 3 bekannten Anforderungen genügen und zudem ihre Unparteilichkeit und das Recht der Parteien auf rechtliches Gehör garantiert sind.

Artikel 20: Grundlagen für die Anerkennung und Vollstreckung (1) Eine in einem Vertragsstaat („Ursprungsstaat“) ergangene Entscheidung wird in den anderen Vertragsstaaten anerkannt und vollstreckt, wenn a) der Antragsgegner zur Zeit der Einleitung des Verfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ursprungsstaat hatte; b) sich der Antragsgegner der Zuständigkeit der Behörde entweder ausdrücklich oder dadurch unterworfen hatte, dass er sich, ohne bei der ersten sich dafür bietenden Gelegenheit die Unzuständigkeit geltend zu machen, in der Sache selbst eingelassen hatte;

8

Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 438.

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Art 20 HUntVerfÜbk

(2) (3)

(4)

(5)

(6)

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

c) die berechtigte Person zur Zeit der Einleitung des Verfahrens ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ursprungsstaat hatte; d) das Kind, für das Unterhalt zugesprochen wurde, zur Zeit der Einleitung des Verfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ursprungsstaat hatte, vorausgesetzt, dass der Antragsgegner mit dem Kind in diesem Staat zusammenlebte oder in diesem Staat seinen Aufenthalt hatte und für das Kind dort Unterhalt geleistet hat; e) über die Zuständigkeit eine schriftliche Vereinbarung zwischen den Parteien getroffen worden war, sofern nicht der Rechtsstreit Unterhaltspflichten gegenüber einem Kind zum Gegenstand hatte; oder f) die Entscheidung durch eine Behörde ergangen ist, die ihre Zuständigkeit in Bezug auf eine Frage des Personenstands oder der elterlichen Verantwortung ausübt, es sei denn, diese Zuständigkeit ist einzig auf die Staatsangehörigkeit einer der Parteien gestützt worden. Ein Vertragsstaat kann zu Absatz 1 Buchstabe c, e oder f einen Vorbehalt nach Artikel 62 anbringen. Ein Vertragsstaat, der einen Vorbehalt nach Absatz 2 angebracht hat, hat eine Entscheidung anzuerkennen und zu vollstrecken, wenn nach seinem Recht bei vergleichbarem Sachverhalt seine Behörden zuständig wären oder gewesen wären, eine solche Entscheidung zu treffen. Ist die Anerkennung einer Entscheidung aufgrund eines nach Absatz 2 angebrachten Vorbehalts in einem Vertragsstaat nicht möglich, so trifft dieser Staat alle angemessenen Maßnahmen, damit eine Entscheidung zugunsten der berechtigten Person ergeht, wenn die verpflichtete Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat hat. Satz 1 ist weder auf unmittelbare Anträge auf Anerkennung und Vollstreckung nach Artikel 19 Absatz 5 noch auf Unterhaltsklagen nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b anzuwenden. Eine Entscheidung zugunsten eines Kindes, welches das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, die einzig wegen eines Vorbehalts zu Absatz 1 Buchstabe c, e oder f nicht anerkannt werden kann, wird als die Unterhaltsberechtigung des betreffenden Kindes im Vollstreckungsstaat begründend akzeptiert. Eine Entscheidung wird nur dann anerkannt, wenn sie im Ursprungsstaat wirksam ist, und nur dann vollstreckt, wenn sie im Ursprungsstaat vollstreckbar ist.

I. II. III.

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Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Einzelerläuterung 1. Indirekte Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . 4 a) Gewöhnlicher Aufenthalt des Antragsgegners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 b) Zuständigkeitsunterwerfung . . . . . . . . . . . . . 6 c) Gewöhnlicher Aufenthalt der berechtigten Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 d) Gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes . . . 8 e) Zuständigkeitsvereinbarung . . . . . . . . . . . . 12 f) Zuständigkeit aufgrund Verfahrens über Personenstand oder elterliche Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Vorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

IV.

3. Anerkennung auch bei Vorbehalt nach Spiegelbildprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 4. Herbeiführung einer Entscheidung bei Nichtanerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 a) Voraussetzungen einer Verpflichtung des Vorbehaltsstaats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 b) Inhalt der Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . 21 c) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 5. Begrenzte Tatbestandswirkung einer Entscheidung über Kindesunterhalt . . . 25 6. Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 7. Anmaßung einer anderen Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . 30

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Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 20 HUntVerfÜbk

I. Normzweck Art 20 regelt als „Grundlagen für die Anerkennung und Vollstreckung“ die indirekte Zu- 1 ständigkeit (Abs 1-5) sowie die allgemein üblichen Voraussetzungen der Wirksamkeit bzw Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat (Abs 6). Ein Vertragsstaat ist damit zu Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung nur, aber auch immer dann1 verpflichtet, wenn die Entscheidung in einem für ihn zuständigkeitsrechtlich akzeptablen Staat ergangen ist, dort Wirkung hat und vollstreckt werden könnte. II. Entstehungsgeschichte Während die Voraussetzungen der Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit unproblematisch 2 waren, zeigen die Vorbehaltsmöglichkeiten hinsichtlich einiger der indirekten Zuständigkeiten und die im Falle eines Vorbehalts greifenden Gegenausnahmen, dass hier eine Einigung überaus schwierig war; vielsagend ist schließlich auch, dass das Übereinkommen die direkte Zuständigkeit – anders als die EG-UntVO – gar nicht regelt.2 Der Entwurf vom April 2004 enthielt mit seinem Art 27 einen Vorläufer des heutigen Art 20 3 mit einer Liste anerkannter indirekter Zuständigkeiten in Abs 1, einer einfachen Vorbehaltsmöglichkeit in Abs 2 sowie der Regelung des heutigen Abs 6 über Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit in Abs 3.3 Das heute nur noch in Abs 3 als Gegenausnahme bei Vorbehalt relevante Spiegelbildprinzip sollte nach diesem Entwurf noch allgemein die indirekte Zuständigkeit begründen können, was jedoch nicht unumstritten war.4 Im Entwurf vom Januar 2005 findet sich zu der Regelung über die Zuständigkeit, die sich auf den Personenstand gründet, schon der Vorschlag einer Einschränkung, dass diese Zuständigkeit nicht allein auf die Staatsangehörigkeit gestützt sein darf.5 Im Entwurf vom Oktober 2005 hat der dortige Art 16 sodann die Struktur des heutigen Art 20: Das Spiegelbildprinzip ist nach Abs 3 Gegenausnahme bei Vorbehalt, bei Nichtanerkennung aufgrund Vorbehalts besteht – nach dem Vorbild der bilateralen Verständigungen zwischen US-Einzelstaaten und anderen Staaten6 – gem Abs 4 unter weiteren Umständen eine Pflicht zur Unterstützung bei der Herbeiführung einer Entscheidung, eine wegen Vorbehalts nicht anerkannte Entscheidung soll gem Abs 5, der damals noch nicht auf Kinder unter 18 Jahren beschränkt war, die grund-

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4

5

6

Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 446; Nimmerrichter Handbuch Rn 335. Vgl Einleitung Rn 16; Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1307-1309. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 15 f. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 15 Fn 96 mwN; siehe auch Duncan Fam LQ 38 (2004) 663, 675 ff. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 11 Fn 13. Einleitung Rn 7; Smith Fam LQ 43 (2008) 37, 56; Spector YB PIL 7 (2005) 63, 72.

Christoph A. Kern

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Art 20 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

sätzliche Unterhaltsberechtigung begründen.7 Die Beschränkung des Abs 5 sowie einige weitere Annäherungen finden sich im Entwurf vom Januar 2007.8 III. Einzelerläuterung 1. Indirekte Zuständigkeiten 4 Für die indirekte Zuständigkeit kommt es nicht darauf an, ob sich die Behörde oder das

Gericht des Ursprungsstaats auf eine Zuständigkeit nach Art 20 Abs 1 gestützt haben. Es reicht vielmehr aus, dass sich jedenfalls auch aus einer der von Art 20 Abs 1 akzeptierten Gründe die Zuständigkeit bejahen lässt.9 a) Gewöhnlicher Aufenthalt des Antragsgegners 5 Abs 1 lit a nennt die allgemeine Grundregel der Zuständigkeit beim Gegner (actor sequitur

forum rei), hier geknüpft an den gewöhnlichen Aufenthalt. Entscheidend ist der Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung (perpetuatio fori). b) Zuständigkeitsunterwerfung 6 Nach Abs 1 lit b besteht eine indirekte Zuständigkeit bei ausdrücklicher Unterwerfung unter

die Zuständigkeit oder rügeloser Einlassung – auch eines Kindes.10 Die Regelung entspricht Art 18 Abs 2 lit b. Eine vorherige Belehrung, wie sie Art 26 Abs 2 Brüssel I-VO 2012 zum Schutz bestimmter strukturell schwächerer Parteien vorsieht, ist nicht Voraussetzung. War eine direkte Zuständigkeit gegeben, so begründet aber das Unterlassen einer Zuständigkeitsrüge keine indirekte Zuständigkeit.11 c) Gewöhnlicher Aufenthalt der berechtigten Person 7 Abs 1 lit c akzeptiert auch die Zuständigkeit am gewöhnlichen Aufenthalt der berechtigten

Person (Art 3 lit a) bei Verfahrenseinleitung (perpetuatio fori), die nicht mit dem Antragsteller identisch sein muss. Berechtigte Person kann auch eine öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung sein. Dies folgt aus der in Art 36 Abs 1 angeordneten Geltung des Art 20 Abs 4 für solche Einrichtungen, denn Art 20 Abs 4 greift nur, wenn der Anerkennungsstaat einen Vorbehalt – unter anderem gegen lit c – angebracht hat.12 Da „Klägergerichtsstände“ problematisch sind, besteht gegen Abs 1 lit c gem Abs 2 eine Vorbehaltsmöglichkeit (Rn 15). d) Gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes 8 Nach Abs 1 lit d besteht eine indirekte Zuständigkeit auch dort, wo das Kind bei Verfahrens-

einleitung (perpetuatio fori) seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, wenn die Entscheidung 7

8

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Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 11 f m Fn 24; Spector YB PIL 7 (2005) 63, 69-72. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 13 f. Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1308; Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 443. Vgl zu Art 5 EG-UntVO OLG Stuttgart, 17.1.2014, 17 WF 229/13, FamRZ 2014, 850 = NJW 2014, 1458. J Schröder NJW 1980, 473, 474 ff. Andrae FPR 2013, 38, 42.

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Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 20 HUntVerfÜbk

Kindesunterhalt zuspricht und der Antragsgegner entweder mit dem Kind in diesem Staat zusammengelebt hat oder dort seinen – nicht notwendigerweise gewöhnlichen – Aufenthalt hatte und für das Kind dort Unterhalt geleistet hat. Lit d ist spezieller als lit c, erlangt seine eigene Bedeutung aber durch das Fehlen einer Vorbehaltsmöglichkeit. Erfasst sind nur Entscheidungen, die dem Kind Unterhalt zusprechen, nicht Entscheidun- 9 gen, die einen Unterhaltsanspruch des Kindes ablehnen. Die Höhe des zugesprochenen Unterhalts ist unerheblich; wurde ein sehr geringer Unterhaltsanspruch zugesprochen, kann dies dem Kind mithin auch nachteilig sein, wenn es die nach nationalem Recht etwa bestehenden Voraussetzungen einer Abänderungsentscheidung13 nicht vortragen kann. Dies ist jedoch im Interesse der Rechtssicherheit hinzunehmen. Das Erfordernis des Zusammenlebens mit dem Kind erklärt sich aus den nach US-Recht 10 erforderlichen minimum contacts (Einleitung Rn 16), die in diesem Fall als gegeben angesehen werden;14 es dient also dazu, den USA den Beitritt zu dem Übereinkommen zu erlauben, obwohl gegen lit d kein Vorbehalt möglich ist.15 Zusammenleben mit dem Kind verlangt über eine räumliche Nähe hinaus das regelmäßige gemeinsame Erleben von Teilen des Alltags über eine gewisse, nicht ganz unwesentliche Zeit. Nicht notwendig ist, dass das Kind Teil des Hausstands des Antragsgegners ist; ein Zusammenleben ist auch außerhalb einer gemeinsamen Wohnung möglich, etwa wenn das Kind bei Großeltern sein Zimmer hat, tagsüber aber sich in der Schule und im Büro eines Elternteils aufhält und mit diesem auch zu Abend isst. Ebenfalls für ein Zusammenleben nicht notwendig ist, dass das Kind kostenmäßig zum Haushalt des Antragsgegners gehört, also sein alltäglicher Lebensbedarf ganz oder teilweise vom Antragsgegner getragen wird. Zumindest teilweise wird dies stets der Fall sein, wenn Kind und Antragsgegner gemeinsam Zeit verbringen; ein Nachweis insbesondere teilweiser Kostenübernahme wäre für das Kind jedoch meist schwierig. Erst recht nicht gehört zum Zusammenleben die Leistung von Unterhaltszahlungen. Das Erfordernis, der Antragsgegner müsse „für das Kind dort Unterhalt geleistet“ haben, bezieht sich nur auf die zweite Alternative, nach der der Antragsgegner seinen Aufenthalt im Ursprungsstaat gehabt haben muss. Dies zeigt das US-amerikanische Vorbild; im Übrigen wäre anderenfalls aber auch die erste Alternative bedeutungslos, da ein Zusammenleben ohne Aufenthalt nicht vorstellbar ist. Das Zusammenleben muss im Ursprungsstaat stattgefunden haben; ob der Antragsgegner dort auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, ist hingegen unerheblich. Auch wenn das Zusammenleben nach dem Wortlaut in der Vergangenheit liegen muss, ist damit ein noch andauerndes Zusammenleben nicht ausgeschlossen (vgl „has lived“ im englischen Text). Alternativ reichen auch, wiederum (Rn 10) entsprechend den in den USA für minimum 11 contacts aufgestellten Anforderungen,16 Aufenthalt der verpflichteten Person und Unterhaltsleistung im Ursprungsstaat aus, wobei eine Unterhaltsleistung im Ursprungsstaat vorliegt, wenn das Kind dort den Unterhalt empfangen hat. Zur Dauer des Aufenthalts und der 13 14

15 16

Vgl für Deutschland § 323 S 2 ZPO. Sec 201(a)(3) Uniform Interstate Family Support Act; Abu-Dalbouh v Abu-Dalbouh 547 NW2d 700, 704 (Minn Ct App, 1996). Nimmerrichter Handbuch Rn 340. Sec 201(a)(4) Uniform Interstate Family Support Act; Abu-Dalbouh v Abu-Dalbouh 547 NW2d 700, 704 (Minn Ct App, 1996).

Christoph A. Kern

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Art 20 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Unterhaltsleistung äußert sich das Übereinkommen nicht. Man wird den Text auch nicht so verstehen können, dass während der gesamten Dauer des Aufenthalts Unterhalt geleistet wurde, da eine innere Rechtfertigung für ein solch einengendes Erfordernis nicht erkennbar ist. Auch hier kommt trotz der Vergangenheitsform im Text eine internationale Zuständigkeit auch in Betracht, wenn Aufenthalt und Unterhaltsleistung noch fortdauern (vgl „has resided … and provided“ im englischen Text). e) Zuständigkeitsvereinbarung 12 Die indirekte Zuständigkeit besteht gem Abs 1 lit e auch aufgrund einer schriftlichen Zu-

ständigkeitsvereinbarung (Art 3 lit d); ausgenommen sind aber Fälle des Kindesunterhalts. Die Altersgrenze für die Kindeseigenschaft beträgt 21 Jahre.17 Nur in der Formulierung anders ist Art 18 Abs 2 lit a. Eine Entscheidung, die auf einer Gerichtsstandsvereinbarung iSd Art 4 EG-UntVO beruht, kann damit auch in denjenigen Vertragsstaaten des Übereinkommens, die nicht durch die EG-UntVO gebunden sind, anerkannt und vollstreckt werden.18 Gem Abs 2 ist ein Vorbehalt möglich. f) Zuständigkeit aufgrund Verfahrens über Personenstand oder elterliche Verantwortung 13 Keine eigenständige Regelung über die indirekte Zuständigkeit, sondern die Pflicht zur Hinnahme einer nach nationalem Recht bestehenden Zuständigkeit, die für ein Verfahren über den Personenstand oder die elterliche Verantwortung gilt, begründet Abs 1 lit f. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass eine einheitliche Entscheidung über personenstandsrechtliche Fragen bzw die Frage der elterlichen Verantwortung und Fragen des Unterhalts oft überaus sinnvoll ist und daher auch dann viel für die Anerkennung und Vollstreckung einer Unterhaltsentscheidung spricht, wenn keine der Zuständigkeiten nach den lit a bis e gegeben ist. Eine Gegenausnahme macht lit f allerdings für den Fall, dass sich die abweichende Zuständigkeit allein aus der Staatsangehörigkeit einer der Parteien ergibt. Der Grund, auf den die Zuständigkeit gestützt ist, kann also durchaus nachgeprüft werden. Die Ausnahme einer allein auf Staatsangehörigkeit gestützten Zuständigkeit liegt auf der neueren Linie der Haager Konferenz, die die Rolle der Staatsangehörigkeit in internationalen Sachverhalten zurückdrängen will. Ein Vorbehalt gem Abs 2 ist möglich. 14 Unklar ist, ob als Personenstandssache iSd lit f auch eine Trennung ohne Auflösung des

Ehebandes und ein personenstandsrechtliches Verfahren homosexueller Partner anzusehen ist. Beides sollte bejaht werden;19 für die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes ist eine entsprechende Staatenpraxis durchaus zu erwarten, weniger aber wohl für Statusverfahren homosexueller Partner. Unklar ist weiter die genaue Reichweite der Ausnahme für allein auf die Staatsangehörigkeit einer der Parteien gestützten Zuständigkeit.20 Geht man davon aus, dass nach dem Übereinkommen die Staatsangehörigkeit irrelevant sein soll, so muss auch ausgeschlossen sein, dass sich die Zuständigkeit auf die Staatsangehörigkeit mehr als einer Partei stützt, wenn kein weiterer Zuständigkeitsgrund des Abs 1 erfüllt ist.21

17 18 19 20 21

996

Vgl Nimmerrichter Handbuch Rn 34; aA Fucik iFamZ 2008, 219, 225: 18 Jahre. Malatesta Riv dir int civ proc 2009, 829, 835 m Fn 16. Ebenso zur EG-UntVO zB Hau Europäisches Unterhaltsrecht (2010) 57, 63. Vgl zur EG-UntVO Hau Europäisches Unterhaltsrecht (2010) 57, 63 f. Long ICLQ 57 (2008) 984, 990; auch Levante FS Schwander (2011) 729, 739.

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Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 20 HUntVerfÜbk

2. Vorbehalte Abs 2 erlaubt Vorbehalte gegen die Zuständigkeit am gewöhnlichen Aufenthalt der berech- 15 tigten Person (Abs 1 lit c), gegen die Zuständigkeit aufgrund Zuständigkeitsvereinbarung (Abs 1 lit e) und gegen die Zuständigkeit aufgrund Personenstands oder elterlicher Sorge (Abs 1 lit f). Das „oder“ ist inklusiv zu verstehen, sodass auch ein Vorbehalt gegen zwei oder alle drei dieser Zuständigkeiten möglich ist. Die Möglichkeit eines Vorbehalts gegen lit c ist vor allem der Rücksichtnahme auf die USA geschuldet, die Klägergerichtsständen ablehnend gegenüberstehen und nicht zuletzt deshalb dem HUntAVÜbk 197322 nicht beitreten konnten (Einleitung Rn 16);23 die Vorbehaltsmöglichkeit gegen lit e erklärt sich aus der teilweise geäußerten generellen Kritik an einer Zulassung von Zuständigkeitsvereinbarungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflichten; gegen lit f schließlich wurde ein Vorbehalt zugelassen, da manche Staaten Angst vor aus ihrer Sicht exorbitanten Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Personenstands oder der elterlichen Verantwortung hatten und der Ausschluss der Staatsangehörigkeit nicht ausreichend erschien.24 Gem Art 62 Abs 4 bewirkt ein Vorbehalt keine Reziprozität. Bislang hat keiner der bisherigen Vertragsstaaten einen entsprechenden Vorbehalt ange- 16 bracht. 3. Anerkennung auch bei Vorbehalt nach Spiegelbildprinzip Ergibt sich die Zuständigkeit des Ursprungsstaats nach Abs 1 nur aus Zuständigkeitsgrün- 17 den, gegen die der Staat, in dem um Anerkennung und Vollstreckung nachgesucht wird, einen Vorbehalt nach Abs 2 angebracht hat, so ist nach Abs 3 eine Entscheidung ausnahmsweise trotzdem anzuerkennen und zu vollstrecken, wenn sich bei spiegelbildlicher Anwendung der in dem Anerkennungs- (vgl Art 26) und Vollstreckungsstaat geltenden Zuständigkeitsregeln eine internationale Zuständigkeit des Ursprungsstaats begründen ließe.25 Das Spiegelbildprinzip, das sonst den Kreis der anerkennungs- und vollstreckungsfähigen Entscheidungen auf Entscheidungen aus Staaten begrenzt, die sich im konkreten Fall keine Zuständigkeit angemaßt haben, die der Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat nicht auch selbst beanspruchen würde, wirkt hier erweiternd.26 Wenn sich der Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat seinerseits im spiegelbildlichen Fall für zuständig hielte, muss er auch Entscheidungen eines Staats anerkennen und vollstrecken, der zwar nicht nach den Regeln des Übereinkommens, wohl aber nach den Regeln des Anerkennungs- und Vollstreckungsstaats zuständig wäre. Abzustellen ist dabei auf das gesamte in dem Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat geltende Recht inklusive etwaiger völkerrechtlicher und supranationaler Regeln, nicht nur auf das autonome innerstaatliche Recht.27 Relevant wird diese Regelung 22 23

24 25 26 27

Siehe Art 4 Abs 1 Nr 1 iVm Art 7 Nr 1 HUntAVÜbk 1973. Siehe schon Borrás/Beilfuss REDI LV (2003) 582, 584; weiter Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 452; Carlson Fam LQ 43 (2009) 21, 28; Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 323 f; Hirsch Europäisches Unterhaltsrecht (2010) 18, 30; Malatesta Riv dir int civ proc 2009, 829, 835 f; Nimmerrichter Handbuch Rn 339; unscharf Eames IFL March 2009, 47, 50. Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1314 f; Borrás FS Siehr (2010) 173, 184 f. Fucik iFamZ 2008, 219, 224. Nimmerrichter Handbuch Rn 356. Grundlegend CA Kern ZZP 120 (2007) 31 ff.

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Art 20 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

vor allem im Falle eines Beitritts der USA, wenn die anzuerkennende Entscheidung auf den Klägergerichtsstand gestützt ist, die USA aber hiergegen einen Vorbehalt angebracht haben. Denn häufig werden jedenfalls in Kindesunterhaltssachen die nach US-amerikanischem Recht erforderlichen minimum contacts vorliegen, reicht doch dafür beispielsweise aus, dass der Antragsgegner das Kind dort gezeugt hat.28 4. Herbeiführung einer Entscheidung bei Nichtanerkennung a) Voraussetzungen einer Verpflichtung des Vorbehaltsstaats 18 Ein Staat, der eine Entscheidung aufgrund eines nach Abs 2 angebrachten Vorbehalts nicht

anerkennen und vollstrecken muss, kann die Sache damit nicht ohne Weiteres auf sich beruhen lassen. Hat die verpflichtete Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat, muss dieser Staat vielmehr nach Abs 4 S 1 alle angemessenen Maßnahmen treffen, damit eine Entscheidung zugunsten der berechtigten Person ergeht. Diese Regelung rechtfertigt sich damit, dass der Staat, in dem eine verpflichtete Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, auf die Person und typischerweise auch deren Vermögen am besten zugreifen kann und zudem eine neue Entscheidung aus diesem Staat in allen anderen Vertragsstaaten nach Abs 1 lit a anzuerkennen und zu vollstrecken wäre, ohne dass insoweit ein Vorbehalt greifen könnte. 19 Berechtigte Person ist die Person, der die nicht anerkannte oder vollstreckte Entscheidung

Unterhalt zuspricht. 20 Geschuldet sind alle Maßnahmen, die angemessen sind, damit eine der berechtigten Person

günstige Entscheidung ergeht. Der betreffende Staat darf also einseitig die berechtigte Person unterstützen; er muss allerdings die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit wahren und etwa der verpflichteten Person Gehör gewähren. Keine Verpflichtung besteht aber dahin, in jedem Fall eine Entscheidung zu treffen, hierauf müssen die Maßnahmen nur gerichtet sein. Erst recht verlangt Abs 4 S 1 nicht, eine Entscheidung exakt desselben Inhalts zu erlassen, käme dies doch der durch den Vorbehalt ausgeschlossenen Anerkennung gleich. b) Inhalt der Verpflichtung 21 Angemessene Maßnahmen sind Maßnahmen, die im konkreten Fall geeignet, erforderlich

und angemessen sind, um eine Entscheidung herbeizuführen; die in Deutschland entwickelte Verhältnismäßigkeitslehre ist zumindest in ihren Grundstrukturen inzwischen weltweit anerkannt und darf daher zur Auslegung des Übereinkommens herangezogen werden. In Betracht kommt vor allem die Unterstützung der berechtigten Person bei der Einleitung eines Verfahrens durch Beratung, die Vertretung der berechtigten Person oder die vollständige Durchführung eines Verfahrens durch einen Vertreter des Staates. c) Ausnahmen 22 Nach Abs 4 S 2 findet Abs 4 S 1 mit seiner durchaus weitgehenden Pflicht für den Staat, der

einen Vorbehalt erklärt hat, in zwei Fällen keine Anwendung. 23 Zum ersten gilt Abs 4 S 1 nicht, wenn die berechtigte Person den Antrag auf Anerkennung

und Vollstreckung unmittelbar (Art 19 Abs 5, 37) gestellt hat. Die Verpflichtung des Abs 4 28

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Vgl sec 201 Uniform Interstate Family Support Act; dazu Spector YB PIL 7 (2005) 63, 67.

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Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 20 HUntVerfÜbk

S 1 soll also nur greifen, wenn der Weg über die Zentralen Behörden gewählt wurde, dem eine gewisse Filterwirkung zugeschrieben werden kann. Zum zweiten sind von Abs 4 S 1 ausgenommen Anträge auf Anerkennung und Vollstre- 24 ckung von Urteilen über Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten und früheren Ehegatten, die im Zusammenhang mit einem Anspruch auf Kindesunterhalt gestellt werden (Art 2 Abs 1 lit b). Diese Ausnahme, die erst nach dem Entwurf vom Juni 2007 Eingang in den Text fand,29 soll dem Recht einiger Staaten Rechnung tragen;30 isolierten Entscheidungen über Ehegattenunterhalt (Art 2 Abs 1 lit c) kommt Abs 4 S 1 allerdings zugute. 5. Begrenzte Tatbestandswirkung einer Entscheidung über Kindesunterhalt Nach Abs 5 haben Entscheidungen, die einem unter 18-jährigen Kind Kindesunterhalt 25 zusprechen und allein wegen eines Vorbehalts nicht anerkannt werden, immerhin die Wirkung, dass der Vollstreckungsstaat von der „Unterhaltsberechtigung“ des Kindes auszugehen hat. Die Entscheidung wird also zwar nicht als solche und vollumfänglich anerkannt, der Vollstreckungsstaat muss aber davon ausgehen, dass das Kind „unterhaltsberechtigt“ ist. Ein diesbezüglich nachteiligeres Recht, das anderenfalls im Vollstreckungsstaat zur Anwendung käme, wird also ausgeschaltet.31 „Unterhaltsberechtigung“ kann nicht gleichbedeutend mit dem Bestehen eines Unterhalts- 26 anspruchs in der von der Entscheidung festgestellten Höhe sein, weil sonst der Vorbehalt hinsichtlich solcher Unterhaltspflichten entwertet wäre, müsste doch sonst in einem neuen Erkenntnisverfahren im Vollstreckungsstaat stets sofort diese Unterhaltspflicht zugesprochen werden. Der französische Text spricht von ‚„éligibilité“, der englische von „eligibility“. Dies spricht dafür, nur das Bestehen einer Unterhaltspflicht, nicht aber dessen Höhe, als feststehend anzusehen.32 6. Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat Nach Abs 6 setzt die Anerkennung einer Entscheidung deren Wirksamkeit im Ursprungs- 27 staat voraus. Wenn man davon ausgeht, dass es die Urteilswirkungen sind, die anerkannt werden, so versteht sich dieses Erfordernis von selbst. Allgemein üblich ist auch für die Vollstreckung das Erfordernis der Vollstreckbarkeit im 28 Ursprungsstaat, was sich mit der Lehre von der Wirkungserstreckung wiederum unschwer erklärt.33 Keine Aussage enthält das Übereinkommen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit. Man wird davon auszugehen haben, dass eine im Ursprungsstaat vorläufig vollstreckbare

29

30 31 32 33

Siehe noch Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 14. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 468. Nimmerrichter Handbuch Rn 360. AA Nimmerrichter Handbuch Rn 360; unentschieden Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 470. Fucik iFamZ 2008, 219, 224 mit dem Hinweis, österreichische erstinstanzliche Unterhaltsbeschlüsse, denen nicht nach § 44 Außerstreitgesetz (AußStrG) vorläufige Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit verliehen wurde, seien auch unter dem Übereinkommen noch nicht vollstreckbar.

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Art 21 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Entscheidung auch in anderen Vertragsstaaten vollstreckt werden kann34 und sich die Folgen einer vorläufigen Vollstreckung, der später die Grundlage entzogen wird, nach dem Recht des Ursprungsstaates richten. 7. Anmaßung einer anderen Zuständigkeit 29 Die Anmaßung einer von Art 20 nicht gedeckten Zuständigkeit führt dazu, dass andere

Vertragsstaaten die Entscheidung nicht anerkennen und vollstrecken müssen. Wie dies verfahrensmäßig zur Geltung kommt, hängt davon ab, ob sich die Verfahrensregeln nach Art 23 oder Art 24 richten. Gilt Art 23, so können Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung nach Art 23 Abs 7 lit b nur auf einen Rechtsbehelf hin versagt werden. Gilt hingegen Art 24, so findet vor Anerkennung und Vollstreckbarerklärung bzw Eintragung zum Zwecke der Vollstreckung ein kontradiktorisches Verfahren statt, in dem gem Art 24 Abs 4 S 2 eine Prüfung der Beachtung des Art 20 stattfindet, wenn der Antragsgegner einen Verstoß gegen Art 20 geltend macht oder ein nach Art 25 vorzulegendes Schriftstück Zweifel an der Einhaltung des Art 20 aufkommen lässt. IV. Vergleich mit der EG-UntVO 30 Die EG-UntVO vereinheitlicht schon die direkte Zuständigkeit. Eine Prüfung der indirekten

Zuständigkeit, also letztlich eine Nachprüfung, ob im Ursprungsstaat die EG-UntVO korrekt angewandt wurde, erlaubt sie nicht. Daher existiert zu Art 20 in der EG-UntVO keine Parallelnorm. Vertragsstaaten des HUntVerfÜbk 2007, die nicht zugleich von der EG-UntVO gebundene Mitgliedstaaten sind, können Entscheidungen, die auf die direkten Zuständigkeiten nach Art 6 (Auffangzuständigkeit) und 7 (Notzuständigkeit) EG-UntVO gestützt sind, die Anerkennung und Vollstreckung verweigern.35

Artikel 21: Teilbarkeit und teilweise Anerkennung oder Vollstreckung (1) Kann der Vollstreckungsstaat die Entscheidung nicht insgesamt anerkennen oder vollstrecken, so erkennt er jeden abtrennbaren Teil der Entscheidung, der anerkannt oder für vollstreckbar erklärt werden kann, an oder vollstreckt ihn. (2) Die teilweise Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung kann stets beantragt werden. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Einzelerläuterung 1. Vollständige Anerkennung und Vollstreckung unmöglich . . . . . . . . . . . . . . . . 3

I. II. III.

IV.

2. Nur teilweise Anerkennung und Vollstreckung beantragt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . . . 6

I. Normzweck 1 Im Interesse effektiver Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen muss das Gericht eine 34 35

Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 473. Hau Europäisches Unterhaltsrecht (2010) 57, 72.

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Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 21 HUntVerfÜbk

Entscheidung, die nur teilweise anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden kann, nach Abs 1 soweit wie möglich anerkennen und vollstrecken. Abs 2 stellt klar, dass auch die Parteien nur die teilweise Anerkennung oder Vollstreckung beantragen können. II. Entstehungsgeschichte Schon der Entwurf vom April 2004 enthielt in seinem Artikel 28 einen aus Art 10 HUntA- 2 VÜbk 1973 übernommenen Vorläufer des Abs 1, in seinem Art 33 einen aus Art 14 HUntAVÜbk 1973 übernommenen Vorläufer des Abs 2.1 Ab dem Entwurf vom Januar 2005 finden sich die beiden heutigen Absätze in einem Artikel vereint.2 III. Einzelerläuterung 1. Vollständige Anerkennung und Vollstreckung unmöglich Gem Art 19 Abs 2 gilt Kapitel V nur für Unterhaltspflichten. Auch dann kann aber die 3 Anerkennung oder Vollstreckung unter dem Übereinkommen unmöglich sein, etwa wenn es sich um eine Unterhaltspflicht handelt, die nicht unter Art 2 fällt. Sind mehrere Unterhaltspflichten, etwa gegenüber verschiedenen Personen, in ein und derselben Entscheidung enthalten und fallen nicht alle unter das Übereinkommen, so können die unter das Übereinkommen fallenden Unterhaltspflichten nach diesem anerkannt und vollstreckt werden, wenn nur die Entscheidung teilbar ist, also insbesondere die Pflichten gesondert ausweist.3 Teilbarkeit kann aber auch „innerhalb“ eines Unterhaltstitels bestehen, etwa wenn Unter- 4 halt in einer Höhe zugesprochen wird, die ein Staat für ordre public-widrig hält. Hier sollte eine Reduzierung auf das tragfähige Maß möglich sein. 2. Nur teilweise Anerkennung und Vollstreckung beantragt Nach Abs 2 ist es stets möglich, die Anerkennung und Vollstreckung nur eines Teils einer 5 Entscheidung zu beantragen. Die Anerkennung und Vollstreckung nur eines Teils kann also auch dann beantragt werden, wenn auch Anerkennung und Vollstreckung der ganzen Entscheidung möglich wären. Damit kann die antragstellende Partei etwa ihr Risiko für den Fall des Unterliegens begrenzen. Nach den meisten Rechten kann ohnehin stets die teilweise Anerkennung und Vollstreckung beantragt werden. IV. Vergleich mit der EG-UntVO Die EG-UntVO sieht automatische Anerkennung und unmittelbare Vollstreckbarkeit bei 6 Entscheidungen vor, die in einem durch das HUntStProt 2007 gebundenen Staat ergangen sind (Art 17 EG-UntVO); bei Feststellung eines teilweisen Verweigerungsgrunds ist aber die Vollstreckung teilweise zu verweigern (Art 21 Abs 2: „insgesamt oder teilweise“), die Mög1

2

3

Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 16 m Fn 101, S 18 m Fn 110. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 12. Vgl Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 475.

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Art 22 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

lichkeit eines beschränkten Vollstreckungsantrags wird sich regelmäßig aus nationalem Recht ergeben. Bei nicht durch das HUntStProt 2007 gebundenen Staaten erfolgt automatische Anerkennung, aber Vollstreckung nur nach Vollstreckbarerklärung (Art 26 EG-UntVO);4 insoweit regelt Art 37 EG-UntVO die Teilvollstreckbarkeit ähnlich wie Art 21. Allerdings scheint nach Art 37 Abs 1 EG-UntVO nur eine Differenzierung zwischen verschiedenen Ansprüchen möglich zu sein.

Artikel 22: Gründe für die Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung Die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung können verweigert werden, wenn a) die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Vollstreckungsstaats offensichtlich unvereinbar sind; b) die Entscheidung das Ergebnis betrügerischer Machenschaften im Verfahren ist; c) ein denselben Gegenstand betreffendes Verfahren zwischen denselben Parteien vor einer Behörde des Vollstreckungsstaats anhängig und als erstes eingeleitet worden ist; d) die Entscheidung unvereinbar ist mit einer Entscheidung, die zwischen denselben Parteien über denselben Gegenstand entweder im Vollstreckungsstaat oder in einem anderen Staat ergangen ist, sofern diese letztgenannte Entscheidung die Voraussetzungen für die Anerkennung und Vollstreckung im Vollstreckungsstaat erfüllt; e) in den Fällen, in denen der Antragsgegner im Verfahren im Ursprungsstaat weder erschienen noch vertreten worden ist, i) der Antragsgegner, sofern das Recht des Ursprungsstaats eine Benachrichtigung vom Verfahren vorsieht, nicht ordnungsgemäß vom Verfahren benachrichtigt worden ist und nicht Gelegenheit hatte, gehört zu werden, oder ii) der Antragsgegner, sofern das Recht des Ursprungsstaats keine Benachrichtigung vom Verfahren vorsieht, nicht ordnungsgemäß von der Entscheidung benachrichtigt worden ist und nicht die Möglichkeit hatte, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht diese anzufechten oder ein Rechtsmittel dagegen einzulegen; oder f) die Entscheidung unter Verletzung des Artikels 18 ergangen ist. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Einzelerläuterung 1. Verweigerungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 a) Ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 b) Betrügerische Machenschaften . . . . . . . . . . 4 c) Frühere anderweitige Anhängigkeit . . . . 5 d) Anderweitige Entscheidung . . . . . . . . . . . . 10

I. II. III.

IV.

e) Rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 f) Missachtung der Regelung über die Verfahrensbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2. Verweigerungsrecht, keine Verweigerungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 3. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . 20

I. Normzweck 1 Art 22 enthält eine abschließende Liste der Gründe, aus denen ein Vertragsstaat über das

Fehlen indirekter Zuständigkeit des Ursprungsstaats hinaus die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung1 verweigern kann. 4 1

Zu Hintergründen Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 516. Für Unterhaltsvereinbarungen enthält Art 30 Abs 4 eine eigene Regelung.

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Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 22 HUntVerfÜbk

II. Entstehungsgeschichte Die ersten vier Anerkennungs- und Vollstreckungsverweigerungsgründe sowie ein noch zu 2 formulierender Verweigerungsgrund bei Gehörsverletzung waren von Anfang an vorgesehen, zum letztgenannten Grund wies eine Fußnote auf in einigen Staaten bestehende Verfahren hin, in denen dem Antragsgegner Gehör nur in der Gestalt einer Anfechtungsmöglichkeit der ex parte ergangenen Entscheidung gewährt wird.2 Dementsprechend fand sich schon im Arbeitspapier vom Juni 2004 insoweit ein zweispuriger Verweigerungsgrund.3 Ab Oktober 2005 war dann auch eine Verletzung der Vorschrift über die Verfahrensbegrenzung als Verweigerungsgrund vorgesehen.4 III. Einzelerläuterung 1. Verweigerungsgründe a) Ordre public Lit a, wonach Anerkennung und Vollstreckung bei offensichtlicher ordre public-Widrigkeit 3 verweigert werden können, wählt eine in Regelwerken über Anerkennung und Vollstreckung verbreitete Formulierung.5 Neben dem materiellrechtlichen ordre public ist auch der verfahrensrechtliche erfasst.6 An die ordre public-Widrigkeit und deren Offensichtlichkeit sind strenge Anforderungen zu stellen.7 b) Betrügerische Machenschaften Nach lit b können Anerkennung und Vollstreckung auch verweigert werden, wenn die 4 Entscheidung „das Ergebnis betrügerischer Machenschaften im Verfahren ist“. Dieser Verweigerungsgrund findet sich auch in Art 5 Nr 2 HUntAVÜbk 1973 und ähnlich in Art 9 lit d HProrogÜbk 2005. „Betrügerische Machenschaften“ („fraud“/„fraude“) liegen vor, wenn die entscheidende Stelle von einem Beteiligten bewusst über Tatsachen getäuscht wird. Der Zusatz „im Verfahren“ schließt nur die Berufung auf außerhalb des Verfahrens liegendes Handeln aus, impliziert aber nicht, dass nur Täuschungen über verfahrensrechtliche Fragen relevant sind. Die Entscheidung ist „das Ergebnis“ derartiger Machenschaften, wenn sich infolge der Täuschung die entscheidende Stelle geirrt hat und dieser Irrtum im konkreten Fall einen Einfluss auf den Inhalt der Entscheidung hatte; ob die Entscheidung ohne Irrtum anders ausgefallen wäre, ist nicht relevant.

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Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 16 f m Fn 106. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Révision No 2, Doc trav No 34 F, S 9. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 12. Vgl Art 5 Nr 1 HUntAVÜbk 1973; Art 2 Nr 5 HUntAVÜbk 1958; Art 34 Nr 1 Brüssel I-VO; Art 34 Nr 1 LugÜbk 2007. Vgl Art 9 lit e HProrogÜbk 2005; Andrae Internationales Familienrecht § 8 Rn 320; dazu zB BGH JR 2010, 432 m Anm Rauscher sowie weitere Bspe bei Dose Europäisches Unterhaltsrecht (2010) 81, 92 ff. Andrae Internationales Familienrecht § 8 Rn 322; Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 479; Nimmerrichter Handbuch Rn 365.

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Art 22 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

c) Frühere anderweitige Anhängigkeit 5 Die Behandlung doppelter Rechtshängigkeit reicht schon in den nationalen Rechten von

einer strengen Rechtshängigkeitssperre, wie etwa in Deutschland nach § 261 Abs 3 Nr 1 ZPO, bis zu großer Toleranz, für die insbesondere die USA bekannt sind. Da das Übereinkommen die direkte Zuständigkeit nicht regelt, in deren Zusammenhang Koordinierungsregeln stehen könnten,8 und zudem die Feststellung doppelter Anhängigkeit bei der Einbeziehung behördlicher Verfahren, die teils sogar ex parte ablaufen können, schwierig ist, beschränkt sich das Übereinkommen nach dem Vorbild des Art 5 Nr 3 HUntAVÜbk 1973 in lit c darauf, die anderweitige innerstaatliche Anhängigkeit als Grund zur Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung zuzulassen. 6 Der Begriff der „Anhängigkeit“ nach dem Übereinkommen ist autonom auszulegen.9 An-

hängigkeit kann bei Gerichten sowie bei Verwaltungsbehörden bestehen, die für eine Unterhaltsentscheidung zuständig sind. Da das Übereinkommen auch solche Verfahren erfassen will, die ohne Beteiligung des Antragsgegners zu einer – dann aber anfechtbaren – Entscheidung führen, kann für die Anhängigkeit nicht die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an den Gegner verlangt werden.10 Fraglich kann dann nur noch sein, ob zur Einreichung bereits eine erste oder eine bestimmte verfahrensmäßige Handlung der Behörde oder des Gerichts hinzukommen muss. Die Verfahrenseinleitung, auf deren Zeitpunkt es nach lit c aE ankommen soll, spricht dafür, dass nur Handlungen der das Verfahren begehrenden Partei entscheiden sollen. Hierfür spricht auch die Unterschiedlichkeit der behördlichen und gerichtlichen Organisation, die ein Abstellen auf Verfahrensakte dieser Stellen überaus problematisch erscheinen ließe. Man wird also das bloße Einreichen bei einer Behörde oder einem Gericht genügen lassen müssen. Da aber ein früherer Zeitpunkt nicht vorstellbar erscheint und ein Staat, der auf einen späteren Zeitpunkt abstellt, auch so verstanden werden kann, als verzichte er insoweit auf eine Verweigerung der Anerkennung, würde auch eine Auslegung nach dem Recht des Vollstreckungsstaat keine praktischen Schwierigkeiten machen. 7 Die Verfahren müssen zwischen denselben Parteien anhängig sein, also den Parteien der in

konkret in Rede stehenden Unterhaltspflicht. 8 Weiter müssen die Verfahren denselben Gegenstand betreffen. Derselbe Gegenstand liegt

vor, wenn die Entscheidung Bestehen und Höhe einer Unterhaltspflicht zwischen denselben Beteiligten für denselben Zeitraum betrifft. Auch Verfahren, die auf das kontradiktorische Gegenteil oder eine andere Unterhaltshöhe gerichtet sind, betreffen denselben Gegenstand.11 9 Das andere Verfahren muss im Vollstreckungsstaat, also vor einem Gericht oder einer

Behörde dieses Staates, anhängig sein. Eine anderweitige ausländische Anhängigkeit ist unbeachtlich; insoweit kann nur nach Abschluss des ausländischen Verfahrens lit d greifen.

8 9 10

11

Vgl Art 27 Brüssel I-VO, Art 27 LugÜbk 2007. AA Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 484: nach dem innerstaatlichen Recht des ersuchten Staates. Vgl für Deutschland § 255 Abs 3 FamFG bzw § 133 Abs 1 ZPO iVm §§ 261 Abs 1, 253 Abs 1 ZPO; für Österreich § 232 Abs 1 ZPO; anders für die Schweiz Art 62 Abs 1 ZPO: „Einreichung“. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 483; Nimmerrichter Handbuch Rn 368.

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Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 22 HUntVerfÜbk

Das andere Verfahren muss zudem früher als das Verfahren eingeleitet worden sein, aus dem die anzuerkennende oder zu vollstreckende Entscheidung hervorgegangen ist. d) Anderweitige Entscheidung Ein klassischer Grund für die Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung einer 10 ausländischen Entscheidung ist das Vorliegen einer widersprechenden Entscheidung in gleicher Sache, die im Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat selbst ergangen ist oder aus einem Drittstaat stammt und anerkennungs- und vollstreckungsfähig ist.12 Dieser Verweigerungsgrund findet sich in lit d. Widersprechende Entscheidungen aus demselben Staat sind angesichts des Wortlauts von lit d nicht erfasst.13 Eine Besonderheit besteht insoweit, als gem lit d nicht nur eine frühere, sondern auch eine spätere in- oder ausländische Entscheidung einen Grund für die Verweigerung von Anerkennung und Vollstreckung darstellt. Die Entscheidungen, die zwischen denselben Parteien ergangen sein und denselben Gegenstand betreffen müssen (Rn 7 f), sind unvereinbar, wenn sie sich in Bestand und Höhe der Unterhaltspflicht unterscheiden.14 e) Rechtliches Gehör Ebenfalls üblich ist eine Regelung, wonach Anerkennung und Vollstreckung einer auslän- 11 dischen Entscheidung bei Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör der anderen Partei verweigert werden können. In der genauen Formulierung dieses Verweigerungsgrunds unterscheiden sich die verschiedenen Regelwerke zwar nicht unerheblich;15 die Auswirkungen der Unterschiede in den Formulierungen halten sich allerdings in Grenzen. Art 22 lit e differenziert zwischen zwei Fällen. Nr i behandelt den Fall, dass der Antragsgegner nach dem anwendbaren Verfahrensrecht 12 (vgl Art 10 Abs 3) von dem Verfahren eigentlich zu benachrichtigen war – der Normalfall des zweiseitigen Verfahrens vor Gericht, in dem der Grundsatz audiatur et altera pars von Anfang an gilt –, diese Benachrichtigung aber nicht ordnungsgemäß erfolgte und dem Antragsgegner daher kein Gehör gewährt wurde. Das Unterlassen einer Benachrichtigung ist nur dann erheblich, wenn der Antragsgegner infolgedessen keine Gelegenheit hatte, gehört zu werden; erfährt er in anderer Weise als durch die vorgesehene Benachrichtigung von dem Verfahren und nimmt er an einem etwaigen Termin teil oder äußert er sich schriftlich, so scheidet eine Verweigerung von Anerkennung und Vollstreckung aus, sofern die Behörde oder das Gericht die Äußerung berücksichtigt hat.16 Nr ii regelt den Fall, dass eine Benachrichtigung des Antragsgegners über das Verfahren vom 13 anwendbaren Verfahrensrecht nicht vorgesehen ist, der Antragsgegner aber eigentlich die Entscheidung angreifen könnte – der bei behördlicher Behandlung häufige Fall eines einseitigen (ex parte) Verfahrens mit nachträglicher Gehörswahrung – und ihm die Möglich12

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16

Vgl Art 34 Nr 4 Brüssel I-VO; Art 34 Nr 4 LugÜbk 2007; Art 2 Nr 4 HUntAVÜbk 1958; Art 5 Nr 4 HUntAVÜbk 1973; siehe auch Art 9 lit f und g HProrogÜbk 2005. Vgl EuGH v 26.9.2013 – C-157/12, NJW 2014, 203, 204 Salzgitter Mannesmann Handel GmbH/SC Laminorul SA. Anders Nimmerrichter Handbuch Rn 369. Vgl Art 34 Nr 2 Brüssel I-VO; Art 34 Nr 2 LugÜbk 2007; Art 9 lit c HProrogÜbk 2005; Art 2 Nr 2 HUntAVÜbk 1958; Art 6 HUntAVÜbk 1973. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 487.

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keit eines Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung dadurch genommen wurde, dass er von der Entscheidung nicht benachrichtigt wurde (lit e Nr ii). Auch hier ist entscheidend, dass der Antragsgegner infolge der fehlenden Benachrichtigung nicht in der Lage war, sich fristgerecht gegen die Entscheidung zu wehren. Dabei betont Nr ii, dass hierfür sowohl tatsächliches als auch rechtliches Unvermögen ausreicht. f) Missachtung der Regelung über die Verfahrensbegrenzung 14 Leitet die verpflichtete Person in einem anderen Staat ein Verfahren zur Abänderung einer

Entscheidung des Staates ein, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte und noch hat, so muss diese unter Verstoß gegen Art 18 Abs 1 ergangene Entscheidung gem lit f in den anderen Vertragsstaaten nicht anerkannt und vollstreckt werden. 2. Verweigerungsrecht, keine Verweigerungspflicht 15 In den in lit a-f genannten Fällen kann die Anerkennung und Vollstreckung ohne Verstoß

gegen das Übereinkommen verweigert werden, sie muss dies aber auf der Grundlage des Übereinkommens nicht. Das Übereinkommen räumt den Vertragsstaaten insoweit ein Ermessen ein.17 16 Nach nationalem Recht kann allerdings eine Verweigerung der Anerkennung und Vollstre-

ckung geboten sein. Dies kann insbesondere in den Fällen des Verstoßes gegen den ordre public und der Gehörsverletzung18 der Fall sein. 3. Verfahren 17 Ob und ggf wann eine Entscheidung auf das Vorliegen von Anerkennungs- und Vollstre-

ckungsverweigerungsgründen hin überprüft wird, hängt davon ab, ob sich das Verfahren in dem in Rede stehenden Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat nach Art 23 oder nach Art 24 richtet. 18 Unter Art 23 findet vor der Vollstreckbarerklärung oder der die Vollstreckbarkeit bewir-

kenden Eintragung lediglich eine Kontrolle auf ordre public-Widrigkeit (lit a) statt (Art 23 Abs 4). Hält die für die Vollstreckbarerklärung oder Eintragung zuständige Stelle die Entscheidung für ordre public-konform und erklärt sie für vollstreckbar bzw trägt sie ein, so kann die ordre public-Widrigkeit nur im Wege der Anfechtung oder eines Rechtsmittels geltend gemacht werden; die übrigen Verweigerungsgründe finden überhaupt nur bei Anfechtung der Vollstreckbarerklärung bzw Eintragung oder bei einem Rechtsmittel gegen diese Berücksichtigung (Art 23 Abs 7 lit a). 19 Kommt Art 24 zur Anwendung, so findet nach Art 24 Abs 3 vor Anerkennung und Voll-

streckbarerklärung bzw Eintragung zum Zwecke der Vollstreckung ein kontradiktorisches Verfahren statt, in dem die zuständige Behörde nach Art 24 Abs 4 S 1 eine Überprüfung auf die Anerkennungs- und Vollstreckungsverweigerungsgründe der lit a, c und d hin von Amts wegen vornehmen kann; eine Prüfung auf alle in Art 22 genannten Gründe hin kann nach 17 18

Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 477; Nimmerrichter Handbuch Rn 363. Art 47 Abs 1 EU-Grundrechtecharta; Art 6 Abs 1 EMRK; Deutschland: Art 103 Abs 1 GG (dazu BGH JR 2010, 432 m Anm Rauscher); Schweiz: Art 29 Abs 2 BV.

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Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 23 HUntVerfÜbk

Art 24 Abs 4 S 2 bei Geltendmachung durch den Antragsgegner oder bei Zweifeln, die sich auf das äußere Erscheinungsbild von Schriftstücken stützen, erfolgen. IV. Vergleich mit der EG-UntVO Die EG-UntVO sieht eine dem Art 22 ähnliche Liste von Gründen, aus denen die Anerken- 20 nung und Vollstreckung verweigert werden können, nur dann vor, wenn der Ursprungsmitgliedstaat nicht durch das HUntStProt 2007 gebunden ist. Für diesen Fall verbietet Art 24 EG-UntVO die Anerkennung bei offensichtlichem ordre public-Verstoß, Gehörsverletzung und Unvereinbarkeit mit einer anderen Entscheidung. Ist der Ursprungsmitgliedstaat durch das HUntStProt 2007 gebunden, so gelten gem Art 21 Abs 1 EG-UntVO grundsätzlich die Verweigerungsgründe des nationalen Rechts; für die auch im Haag viel diskutierte Verjährungsfrage enthält Art 21 Abs 2 UAbs 1 EG-UntVO, für die Unvereinbarkeit mit einer anderweitigen Entscheidung Art 21 Abs 2 UAbs 2 und 3 EG-UntVO eine eigene Regelung. Im Übrigen sieht Art 19 EG-UntVO ein besonderes Verfahren vor, das die Beseitigung einer Gehörsverletzung im Ursprungsmitgliedstaat selbst erlaubt.

Artikel 23: Verfahren für Anträge auf Anerkennung und Vollstreckung (1) Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Übereinkommens richten sich die Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren nach dem Recht des Vollstreckungsstaats. (2) Ist ein Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung nach Kapitel III über die Zentralen Behörden gestellt worden, so muss die ersuchte Zentrale Behörde umgehend a) die Entscheidung an die zuständige Behörde weiterleiten, die unverzüglich die Entscheidung für vollstreckbar erklärt oder ihre Eintragung zwecks Vollstreckung bewirkt, oder b) diese Maßnahmen selbst treffen, wenn sie dafür zuständig ist. (3) Wird der Antrag nach Artikel 19 Absatz 5 unmittelbar bei der zuständigen Behörde im Vollstreckungsstaat gestellt, so erklärt diese unverzüglich die Entscheidung für vollstreckbar oder bewirkt ihre Eintragung zwecks Vollstreckung. (4) Eine Erklärung oder Eintragung kann nur aus dem in Artikel 22 Buchstabe a genannten Grund verweigert werden. In diesem Stadium können weder der Antragsteller noch der Antragsgegner Einwendungen vorbringen. (5) Die Erklärung oder Eintragung nach den Absätzen 2 und 3 oder ihre Verweigerung nach Absatz 4 wird dem Antragsteller und dem Antragsgegner umgehend bekanntgegeben; sie können in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht diese anfechten oder ein Rechtsmittel dagegen einlegen. (6) Die Anfechtung oder das Rechtsmittel ist innerhalb von 30 Tagen nach der Bekanntgabe gemäß Absatz 5 einzulegen. Hat die anfechtende oder das Rechtsmittel einlegende Partei ihren Aufenthalt nicht in dem Vertragsstaat, in dem die Erklärung oder Eintragung erfolgt ist oder verweigert wurde, so ist die Anfechtung oder das Rechtsmittel innerhalb von 60 Tagen nach der Bekanntgabe einzulegen. (7) Die Anfechtung oder das Rechtsmittel kann nur gestützt werden auf a) die Gründe für die Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung nach Artikel 22; b) die Grundlagen für die Anerkennung und Vollstreckung nach Artikel 20; c) die Echtheit oder Unversehrtheit eines nach Artikel 25 Absatz 1 Buchstabe a, b oder d oder Artikel 25 Absatz 3 Buchstabe b übermittelten Schriftstücks. (8) Die Anfechtung oder das Rechtsmittel des Antragsgegners kann auch auf die Erfüllung der

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Schuld gestützt werden, soweit sich die Anerkennung und Vollstreckung auf bereits fällige Zahlungen beziehen. (9) Die Entscheidung über die Anfechtung oder das Rechtsmittel wird dem Antragsteller und dem Antragsgegner unverzüglich bekanntgegeben. (10) Ein weiteres Rechtsmittel darf, wenn es nach dem Recht des Vollstreckungsstaats zulässig ist, nicht dazu führen, dass die Vollstreckung der Entscheidung ausgesetzt wird, es sei denn, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen. (11) Die zuständige Behörde hat über die Anerkennung und Vollstreckung, einschließlich eines etwaigen Rechtsmittels, zügig zu entscheiden. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelerläuterung 1. Geltung der lex fori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsatz sofortiger Anerkennung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ordre public-Kontrolle als Ausnahme . . 4. Bekanntgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Erster Rechtsbehelf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I. II. III.

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IV.

a) Garantie einer effektiven Angriffsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 b) Rechtsbehelfsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 c) Rechtsbehelfsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 d) Bekanntgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 e) Vorläufige Vollstreckbarkeit . . . . . . . . . . . . 16 6. Weiteres Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 7. Zügige Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . 19

I. Normzweck 1 Art 23 trifft einige grundlegende Regelungen für das Verfahren der Anerkennung und Voll-

streckung, die – vor allem durch die starke Beschränkung der amtswegigen Überprüfung und die Verschiebung von Einwendungen in das Rechtsbehelfsverfahren – ein einfaches und schnelles Verfahren garantieren wollen;1 lediglich im Übrigen überlässt Abs 1 die Ausgestaltung den Vertragsstaaten. Die Abs 2-11 können allerdings durch Art 24 ersetzt sein, wenn der Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat eine dahingehende Erklärung abgegeben hat. Für Unterhaltsvereinbarungen sehen Art 30 Abs 5 lit a und b verschiedene Abweichungen vor. II. Entstehungsgeschichte 2 Lediglich einen Platzhalter für einen Artikel über das Verfahren enthielt noch der Entwurf

vom April 2004, allerdings schon begleitet von einer Fußnote, die die amtswegige Prüfung der Anerkennungs- und Vollstreckungsvoraussetzungen einer Prüfung nur im Rahmen eines Rechtsbehelfs des Antragsgegners gegenüberstellte.2 Nach einem Bericht, der die bestehenden Regelungen sammelte und einen Vorschlag enthielt,3 machte das Arbeitspapier vom Juni 2004 einen ersten Vorschlag,4 der auch die heute in Art 25 ausgelagerten Regeln über die erforderlichen Schriftstücke enthielt und von einem Artikel gefolgt war, nach dem 1 2

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4

Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 324. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 17 m Fn 107. Duncan, Procédures de reconnaissance et d’exécution à l’étranger des décisions concernant les aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 8, mai 2004. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers

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Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 23 HUntVerfÜbk

Vertragsstaaten untereinander ein System zur schnelleren Anerkennung und Vollstreckung sollten vereinbaren können.5 Der Entwurf vom Januar 2005 lag noch ganz auf dieser Linie.6 Im Oktober 2005 findet sich dann die Ausgliederung der Regeln über die vorzulegenden Dokumente in einen eigenen Artikel und eine starke Annäherung an die heutige Fassung des Art 23.7 Die Entwürfe vom Januar und Juni 2007 entsprachen weitgehend der heutigen Fassung, waren jedoch noch unentschieden zum Umfang einer Prüfung vor Anerkennung und Vollstreckbarerklärung bzw Eintragung zum Zwecke der Vollstreckung, behandelten den Einsatz schnellerer und effizienterer Verfahren und regelten noch nicht die Vollstreckbarkeit trotz weiteren Rechtsmittels.8 Die Alternativregelung des heutigen Art 24, die ein kontradiktorisches Verfahren vor Anerkennung und Vollstreckbarerklärung bzw Eintragung vorsieht, fand erst spät Eingang in den Text des Übereinkommens und zeigt die Problematik der Verhandlungen.9 III. Einzelerläuterung 1. Geltung der lex fori Abs 1 verwirklicht auch für das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren unter dem 3 Übereinkommen die Grundregel des internationalen Zivilverfahrensrechts, nach der für das Verfahrensrecht die lex fori gilt. Allerdings gilt dies nur „[v]orbehaltlich der Bestimmungen dieses Übereinkommens“, die durchaus gewichtige Vorgaben machen. 2. Grundsatz sofortiger Anerkennung und Vollstreckung Im Verfahren des Art 23, das sich an die Brüssel-Verordnungen, den Uniform Interstate 4 Family Support Act der USA von 1996 und den Interjurisdictional Support Orders Act Kanadas von 2003 anlehnt,10 wird eine Entscheidung auf Antrag sofort („automatisch“11) anerkannt (Art 26) und für vollstreckbar erklärt bzw, wenn das innerstaatliche Recht statt der Vollstreckbarerklärung die Eintragung voraussetzt, sofort eingetragen. Dies geschieht bei einem Antrag, der über eine Zentrale Behörde gestellt wurde, entweder unverzüglich durch die innerstaatlich zuständige Behörde, an die die ersuchte Zentrale Behörde den Antrag umgehend weiterleitet (Abs 2 lit a), oder umgehend durch die ersuchte Zentrale

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9 10

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les enfants et d’autres membres de la famille, Proposition du Comité de rédaction, Doc trav No 34 F, 17 juin 2004, S 9 f. Vgl heute Art 52. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 12 f. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 12 f. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 14 f; Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 14 f. Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 536 f; Long ICLQ 57 (2008) 984, 990. Beaumont La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09) 41; Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 324; Duncan Fam LQ 43 (2009) 1, 12; dazu schon Duncan Fam LQ 38 (2004) 663, 677-680. Malatesta Riv dir int civ proc 2009, 829, 837.

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Art 23 HUntVerfÜbk

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Behörde selbst, sofern diese nach dem innerstaatlichen Recht hierfür zuständig ist (Abs 2 lit b); bei einem Antrag, der gem Art 19 Abs 5 unmittelbar bei der zuständigen Behörde im Anerkennungs- oder Vollstreckungsstaat gestellt wurde, muss diese unverzüglich die Entscheidung anerkennen, für vollstreckbar erklären oder eintragen (Abs 3). Eine Beteiligung von Antragsteller und insbes Antragsgegner dergestalt, dass diese Einwendungen vorbringen könnten, findet in diesem Stadium nicht statt (Abs 4 S 2), es handelt sich also um ein ex parte-Verfahren.12 Angesichts des Ziels größtmöglicher Beschleunigung sind selbst Anträge auf Beseitigung formaler Fehler allenfalls dann zu berücksichtigen, wenn sie zu keinerlei Verzögerung führen.13 3. Ordre public-Kontrolle als Ausnahme 5 Vor Anerkennung (Art 26) und Vollstreckbarerklärung bzw Eintragung darf lediglich eine

ordre public-Kontrolle stattfinden, die gem Abs 4 bei Feststellung offensichtlicher Unvereinbarkeit mit dem ordre public iSd Art 22 lit a zur Verweigerung der Anerkennung, Vollstreckbarerklärung bzw Eintragung berechtigt. 4. Bekanntgabe 6 Abs 5 HS 1 verlangt, dass die zuständige Behörde umgehend Antragsteller und Antrags-

gegner bekanntgibt, ob die Entscheidung anerkannt (Art 26), für vollstreckbar erklärt bzw eingetragen oder ihre Anerkennung, Vollstreckbarerklärung oder Eintragung verweigert wird. Eine Bekanntgabe besteht darin, dass der Partei von der Behörde selbst sichere Kenntnis über die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung oder Eintragung verschafft wird. Abzustellen ist nicht auf den Zeitpunkt des Handelns der Behörde, sondern den Zeitpunkt der Kenntnisnahmemöglichkeit, also des Zugangs. Umgehend meint sogleich nach Prüfung und Entscheidung eines entsprechenden Antrags. 5. Erster Rechtsbehelf a) Garantie einer effektiven Angriffsmöglichkeit 7 Nach Abs 5 HS 2 kann die Entscheidung über die Anerkennung (Art 26), Vollstreckbar-

erklärung oder Eintragung angefochten bzw ein Rechtsmittel gegen sie eingelegt werden, das sich auf tatsächliche wie rechtliche Gründe stützen kann. Das Nebeneinander von Anfechtung und Rechtsmittel soll alle Formen von Rechtsbehelfen erfassen, unabhängig davon, ob die hierüber entscheidende Stelle eine Behörde oder ein Gericht ist.14 8 Den Rechtsbehelf muss die belastete Partei einlegen und die Gründe darlegen und beweisen,

die eine andere Entscheidung gebieten. Sie trägt also zunächst die Aktionslast15 sowie dann nach den allgemeinen Regeln die Darlegungs- und Beweislast. Das Verfahren ist sodann kontradiktorisch. 12 13

14 15

Levante FS Schwander (2011) 729, 740. Weiter Fucik iFamZ 2008, 219, 224, nach dem die Vorschrift nur das amtswegige Aufgreifen anderer Verweigerungsgründe ausschließen, aber gewiss kein Verbesserungsverfahren (§§ 84, 85 ZPO Österreich) ausschließen wolle; ihm folgend Nimmerrichter Handbuch Rn 380. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 504. Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 324; Malatesta Riv dir int civ proc 2009, 829, 837.

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Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 23 HUntVerfÜbk

Gestützt werden kann der Rechtsbehelf auf tatsächliches und rechtliches Vorbringen, das 9 die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung oder Eintragung oder ihre Verweigerung aus einem der nach Abs 7 und für den Antragsgegner auch Abs 8 zulässigen Gründe als falsch erscheinen lässt. In tatsächlicher Hinsicht kann beispielsweise vorgetragen werden, dass der Antragsteller das Gericht des Ursprungsstaats durch gefälschte Urkunden getäuscht hat, sodass die Entscheidung iSd Art 22 lit b auf Prozessbetrug beruht; in rechtlicher Hinsicht kann über die Bewertung eines täuschenden Verhaltens als Prozessbetrug gestritten werden. b) Rechtsbehelfsfrist Abs 6 bestimmt, dass die Anfechtung oder das Rechtsmittel binnen einer bestimmten Frist 10 anzubringen sind. Die Frist beginnt mit der Bekanntgabe iSd Abs 5 HS 1, also mit Zugang einer entsprechenden Mitteilung (Rn 6). Sie ist, da der Bekanntgabezeitpunkt differieren kann, für jeden Teil gesondert zu bestimmen. Die Frist beträgt für eine Partei, die ihren Aufenthalt im Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat hat, 30 Tage (Abs 6 S 1), für eine Partei, die ihren Aufenthalt nicht im Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat hat, 60 Tage (Abs 6 S 2). Da das Übereinkommen für die Fristberechnung keine Regeln enthält, gilt insoweit gem Abs 1 die lex fori. c) Rechtsbehelfsgründe Die Gründe, auf die ein Rechtsbehelf gestützt werden kann, zählen Abs 7 und 8 ab- 11 schließend auf. Abs 7 versammelt Gründe, die sich in formeller (Nachweise, lit c) und materieller Hinsicht (Grundlagen, lit a; Verweigerungsgründe, lit b) gegen die Entscheidung selbst richten, Abs 8 erfasst mit der Erfüllung einen Fall nachträglicher Änderung der Sachlage. Die Entscheidung selbst betreffende Gründe sind gem Abs 7 lit a sämtliche der in Art 22 12 genannten Gründe, die zur Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung berechtigen, gem Abs 7 lit b die in Art 20 aufgeführten Grundlagen für Anerkennung und Vollstreckung sowie gem lit c (Angriffe gegen) die Echtheit und Unversehrtheit iSv Unverfälschtheit der Urkunde, die die Entscheidung selbst beinhaltet (Art 25 Abs 1 lit a), der Urkunde, die ihre Wirksamkeit (Art 26) bzw Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat bezeugt (Art 25 Abs 1 lit b) sowie einer Urkunde, aus der die Höhe von Rückständen und das Datum ihrer Berechnung hervorgeht (Art 25 Abs 2 lit d); lässt der Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat eine Zusammenfassung oder einen Auszug der Entscheidung genügen, kommt es auf diese Urkunde an (Art 25 Abs 3 lit b). Die Erfüllung der Unterhaltsschuld als nachträgliche Änderung der Sachlage berechtigt 13 gem Abs 8 insoweit zu einem Rechtsbehelf gegen Anerkennung und Vollstreckbarerklärung bzw Eintragung, als bereits fällige Zahlungen anerkannt und vollstreckt werden sollen. Unter Erfüllung iSd Abs 8 sind nach Sinn und Zweck auch Erfüllungssurrogate zu verstehen, wobei allerdings eine Aufrechnung gegen Unterhaltsansprüche idR zumindest teilweise ausscheidet.16 Abs 8 kommt dem Unterhaltsschuldner entgegen, müsste dieser doch anderenfalls stets im 14 Ursprungsstaat die Vollstreckbarkeit beseitigen. Ausgeschlossen wird ein dahingehendes 16

Siehe etwa für Deutschland § 394 S 1 BGB iVm § 850d Abs 1 ZPO; für Österreich § 293 Abs 3 iVm §§ 290a Abs 1 Nr 10, 291a Exekutionsordnung (EO); für die Schweiz Art 125 Nr 2 Obligationenrecht (OR).

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Art 23 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Verfahren im Ursprungsstaat durch Abs 8 aber nicht, der Schuldner hat nach Erfüllung fälliger Unterhaltsansprüche also die Wahl. Auf den Ursprungsstaat verwiesen ist der Schuldner jedoch dann, wenn er Erfüllung erst künftig fälliger Unterhaltsansprüche vortragen will, da nach Abs 8 nur die Erfüllung fälliger Unterhaltsansprüche zu einem Rechtsbehelf berechtigt. Die Erfüllung künftiger Unterhaltsansprüche ist oft nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich.17 Zudem ist bei einer Kapitalabfindung deren Berechnung zu prüfen; bei einer Überzahlung ist schon ein Rückforderungsanspruch, mit dem – soweit zulässig – aufgerechnet werden könnte, zweifelhaft.18 Dass insoweit ein Rechtsbehelf im Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat ausscheidet und der Schuldner auf den Ursprungsstaat verwiesen ist, erscheint sinnvoll. Denn ob überhaupt und ggf unter welchen Voraussetzungen erst künftig fällige Unterhaltsansprüche erfüllt werden können, sollte in einem vollwertigen Erkenntnisverfahren durch das Prozessgericht oder die entscheidende Behörde unter dem nach deren IPR anzuwendenden Sachrecht und nicht in einem Rechtsbehelfsverfahren geprüft werden. d) Bekanntgabe 15 Eine im Rechtsbehelfsverfahren ergangene Entscheidung ist gem Abs 9 Antragsteller und

Antragsgegner unverzüglich bekanntzugeben. Dies sollte eine Selbstverständlichkeit sein; wohl nicht ohne Grund hielten die Mitgliedstaaten der Haager Konferenz die Regelung aber für notwendig. e) Vorläufige Vollstreckbarkeit 16 Während Art 47 Abs 3 Brüssel I-VO/LugÜbk 2007 vor Ablauf der Rechtsbehelfsfrist nur

Sicherungsmaßnahmen erlaubt, äußert sich das Übereinkommen nicht zur vorläufigen Vollstreckbarkeit. Den Vertragsstaaten steht es daher frei (Abs 1), die Zwangsvollstreckung stets oder unter bestimmten Voraussetzungen über Sicherungsmaßnahmen hinaus zuzulassen, was gerade bei Unterhaltsansprüchen wichtig sein kann und daher als Fortschritt gegenüber dem Brüsseler und Luganer System angesehen wird.19 In Deutschland finden die §§ 49 ff AUG Anwendung. 6. Weiteres Rechtsmittel 17 Die Existenz eines „weiteren Rechtsmittels“ gibt das Übereinkommen nicht vor, sondern

stellt seine Verfügbarkeit ins Belieben der Vertragsstaaten (Abs 1).20 Wo es aber ein solches weiteres Rechtsmittel gibt, darf es nach Abs 10 nicht „zur Aussetzung der Vollstreckung führen“; also nicht automatisch Suspensiveffekt haben. Die auf den ersten Rechtsbehelf ergangene Entscheidung muss also vorläufig vollstreckbar sein. Eine Ausnahme hiervon soll für „außergewöhnliche Umstände“ gelten, die dann positiv festgestellt werden müssen, bevor die Vollstreckung ausgesetzt oder sonst einstweilen eingestellt oder untersagt wird. Die Ausnahmeregelung ist eng auszulegen.21 Gegenüber dem Schweigen der Brüssel I-VO und des LugÜbk 2007 wird auch hierin ein Fortschritt gesehen.22 17 18 19 20 21 22

Vgl etwa für Deutschland § 1585 Abs 2 BGB; für die Schweiz Art 288 Zivilgesetzbuch (ZGB). Vgl etwa für Deutschland § 1360b BGB; anders für die Schweiz Art 165 Abs 2 Zivilgesetzbuch (ZGB). Beaumont La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09) 41, 42; ders RabelsZ 73 (2009) 509, 537. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 514; Nimmerrichter Handbuch Rn 386. Nimmerrichter Handbuch Rn 387. Beaumont La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09) 41, 42.

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7. Zügige Entscheidung Abs 11 fordert insgesamt zu einer zügigen Entscheidung in allen Instanzen auf. Er ergänzt 18 damit die schon in den anderen Absätzen enthaltenen Aufforderungen zu unverzüglichem oder umgehendem Handeln. Dass sich Gerichte und Behörden von diesem Programmsatz beeindrucken lassen, ist bei realistischer Betrachtung zweifelhaft.23 Immerhin aber kann man daran denken, aufgrund der in Abs 11 ausdrücklich vorgesehenen Pflicht zu zügiger Entscheidung einer ungebührlich verzögerten Behandlung im Rahmen einer anderweitig vorgesehenen Sanktionsmöglichkeit – etwa wegen überlanger Verfahrensdauer unter der EMRK – besonderes Gewicht zukommen zu lassen. IV. Vergleich mit der EG-UntVO Art 41 Abs 1 S 1 EG-UntVO entspricht Abs 1. Im Übrigen unterscheidet die EG-UntVO 19 danach, ob der Ursprungsmitgliedstaat durch das HUntStProt 2007 gebunden ist. Ist dies der Fall, werden Entscheidungen ohne Zwischenschaltung eines Verfahrens anerkannt und vollstreckt (Art 17 EG-UntVO), es existiert nur in sehr geringem Umfang ein Recht auf Nachprüfung (Art 19 EG-UntVO).24 Ist der Ursprungsmitgliedstaat nicht durch das HUntStProt 2007 gebunden, gelten die Art 28 ff EG-UntVO, die ebenfalls eine sofortige Vollstreckbarerklärung ohne vorherige Prüfung von Verweigerungsgründen (Art 30 EGUntVO), eine Mitteilung (Art 31 EG-UntVO) sowie ein Rechtsbehelfsverfahren vorsehen (Art 32 ff EG-UntVO). Während der erste Fall deutlich über Art 23 hinausgeht, dürften sich im zweiten Fall die Unterschiede zu Art 23 in Grenzen halten.

Artikel 24: Alternatives Verfahren für Anträge auf Anerkennung und Vollstreckung (1) Ungeachtet des Artikels 23 Absätze 2 bis 11 kann ein Staat nach Artikel 63 erklären, dass er das in diesem Artikel vorgesehene Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren anwenden wird. (2) Ist ein Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung nach Kapitel III über eine Zentrale Behörde gestellt worden, so muss die ersuchte Zentrale Behörde umgehend a) den Antrag an die zuständige Behörde weiterleiten, die über den Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung entscheidet, oder b) eine solche Entscheidung selbst treffen, wenn sie dafür zuständig ist. (3) Eine Entscheidung über die Anerkennung und Vollstreckung ergeht durch die zuständige Behörde, nachdem der Antragsgegner umgehend ordnungsgemäß vom Verfahren benachrichtigt und beiden Parteien angemessen Gelegenheit gegeben worden ist, gehört zu werden. (4) Die zuständige Behörde kann die in Artikel 22 Buchstaben a, c und d genannten Gründe für die Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung von Amts wegen prüfen. Sie kann alle in den Artikeln 20, 22 und 23 Absatz 7 Buchstabe c genannten Gründe prüfen, wenn sie vom Antragsgegner geltend gemacht werden oder wenn sich aufgrund der äußeren Erscheinung der nach Artikel 25 vorgelegten Schriftstücke Zweifel in Bezug auf diese Gründe ergeben. (5) Die Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung kann auch auf die Erfüllung der Schuld gestützt sein, soweit sich die Anerkennung und Vollstreckung auf bereits fällige Zahlungen beziehen. 23 24

Sehr idealistisch Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 538 („significant step forward“). Kritisch Rauscher JR 2010, 437, 439.

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B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Art 24 HUntVerfÜbk

(6) Ein Rechtsmittel darf, wenn es nach dem Recht des Vollstreckungsstaats zulässig ist, nicht dazu führen, dass die Vollstreckung der Entscheidung ausgesetzt wird, es sei denn, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen. (7) Die zuständige Behörde hat über die Anerkennung und Vollstreckung, einschließlich eines etwaigen Rechtsmittels, zügig zu entscheiden. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelerläuterung 1. Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahren vor Anerkennung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgestaltung als kontradiktorisches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I. II. III.

1 2 3 IV.

b) Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 c) Prüfungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 4. Zügige Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . 14

5 5

I. Normzweck 1 Art 24 bietet den Vertragsstaaten die Möglichkeit, durch Erklärung das in ihm geregelte

Verfahren für eingehende Anträge auf Anerkennung und Vollstreckung anwenden zu dürfen. Das Verfahren nach Art 24 unterscheidet sich vom Verfahren nach Art 23 dadurch, dass es deutlich stärker an die traditionellen international-verfahrensrechtlichen Regeln über eine Anerkennung und Vollstreckung nach einem Exequaturverfahren angelehnt ist. Die ausländische Entscheidung wird unter Art 24 nicht direkt anerkannt und für vollstreckbar erklärt bzw zum Zwecke der Vollstreckung eingetragen, sondern es findet ein kontradiktorisches Verfahren statt, in dem vorab die Einhaltung der Vorschriften des Übereinkommens über die indirekte Zuständigkeit, Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit der Entscheidung (Art 20), die Gründe, aus denen eine Anerkennung und Vollstreckung verweigert werden kann (Art 22), und zumindest kursorisch die Authentizität der nach Art 25 relevanten Urkunden überprüft werden. Vertragsstaaten, die ausländischen Entscheidungen nicht das Vertrauen entgegenbringen wollen, das Art 23 voraussetzt, oder deren einstufiges Verfahrensmodell eine lediglich nachträgliche Kontrolle nicht verträgt, haben damit die Möglichkeit, dennoch dem Übereinkommen beizutreten. Zugleich bringt Art 24 gegenüber dem traditionellen, rein nationalen Verfahren den Vorteil der Vereinheitlichung. II. Entstehungsgeschichte 2 Art 24 wurde erst zum Schluss der Verhandlungen aufgenommen (s Art 23 Rn 3).1 Er

kommt zum einen Staaten entgegen, denen die Regelungen des Art 23 zu progressiv sind, zum anderen berücksichtigt er solche Rechtssysteme, in denen es keiner Vollstreckbarerklärung oder Registrierung bedarf und die daher die Überprüfung nicht in ein Rechtsbehelfsverfahren auslagern können.2

1 2

Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1312; Malatesta Riv dir int civ proc 2009, 829, 837. Beaumont La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09) 41, 43; ders RabelsZ 73 (2009) 509, 538; Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1313; Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 516; Carlson Fam LQ 43 (2009) 21, 32 f Fn 28; Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 324 f; Malatesta Riv dir int civ proc 2009, 829, 837 f.

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Oktober 2014

Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 24 HUntVerfÜbk

III. Einzelerläuterung 1. Anwendbarkeit Gem Abs 1 kommt Art 24 anstelle der Art 23 Abs 2-11 dann und nur dann zur Anwendung, 3 wenn dies ein Vertragsstaat nach Art 63 erklärt hat. Hierin zeigt sich, dass das Verfahren nach Art 23, das eine stärkere Vereinfachung und Beschleunigung bringt, den Vertragsstaaten aber auch größeres Vertrauen in ausländische Entscheidungen abverlangt, von den Verfassern für vorzugswürdig gehalten wird. Art 24 tritt nur an die Stelle der Art 23 Abs 211. Art 23 Abs 1, der im Übrigen die lex fori zur Anwendung beruft, bleibt unberührt. Für Unterhaltsvereinbarungen enthält Art 30 Abs 5 lit c einige Abweichungen. Wie bei Art 16 kommt auch die Erklärung nach Abs 1 einem Vorbehalt nahe, sie enthält aber anders als sonst bei Vorbehalten mit Abs 2-7 Alternativregelungen.3 Eine Erklärung nach Abs 1 haben bislang Norwegen und die Ukraine abgegeben. Die EU 4 hat keine dahingehende Erklärung abgegeben.4 2. Verfahren vor Anerkennung und Vollstreckung a) Ausgestaltung als kontradiktorisches Verfahren Anders als Art 23 Abs 2, nach dem eine Entscheidung aus einem anderen Vertragsstaat 5 lediglich auf ordre public-Widrigkeit überprüft, ansonsten aber sofort anerkannt und für vollstreckbar erklärt bzw zum Zwecke der Vollstreckung eingetragen wird, findet nach Art 24 Abs 3 vor der Anerkennung und Vollstreckung ein kontradiktorisches Verfahren statt.5 Wurde der Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung über eine Zentrale Behörde gestellt, so muss diese daher nicht wie unter Art 23 Abs 2 lediglich die Entscheidung zum Zwecke der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung bzw Eintragung weiterleiten oder sofort die Anerkennung oder Vollstreckbarkeit aussprechen bzw die Eintragung bewirken. Vielmehr ist zunächst über den Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung zu entscheiden, entweder nach Weiterleitung durch die zuständige Behörde (Abs 2 lit a) oder durch die Zentrale Behörde selbst (Abs 2 lit b). b) Gegenstand Gegenstand des kontradiktorischen Verfahrens, von dem der Antragsgegner umgehend 6 ordnungsgemäß zu benachrichtigen ist und in dem beide Parteien angemessene Gelegenheit zur Stellungnahme haben müssen (Abs 3), ist gem Abs 4 die Einhaltung der Regeln des Art 20 über die indirekte Zuständigkeit, die Wirksamkeit und die Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat, die Abwesenheit von Verweigerungsgründen nach Art 22 sowie in dem von Art 23 Abs 7 lit c beschriebenen Umfang die von Art 25 geforderte dokumentarische Grundlage. Hinzu kommt gem Abs 5 gegebenenfalls die zwischenzeitliche Erfüllung fälliger Unter- 7 haltsansprüche, die hier anders als in Art 23 Abs 8 sogleich und nicht erst auf einen Rechtsbehelf hin geprüft wird. Im Übrigen gilt hier das bei Art 23 Rn 13 f Gesagte. 3 4 5

Borrás FS Siehr (2010) 173, 187. Vgl Rat der EU, 9.4.2014, ABl EU L 113/1; Europäische Kommission, 29.1.2013, COM (2013) 35. Malatesta Riv dir int civ proc 2009, 829, 838.

Christoph A. Kern

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Art 24 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

8 Nur hinsichtlich dieser Gründe ist eine Prüfung vorzunehmen; nur hieraus kann sich ein

Grund zur Verweigerung von Anerkennung und Vollstreckung ergeben. Andere Fragen dürfen nicht Gegenstand des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens sein, insbesondere darf keine révision au fond stattfinden (Art 28). c) Prüfungsvoraussetzungen 9 Nicht alle diese Gründe darf die zuständige Behörde jedoch von Amts wegen prüfen. Eine

amtswegige Prüfung lässt Abs 4 S 1 vielmehr nur hinsichtlich der Verweigerungsgründe des ordre public (Art 22 lit a), der anderweitigen Anhängigkeit (Art 22 lit c) und der Gehörsverletzung (Art 22 lit d) zu. Nicht von Amts wegen geprüft wird also die Abwesenheit betrügerischer Machenschaften (Art 22 lit b), die allerdings unter Umständen in die ordre public-Prüfung einfließen kann.6 10 Eine Prüfung aller der in Art 20, 22 und 23 Abs 7 lit c genannten Gründe ist der zuständigen

Behörde hingegen nach Art 24 Abs 4 S 2 unter zwei alternativen Voraussetzungen erlaubt. Zum einen kann jeder dieser Gründe geprüft werden, den der Antragsgegner geltend macht. Zum anderen darf die zuständige Behörde von sich aus in die Prüfung eintreten, wenn sie aus dem äußeren Erscheinungsbild – also nicht aus dem kommunizierten Inhalt – eines der nach Art 25 vorgelegten Schriftstücke Zweifel hat, ob nicht ein Grund vorliegt, der nach Art 20, 22 und 23 Abs 7 lit c zur Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung berechtigt. 11 Abs 5 macht für die Erfüllung als Verweigerungsgrund keine Vorgaben. Daher darf sie auch

von Amts wegen geprüft werden.7 Praktisch erscheint es allerdings schwer vorstellbar, dass eine Prüfung ohne entsprechende Geltendmachung durch den Antragsgegner stattfindet. 3. Rechtsmittel 12 Da nach Art 24 bereits vor Anerkennung und Vollstreckung ein kontradiktorisches Ver-

fahren stattfindet, bedarf es keiner dem Art 23 Abs 5 HS 2 entsprechenden Garantie eines Rechtsmittels, sondern kann es den Vertragsstaaten überlassen bleiben, ob sie überhaupt ein Rechtsmittel vorsehen (Art 23 Abs 1). Ist aber ein Rechtsmittel vorgesehen, so darf es nach Abs 6 nicht mit einem generellen Suspensiveffekt ausgestattet sein, der einer zuvor zugelassenen Vollstreckung entgegensteht. Eine Aussetzung der Vollstreckung darf indes stattfinden, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen. Es muss also eine Einzelfallprüfung stattfinden. Der Sache nach entspricht Abs 6 damit Art 23 Abs 10, der eine entsprechende Regelung für ein „weiteres Rechtsmittel“ trifft, da dort der erste Rechtsbehelf überhaupt erstmals zu einer Überprüfung führt, ein Suspensiveffekt dieses ersten Rechtsbehelfs also durchaus vertretbar erscheint. 4. Zügige Entscheidung 13 Entsprechend dem Art 23 Abs 11 fordert Abs 7 auch für Verfahren, die unter Art 24 fallen,

zur zügigen Entscheidung über Anerkennung und Vollstreckung einschließlich eines etwaigen Rechtsmittels auf (Art 23 Rn 16). 6 7

Dazu Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 481. Unentschieden Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 523.

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Oktober 2014

Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 25 HUntVerfÜbk

IV. Vergleich mit der EG-UntVO In der EG-UntVO findet Art 24 keine Entsprechung. Selbst dann, wenn der Ursprungs- 14 mitgliedstaat nicht durch das HUntStProt 2007 gebunden ist und daher nach der EG-UntVO die ausländische Entscheidung nicht unmittelbar vollstreckt wird, sondern ein Vollstreckbarerklärungsverfahren durchlaufen muss, findet dort keine dem Art 24 entsprechende vorherige, sondern nur eine dem Art 23 entsprechende nachträgliche Überprüfung auf Rechtsbehelf statt. Zwischen den beiden Optionen der EG-UntVO und den beiden Optionen des Übereinkommens gibt es also gewissermaßen eine „Phasenverschiebung“, wobei durchaus bemerkenswert ist, dass die EG-UntVO insoweit die Geltung eines Haager Textes, nämlich des HUntStProt 2007, entscheiden lässt.

Artikel 25: Schriftstücke (1) Einem Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung nach Artikel 23 oder 24 sind folgende Schriftstücke beizufügen: a) der vollständige Wortlaut der Entscheidung; b) ein Schriftstück mit dem Nachweis, dass die Entscheidung im Ursprungsstaat vollstreckbar ist, und im Fall der Entscheidung einer Verwaltungsbehörde ein Schriftstück mit dem Nachweis, dass die in Artikel 19 Absatz 3 genannten Voraussetzungen erfüllt sind, es sei denn, dieser Staat hat nach Artikel 57 angegeben, dass die Entscheidungen seiner Verwaltungsbehörden diese Voraussetzungen stets erfüllen; c) wenn der Antragsgegner im Verfahren im Ursprungsstaat weder erschienen noch vertreten worden ist, ein Schriftstück oder Schriftstücke mit dem Nachweis, das der Antragsgegner ordnungsgemäß vom Verfahren benachrichtigt worden ist und Gelegenheit hatte, gehört zu werden, beziehungsweise dass er ordnungsgemäß von der Entscheidung benachrichtigt worden ist und die Möglichkeit hatte, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht diese anzufechten oder ein Rechtsmittel dagegen einzulegen; d) bei Bedarf ein Schriftstück, aus dem die Höhe der Zahlungsrückstände und das Datum der Berechnung hervorgehen; e) im Fall einer Entscheidung, in der eine automatische Anpassung durch Indexierung vorgesehen ist, bei Bedarf ein Schriftstück mit den Angaben, die für die entsprechenden Berechnungen erforderlich sind; f) bei Bedarf ein Schriftstück, aus dem hervorgeht, in welchem Umfang der Antragsteller im Ursprungsstaat unentgeltliche juristische Unterstützung erhalten hat. (2) Im Fall einer Anfechtung oder eines Rechtsmittels nach Artikel 23 Absatz 7 Buchstabe c oder auf Ersuchen der zuständigen Behörde im Vollstreckungsstaat ist eine von der zuständigen Behörde im Ursprungsstaat beglaubigte vollständige Kopie des entsprechenden Schriftstücks umgehend zu übermitteln a) von der Zentralen Behörde des ersuchenden Staates, wenn der Antrag nach Kapitel III gestellt worden ist; b) vom Antragsteller, wenn der Antrag unmittelbar bei der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaats gestellt worden ist. (3) Ein Vertragsstaat kann nach Artikel 57 angeben, a) dass dem Antrag eine von der zuständigen Behörde des Ursprungsstaats beglaubigte vollständige Kopie der Entscheidung beizufügen ist; b) unter welchen Umständen er anstelle des vollständigen Wortlauts der Entscheidung eine von

Christoph A. Kern

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B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Art 25 HUntVerfÜbk

der zuständigen Behörde des Ursprungsstaats erstellte Zusammenfassung oder einen von ihr erstellten Auszug der Entscheidung akzeptiert, die oder der anhand des von der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht empfohlenen und veröffentlichten Formblatts* erstellt werden kann, oder c) dass er ein Schriftstück mit dem Nachweis, dass die in Artikel 19 Absatz 3 genannten Voraussetzungen erfüllt sind, nicht verlangt. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelerläuterung 1. Schriftstück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsätzlich vorzulegende Schriftstücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wortlaut der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . b) Nachweis der Vollstreckbarkeit . . . . . . . . . c) Bei Säumnis Nachweis der Gehörsgewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I. II. III.

1 2 3 4 4 5 IV.

d) Nachweis der Rückstände . . . . . . . . . . . . . . . . 7 e) Angaben bei Indexierung . . . . . . . . . . . . . . . . 8 f) Unentgeltliche juristische Unterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3. Ausnahmsweise Übermittlung einer beglaubigten vollständigen Kopie . . . . . . 10 4. Generelle Abweichungen durch Angabe nach Art 57 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . 14

6

I. Normzweck 1 Art 25 listet die Schriftstücke auf, die einem Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung

einer Entscheidung beizufügen sind, gleich ob er in einem Verfahren nach Art 23 oder Art 24 gestellt wird. Für die Anerkennung und Vollstreckung einer Unterhaltsvereinbarung enthält Art 30 Abs 3 eine eigene Regelung; Art 30 Abs 5 belässt es indes bei der Anwendbarkeit des Abs 2. II. Entstehungsgeschichte 2 Die Auflistung der beizufügenden Schriftstücke war in den Entwürfen zunächst in dem –

damals einheitlichen – Artikel über das Verfahren enthalten,1 wurde dann aber später in einen eigenen Artikel ausgelagert.2 Die ersten drei Schriftstücke waren schon früh vorgesehen; auch der Gedanke eines Auszugs unter Verwendung eines Formulars, der heute in Abs 3 lit b anzutreffen ist, war bereits 2004 zu finden.3 Die übrigen Elemente des heutigen Art 25, insbesondere die Möglichkeit einer Erklärung zu Erleichterungen und die Fälle der Nachlieferung einer vollständigen beglaubigten Kopie, kamen erst später hinzu.4

* 1

2

3

Schweiz: Formulars. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Proposition du Comité de rédaction, Doc trav No 34 F, 17 juin 2004, S 9; Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 12. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 12. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Proposition du Comité de rédaction, Doc trav No 34 F, 17 juin 2004, S 9.

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Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 25 HUntVerfÜbk

III. Einzelerläuterung 1. Schriftstück Der Begriff „Schriftstück“ bzw der englische und französische Begriff „document“ sind in 3 Art 3 nicht definiert. Stärker als die deutsche Übersetzung lässt der Begriff Dokument nach heutigem Sprachgebrauch erkennen, dass es auf eine Verkörperung nicht ankommt, also auch elektronische Dokumente ausreichen. Hierfür spricht auch der Wunsch der Präambel, moderne Technologien zu nutzen, sowie der in Art 3 lit d verwendete Schriftlichkeitsbegriff. Für die meisten Schriftstücke gibt es Entwürfe von Formblättern.5 2. Grundsätzlich vorzulegende Schriftstücke a) Wortlaut der Entscheidung Abs 1 lit a verlangt die Vorlage des vollständigen Wortlauts der Entscheidung. Dabei kann es 4 sich auch um eine Kopie handeln, sofern sie den vollständigen Wortlaut enthält.6 Nach Abs 3 lit a kann ein Vertragsstaat durch eine Angabe gem Art 57 sogar stets eine beglaubigte vollständige Kopie verlangen; ansonsten ist unter den Voraussetzungen des Abs 2 eine beglaubigte vollständige Kopie zu übermitteln. Nach Abs 3 lit b kann ein Vertragsstaat hingegen auch angeben, dass er anstelle des vollständigen Wortlauts eine Zusammenfassung oder einen Auszug der Entscheidung akzeptiert. b) Nachweis der Vollstreckbarkeit Nach Abs 1 lit b ist weiter ein Nachweis der Vollstreckbarkeit in Form eines Schriftstücks 5 beizufügen. Für die Form des Nachweises macht das Übereinkommen keine Vorgaben; eine Erklärung der zuständigen Behörde des Ursprungsstaats in Dokumentform muss daher ausreichen. Bei Entscheidungen einer Verwaltungsbehörde bedarf es regelmäßig eines zusätzlichen Nachweises darüber, dass gem Art 19 Abs 3 Anfechtbarkeit bzw gerichtliche Überprüfung möglich sind und die Entscheidung in ihren Wirkungen einer Gerichtsentscheidung vergleichbar ist. Ein solcher Nachweis ist jedoch entbehrlich, wenn der Ursprungsstaat gem Art 57 allgemein angegeben hat, dass die Entscheidungen seiner Verwaltungsbehörden stets den Anforderungen des Art 19 Abs 3 genügen (Abs 1 lit a aE), oder wenn der Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat gem Art 57 angegeben hat, auf einen solchen zusätzlichen Nachweis zu verzichten (Abs 3 lit c). c) Bei Säumnis Nachweis der Gehörsgewährung War der Antragsgegner in dem Verfahren, aus dem die anzuerkennende oder zu vollstre- 6 ckende Entscheidung stammt, weder erschienen noch vertreten, so verlangt Abs 1 lit c einen Nachweis entweder über die ordnungsgemäße Benachrichtigung von dem Verfahren und die Gelegenheit der Äußerung oder über die ordnungsgemäße Benachrichtigung von der Entscheidung und die Gelegenheit eines Rechtsbehelfs. Diese Zweispurigkeit will in Parallele zu Art 22 lit e sowohl kontradiktorische als auch einseitige Verfahren mit Rechtsbehelfsmöglichkeit erfassen. 4

5 6

Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 15 f. Doc prél No 31-B, juillet 2007. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 530.

Christoph A. Kern

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Art 25 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

d) Nachweis der Rückstände 7 Sofern auch ein Ausspruch über Rückstände anerkannt und vollstreckt werden soll, ist gem

Abs 1 lit d ein Schriftstück vorzulegen, aus dem deren Höhe und das Datum ihrer Berechnung hervorgeht, sodass Klarheit darüber besteht, welche Ansprüche anzuerkennen und zu vollstrecken sind. e) Angaben bei Indexierung 8 Bemisst sich nach der Entscheidung die Höhe des Unterhalts nach einem Index, so ist nach

Abs 1 lit e ein Schriftstück beizufügen, das die Berechnung und mithin eine Implementierung erlaubt. f) Unentgeltliche juristische Unterstützung 9 Hat der Antragsteller im Ursprungsstaat unentgeltliche juristische Unterstützung erhalten,

so kann dies gem Art 17 lit b eine präjudizierende Wirkung für den Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat haben. Daher ist gem Abs 1 lit f ggf ein Schriftstück über die Tatsache und den Umfang einer solchen Unterstützung beizufügen. 3. Ausnahmsweise Übermittlung einer beglaubigten vollständigen Kopie 10 Gem Abs 2 ist in zwei Fällen eine von der zuständigen Behörde des Ursprungsstaats be-

glaubigte vollständige Kopie eines der in Abs 1 genannten Schriftstücke zu übermitteln. Zum einen ist eine beglaubigte vollständige Kopie zu übermitteln bei einem Rechtsbehelf, der sich gem Art 23 Abs 7 lit c auf die Frage der Echtheit oder Unversehrtheit des Schriftstücks, das den Volltext der Entscheidung oder zulässigerweise eine Zusammenfassung bzw einen Auszug enthält, des Schriftstücks über die Vollstreckbarkeit oder des Schriftstücks über die Rückstände stützt. Zum anderen kann auch die zuständige Behörde im Anerkennungs- (Art 26) und Vollstreckungsstaat stets eine beglaubigte vollständige Kopie verlangen. 11 Adressat der Übermittlungspflicht ist entweder die Zentrale Behörde des ersuchenden

Staats, wenn der Antrag über sie gestellt wurde (lit a), oder der Antragsteller selbst, wenn er den Antrag unmittelbar bei der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaats gestellt hat (lit b). 4. Generelle Abweichungen durch Angabe nach Art 57 12 Nach Abs 3 kann ein Vertragsstaat gem Art 57 bestimmte Angaben zu den einem Antrag

nach Abs 1 beizufügenden Schriftstücken machen, die dann zu abweichenden Regeln führen. Möglich ist zum ersten gem lit a die Angabe, dass einem Antrag stets eine von der zuständigen Behörde des Ursprungsstaats beglaubigte vollständige Kopie der Entscheidung beizufügen ist. Zum zweiten kann ein Vertragsstaat gem lit b angeben, unter welchen Umständen er sich anstelle des von Abs 1 lit a geforderten vollständigen Wortlauts der Entscheidung mit einer Zusammenfassung oder einem Auszug durch die zuständige Behörde des Ursprungsstaats begnügt, wobei hierfür ein von der Haager Konferenz empfohlenes und veröffentlichtes Formblatt soll verwendet werden können, für das ein Entwurf existiert.7 Zum dritten schließlich kann ein Vertragsstaat gem lit c durch Angabe nach Art 57 7

Doc prél No 31-B, juillet 2007.

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Oktober 2014

Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 26 HUntVerfÜbk

auf die Beifügung des von Abs 1 lit b vorgesehenen Nachweises darüber, dass Entscheidungen einer Verwaltungsbehörde die Voraussetzungen des Art 19 Abs 3 erfüllen, verzichten. Eine Erklärung nach Art 57 hat bislang die Ukraine mit Bezug auf Abs 3 lit a abgegeben. Die 13 Ukraine verlangt mithin stets eine beglaubigte vollständige Kopie der Entscheidung. IV. Vergleich mit der EG-UntVO Eine Liste der vorzulegenden Schriftstücke enthalten die Art 20, 28 EG-UntVO. Anders als 14 Art 25 Abs 1 lit a reicht danach grundsätzlich statt des Volltextes der Entscheidung ein von einem Formblatt begleiteter Auszug aus. Die Abs 2 und 3 finden in der EG-UntVO keine direkte Entsprechung.

Artikel 26: Verfahren für Anträge auf Anerkennung Auf Anträge auf Anerkennung einer Entscheidung findet dieses Kapitel mit Ausnahme des Erfordernisses der Vollstreckbarkeit, das durch das Erfordernis der Wirksamkeit der Entscheidung im Ursprungsstaat ersetzt wird, entsprechend Anwendung.

I. Normzweck Art 26 erklärt die Regeln über das Verfahren nach einem Antrag auf Vollstreckung einer 1 Entscheidung für entsprechend anwendbar, wenn lediglich ein Antrag auf Anerkennung gestellt wird. II. Entstehungsgeschichte Seit dem Entwurf vom Januar 2005 war der heutige Art 26 in den Entwürfen enthalten.1

2

III. Einzelerläuterung Die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung erfolgt meist implizit. Hieran will das 3 Übereinkommen nichts ändern. Das Übereinkommen erlaubt aber auch isolierte Anträge auf Anerkennung.2 In diesem Fall 4 folgt das Verfahren denselben Regeln wie bei einem Antrag auf (Anerkennung und) Vollstreckung. Zur Anwendung kommen also sowohl die in Kapitel V vor Art 26 als auch die nach Art 26 stehenden Artikel. Einzige Abweichung ist, dass es nicht der Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ursprungsstaat bedarf, da ja jedenfalls zunächst nicht vollstreckt werden soll; immerhin muss die Entscheidung aber im Ursprungsstaat wirksam sein, fehlte

1

2

Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 13; vgl auch Art 35 Abs 2 Brüssel I-VO/LugÜbk 2007. Art 10 Abs 1 lit a Fall 1.

Christoph A. Kern

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Art 27 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

es doch sonst nach der Lehre von der Wirkungserstreckung an jeder anerkennungsfähigen Wirkung. IV. Vergleich mit der EG-UntVO 5 Unter der EG-UntVO wird eine Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat stets ohne

die Notwendigkeit eines eigenen Verfahrens anerkannt (Art 17 Abs 1, 23 Abs 1 EG-UntVO). Ist der Mitgliedstaat nicht durch das HUntStProt 2007 gebunden, kann jedoch auch ein eigenes Anerkennungsverfahren durchgeführt werden, das ebenfalls im Wesentlichen den Regeln über das Vollstreckbarerklärungsverfahren folgt (Art 23 Abs 2 EG-UntVO).

Artikel 27: Tatsächliche Feststellungen Die zuständige Behörde des Vollstreckungsstaats ist an die tatsächlichen Feststellungen gebunden, auf welche die Behörde des Ursprungsstaats ihre Zuständigkeit gestützt hat.

I. Normzweck 1 Nach Art 27 besteht eine Bindung des Anerkennungs- und Vollstreckungsstaats an die

tatsächlichen Feststellungen, aufgrund derer die Behörde des Ursprungsstaats ihre Zuständigkeit angenommen hat. Prüft eine Behörde des Anerkennungs- und Vollstreckungsstaats zulässigerweise die indirekte Zuständigkeit (Art 23 Abs 7 lit b, Art 24 Abs 4 S 2), müssen diese Tatsachen also der Prüfung zugrunde gelegt werden. II. Entstehungsgeschichte 2 Die Vorschrift, die Art 9 HUntAVÜbk 1973 übernimmt, war von Anfang an vorgesehen.1

III. Einzelerläuterung 3 Eine Bindung besteht nur an diejenigen tatsächlichen Feststellungen, die die zuständige

Behörde des Ursprungsstaats zur Bejahung ihrer Zuständigkeit veranlasst haben; keine Bindung besteht an solche eventuell erwähnte weitere Tatsachen, auf die die zuständige Behörde ihre Zuständigkeit nicht gestützt hat. 4 Da Art 28 ein umfassendes Verbot der Nachprüfung in der Sache vorsieht, kann die Bindung

nur insoweit relevant werden, als nicht die Sachentscheidung, sondern eine prozessuale Entscheidung, namentlich die Entscheidung über die Zuständigkeit, nachgeprüft wird. IV. Vergleich mit der EG-UntVO 5 Die EG-UntVO enthält keine dem Art 27 entsprechende Vorschrift.

1

Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 17.

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Oktober 2014

Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 29 HUntVerfÜbk

Artikel 28: Verbot der Nachprüfung in der Sache Die zuständige Behörde des Vollstreckungsstaats darf die Entscheidung in der Sache selbst nicht nachprüfen.

I. Normzweck Das von Art 28 aufgestellte Verbot der révision au fond will dem völkerrechtlichen Gedan- 1 ken der comity Rechnung tragen, Rechtsunsicherheit vermeiden und die Parteien sowie die Justizsysteme vor dem Aufwand einer doppelten Sachprüfung schützen. II. Entstehungsgeschichte Das Verbot der révision au fond, das zum Standard internationaler Regelwerke über die 2 Anerkennung und Vollstreckung gehört,1 war von Anfang an vorgesehen.2 III. Einzelerläuterung Verboten ist eine Überprüfung der Entscheidung in der Sache selbst, also soweit sie tatsäch- 3 liche Feststellungen trifft und rechtliche Erwägungen anstellt, die Bestand und Höhe der Unterhaltspflicht betreffen. Nicht verboten ist hingegen die Überprüfung derjenigen Gegenstände, die nach dem Übereinkommen ausdrücklich überprüft werden können, wie etwa die indirekte Zuständigkeit oder das Vorliegen betrügerischer Machenschaften im Verfahren. IV. Vergleich mit der EG-UntVO Ein Verbot der révision au fond statuiert auch Art 42 EG-UntVO.

4

Artikel 29: Anwesenheit des Kindes oder des Antragstellers nicht erforderlich Die Anwesenheit des Kindes oder des Antragstellers ist bei Verfahren, die nach diesem Kapitel im Vollstreckungsstaat eingeleitet werden, nicht erforderlich.

I. Normzweck Art 29 will das Kind und den Antragsteller bei unmittelbaren Anträgen ebenso wie bei 1 Anträgen über die Zentralen Behörden1 davor schützen, persönlich an einem Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren teilnehmen zu müssen. Damit werden Verzögerungen vermieden und allen Beteiligten finanzielle, aber auch psychische Belastungen erspart. 1

2

1

S nur Art 36 Brüssel I-VO; Art 36 LugÜbk 2007; Art 12 HUntAVÜbk 1973; Art 26 HErwSÜbk 2000; Art 27 KSÜ; siehe auch Art 5 HUntAVÜbk 1958. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 18. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 549.

Christoph A. Kern

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Art 30 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

II. Entstehungsgeschichte 2 In den USA verlangte die Rechtsprechung regelmäßig die physische Anwesenheit des Klä-

gers. Der Verzicht auf die Anwesenheit des klagenden Kindes bzw seiner Mutter im Verhältnis der US-Bundesstaaten zueinander war eine Errungenschaft des Uniform Reciprocal Enforcement of Support Act (URESA) von 1950,2 hinter die auch im internationalen Verkehr nicht zurückgegangen werden sollte.3 Die Norm war daher auf Anregung verschiedener Experten in der ersten Sitzung zur Vorbereitung des Übereinkommens4 geklammert schon im Entwurf vom April 2004 enthalten.5 III. Vergleich mit der EG-UntVO 3 Eine unmittelbare Entsprechung hat Art 29 in der EG-UntVO nicht. Art 41 Abs 2 EG-

UntVO entbindet den Antragsteller sogar von der Notwendigkeit einer Postanschrift oder eines bevollmächtigten Vertreters.

Artikel 30: Unterhaltsvereinbarungen (1) Eine in einem Vertragsstaat getroffene Unterhaltsvereinbarung muss wie eine Entscheidung nach diesem Kapitel anerkannt und vollstreckt werden können, wenn sie im Ursprungsstaat wie eine Entscheidung vollstreckbar ist. (2) Im Sinne des Artikels 10 Absatz 1 Buchstaben a und b und Absatz 2 Buchstabe a schließt der Begriff „Entscheidung“ eine Unterhaltsvereinbarung ein. (3) Dem Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung einer Unterhaltsvereinbarung sind folgende Schriftstücke beizufügen: a) der vollständige Wortlaut der Unterhaltsvereinbarung und b) ein Schriftstück mit einem Nachweis, dass die betreffende Unterhaltsvereinbarung im Ursprungsstaat wie eine Entscheidung vollstreckbar ist. (4) Die Anerkennung und Vollstreckung einer Unterhaltsvereinbarung können verweigert werden, wenn a) die Anerkennung und Vollstreckung mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Vollstreckungsstaats offensichtlich unvereinbar sind; b) die Unterhaltsvereinbarung durch betrügerische Machenschaften oder Fälschung erlangt wurde; c) die Unterhaltsvereinbarung unvereinbar ist mit einer Entscheidung, die zwischen denselben Parteien über denselben Gegenstand entweder im Vollstreckungsstaat oder in einem anderen Staat ergangen ist, sofern die betreffende Entscheidung die Voraussetzungen für die Anerkennung und Vollstreckung im Vollstreckungsstaat erfüllt.

2 3 4

5

Smith Fam LQ 43 (2008) 37, 40. Vgl auch Art 3 NYUntÜbk 1956; dazu Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 550. Bureau Permanent, Rapport relatif à la première réunion de la Commission spéciale sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et autres membres de la famille (5-16 mai 2003), Doc prél No 5, octobre 2003, Rn 84. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 18.

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Oktober 2014

Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 30 HUntVerfÜbk

(5) Dieses Kapitel, mit Ausnahme der Artikel 20, 22, 23 Absatz 7 und des Artikels 25 Absätze 1 und 3, findet auf die Anerkennung und Vollstreckung einer Unterhaltsvereinbarung entsprechend Anwendung; allerdings a) kann eine Erklärung oder Eintragung nach Artikel 23 Absätze 2 und 3 nur aus dem in Absatz 4 Buchstabe a genannten Grund verweigert werden; b) kann eine Anfechtung oder Beschwerde nach Artikel 23 Absatz 6 nur gestützt werden auf i) die Gründe für die Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung nach Absatz 4; ii) die Echtheit oder Unversehrtheit eines nach Absatz 3 übermittelten Schriftstücks; c) kann die zuständige Behörde in Bezug auf das Verfahren nach Artikel 24 Absatz 4 den in Absatz 4 Buchstabe a des vorliegenden Artikels genannten Grund für die Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung von Amts wegen prüfen. Sie kann alle in Absatz 4 des vorliegenden Artikels aufgeführten Gründe sowie die Echtheit oder Unversehrtheit eines nach Absatz 3 übermittelten Schriftstücks prüfen, wenn dies vom Antragsgegner geltend gemacht wird oder wenn sich aufgrund der äußeren Erscheinung dieser Schriftstücke Zweifel in Bezug auf diese Gründe ergeben. (6) Das Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung einer Unterhaltsvereinbarung wird ausgesetzt, wenn ein Anfechtungsverfahren in Bezug auf die Vereinbarung vor einer zuständigen Behörde eines Vertragsstaats anhängig ist. (7) Ein Staat kann nach Artikel 63 erklären, dass Anträge auf Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsvereinbarungen nur über die Zentralen Behörden gestellt werden können. (8) Ein Vertragsstaat kann sich nach Artikel 62 das Recht vorbehalten, Unterhaltsvereinbarungen nicht anzuerkennen und zu vollstrecken. I. II. III.

Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Einzelerläuterung 1. Gleichbehandlung von Unterhaltsvereinbarungen und Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2. Anträge auf Anerkennung und Vollstreckung und auf Vollstreckungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 3. Einem Antrag beizufügende Schriftstücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 4. Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

IV.

5. Geltung der sonstigen Vorschriften des Kapitels V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 a) Ausgeschlossene Vorschriften . . . . . . . . . . 12 b) Anpassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 6. Aussetzung bei Anfechtung der Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 7. Erklärung des Ausschlusses unmittelbarer Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 8. Vorbehalt gegen die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . 20 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . 22

I. Normzweck Art 30 regelt die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsvereinbarungen teils ei- 1 genständig, teils durch Verweis auf die für Entscheidungen geltenden Normen des Kapitels V, wobei Verweise gelegentlich noch durch modifizierende Regelungen ergänzt werden. Die großzügige Gleichstellung verschiedener Formen von Unterhaltsvereinbarungen mit Entscheidungen soll einvernehmliche, außergerichtliche Lösungen fördern und geht Hand in Hand mit Art 6 Abs 2 lit d.1 1

Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 552; Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 325.

Christoph A. Kern

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Art 30 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

II. Entstehungsgeschichte 2 Über die Einbeziehung von Unterhaltsvereinbarungen wurde viel diskutiert.2 Der Entwurf

vom April 2004 erreichte durch die Einbeziehung von Unterhaltsvereinbarungen in die Definition der Entscheidung3 eine völlige Gleichstellung von Unterhaltsvereinbarungen und anderen Entscheidungen; für eine dem heutigen Art 30 entsprechende Regelung wurde daher kein Bedürfnis gesehen. Der Entwurf vom Januar 2005 hielt noch an der Einbeziehung von Unterhaltsvereinbarungen in den Begriff der Entscheidung fest, anerkannte aber die Notwendigkeit, zumindest die Vollstreckbarkeit der Unterhaltsentscheidung im Ursprungsstaat und eine ordre public-Kontrolle zu verlangen.4 Der Entwurf vom Oktober 2005 enthielt dann einen Art 25, der sich klar als Vorgängerregelung des heutigen Art 30 darstellt, aber noch keine eigenen Verweigerungsgründe, keine Vorbehaltsmöglichkeiten und keine Modifikationen der verfahrensrechtlichen Regelungen enthielt.5 Abgesehen von der definitorischen Bestimmung im heutigen Abs 2 und dem umfassenden Vorbehalt im heutigen Abs 8 kam der Entwurf vom Januar 2007 dann der endgültigen Regelung sehr nahe; die verfahrensrechtlichen Regelungen des heutigen Abs 5 konnte er wie der Entwurf vom Juni 2007 aber noch nicht enthalten, da die Verfahrensregeln (Art 23, 24) ihrerseits noch nicht die endgültige Form angenommen hatten.6 III. Einzelerläuterung 1. Gleichbehandlung von Unterhaltsvereinbarungen und Entscheidungen 3 Nach Abs 1 ist eine aus einem anderen Vertragsstaat stammende Unterhaltsvereinbarung

iSd Art 3 lit e in jedem Vertragsstaat wie eine Entscheidung anzuerkennen und zu vollstrecken, wenn sie im Ursprungsstaat wie eine Entscheidung vollstreckbar ist.7 Ursprungsstaat in diesem Sinne ist der Staat, dessen Behörden die von Art 3 lit e vorgesehenen Mitwirkungsakte vorgenommen haben. Dass nur auf die Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat abgestellt wird, liegt einzig daran, dass eine Anerkennung eigener Urkunden im Ursprungsstaat nicht erforderlich ist. 2 3

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5

6

7

Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1315; Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 551. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 4, 15. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 14 m Fn 17. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 14. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 16 f; Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 16 f. S zur Vollstreckbarkeit von Kindesunterhaltsvereinbarungen bei Beteiligung der zuständigen Behörde für Deutschland (Jugendamt) §§ 59 Abs 1 Nr 3, 60 SGB VIII; für Österreich (Jugendwohlfahrtsträger) § 210 Abs 2 ABGB, § 1 Nr 15 EO; für die Schweiz (Kindesschutzbehörde) Art 287 Abs 1 ZGB – nur provisorische Rechtsöffnung (Obergericht Bern, APH Nr 08/609; Obergericht Thurgau, RBOG 2001 Nr 16; aA BK-Hegnauer Art 289 ZGB Rn 48; Levante FS Schwander [2011] 729, 739; zum Streit auch Markus/ John La Lettre des juges XIV [Hiver 2008-09] 47, 50).

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Oktober 2014

Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 30 HUntVerfÜbk

Gegen diese von Abs 1 aufgestellte Pflicht zur Anerkennung und Vollstreckung ist allerdings 4 gem Abs 8 ein vollumfänglicher Vorbehalt möglich. 2. Anträge auf Anerkennung und Vollstreckung und auf Vollstreckungsschutz Abs 2 besagt, dass „Entscheidung“ iSd Art 10 Abs 1 lit a und b sowie Abs 2 lit a auch eine 5 Unterhaltsvereinbarung ist. Mithin können über Zentrale Behörden auch Anträge auf Anerkennung oder Anerkennung und Vollstreckung (Art 10 Abs 1 lit a) einer Unterhaltsvereinbarung, auf Vollstreckung (Art 10 Abs 1 lit b) einer Unterhaltsvereinbarung sowie auf Anerkennung einer Entscheidung oder eines Verfahrens, die die Aussetzung oder Einschränkung der Vollstreckung aus einer Unterhaltsvereinbarung bewirken (Art 10 Abs 2 lit a), gestellt werden. Da der Wortlaut keine Einschränkung enthält und durchaus denkbar ist, dass in einer Ver- 6 einbarung eine Regelung über die Aussetzung oder Einschränkung der Vollstreckung getroffen wird, sind zudem auch Anträge auf Anerkennung einer solchen Unterhaltsvereinbarung als erfasst anzusehen. 3. Einem Antrag beizufügende Schriftstücke Abs 3 tritt an die Stelle des Art 25 Abs 1 und 3 und verlangt nur, aber – da Art 25 Abs 3 lit b 7 nicht gilt – auch stets die Beifügung des vollständigen Wortlauts der Unterhaltsvereinbarung sowie einen Nachweis über die Vollstreckbarkeit der in Rede stehenden Vereinbarung8 im Ursprungsstaat. Diese Voraussetzungen entsprechen Art 25 Abs 1 lit a und b. Abs 5 schließt zudem die entsprechende Anwendung des Art 25 Abs 1 und 3 aus. Dass Art 25 Abs 1 lit c-f keine Entsprechung haben, ergibt sich weitgehend aus der Natur 8 der Unterhaltsvereinbarung: Bei einer Vereinbarung ist eine Gehörsverletzung wegen fehlender Beteiligung, der Art 25 Abs 1 lit c gilt, ausgeschlossen; aus der Unterhaltsvereinbarung müssen sich eventuell zu zahlende Rückstände und deren Berechnung (vgl Art 25 Abs 1 lit d) ebenso unmittelbar ergeben wie die Regeln einer automatischen Anpassung (vgl Art 25 Abs 1 lit e). Unentgeltliche juristische Unterstützung, die zum Abschluss der Unterhaltsvereinbarung geführt hat, erscheint hingegen denkbar, die fehlende Spiegelung insoweit also nicht ganz überzeugend. Auch Art 25 Abs 3 passt bei Unterhaltsvereinbarungen kaum. Da die Vereinbarung ohnehin 9 gem Art 3 lit e behördlicher Mitwirkung bedarf, kann sie selbst vorgelegt werden, sodass es jedenfalls standardmäßig keiner beglaubigten Kopie (vgl Art 25 Abs 3 lit a) bedürfen sollte. Ein Auszug oder eine Zusammenfassung der Unterhaltsvereinbarung (vgl Art 25 Abs 3 lit b) kann nur bei Vereinbarungen Bedeutung erlangen, die sich nicht streng auf die zu regelnden Unterhaltsfragen beschränken; im Normalfall wird die Vereinbarung hingegen in vollem Umfang erforderlich sein, weshalb ein Bedürfnis für eine Regelung über Auszüge kaum besteht (s aber Art 48 Abs 3 EG-UntVO). Da nicht die Entscheidung einer Verwaltungsbehörde anerkannt und vollstreckt werden soll, bedarf es keines solchen Nachweises, weshalb auch eine Vorschrift über den Verzicht hierauf (vgl Art 25 Abs 3 lit c) sinnlos wäre.

8

Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 558.

Christoph A. Kern

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Art 30 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

10 Dass Abs 5 die entsprechende Anwendung des Art 25 Abs 2 nicht ausschließt, erstaunt

insoweit, als dort das Verlangen nach einer beglaubigten vollständigen Kopie an eine Anfechtung oder ein Rechtsmittel geknüpft ist. Rechtsbehelfe gegen eine Vereinbarung stehen an sich nicht zur Verfügung. Sinnvoll ist hingegen die Möglichkeit der für Anerkennung und Vollstreckung zuständigen Behörde, eine beglaubigte vollständige Kopie eines der in Abs 3 genannten Schriftstücke auf Ersuchen verlangen zu können. 4. Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung 11 Abs 3 passt die Gründe, die zu einer Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung

berechtigen, an die Besonderheiten von Unterhaltsvereinbarungen an. Wie in Art 22 gibt es in Abs 4 die Möglichkeit der Verweigerung bei offensichtlicher Unvereinbarkeit mit dem ordre public (lit a) und bei betrügerischen Machenschaften (lit b), wobei sich beides auf die Unterhaltsvereinbarung beziehen muss und neben der Erlangung der Unterhaltsvereinbarung durch betrügerische Machenschaften auch noch die Erlangung durch Fälschung steht. Lit c über die Verweigerung bei Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung entspricht Art 22 lit d. Kein Verweigerungsgrund ist ein früher anhängig gemachtes innerstaatliches Verfahren. 5. Geltung der sonstigen Vorschriften des Kapitels V a) Ausgeschlossene Vorschriften 12 Keine entsprechende Anwendung finden nach Abs 5 die Artikel 20, 22, 23 Abs 7 und 25

Abs 1 und 3. Die Nichtanwendbarkeit des Art 20 erklärt sich im Hinblick auf dessen Abs 1-6 dadurch, dass bei einer Unterhaltsvereinbarung keine indirekte Zuständigkeit geprüft zu werden braucht; an die Stelle des Art 20 Abs 6 tritt Abs 1, der die Vollstreckbarkeit der Unterhaltsentscheidung im Ursprungsstaat verlangt. An die Stelle des Art 22 tritt Abs 4. Art 23 Abs 7 betrifft Rechtsmittel, die gegen eine Unterhaltsentscheidung nicht gegeben sind. Art 25 Abs 1 und 3 sind durch Abs 3 ersetzt. b) Anpassungen 13 Die Verfahrensregeln des Art 23 passt Abs 5 lit a und b an die Regelungen des Art 30 an. Lit a

bezieht sich auf Art 23 Abs 4 S 1, nach dem vor Anerkennung und Vollstreckung eine Prüfung des ordre public gem Art 22 lit a stattfinden und bei Feststellung eines Verstoßes die Anerkennung und Vollstreckung verweigert werden darf. Da Art 22 auf Unterhaltsvereinbarungen keine Anwendung findet und der Verweigerungsgrund des ordre public in Abs 4 lit a eigens geregelt ist, ersetzt nach Abs 5 lit a der ordre public-Vorbehalt des Abs 4 lit a den ordre public-Vorbehalt des Art 22 lit a. 14 Lit b betrifft die Gründe, aus denen eine zunächst ergangene Entscheidung über die Vollstre-

ckung einer Unterhaltsvereinbarung im Nachhinein gem Art 23 Abs 6 angegriffen werden kann, ersetzt also Art 23 Abs 7. Dass lit b von „Anfechtung oder Beschwerde“, Art 23 Abs 6 ff hingegen von „Anfechtung oder Rechtsmittel“ sprechen, ist ohne Belang, da der Originaltext jeweils dieselben Begriffe verwendet („challenge or appeal“/„contestation ou appel“). Gründe für solch eine „Anfechtung oder Beschwerde“ sind nach lit b Nr i – in Parallele zu Art 23 Abs 7 lit a – die in Abs 4 genannten Gründe, die zur Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung berechtigen, nach lit b Nr ii – in Parallele zu Art 23 Abs 7 lit c – die Echtheit oder Unversehrtheit eines nach Abs 3 übermittelten Schriftstücks, wobei Abs 3 hier wiederum Parallelvorschrift zu den in Art 23 Abs 7 lit c genannten Regeln des Art 25 ist.

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Oktober 2014

Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 30 HUntVerfÜbk

Hat ein Vertragsstaat für das Verfahren nach Art 24 optiert, so greifen die Anpassungen des 15 Abs 5 lit c. Danach kann in Parallele zu Art 24 Abs 4 S 1 der Verweigerungsgrund des ordre public – bei Unterhaltsvereinbarungen aus Abs 4 lit a statt aus Art 22 lit a – von Amts wegen geprüft werden; eine Prüfung sämtlicher Verweigerungsgründe – bei Unterhaltsvereinbarungen aus Abs 4 statt aus Art 22 – sowie der Echtheit oder Unversehrtheit eines nach Abs 3 statt nach Art 25 übermittelten Schriftstücks kann in Parallele zu Art 24 Abs 4 S 2 bei Geltendmachung durch den Antragsgegner oder bei Zweifeln hinsichtlich dieser Gründe, die an dem äußeren Erscheinungsbild der Schriftstücke festmachen, stattfinden. Diese auf den ersten Blick komplizierten Regelungen bringen nach alldem letztlich keine 16 inhaltliche Veränderung mit sich, sondern sind die Konsequenz der Regelungstechnik des Übereinkommens, das die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsvereinbarungen in Art 30 geschlossen regelt, womit nicht zuletzt die heute in Abs 7 und 8 enthaltenen Erklärungen und Vorbehalte einfacher gestaltet werden können. 6. Aussetzung bei Anfechtung der Vereinbarung Abs 6 sieht die Aussetzung des auf Anerkennung und Vollstreckung gerichteten Verfahrens 17 vor, wenn die Vereinbarung in einem Vertragsstaat im Wege eines Anfechtungsverfahrens angegriffen wird. Anfechtungsverfahren ist jedes Verfahren, das auf Feststellung der Unwirksamkeit oder Beseitigung der Wirksamkeit der Unterhaltsvereinbarung gerichtet ist; eine Anfechtung der Vereinbarung im zivilrechtlichen Sinne kann, muss aber nicht Gegenstand des Verfahrens sein. Das Anfechtungsverfahren muss vor einer zuständigen Behörde eines Vertragsstaats anhängig sein. Die Zuständigkeit richtet sich mangels anderer Vorgaben des Übereinkommens nach der lex fori des Anfechtungsverfahrens. 7. Erklärung des Ausschlusses unmittelbarer Anträge Abs 7 erlaubt den Vertragsstaaten, durch Erklärung nach Art 63 andere als über die Zen- 18 tralen Behörden gestellte Anträge auszuschließen. Gegenüber dem Vorbehalt nach Abs 8 stellt die Erklärung nach Abs 7 ein Minus dar, dessen Filterwirkung die Einbeziehung von Unterhaltsvereinbarungen erlauben soll.9 Eine Erklärung in diesem Sinne hat bislang Norwegen abgegeben.

19

8. Vorbehalt gegen die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsvereinbarungen Abs 8 erlaubt den Vertragsstaaten einen umfassenden Vorbehalt gegen die Anerkennung 20 und Vollstreckung von Unterhaltsvereinbarungen. Die Vorbehaltsmöglichkeit erklärt sich aus den unterschiedlichen Positionen, die die verschiedenen Staaten gegenüber Unterhaltsvereinbarungen einnehmen.10 Einen solchen Vorbehalt hat die Ukraine erklärt.

9 10

21

Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1317; Borrás FS Siehr (2010) 173, 188. Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1315; Borrás FS Siehr (2010) 173, 185.

Christoph A. Kern

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B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Art 31 HUntVerfÜbk

III. Vergleich mit der EG-UntVO 22 Nach Art 48 EG-UntVO findet die EG-UntVO grundsätzlich auch auf die Anerkennung

und Vollstreckung öffentlicher Urkunden Anwendung. Unter öffentliche Urkunden fallen gem Art 2 Abs 1 Nr 3 lit a auch die Unterhaltsvereinbarungen iSd Übereinkommens. Die Regelung des Art 48 EG-UntVO verzichtet auf die genauen Anpassungen, die Art 30 vornimmt. Stattdessen begnügt sie sich damit, die Bestimmungen der Verordnung „soweit erforderlich“ gelten zu lassen (Art 48 Abs 2 EG-UntVO). Auch sieht sie die Möglichkeit eines Auszugs aus einer öffentlichen Urkunde ausdrücklich vor, der durch eine Behörde zu erstellen ist (Art 48 Abs 3 EG-UntVO).

Artikel 31: Aus dem Zusammenwirken provisorischer und bestätigender Anordnungen hervorgegangene Entscheidungen Ist eine Entscheidung aus dem Zusammenwirken einer in einem Staat erlassenen provisorischen Anordnung und einer von einer Behörde eines anderen Staates („Bestätigungsstaat“) erlassenen Anordnung hervorgegangen, mit der diese provisorische Anordnung bestätigt wird, so a) gilt jeder dieser Staaten im Sinne dieses Kapitels als Ursprungsstaat, b) sind die Voraussetzungen des Artikels 22 Buchstabe e erfüllt, wenn der Antragsgegner vom Verfahren im Bestätigungsstaat ordnungsgemäß benachrichtigt wurde und die Möglichkeit hatte, die Bestätigung der provisorischen Anordnung anzufechten, c) ist die Voraussetzung des Artikels 20 Absatz 6, dass die Entscheidung im Ursprungsstaat vollstreckbar sein muss, erfüllt, wenn die Entscheidung im Bestätigungsstaat vollstreckbar ist, und d) verhindert Artikel 18 nicht, dass ein Verfahren zur Änderung der Entscheidung in einem der beiden Staaten eingelegt wird. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelerläuterung 1. Internationale zweistufige Verfahren . . . 2. Anpassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ursprungsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I. II. III.

1 2 3 4 4

IV.

b) Gehörswahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vollstreckbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zuständigkeit für Abänderungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . . .

5 6 7 8

I. Normzweck 1 Unterhaltsentscheidungen können auch in einem zweistufigen Verfahren ergehen, dessen

erste Stufe eine provisorische Anordnung und dessen zweite Stufe eine bestätigende Anordnung ist. Sind provisorische Anordnung und bestätigende Anordnung in ein und demselben Staat ergangen, so finden auf die Entscheidung ohne Weiteres die allgemeinen Regeln des Kapitels V Anwendung. Ist hingegen die provisorische Anordnung in einem, die bestätigende Anordnung in einem anderen Staat ergangen – eine in den CommonwealthStaaten akzeptierte Praxis1 –, so stellen sich bei der Anwendung des Kapitels V verschiedene Fragen. Diese Fragen will Art 31 beantworten.

1

Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 567 f.

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Oktober 2014

Kapitel V: Anerkennung und Vollstreckung

Art 31 HUntVerfÜbk

II. Entstehungsgeschichte Eine Norm für zweistufige Verfahren, die bis auf lit d dem heutigen Art 31 entspricht, schlug 2 erst der Entwurf vom Januar 2007 vor.2 Lit d wurde erst im letzten Moment angefügt. III. Einzelerläuterung 1. Internationale zweistufige Verfahren Art 31 kommt zur Anwendung, wenn in einem Staat eine provisorische Anordnung, in 3 einem anderen Staat eine bestätigende Anordnung ergeht. Staat iSd Art 31 ist nur ein Vertragsstaat des Übereinkommens. Dies folgt wenn nicht aus Art 31, so jedenfalls aus den dort in Bezug genommenen Vorschriften. Der Staat, dessen Behörde die bestätigende Anordnung erlässt, wird als „Bestätigungsstaat“ legaldefiniert. 2. Anpassungen a) Ursprungsstaat Bei zwei beteiligten Staaten, in denen Entscheidungen über die Unterhaltspflicht ergehen, 4 die zusammenwirken, stellt sich die Frage, ob beide Staaten oder nur einer von ihnen als Ursprungsstaat iSd Übereinkommens anzusehen ist. Nach lit a gilt jeder dieser Staaten als Ursprungsstaat; allerdings treffen lit b-d Regelungen, die die Reichweite dieser Aussage einschränken. b) Gehörswahrung Lit b lässt die Gehörswahrung im Bestätigungsstaat ausreichen. Dabei muss der Antrags- 5 gegner einerseits nicht erst von der Entscheidung, sondern vom Verfahren ordnungsgemäß benachrichtigt worden sein. Andererseits reicht die Möglichkeit, die Bestätigung der provisorischen Anordnung anzufechten, aus; die Gehörswahrung im Bestätigungsstaat darf also auch nachträglich erfolgen. c) Vollstreckbarkeit Gem lit c reicht die Vollstreckbarkeit im Bestätigungsstaat aus. Dies kommt der berechtigten 6 Person entgegen, da die Bestätigung der provisorischen Entscheidung regelmäßig ohne Weiteres die Vollstreckbarkeit im Bestätigungsstaat zur Folge haben wird; anderenfalls müsste sie erst die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung bzw Eintragung im Staat der provisorischen Anordnung betreiben. d) Zuständigkeit für Abänderungsverfahren Art 18 könnte so verstanden werden, dass er ein Abänderungsverfahren nur im Ursprungs- 7 staat oder nur im Bestätigungsstaat zulässt. Lit d stellt klar, dass Abänderungsverfahren in beiden Staaten angestrengt werden können. Damit soll ein eventueller Ausschluss eines Abänderungsverfahrens im Ursprungsstaat der provisorischen Anordnung, der nicht dem Übereinkommen angehört, kompensiert werden.3 2

3

Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 17. Näher Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 569.

Christoph A. Kern

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B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Art 32 HUntVerfÜbk

IV. Vergleich mit der EG-UntVO 8 Die EG-UntVO enthält keine dem Art 31 entsprechende Vorschrift.

Kapitel VI: Vollstreckung durch den Vollstreckungsstaat Artikel 32: Vollstreckung nach dem innerstaatlichen Recht (1) Vorbehaltlich dieses Kapitels erfolgen die Vollstreckungsmaßnahmen nach dem Recht des Vollstreckungsstaats. (2) Die Vollstreckung erfolgt zügig. (3) Bei Anträgen, die über die Zentralen Behörden gestellt werden, erfolgt die Vollstreckung, wenn eine Entscheidung nach Kapitel V für vollstreckbar erklärt oder zwecks Vollstreckung eingetragen wurde, ohne dass ein weiteres Handeln des Antragstellers erforderlich ist. (4) Für die Dauer der Unterhaltspflicht sind die im Ursprungsstaat der Entscheidung geltenden Vorschriften maßgeblich. (5) Die Verjährungsfrist für die Vollstreckung von Zahlungsrückständen wird nach dem Recht des Ursprungsstaats der Entscheidung oder dem Recht des Vollstreckungsstaats bestimmt, je nachdem, welches Recht die längere Frist vorsieht. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelerläuterung 1. Vollstreckungsstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zügige Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I. II. III.

1 2 3 4

IV.

3. Unmittelbare Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . 4. Dauer der Unterhaltspflicht . . . . . . . . . . . . . 5. Verjährung der Vollstreckung von Zahlungsrückständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . . .

5 6 7 8

I. Normzweck 1 Art 32 bestätigt die international-verfahrensrechtliche Grundregel, wonach für die Vollstre-

ckung die lex fori gilt, verlangt eine zügige Vollstreckung und klärt einige Grundfragen. II. Entstehungsgeschichte 2 Von den in Art 32 enthaltenen Vorschriften war im Entwurf vom April 2004 nur die heute

von Abs 1 ausgesprochene Grundregel vorgesehen, nach der für die Vollstreckung die lex fori gilt.1 Im Entwurf von Oktober 2005 waren der Grundregel die heutigen Abs 4 und 5 angefügt,2 die auf Vorbilder in den USA zurückgehen.3 Der Entwurf vom Januar 2007 kannte 1

2

3

Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 19. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 16. Sec 604(a)(1), (b) Uniform Interstate Family Support Act; dazu Spector YB PIL 7 (2005) 63, 77.

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Oktober 2014

Kapitel VI: Vollstreckung durch den Vollstreckungsstaat

Art 32 HUntVerfÜbk

dann die heutige Regelung,4 die in der diplomatischen Konferenz ohne Diskussionen angenommen wurde.5 III. Einzelerläuterung 1. Vollstreckungsstatut Nach Abs 1 gilt für die Vollstreckungsmaßnahmen vorbehaltlich der Regeln des Überein- 3 kommens die lex fori. Diese Regelung entspricht internationaler Üblichkeit und ist sinnvoll, um die Vollstreckung nicht zusätzlich durch die Geltung eines eventuell unbekannten Rechts zu erschweren. Gem Art 57 lit c hat jeder Vertragsstaat eine Beschreibung seines Vollstreckungsrechts dem Ständigen Büro zur Verfügung zu stellen. 2. Zügige Vollstreckung Abs 2 fordert zur zügigen Vollstreckung auf, ist aber programmatischer Natur und ohne 4 unmittelbare Sanktion.6 Denkbar erscheint, dass eine anderweitig vorgesehene Sanktion für ungebührliche Verzögerung aufgrund dieses klaren Programmsatzes schärfer ausfällt (vgl Art 23 Rn 18). 3. Unmittelbare Vollstreckung Abs 3 enthält einen durchaus weitreichenden Eingriff in die Grundregel des Abs 1, indem er 5 bei Anträgen über die Zentralen Behörden ohne weitere Handlung des Antragstellers, mithin insbesondere ohne jeden auf eine bestimmte Vollstreckungsmaßnahme gerichteten Antrag, den unmittelbaren Beginn der Vollstreckung bestimmt. Staaten, die in liberaler Tradition dem Gläubiger die Entscheidung über das Ob und das Wie der Vollstreckung überlassen,7 müssen daher für eine Vollstreckung nach dem Übereinkommen ergänzende Regeln schaffen, die einer staatlichen oder unter staatlicher Aufsicht stehenden Stelle – letztlich wird dies die Zentrale Behörde sein – die Entscheidung über das konkrete Vorgehen übertragen. 4. Dauer der Unterhaltspflicht Keine international-verfahrensrechtliche, sondern eine international-privatrechtliche Rege- 6 lung trifft Abs 4, der die Dauer der Unterhaltspflicht den im Ursprungsstaat der Entscheidung geltenden Vorschriften unterstellt. Fraglich ist, ob es sich hierbei um eine Sachnormverweisung oder eine Gesamtverweisung handelt. Sinn und Zweck der Norm dürften darin bestehen, die Unterhaltspflicht nicht nur hinsichtlich ihrer Entstehung und ihres Umfangs, sondern auch hinsichtlich ihrer Dauer so zu behandeln, wie sie von den Gerichten bzw Verwaltungsbehörden des Staats behandelt würde, aus dem die anzuerkennende und zu

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Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 18. Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1313. Vgl Fucik iFamZ 2008, 219, 227: „Art 32 Abs 2 spricht ein großes Wort gelassen aus.“ Baur/Stürner/Bruns Zwangsvollstreckungsrecht13 (2006) Rn 2.3, 5.6, 6.6.

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Art 33 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

vollstreckende Entscheidung stammt. Dann muss aber auch im Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat das Recht zur Anwendung kommen, das im Ursprungsstaat angewandt werden würde; es muss sich also um eine Gesamtverweisung handeln.8 5. Verjährung der Vollstreckung von Zahlungsrückständen 7 Sieht man – wie in den Ländern des Civil Law üblich – in der Verjährung ein materiell-

rechtliches Institut, so trifft auch Abs 5 eine international-privatrechtliche Regelung, bestimmt er doch, welches Recht über die Dauer der Verjährungsfrist bestimmt. Dabei kommt er dem Unterhaltsgläubiger weit entgegen, in dem er die Entscheidung zwischen dem Recht des Ursprungsstaats und dem Recht des Vollstreckungsstaats danach trifft, welches dieser Rechte die längere Frist vorsieht. Gegenstand der Regelung ist aber ausschließlich die Frist, in der „die Vollstreckung von Zahlungsrückständen“ verjährt, also aus titulierten Ansprüchen auf die Zahlung rückständigen Unterhalts nicht mehr vollstreckt werden kann. Das auf den Verjährungsbeginn und die Verjährung der laufenden Ansprüche anzuwendende Recht regelt Abs 5 nicht. Nach dem Wortlaut ist auch dann die längere Frist maßgeblich, wenn diese früher beginnt und vor der später begonnenen kürzeren Frist endet. Sinn und Zweck sprechen jedoch dafür, auf das Fristende abzustellen.9 IV. Vergleich mit der EG-UntVO 8 Auch die EG-UntVO geht gem Art 41 Abs 1 EG-UntVO von dem in Abs 1 festgehaltenen

Grundsatz aus, dass für die Vollstreckung die lex fori gilt.10 Der Gedanke des Abs 5 findet sich für Mitgliedstaaten, die durch das HUntStProt 2007 gebunden sind, in Art 21 Abs 2 UAbs 1 EG-UntVO.

Artikel 33: Nichtdiskriminierung Für die von diesem Übereinkommen erfassten Fälle sieht der Vollstreckungsstaat Vollstreckungsmaßnahmen vor, die mit den auf innerstaatliche Fälle anzuwendenden Maßnahmen mindestens gleichwertig sind.

I. Normzweck 1 Art 33 statuiert speziell für den Bereich der Vollstreckungsmaßnahmen, die für die Durch-

setzung einer unter dem Übereinkommen anerkannten und zu vollstreckenden Entscheidung zur Verfügung stehen, ein Diskriminierungsverbot.

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Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 575. Fucik iFamZ 2008, 219, 228. Die Idee, die Gerichte des Ursprungsstaats Vollstreckungsmaßnahmen anordnen zu lassen, wurde wieder aufgegeben; Eames IFL March 2009, 47, 51.

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Kapitel VI: Vollstreckung durch den Vollstreckungsstaat

Art 34 HUntVerfÜbk

II. Entstehungsgeschichte Ein für die Vollstreckungsmaßnahmen geltendes Diskriminierungsverbot war von Anfang 2 an vorgesehen.1 III. Einzelerläuterung Art 33 verlangt in der deutschen Übersetzung „mindestens gleichwertig[e]“ Vollstre- 3 ckungsmaßnahmen für Fälle, auf die das Übereinkommen Anwendung findet. Dies entspricht auch der verbindlichen französischen Fassung, die „mesures d’exécution au moins équivalentes“2 vorschreibt. Danach scheint es durchaus zulässig, bestimmte in innerstaatlichen Fällen verfügbare Vollstreckungsmaßnahmen für Fälle unter dem Übereinkommen nicht zur Verfügung zu stellen, wenn nur gleichwertiger Ersatz besteht. Allerdings verlangt die ebenfalls verbindliche englische Fassung, der Vollstreckungsstaat solle „at least the same range of enforcement methods“3 zur Verfügung stellen. Die spanische Fassung, wiewohl nicht verbindlich, fordert sogar „al menos los mismos mecanismos de ejecución“.4 Englische und spanische Fassung sprechen also gegen jede Differenzierung und stellen nicht auf Gleichwertigkeit ab. Angesichts dessen, dass ein Gleichwertigkeitsurteil kaum sinnvoll möglich erscheint, wird man daher entgegen dem französischen Wortlaut und der deutschen Übersetzung ein Zurückstehen der Übereinkommensfälle hinter rein innerstaatlichen Fällen insgesamt für unzulässig halten müssen. In dem das Übereinkommen „mindestens“ gleichwertige, dh dieselben (soeben Rn 3), Voll- 4 streckungsmaßnahmen verlangt, steht es einer Verfügbarkeit zusätzlicher Vollstreckungsmaßnahmen für Fälle, die unter das Übereinkommen fallen, nicht entgegen. Eine Inländerdiskriminierung verstößt also jedenfalls nicht gegen das Übereinkommen.5 IV. Vergleich mit der EG-UntVO Die EG-UntVO kommt angesichts des allgemeinen Diskriminierungsverbots in Art 18 5 AEUV und des Gleichheitsgebots in Art 20 der Grundrechtecharta ohne eine eigene Vorschrift für die Vollstreckungsmaßnahmen aus.

Artikel 34: Vollstreckungsmaßnahmen (1) Die Vertragsstaaten stellen in ihrem innerstaatlichen Recht wirksame Maßnahmen zur Vollstreckung von Entscheidungen nach diesem Übereinkommen zur Verfügung. (2) Solche Maßnahmen können Folgendes umfassen: a) Lohnpfändung; b) Pfändung von Bankkonten und anderen Quellen; 1

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Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 19. Hervorhebung hinzugefügt. Hervorhebung hinzugefügt. Hervorhebung hinzugefügt. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 580.

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Art 34 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

c) d) e) f) g) h)

Abzüge bei Sozialleistungen; Pfändung oder Zwangsverkauf von Vermögenswerten; Pfändung von Steuerrückerstattungen; Einbehaltung oder Pfändung von Altersrentenguthaben; Benachrichtigung von Kreditauskunftsstellen; Verweigerung der Erteilung, vorläufige Entziehung oder Widerruf einer Bewilligung (z. B. des Führerscheins); i) Anwendung von Mediation, Schlichtung oder sonstigen Methoden alternativer Streitbeilegung, um eine freiwillige Befolgung zu fördern. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Einzelerläuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

I. II. III.

IV.

1. Wirksame Vollstreckungsmaßnahmen 3 2. Beispiele für Vollstreckungsmaßnahmen 4 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . . . 6

I. Normzweck 1 Art 34 verlangt in Abs 1 wirksame Vollstreckungsmaßnahmen und nennt in Abs 2 exem-

plarisch einige in Betracht kommende Maßnahmen, um damit ggf einen Anstoß zur Reform des nationalen Vollstreckungsrechts zu geben. II. Entstehungsgeschichte 2 Eine Vorschrift, die effektive Vollstreckungsmaßnahmen verlangt und verschiedene in Be-

tracht kommende Maßnahmen aufzählt, war von Anfang an vorgesehen und stand ursprünglich sogar am Beginn des Kapitels über die Vollstreckung.1 Zwischenzeitlich verlangte die Vorschrift die „wirksamsten“ bestehenden Vollstreckungsmaßnahmen;2 im Januar 2007 war sie dann zu „wirksamen“ Maßnahmen zurückgekehrt und in die heutigen zwei Absätze aufgespalten.3 Abs 2 lit i kam erst ganz zum Schluss hinzu.4 Die Vorschrift wurde heftig debattiert.5 III. Einzelerläuterung 1. Wirksame Vollstreckungsmaßnahmen 3 Abs 1 verlangt von den Vertragsstaaten, zur Vollstreckung von Entscheidungen nach diesem

Übereinkommen wirksame Vollstreckungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen; da sich

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Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 19. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 15. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 18. Vgl noch Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 18. Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1313.

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Kapitel VI: Vollstreckung durch den Vollstreckungsstaat

Art 34 HUntVerfÜbk

die Vollstreckungsmaßnahmen nach innerstaatlichem Recht richten, beinhaltet dies ggf die Pflicht zur Einführung wirksamer Maßnahmen ins innerstaatliche Recht. Operabel dürfte die Vorschrift insoweit freilich kaum sein. 2. Beispiele für Vollstreckungsmaßnahmen Abs 2 verlangt nicht etwa – wie dies dem Wunsch der USA entsprochen hätte6 –, dass das 4 innerstaatliche Recht die von ihm aufgezählten Maßnahmen zulassen müsse; die Verfügbarkeit der von ihm genannten Maßnahmen ist lediglich illustrativ und nicht zwingend, die Liste der Maßnahmen nicht erschöpfend.7 Abs 2 kann jedoch in die Richtung einer Pflicht zur Einführung bestimmter Maßnahmen wirken, wenn die bestehenden Maßnahmen sich als wenig effektiv erweisen.8 Aus deutscher Sicht bemerkenswert sind Maßnahmen mit Beugecharakter,9 wie Abzüge bei Sozialleistungen (lit c), die Benachrichtigung von Kreditauskunftstellen (lit g) sowie die Verweigerung der Erteilung, die vorläufige Entziehung sowie der Widerruf von Bewilligungen, die – offensichtlich beim ausdrücklich genannten Führerschein – mit der Unterhaltspflicht nicht notwendigerweise in Zusammenhang stehen (lit h). Derart „schneidige“ Beugemaßnahmen passen zu einem System, in dem die Nichtbeachtung eines Unterhaltstitels als contempt of court angesehen werden kann, und haben daher ihren Ursprung in den USA.10 Aus kontinentaleuropäischer Sicht erscheint die Einführung solcher Maßnahmen nicht unproblematisch und müsste jedenfalls unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und der strafrechtlichen Verfahrensgarantien geschehen. Der Wert alternativer Streitbeilegung auf der Ebene der Vollstreckung (lit i) ist, sofern sie 5 über Vereinbarungen mit Vollstreckungsorganen zB über Zahlungsziele hinausgeht,11 zweifelhaft,12 die Einordnung als Vollstreckungsmaßnahme ungenau.13 Nicht gemeint sein kann jedenfalls, dass der berechtigten Person auf diese Weise das schon titulierte Recht wieder genommen werden könnte.

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Carlson Fam LQ 43 (2009) 21, 34; siehe auch Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 326 („compromise“). Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1313; Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 326; Eames IFL March 2009, 47, 52; Levante FS Schwander (2011) 729, 741; Long ICLQ 57 (2008) 984, 991. Etwas vorsichtiger Long ICLQ 57 (2008) 984, 991 f; letztlich auch Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 583. Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1313; Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 583. Smith Fam LQ 43 (2008) 37, 47; siehe auch Fucik iFamZ 2008, 56 Fn 7 („recht transatlantische Repressalien“). Vgl zB für Deutschland § 802b ZPO. Nimmerrichter Handbuch Rn 375 Fn 579. Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1313; Fucik iFamZ 2008, 219, 228.

Christoph A. Kern

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Art 35 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

IV. Vergleich mit der EG-UntVO 6 Da auf der Ebene der EU das Zwangsvollstreckungsrecht Gegenstand selbständiger Projekte

ist,14 enthält die EG-UntVO keine dem Art 34 entsprechende Vorschrift.15

Artikel 35: Überweisung von Geldbeträgen (1) Die Vertragsstaaten werden aufgefordert, auch durch internationale Übereinkünfte den Einsatz der kostengünstigsten und wirksamsten verfügbaren Mittel zur Überweisung von Geldbeträgen zu fördern, die zur Erfüllung von Unterhaltsansprüchen bestimmt sind. (2) Bestehen nach dem Recht eines Vertragsstaats Beschränkungen für die Überweisung von Geldbeträgen, so gewährt dieser Vertragsstaat der Überweisung von Geldbeträgen, die zur Erfüllung von Ansprüchen nach diesem Übereinkommen bestimmt sind, den größtmöglichen Vorrang. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Einzelerläuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

I. II. III.

IV.

1. Überweisungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2. Überweisungsbeschränkungen . . . . . . . . . . 4 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . . . 5

I. Normzweck 1 Art 35 will Kosten und Schwierigkeiten beim Transfer von Unterhaltszahlungen begegnen,

die in den vom Übereinkommen erfassten Fällen häufig die Form grenzüberschreitender Zahlungen annehmen.1 Abs 1 fordert die Vertragsstaaten auf, den Einsatz der kostengünstigsten und wirksamsten Mittel zu fördern, Abs 2 wünscht bei Devisenbeschränkungen für Unterhaltszahlungen den größtmöglichen Vorrang. II. Entstehungsgeschichte 2 Eine dem heutigen Art 35 sehr ähnliche Vorschrift war schon im Entwurf vom April 2004

enthalten, allerdings an anderer Stelle verortet und in Abs 2 ausdrücklich auch um eine Begünstigung von Verfahrenskosten bemüht.2 Im Entwurf vom Januar 2005 war dann die

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S insbesondere den Verordnungsvorschlag zur Einführung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, Europäische Kommission, 25.7.2011, KOM (2011) 445, der am 15.4.2014 im Europäischen Parlament in erster Lesung beraten wurde und inzwischen in die Verordnung (EU) Nr 655/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.5.2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung […], ABl EU 2014 L 189/59 gemündet ist; weiter zB Europäische Kommission, 6.3.2008, KOM (2008) 128; Europäisches Parlament, 22.4. 2009, ABl C 1184 E/7. Eames IFL March 2009, 47, 52. Lortie, Transfert de fonds et utilisation des technologies de l’information dans le cadre du recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 9, mai 2004. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 13 f.

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Kapitel VI: Vollstreckung durch den Vollstreckungsstaat

Art 35 HUntVerfÜbk

Einordnung in das Kapitel über die Vollstreckung,3 im Entwurf vom Oktober 2005 der heutige Wortlaut erreicht.4 III. Einzelerläuterung 1. Überweisungsverkehr Abs 1, der Art 20 des Übereinkommens von Montevideo5 nachempfunden ist,6 will den 3 Einsatz der kostengünstigsten und wirksamsten Mittel zur Überweisung von Unterhaltszahlungen erreichen und weist dabei ausdrücklich darauf hin, ggf internationale Übereinkünfte zu schließen. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um einen an die Vertragsstaaten gerichteten Programmsatz;7 allenfalls eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Verhandlungsbereitschaft über derartige Übereinkünfte wird sich aus ihm ableiten lassen. In Deutschland hat die Zentrale Behörde die von den Verpflichteten eingezogenen Unterhaltsgelder an die Berechtigten nach den für Haushaltsmittel des Bundes geltenden Regeln zu übermitteln,8 was den Anforderungen des Art 35 Abs 1 genügen sollte. Die Übersendung eines Schecks, wie sie bei Zahlungen aus den USA, Kanada und Australien üblich ist, sollte aber durch schnellere Übermittlungswege ersetzt werden.9 2. Überweisungsbeschränkungen Auch Abs 2, der Art 22 HUntAVÜbk 1973 entspricht,10 ist kaum operabel.11 Er verlangt 4 dann, wenn ein Vertragsstaat Beschränkungen des – insbesondere: internationalen – Überweisungsverkehrs vorsieht, die Behandlung von Unterhaltszahlungen mit größtmöglichem Vorrang. Was möglich ist, bleibt jedoch dem Vertragsstaat selbst überlassen, der die Beschränkungen eingeführt hat. IV. Vergleich mit der EG-UntVO Eine dem Art 35 entsprechende Vorschrift findet sich in der EG-UntVO nicht.

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Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 15. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 15. Vgl Einleitung Rn 7. Vgl Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 13 Fn 87. Siehe für die Zentralen Behörden Art 6 Abs 2 lit f. § 5 Abs 6 AUG idF des Art 1 Nr 4 G v 20.2.2013, BGBl 2013 I 273, 274. Fucik iFamZ 2008, 219, 228. Vgl Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 14 Fn 88. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 585: „portée morale“.

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B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Art 36 HUntVerfÜbk

Kapitel VII: Öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen Artikel 36: Öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen als Antragsteller (1) Für die Zwecke eines Antrags auf Anerkennung und Vollstreckung nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstaben a und b und der von Artikel 20 Absatz 4 erfassten Fälle schließt der Begriff „berechtigte Person“ eine öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung, die für eine unterhaltsberechtigte Person handelt, oder eine Einrichtung, der anstelle von Unterhalt erbrachte Leistungen zu erstatten sind, ein. (2) Für das Recht einer öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtung, für eine unterhaltsberechtigte Person zu handeln oder die Erstattung der der berechtigten Person anstelle von Unterhalt erbrachten Leistung zu fordern, ist das Recht maßgebend, dem die Einrichtung untersteht. (3) Eine öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung kann die Anerkennung oder Vollstreckung folgender Entscheidungen beantragen: a) einer Entscheidung, die gegen eine verpflichtete Person auf Antrag einer öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtung ergangen ist, welche die Bezahlung von Leistungen verlangt, die anstelle von Unterhalt erbracht wurden; b) einer zwischen einer berechtigten und einer verpflichteten Person ergangenen Entscheidung, soweit der berechtigten Person Leistungen anstelle von Unterhalt erbracht wurden. (4) Die öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung, welche die Anerkennung einer Entscheidung geltend macht oder deren Vollstreckung beantragt, legt auf Verlangen alle Schriftstücke vor, aus denen sich ihr Recht nach Absatz 2 und die Erbringung von Leistungen an die berechtigte Person ergeben. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelerläuterung 1. Erfasste Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anträge auf Anerkennung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I. II. III.

1 2 3 IV.

a) Erfasste Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anträge über die Zentralen Behörden . . . 3. Nichtanerkennung wegen Vorbehalts . . . 4. Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Normzweck 1 Art 36 stellt klar, wann auch öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen in den

Genuss bestimmter Regelungen des Übereinkommens zu Anerkennung und Vollstreckung kommen. II. Entstehungsgeschichte 2 Die Klarstellung, dass auch öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen von den

Vergünstigungen des Übereinkommens profitieren können, war von Anfang an ein wichtiges Anliegen der Haager Konferenz.1 Der Entwurf vom April 2004 orientierte sich an 1

Zum Streitstand hinsichtlich des NYUntÜbk 1956 Bartl Die neuen Rechtsinstrumente zum IPR des Unterhalts (2012) 29 f.

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Kapitel VII: Öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen

Art 36 HUntVerfÜbk

Art 18 f HUntAVÜbk 1973, hatte aber schon von der Gegenkontrolle durch das internationale Privatrecht des Vollstreckungsstaats (Art 18 Nr 2 HUntAVÜbk 1973) Abstand genommen.2 Im Oktober 2005 wurde dann ein einheitlicher Artikel vorgeschlagen, der in seinen Abs 3 und 4 die beiden Fälle regelte, die bis dahin in zwei Artikeln behandelt waren, und im Übrigen der heutigen Fassung sehr nahekam.3 Im Januar 2007 waren Abs 1 präzisiert und aus den beiden Absätzen die beiden Fälle des heutigen Abs 3 geworden;4 die endgültige Fassung des Abs 1 erfolgte erst spät. III. Einzelerläuterung 1. Erfasste Einrichtungen Öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen sind ausweislich der Abs 1 und 2 3 Einrichtungen, die für eine unterhaltsberechtigte Person handeln oder denen anstelle von Unterhalt erbrachte Leistungen zu erstatten sind. Dies sind zum einen Einrichtungen, die ganz allgemein als Vertreter einer berechtigten Person handeln oder zu solchem Handeln im Hinblick auf Unterhaltspflichten generell oder als Prozessstandschafter befugt sind,5 zum anderen Einrichtungen, die aus übergegangenem6 oder eigenem Recht tätig werden, weil sie die berechtigte Person während einer Zeit unterstützt haben, zu der sie eigentlich hätte Unterhalt bekommen sollen, und nun – gleich ob nach Privatrecht oder öffentlichem Recht7 – eine Erstattung für ihre Unterhaltsleistungen begehren (Unterhaltsregress im engeren Sinne). Es muss sich nicht um eine öffentliche Einrichtung handeln, sondern nur um eine öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung. Daher können auch halbstaatliche oder private gemeinnützige Organisationen unter Art 36 fallen, wenn diesen die Unterhaltsersatzleistung übertragen oder überlassen wurde.8 Nicht erfasst ist jedoch eine Einrichtung, die Sozialhilfe unabhängig von jedem Unterhaltsanspruch gewährt hat.9 Das auf die Frage, ob eine Einrichtung für eine unterhaltsberechtigte Person handeln oder 4 die Erstattung fordern kann, anzuwendende Recht ist gem Abs 2 das Recht, dem die Einrichtung untersteht. Nach Sinn und Zweck kann es sich hierbei nur um eine Sachnormverweisung handeln.

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Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 13 f. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 16. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 19. Für Deutschland etwa die Jugendämter (Heger Unterhaltsrealisierung Rn 28) und die Zentralen Behörden (§ 5 Abs 4 S 1 AUG). Für Deutschland etwa § 7 Unterhaltsvorschussgesetz, vgl BT-Drs 17/4887 S 33. Andrae FPR 2013, 38, 39. Andrae FPR 2013, 38, 39. Andrae Internationales Familienrecht § 8 Rn 30.

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Art 36 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

2. Anträge auf Anerkennung und Vollstreckung a) Erfasste Entscheidungen 5 Für welche Entscheidungen eine öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung die An-

erkennung oder Vollstreckung beantragen kann, sagt Abs 3: für Entscheidungen, die die Einrichtung selbst erstritten hat und die auf Erstattung lauten (lit a) sowie für Entscheidungen, die zwischen der berechtigten und der verpflichteten Person ergangen sind, wenn der berechtigten Person anstelle von Unterhalt Leistungen erbracht wurden (lit b) und – dies spricht das Übereinkommen nicht explizit aus – der Unterhaltsanspruch daher auf die Einrichtung übergegangen oder ihr ein eigener Unterhaltsanspruch entstanden ist. b) Anträge über die Zentralen Behörden 6 Abs 1 dehnt die Definition der „berechtigten Person“ für die Zwecke des Art 10 Abs 1 lit a

und b auch auf öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen iSd Rn 3 f aus. Damit können diese Einrichtungen Anträge auf Anerkennung oder Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung (Art 10 Abs 1 lit a) oder auf Vollstreckung einer im ersuchten Staat ergangenen oder anerkannten Entscheidung (Art 10 Abs 1 lit b) über die Zentralen Behörden stellen. Andere Anträge, etwa auf Herbeiführung einer Entscheidung (Art 10 Abs 1 lit c), stehen den Einrichtungen hingegen nicht zur Verfügung.10 3. Nichtanerkennung wegen Vorbehalts 7 Falls eine Entscheidung wegen eines nach Art 20 Abs 2 angebrachten Vorbehalts gegen eine

der dort genannten indirekten Zuständigkeiten nicht anerkannt werden kann, so hat der betreffende Staat gem Abs 1 die von Art 20 Abs 4 vorgesehene Unterstützung auf die Herbeiführung einer Entscheidung zugunsten der öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtung zu richten. 4. Prüfung 8 Gem Abs 4 hat die öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung zum einen ihre Be-

rechtigung zum Handeln für die berechtigte Person bzw zur Einforderung einer Erstattung nach dem gem Abs 2 anwendbaren Recht, zum anderen die Tatsache, dass und inwieweit sie tatsächlich Leistungen an die berechtigten Person erbracht hat, mithilfe von Schriftstücken nachzuweisen. Hieraus folgt zunächst ganz grundsätzlich, dass der Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat diese Fragen prüfen darf. Sodann folgt aus dem Fehlen jeder Einschränkungen weiter, dass diese Prüfung jederzeit, also auch ohne Geltendmachung durch den Antragsgegner oder Zweifeln an der Berechtigung, durchgeführt werden darf. IV. Vergleich mit der EG-UntVO 9 Parallelvorschrift zu Art 36 ist Art 64 EG-UntVO, der Art 36 bis auf dessen Verweis auf

Art 20 Abs 411 fast durchweg wörtlich entspricht.

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Andrae FPR 2013, 38, 42; Bartl Die neuen Rechtsinstrumente zum IPR des Unterhalts (2012) 31. Dies folgt daraus, dass die EG-UntVO mangels Vorbehaltsmöglichkeit keine Parallele zu Art 20 Abs 4 enthält; Andrae FPR 2013, 38, 44.

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Kapitel VIII: Allgemeine Bestimmungen

Art 37 HUntVerfÜbk

Kapitel VIII: Allgemeine Bestimmungen Artikel 37: Unmittelbar bei den zuständigen Behörden gestellte Anträge (1) Dieses Übereinkommen schließt die Möglichkeit nicht aus, die nach dem innerstaatlichen Recht eines Vertragsstaats zur Verfügung stehenden Verfahren in Anspruch zu nehmen, die es einer Person (dem Antragsteller) gestatten, sich in einer im Übereinkommen geregelten Angelegenheit unmittelbar an eine zuständige Behörde dieses Staates zu wenden, vorbehaltlich des Artikels 18 auch, um eine Unterhaltsentscheidung oder deren Änderung herbeizuführen. (2) Artikel 14 Absatz 5 und Artikel 17 Buchstabe b, die Kapitel V, VI und VII sowie dieses Kapitel mit Ausnahme der Artikel 40 Absatz 2, 42, 43 Absatz 3, 44 Absatz 3, 45 und 55 sind auf Anträge auf Anerkennung und Vollstreckung anzuwenden, die unmittelbar bei einer zuständigen Behörde eines Vertragsstaats gestellt werden. (3) Für die Zwecke des Absatzes 2 ist Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a auf eine Entscheidung anzuwenden, die einer schutzbedürftigen Person, deren Alter über dem unter jenem Buchstaben genanntem Alter liegt, Unterhalt zubilligt, wenn die betreffende Entscheidung ergangen ist, bevor die Person dieses Alter erreicht hat, und der Person durch die Entscheidung aufgrund ihrer Beeinträchtigung über dieses Alter hinaus Unterhalt gewährt wurde. I. II. III.

Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Einzelerläuterung 1. Zulässigkeit unmittelbarer Anträge . . . . . 3

IV.

2. Regime unmittelbarer Anträge . . . . . . . . . . 4 3. Schutzbedürftige Personen . . . . . . . . . . . . . . 5 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . . . 6

I. Normzweck Art 37 stellt in Abs 1 klar, dass die von dem Übereinkommen vorgesehenen Regeln für 1 Anträge über die Zentralen Behörden keine Exklusivität beanspruchen, sondern die nach innerstaatlichem Recht verfügbaren Verfahren weiterhin angestrengt werden können. Auf solche Anträge sind gem Abs 2 eine Reihe der Vorschriften des Übereinkommens anzuwenden. Gem Abs 3 finden die von Abs 2 für anwendbar erklärten Vorschriften sogar auf solche Entscheidungen Anwendung, die einer über 21 Jahre alten schutzbedürftigen Person (Art 3 lit f) Unterhalt zusprechen, wenn nur die Entscheidung vor Erreichen dieses Alters ergangen ist und der schutzbedürftigen Person über dieses Alter hinaus Unterhaltsansprüche gerade aufgrund ihrer Schutzbedürftigkeit zuspricht. II. Entstehungsgeschichte Für unmittelbare Anträge enthielten die Entwürfe von Anfang an eine kurze Vorschrift, die 2 wie heute Art 19 Abs 5 das Kapitel über Anerkennung und Vollstreckung grundsätzlich für anwendbar erklärte.1 Der heutige Abs 1 und Vorläufer des Abs 2 begegnen erst im Januar

1

Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 21.

Christoph A. Kern

1043

Art 37 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

und Juni 2007.2 Abs 3 über schutzbedürftige Personen fand wiederum erst ganz zuletzt den Weg in das Übereinkommen. III. Einzelerläuterung 1. Zulässigkeit unmittelbarer Anträge 3 Nach dem Vorbild des Art 29 HKindEntfÜbk3 stellt Abs 1 klar, dass das Übereinkommen

einen unmittelbaren Zugang zu den Gerichten und Verwaltungsbehörden eines Vertragsstaats nicht ausschließt. Voraussetzung ist nur, dass ein solcher unmittelbarer Zugang vom Recht des jeweiligen Staates vorgesehen ist. Dies gilt auch für erneute Entscheidungen oder Änderungsentscheidungen, sofern nicht ein Fall vorliegt, in dem die Verfahrensbegrenzung nach Art 18 zum Tragen kommt. 2. Regime unmittelbarer Anträge 4 Wurde ein Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung unmittelbar gestellt, so ordnet Abs 2

die Geltung bestimmter Regelungen des Übereinkommens an. Dies sind das Verbot, eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung zu verlangen (Art 14 Abs 5), das Gebot unentgeltlicher juristischer Unterstützung, wenn eine solche im Ursprungsstaat gewährt wurde (Art 17 lit b), die Kapitel über Anerkennung und Vollstreckung (Kapitel V), Vollstreckung (Kapitel VI) und öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen (Kapitel VII) sowie der Allgemeinen Bestimmungen mit den Ausnahmen der Regelungen über die „Berücksichtigung“ von Entscheidungen einer Zentralen Behörde (Art 40 Abs 2), über die Vollmacht (Art 42), über die Eintreibung von Kosten durch den Staat (Art 43 Abs 3), über die Sprachregelung für den Schriftwechsel unter Zentralen Behörden (Art 44 Abs 3) und die Übersetzung (Art 45) sowie der Regelung über die Formulare (Art 55). 3. Schutzbedürftige Personen 5 Der überaus kompliziert aufgebaute Abs 3 besagt, dass die von Abs 2 berufenen Vorschriften

des Übereinkommens auch dann Anwendung finden, wenn eine über 21 Jahre alte schutzbedürftige Person einen unmittelbaren Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung gestellt hat, sofern die Entscheidung vor Erreichen des 21. Lebensjahres ergangen ist und gerade wegen der Schutzbedürftigkeit auch über dieses Alter hinaus Unterhalt gewährt. Damit wird, wie der Verweis in Abs 3 auf Art 2 Abs 1 lit a deutlich macht, letztlich der Anwendungsbereich des Übereinkommens erweitert.4 Allerdings dürfte diese Erweiterung selten praktisch werden, da gerade schutzbedürftige Personen ohne Hilfe durch Zentrale Behörden kaum je einen unmittelbaren Antrag werden stellen können.5 2

3

4 5

Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 20; Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 20. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 21 Fn 119. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 603. Nimmerrichter Handbuch Rn 208.

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Kapitel VIII: Allgemeine Bestimmungen

Art 38 HUntVerfÜbk

IV. Vergleich mit der EG-UntVO Eine Entsprechung des Art 37 fehlt in der EG-UntVO. Dass die Vorschriften über Aner- 6 kennung und Vollstreckung auch bei unmittelbar gestellten Anträgen gelten, ergibt sich aus Art 16 EG-UntVO sowie ganz allgemein daraus, dass die Regeln über die Zusammenarbeit der Behörden in der EG-UntVO hinter den Regeln über Anerkennung und Vollstreckung stehen. Für schutzbedürftige Personen enthält die EG-UntVO keine Sonderregelungen.

Artikel 38: Schutz personenbezogener Daten Die nach diesem Übereinkommen gesammelten oder übermittelten personenbezogenen Daten dürfen nur für die Zwecke verwendet werden, zu denen sie gesammelt oder übermittelt worden sind.

I. Normzweck Art 38 ordnet eine strenge Zweckbindung der personenbezogenen Daten an, die nach 1 diesem Übereinkommen gesammelt oder übermittelt wurden. Dies soll nicht zuletzt auch den Beteiligten die Angst vor einer Weitergabe ihrer Daten nehmen und so Hürden für die Nutzung des Übereinkommens und eine effektive Kooperation abbauen.1 II. Entstehungsgeschichte Der heutige Art 38, der Art 41 KSÜ und Art 39 HErwSÜbk 2000 entspricht, war ab dem 2 Entwurf vom Oktober 2005 vorgesehen.2 III. Einzelerläuterung Personenbezogene Daten sind alle Informationen über eine identifizierbare Person. Ein 3 besonderes Geheimhaltungsinteresse braucht nicht zu bestehen. Beispiele sind Namen, Wohn- und Geburtsort, Beschäftigung, Alter, finanzielle und familiäre Verhältnisse, aber auch schon die Tatsache, Partei eines Unterhaltsverfahrens gewesen zu sein. Nach diesem Übereinkommen gesammelt sind Daten, die im Rahmen eines unter das 4 Übereinkommen fallenden Unterhaltsverfahrens erhoben wurden; nach diesem Übereinkommen übermittelt sind sie, wenn sie im Rahmen eines solchen Verfahrens weitergeleitet wurden. Erfasst sind insbesondere die Informationen, die Art 11 vorsieht. Auch Informationen, die nur anlässlich eines solchen Verfahrens gesammelt oder übermittelt wurden, sind jedoch dem Schutz des Art 38 unterworfen. Zweck der Sammlung und Übermittlung der personenbezogenen Daten ist die Durchfüh- 5 rung oder Unterstützung eines der vom Übereinkommen genannten Unterhaltsverfahren. 1 2

Vgl Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 606. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 17.

Christoph A. Kern

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Artt 39, 40 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Jede andere Verwendung, zB eine Verwendung durch Polizei und Geheimdienste zu Fahndungszwecken, ist völkerrechtswidrig, mag sie auch nach innerstaatlichem Recht zulässig sein. 6 In Deutschland gilt für die Zentrale Behörde ergänzend § 19 AUG, dessen Abs 2 über Art 38

hinaus eine Löschung nicht oder nicht mehr erforderlicher Daten vorsieht. IV. Vergleich mit der EG-UntVO 7 Art 62 Abs 2 und 3 EG-UntVO enthalten spezielle Regeln über die Zweckbindung erlangter

Informationen, unter die gerade auch personenbezogene Daten fallen. Im Übrigen gelten Art 8 der Grundrechtecharta sowie die Datenschutzrichtlinie3 bzw künftig die DatenschutzGrundverordnung.

Artikel 39: Vertraulichkeit Jede Behörde, die Informationen verarbeitet, stellt nach dem Recht ihres Staates deren Vertraulichkeit sicher.

Artikel 40: Nichtoffenlegung von Informationen (1) Eine Behörde darf keine nach diesem Übereinkommen gesammelten oder übermittelten Informationen offenlegen oder bestätigen, wenn ihres Erachtens dadurch die Gesundheit, Sicherheit oder Freiheit einer Person gefährdet werden könnte. (2) Eine von einer Zentralen Behörde in diesem Sinne getroffene Entscheidung ist von einer anderen Zentralen Behörde zu berücksichtigen, insbesondere in Fällen von Gewalt in der Familie. (3) Dieser Artikel steht der Sammlung und Übermittlung von Informationen zwischen Behörden nicht entgegen, soweit dies für die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Übereinkommen erforderlich ist.

I. Normzweck 1 Art 39 verlangt von informationsverarbeitenden Behörden Vertraulichkeit nach Maßgabe

des Heimatrechts der Behörde. Art 40 macht gewisse inhaltliche Vorgaben, verlangt immerhin die Berücksichtigung der Entscheidung einer Zentralen Behörde, nach der Informationen nicht offenzulegen sind, und verbaut die Möglichkeit, nach dem Übereinkommen notwendige Informationen unter dem Vorwand der Vertraulichkeit zurückzuhalten. II. Entstehungsgeschichte 2 Wie der heutige Art 38 waren auch die heutigen Art 39 und 40 ab dem Entwurf vom Oktober 3

Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl EG 1995 L 281/31.

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Kapitel VIII: Allgemeine Bestimmungen

Artt 39, 40 HUntVerfÜbk

2005 vorgesehen.1 Art 39 entspricht Art 30 HAdoptÜbk 1993, Art 42 KSÜ und Art 40 HErwSÜbk 2000. Die zunächst geplante Bindungswirkung der Entscheidung einer Zentralen Behörde2 wurde kurzfristig zu einer bloßen Berücksichtigungspflicht abgeschwächt. III. Einzelerläuterung Gem Art 39 ist Vertraulichkeit nur nach Maßgabe des jeweiligen Heimatrechts der Behörde 3 zu gewährleisten. Art 40 Abs 1 verbietet jedoch die Offenlegung oder Bestätigung von Informationen dann, 4 wenn dies Gesundheit, Sicherheit oder Freiheit einer Person gefährden könnte. Gedacht ist dabei insbesondere an Informationen über den Aufenthalt eines Kindes, bei deren Bekanntwerden eine Entführung des Kindes durch den anderen Teil zu gewärtigen ist.3 Art 40 gilt aber für alle Personen, nicht etwa nur den Antragsteller.4 Entscheidet eine Zentrale Behörde, dass Informationen nicht offengelegt oder bestätigt 5 werden dürfen, so hat dies zwar keine Bindungswirkung mehr, ist aber gem Art 40 Abs 2 von einer anderen Zentralen Behörde „zu berücksichtigen“. Dies bedeutet, dass die Entscheidung der ersten Zentralen Behörde nicht nur überhaupt einfließen muss in die entsprechende Entscheidung der anderen Zentralen Behörde, sondern ihr auch in dem Sinne gehöriges Gewicht beizumessen ist, dass ein Abweichen nur unter besonderen Umständen in Betracht kommt. Besonders hoch soll das Gewicht der Entscheidung in Fällen von Gewalt in der Familie sein (Art 40 Abs 2 aE). Die Entscheidung kann der anderen Zentralen Behörde durch Ankreuzen eines entsprechenden Kästchens zu Beginn des Übermittlungsformblatts bzw der Empfangsbestätigung mitgeteilt werden. Gem Abs 3 nicht angeführt werden dürfen Art 40 Abs 1 und 2 aber insoweit, als es um die 6 Erfüllung der Verpflichtungen der Behörden aus dem Übereinkommen geht. Anderenfalls könnten die Behörden eines Staates unter Berufung auf eine angeblich gebotene Nichtoffenlegung das Übereinkommen torpedieren. Das Verbot der Offenlegung gilt also nur gegenüber dem Verfahrensgegner und Dritten.5 IV. Vergleich mit der EG-UntVO Die EG-UntVO enthält keine den Art 39 f unmittelbar entsprechenden Vorschriften, schützt 7 aber Daten nach Maßgabe des allgemeinen EU-Rechts (vgl Art 38 Rn 6).

1

2

3

4 5

Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 17. Vgl zuletzt Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 20. Vgl die Formulierung in Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 17. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 286. Vgl Nimmerrichter Handbuch Rn 397 (nur Verfahrensgegner genannt, aber wohl ebenso gemeint).

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Art 41 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Artikel 41: Keine Legalisation Im Rahmen dieses Übereinkommens darf eine Legalisation oder ähnliche Förmlichkeit nicht verlangt werden.

I. Normzweck 1 Art 41 will dadurch, dass er eine Legalisation von Urkunden oder andere Förmlichkeit

verbietet, die Abwicklung schneller und kostengünstiger machen. Als andere Förmlichkeit ausgeschlossen ist insbesondere auch das Verlangen einer Apostille.1 II. Entstehungsgeschichte 2 Der Ausschluss der Legalisation oder ähnlicher Förmlichkeiten war nach dem Vorbild des

Art 43 KSÜ von Anfang an vorgesehen.2 III. Vergleich mit der EG-UntVO 3 Art 65 EG-UntVO entspricht Art 41.

Artikel 42: Vollmacht Die Zentrale Behörde des ersuchten Staates kann vom Antragsteller eine Vollmacht nur verlangen, wenn sie in seinem Namen in Gerichtsverfahren oder in Verfahren vor anderen Behörden tätig wird, oder um einen Vertreter für diese Zwecke zu bestimmen.

I. Normzweck 1 Art 42 schließt grundsätzlich aus, dass die Zentrale Behörde des ersuchten Staates eine

Vollmacht verlangt, macht aber eine Ausnahme für Fälle der Vertretung in Gerichtsverfahren oder Verfahren vor Behörden. II. Entstehungsgeschichte 2 Zur Notwendigkeit einer Vollmacht äußerten sich die ersten Entwürfe nicht; der Entwurf

vom Januar 2005 wollte sie dann gerade für den Fall des Auftretens für den Antragsteller ausschließen.1 Im Entwurf vom Januar 2007 war dann mit Ausnahme des letzten Halbsatzes, der erst in den Schlussverhandlungen hinzukam, der heutige Stand erreicht.2 1 2

1

2

Vgl Art 18 HProrogÜbk 2005; Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 614. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 21. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 18. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers

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Kapitel VIII: Allgemeine Bestimmungen

Art 43 HUntVerfÜbk

III. Einzelerläuterung Grundsatz des Art 42 ist, dass die Zentrale Behörde des ersuchten Staates keine Vollmacht 3 verlangen kann. Eine Ausnahme hiervon gilt dann, wenn die Zentrale Behörde im Namen des Antragstellers in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren vor anderen Behörden tätig wird, also nach außen hin auftritt und nicht nur intern handelt. Dasselbe gilt, wenn sie für derartige Verfahren einen Vertreter des Antragstellers bestimmen will oder muss. Art 42 betrifft nur Vollmachten für die Zentrale Behörde des ersuchten Staates. Im Übrigen 4 gilt also die jeweilige lex fori. IV. Vergleich mit der EG-UntVO Parallelvorschrift des Art 42 ist Art 52 EG-UntVO.

5

Artikel 43: Eintreibung von Kosten (1) Die Eintreibung von Kosten, die bei der Anwendung dieses Übereinkommens entstehen, hat keinen Vorrang vor der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen. (2) Ein Staat kann die Kosten bei einer unterliegenden Partei eintreiben. (3) Für die Zwecke eines Antrags nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b im Hinblick auf die Eintreibung der Kosten bei einer unterliegenden Partei nach Absatz 2 schließt der Begriff „berechtigte Person“ in Artikel 10 Absatz 1 einen Staat ein. (4) Dieser Artikel lässt Artikel 8 unberührt. I. II. III.

Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelerläuterung 1. Kein Vorrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterliegensprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 3 5

IV.

3. Antrag auf Vollstreckung über Zentrale Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 4. Kosten der Zentralen Behörden . . . . . . . . . 9 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . 10

I. Normzweck Art 43 trifft verschiedene Regelungen über die Eintreibung von Kosten durch den Staat, dem 1 sie entstanden sind; soweit es sich um Kosten einer Zentralen Behörde handelt, ist aber zunächst Art 8 zu beachten. II. Entstehungsgeschichte Die Entwürfe vom Januar und Oktober 2005 enthielten den Abs 1 eines Artikels über die 2 Eintreibung von Kosten und stellten in einer Fußnote eine dem heutigen Abs 2 entspre-

les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 20; Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 20.

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Art 43 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

chende Vorschrift zur Diskussion.1 Im Januar und Juni 2007 waren diese beiden Absätze vorgesehen;2 Abs 3 und 4 kamen erst in den Verhandlungen hinzu. III. Einzelerläuterung 1. Kein Vorrang 3 Nach Abs 1 haben die Kosten, die bei der Anwendung des Übereinkommens entstehen,

keinen Vorrang vor der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen. Bei der Anwendung des Übereinkommens entstehende Kosten sind nur die Kosten, die sich gerade aus der Nutzung der von dem Übereinkommen vorgesehenen Mechanismen ergeben, insbesondere aus der Einschaltung Zentraler Behörden. Nicht erfasst sind Kosten, die nicht im Zusammenhang mit der Internationalität des Sachverhalts stehen, etwa die Kosten der Vollstreckung nach nationalem Recht. 4 Abs 1 verbietet nur, dass diesen Kosten Vorrang vor dem Unterhaltsanspruch eingeräumt

werde, etwa dergestalt, dass von einem Vollstreckungserlös zuerst auch diese Kosten abgezogen werden und nur der Rest an den Unterhaltsgläubiger ausgekehrt wird. Zulässig ist hingegen Gleichrang3 und selbstverständlich auch Nachrang; insoweit hat der nationale Gesetzgeber einen Regelungsspielraum.4 Eine Rangfrage stellt sich selbstverständlich nur, soweit die Kosten überhaupt erhoben werden dürfen, was für die Kosten von Dienstleistungen der Zentralen Behörden nach dem gem Abs 4 zu beachtenden Art 8 Abs 2 und 3 beim Antragsteller ausgeschlossen ist. 2. Unterliegensprinzip 5 Abs 2 erlaubt ausdrücklich die Eintreibung der Kosten bei einer unterliegenden Partei, sei sie

Antragsteller oder Antragsgegner.5 Die Regelung bietet ein Korrektiv dafür, dass Kindern unentgeltliche juristische Unterstützung ohne vorherige Prüfung der Bedürftigkeit zu gewähren ist, wenn ein Staat nicht eine Erklärung nach Art 16 abgegeben hat.6 Voraussetzung ist wiederum zunächst, dass die Kosten erhoben werden dürfen, wofür der gem Abs 4 vorrangige Art 8 in seinen Abs 2 und 3 Beschränkungen aufstellt. Soweit es sich um Kosten 1

2

3

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Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 18 m Fn 25; Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 17 m Fn 37. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 20; Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 21. Wohl aA Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 619: „… l’Autorité centrale … ne pourra demander le remboursement de ces frais avant que le débiteur ne règle le créancier.“ Einen pauschalen Anteil jeder Zahlung für die Kosten zu verwenden, wie es in Österreich üblich ist, lässt sich mit Abs 1 nur vereinbaren, wenn damit nicht auch nur anteilig Vorrang begründet wird (ohne diese Einschränkung Fucik iFamZ 2008, 219, 228). Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 620; Levante FS Schwander (2011) 729, 737. Beaumont/Walker FS Borrás (2013) 185, 191.

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Kapitel VIII: Allgemeine Bestimmungen

Art 44 HUntVerfÜbk

handelt, die erhoben werden dürfen, kann der Staat, dem sie entstanden sind, die unterliegende Partei in Anspruch nehmen. Abs 2 äußert sich nicht zu der Frage teilweisen Obsiegens und Unterliegens. Man wird 6 annehmen müssen, dass eine Eintreibung im Verhältnis des Unterliegens zum Obsiegen zulässig ist. Abs 2 lässt nur das Eintreiben bei der unterliegenden Partei ausdrücklich zu. Fraglich ist, ob 7 darüber hinaus auch bei einem Dritten oder der obsiegenden Partei Kosten eingetrieben werden dürfen oder Abs 2 insoweit eine Sperrwirkung entfaltet. Warum die Eintreibung von Kosten bei Dritten, zB bei unentschuldigt fehlenden Zeugen, nicht möglich sein sollte, ließe sich nicht erklären. Insoweit kann also kaum von einer Sperrwirkung ausgegangen werden. Ein Eintreiben von Kosten bei der obsiegenden Partei steht im Raum, wenn beide Parteien Kostenschuldner sind und bei Nichtzahlung durch die unterliegende Partei die obsiegende Partei in Anspruch genommen werden kann. Insoweit wird man allerdings Abs 2 eine Sperrwirkung zuschreiben müssen, da anderenfalls kaum ein Regelungsbedürfnis bestanden hätte. 3. Antrag auf Vollstreckung über Zentrale Behörden Indem Abs 3 den Begriff der „berechtigten Person“ iSd Art 10 Abs 1 lit b auch auf einen Staat 8 ausdehnt, der Kosten eintreiben will, eröffnet er den Vertragsstaaten für die Vollstreckung ihrer Kostenforderungen den Weg über die Zentralen Behörden. 4. Kosten der Zentralen Behörden Abs 4 räumt für die Kosten der Zentralen Behörde ausdrücklich Art 8 den Vorrang ein. 9 Soweit gem Art 8 also die Erhebung von Kosten ausscheidet, kommt auch Art 43 nicht zur Anwendung. IV. Vergleich mit der EG-UntVO Eine dem Abs 1 entsprechende Vorschrift findet sich in Art 43 EG-UntVO. Die Inanspruch- 10 nahme der unterliegenden Partei ist gem Art 67 EG-UntVO anders als nach Abs 2 nur in Ausnahmefällen und bei ausreichender finanzieller Leistungsfähigkeit zulässig.

Artikel 44: Sprachliche Erfordernisse (1) Anträge und damit verbundene Schriftstücke müssen in der Originalsprache abgefasst und von einer Übersetzung in eine Amtssprache des ersuchten Staates oder in eine andere Sprache begleitet sein, die der ersuchte Staat in einer Erklärung nach Artikel 63 als von ihm akzeptierte Sprache genannt hat, es sei denn, die zuständige Behörde dieses Staates verzichtet auf eine Übersetzung. (2) Jeder Vertragsstaat mit mehreren Amtssprachen, der aufgrund seines innerstaatlichen Rechts Schriftstücke in einer dieser Sprachen nicht für sein gesamtes Hoheitsgebiet akzeptieren kann, gibt in einer Erklärung nach Artikel 63 die Sprache an, in der die Schriftstücke abgefasst oder in

Christoph A. Kern

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Art 44 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

die sie übersetzt sein müssen, damit sie im jeweils bezeichneten Teil seines Hoheitsgebiets eingereicht werden können. (3) Sofern die Zentralen Behörden nichts anderes vereinbart haben, erfolgt der übliche Schriftwechsel zwischen diesen Behörden in einer Amtssprache des ersuchten Staates oder in französischer oder englischer Sprache. Ein Vertragsstaat kann jedoch einen Vorbehalt nach Artikel 62 anbringen und darin gegen die Verwendung entweder des Französischen oder des Englischen Einspruch erheben. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Einzelerläuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

I. II. III.

IV.

1. Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2. Zentrale Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . . . 9

I. Normzweck 1 Art 44 klärt die Sprachenfrage für Anträge und zugehörige Schriftstücke (Abs 1 und 2) und

für die Kommunikation zwischen den Zentralen Behörden (Abs 3). II. Entstehungsgeschichte 2 Die Sprachenfrage wurde von Anfang an als wichtiges Element des Übereinkommens an-

gesehen. Der Entwurf vom April 2004 verlangte allgemein eine Übersetzung in eine Amtssprache, hilfsweise in die englische oder französische Sprache, erlaubte einen Vorbehalt gegen entweder die englische oder die französische Sprache und eine Erweiterung auf andere Sprachen durch Erklärung.1 Das Arbeitspapier vom Juni 2004 sah dann eine eigene Regelung für die Kommunikation der Zentralen Behörden vor.2 Der Entwurf vom Januar 2005 enthielt zwei Optionen, deren zweite auch die Frage der Übersetzungskosten mitregelte.3 Im Oktober 2005 ist dann die heutige Fassung anzutreffen.4 III. Einzelerläuterung 1. Anträge 3 Anträge iSd Abs 1 sind sowohl über die Zentralen Behörden gestellte Anträge als auch

unmittelbar gestellte Anträge.5 1

2

3

4

5

Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 13. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Proposition du Comité de rédaction, Doc trav No 34 F, 17 juin 2004, S 7. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 17. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 17 f. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 17 Fn 23; Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 628.

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Kapitel VIII: Allgemeine Bestimmungen

Art 44 HUntVerfÜbk

Ausgangspunkt ist für Anträge die Amtssprache des ersuchten Staates, bei mehreren pa- 4 rallel geltenden Amtssprachen eine von ihnen (Abs 1). Bei mehreren, jeweils nur in einem bestimmten Gebiet geltenden Amtssprachen ist die jeweilige Amtssprache zu verwenden, deren nähere Bestimmung durch eine Erklärung gem Art 63 ermöglicht werden muss (Abs 2). Eine derartige Erklärung hat die EU für Belgien abgegeben.6 Eine allgemeine Erweiterung auf eine oder mehrere weitere akzeptierte Sprachen ist durch 5 Erklärung gem Art 63 möglich (Abs 1). Eine solche Erklärung hat Norwegen für die englische Sprache abgegeben und sogar hinzugefügt, eine Übersetzung ins Englische einer Übersetzung ins Norwegische vorzuziehen. Auch die EU hat für Tschechien, Estland, Litauen, Zypern, Malta, Finnland und die Slowakei Erklärungen abgegeben.7 Die zuständige Behörde kann einen Verzicht auf eine Übersetzung im Einzelfall erklären 6 (Art 1). 2. Zentrale Behörden Ausgangspunkt für die Kommunikation der Zentralen Behörden ist die Amtssprache des 7 ersuchten Staates sowie gleichwertig die französische und englische Sprache (Abs 3 S 1). Eine allgemeine Einengung durch Ausschluss entweder des Französischen oder des Eng- 8 lischen ist im Wege eines Vorbehalts nach Art 62 möglich (Abs 3 S 2), nicht jedoch können sowohl das Englische als auch das Französische ausgeschlossen werden.8 Einen solchen Vorbehalt hat Norwegen im Hinblick auf die französische Sprache angebracht. Auch die EU hat für Tschechien, Estland, Griechenland, Zypern, Lettland, Litauen, Ungarn, die Niederlande, Polen, die Slowakei, Slowenien, Schweden und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland der Verwendung des Französischen und nach dem Vorschlag eines Änderungsbeschlusses (Einleitung Rn 45) für Luxemburg der Verwendung des Englischen im Schriftwechsel zwischen den Zentralen Behörden widersprochen.9 IV. Vergleich mit der EG-UntVO In der EG-UntVO regelt Art 59 die Sprachenfrage. Art 59 Abs 1 EG-UntVO entspricht 9 hinsichtlich der Antragssprache der Sache nach Abs 1, Art 59 Abs 2 EG-UntVO ist allerdings hinsichtlich der Anlagen deutlich großzügiger und verlangt eine Übersetzung nur, wenn diese zur Gewährung der beantragten Hilfe erforderlich ist.10 Art 59 Abs 3 lässt für die Kommunikation mit der Zentralen Behörde alle nach Abs 1 möglichen Sprachen gelten, gibt also insbesondere einer allgemeinen Erweiterung auch hier Raum.

6 7 8

9 10

Rat der EU, 9.4.2014, Art 1 Nr 3 iVm Anhang III 3, ABl EU L 113/1, 16. Rat der EU, 9.4.2014, Art 1 Nr 3 iVm Anhang III 2, ABl EU L 113/1, 16. Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1315; Borrás FS Siehr (2010) 173, 185, 188; Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 630. Rat der EU, 9.4.2014, Art 1 Nr 2 iVm Anhang II, ABl EU L 113/1, 4. Vgl dazu EuGH Rs 14/07 Weiss v IHK Berlin EuGHE 2008 I 3367.

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Art 45 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Artikel 45: Art und Weise der Übersetzung und Übersetzungskosten (1) Für nach Kapitel III gestellte Anträge können die Zentralen Behörden im Einzelfall oder generell vereinbaren, dass die Übersetzung in die Amtssprache des ersuchten Staates im ersuchten Staat aus der Originalsprache oder einer anderen vereinbarten Sprache angefertigt wird. Wird keine Vereinbarung getroffen und kann die ersuchende Zentrale Behörde die Erfordernisse nach Artikel 44 Absätze 1 und 2 nicht erfüllen, so können der Antrag und die damit verbundenen Schriftstücke zusammen mit einer Übersetzung ins Französische oder Englische zur Weiterübersetzung in eine der Amtssprachen des ersuchten Staates übermittelt werden. (2) Die sich aus Absatz 1 ergebenden Übersetzungskosten trägt der ersuchende Staat, sofern die Zentralen Behörden der betroffenen Staaten keine andere Vereinbarung getroffen haben. (3) Ungeachtet des Artikels 8 kann die ersuchende Zentrale Behörde dem Antragsteller die Kosten für die Übersetzung eines Antrags und der damit verbundenen Schriftstücke auferlegen, es sei denn, diese Kosten können durch ihr System der juristischen Unterstützung gedeckt werden.

I. Normzweck 1 Art 45 regelt in Abs 1, wer die Übersetzung vornimmt und wie im Falle eines Unvermögens

zur Übersetzung in eine Amtssprache zu verfahren ist, in Abs 2 die Kostentragung im Verhältnis der Staaten zueinander, in Abs 3 die Inanspruchnahme des Antragstellers. II. Entstehungsgeschichte 2 Die ersten Entwürfe enthielten die Ausweichmöglichkeit einer Übersetzung ins Englische

oder Französische, ließen aber die Kostenfrage noch offen.1 Die nicht weiter verfolge Alternativlösung des Entwurfs vom Januar 2005 regelte auch die Frage der Übersetzungskosten.2 Im Oktober 2005 war dann die heutige Fassung erreicht.3 III. Einzelerläuterung 3 Grundsatz ist, dass die Übersetzung im ersuchenden Staat erfolgt. Gem Abs 1 S 1 kann

jedoch die Übersetzung auch im ersuchten Staat erfolgen, wenn dies die Zentralen Behörden im Einzelfall oder generell vereinbart haben. Gegenstand einer solchen Vereinbarung kann zudem sein, ob Ausgangssprache der Übersetzung die Originalsprache oder eine andere Sprache sein soll. Fehlt es an einer Vereinbarung und kann die ersuchende Zentrale Behörde die Übersetzung nicht leisten, so kann gem Abs 1 S 2 notfalls eine Übersetzung ins Französische oder Englische als Grundlage für eine Weiterübersetzung in die einschlägige Amtssprache4 übermittelt werden. 1

2

3

Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 13 m Fn 85; Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Proposition du Comité de rédaction, Doc trav No 34 F, 17 juin 2004, S 7 m Fn 5. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 17. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 18.

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Oktober 2014

Kapitel VIII: Allgemeine Bestimmungen

Art 46 HUntVerfÜbk

Muss im ersuchten Staat gem Abs 1 eine Übersetzung stattfinden, so trägt gem Abs 2 vor- 4 behaltlich einer anderen Vereinbarung der ersuchende Staat die Kosten. Dies wirkt nicht zuletzt auch einem vorschnellen Ausweichen auf Abs 1 S 2 entgegen. Abs 3 erlaubt es, dem Antragsteller unter Abweichung vom Grundsatz des Art 8 die Über- 5 setzungskosten aufzuerlegen, soweit diese nicht durch die innerstaatlichen Regeln über die juristische Unterstützung getragen werden. In Deutschland gelten insoweit § 10 Abs 2 und 3 AUG. IV. Vergleich mit der EG-UntVO Die EG-UntVO enthält keine dem Art 45 direkt entsprechende Regelung, Abs 3 hat jedoch 6 in Art 67 EG-UntVO eine Parallele. Artikel 46: Nicht einheitliche Rechtssysteme – Auslegung (1) Gelten in einem Staat in verschiedenen Gebietseinheiten zwei oder mehr Rechtssysteme oder Regelwerke in Bezug auf in diesem Übereinkommen geregelte Angelegenheiten, so ist a) jede Bezugnahme auf das Recht oder Verfahren eines Staates gegebenenfalls als Bezugnahme auf das in der betreffenden Gebietseinheit geltende Recht oder Verfahren zu verstehen; b) jede Bezugnahme auf eine in diesem Staat erwirkte, anerkannte, anerkannte und vollstreckte, vollstreckte oder geänderte Entscheidung gegebenenfalls als Bezugnahme auf eine in der betreffenden Gebietseinheit erwirkte, anerkannte, anerkannte und vollstreckte, vollstreckte oder geänderte Entscheidung zu verstehen; c) jede Bezugnahme auf eine Behörde, sei es ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde, dieses Staates gegebenenfalls als Bezugnahme auf ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde der betreffenden Gebietseinheit zu verstehen; d) jede Bezugnahme auf die zuständigen Behörden, öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtungen oder anderen Stellen dieses Staates mit Ausnahme der Zentralen Behörden gegebenenfalls als Bezugnahme auf die Behörden oder Stellen zu verstehen, die befugt sind, in der betreffenden Gebietseinheit tätig zu werden; e) jede Bezugnahme auf den Aufenthalt oder den gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat gegebenenfalls als Bezugnahme auf den Aufenthalt oder den gewöhnlichen Aufenthalt in der betreffenden Gebietseinheit zu verstehen; f) jede Bezugnahme auf die Belegenheit von Vermögensgegenständen in diesem Staat gegebenenfalls als Bezugnahme auf die Belegenheit von Vermögensgegenständen in der betreffenden Gebietseinheit zu verstehen; g) jede Bezugnahme auf eine in diesem Staat geltende Gegenseitigkeitsvereinbarung gegebenenfalls als Bezugnahme auf eine in der betreffenden Gebietseinheit geltende Gegenseitigkeitsvereinbarung zu verstehen; h) jede Bezugnahme auf die unentgeltliche juristische Unterstützung in diesem Staat gegebenenfalls als Bezugnahme auf die unentgeltliche juristische Unterstützung in der betreffenden Gebietseinheit zu verstehen; i) jede Bezugnahme auf eine in diesem Staat getroffene Unterhaltsvereinbarung gegebenen-

4

Zum Neuigkeitswert dieser Regelung Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 633.

Christoph A. Kern

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Art 47 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

falls als Bezugnahme auf eine in der betreffenden Gebietseinheit getroffene Unterhaltsvereinbarung zu verstehen; j) jede Bezugnahme auf die Kosteneintreibung durch einen Staat gegebenenfalls als Bezugnahme auf die Kosteneintreibung durch die betreffende Gebietseinheit zu verstehen. (2) Dieser Artikel ist nicht anzuwenden auf Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration.

I. Normzweck 1 Art 46 passt das Übereinkommen auf den Sonderfall eines Staates mit mehreren Gebiets-

einheiten an, in denen verschiedene Rechtssysteme oder Regelwerke gelten, indem er in Abs 1 bestimmt, dass Bezugnahmen des Übereinkommens auf einen Staat als Bezugnahmen auf die betreffende Gebietseinheit zu lesen sind; einzige Ausnahme sind die Zentralen Behörden, für die Art 4 Abs 2 gilt. Abs 2 stellt klar, dass die von Art 51 Abs 4, Art 59 geregelten Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration nicht unter Abs 1 fallen. II. Entstehungsgeschichte 2 Erst ab dem Entwurf vom Oktober 2005 finden sich in den Entwürfen allgemeine Bestim-

mungen wie der heutige Art 46;1 die zunächst als Absätze 2 und 3 vorgesehenen Regelungen über das Verhältnis der Gebietseinheiten eines Vertragsstaats zueinander wurden später zum heutigen Art 47. III. Vergleich mit der EG-UntVO 3 Die EG-UntVO enthält keine dem Art 46 entsprechende Regelung.

Artikel 47: Nicht einheitliche Rechtssysteme – materielle Regeln (1) Ein Vertragsstaat mit zwei oder mehr Gebietseinheiten, in denen unterschiedliche Rechtssysteme gelten, ist nicht verpflichtet, dieses Übereinkommen auf Fälle anzuwenden, die allein diese verschiedenen Gebietseinheiten betreffen. (2) Eine zuständige Behörde in einer Gebietseinheit eines Vertragsstaats mit zwei oder mehr Gebietseinheiten, in denen unterschiedliche Rechtssysteme gelten, ist nicht verpflichtet, eine Entscheidung aus einem anderen Vertragsstaat allein deshalb anzuerkennen oder zu vollstrecken, weil die Entscheidung in einer anderen Gebietseinheit desselben Vertragsstaats nach diesem Übereinkommen anerkannt oder vollstreckt worden ist. (3) Dieser Artikel ist nicht anzuwenden auf Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration.

I. Normzweck 1 Art 47 lässt Vertragsstaaten mit mehreren Gebietseinheiten, in denen unterschiedliche

Rechtssysteme gelten, die Freiheit, das Innenverhältnis dieser Gebietseinheiten eigenständig 1

Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 18.

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Oktober 2014

Kapitel VIII: Allgemeine Bestimmungen

Art 48 HUntVerfÜbk

zu regeln. So müssen Vertragsstaaten in Fällen, in denen statt zweier Staaten zwei Gebietseinheiten ein und desselben Vertragsstaats beteiligt sind, gem Abs 1 nicht das Übereinkommen anwenden; gem Abs 2 wirken die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung in einer Gebietseinheit nicht zwingend auch für die anderen Gebietseinheiten. Abs 3 stellt – in Parallele zu Art 46 Abs 2 – klar, dass die von Art 51 Abs 4, 59 geregelten Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration nicht unter Abs 1 und 2 fallen. II. Entstehungsgeschichte Die Regelungen des heutigen Abs 47 waren zunächst gemeinsam mit dem heutigen Art 46 in 2 einem einheitlichen Artikel enthalten, der erstmals im Entwurf vom Oktober 2005 dem Text hinzugefügt worden war;1 die Ausgliederung in einen eigenen Artikel erfolgte erst ganz zum Schluss. III. Vergleich mit der EG-UntVO Die EG-UntVO enthält keine dem Art 47 entsprechende Regelung.

3

Artikel 48: Koordinierung mit den früheren Haager Übereinkommen über Unterhaltspflichten Im Verhältnis zwischen den Vertragsstaaten ersetzt dieses Übereinkommen vorbehaltlich des Artikels 56 Absatz 2 das Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und das Haager Übereinkommen vom 15. April 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern, soweit ihr Anwendungsbereich zwischen diesen Staaten mit demjenigen dieses Übereinkommens übereinstimmt.

I. Normzweck Art 48 löst den Fall, dass im Verhältnis zweier Vertragsstaaten sowohl das HUntVerfÜbk 1 2007 als auch das HUntAVÜbk 1973 bzw das HUntAVÜbk 1958 sachlich anwendbar sind, zugunsten des HUntVerfÜbk 2007; vorbehalten bleibt Art 56 Abs 2, der für Anerkennung und Vollstreckung eine eigene Regelung über den zeitlichen Anwendungsbereich enthält. II. Entstehungsgeschichte Eine Regelung über das Verhältnis der verschiedenen verfahrensrechtlichen Haager Unter- 2 haltsübereinkommen zueinander findet sich erst ab dem Entwurf vom Januar 2007;1 die Ausnahme für den heutigen Art 56 Abs 2 kam erst am Ende hinzu.

1

1

Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 18. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 22.

Christoph A. Kern

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Art 49 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

III. Vergleich mit der EG-UntVO 3 Die EG-UntVO regelt ihr Verhältnis zu bestehenden internationalen Übereinkommen in

Art 69 EG-UntVO. Danach bleiben diese Übereinkommen unberührt, im Verhältnis der Mitgliedstaaten hat die EG-UntVO jedoch Vorrang.

Artikel 49: Koordinierung mit dem New Yorker Übereinkommen von 1956 Im Verhältnis zwischen den Vertragsstaaten ersetzt dieses Übereinkommen das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. Juni 1956 über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland, soweit sein Anwendungsbereich zwischen diesen Staaten dem Anwendungsbereich dieses Übereinkommens entspricht.

I. Normzweck 1 Art 49 löst Kollisionen mit dem NYUntÜbk 1956 zugunsten des Übereinkommens.

II. Entstehungsgeschichte 2 Erst nach Rückfrage beim Legal Advisor der Vereinten Nationen wurde die Regelung des

Art 49 über das Verhältnis zum NYUntÜbk 1956 eingefügt.1 III. Vergleich mit der EG-UntVO 3 Nach Art 69 EG-UntVO bleiben bestehende internationale Übereinkommen unberührt, im

Verhältnis der Mitgliedstaaten hat die EG-UntVO jedoch Vorrang.

Artikel 50: Verhältnis zu den früheren Haager Übereinkommen über die Zustellung von Schriftstücken und die Beweisaufnahme Dieses Übereinkommen lässt das Haager Übereinkommen vom 1. März 1954 über den Zivilprozess, das Haager Übereinkommen vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen und das Haager Übereinkommen vom 18. März 1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen unberührt.

I. Normzweck 1 Nach Art 50 verdrängt das Übereinkommen nicht das Haager Übereinkommen über den

Zivilprozess, das HZÜ und das HBÜ. Deren vorteilhafte Regelungen für die internationale Rechtshilfe können also auch unter Geltung des Übereinkommens weiterhin zum Zuge kommen.1 1 1

Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 647. Heger Unterhaltsrealisierung Rn 15.

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Oktober 2014

Kapitel VIII: Allgemeine Bestimmungen

Art 51 HUntVerfÜbk

II. Entstehungsgeschichte Die Vorschrift über das Verhältnis zu den älteren allgemeinen Haager Übereinkommen 2 wurde erst ganz zuletzt eingefügt und hat vor allem klarstellenden Charakter.2 III. Vergleich mit der EG-UntVO Art 69 EG-UntVO lässt sämtliche früheren Übereinkommen unberührt, im Verhältnis der 3 Mitgliedstaaten hat die EG-UntVO jedoch Vorrang.

Artikel 51: Koordinierung mit Übereinkünften und Zusatzvereinbarungen (1) Dieses Übereinkommen lässt vor dem Übereinkommen geschlossene internationale Übereinkünfte unberührt, denen Vertragsstaaten als Vertragsparteien angehören und die Bestimmungen über im Übereinkommen geregelte Angelegenheiten enthalten. (2) Jeder Vertragsstaat kann mit einem oder mehreren Vertragsstaaten Vereinbarungen, die Bestimmungen über in diesem Übereinkommen geregelte Angelegenheiten enthalten, schließen, um die Anwendung des Übereinkommens zwischen ihnen zu verbessern, vorausgesetzt, dass diese Vereinbarungen mit Ziel und Zweck des Übereinkommens in Einklang stehen und die Anwendung des Übereinkommens im Verhältnis zwischen diesen Staaten und anderen Vertragsstaaten unberührt lassen. Staaten, die solche Vereinbarungen geschlossen haben, übermitteln dem Verwahrer* des Übereinkommens eine Kopie. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Gegenseitigkeitsvereinbarungen und Einheitsrecht, die auf besonderen Verbindungen zwischen den betroffenen Staaten beruhen. (4) Dieses Übereinkommen lässt die Anwendung von nach dem Abschluss des Übereinkommens angenommenen Rechtsinstrumenten einer Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration, die Vertragspartei des Übereinkommens ist, in Bezug auf im Übereinkommen geregelte Angelegenheiten unberührt, vorausgesetzt, dass diese Rechtsinstrumente die Anwendung des Übereinkommens im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten der Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration und anderen Vertragsstaaten unberührt lassen. In Bezug auf die Anerkennung oder Vollstreckung von Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten der Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration lässt das Übereinkommen die Vorschriften der Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration unberührt, unabhängig davon, ob diese vor oder nach dem Abschluss des Übereinkommens angenommen worden sind. I. II. III.

2

*

Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Einzelerläuterung 1. Bestehende Übereinkünfte . . . . . . . . . . . . . . . 3

IV.

2. Künftige Übereinkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 3. Rechtsinstrumente einer Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration . . . 6 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . . . 8

Vgl Borrás FS Siehr (2010) 173, 189; Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 648. Österreich, Schweiz, ABl EU 2011 L 192/51, 62: Depositar.

Christoph A. Kern

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Art 51 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

I. Normzweck 1 Art 51 koordiniert das Verhältnis zu internationalen Regelwerken, die nicht unter Art 48-50

fallen. II. Entstehungsgeschichte 2 Eine einheitliche, allgemeine Koordinierungsregel war erst ab Januar 2007 in den Entwürfen

enthalten;1 sie entsprach bereits weitgehend dem heutigen Art 51, erhielt allerdings ihre Einschränkungen in Abs 4 über Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration erst zu einem sehr späten Zeitpunkt. Die Möglichkeit weitergehender Vereinbarungen war jedoch schon früher vorgesehen, zunächst nur für Anerkennung und Vollstreckung,2 später in den Allgemeinen Bestimmungen.3 III. Einzelerläuterung 1. Bestehende Übereinkünfte 3 Nach Abs 1 bleiben bestehende Übereinkünfte, zu denen nach Abs 2 auch Gegenseitigkeits-

vereinbarungen und Einheitsrecht zählen, unberührt. Sollten sich solche bestehenden Übereinkünfte und das Übereinkommen widersprechen, tritt das Übereinkommen insoweit also zurück.4 Bestehende Übereinkünfte sind dabei solche, die bei Inkrafttreten des Übereinkommens für einen Staat wirksam sind. 2. Künftige Übereinkünfte 4 Abs 2 S 1 lässt den Vertragsstaaten die Freiheit, untereinander künftig Übereinkünfte zu

schließen, wozu auch hier gem Abs 3 Gegenseitigkeitsvereinbarungen und Einheitsrecht zählen. Allerdings müssen diese Übereinkünfte die Anwendung des Übereinkommens zwischen ihren Mitgliedstaaten verbessern, mit Ziel und Zweck des Übereinkommens in Einklang stehen und sich auf das Verhältnis der beteiligten Vertragsstaaten zueinander beschränken.5 Wurde eine solche Übereinkunft geschlossen, so ist dem Verwahrer gem Abs 2 S 2 eine Kopie der Übereinkunft zu übermitteln.

1

2

3

4 5

Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 22; siehe schon die allgemeine Blankoüberschrift in Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 19. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Proposition du Comité de rédaction, Doc trav No 34 F, 17 juin 2004, S 10; Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 13, janvier 2005, S 13. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 19. Vgl Art 30 Abs 2 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge v 23.5.1969. Vgl Art 41 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge v 23.5.1969.

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Oktober 2014

Kapitel VIII: Allgemeine Bestimmungen

Art 52 HUntVerfÜbk

Keine Aussage trifft Abs 2 für Übereinkünfte auf dem Gebiet des Übereinkommens zwi- 5 schen Vertragsstaaten und Drittstaaten. Nach den allgemeinen Regeln sind solche Übereinkünfte zulässig, solange sie sich nicht in Widerspruch zu dem Übereinkommen setzen. 3. Rechtsinstrumente einer Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration Gem Abs 4 S 1 können die Mitgliedstaaten einer Organisation der regionalen Wirtschafts- 6 integration wie etwa der EU6 ihr Innenverhältnis Rechtsinstrumenten unterstellen, die vom Übereinkommen abweichen; im Verhältnis zu anderen Vertragsstaaten, die nicht Mitglied der Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration sind, gilt aber das Übereinkommen. Stets Vorrang vor dem Übereinkommen haben gem Abs 4 S 2 Regeln über die Anerkennung 7 und Vollstreckung, die die Organisation der regionalen Wirtschaftsorganisation angenommen hat; ob diese Regeln vor oder nach Wirksamkeit des Übereinkommens erlassen wurden, spielt keine Rolle. Auf diese Vorschrift bestanden die Vertreter der EU, um in der EGUntVO eine komplette Abschaffung des Exequaturverfahrens vorsehen zu können.7 IV. Vergleich mit der EG-UntVO Parallelregelung zu Art 51 ist der ebenfalls allgemein alle Koordinationsfälle regelnde Art 69 8 EG-UntVO, der in Abs 1 bestehende Übereinkünfte unberührt lässt, in Abs 2 für das Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander den Vorrang der Verordnung statuiert und hiervon in Abs 3 eine Ausnahme für das Übereinkommen vom 23.3.1962 zwischen Schweden, Dänemark, Finnland, Island und Norwegen über die Geltendmachung von Unterhaltsforderungen macht.

Artikel 52: Grundsatz der größten Wirksamkeit (1) Dieses Übereinkommen steht der Anwendung von Abkommen, Vereinbarungen oder sonstigen internationalen Übereinkünften, die zwischen einem ersuchenden Staat und einem ersuchten Staat in Kraft sind, oder im ersuchten Staat in Kraft befindlichen Gegenseitigkeitsvereinbarungen nicht entgegen, in denen Folgendes vorgesehen ist: a) weiter gehende Grundlagen für die Anerkennung von Unterhaltsentscheidungen, unbeschadet des Artikels 22 Buchstabe f; b) vereinfachte und beschleunigte Verfahren in Bezug auf einen Antrag auf Anerkennung oder Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen; c) eine günstigere juristische Unterstützung als die in den Artikeln 14 bis 17 vorgesehene oder d) Verfahren, die es einem Antragsteller in einem ersuchenden Staat erlauben, einen Antrag unmittelbar bei der Zentralen Behörde des ersuchten Staates zu stellen. (2) Dieses Übereinkommen steht der Anwendung eines im ersuchten Staat geltenden Gesetzes nicht entgegen, das wirksamere Vorschriften der Art, wie sie in Absatz 1 Buchstaben a bis c genannt sind, vorsieht. Die in Absatz 1 Buchstabe b genannten vereinfachten und beschleunigten Verfahren müssen jedoch mit dem Schutz vereinbar sein, der den Parteien nach den Artikeln 6

7

S nur Andrae FPR 2008, 196, 198; Azcárraga Monzonís REDI LX (2008) 491, 500; Long ICLQ 57 (2008) 984, 987. Beaumont RabelsZ 73 (2009) 509, 540.

Christoph A. Kern

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Art 52 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

23 und 24 gewährt wird, insbesondere, was die Rechte der Parteien auf ordnungsgemäße Benachrichtigung von den Verfahren und auf angemessene Gelegenheit, gehört zu werden, sowie die Wirkungen einer Anfechtung eines Rechtsmittels angeht. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Einzelerläuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

I. II. III.

IV.

1. Internationale Übereinkünfte . . . . . . . . . . . 3 2. Innerstaatliche Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . . . 9

I. Normzweck 1 Art 52 lässt auf bestimmten Gebieten internationale wie nationale Regelwerke generell zu,

wenn sie über die Regelungen des Übereinkommens noch hinausgehen. Damit steht zugleich fest, dass das Übereinkommen im Übrigen eine Nichtbeachtung seiner Regeln mit dem Argument, damit Ziel und Zweck des Übereinkommens noch besser zu dienen, nicht erlaubt. II. Entstehungsgeschichte 2 Vorläufer des Abs 1 lit a-c waren ab Januar 2007 in den Entwürfen enthalten;1 Abs 1 lit d

sowie Abs 2 kamen erst in den Schlussverhandlungen hinzu. III. Einzelerläuterung 1. Internationale Übereinkünfte 3 Abs 1 erlaubt die Anwendung von internationalen Übereinkünften zwischen ersuchendem

und ersuchtem Staat oder Gegenseitigkeitsvereinbarungen des ersuchten Staates in vier Fällen. Während Art 51 Abschluss und Wirksamkeit solcher Regelwerke betrifft, geht es in Art 52 um die Anwendung im konkreten Einzelfall. 4 Erster von Abs 1 vorgesehener Fall einer Anwendung anderer Übereinkünfte oder Gegen-

seitigkeitsvereinbarungen ist der, dass unter der Übereinkunft oder Gegenseitigkeitsvereinbarung in größerem Umfang als unter dem Übereinkommen ausländische Entscheidungen anerkannt werden. Allerdings bleibt eine Verweigerung der Anerkennung wegen Verletzung des Art 18 über die Verfahrensbegrenzung weiterhin möglich (lit a). 5 Zweiter Fall sind vereinfachte und beschleunigte Verfahren bei Anträgen auf Anerkennung

oder Anerkennung und Vollstreckung (lit b). Hier erscheint fraglich, ob die Vereinfachung und Beschleunigung auf Kosten der Rechte des Titelschuldners gehen dürfen. Abs 2 S 2 enthält eine entsprechende Einschränkung, ist aber nach der Systematik nur auf die von Abs 2 S 1 bezeichneten innerstaatlichen Gesetze anwendbar. Internationale Regelwerke sehen in der Praxis allerdings typischerweise ein hohes Schuldnerschutzniveau vor, sodass die Frage nicht relevant werden dürfte.

1

Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 22.

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Oktober 2014

Kapitel VIII: Allgemeine Bestimmungen

Art 53 HUntVerfÜbk

Als dritten Fall nennt lit c günstigere juristische Unterstützung als in den Art 14-17 vor- 6 gesehen. Günstiger kann die Übereinkunft oder Gegenseitigkeitsvereinbarung sowohl hinsichtlich des Ob als auch hinsichtlich des Wie der juristischen Unterstützung sein. Dabei ist kein allgemeiner Günstigkeitsvergleich vorzunehmen, sondern zu fragen, welche Regeln im konkreten Einzelfall günstiger sind. Vierter Fall schließlich sind Verfahrensregeln, die einen unmittelbaren Antrag bei der 7 Zentralen Behörde des ersuchten Staates erlauben, also zwar nicht die Zentralen Behörden insgesamt außen vor lassen und direkt bei der zuständigen Behörde stattfinden, sondern unter Übergehen der ersuchenden Zentralen Behörde nur die Zentrale Behörde des ersuchten Staates einbeziehen (lit d). 2. Innerstaatliche Gesetze Abs 2 S 1 erweitert den Gedanken des Abs 1 auf innerstaatliche Gesetze, allerdings nur im 8 Hinblick auf die ersten drei Fälle (lit a-c), da innerstaatliche Gesetze regelmäßig keine Verfahren über Zentrale Behörden vorsehen. Abs 2 S 2 macht im Hinblick auf lit b eine Einschränkung, die den Parteien dasselbe Schutzniveau erhalten will, das ihnen unter Art 23 und 24 gewährleistet ist, und stellt klar, dass sich dies insbesondere auf die Wahrung des rechtlichen Gehörs bezieht: Die Rechte auf ordnungsgemäße Benachrichtigung von dem Verfahren und auf angemessene Gelegenheit zur Stellungnahme sowie die Wirkungen eines Rechtsbehelfs. Hintergrund ist das nicht ganz unberechtigte Misstrauen gegen die Rechtsordnungen bestimmter Staaten, die mit dem rechtlichen Gehör schwer vereinbare Regelungen über die öffentliche Zustellung oder eine starke Beschränkung von Rechtsmitteln kennen. Allerdings sind es gerade die Behörden dieser Staaten, die sich vor der Anwendung der einfacheren oder beschleunigten Verfahren die Frage stellen müssen, ob ihr eigenes Recht das rechtliche Gehör in einer den Art 23 und 24 vergleichbaren Weise wahrt. Dass diese Behörden hier zu einem negativen Ergebnis kommen, dürfte eher nicht zu erwarten sein. IV. Vergleich mit der EG-UntVO Die EG-UntVO kennt keine dem Art 52 vergleichbare Regelung, geht allerdings auch weiter 9 als das Übereinkommen, sodass der Fall einer anderen internationalen Übereinkunft oder eines innerstaatlichen Gesetzes, die über den Stand der EG-UntVO hinausgehen könnte, praktisch nicht vorkommen wird.

Artikel 53: Einheitliche Auslegung Bei der Auslegung dieses Übereinkommens ist seinem internationalen Charakter und der Notwendigkeit, seine einheitliche Anwendung zu fördern, Rechnung zu tragen. I. II. III.

Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Einzelerläuterung 1. Berücksichtigung des internationalen Charakters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

Christoph A. Kern

IV.

2. Berücksichtigung der Notwendigkeit einheitlicher Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . . . 5

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Art 54 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

I. Normzweck 1 Art 53 will vermeiden, dass die mit dem Übereinkommen angestrebte Vereinheitlichung

durch unterschiedliche Interpretation verloren geht. II. Entstehungsgeschichte 2 Die Vorschrift, die sich so oder ähnlich in verschiedenen jüngeren Übereinkommen findet,1

war von Anfang an in den Entwürfen vorgesehen.2 III. Einzelerläuterung 1. Berücksichtigung des internationalen Charakters 3 Indem Art 53 bei der Auslegung des Übereinkommens eine Berücksichtigung seines inter-

nationalen Charakters vorschreibt, verlangt er eine Auslegung, die nicht von nationalen Begrifflichkeiten und nationaler Systematik ausgeht, sondern das Übereinkommen zuerst aus sich selbst heraus zu verstehen sucht, dabei die Entstehungsgeschichte berücksichtigt und sodann auf mehr als eine einzige Rechtsordnung schaut, im Optimalfall alle Rechtsordnungen der an der Ausarbeitung beteiligten Staaten einbezieht. 2. Berücksichtigung der Notwendigkeit einheitlicher Anwendung 4 Die Auslegung hat weiter die Notwendigkeit einheitlicher Anwendung zu berücksichtigen.

Dies geschieht dadurch, dass bei der Auslegung auch ins Gewicht fällt, wie das Übereinkommen nach Literatur und Rechtsprechung der übrigen Vertragsstaaten auszulegen ist. IV. Vergleich mit der EG-UntVO 5 Die EG-UntVO enthält keine dem Art 53 entsprechende Vorschrift, ist jedoch nach den

allgemeinen Regeln des Unionsrechts grundsätzlich autonom auszulegen. Dabei ist allerdings der enge Bezug zum HUntVerfÜbk 2007 zu berücksichtigen.3

Artikel 54: Prüfung der praktischen Durchführung des Übereinkommens (1) Der Generalsekretär der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht beruft in regelmäßigen Abständen eine Spezialkommission zur Prüfung der praktischen Durchführung des Übereinkom1

2

3

S etwa Art 23 HProrogÜbk 2005; Art 13 des Haager Übereinkommens vom 5.7.2006 über die auf bestimmte Rechte an intermediärverwahrten Wertpapieren anzuwendende Rechtsordnung; Art 16 des Haager Übereinkommens vom 22.12.1986 über das auf internationale Warenkaufverträge anwendbare Recht; Art 7 Abs 1 CISG. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 22. Siehe nur Andrae Internationales Familienrecht § 8 Rn 3 f.

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Oktober 2014

Kapitel VIII: Allgemeine Bestimmungen

Art 55 HUntVerfÜbk

mens und zur Förderung der Entwicklung bewährter Praktiken aufgrund des Übereinkommens ein. (2) Zu diesem Zweck arbeiten die Vertragsstaaten mit dem Ständigen Büro der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht bei der Sammlung von Informationen über die praktische Durchführung des Übereinkommens, einschließlich Statistiken und Rechtsprechung, zusammen.

I. Normzweck Art 54 will eine kontinuierliche Beobachtung und Verbesserung der praktischen Anwen- 1 dung des Übereinkommens sicherstellen, indem er dem Generalsekretär das Recht zur Einberufung einer Spezialkommission gibt (Abs 1) und die Vertragsstaaten zur Zusammenarbeit mit dem Ständigen Büro verpflichtet (Abs 2). II. Entstehungsgeschichte Der heutige Art 54, dessen Abs 1 sich auf verschiedene Vorbilder berufen kann,1 war von 2 Anfang an vorgesehen,2 war doch die Kompetenz und Erfahrung der Haager Konferenz in derartigen „post-Convention services“ gerade ein Grund dafür, auch die bislang in dem von der UN initiierten NYUntÜbk 1956 geregelte internationale Zusammenarbeit in ein Haager Übereinkommen hineinzunehmen.3 III. Vergleich mit der EG-UntVO Eine ungefähre Entsprechung hat Art 54 Abs 1 in der Überprüfungsklausel des Art 74 EG- 3 UntVO; die Pflicht zur Zusammenarbeit besteht schon nach dem Grundsatz der Unionstreue.

Artikel 55: Änderung der Formblätter* (1) Die Formblätter* in der Anlage dieses Übereinkommens können durch Beschluss einer vom Generalsekretär der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht einzuberufenden Spezialkommission geändert werden, zu der alle Vertragsstaaten und alle Mitglieder eingeladen werden. Der Vorschlag zur Änderung der Formblätter* ist auf die Tagesordnung zu setzen, die der Einberufung beigefügt wird. (2) Die Änderungen werden von den in der Spezialkommission anwesenden Vertragsstaaten angenommen. Sie treten für alle Vertragsstaaten am ersten Tag des siebten Monats nach dem Zeitpunkt in Kraft, in dem der Verwahrer** diese Änderungen allen Vertragsstaaten mitgeteilt hat. (3) Während der in Absatz 2 genannten Frist kann jeder Vertragsstaat dem Verwahrer** schriftlich notifizieren, dass er nach Artikel 62 einen Vorbehalt zu dieser Änderung anbringt. Der Staat, der 1

Art 42 HAdoptÜbk 1993; Art 56 KSÜ; Art 52 HErwSÜbk 2000. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 21 f. 3 Kurucz IFL March 2012, 103; allgemein Lortie YB PIL 10 (2008) 359. * Schweiz: Formulare. ** Österreich, Schweiz, ABl EU 2011 L 192/51, 63: Depositar. 2

Christoph A. Kern

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Art 55 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

einen solchen Vorbehalt anbringt, wird in Bezug auf diese Änderung bis zur Rücknahme des Vorbehalts so behandelt, als wäre er nicht Vertragspartei dieses Übereinkommens. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Einzelerläuterung 1. Einberufung einer Spezialkommission 3

I. II. III.

2. Entscheidung über die Änderung . . . . . . . 5 3. Inkrafttreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 4. Vorbehaltsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

I. Normzweck 1 Zweck des Art 55 ist es, ein Verfahren vorzusehen, das eine Verbesserung oder Anpassung

der Formulare ohne die aufwendige und oft schwer zu erreichende Einigung im Rahmen einer neuen Konferenz erlaubt.1 II. Entstehungsgeschichte 2 Die Regelungen über ein vereinfachtes Änderungsverfahren für die Formulare tauchten

schon im Arbeitspapier vom Juni 2004 auf;2 ab dem Entwurf vom Oktober 2005 standen sie dann in den Allgemeinen Bestimmungen.3 III. Einzelerläuterung 1. Einberufung einer Spezialkommission 3 Abs 1 S 1 überträgt die Zuständigkeit zur Änderung der Formulare einer Spezialkommis-

sion. Diese Spezialkommission muss der Generalsekretär der Haager Konferenz einberufen. Einzuladen hat er alle Vertragsstaaten und alle Mitglieder der Haager Konferenz, also auch diejenigen, die nicht Vertragsstaat des Übereinkommens sind. Gem S 2 muss die Einberufung unter Beifügung einer Tagesordnung geschehen, die den Änderungsvorschlag enthält. 4 Nicht ausdrücklich gesagt ist, ob nur der konkrete Änderungsvorschlag entweder angenom-

men oder abgelehnt werden kann, oder ob die Spezialkommission ihrerseits den Änderungsvorschlag weiter ändern darf. Die Mitteilung des Änderungsvorschlags und die Tatsache, dass nur die anwesenden Vertragsstaaten abstimmen, spricht gegen eine weitere Änderung durch die Spezialkommission. 2. Entscheidung über die Änderung 5 Die Entscheidung über die Annahme der Änderung erfolgt gem Abs 2 S 1 durch die in der

Spezialkommission anwesenden Vertragsstaaten. Es bedarf also nicht der Repräsentation 1 2

3

Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1315. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Proposition du Comité de rédaction, Doc trav No 34 F, 17 juin 2004, S 8. Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 19.

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Oktober 2014

Kapitel VIII: Allgemeine Bestimmungen

Art 56 HUntVerfÜbk

aller Vertragsstaaten. Mitglieder der Haager Konferenz, die nicht Vertragsstaat sind, dürfen zwar an der Spezialkommission teilnehmen, aber nicht über die Annahme der Änderung entscheiden. Ein Quorum für die Repräsentation der Vertragsstaaten sowie eine qualifizierte Mehrheit sind nicht erforderlich. Es reicht also die einfache Mehrheit der anwesenden Vertragsstaaten. 3. Inkrafttreten Gem Abs 2 S 2 tritt eine Änderung für alle Vertragsstaaten – also auch die in der Spezial- 6 kommission nicht vertretenen Vertragsstaaten – am ersten Tag des siebten Monats nach ihrer Mitteilung in Kraft. Hieraus folgt eine Pflicht des Verwahrers, eine angenommene Änderung allen Vertragsstaaten mitzuteilen. Die Mitteilung an alle Vertragsstaaten ist Voraussetzung für die Wirksamkeit der Änderung. 4. Vorbehaltsmöglichkeit Die Vorbehaltsmöglichkeit trägt verfassungsrechtlichen Vorgaben einiger Staaten Rech- 7 nung, die eine „dynamische“ Ratifizierung nicht erlauben.4 Ein Vertragsstaat kann gem Abs 3 S 1 in der Zeit zwischen der Mitteilung und dem Inkrafttreten nach Abs 2 S 2 dem Verwahrer notifizieren, dass er einen Vorbehalt gegen die Änderung des Formulars anbringt. Nur durch fristgerechte Notifizierung kann er sich einer Bindung durch das geänderte Formular entziehen. Folge der Notifizierung ist gem Abs 3 S 2, dass der Staat in Bezug auf diese Änderung nicht 8 als Vertragsstaat behandelt wird. Der Staat muss also die geänderten Formulare weder akzeptieren noch benutzen. Offen bleibt allerdings, ob er stattdessen die bisherigen Formulare akzeptieren muss und benutzen darf. Hierfür spricht die Einschränkung der Behandlung als Nichtvertragsstaat „in Bezug auf diese Änderung“. Der Verlust an Einheitlichkeit erscheint hinnehmbar, da immerhin die zuvor geltende Fassung der Formulare die – eventuell über Art 55 erreichte – Zustimmung aller Vertragsstaaten hatte. IV. Vergleich mit der EG-UntVO Art 72 EG-UntVO verweist für das Verfahren zur Änderung der Formblätter über Art 73 9 Abs 3 EG-UntVO auf die Art 3 und 7 des Beschlusses des Rates vom 28.6.1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse.5

Artikel 56: Übergangsbestimmungen (1) Dieses Übereinkommen ist in allen Fällen anzuwenden, in denen a) ein Ersuchen gemäß Artikel 7 oder ein Antrag gemäß Kapitel III nach dem Inkrafttreten des

4

5

Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1315; dies FS Siehr (2010) 173, 186; Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 284. Rat der EG, Beschluss, 28.6.1999, 1999/468/EG, ABl EG 1999 L 184/23.

Christoph A. Kern

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Art 56 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Übereinkommens zwischen dem ersuchenden Staat und dem ersuchten Staat bei der Zentralen Behörde des ersuchten Staates eingegangen ist; b) ein unmittelbar gestellter Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens zwischen dem Ursprungsstaat und dem Vollstreckungsstaat bei der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaats eingegangen ist. (2) In Bezug auf die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zwischen den Vertragsstaaten dieses Übereinkommens, die auch Vertragsparteien der in Artikel 48 genannten Haager Übereinkommen sind, finden, wenn die nach diesem Übereinkommen für die Anerkennung und Vollstreckung geltenden Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung einer im Ursprungsstaat vor dem Inkrafttreten dieses Übereinkommens in diesem Staat ergangenen Entscheidung entgegenstehen, die andernfalls nach dem Übereinkommen, das in Kraft war, als die Entscheidung erging, anerkannt und vollstreckt worden wäre, die Voraussetzungen des letztgenannten Übereinkommens Anwendung. (3) Der Vollstreckungsstaat ist nach diesem Übereinkommen nicht verpflichtet, eine Entscheidung oder Unterhaltsvereinbarung in Bezug auf Zahlungen zu vollstrecken, die vor dem Inkrafttreten des Übereinkommens zwischen dem Ursprungsstaat und dem Vollstreckungsstaat fällig geworden sind, es sei denn, dass Unterhaltspflichten aus einer Eltern-Kind-Beziehung gegenüber einer Person betroffen sind, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Einzelerläuterung 1. Grundregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

I. II. III.

IV.

2. Frühere Haager Übereinkommen . . . . . . . 4 3. Vor Inkrafttreten fällige Zahlungen . . . . . 5 Vergleich mit der EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . . . 6

I. Normzweck 1 Art 56 trifft in Abs 1 eine allgemeine Regel über den zeitlichen Anwendungsbereich des

Übereinkommens, modifiziert diese in Abs 2 für Anerkennung und Vollstreckung nach dem Gedanken der Meistbegünstigung, wenn die Anwendung eines der früheren Haager Überkommen, das bei Erlass der Entscheidung galt, günstiger ist, und erlaubt in Abs 3 eine Einschränkung der Vollstreckung von vor dem Inkrafttreten fällig gewordenen Zahlungen, sofern diese nicht Kindesunterhalt betreffen. II. Entstehungsgeschichte 2 Für Übergangsbestimmungen sah noch der Entwurf vom Oktober 2005 als Merkposten nur

eine Überschrift vor.1 Die Entwürfe vom Januar und Oktober 2007 enthielten dann den heutigen Abs 1 sowie einen Vorläufer des Abs 3;2 die Endfassung erhielt der Artikel erst danach.

1

2

Comité de rédaction, Esquisse d’un projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 16, octobre 2005, S 20. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 23; Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 23 f.

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Kapitel VIII: Allgemeine Bestimmungen

Art 57 HUntVerfÜbk

III. Einzelerläuterung 1. Grundregel Abs 1 verlangt für die zeitliche Anwendbarkeit des Übereinkommens zunächst dessen In- 3 krafttreten zwischen den beteiligten Staaten und stellt sodann darauf ab, wann ein Ersuchen oder Antrag bei der Zentralen Behörde des ersuchten Staates (lit a) bzw bei der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaats (lit b) eingegangen ist. Damit ist ein Zeitpunkt gewählt, der den Anwendungsbereich des Übereinkommens ausdehnt; ein gewisses Gegengewicht bildet jedoch Abs 3. 2. Frühere Haager Übereinkommen Abs 2 will verhindern, dass einer Entscheidung die Vorteile einer einmal gegebenen erleich- 4 terten Anerkennung und Vollstreckung unter den früheren Haager Übereinkommen verloren gehen. Dazu muss die Entscheidung noch vor Inkrafttreten des vorliegenden Übereinkommens ergangen sein; sie muss seinerzeit unter eines der frühren Haager Übereinkommen gefallen sein und ihre Anerkennung und Vollstreckung muss nunmehr wegen des Vorrangs des vorliegenden Übereinkommens gem Art 48 an sich ausscheiden. Für solche Fälle sieht Abs 2 vor, dass das günstigere frühere Übereinkommen fortgilt. 3. Vor Inkrafttreten fällige Zahlungen Eine Entscheidung über laufenden und eventuell sogar rückständigen Unterhalt kann vor 5 Inkrafttreten des Übereinkommens ergangen, aber unter ihm anzuerkennen und zu vollstrecken sein (Abs 1 lit b), oder zwar nach Inkrafttreten ergangen sein, aber rückständigen Unterhalt auch für eine Zeit vor Inkrafttreten zusprechen. In diesen Fällen erlaubt Abs 3 dem Vollstreckungsstaat, die Vollstreckung auf die Zahlungen zu beschränken, die nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens fällig wurden. Stets zu vollstrecken ist jedoch Kindesunterhalt für ein weniger als 21 Jahre altes Kind. IV. Vergleich mit der EG-UntVO Die EG-UntVO enthält Übergangsbestimmungen in ihrem Art 75, der teilweise dem Abs 1 6 ähnlich ist, aber keine Entsprechung zu Abs 2 und 3 enthält.

Artikel 57: Informationen zu den Rechtsvorschriften, Verfahren und Dienstleistungen (1) Ein Vertragsstaat stellt dem Ständigen Büro der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht bei der Hinterlegung seiner Ratifikations- oder Beitrittsurkunde oder bei der Abgabe einer Erklärung nach Artikel 61 Folgendes zur Verfügung: a) eine Beschreibung seiner auf Unterhaltspflichten anzuwendenden Rechtsvorschriften und Verfahren; b) eine Beschreibung der Maßnahmen, die er treffen wird, um seinen Verpflichtungen aus Artikel 6 nachzukommen; c) eine Beschreibung der Art und Weise, in der er den Antragstellern nach Artikel 14 tatsächlich Zugang zu Verfahren verschafft;

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Art 57 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

d) eine Beschreibung seiner Vollstreckungsvorschriften und -verfahren einschließlich der Einschränkungen bei der Vollstreckung, insbesondere im Hinblick auf die Vorschriften zum Schutz der verpflichteten Person und die Verjährungsfristen; e) alle näheren Angaben, auf die in Artikel 25 Absatz 1 Buchstabe b und Absatz 3 Bezug genommen wird. (2) Die Vertragsstaaten können, um ihren Verpflichtungen aus Absatz 1 nachzukommen, ein von der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht empfohlenes und veröffentlichtes Formblatt* „Landesprofil“ verwenden. (3) Die Informationen werden von den Vertragsstaaten auf dem aktuellen Stand gehalten.

I. Normzweck 1 Art 57 will sicherstellen, dass sich die beteiligten Personen und Behörden insoweit, als das

Übereinkommen auf das innerstaatliche Recht der Vertragsstaaten verweist bzw den Vertragsstaaten einen Ausgestaltungsspielraum lässt, über dieses Recht bzw die gewählte Ausgestaltung in einfacher, praktischer und kostengünstiger Weise informieren können.1 Zu diesem Zweck werden den Vertragsstaaten Pflichten zur Beschreibung ihres Rechts bzw der von ihnen gewählten Ausgestaltung auferlegt (Abs 1), wofür zur Vereinfachung ein 2012 veröffentlichtes2 Formular „Landesprofil“ verwendet werden kann (Abs 2);3 dass die Informationen aktuell zu halten sind (Abs 3), sollte sich von selbst verstehen. Nicht zuletzt können die Pflichten des Art 57 Abs 1, insbesondere lit c, auch eine disziplinierende Wirkung haben, indem sie die Vertragsstaaten zwingen, sich über die Umsetzung der Regeln des Übereinkommens vorab Gedanken zu machen und diese auch bekanntzugeben.4 II. Entstehungsgeschichte 2 Schon der Entwurf vom April 2004 sah eine Pflicht der Zentralen Behörden zur Information

über das Unterhaltsrecht (vgl Abs 1 lit a) sowie eine Pflicht des Staates zur Information über das Vollstreckungsrecht (vgl Abs 1 lit d) vor.5 Der Entwurf vom Januar 2007 fasste die Informationspflichten in einem Artikel zusammen, verpflichtete statt der Zentralen Behörde einheitlich den Staat und entsprach mit Ausnahme von Abs 1 lit e dem heutigen Art6 57; lit e kam erst in einem späten Stadium hinzu.7 * 1 2

3 4

5

6

7

Schweiz: Formular. Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1317 f. Bureau Permanent, Profil des États – Convention recouvrement des aliments de 2007, Doc prél No 3 (définitif), septembre 2012, verfügbar unter www.hcch.net Conventions Nr 38 Profil des Etats. Dazu Barkley/Ménard La Lettre des juges XIV (Hiver 2008-09) 39. Borrás/Degeling Rapport explicatif Rn 683; Carlson Fam LQ 43 (2009) 21, 33; Duncan YB PIL 10 (2008) 313, 329; Kurucz IFL March 2012, 103, 105. Comité de rédaction, Esquisse d’une Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 7, avril 2004, S 3, 11. Comité de rédaction, Avant-projet de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 25, janvier 2007, S 24. Vgl noch Comité de rédaction, Avant-projet révisé de Convention sur le recouvrement international des aliments envers les enfants et d’autres membres de la famille, Doc prél No 29, juin 2007, S 24. Dazu auch Curry-Sumner NIPR 2010, 611, 613 f.

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Kapitel IX: Schlussbestimmungen

Art 59 HUntVerfÜbk

III. Vergleich mit der EG-UntVO Art 70 EG-UntVO sieht im Wesentlichen dieselben Informationspflichten vor, wobei die 3 Informationen dort in das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen einzustellen sind.

Kapitel IX: Schlussbestimmungen Artikel 58: Unterzeichnung, Ratifikation und Beitritt (1) Dieses Übereinkommen liegt für die Staaten, die zur Zeit der Einundzwanzigsten Tagung der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht Mitglied der Konferenz waren, sowie für die anderen Staaten, die an dieser Tagung teilgenommen haben, zur Unterzeichnung auf. (2) Es bedarf der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung; die Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunden werden beim Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten des Königreichs der Niederlande, dem Verwahrer* dieses Übereinkommens, hinterlegt. (3) Jeder andere Staat oder jede andere Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration kann diesem Übereinkommen beitreten, nachdem es gemäß Artikel 60 Absatz 1 in Kraft getreten ist. (4) Die Beitrittsurkunde wird beim Verwahrer* hinterlegt. (5) Der Beitritt wirkt nur im Verhältnis zwischen dem beitretenden Staat und den Vertragsstaaten, die innerhalb von 12 Monaten nach der in Artikel 65 vorgesehenen Notifikation keinen Einspruch gegen den Beitritt erhoben haben. Nach dem Beitritt kann ein solcher Einspruch auch von jedem Mitgliedstaat in dem Zeitpunkt erhoben werden, in dem er dieses Übereinkommen ratifiziert, annimmt oder genehmigt. Die Einsprüche werden dem Verwahrer* notifiziert.

Artikel 59: Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration (1) Eine Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration, die ausschließlich von souveränen Staaten gebildet wird und für einige oder alle in diesem Übereinkommen geregelten Angelegenheiten zuständig ist, kann das Übereinkommen ebenfalls unterzeichnen, annehmen, genehmigen oder ihm beitreten. Die Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration hat in diesem Fall die Rechte und Pflichten eines Vertragsstaats in dem Umfang, in dem sie für Angelegenheiten zuständig ist, die im Übereinkommen geregelt sind. (2) Die Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration notifiziert dem Verwahrer** bei der Unterzeichnung, der Annahme, der Genehmigung oder dem Beitritt schriftlich die in diesem Übereinkommen geregelten Angelegenheiten, für die ihr von ihren Mitgliedstaaten die Zuständigkeit übertragen wurde. Die Organisation notifiziert dem Verwahrer* umgehend schriftlich jede

Veränderung ihrer Zuständigkeit gegenüber der letzten Notifikation nach diesem Absatz. (3) Eine Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration kann bei der Unterzeichnung, der Annahme, der Genehmigung oder dem Beitritt nach Artikel 63 erklären, dass sie für alle in diesem Übereinkommen geregelten Angelegenheiten zuständig ist und dass die Mitgliedstaaten, die * Österreich, Schweiz, ABl EU 2011 L 192/51, 63: Depositar. ** Österreich, Schweiz, ABl EU 2011 L 192/51, 64: Depositar.

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Art 60 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

ihre Zuständigkeit in diesem Bereich der Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration übertragen haben, aufgrund der Unterzeichnung, der Annahme, der Genehmigung oder des Beitritts der Organisation durch das Übereinkommen gebunden sein werden. (4) Für das Inkrafttreten dieses Übereinkommens zählt eine von einer Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration hinterlegte Urkunde nicht, es sei denn, die Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration gibt eine Erklärung nach Absatz 3 ab. (5) Jede Bezugnahme in diesem Übereinkommen auf einen „Vertragsstaat“ oder „Staat“ gilt gegebenenfalls gleichermaßen für eine Organisation der regionalen Wirtschaftsorganisation, die Vertragspartei des Übereinkommens ist. Gibt eine Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration eine Erklärung nach Absatz 3 ab, so gilt jede Bezugnahme im Übereinkommen auf einen „Vertragsstaat“ oder „Staat“ gegebenenfalls gleichermaßen für die betroffenen Mitgliedstaaten der Organisation.

1 Art 59 erlaubt Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration, Partei des Überein-

kommens zu werden, und nimmt die entsprechenden Klarstellungen vor. Was eine Organisation der Regionalen Wirtschaftsintegration ist, definiert Art 3 Abs 9 des Statuts der Haager Konferenz in der seit dem 1.1.2007 geltenden Fassung. Danach ist Organisation der Regionalen Wirtschaftsintegration „eine ausschließlich von souveränen Staaten gebildete internationale Organisation, der ihre Mitgliedstaaten die Zuständigkeit für eine Reihe von Angelegenheiten übertragen haben, einschließlich der Befugnis, in diesen Angelegenheiten Beschlüsse zu fassen, die für ihre Mitgliedstaaten verbindlich sind.“ Die EG und nun EU, die eine solche Organisation darstellt und seit dem 3.4.2007 Mitglied der Haager Konferenz ist,1 hat eine Erklärung nach Abs 3 abgegeben.2

Artikel 60: Inkrafttreten (1) Dieses Übereinkommen tritt am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf den Ablauf eines Zeitraums von drei Monaten nach der Hinterlegung der zweiten Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde nach Artikel 58 folgt. (2) Danach tritt dieses Übereinkommen wie folgt in Kraft: a) für jeden Staat oder jede Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration nach Artikel 59 Absatz 1, der oder die es später ratifiziert, annimmt oder genehmigt, am ersten Tag des Monats, der auf den Ablauf eines Zeitraums von drei Monaten nach Hinterlegung seiner oder ihrer Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde folgt; b) für jeden Staat oder jede Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration nach Artikel 58 Absatz 3 am Tag nach Ablauf des Zeitraums, in dem Einspruch nach Artikel 58 Absatz 5 erhoben werden kann; c) für die Gebietseinheiten, auf die das Übereinkommen nach Artikel 61 erstreckt worden ist, am ersten Tag des Monats, der auf den Ablauf eines Zeitraums von drei Monaten nach der in jenem Artikel vorgesehenen Notifikation folgt.

1 2

S nur Unif L Rev ns 12 (2007) 156. Rat der EU, 9.4.2014, Art 1 Nr 1 iVm Anhang I A, ABl EU L 113/1, 3.

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Oktober 2014

Kapitel IX: Schlussbestimmungen

Art 62 HUntVerfÜbk

Das Übereinkommen ist gem Abs 1 am 1.1.2013 für Norwegen und Albanien in Kraft 1 getreten. Es gilt gem Abs 2 lit a seit dem 1.2.2013 auch im Verhältnis zu Bosnien-Herzegowina, seit dem 1.11.2013 im Verhältnis zur Ukraine und seit dem 1.8.2014 im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme Dänemarks.

Artikel 61: Erklärungen in Bezug auf nicht einheitliche Rechtssysteme (1) Ein Staat, der aus zwei oder mehr Gebietseinheiten besteht, in denen für die in diesem Übereinkommen geregelten Angelegenheiten unterschiedliche Rechtssysteme gelten, kann bei der Unterzeichnung, der Ratifikation, der Annahme, der Genehmigung oder dem Beitritt nach Artikel 63 erklären, dass das Übereinkommen auf alle seine Gebietseinheiten oder nur auf eine oder mehrere davon erstreckt wird; er kann diese Erklärung durch Abgabe einer neuen Erklärung jederzeit ändern. (2) Jede derartige Erklärung wird dem Verwahrer* unter ausdrücklicher Bezeichnung der Gebietseinheiten notifiziert, auf die das Übereinkommen angewendet wird. (3) Gibt ein Staat keine Erklärung nach diesem Artikel ab, so erstreckt sich das Übereinkommen auf sein gesamtes Hoheitsgebiet. (4) Dieser Artikel ist nicht anzuwenden auf Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration.

Artikel 62: Vorbehalte (1) Jeder Vertragsstaat kann spätestens bei der Ratifikation, der Annahme, der Genehmigung oder dem Beitritt oder bei Abgabe einer Erklärung nach Artikel 61 einen oder mehrere der in Artikel 2 Absatz 2, Artikel 20 Absatz 2, Artikel 30 Absatz 8, Artikel 44 Absatz 3 und Artikel 55 Absatz 3 vorgesehenen Vorbehalte anbringen. Weitere Vorbehalte sind nicht zulässig. (2) Jeder Staat kann einen von ihm angebrachten Vorbehalt jederzeit zurücknehmen. Die Rücknahme wird dem Verwahrer** notifiziert. (3) Die Wirkung des Vorbehalts endet am ersten Tag des dritten Monats nach der in Absatz 2 genannten Notifikation. (4) Die nach diesem Artikel angebrachten Vorbehalte mit Ausnahme des Vorbehalts nach Artikel 2 Absatz 2 bewirken nicht die Gegenseitigkeit.

Die bis Redaktionsschluss angebrachten Vorbehalte sind bei den jeweiligen Artikeln er- 1 wähnt; aktuelle Angaben finden sich unter www.hcch.net Conventions Nr 38 Etat présent. Der von Abs 4 angeordnete Ausschluss der Reziprozität von Vorbehalten ist erforderlich, da nach allgemeinem Völkerrecht und Haager Usancen Vorbehalte gegenseitig sind.1

* Österreich, Schweiz, ABl EU 2011 L 192/51, 64: Depositar. ** Österreich, Schweiz, ABl EU 2011 L 192/51, 64: Depositar. 1 Vgl Art 21 Abs 1 lit b des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge v 23.5.1969; Borrás AEDIPr VII (2007) 1305, 1316; dies FS Siehr (2010) 173, 183.

Christoph A. Kern

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Artt 63 HUntVerfÜbk

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Artikel 63: Erklärungen (1) Erklärungen nach Artikel 2 Absatz 3, Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe g, Artikel 16 Absatz 1, Artikel 24 Absatz 1, Artikel 30 Absatz 7, Artikel 44 Absätze 1 und 2, Artikel 59 Absatz 3 und Artikel 61 Absatz 1 können bei der Unterzeichnung, der Ratifikation, der Annahme, der Genehmigung oder dem Beitritt oder jederzeit danach abgegeben und jederzeit geändert oder zurückgenommen werden. (2) Jede Erklärung, Änderung und Rücknahme wird dem Verwahrer* notifiziert. (3) Eine bei der Unterzeichnung, der Ratifikation, der Annahme, der Genehmigung oder dem Beitritt abgegebene Erklärung wird mit Inkrafttreten dieses Übereinkommens für den betreffenden Staat wirksam. (4) Eine zu einem späteren Zeitpunkt abgegebene Erklärung und jede Änderung oder Rücknahme einer Erklärung werden am ersten Tag des Monats wirksam, der auf den Ablauf eines Zeitraums von drei Monaten nach Eingang der Notifikation beim Verwahrer* folgt.

1 Die bis Redaktionsschluss abgegebenen Erklärungen sind bei den jeweiligen Artikeln er-

wähnt; aktuelle Angaben finden sich unter www.hcch.net Conventions Nr 38 Etat présent.

Artikel 64: Kündigung (1) Jeder Vertragsstaat kann dieses Übereinkommen durch eine an den Verwahrer** gerichtete schriftliche Notifikation kündigen. Die Kündigung kann sich auf bestimmte Gebietseinheiten eines Staates mit mehreren Einheiten beschränken, auf die das Übereinkommen angewendet wird. (2) Die Kündigung wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf den Ablauf eines Zeitraums von 12 Monaten nach Eingang der Notifikation beim Verwahrer** folgt. Ist in der Notifikation für das Wirksamwerden der Kündigung ein längerer Zeitraum angegeben, so wird die Kündigung nach Ablauf des entsprechenden Zeitraums nach Eingang der Notifikation beim Verwahrer** wirksam.

Artikel 65: Notifikation Der Verwahrer*** notifiziert den Mitgliedern der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht sowie den anderen Staaten und Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration, die dieses Übereinkommen nach den Artikeln 58 und 59 unterzeichnet, ratifiziert, angenommen oder genehmigt haben oder ihm beigetreten sind, a) jede Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme und Genehmigung nach den Artikeln 58 und 59; b) jeden Beitritt und jeden Einspruch gegen den Beitritt nach Artikel 58 Absätze 3 und 5 und Artikel 59; c) den Tag, an dem das Übereinkommen nach Artikel 60 in Kraft tritt;

* Österreich, Schweiz, ABl EU 2011 L 192/51, 64: Depositar. ** Österreich, Schweiz, ABl EU 2011 L 192/51, 65: Depositar. *** Österreich, Schweiz, ABl EU 2011 L 192/51, 65: Depositar.

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Oktober 2014

Kapitel IX: Schlussbestimmungen

Art 65 HUntVerfÜbk

d) jede Erklärung nach Artikel 2 Absatz 3, Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe g, Artikel 16 Absatz 1, Artikel 24 Absatz 1, Artikel 30 Absatz 7, Artikel 44 Absätze 1 und 2, Artikel 59 Absatz 3 und Artikel 61 Absatz 1; e) jede Vereinbarung nach Artikel 51 Absatz 2; f) jeden Vorbehalt nach Artikel 2 Absatz 2, Artikel 20 Absatz 2, Artikel 30 Absatz 8, Artikel 44 Absatz 3 sowie Artikel 55 Absatz 3 und die Rücknahme der Vorbehalte nach Artikel 62 Absatz 2; g) jede Kündigung nach Artikel 64.

ZU URKUND DESSEN haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Übereinkommen unterschrieben. Geschehen zu Den Haag am dreiundzwanzigsten November zweitausendsieben in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv der Regierung des Königreichs der Niederlande hinterlegt und von der jedem Staat, der zur Zeit der Einundzwanzigsten Tagung der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht Mitglied der Konferenz war, sowie jedem anderen Staat, der an dieser Tagung teilgenommen hat, auf diplomatischem Weg eine beglaubigte Abschrift übermittelt wird.

Christoph A. Kern

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B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Anl I HUntVerfÜbk '(

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Oktober 2014

Anhänge 

Anl I HUntVerfÜbk '(

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Christoph A. Kern

1077

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

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1078

Oktober 2014

Anhänge 

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Christoph A. Kern

1079

B.I.3 Haager Unterhaltsverfahrensübereinkommen

Anl II HUntVerfÜbk / 

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1080

Oktober 2014

B.I.4a Vorschlag vom 16. März 2011 für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts, KOM (2011) 126

Schrifttum Burghaus, Die Vereinheitlichung des internationalen Ehegüterrechts in Europa (2010) Buschbaum, Vom Königsweg der Kollisionsrechtsharmonisierung als Leitlinie für das Mehrjahresprogramm für die EU-Ziviljustiz 2015/2020, GPR 2014, 4 Buschbaum/Simon, Die Vorschläge der EU-Kommission zur Harmonisierung des Güterkollisionsrechts für Ehen und Eingetragene Partnerschaften, GPR 2011, 262 (Erster Teil), 305 (Zweiter Teil) Dethloff, Güterrecht in Europa – Perspektiven für eine Angleichung auf kollisions- und materiellrechtlicher Ebene, in: FS Bernd von Hoffmann (2011) 73

Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht (2013) Martiny, Das Grünbuch zum Internationalen Ehegüterrecht – Erste Regelungsvorschläge, FPR 2008, 206 Martiny, Auf dem Weg zu einem europäischen Internationalen Ehegüterrecht, in: FS Jan Kropholler (2008) 373 Martiny, Die Kommissionsvorschläge für das internationale Güterrecht, IPRax 2011, 437 Wagner, Konturen eines Gemeinschaftsinstruments zum internationalen Güterrecht unter besonderer Berücksichtigung des Grünbuchs der Europäischen Kommission, FamRZ 2009, 269.

Materialien Asser-Institut, Etude sur les régimes matrimoniaux des couples mariés et sur le patrimoine des couples non mariés dans le droit international privé et le droit interne des États membres de l’Union (2003) (zit.: Studie) Ausschluss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, Stellungnahme, 6.9.2012, P7_TA(2013)0338 Europäische Kommission, Grünbuch zu den Kollisionsnormen im Güterrecht unter besonderer Berücksichtigung der gerichtlichen Zuständigkeit und der gegenseitigen Anerkennung, 17.7.2006, KOM (2006) 400. Europäische Kommssion, Document de travail des services de la Commission, Annexe au Livre Vert sur le règlement des conflits de lois en matière de régime matrimonial, traitant notamment de la question de la

Kathrin Kroll-Ludwigs

compétence judiciaire et de la reconnaissance mutuelle, 17.7.2006, SEC(2006) 952 (zit.: Document de travail) Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts, KOM (2011) 126 (zit.: Verordnungsvorschlag) Europäisches Parlament, Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts (COM(2011)126 final), P7_TA(2013)0338 (zit.: Bericht).

1081

B.I.4a EU-Ehe-Güterstandsverordnung

Einf EU-EheGüterVO-E

Einführung I.

Status quo des Europäischen Kollisionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Entstehungsgeschichte des EU-EheGüterVO-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Verhältnis zu multilateralen Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Verhältnis zu bilateralen Übereinkommen 14 Anwendungsbereich 1. Sachlicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 a) Bereichsausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 b) Personaler Bereich der Ehe . . . . . . . . . . . . . 19 c) Verhältnis zur EU-ErbVO . . . . . . . . . . . . . . 20 2. Intertemporaler Anwendungsbereich 21 3. Territorialer Anwendungsbereich . . . . . . 22 Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Zuständigkeit im Falle des Todes eines der Ehegatten (Art 3) . . . . . . . . . . . . . 24 2. Zuständigkeit im Falle der Ehescheidung, Trennung und Ungültigkeitserklärung der Ehe (Art 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3. Zuständigkeit in anderen Fällen (Art 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 4. Gerichtsstandsvereinbarungen (Art 4a neu) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 5. Zuständigkeit durch rügelose Einlassung (Art 4b neu) . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 6. Sonstige Zuständigkeiten (Art 6-8) . . . . 39

II. III. IV. V.

VI.

a) Subsidiäre Zuständigkeit (Art 6) . . . . . . . 39 b) Notzuständigkeit (Art 7) . . . . . . . . . . . . . . . . 40 c) Zuständigkeit für Gegenanträge (Art 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 VII. Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Rechtswahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 a) Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Die Regelungen in Art 16 und 18 EU-EheGüterVO-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 c) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Objektive Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 a) Anknüpfung an das Aufenthaltsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 aa) Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 bb) Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts 65 cc) Wandelbarkeit/Unwandelbarkeit . . . . . . . 68 b) Objektive Anknüpfung gem Art 17 EU-EheGüterVO-E im Einzelnen . . . . . . 71 aa) gewöhnlicher Aufenthalt nach Eheschließung (lit a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 bb) gemeinsame Staatsangehörigkeit (lit b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 cc) engste Verbindung (lit c) . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3. Eingriffsnormen (Art 22 EU-EheGüterVO-E) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4. Schutz Dritter (Art 35 EU-EheGüterVO-E) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 VIII. Anerkennung und Vollstreckung . . . . . . . . . 85

I. Status quo des Europäischen Kollisionsrechts 1 Auf Grundlage von Art 81 Abs 1, Abs 2 AEUV (bzw Art 65 lit b iVm Art 61 lit c, 67 Abs 2

EGV) hat der Unionsgesetzgeber im Bereich des nicht-wirtschaftlichen Personenverkehrs bereits zahlreiche Rechtsakte erlassen.1 Zu nennen ist hier zunächst die EG-UntVO2, die bereits am 30.1.2009 in Kraft getreten ist und seit dem 18.6.2011 Anwendung findet (Art 76 UAbs 3 EG-UntVO). Die Besonderheit der EG-UntVO besteht darin, dass sie keine eigenen Kollisionsnormen enthält, sondern im Hinblick auf das anwendbare Recht auf das HUntStProt 2007 verweist (Art 15 EG-UntVO). Dieses findet im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten seit dem 18.6.2011 vorläufige Anwendung.

1 2

Für einen Überblick siehe R Wagner IPRax 2014, 217 ff. ABl EU 2009 L 7/1.

1082

Oktober 2014

Einführung

Einf EU-EheGüterVO-E

Im Bereich des Scheidungsrechts hat der Unionsgesetzgeber mit der Rom III-VO3 Neuland 2 betreten: Es handelt sich um den ersten Rechtsakt, der im Rahmen des Verfahrens zur Verstärkten Zusammenarbeit (Art 20 EUV, Art 326 ff AEUV) erlassen wurde. Hintergrund war die nicht zu erzielende Einigung der Mitgliedstaaten (Art 81 Abs 3 AEUV) im Hinblick auf die Schaffung eines umfassenden Rechtsakts zum Scheidungskollisionsrecht.4 Die Rom III-VO erlangte am 21.6.2012 zunächst in vierzehn Mitgliedstaaten, nämlich Belgien, Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Italien, Lettland, Luxemburg, Malta, Österreich, Portugal, Slowenien, Spanien, Rumänien und Ungarn, Geltung. In allen übrigen Mitgliedstaaten bleibt es bei der Anwendung des nationalen Kollisionsrechts, was die Konsequenz eines gespaltenen Scheidungskollisionsrechts in der EU zur Folge hat. Mit Blick auf den sachlichen Anwendungsbereich ist zu beachten, dass die Rom III-VO ausschließlich Vorschriften zum anwendbaren Recht, nicht dagegen zu Fragen der Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung enthält. Letztere bleiben vielmehr weiterhin der Brüssel IIa-VO5 vorbehalten. Was das auf internationale Erbfälle anwendbare Recht angeht, so hat die Kommission am 3 14.10.2009 zunächst einen Verordnungsvorschlag erlassen, der sowohl Vorschriften zur internationalen Zuständigkeit als auch zum anwendbaren Recht enthielt6. Auf dieser Grundlage wurde im Juli 2012 eine entsprechende Verordnung („EU-ErbVO“)7 verabschiedet, deren Regelungen 2015 zur Anwendung gelangen. II. Entstehungsgeschichte des EU-EheGüterVO-E Im Bereich des Ehegüterrechts ist die europäische Integration bislang am wenigsten weit 4 fortgeschritten. Dies muss auf den ersten Blick erstaunen, hatte die Kommission doch bereits am 17.7.2007 ein entsprechendes „Grünbuch zu den Kollisionsnormen im Güterrecht unter besonderer Berücksichtigung der gerichtlichen Zuständigkeit und der gegenseitigen Anerkennung“ vom 17.7.20068 erlassen, das neben dem Bereich des Ehegüterrechts auch Fragen zur möglichen Einführung von Vorschriften für das Güterrecht registrierter Partnerschaften sowie nichtehelicher Lebensgemeinschaften enthielt. Im „Stockholmer Programm“ des Europäischen Rates vom 10./11.12.2009 war für das Jahr 2010 der Erlass eines entsprechenden Kommissionsvorschlags vorgesehen.9 Ein derartiges Vorhaben wurde auch im „Bericht über die Unionsbürgerschaft 2010 – weniger Hindernisse für die Ausübung von Unionsbürgerrechten“ vom 27.10.2010 angekündigt10. Am 16.3.2011 hat die Kommission zwei Verordnungsvorschläge erlassen: Den Vorschlag 5 3 4 5

6 7

8 9 10

ABl EU 2010 L 343/10. Zur Entstehungsgeschichte siehe Kommentierung zu Art 1 Rom III-VO. Verordnung (EG) Nr 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1347/2000 v 27.11.2003, ABl EU 2003 L 338/1. KOM(2009) 154. Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses v 4.7.2012, ABl EU 2012 L 201/07. KOM (2006) 400. R Wagner IPRax 2010, 97, 98 ff. KOM (2010) 603.

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für eine Verordnung „über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts“11 und den Vorschlag „für eine Verordnung über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften“12. Damit hat sie zweierlei Hinsicht eine wichtige Weichenstellung vorgenommen: Zum einen hat sie sich, anders als bei der Rom III-VO und der EG-UntVO, aber in Übereinstimmung mit der EU-ErbVO, für umfassende Regelungswerke, die sowohl Vorschriften zur internationalen Zuständigkeit als auch zum anwendbaren Recht enthalten, entschieden. Zum anderen hat die Kommission den in politischer Hinsicht problematischen Bereich der eingetragenen Partnerschaften vom Ehegüterrecht abgetrennt. Anders als der noch im Grünbuch angelegte umfassende Ansatz beschränkt sich der Anwendungsbereich des Verordnungsvorschlags dabei auf formalisierte Partnerschaften unter Ausschluss nicht registrierter Lebensgemeinschaften.13 Dementsprechend bestimmt Art 2 lit b EU-LP-GüterVO-E, dass als „eingetragene Partnerschaft“ ausschließlich gesetzlich vorgesehene Formen der Lebensgemeinschaft zweier Personen, die durch Eintragung bei einer Behörde begründet werden, gelten. 6 Bei der Konzeption des Vorschlags für eine EU-EheGüterVO konnte die Kommission auf

die umfängliche Studie des Asser-Instituts aus dem Jahr 2003 zurückgreifen.14 Auf der Grundlage der bestehenden Schwierigkeiten divergierender nationaler Kollisionsrechte wurden im Rahmen der Studie konkrete Vorschläge für ein europäisches Regelwerk einheitlicher Kollisionsnormen im Güterrecht erstellt. Für dieses Vorhaben unternahm das Asser-Institut eine rechtsvergleichende Untersuchung nicht nur der bestehenden nationalen Kollisionsrechtssysteme und der völkerrechtlichen Abkommen, sondern auch der Rechtslage im materiellen Güterrecht. Auf dieser Basis erließ das Asser-Institut Vorschläge für das anwendbare Recht des „régime primaire“ und des „régime secondaire“ ebenso wie für die „reconnaissance et execution des décisions et des actes étrangers“. Und auch im Bereich des materiellen Güterrechts unterahm die Studie im Bereich des régime primaire den Versuch von „règles communes sur l’essentiel“ und entwickelt schließlich auch einen Vorschlag für ein „régime matrimonial européen“. Was das anwendbare Recht angeht, so orientiert sich der EU-EheGüterVO-E etwa sowohl bei der Regelanknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt als auch bei der Einräumung von Rechtswahlfreiheit an den Vorschlägen der Studie. 7 Am 20.7.2013 hat das Europäische Parlament einen Bericht über den Vorschlag einer EU-

EheGüterVO15 mit zahlreichen Änderungsvorschlägen erlassen. Diese speisen sich zu großen Teilen aus der Übernahme von bzw Anlehnung an Regelungen aus der EU-ErbVO und der Rom III-VO und betreffen sowohl Modifikation der zuständigkeits- als auch der kollisionsrechtlichen Normen des Verordnungsvorschlags der Kommission. Seitdem dauern die Verhandlungen an; mittlerweile beschäftigt sich bereits die sechste Ratspräsidentschaft mit dem Verordnungsvorschlag.16 Wann mit einem Erlass des endgültigen Verordnungstextes

11 12 13 14 15 16

KOM (2011) 126/2. KOM (2011) 127/2. Gonzáles Beilfuss YB PIL2011, 183, 188 f. Vgl Asser-Institut, Studie aaO Materialien. Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien. Vgl zu Einzelheiten nur Buschbaum GPR 2014, 4, 5.

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zu rechnen ist, lässt sich derzeit nicht prognostizieren. Weitere zeitliche Verzögerungen dürften darauf zurückzuführen sein, dass der EU-EheGüterVO-E weiterhin zusammen mit dem Legislativvorschlag zur Einführung einheitlicher güterrechtlicher Regelungen für eingetragene Partnerschaften verhandelt werden soll.17 Bei Letzterem ist aber insbesondere das „Ob“ und „Wie“ der Einführung einer Rechtswahlmöglichkeit nach wie vor umstritten.18 In prozessualer Hinsicht ist zudem die Hürde des Art 81 Abs 3 UAbs 2 AEUV beachtlich: Danach müssen Maßnahmen zum Familienrecht – anders als sonstige Maßnahmen zur justiziellen Zusammenarbeit – mit grenzüberschreitendem Bezug vom Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren, das Einstimmigkeit verlangt, festgelegt werden.19 Das darin enthaltene Vetorecht des einzelnen Mitgliedstaates hat bereits zum Scheitern des ersten Vorschlags zur Einführung einheitlicher Vorschriften im Scheidungskollisionsrecht von 200620 geführt und letztlich den Kompromiss zu einem Vorgehen im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit gefördert. III. Verhältnis zu multilateralen Übereinkommen Bis zum Inkrafttreten (bzw der Anwendbarkeit) einer künftigen EU-EheGüterVO behält 8 das Haager Übereinkommen über das auf Ehegüterstände anwendbare Recht vom 14. März 1978 („Haager Güterrechtsübereinkommen“) seine Bedeutung. Zwar ist es nur in drei Staaten, nämlich Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden in Kraft getreten; sein Modellcharakter für zahlreiche mitgliedstaatliche Regelungen ebenso wie den EU-EheGüterVO-E ist indes nicht zu unterschätzen.21 Dies gilt in grundsätzlicher Weise bereits für die künftige Etablierung der Aufenthaltsan- 9 knüpfung als primärem Anknüpfungsmoment im EU-EheGüterVO-E. Gem Art 4 Abs 1 Haager Güterrechtsübereinkommen richten sich die güterrechtlichen Verhältnisse der Eheleute – mangels Rechtswahl – nach dem am ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt nach der Eheschließung vorherrschenden Recht. Dieser Norm ist Art 17 Abs 1 lit a EUEheGüterVO-E nachgebildet. Das Haager Güterrechtsübereinkommen bleibt bei dieser Fixierung auf das Recht am ersten gewöhnlichen Aufenthalt der Eheleute allerdings nicht stehen, sondern folgt in Art 7 Abs 2 dem Prinzip der Wandelbarkeit. Danach kommt das Recht an einem neuen gewöhnlichen Aufenthaltsort der Eheleute zur Anwendung, wenn diese Staatsangehörige des Aufenthaltsstaates sind oder nach der Eheschließung dort seit mindestens zehn Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet hatten. Die Vorschrift

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21

Siehe Buschbaum GPR 2014, 4, 5. Vgl dazu nur die Stellungnahme der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, abrufbar unter http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra-opinion-2012-property-regimes_en.pdf; Hat’apka, in: BoeleWoelki/Dethloff (eds), Family Law and Culture in Europe, Developments, Challenges and Opportunities (2014) (im Erscheinen). Zu Einzelheiten siehe Dethloff/Hauschild FPR 2011, 489, 491 ff. Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 im Hinblick auf die Zuständigkeit in Ehesachen und zur Einführung von Vorschriften betreffend das anwendbare Recht in diesem Bereich, KOM(2006) 399. Vgl Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 117.

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sieht sich angesichts ihrer Komplexität und der damit verbundenen praktischen Schwierigkeiten Kritik ausgesetzt22 und wurde von der Kommission daher nicht übernommen. 10 Modellcharakter kommt dem Haager Güterrechtsübereinkommen auch im Hinblick auf die

Förderung der Rechtswahlfreiheit im internationalen Güterrecht zu. So gilt das Ehegüterrecht seit jeher als das einzige Teilgebiet des Internationalen Familienrechts, in welchem die Parteiautonomie in Europa als Anknüpfungsprinzip anerkannt ist.23 Insoweit bestimmt Art 3 Abs 1 Haager Güterrechtsübereinkommen, dass in erster Linie das von den Eheleuten gewählte Sachrecht zur Anwendung kommt. Was die einzelnen wählbaren Rechte angeht, so können die Eheleute gem Art 3 Abs 2 das Recht des Staates wählen, dem einer von ihnen im Zeitpunkt der Rechtswahl angehört (Nr 1) oder in dem einer von ihnen in diesem Zeitpunkt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Nr 2) oder in dem einer von ihnen seinen ersten gewöhnlichen Aufenthalt nach der Eheschließung begründen wird (Nr 3). Das gewählte Güterrechtsstatut gilt gem Art 3 Abs 3 Haager Ehegüterrechtsübereinkommen dabei für das gesamte eheliche Vermögen. Die Eheleute haben aber die Möglichkeit, die lex rei sitae für ihr gesamtes unbewegliches Vermögen bzw eine einzelne Immobilie zu wählen (Art 3 Abs 4). Mit dieser Regelung soll dem Interesse solcher Staaten Rechnung getragen werden, die das eheliche Immobiliarvermögen traditionell dem Belegenheitsrecht unterstellen.24 Die Eheleute haben darüber hinaus die Möglichkeit, während der Ehe ein anderes Recht (Heimatoder Aufenthaltsrecht) zu bestimmen, dem ihre güterrechtlichen Verhältnisse unterliegen sollen (Art 6 Abs 2). Eine vergleichbare Regelung zum Wechsel des anzuwendenden Rechts findet sich nunmehr auch in Art 18 EU-EheGüterVO-E. 11 Was schließlich die Formerfordernisse für die Rechtswahl angeht, so bestimmt Art 11 S. 1

Haager Güterrechtsübereinkommen, dass die Rechtswahl den Formerfordernissen für einen Ehevertrag nach dem gewählten Recht oder am Ort der Rechtswahl (Art 13) entsprechen muss. In jedem Fall bedarf sie der Schriftform und der Unterzeichnung durch beide Ehegatten (S 2). Auch insoweit findet sich eine Entsprechung im EU-EheGüterVO-E: Art 19 Abs 1 bestimmt, dass die Rechtswahl in der Form erfolgt, die für den Ehevertrag entweder nach dem anzuwendenden Recht des gewählten Staates oder nach dem Recht des Staates, in dem die Rechtswahlvereinbarung aufgesetzt wurde, vorgeschrieben ist. Und Art 19 Abs 2 sieht als Mindesterfordernis ebenfalls die Schriftform vor. Besonders weit geht das Haager Güterrechtsübereinkommen im Hinblick auf die Zulassung konkludenter Rechtswahlvereinbarungen. Gem Art 11 wird gefordert, dass sich das gewählte Recht „unzweifelhaft aus den Bestimmungen des zugrundeliegenden Ehevertrages“ ergeben muss. Wann dies der Fall sein soll, regelt das Übereinkommen nicht. Art 12 Haager Ehegüterrechtsüberinkommen bestimmt lediglich, dass ein Ehevertrag dann formwirksam ist, wenn er den Formvorschriften des Güterstatuts oder denjenigen am Ort der Rechtswahl entspricht. 12 Für den Fall des Inkrafttretens und der Anwendbarkeit einer künftigen EU-EheGüterVO

bestimmt Art 36 Abs 1 EU-EheGüterVO-E in verallgemeinernder Weise, dass die Anwendung bilateraler oder multilateraler Übereinkünfte, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten 22

23

24

Kritisch dazu Lequette 246 Rec 13 (1994-II), 19, 167; Mayer/Heuzé, Droit international privé10 (2010) Rn 791; Asser-Institut, Studie aaO Materialien, S 167. Zu einem ausführlichen rechtsvergleichenden Überblick siehe Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 121 ff. Vgl Burghaus, Die Vereinheitlichung des internationalen Ehegüterrechts in Europa (2010) S 153 f.

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zum Zeitpunkt der Annahme der Verordnung angehören und die in der Verordnung geregelten Bereiche betreffen, nicht berührt wird. Ungeachtet dieser Grundsätze bestimmt Art 36 Abs 2 EU-EheGüterVO-E, dass eine künf- 13 tige Verordnung im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten Übereinkünften vorgehen würde, denen die Mitgliedstaaten angehören und die in dieser Verordnung geregelte Bereiche betreffen. Damit dürfte insbesondere das Haager Güterrechtsübereinkommen adressiert sein. IV. Verhältnis zu bilateralen Übereinkommen Hier ist insbesondere das Abkommen der Bundesrepublik Deutschland und der Französi- 14 schen Republik über den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft vom 4.2.201025 zu erwähnen. Auch hier finden sich Regelungsmaterien, die teilweise dem Bereich der allgemeinen Ehewirkungen zuzuordnen sind (zB Art 4, 5, 6); teilweise, wie Art 5, dagegen unabhängig vom Güterstand anzuwenden sind; insoweit sind Abgrenzungsprobleme zu erwarten.26 V. Anwendungsbereich 1. Sachlicher Anwendungsbereich a) Bereichsausnahmen Gem Art 1 EU-EheGüterVO-E findet die Verordnung auf die ehelichen Güterstände An- 15 wendung. Aus dieser Bestimmung wird deutlich, dass sich die Kommission für einen weiten sachlichen Anwendungsbereich entschieden hat.27 Die noch im Grünbuch diskutierte Möglichkeit einer Beschränkung auf die Beendigung des Güterstandes fand demnach keine Beachtung. Vom Anwendungsbereich ausgenommen sind nach Art 3 Abs 3 EU-EheGüterVO-E die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit der Ehegatten (lit a), die Unterhaltspflichten (lit b), die unentgeltlichen Zuwendungen zwischen Ehegatten (lit c), die Nachlassansprüche des überlebenden Ehegatten (lit d), die Ehegattengesellschaften (lit e) sowie die Art der dinglichen Rechte an einem Gegenstand und die Publizität dieser Rechte (lit f). Neben sprachlichen Korrekturen hat das Europäische Parlament in seiner Stellungnahme 16 vom 20.7.201328 inhaltliche Änderungsvorschläge im Hinblick auf den Ausschluss bestimmter Rechtsmaterien aus dem Anwendungsbereich der künftigen EU-EheGüterVO gemacht. Dies gilt etwa für das „Bestehen, die Gültigkeit oder die Anerkennung einer Ehe“ (Art 3 Abs 3 lit aa neu). Auf diese Weise soll die Vorfrage nach dem Bestehen einer wirksamen Ehe ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich der künftigen Verordnung ausgeklammert werden. Dies dürfte auf den Umstand zurückzuführen sein, dass der Verordnungsvorschlag keine Definition der „Ehe“ enthält und im Übrigen geschlechtsneutral formuliert ist.29 Dies hat dazu geführt, dass in der Literatur teilweise die Einbeziehung der in einigen Mitglied25 26 27 28 29

BT-Drs 17/5126, S 1. Vgl dazu Buschbaum/Simon GPR 2011, 262, 263; zudem jüngst Martiny Rev crit dip 2013, 843 ff. Siehe R Wagner FamRZ 2009, 269, 277. Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien. Vgl nur Buschbaum GPR 2014, 4, 6.

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staaten mittlerweile anerkannten30 gleichgeschlechtlichen Ehe in den Anwendungsbereich der künftigen Verordnung befürwortet wurde.31 Die Einführung des Art 3 Abs 3 lit aa (neu) EU-EheGüterVO-E ist vor diesem Hintergrund zu sehen; es ist davon auszugehen, dass damit den nach wie vor bestehenden gesellschaftspolitischen Einwänden entsprochen werden sollte.32 Überzeugen kann dies nicht: So spricht insbesondere die Vermeidung hinkender Rechtsverhältnisse, die im Bereich der Statusverhältnisse als besonderes unerträgliche Erscheinung gelten, für eine Einbeziehung auch der gleichgeschlechtlichen Ehen.33 17 Die Stellungnahme des Europäischen Parlaments enthält darüber hinaus weitere Ände-

rungsvorschläge34: So soll die Bezugnahme auf unentgeltliche Zuwendungen zwischen den Eheleuten (lit c) künftig entfallen. Dass diese in der Praxis zunehmend wichtige Kategorie nunmehr in den Anwendungsbereich fallen soll, ist einerseits konsequent. Andererseits bleibt unklar, ob unter „unentgeltliche Zuwendungen“ neben Schenkungen auch die sog unbenannten Zuwendungen fallen sollen. Hier zeigt das Beispiel der im deutschen Recht schwierigen zivilrechtliche Einordnung35, dass mit Qualifikationsschwierigkeiten zu rechnen sein dürfte. Zu begrüßen ist demgegenüber der vorgeschlagene Ausschluss von „Fragen des Rechts, im Fall der Scheidung Ruhegehalts- und Erwerbsunfähigkeitsrentenansprüche der Ehegatten oder früheren Ehegatten, die während der Ehe erworben wurden, zu übertragen oder anzupassen“.36 Insoweit ist beachtlich, dass das System des deutschen Versorgungsausgleichs anderen Rechtsordnungen weitgehend fremd ist.37 18 Klarer gefasst ist mittlerweile auch die Bereichsausnahme bzgl des Sachenrechts (lit f). Zwar

ist immer noch lediglich von der „Art der dinglichen Rechte an einem Gegenstand“ die Rede; die Begrenzung soll in ErwGr 13 – in Anlehnung an die EU-ErbVO – nunmehr aber dahingehend präzisiert werden, dass die Gerichte eines Mitgliedstaates, in dem sich Vermögensgegenstände eines oder beider Ehegatten befinden, zB die Eintragung der Übertragung dieser Gegenstände in ein öffentliches Register veranlassen können, soweit das Recht dieses Mitgliedstaates eine solche Eintragung vorsieht. Es bleibt demnach, wie schon bisher, bei dem Grundsatz, dass derartige Vorgänge der lex rei sitae unterstehen.38

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38

So zB in den Niederlanden, Belgien, Spanien, Schweden und Portugal. Vgl dazu Martiny IPRax 2011, 437; für einen umfassenden rechtsvergleichenden Überblick siehe Spernat, Die gleichgeschlechtliche Ehe im Internationalen Privatrecht unter besonderer Berücksichtigung des Einflusses des EG-Vertrages (2011) S 30 ff. Vgl zB Kohler/Pintens FamRZ 2011, 1433, 1435; Martiny IPRax 2011, 437, 441. Buschbaum GPR 2014, 4, 6. Vgl Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 124 f. Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien. Vgl dazu BGH v 9.7.2008 – XII ZR 179/05, FamRZ 2008, 1822 = NJW 2008, 3277; BGH v 25.11.2009 – XII ZR 92/06, FamRZ 2010, 277 m Anm Grziwotz = NJW 2010, 998; BGH v 6.7.2011 – XII ZR 190/08, FamRZ 2011, 1563 m Anm Grziwotz = MDR 2011, 1109 = NJW 2011, 2880. Zur Problematik jüngst Rauscher NZFam 2014, 298 ff. Für eine Klarstellung auch schon Martiny IPRax 2011, 437, 444. Vgl die rechtsvergleichenden Berichte in: Boele-Woelki/Braat/Curry-Sumner (eds), European Family Law in Action: Property Relations Between Spouses (2009) 591 ff; 629 ff, 741 ff; 787 ff, 881 ff; Dethloff, Familienrecht30 (2012) § 6 Rn 197 f. Zur Kritik an der Regelung im EU-EheGüterVO-E siehe Buschbaum/Simon GPR 2011, 262, 264.

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b) personaler Bereich der Ehe Nach wie vor nicht geregelt ist die Problematik des personalen Bereichs der Ehe („régime 19 primaire“), dh die Beziehungen der Ehegatten untereinander (allgemeine Ehewirkungen).39 Eine klare Abgrenzung, wie sie etwa Art 14 EGBGB (allgemeine Ehewirkungen) einerseits und Art 15 EGBGB (Güterstand) andererseits vorsieht, ist nicht erfolgt.40 Zu den allgemeinen Ehewirkungen zählen etwa Verfügungsbeschränkungen, Verträge zwischen den Ehegatten sowie Haftungs- und Vertretungsfragen. Da einzelne Elemente, wie zB Verfügungsbeschränkungen, im mitgliedstaatlichen Recht teilweise güterstandsabhängig, teilweise güterstandsunabhängig eingeordnet werden, können sich hier im Einzelfall Qualifikationsprobleme ergeben.41 Die abschließende Regelung in Art 1 Nr 3 EU-EheGüterVO-E lässt darauf schließen, dass zumindest die vermögensrechtlichen Aspekte der allgemeinen Ehewirkungen vom Anwendungsbereich der Verordnung erfasst werden, wohingegen alle übrigen Aspekte weiterhin dem nationalen Kollisionsrecht unterfallen sollen.42 c) Verhältnis zur EU-ErbVO Gem Art 3 Abs 3 lit d EU-EheGüterVO-E sind die Nachlassansprüche des überlebenden 20 Ehegatten vom Anwendungsbereich der künftigen Verordnung ausgeschlossen. Das Europäische Parlament43 hat diese Bereichsausnahme – in Anlehnung an Art 1 lit h EU-ErbVO – in seiner Stellungnahme dahingehend präzisiert, dass „Fragen der Rechtsnachfolge von Todes wegen im Hinblick auf den überlebenden Ehegatten“ ausgeschlossen sein sollen. Diese unterliegen folglich dem Regime der EU-ErbVO. Die aus deutscher Sicht interessante Frage nach der Qualifikation des § 1371 Abs 1 BGB hat mit Blick auf die EU-ErbVO in jüngster Zeit neue Bedeutung erlangt.44 2. Intertemporaler Anwendungsbereich In zeitlicher Hinsicht regelt Art 40 Abs 1 EU-EheGüterVO-E zunächst – in Übereinstim- 21 mung mit anderen kollisionsrechtlichen Rechtsakten der EU – das Inkrafttreten am zwanzigsten Tag nach der Veröffentlichung im Amtsblatt. Die Anwendung der einzelnen Vorschriften soll dagegen erst ein Jahr nach dem Inkrafttreten möglich sein (Art 40 Abs 2). Dieses Vorgehen, das beispielsweise von der EU-ErbVO bekannt ist, hat sich in der Praxis bewährt, gibt es den Mitgliedstaaten doch genügend Zeit, um entsprechende Anpassungsgesetze zu erlassen. 3. Territorialer Anwendungsbereich Ausweislich Art 1 Abs 2 EU-EheGüterVO-E ist der Verordnungsvorschlag in räumlicher 22 Hinsicht auf alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks anwendbar. Das Vereinigte

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43 44

Kritisch Dethloff FS v Hoffmann (2012) 73, 76 f; Döbereiner MittBayNotZ 2011, 463 f. Zur Kritik siehe Buschbaum/Simon GPR 2011, 262, 263. Vgl Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 124. Vgl dazu Dethloff FS v Hoffmann (2012) 73, 76 f; Kohler/Pintens FamRZ 2011, 1433, 1435; Kroll-Ludwigs Parteiautonomie (2013) S 124; Martiny IPRax 2011, 437, 444. Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien. Vgl dazu jüngst etwa Hertel ZEV 2014, 96, 97; Mankowski ZEV 2014, 121, 126 ff; Heinig DNOtZ 2014, 251, 254 ff; Dörner in: Dutta/Herrler (Hrsg), Die Europäische Erbrechtsverordnung (2014) 73, 77 ff.

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Königreich und Irland haben von ihrem Opt-in-Vorbehalt45 bislang keinen Gebrauch gemacht.46 VI. Verfahrensrecht 23 In verfahrensrechtlicher Perspektive spielt die güterrechtliche Auseinandersetzung zwi-

schen Eheleuten in zweierlei Hinsicht eine Rolle: bei der Scheidung sowie beim Tod eines von ihnen. Diesen unterschiedlichen Ausgangsituationen will der EU-EheGüterVO-E mit einem abgestuften System von Zuständigkeitsvorschriften Rechnung tragen. Aus Gründen der Rechtsklarheit und -vorhersehbarkeit ist vorrangiges Ziel dabei die Konzentration der verschiedenen miteinander zusammenhängenden Verfahren vor den Gerichten desselben Mitgliedstaates.47 Dementsprechend unterscheidet der Vorschlag im Wesentlichen zwischen einer Zuständigkeit im Falle des Todes eines der Ehegatten (Art 3 EU-EheGüterVO-E), bei der Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe (Art 4 EU-EheGüterVO-E) und der Zuständigkeit in anderen Fällen (Art 5). Zu nennen sind zudem die – auf Vorschlag des Europäischen Parlaments aufzunehmende – Zuständigkeit kraft Gerichtsstandsvereinbarung (Art 4a (neu)) sowie kraft rügeloser Einlassung (Art 4b (neu)). 1. Zuständigkeit im Falle des Todes eines der Ehegatten (Art 3) 24 Stirbt einer der Ehegatten, enthält Art 3 EU-EheGüterVO-E zunächst eine Zuständigkeits-

konzentration: Danach soll das Gericht des Mitgliedstaates, das mit einem Antrag im Zusammenhang mit dem Nachlass eines Ehegatten nach der EU-ErbVO zuständig ist, auch für güterrechtliche Fragen, die mit dem Antrag verbunden sind, zuständig sein. Dies führt im Ergebnis zu einer Zuständigkeit des Gerichts am gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers, wenn nicht auf ein geeigneteres Gericht weiterverwiesen wird.48 Probleme bereitet die Regelung nur in denjenigen Mitgliedstaaten, in denen güter- und erbrechtliche Auseinandersetzung in zeitlicher Hinsicht divergieren.49 2. Zuständigkeit im Falle der Ehescheidung, Trennung und Ungültigkeitserklärung der Ehe (Art 4) 25 Ebenso wie in Art 3, wird auch in Art 4 EU-EheGüterVO-E eine automatische Zuständig-

keitskonzentration mit den Gerichten, die mit einer Scheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes sowie Ungültigkeitserklärung befasst sind, vorgesehen. Danach entscheidet das nach Art 3 ff Brüssel IIa-VO zuständige Gericht auch über güterrechtliche Fragestellungen. Voraussetzung ist allerdings der Abschluss einer schriftlichen Vereinbarung der Eheleute. Fehlt es an einer derartigen Vereinbarung, so bestimmt sich die Zuständigkeit nach Art 5 ff EU-EheGüterVO-E (Art 4 Abs 3). Was die Vereinbarung selbst anbelangt, so bestimmt Art 4 Abs 2, dass diese jederzeit, auch während des Verfahrens geschlossen werden 45

46 47 48 49

Vgl Art 3 Abs 1 Prot Nr 21 zum EUV/AEUV; vgl Leible in: Streinz (Hrsg), EUV/AEUV9 (2012) Art 81 AEUV Rn 3. Dazu Mansel/Thorn/Wagner IPRax 2014, 1, 4. Europäische Kommission, Verordnungsvorschlag aaO Materialien, S 7. Martiny IPRax 2011, 437, 446. Martiny IPRax 2011, 437, 446.

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kann. Sie bedarf indes der Schriftform, muss datiert und von beiden Parteien unterzeichnet worden sein. Obwohl die Regelung des Art 4 EU-EheGüterVO-E im Schrifttum grundsätzlich auf Zu- 26 stimmung gestoßen ist50, hat sich das Europäische Parlament sich in seiner Stellungnahme51 gegen eine derartige automatische Zuständigkeitskonzentration ausgesprochen und vorgeschlagen, dass das in Scheidungssachen zuständige Gericht nur dann auch für güterrechtliche Frage zuständig sein soll, wenn „die Zuständigkeit des betreffenden Gerichts von den Ehegatten ausdrücklich oder auf andere Weise anerkannt wurde“. Dies entspreche zum einen besser den Interessen der Beteiligten und stelle zum anderen sicher, dass diese die Zuständigkeit des Scheidungsgerichts auch akzeptierten. Eine vergleichbare Regelung finde sich zudem in Art 12 Abs 1 lit b Brüssel IIa-VO52. 3. Zuständigkeit in anderen Fällen (Art 5) In allen anderen Verfahren, die nicht von Art 3 und 4 geregelt werden, wird in Art 5 EU- 27 EheGüterVO-E für die Zuständigkeit in erster Linie auf den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Eheleute (lit a) bzw, subsidiär, auf den letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Eheleute (sofern einer von ihnen dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, lit b), den gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners (lit c) bzw die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten (bzw das gemeinsame domicile) abgestellt. Bedeutung wird Art 5 insbesondere in den Fällen erlangen, in denen sich die Ehegatten im Scheidungsfall nicht auf eine Anerkennung der Zuständigkeit des Scheidungsgerichts einigen können oder in denen güterrechtliche Streitigkeiten nur isoliert durchgeführt werden.53 Die Regelung ähnelt in vielerlei Hinsicht Art 3 Abs 1 Brüssel IIa-VO, der in erster Linie 28 ebenfalls ein System von Aufenthaltszuständigkeiten vorsieht.54 Der wesentliche Unterschied besteht freilich darin, dass die Zuständigkeitsanknüpfungen in Art 5 EU-EheGüterVO-E subsidiär ausgestaltet sind, wohingegen sie in Art 3 Brüssel IIa-VO alternativ nebeneinander stehen.55 Art 3 Abs 1 Brüssel IIa-VO sieht für Scheidungsverfahren insgesamt sieben Zuständigkeitsalternativen vor, die gleichranging56 nebeneinander stehen. Die subsidiäre Anknüpfung in Art 5 bedeutet einerseits zwar weniger Flexibilität, beugt andererseits aber auch forum shopping und Rechtshängigkeitskonflikten vor.57 Nicht von der Hand zu weisen ist freilich der mit der Schaffung alternativer Zuständigkeiten verbundene Gedanke, dass auf diese Weise eine gewisse territoriale sowie prozedurale Nähebeziehung zwischen den Beteiligten und dem jeweiligen Gerichtsstand sichergestellt werden kann.58 Dem wird in 50 51 52 53 54 55 56

57 58

Martiny FS Kropholler (2008) 373, 393 f. Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien. Vgl dazu Rauscher/Rauscher Art 12 Brüssel IIa-VO Rn 18 ff. Martiny IPRax 2011, 437, 446. Vgl dazu Rauscher/Rauscher Art 3 Brüssel IIa-VO Rn 19 ff. Siehe dazu im Einzelnen Rauscher/Rauscher Art 3 Brüssel IIa-VO Rn 14 f. Rauscher/Rauscher Art 3 Brüssel IIa-VO Rn 14; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art 3 Rn 1; Hau FamRZ 2000, 1333, 1334; Kohler NJW 2001, 10, 11. Vgl Martiny IPRax 2011, 437, 447. Dazu im Einzelnen Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 (2004) Rn 183.

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Art 5 Abs 2 EU-EheGüterVO-E allerdings dadurch Rechnung getragen, dass die Parteien eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten des Gerichts des Mitgliedstaates, dessen Recht sie gemäß Art 16 und 18 als das auf ihren ehelichen Güterstand anzuwendende Sachrecht gewählt haben, treffen können. Nach der Rechtsauffassung des Europäischen Parlaments wird Art 5 Abs 2 EU-EheGüterVO-E aufgelöst und in Art 4a neu gefasst (s sogleich).59 29 Ebenso wie in den anderen familienrechtlichen Rechtsakten sowie der EU-ErbVO fehlt es

auch in Art 5 EU-EheGüterVO-E – ebenso wie in Art 17 EU-EheGüterVO-E – an einer autonomen Definition des gewöhnlichen Aufenthalts. Es ist insoweit auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts, wie sie im Unions- bzw nationalen Recht entwickelt wurden, abzustellen. Darauf wird zurückzukommen sein.60 30 Es spricht jedenfalls viel dafür, dass für die Bestimmung des gemeinsamen gewöhnlichen

Aufenthalts auf die zu Art 3 Brüssel IIa-VO entwickelten Grundsätze zurückgegriffen wird. Danach ist insbesondere eine Mindestaufenthaltsdauer nicht erforderlich; auch ist nicht erforderlich, dass der Aufenthalt in dem Sinne „gemeinsam“ ist, dass eine eheliche bzw häusliche Lebensgemeinschaft bestanden haben muss.61 Auch eine bestimmte Dauer für die Aufenthaltsanknüpfung des Art 3 Abs 1 Brüssel IIa-VO wird regelmäßig nicht gefordert; vielmehr genügt für die Begründung eines Aufenthaltsgerichtsstands regelmäßig bereits die Tatsache des gewöhnlichen Aufenthalts in einem Mitgliedstaat. Allein das forum actoris, d.h. die Zuständigkeit der Gerichte im Aufenthaltsstaat des Antragstellers (Art 3 Abs 1 lit a Str 5 und 6), setzt eine gewisse Aufenthaltsdauer, nämlich ein Jahr bzw sechs Monate, wenn der Antragsteller die Staatsangehörigkeit des Gerichtsstaates besitzt, voraus. 31 Ebenso wie schon in Art 3 Brüssel IIa-VO vermittelt – auf der letzten Stufe (lit d) – auch die

gemeinsame Staatsangehörigkeit der Eheleute eine güterrechtliche Zuständigkeit. Die berechtigte Kritik an der Staatsangehörigkeitsanknüpfung62 greift in zuständigkeitsrechtlicher Hinsicht indes zu kurz. Denn hier geht es nicht um die Suche nach der „engsten Verbindung“ im Sinne einer räumlich gerechten Zuordnung des jeweiligen Lebenssachverhalts.63 Vielmehr steht hier die erleichterte Eröffnung von Gerichtsständen im Vordergrund. Probleme bereitet die Anknüpfung – ebenso wie beim anwendbaren Recht – allerdings in Fällen doppelter oder mehrfacher Staatsangehörigkeit. Der Verordnungsvorschlag hält hierfür keine Lösung bereit. 59 60 61 62

63

Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien. Siehe unten Rn 65 ff. Vgl Rauscher/Rauscher Art 3 Brüssel IIa-VO Rn 23 ff. Diese sind insbesondere rechtspolitischer Natur. Ein Verstoß gegen das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot in Art 18 AEUV (so aber etwa Stern, Das Staatsangehörigkeitsprinzip in Europa: die Vereinbarkeit der kollisionsrechtlichen Staatsangehörigkeitsanknüpfung mit dem gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbot (2008) S 182 ff; Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht: zugleich ein Beitrag zur einheitlichen Dogmatik der Grundfreiheiten des EG-Vertrages (2003) S 134 f; Hau FamRZ 2000, 1336) lässt sich jedenfalls nicht begründen, vgl dazu im Einzelnen Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 339 ff. Vgl zu diesem dem Kollisionsrecht zugrundeliegenden Prinzip vgl schon v Savigny, System des heutigen Römischen Recht, Band VIII (1849) S 108; Schnitzer 123 Rec (1966-I) 541, 562; Wengler 104 Rec (1961III) 273, 355 f; zur dogmatischen Legitimation siehe im Einzelnen auch jüngst Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 303 ff.

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Nach Maßgabe des vom Europäischen Parlament vorgeschlagenen ErwGr 22a (neu)64 soll 32 die Frage, „wie in Fällen mehrfacher Staatsangehörigkeit zu verfahren ist, dem innerstaatlichen Recht, gegebenenfalls auch internationalen Übereinkommen [unterliegen], wobei die allgemeinen Grundsätze der Europäischen Union uneingeschränkt zu beachten sind“. Der ErwGr ist ErwGr 22 Rom III-VO nachgebildet. In der Sache stößt der Verweis auf mitgliedstaatliches Recht freilich auf Bedenken65, steht er doch in Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH, wonach „die Begriffe einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Europäischen Gemeinschaft eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen, die unter Berücksichtigung des Kontextes der Vorschrift und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss“66. Unter Zugrundelegung der zu Art 3 Brüssel IIa-VO entwickelten Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Hadadi67 ist aber davon auszugehen, dass der Begriff der „Staatsangehörigkeit“ jedenfalls nicht dahingehend ausgelegt werden kann, dass allein der effektiven Staatsangehörigkeit der Vorrang einzuräumen ist. Angesichts des Umstands, dass weder die im mitgliedstaatlichen Recht vorherrschende bevorzugte Anwendung der inländischen Staatsangehörigkeit noch der effektiven Staatsangehörigkeit überzeugen kann, will der EuGH dem Betroffenen ein Wahlrecht zwischen seinen Heimatgerichtsständen einräumen. Es muss vor diesem Hintergrund verwundern, dass sich der Unionsgesetzgeber mit ErwGr 22 Rom III-VO – und ErwGr 22a (neu) EU-EheGüterVO-E – im Ergebnis für einen Rückgriff auf innerstaatliches Recht entschieden hat. Denn auf diese Weise wird es den Mitgliedstaaten ermöglicht, in Fällen, in denen der Doppelstaater auch die inländische Staatsangehörigkeit inne hat, dieser unreflektiert den Vorzug einzuräumen.68 4. Gerichtsstandsvereinbarungen (Art 4a neu) Wie gesehen, ist die Möglichkeit der Parteien zum Abschluss einer Gerichtsstandsverein- 33 barung derzeit in Art 5 Abs 2 EU-EheGüterVO-E enthalten (s o). In seiner Stellungnahme hat das Europäische Parlament69 vorgeschlagen, die Regelung aus Art 5 herauszulösen und in einen neuen Art 4a zu integrieren. In der Sache stimmen beide Regelungen überein: So sollen die Eheleute vereinbaren können, dass die Gerichte des Mitgliedstaates, dessen Recht sie gem Art 16 EU-EheGüterVO-E als das auf ihren ehelichen Güterstand anzuwendende Sachrecht gewählt haben, für ihren Güterstand betreffende Fragen zuständig sein sollen. Laut Art 4a Abs 1 S 2 (neu) EU-EheGüterVO-E ist diese Zuständigkeit ausschließlich. In seiner Begründung bezieht sich das Europäische Parlament70 insofern auf die Regelung in Art 5 Abs 2 und 3 Rom III-VO und rechtfertigt die Neuregelung mit einem „praktischen Bedürfnis“. Der insoweit hergestellte Bezug zur Rom III-VO ist freilich irreführend: Denn in dieser werden Fragen der internationalen Zuständigkeit, wie gesehen, gerade nicht adres64 65 66

67 68 69 70

Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien. Vgl Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 376. EuGH Rs 327/82 Ekro EuGHE 1984, 107 Rn 11; EuGH Rs C-98/07 Nordania Finans und BG Factoring EuGHE 2008 I 1281 Rn 17; EuGH Rs C-523/07 A EuGHE 2009 I 2805 Rn 34; EuGH Rs C-168/08 Hadadi EuGHE 2009 I 6871 Rn 38. EuGH Rs C-168/08 Hadadi EuGHE 2009 I 6871 Rn 38. Vgl nur Art 5 EGBGB. Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien. Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien.

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siert. Vielmehr ist der Geltungsbereich der Verordnung – unter Weitergeltung der Brüssel IIa-VO im Übrigen – allein auf die Regelungen des Kollisionsrechts beschränkt. Dem entspricht es, wenn Art 5 Abs 2 und 3 Rom III-VO nicht die Möglichkeit der Parteien zum Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung, sondern die Wahl des anwendbaren Rechts regelt. 34 In verallgemeinernder Weise bleibt aber festzuhalten, dass die Möglichkeit eines Gleichlaufs

von Gerichtsstands- und Rechtswahlvereinbarungen wünschenswert ist. Beide können als Ausfluss der – unions- und verfassungsrechtlich garantierten – Parteiautonomie, die als Ausdruck der Selbstbestimmung des Einzelnen gelten kann71, verstanden werden. In familienrechtlichen Rechtsakten sind Gerichtsstandsvereinbarungen bislang aus Art 4 EG-UntVO bekannt. Freilich bleibt nicht zu verkennen, dass die Motive der Eheleute zum Abschluss einer Gerichtsstands- bzw Rechtswahlvereinbarung divergieren können. So können beim Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung etwa auch originär prozessuale Erwägungen, wie die Anwendung bestimmter Beweisregelungen, eine Rolle spielen.72 Auch ist denkbar, dass sich die Parteien, die eine Gerichtsstandsklausel abgeschlossen haben, gezielt gegen eine kollisionsrechtliche Vereinbarung entscheiden können, zB um die Verhandlungen nicht mit der Frage des anwendbaren Rechts zu belasten oder weil das potentiell wählbare Recht als nicht durchsetzbar gilt.73 35 Eine Neuerung gegenüber Art 5 Abs 2 EU-EheGüterVO-E bringt Art 4a (neu) Abs 2 im

Hinblick auf die wählbaren Gerichtsstände: Sollen sich diese gem Art 5 Abs 2 EU-EheGüterVO-E allein auf das von den Eheleuten auf ihre güterrechtlichen Verhältnisse anwendbare Recht beschränken, so erweitert Art 4a Abs 2 (neu) EU-EheGüterVO-E den Kreis der zuständigen Gerichte auf diejenigen, deren Recht gem Art 17 EU-EheGüterVO-E mangels Rechtswahl anzuwenden ist. Im Ergebnis entspricht die Vorschrift dabei Art 4 Abs 1 EGUntVO; die Regelungstechniken weichen allerdings insofern voneinander ab, als Art 4 Abs 1 EG-UntVO die wählbaren Gerichtsstände im Einzelnen nennt, während Art 4a (neu) EUEheGüterVO-E lediglich pauschal auf die mangels Rechtswahl anzuwendenden Rechte verweist. 36 Was die Modalitäten der Gerichtsstandsvereinbarungen im Einzelnen angeht, so bietet

Art 4a Abs 2 (neu) EU-EheGüterVO-E jegliche Flexibilität in zeitlicher Hinsicht. Danach kann die Vereinbarung jederzeit, spätestens aber zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts abgeschlossen oder geändert werden. Auch eine Vereinbarung nach Anrufung des Gerichts ist möglich, wenn das Recht des Staates des angerufenen Gerichts dies vorsieht (Art 4a Abs 3 (neu) EU-EheGüterVO-E). In diesem Fall soll das Gericht die Gerichtsstandsvereinbarung im Einklang mit dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts zu Protokoll nehmen. 37 Was die Form der Vereinbarung angeht, so setzt Art 4a Abs 4 (neu) EU-EheGüterVO-E bei

Vereinbarungen, die vor dem Verfahren geschlossen werden voraus, dass diese der Schriftform genügen sowie datiert und von den Eheleuten unterzeichnet sein müssen. Dabei sollen 71

72

73

Zu Einzelheiten bzgl der dogmatischen Legitimation der Parteiautonomie, insbesondere in unions- und verfassungsrechtlicher Perspektive, siehe Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 189 ff. Vgl dazu Mankowski in: Leible (Hrsg), Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht. Beiträge zur Fortentwicklung des Europäischen Kollisionsrechts der vertraglichen Schuldverhältnisse (2004) 63, 66. W-H Roth FS Georgiades (2006) 905, 910 f.

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auch elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, der Schriftform gleichgestellt sein. 5. Zuständigkeit durch rügelose Einlassung (Art 4b neu) Neben Art 4a (neu) EU-EheGüterVO-E hat sich das Europäische Parlament auch für die 38 Aufnahme einer Zuständigkeit durch rügelose Einlassung ausgesprochen.74 Eine solche Zuständigkeit, die aus Art 5 EG-UntVO bekannt ist, war im Kommissionsvorschlag noch nicht enthalten. Gem Art 4b (neu) EU-EheGüterVO-E wird ein Gericht zuständig, wenn sich der Antragsgegner vor ihm auf das Verfahren einlässt und dies nicht aus dem Grund erfolgt, den Mangel der Zuständigkeit geltend zu machen. Zudem darf kein anderes Gericht nach Maßgabe der Art 3, 4 oder 4a zuständig sein. Anders als Art 5 EG-UntVO enthält Art 4b (neu) EU-EheGüterVO-E in Abs 2 allerdings eine Schutzvorschrift zugunsten des weniger gut beratenen Ehegatten. Um diesen vor einer unbewusst stillschweigenden Zustimmung zu einem für ihn ungünstigen und damit ungewollten Gerichtsstand zu schützen, wird eine Belehrung über die Folgen der Einlassung oder Nichteinlassung auf das Verfahren vorgesehen. 6. Sonstige Zuständigkeiten (Art 6-8) a) Subsidiäre Zuständigkeit (Art 6) Gem Art 6 EU-EheGüterVO-E sind in den Fällen, in denen sich aus Art 3 bis 5 keine 39 Zuständigkeit ergibt, die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet Vermögensgegenstände eines oder beider Ehegatten belegen sind. Das angerufene Gericht entscheidet dann nur über diese Vermögensgegenstände. Nach dem Vorschlag des Europäischen Parlaments75 soll die subsidiäre Zuständigkeit des Art 6 EU-EheGüterVO-E auch auf „unbewegliches Vermögen“ erstreckt werden. Zudem soll in Abs 2 eine weitergehende Klarstellung dahingehend aufgenommen werden, dass die Gerichte eines Mitgliedstaates nur für Entscheidungen über unbewegliches Vermögen oder eingetragene Vermögensgegenstände zuständig sind, die sich in diesem Mitgliedstaat befinden. b) Notzuständigkeit (Art 7) Ebenso wie Art 7 EG-UntVO und Art 11 EU-ErbVO, enthält auch der EU-EheGüterVO-E 40 in Art 7 eine Bestimmung zur Notzuständigkeit. Danach soll immer dann, wenn sich aus den Art 3 bis 6 keine Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts ergibt, die Gerichte eines Mitgliedstaats ausnahmsweise über den ehelichen Güterstand entscheiden, wenn die Sache einen ausreichenden Bezug zu diesem Mitgliedstaat aufweist und es sich als unmöglich erweist oder nicht zumutbar ist, ein Verfahren in einem Drittstaat einzuleiten oder zu führen. Hintergrund eines forum necessitatis ist die Durchsetzung des Anspruchs auf den Zugang zu einem Gericht einschließlich der damit verbundenen Verfahrensrechte und Organisationsgarantien aus Art 6 Abs 1 EMRK76, d.h. die Einräumung eines Forums zur Einbringung einer Klage.77 Damit wird etwaigen Zuständigkeitslücken, die bedingt sein können durch die fehlende Koordination der mitgliedstaatlichen Zuständigkeiten sowie 74 75 76 77

Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien. Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien. Vgl dazu im Einzelnen Karpenstein/Mayer/Meyer, EMRK (2012) Art 6 Rn 2, 5. Siehe Rauscher/Andrae Art 7 EG-UntVO Rn 1.

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höhere Gewalt, vorgebeugt.78 Die Regelung unterscheidet sich insoweit von der Restzuständigkeit des Art 7 Brüssel IIa-VO, wonach bei fehlender mitgliedstaatlicher Zuständigkeit nach Art 3 bis 5 Brüssel IIa-VO auf die lex fori zurückgegriffen wird.79 41 Voraussetzung für ein Eingreifen der Notzuständigkeit des Art 7 EU-EheGüterVO-E ist – in

Anlehnung an Art 7 EGUntVO – dass ein Verfahren in einem Drittstaat unmöglich und unzumutbar ist, ferner muss ein „ausreichender Bezug“ zu dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts bestehen. Auf Vorschlag des Europäischen Parlaments80 soll die Regelung – in Übereinstimmung mit Art 11 EU-ErbVO – dahingehend geändert werden, dass die Sache „einen engen Bezug“ zu dem betreffenden Mitgliedstaat hat. In Abs 2 wird ergänzend klargestellt, dass die Sache einen „ausreichenden Bezug zu dem Mitgliedstaat des angerufenen Gericht aufweisen muss“. Weder der „enge“ noch der „ausreichende“ Bezug werden im Verordnungstext näher definiert. ErwGr 17a (neu), der sich an ErwGr 31 EU-ErbVO orientiert, stellt aber zumindest klar, dass die Notzuständigkeit des Art 7 EU-EheGüterVO-E nur in Ausnahmefällen eingreifen soll. Als ein solcher wird die Unmöglichkeit eines Verfahrens in einem Drittstaat aufgrund eines Bürgerkriegs aufgeführt ebenso wie der Fall, dass von einem Berechtigten vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, dass er ein Verfahren in diesem Staat einleitet oder führt. Ebenso wie bei Art 7 EG-UntVO wird der geforderte „ausreichende Bezug“ zum Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts durch Kriterien gewährleistet, die nicht die Zuständigkeit nach Art 3 bis 6 begründen.81 Dazu zählt etwa die Staatsangehörigkeit eines Ehegatten.82 c) Zuständigkeit für Gegenanträge (Art 8)

42 Soll eine Widerklage erhoben werden, so ist dafür gem Art 8 EU-EheGüterVO-E dasjenige

Gericht zuständig, bei dem ein Verfahren gem Art 3 bis 7 anhängig ist. Wird Art 6 EUEheGüterVO-E nach Maßgabe der Vorschläge des Europäischen Parlaments geändert, so soll in Art 8 ein klarstellender Abs 2 dahingehend aufgenommen werden, dass immer dann, wenn das Gericht gem Art 6 EU-EheGüterVO-E angerufen wurde, seine Zuständigkeit für einen Gegenantrag auf das unbewegliche Vermögen oder die eingetragenen Vermögensgegenstände, die den Gegenstand der Hauptsache bilden, beschränkt ist. VII. Kollisionsrecht 43 Was die kollisionsrechtlichen Regelungen des Verordnungsvorschlags angeht (Art 15 ff), so

wird das Anknüpfungssystem gespeist aus Elementen des Haager Ehegüterrechtsübereinkommen, des mitgliedstaatlichen Rechts aber auch des Haager Unterhaltsprotokolls, der Rom III-VO sowie der EU-ErbVO. Was die zuletzt genannten Sekundärrechtsakte angeht, so übernimmt der EU-EheGüterVO-E das Aufenthaltsprinzip als primäres (objektives) Anknüpfungsmoment (Art 17). Darüber hinaus können die Eheleute gem Art 16 EU-EheGüterVO-E das auf ihre güterrechtlichen Verhältnisse anwendbare Recht wählen. Dabei ist die Parteiautonomie begrenzt auf die Wahl zwischen dem Heimat- und Aufenthaltsrecht. Derartige Rechtswahloptionen sind bereits aus dem mitgliedstaatlichen Recht bekannt. 78 79 80 81 82

So Rauscher/Andrae Art 7 EG-UntVO Rn 2. Dazu Rauscher/Rauscher Art 7 Brüssel IIa-VO Rn 8. Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien. Vgl Rauscher/Andrae Art 7 EG-UntVO Rn 12. Siehe Rauscher/Andrae Art 7 EG-UntVO Rn 12.

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Das Prinzip der Nachlasseinheit der EU-ErbVO spiegelt sich in Art 15 EU-EheGüterVO-E 44 wieder83; danach unterliegt das gesamte Vermögen der Ehegatten dem gemäß den Art 16, 17 und 18 auf den ehelichen Güterstand anzuwendende Recht. Damit scheidet eine auf das unbewegliche Vermögen beschränkte Rechtswahl, wie sie etwa in Art 15 Abs 2 Nr 3 EGBGB vorgesehen ist, aus.84 1. Rechtswahlfreiheit a) Hintergrund Anders als im Bereich der vertraglichen und außervertraglichen Schuldverhältnisse kommt 45 der Parteiautonomie im Kollisionsrecht des nicht-wirtschaftlichen Personenverkehrs traditionell nur eine untergeordnete Rolle zu. In einigen Teilgebieten, wie etwa dem Scheidungsoder Erbrecht, ist sie im mitgliedstaatlichen Kollisionsrecht sogar gänzlich unbekannt.85 Das Ehegüterrecht hat insoweit seit jeher eine Sonderstellung inne. Bis auf wenige Ausnahmen86 ist die Rechtswahlfreiheit im System der nationalen Kollisionsrechte anerkannt. Dabei sieht die überwiegende Zahl der Mitgliedstaaten, wie zB Deutschland, Belgien, Italien, Finnland, Schweden und Portugal, begrenzte Wahlmöglichkeiten der Eheleute zugunsten ihres Heimat- oder Aufenthaltsrechts vor.87 Österreich, Frankreich und Luxemburg kennen demgegenüber sogar eine freie Rechtswahl zugunsten eines beliebigen Rechts, zu dem keine enge Verbindung besteht.88 So bestimmt etwa § 19 östIPRG, dass das Ehegüterrecht „nach dem Recht zu beurteilen [ist], das die Parteien ausdrücklich bestimmen […]“. Eine Sonderrolle nehmen schließlich die Staaten des common law ein; bei Abschluss eines Ehevertrags wird die Wahl des „proper law of the contract“ vereinzelt bejaht.89 Wie gesehen, ist die Rechtswahlfreiheit der Parteien auch eine Maxime des Haager Ehegü- 46 terrechtsübereinkommen von 1978. Art 3 sieht insoweit vor, dass auf die güterrechtlichen Verhältnisse der Eheleute in erster Linie das von diesen gewählte Sachrecht zur Anwendung kommen soll. Findet die Rechtswahl vor der Eheschließung statt, können die Eheleute gem Art 3 Abs 2 das Recht des Staates wählen, dem einer von ihnen im Zeitpunkt der Rechtswahl angehört (1) oder in dem einer von ihnen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (2) oder in dem einer von ihnen seinen ersten gewöhnlichen Aufenthalt nach der Eheschließung begründen wird (3). Darüber hinaus haben sie gem Art 3 Abs 4 die Möglichkeit, die lex rei sitae für ihr gesamtes unbewegliches Vermögen bzw für eine einzelne Immobilie zur Anwendung zu bringen. Während des Bestehens der Ehe können die Eheleute gem Art 6 Abs 2 ihre güterrechtlichen Verhältnisse ihrem Heimat- oder Aufenthaltsrecht eines von ihnen unterstellen. 83 84 85

86

87 88 89

Dazu Martiny IPRax 2011, 450. Siehe dazu unten Rn 51 ff. Vgl zum Rechtsvergleich mit Bezug zum Scheidungsrecht Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 100 f und zum Erbrecht S 135 ff sowie die Länderberichte in DNotI, Successions Internationales dans l’UE. Perspectives pour une Harmonisation (2004) S 79 (Zusammenfassung). So in Griechenland, Malta, Polen, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Litauen, vgl Europäische Kommission, Document de travail aaO Materialien, S 19. Für eine rechtsvergleichende Übersicht siehe Burghaus, Vereinheitlichung, S 156 f. Vgl Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 121 f. Siehe dazu im Einzelnen Briggs in: Dicey/Morris/Collins (eds) on the Conflict of Laws15 (2012) Rule 157 Rn 28-033.

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47 Begründen lässt sich Anerkennung der ehegüterrechtlichen Rechtswahlfreiheit mit der tra-

ditionell weiten Dispositionsbefugnis der Eheleute im materiellen Recht. So können die Eheleute in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen mithilfe eines Ehevertrags etwa den gesetzlichen Güterstand zugunsten eines vertraglichen Ehegüterstands bzw der Vereinbarung von Gütertrennung abbedingen.90 Und auch im englischen Recht hat der Abschluss von Eheverträgen in jüngster Zeit eine erhebliche Aufwertung erfahren.91 Die weitgehende Anerkennung der Parteiautonomie im mitgliedstaatlichen und staatsvertraglichen Ehegüterrecht hat mithin zu einem weitgehenden Gleichlauf von Sach- und Kollisionsrecht geführt. 48 Die Einräumung von Parteiautonomie dient in erster Linie der Flexibilität: Den Eheleuten

wird es auf diese Weise ermöglicht, das anwendbare Recht an ihre jeweiligen Lebensverhältnisse und ihren aktuellen Daseinsmittelpunkt anzupassen. Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn das auf den Zeitpunkt der Eheschließung fixierte Güterstatut an veränderte Lebensumstände angepasst werden soll.92 Darüber hinaus kann im Einzelfall ein Gleichlauf zwischen Heimatrecht und Belegenheitsrecht hergestellt werden.93 Im Übrigen ist die Rechtswahlfreiheit geeignet, die mit dem Unwandelbarkeitsgrundsatz im Ehegüterrecht verbundenen Schwierigkeiten zu beseitigen: Indem in objektiver Hinsicht regelmäßig94 an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt (Art 17 Abs 1 lit a EU-EheGüterVO-E) oder die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Eheleute im Zeitpunkt der Eheschließung angeknüpft wird, kann eine Rechtswahl etwa im Falle des Aufenthaltswechsels zu einer Anpassung an die veränderten Lebensumstände führen. Dies kann Rechts- und Planungssicherheit garantieren. Schwierige Anpassungsprobleme, die zu einer erhöhten Aufwendung von Transaktionskosten führen, können mithin bereits im Vorfeld durch vorausschauende Planung und Vertragsgestaltung vermieden werden. 49 Auf europäischer Ebene lässt sich auch im nicht wirtschaftlichen Personenverkehr zuneh-

mend ein Trend hin zur Schaffung von Rechtswahlmöglichkeiten beobachten. So ermöglicht etwa Art 8 HUntStProt 2007 den Ehepartnern neben der Wahl des Heimat- und Aufenthaltsrechts einer der Parteien auch die Berufung des auf den Güterstand oder die Scheidung angewandten Rechts. Im Scheidungsrecht können die Parteien gem Art 5 Rom III-VO neben ihrem gemeinsamen Aufenthalts- und Heimatrecht auch die Wahl des Rechts am Gerichtsstand. Im Erbrecht hat sich der EU-Gesetzgeber demgegenüber für eine „kleine“ Lösung entschieden. So sieht Art 22 Abs 1 EU-ErbVO lediglich eine begrenzte Rechtswahlmöglichkeit des Erblassers zugunsten seines Heimatrechts vor. Mit dieser Ausweitung der familien- und erbrechtlichen Parteiautonomie soll in erster Linie der zunehmenden Mobilität der Unionsbürger Rechnung getragen werden: Denn Rechtswahlfreiheit garantiert Rechtssicherheit und erleichtert mithin die Mobilität der Unionsbürger in Europa.95 Transnationalen Paaren wird es auf diese Weise ermöglicht, ihre rechtlichen Verhältnisse an ihre jeweilige Lebenssituation anzupassen. Gleichermaßen wird in internationalen Erbfällen die 90

91 92 93 94 95

Vgl Dethloff, Unterhalt, Zugewinn- und Versorgungsausgleich – Sind unsere familienrechtlichen Ausgleichssysteme noch zeitgemäß? Gutachten A zum 67. Deutschen Juristentag (2008) S 31 f. Vgl Radmacher v Granatino [2010] UKSC 42 (Rn 54 ff.); dazu etwa Röthel RabelsZ 76 (2012), 131, 141 f. Vgl dazu Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 409. Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 409. Anders nur Art 7 Abs 2 Haager Ehegüterrechtsübereinkommen. Zum rechtstatsächlichen Hintergrund vgl Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 14 ff.

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Nachlassplanung erleichtert. Zudem ist zu beachten, dass es in der Regel die Parteien sind, die am besten wissen, welches Recht für ihren Sachverhalt am besten geeignet ist. Die insoweit vorgenommene Stärkung der Parteiautonomie erweist sich bei genauerer Be- 50 trachtung freilich als nur begrenzter Zugewinn an Gestaltungsfreiheit96: Während die Parteien im Recht der vertraglichen und außervertraglichen Schuldverhältnisse im Ausgangspunkt frei darin sind, das anwendbare Recht zu wählen, bleiben ihre Rechtswahlmöglichkeiten im Familien- und Erbrecht beschränkt. So kann nur das Recht solcher Staaten gewählt werden, zu denen eine nach objektiven Kriterien zu bestimmende enge Verbindung besteht, dh in erster Linie das Heimat- und Aufenthaltsrecht der Parteien. Rechtfertigen lässt sich diese unterschiedliche Ausgestaltung der Parteiautonomie im Recht der vertraglichen und außervertraglichen Schuldverhältnisse einerseits und im Familien- und Erbrecht andererseits nicht: So ist bereits nicht erkennbar, dass in dogmatischer Hinsicht rechtsgebietsspezifische Unterschiede bestünden, die eine unterschiedliche Ausgestaltung gebieten würden. Im Gegenteil gründet die Rechtswahlfreiheit allgemein auf der – verfassungs- und unionsrechtlich – garantierten Selbstbestimmung der Parteien. Anerkennt man aber die innere Rechtfertigung der Rechtswahlfreiheit als individuelles Freiheitsrecht, so sind Beschränkungen in allen Bereichen gleichermaßen rechtfertigungsbedürftig. Auch das dem Kollisionsrecht innewohnende „Prinzip der engsten Verbindung“ vermag die Beschränkung der wählbaren Rechte nicht zu begründen. Die demgegenüber anzuerkennenden Grenzen der Parteiautonomie aus Gründen des Schwächerenschutzes, der Wahrung von Rechten Dritter und staatlichen Interessen lassen sich bereits auf andere Weise, z. B. durch Formvorschriften oder die konsequente Anwendung des ordre public-Vorbehalts, sicherstellen, sodass es auch insoweit nicht der Begrenzung der wählbaren Rechte bedarf. b) Die Regelungen in Art 16 und 18 EU-EheGüterVO-E Der Tradition in den Mitgliedstaaten sowie der Rechtslage in anderen familien- sowie dem 51 erbrechtlichen Sekundärrechtsakt entsprechend hat sich die Kommission in Art 16 EUEheGüterVO-E für die Einräumung von Rechtswahlmöglichkeiten zugunsten der Eheleute entschieden. Danach können die Ehegatten das Recht des Staates, in dem sie ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben (lit a) oder das Recht des Staates, in dem einer von ihnen im Zeitpunkt der Rechtswahl seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (lit b) oder das Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit einer von ihnen besitzt (lit c), wählen. Darüber hinaus haben die Eheleute – in Anlehnung an Art 6 Abs 2 Haager Ehegüterrechtsübereinkommen – gem Art 18 EU-EheGüterVO-E die Möglichkeit, ihren Güterstand auch während der Ehe einem anderen Recht zu unterwerfen. Eine derartige Rechtswahl, die zugunsten des Rechts des Staates, in dem ein Ehegatte zum Zeitpunkt der Rechtswahl seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (lit a) oder zugunsten des Heimatrechts einer der Parteien (lit b) möglich ist, entfaltet Wirkungen ex nunc. Die Rechtswahl gilt dabei einheitlich für das gesamte Vermögen der Eheleute; eine dépeçage ist nicht möglich. Damit entfällt auch die Möglichkeit, die lex rei sitae für unbewegliches Vermögen zur Anwendung zu bringen. In der Konsequenz geht den Eheleuten damit zugunsten der Vermeidung einer Spaltung des Güterrechtsstatuts eine wichtige Gestaltungsmöglichkeit verloren.97 Die Regelungen des Art 16 und 18 EU-EheGüterVO-E sollen nach Ansicht des Europäischen Parlaments auch

96 97

Im Einzelnen zum Folgenden Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 303 ff. Siehe Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 126.

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künftig beibehalten, Art 18 allerdings zur besseren Übersichtlichkeit in Art 16 (neu) EUEheGüterVO-E integriert werden. 52 Die vorrangige Wahl des Rechts am gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt entspricht der

starken Stellung der Aufenthaltsanknüpfung als neuem Anknüpfungsprinzip im europäischen Kollisionsrecht.98 Sie entspricht im Grundsatz Art 5 Abs 1 lit b Rom III-VO und Art 8 Abs 1 lit b HUntStProt 2007; lediglich Art 22 EU-ErbVO kennt ausschließlich die Wahl des Heimatrechts des Erblassers. Allerdings sieht Art 8 Abs 1 lit b HUntStProt 2007 nicht die Wahl des Rechts am gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt, sondern am gewöhnlichen Aufenthaltsort eine der Parteien im Zeitpunkt der Rechtswahl vor. Eine identische Regelung findet sich in Art 16 lit b EU-EheGüterVO-E.99 53 Damit geht der Entwurf der EU-EheGüterVO in seiner Reichweite der wählbaren Rechte

über das HUntStProt 2007 hinaus. Zu beachten ist allerdings, dass die Öffnungsklausel des Art 8 Abs 1 lit c HUntStProt 2007, wonach wählbar auch dasjenige Recht ist, das die Parteien als das auf ihren Güterstand anzuwendende Recht bestimmt haben bzw das tatsächlich darauf angewandte Recht, einen Gleichlauf von unterhalts- und güterrechtlicher Rechtslage ermöglicht. Gleiches gilt gem Art 8 Abs 1 lit d HUntStProt 2007 im Übrigen auch für das auf die Ehescheidung gewählte bzw tatsächlich angewendete Recht. Eine solche Koordination der unterschiedlichen Scheidungsfolgen trägt nicht nur dem Umstand Rechnung, dass derartige Regelungen des materiellen Rechts häufig Gegenstand von Eheverträgen oder Scheidungsvereinbarungen sind. Teilweise100 wird der Abschluss einer umfassenden Scheidungsfolgenvereinbarung auch für die Durchführung einer einverständlichen Scheidung vorausgesetzt. Darüber hinaus fördert die Bestimmung eines einheitlichen Rechts die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit und hilft, Transaktionskosten für die Ermittlung unterschiedlicher ausländischer Rechte zu vermeiden.101 Es wäre insoweit wünschenswert gewesen, wenn auch die übrigen einschlägigen Rechtsakte, wie die Rom III-VO sowie die künftige EU-EheGüterVO, entsprechende Regelungen enthalten würden. 54 Als weitere Möglichkeit verbleibt den Eheleuten, ebenso wie gem Art 8 Abs 1 lit a HUntSt-

Prot 2007 und Art 5 Abs 1 lit c Rom III-VO, die Wahl des Rechts des Staates, dessen Staatsangehörigkeit einer der (künftigen) Ehegatten im Zeitpunkt der Rechtswahl (neu: der Vereinbarung) hat (Art 16 lit c) EU-EheGüterVO-E. Mit dieser Regelung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Staatsangehörigkeit – neben dem gewöhnlichen Aufenthalt – nach wie vor als wesentlicher Anknüpfungspunkt im europäischen Familienund Erbkollisionsrecht angesehen wird.102 Insoweit wird davon ausgegangen, dass die Staatsangehörigkeit einen hinreichend engen Bezug der Eheleute vermittelt, der eine Rechtswahl zugunsten des Heimatrechts rechtfertigt.103 98 99

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101 102 103

Vgl dazu jüngst Weller IPRax 2014, 225, 227 ff. Diese Regelung soll nach dem Vorschlag des Europäischen Parlaments auch beibehalten werden, allerdings sollen Art 16 Abs 1 lit a und b unter Art 16 Abs 1 lit a neu zusammengefasst werden, vgl Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien. Vgl den rechtsvergleichenden Überblick bei Boele-Woelki ua (eds), Principles of European Family Law Regarding Divorce and Maintenance between Former Spouses (2004) S 37 ff. Vgl Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 112. Vgl unten Rn 73 ff. Vgl Stellungnahme Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien, ErwGr 19 neu.

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Ebenso wie schon im Verfahrensrecht regelt auch Art 16 lit c EU-EheGüterVO-E nicht die 55 Problematik der doppelten Staatsangehörigkeit. Auch insoweit ist künftig ErwGr 22a (neu) heranzuziehen, wonach über die Behandlung der mehrfachen Staatsangehörigkeit regelmäßig das innerstaatliche Recht entscheidet.104 Diesbezüglich greifen freilich dieselben Bedenken wie schon zu Art 5 EU-EheGüterVO-E.105 c) Form Angesichts der Tragweite einer güterrechtlichen Rechtswahlvereinbarung, soll mithilfe von 56 Formvorschriften sichergestellt werden, dass sich die Ehegatten oder die zukünftigen Ehegatten über die Folgen ihrer Rechtswahl im Klaren sind.106 Die entsprechenden Formerfordernisse in Art 19 EU-EheGüterVO-E dienen mithin dem Schutz des „schwächeren Ehepartners“. Gem Art 19 EU-EheGüterVO-E ist für die Rechtswahlvereinbarung die für den Ehevertrag vorgeschriebene Form (Art 20) maßgeblich. Letztere bestimmt sich entweder nach dem anzuwendenden Recht des gewählten Staates oder nach dem Recht des Staates, in dem die Rechtswahlvereinbarung aufgesetzt wurde. Die Vorschrift ist Art 12 Haager Ehegüterrechtsübereinkommen nachgebildet und trägt dem Umstand Rechnung, dass die parteiautonome Vereinbarung eines Güterrechtsstatuts regelmäßig auch die Wahl eines Güterstandes enthält.107 Ausweislich Art 19 Abs 2 EU-EheGüterVO-E muss die Rechtswahl zumindest ausdrücklich 57 und schriftlich erfolgen, zudem ist sie zu datieren und von den Ehegatten zu unterzeichnen. Damit werden im Wesentlichen dieselben Anforderungen aufgestellt wie in Art 13 Haager Ehegüterrechtsübereinkommen. Eine konkludente Rechtswahl soll, ebenso wie gem Art 22 EU-ErbVO, nicht möglich sein. Damit unterscheiden sich beide Rechtsakte von Art 3 Abs 1 S 2 Rom I-VO, wonach sich Anhaltspunkte für eine Rechtswahl auch „eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen des Falles“ ergeben können. Zwar wirft der Begriff der „Eindeutigkeit“ Schwierigkeiten im Hinblick auf seine Unbestimmtheit auf. Insbesondere dem Abschluss einer Gerichtsstandsklausel kann insoweit aber Indizwirkung beigemessen werden, so dass der Gefahr einer bloßen Unterstellung eines Rechtswahlwillens aus Interesse an der Anwendung des Forumrechts vorgebeugt werden kann.108 Gerade im Güterrecht hätte sich freilich die Möglichkeit der Zulassung einer konkludenten 58 Rechtswahl angeboten. Denn insoweit ist zu beachten, dass Rechtswahlvereinbarungen in der Praxis häufig in Verbindung mit einem Ehevertrag abgeschlossen werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es aber auch nicht unwahrscheinlich, in der Wahl einer bestimmten materiellrechtlichen Gestaltungsform eine stillschweigende Rechtswahl zugunsten des jeweiligen Rechts zu sehen. Diesem Bedürfnis trägt etwa auch Art 11 Haager Ehegüterrechtsübereinkommen Rechnung. Danach ist auch eine stillschweigende Rechtswahl möglich; das gewählte Recht muss sich in diesem Fall aber unzweifelhaft aus den Bestimmungen des zugrundeliegenden Ehevertrages ergeben. In dem Änderungsvorschlag des Europäischen Parlaments ist das Erfordernis der Ausdrücklichkeit nicht mehr enthalten. Ob damit künftig auch konkludente Vereinbarungen möglich sein sollen, bleibt freilich abzuwarten. 104 105 106 107 108

S o Rn 32. S o Rn 32 ff. Vgl Stellungnahme des Europäischen Parlaments, ErwGr 24 (neu). Burghaus, Vereinheitlichung, S 297. Vgl Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 55.

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59 Weiterhin bestimmt Art 19 Abs 3 EU-EheGüterVO-E, dass dann, wenn das Recht des Mit-

gliedstaats, in dem die Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten, für den Ehevertrag zusätzliche Formvorschriften vorsieht, diese Vorgaben einzuhalten sind. Haben die Eheleute ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, so folgt daraus stets die Vornahme einer notariellen Beurkundung.109 60 Nach Ansicht der Berichterstatterin des Europäischen Parlaments soll die Vorschrift des

Art 19 künftig gänzlich umgestaltet werden110: So soll sich Art 19 (neu) EU-EheGüterVO-E allein auf die Rechtswahlvereinbarung, nicht dagegen auf den Ehevertrag, beziehen. Dementsprechend bestimmt Art 19 Abs 1 (neu) EU-EheGüterVO-E lediglich, dass die Rechtswahlvereinbarung der Schriftform, der Datierung und Unterzeichnung durch beide Ehegatten bedarf. Zudem muss die Vereinbarung die Formvorschriften des auf den ehelichen Güterstand anzuwendenden Rechts oder des Rechts des Staates, in dem die Vereinbarung geschlossen wurde, erfüllen (Abs 2). Sieht jedoch das Recht des Staates, in dem beide Ehegatten zum Zeitpunkt der Vereinbarung ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, zusätzliche Formvorschriften für diese Art der Vereinbarung oder anderenfalls für den Ehevertrag vor, so sind diese Formvorschriften anzuwenden (Abs 3). Art 19 Abs 3a und 3b (neu) EU-EheGüterVO-E enthalten in Ergänzung zu Abs 3 (neu) Bestimmungen für den Fall, dass die Ehegatten zum Zeitpunkt ihrer Rechtswahl den gewöhnlichen Aufenthalt in verschiedenen Staaten haben bzw nur ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat. In ersterem Fall sollen die Formvorschriften des Rechts eines der Aufenthaltsstaaten genügen, im zweiten Fall sind etwaige zusätzliche Formanforderungen im Aufenthaltsstaat beachtlich. 61 Mit dieser neuen Struktur entspricht Art 19 (neu) EU-EheGüterVO-E Art 7 Rom III-VO.

Das Absehen von der Ehevertragsform ist insoweit zu begrüßen, als – anders als etwa in Art 15 Abs 4, Art 14 Abs 3 EGBGB – in einer Vielzahl von Mitgliedstaaten ein Gleichlauf von Rechtswahl- und Ehevertragsform unbekannt ist.111 Zudem hat das Beispiel des Art 13 Haager Ehegüterrechtsübereinkommen gezeigt, dass eine Anknüpfung an die Ehevertragsform im Einzelfall, nämlich dann, wenn die Rechtswahl weder den Formerfordernissen des gewählten Rechts noch der lex loci actus genügt, zur Formnichtigkeit der Vereinbarung führen kann. In diesem Fall ist eine Korrektur erforderlich.112 Schließlich spricht das Prinzip des favor negotii für das Mindesterfordernis der Schriftform.113 Die Öffnungsklausel des Art 19 Abs 3 EU-EheGüterVO-E stellt dabei die Einhaltung strengerer Formvorschriften nach dem Aufenthaltsrecht sicher, so dass eine Schutzlücke nicht zu befürchten ist.

109 110 111 112 113

Vgl dazu Döbereiner MittBayNot 2011, 463, 466. Siehe dazu Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien S 73. Zum Rechtsvergleich siehe Burghaus, Vereinheitlichung, S 170 f. Vgl zum deutschen Recht Kroll/Ramser JURA 2008, 51 ff. Vgl dazu Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 482.

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2. Objektive Anknüpfung a) Anknüpfung an das Aufenthaltsprinzip aa) Entwicklung Der Unionsgesetzgeber hat im Zuge der Vereinheitlichung des europäischen Kollisions- 62 rechts einen Wechsel der aus dem mitgliedstaatlichen Recht überwiegend bekannten Staatsangehörigkeitsanknüpfung hin zum Aufenthaltsprinzip als primärem Anknüpfungsmoment vollzogen. Die Anwendung des Heimatrechts erfolgt in den (künftigen) Unionsrechtsinstrumenten demnach nur noch subsidiär, auf der zweiten Stufe der Anknüpfungsleiter. Damit wird auf europäischer Ebene eine Entwicklung fortgesetzt, die bereits im Zuständigkeitsrecht ihren Anfang nahm. So knüpft etwa der Zuständigkeitskatalog des Art 3 I lit a Brüssel IIa-VO maßgeblich am (letzten) gewöhnlichen Aufenthalt eines oder beider Ehegatten an. Auch Art 4 lit a und b EG-UntVO sieht für die Zuständigkeit in Entscheidungen in Unterhaltssachen eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Beklagten bzw der berechtigten Person vor. Und auch im Kollisionsrecht hat das Aufenthaltsrecht Tradition. Dominierte im mitgliedstaatlichen Recht auch die Staatsangehörigkeitsanknüpfung, so hat sich die Haager Konferenz in ihren familienrechtlichen Übereinkommen vielfach für eine primäre Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt entschieden. Dies gilt zB für die Vorschrift des Art 4 des HUntStÜbk 1973, die eine wandelbare Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten vorsah. Darüber hinaus bestimmt etwa auch Art 4 Abs 2 Haager Ehegüterrechtsübereinkommen, dass sich die güterrechtlichen Verhältnisse der Eheleute – mangels Rechtswahl – nach dem Recht des Staates richten, in dem sie nach der Eheschließung ihren ersten gewöhnlichen Aufenthalt begründet haben. Und auch das HUntStProt 2007 sieht eine konsequente Anknüpfung an das Aufenthaltsprinzip vor. Im europäischen Kollisionsrecht ordnet Art 8 Rom III-VO nunmehr die Anknüpfung an 63 das Recht des Staates an, in dem die Ehegatten im Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben (lit a) bzw zuletzt hatten (lit b), an. Erst auf der dritten Stufe der Anknüpfungsleiter erfolgt die Anknüpfung an die gemeinsame Staatsangehörigkeit (lit c), gefolgt von der lex fori (lit d). Und auch die EU-ErbVO stellt in objektiver Hinsicht in Art 21 Abs 1 auf den letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers ab. Dem entspricht es, wenn die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Eheleute gemäß Art 17 lit a EU-EheGüterVO-E primär dem Recht am ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsort nach der Eheschließung unterliegen. Traditionell will die Aufenthaltsanknüpfung das Integrationsinteresse des Einzelnen, d.h. 64 seinen Wunsch auf Eingliederung in den Arbeitsmarkt sowie auf Teilhabe an entsprechenden Leistungen des staatlichen Sozialsystems des Aufenthaltsstaates, fördern.114 Es kann daher nicht verwundern, dass es im Wesentlichen in klassischen Einwanderungsländern verbreitet ist. Diesen bietet es die Möglichkeit, die Rechtsbeziehungen sämtlicher sich im Staatsgebiet aufhaltender Bevölkerungsgruppen einheitlich dem eigenen Recht (lex fori) zu unterwerfen.115 Im europäischen Kollisionsrecht liegt der Fokus demgegenüber auf der Er114 115

Vgl Kindler IPRax 2010, 44, 47. Dazu Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 334.

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möglichung flexibler Lösungen für die Unionsbürger. Die wachsende Zahl grenzüberschreitender Partnerschaften und der zunehmende Erwerb von Vermögen im europäischen Ausland lassen die starre Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit als Regelanknüpfung nicht länger als geeignet erscheinen.116 Vielmehr erfordert der mobile Unionsbürger eine flexible Anknüpfung, die sich seinen wechselnden individuellen Umständen anpasst. Darüber hinaus führt das Aufenthaltsprinzip in Verbindung mit den korrespondierenden Zuständigkeitsvorschriften vielfach zu einem Gleichlauf von Gerichtsstand und anwendbarem Recht117: Indem in der Regel das Gericht am (letzten) gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Eheleute zuständig ist, führt die Anwendung des Aufenthaltsrechts zum Recht des angerufenen Gerichts. Dies reduziert die Fremdrechtsanwendung und garantiert Rechtssicherheit und -vorhersehbarkeit. bb) Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts 65 Die fehlende autonome Definition des gewöhnlichen Aufenthalts in den Unionsrechtsakten

ist vielfach als Problem erkannt worden.118 Die Kritik vermag freilich nicht zu überzeugen, führt man sich vor Augen, dass der gewöhnliche Aufenthalt einer Person im mitgliedstaatlichen und staatsautonomen Recht traditionell im Sinne des Lebens- bzw Daseinsmittelpunkts verstanden wird.119 Erforderlich ist dabei regelmäßig eine Einzelfallbetrachtung der maßgeblichen Umstände. Als „objektive Indizien“, die auf eine ausreichende soziale Bindung des Betroffenen zum Aufenthaltsort hindeuten, gelten etwa die Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts sowie berufliche, familiäre und soziale Bindungen in dem betreffenden Staat.120 Ein animus manendi121 wird dagegen, jedenfalls nach kontinentaleuropäischem Verständnis, traditionell nicht vorausgesetzt.122 66 Zwar ist nicht zu leugnen, dass die Bestimmung des Lebensmittelpunktes einer Person

gerade in Zeiten erhöhter Mobilität schwer fallen kann. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen private und berufliche Umstände eine ständige Pendelsituation zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten erforderlich machen. So ist denkbar, dass eine Person ihren sozialen oder wirtschaftlichen Lebensmittelpunkt in verschiedenen Staaten verwirklicht oder sich alternierend in zwei Staaten, regelmäßig oder unregelmäßig, aufhält.123 Auch ist es nicht ungewöhnlich, dass der Lebensmittelpunkt aufgrund beruflicher Umstände für eine bestimmte oder unbestimmte Zeit in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wird, ohne dass 116 117 118

119 120 121

122

123

Vgl Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 336. So für das Erbrecht Kindler IPRax 2010, 44, 47. Vgl dazu nur Lehmann DStR 2012, 2085 f; Kunz GPR 2012, 208, 212; Solomon in: Dutta/Herrler (Hrsg), Europäische Erbrechtsverordnung aaO, Rn 7 ff. Vgl dazu Baetge FS Kropholler (2008) 77, 78. Ausführlich dazu Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht (1994) S 107 ff. Siehe dazu Baetge FS Kropholler (2008) 77, 84 ff. Anders liegt der Fall dagegen bei der domicile-Anknüpfung des common law, die allerdings eher der Staatsangehörigkeits- denn der Aufenthaltsanknüpfung vergleichbar ist (siehe dazu nur vHoffmann/Thorn, IPR9 (2007) § 5 Rn 59 ff). Für eine Annäherung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts an das englische domicile (im Erbrecht) siehe Mansel FS Ansay’a Armağan (2006) 185, 211 f. Den anmius manendi als Alternative ablehnend Kohler, Symposium Spellenberg 9, 13. Für eine Subjektivierung des Aufenthaltsbegriffs siehe dagegen Weller in: Leible/Unberath (Hrsg), Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? (2013) S 293 ff; ders IPRax 2014, 225, 227 mwN. Vgl dazu Pirrung FS Kühne (2009) 843, 856 f (m Fn 56).

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die Bindung zum bisherigen Aufenthaltsstaat abgebrochen würde.124 Angesichts der erforderlichen Gesamtbetrachtung aller Umstände, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass Gerichte in derartigen Grenzfällen zu einer unterschiedlichen Beurteilung hinsichtlich der Festlegung des gewöhnlichen Aufenthalts kommen, was eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit nach sich ziehen kann. Zu beachten ist aber freilich, dass an dieser Problematik auch eine autonome Definition des gewöhnlichen Aufenthalts nichts ändern könnte.125 Denn auch diese könnte – aufbauend auf der gängigen Suche nach dem Lebensmittelpunkt – lediglich bestimmte Indizien auflisten, ohne indes zu einer abschließenden Wertung oder einer entsprechenden Handlungsempfehlung für den Richter zu kommen. Im Ergebnis bleibt demnach zu akzeptieren, dass auch das Aufenthaltsprinzip angesichts der 67 Unbestimmtheit des Rechtsbegriffs des gewöhnlichen Aufenthalts nicht ohne systemimmanente Schwäche auskommt.126 Diese ist letztlich darauf zurückzuführen, dass ein am Prinzip der engsten Verbindung orientiertes objektives Anknüpfungssystem der Vielfalt der Lebenswirklichkeit naturgemäß nicht gerecht werden kann. Die Frage, mit welchem Recht ein familienrechtlicher Sachverhalt am engsten verbunden ist, muss stets typisierend, anhand von Vermutungen festgelegt werden, da es an empirischen Erkenntnissen für die Bevorzugung der einen oder anderen Anknüpfung fehlt. Die Festlegung eines objektiven Anknüpfungssystems ist demnach nicht im Savigny’schen Sinne „gerecht“, sondern unterliegt der rechtspolitischen Entscheidung. Auch das Aufenthaltsprinzip legt demnach nicht dasjenige Recht fest, das den Parteiinteressen tatsächlich am besten entspricht, sondern nur dasjenige Recht, das ihnen – aus einer objektiven Perspektive heraus – am besten entsprechen sollte. cc) Wandelbarkeit/Unwandelbarkeit Eine weitere Schwäche des Aufenthaltsprinzips speziell im Güterrecht zeigt sich in der 68 notwendigen Festlegung eines Anknüpfungszeitpunkts. Hier sind grundsätzlich zwei Möglichkeiten denkbar: Zum einen die wandelbare Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Eheleute im Zeitpunkt der Auseinandersetzung des Vermögens. Diese Lösung ist etwa im finnischen, schwedischen oder italienischen Recht anerkannt.127 Auch Art 7 Abs 2 Haager Ehegüterrechtsübereinkommen geht vom Grundsatz der Wandelbarkeit aus. Konsequenz ist freilich, dass jeder Aufenthaltswechsel während der Ehe automatisch zu einem Statutenwechsel, d.h. einer Änderung des gesetzlichen Güterstands, führt. Nur auf diese Weise kann der mit der Aufenthaltsanknüpfung bezweckten Schaffung flexibler Lösungen entsprochen werden, da insoweit eine stete Anpassung der Anknüpfung an das aktuelle Umfeld der Ehegatten ermöglicht wird. Die mit dem automatischen Statutenwechsel verbundene Frage, ob bestimmte Vermögenswerte zu unterschiedlichen Stichtagen etwa zum Gesamt- oder Eigengut der Ehegatten (Errungenschaftsgemeinschaft) oder bei Geltung der Zugewinngemeinschaft ins Anfangs- oder Endvermögen fallen, ist in der Praxis allerdings kaum zu beantworten.128 Besondere Schwierigkeiten sind darüber hinaus aus kontinentaleuropäischer Perspektive beim Bezug des Sachverhalts zu einem Staat des 124 125

126 127 128

Vgl Weller IPRx 2014, 225, 227. Für eine solche aber ohne nähere Begründung Rauscher/Andrae Art 3 EG-UntVO Rn 26; Martiny IPRax 2011, 437, 450. Zur folgenden Kritik siehe Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 401 f. Vgl zum Rechtsvergleich Burghaus, Vereinheitlichung, S 194 f. Zu diesen Schwierigkeiten siehe Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 393.

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common law denkbar; denn diese verfügen über kein materielles Güterrecht, sondern gehen vom Grundsatz der Gütertrennung – unter umfänglicher richterlicher Vermögensauseinandersetzung bei Scheidung – aus.129 69 Diesen erheblichen praktischen Schwierigkeiten versucht Art 7 Abs 2 Haager Ehegüter-

rechtsübereinkommen dadurch vorzubeugen, dass die Wandelbarkeit an enge Voraussetzungen geknüpft wird. Das Recht am „neuen“ gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten kommt ipso iure nur dann zur Anwendung, wenn es sich dabei gleichzeitig um das gemeinsame Heimatrecht der Parteien handelt bzw sie Angehörige dieses Staates geworden sind (Nr. 1), wenn der gewöhnliche Aufenthalt unmittelbar nach der Eheschließung für einen Zeitraum von mindestens zehn Jahre begründet wurde (Nr. 2) oder wenn die Parteien nach der Eheschließung keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hatten und daher zeitweilig dem gemeinsamen Heimatrecht unterlagen (Nr 3). Diese Regelung kann aber gerade diejenigen Fälle nicht erfassen, in denen Eheleute ihren Lebensmittelpunkt nach der Eheschließung zwar dauerhaft in einem Mitgliedstaat begründet haben, wenige Jahre vor der Trennung aber in ein anderes Land, dessen Recht mangels Erreichen der Zehnjahresgrenze nicht angewendet werden kann, umziehen.130 Leben Ehegatten dagegen bereits seit zehn Jahren in einem Staat, kann bezweifelt werden, dass ihnen der automatische Statutenwechsel ihres Ehegüterstatuts bewusst ist.131 Die Vorschrift des Art 7 Abs 2 Haager Ehegüterrechtsübereinkommen ist angesichts der aufgezeigten Schwierigkeiten vielfach kritisiert worden132 und hat sich im Hinblick auf die Neuordnung des Güterkollisionsrechts auf europäischer Ebene nicht durchgesetzt. 70 Die EU-Kommission hat sich – entsprechend der überwiegenden Rechtslage in den mit-

gliedstaatlichen Rechten – mit Art 17 Abs 1 lit a EU-EheGüterVO-E aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes für eine unwandelbare Anknüpfung des Güterstatuts entschieden. Danach unterliegt der eheliche Güterstand in erster Linie dem Recht, in dem die Ehegatten nach der Eheschließung ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Auf diese Weise werden die mit dem Wandelbarkeitsprinzip verbundenen Schwierigkeiten vermieden. Nicht zu verkennen ist freilich, dass die Anwendung des Rechts des früheren Aufenthaltsortes, etwa bei häufigen Ortswechseln während der Ehe, weder den Lebensumständen der Parteien noch dem Prinzip der engsten Verbindung gerecht werden kann.133 Soll bei einer späteren Verlagerung des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Eheleute eine Anpassung an die geänderten Umstände erfolgen, ist dies nur mithilfe einer Rechtswahl, etwa zugunsten des Rechts am aktuellen Aufenthaltsort (Art 16 lit a EU-EheGüterVO-E), möglich. Auf das materielle Güterrecht hat dies freilich keinen Einfluss: Denn ein gesetzlicher Güterstand kann regelmäßig durch ehevertragliche Regelungen modifiziert oder aufgehoben werden.134

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133 134

Vgl insoweit Asser-Institut, Studie aaO Materialien, S 167; rechtsvergleichend zu den unterschiedlichen Güterrechtssystemen in Europa Dethloff, 67. DJT, A 33 ff. Vgl Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 395. Vgl Lequette 246 Rec 13 (1994-II), 19, 169. Dazu Lequette 246 Rec 13 (1994-II), 19, 167; Mayer/Heuzé, DIP Rn 791; Asser-Institut, Studie aaO Materialien, S 167. Vgl zur Kritik Bonomi in: Boele-Woelki/Dethloff (eds), Family Law and Culture (2014) S 231 ff. Vgl Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 396.

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b) Objektive Anknüpfung gem Art 17 EU-EheGüterVO-E im Einzelnen aa) gewöhnlicher Aufenthalt nach Eheschließung (lit a) Wie gesehen, sieht Art 17 Abs 1 lit a EU-EheGüterVO-E in erster Linie eine objektive 71 Anknüpfung an das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts nach der Eheschließung vor. Damit hat sich die EU-Kommission für eine unwandelbare Anknüpfung des Güterstatuts entschieden. Auf diese Weise soll in erster Linie einem durch automatische Anpassung des Güterstatuts bedingten Verlust von Rechten der Ehegatten vorgebeugt werden.135 Zudem wird den mit der Wandelbarkeit verbundenen praktischen Schwierigkeiten vorgebeugt.136 Freilich ist zu beachten, dass der Gleichlauf von Kollisions- und Zuständigkeitsrecht auf diese Weise durchbrochen wird137: Indem es für die Zuständigkeit nämlich auf den aktuellen Aufenthaltsort ankommt138, weichen Gerichtsstand und anwendbares Recht voneinander ab mit der Konsequenz, dass der Richter nicht sein eigenes Recht anwenden kann. Ein wesentlicher Vorteil des Aufenthaltsprinzips geht damit verloren. Nach dem Vorschlag des Europäischen Parlaments139 soll der Wortlaut des Art 17 Abs 1 lit a 72 (neu) EU-EheGüterVO-E künftig dahingehend geändert werden, dass es auf den Zeitpunkt der Eheschließung ankommt; alternativ soll der erste gewöhnliche Aufenthalt maßgeblich sein, den die Ehegatten nach der Eheschließung nehmen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die bisherige Fassung des Art 17 Abs 1 lit a EU-EheGüterVO-E keine zeitliche Eingrenzung vorsah. Es war mithin unklar, welcher Aufenthaltsort nach der Eheschließung maßgeblich sein sollte. bb) gemeinsame Staatsangehörigkeit (lit b) Haben die Eheleute nach der Eheschließung keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt 73 begründet, ist gem Art 17 Abs 1 lit b EU-EheGüterVO-E an ihre gemeinsame Staatsangehörigkeit anzuknüpfen. Die subsidiäre Anknüpfung an die gemeinsame Staatsangehörigkeit ist etwa auch in Art 8 lit c Rom III-VO vorgesehen. Damit wird der Wandel vom Staatsangehörigkeits- hin zum Aufenthaltsprinzip vollzogen. Dass die Staatsangehörigkeit aber weiterhin, zumindest auf der 2. Stufe der Anknüpfungsleiter, herangezogen wird, zeigt die Bedeutung, die der Berufung des Heimatrechts nach wie vor beigemessen wird. Insoweit ist zu beachten, dass sich die Staatsangehörigkeitsanknüpfung – angesichts ihrer weitgehenden Unwandelbarkeit – als stabiles Anknüpfungsmoment erwiesen hat.140 Zudem kann die Staatsangehörigkeit – anders als der gewöhnliche Aufenthalt – regelmäßig mit großer Sicherheit festgestellt werden.141 Darüber hinaus ist in rechtspolitischer Perspektive nicht zu verkennen, dass die Staatsangehörigkeitsanknüpfung im „Ordnungsinteresse“ des Heimat-

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141

Vgl dazu Martiny IPRax 2011, 437, 450. S o Rn 68 ff. Siehe Martiny, IPRax 2011, 437, 450. S o Rn 27. Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien. Vgl dazu etwa schon Fallon, Hommage Rigaux (1995) 187, 212 f; Mommsen AcP 61 (1878) 157 f; Rosshirt AcP 46 (1863) 311, 328 f; Niemeyer, Vorschläge und Materialien zur Kodifikation des internationalen Privatrechts (1895) S 59. Vgl insoweit die Begründung der deutschen Bundesregierung für eine Reform des IPR, BT-Drs 10/504, S 31.

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staates liegt.142 Aus Sicht des Einzelnen soll mit dem Heimatrecht ein Recht zur Anwendung gelangen, mit dem dieser sich eng verbunden fühlt.143 Vor diesem Hintergrund wird die Staatsangehörigkeitsanknüpfung auch als Ausdruck der „kulturellen Identität“ des Einzelnen gesehen.144 Die vermehrte Mobilität der Unionsbürger, die wachsende Zahl grenzüberschreitender Partnerschaften und der zunehmenden Erwerb von Vermögen im europäischen Ausland kann die Staatsangehörigkeitsanknüpfung freilich nicht wiederspiegeln, so dass sie auf EU-Ebene, jedenfalls als Regelanknüpfung, nicht länger als geeignet angesehen wird. Im HUntStProt 2007 sowie der EU-ErbVO findet sie sogar gar keine Beachtung mehr. 74 Wie gesehen, fehlt es im EU-EheGüterVO-E an einer ausdrücklichen Kollisionsnorm für die

Behandlung der doppelten bzw mehrfachen Staatsangehörigkeit. Nach Maßgabe des Europäischen Parlaments145 soll der künftige ErwGr 22a Rechtsklarheit bringen, als insoweit auf das innerstaatliche Recht abgestellt wird. Ob dieser Rückgriff auf das mitgliedstaatliche Recht überzeugen kann, darf aus den bereits ausgeführten Gründen allerdings bezweifelt werden.146 Mit Blick auf das anwendbare Recht werden diese Schwierigkeiten durch Art 17 Abs 2 EU-EheGüterVO freilich umgangen, indem eine Anknüpfung an die gemeinsame Staatsangehörigkeit in dem Fall, dass die Eheleute mehr als eine gemeinsame Staatsangehörigkeit haben, keine Anwendung finden soll. cc) engste Verbindung (lit c) 75 Auf der letzten Stufe der Anknüpfungsleiter knüpft Art 17 Abs 1 lit c EU-EheGüterVO-E für

den Fall, dass die Eheleute weder einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt noch eine gemeinsame Staatsangehörigkeit haben, auf das Recht desjenigen Staates an, mit dem die Ehegatten unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere des Orts der Eheschließung, gemeinsam am engsten verbunden sind. Derartige Auffangklauseln, die es ausnahmsweise dem Richter überlassen, die engste Verbindung des Sachverhalts im Rahmen einer Ermessensentscheidung zu treffen, sind dem Kollisionsrecht nicht unbekannt.147 Sie finden sich etwa in Art 4 Abs 4 Rom I-VO und Art 4 Abs 3 Rom II-VO. Im Bereich des Güterrechts waren sie schon bislang überwiegend im mitgliedstaatlichen Recht vorgesehen.148 76 Bei der „engsten Verbindung“ handelt es sich freilich um einen unbestimmten Rechtsbegriff,

den der Richter im konkreten Einzelfall anhand bestimmter Umstände, wie der beruflichen Tätigkeit, dem gemeinsamen (einfachen) Aufenthalt, der sozialen Bindung der Ehegatten oder dem Ort der Eheschließung zu ermitteln hat.149 Damit ist freilich ein erhöhtes Maß an Rechtsunsicherheit verbunden, das mit dem Ziel der Vorhersehbarkeit und Planbarkeit im 142 143 144

145 146 147 148 149

Vgl dazu Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht9 (2004) § 2. Vgl dazu Kegel, Vorschläge und Gutachten, S 106. In diesem Sinne Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, in: Jayme (Hrsg): Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, (2003) S 5 ff; ders 251 Rec (1995) 9, 167 ff; jüngst dazu Weller IPRax 2014, 225, 227 ff. Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien. S o Rn 32 ff. Dazu Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 306. Zum Rechtsvergleich siehe Burghaus, Vereinheitlichung, S 185 f. Zu den einzelnen Kriterien siehe Burghaus, Vereinheitlichung, S 186; Geisler, Die engste Verbindung im Internationalen Privatrecht (2001) S 139 ff.

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europäischen Kollisionsrecht nur schwer vereinbar erscheint. Aus diesem Grund hat sich der Unionsgesetzgeber in Art Art 8 lit d Rom III-VO bzw die Haager Konferenz in Art 4 Abs 2 HUntStProt 2007 für eine Anknüpfung an die lex fori auf der letzten Anknüpfungsstufe entschieden. Auch diese Ausgestaltung kommt freilich nicht ohne Nachteile aus: Neben dem unerwünschten „Heimwärtsstreben“, das dem internationalen Entscheidungseinklang zuwiderläuft, führt die Anwendung des Formrechts insbesondere dazu, dass stets diejenige Partei im Vorteil ist, die einen geeigneten Gerichtsstand unter Zugrundlegung ihrer eigenen Interessen durchsetzen kann.150 Vor diesem Hintergrund will auch das Europäische Parlament an der Auffangklausel festhalten.151 3. Eingriffsnormen (Art 22) Als einziger familienrechtlicher Rechtsakt der Union enthält Art 22 EU-EheGüterVO-E eine 77 Vorschrift zur Berücksichtigung von Eingriffsnormen. Damit sind zwingende Vorschriften gemeint, „deren Einhaltung von einem Mitgliedstaat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Ordnung, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den ehelichen Güterstand anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden sind, die in ihren Anwendungsbereich fallen“. Mit dieser Definition orientiert sich Art 22 EU-EheGüterVO-E an Art 9 Rom I-VO152. Ausweislich der Begründung der Kommission soll mit Art 22 EU-EheGüterVO-E insbesondere mitgliedstaatlichen Normen zum Schutz der Ehewohnung Rechnung getragen werden.153 Damit soll es dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich die Wohnung befindet, ermöglicht werden, statt des nach der Verordnung eigentlich anwendbaren Rechts ausnahmsweise sein eigenes Recht zur Anwendung bringen. Freilich ist zu bedenken, dass nicht alle Vorschriften zum Schutz der Ehewohnung als Eingriffsnormen i.S.v. Art 22 EU-EheGüterVO-E einordnen lassen. Zu denken ist hier in erster Linie wohl an die Normen des régime primaire des romanischen Rechtskreises.154 Offen bleibt allerdings die Frage, welche weiteren Normen in den Anwendungsbereich des Art 22 EU-EheGüterVO-E fallen sollen. In Betracht kommt hier der gesamte Bereich der allgemeinen Ehewirkungen, was im Ergebnis freilich dazu führen würde, dass das Rechtsgebiet auf diese Weise vollständig konterkariert würde.155 Im Einzelnen ist hier noch vieles unklar. Angesichts dieser Rechtsunsicherheit und der Gefahr der Ausuferung des Anwendungs- 78 bereichs der Vorschrift hat sich der Ausschluss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres in seiner Stellungnahme vom 6.9.2012156 für die Streichung der Vorschrift ausgesprochen. Das Europäische Parlament157 befürwortet demgegenüber die Beibehaltung. Die Vorschrift des Art 22 EU-EheGüterVO-E soll allerdings dahingehend modifiziert werden, dass Eingriffsnormen solche Vorschriften sind, „deren Nichtbeachtung mit der öffentlichen Ord150 151 152 153 154 155 156 157

Vgl Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 307. Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien. Vgl dazu im Einzelnen MünchKommBGB6/Martiny (2013) Art 9 Rom I-VO Rn 12 ff. Vgl Europäische Kommission, Verordnungsvorschlag aaO Materialien, S 9. Dazu Martiny IPRax 2011, 436, 451. Vgl Martiny IPRax 2011, 436, 451. Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, Bericht aaO Materialien. Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien.

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nung („ordre public“) des betroffenen Mitgliedstaats offensichtlich unvereinbar wäre.“ Dabei sollen die zuständigen Behörden den ordre-public-Vorbehalt nicht so auslegen, dass er gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union158, insbesondere gegen ihren Art 21, der jede Form der Diskriminierung untersagt, verstößt. Des Weiteren wird klargestellt, dass durch die Verordnung nicht die Anwendung der Eingriffsnormen des Rechts des angerufenen Gerichts einschränkt werden sollen. 79 Diese geplante Neufassung des Art 22 EU-EheGüterVO-E wirft freilich mehrere Probleme

auf: Indem die an Art 9 Abs 1 Rom I-VO angelehnte Definition der Eingriffsnormen nicht mehr in der Vorschrift selbst, sondern nur noch in ErwGr 24a (neu) enthalten ist, besteht eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die Rechtsnatur der Eingriffsnormen. Denn die in Art 22 Abs 1 (neu) EU-EheGüterVO-E aufgenommene Definition stellt ausdrücklich auf den „ordre public“ des betreffenden Mitgliedstaats ab. Insoweit könnte die Vorschrift – neben Art 23 EU-EheGüterVO-E – auch als weitere ordre publicKlausel verstanden werden. Deren Verhältnis wäre dann freilich klärungsbedürftig. 80 Darüber hinaus ist zu beachten, dass sich der Vorbehalt zugunsten der öffentlichen Ord-

nung einerseits und die Anwendung von Eingriffsnormen andererseits in ihrer Rechtsnatur wesentlich unterscheiden159: So ist der ordre public-Vorbehalt auf die Abwehr der anwendbaren Vorschriften fremden Rechts gerichtet160 und verhilft auf diese Weise den Rechtsanwendungsinteressen des Forums zur Durchsetzung. Demgegenüber besteht die Funktion von Eingriffsnormen darin, dass bestimmte Teile der inländischen Rechtsordnung von vornherein nicht in den Anwendungsbereich der Kollisionsnormen fallen.161 Während Eingriffsnormen bereits auf der ersten Stufe, dem Anknüpfungsvorgang zu berücksichtigen sind, setzt die negative Funktion des ordre public erst auf der zweiten Stufe, d.h. der Korrektur des Anknüpfungsergebnisses an.162 Dies vorausgesetzt, kann die Vorschrift des Art 22 Abs 1 (neu) EU-EheGüterVO-E dogmatisch nicht überzeugen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, als in Art 23 (neu) EU-EheGüterVO-E an der allgemeinen ordre publicKlausel festgehalten wird. Die vom Europäischen Parlament mit der Neuregelung des Art 22 angestrebte Rechtsklarheit kann auf diese Weise jedenfalls nicht erreicht werden. 81 Abgesehen von diesen dogmatischen Bedenken im Hinblick auf den Wortlaut des Art 22

(neu) EU-EheGüterVO-E darf in grundsätzlicher Hinsicht bezweifelt werden, dass es im europäischen Familienkollisionsrecht überhaupt ein Bedürfnis für die Berücksichtigung von Eingriffsnormen gibt. Dagegen spricht nämlich Folgendes163: Erstens ist der Anwendungsbereich der Ausgangsnorm des Art 9 Abs 1 Rom I-VO auf die Durchsetzung öffent158 159 160

161 162

163

ABl EU 2010 C 83/389. Vgl zum Ganzen Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 510 f. Dazu Kuckein, Die „Berücksichtigung“ von Eingriffsnormen im deutschen und englischen internationalen Vertragsrecht (2008) S 55. Siehe Basedow FS Sonnenberger (2004) 291, 297. So Kuckein, Die „Berücksichtigung“ von Eingriffsnormen im deutschen und englischen internationalen Vertragsrecht (2008) S 56 f; vgl auch vBar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I2 (2003) § 7 Rn 275; Beulker, Die Eingriffsnormenproblematik in internationalen Schiedsverfahren. Parallelen und Besonderheiten im Vergleich zur staatlichen Gerichtsbarkeit (2005) S 51 ff; Neumayer FS Dölle, Bd II (1963) 189 ff. Zum Folgenden vgl im Einzelnen Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 563 ff.

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licher Interessen beschränkt. Familienrechtliche Normen haben aber bereits ihrer Rechtsnatur nach rein individualschützenden Charakter. Zwar ließe sich argumentieren, dass der Schutz der Familienwohnung auch im öffentlichen Interesse liegen kann. Dies ändert aber nichts an dem Umstand, dass die betreffenden Sachnormen von ihrem Schutzzweck her nicht zwingend einen internationalen Anwendungsanspruch haben. Sie lassen sich folglich auch nicht ohne Weiteres unter die Definition in Art 9 I Rom I-VO subsumieren. Dies mag möglicherweise ein Grund für die geplante Neufassung des Art 22 EU-EheGüterVO-E und das Absehen von der Definition in Art 9 Abs 1 Rom I-VO gewesen sein. Zweitens ist zu beachten, dass ordnungspolitischen Vorstellungen, insbesondere dann, wenn sie dem Schutz grundrechtlicher Positionen dienen, schon bislang über den ordre public-Vorbehalt zur Geltung verholfen werden kann. Drittens besteht für den weiteren wichtigen Fall der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen im Familienkollisionsrecht kein Bedürfnis. Viertens schließlich ist zu bedenken, dass Eingriffsnormen nicht ins System allseitiger, auf den Ausgleich von Privatinteressen gerichteter Kollisionsnormen passen. Ihre Handhabung ist daher restriktiv auszugestalten. Dies zeigt schon das Konzept des Art 9 Rom I-VO, das sowohl die Berücksichtigung inländischer als auch ausländischer Eingriffsnormen von der Einhaltung strikter Kriterien abhängig macht.164 Führt man sich vor Augen, dass es an einer vergleichbaren Tradition kollisionsrechtlicher Sonderanknüpfungen im familienrechtlichen Bereich fehlt, muss dies in besonderer Weise für die Ausgestaltung der künftigen EU-EheGüterVO gelten. Insoweit ist zu beachten, dass der – soweit ersichtlich – einzige Anwendungsfall, nämlich der Schutz der Familienwohnung, wie er im französischen Recht besteht, nicht die Aufnahme einer entsprechenden Kollisionsnorm rechtfertigt. Dies zeigt auch das Beispiel der Rom III-VO, in welcher keine vergleichbare Norm enthalten ist, obwohl der Schutz der Familienwohnung auch im Rahmen eines Scheidungsverfahrens eine Rolle spielen kann. Es spricht daher viel dafür, Art 22 EU-EheGüterVO-E im Laufe des weiteren Legislativverfahrens zu streichen. 4. Schutz Dritter (Art 35 EU-EheGüterVO-E) Das Verhältnis zu Dritten, insbesondere Gläubigern, spielt im Ehegüterrecht traditionell 82 eine wichtige Rolle.165 Dabei wird der Schutz Dritter im Kollisionsrecht in erster Linie mithilfe von Publizitätserfordernissen im Hinblick auf die Vornahme der Rechtswahl verwirklicht.166 Art 35 EU-EheGüterVO-E bestimmt nunmehr – in Übereinstimmung mit Art 9 Haager Ehegüterrechtsübereinkommen –, dass sich die Wirkungen des ehelichen Güterstands auf ein Rechtsverhältnis zwischen einem Ehegatten und einem Dritten nach dem Recht bestimmen, das nach Maßgabe der Verordnung auf den ehelichen Güterstand anzuwenden ist. Zum Schutz des guten Glaubens des Dritten bestimmt Absatz 2, dass das Recht eines Mitgliedstaats vorsehen kann, dass ein Ehegatte das auf seinen Güterstand anzuwendende Sachrecht einem Dritten nicht entgegenhalten kann, wenn der Ehegatte oder der Dritte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat hat und die in diesem Mitgliedstaat geltenden Registrierungs- oder Publizitätspflichten nicht eingehalten wurden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn dem Dritten bekannt war oder hätte bekannt sein müssen, welches Recht für den Güterstand maßgebend ist. Gleiches gilt im Übrigen auch für unbewegliche Sachen (Abs 3). 164 165 166

Vgl dazu nur W-H Roth FS Kühne (2009) 859, 873 f. Burghaus, Vereinheitlichung, S 204 f; MünchKommBGB6/Siehr (2013) Art 16 EGBGB Rn 1. Asser-Institut, Studie aaO Materialien, S 39 f, 88 ff.

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83 Der Vorbehalt zugunsten des mitgliedstaatlichen Rechts in Art 35 Abs 2 EU-EheGüterVO-E

soll nach Maßgabe der Stellungnahme des Europäischen Parlaments167 nunmehr dahingehend modifiziert werden, dass sich keiner der Ehegatten in einem Rechtsverhältnis zu einem Dritten auf das auf den ehelichen Güterstand anzuwendende Recht berufen können soll, wenn der Ehegatte, der in dem Rechtsverhältnis zu dem Dritten steht und der Dritte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat haben, der nicht derjenige Staat ist, dessen Recht auf den ehelichen Güterstand anzuwenden ist. In diesem Fall soll das Recht des Mitgliedstaats des gewöhnlichen Aufenthalts des betreffenden Ehegatten und des Dritten auf die Wirkungen des ehelichen Güterstands gegenüber dem Dritten anzuwenden sein. Eine vergleichbare Regelung ist aus dem belgischen Recht bekannt. Hier bestimmt Art 54 § 1 belgIPRG, dass auf die Wirkungen des Güterstandes gegenüber Dritten grundsätzlich das „loi du régime matrimoniale“ Anwendung findet, es sei denn, der Dritte sowie der jeweilige Ehegatten-Schuldner haben im Zeitpunkt des Entstehens der Schuld ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat; dann kommt dessen Recht zur Anwendung. 84 Freilich soll Art 35 Abs 2 EU-EheGüterVO-E nur dann gelten, wenn der Dritte im Hinblick

auf das anwendbare Recht gutgläubig war (Art 35 Abs 3 lit a (neu)). Art 35 Abs 2 EUEheGüterVO soll auch dann nicht anwendbar sein, wenn die Anforderungen betreffend die Registrierung oder Publizität des ehelichen Güterstands nach dem Recht des Staats des gewöhnlichen Aufenthalts des Dritten und des Ehegatten, der in dem Rechtsverhältnis zu dem Dritten steht, eingehalten wurden (Art 35 Abs 3 lit b neu)168. Danach kann dem Dritten ein fremder Güterstand nur dann entgegengehalten werden, wenn er in einem inländischen Register bzw Grundbuch eingetragen wurde. Führt man sich vor Augen, dass in den Mitgliedstaaten bislang weder die erforderliche sachrechtliche Publizität gegeben ist169, noch die Schaffung eines europäischen Güterrechtsregisters bevorsteht170, muss die Neuregelung allerdings verwundern. VIII. Anerkennung und Vollstreckung 85 Die Anerkennung von Vollstreckung güterrechtlicher Entscheidungen folgt der EU-Erb-

VO.171 Ausweislich Art 2 lit d EU-EheGüterVO-E gilt als „Entscheidung“ dabei jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats in einer Güterrechtssache erlassene Entscheidung ungeachtet ihrer Bezeichnung; demnach werden sowohl Urteile als auch Beschlüsse und Vollstreckungsbescheide erfasst. Die Anerkennung erfolgt automatisch in allen Mitgliedstaaten (Art 26 EU-EheGüterVO-E). Damit wird die bereits in anderen europäischen Rechtsakten vorgesehene172 automatische Anerkennung auch für das Güterrecht konsequent fortgeschrieben. Art 26 Abs 2 EU-EheGüterVO-E enthält einen Verweis auf das Exequaturverfahren in Zivil- und Handelssachen (Art 38 ff Brüssel I-VO). Eine Abschaffung des Exequaturs, wie sie bereits in der Neufassung der Brüssel I-VO173 erfolgt ist, ist nach Ansicht der 167 168

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Europäisches Parlament, Bericht aaO Materialien. Bei unbeweglichen Sachen soll es hinsichtlich der Einhaltung der Publizitäts- und Registrierungspflichten dagegen auf die lex rei sitae ankommen (Art 35 Abs 3 lit c (neu) EU-EheGüterVO-E). Vgl Martiny FS Kropholler (2008) 373, 389. Asser-Institut, Studie aaO Materialien, S 182. Vgl Europäische Kommission, Verordnungsvorschlag, S 9. Vgl nur Art 21 Rom III-VO; Art 33 Abs 1 EG-UntVO. Verordnung (EU) Nr 1215/2012 v 12.12.2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die

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Kommission zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht möglich.174 Vielmehr sind sowohl die Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit im Bereich des Ehegüterrechts sowie die Reform der Brüssel IIa-VO175 abzuwarten. Die Nichtanerkennung gerichtlicher Entscheidungen beruht, ebenso wie in anderen Ver- 86 ordnungen, auf vier Gründen (Art 27 EU-EheGüterVO-E):176 Erstens darf die Anerkennung der öffentlichen Ordnung des ersuchten Mitgliedstaates nicht widersprechen (lit a), zweitens ist die Anerkennung zu versagen, wenn dem Antragsgegner, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte (lit b). Drittens ist die Anerkennung zu versagen, wenn sie mit der Entscheidung unvereinbar ist, die zwischen denselben Parteien im ersuchten Mitgliedstaat ergangen ist (lit c). Gleiches gilt, viertens, wenn die zu anerkennende Entscheidung mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat zwischen denselben Parteien in einem Rechtsstreit wegen desselben Anspruchs ergangen ist (lit d). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die frühere Entscheidung die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anerkennung im ersuchten Mitgliedstaat erfüllt. Gem Art 28 Abs 1 EU-EheGüterVO-E soll die Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungs- 87 mitgliedstaates nicht nachgeprüft werden dürfen und zwar auch nicht über den Vorbehalt des ordre public (Abs 2). Art 29 EU-EheGüterVO-E enthält das Verbot der révision au fond, wie es sich etwa auch in Art 41 EU-ErbVO findet. Nach Maßgabe des Europäischen Parlaments soll der Text der beiden Vorschriften nunmehr gleich gefasst werden: Danach darf die in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung in der Sache selbst nicht nachgeprüft werden. Was die Vollstreckung angeht, ist zu beachten ist, dass nach Maßgabe des Europäischen 88 Parlaments künftig mehrere Vorschriften aus der EU-ErbVO übernommen werden soll. Die Neuregelung findet sich gebündelt in Art 31 lit a bis lit o (neu) EU-EheGüterVO-E. Sie betrifft insbesondere das Verfahren bezüglich eines Antrags auf Vollstreckbarerklärung. Art 32-34 EU-EheGüterVO-E enthalten schließlich Vorschriften über die Anerkennung 89 und Vollstreckung öffentlicher Urkunden. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die künftige Verordnung nicht nur den freien Verkehr von Entscheidungen, sondern auch von öffentlichen Urkunden und Vergleichen fördern soll. Ziel ist es, den Urkunden hinsichtlich ihres Inhalts und der dort festgehaltenen Sachverhalte dieselbe Beweiskraft zukommen zu lassen wie in ihrem Ursprungsstaat, für sie dieselbe Echtheitsvermutung gelten zu lassen und sie in den in der Verordnung festgelegten Grenzen vollstreckbar zu machen.177 Dabei gilt als öffentliche Urkunde „ein Schriftstück, das im Ursprungsmitgliedstaat als öffentliche Urkunde errichtet oder eingetragen wurde und dessen Beweiskraft i) sich auf die Unterschrift und den Inhalt der öffentlichen Urkunde bezieht und ii) durch eine Behörde oder

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gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), ABl EU 2012 L 351/1. Europäische Kommission, Verordnungsvorschlag aaO Materialien, S 10. Zum Stand siehe Mansel/Thorn/Wagner IPRax 2014, 1, 8. Dazu Martiny IPRax 2001, 437, 452. Europäische Kommission, Verordnungsvorschlag aaO Materialien, S 10.

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eine andere vom Ursprungsmitgliedstaat hierzu ermächtigte Stelle festgestellt worden ist“ (Art 2 lit c EU-EheGüterVO-E). 90 Gem Art 32 Abs 1 EU-EheGüterVO-E erfolgt ihre Anerkennung ipso iure, sofern die Gültig-

keit der Urkunde allerdings nicht nach des anzuwendenden Rechts angefochten wurde und ihre Anerkennung nicht in offensichtlichem Widerspruch zum ordre public des ersuchten Mitgliedstaats steht. Dies soll in Art 32 Abs 1 (neu) EU-EheGüterVO-E auf Vorschlag des Europäischen Parlaments178 künftig dahingehend präzisiert werden, dass die öffentliche Urkunde in einem anderen Mitgliedstaat die „gleiche formelle Beweiskraft oder die damit am ehesten vergleichbare Wirkung“ wie im Ursprungsmitgliedstaat hat. Des Weiteren enthält Art 32 (neu) EU-EheGüterVO-E – in Anlehnung an Art 59 EU-ErbVO – Regelungen zur Behandlung von Einwänden gegen die Authentizität bzw in Bezug auf die beurkundeten Rechtsgeschäfte oder Rechtsverhältnisse. Was die Vollstreckbarkeit öffentlicher Urkunden angeht, so bestimmt Art 33 Abs 1 EU-EheGüterVO-E, dass öffentliche Urkunden, die in einem Mitgliedstaat errichtet wurden und dort vollstreckbar sind, in einem anderen Mitgliedstaat auf Antrag nach dem Verfahren der Art 38-57 Brüssel I-VO für vollstreckbar erklärt werden. Gerichtliche Vergleiche werden gem Art 34 EU-EheGüterVO-E unter denselben Bedingungen wie öffentliche Urkunden anerkannt und für vollstreckbar erklärt.

Text des Verordnungsvorschlags: Der gegenwärtige Stand des Verfahrens wird repräsentiert durch den Kommissionsvorschlag vom 16.3.2011 sowie den in wesentlichen Punkten hiervon abweichenden Vorschlag des Europäischen Parlaments vom 10.9.2013. Beide Texte sind nachfolgend abgedruckt. a) Kommissionsvorschlag KOM (2011) 126 DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION – gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 81 Absatz 3, auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, nach Stellungnahme des Ausschusses der Regionen, gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren, in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist, zu erhalten und weiterzuentwickeln. Zum schrittweisen Aufbau eines solchen Raums muss die Union im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, die einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen, Maßnahmen erlassen. (2) Auf seiner Tagung vom 15./16. Oktober 1999 in Tampere hat der Europäische Rat den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Urteilen und anderen Entscheidungen von Justizbehörden als Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen unterstützt und den Rat und die 178

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Kommission ersucht, ein Maßnahmenprogramm zur Umsetzung dieses Grundsatzes anzunehmen. Daraufhin hat der Rat am 30. November 2000 das Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen angenommen. In diesem Programm sind Maßnahmen zur Harmonisierung der Kollisionsnormen aufgeführt, die die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen vereinfachen sollen. Darin vorgesehen ist auch die Ausarbeitung eines oder mehrerer Rechtsinstrumente über die Anerkennung von Entscheidungen über eheliche Güterstände und die vermögensrechtlichen Folgen der Trennung von nicht verheirateten Paaren. Auf seiner Tagung in Brüssel vom 4./5. November 2004 beschloss der Europäische Rat ein neues Programm mit dem Titel „Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union“. In diesem Programm ersuchte der Rat die Kommission um Vorlage eines Grünbuchs über die Regelung des Kollisionsrechts im Bereich des ehelichen Güterstands, einschließlich der Frage der Zuständigkeit und der gegenseitigen Anerkennung. Dem Programm zufolge soll bis 2011 eine Regelung in diesem Bereich erlassen werden. Am 17. Juli 2006 nahm die Kommission daraufhin ein Grünbuch zu den Kollisionsnormen im Güterrecht unter besonderer Berücksichtigung der gerichtlichen Zuständigkeit und der gegenseitigen Anerkennung an. Auf der Grundlage dieses Grünbuchs fand eine umfassende Konsultation zu den Problemen statt, die sich im europäischen Kontext bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung stellen, sowie zu den Möglichkeiten, wie sich diese Probleme rechtlich lösen lassen. Auch im Stockholmer Programm vom Dezember 2009, das die Prioritäten im Bereich Freiheit, Sicherheit und Recht für die Jahre 2010 bis 2014 festlegt, heißt es, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung auf die ehelichen Güterstände und die vermögensrechtlichen Folgen der Trennung ausgeweitet werden sollte. In ihrem „Bericht über die Unionsbürgerschaft 2010 – Weniger Hindernisse für die Ausübung von Unionsbürgerrechten“ vom 27. Oktober 2010 kündigte die Kommission die Vorlage eines Legislativvorschlags an, der Hindernisse für die Freizügigkeit und insbesondere die Schwierigkeiten überwinden soll, mit denen Paare bei der Verwaltung ihres Vermögens oder bei dessen Teilung konfrontiert sind. Im Interesse der Rechtssicherheit und der Planungssicherheit für verheiratete Paare in Bezug auf ihr Vermögen sollte das gesamte auf die ehelichen Güterstände anwendbare Recht in einem Rechtsinstrument erfasst werden. Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es einer Verordnung, in der die Bestimmungen über die gerichtliche Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Güterrechtssachen sowie über die Wirkungen der ehelichen Güterstände gegenüber Dritten in einem einzigen Rechtsakt zusammengefasst sind. Diese Verordnung regelt Fragen, die sich im Zusammenhang mit den ehelichen Güterständen stellen. Der Begriff der Ehe, der durch das einzelstaatliche Recht der Mitgliedstaaten definiert wird, ist nicht Gegenstand dieser Verordnung. Der Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich auf alle zivilrechtlichen Aspekte der ehelichen Güterstände erstrecken und sowohl die Verwaltung des Vermögens der Ehegatten im Alltag betreffen als auch die güterrechtliche Auseinandersetzung infolge der Trennung des Paares oder des Todes eines Ehegatten. Die Unterhaltspflichten im Verhältnis der Ehegatten untereinander sind Gegenstand der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammen-

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arbeit in Unterhaltssachen und sollten daher vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden ebenso wie Fragen, die die Gültigkeit und Wirkungen unentgeltlicher Zuwendungen betreffen, die in der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) geregelt sind. Vom Anwendungsbereich dieser Verordnung sollten wie bei der Verordnung (EU) Nr. …/… [des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses] auch Fragen ausgenommen werden, die die Art der im innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten vorkommenden dinglichen Rechte betreffen, sowie Fragen, die mit der Publizität dieser Rechte zusammenhängen. Somit können die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem sich Vermögensgegenstände eines oder beider Ehegatten befinden, sachenrechtliche Maßnahmen veranlassen wie die Eintragung der Übertragung dieser Gegenstände in ein öffentliches Register, wenn das Recht dieses Mitgliedstaats eine solche Eintragung vorsieht. Um der zunehmenden Mobilität von Paaren während ihres Ehelebens Rechnung zu tragen, sehen die Zuständigkeitsvorschriften in dieser Verordnung im Interesse einer geordneten Rechtspflege vor, dass Fragen im Zusammenhang mit den ehelichen Güterständen einschließlich der güterrechtlichen Auseinandersetzung infolge einer Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung der Ehe von den Gerichten des Mitgliedstaats behandelt werden, die nach der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 für das betreffende Verfahren der Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung der Ehe zuständig sind. Aus den gleichen Gründen sollten güterrechtliche Fragen im Zusammenhang mit dem Tod eines Ehegatten von dem Gericht behandelt werden, das nach der Verordnung (EU) Nr. …/… [des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses] für die Abwicklung des Nachlasses zuständig ist. Bei güterrechtlichen Fragen, die weder mit einer Ehescheidung, einer Trennung ohne Auflösung des Ehebandes, einer Ungültigerklärung der Ehe noch mit dem Tod eines Ehegatten zusammenhängen, können die Ehegatten beschließen, ein Gericht des Mitgliedstaats anzurufen, dessen Recht sie als das auf ihren Güterstand anzuwendende Sachrecht gewählt haben. Hierzu bedarf es einer Vereinbarung, die von den Ehegatten jederzeit – auch während des Verfahrens – geschlossen werden kann. Diese Verordnung sollte die territoriale Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats für güterrechtliche Fragen außerhalb eines Trennungs- oder Nachlassverfahrens zulassen und insbesondere eine Notzuständigkeit vorsehen, um Situationen vorzubeugen, in denen eine Rechtsverfolgung nicht möglich ist. Im Interesse einer geordneten Rechtspflege ist zu vermeiden, dass in den Mitgliedstaaten Entscheidungen ergehen, die miteinander unvereinbar sind. Hierzu sollte die Verordnung allgemeine Verfahrensvorschriften nach dem Vorbild der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vorsehen. Um den Ehegatten die Verwaltung ihres Vermögens zu erleichtern, sollte ihnen diese Verordnung erlauben, unter den Rechtsordnungen, zu denen die Ehegatten aufgrund ihres Wohn-

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sitzes oder ihrer Staatsangehörigkeit einen engen Bezug haben, unabhängig von der Art des Vermögens oder seiner Belegenheit das auf ihr Vermögen anzuwendende Sachrecht zu wählen. Diese Rechtswahl kann nicht nur zum Zeitpunkt der Eheschließung, sondern auch jederzeit während der Ehe getroffen werden. Das Recht, das die Ehegatten zur Regelung der vermögensrechtlichen Wirkungen ihrer Ehe gewählt haben, oder in Ermangelung einer Rechtswahl das anhand der Anknüpfungspunkte zur Anwendung berufene Recht sollte auch dann zur Anwendung gelangen, wenn es nicht das Recht eines Mitgliedstaats ist. Um den Gerichten eines Mitgliedstaats die Anwendung des Rechts eines anderen Mitgliedstaats zu erleichtern, kann das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen, das mit Entscheidung 2001/470/EG des Rates vom 28. Mai 2001 eingerichtet wurde, den Gerichten dabei helfen, sich mit dem ausländischen Recht vertraut zu machen. Für den Fall, dass keine Rechtswahl getroffen wurde, sollte die Verordnung, um dem Gebot der Rechtssicherheit und der Planungssicherheit zu genügen und den Lebensumständen der Ehegatten Rechnung zu tragen, harmonisierte Kollisionsnormen einführen, die sich auf eine hierarchisch gegliederte Liste von Anknüpfungspunkten stützen, mit denen sich das auf das gesamte Vermögen der Ehegatten anzuwendende Recht bestimmen lässt. So sollte der erste gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten nach der Eheschließung erster Anknüpfungspunkt noch vor der gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung sein. Ist keine dieser Anknüpfungen gegeben, d. h. gibt es keinen ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt und haben die Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung keine gemeinsame Staatsangehörigkeit, sollte das Recht des Staates gelten, zu dem die Ehegatten unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere des Orts der Eheschließung, gemeinsam die engste Bindung haben, wobei für diese Bindung der Zeitpunkt der Eheschließung maßgebend sein sollte. Bestimmt sich das anzuwendende Recht nach der Staatsangehörigkeit, ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass bestimmte Staaten, deren Rechtssystem auf dem Common Law gründet, das „domicile“ und nicht die Staatsangehörigkeit als gleichwertiges Anknüpfungskriterium heranziehen. Im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs und um zu verhindern, dass sich das auf den Güterstand anzuwendende Sachrecht ohne Wissen der Ehegatten ändert, darf eine solche Änderung nur nach einer diesbezüglichen ausdrücklichen Willensbekundung der Parteien möglich sein. Diese von den Ehegatten beschlossene Änderung sollte nicht rückwirkend gelten können, es sei denn, die Ehegatten haben dies ausdrücklich vereinbart. In keinem Fall dürfen Rechte Dritter oder die Gültigkeit früherer Rechtshandlungen beeinträchtigt werden. In Anbetracht der Tragweite der Rechtswahl sollten in der Verordnung gewisse Vorkehrungen getroffen werden, die garantieren, dass sich die Ehegatten oder die zukünftigen Ehegatten über die Folgen ihrer Rechtswahl im Klaren sind. Die Rechtswahl sollte in der Form erfolgen, die für den Ehevertrag nach dem Recht des gewählten Staates oder dem Recht des Staates, in dem die Rechtswahlvereinbarung aufgesetzt wurde, vorgeschrieben ist; die Rechtswahlvereinbarung bedarf mindestens der Schriftform, sie ist zu datieren und von den Ehegatten zu unterzeichnen. Darüber hinaus sind etwaige zusätzliche Formerfordernisse zu beachten, die das Recht des gewählten Staates oder das Recht des Staates, in dem die Rechtswahlvereinbarung aufgesetzt wurde, für die Gültigkeit, die Publizität oder Registrierung von Eheverträgen vorschreibt. Aus Gründen des öffentlichen Interesses sollte den Gerichten der Mitgliedstaaten im Ausnahmefall die Möglichkeit gegeben werden, die Anwendung ausländischen Rechts in einer bestimmten Sache zu versagen, wenn seine Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (ordre

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public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar wäre. Die Gerichte sollten sich allerdings weder auf den Ordre-public-Vorbehalt berufen dürfen, um die Anwendung des Rechts eines anderen Mitgliedstaats auszuschließen, noch sollten sie die Anerkennung oder die Vollstreckung einer Entscheidung, einer öffentlichen Urkunde oder eines gerichtlichen Vergleichs aus einem anderen Mitgliedstaat versagen dürfen, wenn die Anwendung des Ordre-public-Vorbehalts gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere gegen das Diskriminierungsverbot in Artikel 21, verstoßen würde. Es sollte festgelegt werden, inwieweit die Verordnung in den Staaten mit mehreren Gebietseinheiten, in denen die in dieser Verordnung behandelten Fragen durch zwei oder mehr Rechtssysteme oder Regelwerke geregelt werden, Anwendung findet. Da die gegenseitige Anerkennung der in den Mitgliedstaaten ergangenen Entscheidungen zu den Zielen dieser Verordnung gehört, sollten Vorschriften für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen nach dem Vorbild der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vorgesehen werden, die gegebenenfalls an die besonderen Anforderungen des hier behandelten Rechtsgebiets anzupassen sind. Um den verschiedenen Verfahren zur Regelung güterrechtlicher Fragen in den Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen, sollte diese Verordnung die Anerkennung und Vollstreckung öffentlicher Urkunden gewährleisten. Öffentliche Urkunden können allerdings bezüglich ihrer Anerkennung gerichtlichen Entscheidungen nicht völlig gleichgestellt werden. Die Anerkennung öffentlicher Urkunden bedeutet, dass diese Urkunden hinsichtlich ihres Inhalts die gleiche Beweiskraft und die gleichen Wirkungen wie im Ursprungsmitgliedstaat haben und für sie die – widerlegbare – Vermutung der Rechtsgültigkeit gilt. Die Rechtsbeziehungen zwischen einem Ehegatten und einem Dritten unterliegen zwar dem auf den ehelichen Güterstand anzuwendenden Sachrecht, doch sollten die Bedingungen, unter denen dieses Sachrecht Dritten entgegengehalten werden kann, durch das Recht des Mitgliedstaats geregelt werden können, in dem sich der gewöhnliche Aufenthalt des Ehegatten oder des Dritten befindet, um den Schutz des Letzteren zu gewährleisten. Das Recht dieses Mitgliedstaats könnte demnach vorsehen, dass der Ehegatte das auf seinen Güterstand anzuwendende Sachrecht dem betreffenden Dritten nur entgegenhalten kann, wenn die in diesem Mitgliedstaat geltenden Registrierungs- oder Publizitätspflichten eingehalten wurden, es sei denn, der Dritte hatte von dem auf den Güterstand anzuwendenden Sachrecht Kenntnis oder hätte davon Kenntnis haben müssen. Um die internationalen Verpflichtungen, die die Mitgliedstaaten eingegangen sind, zu wahren, darf sich die Verordnung nicht auf internationale Übereinkünfte auswirken, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme dieser Verordnung angehören. Um die allgemeinen Ziele dieser Verordnung zu wahren, muss die Verordnung jedoch im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten Vorrang vor den Übereinkünften haben. Da die Ziele dieser Verordnung, nämlich die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union, die Möglichkeit für Ehegatten, ihre vermögensrechtlichen Beziehungen untereinander sowie gegenüber Dritten während ihres Ehelebens sowie zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung ihres Vermögens zu regeln, und eine größere Planungs- und Rechtssicherheit, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht hinreichend verwirklicht, sondern wegen des Umfangs und der Wirkungen einer Verordnung besser auf Ebene der Europäischen Union erreicht werden können, darf die Europäische Union entsprechend dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Verordnung nicht über das für die Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus. Diese Verordnung achtet die Grundrechte und Grundsätze, die mit der Charta der Grundrechte

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der Europäischen Union anerkannt wurden, namentlich die Artikel 7, 9, 17, 21 und 47 über das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, das nach einzelstaatlichem Recht geschützte Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen, das Recht auf Eigentum, das Diskriminierungsverbot und das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Bei der Anwendung dieser Verordnung müssen die Gerichte der Mitgliedstaaten diese Rechte und Grundsätze achten. (33) Gemäß den Artikeln 1 und 2 des Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Anhang zum Vertrag über die Europäische Union und zum Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union [haben das Vereinigte Königreich und Irland schriftlich mitgeteilt, dass sie sich an der Annahme und der Anwendung dieser Verordnung beteiligen möchten]/[beteiligen sich das Vereinigte Königreich und Irland unbeschadet des Artikels 4 des Protokolls nicht an der Annahme dieser Verordnung, die daher für sie weder bindend noch ihnen gegenüber anwendbar ist]. (34) Dänemark beteiligt sich gemäß den Artikeln 1 und 2 des Protokolls über die Position Dänemarks im Anhang zum Vertrag über die Europäische Union und zum Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht an der Annahme dieser Verordnung, die folglich für Dänemark weder bindend noch diesem Staat gegenüber anwendbar ist –

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen Artikel 1: Anwendungsbereich 1. Diese Verordnung findet auf die ehelichen Güterstände Anwendung. Sie gilt insbesondere nicht für Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten. 2. In dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck „Mitgliedstaat“ alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks[, es Vereinigten Königreichs und Irlands]. 3. Vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen sind: a) die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit der Ehegatten, b) die Unterhaltspflichten c) die unentgeltlichen Zuwendungen zwischen Ehegatten, d) die Nachlassansprüche des überlebenden Ehegatten, e) Ehegattengesellschaften, f) die Art der dinglichen Rechte an einem Gegenstand und die Publizität dieser Rechte. Artikel 2: Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck a) „ehelicher Güterstand“ sämtliche vermögensrechtlichen Regelungen, die im Verhältnis der Ehegatten untereinander sowie zwischen ihnen und Dritten gelten; b) „Ehevertrag“ jede Vereinbarung zwischen Ehegatten zur Regelung ihrer vermögensrechtlichen Beziehungen untereinander sowie gegenüber Dritten; c) „öffentliche Urkunde“ ein Schriftstück, das im Ursprungsmitgliedstaat als öffentliche Urkunde errichtet oder eingetragen wurde und dessen Beweiskraft i) sich auf die Unterschrift und den Inhalt der öffentlichen Urkunde bezieht und ii) durch eine Behörde oder eine andere vom Ursprungsmitgliedstaat hierzu ermächtigte Stelle festgestellt worden ist;

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d) „Entscheidung“ jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats in einer Güterrechtssache erlassene Entscheidung ungeachtet ihrer Bezeichnung wie „Urteil“, „Beschluss“ oder „Vollstreckungsbescheid“ einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten; e) „Ursprungsmitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, in dem die Entscheidung erlassen, der Ehevertrag geschlossen, die öffentliche Urkunde errichtet oder der gerichtliche Vergleich gebilligt wurde oder in dem die Auseinandersetzung des gemeinsamen Vermögens oder eine andere Handlung erfolgt ist, die von oder vor einer Justizbehörde oder von oder vor einer Stelle oder Person vorgenommen wurde, die von einer Justizbehörde im Wege einer allgemeinen oder speziellen Befugnisübertragung hierzu ermächtigt worden ist; f) „ersuchter Mitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung und/oder Vollstreckung der Entscheidung, des Ehevertrags, der öffentlichen Urkunde, des gerichtlichen Vergleichs, der Auseinandersetzung des gemeinsamen Vermögens oder einer anderen Handlung beantragt wird, die von oder vor einer Justizbehörde oder von oder vor einer Stelle oder Person vorgenommen wurde, die von einer Justizbehörde im Wege einer allgemeinen oder speziellen Befugnisübertragung hierzu ermächtigt worden ist; g) „Gericht“ jede zuständige Justizbehörde eines Mitgliedstaats, die gerichtliche Aufgaben im Bereich des ehelichen Güterrechts wahrnimmt, sowie jede andere nichtgerichtliche Stelle oder Person, die von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats im Wege einer allgemeinen oder speziellen Befugnisübertragung mit der Ausübung gerichtlicher Aufgaben, wie sie in dieser Verordnung vorgesehen sind, betraut worden ist; h) „gerichtlicher Vergleich“ einen von einem Gericht gebilligten oder vor einem Gericht im Laufe eines Verfahrens geschlossenen Vergleich in Güterrechtssachen.

Kapitel II: Zuständigkeit Artikel 3: Zuständigkeit im Fall des Todes eines Ehegatten Das Gericht eines Mitgliedstaats, das mit einem Antrag im Zusammenhang mit dem Nachlass eines Ehegatten nach der Verordnung (EU) Nr. […/…] [des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses] befasst ist, ist auch für güterrechtliche Fragen in Verbindung mit dem Antrag zuständig. Artikel 4: Zuständigkeit im Fall der Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe Das Gericht eines Mitgliedstaats, das mit einem Antrag auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung der Ehe nach der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 befasst ist, ist im Falle einer entsprechenden Vereinbarung der Ehegatten auch für güterrechtliche Fragen in Verbindung mit dem Antrag zuständig. Diese Vereinbarung kann jederzeit – auch während des Verfahrens – geschlossen werden. Ist die Vereinbarung vor dem Verfahren geschlossen worden, bedarf sie der Schriftform und muss datiert sowie von beiden Parteien unterzeichnet sein. In Ermangelung einer Vereinbarung der Ehegatten bestimmt sich die Zuständigkeit nach den Artikeln 5 ff. Artikel 5: Zuständigkeit in anderen Fällen (1) Zuständig für ein güterrechtliches Verfahren in den nicht in den Artikeln 3 und 4 geregelten Fällen sind die Gerichte des Mitgliedstaats,

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a) in dem die Ehegatten ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben oder anderenfalls b) in dem die Ehegatten zuletzt ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder anderenfalls c) in dem der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder anderenfalls d) dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegatten besitzen oder, im Fall des Vereinigten Königreichs und Irlands, in dem sie ihr gemeinsames „domicile“ haben. (2) Die Ehegatten können ebenfalls vereinbaren, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, dessen Recht sie gemäß Artikel 16 und 18 als das auf ihren ehelichen Güterstand anzuwendende Sachrecht gewählt haben, für ihren Güterstand betreffende Fragen zuständig sein sollen. Diese Vereinbarung kann jederzeit – auch während des Verfahrens – geschlossen werden. Ist die Vereinbarung vor dem Verfahren geschlossen worden, bedarf sie der Schriftform und muss datiert sowie von beiden Parteien unterzeichnet sein. Artikel 6: Subsidiäre Zuständigkeit Soweit sich aus den Artikeln 3, 4 und 5 keine Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts ergibt, sind die Gerichte eines Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet Vermögensgegenstände eines oder beider Ehegatten belegen sind; in diesem Fall entscheidet das angerufene Gericht nur über diese Vermögensgegenstände. Artikel 7: Notzuständigkeit Ergibt sich nach den Artikeln 3 bis 6 keine Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts, so können die Gerichte eines Mitgliedstaats ausnahmsweise über den ehelichen Güterstand entscheiden, wenn die Sache einen ausreichenden Bezug zu diesem Mitgliedstaat aufweist und es sich als unmöglich erweist oder nicht zumutbar ist, ein Verfahren in einem Drittstaat einzuleiten oder zu führen. Artikel 8: Zuständigkeit für Gegenanträge Das Gericht, bei dem ein Verfahren auf der Grundlage der Artikel 3 bis 7 anhängig ist, ist auch für einen Gegenantrag zuständig, sofern dieser in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt. Artikel 9: Anrufung eines Gerichts Ein Gericht gilt als angerufen a) zu dem Zeitpunkt, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht worden ist, vorausgesetzt, dass der Antragsteller es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstücks an den Antragsgegner zu bewirken, oder b) zu dem Zeitpunkt, zu dem die für die Zustellung verantwortliche Stelle das Schriftstück erhalten hat, falls die Zustellung vor Einreichung des Schriftstücks bei Gericht zu bewirken ist, und vorausgesetzt, dass der Antragsteller es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um das Schriftstück bei Gericht einzureichen. Artikel 10: Prüfung der Zuständigkeit Das Gericht eines Mitgliedstaats, das in einer Güterrechtssache angerufen wird, für die es nach dieser Verordnung nicht zuständig ist, erklärt sich von Amts wegen für unzuständig. Artikel 11: Prüfung der Zulässigkeit (1) Lässt sich der Antragsgegner, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines an-

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deren Staates als des Mitgliedstaats hat, in dem das Verfahren eingeleitet wurde, auf das Verfahren nicht ein, so setzt das zuständige Gericht das Verfahren so lange aus, bis festgestellt ist, dass es dem Antragsgegner möglich war, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück so rechtzeitig zu empfangen, dass er sich verteidigen konnte, oder dass alle hierzu erforderlichen Maßnahmen getroffen wurden. (2) Anstelle von Absatz 1 findet Artikel 19 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten Anwendung, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nach Maßgabe jener Verordnung von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu übermitteln war. (3) Ist die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 nicht anwendbar, so gilt Artikel 15 des Haager Übereinkommens vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nach Maßgabe dieses Übereinkommens ins Ausland zu übermitteln war. Artikel 12: Rechtshängigkeit (1) Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Anträge wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien gestellt, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts geklärt ist. (2) In den in Absatz 1 genannten Fällen stellt das zuerst angerufene Gericht innerhalb von sechs Monaten seine Zuständigkeit fest, es sei denn, dies erweist sich aufgrund außergewöhnlicher Umstände als nicht möglich. Auf Antrag eines mit der Streitigkeit befassten Gerichts teilt das zuerst angerufene Gericht dem später angerufenen Gericht mit, wann es mit der Streitigkeit befasst wurde und ob es die Zuständigkeit in der Hauptsache festgestellt hat beziehungsweise wann die Entscheidung über die Zuständigkeit voraussichtlich getroffen wird. (3) Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig. Artikel 13: Aussetzung wegen Sachzusammenhang (1) Sind bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Verfahren, die im Zusammenhang stehen, anhängig, so kann jedes später angerufene Gericht das Verfahren aussetzen. (2) Sind diese Verfahren in erster Instanz anhängig, so kann sich jedes später angerufene Gericht auf Antrag einer Partei auch für unzuständig erklären, wenn das zuerst angerufene Gericht für die betreffenden Verfahren zuständig ist und die Verbindung der Verfahren nach seinem Recht zulässig ist. (3) Verfahren stehen im Sinne dieses Artikels im Zusammenhang, wenn zwischen ihnen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. Artikel 14: Einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen Die im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen können bei den Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache nach dieser Verordnung die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats zuständig sind.

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Kapitel III: Anzuwendendes Recht Artikel 15: Einheit des anzuwendenden Rechts Das gesamte Vermögen der Ehegatten unterliegt dem gemäß den Artikeln 16, 17 und 18 auf den ehelichen Güterstand anzuwendenden Recht. Artikel 16: Rechtswahl Die Ehegatten oder künftigen Ehegatten können das auf ihren ehelichen Güterstand anzuwendende Recht wählen, sofern es sich dabei um das Recht eines der folgenden Staaten handelt: a) des Staates, in dem die Ehegatten oder künftigen Ehegatten ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben, b) des Staates, in dem einer der Ehegatten oder künftigen Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, c) eines Staates, dessen Staatsangehörigkeit einer der Ehegatten oder künftigen Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl besitzt. Artikel 17: Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (1) Mangels Rechtswahl der Ehegatten unterliegt der eheliche Güterstand dem Recht des Staates, a) in dem die Ehegatten nach der Eheschließung ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben, oder anderenfalls b) dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung besitzen, oder anderenfalls c) mit dem die Ehegatten unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere des Orts der Eheschließung, gemeinsam am engsten verbunden sind. (2) Absatz 1 Buchstabe b findet keine Anwendung, wenn die Ehegatten mehr als eine gemeinsame Staatsangehörigkeit besitzen. Artikel 18: Wechsel des anzuwendenden Rechts Die Ehegatten können ihren Güterstand während der Ehe jederzeit einem anderen Recht unterwerfen. Sie können nur eines der folgenden Sachrechte zur Anwendung berufen: a) das Recht des Staates, in dem einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, b) das Recht eines Staates, dessen Staatsangehörigkeit einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl besitzt. Der Wechsel des auf den ehelichen Güterstand anzuwendenden Rechts begründet nur Wirkungen für die Zukunft, es sei denn, die Ehegatten beschließen ausdrücklich, dass die Wirkungen rückwirkend eintreten. Beschließen die Ehegatten, dass die Wirkungen dieses Wechsels rückwirkend eintreten, beeinträchtigt die Rückwirkung weder die Gültigkeit früherer Rechtshandlungen, die unter dem bis dahin anzuwendenden Recht vorgenommen wurden, noch die Rechte Dritter, die sich aus dem früher anzuwendenden Recht ergeben. Artikel 19: Formvorschriften für die Rechtswahl (1) Die Rechtswahl erfolgt in der Form, die für den Ehevertrag entweder nach dem anzuwendenden Recht des gewählten Staates oder nach dem Recht des Staates, in dem die Rechtswahlvereinbarung aufgesetzt wurde, vorgeschrieben ist. (2) Die Rechtswahl muss ungeachtet des Absatzes 1 zumindest ausdrücklich erfolgen; die Rechts-

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wahlvereinbarung bedarf der Schriftform, sie ist zu datieren und von den Ehegatten zu unterzeichnen. (3) Sieht das Recht des Mitgliedstaats, in dem die Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl gemäß Absatz 1 ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten, für den Ehevertrag zusätzliche Formvorschriften vor, so sind diese Formvorschriften einzuhalten. Artikel 20: Auf die Form des Ehevertrags anzuwendendes Recht (1) Der Ehevertrag ist formgültig, wenn er die Formerfordernisse des auf den ehelichen Güterstand anzuwendenden Rechts oder des Rechts des Staates erfüllt, in dem der Vertrag aufgesetzt wurde. (2) Der Ehevertrag bedarf ungeachtet des Absatzes 1 zumindest der Schriftform, er ist zu datieren und von den Ehegatten zu unterzeichnen. (3) Sieht das Recht des Mitgliedstaats, in dem beide Ehegatten bei Abschluss des Ehevertrags ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten, zusätzliche Formvorschriften vor, so sind diese Formvorschriften einzuhalten. Artikel 21: Universelle Anwendung Das nach diesem Kapitel bezeichnete Recht ist auch dann anzuwenden, wenn es nicht das Recht eines Mitgliedstaats ist. Artikel 22: Eingriffsnormen Diese Verordnung steht der Anwendung zwingender Vorschriften nicht entgegen, deren Einhaltung von einem Mitgliedstaat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Ordnung, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den ehelichen Güterstand anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden sind, die in ihren Anwendungsbereich fallen. Artikel 23: Öffentliche Ordnung (ordre public) im Staat des angerufenen Gerichts Die Anwendung einer Vorschrift des nach dieser Verordnung bezeichneten Rechts darf nur versagt werden, wenn dies mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist. Artikel 24: Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung Unter dem nach dieser Verordnung anzuwendenden Recht eines Staates sind die in diesem Staat geltenden materiellen Rechtsnormen unter Ausschluss derjenigen des Internationalen Privatrechts zu verstehen. Artikel 25: Staaten mit zwei oder mehr Rechtssystemen – Kollisionen hinsichtlich der Gebiete Umfasst ein Staat mehrere Gebietseinheiten, von denen jede ihr eigenes Rechtssystem oder ihr eigenes Regelwerk für die in dieser Verordnung geregelten Angelegenheiten hat, so gilt Folgendes: a) Jede Bezugnahme auf das Recht dieses Staates ist für die Bestimmung des nach dieser Verordnung anzuwendenden Rechts als Bezugnahme auf das in der betreffenden Gebietseinheit geltende Recht zu verstehen. b) Jede Bezugnahme auf den gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat ist als Bezugnahme auf den gewöhnlichen Aufenthalt in einer Gebietseinheit zu verstehen. c) Jede Bezugnahme auf die Staatsangehörigkeit betrifft die durch das Recht dieses Staates bezeichnete Gebietseinheit oder, mangels einschlägiger Vorschriften, die durch die Parteien gewählte Gebietseinheit oder, mangels einer Wahlmöglichkeit, die Gebietseinheit, mit der ein oder beide Ehegatten am engsten verbunden sind.

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Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung Abschnitt 1: Entscheidungen Unterabschnitt 1: Anerkennung Artikel 26: Anerkennung der Entscheidungen (1) Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. (2) Bildet die Frage, ob eine Entscheidung anzuerkennen ist, als solche den Gegenstand eines Streites, so kann jede Partei, welche die Anerkennung geltend macht, in dem Verfahren nach den Artikeln [38 bis 56] der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 die Feststellung beantragen, dass die Entscheidung anzuerkennen ist. (3) Wird die Anerkennung in einem Rechtsstreit vor dem Gericht eines Mitgliedstaats, dessen Entscheidung von der Anerkennung abhängt, verlangt, so kann dieses Gericht über die Anerkennung entscheiden. Artikel 27: Gründe für die Nichtanerkennung einer Entscheidung Eine Entscheidung wird nicht anerkannt, wenn a) die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Mitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde; b) dem Antragsgegner, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Antragsgegner hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte; c) sie mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die zwischen denselben Parteien im ersuchten Mitgliedstaat ergangen ist; d) sie mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat zwischen denselben Parteien in einem Rechtsstreit wegen desselben Anspruchs ergangen ist, sofern die frühere Entscheidung die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anerkennung im ersuchten Mitgliedstaat erfüllt. Artikel 28: Ausschluss der Nachprüfung der Zuständigkeit des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaats (1) Die Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsmitgliedstaats darf nicht nachgeprüft werden. (2) Die Überprüfung der Vereinbarkeit mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) gemäß Artikel 23 darf sich nicht auf die Zuständigkeitsvorschriften der Artikel 3 bis 8 erstrecken. Artikel 29: Ausschluss der Nachprüfung in der Sache Die ausländische Entscheidung darf keinesfalls in der Sache nachgeprüft werden. Artikel 30: Aussetzung des Anerkennungsverfahrens Das Gericht eines Mitgliedstaats, vor dem die Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung beantragt wird, kann das Verfahren aussetzen, wenn gegen die Entscheidung ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt wurde.

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Unterabschnitt 2: Vollstreckung Artikel 31: Vollstreckbare Entscheidungen Die in einem Mitgliedstaat ergangenen und dort vollstreckbaren Entscheidungen werden in den anderen Mitgliedstaaten gemäß den Artikeln [38 bis 56 und Artikel 58] der Verordnung (EG) Nr. 44/ 2001 vollstreckt.

Abschnitt 2: Öffentliche Urkunden und gerichtliche Vergleiche Artikel 32: Anerkennung öffentlicher Urkunden (1) Die in einem Mitgliedstaat errichteten öffentlichen Urkunden werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, sofern ihre Gültigkeit nicht nach Maßgabe des anzuwendenden Rechts angefochten wurde und ihre Anerkennung nicht in offensichtlichem Widerspruch zu der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Mitgliedstaats stehen würde. (2) Die Anerkennung öffentlicher Urkunden bewirkt, dass diesen Urkunden Beweiskraft hinsichtlich ihres Inhalts verliehen wird und für sie die – widerlegbare – Vermutung der Rechtsgültigkeit gilt. Artikel 33: Vollstreckbarkeit öffentlicher Urkunden (1) Öffentliche Urkunden, die in einem Mitgliedstaat errichtet wurden und dort vollstreckbar sind, werden in einem anderen Mitgliedstaat auf Antrag nach dem Verfahren der Artikel [38 bis 57] der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 für vollstreckbar erklärt. (2) Die Vollstreckbarerklärung darf von dem mit einem Rechtsbehelf nach Artikel [43 oder Artikel 44] der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 befassten Gericht nur versagt oder aufgehoben werden, wenn die Vollstreckung der öffentlichen Urkunde der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Mitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde. Artikel 34: Anerkennung und Vollstreckbarkeit gerichtlicher Vergleiche Gerichtliche Vergleiche, die im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sind, werden in einem anderen Mitgliedstaat auf Antrag eines Berechtigten unter denselben Bedingungen wie öffentliche Urkunden anerkannt und für vollstreckbar erklärt. Die Vollstreckbarerklärung darf von dem mit einem Rechtsbehelf nach Artikel [42 oder Artikel 44] der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 befassten Gericht nur versagt oder aufgehoben werden, wenn die Vollstreckung des gerichtlichen Vergleichs der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Vollstreckungsmitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde.

Kapitel V: Wirkung gegenüber Dritten Artikel 35: Wirkung gegenüber Dritten (1) Die Wirkungen des ehelichen Güterstands auf ein Rechtsverhältnis zwischen einem Ehegatten und einem Dritten bestimmen sich nach dem Recht, das nach dieser Verordnung auf den ehelichen Güterstand anzuwenden ist. (2) Das Recht eines Mitgliedstaats kann jedoch vorsehen, dass ein Ehegatte das auf seinen Güterstand anzuwendende Sachrecht einem Dritten nicht entgegenhalten kann, wenn der Ehegatte oder der Dritte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat hat und die in diesem Mitgliedstaat geltenden Registrierungs- oder Publizitätspflichten nicht eingehalten wurden, es sei denn, dem Dritten war bekannt oder hätte bekannt sein müssen, welches Recht für den Güterstand maßgebend ist. (3) Das Recht des Mitgliedstaats, in dem eine unbewegliche Sache belegen ist, kann die Rechts-

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beziehungen zwischen einem Ehegatten und einem Dritten, die diese unbewegliche Sache betreffen, analog zu Absatz 2 regeln.

Kapitel VI: Allgemeine und Schlussbestimmungen Artikel 36: Verhältnis zu bestehenden internationalen Übereinkünften (1) Diese Verordnung berührt unbeschadet der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus Artikel 351 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht die Anwendung bilateraler oder multilateraler Übereinkünfte, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme dieser Verordnung angehören und die in dieser Verordnung geregelte Bereiche betreffen. (2) Ungeachtet des Absatzes 1 geht diese Verordnung im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten Übereinkünften vor, denen die Mitgliedstaaten angehören und die in dieser Verordnung geregelte Bereiche betreffen. Artikel 37: Informationen für die Öffentlichkeit und die zuständigen Behörden (1) Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission bis spätestens […] folgende Informationen in der/den Amtssprache(n), die sie für zweckmäßig halten: a) eine Beschreibung ihres nationalen Ehegüterrechts und ihrer Güterrechtsverfahren sowie den Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen, b) die nationalen Bestimmungen über die Drittwirkung gemäß Artikel 35 Absätze 2 und 3. (2) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission alle späteren Änderungen dieser Bestimmungen mit. (3) Die Kommission macht die nach den Absätzen 1 und 2 übermittelten Informationen auf geeignetem Wege, insbesondere auf der mehrsprachigen Website des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, öffentlich zugänglich. Artikel 38: Revisionsklausel (1) Die Kommission legt dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss spätestens zum [fünf Jahre nach Beginn der Anwendung dieser Verordnung] und danach alle fünf Jahre einen Bericht über die Anwendung dieser Verordnung vor. Dem Bericht werden gegebenenfalls Vorschläge zur Anpassung dieser Verordnung beigefügt. (2) Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission zu diesem Zweck sachdienliche Angaben betreffend die Anwendung dieser Verordnung durch ihre Gerichte. Artikel 39: Übergangsbestimmungen (1) Die Kapitel II und IV gelten für gerichtliche Verfahren, öffentliche Urkunden, gerichtliche Vergleiche und Entscheidungen, die nach Beginn der Anwendung dieser Verordnung eingeleitet, errichtet, geschlossen beziehungsweise erlassen wurden. (2) Ist das Verfahren im Ursprungsmitgliedstaat vor dem Beginn der Anwendung dieser Verordnung eingeleitet worden, so werden nach diesem Zeitpunkt erlassene Entscheidungen nach Maßgabe des Kapitels IV anerkannt und vollstreckt, wenn das Gericht aufgrund von Vorschriften zuständig war, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels II übereinstimmen. (3) Kapitel III gilt nur für Ehegatten, die nach Beginn der Anwendung dieser Verordnung die Ehe eingegangen sind oder eine Rechtswahl bezüglich des auf ihren Güterstand anzuwendenden Rechts getroffen haben.

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Artikel 40: Inkrafttreten (1) Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. (2) Ihre Anwendung beginnt ab dem [ein Jahr nach ihrem Inkrafttreten].

b) Vorschlag des Europäischen Parlaments P7_TA (2013) 338* (…) (10)

Diese Verordnung regelt Fragen, die sich im Zusammenhang mit den ehelichen Güterständen stellen. Der Begriff der Ehe, der durch das einzelstaatliche Recht der Mitgliedstaaten definiert wird, ist nicht Gegenstand dieser Verordnung. Diese verhält sich vielmehr neutral zu diesem Begriff. Die Definition des Begriffs der Ehe in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bleibt durch die Verordnung unberührt. (11) Der Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich auf alle zivilrechtlichen Aspekte der ehelichen Güterstände erstrecken und sowohl die Verwaltung des Vermögens der Ehegatten im Alltag betreffen als auch die güterrechtliche Auseinandersetzung infolge der Trennung oder Scheidung des Paares oder des Todes eines Ehegatten. (11a) Die Verordnung sollte dagegen nicht für Bereiche des Zivilrechts gelten, die nicht den ehelichen Güterstand betreffen. Aus Gründen der Klarheit sollte eine Reihe von Fragen, die als mit ehelichen Güterständen zusammenhängend betrachtet werden könnten, ausdrücklich vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden. (12) Die Unterhaltspflichten im Verhältnis der Ehegatten untereinander, die Gegenstand der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen sind, sollten vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden ebenso wie Fragen der Rechtsnachfolge von Todes wegen, die in der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses1 geregelt sind. (13) Nach dem Vorbild der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 sollte diese Verordnung auch nicht die abschließende Anzahl (Numerus Clausus) der dinglichen Rechte berühren, die das innerstaatliche Recht einiger Mitgliedstaaten kennt. Ein Mitgliedstaat sollte nicht verpflichtet sein, ein dingliches Recht an einer in diesem Mitgliedstaat belegenen Sache anzuerkennen, wenn sein Recht dieses dingliche Recht nicht kennt. (13a) Damit die Berechtigten jedoch die Rechte, die etwa im Rahmen einer Auseinandersetzung des ehelichen Güterstands begründet worden oder auf sie übergegangen sind, in einem anderen Mitgliedstaat geltend machen können, sollte diese Verordnung die Anpassung eines unbekannten dinglichen Rechts an das in der Rechtsordnung dieses anderen Mitgliedstaats am ehesten vergleichbare dingliche Recht vorsehen. Bei dieser Anpassung sollten die mit dem besagten dinglichen Recht verfolgten Ziele und Inte*

1

Der Vorschlag des Europäischen Parlaments bezieht sich – wie üblich – auf den Kommissionsvorschlag und ist im folgenden in einer nicht konsolidierten, im Wesentlichen nur die Abweichungen umfassenden Fassung wiedergegeben. ABl. L 201 vom 27.7.2012, S. 107.

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ressen und die mit ihm verbundenen Wirkungen berücksichtigt werden. Für die Zwecke der Bestimmung des am ehesten vergleichbaren innerstaatlichen dinglichen Rechts können die Behörden oder zuständigen Personen des Staates, dessen Recht auf den ehelichen Güterstand anzuwenden ist, kontaktiert werden, um weitere Auskünfte zu der Art und den Wirkungen des betreffenden dinglichen Rechts einzuholen. In diesem Zusammenhang könnten die bestehenden Netze im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen sowie die anderen verfügbaren Mittel, die die Erkenntnis ausländischen Rechts erleichtern, genutzt werden. Die Voraussetzungen für die Eintragung von Rechten an beweglichen oder unbeweglichen Vermögensgegenständen in einem Register sollten aus dem Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden. Somit sollte das Recht des Mitgliedstaats, in dem das Register (für unbewegliches Vermögen das Recht der belegenen Sache (lex rei sitae)) geführt wird, bestimmen, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen und wie die Eintragung vorzunehmen ist und welche Behörden wie etwa Grundbuchämter oder Notare dafür zuständig sind zu prüfen, dass alle Eintragungsvoraussetzungen erfüllt sind und die vorgelegten oder erstellten Unterlagen vollständig sind bzw. die erforderlichen Angaben enthalten. Die Wirkungen der Eintragung eines Rechts in einem Register sollten ebenfalls vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden. Daher sollte das Recht des Mitgliedstaats, in dem das Register geführt wird, dafür maßgebend sein, ob beispielsweise die Eintragung deklaratorische oder konstitutive Wirkung hat. Wenn also zum Beispiel der Erwerb eines Rechts an einer unbeweglichen Sache nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem das Register geführt wird, die Eintragung in einem Register erfordert, damit die Wirkung erga omnes von Registern sichergestellt wird oder Rechtsgeschäfte geschützt werden, sollte der Zeitpunkt des Erwerbs dem Recht dieses Mitgliedstaats unterliegen. Der Begriff „ehelicher Güterstand“, der den Anwendungsbereich dieser Verordnung bestimmt, sollte sämtliche vermögensrechtlichen Regelungen umfassen, die zwischen den Ehegatten und in ihren Beziehungen gegenüber Dritten infolge der Ehe und nach ihrer Beendigung gelten. Dazu gehören nicht nur die obligatorischen Regelungen des anwendbaren Rechts, sondern auch etwaige fakultative Regelungen, die von den Ehegatten nach Maßgabe des anwendbaren Rechts vereinbart werden können. Nach dem Vorbild der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 sollte diese Verordnung den verschiedenen Systemen zur Regelung von Güterrechtssachen Rechnung tragen, die in den Mitgliedstaaten angewandt werden. Für die Zwecke dieser Verordnung sollte der Begriff „Gericht“ daher breit gefasst werden, so dass nicht nur Gerichte im eigentlichen Sinne, die gerichtliche Funktionen ausüben, erfasst werden, sondern auch Notare oder Registerbehörden in einigen Mitgliedstaaten, die in bestimmten Güterrechtssachen gerichtliche Funktionen wie Gerichte ausüben, sowie Notare und Angehörige von Rechtsberufen, die in einigen Mitgliedstaaten in einer bestimmten Güterrechtssache aufgrund einer Befugnisübertragung durch ein Gericht gerichtliche Funktionen ausüben. Alle Gerichte im Sinne dieser Verordnung sollten durch die in dieser Verordnung festgelegten Zuständigkeitsregeln gebunden sein. Der Begriff „Gericht“ sollte hingegen nicht die nichtgerichtlichen Behörden eines Mitgliedstaats erfassen, die nach innerstaatlichem Recht befugt sind, sich mit Güterrechtssachen zu befassen, wie in den meisten Mitgliedstaaten die Notare, wenn sie, wie dies üblicherweise der Fall ist, keine gerichtlichen Funktionen ausüben. Um der zunehmenden Mobilität von Paaren während ihres Ehelebens Rechnung zu tragen,

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B.I.4a EU-Ehe-Güterstandsverordnung

sehen die Zuständigkeitsvorschriften in dieser Verordnung im Interesse einer geordneten Rechtspflege vor, dass Fragen im Zusammenhang mit den ehelichen Güterständen einschließlich der güterrechtlichen Auseinandersetzung infolge einer Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung der Ehe von den Gerichten des Mitgliedstaats behandelt werden, die nach der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 für das betreffende Verfahren der Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung der Ehe zuständig sind, wenn die Zuständigkeit der betreffenden Gerichte von den Ehegatten ausdrücklich oder auf andere Weise anerkannt wurde. (…) (16) Bei güterrechtlichen Fragen, die weder mit einer Ehescheidung, einer Trennung ohne Auflösung des Ehebandes, einer Ungültigerklärung der Ehe noch mit dem Tod eines Ehegatten zusammenhängen, können die Ehegatten beschließen, ein Gericht des Mitgliedstaats anzurufen, dessen Recht sie als das auf ihren Güterstand anzuwendende Sachrecht gewählt haben. Hierzu bedarf es einer Vereinbarung, die von den Ehegatten spätestens bis zur Anrufung des Gerichts und danach nach Maßgabe des Rechts des Staates des angerufenen Gerichts geschlossen werden kann. (17) Diese Verordnung sollte die territoriale Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats für güterrechtliche Fragen außerhalb eines Trennungs- oder Nachlassverfahrens anhand einer hierarchisch gegliederten Liste von Anknüpfungspunkten zulassen, die eine enge Verbindung zwischen den Ehegatten und dem Mitgliedstaat, dessen Gerichte zuständig sind, gewährleisten. (17a) Um insbesondere Fällen von Rechtsverweigerung begegnen zu können, sollte in dieser Verordnung auch eine Notzuständigkeit (forum necessitatis) vorgesehen werden, wonach ein Gericht eines Mitgliedstaats in Ausnahmefällen über eine Güterrechtssache entscheiden kann, die einen engen Bezug zu einem Drittstaat aufweist. Ein solcher Ausnahmefall könnte gegeben sein, wenn ein Verfahren sich in dem betreffenden Drittstaat als unmöglich erweist, beispielsweise aufgrund eines Bürgerkriegs, oder wenn von einem Berechtigten vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, dass er ein Verfahren in diesem Staat einleitet oder führt. Die Notzuständigkeit sollte jedoch nur ausgeübt werden, wenn die Güterrechtssache einen ausreichenden Bezug zu dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts aufweist. (…) (21) Für den Fall, dass keine Rechtswahl getroffen wurde, sollte die Verordnung, um dem Gebot der Rechtssicherheit und der Planungssicherheit zu genügen und den Lebensumständen der Ehegatten Rechnung zu tragen, harmonisierte Kollisionsnormen einführen, die sich auf eine hierarchisch gegliederte Liste von Anknüpfungspunkten stützen, mit denen sich das auf das gesamte Vermögen der Ehegatten anzuwendende Recht bestimmen lässt. So sollte der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt zum Zeitpunkt der Eheschließung bzw. der erste gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten nach der Eheschließung erster Anknüpfungspunkt noch vor der gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung sein. Ist keine dieser Anknüpfungen gegeben, d. h. gibt es keinen ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt und haben die Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung keine gemeinsame Staatsangehörigkeit, sollte das Recht des Staates gelten, zu dem die Ehegatten unter Berücksichtigung aller Umstände gemeinsam die engste Bindung haben, wobei für diese Bindung der Zeitpunkt der Eheschließung maßgebend sein sollte.

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(…) (22a) Für die Zwecke der Anwendung dieser Verordnung, d. h. wo diese hinsichtlich der Anwendung des Rechts eines Staates auf die Staatsangehörigkeit als Anknüpfungspunkt verweist, unterliegt die Frage, wie in Fällen der mehrfachen Staatsangehörigkeit zu verfahren ist und ob jemand als Angehöriger eines Staates gilt, dem innerstaatlichen Recht, gegebenenfalls auch internationalen Übereinkommen, wobei die allgemeinen Grundsätze der Europäischen Union uneingeschränkt zu beachten sind. (…) (24) In Anbetracht der Tragweite der Rechtswahl sollten in dieser Verordnung gewisse Vorkehrungen getroffen werden, die garantieren, dass sich die Ehegatten oder die zukünftigen Ehegatten über die Folgen ihrer Rechtswahl im Klaren sind. Die Rechtswahlvereinbarung bedarf mindestens der Schriftform, sie ist zu datieren und von den Ehegatten zu unterzeichnen. Die Rechtswahl sollte dabei in der Form erfolgen, die von dem auf den ehelichen Güterstand anwendbaren Recht oder dem Recht des Staates vorgeschrieben ist, in dem die Vereinbarung geschlossen wurde. (24a) Um bestimmten Rechtsnormen der Mitgliedstaaten, unter anderem zum Schutz der Familienwohnung sowie zur Regelung der Nutzungsbefugnis im Verhältnis zwischen den Ehegatten Rechnung zu tragen, sollte diese Verordnung der Anwendung von Eingriffsnormen durch das angerufene Gericht nicht entgegenstehen, es also zulassen, dass ein Mitgliedstaat die Anwendung ausländischen Rechts zugunsten des eigenen Rechts versagt. Eingriffsnormen sollten in diesem Zusammenhang zwingende Vorschriften bezeichnen, deren Beachtung von einem Mitgliedstaat für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Ordnung als notwendig angesehen wird. Um beispielsweise den Schutz der Familienwohnung zu wahren, sollte der Mitgliedstaat, in dem sich diese Wohnung befindet, sein eigenes Recht zur Anwendung bringen können, unbeschadet der im betreffenden Mitgliedstaat geltenden Verkehrsschutzvorschriften, deren vorrangige Geltung über Artikel 35 gewährleistet wird. (…) (27) Da die gegenseitige Anerkennung der in den Mitgliedstaaten ergangenen Entscheidungen in Ehegüterrechtssachen zu den Zielen dieser Verordnung gehört, sollten Vorschriften für die Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung von Entscheidungen nach dem Vorbild anderer Rechtsinstrumente der Union im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen vorgesehen werden. (28) Um den verschiedenen Systemen zur Regelung von Ehegüterrechtssachen in den Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen, sollte diese Verordnung die Annahme und Vollstreckbarkeit öffentlicher Urkunden in einer Ehegüterrechtssache in sämtlichen Mitgliedstaaten gewährleisten. (28a) Hinsichtlich der Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen sowie hinsichtlich der Annahme und Vollstreckbarkeit öffentlicher Urkunden und der Vollstreckbarkeit gerichtlicher Vergleiche sollte diese Verordnung daher Vorschriften insbesondere nach dem Vorbild der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 vorsehen. (29) Die Rechtsbeziehungen zwischen einem Ehegatten und einem Dritten unterliegen dem nach dieser Verordnung auf den ehelichen Güterstand anzuwendenden Recht. Doch sollte sich, um den Schutz des Dritten zu gewährleisten, in einem Rechtsverhältnis zwischen einem Ehegatten und einem Dritten keiner der Ehegatten auf dieses Recht berufen können, wenn der Ehegatte der in dem Rechtsverhältnis zu dem Dritten steht, und der Dritte

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B.I.4a EU-Ehe-Güterstandsverordnung

ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat haben, der nicht derjenige Staat ist, dessen Recht auf den ehelichen Güterstand anzuwenden ist. Ausnahmen sollten gelten, wenn der Dritte nicht schutzwürdig ist, ihm also das anzuwendende Recht bekannt war oder er es hätte kennen müssen oder wenn die in dem Staat geltenden Anforderungen betreffend die Registrierung oder Publizität eingehalten wurden. (…) (30a) Zur Gewährleistung einheitlicher Bedingungen für die Durchführung dieser Verordnung sollten der Kommission in Bezug auf die Erstellung und spätere Änderung der Bescheinigungen und Formblätter, die die Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen, gerichtlichen Vergleichen und öffentlichen Urkunden betreffen, Durchführungsbefugnisse übertragen werden. Diese Befugnisse sollten im Einklang mit der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren2, ausgeübt werden. (30b) Für den Erlass von Durchführungsrechtsakten zur Erstellung und anschließenden Änderung der in dieser Verordnung vorgesehenen Bescheinigungen und Formblätter sollte das Beratungsverfahren gemäß Artikel 4 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 angewendet werden. (…) (32) Diese Verordnung achtet die Grundrechte und Grundsätze, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden, namentlich die Artikel 7, 9, 17, 20, 21, 23 und 47 über das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, das nach einzelstaatlichem Recht geschützte Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen, das Recht auf Eigentum, Gleichheit vor dem Gesetz, das Diskriminierungsverbot, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht. Bei der Anwendung dieser Verordnung müssen die Gerichte der Mitgliedstaaten diese Rechte und Grundsätze achten. (…)

Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen Artikel 1: Anwendungsbereich (1) (…) (2) (…) (3) Vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen sind: a) die allgemeine Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit der Ehegatten, aa) das Bestehen, die Gültigkeit oder die Anerkennung einer Ehe, b) die Unterhaltspflichten c) entfällt d) Fragen der Rechtsnachfolge von Todes wegen im Hinblick auf den überlebenden Ehegatten, e) Fragen des Gesellschaftsrechts, des Vereinsrechts und des Rechts der juristischen Personen, f) die Art der dinglichen Rechte, (fa) jede Eintragung von Rechten an beweglichen oder unbeweglichen Vermögensgegen2

ABl. L 55 vom 28.2.2011, S. 13.

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ständen in einem Register, einschließlich der gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche Eintragung, sowie die Wirkungen der Eintragung oder der fehlenden Eintragung solcher Rechte in einem Register und (fb) Fragen des Rechts, im Fall der Scheidung Ruhegehalts- und Erwerbsunfähigkeitsrentenansprüche der Ehegatten oder früheren Ehegatten, die während der Ehe erworben wurden, zu übertragen oder anzupassen. Artikel 2: Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck a) „ehelicher Güterstand“ „ehelicher Güterstand“ sämtliche vermögensrechtlichen Regelungen, die zwischen den Ehegatten und in ihren Beziehungen gegenüber Dritten infolge der Ehe gelten; b) „Ehevertrag“ jede Vereinbarung zwischen Ehegatten oder künftigen Ehegatten zur Regelung ihres ehelichen Güterstandes; c) „öffentliche Urkunde“ ein Schriftstück in Güterrechtssachen, das als öffentliche Urkunde in einem Mitgliedstaat förmlich errichtet oder eingetragen worden ist und dessen Beweiskraft d) „Entscheidung“ jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats in einer Güterrechtssache erlassene Entscheidung ungeachtet ihrer Bezeichnung einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten; e) „Ursprungsmitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, in dem die Entscheidung erlassen, die öffentliche Urkunde errichtet oder der gerichtliche Vergleich gebilligt oder geschlossen worden ist; f) „Vollstreckungsmitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, in dem die Vollstreckbarerklärung oder Vollstreckung der Entscheidung, des gerichtlichen Vergleichs oder der öffentlichen Urkunde betrieben wird; g) entfällt h) (…) (1a) Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Begriff „Gericht“ jedes Gericht und alle sonstigen Behörden und Angehörigen von Rechtsberufen mit Zuständigkeiten in Güterrechtssachen, die gerichtliche Funktionen ausüben oder in Ausübung einer Befugnisübertragung durch ein Gericht oder unter der Aufsicht eines Gerichts handeln, sofern diese anderen Behörden und Angehörigen von Rechtsberufen ihre Unparteilichkeit und das Recht der Parteien auf rechtliches Gehör gewährleisten und ihre Entscheidungen nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem sie tätig sind, a) vor einem Gericht angefochten oder von einem Gericht nachgeprüft werden können und b) vergleichbare Rechtskraft und Rechtswirkung haben wie eine Entscheidung eines Gerichts in der gleichen Sache. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission nach Artikel 37a die in Unterabsatz 1 genannten sonstigen Behörden und Angehörigen von Rechtsberufen mit.

Kapitel II: Zuständigkeit Artikel -3: Zuständigkeit in Güterrechtssachen innerhalb der Mitgliedstaaten Diese Verordnung berührt nicht die innerstaatliche Zuständigkeit in den Mitgliedstaaten in Güterrechtssachen.

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Artikel 3: Zuständigkeit im Fall des Todes eines Ehegatten Das Gericht eines Mitgliedstaats, das im Zusammenhang mit dem Nachlass eines Ehegatten nach der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 befasst ist, ist auch für güterrechtliche Fragen in Verbindung mit der Erbsache zuständig. Artikel 4: Zuständigkeit im Fall der Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe Das Gericht eines Mitgliedstaats, das mit einem Antrag auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung der Ehe nach der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 befasst ist, ist auch für güterrechtliche Fragen in Verbindung mit dem Antrag zuständig, wenn die Zuständigkeit des betreffenden Gerichts von den Ehegatten ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt wurde. In Ermangelung einer Anerkennung der Zuständigkeit des in Absatz 1 genannten Gerichts bestimmt sich die Zuständigkeit nach den Artikeln 5 ff. Artikel 4a: Gerichtsstandsvereinbarung (1) Die Ehegatten können vereinbaren, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, dessen Recht sie nach Artikel 16 als das auf ihren ehelichen Güterstand anzuwendende Recht gewählt haben, für ihren Güterstand betreffende Fragen zuständig sein sollen. Diese Zuständigkeit ist ausschließlich. Unbeschadet des Unterabsatzes 3 kann eine Vereinbarung über die Wahl des Gerichtsstands jederzeit, spätestens jedoch zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts, geschlossen oder geändert werden. Sieht das Recht des Staates des angerufenen Gerichts dies vor, so können die Ehegatten die Wahl des Gerichtsstands auch nach Anrufung des Gerichts vornehmen. In diesem Fall nimmt das Gericht die Wahl des Gerichtsstands im Einklang mit dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts zu Protokoll. Wird die Vereinbarung vor dem Verfahren geschlossen, bedarf sie der Schriftform und muss datiert sowie von den Ehegatten unterzeichnet sein. Elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, sind der Schriftform gleichgestellt. (2) Die Ehegatten können auch vereinbaren, dass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, deren Recht gemäß Artikel 17 mangels Rechtswahl anzuwenden ist. Artikel 4b: Durch rügelose Einlassung begründete Zuständigkeit (1) Sofern das Gericht eines Mitgliedstaats, dessen Recht nach Artikel 16 gewählt wurde, oder dessen Recht nach Artikel 17 anzuwenden ist, nicht bereits nach anderen Vorschriften dieser Verordnung zuständig ist, wird es zuständig, wenn sich der Antragsgegner vor ihm auf das Verfahren einlässt. Dies gilt nicht, wenn der Antragsgegner sich einlässt, um den Mangel der Zuständigkeit geltend zu machen oder wenn ein anderes Gericht aufgrund des Artikels 3, des Artikels 4 oder des Artikels 4a zuständig ist. (2) Bevor sich das Gericht nach Absatz 1 für zuständig erklärt, stellt es sicher, dass der Antragsgegner über sein Recht, die Unzuständigkeit des Gerichts geltend zu machen, und über die Folgen der Einlassung oder Nichteinlassung auf das Verfahren belehrt wird. Artikel 5: Zuständigkeit in anderen Fällen Ist kein Gericht aufgrund der Artikel 3, 4 und 4a zuständig, so liegt die Zuständigkeit für ein güterrechtliches Verfahren bei den Gerichten des Mitgliedstaats,

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a) in dessen Hoheitsgebiet die Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben oder anderenfalls b) in dessen Hoheitsgebiet die Ehegatten zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder anderenfalls c) in dessen Hoheitsgebiet der Antragsgegner zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder anderenfalls d) dessen Staatsangehörigkeit beide Partner zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts besitzen oder, im Fall des Vereinigten Königreichs und Irlands, in dem sie ihr gemeinsames „domicile“ haben oder anderenfalls da) dessen Staatsangehörigkeit die beklagte Partei besitzt oder, im Fall des Vereinigten Königreichs und Irlands, in dem sie ihr „domicile“ hat. Artikel 6: Subsidiäre Zuständigkeit Soweit sich aus den Artikeln 3, 4, 4a und 5 keine Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts ergibt, sind die Gerichte eines Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet unbewegliches Vermögen oder eingetragene Vermögensgegenstände eines oder beider Ehegatten belegen sind; in diesem Fall entscheidet das angerufene Gericht nur über das unbewegliche Vermögen oder die eingetragenen Vermögensgegenstände. Dabei sind die Gerichte eines Mitgliedstaats nur für Entscheidungen über unbewegliches Vermögen oder eingetragene Vermögensgegenstände zuständig, die sich in diesem Mitgliedstaat befinden. Artikel 7: Notzuständigkeit Ergibt sich nach den Artikeln 3, 4, 4a, 5 und 6 keine Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts, so können die Gerichte eines Mitgliedstaats in Ausnahmefällen in einer Güterrechtssache entscheiden, wenn es nicht zumutbar ist oder es sich als unmöglich erweist, ein Verfahren in einem Drittstaat, zu dem die Sache einen engen Bezug aufweist, einzuleiten oder zu führen. Die Sache muss einen ausreichenden Bezug zu dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts aufweisen. Artikel 8: Zuständigkeit für Gegenanträge Das Gericht, bei dem ein Verfahren auf der Grundlage der Artikel 3, 4, 4a, 5, 6 oder 7 anhängig ist, ist auch für einen Gegenantrag zuständig, sofern dieser in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt. Wurde das Gericht nach Artikel 6 angerufen, so ist seine Zuständigkeit für einen Gegenantrag auf das unbewegliche Vermögen oder die eingetragenen Vermögensgegenstände, die Gegenstand der Hauptsache sind, beschränkt. Artikel 9: Anrufung eines Gerichts Für die Zwecke dieses Kapitels gilt ein Gericht als angerufen a) zu dem Zeitpunkt, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht worden ist, vorausgesetzt, dass der Antragsteller es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstücks an den Antragsgegner zu bewirken, b) falls die Zustellung vor Einreichung des Schriftstücks bei Gericht zu bewirken ist, zu dem Zeitpunkt, zu dem die für die Zustellung verantwortliche Stelle das Schriftstück erhalten hat,

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vorausgesetzt, dass der Antragsteller es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um das Schriftstück bei Gericht einzureichen, oder ba) falls das Gericht das Verfahren von Amts wegen einleitet, zu dem Zeitpunkt, zu dem der Beschluss über die Einleitung des Verfahrens vom Gericht gefasst oder, wenn ein solcher Beschluss nicht erforderlich ist, zu dem Zeitpunkt, zu dem die Sache beim Gericht eingetragen worden ist. Artikel 10: Prüfung der Zuständigkeit (…) Artikel 11: Prüfung der Zulässigkeit (…) Artikel 12: Rechtshängigkeit (1) Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Verfahren wegen desselben Anspruchs zwischen den Ehegatten anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. (2) (…) (3) (…) Artikel 13: Im Zusammenhang stehende Verfahren (1) (…) (2) Sind diese Verfahren in erster Instanz anhängig, so kann sich jedes später angerufene Gericht auf Antrag eines der Ehegatten auch für unzuständig erklären, wenn das zuerst angerufene Gericht für die betreffenden Verfahren zuständig ist und die Verbindung der Verfahren nach seinem Recht zulässig ist. (3) (…) Artikel 13a: Übermittlung von Informationen an die Ehegatten Die zuständige Behörde informiert den/die Ehegatten innerhalb einer angemessenen Frist über gegen sie eingeleitete Güterrechtssachen. Artikel 14: Einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen (…)

Kapitel III: Anzuwendendes Recht Artikel 15: Einheit des anzuwendenden Rechts (1) Sämtliche unter den ehelichen Güterstand fallenden Vermögensgegenstände unterliegen, unabhängig davon, wo sie sich befinden, dem nach den Artikeln 16 und 17 auf den ehelichen Güterstand anzuwendenden Recht. (1a) Das auf den ehelichen Güterstand anzuwendende Recht bestimmt unbeschadet des Artikels 1 Absatz 3 Buchstaben f und fa unter anderem a) die Aufteilung des Vermögens der Ehegatten in verschiedene Kategorien vor und nach der Ehe; b) die Übertragung des Vermögens von einer Kategorie in die andere; c) gegebenenfalls Haftung für Schulden des Ehegatten; d) die Verfügungsbefugnisse der Ehegatten während der Ehe;

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e) die Auflösung und Abwicklung des ehelichen Güterstands und die Vermögensauseinandersetzung bei Auflösung der Ehe; f) die Wirkungen des ehelichen Güterstands auf ein Rechtsverhältnis zwischen einem Ehegatten und Dritten, nach Maßgabe des Artikels 35; g) die materielle Wirksamkeit einer Vereinbarung über den ehelichen Güterstand. Artikel 15a: Universelle Anwendung Das nach dieser Verordnung bezeichnete Recht ist anzuwenden, unabhängig davon, ob es das Recht eines Mitgliedstaats ist oder nicht. Artikel 16: Rechtswahl (1) Die Ehegatten oder künftigen Ehegatten können das auf ihren ehelichen Güterstand anzuwendende Recht durch Vereinbarung bestimmen oder ändern, sofern es sich dabei um das Recht eines der folgenden Staaten handelt: a) das Recht des Staates, in dem die Ehegatten oder künftigen Ehegatten oder einer der Ehegatten oder künftigen Ehegatten zum Zeitpunkt der Vereinbarung ihren bzw. seinen gewöhnlichen Aufenthalt haben bzw. hat, oder b) das Recht eines Staates, dessen Staatsangehörigkeit einer der Ehegatten oder künftigen Ehegatten zum Zeitpunkt der Vereinbarung besitzt. (2) Sofern die Ehegatten nichts anderes vereinbaren, gilt ein während der Ehe vorgenommener Wechsel des auf den ehelichen Güterstand anzuwendenden Rechts nur für die Zukunft. (3) Beschließen die Ehegatten, dass die Wirkungen dieses Wechsels rückwirkend eintreten, beeinträchtigt die Rückwirkung weder die Gültigkeit früherer Rechtshandlungen, die unter dem bis dahin anzuwendenden Recht vorgenommen wurden, noch die Rechte Dritter, die sich aus dem früher anzuwendenden Recht ergeben. Artikel 17: Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (1) Mangels Rechtswahl nach Artikel 16 unterliegt der eheliche Güterstand dem Recht des Staates, a) in dem die Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben bzw. nach der Eheschließung ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt nehmen, oder anderenfalls b) (…) c) mit dem die Ehegatten unter Berücksichtigung aller Umstände, unabhängig vom Ort der Eheschließung, zum Zeitpunkt der Eheschließung gemeinsam am engsten verbunden sind. (2) (…) Artikel 18 entfällt Artikel 19: Formvorschriften für die Rechtswahl (1) Die Rechtswahlvereinbarung nach Artikel 16 bedarf der Schriftform, der Datierung sowie der Unterzeichnung durch beide Ehegatten. Elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, sind der Schriftform gleichgestellt. (2) Die Vereinbarung hat die Formvorschriften des auf den ehelichen Güterstand anzuwendenden Rechts oder des Rechts des Staates, in dem die Vereinbarung geschlossen wurde, zu erfüllen.

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(3) Sieht jedoch das Recht des Staates, in dem beide Ehegatten zum Zeitpunkt der Vereinbarung ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, zusätzliche Formvorschriften für diese Art der Vereinbarung oder anderenfalls für den Ehevertrag vor, so sind diese Formvorschriften anzuwenden. (4) Haben die Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahlvereinbarung ihren gewöhnlichen Aufenthalt in verschiedenen Staaten und sieht das Recht beider Staaten unterschiedliche Formvorschriften vor, so ist die Vereinbarung formgültig, wenn sie den Vorschriften des Rechts eines dieser Staaten genügt. (5) Hat zum Zeitpunkt der Vereinbarung nur einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat und sind in diesem Staat zusätzliche Formanforderungen für diese Art der Rechtswahl vorgesehen, so sind diese Formvorschriften anzuwenden. Artikel 20: Formvorschriften für einen Ehevertrag Für die Form eines Ehevertrags im Sinne dieser Verordnung gilt Artikel 19 entsprechend. Zusätzliche Formvorschriften im Sinne des Artikels 19 Absatz 3 gelten für die Zwecke dieses Artikels nur für den Ehevertrag. Artikel 20a: Anpassung dinglicher Rechte Macht eine Person ein dingliches Recht geltend, das ihr nach dem auf den ehelichen Güterstand anzuwendenden Recht zusteht, und kennt das Recht des Mitgliedstaates, in dem das Recht geltend gemacht wird, das betreffende dingliche Recht nicht, so ist dieses Recht soweit erforderlich und möglich an das in der Rechtsordnung dieses Mitgliedstaates am ehesten vergleichbare Recht anzupassen, wobei die mit dem besagten dinglichen Recht verfolgten Ziele und Interessen und die mit ihm verbundenen Wirkungen zu berücksichtigen sind. Artikel 21 entfällt Artikel 22: Eingriffsnormen (1) Eingriffsnormen sind Vorschriften, deren Nichtbeachtung mit der öffentlichen Ordnung („ordre public“) des betroffenen Mitgliedstaats offensichtlich unvereinbar wäre. Die zuständigen Behörden sollten den Ordre-public-Vorbehalt nicht so auslegen, dass er gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere gegen ihren Artikel 21, der jede Form der Diskriminierung untersagt, verstößt. (2) Unbeschadet der im betreffenden Mitgliedstaat geltenden Verkehrsschutzvorschriften gemäß Artikel 35 schränkt diese Verordnung nicht die Anwendung der Eingriffsnormen des Rechts des angerufenen Gerichts ein. Artikel 23: Öffentliche Ordnung (ordre public) im Staat des angerufenen Gerichts Die Anwendung einer Vorschrift des nach dieser Verordnung bezeichneten Rechts eines Staates darf nur versagt werden, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist. Artikel 24: Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung Unter dem nach dieser Verordnung anzuwendenden Recht eines Staates sind die in diesem Staat geltenden Rechtsvorschriften unter Ausschluss derjenigen des Internationalen Privatrechts zu verstehen.

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Artikel 25: Staaten mit mehr als einem Rechtssystem – Interlokale Kollisionsvorschriften (1) Verweist diese Verordnung auf das Recht eines Staates, der mehrere Gebietseinheiten umfasst, von denen jede eigene Rechtsvorschriften für den ehelichen Güterstand hat, so bestimmen die internen Kollisionsvorschriften dieses Staates die Gebietseinheit, deren Rechtsvorschriften anzuwenden sind. (1a) In Ermangelung solcher internen Kollisionsvorschriften gilt: a) Jede Bezugnahme auf das Recht des in Absatz 1 genannten Staates ist für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts aufgrund von Vorschriften, die sich auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten beziehen, als Bezugnahme auf das Recht der Gebietseinheit zu verstehen, in der die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben; b) jede Bezugnahme auf das Recht des in Absatz 1 genannten Staates ist für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts aufgrund von Bestimmungen, die sich auf die Staatsangehörigkeit der Ehegatten beziehen, als Bezugnahme auf das Recht der Gebietseinheit zu verstehen, zu der die Ehegatten die engste Verbindung haben; c) jede Bezugnahme auf das Recht des in Absatz 1 genannten Staates ist für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts aufgrund sonstiger Bestimmungen, die sich auf andere Anknüpfungspunkte beziehen, als Bezugnahme auf das Recht der Gebietseinheit zu verstehen, in der sich der einschlägige Anknüpfungspunkt befindet. Artikel 25a: Staaten mit mehr als einem Rechtssystem – Interpersonale Kollisionsvorschriften Gelten in einem Staat für das Ehegüterrecht zwei oder mehr Rechtssysteme oder Regelwerke für verschiedene Personengruppen, so ist jede Bezugnahme auf das Recht dieses Staates als Bezugnahme auf das Rechtssystem oder das Regelwerk zu verstehen, das die in diesem Staat geltenden Vorschriften zur Anwendung berufen. In Ermangelung solcher Vorschriften ist das Rechtssystem oder das Regelwerk anzuwenden, zu dem die Ehegatten die engste Verbindung haben. Artikel 25b: Nichtanwendung dieser Verordnung auf innerstaatliche Kollisionen+ Ein Mitgliedstaat, der mehrere Gebietseinheiten umfasst, von denen jede ihre eigenen Rechtsvorschriften für das Ehegüterrecht hat, ist nicht verpflichtet, diese Verordnung auf Kollisionen zwischen den Rechtsordnungen dieser Gebietseinheiten anzuwenden.

Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung Abschnitt 1: Entscheidungen Unterabschnitt 1: Anerkennung Artikel 26: Anerkennung der Entscheidungen (1) (…) (2) Bildet die Frage, ob eine Entscheidung anzuerkennen ist, als solche den Gegenstand eines Streites, so kann jede Partei, welche die Anerkennung geltend macht, in dem Verfahren nach den Artikeln 31b bis 31o die Feststellung beantragen, dass die Entscheidung anzuerkennen ist. (3) (…) Artikel 27: Gründe für die Nichtanerkennung einer Entscheidung Eine Entscheidung wird nicht anerkannt, wenn a) die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde; b) (…)

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c) sie mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die in einem Verfahren zwischen denselben Parteien in dem Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, ergangen ist; d) sie mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat in einem Verfahren zwischen denselben Parteien wegen desselben Anspruchs ergangen ist, sofern die frühere Entscheidung die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anerkennung in dem Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, erfüllt. Artikel 28: Ausschluss der Nachprüfung der Zuständigkeit des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaats (…) Artikel 29: Ausschluss der Nachprüfung in der Sache Die in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung darf keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden. Artikel 30: Aussetzung des Anerkennungsverfahrens Das Gericht eines Mitgliedstaats, bei dem die Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung beantragt wird, kann das Verfahren aussetzen, wenn im Ursprungsmitgliedstaat gegen die Entscheidung ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt worden ist.

Unterabschnitt 2: Vollstreckung Artikel 31: Vollstreckbare Entscheidungen Die in einem Mitgliedstaat ergangenen und in diesem Staat vollstreckbaren Entscheidungen sind in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckbar, wenn sie auf Antrag eines Berechtigten dort nach dem Verfahren der Artikel 45 bis 58 für vollstreckbar erklärt worden sind. Artikel 31a: Bestimmung des Wohnsitzes Ist zu entscheiden, ob eine Partei für die Zwecke des Verfahrens nach den Artikeln 31b bis 31o im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsmitgliedstaates einen Wohnsitz hat, so wendet das befasste Gericht sein eigenes Recht an. Artikel 31b: Örtlich zuständiges Gericht (1) Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung ist an das Gericht oder die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats zu richten, die der Kommission von diesem Mitgliedstaat nach Artikel 37 mitgeteilt wurden. (2) Die örtliche Zuständigkeit wird durch den Ort des Wohnsitzes der Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, oder durch den Ort, an dem die Vollstreckung durchgeführt werden soll, bestimmt. Artikel 31c: Verfahren (1) Für das Verfahren der Antragstellung ist das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats maßgebend. (2) Von dem Antragsteller kann nicht verlangt werden, dass er im Vollstreckungsmitgliedstaat über eine Postanschrift oder einen bevollmächtigten Vertreter verfügt. (3) Dem Antrag sind die folgenden Schriftstücke beizufügen: a) eine Ausfertigung der Entscheidung, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt;

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b) die Bescheinigung, die von dem Gericht oder der zuständigen Behörde des Ursprungsmitgliedstaats unter Verwendung des nach dem Beratungsverfahren nach Artikel 37c Absatz 2 erstellten Formblatts ausgestellt wurde, unbeschadet des Artikels 31d. Artikel 31d: Nichtvorlage der Bescheinigung (1) Wird die Bescheinigung nach Artikel 31c Absatz 3 Buchstabe b nicht vorgelegt, so kann das Gericht oder die sonst befugte Stelle eine Frist bestimmen, innerhalb deren die Bescheinigung vorzulegen ist, oder sich mit einer gleichwertigen Urkunde begnügen oder von der Vorlage der Bescheinigung absehen, wenn kein weiterer Klärungsbedarf besteht. (2) Auf Verlangen des Gerichts oder der zuständigen Behörde ist eine Übersetzung der Schriftstücke vorzulegen. Die Übersetzung ist von einer Person zu erstellen, die zur Anfertigung von Übersetzungen in einem der Mitgliedstaaten befugt ist. Artikel 31e: Vollstreckbarerklärung Sobald die in Artikel 31c vorgesehenen Förmlichkeiten erfüllt sind, wird die Entscheidung unverzüglich für vollstreckbar erklärt, ohne dass eine Prüfung nach Artikel 27 erfolgt. Die Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, erhält in diesem Abschnitt des Verfahrens keine Gelegenheit, eine Erklärung zu dem Antrag abzugeben. Artikel 31f: Mitteilung der Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung (1) Die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung wird dem Antragsteller unverzüglich in der Form mitgeteilt, die das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats vorsieht. (2) Die Vollstreckbarerklärung und, soweit dies noch nicht geschehen ist, die Entscheidung werden der Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, zugestellt. Artikel 31g: Rechtsbehelf gegen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung (1) Gegen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung kann jede Partei einen Rechtsbehelf einlegen. (2) Der Rechtsbehelf wird bei dem Gericht eingelegt, das der betreffende Mitgliedstaat der Kommission nach Artikel 37 mitgeteilt hat. (3) Über den Rechtsbehelf wird nach den Vorschriften entschieden, die für Verfahren mit beiderseitigem rechtlichem Gehör maßgebend sind. (4) Lässt sich die Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, auf das Verfahren vor dem mit dem Rechtsbehelf des Antragstellers befassten Gericht nicht ein, so ist Artikel 11 auch dann anzuwenden, wenn die Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, ihren Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat. (5) Der Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung ist innerhalb von 30 Tagen nach ihrer Zustellung einzulegen. Hat die Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als dem, in dem die Vollstreckbarerklärung ergangen ist, so beträgt die Frist für den Rechtsbehelf 60 Tage und beginnt mit dem Tag, an dem die Vollstreckbarerklärung ihr entweder in Person oder in ihrer Wohnung zugestellt worden ist. Eine Verlängerung dieser Frist wegen weiter Entfernung ist ausgeschlossen.

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Artikel 31h: Rechtsbehelf gegen die Entscheidung über den Rechtsbehelf Gegen die über den Rechtsbehelf ergangene Entscheidung kann nur der Rechtsbehelf eingelegt werden, den der betreffende Mitgliedstaat der Kommission nach Artikel 37 mitgeteilt hat. Artikel 31i: Versagung oder Aufhebung einer Vollstreckbarerklärung Die Vollstreckbarerklärung darf von dem mit einem Rechtsbehelf nach Artikel 31g oder Artikel 31h befassten Gericht nur aus einem der in Artikel 27 aufgeführten Gründe versagt oder aufgehoben werden. Das Gericht erlässt seine Entscheidung unverzüglich. Artikel 31j: Aussetzung des Verfahrens Das nach Artikel 31g oder Artikel 31h mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht setzt das Verfahren auf Antrag des Schuldners aus, wenn die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat wegen der Einlegung eines Rechtsbehelfs vorläufig nicht vollstreckbar ist. Artikel 31k: Einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen (1) Ist eine Entscheidung nach diesem Abschnitt anzuerkennen, so ist der Antragsteller nicht daran gehindert, einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats in Anspruch zu nehmen, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung nach Artikel 31e bedarf. (2) Die Vollstreckbarerklärung umfasst von Rechts wegen die Befugnis, Maßnahmen zur Sicherung zu veranlassen. (3) Solange die in Artikel 31g Absatz 5 vorgesehene Frist für den Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung läuft und solange über den Rechtsbehelf nicht entschieden ist, darf die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners nicht über Maßnahmen zur Sicherung hinausgehen. Artikel 31l: Teilvollstreckbarkeit (1) Ist durch die Entscheidung über mehrere Ansprüche erkannt worden und kann die Vollstreckbarerklärung nicht für alle Ansprüche erteilt werden, so erteilt das Gericht oder die zuständige Behörde sie für einen oder mehrere dieser Ansprüche. (2) Der Antragsteller kann beantragen, dass die Vollstreckbarerklärung nur für einen Teil des Gegenstands der Entscheidung erteilt wird. Artikel 31m: Prozesskostenhilfe Ist dem Antragsteller im Ursprungsmitgliedstaat ganz oder teilweise Prozesskostenhilfe oder Kosten- und Gebührenbefreiung gewährt worden, so genießt er im Vollstreckbarerklärungsverfahren hinsichtlich der Prozesskostenhilfe oder der Kosten- und Gebührenbefreiung die günstigste Behandlung, die das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats vorsieht. Artikel 31n: Keine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung Der Partei, die in einem Mitgliedstaat die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung oder Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung beantragt, darf wegen ihrer Eigenschaft als Ausländer oder wegen Fehlens eines inländischen Wohnsitzes oder Aufenthalts im Vollstreckungsmitgliedstaat eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung, unter welcher Bezeichnung es auch sei, nicht auferlegt werden.

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Parlamentsvorschlag

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Artikel 31o: Keine Stempelabgaben oder Gebühren Im Vollstreckungsmitgliedstaat dürfen in Vollstreckbarerklärungsverfahren keine nach dem Streitwert abgestuften Stempelabgaben oder Gebühren erhoben werden.

Abschnitt 2: Öffentliche Urkunden und gerichtliche Vergleiche Artikel 32: Annahme öffentlicher Urkunden (1) Eine in einem Mitgliedstaat errichtete öffentliche Urkunde hat in einem anderen Mitgliedstaat die gleiche formelle Beweiskraft wie im Ursprungsmitgliedstaat oder die damit am ehesten vergleichbare Wirkung, sofern dies der öffentlichen Ordnung (ordre public) des betreffenden Mitgliedstaats nicht offensichtlich widersprechen würde. Eine Person, die eine öffentliche Urkunde in einem anderen Mitgliedstaat verwenden möchte, kann die Behörde, die die öffentliche Urkunde im Ursprungsmitgliedstaat errichtet, ersuchen, das nach dem Beratungsverfahren nach Artikel 37c Absatz 2 erstellte Formblatt auszufüllen, das die formelle Beweiskraft der öffentlichen Urkunde in ihrem Ursprungsmitgliedstaat beschreibt. (1a) Einwände mit Bezug auf die Authentizität einer öffentlichen Urkunde sind bei den Gerichten des Ursprungsmitgliedstaats zu erheben; über diese Einwände wird nach dem Recht dieses Staates entschieden. Eine öffentliche Urkunde, gegen die solche Einwände erhoben wurden, entfaltet in einem anderen Mitgliedstaat keine Beweiskraft, solange die Sache bei dem zuständigen Gericht anhängig ist. (1b) Einwände mit Bezug auf die in einer öffentlichen Urkunde beurkundeten Rechtsgeschäfte oder Rechtsverhältnisse sind bei den nach dieser Verordnung zuständigen Gerichten zu erheben; über diese Einwände wird nach dem nach Kapitel III anzuwendenden Recht bzw. dem nach Artikel 36 berufenen Recht entschieden. Eine öffentliche Urkunde, gegen die solche Einwände erhoben wurden, entfaltet in einem anderen als dem Ursprungsmitgliedstaat hinsichtlich des bestrittenen Umstands keine Beweiskraft, solange die Sache bei dem zuständigen Gericht anhängig ist. (1c) Hängt die Entscheidung des Gerichts eines Mitgliedstaats von der Klärung einer Vorfrage mit Bezug auf die in einer öffentlichen Urkunde beurkundeten Rechtsgeschäfte oder Rechtsverhältnisse in Güterrechtssachen ab, so ist dieses Gericht zur Entscheidung über diese Vorfrage zuständig. Artikel 33: Vollstreckbarkeit öffentlicher Urkunden (1) Öffentliche Urkunden, die im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sind, werden in einem anderen Mitgliedstaat auf Antrag eines Berechtigten nach dem Verfahren der Artikel 45 bis 58 für vollstreckbar erklärt. (1a) Für die Zwecke des Artikels 31c Absatz 3 Buchstabe b stellt die Behörde, die die öffentliche Urkunde errichtet hat, auf Antrag eines Berechtigten eine Bescheinigung unter Verwendung des nach dem Beratungsverfahren nach Artikel 37c Absatz 2 erstellten Formblatts aus. (2) Die Vollstreckbarerklärung wird von dem mit einem Rechtsbehelf nach Artikel 31g oder Artikel 31h befassten Gericht nur versagt oder aufgehoben, wenn die Vollstreckung der öffentlichen Urkunde der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Vollstreckungsmitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde. Artikel 34: Vollstreckbarkeit gerichtlicher Vergleiche (1) Gerichtliche Vergleiche, die im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sind, werden in einem an-

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deren Mitgliedstaat auf Antrag eines Berechtigten nach dem Verfahren der Artikel 31b bis 31o für vollstreckbar erklärt. (1a) Für die Zwecke des Artikels 31c Absatz 3 Buchstabe b stellt das Gericht, das den Vergleich gebilligt hat oder vor dem der Vergleich geschlossen wurde, auf Antrag eines Berechtigten eine Bescheinigung unter Verwendung des nach dem Beratungsverfahren nach Artikel 37c Absatz 2 erstellten Formblatts aus. (1b) Die Vollstreckbarerklärung wird von dem mit einem Rechtsbehelf nach Artikel 31g oder Artikel 31h befassten Gericht nur versagt oder aufgehoben, wenn die Vollstreckung des gerichtlichen Vergleichs der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Vollstreckungsmitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde.

Kapitel V: Wirkung gegenüber Dritten Artikel 35: Schutz Dritter (1) (…) (2) In einem Rechtsverhältnis zwischen einem Ehegatten und einem Dritten kann sich jedoch keiner der Ehegatten auf das auf den ehelichen Güterstand anzuwendende Recht berufen, wenn der Ehegatte, der in dem Rechtsverhältnis zu dem Dritten steht, und der Dritte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat haben, der nicht derjenige Staat ist, dessen Recht auf den ehelichen Güterstand anzuwenden ist. In diesem Fall ist das Recht des Mitgliedstaats des gewöhnlichen Aufenthalts des betreffenden Ehegatten und des Dritten auf die Wirkungen des ehelichen Güterstands gegenüber dem Dritten anzuwenden. (3) Absatz 2 gilt nicht, wenn a) dem Dritten bekannt war oder hätte bekannt sein müssen, welche Rechtsordnung auf den ehelichen Güterstand anzuwenden ist, oder b) die Anforderungen betreffend die Registrierung oder Publizität des ehelichen Güterstands nach dem Recht des Staats des gewöhnlichen Aufenthalts des Dritten und des Ehegatten, der in dem Rechtsverhältnis zu dem Dritten steht, eingehalten wurden, oder c) bei Geschäften mit unbeweglichen Sachen die Anforderungen betreffend die Registrierung oder Publizität des ehelichen Güterstands in Bezug auf die unbewegliche Sache nach dem Recht des Staats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist, eingehalten wurden.

Kapitel VI: Allgemeine und Schlussbestimmungen Artikel -36: Gewöhnlicher Aufenthalt (1) Für die Zwecke dieser Verordnung ist der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen der Ort ihrer Hauptverwaltung. Als gewöhnlicher Aufenthalt einer natürlichen Person, die im Rahmen der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit handelt, gilt ihre Hauptniederlassung. (2) Wird das Rechtsverhältnis im Rahmen des Betriebs einer Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung begründet oder ist für die Erfüllung gemäß dem Vertrag eine solche Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung verantwortlich, so steht der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts dem Ort gleich, an dem sich die Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung befindet. (3) Für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts ist der Zeitpunkt der Begründung des Rechtsverhältnisses maßgebend.

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Parlamentsvorschlag

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Artikel 36: Verhältnis zu bestehenden internationalen Übereinkünften (…) Artikel 37: Informationen für die Öffentlichkeit und die zuständigen Behörden (1) (…) a) (…) ba) die Namen und Kontaktdaten der für Anträge auf Vollstreckbarerklärung gemäß Artikel 31b Absatz 1 und für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen über derartige Anträge gemäß Artikel 31g Absatz 2 zuständigen Gerichte und Behörden; bb) die in Artikel 31h genannten Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung über den Rechtsbehelf; b) (…) (2) (…) (3) Die Kommission macht die nach den Absätzen 1 und 2 übermittelten Informationen in einfacher Weise und auf geeignetem Wege, insbesondere auf der mehrsprachigen Website des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, öffentlich zugänglich. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Informationen über diese mehrsprachige Website über alle von ihnen eingerichteten offiziellen Websites zugänglich sind, insbesondere durch die Bereitstellung eines Links auf die Website der Kommission. (3a) Die Kommission schafft ein Informations- und Schulungsinstrument für die zuständigen Justizbediensteten und Angehörigen der Rechtsberufe in Form eines in sämtlichen Amtssprachen der EU-Organe verfügbaren interaktiven Internetportals, einschließlich eines Systems für den Austausch von beruflichen Kompetenzen und Fachwissen. Artikel 37a: Erstellung und spätere Änderung der Liste der in Artikel 2 Absatz 1a vorgesehenen Informationen (1) Die Kommission erstellt anhand der Mitteilungen der Mitgliedstaaten die Liste der in Artikel 2 Absatz 1a genannten sonstigen Behörden und Angehörigen von Rechtsberufen. (2) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission spätere Änderungen der in dieser Liste enthaltenen Angaben mit. Die Kommission ändert die Liste entsprechend. (3) Die Kommission veröffentlicht die Liste und etwaige spätere Änderungen im Amtsblatt der Europäischen Union. (4) Die Kommission stellt der Öffentlichkeit alle nach den Absätzen 1 und 2 mitgeteilten Informationen auf andere geeignete Weise, insbesondere über das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen, zur Verfügung. Artikel 37b: Erstellung und spätere Änderung der Bescheinigungen und der Formblätter nach den Artikeln 31c, 32, 33 und 34 Die Kommission erlässt Durchführungsrechtsakte zur Erstellung beziehungsweise späteren Änderung der Bescheinigungen und der Formblätter nach den Artikeln 31c, 32, 33 und 34. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 37c Absatz 2 genannten Beratungsverfahren angenommen. Artikel 37c: Ausschussverfahren (1) Die Kommission wird von einem Ausschuss unterstützt. Dabei handelt es sich um einen Ausschuss im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 182/2011. (2) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gilt Artikel 4 der Verordnung (EU) Nr. 182/ 2011.

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Artikel 38: Revisionsklausel (…) Artikel 39: Übergangsbestimmungen (1) (…) (2) (…) (3) Kapitel III gilt nur für Ehegatten, die nach Beginn der Anwendung dieser Verordnung a) die Ehe eingegangen sind oder b) eine Rechtswahl bezüglich des auf ihren Güterstand anzuwendenden Rechts getroffen haben. Eine Rechtswahlvereinbarung, die vor dem [Zeitpunkt der Anwendung dieser Verordnung] geschlossen wurde, ist ebenfalls wirksam, sofern sie die Voraussetzungen des Kapitels III erfüllt oder sie nach dem – zum Zeitpunkt der Rechtswahl nach den einschlägigen Vorschriften des Internationalen Privatrechts – anzuwendenden Recht wirksam ist. Artikel 40: Inkrafttreten (…)

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B.I.4b Vorschlag vom 16. März 2011 für eine Verordnung über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften, KOM (2011) 127

Schrifttum Buschbaum, Vom Königsweg der Kollisionsrechtsharmonisierung als Leitlinie für das Mehrjahresprogramm für die EU-Ziviljustiz 2015/2020, GPR 2014, 4 Buschbaum/Simon, Die Vorschläge der EU-Kommission zur Harmonisierung des Güterkollisionsrechts für Ehen und Eingetragene Partnerschaften, GPR 2011, 262 (Erster Teil), 305 (Zweiter Teil) Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht (2013) Martiny, Das Grünbuch zum Internationalen Ehegüterrecht – Erste Regelungsvorschläge, FPR 2008, 206

Martiny, Auf dem Weg zu einem europäischen Internationalen Ehegüterrecht, in: FS Jan Kropholler (2008) 373 Martiny, Die Kommissionsvorschläge für das internationale Güterrecht, IPRax 2011, 437 Spernat, Die gleichgeschlechtliche Ehe im Internationalen Privatrecht unter besonderer Berücksichtigung des Einflusses des EG-Vertrages (2011). Wagner, Konturen eines Gemeinschaftsinstruments zum internationalen Güterrecht unter besonderer Berücksichtigung des Grünbuchs der Europäischen Kommission, FamRZ 2009, 269.

Materialien Asser-Institut, Etude sur les régimes matrimoniaux des couples mariés et sur le patrimoine des couples non mariés dans le droit international privé et le droit interne des États membres de l’Union (2003) (zitiert: Studie) Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (European Union Agency for Fundamental Rights – FRA), Opinion of 31.5.2012 on the Proposal for a regulation on jurisdiction, applicable law and the recognition and enforcement of decisions regarding the property consequences of registered partnerships, http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra-opi nion-2012-property-regimes_en.pdf Europäische Kommission, Grünbuch zu den Kollisionsnormen im Güterrecht unter besonderer Berücksichtigung der gerichtlichen Zuständigkeit und der gegenseitigen Anerkennung, 17.7.2006, KOM (2006) 400.

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Europäische Kommission, Document de travail des services de la Commission, Annexe au Livre Vert sur le règlement des conflits de lois en matière de régime matrimonial, traitant notamment de la question de la compétence judiciaire et de la reconnaissance mutuelle, 17.7.2006, SEC(2006) 952 (zit.: Document de travail) Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften, KOM (2011) 127 (zitiert: Verordnungsvorschlag) Europäisches Parlament, Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v 10.9.2013 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen

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im Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften (COM(2011) 127 final), P7_TA(2013)0337 (zitiert: Entschließung) Deutscher Rat für Internationales Privatrecht, Stellungnahme v 27.11.2006 zum Grünbuch der Kommission zu den Kollisionsnormen im Güterrecht

unter besonderer Berücksichtigung der gerichtlichen Zuständigkeit und der gegenseitigen Anerkennung (KOM(2006) 400 endg.) vom 17.7.2006, http://ec.eur opa.eu/justice/news/consulting_public/matrimonial _property/contributions/others/dripr_de.pdf, S 9.

Einführung Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Kollisionsrecht

I. II. III. IV.

1. Rechtswahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2. Objektive Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3. Eingriffsnormen (Art 17 EU-LPGüterVO-E) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

I. Überblick 1 Neben dem EU-EheGüterVO-E1 hat die Kommission am 16.3.2011 einen weiteren Verord-

nungsvorschlag über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften (EU-LP-GüterVO-E) erlassen. Aufgrund der „Besonderheiten der Rechtsinstitute Ehe und eingetragene Partnerschaft und der sich aus diesen Formen des Zusammenlebens ergebenden unterschiedlichen Grundsätze“2 hat sich die Kommission gegen eine Zusammenfassung beider Regelungsmaterien in einem einheitlichen Rechtsakt entschieden. Das durch die Hürde der Einstimmigkeit in Art 81 Abs 3 UAbs 2 AEUV3 ohnehin erschwerte Verfahren wurde durch dieses Vorgehen freilich nicht beschleunigt. Denn es ist nach wie vor das Bestreben der politischen Akteure in Brüssel, die beiden Legislativvorschläge zusammen zu verhandeln.4 Auf diese Weise soll verhindert werden, dass die gegen den EU-LP-GüterstVO-E bestehenden Bedenken nicht zum gänzlichen Scheitern des Vorhabens führen können.5 Diese sind maßgeblich darauf zurückzuführen, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft als Rechtsinstitut in vielen Mitgliedstaaten nach wie vor unbekannt ist.6 Diesem Umstand dürfte die Einführung eines ErwGr 8a (neu) geschuldet sein.7 Darin wird nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass es alleiniger Zweck der Anerkennung einer Entscheidung in einem Mitgliedstaat in Bezug auf die Wirkungen des Güterstands der eingetragenen Partnerschaft ist, „die Durchsetzung der in der Entscheidung festgelegten Wirkungen des Güterstands zu ermöglichen“. Dies bedeute indes in keiner Weise eine Anerkennung der zu dieser Entscheidung führenden Partnerschaft. Mitgliedstaaten, in denen das Institut der einge1 2 3 4 5 6 7

Siehe dazu Rauscher/Kroll-Ludwigs Einf EU-EheGüterVO-E Rn 1 ff. ErwGr 8. Zu Einzelheiten siehe nur Dethloff/Hauschild FPR 2011, 489, 491 ff. Buschbaum GPR 2014, 4, 5. Buschbaum GPR 2014, 4, 5. Siehe zum Rechtsvergleich Dethloff, Familienrecht30 (2012) § 7 Rn 51 ff. Europäisches Parlament, Entschließung (s Materialien).

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Einf EU-LP-GüterVO-E

tragenen Partnerschaft nicht existiere, würden durch eine künftige Verordnung nicht verpflichtet, ein solches Institut zu schaffen. Die Aufnahme einer derartigen Selbstverständlichkeit in den Verordnungstext zeigt, dass die Befürchtungen hinsichtlich eines Scheiterns des EU-LP-GüterVO-E nicht unbegründet sind. Angesichts dieser politischen Hürden für den Gesamterfolg des Verordnungsvorschlags ist vereinzelt bereits der Weg über die verstärkte Zusammenarbeit einzelner Mitgliedstaaten – nach dem Vorbild der Rom III-VO – angeregt worden.8 II. Anwendungsbereich Der Anwendungsbereich des EU-LP-GüterVO-E verläuft weitgehend identisch zu demje- 2 nigen des EU-EheGüterVO-E9. Was den Begriff der „eingetragene Partnerschaft“ angeht, so sind damit gem Art 2 lit b ausschließlich gesetzlich vorgesehene Formen der Lebensgemeinschaft zweier Personen, die durch Eintragung bei einer Behörde begründet werden, gemeint. Der genaue Inhalt des Begriffs der eingetragenen Partnerschaft bestimmt sich dabei nach dem innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten.10 Der in Art 2 lit b verwendete Begriff ist einerseits eng, da rein faktische Lebensgemeinschaften ausgeklammert werden.11 Andererseits wird nicht zwischen gleichgeschlechtlichen und verschiedengeschlechtlichen Partnerschaften unterschieden, so dass etwa auch der französische Pacte civil de solidarité (PACS) erfasst wird.12 III. Verfahrensrecht Die verfahrensrechtlichen Vorschriften des EU-LP-GüterVO-E sind ähnlich ausgestaltet 3 wie im EU-EheGüterVO-E. Auch hier wird grundsätzlich zwischen zwei unterschiedlichen Zeitpunkten, in denen die güterrechtliche Auseinandersetzung eine Rolle spielt, unterschieden: dem Tod eines Partners (Art 3) sowie der Trennung der Partner (Art 4). Ebenso wie im EU-EheGüterVO-E enthält auch Art 3 EU-LP-GüterVO-E eine Zuständigkeitskonzentration mit der EU-ErbVO. Konsequenz ist die Zuständigkeit des Gerichts am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers, wenn nicht auf ein geeigneteres Gericht weiterverwiesen wird.13 Für den Fall der Trennung sieht Art 4 EU-LP-GüterVO-E eine Zuständigkeitskonzentration 4 mit dem Gericht vor, das für die Aufhebung der Lebenspartnerschaft zuständig ist. Dies gilt, ebenso wie in Art 4 EU-EheGüterVO-E, allerdings nur dann, wenn eine entsprechende Vereinbarung der Partner getroffen wurde. Fehlt es an einer derartigen Vereinbarung, so bestimmt sich die Zuständigkeit nach der allgemeinen Vorschrift des Art 5 EU-LP-GüterVO-E (Art 4 Abs 3). In Art 4 Abs 1 EU-LP-GüterVO-E (neu) wird demgegenüber klargestellt, dass eine Zuständigkeitskonzentration nur dann stattfindet, wenn „die Zuständig-

8

9 10 11 12 13

Vgl Hat’apka in: Boele-Woelki/Dethloff (eds), Family Law and Culture in Europe, Developments, Challenges and Opportunities (2014) (im Erscheinen). Vgl dazu im Einzelnen Rauscher/Kroll-Ludwigs Einf EU-EheGüterVO-E Rn 15 ff. ErwGr 10 (neu). Siehe dazu Gonzáles Beilfuss YB PIL 2011, 183, 188 f. Vgl Kohler/Pintens FamRZ 2011, 1433, 1437. Martiny IPRax 2011, 437, 446.

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B.I.4b EU-Lebenspartner-Güterstandsverordnung

keit des betreffenden Gerichts von den Partnern ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt wurde“. 5 Ist kein Gericht nach Maßgabe der Art 3 und 4 EU-LP-GüterVO-E zuständig, so bestimmt

sich die Zuständigkeit nach der Auffangregelung in Art 5 EU-LP-GüterVO-E. Danach sind in erster Linie die Gerichte desjenigen Mitgliedstaates zuständig, in dem die Partner ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben (lit a) bzw. zuletzt hatten, sofern einer von ihnen dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (lit b), bzw. anderenfalls in dem der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (lit c) oder die Partnerschaft eingetragen wurde (lit d). 6 Anders als der EU-EheGüterVO-E sah der EU-LP-GüterVO-E bislang keine Möglichkeit

der Parteien vor, das zuständige Gericht privatautonom durch Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung zu bestimmen. Dies soll sich nach Ansicht des Europäischen Parlaments ändern.14 Die Art 5 Abs 2 (bzw Art 4a neu) EU-EheGüterVO-E entsprechende Regelung sieht vor, dass die Gerichte des Mitgliedstaates, dessen Recht die Partner gem. Art 15b EU-LP-GüterVO-E als das auf ihren partnerschaftlichen Güterstand anzuwendende Sachrecht gewählt haben, für ihren Güterstand betreffende Fragen zuständig sein sollen. Die Regelung stellt mithin eine konsequente Ergänzung der in Art 15b EU-LP-GüterVO-E (neu) nunmehr vorgesehenen Rechtswahlfreiheit der Parteien dar. IV. Kollisionsrecht 1. Rechtswahlfreiheit 7 Die größten Unterschiede zwischen EU-EheGüterVO-E und EU-LP-GüterVO-E bestanden

bislang in der fehlenden Rechtswahlfreiheit eingetragener Lebenspartner sowie der objektiven Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt der Eheleute einerseits und an den Registrierungsort der eingetragenen Partnerschaft andererseits. Insbesondere der erstgenannte Punkt stieß – obwohl in Übereinstimmung mit der Rechtslage in den Mitgliedstaaten – auf vielfache Kritik. Begründet wurde das Verbot der Rechtswahlfreiheit mit den Unterschieden, die hinsichtlich der Rechtsfolgen einer Registrierung einer Lebenspartnerschaft bestehen.15 So entfaltet etwa die eingetragene Lebenspartnerschaft in Deutschland und den Niederlanden eheähnliche Wirkungen, während andere Mitgliedstaaten der Lebenspartnerschaft lediglich gewisse vermögens-, unterhalts- und erbrechtliche Wirkungen beimessen.16 Würde eingetragenen Lebenspartnern Parteiautonomie eröffnet, so könnte dies gleichsam eine Art „law shopping“ begünstigen. Führt man sich vor Augen, dass es in vielen Mitgliedstaaten bereits an der Anerkennung einer solchen Partnerschaft fehlt17, könnte eine Rechtswahl somit zu erheblichen praktischen Problemen führen.18 8 Die Divergenz zwischen den sachrechtlichen Normen betreffend die eingetragene Partner-

schaft allein rechtfertigt aber noch kein Rechtswahlverbot. Dies aus zwei Gründen:19 Zum 14 15 16 17 18

Europäisches Parlament, Entschließung (s Materialien). Vgl dazu Döbereiner MittBayNot 2011, 463, 466 f. Zum Rechtsvergleich siehe Dethloff, Familienrecht § 6 Rn 197 f, § 7 Rn 52 ff. Vgl Deutscher Rat für IPR, Stellungnahme (s Materialien). Darauf verweisend Martiny IPRax 2011, 437, 456.

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einen erfordert die weite Verbreitung und Anerkennung derartiger Rechtsinstitute ebenso wie das Bedürfnis nach Rechtssicherheit gerade die ausdrückliche Schaffung einheitlicher Kollisionsnormen auch in diesem Bereich. Zum anderen spricht die vielfache Anlehnung an die eherechtlichen Vorschriften für einen Gleichlauf auch in kollisionsrechtlicher Hinsicht. Gründe für eine sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung sind insoweit nicht ersichtlich. Um den praktischen Schwierigkeiten einer Rechtswahl durch eingetragene Lebenspartner zu begegnen, hatte der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht vorgeschlagen, eine Auffangklausel zu formulieren.20 Danach sollte für den Fall, dass das gewählte Recht keine Regeln über die eingetragene Partnerschaft kennt, hilfsweise das Recht des Ortes der Eintragung der Partnerschaft anwendbar sein. Darüber hinaus ist von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA)21 in 9 diskriminierungsrechtlicher Hinsicht die Auffassung vertreten worden, dass das Rechtswahlverbot gegen Art 20, 21 GRCh verstoße. Die Agentur beruft sich insoweit maßgeblich auf den Umstand, dass das materielle Güterrecht in den Mitgliedstaaten nicht nur im Hinblick auf eingetragene Lebenspartner, sondern auch auf Ehegatten divergiere. Die erheblicheren Unterschiede im Bereich des Lebenspartnerschaftsrechts würden es aber gerade erfordern, dass den Parteien, die vielfach gar keine Anerkennung ihrer Lebensform erführen, eine möglichst weitgehende Parteiautonomie eingeräumt würde. Schließlich sei zu bedenken, dass „the specific role of the EU legislator with regard to objectives such as the promotion of free movement and the fundamental rights of citizens would seem to call for an approach that provides more rather than less flexibility when it comes to the choice of law“. Das Europäische Parlament ist der Auffassung der FRA gefolgt und schlägt mit Art 15 b 10 (neu) EU-LP-GüterVO-E nunmehr eine Vorschrift zur Einführung einer beschränkten Rechtswahlfreiheit für eingetragene Partner vor. Auf diese Weise solle diesen die Verwaltung ihres Vermögens erleichtert werden.22 Für den Fall, dass das gewählte Recht das Institut der eingetragenen Partnerschaft nicht kennt, spricht sich das EP allerdings dafür aus, dass die Rechtswahl schlicht „ins Leere geht“, so dass es bei der objektiven Anknüpfung bleibt. Dieses Ergebnis wird nicht etwa mithilfe einer Auffangklausel nach Maßgabe des Deutschen Rats für IPR, sondern durch den Zusatz in Art 15b EU-LP-GüterVO-E (neu) verwirklicht, dass eine Rechtswahl nur dann in Betracht kommt, wenn das gewählte Recht das Rechtsinstitut der eingetragenen Partnerschaft kennt. Zudem wird in Art 15b Abs 2 EU-LPGüterVO-E nochmals ausdrücklich klargestellt, dass sich das anwendbare Recht in diesem Fall nach der objektiven Anknüpfung in Art 15 richtet. Ebenso wie in Art 16 EU-EheGüterVO-E ist die Rechtswahlfreiheit der Lebenspartner be- 11 grenzt auf die Wahl bestimmter Rechtsordnungen, nämlich das Recht des Staates, in dem die Partner oder künftigen Partner oder einer von ihnen zum Zeitpunkt der Vereinbarung seinen gewöhnlichen Aufenthalt haben/hat (lit a) oder das Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit einer der (künftigen) Partner zum Zeitpunkt der Vereinbarung besitzt (lit b) oder das Recht des Staates, in dem die Partnerschaft eingetragen ist (lit c). Die Rechtswahl 19 20 21 22

Zum Folgenden Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 530 f. Vgl. Deutscher Rat für IPR, Stellungnahme (s Materialien), S 13. FRA, opinion (s Materialien). ErwGr 8 (neu).

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B.I.4b EU-Lebenspartner-Güterstandsverordnung

entfaltet grundsätzlich Wirkungen ex nunc; vereinbaren die Partner etwas anderes, wird weder die Gültigkeit früherer Rechtshandlungen noch die Rechte Dritter beeinträchtigt (Art 15b Abs 5 EU-LP-GüterVO-E). 12 Was die Wirksamkeit der Rechtswahl angeht, so erfordert Art 15b EU-LP-GüterVO-E

(neu), dass die Partner nachweisen müssen, dass sie sich vor Abschluss der Rechtswahl im Hinblick auf die Rechtsfolgen haben beraten lassen. Dieses Erfordernis entfällt nur dann, wenn bereits die für die Rechtswahl geltenden zusätzlichen nationalen Formvorschriften diese Beratung sicherstellen. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass „dem besonderen Rechtsschutzbedürfnis“23 eingetragener Lebenspartner Rechnung getragen wird. Dies könne am besten durch die für die Rechtswahl geltenden zusätzlichen Formvorschriften, die, insbesondere durch die öffentliche Beurkundung, die Beratung der Lebenspartner garantieren, verwirklicht werden.24 Die Vorschrift muss freilich verwundern, wird dem Schutz der schwächeren Vertragspartei bei Eheleuten doch in erster Linie bereits mithilfe klassischer Formerfordernisse, wie der Einhaltung der Schriftform, entsprochen.25 Lediglich Art 8 Abs 5 HUntStProt 2007 sieht die Durchführung einer gerichtlichen Inhaltskontrolle von Rechtswahlklauseln vor, die entfällt, wenn die Eheleute im Zeitpunkt der Rechtswahl umfassend unterrichtet und sich der Folgen ihrer Wahl vollständig bewusst waren (HS 2). Auf diese Weise kann eine Partei vor den unvorhergesehenen Folgen einer Rechtswahl geschützt werden, über die sie nicht informiert war und die sie in ihre Vertragsentscheidung nicht einbezogen hat.26 Ob vor diesem Hintergrund eine derartige generelle Beratungspflicht gem Art 15b EU-LP-GüterVO-E hinsichtlich des Abschlusses von Rechtswahlvereinbarungen eingetragener Lebenspartner sinnvoll ist, darf bezweifelt werden. Insoweit bleibt zum einen völlig unklar, auf welche Weise – anwaltlich oder notariell – eine derartige Beratung erfolgen soll. Zum anderen ist auf die erheblichen Unterschiede in der Ausgestaltung der notariellen Befugnisse in Europa zu verweisen. 13 In formeller Hinsicht entspricht Art 16a Abs 1 EU-LP-GüterVO-E (neu) zunächst der

Parallelvorschrift in Art 19 Abs 1 EU-EheGüterVO-E, wonach die Rechtswahl zumindest schriftlich erfolgen muss, zu datieren und von den Ehegatten zu unterzeichnen ist. Des Weiteren bestimmt Art 16a Abs 2 EU-LP-GüterVO-E (neu), dass die Rechtswahlvereinbarung die Formvorschriften des auf den Güterstand der eingetragenen Lebenspartnerschaft anzuwendenden Rechts oder des Rechts des Staates, in dem die Vereinbarung geschlossen wurde, zu erfüllen hat. Sieht jedoch das Recht des Staates, in dem beide Partner zum Zeitpunkt der Vereinbarung ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, zusätzliche Formvorschriften für diese Art der Vereinbarung oder anderenfalls für den Ehevertrag vor, so sind diese Formvorschriften anzuwenden (Abs 3). Diese beiden Absätze wurden wortwörtlich aus Art 19 EU-EheGüterVO-E entnommen, ergeben mit Blick auf eingetragene Lebenspartner indes keinen rechten Sinn. Denn „diese Art der Vereinbarung“ ist auch in denjenigen Mitgliedstaaten, die das Rechtsinstitut der eingetragenen Lebenspartnerschaft anerkennen, unbekannt. Auch der Verweis auf den „Ehevertrag“ ist in diesem Kontext zumindest missverständlich. 23 24 25

26

ErwGr 18 (neu). ErwGr 18 (neu). Zu den anderen Unionsakten im Familien- und Erbrecht siehe Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 481 ff. So Rauscher/Andrae Art 8 HUntStProt Rn 27.

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Einführung

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2. Objektive Anknüpfung Gem Art 15 EU-LP-GüterVO-E wird – in Übereinstimmung mit der geltenden Rechtslage 14 in den meisten Mitgliedstaaten27 – unwandelbar an das Recht am Registrierungsort angeknüpft. Auf diese Weise wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das Rechtsinstitut der eingetragenen Lebenspartnerschaft in fünfzehn Mitgliedstaaten nach wie vor unbekannt ist, so dass eine Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt (oder die Staatsangehörigkeit) daher vielfach ins Leere gehen würde.28 Dessen ungeachtet spricht sich das Europäische Parlament29 für die primäre Anknüpfung an 15 den gewöhnlichen Aufenthalt an. Gem Art 15 Abs 1 EU-LP-GüterVO-E (neu) unterliegt der Güterstand der eingetragenen Partnerschaft – mangels Rechtswahl – dem Recht des Staates, in die Partner zum Zeitpunkt der Begründung der Partnerschaft ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben bzw. nach der Begründung hatten (lit a) bzw. dessen Staatsangehörigkeit beide Partner zu diesem Zeitpunkt besitzen (lit b) bzw. mit dem die Partner unter Berücksichtigung aller Umstände zum Zeitpunkt der Begründung der Partnerschaft gemeinsam am engsten verbunden sind (lit c) bzw. in dem die Partnerschaft eingetragen ist (lit d). Der oben genannten Problematik, dass die eingetragene Partnerschaft als Rechtsinstitut nach dem insoweit anwendbaren Recht möglicherweise unbekannt ist, soll dadurch begegnet werden, dass Art 15 Abs 1 lit a-c EU-LP-GüterVO-E (neu) nur dann Anwendung findet, wenn das betreffende Recht das Institut der eingetragenen Partnerschaft kennt (Art 15 Abs 2 EU-LP-GüterVO-E neu). In diesem Fall greift mithin die Auffangklausel des Art 15 Abs 1 lit d EU-LP-GüterVO-E ein, wonach das Recht am Registrierungsort maßgeblich ist. Auch das Problem mehrfacher Staatsangehörigkeiten der Partner wird geregelt: So bestimmt Art 15 Abs 3 EU-LP-GüterVO-E, dass die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit gem Art 15 Abs 1 lit b EU-LP-GüterVO-E keine Anwendung findet, wenn die Partner mehr als eine gemeinsame Staatsangehörigkeit haben. Auch in diesem Fall bleibt es, mangels gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts, bei der Anknüpfung an das Recht am Registrierungsort. Der vorgeschlagenen Neuregelung ist zugute zu halten, dass auf diese Weise ein Gleichlauf 16 mit dem objektiven Anknüpfungssystem des EU-EheGüterVO-E und damit eine – kollisionsrechtliche – Gleichbehandlung von Ehen und eingetragenen Partnerschaften geschaffen wird.30 Auch fügt sich Art 15 EU-LP-GüterVO-E in das System der anderen familien- und dem erbrechtlichen Unionsrechtsakte ein, in denen ein Wandel vom Staatsangehörigkeitszum Aufenthaltsprinzip vollzogen wird.31 Damit wird den Interessen des mobilen Unionsbürgers an einer flexiblen Anknüpfung, die sich seinen wechselnden individuellen Umständen anpasst, entsprochen.32 Darüber hinaus führt das Aufenthaltsprinzip in Verbindung mit den korrespondierenden Zuständigkeitsvorschriften vielfach zu einem Gleichlauf von Gerichtsstand und anwendbarem Recht.33 Aus Gründen der Rechtssicherheit und des Ver27 28 29 30 31 32 33

Vgl MünchKommBGB6/Coester Art 17b EGBGB Rn 8 f; Spernat, Gleichgeschlechtliche Ehe, S 95 ff. Vgl dazu MünchKommBGB6/Coester Art 17b EGBGB Rn 21; Gonzáles Beilfuss YB PIL 2011, 183, 184. Europäisches Parlament, Entschließung (s Materialien). Siehe dazu Deutscher Rat für IPR, Stellungnahme (s Materialien), S 9, 13. Vgl Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 99 ff. Vgl Rauscher/Kroll-Ludwigs Einf EU-EheGüterVO-E Rn 64. Vgl Rauscher/Kroll-Ludwigs Einf EU-EheGüterVO-E Rn 64.

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trauensschutzes spricht sich das Europäische Parlament34 – nach dem Vorbild des EU-EheGüterVO-E für eine unwandelbare Anknüpfung an den ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Partner aus. Damit werden nicht nur die dem Wandelbarkeitsprinzip notwendigerweise innewohnenden Nachteile vermieden35; in Verbindung mit der neu zu schaffenden Rechtswahlmöglichkeit in Art 15b EU-LP-GüterVO-E bleibt es den Parteien zudem auch unbenommen, auf eine Anpassung veränderter Umstände zu reagieren. 3. Eingriffsnormen 17 Ebenso wie in Art 22 EU-EheGüterVO-E, enthält auch Art 17 EU-LP-GüterVO-E eine

Vorschrift zur Berücksichtigung von Eingriffsnormen, d.h. solchen zwingenden Vorschriften, „deren Einhaltung von einem Mitgliedstaat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Ordnung, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den ehelichen Güterstand anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden sind, die in ihren Anwendungsbereich fallen“. Ebenso wie in Art 22 EU-EheGüterVO-E ist diese Definition an Art 9 Abs 1 Rom I-VO angelehnt. Zu beachten ist freilich, dass Eingriffsnormen im Bereich des Familien- und Erbrechts, d.h. genuin individualschützender Materien, einen Fremdkörper darstellen.36 Ihre Legitimation ist daher fraglich. Dies gilt mit Blick auf den EU-LP-GüterVO-E umso mehr, als nicht erkennbar ist, welchen Anwendungsbereich die Vorschrift haben sollte. Was Art 22 EU-EheGüterVO-E angeht, ist insoweit auf die mitgliedstaatlichen Normen zum Schutz der Ehewohnung verwiesen worden.37 Ein derartiges Anwendungsfeld erscheint mit Blick auf eingetragene Lebenspartner indes fernliegend. 18 Ebenso wie im Hinblick auf Art 22 EU-EheGüterVO-E, befürwortet das Europäische Par-

lament38 auch für Art 17 EU-LP-GüterVO-E eine Neufassung dahingehend, dass Eingriffsnormen solche Vorschriften sind, „deren Nichtbeachtung mit der öffentlichen Ordnung („ordre public“) des betroffenen Mitgliedstaats offensichtlich unvereinbar wäre“. Dabei sollen die zuständigen Behörden den ordre public-Vorbehalt nicht so auslegen, dass er gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union39, insbesondere gegen ihren Art 21, der jede Form der Diskriminierung untersagt, verstößt. Des Weiteren wird klargestellt, dass durch die Verordnung nicht die Anwendung der Eingriffsnormen des Rechts des angerufenen Gerichts einschränkt werden sollen. 19 Die Neufassungen von Art 22 EU-EheGüterVO-E und Art 17 EU-LP-GüterVO-E werfen

freilich mehrere Probleme auf.40 Diese liegen insbesondere darin begründet, dass unklar ist, ob die Vorschrift als weitere ordre public-Klauseln verstanden werden sollen. Zudem ist zu beachten, dass sich der Vorbehalt zugunsten der öffentlichen Ordnung einerseits und die Anwendung von Eingriffsnormen andererseits in ihrer Rechtsnatur wesentlich unterscheiden41: Denn der ordre public-Vorbehalt ist auf die Abwehr der anwendbaren Vorschriften 34 35 36 37 38 39 40

Europäisches Parlament, Entschließung (s Materialien). Vgl Rauscher/Kroll-Ludwigs Einf EU-EheGüterVO-E Rn 68 ff. Vgl dazu im Einzelnen Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 560 ff. Vgl Europäische Kommission, Verordnungsvorschlag (s Materialien), S 9. Vgl Europäisches Parlament, Entschließung (s Materialien). ABl EU. 2010 C 83/389. Vgl schon Rauscher/Kroll-Ludwigs Einf EU-EheGüterVO-E Rn 79 ff.

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fremden Rechts gerichtet42 und verhilft auf diese Weise den Rechtsanwendungsinteressen des Forums zur Durchsetzung. Eingriffsnormen haben dagegen die Funktion, bestimmte Teile der inländischen Rechtsordnung von vornherein nicht in den Anwendungsbereich der Kollisionsnormen fallen zu lassen und setzen demnach bereits auf der ersten Stufe, dem Anknüpfungsvorgang an. In dogmatischer Hinsicht vermögen die Vorschriften der Art 22 EU-EheGüterVO-E und Art 17 EU-LP-GüterVO-E demnach nicht zu überzeugen.43

Text des Verordnungsvorschlags: Der gegenwärtige Stand des Verfahrens wird repräsentiert durch den Kommissionsvorschlag vom 16.3.2011 sowie den in wesentlichen Punkten hiervon abweichenden Vorschlag des Europäischen Parlaments vom 10.9.2013. Beide Texte sind nachfolgend abgedruckt. a) Kommissionsvorschlag KOM (2011) 127 DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION – gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 81 Absatz 3, auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, nach Stellungnahme des Ausschusses der Regionen, gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren, in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist, zu erhalten und weiterzuentwickeln. Zum schrittweisen Aufbau eines solchen Raums muss die Union im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, die einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen, Maßnahmen erlassen. (2) Auf seiner Tagung vom 15./16. Oktober 1999 in Tampere hat der Europäische Rat den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Urteilen und anderen Entscheidungen von Justizbehörden als Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen unterstützt und den Rat und die Kommission ersucht, ein Maßnahmenprogramm zur Umsetzung dieses Grundsatzes anzunehmen. (3) Daraufhin hat der Rat am 30. November 2000 das Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen angenommen. In diesem Programm sind Maßnahmen zur Harmonisierung der Kollisionsnormen aufgeführt, die die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen vereinfachen sollen. Darin vorgesehen ist auch die Ausarbeitung eines oder mehrerer Rechtsinstrumente über die Anerkennung von Entscheidungen über eheliche Güterstände und die vermögensrechtlichen Folgen der Trennung von nicht verheirateten Paaren. 41 42

43

Vgl zum Ganzen Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie (2013) S 510 f. Dazu Kuckein, Die „Berücksichtigung“ von Eingriffsnormen im deutschen und englischen internationalen Vertragsrecht (2008) S 55. Vgl dazu auch Rauscher/Kroll-Ludwigs Einf EU-EheGüterVO-E Rn 79 ff.

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(4) Auf seiner Tagung in Brüssel vom 4./5. November 2004 beschloss der Europäische Rat ein neues Programm mit dem Titel „Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union“. In diesem Programm ersuchte der Rat die Kommission um Vorlage eines Grünbuchs über die Regelung des Kollisionsrechts im Bereich des ehelichen Güterstands, einschließlich der Frage der Zuständigkeit und der gegenseitigen Anerkennung. Dem Programm zufolge soll bis 2011 eine Regelung in diesem Bereich erlassen werden. (5) Am 17. Juli 2006 nahm die Kommission daraufhin ein Grünbuch zu den Kollisionsnormen im Güterrecht unter besonderer Berücksichtigung der gerichtlichen Zuständigkeit und der gegenseitigen Anerkennung an. Auf der Grundlage dieses Grünbuchs fand eine umfassende Konsultation zu den Problemen statt, die sich im europäischen Kontext bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung stellen, sowie zu den Möglichkeiten, wie sich diese Probleme rechtlich lösen lassen. Im Grünbuch wurden auch sämtliche Fragen des Internationalen Privatrechts behandelt, die sich Paaren stellen, die in einer anderen Form der Lebensgemeinschaft als der Ehe zusammenleben, insbesondere Fragen, die speziell für eingetragene Partnerschaften von Belang sind. (6) Im Stockholmer Programm von 2009, in dem das Arbeitsprogramm der Kommission für die Jahre 2010 bis 2014 festgelegt ist, heißt es, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung auch auf die vermögensrechtlichen Folgen der Trennung ausgeweitet werden sollte. (7) In ihrem „Bericht über die Unionsbürgerschaft 2010 – Weniger Hindernisse für die Ausübung von Unionsbürgerrechten“ vom 27. Oktober 2010 kündigte die Kommission die Vorlage eines Legislativvorschlags an, der Hindernisse für die Freizügigkeit und insbesondere die Schwierigkeiten überwinden soll, mit denen Paare bei der Verwaltung ihres Vermögens oder bei dessen Teilung konfrontiert sind. (8) Aufgrund der Besonderheiten der Rechtsinstitute Ehe und eingetragene Partnerschaft und der sich aus diesen Formen des Zusammenlebens ergebenden unterschiedlichen Grundsätze, die für sie maßgebend sind, ist es gerechtfertigt, die vermögensrechtlichen Aspekte der Ehe und der eingetragenen Partnerschaft gesondert zu regeln; Letztere sind Gegenstand dieser Verordnung. (9) Die nichtehelichen Lebensgemeinschaften sind im Recht der Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgestaltet. Es ist zu unterscheiden zwischen einer Lebensgemeinschaft, die bei einer Behörde als Partnerschaft eingetragen ist, und einer nicht eingetragenen Lebensgemeinschaft. Auch wenn nicht eingetragene Lebensgemeinschaften in manchen Mitgliedstaaten gesetzlich geregelt sind, müssen sie von eingetragenen Partnerschaften unterschieden werden, die aufgrund der für sie geltenden Formerfordernisse in einem Rechtsakt der Europäischen Union, der ihren Besonderheiten Rechnung trägt, geregelt werden können. Es gilt, im Interesse eines reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts die Hindernisse für die Freizügigkeit von Personen, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben, zu beseitigen; hierzu zählen insbesondere die Schwierigkeiten, mit denen diese Paare bei der Verwaltung ihres Vermögens oder bei dessen Teilung konfrontiert sind. Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es einer Verordnung, in der die Bestimmungen über die gerichtliche Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Güterrechtssachen sowie über die vermögensrechtlichen Wirkungen eingetragener Partnerschaften gegenüber Dritten in einem einzigen Rechtsakt zusammengefasst sind. (10) Diese Verordnung regelt güterrechtliche Fragen, die sich im Zusammenhang mit eingetragenen Partnerschaften stellen. Der Begriff der eingetragenen Partnerschaft ist nur so weit definiert, wie dies für die Zwecke dieser Verordnung erforderlich ist. Der genaue Inhalt dieses Begriffs bestimmt sich nach dem innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten. (11) Der Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich auf alle zivilrechtlichen Aspekte der

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vermögensrechtlichen Wirkungen eingetragener Partnerschaften erstrecken und sowohl die Verwaltung des Vermögens des Paares im Alltag betreffen als auch die güterrechtliche Auseinandersetzung infolge der Trennung des Paares oder des Todes eines Partners. Die Unterhaltspflichten im Verhältnis der eingetragenen Partner untereinander sind Gegenstand der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen und sollten daher vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden ebenso wie Fragen, die die Gültigkeit und Wirkungen unentgeltlicher Zuwendungen betreffen, die in der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht geregelt sind. Nach dem Vorbild der Verordnung (EU) Nr. …/… [des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses] sollten vom Anwendungsbereich dieser Verordnung auch Fragen ausgenommen werden, die die Art der im innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten vorkommenden dinglichen Rechte betreffen, sowie Fragen, die mit der Publizität dieser Rechte zusammenhängen. Somit können die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem sich Vermögensgegenstände eines oder beider Partner befinden, sachenrechtliche Maßnahmen veranlassen wie die Eintragung der Übertragung dieser Gegenstände in ein öffentliches Register, wenn das Recht dieses Mitgliedstaats eine solche Eintragung vorsieht. Im Interesse einer geordneten Rechtspflege und zur Erleichterung der güterrechtlichen Auseinandersetzung eingetragener Partnerschaften infolge des Todes eines Partners sollten die durch den Todesfall eingetretenen vermögensrechtlichen Wirkungen solcher Partnerschaften von den Gerichten des Mitgliedstaats geregelt werden, die für die Abwicklung des Nachlasses des verstorbenen Partners nach der Verordnung (EU) Nr. …/… [des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses] zuständig sind. In gleicher Weise sollte es auf der Grundlage dieser Verordnung möglich sein, die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats, die mit einem Antrag auf Aufhebung oder Ungültigerklärung einer eingetragenen Partnerschaft befasst sind, mit Zustimmung der Partner auf die hieraus resultierenden vermögensrechtlichen Wirkungen der Partnerschaft auszuweiten. In allen anderen Fällen sollte die Verordnung die territoriale Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats für güterrechtliche Fragen bei eingetragenen Partnerschaften anhand einer hierarchisch gegliederten Liste von Anknüpfungspunkten zulassen, die eine enge Verbindung zwischen den Partnern und dem Mitgliedstaat, dessen Gerichte zuständig sind, gewährleisten. Diesen Gerichten mit Ausnahme der Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die Partnerschaft eingetragen wurde, wird die Möglichkeit zugebilligt, sich für unzuständig zu erklären, wenn ihr innerstaatliches Recht das Institut der eingetragenen Partnerschaft nicht vorsieht. Für den Fall, dass kein Gericht aufgrund der übrigen Bestimmungen dieser Verordnung zuständig ist, wird eine subsidiäre Zuständigkeit eingeführt, um Situationen vorzubeugen, in denen eine Rechtsverfolgung nicht möglich ist. Im Interesse einer geordneten Rechtspflege ist zu vermeiden, dass in zwei Mitgliedstaaten Entscheidungen ergehen, die miteinander unvereinbar sind. Hierzu sollte die Verordnung allgemeine Verfahrensvorschriften nach dem Vorbild der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vorsehen.

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(18) Um eingetragenen Partnern die Verwaltung ihres Vermögens zu erleichtern, sollte das Recht des Staates, in dem die Partnerschaft eingetragen wurde, auf das gesamte Vermögen der Partner Anwendung finden, auch wenn es nicht das Recht eines Mitgliedstaats ist. (19) Um den Gerichten eines Mitgliedstaats die Anwendung des Rechts eines anderen Mitgliedstaats zu erleichtern, kann das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen, das mit Entscheidung 2001/470/EG des Rates vom 28. Mai 2001 eingerichtet wurde, den Gerichten dabei helfen, sich mit dem ausländischen Recht vertraut zu machen. (20) Aus Gründen des öffentlichen Interesses kann es im Ausnahmefall gerechtfertigt sein, dass sich die Gerichte der Mitgliedstaaten auf Eingriffsnormen berufen, wenn deren Beachtung für die Wahrung der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Ordnung der betreffenden Staaten notwendig ist. In gleicher Weise sollte den Gerichten der Mitgliedstaaten im Ausnahmefall die Möglichkeit gegeben werden, die Anwendung ausländischen Rechts in einer bestimmten Sache zu versagen, wenn seine Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar wäre. (21) Die Gerichte sollten Eingriffsnormen und den Ordre-public-Vorbehalt allerdings nicht anwenden dürfen, um die Anwendung des Rechts eines anderen Mitgliedstaats oder die Anerkennung oder die Vollstreckung einer Entscheidung, einer öffentlichen Urkunde oder eines gerichtlichen Vergleichs aus einem anderen Mitgliedstaat zu versagen, wenn die Anwendung des Ordrepublic-Vorbehalts gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere gegen das Diskriminierungsverbot in Artikel21, verstoßen würde. Außerdem sollten diese Gerichte die Anwendung des für eingetragene Partnerschaften geltenden Rechts nicht allein deshalb versagen dürfen, weil ihr Recht das Institut der eingetragenen Partnerschaft nicht kennt. (22) Es sollte festgelegt werden, inwieweit die Verordnung in den Staaten mit mehreren Gebietseinheiten, in denen die in dieser Verordnung behandelten Fragen durch zwei oder mehr Rechtssysteme oder Regelwerke geregelt werden, Anwendung findet. (23) Da die gegenseitige Anerkennung der in den Mitgliedstaaten ergangenen Entscheidungen zu den Zielen dieser Verordnung gehört, sollten Vorschriften für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen nach dem Vorbild der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vorgesehen werden, die gegebenenfalls an die besonderen Anforderungen des hier behandelten Rechtsgebiets anzupassen sind. Die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung, die ganz oder teilweise auf die vermögensrechtlichen Aspekte einer eingetragenen Partnerschaft gerichtet ist, darf somit nicht in einem Mitgliedstaat versagt werden, dessen innerstaatliches Recht das Institut der eingetragenen Partnerschaft nicht kennt oder andere vermögensrechtliche Wirkungen damit verbindet. (24) Um den verschiedenen Verfahren zur Regelung güterrechtlicher Fragen eingetragener Partnerschaften in den Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen, sollte diese Verordnung die Anerkennung und Vollstreckung öffentlicher Urkunden gewährleisten. Öffentliche Urkunden können allerdings bezüglich ihrer Anerkennung gerichtlichen Entscheidungen nicht völlig gleichgestellt werden. Die Anerkennung öffentlicher Urkunden bedeutet, dass diese Urkunden hinsichtlich ihres Inhalts die gleiche Beweiskraft und die gleichen Wirkungen wie im Ursprungsmitgliedstaat haben und für sie die – widerlegbare – Vermutung der Rechtsgültigkeit gilt. (25) Die Rechtsbeziehungen zwischen einem eingetragenen Partner und einem Dritten unterliegen zwar dem auf den Güterstand der eingetragenen Partnerschaft anzuwendenden Sachrecht, doch sollten die Bedingungen, unter denen dieses Sachrecht Dritten entgegengehalten werden kann, durch das Recht des Mitgliedstaats geregelt werden können, in dem sich der gewöhnliche Aufenthalt des Partners oder des Dritten befindet, um den Schutz des Letzteren zu gewährleisten. Das Recht dieses Mitgliedstaats könnte demnach vorsehen, dass der eingetragene

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Partner das auf seinen Güterstand anzuwendende Sachrecht dem betreffenden Dritten nur entgegenhalten kann, wenn die in diesem Mitgliedstaat geltenden Registrierungs- oder Publizitätspflichten eingehalten wurden, es sei denn, der Dritte hatte von dem auf den Güterstand anzuwendenden Sachrecht Kenntnis oder hätte davon Kenntnis haben müssen. Um die internationalen Verpflichtungen, die die Mitgliedstaaten eingegangen sind, zu wahren, darf sich die Verordnung nicht auf internationale Übereinkünfte auswirken, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme dieser Verordnung angehören. Um die allgemeinen Ziele dieser Verordnung zu wahren, muss die Verordnung jedoch im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten Vorrang vor den Übereinkünften haben. Da die Ziele dieser Verordnung, nämlich die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union, die Möglichkeit für eingetragene Partner, ihre vermögensrechtlichen Beziehungen untereinander sowie gegenüber Dritten während ihres Zusammenlebens sowie zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung ihres Vermögens zu regeln, und eine größere Planungs- und Rechtssicherheit, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht hinreichend verwirklicht, sondern wegen des Umfangs und der Wirkungen einer Verordnung besser auf Ebene der Europäischen Union erreicht werden können, darf die Europäische Union entsprechend dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Verordnung nicht über das für die Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus. Diese Verordnung achtet die Grundrechte und Grundsätze, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden, namentlich die Artikel 7, 9, 17, 21 und 47 über das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, das nach einzelstaatlichem Recht geschützte Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen, das Recht auf Eigentum, das Diskriminierungsverbot und das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Bei der Anwendung dieser Verordnung müssen die Gerichte der Mitgliedstaaten diese Rechte und Grundsätze achten. Gemäß den Artikeln 1 und 2 des Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Anhang zum Vertrag über die Europäische Union und zum Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union [haben das Vereinigte Königreich und Irland schriftlich mitgeteilt, dass sie sich an der Annahme und der Anwendung dieser Verordnung beteiligen möchten]/[beteiligen sich das Vereinigte Königreich und Irland unbeschadet des Artikels 4 des Protokolls nicht an der Annahme dieser Verordnung, die daher für sie weder bindend noch ihnen gegenüber anwendbar ist]. Dänemark beteiligt sich gemäß den Artikeln 1 und 2 des Protokolls über die Position Dänemarks im Anhang zum Vertrag über die Europäische Union und zum Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht an der Annahme dieser Verordnung, die folglich für Dänemark weder bindend noch diesem Staat gegenüber anwendbar ist –

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HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen Artikel 1: Anwendungsbereich (1) Diese Verordnung findet auf die vermögensrechtlichen Aspekte eingetragener Partnerschaften Anwendung. Sie gilt insbesondere nicht für Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten. (2) In dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck „Mitgliedstaat“ alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks[, des Vereinigten Königreichs und Irlands]. (3) Vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen sind: a) die personenbezogenen Wirkungen der eingetragenen Partnerschaft, b) die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit der Partner, c) die Unterhaltspflichten, d) die unentgeltlichen Zuwendungen zwischen Partnern, e) die Nachlassansprüche des überlebenden Partners, f) Gesellschaften zwischen Partnern, g) die Art der dinglichen Rechte an einem Gegenstand und die Publizität dieser Rechte. Artikel 2: Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck a) „Güterstand“ sämtliche vermögensrechtlichen Regelungen, die im Verhältnis der Partner untereinander sowie zwischen ihnen und Dritten gelten und die sich unmittelbar aus der Eintragung der Partnerschaft ergeben; b) „eingetragene Partnerschaft“ eine gesetzlich vorgesehene Form der Lebensgemeinschaft zweier Personen, die durch Eintragung bei einer Behörde begründet wird; c) „öffentliche Urkunde“ ein Schriftstück, das als öffentliche Urkunde errichtet oder eingetragen worden ist und dessen Beweiskraft i) sich auf die Unterschrift und den Inhalt der öffentlichen Urkunde bezieht und ii) durch eine Behörde oder eine andere vom Ursprungsmitgliedstaat hierzu ermächtigte Stelle festgestellt worden ist; d) „Entscheidung“ jede Entscheidung, die von einem Gericht eines Mitgliedstaats in einer eine eingetragene Partnerschaft betreffenden Güterrechtssache erlassen wird, ungeachtet ihrer Bezeichnung wie „Urteil“, „Beschluss“ oder „Vollstreckungsbescheid“ einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten; e) „Ursprungsmitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, in dem die Entscheidung erlassen, der Partnerschaftsvertrag geschlossen, die öffentliche Urkunde errichtet wurde oder in dem die Auseinandersetzung des gemeinsamen Vermögens oder eine andere Handlung erfolgt ist, die von oder vor einer Justizbehörde oder von oder vor einer Stelle oder Person vorgenommen wurde, die von einer Justizbehörde im Wege einer allgemeinen oder speziellen Befugnisübertragung hierzu ermächtigt worden ist; f) „ersuchter Mitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung und/oder Vollstreckung der Entscheidung, des Partnerschaftsvertrags, der öffentlichen Urkunde, der Auseinandersetzung des gemeinsamen Vermögens oder einer anderen Handlung beantragt wird, die von oder vor einer Justizbehörde oder von oder vor einer Stelle oder Person vorgenommen wurde, die von

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einer Justizbehörde im Wege einer allgemeinen oder speziellen Befugnisübertragung hierzu ermächtigt worden ist; g) „Gericht“ jede zuständige Justizbehörde eines Mitgliedstaats, die gerichtliche Aufgaben im Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften wahrnimmt, sowie jede andere nichtgerichtliche Stelle oder Person, die von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats im Wege einer allgemeinen oder speziellen Befugnisübertragung mit der Ausübung gerichtlicher Aufgaben, wie sie in dieser Verordnung vorgesehen sind, betraut worden ist; h) „gerichtlicher Vergleich“ einen von einem Gericht gebilligten oder vor einem Gericht im Laufe eines Verfahrens geschlossenen Vergleich über den Güterstand einer eingetragenen Partnerschaft.

Kapitel II: Zuständigkeit Artikel 3: Zuständigkeit im Fall des Todes eines Partners (1) Das Gericht eines Mitgliedstaats, das mit einem Antrag im Zusammenhang mit dem Nachlass eines Partners nach der Verordnung (EU) Nr …./… [des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses] befasst ist, ist auch für güterrechtliche Fragen in Verbindung mit dem Antrag zuständig. (2) Das Gericht kann sich für unzuständig erklären, wenn sein Recht das Institut der eingetragenen Partnerschaft nicht kennt. Das zuständige Gericht wird dann nach Artikel 5 bestimmt. Artikel 4: Zuständigkeit im Fall der Trennung Das Gericht eines Mitgliedstaats, das mit einem Antrag auf Aufhebung oder Ungültigerklärung einer eingetragenen Partnerschaft befasst ist, ist im Falle einer entsprechenden Vereinbarung der Partner auch für güterrechtliche Fragen in Verbindung mit dem Antrag zuständig. Diese Vereinbarung kann jederzeit – auch während des Verfahrens – geschlossen werden. Ist die Vereinbarung vor dem Verfahren geschlossen worden, bedarf sie der Schriftform und muss datiert und von beiden Parteien unterzeichnet sein. In Ermangelung einer Vereinbarung der Partner bestimmt sich die Zuständigkeit nach Artikel 5. Artikel 5: Zuständigkeit in anderen Fällen (1) Zuständig für ein güterrechtliches Verfahren in den nicht in den Artikeln 3 und 4 geregelten Fällen sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem a) die Partner ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben oder anderenfalls b) die Partner zuletzt ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder anderenfalls c) der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder anderenfalls d) die Partnerschaft eingetragen wurde. (2) Die Gerichte im Sinne von Absatz 1 Buchstaben a, b und c können sich für unzuständig erklären, wenn ihr Recht das Institut der eingetragenen Partnerschaft nicht kennt. Artikel 6: Subsidiäre Zuständigkeit Soweit sich aus den Artikeln 3, 4 und 5 keine Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts ergibt oder sich das Gericht für unzuständig erklärt hat, sind die Gerichte eines Mitgliedstaats zuständig, sofern a) im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats Vermögensgegenstände eines Partners oder beider Part-

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ner belegen sind; in diesem Fall entscheidet das angerufene Gericht nur über diese Vermögensgegenstände; oder b) beide Partner die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzen oder, im Fall des Vereinigten Königreichs und Irlands, dort ihr gemeinsames „domicile“ haben. Artikel 7: Notzuständigkeit Ergibt sich nach den Artikeln 3 bis 6 keine Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts, so können die Gerichte eines Mitgliedstaats ausnahmsweise über den Güterstand eingetragener Partnerschaften entscheiden, wenn die Sache einen ausreichenden Bezug zu diesem Mitgliedstaat aufweist und es sich als unmöglich erweist oder nicht zumutbar ist, ein Verfahren in einem Drittstaat einzuleiten oder zu führen. Artikel 8: Zuständigkeit für Gegenanträge Das Gericht, bei dem ein Verfahren auf der Grundlage der Artikel 3 bis 7 anhängig ist, ist auch für einen Gegenantrag zuständig, sofern dieser in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt. Artikel 9: Anrufung eines Gerichts Ein Gericht gilt als angerufen a) zu dem Zeitpunkt, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht worden ist, vorausgesetzt, dass der Antragsteller es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstücks an den Antragsgegner zu bewirken, oder b) zu dem Zeitpunkt, zu dem die für die Zustellung verantwortliche Stelle das Schriftstück erhalten hat, falls die Zustellung vor Einreichung des Schriftstücks bei Gericht zu bewirken ist, und vorausgesetzt, dass der Antragsteller es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um das Schriftstück bei Gericht einzureichen. Artikel 10: Prüfung der Zuständigkeit Das Gericht eines Mitgliedstaats, das in einer Güterrechtssache angerufen wird, für die es nach dieser Verordnung nicht zuständig ist, erklärt sich von Amts wegen für unzuständig. Artikel 11: Prüfung der Zulässigkeit (1) Lässt sich der Antragsgegner, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Staates als des Mitgliedstaats hat, in dem das Verfahren eingeleitet wurde, auf das Verfahren nicht ein, so setzt das zuständige Gericht das Verfahren so lange aus, bis festgestellt ist, dass es dem Antragsgegner möglich war, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück so rechtzeitig zu empfangen, dass er sich verteidigen konnte, oder dass alle hierzu erforderlichen Maßnahmen getroffen wurden. (2) Anstelle von Absatz 1 findet Artikel 19 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten Anwendung, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nach Maßgabe jener Verordnung von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu übermitteln war. (3) Ist die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 nicht anwendbar, so gilt Artikel 15 des Haager Übereinkommens vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nach Maßgabe dieses Übereinkommens ins Ausland zu übermitteln war.

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Artikel 12: Rechtshängigkeit (1) Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Anträge wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien gestellt, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts geklärt ist. (2) In den in Absatz 1 genannten Fällen stellt das zuerst angerufene Gericht innerhalb von sechs Monaten seine Zuständigkeit fest, es sei denn, dies erweist sich aufgrund außergewöhnlicher Umstände als nicht möglich. Auf Antrag eines mit der Streitigkeit befassten Gerichts teilt das zuerst angerufene Gericht dem später angerufenen Gericht mit, wann es mit der Streitigkeit befasst wurde und ob es die Zuständigkeit in der Hauptsache festgestellt hat beziehungsweise wann die Entscheidung über die Zuständigkeit voraussichtlich getroffen wird. (3) Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig. Artikel 13: Aussetzung wegen Sachzusammenhang (1) Sind bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Verfahren, die im Zusammenhang stehen, anhängig, so kann jedes später angerufene Gericht das Verfahren aussetzen. (2) Sind diese Verfahren in erster Instanz anhängig, so kann sich jedes später angerufene Gericht auf Antrag einer Partei auch für unzuständig erklären, wenn das zuerst angerufene Gericht für die betreffenden Verfahren zuständig ist und die Verbindung der Verfahren nach seinem Recht zulässig ist. (3) Verfahren stehen im Sinne dieses Artikels im Zusammenhang, wenn zwischen ihnen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. Artikel 14: Einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen Die im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen können bei den Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache nach dieser Verordnung die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats zuständig sind.

Kapitel III: Anzuwendendes Recht Artikel 15: Bestimmung des anzuwendenden Rechts Für den Güterstand einer eingetragenen Partnerschaft ist das Recht des Staates maßgebend, in dem die Partnerschaft eingetragen ist. Artikel 16: Universelle Anwendung Das nach diesem Kapitel bezeichnete Recht ist auch dann anzuwenden, wenn es nicht das Recht eines Mitgliedstaats ist. Artikel 17: Eingriffsnormen Diese Verordnung steht der Anwendung zwingender Vorschriften nicht entgegen, deren Einhaltung von einem Mitgliedstaat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Ordnung, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Güterstand anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden sind, die in ihren Anwendungsbereich fallen.

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Artikel 18: Öffentliche Ordnung (ordre public) im Staat des angerufenen Gerichts (1) Die Anwendung einer Vorschrift des nach dieser Verordnung bezeichneten Rechts darf nur versagt werden, wenn dies mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist. (2) Die Anwendung einer Vorschrift des nach dieser Verordnung bezeichneten Rechts darf nicht allein deshalb als mit der öffentlichen Ordnung des Staates des angerufenen Gerichts unvereinbar angesehen werden, weil das Recht am Ort des angerufenen Gerichts das Institut der eingetragenen Partnerschaft nicht kennt. Artikel 19: Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung Unter dem nach dieser Verordnung anzuwendenden Recht eines Staates sind die in diesem Staat geltenden materiellen Rechtsnormen unter Ausschluss derjenigen des Internationalen Privatrechts zu verstehen. Artikel 20: Staaten mit zwei oder mehr Rechtssystemen – Kollisionen hinsichtlich der Gebiete Umfasst ein Staat mehrere Gebietseinheiten, von denen jede ihr eigenes Rechtssystem oder ihr eigenes Regelwerk für die in dieser Verordnung geregelten Angelegenheiten hat, so gilt Folgendes: a) Jede Bezugnahme auf das Recht dieses Staates ist für die Bestimmung des nach dieser Verordnung anzuwendenden Rechts als Bezugnahme auf das in der betreffenden Gebietseinheit geltende Recht zu verstehen. b) Jede Bezugnahme auf den gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat ist als Bezugnahme auf den gewöhnlichen Aufenthalt in einer Gebietseinheit zu verstehen. c) Jede Bezugnahme auf die Staatsangehörigkeit betrifft die durch das Recht dieses Staates bezeichnete Gebietseinheit oder, mangels einschlägiger Vorschriften, die durch die Parteien gewählte Gebietseinheit oder, mangels einer Wahlmöglichkeit, die Gebietseinheit, mit der der oder die Partner am engsten verbunden sind.

Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung Abschnitt 1: Entscheidungen Unterabschnitt 1: Anerkennung Artikel 21: Anerkennung der Entscheidungen (1) Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. (2) Bildet die Frage, ob eine Entscheidung anzuerkennen ist, als solche den Gegenstand eines Streites, so kann jede Partei, welche die Anerkennung geltend macht, in dem Verfahren nach den Artikeln [38 bis 56] der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 die Feststellung beantragen, dass die Entscheidung anzuerkennen ist. (3) Wird die Anerkennung in einem Rechtsstreit vor dem Gericht eines Mitgliedstaats, dessen Entscheidung von der Anerkennung abhängt, verlangt, so kann dieses Gericht über die Anerkennung entscheiden. Artikel 22: Gründe für die Nichtanerkennung einer Entscheidung Eine Entscheidung wird nicht anerkannt, wenn a) die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Mitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde; b) dem Antragsgegner, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt

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worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Antragsgegner hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte; c) sie mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die zwischen denselben Parteien in dem ersuchten Mitgliedstaat ergangen ist; d) sie mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat zwischen denselben Parteien in einem Rechtsstreit wegen desselben Anspruchs ergangen ist, sofern die frühere Entscheidung die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anerkennung in dem ersuchten Mitgliedstaat erfüllt. Artikel 23: Ausschluss der Nachprüfung der Zuständigkeit des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaats (1) Die Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsmitgliedstaats darf nicht nachgeprüft werden. (2) Die Überprüfung der Vereinbarkeit mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) gemäß Artikel 18 darf sich nicht auf die Zuständigkeitsvorschriften der Artikel 3 bis 8 erstrecken. Artikel 24: Unterschiede beim anzuwendenden Recht Die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung oder eines Teils einer Entscheidung über die vermögensrechtlichen Aspekte einer eingetragenen Partnerschaft kann nicht aus dem Grund versagt werden, dass das Recht des ersuchten Mitgliedstaats das Institut der eingetragenen Partnerschaft nicht kennt oder nicht dieselben vermögensrechtlichen Wirkungen damit verbindet. Artikel 25: Ausschluss der Nachprüfung in der Sache Die ausländische Entscheidung darf keinesfalls in der Sache nachgeprüft werden. Artikel 26: Aussetzung des Anerkennungsverfahrens Das Gericht eines Mitgliedstaats, vor dem die Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung beantragt wird, kann das Verfahren aussetzen, wenn gegen die Entscheidung ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt wurde.

Unterabschnitt 2. Vollstreckung Artikel 27: Vollstreckbare Entscheidungen Die in einem Mitgliedstaat ergangenen und dort vollstreckbaren Entscheidungen sowie die in einem Mitgliedstaat geschlossenen und dort vollstreckbaren gerichtlichen Vergleiche werden in den anderen Mitgliedstaaten gemäß den Artikeln [38 bis 56 und Artikel 58] der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vollstreckt.

Abschnitt 2: Öffentliche Urkunden und Gerichtliche Vergleiche Artikel 28: Anerkennung öffentlicher Urkunden (1) Die in einem Mitgliedstaat errichteten öffentlichen Urkunden werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, sofern ihre Gültigkeit nicht nach Maßgabe des anzuwendenden Rechts angefochten wurde und ihre Anerkennung nicht in offensichtlichem Widerspruch zu der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Mitgliedstaats stehen würde. (2) Die Anerkennung öffentlicher Urkunden bewirkt, dass diesen Urkunden Beweiskraft hinsichtlich ihres Inhalts verliehen wird und für sie die – widerlegbare – Vermutung der Rechtsgültigkeit gilt. Artikel 29: Vollstreckbarkeit öffentlicher Urkunden (1) Öffentliche Urkunden, die in einem Mitgliedstaat errichtet wurden und dort vollstreckbar sind,

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werden in einem anderen Mitgliedstaat auf Antrag nach dem Verfahren der Artikel [38 bis 57] der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 für vollstreckbar erklärt. (2) Die Vollstreckbarerklärung darf von dem mit einem Rechtsbehelf nach Artikel [43 oder Artikel 44] der genannten Verordnung befassten Gericht nur versagt oder aufgehoben werden, wenn die Vollstreckung der öffentlichen Urkunde der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Mitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde. Artikel 30: Anerkennung und Vollstreckbarkeit gerichtlicher Vergleiche Gerichtliche Vergleiche, die im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sind, werden in einem anderen Mitgliedstaat auf Antrag eines Berechtigten unter denselben Bedingungen wie öffentliche Urkunden anerkannt und für vollstreckbar erklärt. Die Vollstreckbarerklärung darf von dem mit einem Rechtsbehelf nach Artikel [42 oder Artikel 44] der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 befassten Gericht nur versagt oder aufgehoben werden, wenn die Vollstreckung des gerichtlichen Vergleichs der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Vollstreckungsmitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde.

Kapitel V: Wirkung gegenüber Dritten Artikel 31: Wirkung gegenüber Dritten (1) Die Wirkungen des Güterstands der eingetragenen Partnerschaft auf ein Rechtsverhältnis zwischen einem Partner und einem Dritten bestimmen sich gemäß Artikel 15 nach dem Recht des Staates, in dem die Partnerschaft eingetragen ist. (2) Das Recht eines Mitgliedstaats kann jedoch vorsehen, dass ein Partner das auf seinen Güterstand anzuwendende Sachrecht einem Dritten nicht entgegenhalten kann, wenn einer der Partner oder der Dritte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat hat und die in diesem Mitgliedstaat geltenden Registrierungs- oder Publizitätspflichten nicht eingehalten wurden, es sei denn, dem Dritten war bekannt oder hätte bekannt sein müssen, welches Recht für den Güterstand der eingetragenen Partnerschaft maßgebend ist. (3) Das Recht des Mitgliedstaats, in dem eine unbewegliche Sache belegen ist, kann die Rechtsbeziehungen zwischen einem Partner und einem Dritten, die diese unbewegliche Sache betreffen, analog zu Absatz 2 regeln.

Kapitel VI. Allgemeine und Schlussbestimmungen Artikel 32: Verhältnis zu bestehenden internationalen Übereinkünften (1) Diese Verordnung berührt unbeschadet der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus Artikel351 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht die Anwendung bilateraler oder multilateraler Übereinkünfte, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme dieser Verordnung angehören und die in dieser Verordnung geregelte Bereiche betreffen. (2) Ungeachtet des Absatzes1 geht diese Verordnung im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten Übereinkünften vor, denen die Mitgliedstaaten angehören und die in dieser Verordnung geregelte Bereiche betreffen. Artikel 33: Informationen für die Öffentlichkeit und die zuständigen Behörden (1) Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission bis spätestens […] folgende Informationen in der/den Amtssprache(n), die sie für zweckmäßig halten: a) eine Beschreibung des nationalen Güterrechts und der Güterrechtsverfahren, die für eingetragene Partnerschaften gelten, sowie den Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen,

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b) die nationalen Bestimmungen über die Drittwirkung gemäß Artikel 31 Absätze 2 und 3. (2) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission alle späteren Änderungen dieser Bestimmungen mit. (3) Die Kommission macht die nach den Absätzen 1 und 2 übermittelten Informationen auf geeignetem Wege, insbesondere auf der mehrsprachigen Website des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, öffentlich zugänglich. Artikel 34: Revisionsklausel (1) Die Kommission legt dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss spätestens zum [fünf Jahre nach Beginn der Anwendung dieser Verordnung] und danach alle fünf Jahre einen Bericht über die Anwendung dieser Verordnung vor. Dem Bericht werden gegebenenfalls Vorschläge zur Anpassung dieser Verordnung beigefügt. (2) Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission zu diesem Zweck sachdienliche Angaben betreffend die Anwendung dieser Verordnung durch ihre Gerichte. Artikel 35: Übergangsbestimmungen (1) Die Kapitel II und IV gelten für gerichtliche Verfahren, öffentliche Urkunden, gerichtliche Vergleiche und Entscheidungen, die nach Beginn der Anwendung dieser Verordnung eingeleitet, errichtet, geschlossen beziehungsweise erlassen wurden. (2) Ist das Verfahren im Ursprungsmitgliedstaat vor dem Beginn der Anwendung dieser Verordnung eingeleitet worden, so werden nach diesem Zeitpunkt erlassene Entscheidungen nach Maßgabe des Kapitels IV anerkannt und vollstreckt, wenn das Gericht aufgrund von Vorschriften zuständig war, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels II übereinstimmen. (3) Kapitel III gilt nur für Personen, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben. Artikel 36: Inkrafttreten Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. Ihre Anwendung beginnt am [ein Jahr nach ihrem Inkrafttreten].

b) Vorschlag des Europäischen Parlaments P7_TA (2013) 337* (…) (8) entfällt (8a) Alleiniger Zweck der Anerkennung einer Entscheidung in einem Mitgliedstaat in Bezug auf die Wirkungen des Güterstands der eingetragenen Partnerschaft ist es, die Durchsetzung der in der Entscheidung festgelegten Wirkungen des Güterstands zu ermöglichen. Dies bedeutet in keiner Weise eine Anerkennung der Partnerschaft, die den Wirkungen des Güterstands zugrunde liegt und zu dieser Entscheidung führte, durch diesen Mitgliedstaat. Mitgliedstaaten, in denen das Institut der eingetragenen Partnerschaft nicht existiert, werden durch diese Verordnung nicht verpflichtet, ein solches Institut zu schaffen. (…) (10) Diese Verordnung regelt güterrechtliche Fragen, die sich im Zusammenhang mit eingetrage*

Der Vorschlag des Europäischen Parlaments bezieht sich – wie üblich – auf den Kommissionsvorschlag und ist im Folgenden in einer nicht konsolidierten, im Wesentlichen nur die Abweichungen umfassenden Fassung wiedergegeben.

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nen Partnerschaften stellen. Der Begriff der eingetragenen Partnerschaft ist nur so weit definiert, wie dies für die Zwecke dieser Verordnung erforderlich ist. Zum Zwecke dieser Verordnung ist eine eingetragene Partnerschaft eine Form des Zusammenlebens außerhalb der Ehe. Der genaue Inhalt des Begriffs der eingetragenen Partnerschaft bestimmt sich nach dem innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten. (11a) Die Verordnung sollte dagegen nicht für Bereiche des Zivilrechts gelten, die nicht den Güterstand einer eingetragenen Partnerschaft betreffen. Aus Gründen der Klarheit sollte daher eine Reihe von Fragen, die als mit dem Güterstand einer eingetragenen Partnerschaft verknüpft betrachtet werden könnten, ausdrücklich vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden. (12) Die Unterhaltspflichten im Verhältnis der eingetragenen Partner untereinander, die Gegenstand der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen sind, sollten vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden ebenso wie Fragen der Rechtsnachfolge von Todes wegen, die in der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und der Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses geregelt sind. (13) Nach dem Vorbild der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 sollte diese Verordnung auch nicht die abschließende Anzahl (Numerus Clausus) der dinglichen Rechte berühren, die das innerstaatliche Recht einiger Mitgliedstaaten kennt. Ein Mitgliedstaat sollte nicht verpflichtet sein, ein dingliches Recht an einer in diesem Mitgliedstaat belegenen Sache anzuerkennen, wenn sein Recht dieses dingliche Recht nicht kennt. (13a) Damit die Berechtigten jedoch die Rechte, die etwa im Rahmen einer Auseinandersetzung des Güterstands einer eingetragenen Partnerschaft begründet worden oder auf sie übergegangen sind, in einem anderen Mitgliedstaat geltend machen können, sollte diese Verordnung die Anpassung eines unbekannten dinglichen Rechts an das in der Rechtsordnung dieses anderen Mitgliedstaats am ehesten vergleichbare dingliche Recht vorsehen. Bei dieser Anpassung sollten die mit dem besagten dinglichen Recht verfolgten Ziele und Interessen und die mit ihm verbundenen Wirkungen berücksichtigt werden. Für die Zwecke der Bestimmung des am ehesten vergleichbaren innerstaatlichen dinglichen Rechts können die Behörden oder zuständigen Personen des Staates, dessen Recht auf den Güterstand der eingetragenen Partnerschaft anzuwenden ist, kontaktiert werden, um weitere Auskünfte zu der Art und den Wirkungen des betreffenden dinglichen Rechts einzuholen. In diesem Zusammenhang könnten die bestehenden Netze im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen sowie die anderen verfügbaren Mittel, die die Erkenntnis ausländischen Rechts erleichtern, genutzt werden. (13b) Die Voraussetzungen für die Eintragung von Rechten an beweglichen oder unbeweglichen Vermögensgegenständen in einem Register sollten aus dem Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden. Somit sollte das Recht des Mitgliedstaats, in dem das Register (für unbewegliches Vermögen das Recht der belegenen Sache (lex rei sitae)) geführt wird, bestimmen, unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen und wie die Eintragung vorzunehmen ist und welche Behörden wie etwa Grundbuchämter oder Notare dafür zuständig sind zu prüfen, dass alle Eintragungs-

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voraussetzungen erfüllt sind und die vorgelegten oder erstellten Unterlagen vollständig sind bzw. die erforderlichen Angaben enthalten. (13c) Die Wirkungen der Eintragung eines Rechts in einem Register sollten ebenfalls vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden. Daher sollte das Recht des Mitgliedstaats, in dem das Register geführt wird, dafür maßgebend sein, ob beispielsweise die Eintragung deklaratorische oder konstitutive Wirkung hat. Wenn also zum Beispiel der Erwerb eines Rechts an einer unbeweglichen Sache nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem das Register geführt wird, die Eintragung in einem Register erfordert, damit die Wirkung erga omnes von Registern sichergestellt wird oder Rechtsgeschäfte geschützt werden, sollte der Zeitpunkt des Erwerbs dem Recht dieses Mitgliedstaats unterliegen. (13d) Wie die Verordnung (EU) Nr. 650/2012 sollte diese Verordnung den verschiedenen Systemen zur Regelung von Güterrechtssachen Rechnung tragen, die in den Mitgliedstaaten angewandt werden. Für die Zwecke dieser Verordnung sollte der Begriff „Gericht“ daher breit gefasst werden, so dass nicht nur Gerichte im eigentlichen Sinne, die gerichtliche Funktionen ausüben, erfasst werden, sondern auch Notare oder Registerbehörden in einigen Mitgliedstaaten, die in bestimmten Güterrechtssachen gerichtliche Funktionen wie Gerichte ausüben, sowie Notare und Angehörige von Rechtsberufen, die in einigen Mitgliedstaaten in einer bestimmten Güterrechtssache aufgrund einer Befugnisübertragung durch ein Gericht gerichtliche Funktionen ausüben. Alle Gerichte im Sinne dieser Verordnung sollten durch die in dieser Verordnung festgelegten Zuständigkeitsregeln gebunden sein. Der Begriff „Gericht“ sollte hingegen nicht die nichtgerichtlichen Behörden eines Mitgliedstaats erfassen, die nach innerstaatlichem Recht befugt sind, sich mit Güterrechtssachen zu befassen, wie in den meisten Mitgliedstaaten die Notare, wenn sie, wie dies üblicherweise der Fall ist, keine gerichtlichen Funktionen ausüben. (…) (15) In gleicher Weise sollte es auf der Grundlage dieser Verordnung möglich sein, die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats, die mit einem Antrag auf Aufhebung oder Ungültigerklärung einer eingetragenen Partnerschaft befasst sind, auf die hieraus resultierenden vermögensrechtlichen Wirkungen der Partnerschaft auszuweiten, wenn die Zuständigkeit der betreffenden Gerichte von den Partners ausdrücklich oder auf andere Weise anerkannt worden ist. (15a) Bei güterrechtlichen Fragen, die weder mit einer Aufhebung oder Ungültigerklärung der Partnerschaft noch mit dem Tod eines Partners zusammenhängen, können die Partner beschließen, ein Gericht des Mitgliedstaats anzurufen, dessen Recht sie als das auf ihren Güterstand anzuwendende Sachrecht gewählt haben. Hierzu bedarf es einer Vereinbarung, die von den Partnern spätestens bis zur Anrufung des Gerichts und danach nach Maßgabe des Rechts des Staates des angerufenen Gerichts geschlossen werden kann. (16) Diese Verordnung sollte die territoriale Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats für Anträge im Zusammenhang mit güterrechtlichen Fragen bei eingetragenen Partnerschaften in anderen Fällen als der Trennung der Partner oder des Todes eines Partners anhand einer hierarchisch gegliederten Liste von Anknüpfungspunkten zulassen, die eine enge Verbindung zwischen den Partnern und dem Mitgliedstaat, dessen Gerichte zuständig sind, gewährleisten. Diesen Gerichten mit Ausnahme der Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die Partnerschaft eingetragen wurde, sollte die Möglichkeit zugebilligt werden, sich für

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unzuständig zu erklären, wenn ihr innerstaatliches Recht das Institut der eingetragenen Partnerschaft nicht vorsieht. (16a) Um insbesondere Fällen von Rechtsverweigerung begegnen zu können, sollte in dieser Verordnung auch eine Notzuständigkeit (forum necessitatis) vorgesehen werden, wonach ein Gericht eines Mitgliedstaats in Ausnahmefällen über eine Güterrechtssache entscheiden kann, die einen engen Bezug zu einem Drittstaat aufweist. Ein solcher Ausnahmefall könnte gegeben sein, wenn ein Verfahren sich in einem betreffenden Drittstaat als unmöglich erweist, beispielsweise aufgrund eines Bürgerkriegs, oder wenn von einem Berechtigten vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, dass er ein Verfahren in diesem Staat einleitet oder führt. Die Notzuständigkeit sollte jedoch nur ausgeübt werden, wenn die Güterrechtssache einen ausreichenden Bezug zu dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts aufweist. (…) (18) Um eingetragenen Partnern die Verwaltung ihres Vermögens zu erleichtern, sollte ihnen diese Verordnung erlauben, unter den Rechtsordnungen, zu denen die Partner aufgrund ihres Wohnsitzes oder ihrer Staatsangehörigkeit einen engen Bezug haben, unabhängig von der Art des Vermögens oder seiner Belegenheit das auf ihr Vermögen anzuwendende Sachrecht zu wählen. Es besteht kein Anlass, eingetragenen Partnerschaften diese Rechtswahl zu versagen. Falls die Partner ein Recht wählen, in dem eingetragene Partnerschaften nicht anerkannt werden, sollte die Rechtswahl „ins Leere gehen“. Es sollte dann bei der objektiven Anknüpfung bleiben. Obwohl die betroffenen Personenkreise in der Regel gut über ihre Rechte informiert sein dürften, sollte dem besonderen Rechtsschutzbedürfnis damit begegnet werden, dass eine rechtliche Beratung über die Wirkungen der Rechtswahl vorgeschrieben wird. Dieses Erfordernis wird insbesondere dadurch erfüllt, dass in den für die Rechtswahl geltenden zusätzlichen Formvorschriften, insbesondere die öffentliche Beurkundung, diese Beratung sichergestellt wird. (18a) Um Rechtssicherheit und -klarheit zu schaffen, sollte die Verordnung auch eine Regelung über die Mehrfachregistrierung einer eingetragenen Partnerschaft enthalten, die an die zeitlich letzte Eintragung anknüpfen sollte. Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass es nicht zu Mehrfachregistrierungen von eingetragenen Partnerschaften kommt. (18b) Für den Fall, dass keine Rechtswahl getroffen wurde, sollte die Verordnung, um dem Gebot der Rechtssicherheit und der Planungssicherheit zu genügen und den Lebensumständen der Partner Rechnung zu tragen, harmonisierte Kollisionsnormen einführen, die sich auf eine hierarchisch gegliederte Liste von Anknüpfungspunkten stützen, mit denen sich das auf das gesamte Vermögen der Partner anzuwendende Recht bestimmen lässt. So sollte der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt zum Zeitpunkt der Begründung der Partnerschaft bzw. der erste gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Partner nach der Begründung der Partnerschaft erster Anknüpfungspunkt noch vor der gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Partner zum Zeitpunkt der Begründung der Partnerschaft sein. Ist keine dieser Anknüpfungen gegeben, d.h. gibt es keinen ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt und haben die Partner zum Zeitpunkt der Begründung der eingetragenen Partnerschaft keine gemeinsame Staatsangehörigkeit, sollte das Recht des Staates gelten, zu dem die Partner unter Berücksichtigung aller Umstände, gemeinsam die engste Bindung haben, wobei für diese Bindung der Zeitpunkt der Begründung der Partnerschaft maßgebend sein sollte. Diese Rechte sollten allerdings nicht zur Anwendung kommen, wenn sie das Institut der eingetragenen

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Partnerschaft nicht anerkennen. In der Regel sollte das Recht des Staates, in dem die Partnerschaft eingetragen wurde, auf das Vermögen der Partner Anwendung finden. (18c) Bestimmt sich das anzuwendende Recht nach der Staatsangehörigkeit, ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass bestimmte Staaten, deren Rechtssystem auf dem Common Law gründet, das „domicile“ und nicht die Staatsangehörigkeit als gleichwertiges Anknüpfungskriterium heranziehen. (18d) Im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs und um zu verhindern, dass sich das auf den Güterstand eingetragener Partnerschaften anzuwendende Sachrecht ohne Wissen der Partner ändert, darf eine solche Änderung nur nach einer diesbezüglichen ausdrücklichen Willensbekundung der Parteien möglich sein. Diese von den Partnern beschlossene Änderung sollte nicht rückwirkend gelten können, es sei denn, die Partner haben dies ausdrücklich vereinbart. In keinem Fall dürfen Rechte Dritter oder die Gültigkeit früherer Rechtshandlungen beeinträchtigt werden. (…) (19a) Alle notwendigen Informationen sollten in einfacher Weise und auf geeignetem Wege, insbesondere auf einer mehrsprachigen Website der Kommission zugänglich gemacht werden. (19b) Der Austausch bewährter Vorgehensweisen zwischen den Angehörigen der Rechtsberufe sollten gefördert werden. (19c) Die Kommission sollte ein Informations- und Schulungsinstrument für die zuständigen Justizbediensteten und Angehörigen der Rechtsberufe in Form eines in sämtlichen Amtssprachen der EU-Organe verfügbaren interaktiven Internetportals einschließlich eines Systems für den Austausch von beruflichen Kompetenzen und Fachwissen schaffen. (…) (23) Da die gegenseitige Anerkennung der in den Mitgliedstaaten ergangenen Entscheidungen in Güterrechtssachen betreffend eingetragener Partnerschaften zu den Zielen dieser Verordnung gehört, sollten Vorschriften für die Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung von Entscheidungen nach dem Vorbild anderer Rechtsinstrumente der Union im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen vorgesehen werden, die gegebenenfalls an die besonderen Anforderungen des hier behandelten Rechtsgebiets anzupassen sind. Die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung, die ganz oder teilweise auf die vermögensrechtlichen Aspekte einer eingetragenen Partnerschaft gerichtet ist, darf somit nicht in einem Mitgliedstaat versagt werden, dessen innerstaatliches Recht das Institut der eingetragenen Partnerschaft nicht kennt oder andere vermögensrechtliche Wirkungen damit verbindet. (24) Um den verschiedenen Systemen zur Regelung güterrechtlicher Fragen eingetragener Partnerschaften in den Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen, sollte diese Verordnung die Annahme und Vollstreckbarkeit öffentlicher Urkunden in einer Gütersache betreffend eine eingetragene Partnerschaft in sämtlichen Mitgliedstaaten gewährleisten. (24a) Hinsichtlich der Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen sowie hinsichtlich der Annahme und Vollstreckbarkeit öffentlicher Urkunden und der Vollstreckbarkeit gerichtlicher Vergleiche sollte diese Verordnung daher Vorschriften insbesondere nach dem Vorbild der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 vorsehen. (25) Die Rechtsbeziehungen zwischen einem eingetragenen Partner und einem Dritten unterliegen dem nach dieser Verordnung auf den Güterstand der eingetragenen Partnerschaft anzuwendenden Recht. Doch sollten sich, um den Schutz des Dritten zu gewährleisten, in

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einem Rechtsverhältnis zwischen einem Partner und einem Dritten keiner der Partner auf dieses Recht oder Eingriffsnormen berufen können, wenn der Partner, der in dem Rechtsverhältnis zu dem Dritten steht, und der Dritte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat haben, der nicht derjenige Staat ist, dessen Recht auf den Güterstand der eingetragenen Partnerschaft anzuwenden ist. Ausnahmen sollten gelten, wenn der Dritte nicht schutzwürdig ist, ihm also das anzuwendende Recht bekannt war oder er es hätte kennen müssen oder wenn die in dem Staat geltenden Anforderungen betreffend die Registrierung oder Publizität eingehalten wurden. (…) (26a) Zur Gewährleistung einheitlicher Bedingungen für die Durchführung dieser Verordnung sollten der Kommission in Bezug auf die Erstellung und spätere Änderung der Bescheinigungen und Formblätter, die die Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen, gerichtlichen Vergleichen und öffentlichen Urkunden betreffen, Durchführungsbefugnisse übertragen werden. Diese Befugnisse sollten im Einklang mit der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, ausgeübt werden. (26b) Für den Erlass von Durchführungsrechtsakten zur Erstellung und anschließenden Änderung der in dieser Verordnung vorgesehenen Bescheinigungen und Formblätter sollte das Beratungsverfahren gemäß Artikel 4 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 angewendet werden. (…) (28) Diese Verordnung achtet die Grundrechte und Grundsätze, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden, namentlich die Artikel 7, 9, 17, 20, 21 und 47 über das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, das nach einzelstaatlichem Recht geschützte Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen, das Recht auf Eigentum, Gleichheit vor dem Gesetz, das Diskriminierungsverbot und das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren. Bei der Anwendung dieser Verordnung müssen die Gerichte der Mitgliedstaaten diese Rechte und Grundsätze achten. (…)

Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen Artikel 1: Anwendungsbereich (1) (…) (2) (…) (3) Vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen sind: a) entfällt b) die allgemeine Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit der Partner, ba) das Bestehen, die Gültigkeit oder die Anerkennung der Partnerschaft, c) die Unterhaltspflichten, d) entfällt e) Fragen der Rechtsnachfolge von Todes wegen im Hinblick auf den überlebenden Partner, f) Fragen des Gesellschaftsrechts, des Vereinsrechts und des Rechts der juristischen Personen, g) die Art der dinglichen Rechte,

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ga) jede Eintragung von Rechten an beweglichen oder unbeweglichen Vermögensgegenständen in einem Register, einschließlich der gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche Eintragung, sowie die Wirkungen der Eintragung oder der fehlenden Eintragung solcher Rechte in einem Register und gb) Fragen des Rechts, im Fall der Aufhebung der eingetragenen Partnerschaft Ruhegehalts- und Erwerbsunfähigkeitsrentenansprüche der Partner oder früheren Partner, die während der eingetragenen Partnerschaft erworben wurden, zu übertragen oder anzupassen. Artikel 2: Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck a) (…) b) „eingetragene Partnerschaft“ eine gesetzlich vorgesehene Form der Lebensgemeinschaft zweier Personen, die in der Form begründet wurde, die in dem Mitgliedstaat, in dem die Partnerschaft eingetragen wurde, gesetzlich vorgesehen ist ba) „Partnerschaftsvereinbarung“ jede Vereinbarung, durch die die Partner oder künftigen Partner den Güterstand ihrer Partnerschaft regeln; c) „öffentliche Urkunde“ ein Schriftstück in Güterrechtssachen betreffend eingetragene Partnerschaften, das als öffentliche Urkunde in einem Mitgliedstaat förmlich errichtet oder eingetragen worden ist und dessen Beweiskraft i) sich auf die Unterschrift und den Inhalt der öffentlichen Urkunde bezieht und ii) durch eine Behörde oder eine andere vom Ursprungsmitgliedstaat hierzu ermächtigte Stelle festgestellt worden ist; d) „Entscheidung“ jede Entscheidung, die von einem Gericht eines Mitgliedstaats in einer eine eingetragene Partnerschaft betreffenden Güterrechtssache erlassen wird, ungeachtet ihrer Bezeichnung einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten; e) „Ursprungsmitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, in dem die Entscheidung erlassen, die öffentliche Urkunde errichtet oder der gerichtliche Vergleich gebilligt oder geschlossen worden ist; f) „Vollstreckungsmitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, in dem die Vollstreckbarerklärung oder Vollstreckung der Entscheidung, des gerichtlichen Vergleichs oder der öffentlichen Urkunde betrieben wird; g) entfällt (1a) Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Begriff „Gericht“ jedes Gericht und alle sonstigen Behörden und Angehörigen von Rechtsberufen mit Zuständigkeiten in Güterrechtssachen betreffend eingetragene Partnerschaften, die gerichtliche Funktionen ausüben oder in Ausübung einer Befugnisübertragung durch ein Gericht oder unter der Aufsicht eines Gerichts handeln, sofern diese anderen Behörden und Angehörigen von Rechtsberufen ihre Unparteilichkeit und das Recht der Parteien auf rechtliches Gehör gewährleisten und ihre Entscheidungen nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem sie tätig sind, a) vor einem Gericht angefochten oder von einem Gericht nachgeprüft werden können und b) vergleichbare Rechtskraft und Rechtswirkung haben wie eine Entscheidung eines Gerichts in der gleichen Sache. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission nach Artikel 33a Absatz 1 die in Unterabsatz 1 genannten sonstigen Behörden und Angehörigen von Rechtsberufen mit.

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Kapitel II: Zuständigkeit Artikel -3: Zuständigkeit in Güterrechtssachen innerhalb der Mitgliedstaaten Diese Verordnung berührt nicht die innerstaatliche Zuständigkeit in den Mitgliedstaaten in Güterrechtssachen betreffend eingetragene Partnerschaften. Artikel 3: Zuständigkeit im Fall des Todes eines Partners (1) Das Gericht eines Mitgliedstaats, das im Zusammenhang mit dem Nachlass eines Partners nach der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 befasst ist, ist auch für Wirkungen des Güterstands der eingetragenen Partnerschaft in Verbindung mit der Erbsache zuständig. (2) Das Gericht kann sich für unzuständig erklären, wenn sein Recht das Institut der eingetragenen Partnerschaft nicht kennt. Das zuständige Gericht wird dann nach Artikel 5 bestimmt. Artikel 4: Zuständigkeit im Fall der Aufhebung oder Ungültigerklärung Das Gericht eines Mitgliedstaats, das mit einem Antrag auf Aufhebung oder Ungültigerklärung einer eingetragenen Partnerschaft befasst ist, ist auch für güterrechtliche Fragen in Verbindung mit dem Antrag zuständig, wenn die Zuständigkeit des betreffenden Gerichts von den Partnern ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt wurde. In Ermangelung einer Anerkennung der Zuständigkeit des in Absatz 1 genannten Gerichts bestimmt sich die Zuständigkeit nach Artikel 5. Artikel 4a: Gerichtsstandsvereinbarung (1) Die Partner können vereinbaren, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, dessen Recht sie nach Artikel 15b als das auf den Güterstand ihrer Partnerschaft anzuwendende Recht gewählt haben, für ihren Güterstand betreffende Fragen zuständig sein sollen. Diese Zuständigkeit ist ausschließlich. Unbeschadet des Unterabsatzes 3 kann eine Vereinbarung über die Wahl des Gerichtsstands jederzeit, spätestens jedoch zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts, geschlossen oder geändert werden. Sieht das Recht des Staates des angerufenen Gerichts dies vor, so können die Partner die Wahl des Gerichtsstands auch nach Anrufung des Gerichts vornehmen. In diesem Fall nimmt das Gericht die Wahl des Gerichtsstands im Einklang mit dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts zu Protokoll. Ist die Vereinbarung vor dem Verfahren geschlossen worden, bedarf sie der Schriftform und muss datiert sowie von den Partnern unterzeichnet sein. Elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, sind der Schriftform gleichgestellt. (2) Die Partner können auch vereinbaren, dass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, deren Recht gemäß Artikel 15 mangels Rechtswahl auf den Güterstand ihrer Partnerschaft anzuwenden ist. Artikel 4b: Durch rügelose Einlassung begründete Zuständigkeit (1) Sofern das Gericht eines Mitgliedstaats, dessen Recht nach Artikel -15b gewählt wurde oder dessen Recht nach Artikel 15 anzuwenden ist, nicht bereits nach anderen Vorschriften dieser Verordnung zuständig ist, wird es zuständig, wenn sich der Antragsgegner vor ihm auf das Verfahren einlässt. Dies gilt nicht, wenn der Antragsgegner sich einlässt, um

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den Mangel der Zuständigkeit geltend zu machen oder wenn ein anderes Gericht aufgrund des Artikels 3, des Artikels 4 oder des Artikels 4a zuständig ist. (2) Bevor sich das Gericht nach Absatz 1 für zuständig erklärt, stellt es sicher, dass der Antragsgegner über sein Recht, die Unzuständigkeit des Gerichts geltend zu machen, und über die Folgen der Einlassung oder Nichteinlassung auf das Verfahren belehrt wird. Artikel 5: Zuständigkeit in anderen Fällen (1) Ist kein Gericht aufgrund der Artikel 3, 4 und 4a zuständig, so liegt die Zuständigkeit für ein güterrechtliches Verfahren bei den Gerichten des Mitgliedstaats, a) in dessen Hoheitsgebiet die Partner zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben oder anderenfalls b) in dessen Hoheitsgebiet die Partner zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder anderenfalls c) in dessen Hoheitsgebiet der Antragsgegner zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder anderenfalls ca) dessen Staatsangehörigkeit beide Partner zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts besitzen oder, im Fall des Vereinigten Königreichs und Irlands, in dem sie ihr gemeinsames „domicile“ haben oder anderenfalls d) die Partnerschaft eingetragen wurde. (2) Die Gerichte im Sinne von Absatz 1 Buchstaben a, b, c und ca können sich für unzuständig erklären, wenn ihr Recht das Institut der eingetragenen Partnerschaft nicht kennt. Artikel 6: Subsidiäre Zuständigkeit Soweit sich aus den Artikeln 3, 4, 4a und 5 keine Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts ergibt oder hat sich das Gericht für unzuständig erklärt, so sind die Gerichte eines Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet unbewegliches Vermögen oder eingetragene Vermögensgegenstände eines Partners oder beider Partner belegen sind; in diesem Fall entscheidet das angerufene Gericht nur über das unbewegliche Vermögen oder die eingetragenen Vermögensgegenstände. Dabei sind die Gerichte eines Mitgliedstaats nur für Entscheidungen über unbewegliches Vermögen oder eingetragene Vermögensgegenstände zuständig, die sich in diesem Mitgliedstaat befinden. Artikel 7: Notzuständigkeit Ergibt sich nach den Artikeln 3, 4, 4a, 5 und 6 keine Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts, so können die Gerichte eines Mitgliedstaats in Ausnahmefällen in einer Güterrechtssache entscheiden, wenn es nicht zumutbar ist oder es sich als unmöglich erweist, ein Verfahren in einem Drittstaat, zu dem die Sache einen engen Bezug aufweist, einzuleiten oder zu führen. Die Sache muss einen ausreichenden Bezug zu dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts aufweisen. Artikel 8: Zuständigkeit für Gegenanträge Das Gericht, bei dem ein Verfahren auf der Grundlage der Artikel 3, 4, 4a, 5, 6 oder 7 anhängig ist, ist auch für einen Gegenantrag zuständig, sofern dieser in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt. Wurde das Gericht nach Artikel 6 angerufen, so ist seine Zuständigkeit für einen Gegenantrag

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auf das unbewegliche Vermögen oder die eingetragenen Vermögensgegenstände, die Gegenstand der Hauptsache sind, beschränkt. Artikel 9: Anrufung eines Gerichts Für die Zwecke dieses Kapitels gilt ein Gericht als angerufen a) zu dem Zeitpunkt, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht worden ist, vorausgesetzt, dass der Antragsteller es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstücks an den Antragsgegner zu bewirken, b) falls die Zustellung vor Einreichung des Schriftstücks bei Gericht zu bewirken ist, zu dem Zeitpunkt, zu dem die für die Zustellung verantwortliche Stelle das Schriftstück erhalten hat, vorausgesetzt, dass der Antragsteller es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um das Schriftstück bei Gericht einzureichen, oder ba) falls das Gericht das Verfahren von Amts wegen einleitet, zu dem Zeitpunkt, zu dem der Beschluss über die Einleitung des Verfahrens vom Gericht gefasst oder, wenn ein solcher Beschluss nicht erforderlich ist, zu dem Zeitpunkt, zu dem die Sache beim Gericht eingetragen wird. Artikel 10: Prüfung der Zuständigkeit (…) Artikel 11: Prüfung der Zulässigkeit (…) Artikel 12: Rechtshängigkeit (1) Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Verfahren wegen desselben Anspruchs zwischen den Partnern anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. (2) (…) (3) (…) Artikel 13: Aussetzung wegen Sachzusammenhang (1) (…) (2) Sind diese Verfahren in erster Instanz anhängig, so kann sich jedes später angerufene Gericht auf Antrag eines der Partner auch für unzuständig erklären, wenn das zuerst angerufene Gericht für die betreffenden Verfahren zuständig ist und die Verbindung der Verfahren nach seinem Recht zulässig ist. (3) (…) Artikel 14: Einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen (…)

Kapitel III: Anzuwendendes Recht Artikel -15: Einheit und Reichweite des anzuwendenden Rechts (1) Das auf den Güterstand einer eingetragenen Partnerschaft anwendbare Recht gilt für alle diesem Güterstand unterliegenden Vermögensgegenstände, unabhängig davon, wo sie sich befinden.

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(2) Das auf den Güterstand der eingetragenen Partnerschaft anzuwendende Recht bestimmt unbeschadet des Artikels 1 Absatz 3 Buchstaben g und ga unter anderem a) die Aufteilung des Vermögens der Partner in verschiedene Kategorien vor und nach der eingetragenen Partnerschaft, b) die Übertragung des Vermögens von einer Kategorie in die andere; c) gegebenenfalls Haftung für Schulden des Partners, d) die Verfügungsbefugnisse der Partner während der Partnerschaft, e) die Auflösung und Abwicklung des Güterstands der eingetragenen Partnerschaft und die Vermögensauseinandersetzung bei Aufhebung der eingetragenen Partnerschaft, f) die Wirkungen des Güterstands der eingetragenen Partnerschaft auf ein Rechtsverhältnis zwischen einem Partner und Dritten, nach Maßgabe des Artikels 31. Artikel -15a: Universelle Anwendung Das nach dieser Verordnung bezeichnete Recht ist anzuwenden, unabhängig davon, ob es das Recht eines Mitgliedstaats ist oder nicht. Artikel -15b: Rechtswahl (1) Die Partner oder künftigen Partner können das auf den Güterstand ihrer eingetragenen Partnerschaft anzuwendende Recht durch Vereinbarung bestimmen oder ändern, sofern dieses Recht das Institut der eingetragenen Partnerschaft und den daran geknüpften Güterstand anerkennt und es sich dabei handelt entweder um a) das Recht des Staates, in dem die Partner oder künftigen Partner oder einer von ihnen zum Zeitpunkt der Vereinbarung seinen gewöhnlichen Aufenthalt haben bzw. hat, oder b) Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit einer der Partner oder künftigen Partner zum Zeitpunkt der Vereinbarung besitzt, oder c) das Recht eines Staates, in dem die Partnerschaft eingetragen ist. (2) Wenn das gewählte Recht das Institut der eingetragenen Partnerschaft oder den daran geknüpften Güterstand nicht anerkennt, richtet sich die Bestimmung des anzuwendenden Rechts nach Artikel 15. (3) Eine Rechtswahl nach Absatz 1 ist nur wirksam, wenn die Partner oder künftigen Partner nachweisen können, dass sie sich, bevor sie diese Rechtswahl getroffen haben, im Hinblick auf die Rechtsfolgen dieser Rechtswahl haben beraten lassen. Dabei gilt dieses Erfordernis als erfüllt, wenn bereits die für die Rechtswahl geltenden zusätzlichen nationalen Formvorschriften diese Beratung sicherstellen. (4) Sofern die Partner nichts anderes vereinbaren, gilt ein während der Partnerschaft vorgenommener Wechsel des auf den Güterstand der eingetragenen Partnerschaft anzuwendenden Rechts nur für die Zukunft. (5) Beschließen die Partner, dass die Wirkungen dieses Wechsels rückwirkend eintreten, beeinträchtigt die Rückwirkung weder die Gültigkeit früherer Rechtshandlungen, die unter dem bis dahin anzuwendenden Recht vorgenommen wurden, noch die Rechte Dritter, die sich aus dem früher anzuwendenden Recht ergeben. Artikel 15: Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (1) Mangels Rechtswahl nach Artikel -15b unterliegt der Güterstand einer eingetragenen Partnerschaft dem Recht des Staates, a) in dem die Partner zum Zeitpunkt der Begründung der Partnerschaft ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben bzw. nach der Begründung der Part-

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nerschaft ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt nehmen, oder anderenfalls b) dessen Staatsangehörigkeit beide Partner zum Zeitpunkt der Begründung der Partnerschaft besitzen, oder anderenfalls c) mit dem die Partner unter Berücksichtigung aller Umstände zum Zeitpunkt der Begründung der Partnerschaft gemeinsam am engsten verbunden sind oder anderenfalls d) in dem die Partnerschaft eingetragen ist. (2) Absatz 1 Buchstaben a, b und c finden keine Anwendung, wenn das betreffende Recht das Institut der eingetragenen Partnerschaft nicht kennt. (3) Absatz 1 Buchstabe b findet keine Anwendung, wenn die Partner mehr als eine gemeinsame Staatsangehörigkeit besitzen. Artikel 15a: Mehrfacheintragung Bestehen zwischen denselben Personen eingetragene Partnerschaften in verschiedenen Staaten, so ist die zuletzt begründete Partnerschaft vom Zeitpunkt ihrer Begründung an für die in Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe d vorgesehene Bestimmung des anzuwendenden Rechts maßgebend. Artikel 16 entfällt Artikel 16a: Formvorschriften für die Rechtswahl (1) Die Rechtswahlvereinbarung nach Artikel -15b bedarf der Schriftform, der Datierung sowie der Unterzeichnung durch beide Partner. Elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, erfüllen die Schriftform. (2) Diese Vereinbarung hat die Formvorschriften des auf den Güterstand der eingetragenen Lebenspartnerschaft anzuwendenden Rechts oder des Rechts des Staates, in dem die Vereinbarung geschlossen wurde, zu erfüllen. (3) Sieht jedoch das Recht des Staates, in dem beide Partner zum Zeitpunkt der Vereinbarung ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, zusätzliche Formvorschriften für diese Art der Vereinbarung oder anderenfalls für den Ehevertrag vor, so sind diese Formvorschriften anzuwenden. (4) Haben die Partner zum Zeitpunkt der Rechtswahl ihren gewöhnlichen Aufenthalt in verschiedenen Staaten und sieht das Recht beider Staaten unterschiedliche Formvorschriften vor, so ist die Vereinbarung formgültig, wenn sie den Vorschriften des Rechts eines dieser Staaten genügt. Artikel 16b: Formvorschriften für eine Partnerschaftsvereinbarung Für die Form einer Partnerschaftsvereinbarung gilt Artikel 16a entsprechend. Zusätzliche Formvorschriften im Sinne des Artikels 16a Absatz 3 gelten für die Zwecke dieses Artikels nur für die Partnerschaftsvereinbarung. Artikel 16c: Anpassung dinglicher Rechte Macht eine Person ein dingliches Recht geltend, das ihr nach dem auf den Güterstand der eingetragenen Partnerschaft anzuwendenden Recht zusteht, und kennt das Recht des Mitgliedstaates, in dem das Recht geltend gemacht wird, das betreffende dingliche Recht nicht, so ist dieses Recht soweit erforderlich und möglich an das in der Rechtsordnung dieses Mit-

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gliedstaats am ehesten vergleichbare Recht anzupassen, wobei die mit dem besagten dinglichen Recht verfolgten Ziele und Interessen und die mit ihm verbundenen Wirkungen zu berücksichtigen sind. Artikel 17: Eingriffsnormen (1) Eingriffsnormen sind Vorschriften, deren Nichtbeachtung mit der öffentlichen Ordnung („ordre public“) des betroffenen Mitgliedstaats offensichtlich unvereinbar wäre. Die zuständigen Behörden sollten den Ordre-public-Vorbehalt nicht so auslegen, dass er gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere gegen ihren Artikel 21, der jede Form der Diskriminierung untersagt, verstößt. (2) Unbeschadet der im betreffenden Mitgliedstaat geltenden Verkehrsschutzvorschriften gemäß Artikel 31 schränkt diese Verordnung nicht die Anwendung der Eingriffsnormen des Rechts des angerufenen Gerichts ein. Artikel 18: Öffentliche Ordnung (ordre public) im Staat des angerufenen Gerichts (1) Die Anwendung einer Vorschrift des nach dieser Verordnung bezeichneten Rechts eines Staates darf nur versagt werden, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist. (2) (…) Artikel 19: Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung Unter dem nach dieser Verordnung anzuwendenden Recht eines Staates sind die in diesem Staat geltenden Rechtsnormen unter Ausschluss derjenigen des Internationalen Privatrechts zu verstehen. Artikel 20: Staaten mit mehr als einem Rechtssystem – Interlokale Kollisionsvorschriften (1) Verweist diese Verordnung auf das Recht eines Staates, der mehrere Gebietseinheiten umfasst, von denen jede eigene Rechtsvorschriften für die Güterrechtssachen eingetragener Partnerschaften hat, so bestimmen die internen Kollisionsvorschriften dieses Staates die Gebietseinheit, deren Rechtsvorschriften anzuwenden sind. (1a) In Ermangelung solcher internen Kollisionsvorschriften gilt: a) Jede Bezugnahme auf das Recht des in Absatz 1 genannten Staates ist für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts aufgrund von Vorschriften, die sich auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Partner beziehen, als Bezugnahme auf das Recht der Gebietseinheit zu verstehen, in der die Partner ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, b) jede Bezugnahme auf das Recht des in Absatz 1 genannten Staates ist für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts aufgrund von Bestimmungen, die sich auf die Staatsangehörigkeit der Partner beziehen, als Bezugnahme auf das Recht der Gebietseinheit zu verstehen, zu der die Partner die engste Verbindung haben; c) jede Bezugnahme auf das Recht des in Absatz 1 genannten Staates ist für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts aufgrund sonstiger Bestimmungen, die sich auf andere Anknüpfungspunkte beziehen, als Bezugnahme auf das Recht der Gebietseinheit zu verstehen, in der sich der einschlägige Anknüpfungspunkt befindet. Artikel 20a: Staaten mit mehr als einem Rechtssystem – Interpersonale Kollisionsvorschriften Gelten in einem Staat für den Güterstand eingetragener Partnerschaften zwei oder mehr Rechtssysteme oder Regelwerke für verschiedene Personengruppen, so ist jede Bezugnahme auf das Recht dieses Staates als Bezugnahme auf das Rechtssystem oder das Regelwerk zu verstehen, das die in diesem Staat geltenden Vorschriften zur Anwendung berufen. In Er-

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mangelung solcher Vorschriften ist das Rechtssystem oder das Regelwerk anzuwenden, zu dem die Partner die engste Verbindung haben. Artikel 20b: Nichtanwendung dieser Verordnung auf innerstaatliche Kollisionen Ein Mitgliedstaat, der mehrere Gebietseinheiten umfasst, von denen jede ihre eigenen Rechtsvorschriften für den Güterstand eingetragener Partnerschaften hat, ist nicht verpflichtet, diese Verordnung auf Kollisionen zwischen den Rechtsordnungen dieser Gebietseinheiten anzuwenden.

Kapitel IV: Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung Abschnitt 1: Entscheidungen Unterabschnitt 1: Anerkennung Artikel 21: Anerkennung der Entscheidungen (1) Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Die Anerkennung solcher Entscheidungen beinhaltet jedoch keine Anerkennung der eingetragenen Partnerschaften durch die Mitgliedstaaten als Rechtsinstitut in der eigenen Rechtsordnung. (2) Bildet die Frage, ob eine Entscheidung anzuerkennen ist, als solche den Gegenstand eines Streites, so kann jede Partei, welche die Anerkennung geltend macht, in dem Verfahren nach den Artikeln 27b bis 27o die Feststellung beantragen, dass die Entscheidung anzuerkennen ist. (3) (…) Artikel 22: Gründe für die Nichtanerkennung einer Entscheidung Eine Entscheidung wird nicht anerkannt, wenn a) die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde; b) dem Antragsgegner, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Antragsgegner hat die Entscheidung nicht angefochten, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte; c) sie mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die in einem Verfahren zwischen denselben Parteien in dem Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, ergangen ist; d) sie mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat in einem Verfahren zwischen denselben Parteien wegen desselben Anspruchs ergangen ist, sofern die frühere Entscheidung die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anerkennung in dem Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, erfüllt Artikel 23: Ausschluss der Nachprüfung der Zuständigkeit des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaats (…) Artikel 24: Unterschiede beim anzuwendenden Recht (…) Artikel 25: Ausschluss der Nachprüfung in der Sache Die in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung darf keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden.

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Artikel 26: Aussetzung des Anerkennungsverfahrens Das Gericht eines Mitgliedstaats, bei dem die Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung beantragt wird, kann das Verfahren aussetzen, wenn im Ursprungsmitgliedstaat gegen die Entscheidung ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt worden ist.

Unterabschnitt 2: Vollstreckung Artikel 27: Vollstreckbare Entscheidungen Die in einem Mitgliedstaat ergangenen und in diesem Staat vollstreckbaren Entscheidungen sind in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckbar, wenn sie auf Antrag eines Berechtigten dort nach dem Verfahren der Artikel 27b bis 27o für vollstreckbar erklärt worden sind. Artikel 27a: Bestimmung des Wohnsitzes Ist zu entscheiden, ob eine Partei für die Zwecke des Verfahrens nach den Artikeln 27b bis 27o im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsmitgliedstaates einen Wohnsitz hat, so wendet das befasste Gericht sein eigenes Recht an. Artikel 27b: Örtlich zuständiges Gericht (1) Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung ist an das Gericht oder die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats zu richten, die der Kommission von diesem Mitgliedstaat nach Artikel 33 mitgeteilt werden. (2) Die örtliche Zuständigkeit wird durch den Ort des Wohnsitzes der Partei, gegen die Vollstreckung erwirkt werden soll, oder durch den Ort, an dem die Vollstreckung durchgeführt werden soll, bestimmt. Artikel 27c: Verfahren (1) Für das Verfahren der Antragstellung ist das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates maßgebend. (2) Von dem Antragsteller kann nicht verlangt werden, dass er im Vollstreckungsmitgliedstaat über eine Postanschrift oder einen bevollmächtigten Vertreter verfügt. (3) Dem Antrag sind folgende Schriftstücke beizufügen: a) eine Ausfertigung der Entscheidung, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt; b) die Bescheinigung, die von dem Gericht oder der zuständigen Behörde des Ursprungsmitgliedstaats unter Verwendung des nach dem Beratungsverfahren nach Artikel 33c Absatz 2 erstellten Formblatts ausgestellt wurde, unbeschadet des Artikels 27d. Artikel 27d: Nichtvorlage der Bescheinigung (1) Wird die Bescheinigung nach Artikel 27c Absatz 3 Buchstabe b nicht vorgelegt, so kann das Gericht oder die zuständige Behörde eine Frist bestimmen, innerhalb deren die Bescheinigung vorzulegen ist, oder sich mit einem gleichwertigen Schriftstück begnügen oder von der Vorlage der Bescheinigung absehen, wenn kein weiterer Klärungsbedarf besteht. (2) Auf Verlangen des Gerichts oder der zuständigen Behörde ist eine Übersetzung der Schriftstücke vorzulegen. Die Übersetzung ist von einer Person zu erstellen, die zur Anfertigung von Übersetzungen in einem der Mitgliedstaaten befugt ist. Artikel 27e: Vollstreckbarerklärung

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Sobald die in Artikel 27c vorgesehenen Förmlichkeiten erfüllt sind, wird die Entscheidung unverzüglich für vollstreckbar erklärt, ohne dass eine Prüfung nach Artikel 22 erfolgt. Die Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, erhält in diesem Abschnitt des Verfahrens keine Gelegenheit, eine Erklärung zu dem Antrag abzugeben. Artikel 27f: Mitteilung der Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung (1) Die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung wird dem Antragsteller unverzüglich in der Form mitgeteilt, die das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats vorsieht. (2) Die Vollstreckbarerklärung und, soweit dies noch nicht geschehen ist, die Entscheidung werden der Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, zugestellt. Artikel 27g: Rechtsbehelf gegen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung (1) Gegen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung kann jede Partei einen Rechtsbehelf einlegen. (2) Der Rechtsbehelf wird bei dem Gericht eingelegt, das der betreffende Mitgliedstaat der Kommission nach Artikel 33 mitgeteilt hat. (3) Über den Rechtsbehelf wird nach den Vorschriften entschieden, die für Verfahren mit beiderseitigem rechtlichem Gehör maßgebend sind. (4) Lässt sich die Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, auf das Verfahren vor dem mit dem Rechtsbehelf des Antragstellers befassten Gericht nicht ein, so ist Artikel 11 auch dann anzuwenden, wenn die Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, ihren Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat. (5) Der Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung ist innerhalb von 30 Tagen nach ihrer Zustellung einzulegen. Hat die Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als dem, in dem die Vollstreckbarerklärung ergangen ist, so beträgt die Frist für den Rechtsbehelf 60 Tage und beginnt mit dem Tag, an dem die Vollstreckbarerklärung ihr entweder in Person oder in ihrer Wohnung zugestellt worden ist. Eine Verlängerung dieser Frist wegen weiter Entfernung ist ausgeschlossen. Artikel 27h: Rechtsbehelf gegen die Entscheidung über den Rechtsbehelf Gegen die über den Rechtsbehelf ergangene Entscheidung kann nur der Rechtsbehelf eingelegt werden, den der betreffende Mitgliedstaat der Kommission nach Artikel 33 mitgeteilt hat. Artikel 27i: Versagung oder Aufhebung einer Vollstreckbarerklärung Die Vollstreckbarerklärung darf von dem mit einem Rechtsbehelf nach Artikel 27g oder Artikel 27h befassten Gericht nur aus einem der in Artikel 2 Absatz 2 aufgeführten Gründe versagt oder aufgehoben werden. Das Gericht erlässt seine Entscheidung unverzüglich. Artikel 27j: Aussetzung des Verfahrens Das nach Artikel 27g oder Artikel 27h mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht setzt das Verfahren auf Antrag des Schuldners aus, wenn die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat wegen der Einlegung eines Rechtsbehelfs vorläufig nicht vollstreckbar ist. Artikel 27k: Einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen (1) Ist eine Entscheidung nach diesem Abschnitt anzuerkennen, so ist der Antragsteller nicht

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daran gehindert, einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats in Anspruch zu nehmen, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung nach Artikel 27e bedarf. (2) Die Vollstreckbarerklärung umfasst von Rechts wegen die Befugnis, Maßnahmen zur Sicherung zu veranlassen. (3) Solange die in Artikel 27g Absatz 5 vorgesehene Frist für den Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung läuft und solange über den Rechtsbehelf nicht entschieden ist, darf die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners nicht über Maßnahmen zur Sicherung hinausgehen. Artikel 27l: Teilvollstreckbarkeit (1) Ist durch die Entscheidung über mehrere Ansprüche erkannt worden und kann die Vollstreckbarerklärung nicht für alle Ansprüche erteilt werden, so erteilt das Gericht oder die zuständige Behörde sie für einen oder mehrere dieser Ansprüche. (2) Der Antragsteller kann beantragen, dass die Vollstreckbarerklärung nur für einen Teil des Gegenstands der Entscheidung erteilt wird. Artikel 27m: Prozesskostenhilfe Ist dem Antragsteller im Ursprungsmitgliedstaat ganz oder teilweise Prozesskostenhilfe oder Kosten- und Gebührenbefreiung gewährt worden, so genießt er im Vollstreckbarerklärungsverfahren hinsichtlich der Prozesskostenhilfe oder der Kosten- und Gebührenbefreiung die günstigste Behandlung, die das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats vorsieht. Artikel 27n: Keine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung Der Partei, die in einem Mitgliedstaat die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung oder Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung beantragt, darf wegen ihrer Eigenschaft als Ausländer oder wegen Fehlens eines inländischen Wohnsitzes oder Aufenthalts im Vollstreckungsmitgliedstaat eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung, unter welcher Bezeichnung es auch sei, nicht auferlegt werden. Artikel 27o: Keine Stempelabgaben oder Gebühren Im Vollstreckungsmitgliedstaat dürfen in Vollstreckbarerklärungsverfahren keine nach dem Streitwert abgestuften Stempelabgaben oder Gebühren erhoben werden.

Abschnitt 2: Öffentliche Urkunden und Gerichtliche Vergleiche Artikel 28: Annahme öffentlicher Urkunden (1) Eine in einem Mitgliedstaat errichtete öffentliche Urkunde hat in einem anderen Mitgliedstaat die gleiche formelle Beweiskraft wie im Ursprungsmitgliedstaat oder die damit am ehesten vergleichbare Wirkung, sofern dies der öffentlichen Ordnung (ordre public) des betreffenden Mitgliedstaats nicht offensichtlich widersprechen würde. Eine Person, die eine öffentliche Urkunde in einem anderen Mitgliedstaat verwenden möchte, kann die Behörde, die die öffentliche Urkunde im Ursprungsmitgliedstaat errichtet, ersuchen, das nach dem Beratungsverfahren nach Artikel 33c Absatz 2 erstellte Formblatt auszufüllen, das die formelle Beweiskraft der öffentlichen Urkunde in ihrem Ursprungsmitgliedstaat beschreibt. (1a) Einwände mit Bezug auf die Authentizität einer öffentlichen Urkunde sind bei den Gerichten des Ursprungsmitgliedstaats zu erheben; über diese Einwände wird nach dem

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Recht dieses Staates entschieden. Eine öffentliche Urkunde, gegen die solche Einwände erhoben wurden, entfaltet in einem anderen Mitgliedstaat keine Beweiskraft, solange die Sache bei dem zuständigen Gericht anhängig ist. (1b) Einwände mit Bezug auf die in einer öffentlichen Urkunde beurkundeten Rechtsgeschäfte oder Rechtsverhältnisse sind bei den nach dieser Verordnung zuständigen Gerichten zu erheben; über diese Einwände wird nach dem nach Kapitel III anzuwendenden Recht bzw. dem nach Artikel 32 berufenen Recht entschieden. Eine öffentliche Urkunde, gegen die solche Einwände erhoben wurden, entfaltet in einem anderen als dem Ursprungsmitgliedstaat hinsichtlich des bestrittenen Umstands keine Beweiskraft, solange die Sache bei dem zuständigen Gericht anhängig ist. (1c) Hängt die Entscheidung des Gerichts eines Mitgliedstaats von der Klärung einer Vorfrage mit Bezug auf die in einer öffentlichen Urkunde beurkundeten Rechtsgeschäfte oder Rechtsverhältnisse in Güterrechtssachen ab, so ist dieses Gericht zur Entscheidung über diese Vorfrage zuständig. Artikel 29: Vollstreckbarkeit öffentlicher Urkunden (1) Öffentliche Urkunden, die im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sind, werden in einem anderen Mitgliedstaat auf Antrag eines Berechtigten nach dem Verfahren der Artikel 27b bis 27o für vollstreckbar erklärt. (1a) Für die Zwecke des Artikels 27c Absatz 3 Buchstabe b stellt die Behörde, die die öffentliche Urkunde errichtet hat, auf Antrag eines Berechtigten eine Bescheinigung unter Verwendung des nach dem Beratungsverfahren nach Artikel 33 Absatz 2 erstellten Formblatts aus. (2) Die Vollstreckbarerklärung wird von dem mit einem Rechtsbehelf nach Artikel 27g oder Artikel 27h befassten Gericht nur versagt oder aufgehoben, wenn die Vollstreckung der öffentlichen Urkunde der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Vollstreckungsmitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde. Artikel 30: Vollstreckbarkeit gerichtlicher Vergleiche (1) Gerichtliche Vergleiche, die im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sind, werden in einem anderen Mitgliedstaat auf Antrag eines Berechtigten nach dem Verfahren der Artikel 27b bis 27o für vollstreckbar erklärt. (1a) Für die Zwecke des Artikels 27c Absatz 3 Buchstabe b stellt das Gericht, das den Vergleich gebilligt hat oder vor dem der Vergleich geschlossen wurde, auf Antrag eines Berechtigten eine Bescheinigung unter Verwendung des nach dem Beratungsverfahren nach Artikel 33c Absatz 2 erstellten Formblatts aus. (1b) Die Vollstreckbarerklärung wird von dem mit einem Rechtsbehelf nach Artikel 27g oder Artikel 27h befassten Gericht nur versagt oder aufgehoben, wenn die Vollstreckung der öffentlichen Urkunde der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Vollstreckungsmitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde.

Kapitel V: Wirkung gegenüber Dritten Artikel 31: Schutz Dritter (1) Die Wirkungen des Güterstands der eingetragenen Partnerschaft auf ein Rechtsverhältnis zwischen einem Partner und einem Dritten bestimmen sich nach dem Recht, das nach dieser Verordnung auf den Güterstand einer eingetragenen Partnerschaft anzuwenden ist. (2) In einem Rechtsverhältnis zwischen einem Partner und einem Dritten kann sich jedoch

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keiner der Partner auf das auf den Güterstand der Partnerschaft anzuwendende Recht berufen, wenn der Partner, der in dem Rechtsverhältnis zu dem Dritten steht, und der Dritte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat haben, der nicht derjenige Staat ist, dessen Recht auf den Güterstand der eingetragenen Partnerschaft anzuwenden ist. In diesem Fall ist das Recht des Mitgliedstaats des gewöhnlichen Aufenthalts des betreffenden Partners und des Dritten auf die Wirkungen des Güterstands der eingetragenen Partnerschaft gegenüber dem Dritten anzuwenden. (3) Absatz 2 gilt nicht, wenn a) dem Dritten bekannt war oder hätte bekannt sein müssen, welche Rechtsordnung auf den Güterstand der eingetragenen Partnerschaft anzuwenden ist, oder b) die Anforderungen betreffend die Registrierung oder Publizität des Güterstands der eingetragenen Partnerschaft nach dem Recht des Staats des gewöhnlichen Aufenthalts des Dritten und des Partners, der in dem Rechtsverhältnis zu dem Dritten steht, eingehalten wurden, oder c) bei Geschäften mit unbeweglichen Sachen die Anforderungen betreffend die Registrierung oder Publizität des Güterstands der eingetragenen Partnerschaft in Bezug auf die unbewegliche Sache nach dem Recht des Staats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist, eingehalten wurden.

Kapitel VI: Allgemeine und Schlussbestimmungen Artikel -32: Gewöhnlicher Aufenthalt (1) Für die Zwecke dieser Verordnung ist der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen der Ort ihrer Hauptverwaltung. Der gewöhnliche Aufenthalt einer natürlichen Person, die im Rahmen der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit handelt, ist der Ort ihrer Hauptniederlassung. (2) Wird das Rechtsverhältnis im Rahmen des Betriebs einer Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung geschlossen oder ist für die Erfüllung gemäß dem Vertrag eine solche Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung verantwortlich, so steht der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts dem Ort gleich, an dem sich die Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung befindet. (3) Für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts ist der Zeitpunkt der Begründung des Rechtsverhältnisses maßgebend. Artikel 32: Verhältnis zu bestehenden internationalen Übereinkünften (…) Artikel 33: Informationen für die Öffentlichkeit und die zuständigen Behörden (1) Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission bis spätestens […] folgende Informationen in der/den Amtssprache(n), die sie für zweckmäßig halten: a) eine Beschreibung des nationalen Güterrechts und der Güterrechtsverfahren, die für eingetragene Partnerschaften gelten, sowie den Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen, b) die nationalen Bestimmungen über die Drittwirkung gemäß Artikel 31 Absätze 2 und 3. ba) die Namen und Kontaktdaten der für Anträge auf Vollstreckbarerklärung gemäß Artikel 27b Absatz 1 und für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen über derartige Anträge gemäß Artikel 27g Absatz 2 zuständigen Gerichte und Behörden; bb) die in Artikel 27h genannten Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung über den Rechtsbehelf.

Kathrin Kroll-Ludwigs

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B.I.4b EU-Lebenspartner-Güterstandsverordnung

(2) (…) (3) Die Kommission macht die nach den Absätzen 1 und 2 übermittelten Informationen in einfacher Weise auf geeignetem Wege, insbesondere auf der mehrsprachigen Website des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, öffentlich zugänglich. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Informationen über diese mehrsprachige Website über alle von ihnen eingerichteten offiziellen Websites zugänglich sind, insbesondere durch die Bereitstellung eines Links auf die Website der Kommission. (3a) Die Kommission schafft ein Informations- und Schulungsinstrument für die zuständigen Justizbediensteten und Angehörigen der Rechtsberufe in Form eines in sämtlichen Amtssprachen der Organe der Union verfügbaren interaktiven Internetportals einschließlich eines Systems für den Austausch von beruflichen Kompetenzen und Fachwissen. Artikel 33a: Erstellung und spätere Änderung der Liste der in Artikel 2 Absatz 1a vorgesehenen Informationen (1) Die Kommission erstellt anhand der Mitteilungen der Mitgliedstaaten die Liste der in Artikel 2 Absatz 1a genannten sonstigen Behörden und Angehörigen von Rechtsberufen. (2) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission spätere Änderungen der in dieser Liste enthaltenen Angaben mit. Die Kommission ändert die Liste entsprechend. (3) Die Kommission veröffentlicht die Liste und etwaige spätere Änderungen im Amtsblatt der Europäischen Union. (4) Die Kommission stellt der Öffentlichkeit alle nach den Absätzen 1 und 2 mitgeteilten Informationen auf andere geeignete Weise, insbesondere über das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen, zur Verfügung. Artikel 33b: Erstellung und spätere Änderung der Bescheinigungen und der Formblätter nach den Artikeln 27c, 28, 29 und 30 Die Kommission erlässt Durchführungsrechtsakte zur Erstellung beziehungsweise späteren Änderung der Bescheinigungen und der Formblätter gemäß den Artikeln 27c, 28, 29 und 30. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 33c Absatz 2 genannten Beratungsverfahren angenommen. Artikel 33c: Ausschussverfahren (1) Die Kommission wird von einem Ausschuss unterstützt. Dieser Ausschuss ist ein Ausschuss im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 182/2011. (2) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gilt Artikel 4 der Verordnung (EU) Nr. 182/ 2011. Artikel 34: Revisionsklausel (1) Die Kommission legt dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss spätestens zum [fünf Jahre nach Beginn der Anwendung dieser Verordnung] und danach alle fünf Jahre einen Bericht über die Anwendung dieser Verordnung vor. Dem Bericht werden gegebenenfalls Vorschläge zur Anpassung dieser Verordnung beigefügt. Die Kommission untersucht in ihren Berichten insbesondere folgende Fragen: – Gebrauchmachen von den Möglichkeiten zur Rechtswahlvereinbarung und der Wahl des Gerichtsstands durch eingetragene Partnerschaften und Auswirkungen in der Praxis, – praktische Bewährung des Beratungserfordernisses bei Rechtswahl, – Gebrauchmachen von der Möglichkeit der Unzuständigkeitserklärung durch Gerichte

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Oktober 2014

Parlamentsvorschlag

EU-LP-GüterVO-E

der Mitgliedstaaten, die das Institut der eingetragenen Partnerschaft nicht kennen, und Auswirkungen in der Praxis, und – Möglichkeiten der weiteren Angleichung der Regelungen in dieser Verordnung an die Verordnung über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts mit dem Ziel einer weiteren Gleichstellung. (2) (…) Artikel 35: Übergangsbestimmungen (1) (…) (2) (…) (3) Kapitel III gilt nur für eingetragene Partner, die nach Beginn der Anwendung dieser Verordnung a) die eingetragene Partnerschaft eingegangen sind oder b) eine Rechtswahl bezüglich des auf ihren Güterstand anzuwendenden Rechts getroffen haben. Eine Rechtswahlvereinbarung, die vor dem [Zeitpunkt der Anwendung dieser Verordnung] geschlossen wurde, ist ebenfalls wirksam, sofern sie die Voraussetzungen des Kapitels III erfüllt oder sie nach dem – zum Zeitpunkt der Rechtswahl nach den einschlägigen Vorschriften des Internationalen Privatrechts – anzuwendenden Recht wirksam ist. Eine Rechtswahlvereinbarung, die vor dem [Zeitpunkt der Anwendung dieser Verordnung] unter Vorwegnahme der Möglichkeit der Rechtswahl nach dieser Verordnung geschlossen wurde, die aber nach dem – zum Zeitpunkt der Rechtswahl nach den einschlägigen Vorschriften des Internationalen Privatrechts – anzuwendenden Recht nicht wirksam war, da im anzuwendenden Recht eine Rechtswahl für eingetragene Partnerschaften nicht vorgesehen war, wird mit [Zeitpunkt der Anwendung dieser Verordnung] wirksam. Artikel 36: Inkrafttreten (…)

Kathrin Kroll-Ludwigs

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B.I.5 Verordnung (EU) Nr 606/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen ABl EU 2013 L 181/4 Schrifttum 1. Ausgewähltes Schrifttum zur EU-SchutzMVO Brodowski, Strafrechtsrelevante Entwicklungen in der Europäischen Union – ein Überblick, ZIS 2011, 940 Brodowski, Strafrechtsrelevante Entwicklungen in der Europäischen Union – ein Überblick, ZIS 2012, 558 Brodowski, Strafrechtsrelevante Entwicklungen in der Europäischen Union – ein Überblick, ZIS 2013, 455 Garber/Neumayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht (Brüssel I/IIa ua), Jahrbuch Europarecht 2012, 235 Garber/Neumayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht (Brüssel I/IIa ua), Jahrbuch Europarecht 2013, 211 Garber/Neumayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht (Brüssel I/IIa ua), Jahrbuch Europarecht 2014, 199 Kohler/Pintens, Entwicklungen im europäischen Personen- und Familienrecht 2012-2013, FamRZ 2013, 1437 Lamont, Beating domestic violence? Assessing the EU’s contribution to tackling violence against women, CML Rev 2013, 1787 Lepik/Torga, Hagi tagamine ja esialgne õiguskaitse tsiviilasjades: rahvusvaheline mõõde (Abstract: The International Dimensions of Provisional Measures Taken by Civil Courts), Juridica 2013, 742 Mansel/Thorn/Wagner, Europäisches Kollisionsrecht 2013: Atempause im status quo, IPRax 2014, 1 Mohr, Die Europäischen Schutzmaßnahmen, iFamZ 2014, 221 Mohr, Die Exekutionsordnungs-Novelle 2014, ÖJZ 2014/143, 947

Kathrin Binder

Pesendorfer, Familienrechtliche Neuerungen durch die EO-Novelle 2014, iFamZ 2014, 209 Pietsch, Die EU-Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen, NZFam 2014, 726 Schmidt-Kessel/Herden, Neues aus Brüssel, GPR 2013, 58 Schmidt-Kessel/Herden, Neues aus Brüssel, GPR 2013, 239 Van Iterson, Recognition and Enforcement of foreign Civil Protection Orders – A Topic for the Hague Conference?, FS van Loon (2013) 609 Wagner, Aktuelle Entwicklungen in der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, NJW 2012, 1333 Wagner, Die Rechtsinstrumente der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen – Eine Bestandsaufnahme, NJW 2013, 3128 Wagner, Aktuelle Entwicklungen in der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, NJW 2014, 1862. 2. Ausgewähltes Schrifttum zu nationalen Schutzregelungen Deutschland Borth/Grandel in: Musielak/Borth, FamFG4 (2013) §§ 210-216a Erbarth in: Münchener Kommentar FamFG2 (2013) §§ 210-216a Fest in: Haußleiter, FamFG (2011) §§ 210-216a Frytag in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, GewSchG (EL 148, 2003) Giers in: Keidel, FamFG18 (2014) §§ 210-216a

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EU-SchutzMVO Götz in: Johannsen/Henrich, Familienrecht5 (2010) §§ 210-216a FamFG Heinke, Gewaltschutzgesetz (2012) Kemper in: Schulze/Dörner/Ebert/Hoeren/Kemper/ Saenger/Schreiber/Schulte-Nölke/Staudinger, Handkommentar BGB8 (2014) GewSchG Kemper in: Saenger, Handkommentar ZPO5 (2013) §§ 210-216a FamFG Krüger in: Münchener Kommentar BGB6 (2013) GewSchG Motzer, Ehewohnung, Haushaltsgegenstände und Gewaltschutz, in: Scholz/Kleffmann/Motzer, Praxishandbuch Familienrecht (19. EL 2010) Rn 104-157 Paul, Gewaltschutzsachen, in: Eckebrecht/GroßeBoymann/Gutjahr/Paul/Schael/von SwieykowskiTrzaska/Weidemann, Verfahrenshandbuch Familiensachen2 (2010) Plastrotmann, Zwangsvollstreckung und Gewaltschutzgesetz, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung2 (2013) Reinken in: Beck’scher Online-Kommentar BGB, GewSchG Schlünder in: Beck’scher Online-Kommentar FamFG, §§ 210-216a Schumacher, Mehr Schutz bei Gewalt in der Familie, FamRZ 2002, 645. Österreich Barth, Kann ein Rückkehrverbot nach § 382b Abs 1 Z 2 EO gegen jemanden erlassen werden, dessen Aufenthalt unbekannt ist?, östAnwBl 2002, 83 Bauer, Zur Geltungsdauer der Gewaltschutz-EV – Ein Replik zu EF-Z 2010/100, EF-Z 2010/127, 190 Bauer/Keplinger/Sadoghi/Schwarz-Schlöglmann/ Sorgo, Gewaltschutzgesetz – Praxiskommentar3 (2013) Beck in: Gitschthaler/Höllwerth, Kommentar zum Ehe- und Partnerschaftsrecht (2011) §§ 382b-382e EO, zitiert: Gitschthaler/Höllwerth/Beck, EuPR Beck, Gewaltschutz und prozessuale Handlungsfähigkeit. Die Wegweisung mündiger Minderjähriger – ein Schnellverfahren mit prozessualen Besonderheiten, EF-Z 2011/128, 211 Beck, Geltungsdauer der Gewaltschutz-EV – Eine Besprechung der E 9 Ob 32/09k, EF-Z 2010/100, 147 Beck, Gewaltschutz neu – ein Überblick, EF-Z 2009/ 110, 157

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B.I.5 EU-Schutzmaßnahmenverordnung Beck, Gewaltschutz-EV im Überblick, EF-Z 2008/73, 116 Dearing/Haller, Schutz vor Gewalt in der Familie – Das österreichische Gewaltschutzgesetz (2005) Dearing/Haller, Das österreichische Gewaltschutzgesetz (2000) Deixler-Hübner, Vom Auftrag zum Verlassen der Ehewohnung zum 2. Gewaltschutzgesetz 2009 – Zur Neuregelung des Schutzes vor Gewalt in Wohnungen und des allgemeinen Gewaltschutzes, iFamZ 2009, 225 Deixler-Hübner, Scheidung, Ehe, Lebensgemeinschaft11 (2013) Graf, Die einstweiligen Verfügungen nach § 382g EO zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre („Stalking“), Zak 2006/521, 303 Hager-Rosenkranz, Das 2. Gewaltschutzgesetz 2009 – Änderungen im zivilgerichtlichen Verfahren, ecolex 2009, 560 Hager-Rosenkranz, Das neue „Anti-Stalking-Gesetz“ und seine Auswirkungen auf einstweilige Verfügungen, EF-Z 2006/65, 115 Heissenberger, Straf- und zivilrechtliche Aspekte der „Beharrlichen Verfolgung“ gem § 107a StGB, östAnwBl 2006, 634 Hengerer/Ullmann, Das Gewaltschutzgesetz in Österreich, SIAK-Journal 3/2005, 12 Hopf/Kathrein, Eherecht mit wichtigen Nebengesetzen3 (2014) §§ 382b-382e EO Hopf/Stabentheiner, Das Eherechts-Änderungsgesetz, ÖJZ 1999, 863 Jakusch, Die EO-Novelle 2003, ÖJZ 2004/14, 201 Kneihs/Preiß, Wegweiserecht und Rückkehrverbot: Sicherheitspolizeiliches Einschreiten bei Gewalt „in Wohnungen“, JRP 1997, 102 Kodek, Einstweilige Verfügungen im Familienrecht und Art 6 EMRK – Überlegungen aus Anlass der Entscheidung Micallef gegen Malta, EF-Z 2010/35, 58 E Kodek in: Angst, EO2 (2008) §§ 382b-382e Konecny, Zur Wirksamkeit einstweiliger Verfügungen nach Ablauf der Verfügungsfrist, ÖBA 1997, 987 König, Einstweilige Verfügung im Zivilverfahren4 (2012) Kühnberg, Schutz vor Gewalt in der Familie – Rechtsbehelfe und Rechtsschutz, FamZ 2006, 169 Löw, Zwei Jahre Gewaltschutzgesetz, ÖA 1999, 244 Mair, Neuerungen im Zivilverfahrensrecht

November 2014

B.I.5 EU-Schutzmaßnahmenverordnung durch das 2. GeSchG und die ZVN 2009, JAP 2009/2010/7, 42 Maleczky, Zweites Gewaltschutzgesetz (2. GeSchG), JAP 2009/2010/1, 5 Mohr, Neuerungen bei den einstweiligen Verfügungen zum Schutz vor Gewalt und Stalking – Änderungen durch das 2. Gewaltschutzgesetz, ÖJZ 2009/ 56, 485 Mohr, EO-Novelle 2003, ecolex 2003, 502 Mottl, Alte und neue rechtliche Instrumente gegen Gewalt in der Familie, ÖJZ 1997, 542 Neuhauser, Der gesetzliche Schutz vor Gewalt in der Familie und dessen Auswirkungen auf den Jugendwohlfahrtsträger, ÖA 1997, 45 Pesendorfer, Das 2. Gewaltschutzgesetz im Überblick – Zivil- und strafrechtliche Änderungen, iFamZ 2009, 165 Roth/Egger, Zweites Gewaltschutzgesetz, EF-Z 2009/ 93, 125 Sailer in: Burgstaller/Deixler-Hübner, EO §§ 382b382e (11. Lfg 2008) Seibt in: Deixler-Hübner/Schwarzinger, Die rechtliche Stellung der Frau (1998) 31 Sykora, Das Gesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie (BGBl 1996/759), östAnwBl 1998, 292 Thoma-Twaroch, Umgang mit Gewalt – Vom Gewaltschutz in der Familie zu einem allgemeinen Gewaltschutz, iFamZ 2008, 331 Wolfrum/Dimmel, Das „Anti-Stalking-Gesetz“ – Neuerungen im Straf- und Zivilrecht zum Schutz vor „Stalking“, ÖJZ 2006/29, 475 Zackl, Einstweilige Verfügungen und (Un-)Zulässigkeit unwiederbringlicher Eilmaßnahmen, ÖJZ 2005/2, 12. 3. Allgemeines Schrifttum Althammer/Löhing, Zwischen Realität und Utopie: Der Vertrauensgrundsatz in der Rechtsprechung des EuGH zum europäischen Zivilprozessrecht, ZZPInt 2004, 23 Anzenberger, Zur Bindungswirkung von Vorabentscheidungen, in: Clavora/Garber, Das Vorabentscheidungsverfahren in der Zivilgerichtsbarkeit (2014) 177 Binder, Conflict of Principles in European Civil Procedural Law, euvr 2012, 164 Binder, Die Verletzung der Vorlagepflicht durch

Kathrin Binder

EU-SchutzMVO nationale Zivilgerichte, in: Leidenmühler/Eder/ Leingartner/Winkler, Grundfreiheiten – Grundrechte – Europäisches Haftungsrecht (2012) 233 Binder, Das Spannungsverhältnis von Vorabentscheidungsverfahren und Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten, in: Clavora/Garber, Das Vorabentscheidungsverfahren in der Zivilgerichtsbarkeit (2014) 53 Binder, Kollision von Prinzipien im Europäischen Zivilverfahrensrecht (im Druck), zitiert: Binder, Kollision von Prinzipien Broberg/Fenger, Theorie und Praxis der Acte-clairDoktrin des EuGH, EuR 2010, 835 Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EG-Vertrag2 (1995), zitiert: Dauses, Vorabentscheidungsverfahren2 Dauses, Aufgabenteilung und judizieller Dialog zwischen den einzelstaatlichen Gerichten und dem EuGH als Funktionselemente des Vorabentscheidungsverfahrens, FS Everling I (1995) 223 Everling, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (1986), zitiert: Everling, Vorabentscheidungsverfahren Fabricius, Das Kontrollrecht von Rat und Parlament nach der Komitologie-Durchführungsverordnung, EuZW 2014, 453 Frauenberger-Pfeiler, EuZVR: Die neue Generation (Teil I). Europäisches Mahnverfahren und Bagatellverfahren, JAP 2008/2009/15, 103 Frauenberger-Pfeiler, EuZVR: Die neue Generation (Teil II). Europäisches Mahnverfahren und Bagatellverfahren, JAP 2008/2009/20, 170 Frenz, Handbuch Europarecht. Band 5: Wirkungen und Rechtsschutz (2010), zitiert: Frenz, Handbuch Europarecht V Galetta, Procedural Autonomy of EU Member States: Paradise Lost? (2010), zitiert: Galetta, Procedural Autonomy Galetta, Begriff und Grenzen der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, EuR-Beiheft 1/2012, 37 Geroldinger, Klarstellungen zu Art 3 EuInsVO und Aufweichung der (innerprozessualen) Bindungswirkung, ZIK 2011/293, 208 Haas, Sanktionsmöglichkeiten bei Verletzung der Vorlagepflicht an den EuGH, in: Clavora/Garber,

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EU-SchutzMVO Das Vorabentscheidungsverfahren in der Zivilgerichtsbarkeit (2014) 149 Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union (2001), zitiert: Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip Herrmann, Die Reichweite der gemeinschaftsrechtlichen Vorlagepflicht in der neueren Rechtsprechung des EuGH, EuZW 2006, 231 Hess, Urteilsfreizügigkeit und ordre public-Vorbehalt bei Verstößen gegen Verfahrensgrundrechte und Marktfreiheiten, IPRax 2001, 301 Huber, The Unitary Effect of the Community’s Fundamental rights: The ERT-Doctrine Needs to be Reviewed, European Public Law 2008, 323 Jayme/Kohler, Europäisches Kollisionsrecht 2001: Anerkennungsprinzip statt IPR?, IPRax 2001, 501 Jayme/Kohler, Europäisches Kollisionsrecht 2004: Territoriale Erweiterung und methodische Rückgriffe, IPRax 2004, 481 Kepplinger, Die Acte-clair-Doktrin als Ausnahme von der Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte, in: Clavora/Garber, Das Vorabentscheidungsverfahren in der Zivilgerichtsbarkeit (2014) 33 Kohler, Herkunftslandprinzip und Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen im europäischen Justizraum, in: Reichelt, Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht (2006) 71 König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2011), zitiert: König, Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz Krönke, Verfahrensautonomie der EU-Mitgliedstaaten?, Ritsumeikan Law Review 28/2011, 307 Krönke, Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (2013), zitiert: Krönke, Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Kulms, Der Effektivitätsgrundsatz (2013), zitiert: Kulms, Effektivitätsgrundsatz Lecheler, Der Europäische Gerichtshof und die allgemeinen Rechtsgrundsätze (1971), zitiert: Lecheler, Rechtsgrundsätze Lecheler, Der Grundsatz der Effektivität im Gemeinschaftsrecht – Herkunft und Ausprägung, in: Reichelt, Vorlesungen und Vorträge Ludwig Boltzmann Institut für Europarecht Heft 15 (2002) Niehof, Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im Gemeinschaftsrecht, Diss FU Berlin (1989),

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B.I.5 EU-Schutzmaßnahmenverordnung zitiert: Niehof, Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung Odersky, Vertrauen in die Rechtsordnungen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten, FS Everling II (1995) 1001 Pabst, Entscheidungszuständigkeit und Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit in Ehesachen mit Europabezug (2009), zitiert: Pabst, Entscheidungszuständigkeit Potacs, Effet utile als Auslegungsgrundsatz, EuR 2009, 465 Rechberger, Die neue Generation – Bemerkungen zu den Verordnungen Nr. 805/2004, Nr. 1896/2006 und Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates, FS Leipold (2009) 301 Reichelt, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH: Funktion und Bedeutung, in: Reichelt, Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH (1998) 7 Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union3 (2014) Rodríguez Iglesias, Der EuGH und die Gerichte der Mitgliedstaaten – Komponenten der richterlichen Gewalt in der Europäischen Union, NJW 2000, 1889 Schima, Das Subsidiaritätsprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht (1994), zitiert: Schima, Subsidiaritätsprinzip Schima, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH2 (2004), zitiert: Schima, Vorabentscheidungsverfahren2 Schima, Rechtsschutz, Jahrbuch Europarecht 2011, 37 Schwab, Der Europäische Gerichtshof und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (2002), zitiert: Schwab, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Schweitzer/Hummer/Obwexer, Europarecht (2007) Seyr, Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH (2008), zitiert: Seyr, effet utile Sima, Die Bindungswirkung von Vorabentscheidungsurteilen des EuGH in Parallelverfahren, in: Reichelt, Vorlesungen und Vorträge Ludwig Boltzmann Institut für Europarecht Heft 25 (2005) 139 Sitta, Die Interpretationsmethoden in der österreichischen Lehre und Judikatur in Spannung zu den Interpretationsmethoden des EuGH, in: Hummer, Europarecht im Wandel (2003) 341 Skouris, Stellung und Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens im europäischen Rechtsschutzsystem, EuGRZ 2008, 343

November 2014

B.I.5 EU-Schutzmaßnahmenverordnung Stix-Hackl, Aspekte der Verfahrensautonomie von Mitgliedstaaten, östAnwBl 1999, 413 Streinz, der „effet utile“ in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, FS Everling II (1995) 1491 Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU3 (2010), zitiert: Streinz/Ohler/ Herrmann, Vertrag von Lissabon3 Thiele, Europäisches Prozessrecht (2007)

EU-SchutzMVO Thomy, Individualrechtsschutz durch das Vorabentscheidungsverfahren (2009), zitiert: Thomy, Individualrechtsschutz Tomasic, Effet utile (2013) Wienhues, Gemeinsamer Rechtsschutz durch die deutschen Gerichte und den Europäischen Gerichtshof, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss2 (2010) 2381.

Materialien 1. EU-SchutzMVO Europäischer Rat, Das Stockholmer Programm – Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger, ABl EU 2010 C 115/1 Europäische Kommission, Machbarkeitsstudie zur Bewertung der Möglichkeiten, Aussichten und des bestehenden Bedarfs für die Vereinheitlichung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf den Gebieten Gewalt gegen Frauen, Gewalt gegen Kinder und Gewalt wegen sexueller Orientierung (2011), http:// bookshop.europa.eu/de/machbarkeitsstudie-zurbewertung-der-moeglichkeiten-aussichten-unddes-bestehenden-bedarfs-fuer-die-vereinheit lichung-der-einzelstaatlichenrechtsvorschriftenauf-den-gebieten-gewalt-gegen-frauen-gewaltgegenkinder-und-gewalt-wegen-sexuellerorientierung-pbNE3209188/?CatalogCategoryID=cOwKABstC3oAAAEjeJEY4e5L Hess, Feasibility Study: The European Protection Order and the European Law of Civil Procedure, 8.5. 2011, http://bookshop.europa.eu/de/the-europeanprotection-order-and-the-european-law-of-civilprocedure-pbDS0213381/ Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Stärkung der Opferrechte in der EU, 18.5.2011, KOM (2011) 274 Europäische Kommission, Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen, 18.5.2011, KOM (2011) 276 Europäische Kommission, Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen – Zusammenfassung der Folgenabschätzung, 18.5.2011, SEK (2011) 581

Kathrin Binder

Rat der Europäischen Union, Entschließung des Rates über einen Fahrplan zur Stärkung der Rechte und des Schutzes von Opfern, insbesondere in Strafverfahren, 10.6.2011, ABl EU 2011 C 187/1 EDSB, Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zu dem Legislativpaket für die Opfer von Straftaten, einschließlich eines Vorschlags für eine Richtlinie über Mindeststandards für die Rechte und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie für die Opferhilfe und eines Vorschlags für eine Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen, 17.10.2011, ABl EU 2012 C 35/10 AdR, Stellungnahme des Ausschusses der Regionen: „Das Legislativpaket über Opferrechte“, 16.2.2012, ABl EU 2012 C 113/56 López-Istúriz White/Parvanova, Europäisches Parlament, Rechtsausschuss, Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter, Entwurf eines Berichts über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen, 7.3.2012, 2011/0130(COD) Rat der Europäischen Union, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen – Orientierungsaussprache über bestimmte Punkte, 20.4.2012, 8913/12 Rat der Europäischen Union, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen – Allgemeine Ausrichtung, 3.12.2012, 17165/12 Rat der Europäischen Union, Vorschlag für eine

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EU-SchutzMVO Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen (Erste Lesung) (Beratungen über Gesetzgebungsakte) – Bestätigung der Einigung mit dem Europäischen Parlament, 28.2.2013, 6838/13 López-Istúriz White/Parvanova, Europäisches Parlament, Rechtsausschuss, Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter, Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen, 26.3.2013, A7-0126/2013 Europäisches Parlament, Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen, 22.5.2013, P7_TA(2013)0210 Rat der Europäischen Union, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen – Ergebnis der ersten Lesung des Europäischen Parlaments (Straßburg, 20./24. Mai 2013), 28.5.2013, 9655/13 Europäische Kommission, Durchführungsverordnung (EU) Nr 939/2014 der Kommission zur Ausstellung der Bescheinigung gemäß den Artikeln 5 und 14 der Verordnung (EU) Nr 606/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen, 2.9.2014, ABl (EU) 2014 L 263/10. 2. Nationale Durchführungsvorschriften zur EU-SchutzMVO Deutschland Gesetz zum Europäischen Gewaltschutzverfahren (EU-Gewaltschutzverfahrensgesetz – EUGewSchVG); verkündet als Art 1 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/99/ EU über die Europäische Schutzanordnung und zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr 606/2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen, BGBl 2014 I 1964 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung, zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr 606/

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B.I.5 EU-Schutzmaßnahmenverordnung 2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen und zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, BR-Drs 397/14 und BT-Drs 18/2955 Empfehlungen der Ausschüsse vom 29.9.2014, BRDrs 397/1/14 Stellungnahme des Bundesrates vom 10.10.2014, BRDrs 397/14(B) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs 18/3200 Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages vom 13.11.2014, BR-Drs 556/14 Beschluss des Bundesrates vom 28.11.2014, BR-Drs 556/14(B). Österreich Bundesgesetz, mit dem die Exekutionsordnung, das Vollzugsgebührengesetz, das Rechtspflegergesetz, das Gerichtsgebührengesetz und die Insolvenzordnung geändert werden (ExekutionsordnungsNovelle 2014 – EO-Nov 2014), östBGBl I 69/2014 ErläutRV zur EO-Novelle 2014, 180 BlgNR 25. GP. 3. Nationale Schutzregelungen Deutschland Gesetz zur Verbesserung des zivilrechtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung, BGBl 2001 I 3513. Österreich Bundesgesetz über Änderungen des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs, der Exekutionsordnung und des Sicherheitspolizeigesetzes (Bundesgesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie – GSchG), östBGBl 759/1996 Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Vollzugsgebühren (Vollzugsgebührengesetz – VGebG) geschaffen und die Exekutionsordnung geändert wird (Exekutionsordnungs-Novelle 2003 – EO-Nov 2003), östBGBl I 31/2003 Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung 1975, die Exekutionsordnung und das Sicherheitspolizeigesetz zur Verbesserung

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Erwägungsgründe des strafrechtlichen Schutzes der Umwelt sowie gegen beharrliche Verfolgung und des zivilrechtlichen Schutzes vor Eingriffen in die Privatsphäre geändert werden (Strafrechtsänderungsgesetz 2006), östBGBl I 56/2006 Bundesgesetz, mit dem die Exekutionsordnung, die Zivilprozessordnung, das Außerstreitgesetz, das Gerichtliche Einbringungsgesetz 1962, das Straf-

EU-SchutzMVO gesetzbuch, die Strafprozessordnung 1975, das Strafvollzugsgesetz, das Tilgungsgesetz 1972, das Staatsanwaltschaftsgesetz, das Verbrechensopfergesetz, das Strafregistergesetz, das Sicherheitspolizeigesetz und das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch geändert werden (Zweites Gewaltschutzgesetz – 2. GeSchG), östBGBl I 40/2009.

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION1 – gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 81 Absatz 2 Buchstabe a, e und f, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Anhörung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, nach Stellungnahme des Ausschusses der Regionen2, gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren3, in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Die Union hat es sich zum Ziel gesetzt, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist und der Zugang zum Recht, insbesondere durch den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen, erleichtert wird. Zum schrittweisen Aufbau eines solchen Raums muss die Union Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug erlassen, insbesondere wenn dies für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist. (2) Artikel 81 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sieht vor, dass die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen beruhen muss. (3) In einem gemeinsamen Rechtsraum ohne Binnengrenzen sind Bestimmungen, die eine zügige und einfache Anerkennung und gegebenenfalls Vollstreckung von in einem Mitgliedstaat angeordneten Schutzmaßnahmen in einem anderen Mitgliedstaat sicherstellen, unerlässlich damit gewährleistet ist, dass der einer natürlichen Person in einem Mitgliedstaat gewährte Schutz in jedem anderen Mitgliedstaat, in den diese Person reist oder umzieht, aufrechterhalten und fortgesetzt wird. Es muss sichergestellt werden, dass die legitime Wahrnehmung des Rechts der Unionsbürger, sich gemäß Artikel 3 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und gemäß Artikel 21 AEUV im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, für die Unionsbürger nicht zum Verlust dieses Schutzes führt. (4) Das gegenseitige Vertrauen in die Rechtspflege in der Union sowie das Ziel, einen zügigeren und kostengünstigeren Umlauf von Schutzmaßnahmen innerhalb der Union zu gewährleisten, rechtfertigen den Grundsatz, wonach in einem Mitgliedstaat angeordnete Schutzmaßnahmen in allen 1 2 3

Die zu den Erwägungsgründen abgedruckten nummerierten Fußnoten sind solche des amtlichen Textes. ABl. C 113 vom 18.4.2012, S. 56. Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 22. Mai 2013 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 6. Juni 2013.

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anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden, ohne dass es hierzu besonderer Verfahren bedarf. Eine in einem Mitgliedstaat angeordnete Schutzmaßnahme („Ursprungsmitgliedstaat“) sollte daher so behandelt werden, als wäre sie in dem Mitgliedstaat angeordnet worden, in dem um Anerkennung ersucht wird („ersuchter Mitgliedstaat“). Um das Ziel des freien Verkehrs von Schutzmaßnahmen zu erreichen, ist es erforderlich und angemessen, dass die Vorschriften über die Anerkennung und gegebenenfalls Vollstreckung von Schutzmaßnahmen im Wege eines Unionsrechtsakts festgelegt werden, der verbindlich und unmittelbar anwendbar ist. Diese Verordnung sollte für Schutzmaßnahmen gelten, die angeordnet werden, um eine Person zu schützen, wenn es ernsthafte Gründe zu der Annahme gibt, dass das Leben dieser Person, ihre körperliche oder psychische Unversehrtheit, ihre persönliche Freiheit, ihre Sicherheit oder ihre sexuelle Integrität in Gefahr ist, beispielsweise zur Verhütung jeder Form von geschlechtsbezogener Gewalt oder Gewalt in engen Beziehungen wie körperliche Gewalt, Belästigung, sexuelle Übergriffe, Stalking, Einschüchterung oder andere Formen der indirekten Nötigung. Es ist hervorzuheben, dass diese Verordnung für alle Opfer gilt, und zwar unabhängig davon, ob sie Opfer von geschlechtsbezogener Gewalt sind oder nicht. Mit der Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten4 wird sichergestellt, dass Opfer von Straftaten angemessene Informationen und Unterstützung erhalten. Diese Verordnung ergänzt die Richtlinie 2012/29/EU. Die Tatsache, dass eine Person Gegenstand einer in Zivilsachen angeordneten Schutzmaßnahme ist, schließt nicht zwingend aus, dass diese Person als „Opfer“ im Sinne der genannten Richtlinie gilt. Der Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt unter die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen im Sinne des Artikels 81 AEUV. Diese Verordnung gilt nur für Schutzmaßnahmen, die in Zivilsachen angeordnet wer„den. Schutzmaßnahmen, die in Strafsachen angeordnet werden sind von der Richtlinie 2011/99/EU des Europäi„schen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Europäische Schutzanordnung5 erfasst. Der Begriff Zivilsachen sollte im Einklang mit den Grundsätzen des Unionsrechts autonom ausgelegt wer„den. Für die Beurteilung des zivilrechtlichen Charakters einer Schutzmaßnahme sollte nicht entscheidend sein, ob eine zivil-, verwaltungs- oder strafrechtliche Behörde die Schutzmaßnahme anordnet. Diese Verordnung sollte das Funktionieren der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung6 (im Folgenden „Brüssel-IIa-Verordnung“) nicht beeinträchtigen. Entscheidungen, die gemäß der Brüssel-IIa-Verordnung ergehen, sollten weiterhin gemäß jener Verordnung anerkannt und vollstreckt werden. Die vorliegende Verordnung trägt den unterschiedlichen Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten Rechnung und berührt nicht die nationalen Systeme für die Anordnung von Schutzmaßnahmen. Diese Verordnung verpflichtet die Mitgliedstaaten weder dazu, ihre nationalen Systeme dahin gehend zu ändern, dass Schutzmaßnahmen in Zivilsachen angeordnet werden können, noch dazu, für die Zwecke der Anwendung dieser Verordnung Schutzmaßnahmen in Zivilsachen einzuführen. ABl. L 315 vom 14.11.2012, S. 57. ABl. L 338 vom 21.12.2011, S. 2. ABl. L 338 vom 23.12.2003, S. 1.

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Erwägungsgründe

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(13) Um den unterschiedlichen Arten von Behörden, die in den Mitgliedstaaten Schutzmaßnahmen in Zivilsachen anordnen, Rechnung zu tragen, sollte diese Verordnung – anders als in anderen Bereichen der justiziellen Zusammenarbeit – für Entscheidungen sowohl von Gerichten als auch von Verwaltungsbehörden gelten, sofern Letztere Garantien insbesondere hinsichtlich ihrer Unparteilichkeit und des Rechts der Parteien auf gerichtliche Nachprüfung bieten. In keinem Fall sollten die Polizeibehörden als Ausstellungsbehörden im Sinne dieser Verordnung gelten. (14) Gemäß dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung sollten Schutzmaßnahmen, die in dem Ursprungsmitgliedstaat in Zivilsachen angeordnet werden, in dem ersuchten Mitgliedstaat als Schutzmaßnahmen in Zivilsachen im Sinne dieser Verordnung anerkannt werden. (15) Gemäß dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung entspricht die Anerkennung der Gültigkeitsdauer der Schutzmaßnahme. Unter Berücksichtigung der Vielfalt der Schutzmaßnahmen nach dem Recht der Mitgliedstaaten, insbesondere ihre Dauer betreffend, und der Tatsache, dass diese Verordnung typischerweise in dringenden Fällen angewandt werden wird, sollte die Wirkung der Anerkennung nach dieser Verordnung jedoch ausnahmsweise auf einen Zeitraum von 12 Monaten ab der Ausstellung der in dieser Verordnung vorgesehenen Bescheinigung beschränkt sein, unabhängig davon, ob die Schutzmaßnahme (sei sie nun vorläufig, befristet oder unbefristet) eine längere Gültigkeitsdauer hat. (16) In Fällen, in denen die Dauer einer Schutzmaßnahme länger als 12 Monate ist, sollte die Beschränkung der Wirkung der Anerkennung nach dieser Verordnung nicht das Recht der geschützten Person berühren, die Schutzmaßnahme gemäß jedwedem anderen hierfür zur Verfügung stehenden Rechtsakt der Union geltend zu machen oder eine nationale Schutzmaßnahme im ersuchten Mitgliedstaat zu beantragen. (17) Die Befristung der Wirkung der Anerkennung hat aufgrund der Besonderheit des Gegenstands dieser Verordnung Ausnahmecharakter und sollte nicht als Präzedenzfall für andere Instrumente in Zivil- und Handelssachen herangezogen werden. (18) Diese Verordnung sollte ausschließlich die Anerkennung der im Rahmen einer Schutzmaßnahme auferlegten Verpflichtung behandeln. Sie sollte nicht die Verfahren zur Durchführung oder Vollstreckung der Schutzmaßnahme regeln und auch keine potenziellen Sanktionen umfassen, die verhängt werden könnten, wenn im ersuchten Mitgliedstaat gegen die im Rahmen der Schutzmaßnahme angeordnete Verpflichtung verstoßen wird. Diese Angelegenheiten bleiben dem Recht dieses Mitgliedstaats überlassen. Im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts und insbesondere dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung müssen die Mitgliedstaaten jedoch sicherstellen, dass nach dieser Verordnung anerkannte Schutzmaßnahmen im ersuchten Mitgliedstaat wirksam werden können. (19) Durch diese Verordnung erfasste Schutzmaßnahmen sollten einer geschützten Person Schutz an ihrem Wohnort oder Arbeitsort oder an jedem anderen Ort bieten, den diese Person regelmäßig aufsucht, wie z. B. dem Wohnort enger Verwandter oder der von ihrem Kind besuchten Schule oder Bildungseinrichtung. Unabhängig davon, ob der fragliche Ort oder die Ausdehnung der Fläche, der/die durch die Schutzmaßnahme erfasst wird, in der Schutzmaßnahme durch eine oder mehrere konkrete Anschriften oder durch Bezugnahme auf ein bestimmtes abgegrenztes Gebiet beschrieben ist, der (denen) sich die gefährdende Person nicht nähern darf bzw. das sie nicht betreten darf (oder eine Kombination aus diesen beiden Kriterien), bezieht sich die Anerkennung der mit der Schutzmaßnahme angeordneten Verpflichtung auf den Zweck, den dieser Ort für die geschützte Person hat, und nicht auf die konkrete Anschrift. (20) Daher, und sofern der Charakter und die wesentlichen Elemente der Schutzmaßnahme beibehalten werden, sollte die zuständige Behörde des ersuchten Mitgliedstaats befugt sein, die faktischen Elemente der Schutzmaßnahme anzupassen, wenn diese Anpassung erforderlich ist, damit die Anerkennung der Schutzmaßnahme im ersuchten Mitgliedstaat praktisch wirksam

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wird. Zu den faktischen Elementen gehören die Anschrift, der Ort im Allgemeinen oder der Mindestabstand, den die gefährdende Person zur geschützten Person, zur Anschrift oder zum Ort im Allgemeinen halten muss. Die Art und der zivilrechtliche Charakter der Schutzmaßnahme dürfen durch eine solche Anpassung jedoch nicht berührt werden. Um jede mögliche Anpassung einer Schutzmaßnahme zu erleichtern, sollte die Bescheinigung angeben, ob die in der Schutzmaßnahme angegebene Anschrift den Wohnort, den Arbeitsort oder einen Ort, den die geschützte Person regelmäßig aufsucht, darstellt. Außerdem sollte in der Bescheinigung gegebenenfalls das abgegrenzte Gebiet (ungefährer Radius um die konkrete Anschrift) angegeben werden, das für die der gefährdenden Person im Rahmen der Schutzmaßnahme auferlegte Verpflichtung gilt. Um den freien Verkehr von Schutzmaßnahmen in der Union zu erleichtern, sollten mit dieser Verordnung ein einheitliches Muster für eine entsprechende Bescheinigung festgelegt und ein mehrsprachiges Standardformular für diesen Zweck bereitgestellt werden. Die Ausstellungsbehörde sollte die Bescheinigung auf Ersuchen der geschützten Person ausstellen. Das mehrsprachige Standardformular der Bescheinigung sollte so wenige Freitextfelder wie möglich enthalten, so dass die Übersetzung oder Transkription in den meisten Fällen durch Verwendung des Standardformulars in der jeweiligen Sprache kostenfrei für die geschützte Person erfolgen kann. Kosten für eine Übersetzung, die über den Text des mehrsprachigen Standardformulars hinaus erforderlich ist, sind nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats zuzuweisen. Enthält eine Bescheinigung freien Text, so sollte die zuständige Behörde des ersuchten Mitgliedstaats darüber entscheiden, ob eine Übersetzung oder Transkription erforderlich ist. Dies sollte die geschützte Person oder die Ausstellungsbehörde im Ursprungsmitgliedstaat nicht daran hindern, aus eigener Initiative für eine Übersetzung oder Transkription zu sorgen. Um sicherzustellen, dass die Verteidigungsrechte der gefährdenden Person auch in Fällen gewahrt werden, in denen eine Schutzmaßnahme bei Nichteinlassung auf das Verfahren oder im Rahmen eines Verfahrens angeordnet wurde, in dem die vorherige Unterrichtung der gefährdenden Person nicht vorgesehen ist (Ex-parte- Verfahren), sollte die Bescheinigung nur dann ausgestellt werden können, wenn diese Person Gelegenheit dazu hatte, Vorkehrungen für ihre Verteidigung gegen die Schutzmaßnahme zu treffen. Zur Verhinderung einer Umgehung und in Anbetracht der typischen Dringlichkeit der Fälle, in denen Schutzmaßnahmen notwendig sind, sollte es jedoch nicht erforderlich sein, dass die Frist für die Geltendmachung dieser Verteidigungsrechte abgelaufen ist, bevor eine Bescheinigung ausgestellt werden kann. Die Bescheinigung sollte ausgestellt werden, sobald die Schutzmaßnahme im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar ist. Da in Bezug auf die Verfahren Einfachheit und Schnelligkeit angestrebt werden, sieht diese Verordnung einfache und zügige Methoden vor, um der gefährdenden Person die Verfahrensschritte zur Kenntnis zu bringen. Diese spezifischen Methoden der Unterrichtung sollten jedoch aufgrund der Besonderheit des Gegenstands dieser Verordnung nur für deren Zwecke gelten; sie sollten nicht als Präzedenzfall für andere Instrumente in Zivil- und Handelssachen gelten und sie sollten die Verpflichtungen eines Mitgliedstaats betreffend die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivilsachen im Ausland, die sich aus einem bilateralen oder multilateralen Übereinkommen zwischen diesem Mitgliedstaat und einem Drittstaat ergeben, nicht berühren. Wenn die Bescheinigung der gefährdenden Person zur Kenntnis gebracht wird und auch bei jeglicher Anpassung der faktischen Elemente einer Schutzmaßnahme im ersuchten Mitgliedstaat, sollte das Interesse der geschützten Person an einer Geheimhaltung ihres Aufenthaltsorts und anderer Kontaktdaten gebührend berücksichtigt werden. Solche Angaben sollten der

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gefährdenden Person nicht mitgeteilt werden, es sei denn, eine solche Mitteilung ist für die Einhaltung oder die Vollstreckung der Schutzmaßnahme erforderlich. Gegen die Ausstellung der Bescheinigung sollte kein Rechtsbehelf eingelegt werden können. Die Bescheinigung sollte berichtigt werden, wenn sie aufgrund eines offensichtlichen Fehlers oder offensichtlicher Ungenauigkeiten – wie einem Tippfehler oder einem Fehler bei der Transkription oder der Abschrift – die Schutzmaßnahme nicht korrekt wiedergibt, beziehungsweise aufgehoben werden, wenn sie eindeutig zu Unrecht erteilt wurde, beispielsweise wenn sie für eine Maßnahme verwendet wurde, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt, oder wenn sie unter Verstoß gegen die Anforderungen an ihre Ausstellung ausgestellt wurde. Die ausstellende Behörde im Ursprungsmitgliedstaat sollte der geschützten Person auf Ersuchen dabei behilflich sein, Informationen über die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats zu erhalten, bei denen die Schutzmaßnahme geltend zu machen oder die Vollstreckung der Schutzmaßnahme zu beantragen ist. Eine geordnete Rechtspflege erfordert es, dass in zwei Mitgliedstaaten keine miteinander unvereinbaren Entscheidungen ergehen sollten. Deshalb sollte diese Verordnung in Fällen der Unvereinbarkeit mit einer im ersuchten Mitgliedstaat ergangenen oder anerkannten Entscheidung die Möglichkeit der Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung der Schutzmaßnahme vorsehen. Aus Gründen des öffentlichen Interesses kann unter außergewöhnlichen Umständen eine Verweigerung durch das Gericht des ersuchten Mitgliedstaats, die Schutzmaßnahme anzuerkennen oder zu vollstrecken, gerechtfertigt sein, wenn deren Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) dieses Mitgliedstaats offensichtlich unvereinbar wäre. Jedoch sollte das Gericht den Vorbehalt der öffentlichen Ordnung dann nicht zur Verweigerung der Anerkennung oder Vollstreckung einer Schutzmaßnahme anwenden dürfen, wenn dies gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und insbesondere gegen ihren Artikel 21 verstoßen würde. Wird die Schutzmaßnahme im Ursprungsmitgliedstaat aufgehoben oder wird die Bescheinigung dort aufgehoben, so sollte auch die zuständige Stelle im ersuchten Mitgliedstaat nach Vorlage der entsprechenden Bescheinigung die Wirkung der Anerkennung und gegebenenfalls die Vollstreckung der Schutzmaßnahme aussetzen oder aufheben. Eine geschützte Person sollte in anderen Mitgliedstaaten wirksamen Zugang zum Recht haben. Zur Gewährleistung eines solchen wirksamen Zugangs in von dieser Verordnung erfassten Verfahren ist nach Maßgabe der Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen7 Prozesskostenhilfe zu gewähren. Um die Anwendung dieser Verordnung zu erleichtern, sollten die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, im Rahmen des mit der Entscheidung 2001/470/EG des Rates8 eingerichteten Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen bestimmte Informationen zu ihren nationalen Vorschriften und Verfahren betreffend Schutzmaßnahmen in Zivilsachen bereitzustellen. Die von den Mitgliedstaaten bereitgestellten Informationen sollten über das europäische E-Justiz-Portal zugänglich sein. Zur Gewährleistung einheitlicher Bedingungen für die Durchführung dieser Verordnung sollten der Kommission Durchführungsbefugnisse im Hinblick auf die Erstellung und spätere Änderung der in dieser Verordnung vorgesehenen Formulare übertragen werden. Diese Befugnisse sollABl. L 26 vom 31.1.2003, S. 41. ABl. L 174 vom 27.6.2001, S. 25.

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ten im Einklang mit der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren9, ausgeübt werden. Für den Erlass von Durchführungsrechtsakten zur Erstellung und späteren Änderung der in dieser Verordnung vorgesehenen Formulare sollte das Prüfverfahren angewandt werden. Diese Verordnung steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden. Sie sucht insbesondere die Verteidigungsrechte und das Recht auf ein faires Verfahren gemäß Artikeln 47 und 48 der Charta zu wahren. Ihre Anwendung sollte unter Beachtung dieser Rechte und Grundsätze erfolgen. Da das Ziel der Verordnung, nämlich die Schaffung von Regeln für einen einfachen und zügigen Mechanismus zur Anerkennung von in einem Mitgliedstaat angeordneten Schutzmaßnahmen in Zivilsachen, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher besser auf Unionsebene zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 EUV niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Verordnung nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus. Gemäß Artikel 3 des dem EUV und dem AEUV beigefügten Protokolls (Nr. 21) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts haben diese Mitgliedstaaten mitgeteilt, dass sie sich an der Annahme und Anwendung dieser Verordnung beteiligen möchten. Gemäß den Artikeln 1 und 2 des dem EUV und dem AEUV beigefügten Protokolls (Nr. 22) über die Position Dänemarks beteiligt sich Dänemark nicht an der Annahme dieser Verordnung und ist weder durch diese ge„bunden noch zu ihrer Anwendung verpflichtet. Der Europäische Datenschutzbeauftragte hat am 17. Oktober 201110, gestützt auf Artikel 41 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr11, eine Stellungnahme abgegeben –

HABEN FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Einleitung Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Nationale Schutzregelungen 1. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 a) Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 b) Schutz vor Gewalt und Nachstellungen 6 c) Überlassung der gemeinsam genutzten Wohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 d) Verfahren und Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

I. II.

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2. a) b) c) d)

Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Schutz vor Gewalt in Wohnungen . . . . . 23 Allgemeiner Schutz vor Gewalt . . . . . . . . 27 Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 e) Verfahren und Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 III. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

ABl. L 55 vom 28.2.2011, S. 13. ABl. C 35 vom 9.2.2012, S. 10. ABl. L 8 vom 12.1.2001, S. 1.

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Einleitung Rechtsetzungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Ordentliches Gesetzgebungsverfahren 43 2. Vereinigtes Königreich, Irland und Dänemark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Durchführungsrechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . 46 4. Nationale Durchführungsbestimmungen . . . . . . . . . 47 a) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 b) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 V. Ziele der Verordnung 1. Stärkung der Opferrechte . . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Freier Verkehr von Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3. Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 4. Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 5. Abschaffung des Exequatur . . . . . . . . . . . . . 69 VI. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Auslegungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Auslegungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3. Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 VII. Gegenstand, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen (Kapitel I, Art 1-3) 1. Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 IV.

Einl EU-SchutzMVO 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 VIII. Anerkennung und Vollstreckung von Schutzmaßnahmen (Kapitel II, Art 4-14) 1. Anerkennung und Vollstreckung ohne besonderes Verfahren . . . . . . . . . . . . . 91 2. Bescheinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 a) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 c) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 d) Zustellung an die gefährdende Person 103 e) Berichtigung oder Aufhebung . . . . . . . . 106 3. Hilfestellung für die geschützte Person 108 4. Anpassung der Schutzmaßnahme . . . 109 5. Ausschluss einer Nachprüfung in der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 6. Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 7. Aufhebung der Anerkennung oder Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 IX. Allgemeine und Schlussbestimmungen (Kapitel III, Art 15-22) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 X. Formblätter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

I. Überblick Die EU-SchutzMVO12 ist am 19.7.2013 in Kraft getreten und gilt ab 11.1.2015 unmittelbar 1 in allen Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme von Dänemark. Der noch junge Rechtsakt legt nach Art 1 einheitliche Vorschriften für einen einfachen und zügigen Mechanismus zur Anerkennung und Vollstreckung von Schutzmaßnahmen fest, die in einem anderen Mitgliedstaat in Zivilsachen angeordnet wurden. Diese Verordnung trägt dem Umstand Rechnung, dass in einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union – wie zB in Deutschland und Österreich – der Gewaltschutz vor allem zivilrechtlich gesichert wird, und ergänzt die bis 11.1.2015 umzusetzende Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung13, welche die gegenseitige Anerkennung von ausländischen Schutzmaßnahmen in Strafsachen zum Gegenstand hat, um dadurch gesamtumfänglich einen effektiven Schutz der Opfer von Gewalt im europäischen Justizraum zu gewährleisten.14 Von der EU-SchutzMVO sind nur solche Schutzmaßnahmen umfasst, die in Zivilsachen 2 12 13

14

Daneben findet sich unter anderem noch die Abkürzung EuSchMaVO (§ 86b und § 86c EO [Fn 17]). Richtlinie 2011/99/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Schutzanordnung, 13.12.2011, ABl EU 2011 L 338/2. Vgl Wagner NJW 2014, 1862; Mansel/Thorn/Wagner IPRax 2014, 1, 3 sprechen von einem „Komplementär-Rechtsakt“.

Kathrin Binder

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angeordnet werden.15 Gegenstand der Anerkennung und Vollstreckung im ersuchten Mitgliedstaat sind somit im Ursprungsmitgliedstaat nach innerstaatlichem Recht angeordnete zivilrechtliche Schutzmaßnahmen. Zu diesen Schutzanordnungen zählen in Deutschland in erster Linie Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz16 und in Österreich einstweilige Verfügungen zum Schutz vor Gewalt und Stalking nach der Exekutionsordnung17, die daher im Anschluss kurz dargestellt werden. II. Nationale Schutzregelungen 1. Deutschland a) Rechtsentwicklung 3 Nach den positiven Erfahrungen mit den öst gesetzlichen Maßnahmen zum Gewaltschutz18

wurde als Teil des Aktionsplans der damaligen Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen19 mit dem am 1.1.2002 in Kraft getretenen GewSchG20 eine kodifizierte Rechtsgrundlage für gerichtliche Schutzanordnungen bei (drohenden) Verletzungen von Körper, Gesundheit oder Freiheit einer Person sowie bei bestimmten unzumutbaren Belästigungen geschaffen und eine deliktsrechtliche Anspruchsgrundlage für die – zumindest temporäre – Überlassung der gemeinsam genutzten Wohnung normiert.21 Damit soll der – bislang auf den Unterlassungsanspruch analog §§ 12, 862, 1004 in Verbindung mit § 823 BGB22 – gestützte zivilrechtliche Schutz gegen Gewalt verbessert werden.23 Die Durchsetzungskraft zivilrechtlicher Schutzanordnungen soll zudem durch den neu eingeführten Straftatbestand in § 4 GewSchG erhöht werden.24 Wenngleich das GewSchG die Gewaltprävention zugunsten jeder natürlichen Person bezweckt, soll insbes die rechtliche Stellung der Frauen als die typischen Opfer von Gewalttaten gestärkt werden,25 womit letztendlich auch Art 1 CEDAW26 entsprochen wird.27 15 16 17

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ErwGr 9. Vgl Wagner NJW 2014, 1862; siehe Fn 20. Gesetz vom 27.5.1896 über das Exekutions- und Sicherungsverfahren (Exekutionsordnung – EO), östRGBl 79/1896 idF östBGBl I 69/2014. BT-Drs 14/5429, 25; siehe dazu unten II.2. Vgl BT-Drs 14/2812. Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz – GewSchG); verkündet als Art 1 Gesetz zur Verbesserung des zivilrechtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung, BGBl 2001 I 3513. MünchKommBGB/Krüger Vorbemerkung GewSchG Rn 1. Heinke, Gewaltschutzgesetz Vorbemerkungen Rn 2. Bamberger/Roth/Reinken, BeckOK BGB32 § 1 GewSchG Rn 1; Schulze ea/Kemper, BGB8 Anhang zu §§ 1361a, 1361b Rn 1; Heinke, Gewaltschutzgesetz Vorbemerkungen Rn 4. Näheres dazu etwa Erbs/Kohlhaas/Freytag, Strafrechtliche Nebengesetze § 4 GewSchG Rn 1 ff (EL 148, 2003). Zur Voraussetzung der wirksamen Zustellung der Schutzanordnung für die Strafbarkeit nach § 4 GewSchG siehe BGH v 10.5.2012 – 4 StR 122/12, FamRZ 2012, 1216 = NStZ 2013, 108; BGH v 15.3.2007 – 5 StR 536/06, NJW 2007, 1605 = NStZ 2007, 484; zur fehlenden Bindungswirkung des Strafgerichts an die Entscheidung des Familiengerichts in Gewaltschutzsachen siehe BGH v 28.11.2013 – 3 StR 40/13, FamRZ 2014, 559 = NJW 2014, 1749. Vgl Schumacher FamRZ 2002, 645, 646.

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Hinsichtlich des Geltungsbereichs normiert § 3 Abs 1 GewSchG einen Vorrang der für das 4 Sorgerechts-, Vormundschafts- oder Pflegschaftsverhältnis maßgebenden Vorschriften, wenn die verletzte oder bedrohte Person im Zeitpunkt der Tat unter elterlicher Sorge, Vormundschaft oder unter Pflegschaft steht und die Tat von den Eltern oder sonstigen sorgeberechtigten Personen begangen wird.28 Wird die Gewalt oder Drohung gegenüber einem Kind durch eine nicht sorgeberechtigte Person wie etwa von Geschwistern, Großeltern, Onkel und Tante oder von sonstigen Dritten – zB dem Lebenspartner der allein sorgeberechtigten Mutter – ausgeübt, bleibt das GewSchG anwendbar.29 In diesem Fall sind neben sorgerechtlichen Maßnahmen auch Schutzanordnungen nach § 1 GewSchG möglich.30 Gem § 3 Abs 2 GewSchG bleiben andere Anspruchsgrundlagen – wie insbes Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach §§ 823, 847 BGB31 – vom GewSchG unberührt. Um den Opfern von Gewalt einen effektiven Rechtsschutz zu gewähren, wurden die Ver- 5 fahrensvorschriften in ZPO und FGG entsprechend geändert. Seit dem am 1.9.2009 in Kraft getretenen FamFG32 richten sich Verfahren in Gewaltschutzsachen ausschließlich nach den Regeln der freiwilligen Gerichtsbarkeit, womit die bisherige Rechtswegspaltung zwischen Familiengerichten und allgemeinen Zivilgerichten beendet wurde.33 In Verfahren nach dem GewSchG können seither auch unabhängig vom Hauptsacheverfahren einstweilige Anordnungen nach Maßgabe der §§ 48 ff FamFG ergehen, wobei die Sonderregelungen in § 214 FamFG zu beachten sind. b) Schutz vor Gewalt und Nachstellungen § 1 GewSchG stellt eine verfahrensrechtliche Vorschrift dar und regelt daher keinen eigen- 6 ständigen materiell-rechtlichen Anspruch, sondern setzt einen solchen voraus, der sich aus der entsprechenden Anwendung von § 1004 BGB auf die in § 1 GewSchG geschützten Rechtsgüter ergibt.34 Voraussetzung zum Erlass von Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt ist gem § 1 Abs 1 Satz 1 GewSchG, dass eine Person vorsätzlich den Körper, die Gesundheit oder die Freiheit einer anderen Person widerrechtlich verletzt hat. Gem § 1 Abs 2 Satz 1 GewSchG können Schutzanordnungen auch verhängt werden, wenn eine Person widerrechtlich mit der Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit 26 27 28

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Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, 8.12.1979, BGBl 1985 II 648. Heinke, Gewaltschutzgesetz Vorbemerkungen Rn 2. BT-Drs 14/5429, 17; OLG Brandenburg v 19.2.2013 – 3 UF 43/12, BeckRS 2013, 14844; OLG Bamberg v 24.8.2011 – 2 UF 184/11, FamRZ 2012, 459 = FamFR 2011, 497 (mit Anm Voges-Wallhöfer) = FuR 2011, 700 = BeckRS 2011, 22443; LG Heilbronn v 15.4.2008 – 4 T 6/08 Ko, FamRZ 2009, 72 = BeckRS 2008, 7813. Bamberger/Roth/Reinken, BeckOK BGB32 § 3 GewSchG Rn 1. Zum zweispurigen Gewaltschutz siehe OLG Karlsruhe v 31.10.2011 – 5 WF 166/11, FamRZ 2012, 460 = BeckRS 2012, 6552 mwN. OLG Saarbrücken v 18.1.2006 – 1 U 137/05, NJW-RR 2006, 747 = BeckRS 2006, 1543. Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), BGBl 2008 I 2586 idF BGBl 2014 I 786. BT-Drs 16/6308, 251; Heinke, Gewaltschutzgesetz Vorbemerkungen Rn 17 ff, 23; Schulze ea/Kemper, BGB8 Anhang zu §§ 1361a, 1361b Rn 2. BGH v 26.2.2014 – XII ZB 373/11, FamRZ 2014, 825 = NJW 2014, 1381 = NZFam 2014, 555 (mit Anm Cirullies) = FD-MietR 2014, 357759 (mit Anm Bub/von der Osten) = LMK 2014, 357464 (mit Anm Münch).

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gedroht hat (Nr 1), das Hausrecht der anderen Person verletzt hat (Nr 2 lit a) oder durch wiederholtes Nachstellen oder durch Verfolgung mit Fernkommunikationsmitteln jene unzumutbar belästigt (Nr 2 lit b). Auf Antrag der verletzten bzw bedrohten Person hat das Gericht die zur Abwendung weiterer Verletzungen erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Entsprechend der demonstrativen Aufzählung in § 1 Abs 1 Satz 3 GewSchG kann das Gericht insbes anordnen, dass der Täter die Wohnung des Opfers nicht betreten darf (Nr 1), ferner, dass er sich nicht in einem bestimmten Umkreis der Wohnung der verletzten Person aufhalten darf (Nr 2). Das strafbewehrte Abstandsgebot muss eine konkrete Bezeichnung der fraglichen Wohnung enthalten.35 Außerdem kann das Gericht dem Täter verbieten, sich an bestimmten, vom Opfer regelmäßig aufgesuchten Orten – wie zB der Arbeitsplatz, Kinderbetreuungseinrichtungen oder spezifische Sport- und Freizeitstätten36 – aufzuhalten (Nr 3). Neben einem Kontaktverbot – auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln – (Nr 4) stehen dem Gericht weiters das Verbot des Zusammentreffens mit dem Opfer (Nr 5) zur Verfügung. 7 § 1 GewSchG soll den Antragsteller somit vor einer vorsätzlich und widerrechtlich began-

genen Körper-, Gesundheits- oder Freiheitsverletzung schützen. Das Rechtsgut Körper wird durch jeden unbefugten Eingriff in die körperliche Befindlichkeit verletzt.37 Solche Körperverletzungen gehen nicht nur auf physische Gewalt zurück, sondern können auch aus psychischer Gewalt resultieren, sofern sie sich beim Opfer körperlich auswirkt.38 Das Rechtsgut Gesundheit wird ebenso durch die Ausübung psychischer Gewalt verletzt, wenn diese eine Intensität erreicht, dass sie zu medizinisch feststellbaren psychischen Gesundheitsschäden – wie zB Depressionen, Neurosen oder Psychosen39 – führt.40 Die Verletzung muss sich wiederum körperlich – etwa durch Schlafstörungen oder sonst medizinisch feststellbar – konkret bemerkbar machen.41 Das Rechtsgut Freiheit wird durch die Entziehung der körperlichen Bewegungsfreiheit verletzt, wobei tatbestandsmäßig nur das – wenn auch kurzfristige42 – Einsperren umfasst ist, nicht dagegen das bloße Aussperren aus der Wohnung.43 Eine bloße Nötigung ohne eine Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit ist für eine Schutzmaßnahme nicht ausreichend, zumal § 1 GewSchG – neben der physichen Integrität und der psychischen Beeinträchtigung mit Krankheitswert – nur die körperliche Bewegungsfreiheit und nicht die allgemeine Handlungsfreiheit schützt.44 Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird im Rahmen des GewSchG nicht als solches ge-

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OLG Celle v 25.10.2012 – 10 WF 310/12, FamFR 2012, 567 (mit Anm Kemper) = BeckRS 2012, 22269. Heinke, Gewaltschutzgesetz § 1 GewSchG Rn 25. Bamberger/Roth/Reinken, BeckOK BGB32 § 1 GewSchG Rn 11; OLG Karlsruhe v 31.10.2011 – 5 WF 166/ 11, FamRZ 2012, 460 = BeckRS 2012, 6552: ungewollter Geschlechtsverkehr mit einem Kind durch eine nicht sorgeberechtigte Person. BT-Drs 14/5429, 19. Bamberger/Roth/Reinken, BeckOK BGB32 § 1 GewSchG Rn 12. OLG Bamberg v 24.8.2011 – 2 UF 184/11, FamRZ 2012, 459 = FamFR 2011, 497 (mit Anm VogesWallhöfer) = FuR 2011, 700 = BeckRS 2011, 22443. OLG Celle v 21.3.2012 – 10 UF 9/12, FamRZ 2012, 1950 = FuR 2013, 115 = BeckRS 2012, 7601. OLG Brandenburg v 20.4.2005 – 9 UF 27/05, FamRZ 2006, 947 = NJW-RR 2006, 220 = NZM 2006, 77: zehn Minuten in der Küche eingesperrt. MünchKommBGB/Krüger § 1 GewSchG Rn 12. OLG Frankfurt v 15.5.2012 – 4 WF 115/12, FamFR 2012, 545 (mit Anm Fiedler) = BeckRS 2012, 18680.

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schützt; vielmehr kann dessen Verletzung nur nach allgemeinem Deliktsrecht mit Schadensersatz- und Unterlassungsansprüchen geahndet werden.45 Gem § 2 Abs 1 Nr 1 GewSchG können Schutzanordnungen auch bei widerrechtlicher 8 Drohung mit einer Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit verhängt werden. Dabei muss es sich um ernsthafte Drohungen im Sinne der §§ 240 f StGB handeln und nicht um bloße Verwünschungen, Beschimpfungen oder Prahlereien.46 Ob eine Drohung als ernsthaft einzustufen ist, ist unter Würdigung der Gesamtumstände aus der Sicht des objektiven Durchschnittsmenschen zu beurteilen.47 Die Konfliktursachen, die zu den Drohungen geführt haben, sind dabei unerheblich.48 Da das GewSchG nur den Schutz der Privatsphäre bezweckt, umfasst das in § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 2 lit a GewSchG geschützte Hausrecht nur das widerrechtliche und vorsätzliche Eindringen des Täters in die Wohnung, das Haus oder das sonstige befriedete Besitztum der verletzten Person, nicht jedoch das Eindringen in Geschäftsräume.49 Ein bloßer Versuch ist nicht ausreichend.50 Unzumutbare Belästigungen durch wiederholtes Nachstellen oder Verfolgung mittels Fernkommunikationsmitteln im Sinne von § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 2 lit b GewSchG sind beispielsweise die wiederholte Beobachtung und Überwachung einer Person, die ständige demonstrative Anwesenheit, das Auflauern, die physische Verfolgung, Annäherung, Kontaktversuche, Telefonterror, Belästigung durch Hinterlassung von Mitteilungen via (Mobil-)Telefon, Telefax, E-mail oder Internet.51 Die Belästigung muss in jedem Fall gegen den ausdrücklichen Willen der verletzten Person erfolgen. Ein vom Betroffenen ausdrücklich ausgesprochenes Verbot52 ist ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn der zuvor stattgefundene Kontakt selbst bereits das allgemeine Persönlichkeitsrecht in erheblichem Maße verletzt hat, sodass der Täter damit rechnen muss, dass sein Handeln dem anderen nicht recht ist, wie etwa bei nächtlichem Telefonterror.53 Eine unzumutbare Belästigung liegt gem § 1 Abs 2 Satz 2 GewSchG nicht vor, wenn die Kontaktaufnahme durch den Täter in Verfolgung berechtigter Interessen – wie etwa zur Ausübung des Umgangsrechts mit dem gemeinsamen Kind54 – erfolgt. Hinsichtlich der Voraussetzungen für die Verletzungshandlung und deren Widerrecht- 9 lichkeit kann auf die für § 823 BGB geltenden Maßstäbe zurückgegriffen werden.55 Die 45

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OLG Hamm v 23.5.2011 – 8 UF 77/11, FamFR 2011, 576 (mit Anm Ebert) = FamRZ 2012, 645 = MMR 2012, 129 = NJOZ 2012, 247; OLG Karlsruhe v 31.10.2011 – 5 WF 166/11, FamRZ 2012, 460 = BeckRS 2012, 6552; OLG Celle v 25.10.2012 – 10 WF 310/12, FamFR 2012, 567 (mit Anm Kemper) = BeckRS 2012, 22269. OLG Schleswig v 16.6.2003 – 13 UF 93/03, FPR 2004, 266 = NJW-RR 2004, 156; OLG Bremen v 25.2. 2010 – 4 UF 9/10, FPR 2011, 239 = NJW-RR 2010, 1591. OLG Bremen v 25.2.2010 – 4 UF 9/10, FPR 2011, 239 = NJW-RR 2010, 1591. OLG Schleswig v 16.6.2003 – 13 UF 93/03, FPR 2004, 266 = NJW-RR 2004, 156. BT-Drs 14/5429, 29. OLG Celle v 21.3.2012 – 10 UF 9/12, FamRZ 2012, 1950 = FuR 2013, 115 = BeckRS 2012, 7601. BT-Drs 14/5429, 29; MünchKommBGB/Krüger § 1 GewSchG Rn 17 mwN; Heinke, Gewaltschutzgesetz § 1 GewSchG Rn 17 f. OLG Hamm v 4.6.2013 – II-2 UF 67/13, FamFR 2013, 401 (mit Anm Cirullies) = BeckRS 2013, 10990. LG Oldenburg v 24.8.1995 – 5 S 577/95, NJW 1996, 62; Heinke, Gewaltschutzgesetz § 1 GewSchG Rn 16. BT-Drs 14/5429, 29. MünchKommBGB/Krüger § 1 GewSchG Rn 13; Bamberger/Roth/Reinken, BeckOK BGB32 § 1 GewSchG Rn 10, 15.

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Anordnung von Schutzmaßnahmen ist grundsätzlich nur gerechtfertigt, wenn der Täter vorsätzlich, also mit Wissen und Wollen der Verletzung des geschützten Rechtsguts, gehandelt hat, wobei dolus eventualis genügt.56 Bei fahrlässigem Handeln muss auf die allgemeinen Regeln zurückgegriffen werden.57 § 1 Abs 3 GewSchG stellt klar, dass Schutzanordnungen auch dann verhängt werden können, wenn sich der Täter bei Tatbegehung vorübergehend in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand befindet, der durch Alkohol- oder Drogenkonsum herbeigeführt wurde. Im Falle einer dauerhaften Unzurechnungsfähigkeit einer Person ist die Anordnung von Maßnahmen nach dem GewSchG nicht möglich.58 10 Bei der Verhängung eines in § 1 Abs 1 Satz 3 Nr 1-5 GewSchG beispielhaft aufgezählten

Betretungs-, Näherungs-, Aufenthalts- und Kontaktverbots bzw Abstandgebots hat der Richter eine sorgfältige Abwägung der Interessen des Opfers, des Täters und gegebenenfalls Dritter (Recht gemeinsamer Kinder auf Umgang mit beiden Elternteilen) vorzunehmen.59 Der Maßnahmenkatalog in § 3 Abs 1 Satz 3 GewSchG ist nicht abschließend, weshalb das Gericht daher den Bedürfnissen des Einzelfalls maßgeschneiderte Anordnungen treffen kann. So hat der BGH jüngst ausgesprochen, dass die Verpflichtung eines Gewalttäters zur Aufgabe einer von ihm und dem Opfer nicht gemeinsam genutzten Wohnung – in casu die in einem Mehrfamilienhaus direkt unter der Wohnung der verletzten Person angemietete Wohnung – Gegenstand einer Schutzanordnung nach § 1 GewSchG sein kann, wenn sich eine solche Anordnung als rechtlich nicht zu beanstandendes Ergebnis der einzelfallbezogenen Abwägung der kollidierenden Grundrechte von Opfer und Täter als verhältnismäßig darstellt.60 c) Überlassung einer gemeinsam genutzten Wohnung 11 Voraussetzung für den materiell-rechtlichen Anspruch auf Überlassung der gemeinsam

genutzten Wohnung61 ist gem § 2 Abs 1 GewSchG, dass die verletzte Person zum Zeitpunkt der Körper-, Gesundheits- oder Freiheitsverletzung62 mit dem Täter einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt geführt hat. Die verletzte Person verwirkt diesen Anspruch, wenn sie nicht binnen drei Monaten nach der Tat schriftlich vom Täter die Überlassung der Wohnung verlangt (§ 2 Abs 3 Nr 2 GewSchG). Nur im Falle der widerrechtlichen Drohung 56

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OLG Bamberg v 24.8.2011 – 2 UF 184/11, FamRZ 2012, 459 = FamFR 2011, 497 (mit Anm VogesWallhöfer) = FuR 2011, 700 = BeckRS 2011, 22443; MünchKommBGB/Krüger § 1 GewSchG Rn 14; Bamberger/Roth/Reinken, BeckOK BGB32 § 1 GewSchG Rn 11. OLG Bamberg v 24.8.2011 – 2 UF 184/11, FamRZ 2012, 459 = FamFR 2011, 497 (mit Anm VogesWallhöfer) = FuR 2011, 700 = BeckRS 2011, 22443. BT-Drs 14/5429, 29; AG Wiesbaden v 1.3.2005 – 533 F 355/04, FamRZ 2006, 1145 (mit Anm Nagel) = BeckRS 2008, 24800. Bamberger/Roth/Reinken, BeckOK BGB32 § 1 GewSchG Rn 27. BGH v 26.2.2014 – XII ZB 373/11, FamRZ 2014, 825 = NJW 2014, 1381 = NZFam 2014, 555 (mit Anm Cirullies) = FD-MietR 2014, 357759 (mit Anm Bub/von der Osten) = LMK 2014, 357464 (mit Anm Münch); aA OLG Karlsruhe v 25.3.2011 – 5 UF 25/11, FamRZ 2012, 455 = BeckRS 2012, 6550. Zum Verhältnis von § 2 GewSchG und § 1361b BGB siehe Heinke, Gewaltschutzgesetz § 2 GewSchG Rn 29; OLG Brandenburg v 27.7.2010 – 10 WF 99/10, FamFR 2010, 449 (mit Anm Giers) = BeckRS 2010, 21338. Siehe dazu oben Rn 7. Die Tat muss nicht in der Wohnung stattgefunden haben; Bamberger/Roth/ Reinken, BeckOK BGB32 § 2 GewSchG Rn 6.

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mit einer Verletzung der Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit wird in § 2 Abs 6 GewSchG als zusätzliche Voraussetzung noch die Vermeidung einer unbilligen Härte63 gefordert.64 Dabei sind Kindeswohlinteressen vorrangig zu berücksichtigen.65 Hinsichtlich der Bestimmung des Begriffs einer auf Dauer angelegten gemeinsamen Haus- 12 haltsführung ist auf die Definition der Mietrechtsreform zurückzugreifen,66 wonach eine über eine reine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehende Lebensgemeinschaft gemeint ist, die auf Dauer angelegt ist, keine weiteren Bindungen gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen in Form eines gegenseitigen Füreinandereinstehens auszeichnet. Auf das Vorliegen geschlechtlicher Beziehung zwischen den Partnern im Sinne der bisherigen Rspr zur „eheähnlichen Gemeinschaft“ kommt es gerade nicht an, weshalb nicht nur die hetero- oder homosexuelle Partnerschaft, sondern auch das dauerhafte Zusammenleben alter Menschen als Alternative zum Alters- oder Pflegeheim diese Kriterien erfüllen können.67 Darüber hinaus werden auch Lebensgemeinschaften von Eltern mit ihren erwachsenen Kindern68 oder Wohngemeinschaften von Studierenden69 erfasst. Da § 2 GewSchG dem präventiven Schutz des Opfers vor weiteren Verletzungen dient, ist 13 der Anspruch gem § 2 Abs 3 Nr 1 GewSchG ausgeschlossen, wenn keine weiteren Verletzungen zu erwarten sind, wofür den Täter die Darlegungs- und Beweislast trifft.70 Dieser Ausnahmetatbestand gilt jedoch dann nicht, wenn der verletzten Person das weitere Zusammenleben mit dem Täter nicht zuzumuten ist, was sich aus der Schwere der Tat oder aus der Häufigkeit von Verletzungen in der Vergangenheit ergeben kann.71 Außerdem dürfen gem § 2 Abs 3 Nr 3 GewSchG der Überlassung der Wohnung an die verletzte Person keine besonders schwerwiegenden Belange des Täters – wie etwa eine Behinderung oder eine schwere Erkrankung72 – entgegenstehen. Während der Zeit, in der die Wohnung der verletzten Person zugewiesen ist, muss der Täter 14 alles unterlassen, was die Ausübung des Nutzungsrechts beeinträchtigen könnte (§ 2 Abs 4 GewSchG). So kann das Gericht dem Täter die Kündigung des Mietverhältnisses untersagen, solange das Nutzungsrecht des Opfers besteht.73 Tatsächliche Beeinträchtigungen wie zB durch die Unterbrechung der Energie- und Wasserzufuhr können ebenfalls durch gerichtliche Unterlassungsanordnungen unterbunden werden.74 Gem § 2 Abs 5 GewSchG kann der Täter vom Opfer für die Nutzung der Wohnung eine Vergütung verlangen, soweit 63 64 65 66 67 68

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Vgl idZ die Maßstäbe nach § 1361b BGB. OLG Naumburg v 8.10.2002 – 8 WF 194/02, FPR 2003, 376 = BeckRS 2002, 30286851. OLG Köln v 17.9.2010 – 4 WF 169/10, BeckRS 2010, 28638. BT-Drs 14/5429, 30. BT-Drs 439/00, 92 f. AG Hamburg-Barmbek v 2.6.2003 – 816 C 162/03, FamRZ 2004, 473 = BeckRS 2004, 739; aA Schumacher FamRZ 2002, 645, 650 f. Schumacher FamRZ 2002, 645, 650. OLG Koblenz v 3.2.2003 – 13 UF 795/02, BeckRS 2003, 30304659 = ZFE 2003, 252. Schulze ea/Kemper, BGB8 Anhang zu §§ 1361a, 1361b Rn 15. Bamberger/Roth/Reinken, BeckOK BGB32 § 2 GewSchG Rn 11; Heinke, Gewaltschutzgesetz § 2 GewSchG Rn 28; Schulze ea/Kemper, BGB8 Anhang zu §§ 1361a, 1361b Rn 19. BT-Drs 14/5429, 31, 33; MünchKommBGB/Krüger § 1 GewSchG Rn 17. Heinke, Gewaltschutzgesetz § 2 GewSchG Rn 25.

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dies der Billigkeit entspricht. Eine solche Billigkeitsvergütung ist nicht von Amts wegen mit der Nutzungsregelung festzusetzen, sondern muss vom Täter ausdrücklich geltend gemacht werden, was auch noch nach Beendigung des Hauptsacheverfahrens erfolgen kann.75 Die Höhe der Nutzungsvergütung orientiert sich – unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse beider Parteien – am örtlichen Mietniveau vergleichbarer Wohnungen.76 d) Verfahren und Vollzug 15 Gewaltschutzsachen – Verfahren nach §§ 1 und 2 GewSchG (§ 210 FamFG) – zählen gem

§ 111 Nr 6 FamFG zu den Familiensachen, für welche nach § 23a Abs 1 GVG die Amtsgerichte ausschließlich zuständig sind. Die Familiengerichte im Sinne von § 23b GVG sind seit dem Inkrafttreten des FamFG somit auch für Gewaltschutzverfahren zwischen Personen ohne persönliches Naheverhältnis zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ist in § 211 FamFG normiert, demzufolge nach Wahl des Antragstellers jenes Gericht ausschließlich zuständig ist, in dessen Bezirk die Tat begangen wurde (Nr 1), sich die gemeinsame Wohnung des Antragstellers und des Antragsgegners befindet (Nr 2) oder der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Nr 3). Tatort ist dabei jeder Ort, an dem auch nur eines der wesentlichen Tatbestandsmerkmale verwirklicht worden ist, somit sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort.77 Die gemeinsame Wohnung entspricht dem bisherigen Begriff des „auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalts“, ohne dass es auf eine geschlechtliche Beziehung ankommt.78 Den gewöhnlichen Aufenthalt hat im Sinne von § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I79 eine Person dort, wo sie sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.80 Der gewöhnliche Aufenthalt stellt im Gegensatz zum Wohnsitz (§ 7 BGB) auf rein tatsächliche Verhältnisse ab, wobei nach der Rspr als Faustregel eine Dauer von sechs Monaten erforderlich und ausreichend ist.81 Hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit von Gewaltschutzsachen ist die Anwendbarkeit europäischer Rechtsakte aufgrund der unübersichtlichen Rechtslage umstritten. So fallen etwa Eilmaßnahmen, die aus Anlass eines in den Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO fallenden Verfahrens getroffen werden, unter Art 20 Brüssel IIa-VO. Für Anträge nach dem GewSchG, die keinen solchen Zusammenhang aufweisen und nicht bloß vorläufig angeordnet werden, hat das Zuständigkeitssystem nach der Brüssel I-VO (Brüssel Ia-VO) Vorrang, wenn der Antragsgegner seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat. Obzwar die Bereichsausnahme in Art 1 Abs 2 lit a Brüssel I-VO (Brüssel Ia-VO) grundsätzlich weit zu verstehen ist, steht auch bei Gewaltschutzsachen zwischen Ehegatten weniger die vermögensrechtliche als die persönliche Natur im Vordergrund.82 Neben dem allgemeinen Ge75 76 77 78 79

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OLG Hamm v 11.5.2005 – 11 WF 135/05, FamRZ 2006, 50 = NJW-RR 2006, 8. Heinke, Gewaltschutzgesetz § 2 GewSchG Rn 21. BT-Drs 16/6308, 251. MünchKommBGB/Krüger § 1 GewSchG Rn 4. Siehe dazu Kreikebohm/Hänlein, Kommentar zum Sozialrecht3 § 30 SGB I Rn 6; Mrozynski, SGB I5 § 30 Rn 23 ff. MünchKommBGB/Krüger § 1 GewSchG Rn 5. Siehe dazu MünchKommZPO/Erbarth § 201 FamFG Rn 15 mwN. IdS Rauscher/Mankowski Art 1 Brüssel I-VO Rn 13; Bamberger/Roth/Heiderhoff, BeckOK BGB32 Art 17a EGBGB Rn 25; aA MünchKommFamFG/Rauscher § 105 Rn 7; Bamberger/Roth/Reinken, BeckOK BGB32 § 1 GewSchG Rn 46.

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richtsstand in Art 2 Brüssel I-VO (Art 4 Brüssel Ia-VO) ist aufgrund des deliktischen Charakters der Wahlgerichtsstand in Art 5 Nr 3 Brüssel I-VO (Art 7 Nr 2 Brüssel Ia-VO) maßgebend.83 Hat der Antragsgegner seinen Wohnsitz in Island, Norwegen oder der Schweiz, richtet sich die internationale Zuständigkeit nach Art 2 oder Art 5 Nr 3 LGVÜ II. Soweit weder die Brüssel IIa-VO noch die Brüssel I-VO (Brüssel Ia-VO) eingreifen, sind die deutschen Gerichte gem § 105 FamFG international zuständig, wenn eine örtliche Zuständigkeit nach § 211 FamFG besteht. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit sind Schutzanordnungen nach dem GewSchG im 16 Regelfall zu befristen,84 wobei der BGH in besonderen Fällen auch unbefristete Maßnahmen zulässt.85 Der Richter legt die Frist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls sowie Anzahl, Dauer und Schwere der jeweiligen Rechtsgutverletzung fest,86 wobei § 1 Abs 1 Satz 2 GewSchG eine (mehrfache) Verlängerungsmöglichkeit vorsieht.87 Diese setzt vom Antragsteller die Glaubhaftmachung der Zuwiderhandlung gegen die Anordnung während ihrer ursprünglichen oder gegebenenfalls bereits verlängerten Geltungsdauer voraus.88 Die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Anordnung ist dabei nicht zu überprüfen.89 Nach den Umständen des Einzelfalls – wie etwa Dauer des Mietvertrags, Kündigungsfrist sowie zugrundeliegendes Rechtsverhältnis – ist auch die Dauer der Wohnungsüberlassung zu befristen, wenn dem Opfer zusammen mit dem Täter das Eigentum, das Erbbaurecht, der Nießbrauch, das Wohnungseigentum, das Dauerwohnrecht oder das dingliche Wohnrecht zusteht oder das Opfer die Wohnung mit dem Täter gemietet hat (§ 2 Abs 2 Satz 1 in Verbindung mit Satz 4 GewSchG). Stehen diese Berechtigungen an der Wohnung allein dem Täter oder gemeinsam mit einem Dritten zu, sieht § 2 Abs 2 Satz 2 GewSchG für die Wohnungsüberlassung eine Höchstdauer von sechs Monaten vor. § 2 Abs 2 Satz 3 GewSchG sieht eine Verlängerungsmöglichkeit um höchstens sechs weitere Monate für den Fall vor, dass das Opfer innerhalb der ersten Befristung keinen angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen beschaffen konnte und überwiegende Belange des Täters – wie etwa eine schwere Erkrankung90 – oder des Dritten nicht entgegenstehen. Grundsätzlich gelten die Regeln des Allgemeinen Teils, soweit sich aus § 210 ff FamFG keine 17 Besonderheiten ergeben.91 So ist gem § 212 FamFG in Verfahren nach § 2 GewSchG das 83

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Bamberger/Roth/Heiderhoff, BeckOK BGB32 Art 17a EGBGB Rn 27; aA MünchKommFamFG/Rauscher § 105 Rn 8, der sich hinsichtlich Verfahren nach § 2 GewSchG für die ausschließliche Zuständigkeit nach Art 22 Nr 1 Brüssel I-VO (Art 24 Nr 1 Brüssel Ia-VO) ausspricht. BT-Drs 14/5429, 29; OLG Jena v 6.9.2011 – 1 UF 223/11, FamFR 2012, 236 (mit Anm Reinken) = FamRZ 2012, 1226 = BeckRS 2012, 8339; OLG Saarbrücken v 20.10.2010 – 6 UF 102/10, FamFR 2010, 569 (mit Anm Heiß) = FamRZ 2011, 1087 = FPR 2011, 232. BGH v 26.2.2014 – XII ZB 373/11, FamRZ 2014, 825 = NJW 2014, 1381 = NZFam 2014, 555 (mit Anm Cirullies) = FD-MietR 2014, 357759 (mit Anm Bub/von der Osten) = LMK 2014, 357464 (mit Anm Münch); „im Ausnahmefall“ auch OLG Hamm v 23.4.2013 – II-2 UF 254/12, FamFR 2013, 378 (mit Anm Finke) = MMR 2014, 136. BT-Drs 14/5429, 28. MünchKommBGB/Krüger § 1 GewSchG Rn 26. OLG Bremen v 8.3.2013 – 5 UF 9/13, BeckRS 2013, 9769. OLG Nürnberg v 29.12.2011 – 10 UF 1650/11, FamRZ 2012, 646 = BeckRs 2012, 4276. BT-Drs 14/5429, 31. MünchKommBGB/Krüger § 1 GewSchG Rn 9.

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Jugendamt auf seinen Antrag zu beteiligen, wenn ein Kind in dem Haushalt lebt. § 213 FamFG normiert außerdem ein Anhörungs- und Beschwerderecht des Jugendamts. Zu den wichtigsten Neuerungen des FamFG zählt die Einführung eines isolierten Eilverfahrens (§§ 49 ff FamFG), wobei in Gewaltschutzsachen für eine einstweilige Anordnung die Sonderregelungen in § 214 FamFG zu beachten sind. § 214 Abs 1 Satz 2 FamFG konkretisiert den unbestimmten Rechtsbegriff in § 49 Abs 1 FamFG insofern, als ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden des Gerichts zur Verhinderung weiterer Verletzungen in der Regel dann vorliegt, wenn eine Tat nach § 1 GewSchG begangen wurde oder aufgrund konkreter Umstände mit der Begehung einer solchen Tat zu rechnen ist. Nach § 215 FamFG soll das Gericht in Verfahren nach § 2 GewSchG in der Endentscheidung die zu ihrer Durchführung erforderlichen Anordnungen treffen. Mit Rechtskraft wird die Endentscheidung in Gewaltschutzsachen wirksam, wobei das Gericht gem § 216 Abs 1 Satz 2 FamFG die sofortige Wirksamkeit anordnen soll. Gem § 216 Abs 2 FamFG kann das Gericht auch die Zulässigkeit der Vollstreckung vor der Zustellung an den Antragsgegner anordnen. In diesem Fall tritt die Wirksamkeit in dem Zeitpunkt ein, in dem die Entscheidung der Geschäftsstelle des Gerichts zur Bekanntmachung übergeben wird, was auf der Entscheidung zu vermerken ist. Zur Mitteilung von Entscheidungen an die zuständige Polizeibehörde und andere von der Durchführung der Anordnung betroffene öffentliche Stellen siehe § 216a FamFG. Zu den Kosten siehe §§ 80 ff FamFG92 und zum Rechtsmittel der Beschwerde siehe §§ 58 ff FamFG. 18 Die Vollstreckung von gerichtlichen Schutzanordnungen in Gewaltschutzsachen erfolgt

nach den Vorschriften der ZPO (§§ 95 f FamFG in Verbindung mit §§ 890 f ZPO). Zur Beseitigung einer jeden andauernden Zuwiderhandlung im Sinne eines objektiv tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Verstoßes gegen gerichtliche Schutzmaßnahmen nach § 1 GewSchG kann der Gläubiger einen Gerichtsvollzieher zuziehen (§ 96 Abs 1 Satz 1 FamFG), wodurch das Verfahren nach § 890 ZPO zur Erzwingung von Unterlassungen mittels Verhängung von Ordnungsgeld bzw Ordnungshaft93 vermieden werden soll.94 Durch die Anwendung unmittelbaren Zwangs soll eine effektive Vollstreckung von Schutzanordnungen gewährleistet werden.95 Der Gerichtsvollzieher ist gem § 96 Abs 1 Satz 2 in Verbindung mit § 758 Abs 3 und § 759 ZPO bei Widerstand zur Anwendung von Gewalt befugt und kann zu diesem Zweck die Unterstützung polizeilicher Vollstreckungsorgane anfor92

93 94 95

Siehe OLG Brandenburg v 24.1.2014 – 10 WF 207/13, BeckRS 2014, 14885, demzufolge die Kosten eines Gewaltschutzverfahrens aus Billigkeitsgründen regelmäßig dem Täter aufzuerlegen sind. Zur Versagung der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe bei gleichzeitiger Einreichung eines Hauptsacheantrags und eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Gewaltschutzverfahren siehe OLG Hamm v 7.11.2013 – II-4 WF 242/13, NJOZ 2014, 1121 = NZFam 2014, 144 (mit Anm van Els); OLG Frankfurt v 7.7.2011 – 3 WF 150/11, FamFR 2011, 473 (mit Anm Giers) = FamRZ 2012, 144 = BeckRS 2011, 21572; OLG Celle v 10.5.2010 – 10 WF 147/10, NJW-RR 2011, 82 = FamFR 2010, 305 (mit Anm Finke) = FPR 2011, 238 = FamRZ 2010, 1586 = MDR 2010, 1212; OLG Zweibrücken v 18.11.2009 – 2 WF 215/09, FamRZ 2010, 1756 (mit Anm van Els) = FuR 2010, 178 = NJW 2010, 540; aA OLG Frankfurt v 20.12. 2010 – 5 WF 329/10, FamRZ 2011, 661 = BeckRS 2011, 9043; OLG München v 14.2.2012 – 26 WF 128/12, FamRZ 2012, 1234 = FuR 2012, 670 = MDR 2012, 530 = BeckRS 2012, 9656; OLG Hamm v 9.12.2009 – 10 WF 274/09, NJW 2010, 539 = FamFR 2010, 41 (mit Anm Elden) = FamRZ 2010, 2093 (mit Anm van Els). Ausf dazu MünchKommZPO/Gruber § 890 ZPO mwN. Heinke, Gewaltschutzgesetz Vorbemerkungen Rn 61 f. BT-Drs 14/5429, 35.

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dern. Hinsichtlich der Vollstreckung von Nutzungsregelung und Räumungsanordnung nach § 2 GewSchG verweist § 96 Abs 2 Satz 1 FamFG auf § 885 ZPO zur Herausgabe von Grundstücken96. Auch in diesem Fall ist der Gerichtsvollzieher notfalls zur Gewaltanwendung befugt.97 Bei mehrfacher Vollstreckung einer einstweiligen Anordnung zur Wohnungsüberlassung bedarf es keiner erneuten Zustellung (§ 96 Abs 2 Satz 2 FamFG). 2. Österreich a) Rechtsentwicklung Österreich hat sich bereits in den 90er Jahren im Zuge der unter dem Schlagwort „Schutz vor 19 Gewalt in der Familie“ geführten Diskussion um eine Verbesserung des Schutzes des in § 16 ABGB verbrieften absoluten Rechts auf physische und psychische Integrität98 bemüht. Im Gegensatz zum dGewSchG sind die öst Regelungen zum zivilrechtlichen Gewaltschutz nicht in einem in sich geschlossenen Sondergesetz normiert, sondern mit dem am 1.5.1997 in Kraft getretenen östGeSchG99 wurden das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch100 (ABGB), die Exekutionsordnung101 (EO) und das Sicherheitspolizeigesetz102 (SPG) entsprechend novelliert. Durch diese erste große Gewaltschutzreform103 sollte insbes das bislang auf die Ausweisung eines Ehegatten aus der gemeinsamen Wohnung beschränkte Schutzinstrumentarium in § 382 Abs 1 Z 8 lit b und Abs 2 EO aK104 durch die Einführung der Bestimmungen der §§ 382b bis §§ 382d EO ersetzt und damit der Schutz von (potentiellen) Gewaltopfern durch einstweilige Verfügungen wesentlich verbessert werden. Neben der Erweiterung des vor Gewalttätigkeiten in der Familie geschützten Personenkreises wurden unter anderem Rückkehr- sowie Kontaktaufnahme- und Aufenthaltsverbote an näher bestimmten Orten für gesetzlich definierte Angehörige eingeführt.105 Außerdem wurde die 96 97 98

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Ausf dazu MünchKommZPO/Gruber § 885 ZPO mwN. BT-Drs 14/5429, 14. Nach stRspr ist § 16 ABGB nicht bloßer Programmsatz, sondern eine Zentralnorm der Rechtsordnung, die die Persönlichkeit als Grundwert anerkennt und die Menschenwürde schützt (OGH RIS-Justiz RS0008993); ebenso etwa Griss FS 200 Jahre ABGB (2011) 1521 f; Kathrein FS Benn-Ibler (2011) 161, 165. Bundesgesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie, östBGBl 759/1996. § 215 Abs 1 und § 1328 ABGB. § 26 Abs 2, § 55 Abs 1, § 177 Abs 3, § 382 Abs 1 Z 8 lit b und Abs 2, § 382b, § 382c, § 382d, § 387 Abs 3, § 390 Abs 4, § 393 Abs 2 EO. § 38a, § 56 Abs 1 Z 8, § 84 Abs 1, § 94 Abs 4, § 98 Abs 2 SPG. Ausf dazu Dearing/Haller, Das österreichische Gewaltschutzgesetz; Mottl ÖJZ 1997, 542 ff; Seibt in: Deixler-Hübner/Schwarzinger, Die rechtliche Stellung der Frau 31 ff. Gem § 382 Abs 1 Z 8 lit b EO aK, die mit dem Bundesgesetz: Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe (östBGBl 412/1975) eingefügt worden war, konnte das Gericht im Zusammenhang mit einem Verfahren auf Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe einem Ehegatten den Auftrag zum Verlassen der Wohnung erteilen, sofern dieser dem anderen Teil das weitere Zusammenleben unerträglich machte und die Wohnung der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des anderen diente. Ohne Zusammenhang mit einem Verfahren auf Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe sah der mit dem Bundesgesetz: Erweiterung der Bestimmungen gegen Gewalt in der Ehe in der Exekutionsordnung (östBGBl 96/1990) angefügte § 382 Abs 2 EO aK für eine solche einstweilige Verfügung eine zeitliche Obergrenze von insgesamt drei Monaten vor. Gitschthaler/Höllwerth/Beck, EuPR §§ 382b-382e EO Rn 1.

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Kooperation zwischen Zivilgerichten und Sicherheitsbehörden verbessert, deren Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei Gewalt in der Familie bislang nur im Falle einer gerichtlich strafbaren Handlung einschreiten durften.106 20 Im Zuge der EO-Novelle 2003107 kam es zu Anpassungen bei den einstweiligen Verfügungen

zum Schutz vor Gewalt in der Familie. Die taxative Aufzählung des geschützten Personenkreises in § 382b Abs 3 EO aF wurde zugunsten einer generellen Definition der nahen Angehörigen fallen gelassen, um den Gerichten beim familiären Gewaltschutz die Berücksichtigung aktueller sozialer Entwicklungen zu ermöglichen.108 Doch auch nach dieser Gesetzesänderung sollte der Schutz auf solche Personen beschränkt bleiben, die mit dem Antragsgegner in einer familiären oder familienähnlichen Gemeinschaft leben oder gelebt haben, worin die Rspr angesichts des bei der Verletzung von Persönlichkeitsrechten (§ 16 ABGB) ohnedies zustehenden Rechtsschutzes109 keine planwidrige Lücke sah.110 Zudem wurde die bisher vorgesehene Dreimonatsfrist, die höchstens seit der Beendigung des Zusammenlebens verstrichen sein durfte, als weitere Voraussetzung beseitigt.111 Darüber hinaus wurden die Kompetenzen der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes beim Vollzug von einstweiligen Verfügungen erweitert.112 21 Mit dem StRÄG 2006113 wurde nicht nur der neue Straftatbestand der „Beharrlichen Ver-

folgung“ in § 107a östStGB geschaffen, sondern auch § 382g EO neu eingefügt, um den zivilrechtlichen Schutz von Stalking-Opfern deutlich zu verbessern.114 22 Das 2. östGeSchG115, das weitgehend am 1.6.2009 in Kraft trat und insgesamt 13 Gesetze

novellierte, leitete die zweite große Gewaltschutzreform116 ein, welche insbes eine Erweiterung des geschützten Personenkreises, eine Aufspaltung der Tatbestände „Unzumutbarkeit des Zusammenlebens und des Zusammentreffens“ in zwei Paragrafen sowie eine verlängerte Geltungsdauer der Sicherungsmaßnahmen mit sich brachte. Außerdem wurden im Zivilverfahrensrecht spezifische Opferbestimmungen eingeführt. b) Schutz vor Gewalt in Wohnungen 23 § 382b Abs 1 EO ist – im Verhältnis zum allgemeinen Gewaltschutztatbestand in § 382e 106 107 108 109

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ErläutRV 252 BlgNR 20. GP 5, 7. Exekutionsordnungs-Novelle 2003, östBGBl I 31/2003; ausf dazu Jakusch ÖJZ 2004, 201. ErläutRV 39 BlgNR 22. GP 42. OGH v 23.7.1997 – 7 Ob 150/97b, EFSlg 83.026; OGH v 25.5.2000 – 1 Ob 341/99z und v 23.10.2000 – 6 Ob 238/00v, EFSlg 91.771. OGH v 23.10.2000 – 6 Ob 238/00v, EFSlg 94.803 = JBl 2001, 390; LGZ Wien v 13.7.2005 – 45 R 236/05x, EFSlg 112.539. Gitschthaler/Höllwerth/Beck, EuPR §§ 382b-382e EO Rn 1. ErläutRV 39 BlgNR 22. GP 43. Strafrechtsänderungsgesetz 2006, östBGBl I 56/2006. Näheres dazu Graf Zak 2006, 303 ff; Hager-Rosenkranz EF-Z 2006, 115 ff; Wolfrum/Dimmel ÖJZ 2006, 475 ff. Zweites Gewaltschutzgesetz, östBGBl I 40/2009. Ausf dazu Beck EF-Z 2009, 157 ff; Deixler-Hübner iFamZ 2009, 225 ff; Hager-Rosenkranz ecolex 2009, 560 ff; Maleczky JAP 2009/2010, 5 ff; Mair JAP 2009/2010, 42 ff; Mohr ÖJZ 2009, 485 ff; Pesendorfer iFamZ 2009, 165 ff; Roth/Egger EF-Z 2009, 125 ff; Thoma-Twaroch iFamZ 2008, 331 ff.

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Abs 1 EO – eine Spezialnorm zur Verhinderung von Gewalt im Wohnbereich.117 Kumulative Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung zum Schutz vor Gewalt in Wohnungen sind zum einen, dass dem Antragsteller das weitere Zusammenleben mit einer Person aufgrund eines körperlichen Angriffs, einer Drohung mit einem solchen oder eines die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigenden Verhaltens unzumutbar ist, und zum anderen, dass die Wohnung der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses der gefährdeten Partei dient. Als effektive Maßnahmen zum Wohnungsschutz dienen dem Gericht der Auftrag an den Gegner der gefährdeten Partei zum Verlassen der Wohnung und deren unmittelbare Umgebung (Z 1) sowie das Verbot zur Rückkehr in die Wohnung und deren unmittelbare Umgebung (Z 2). Seit dem 2. östGeSchG steht der spezielle Wohnungsschutz nicht nur nahen Angehörigen 24 zu, sondern allen zusammenlebenden Personen, und zwar unabhängig vom (Fort-)Bestand einer vormals geforderten familiären oder familienähnlichen Gemeinschaft. Damit werden nunmehr auch bloße Wohngemeinschaften, selbst das Zusammenleben in Senioren-, Pflege- und Studentenheimen geschützt.118 Allerdings ist der Gesetzeswortlaut insofern missverständlich, als „das weitere Zusammenleben“ ein Zusammenleben der Parteien im Antragszeitpunkt als Voraussetzung für die Bewilligung der einstweiligen Verfügung indizieren könnte, was jedoch dem Sinn und Zweck der mit dem 2. östGeSchG verfolgten Reform zum weiteren Ausbau des Gewaltschutzes zuwiderlaufen würde. Aus diesem Grund soll auch – wie es bisher der Fall war – ein früheres Zusammenleben für den Wohnungsschutz ausreichen.119 Bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens kann auch auf die 25 Rspr zur gesonderten Wohnungnahme eines Ehegatten nach § 92 Abs 2 ABGB zurückgegriffen werden,120 wobei ein großzügiger Maßstab zugunsten der Opfer anzulegen ist.121 Die Unzumutbarkeit muss auf einen körperlichen Angriff, die Drohung mit einem solchen oder auf ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten zurückzuführen sein. Neben physischer Gewalt oder einer ernsten Drohung mit deren Ausübung wird auch psychische Gewalt und Psychoterror in den Schutzbereich mit einbezogen. Solche Bedrohungen und Beschimpfungen müssen jedoch eine Schwere erreichen, die mit der eines körperlichen Angriffs oder einer Drohung mit einem solchen vergleichbar ist,122 was nicht nach objektiven, sondern nach subjektiven Kriterien zu beurteilen ist.123 Auf ein Verschul117 118 119

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Gitschthaler/Höllwerth/Beck, EuPR §§ 382b-382e EO Rn 15; Mohr ÖJZ 2009, 485, 491. Bauer in: Bauer ea, Gewaltschutzgesetz 27; Gitschthaler/Höllwerth/Beck, EuPR §§ 382b-382e EO Rn 10. Überzeugend Gitschthaler/Höllwerth/Beck, EuPR §§ 382b-382e EO Rn 11; idS auch Bauer in: Bauer ea, Gewaltschutzgesetz 28. Angst/E. Kodek, EO2 § 382b Rn 8; Burgstaller/Deixler-Hübner/Sailer § 382b EO Rn 7; Bauer in: Bauer ea, Gewaltschutzgesetz 28; Deixler-Hübner, Scheidung, Ehe, Lebensgemeinschaft11 42. OGH v 27.2.2007 – 10 Ob 7/07p, EFSlg 118.389 = EF-Z 2007/90; OGH v 12.10.2006 – 6 Ob 229/06d, EF-Z 2007/18 = EFSlg 115.476; LGZ Wien v 18.1.2011 – 44 R 8/11v, EFSlg 132.472; LGZ Wien v 19.8.1998 – 45 R 424/98f, EFSlg 88.381; LG Linz v 23.6.2005 – 15 R 203/05m und LGZ Wien v 15.2.2005 – 42 R 50/05x, EFSlg 112.550. ErläutRV 252 BlgNR 20. GP 8; Seibt in: Deixler-Hübner/Schwarzinger, Die rechtliche Stellung der Frau 31, 43; Bauer in: Bauer ea, Gewaltschutzgesetz 34. OGH v 2.6.2004 – 1 Ob 65/04x, EvBl 2005/17 = EFSlg 109.364; OGH v 16.12.2003 – 1 Ob 285/03y, MietSlg 55.816 = EFSlg 106.302.

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den kommt es bei den Gründen für die Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens nicht an.124 In die Prüfung der Unzumutbarkeit hat – im Sinne einer künftig zu erwartenden Situation – eine Zukunftsprognose mit einzufließen,125 wobei auch das bisherige Verhalten des Gegners der gefährdeten Partei und der gegenwärtige Zustand festgestellt und gewürdigt werden müssen.126 Bei der Prüfung der Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens nimmt die Rspr unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls eine umfassende Interessenabwägung vor.127 Als Kriterien werden dabei das Ausmaß, die Häufigkeit und die Intensität der angedrohten oder verwirklichten Angriffe herangezogen.128 26 Die weitere Voraussetzung eines dringenden Wohnbedürfnisses der gefährdeten Partei ist

gegeben, wenn ihr keine ausreichende und gleichwertige eigene Wohnmöglichkeit zur Verfügung steht.129 Weder durch die Aufnahme bei Freunden oder Verwandten130, noch durch eine prekaristische Wohnmöglichkeit131 wird das dringende Wohnbedürfnis ausgeschlossen. Eine Interessenabwägung hat nicht stattzufinden, zumal allein auf die Gefährdung und das Wohnbedürfnis der gefährdeten Partei abgestellt wird.132 c) Allgemeiner Schutz vor Gewalt 27 § 382e Abs 1 EO enthält einen Tatbestand zum allgemeinen Schutz vor Gewalt. Voraus124

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OGH v 30.6.1998 – 1 Ob 90/98m, SZ 71/118 = EFSlg 88.380 = MietSlg 50.850; LG Salzburg v 16.3.2011 – 21 R 9/11m und LGZ Wien v 3.2.2011 – 43 R 59/11m, EFSlg 132.474; LG Salzburg v 18.1.2006 – 21 R 601/ 05m und LGZ Wien v 13.2.2006 – 43 R 66/06h, EFSlg 115.478; LG Salzburg v 4.4.2007 – 21 R 42/07h, EFSlg 118.390; LG Wels v 31.8.2005 – 21 R 247/05f und LGZ Wien v 15.2.2005 – 42 R 50/05x, EFSlg 112.552. OGH v 27.11.2001 – 1 Ob 244/01s, EFSlg 98.663; LGZ Wien v 14.2.2011 – 45 R 70/11v, EFSlg 132.484; LGZ Wien v 11.6.2008 – 43 R 370/08t, EFSlg 121.444; LGZ Wien v 5.2.2002 – 44 R 39/02i und LG Salzburg v 3.7.2002 – 21 R 235/02h, EFSlg 102.500; LG Krems an der Donau v 31.12.1999 – 2 R 243/99v, EFSlg 91.329. LG Salzburg v 28.2.2008 – 21 R 598/07y und LGZ Wien v 29.12.2008 – 45 R 707/08s, EFSlg 121.443; LG Salzburg v 2.2.2000 – 21 R 13/00h, EFSlg 94.819. LGZ Wien v 18.1.2011 – 44 R 8/11v, EFSlg 132.476; LGZ Wien v 15.2.2005 – 42 R 50/05x, EFSlg 112.555. Siehe insbes OGH v 16.3.2007 – 6 Ob 16/07g, EF-Z 2007/91 (mit Anm Höllwerth) = EFSlg 118.400; LG Feldkirch v 24.5.2006 – 1 R 103/06i, LG Linz v 17.3.2006 – 15 R 108/06t und LGZ Wien v 1.2.2006 – 43 R 49/06h, EFSlg 115.493; LG Salzburg v 16.5.2002 – 21 R 168/02f und LGZ Wien v 29.1.2002 – 42 R 625/01z, EFSlg 102.504: „Je leichtere Folgen das Verhalten des Antragsgegners zeitigte, je länger es – ohne einschlägige Vorkommnisse – zurückliegt und je mehr sich der Antragsgegner in der Folge bewährt hat, desto eher wird dem anderen Ehegatten das weitere Zusammenleben zumutbar sein.“ LG Linz v 25.4.2005 – 15 R 45/05a, LG Wels v 31.8.2005 – 21 R 247/05f und LGZ Wien v 15.2.2005 – 42 R 50/05x, EFSlg 112.556. OGH v 31.3.2005 – 2 Ob 72/05k, EFSlg 112.594; LG Salzburg v 23.7.2007 – 21 R 173/07y und LGZ Wien v 21.12.2007 – 45 R 725/07m, EFSlg 118.425. LG Wels v 2.3.2011 – 21 R 12/11f, EFSlg 132.499; LGZ Wien v 9.3.2006 – 42 R 118/06y, EFSlg 115.517; LG Linz v 3.11.2005 – 15 R 378/05x und LGZ Wien v 10.2.2005 – 48 R 33/05s, EFSlg 112.597; LGZ Wien v 19.10.2001 – 44 R 454/01t, EFSlg 98.655; LG Krems an der Donau v 11.1.1999 – 2 R 222/98d, EFSlg 91.338. LG Wels v 2.3.2011 – 21 R 12/11f, EFSlg 132.499; LGZ Wien v 10.2.2005 – 48 R 33/05s, EFSlg 112.599; LG Salzburg v 17.4.2000 – 55 R 56/00g, EFSlg 94.827. OGH v 25.5.2000 – 1 Ob 124/00t, EFSlg 94.797 = EvBl 2000/202; LG Salzburg v 4.4.2007 – 21 R 42/07h, EFSlg 118.428; LG Salzburg v 15.12.2004 – 21 R 464/04p, EFSlg 109.338; LGZ Wien v 24.1.2006 – 42 R 26/

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setzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung zum allgemeinen Gewaltschutz ist die Unzumutbarkeit des weiteren Zusammentreffens mit einer Person aufgrund eines körperlichen Angriffs, einer Drohung mit einem solchen oder eines die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigenden Verhaltens. Als effektive Maßnahmen zum allgemeinen Gewaltschutz dienen dem Gericht das Verbot an den Gegner der gefährdeten Partei zum Aufenthalt an bestimmt zu bezeichnenden Orten (Z 1) und der Auftrag, das Zusammentreffen sowie die Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller zu vermeiden (Z 2). Dabei hat das Gericht eine Interessenabwägung vorzunehmen. Mit dem 2. östGeSchG wurde das bisherige Kontaktverbot in § 382b Abs 2 EO aF in eine 28 eigene Norm zum allgemeinen Gewaltschutz transferiert, um zu verdeutlichen, dass es sich beim Wohnungsschutz und allgemeinen Gewaltschutz um zwei unterschiedliche Tatbestände mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Anordnungsbefugnissen handelt.133 Auch hier wurde der geschützte Personenkreis – und zwar unabhängig eines vormaligen Zusammenlebens134 – verallgemeinert. § 382e Abs 1 EO bietet der gefährdeten Partei außerhalb der Wohnung Schutz vor einem (drohenden) körperlichen Angriff oder einem psychisch erheblich belastenden Verhalten des Antragsgegners an Orten, an denen sich der Antragsteller regelmäßig aufhält. Eine solche – im Aufenthaltsverbot bestimmt zu bezeichnende135 – „Bannmeile“136 kann zB den Arbeitsplatz und -weg, die Haltestelle(n) der regelmäßig benutzten Verkehrsmittel, die Geschäfte für den Einkauf des täglichen Bedarfs, die Betreuungseinrichtungen für Kinder137 sowie die gesamte Wohnhausanlage bei einem Haus mit mehreren Stiegen138 umfassen. Hinsichtlich der Beurteilung der Unzumutbarkeit des weiteren Zusammentreffens kann 29 auf die Grundsätze der Rspr zu § 382b EO zurückgegriffen werden. Im Gegensatz zu § 382b Abs 1 EO sieht § 382e Abs 1 EO eine Interessenabwägung vor,139 wobei weniger auf immaterielle140 als auf materielle141 Interessen des Antragsgegners abgestellt wird, die dieser zu behaupten und zu bescheinigen hat.142 So ist insbes auf berufliche Belange des Antrags-

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06v und LG Wels v 8.2.2006 – 21 R 42/06k, EFSlg 115.465; LG Linz v 3.11.2005 – 15 R 378/05x und LGZ Wien v 10.2.2005 – 48 R 33/05s, EFSlg 112.602; LGZ Wien v 25.8.2005 – 48 R 270/05v, EFSlg 112.600; LG Salzburg v 31.8.2001 – 21 R 195/01z und LGZ Wien v 26.6.2001 – 44 R 253/01h, EFSlg 98.651. Bauer in: Bauer ea, Gewaltschutzgesetz 85; Deixler-Hübner, Scheidung, Ehe, Lebensgemeinschaft11 38. LG Linz v 15.7.2010 – 15 R 253/10x, EFSlg 128.784. LGZ Wien v 26.3.2004 – 44 R 125/04i, EFSlg 109.347. LGZ Wien v 1.4.2008 – 44 R 116/08x, EFSlg 121.433. OGH v 10.6.1999 – 6 Ob 77/99p, SZ 72/101 = RIS-Justiz RS0112178; LGZ Wien v 14.6.2011 – 42 R 276/ 11s, EFSlg 132.532; LGZ Wien v 29.1.2010 EFSlg 128.790; LG Linz v 6.3.2008 – 15 R 84/08s, EFSlg 121.432. LGZ Wien v 11.2.2010 – 43 R 80/10y, EFSlg 128.791; LG Salzburg v 29.5.2008 – 21 R 148/08y, EFSlg 121.434. OGH v 25.5.2000 – 1 Ob 124/00t, EFSlg 94.797 = EvBl 2000/202; LGZ Wien v 17.10.2012 – 48 R 200/12k, EFSlg 136.532; LGZ Wien v 24.1.2006 – 42 R 26/06v und LG Wels v 8.2.2006 – 21 R 42/06k, EFSlg 115.465; LGZ Wien v 10.3.2005 – 48 R 67/05s, EFSlg 112.542. LG Wels v 22.11.2006 – 21 R 422/06t, EFSlg 115.468; LGZ Wien v 9.6.2005 – 48 R 177/05t, EFSlg 112.543. LG Salzburg v 8.11.2011 – 21 R 338/11v, EFSlg 132.534. LGZ Wien v 17.10.2012 – 48 R 200/12k, EFSlg 136.532; LG Wels v 8.2.2006 – 21 R 42/06k und LGZ Wien v 16.5.2006 – 42 R 102/06w, EFSlg 115.467; LGZ Wien v 9.6.2005 – 48 R 177/05t, EFSlg 112.547; LGZ Wien v 14.9.2004 – 42 R 438/04d, EFSlg 109.350; Gitschthaler/Höllwerth/Beck, EuPR §§ 382b-382e EO Rn 62;

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gegners Bedacht zu nehmen,143 wenn etwa beide Parteien im selben Betrieb beschäftigt sind oder zum Erreichen des Arbeitsplatzes auf dieselben öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen sind.144 Das Recht auf persönliche Kontakte mit den leiblichen minderjährigen Kindern hindert in der Regel nicht den Erlass einer einstweiligen Verfügung.145 d) Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre 30 § 382g EO soll Opfern von Stalking146 rasch Abhilfe bei Eingriffen in das durch § 16 und

§ 1328a ABGB absolut geschützte Recht auf Achtung der Privatsphäre147 ermöglichen, wenn eine einstweilige Verfügung zur Verhütung drohender Gewalt oder zur Abwendung eines drohenden unwiederbringlichen Schadens notwendig ist. Den Anspruch auf Unterlassung weiterer „Stalking“-Handlungen hat die gefährdete Partei zu behaupten und zu bescheinigen. Als Sicherungsmittel dienen dem Gericht gem § 282g Abs 1 EO demonstrativ das Verbot persönlicher Kontaktaufnahme und der Verfolgung der gefährdeten Partei (Z 1), das Verbot brieflicher, telefonischer oder sonstiger Kontaktaufnahme (Z 2), das Verbot des Aufenthalts an bestimmt zu bezeichnenden Orten (Z 3), das Verbot der Weitergabe und Verbreitung von persönlichen Daten und Lichtbildern der gefährdeten Partei (Z 4), das Verbot, Waren oder Dienstleistungen unter Verwendung personenbezogener Daten der gefährdeten Partei bei einem Dritten zu bestellen (Z 5) sowie das Verbot, einen Dritten zur Aufnahme von Kontakten mit der gefährdeten Partei zu veranlassen (Z 6). 31 § 382g EO wurde mit dem StRÄG 2006148 eingeführt, um Stalking-Opfern – ohne Ein-

schränkung auf einen bestimmten Personenkreis und ohne familiäre Nahebeziehung zwischen den Beteiligten149 – einen rascheren und effektiveren zivilrechtlichen Schutz bei Eingriffen in die Privatsphäre zu gewähren.150 Mit § 382g EO wurde jedoch keine neue Anspruchsgrundlage geschaffen,151 sondern die Bestimmung tritt mit spezifischen Sicherungsmitteln neben § 382 EO,152 der eine demonstrative Aufzählung der Sicherungsmittel für einstweilige Verfügungen zur Sicherung anderer Ansprüche enthält. Grundlage für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre bleibt somit weiterhin die allgemeine Bestimmung des § 381 Z 2 EO, demzufolge die einstweilige Verfügung zur Verhütung drohender Gewalt oder zur Abwendung eines drohenden unwiederbringlichen Schadens notwendig sein muss. Diese Anforderungen sind mit

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Hopf/Kathrein, Eherecht3 § 382e EO Rn 3; aM Burgstaller/Deixler-Hübner/Sailer § 382b EO Rn 15; Zechner, Sicherungsexekution § 382b EO Rn 5. LG Wels v 8.2.2006 – 21 R 42/06k, EFSlg 115.466. LG Linz v 20.3.2003 – 15 R 40/03p, EFSlg 106.274. LG Salzburg v 8.11.2011 – 21 R 338/11v und LGZ Wien v 12.4.2011 – 43 R 193/11t, EFSlg 132.533; LGZ Wien v 9.6.2005 – 48 R 177/05t, EFSlg 112.544; LGZ Wien v 21.12.1999 – 44 R 960/99y, EFSlg 91.321; LG Wels v 8.2.2006 – 21 R 42/06k, EFSlg 115.470; LG Salzburg v 29.3.2001 – 55 R 53/01t, EFSlg 98.652. Unter dem aus dem anglo-amerikanischen Raum stammenden Begriff ist in der juristischen Terminologie das zwanghafte Verfolgen, Nachstellen und Belästigen einer Person oder das Ausüben von Psychoterror zu verstehen; LGZ Wien v 6.2.2008 – 43 R 82/08i, EFSlg 121.544. Vgl idZ Art 8 Abs 1 EMRK. Ausf dazu Graf Zak 2006, 303 ff; Hager-Rosenkranz EF-Z 2006, 115 ff; Wolfrum/Dimmel ÖJZ 2006, 475 ff. LG Salzburg v 20.9.2011 – 21 R 267/11b, EFSlg 132.540. ErläutRV 1316 BlgNR 22. GP 8. OGH RIS-Justiz RS0121886. Graf Zak 2006, 303.

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der Bescheinigung des Anspruchs auf Unterlassung weiterer Stalking-Handlungen erfüllt.153 Während etwa ein paar Anrufe aus Liebeskummer nach Beendigung einer Beziehung noch als sozialadäquat einzustufen sind und in gewissem Umfang auch hinzunehmen sind, kann das Recht auf Privatsphäre verletzt sein, wenn die Kontaktaufnahmen in Art und Umfang eine Intensität erreichen, die den Rahmen des sozial verträglichen sprengen. Wann diese Schwelle erreicht ist, hängt vom Zusammenspiel mehrerer Aspekte im Einzelfall ab, wobei in die Abwägung insbes der Grund für die Kontaktaufnahme und die Art der Kontakte einzubeziehen sind.154 Auch bloß zufällige Begegnungen können unter Stalking fallen, wenn der Antragsgegner bei jeder Begegnung ein sozial nicht verträgliches Verhalten an den Tag legt, das der gefährdeten Partei nicht zugemutet werden kann.155 § 382g EO schützt auch vor einem unmittelbar drohenden Eingriff. Wird etwa ein Opfer von Stalking in Form von Briefen und Anrufen vom Antragsgegner belästigt, wird nicht nur die unmittelbare Kontaktaufnahme untersagt werden können, sondern – wenn solche Eingriffe in die Privatsphäre zu befürchten sind – auch die Kontaktaufnahme im Wege Dritter.156 Bei Verfügungen nach § 382g EO ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, wobei Beein- 32 trächtigungen des Antragsgegners bei der Ausübung von Kontaktrechten zu leiblichen minderjährigen Kindern in Kauf zu nehmen sind.157 Das 2. östGeSchG brachte eine Harmonisierung mit § 382e EO hinsichtlich der Dauer der einstweiligen Verfügung ohne Hauptverfahren mit sich. c) Verfahren und Vollzug Das Sicherungsverfahren ist nach den Verfahrensvorschriften der EO samt deren Weiter- 33 verweisung auf die ZPO durchzuführen.158 § 387 EO regelt die Zuständigkeit für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, wobei für jene nach § 382b EO das Prozessgericht zuständig ist bzw das Gericht, das für den Prozess in der Hauptsache zuständig wäre, subsidiär jenes, bei dem der Gegner der gefährdeten Partei zur Zeit der ersten Antragstellung seinen allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen hat.159 Wird nur eine einstweilige Verfügung nach § 382e EO beantragt, ist das Bezirksgericht zuständig, in dessen Sprengel der Antragsteller seinen allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen hat. Auch für die Bewilligung einer einstweiligen Verfügung nach § 382g EO ist das Bezirksgericht zuständig, bei dem die gefährdete Partei ihren allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen hat. Dieser richtet sich bei natürlichen Personen gem § 66 JN160 sowohl nach dem Wohnsitz (Abs 1) als auch nach dem gewöhnlichen Aufenthalt (Abs 2).161 153 154 155 156 157 158

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ErläutRV 1316 BlgNR 22. GP 8; OGH RIS-Justiz RS0121887. LGZ Wien v 6.2.2008 – 43 R 82/08i, EFSlg 121.544. LGZ Wien v 6.2.2008 – 43 R 82/08i, EFSlg 121.550. OGH RIS-Justiz RS0121888. LGZ Wien v 19.1.2010 – 45 R 714/09x, EFSlg 128.802. LGZ Wien v 19.12.2005 – 43 R 733/05w, EFSlg 112.604; LGZ Wien v 9.5.2007 – 45 R 286/07b, EFSlg 118.431; LGZ Wien v 26.3.2009 – 45 R 162/09w, EFSlg 125.198; LG Wels v 31.8.2005 – 21 R 247/05f, EFSlg 112.603; LG Wels v 8.2.2006 – 21 R 42/06k, EFSlg 115.523. OGH v 13.8.2002 – 1 Ob 140/02y, EvBl 2002/216 = EFSlg 102.560. Gesetz vom 1.8.1895 über die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen (Jurisdiktionsnorm – JN), östRGBl 110/1895 idF östBGBl I 158/ 2013. Näheres dazu unten Rn 54.

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34 Die einstweilige Verfügung nach § 382b EO kann seit dem 2. östGeSchG für eine Dauer von

sechs Monaten unabhängig vom Fortbestehen der häuslichen Lebensgemeinschaft der Parteien und ohne Zusammenhang mit einem Verfahren auf Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe, einem Verfahren über die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse oder einem Verfahren zur Klärung der Benützungsberechtigung an der Wohnung erlassen werden.162 Nach stRspr kann eine solche nicht bis zum Abschluss eines im Zeitpunkt der Entscheidung über den Sicherungsantrag noch nicht anhängigen Hauptverfahrens erlassen werden.163 Die Geltungsdauer kann jedoch vor Fristablauf und nach Einbringung zB einer Scheidungsklage auf Antrag verlängert werden, wenn der Gefährdungstatbestand fortdauert oder zumindest in diesem Zeitpunkt verwirklicht ist.164 Dabei sind spätere Änderungen entscheidungswesentlicher Umstände zu berücksichtigen.165 Die Dauer einer einstweiligen Verfügung nach § 382e EO und § 382g EO kann ohne Hauptverfahren bis zu einem Jahr festgesetzt werden, wobei es im Falle des Zuwiderhandelns166 eine Verlängerungsmöglichkeit sogar ohne Rechtfertigungsverfahren um ein weiteres Jahr gibt.167 Wird eine einstweilige Verfügung nach § 382e Abs 1 EO gemeinsam mit einer solchen nach § 382b Abs 1 EO erlassen, kann die Dauer mit dem in § 382b Abs 3 EO genannten Hauptverfahren begrenzt werden.168 35 Das Sicherungsverfahren ist ein summarisches Eilverfahren, in dem nur parate Beschei-

nigungsmittel zu berücksichtigen sind.169 § 382c EO enthält Sonderregeln für das Verfahren betreffend einstweilige Verfügungen nach § 382b Abs 1 EO. Von der Anhörung des Antragsgegners ist gem § 382c Abs 1 EO insbes abzusehen, wenn durch ihn eine weitere Gefährdung unmittelbar droht. Diese kann sich vor allem aus einem Bericht der Sicherheitsbehörde ergeben, den das Gericht von Amts wegen beizuschaffen hat. Die Sicherheitsbehörden sind verpflichtet, den Gerichten solche Berichte unverzüglich zu übersenden. Wird der Antrag ohne unnötigen Aufschub nach einem Betretungsverbot gem § 38a SPG170 gestellt, ist dieser dem Antragsgegner unverzüglich zuzustellen. Sofern der Antragsteller nichts anderes beantragt, erfolgt die Zustellung des Auftrags zum Verlassen der Wohnung an den Antragsgegner gem § 382c Abs 2 EO durch das Vollstreckungsorgan beim Vollzug, wobei dieser Zeitpunkt dem Antragsteller mitzuteilen ist. Ist der Erlassung der einstweiligen 162 163

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Vgl LG Linz v 18.1.2006 – 15 R 13/06x, EFSlg 115.559. OGH RIS-Justiz RS0116471; idS Beck EF-Z 2009, 157, 158 Fn 20 und EF-Z 2013, 221 f; aA unter Berufung auf JAB zum 2. östGeSchG (106 BlgNR 24. GP 10) König, Einstweile Verfügung im Zivilverfahren4 Rn 5/ 41a; Mohr, ÖJZ 2009, 485, 488; Bauer, EF-Z 2010, 190 f. OGH RIS-Justiz RS0123193. OGH RIS-Justiz RS0005613. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um einen geringeren oder gröberen Verstoß des Antragsgegners handelt; LGZ Wien v 14.6.2011 – 42 R 276/11s, EFSlg 132.537. JAB 106 BlgNR 24. GP 10; Bauer in: Bauer ea, Gewaltschutzgesetz 88. Vgl LG Salzburg v 26.11.2010 – 21 R 418/10g, EFSlg 128.793. LG Salzburg v 23.2.2011 – 21 R 460/10h und LGZ Wien v 16.5.2011 – 43 R 257/11d, EFSlg 132.563; LG Salzburg v 21.3.2007 – 21 R 119/07g und LGZ Wien v 9.5.2007 – 45 R 286/07b, EFSlg 118.439; LGZ Wien v 12.1.2005 – 43 R 740/04y, EFSlg 112.609; LG Salzburg v 31.3.2010 – 21 R 449/09i, EFSlg 128.818; LG Linz v 16.1.2006 – 15 R 16/06p, LG Wels v 22.11.2006 – 21 R 422/06t und LGZ Wien v 11.1.2006 – 45 R 7/ 06x, EFSlg 115.531. Ausf dazu Gitschthaler/Höllwerth/Beck, EuPR §§ 382b-382e EO Rn 140 ff; Keplinger in: Bauer ea, Gewaltschutzgesetz 124 ff; Burgstaller/Deixler-Hübner/Sailer Anhang nach § 382b EO: § 38a SPG Rn 1 ff.

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Verfügung ein Betretungsverbot nach § 38a SPG vorangegangen, erfolgt die Zustellung gem § 382c Abs 4 EO an die vom Antragsgegner angegebene Abgabestelle. Wurde die Bekanntgabe einer Abgabestelle trotz Hinweises auf die Rechtsfolgen unterlassen, können die Zustellungen durch Hinterlegung solange ohne vorausgehenden Zustellversuch vorgenommen werden, bis dem Gericht eine Abgabestelle bekannt gegeben wird. Vom Inhalt des Beschlusses der einstweiligen Verfügung sowie vom Aufhebungsbeschluss sind gem § 382c Abs 3 EO die zuständigen Sicherheitsbehörden und im Falle der Beteiligung einer minderjährigen Partei auch der örtlich zuständige Kinder- und Jugendhilfeträger (vormals Jugendwohlfahrtsträger) zu verständigen. Die Bewilligung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b, § 382e und § 382g EO kann gem 36 § 390 Abs 4 EO nicht von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Kostenersatzpflicht richtet sich gem § 393 Abs 2 EO nach den Bestimmungen der ZPO. Gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf einstweilige Verfügung ist das Rechtsmittel des Rekurses statthaft. Aufgrund des im Rekursverfahren geltenden Neuerungsverbots steht dem Antragsgegner gegen die Bewilligung einer einstweiligen Verfügung ohne dessen vorherige Anhörung außerdem der Rechtsbehelf des Widerspruchs gem § 397 EO zu, mit dem er sich nachträglich rechtliches Gehör verschaffen kann.171 Der Vollzug einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO hat gem § 382d Abs 1 EO sofort 37 von Amts wegen oder auf Antrag zu erfolgen. Gem § 382d Abs 2 EO hat das Vollstreckungsorgan den Antragsgegner aus der Wohnung zu weisen und ihm alle Wohnungsschlüssel abzunehmen, die bei Gericht zu erlegen sind. Dem Antragsgegner ist Gelegenheit zur Mitnahme seiner persönlichen Wertsachen und Dokumente sowie jener Sachen zu gewähren, die seinem alleinigen persönlichen Gebrauch und der Berufsausübung dienen. Das Gericht kann mit dem Vollzug einer einstweiligen Verfügung nach § 382b Abs 1, § 382e Abs 1 und § 382g Abs 1 Z 1 und 3 EO auch die Sicherheitsbehörden beauftragen, die dabei die ihnen zur Verfügung stehenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes heranziehen können. Diese können den in einer einstweiligen Verfügung angeordneten Zustand durch unmittelbare Befehls- und Zwangsgewalt zumeist rascher und effektiver herstellen, was dem Gericht zu berichten ist.172 Der Vollzugsauftrag umfasst nicht nur eine einzelne Vollzugshandlung, sondern bezieht sich auf alle in der Folge notwendig werdenden Maßnahmen.173 Im Übrigen sind einstweilige Verfügungen nach den Exekutionsbestimmungen zur Erwirkung von Handlungen oder Unterlassungen zu vollziehen. III. Entstehungsgeschichte Die EU-SchutzMVO, welche die Anerkennung und Vollstreckung von nationalen Schutz- 38 maßnahmen im europäischen Justizraum sicherstellen soll, geht auf einen Vorschlag174 der Kommission vom 18.05.2011 zurück und ist Teil eines Legislativpakets zur Stärkung der 171 172 173

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Näheres dazu Bauer in: Bauer ea, Gewaltschutzgesetz 58 ff, 105 mwN. Deixler-Hübner, Scheidung, Ehe, Lebensgemeinschaft11 46; Angst/E. Kodek, EO2 § 382d Rn 3. ErläutRV 252 BlgNR 20. GP 10 f; OGH v 29.10.2001 – 7 Ob 180/01y, EFSlg 98.715 = EvBl 2002/54 = JBl 2003, 124; Angst/E. Kodek, EO2 § 382d Rn 3a; Burgstaller/Deixler-Hübner/Sailer § 382d EO Rn 4; Hopf/ Kathrein, Eherecht3 § 382d EO Rn 3. Europäische Kommission, Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen, 18.5.2011, KOM (2011) 276.

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B.I.5 EU-Schutzmaßnahmenverordnung

Opferrechte in der Europäischen Union, welches neben einer gleichnamigen Mitteilung175 noch einen Richtlinienvorschlag176 über Mindeststandards für die Rechte und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie für die Opferhilfe umfasst. Auslöser für die Initiativvorschläge der Europäischen Kommission war das sog Stockholmer Programm177, in welchem der Europäische Rat dem Aufbau des in Titel V AEUV normierten Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts vorrangige Bedeutung beimisst178 und dabei explizit den Opferschutz zu einer prioritären EU-Agenda erklärt179. Die Kommission nahm in ihren Aktionsplan180 zur Umsetzung des Stockholmer Programms sowie in ihr Arbeitsprogramm181 für 2011 Maßnahmen zum Schutz von Opfern auf, die schließlich in einem Legislativpaket zur Stärkung der Opferrechte in der Europäischen Union mündeten. 39 Initiativen zur Verbesserung des Schutzes von Opfern in Europa gab es bereits zuvor im

Bereich des Strafrechts. So hat sich der Rat in seinem Rahmenbeschluss 2001/220/JI182 – letztlich jedoch nicht erfolgreich183 – um eine Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren bemüht. Auch das Europäische Parlament hat sich für einen umfassenden Rechtsrahmen zum bestmöglichen Schutz von Verbrechensopfern eingesetzt.184 In seiner Entschließung185 zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen hat es einerseits die Mitgliedstaaten zur Verbesserung ihrer einzelstaatlichen Gesetze und Maßnahmen zur Bekämpfung aller Formen von Gewalt gegen Frauen und andererseits die Kommission zur Vorlage eines entsprechenden EU-Maßnahmenplans aufgefordert. Zudem sollten die Kommission und die Mitgliedstaaten mittels vorbeugender Maßnahmen Schritte gegen die Ursachen der Gewalt gegen Frau175

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Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Stärkung der Opferrechte in der EU, 18.5.2011, KOM (2011) 274. Europäische Kommission, Vorschlag für Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindeststandards für die Rechte und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie für die Opferhilfe, 18.5.2011, KOM (2011) 275. Europäischer Rat, Das Stockholmer Programm – Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger, ABl EU 2010 C 115/1. ABl EU 2010 C 115/4. ABl EU 2010 C 115/10. Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts für die Bürger Europas, Aktionsplan zur Umsetzung des Stockholmer Programms, 20.4.2010, KOM (2010) 171. Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Arbeitsprogramm der Kommission für 2011, 27.10.2010, KOM (2010) 623. Rat, Rahmenbeschluss des Rates über die Stellung des Opfers im Strafverfahren, 15.3.2001, 2001/220/JI, ABl EG 2001 L 82/1. Vgl Europäische Kommission, Bericht der Kommission gemäß Artikel 18 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 15.3.2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren (2001/220/JI), 20.4.2009, KOM (2009) 166; Zusammenfassung der Folgenabschätzung, SEK (2011) 581, S 2 f. Europäisches Parlament, Entschließung des Europäischen Parlaments zur Entwicklung eines Raums der Strafgerichtsbarkeit in der EU, 7.5.2009, P6_TA(2009)0386. Europäisches Parlament, Entschließung des Europäischen Parlaments zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, 26.11.2009, P7_TA(2009)0098.

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en ergreifen. Auf Initiative von zwölf Mitgliedstaaten186 wurde schließlich die Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung erlassen, welche die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Strafsachen zum Gegenstand hat.187 Der Kommissionsvorschlag sollte diesen Rechtsakt ergänzen, um die gegenseitige Anerkennung sämtlicher – auch im Zivilverfahren – getroffener Schutzmaßnahmen im europäischen Justizraum sicherzustellen und damit einhergehend den Schutz der Opfer in Europa zu komplettieren.188 Der Verordnungsvorschlag der Kommission sah neben der gegenseitigen Anerkennung 40 und Vollstreckung von im Rahmen von Zivilsachen angeordneten Schutzmaßnahmen – wobei nach der Begriffsbestimmung noch von Entscheidungen vorbeugender und vorübergehender Natur die Rede war (Art 2 lit a EU-SchutzMVO-E) – auch eine Regelung zur internationalen Zuständigkeit (Art 3 EU-SchutzMVO-E) vor,189 die in den Verordnungstext nicht Eingang gefunden hat. Die Verordnung sollte sich auf Schutzmaßnahmen beschränken, die nicht in den Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO fallen (Art 1 EU-SchutzMVO-E). Nach dem Vorbild anderer Rechtsinstrumente zur gegenseitigen Anerkennung in Zivilsachen wie insbes der neu gefassten Brüssel Ia-VO und der Brüssel IIa-VO,190 sollte die Anerkennung einer von einer nationalen Behörde angeordneten Schutzmaßnahme automatisch erfolgen, ohne dass es eines Zwischenverfahrens bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann (Art 4 EU-SchutzMVO-E). Voraussetzung war die Vorlage einer von den zuständigen Behörden des Ursprungsmitgliedstaats ausgestellten Bescheinigung mit sämtlichen für die Anerkennung und/oder Vollstreckung nötigen Angaben – insbes eine Beschreibung der Schutzmaßnahme191 – (Art 5 EU-SchutzMVO-E), wobei die zuständigen Behörden des Anerkennungsmitgliedstaats eine Transkription oder eine Übersetzung des Inhalts der Bescheinigung verlangen könnten (Art 15 EU-SchutzMVO-E). War die ausländische Schutzmaßnahme im Recht des Anerkennungsmitgliedstaats nicht vorgesehen – dies stellte keinen Versagungsgrund dar (Art 12 Nr 3 EU-SchutzMVO-E) –, müsste dessen zuständige Behörde den Inhalt der Schutzmaßnahme so weit wie möglich auf eine im nationalen Recht bekannte Schutzmaßnahme übertragen (Art 8 EU-SchutzMVO-E). Hinsichtlich der Vollstreckung bestimmter Schutzmaßnahmen wurde auf die nationalen Vorschriften des Anerkennungsmitgliedstaats verwiesen (Art 9 EU-SchutzMVO-E). Aufgrund des Entfalls jedweder Zwischenverfahren für die Anerkennung und gegebenenfalls Vollstreckung einer im Ursprungsmitgliedstaat angeordneten Schutzmaßnahme im zweiten Mitgliedstaat, sollte eine Bescheinigung nicht ausgestellt werden, wenn die Einhaltung des Grundrechts auf ein faires Verfahren nicht gewährleistet ist (Art 10 EUSchutzMVO-E).192 Den Grundrechten sollte auch durch spezifische Unterrichtungspflichten des Ursprungs- und Anerkennungsstaats gegenüber der gefährdenden und der zu schüt186 187 188

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13577/09 COPEN 176, 23.9.2009. Siehe dazu etwa Hinterhofer/Schallmoser Jahrbuch Europarecht 2012, 361, 368 ff; Zeder JSt 2011, 217 ff. Vgl KOM (2011) 276, S 3; ausf dazu Hess, Feasibility Study: The European Protection Order and the European Law of Civil Procedure (2011), http://bookshop.europa.eu/de/the-european-protection-orderand-the-european-law-of-civil-procedure-pbDS0213381/. Siehe dazu Garber/Neumayr Jahrbuch Europarecht 2012, 235, 250 f; Garber/Neumayr Jahrbuch Europarecht 2013, 211, 238; Garber/Neumayr Jahrbuch Europarecht 2014, 199, 203. KOM (2011) 276, S 7. KOM (2011) 276, S 7 f. KOM (2011) 276, S 8 f.

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zenden Person entsprochen werden (Art 13 EU-SchutzMVO-E).193 Ausgehend vom Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten sollte die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung auf das notwendige Mindestmaß beschränkt werden.194 Art 12 Nr 1 EUSchutzMVO-E sah als einzigen Versagungsgrund die Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung im Anerkennungsmitgliedstaat vor. Gegen die Bescheinigung sollte kein Rechtsbehelf eingelegt werden können (Art 7 Nr 2 EU-SchutzMVO-E). Im Falle einer Aussetzung oder Rücknahme der Schutzmaßnahme im Ursprungsmitgliedstaat sollte auf Antrag der gefährdenden Person auch im Anerkennungsstaat eine Aussetzung oder Rücknahme der Anerkennung oder Vollstreckung mithilfe eines standardisierten Formulars erfolgen (Art 12 Nr 2 EU-SchutzMVO-E). 41 Nach Stellungnahmen des Europäischen Datenschutzbeauftragten195 und des Ausschusses

der Regionen196 hat sich der Rat in seiner Entschließung197 vom 10.6.2011 für die Einführung eines an den übermittelten Kommissionsvorschlag angelehnten Rechtsakts zur gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen betreffend Schutzmaßnahmen ausgesprochen. Im Rahmen der Ratstagung am 26./27.4.2012198 wurden Leitlinien zu den zentralen Punkten der Verordnung festgelegt: Das Legislativverfahren betreffend soll – im Gleichklang mit der bis 11.1.2015 umzusetzenden Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung – auf eine rasche Annahme der vorgeschlagenen Verordnung hingewirkt werden, weshalb der Arbeit an der Verordnung hohe Priorität eingeräumt wurde. Inhaltlich wird ein vereinfachtes System der automatischen Anerkennung und Vollstreckung ohne Zwischenverfahren präferiert. Zudem soll die Einführung einer Bescheinigung unter Verwendung eines EU-weiten Standardformulars die Anerkennung erleichtern und das Erfordernis von Übersetzungen reduzieren.199 Im Rahmen der Ratstagung am 6./7.12.2012 hat sich der Rat schließlich auf eine allgemeine Ausrichtung zu dem Kommissionsvorschlag geeinigt.200 42 Am 22.5.2013 legte das Europäische Parlament im Rahmen einer legislativen Entschlie-

ßung201 seinen Standpunkt in erster Lesung mit Änderungen fest, die im Zuge vorausgehender informeller Gespräche zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat bereits 193 194 195

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KOM (2011) 276, S 9. KOM (2011) 276, S 9. Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zu dem Legislativpaket für die Opfer von Straftaten, einschließlich eines Vorschlags für eine Richtlinie über Mindeststandards für die Rechte und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie für die Opferhilfe und eines Vorschlags für eine Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen, 17.10.2011, ABl EU 2012 C 35/10. Stellungnahme des Ausschusses der Regionen: „Das Legislativpaket über Opferrechte“, 16.2.2012, ABl EU 2012 C 113/56. Rat, Entschließung des Rates über einen Fahrplan zur Stärkung der Rechte und des Schutzes von Opfern, insbesondere in Strafverfahren, 10.6.2011, ABl EU 2011 C 187/1. Press 172 (9179/12). Rat, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen – Orientierungsaussprache über bestimmte Punkte, 20.4.2012, 8913/12. Rat, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen – Allgemeine Ausrichtung, 3.12.2012, 17165/12. Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments über den Vorschlag für eine Verordnung des

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aufeinander abgestimmt worden waren. Am 6.6.2013 wurde der geänderte Legislativvorschlag schließlich vom Rat in erster Lesung angenommen202 und am 12.6.2013 von den Präsidenten beider Legislativorgane unterzeichnet. Die EU-SchutzMVO ist gem Art 22 am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt (29.6.2013), somit am 19.7.2013 in Kraft getreten und gilt ab 11.1.2015 unmittelbar in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Ausnahme von Dänemark. IV. Rechtsetzungskompetenz 1. Ordentliches Gesetzgebungsverfahren Die EU-SchutzMVO wurde vom Europäischen Parlament und Rat im Rahmen des ordent- 43 lichen Gesetzgebungsverfahrens203 auf der Grundlage von Art 81 Abs 2 lit a, e und f AEUV erlassen, die zum Zweck des in Titel V AEUV normierten Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Bereich der Justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen Maßnahmen zur Sicherstellung der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten, zum effektiven Zugang zum Recht sowie zur Beseitigung von Hindernissen für die reibungslose Abwicklung von Zivilverfahren vorsehen. 2. Vereinigtes Königreich, Irland und Dänemark Gemäß dem dem EUV und dem AEUV beigefügten Protokoll Nr 21204 beteiligen sich das 44 Vereinigte Königreich und Irland nicht an der Annahme von Maßnahmen im Rahmen des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Art 3 des Protokolls Nr 21 räumt den beiden Mitgliedstaaten jedoch eine opt-in-Möglichkeit ein, von der sowohl das Vereinigte Königreich als auch Irland schließlich Gebrauch gemacht hat.205 Dänemark beteiligt sich dagegen nicht an der Annahme dieser Verordnung.206

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3. Durchführungsrechtsakte Art 19 räumt der Kommission die Kompetenz für Durchführungsrechtsakte zur Erstellung 46 bzw späteren Änderung der in Art 5 und Art 14 genannten Bescheinigungsformulare ein. Zu diesem Zweck wird nach Art 20 ein Ausschuss aus Vertretern der Mitgliedstaaten unter

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Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen, 22.5.2013, P7_TA(2013)0210. Press 234 (10461/13). Näheres zum seit dem Vertrag von Lissabon als ordentliches Gesetzgebungsverfahren bezeichneten Mitentscheidungsverfahren Grabitz/Hilf/Nettesheim/Krajewski/Rösslein, Das Recht der EU Art 294 AEUV Rn 1 ff mwN (EL 45). Protokoll Nr 21 über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, ABl EU 2010 C 83/295. ErwGr 40. ErwGr 41; Näheres zur Sonderstellung von Dänemark siehe Grabitz/Hilf/Nettesheim/Hess, Das Recht der EU Art 81 AEUV Rn 59 ff (EL 42); Kropholler/von Hein, EuZPR9 EuGVO Einl Rn 42; Rauscher/ Staudinger Einl Brüssel I-VO Rn 15.

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Vorsitz der Kommission eingesetzt, der im Rahmen des Prüfverfahrens gem Art 5 Durchführungsbefugnisse-VO207 nach Art 291 AEUV die Kommission unterstützt. Diese kann nach befürwortender Stellungnahme des Ausschusses mittels solcher Durchführungsrechtsakte die EU-SchutzMVO hinsichtlich der Formblätter präzisieren.208 4. Nationale Durchführungsbestimmungen 47 Für die Durchführung der Verordnung sind grundsätzlich die Mitgliedstaaten zuständig, die

zu diesem Zweck alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen haben.209 Art 291 Abs 1 AEUV ist jedoch nicht nur als wiederholte Ausprägung der mitgliedstaatlichen Loyalitätspflicht zu sehen, sondern wird teilweise in der Literatur auch als positivrechtliche Verankerung des sog Grundsatzes der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten210 gesehen,211 den der EuGH schon früh in seiner Rspr212 anerkannt hat. Zur Herleitung dieses Allgemeinen Rechtsgrundsatzes ist jedoch weniger auf Art 291 AEUV zurückzugreifen, der lediglich der primärrechtlichen Absicherung der vertraglichen Verteilung der Durchführungskompetenzen dient, als vielmehr auf die vertikale Gewaltenteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der Union im Lichte des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung gem Art 5 Abs 2 EUV.213 Für konkret definierte Teile des Zivilverfahrensrechts besteht im Sinne von Art 4 Abs 2 lit j in Verbindung mit Art 81 AEUVeine geteilte Kompetenz zwischen der Union und den Mitgliedstaaten, bei deren Ausübung das Subsidiaritätsprinzip gem Art 5 Abs 3 EUV und das Verhältnismäßigkeitsprinzip gem Art 5 Abs 4 EUV Anwendung finden.214 Den verfahrensrechtlichen Befugnissen der Mitgliedstaaten sind jedoch durch die bis heute vom EuGH judizierte „Doppelschranke“215 von Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz216 Gren207

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Verordnung (EU) Nr 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, 16.2.2011, ABl EU 2011 L 55/13. Vgl Fabricius EuZW 2014, 453; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Das Recht der EU Art 291 AEUV Rn 48, 50 (EL 47); Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, EU-Kommentar3 Art 291 AEUV Rn 8 f; siehe die Durchführungsverordnung (EU) Nr 939/2014 der Kommission zur Ausstellung der Bescheinigung gemäß den Artikeln 5 und 14 der Verordnung (EU) Nr 606/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen, 2.9.2014, ABl (EU) 2014 L 263/10. Näheres zum dualen Vollzugskonzept Gärding in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der EU3 § 35 Rn 25. Ausf zum Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten etwa Galetta, Procedural Autonomy; Galetta EuR-Beiheft 1/2012, 37 ff; Krönke, Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten; siehe auch Rodríguez Iglesias NJW 2000, 1889, 1892. Vgl Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Das Recht der EU Art 291 AEUV Rn 4 ff (EL 47). Richtungsweisend EuGH v 16.12.1976 – Rs 33/76 Rewe-Zentralfinanz/Landwirtschaftskammer für das Saarland EuGHE 1976, 1989 = BeckRS 2004, 70834 = NJW 1977, 495; EuGH v 16.12.1976 – Rs 45/76 Comet/Produktschap voor Siergewassen EuGHE 1976, 2043; EuGH v 21.9.1983 – verb Rs 205 bis 215/82 Deutsche Milchkontor/Bundesrepublik Deutschland EuGHE 1983, 2633 = NJW 1984, 2024. IdS Galetta, Procedural Autonomy 9 ff; Galetta, EuR-Beiheft 1/2012, 37, 38 f. Vgl Krönke, Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten 69 ff. Siehe Krönke Ritsumeikan Law Review 28/2011, 307, 308. Ausf dazu etwa König, Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz; Tomasic, Effet utile; Kulms, Effektivitätsgrundsatz; Seyr, effet utile.

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zen gesetzt. Nach dem Äquivalenzgebot217 dürfen Verfahren zur Durchsetzung von Unionsrecht nicht weniger günstig gestaltet sein als jene, die nur innerstaatliches Recht betreffen. Außerdem darf das nationale Verfahrensrecht im Lichte des Effektivitätsprinzips nicht die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts verunmöglichen oder übermäßig erschweren.218 Wo genau die Reichweite und die Grenzen der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten im Einzelfall verlaufen, ist nach wie vor umstritten. Wie aus ErwGr 18 hervorgeht, bleiben das Verfahren zur Durchführung oder Vollstreckung 48 einer Schutzmaßnahme sowie potenzielle Sanktionen im Falle eines Verstoßes dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats überlassen. Gem Art 4 Abs 5 unterliegt das Verfahren zur Vollstreckung von im Ursprungsmitgliedstaat angeordneten Schutzmaßnamen somit dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats. Art 9 Abs 2 verweist hinsichtlich des Verfahrens für die Berichtigung bzw die Aufhebung einer Bescheinigung auf das Recht des Ursprungsmitgliedstaats. Gem Art 11 Abs 2 unterliegt das Verfahren für die Anpassung einer ausländischen Schutzmaßnahme dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats. Art 16 sieht eine Transkription oder Übersetzung der Bescheinigung in die Amtssprache des ersuchten Mitgliedstaats vor oder in eine andere Amtssprache der Organe der EU, die dieser Mitgliedstaat der Kommission mitgeteilt hat zu akzeptieren. Art 18 Abs 1 setzt den Mitgliedstaaten bis 11.7.2014 eine Deadline, der Kommission die zuständigen Behörden (lit a) sowie die für Übersetzungen zulässige(n) Sprache(n) (lit b) mitzuteilen. Diese Informationen werden von der Kommission unter anderem im Europäischen Justizportal219 des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen veröffentlicht (Art 18 Abs 2), was zum Zeitpunkt der Drucklegung jedoch noch nicht erfolgt ist. a) Deutschland Aufgrund der engen Verknüpfung und derselben Zielsetzung fasst der vom Bundesminis- 49 terium der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegte Referentenentwurf vom 13.5.2014, der vom Bundeskabinett am 13.8.2014 als Gesetzesentwurf der Bundesregierung220 beschlossen wurde, im EUGewSchVG221 die Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung und jene zur Durchführung der EUSchutzMVO in einem eigenständigen Gesetz zusammen, das vom Bundestag am 13.11.2014 aufgrund der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Ver217

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221

Teilweise wird auch vom „Grundsatz der Nichtdiskriminierung“ bzw vom „Diskriminierungsverbot“ gesprochen; so etwa Krönke Ritsumeikan Law Review 28/2011, 307, 308; Stix-Hackl östAnwBl 1999, 413. EuGH v 15.9.1998 – Rs C-231/96 Edis/Ministero delle Finanze Rn 34 EuGHE 1998 I 4951 = EuZW 1998, 664 = NJW 1999, 129. https://e-justice.europa.eu/home.do?action=home&plang=de. Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung, zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr 606/2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen und zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, BR-Drs 397/14 und BT-Drs 18/2955 mit einer Stellungnahme des Bundesrates vom 10.10.2014 samt Änderungsvorschlägen in Anlage 3 und der Gegenäußerung der Bundesregierung in Anlage 4. Gesetz zum Europäischen Gewaltschutzverfahren (EU-Gewaltschutzverfahrensgesetz); verkündet als Art 1 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung und zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr 606/2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen, BGBl 2014 I 1964.

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braucherschutz angenommen wurde und – mangels eines vom Bundesrat gestellten Antrags auf Einberufung des Vermittlungsausschusses (BR-Drs 556/14(B)) – gem Art 5 (BGBl 2014 I 1964, 1972) am 11.1.2015 in Kraft treten soll.222 Abschnitt 1 enthält in § 1 EUGewSchVG die allgemeine Verfahrensvorschrift, dass Verfahren nach den Abschnitten 2 und 3 als Familiensachen zu qualifizieren sind und daher – sofern das Durchführungsgesetz oder die EUSchutzMVO nichts Abweichendes bestimmt – das FamFG223 anzuwenden ist. Durch die Aufnahme eines expliziten Hinweises auf die Abschnitte 2 und 3 folgt der Bundestag dem Vorschlag des Bundesrates in dessen Stellungnahme vom 10.10.2014, um klarzustellen, dass das FamFG nicht auch auf Strafverfahren auf der Grundlage des Abschnitts 4 Anwendung findet. Der vorgeschlagenen Ersetzung des Wortes “Familiensachen” durch die Formulierung “Gewaltschutzsachen im Sinne von § 111 Nummer 6 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit” wurde im Sinne der Gegenäußerung der Bundesregierung, derzufolge die Vorschriften der §§ 210 bis 216a FamFG, auf die über § 111 Nr 6 FamFG verwiesen wird, insgesamt gerade nicht einschlägig seien, nicht entsprochen. Während Abschnitt 2 die Anerkennung und Vollstreckung nach der Richtlinie 2011/99/EU regelt, enthält Abschnitt 3 – nach neuer Nummerierung – in § 13 bis § 23 (vormals § 12 bis § 22) EUGewSchVG Durchführungsbestimmungen zur EU-SchutzMVO. Abschnitt 4 sieht in § 24 EUGewSchVG eine Strafvorschrift vor. 50 Der hier näher interessierende Abschnitt 3 gliedert sich in drei Unterabschnitte, von denen

Unterabschnitt 1 in § 13 EUGewSchVG folgende Begriffsbestimmungen vorsieht: Nr 1 stellt klar, dass Mitgliedstaat jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union mit Ausnahme Dänemarks ist, das sich – wie aus ErwGr 41 hervorgeht – nicht an der Annahme der EUSchutzMVO beteiligt; Nr 2 und 3 umschreiben die Verfahrensbeteiligten in Abweichung vom Gesetzesentwurf der Bundesregierung nicht als Gläubiger und Schuldner, sondern auf Anregung des Bundesrates der Terminologie der Verordnung folgend als geschützte und gefährdende Person im Sinne der EU-SchutzMVO. Während sich Unterabschnitt 2 (§ 14 bis § 16 EUGewSchVG) auf Ersuchen bezieht, die aus dem Inland ins EU-Ausland ausgehen, betrifft Unterabschnitt 3 (§ 17 bis § 23 EUGewSchVG) solche, die aus dem EU-Ausland in das Inland eingehen.224 51 § 14 EUGewSchVG regelt die Zuständigkeit für die Ausstellung der Bescheinigungen nach

Art 5 Abs 1 und Art 14 Abs 1 EU-SchutzMVO. Danach sind jene Gerichte zuständig, denen die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Titels obliegt.225 Mit dem neu angefügten § 25 Nr 4 RpflG wird die Ausstellung der Bescheinigungen dem Rechtspfleger übertragen. § 15 EUGewSchVG sieht vor, dass die Bescheinigung nach Art 5 Abs 1 EU-SchutzMVO ohne Anhörung der gefährdenden Person auszustellen ist. Der Hinweis auf die Zustellung der Bescheinigung nach Art 8 EU-SchutzMVO hat lediglich klarstellende Funktion. § 16 EUGewSchVG verweist hinsichtlich des Verfahrens für die Berichtigung und die 222

223 224 225

Vgl Wagner NJW 2014, 1862, 1865; laut Pietsch NZFam 2014, 726, 730 hätte sich angeboten, die Ausführung der neuen Verordnung in das IntFamRVG (Gesetz zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts [Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz – IntFamRVG], BGBl 2005 I 162 idF BGBl 2014 I 890) aufzunehmen. Fn 32. BT-Drs 18/3200, 34; BR-Drs 397/14, 34 und BT-Drs 18/2955, 32. Vgl §§ 1079, 1106 ZPO und § 71 AUG.

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Aufhebung einer gem Art 5 Abs 1 EU-SchutzMVO ausgestellten Bescheinigung sinngemäß auf § 42 Abs 2 und 3 FamFG, in denen das Verfahren zur Berichtigung familiengerichtlicher Beschlüsse wegen Schreib- und Rechenfehlern und ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten normiert ist. § 17 EUGewSchVG nimmt auf den in Art 4 Abs 1 EU-SchutzMVO vorgesehenen Entfall der 52 Vollstreckbarerklärung einer in einem Mitgliedstaat angeordneten Schutzmaßnahme in einem anderen Mitgliedstaat Bezug. Somit findet im Inland eine Zwangsvollstreckung statt, ohne dass es für die ausländische Schutzanordnung einer Vollstreckungsklausel im Sinne von § 724 ZPO bedarf.226 Im Einklang mit dem in § 184 Satz 1 GVG227 festgehaltenen Grundsatz der deutschen Gerichtssprache müssen Übersetzungen oder Transliterationen gem § 18 EUGewSchVG in deutscher Sprache abgefasst sein.228 Gem § 19 EUGewSchVG ist für die Zwangsvollstreckung das Familiengericht ausschließlich örtlich zuständig, in dessen Zuständigkeitsbezirk sich die gefährdende Person aufhält (Nr 1) oder die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll (Nr 2). Für den Bezirk des Kammergerichts ist eine an § 35 Abs 1 Satz 2 AUG229 angelehnte Sonderzuständigkeitsregelung zugunsten des Amtsgerichts Pankow/Weißensee vorgesehen.230 § 20 EUGewSchVG regelt das Verfahren für die Anpassung einer ausländischen Schutzmaßnahme durch die zuständige Behörde des ersuchten Mitgliedstaats, die etwa im Falle eines Umzugs der geschützten Person hinsichtlich der neuen Adresse im Inland zwecks Wirkungserstreckung erforderlich sein kann. Das gem § 19 EUGewSchVG zuständige Gericht hat die Anpassung gem Abs 1 von Amts wegen vorzunehmen.231 Gem Abs 2 kann das Gericht über die Anpassung ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Eine solche erscheint entbehrlich, zumal keine neue Sachentscheidung getroffen wird, sondern nur die faktischen Elemente der Schutzmaßnahme erforderlichenfalls angepasst werden, um der ausländischen Schutzmaßnahme im Inland Wirkung zu verleihen. Hinsichtlich der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung ist die Eilbedürftigkeit in Gewaltschutzsachen zu berücksichtigen. Um eine zügige Umsetzung des Anpassungsbedarfs der ausländischen Schutzanordnung zu ermöglichen, soll dem Vorschlag des Bundesrates entsprechend eine Entscheidung auch ohne Anhörung der gefährdenden Person erfolgen können. Die Entscheidung über die Anpassung einer ausländischen Schutzmaßnahme erfolgt in Beschlussform und bedarf – schon im Lichte eines zweiseitigen Rechtsbehelfs gegen den Anpassungsbeschluss in Form der Beschwerde (Abs 4) – der Begründung. In Anlehnung an § 34 Abs 3 AUG findet die Vollstreckung aus dem Anpassungsbeschluss, der untrennbar mit der Bescheinigung gem Art 5 EU-SchutzMVO zu verbinden ist und der geschützten Person und

226 227 228 229

230 231

BR-Drs 397/14, 36 und BT-Drs 18/2955, 34. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), BGBl 1975 I 1077 idF BGBl 2014 I 410. BR-Drs 397/14, 36 und BT-Drs 18/2955, 34. Gesetz zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Verkehr mit ausländischen Staaten (Auslandsunterhaltsgesetz – AUG), BGBl 2011 I 898 idF BGBl 2013 I 3533. BR-Drs 397/14, 36 und BT-Drs 18/2955, 34. BR-Drs 397/14, 37 und BT-Drs 18/2955, 35.

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B.I.5 EU-Schutzmaßnahmenverordnung

der gefährdenden Person zuzustellen ist, ohne dem Erfordernis einer Vollstreckungsklausel statt (Abs 3).232 Für die Entscheidung über einen Versagungsantrag im Sinne von Art 13 EU-SchutzMVO erklärt § 21 Abs 1 EUGewSchVG das in § 19 EUGewSchVG bestimmte Gericht für zuständig. In Anlehnung an § 36 Abs 2 AUG sieht Abs 2 vor, dass der Antrag auf Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung beim Gericht entweder schriftlich eingereicht oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden kann. Abs 3 regelt die Entscheidungsform und ermöglicht dem Gericht beschlussmäßig ohne vorhergehende mündliche Verhandlung zu entscheiden. Der geschützten Person ist aber zuvor rechtliches Gehör zu gewähren. Im Hinblick auf den Rechtsbehelf der Beschwerde nach dem FamFG (Abs 4), ist der Beschluss zu begründen.233 In Ausführung von Art 14 Abs 2 EU-SchutzMVO, demzufolge die zuständige Behörde des ersuchten Mitgliedstaats nach Vorlage einer von der Ausstellungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaats ausgestellten Bescheinigung über die dortige Aussetzung oder Aufhebung der Schutzmaßnahme die Wirkung der Anerkennung und der Vollstreckung dieser Schutzmaßnahme auszusetzen oder aufzuheben hat, verweist § 22 EUGewSchVG hinsichtlich der Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung auf § 95 Abs 1 FamFG in Verbindung mit § 775 Nr 1 und 2 sowie § 776 ZPO. § 23 EUGewSchVG erklärt das in § 19 EUGewSchVG bestimmte Gericht auch für den Vollstreckungsabwehrantrag nach § 95 Abs 1 in Verbindung mit § 767 ZPO für zuständig. b) Österreich 53 Die EO-Novelle 2014234 enthält in Art 1 Begleitregelungen zur Umsetzung der EU-

SchutzMVO, die gem § 417 Abs 7 EO mit 11.1.2015 in Kraft treten. Im Ersten Abschnitt des Ersten Teils der Exekutionsordnung werden als Vierter Titel „Ergänzende Bestimmungen zur Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen“ mit zwei Paragrafen neu eingefügt: § 86b EO regelt die Zuständigkeit und § 86c EO das Verfahren bei der Anpassung von Schutzmaßnahmen. 54 Gem § 86b Abs 1 EO ist das Bezirksgericht, bei dem die geschützte Person ihren all-

gemeinen Gerichtsstand in Streitsachen hat, für die Anordnung der Vollstreckung einer ausländischen Schutzmaßnahme nach der EU-SchutzMVO und die Entscheidung über den Exekutionsantrag aufgrund einer solchen Schutzmaßnahme (Z 1) sowie für die Anpassung nach Art 11 EU-SchutzMVO (Z 2) zuständig, subsidiär – mangels eines allgemeinen Gerichtsstands in Streitsachen im Inland – das Bezirksgericht Innere Stadt Wien (individuelle Zuständigkeit). § 86b Abs 1 EO orientiert sich damit bewusst an § 387 Abs 3 und Abs 4 EO, denenzufolge für die Anordnung und Vollziehung einer einstweiligen Verfügung nach § 382e EO (Allgemeiner Gewaltschutz) bzw § 382g EO (Anti-Stalking) das Bezirksgericht zuständig ist, in dessen Sprengel die gefährdete Partei ihren allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen hat.235 232 233 234 235

BR-Drs 397/14, 37 und BT-Drs 18/2955, 35, 44, 47. BR-Drs 397/14, 37 f und BT-Drs 18/2955, 35 f. Exekutionsordnungs-Novelle 2014, östBGBl I 69/2014; ausf dazu Mohr ÖJZ 2014, 947. ErläutRV 180 BlgNR 25. GP 5.

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Der allgemeine Gerichtsstand einer natürlichen Person richtet sich gem § 66 JN236 sowohl nach dem Wohnsitz (Abs 1) als auch nach dem gewöhnlichen Aufenthalt (Abs 2). Der Wohnsitz einer Person wird gem § 66 Abs 1 Satz 2 JN an dem Ort begründet, an welchem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, daselbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen. Zum faktischen Bezug tritt somit kumulativ noch die subjektive Komponente hinzu, den Ort – nach außen erkennbar – dauerhaft zum Lebensmittelpunkt zu machen. Letztere Voraussetzung setzt damit die freie Verfügungsfähigkeit der Person über ihren Aufenthalt voraus. Der gewöhnliche Aufenthalt einer Person bestimmt sich dagegen ausschließlich nach tatsächlichen Umständen. Als Beurteilungskriterien stellt § 66 Abs 2 JN auf die Dauer, Beständigkeit oder andere Umstände persönlicher oder beruflicher Art ab.237 Gem § 86b Abs 2 EO soll das über die Anordnung oder den Exekutionsantrag entscheidende Gericht auch für die Versagung (Z 1) und Aufhebung (Z 2) der Anerkennung oder der Vollstreckung im Sinne von Art 13 und Art 14 Abs 2 EU-SchutzMVO zuständig sein. In Ausführung von Art 11 Abs 2 EU-SchutzMVO enthält § 86c EO verfahrensrechtliche 55 Vorschriften, die bei der Anpassung von ausländischen Schutzmaßnahmen anzuwenden sind. Aus Abs 1 geht jedoch hervor, dass eine Anpassung von Schutzmaßnahmen einen Antrag der geschützten Person voraussetzt, in dem die begehrte Anpassung anzugeben ist. Im Lichte des Effektivitätsprinzips soll das Gericht mE auch von Amts wegen eine Anpassung der faktischen Elemente der Schutzmaßnahme vornehmen können.238 Gem Abs 2 hat das Gericht über diesen Antrag ohne Anhörung der gefährdenden Person zu entscheiden. Dieser wird rechtliches Gehör im Nachhinein durch die Möglichkeit eingeräumt, gegen den Beschluss auf Anpassung Widerspruch im Sinne des § 397 Abs 2 EO zu erheben.239 Hinsichtlich der Kostenersatzpflicht im Verfahren über die Anpassung der Schutzmaßnahme verweist Abs 3 auf die Bestimmungen der östZPO (§§ 40 ff). V. Ziele der Verordnung 1. Stärkung der Opferrechte Wie aus der gleichnamigen Mitteilung240 der Kommission hervorgeht, ist die EU-SchutzM- 56 VO neben der bis 16.11.2015 umzusetzenden Richtlinie 2012/29/EU241 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten Teil eines Legislativpaketes mit dem Ziel zur Stärkung der Opferrechte in der Europäischen Union. 236

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Gesetz vom 1.8.1895 über die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen (Jurisdiktionsnorm – JN), östRGBl 110/1895 idF östBGBl I 78/ 2014. Ausf dazu Fasching/Konecny/Simotta § 66 JN Rn 3 ff, Rn 21 ff mwN. Vgl Mohr iFamZ 2014, 221, 226. In ErläutRV 180 BlgNR 25. GP 6 wird diesbezüglich auf den vergleichbaren Fall einer einstweiligen Verfügung gegen Gewalt allgemein verwiesen. KOM (2011) 274. Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI, 25.10.2012, ABl EU 2012 L 315/57.

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Während die Richtlinie für ein Mindestniveau an Rechten, Schutz und Unterstützung der Opfer von Straftaten – wie etwa in Form von (verständlichen) Informationen, Opferunterstützungsdiensten, Teilnahmerechten, etc – eintritt, soll die Verordnung in Ergänzung zur bis 11.1.2015 umzusetzenden Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung242 zur Verhinderung weiterer Schäden und Gewalt beitragen243 und den nötigen Rechtsschutz innerhalb der Europäischen Union gewährleisten. Opfern von Gewalt, die in einem Mitgliedstaat Schutz erhalten haben, sollte dieser Schutz auch im Falle eines Umzugs oder einer Reise in einen anderen Mitgliedstaat dort weiterhin gewährt werden, ohne zusätzliche Verfahren anstrengen zu müssen.244 2. Freier Verkehr von Schutzmaßnahmen 57 Die in ErwGr 5 und 22 mit dem „freien Verkehr von Schutzmaßnahmen“ bzw in ErwGr 4

mit dem „Umlauf von Schutzmaßnahmen“ umschriebene Freizügigkeit von Entscheidungen zählt zu den unerlässlichen Zielen zur Verwirklichung der zivilverfahrensrechtlichen Seite eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, um den Zugang zum Recht zu erleichtern.245 Durch den bewussten Abbau von Schranken bei der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen und außergerichtlichen Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten soll das unionsrechtliche Binnenmarktkonzept weiter vorangetrieben werden, welches sich von der ursprünglich marktbezogenen Freizügigkeit kontinuierlich zu einer allgemeinen Freizügigkeit – insbes im Rahmen der durch die Unionsbürgerschaft gewährleisteten Rechte246 – weiterentwickelt hat.247 Ohne eine verfahrensrechtliche Absicherung drohen die für den Einzelnen aus den Grundfreiheiten gewonnenen materiellrechtlichen Ansprüche gleichsam ins Leere zu laufen. Dieser Hemmnis des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Herzstücks der Verträge waren sich bereits die Gründungsstaaten bewusst, weshalb die Abschaffung der die Grundfreiheiten beeinträchtigenden Formalitäten als klares Ziel schon in der Urfassung (Art 220 EWGV) formuliert war.248 Mit dem verfolgten Ziel der Freizügigkeit von Entscheidungen soll den in der Union gewährten Freizügigkeitsrechten – ganz im Zeichen des dienenden Charakters des Verfahrensrechts – überhaupt erst zum Durchbruch verholfen werden.249 Erklärtes Ziel der EU-SchutzMVO in ErwGr 3 ist daher die Aufrechterhaltung und Fortsetzung des einer natürlichen Person in einem Mitgliedstaat gewährten Schutzes in jedem Mitgliedstaat, in den diese Person reist oder umzieht. Die legitime Wahrnehmung des Rechts der Unionsbürger, sich gem Art 3 242 243

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ABl EU 2011 L 338/2. Zur geschlechtsspezifischen Dimension zum Thema Opferrechte siehe Europarat, Bestandsaufnahme der Gewalt gegen Frauen (2006); European Union Agency for Fundamental Rights (FRA), Violence against women: an EU-wide survey. Main results (2014), http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra-2014vaw-survey-main-results-apr14_en.pdf; Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA), Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung. Ergebnisse auf einen Blick (2014), http://fra.europa.eu/sites/ default/files/fra-2014-vaw-survey-at-a-glance-apr14_de.pdf; zudem Lamont CML Rev 2013, 1787 ff. KOM (2011) 274, S 10. Siehe Art 67 Abs 4 AEUV; ErwGr 1. Siehe dazu eingehend Europäische Kommission, Bericht über die Unionsbürgerschaft 2010 – Weniger Hindernisse für die Ausübung von Unionsbürgerrechten, 27.10.2010, KOM (2010) 603. Vgl Huber European Public Law 2008, 323, 327; Skouris EuGRZ 2008, 343, 344. Vgl Hess, EuZPR 87 Rn 12. Ausf dazu Binder, Kollision von Prinzipien (im Druck).

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Abs 2 EUV und gem Art 21 AEUV im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, darf nicht zum Verlust dieses Schutzes führen. 3. Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung Eng verknüpft mit der Freizügigkeit von Entscheidungen ist der Grundsatz der gegensei- 58 tigen Anerkennung, der seit dem Vertrag von Lissabon primärrechtlich in Art 67 Abs 4 und Art 81 Abs 1 AEUV als wesentliche Grundlage der grenzüberschreitenden justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen fest verankert ist und als Allgemeiner Rechtsgrundsatz mit grundfreiheitlicher Prägung qualifiziert werden kann.250 Ausgehend vom Urteil des EuGH in der Rs „Cassis de Dijon“251 wurde der Grundsatz der 59 gegenseitigen Anerkennung252 ursprünglich in der Warenverkehrsfreiheit entwickelt. Ziel dieses Konzepts ist es, die unterschiedlichen Produkt- bzw Qualifikationsstandards nicht über eine Harmonisierung zu beseitigen, sondern über den Weg der gegenseitigen Anerkennung. Grundsätzlich sind Waren aus dem Herkunftsland – vorbehaltlich nationaler Schutzmaßnahmen253 – im Empfangsstaat wie inländische Produkte zu behandeln.254 In den bereits harmonisierten Bereichen reicht die Wirkung des Anerkennungsgrundsatzes insofern noch weiter, als durch die Festlegung von einheitlichen Zulassungsvoraussetzungen für Waren oder Dienstleistungen die Zulassung im Erststaat Kontrollen im Zweitstaat ausschließt. Dieses Konzept des Herkunftslandprinzips255 findet sich im Europäischen Zivilverfahrensrecht wieder.256 Das bereits in Art 220 Spiegelstrich 4 EWGVangelegte Ziel einer erleichterten Anerkennung 60 und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen wurde bereits mit dem Brüsseler Übereinkommen entsprechend umgesetzt und hat durch die (spätere) Vergemeinschaftung infolge des Vertrags von Amsterdam eine neue Dynamik durch die Beseitigung weiterer Anerkennungshindernissen erlangt. Auslöser für diese weitreichende Entwicklung sind die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere am 15./16.10.1999257, in denen dieser den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zum „Eckstein der grenzüberschreitenden justiziellen Zusammenarbeit“ erklärt. Für die Umsetzung des Anerkennungsgrundsatzes wird der Abbau von Zwischenverfahren vorerst bei Bagatellsachen und bestimmten 250 251

252 253

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257

Vgl Binder euvr 2012, 164, 166; Binder, Kollision von Prinzipien (im Druck). EuGH v 20.2.1979 – Rs 120/78 Rewe/Brundesmonopolverwaltung für Branntwein EuGHE 1979, 649 = NJW 1979, 1766. Allg dazu Niehof, Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung. Entsprechend der „Cassis de Dijon-Formel“ dürfen Kontrollen nur zum Schutz anerkannter Rechtsgüter durchgeführt werden, Vorschriften des Zweitstaates dürfen weder diskriminierend noch unverhältnismäßig angewendet werden. Siehe Streinz, Europarecht9 Rn 959 f. Kohler in: Reichelt, Das Herkunftslandprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht 71 sieht in dem Begriff weniger eine Gleichstellung mit dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, sondern eher eine unionspolitische Orientierung, die mit unterschiedlichen Rechtstechniken verwirklicht werden kann; aA noch Jayme/Kohler IPRax 2001, 501 ff; Jayme/Kohler IPRax 2004, 481 ff. Vgl Grabitz/Hilf/Nettesheim/Hess, Das Recht der EU Art 81 AEUV Rn 32 (EL 42); Hess IPRax 2001, 301; Hess, EuZPR 91 ff Rn 19 f. http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/00200-r1.d9.htm.

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familienrechtlichen Entscheidungen mit dem Ziel einer unionsweiten automatischen Anerkennung gefordert. Als Ausgleich für die Abschaffung des Exequaturs können dabei prozessuale Mindeststandards dienen. Diese Vorgaben werden in der Folge im Entwurf eines Maßnahmenprogramms zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung258 ausgeführt, in dem bereits die endgültige Abschaffung des Exequaturs für sämtliche grenzüberschreitende Zivilverfahren angelegt ist, und die im Haager Programm259 weiter verfolgt wird. Während bereits in zahlreichen Unionsrechtsakten der weitergehende Integrationsschritt eines Abbaus von Zwischenverfahren vollzogen worden ist, gesellt sich nunmehr auch die EU-SchutzMVO hinzu, die vorrangig vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung260 getragen wird. 4. Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens 61 Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen beruht wiederum auf

dem umstrittenen Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens in die Rechtsschutzsysteme und Rechtspflegeorgane der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Ohne gegenseitiges Vertrauen wäre das ehrgeizige Konzept eines einheitlichen Justizraums in Zivilsachen auf europäischer Ebene nicht zu verwirklichen gewesen. Im Gegensatz zum Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der seit dem Vertrag von Lissabon in Art 67 Abs 4 und Art 81 Abs 1 AEUV primärrechtlich verankert ist, gestaltet sich die dogmatische Einordnung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens als wesentlich schwieriger, zumal dieser weder in den Gründungsverträgen oder in irgendeinem Sekundärrechtsakt noch im einstigen Begleitenden Gemeinschaftsrecht verbindlich festgeschrieben ist bzw war. 62 Sehr wohl nimmt bereits der Jenard-Bericht zum EuGVÜ auf das gegenseitige Vertrauen

insofern Bezug, als es eine gerichtliche Nachprüfung (révision au fond) sowohl in der Sachals auch in der Zuständigkeitsfrage ausschließt und damit dieses Vertrauen geradezu erzwingt.261 Des Weiteren wird zumindest in den Begründungserwägungen zur Brüssel I-VO (ErwGr 16 f) [ErwGr 26 Brüssel Ia-VO], EG-VollstrTitelVO (ErwGr 18), EG-MahnVO (ErwGr 27) und Mediations-RL (ErwGr 16) das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten in die Rechtspflege der jeweils anderen Mitgliedstaaten betont. Auch die EU-SchutzMVO nimmt in ErwGr 4 explizit auf das gegenseitige Vertrauen in die Rechtspflege in der Union als Rechtfertigung für den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Schutzmaßnahmen Bezug. ErwGr 21 Brüssel IIa-VO und ErwGr 22 EG-InsVO sprechen iZm dem gegenseitigen Vertrauen sogar ausdrücklich von einem „Grundsatz“, welcher dieses festschreibt. Nach stRspr des EuGH ist der verfügende Teil eines Unionsrechtsakts mit den ErwGr insofern untrennbar verbunden, als er erforderlichenfalls unter ihrer Berücksichtigung auszulegen ist.262 Damit verknüpft der EuGH die Präambel eines Rechtsaktes inhaltlich mit 258 259 260 261 262

ABl 2001 EG C 12/1. ABl 2005 EU C 53/1. Insbes ErwGr 1, 2, 14, 15 und 18. Jenard-Bericht zum EuGVÜ, ABl EG 1979 C 59/1, 46 ad Art 28. EuGH v 19.11.2009 – verb Rs C-402/07 und C-432/07 Sturgeon ea/Condor Flugdienst Rn 42 EuGHE 2009 I 10923 = LMK 2010, 295994 (mit Anm Schulz) = ZVR 2010/98, 207 (mit Anm Michitsch) unter Verweis auf EuGH v 29.4.2004 – Rs C-298/00 P Italien/Kommission Rn 97 EuGHE 2004 I 4087 = BeckRS 2004, 76116; EuGH v 15.5.1997 – Rs C-355/95 P TWD/Kommission Rn 21 EuGHE 1997 I 2549; EuGH v 27.6. 2000 – Rs C-404/97 Kommission/Portugal Rn 41 EuGHE 2000 I 4897.

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deren materiellem Teil, was auf eine Präferenz für die Maxime der teleologischen Interpretation hinausläuft und das rezente Sekundärrecht in der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen neu bewertet. Die Kommission erklärt die Rechtssicherheit und das wechselseitige Vertrauen in die Justiz- 63 systeme zu wesentlichen Voraussetzungen für die Entwicklung und die Durchführung eines grenzfreien Binnenraums.263 Um das gegenseitige Vertrauen in die Justizsysteme der Mitgliedstaaten zu stärken, hält sie allerdings zu Recht die Festsetzung von prozeduralen Mindeststandards für vonnöten, die zugleich eine Garantie für ein faires Verfahren bieten.264 Zudem trägt die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes zur gegenseitigen Vertrauensbildung bei.265 Als vertrauensbildende Maßnahmen sehen der Aktionsplan des Rates und der Europäischen Kommission (i) eine systematische, objektive und unparteiische Bewertung der Durchführung der EU-Maßnahmen im Rechtsbereich, (ii) die Forcierung der Juristenausbildung sowie des Pilotprojekts „Richteraustausch“,266 (iii) die Einrichtung eines effizienten europäischen Justizausbildungsnetzes und (iv) EU-Workshops zur Förderung der Zusammenarbeit vor.267 In Art I-42 EVV hätte sich die Europäische Union ausdrücklich zu einem „Raum der Frei- 64 heit, der Sicherheit und des Rechts“ unter anderem „durch Förderung des gegenseitigen Vertrauens zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, insbes auf der Grundlage der gegenseitigen Anerkennung der gerichtlichen und außergerichtlichen Entscheidungen“ bekannt. Im Vertrag von Lissabon findet sich zwar nur noch der Art III-257 Abs 1 EVV nachgebildete Art 67 Abs 1 AEUV, demzufolge die Europäische Union einen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ bildet, „in dem die Grundrechte und die verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten geachtet werden“;268 dennoch lässt sich mE daraus auch wechselseitig die Achtung der Justizsysteme ableiten. Zum einen ist die Rechtspflege integraler Bestandteil einer jeden Rechtsordnung und auch -tradition und zum anderen weist die Kommission dezidiert darauf hin, dass mit dem Aufbau eines europäischen Rechtsraums, der die Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten achtet, nicht die Rechts- und Gerichtssysteme der Mitgliedstaaten per se infrage gestellt werden sollen, sondern dieser Ansatz selbst auf dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität beruht.269 Dem Subsidiaritätsprinzip zufolge wird die Europäische Union in den 263

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Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament zur effizienteren Vollstreckung, ABl EG 1998 C 33/7. Entwurf eines Maßnahmenprogramms zur Umsetzung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens, ABl EG 2001 C 12/5 f iVm ABl EG 2001 C 115/4; Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament zur Bilanz des Tampere-Programms, KOM (2004) 401, S 10 f. Bericht der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und an den Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss über die Anwendung der Entscheidung des Rates über die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes, KOM (2006) 203, S 10 f. Siehe dazu Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und an den Rat über die Fortbildung von Vertretern der Juristenberufe, KOM (2006) 356. Aktionsplan des Rates und der Kommission zur Umsetzung des Haager Programms (ABl EU 2005 C 53/ 11 f), ABl EU 2005 C 198/17. Zum Vertrauen in die Rechtsordnungen siehe Odersky FS Everling II (1995) 1001. Vgl Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament zur Bilanz des TampereProgramms, KOM (2004) 401, S 10.

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Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen (Art 3 AEUV), nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentralstaatlicher noch auf föderaler, regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs bzw ihrer Effekte auf Unionsebene besser im Sinne von zielgerichteter zu erreichen sind.270 Zum Schutz der Mitgliedstaaten vor unnötigen Eingriffen in ihre Souveränität darf nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip dabei das für die Erreichung der Ziele erforderliche Maß inhaltlich wie formal nicht überschritten werden.271 Die Achtung der Justizsysteme der Mitgliedstaaten bezieht sich dabei mE nicht nur auf das soeben beschriebene vertikale Verhältnis der Europäischen Union zu den Mitgliedstaaten, sondern auch auf das horizontale Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander, deren nationale Gerichte beim Vollzug von Unionsrecht funktionell als Unionsgerichte tätig werden. Die Achtung der Justizsysteme der Mitgliedstaaten impliziert auch ein entsprechendes Vertrauen in ihre Rechtspflege, das den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts überhaupt erst ermöglicht hat. Auch wenn folglich die Unionsverträge eine explizite Festschreibung des gegenseitigen Vertrauens vermissen lassen, ist es mE in Art 67 Abs 1 AEUV zumindest implizit enthalten.272 65 Eine ausführliche Analyse der das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten berührenden

Entscheidungen des EuGH273 verdeutlicht, dass es sich dabei nicht bloß um die Umschreibung einer rechtspolitischen Ideologie274 handelt, die unter Umständen in der Auslegung Berücksichtigung finden kann, sondern vielmehr um einen die Behörden und Gerichte bindenden Rechtsgrundsatz.275 Wesentliches Charakteristikum eines Allgemeinen Rechtsgrundsatzes ist, dass man ihn – wie Lecheler276 es prägnant formuliert – „nicht außer acht lassen kann, ohne damit gleichzeitig (…) die Grundlagen des Zusammenlebens in der (Völker-)Gemeinschaft in Frage zu stellen“. Übertragen auf das Unionsrecht bedeutet dies, dass die Allgemeinen Rechtsgrundsätze demzufolge nicht aus der Unionsrechtsordnung weggedacht werden können, ohne damit das Unionsgefüge insgesamt zu stören. Sie fungieren quasi als Bindeglied, das die unionsspezifische Ordnung in ihren Grundfesten zusammenhält und das Unionsrecht zu einer in sich geschlossenen Rechtsordnung vervollkommnet. Es liegt auf der Hand, dass ohne gegenseitiges Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihre jeweiligen Rechtssysteme und Rechtspflegeorgane dem europäischen Justizraum insgesamt seine Existenzberechtigung entzogen würde.277 66 Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens in die Justizsysteme und Rechtspflegeorgane 270 271

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Art 5 Abs 1 und 3 EUV. Ausf zum Subsidiaritätsprinzip siehe etwa Schima, Subsidiaritätsprinzip. Art 5 Abs 1 und 4 EUV. Ausf zum Verhältnismäßigkeitsprinzip siehe etwa Schwab, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Ausf dazu Binder, Kollision von Prinzipien (im Druck). Grundlegend EuGH v 9.12.2003 – Rs C-116/02 Erich Gasser/MISAT Rn 72 EuGHE 2003 I 14693 = EuZW 2004, 188 = IPRax 2004, 243; EuGH v 27.4.2004 – Rs C-159/02 Gregory Paul Turner/Felix Fareed Ismail Grovit, Harada, Changepoint Rn 24 ff EuGHE 2004 I 3565 = EuZW 2004, 468 (mit Anm Schroeder) = IPRax 2004, 425 = ZEuP 2005, 428; weitere Nachweise bei Binder euvr 2012, 164, 167 Fn 28. Lecheler, Rechtsgrundsätze 41 weist mahnend darauf hin, dass es keinen Bereich gibt, in dem Recht und politisches Wunschdenken so nahe beieinander liegen wie bei den Allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Siehe dazu Binder euvr 2012, 164, 167. Vgl Lecheler, Rechtsgrundsätze 47. Binder, Kollision von Prinzipien (im Druck).

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der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist das tragende Fundament, auf dem der europäische Justizraum aufbaut. Ohne dieses gegenseitige Vertrauen hätten die einzelnen Mitgliedstaaten niemals auf ihre nationalen Rechtsvorschriften zugunsten eines im europäischen Justizraum einheitlich geltenden Zuständigkeits-, Anerkennungs- und Vollstreckungssystems verzichtet. Zudem wäre die später erfolgte Einräumung einer Gemeinschaftskompetenz (Unionskompetenz) für den schrittweisen Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu keiner Zeit realisierbar gewesen. Aus der Inanspruchnahme dieses Kompetenzzuwachses sind zahlreiche weitere Sekundärrechtsakte im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen hervorgegangen, die zum Teil über das ursprüngliche Konzept der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung weit hinausgehen. Rechtliche Konsequenz des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens ist zum einen, dass 67 die Gerichte des Ursprungsmitgliedstaats über ihre Zuständigkeit nach der im europäischen Justizraum homogen anwendbaren Zuständigkeitsordnung selbst entscheiden können. Zum anderen folgt aus dem gegenseitigen Vertrauen, dass die Gerichte im Anerkennungsund Vollstreckungsmitgliedstaat – von geringfügigen Ausnahmen abgesehen – an die Entscheidung des Gerichts im Ursprungsmitgliedstaat gebunden sind. Das europäische Justizsystem geht davon aus, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten die jeweiligen Sekundärrechtsakte mit der gleichen Sachkenntnis gleichförmig anwenden und auslegen, was die Rechtspraxis vor eine harte Probe stellt. Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens verlangt freilich kein „blindes Vertrauen“, sondern fordert – wie Generalanwältin Sharpston in ihrer Stellungnahme in der Rs Rinau hervorhebt – von den Gerichten lediglich, „die Integrität, Objektivität und Unabhängigkeit“ der jeweils anderen anzuerkennen und zu respektieren, und zwar in der gleichen Weise wie dies bei den eigenen Gerichten der Fall ist.278 Die durch den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens im europäischen Justizraum weitgehend ermöglichte Freizügigkeit von Entscheidungen sollte jedoch dort ihre Grenzen finden, wo wesentliche Verfahrensgarantien, die ein faires Verfahren erfordert, verletzt worden sind. Inwieweit eine Einschränkung der in Art 6 EMRK sowie in Art 47 EuGrRCh statuierten verfahrensrechtlichen Grundrechte gerechtfertigt sein kann, bedarf freilich einer sorgfältigen Prüfung im Einzelfall.279 Damit der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens in den einzelnen Mitgliedstaaten nicht 68 bloß nolens volens hingenommen wird,280 ist unter anderem ein funktionierendes grenzüberschreitendes Netzwerk zwischen den Behörden und Gerichten der einzelnen Mitgliedstaaten erforderlich. Den Grundstein für die Förderung des gegenseitigen Vertrauens hat der Rat jedenfalls mit seiner Entscheidung über die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen gelegt.281 Unverändert verfolgt die Kommission in ihrer Vision der Zukunft der EU-Justizpolitik die Stärkung des gegenseitigen Vertrauens,282 278

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Stellungnahme Generalanwältin Sharpston v 1.7.2008 – Rs C-195/08 PPU Rinau Rn 96 ECLI:EU: C:2008:377: „Das ist letzten Endes nicht zu viel verlangt.“ Ausf dazu Binder, Kollision von Prinzipien (im Druck). Krit etwa Althammer/Löhing ZZPInt 2004, 23 ff. ABl EG 2001 L 174/25. Europäische Kommission, Pressemitteilung 11.3.2014: Auf dem Weg zu einem wahrhaft europäischen Rechtsraum: Stärkung von Vertrauen, Mobilität und Wachstum, http://europa.eu/rapid/press-release_ IP-14-233_de.htm.

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die der Europäische Rat im sog Stockholmer Programm283 zu einer der wichtigsten Aufgaben in der Zukunft zählt. In seinen Schlussfolgerungen der Tagung vom 26./27.6.2014 bekräftigt der Europäische Rat, dass im Zusammenhang mit dem reibungslosen Funktionieren eines europäischen Rechtsraums unter Achtung der verschiedenen Rechtsordnungen und –traditionen der Mitgliedstaaten die Festigung des gegenseitigen Vertrauens unverzichtbar ist.284 5. Abschaffung des Exequatur 69 Anknüpfend an die Verordnungen der „neuen Generation“285 im Europäischen Zivilver-

fahrensrecht kommt es auch im Anwendungsbereich der EU-SchutzMVO zur Abschaffung des Exequatur. Ausländische Schutzanordnungen sind demnach ohne vorheriges Anerkennungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahren direkt in allen Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark vollstreckbar. Durch die Abschaffung jeglicher Art von Zwischenverfahren im Vollstreckungsmitgliedstaat wird eine erhebliche Kosten- und Zeitersparnis bezweckt.286 Konsequenz dieses Systemwechsels ist die Einschränkung der Kontrollbefugnis im zweiten Mitgliedstaat, welche – auf Antrag der gefährdenden Person – in Art 13 Abs 1 auf die Wahrnehmung des ordre public287 (lit a) und die Unvereinbarkeit mit einer früheren Entscheidung (lit b) beschränkt ist. Eine révision au fond ist ausgeschlossen (Art 12). VI. Auslegung 1. Auslegungskompetenz 70 Gem Art 19 Abs 1 Satz 2 EUV sichert der EuGH die Wahrung des Rechts bei der Auslegung

und Anwendung der Verträge. Über die Auslegung des Unionsrechts oder die Gültigkeit der Handlungen der Organe entscheidet er nach Art 19 Abs 3 lit b EUV im Wege der Vorabentscheidung. Mangels eines Unterbaus europäischer Gerichtsbarkeit setzt Art 267 AEUVauf eine direkte und enge Zusammenarbeit zwischen dem EuGH und den nationalen Gerichten.288 Während dem EuGH das Monopol über die Auslegung des gesamten Unionsrechts289 und über die Verwerfung von Sekundärrecht zukommt, bleibt die Vollziehung Aufgabe der innerstaatlichen Gerichte, die dabei als Unionsgerichte im funktionellen Sinn agieren.290 Durch diesen „Dialog der Richter“ ist das Vorabentscheidungsverfahren mit den 283

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Europäischer Rat, Das Stockholmer Programm – Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger, ABl EU 2010 C 115/1. http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/ec/143498.pdf. Frauenberger-Pfeiler JAP 2008/2009, 103, 170; Rechberger FS Leipold (2009) 301. Vgl ErwGr 4; KOM (2011) 276, S 5 f. Im Kommissionsvorschlag war in Art 12 EU-SchutzMVO-E der Versagungsgrund des offensichtlichen Widerspruchs mit der öffentlichen Ordnung des ersuchten Mitgliedstaats nicht vorgesehen. EuGH v 8.3.2011 – Gutachten 1/09 Patentgericht Rn 84 EuGHE 2011 I 1137 = GRUR Int 2011, 309; Streinz/Ehricke, EUV/AEUV2 Art 267 AEUV Rn 7; Wienhues in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss2 Rn 1. Näheres dazu Calliess/Ruffert/Wegener, EUV/AEUV4 Art 267 AEUV Rn 8 ff. Näheres zur Aufgabenteilung zwischen EuGH und nationalen Gerichten Dauses, Vorabentscheidungsverfahren2 47 f; Everling, Vorabentscheidungsverfahren 21 f; Pocar in: Reichelt, Vorabentscheidungsverfahren 23 ff.

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nationalen Verfahren in einem Rechtsschutzsystem verklammert.291 Hegt ein Gericht292 eines Mitgliedstaats im Rahmen eines konkreten Rechtsstreits Zweifel an der richtigen Auslegung der Verträge (lit a) oder über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union (lit b), ist es gem Art 267 AEUV als unterinstanzliches Gericht berechtigt293 und als funktionell letztinstanzliches Gericht294 verpflichtet295, dem EuGH die entscheidungserhebliche Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen.296 Da der EuGH für sich ein Verwerfungsmonopol in Anspruch nimmt, hat er in Gültigkeitsfragen die Vorlagepflicht297 auch auf unterinstanzliche Gerichte 291

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Vgl Geiger/Khan/Kotzur/Kotzur, EUV/AEUV5 Art 267 AEUV Rn 1; Dauses FS Everling I (1995) 223, 237 ff, der sich unter Berufung auf Everling (Vorabentscheidungsverfahren 74 f) für ein „möglichst formloses Rechtsgespräch inter iudices“ ausspricht. Nach den vom EuGH entwickelten Kriterien muss das mitgliedstaatliche Gericht auf gesetzlicher Grundlage eingerichtet sein, seine Gerichtsbarkeit einen ständigen und obligatorischen Charakter haben und einen Rechtsstreit auf der Grundlage eines rechtsstaatlich geordneten Verfahrens in richterlicher Unabhängigkeit potentiell rechtskräftig entscheiden; grundlegend EuGH v 30.6.1966 – Rs 61/65 VaassenGöbbels/Beambtenfonds voor het Mijnbedrijf EuGHE 1966, 377 = BeckRS 2004, 73421; EuGH v 11.6. 1987 – Rs 14/86 Pretore di Saló/X Rn 7 EuGHE 1987, 2545 = RIW 1988, 657; Näheres dazu Frenz, Handbuch Europarecht V Rn 3278 ff mwN; Pechstein, EU-Prozessrecht4 Rn 796 ff. Ausf zur Vorlageberechtigung Lenz/Borchardt/Borchardt, EU-Verträge5 Art 267 AEUV Rn 22 ff; Streinz/ Ehricke, EUV/AEUV2 Art 267 AEUV Rn 28 ff; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Karpenstein, Das Recht der EU Art 267 AEUV Rn 15 ff (EL 50); Geiger/Khan/Kotzur/Kotzur, EUV/AEUV5 Art 267 AEUV Rn 12 ff; Mayer/Stöger/Schima, EUV/AEUV Art 267 AEUV Rn 84 ff; Schwarze/Becker/Hatje/Schwarze, EUKommentar3 Art 267 AEUV Rn 26 ff; Calliess/Ruffert/Wegener, EUV/AEUV4 Art 267 AEUV Rn 18 ff. Ob unter dem unbestimmten Begriff des letztinstanzlichen Gerichts das in der nationalen Gerichtsorganisation jeweils oberste Gericht (abstrakte Theorie) oder das Gericht, das im Einzelfall in letzter Instanz entscheidet (konkrete Theorie), zu verstehen ist, war lange Zeit umstritten (Näheres zum Theorienstreit Dauses, Vorabentscheidungsverfahren2 109 f; Thiele, Europäisches Prozessrecht Rn 60 ff). Um zu verhindern, dass sich in einem Mitgliedstaat eine nationale Rspr herausbildet, die nicht mit den Vorschriften des Unionsrechts im Einklang steht, stellt der EuGH (v 4.6.2002 – Rs C-99/00 Lyckeskog Rn 14 f EuGHE 2002 I 4839 = EuZW 2002, 476; EuGH v 15.9.2005 – Rs C-495/03 Intermodal Transports/ Staatssecretaris van Financiën Rn 29 f EuGHE 2005 I 8151 = BeckRS 2005, 70697) im Einklang mit dem Wortlaut des Art 267 Abs 3 AEUV auf das in einem Verfahren jeweils konkret letztinstanzliche Gericht ab. Dementsprechend ist nicht nur ein Höchstgericht vorlagepflichtig, sondern jedes Gericht, dessen Entscheidung im konkreten Verfahren nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann. Vgl Lenz/Borchardt/Borchardt, EU-Verträge5 Art 267 AEUV Rn 40 f; Schweitzer/ Hummer/Obwexer, Europarecht Rn 851. Ausf zur Vorlagepflicht Lenz/Borchardt/Borchardt, EU-Verträge5 Art 267 AEUV Rn 39 ff; Streinz/Ehricke, EUV/AEUV2 Art 267 AEUV Rn 41 ff; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Karpenstein, Das Recht der EU Art 267 AEUV Rn 51 ff (EL 50); Geiger/Khan/Kotzur/Kotzur, EUV/AEUV5 Art 267 AEUV Rn 17 ff; Mayer/Stöger/Schima, EUV/AEUV Art 267 AEUV Rn 92 ff; Schwarze/Becker/Hatje/Schwarze, EUKommentar3 Art 267 AEUV Rn 43 ff; Calliess/Ruffert/Wegener, EUV/AEUV4 Art 267 AEUV Rn 26 ff. Eine Hilfestellung bieten dabei insbes die vom EuGH veröffentlichten Hinweise zur Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen durch die nationalen Gerichte, ABl EU 2011 C 160/1. Ausf zur Verletzung der Vorlagepflicht siehe etwa Lipp in: Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit und Europäisches Justizsystem 103 ff; Binder in: Leidenmühler/Eder/Leingartner/Winkler, Grundfreiheiten – Grundrechte – Europäisches Haftungsrecht 233 ff; Haas in: Clavora/Garber, Das Vorabentscheidungsverfahren in der Zivilgerichtsbarkeit 149 ff.

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ausgedehnt.298 Bis zur Klärung der gestellten Frage durch den EuGH im Rahmen eines im Ausgangsverfahren integrierten Zwischenverfahrens (incident de procédure) wird das nationale Verfahren unterbrochen.299 Die endgültige Entscheidung fällt schließlich das vorlegende Gericht selbst, freilich unter bindendender Zugrundelegung der Entscheidung des EuGH.300 Durch den mit Art 19 Abs 3 lit b EUV und Art 267 AEUV geschaffenen wichtigen Mechanismus des Vorabentscheidungsverfahrens sollen die ordnungsgemäße Anwendung und die einheitliche Auslegung des Unionsrechts sichergestellt werden.301 Unabhängig der vom nationalen Gericht selbst zu beurteilenden Entscheidungserheblichkeit302 einer Frage, kann die Vorlagepflicht nur entfallen, wenn die aufgeworfene Frage bereits in einem gleichgelagerten Fall entschieden worden ist, eine gesicherte Rspr vorliegt oder wenn die richtige Auslegung derartig offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt (acte clair-Doktrin303).304 71 Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon mit 1.12.2009 sind unterinstanzliche Ge-

richte auch im Bereich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts berechtigt, an den EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen zu richten,305 da die bisher bestehende Beschränkung der allgemeinen Zuständigkeit zum Vorabentscheidungsersuchen in Art 68 EGV auf bloß zur Vorlage verpflichtete letztinstanzliche Gerichte entfallen ist.306 Die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens steht im Rahmen der Vorgaben des Art 267 AEUV nunmehr allen einzelstaatlichen Gerichten offen.307 Nach stRspr des EuGH kommt den nationalen Gerichten ein unbeschränktes Vorlagerecht in jedem Verfahrensstadium zu.308 Unter Berufung auf den Effektivitätsgrundsatz und den Anwendungsvorrang hat 298

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Grundlegend EuGH v 22.10.1987 – Rs 314/85 Foto-Frost/Hauptzollamt Lübeck-Ost Rn 15 ff EuGHE 1987, 4199 = NJW 1988, 1451; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren2 117 ff; Thomy, Individualrechtsschutz 80 f. Fasching/Konecny/Kohlegger, Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen II/22 Anh § 190 ZPO Rn 28; Thomy, Individualrechtsschutz 51. Vgl Dauses FS Everling I (1995) 224; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren2 148 f. Vgl EuGH v 6.10.1982 – Rs 283/81 CILFIT/Ministero della Sanitá Rn 7 EuGHE 1982, 3415 = NJW 1983, 1257; Hinweise zur Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen durch die nationalen Gerichte, ABl 2011 C 160/1. Grundlegend zur Vermutung der Entscheidungserheblichkeit EuGH v 5.2.1963 – Rs 26/62 Van Gend en Loos/Administratie der Belastingen EuGHE 1963, 3 = NJW 1963, 074 (mit Anm Ehle) = NJW 1963, 1751 (mit Anm Ophüls, Wengler); vgl EuGH v 5.10.1977 – Rs 5/77 Tedeschi/Denkavit Rn 17/19 EuGHE 1977, 1555 = BeckRS 2004, 73215; Dauses FS Everling I (1995) 226; Schweitzer/Hummer/Obwexer, Europarecht Rn 857. Siehe dazu etwa Broberg/Fenger EuR 2010, 835 ff mwN; Kepplinger in: Clavora/Garber, Das Vorabentscheidungsverfahren in der Zivilgerichtsbarkeit 33 ff mwN. Grundlegend EuGH v 6.10.1982 – Rs 283/81 CILFIT/Ministero della Sanitá Rn 10, 13 f, 16, 21 EuGHE 1982, 3415 = NJW 1983, 1257; ausf zu den Ausnahmen von der Vorlagepflicht Herrmann EuZW 2006, 232 ff; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Karpenstein, Das Recht der EU Art 267 AEUV Rn 54 ff (EL 50). Ausf zu den Neuerungen Bergmann ZAR 2011, 41 ff. Zu den Gründen für die einstige Sonderregelung siehe Pabst, Entscheidungszuständigkeit Rn 123 ff. Zu den Änderungen durch den Vertrag von Lissabon siehe Streinz/Ohler/Herrmann, Vertrag von Lissabon3 71 f. Grundlegend EuGH v 16.1.1974 – Rs 166/73 Rheinmühlen-Düsseldorf/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel Rn 3 f EuGHE 1974, 33 = NJW 1974, 440.

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der EuGH in Ablehnung der von Generalanwalt Cruz Villalón gestellten Schlussanträge in der Rs Elchinov309 erneut bestätigt, dass das unterinstanzliche Gericht unabhängig einer im nationalen Verfahrensrecht normierten Bindung an die Rechtsansicht der zurückverweisenden Oberinstanz nicht seines unionsrechtlichen Vorlagerechts beraubt werden kann.310 Die Unionsrechtsordnung hat ihre heutige Bedeutung größtenteils der im Vorabentschei- 72 dungsverfahren verkörperten „Idee des institutionalisierten Dialoges“311 zu verdanken.312 Wie Dauses313 treffend formuliert, „steht und fällt die Gemeinschaftsrechtsordnung (Unionsrechtsordnung) mit ihrer einheitlichen Auslegung und Anwendung durch den EuGH, mit der Präzisierung und Konkretisierung ihrer Begriffe, der Lückenfüllung und der kontinuierlichen Anpassung an die sich wandelnden soziologischen und ökonomischen Gegebenheiten“. Erst durch dieses spezifische Kooperationsverhältnis mit den mitgliedstaatlichen Gerichten, von denen wesentliche Impulse für die Ausformung des Unionsrechts ausgegangen sind,314 war es dem EuGH überhaupt erst möglich, das Unionsrecht in seiner Rspr kontinuierlich zu einem geschlossenen Rechtssystem fortzuentwickeln.315 Freilich darf die rechtsschöpferische Tätigkeit des EuGH nicht dazu führen, die Unionskompetenz beliebig zu erweitern. Der EuGH bewegt sich hier vielfach auf einer Gratwanderung zwischen zulässiger prätorischer Rechtsfortbildung und unzulässiger Rechtsetzung.316 2. Auslegungsmethoden Bei der Auslegung des Unionsrechts bedient sich der EuGH weitgehend der aus dem na- 73 tionalen und internationalen Recht bereits vertrauten Auslegungsmethoden. Es sind jedoch einige unionsrechtliche Spezifika zu beachten, deren systematische Einordnung in das klassische Auslegungsregime nicht ganz eindeutig vorzunehmen ist.317 Bei der grammatikalischen Interpretation sticht im Besonderen die Mehrsprachigkeit des 74 Unionsrechts hervor.318 Gem Art 55 Abs 1 EUV sind die Verträge in allen Amtssprachen der Europäischen Union319 authentisch, dh die Vertragstexte sind in jeder dieser Sprachfassun309

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Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón v 10.6.2010 – Rs C-173/09 Elchinov/Natsionalna zdravnoosiguritelna kasa Rn 20 ff ECLI:EU:C:2010:336. EuGH v 5.10.2010 – Rs C-173/09 Elchinov/Natsionalna zdravnoosiguritelna kasa Rn 25 ff EuGHE 201 I 8889 = EuZW 2010, 907 (mit zust Anm Frischhut); zust Schima Jahrbuch Europarecht 2011, 37, 49 f; EuGH v 20.10.2011 – Rs C-396/09 Interedil/Fallimento Interedil ua Rn 35 ff EuGHE 2011 I 9915 = LMK 2012, 327375 (mit Anm Piekenbrock); krit Binder in: Clavora/Garber, Das Vorabentscheidungsverfahren in der Zivilgerichtsbarkeit 53, 60 f; Geroldinger ZIK 2011, 208, 212. Dauses, Vorabentscheidungsverfahren2 3. Reichelt in: Reichelt, Vorabentscheidungsverfahren 8; Schima, Vorabentscheidungsverfahren2 1 f. Dauses, Vorabentscheidungsverfahren2 2. Dauses, Vorabentscheidungsverfahren2 3. Everling, Vorabentscheidungsverfahren 17 f. Dauses, Vorabentscheidungsverfahren2 2. Allg dazu Lenz/Borchardt/Borchardt, EU-Verträge5 Art 19 EUV Rn 14 f; von der Groeben/Schwarze/ Gaitanides, EUV/EGV IV6 Art 220 EGV Rn 52; Sitta in: Hummer, Europarecht im Wandel 341. Ausf dazu Lenz/Borchardt/Borchardt, EU-Verträge5 Art 19 EUV Rn 16 ff. Gem Art 1 Sprachen-VO (Fn 320) umfasst die EU 24 Amtssprachen: Bulgarisch, Dänisch, Deutsch, Englisch, Estnisch, Finnisch, Französisch, Griechisch, Irisch, Italienisch, Kroatisch, Lettisch, Litauisch,

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gen gleichermaßen verbindlich. Dies gilt nicht nur für das Primärrecht, sondern auch für das Sekundärrecht; gem Art 4 Sprachen-VO320 werden „Verordnungen und andere Schriftstücke von allgemeiner Geltung“ in den Amtssprachen der Europäischen Union abgefasst. Diese sprachliche Gleichbehandlung bringt für die Rechtsanwendung im Bereich des Europäischen Zivilverfahrensrechts notgedrungen gewisse Ungereimtheiten mit sich. Der Umstand, dass Begriffe je nach Sprachfassung und dahinterstehendem Rechtskulturkreis eine unterschiedliche Bedeutung haben können, ist für eine gleichförmige Anwendung des Unionsrechts in den einzelnen Mitgliedstaaten nicht dienlich. Ein Rückgriff auf den jeweils kleinsten gemeinsamen Nenner oder auf diejenige(n) Sprachfassung(en) mit klarem Wortlaut321 ist mit dem Prinzip der Gleichwertigkeit aller Amtssprachen nicht vereinbar.322 75 Im Interesse der Rechtssicherheit legt der EuGH die in den einzelnen Rechtsakten verwen-

deten Begriffe daher fast ausschließlich unionsautonom aus, es sei denn, die Bestimmung verweist ausdrücklich oder schlüssig auf das nationale Recht.323 Der wesentliche Zweck der unionsautonomen Auslegung besteht darin, den verwendeten Begriffen, die nach dem innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten eine unterschiedliche Bedeutung haben können,324 einen einheitlichen materiellen, an die Unionsrechtsordnung anknüpfenden Gehalt zu geben, um eine harmonische Anwendung des Unionsrechts zu gewährleisten.325 Ein Blick auf die der unionsautonomen Auslegung zugrunde liegende Intention genügt für die Feststellung, dass sich deren exakte Einordnung unter eine der klassischen Interpretationskategorien nur schwerlich erzielen lässt, zumal mehrere Auslegungsschritte quasi im Rahmen eines interdisziplinären Zusammenspiels aufeinander einwirken: Neben einem Sprach- und Rechtsvergleich kommt es zu einem verstärkten Einfluss der systematisch-teleologischen Interpretation. Dabei spielen zum einen die „Systematik“ und die „Zielsetzung“ des Rechtsakts und zum anderen „die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus der Gesamtheit der innerstaatlichen Rechtsordnungen ergeben“, eine Rolle.326

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Maltesisch, Niederländisch, Polnisch, Portugiesisch, Rumänisch, Schwedisch, Slowakisch, Slowenisch, Spanisch, Tschechisch und Ungarisch. Verordnung 1/1958/EWG des Rates zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, ABl EWG 1958 L 17/385 idF ABl EU 2013 L 158/1. So offenbar Czernich/Tiefenthaler in: Czernich/Tiefenthaler/Kodek, EuGVR3 Einl Rn 30. Vgl Kropholler/von Hein, EuZPR9 Einl EuGVO Rn 71. StRspr EuGH v 21.6.1978 – Rs 150/77 Bertrand/Ott Rn 12/16 EuGHE 1978, 1431 = BeckRS 2004, 71743; EuGH v 22.3.1983 – Rs 34/82 Peters/Zuid Nederlandse Aannemers vereniging Rn 9 f EuGHE 1983, 987 = IPRax 1984, 65; EuGH v 8.3.1988 – Rs 9/87 Arcado/Haviland Rn 10 f EuGHE 1988, 1539 = RIW 1988, 987 (mit Anm Mezger); EuGH v 19.1.1993 – Rs C-89/91 Shearson Lehman Hutton/TVB Rn 13 EuGHE 1993 I 139 = IPRax 1995, 92 = ZIP 1993, 826; EuGH v 3.7.1997 – Rs C-269/95 Benincasa/Dentalkit Rn 12 EuGHE 1997 I 3767 = JZ 1998, 896 (mit Anm Mankowski); EuGH v 27.4.1999 – Rs C-99/96 Mietz/Intership Yachting Sneek Rn 26 EuGHE 1999, 2277 = IPRax 2000, 411; EuGH v 11.7.2002 – Rs C-96/00 Gabriel Rn 37 EuGHE 2002 I 6367 = ecolex 2006/226 (mit Anm Klauser) = ZEuP 2004, 762 (mit Anm Staudinger); EuGH v 20.1.2005 – Rs C-464/01 Gruber/Bay Wa Rn 31 EuGHE 2005 I 439 = EuZW 2005, 241 (mit Anm Reich) = IPRax 2005, 537 uva. EuGH v 19.1.1993 – Rs C-89/91 Shearson Lehman Hutton/TVB Rn 13 EuGHE 1993 I 139 = IPRax 1995, 92 = ZIP 1993, 826. EuGH v 21.6.1978 – Rs 150/77 Bertrand/Ott Rn 12/16 EuGHE 1978, 1431 = BeckRS 2004, 71743. EuGH v 14.10.1976 – Rs 29/76 LTU/Eurocontrol Rn 3 EuGHE 1976, 1541 = NJW 1977, 489; EuGH v 14.7. 1977 – verb Rs 9/77 und 10/77 Bavaria Fluggesellschaft ua/Eurocontrol Rn 1 EuGHE 1977, 1517 = NJW

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Dem EuGH wird unter anderem vorgeworfen, den zweiten Aspekt – die rechtsvergleichende Auslegung – zu vernachlässigen. Dem Postulat der Rechtsvergleichung kommt unter anderem die Herkunft der Richter des EuGH zugute.327 Um der Vielfalt der in der Europäischen Union vertretenen Rechtstraditionen Rechnung zu tragen, wird bei der Besetzung der einzelnen Spruchkörper nach Möglichkeit vermieden, Richter aus demselben Rechtskulturkreis zusammenzuführen.328 Darüber hinaus können sowohl Richter als auch Generalanwälte im Rahmen der unionsautonomen Auslegung eines Begriffes beim Referat „Wissenschaftlicher Dienst und Dokumentation“ eine rechtsvergleichende Studie (note de recherce) einholen;329 der EuGH ist bei seiner Auslegung jedoch weder an eine übereinstimmende noch an eine überwiegende Lösung in den einzelnen Mitgliedstaaten gebunden. Der vorgenommene Rechtsvergleich dient lediglich als Inspirationsansatz für eine spezifisch unionsrechtlich sinnvolle Auflösung der Amphibolie.330 Die Kritik in der Literatur ist einerseits berechtigt, indem für die Öffentlichkeit die Tatsache, dass solch ein rechtsvergleichendes Gutachten beim Forschungs- und Dokumentationsdienst eingeholt worden ist, weder publik gemacht wird noch zumindest aus der Entscheidungsbegründung hervorgeht, geschweige denn, dass der konkrete Inhalt des in Auftrag gegebenen Rechtsvergleichs für die Allgemeinheit zugänglich ist.331 Insofern wäre aus rechtsstaatlichen Gründen mehr Transparenz sowohl in der Entscheidungsfindung als auch in der Entscheidungsbegründung geboten. Andererseits verkörpert die rechtsvergleichende Interpretation im Rahmen der unionsautonomen Auslegung keinen selbständigen Auslegungsschritt des EuGH, sondern ist ein eigens zu berücksichtigender Teilaspekt, der erst der Hürde des ersten (Haupt-)Aspekts – Systematik und Zielsetzung des Rechtsakts – Stand halten muss. Dabei ist zu beobachten, dass der EuGH vornehmlich jener Auslegungsvariante den Vorzug gibt, die der Verwirklichung der Vertragsziele am nächsten kommt.332 Dass dabei nationale Attribute der einzelnen Mitgliedstaaten vielfach zu kurz kommen, liegt auf der Hand. Doch das Zurücktreten der jeweils nationalen Rechtsordnungen ist notwendiges Opfer für die Begründung und effektive Wirkung einer neuen, autonomen Rechtsordnung und unumgänglicher Teil der Unterwerfung unter sie.

327

328 329

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332

1978, 483 (mit Anm Geimer); EuGH v 22.11.1978 – Rs 33/78 Somafer/Saar-Ferngas Rn 3 EuGHE 1978, 2183 = BeckRs 2004, 70835. Gem Art 19 Abs 1 EUV besteht der EuGH aus einem Richter je Mitgliedstaat. Angesichts der Tatsache, dass die Europäische Union mittlerweile 28 Mitgliedstaaten umfasst, stößt die Rechtsvergleichung (zumindest) im Rahmen der Spruchkörperbesetzung an ihre natürlichen Grenzen. Vgl Lenz/Borchardt/Borchardt, EU-Verträge5 Art 19 EUV Rn 47, 49 ff. Diese Möglichkeit nimmt der EuGH regelmäßig in Anspruch; vgl Kropholler/von Hein, EuZPR9 Einl EuGVO Rn 79 mwN. Vgl Lenz/Borchardt/Borchardt, EU-Verträge5 Art 19 EUV Rn 48. Am ehesten finden sich rechtsvergleichende Hinweise noch in den Schlussanträgen der Generalanwälte; vgl etwa Schlussanträge des Generalanwalts Darmon v 2.12.1992 – Rs C-172/91 Sonntag/Waidmann Rn 26 ff ECLI:EU:C:1992:487. Siehe insbes den dezidierten Wortlaut in EuGH v 20.1.2005 – Rs C-464/01 Gruber/Bay Wa Rn 31: „(…) wobei in erster Linie die Systematik und die Zielsetzung des Übereinkommens zu berücksichtigen sind, um dessen einheitliche Anwendung in allen Vertragsstaaten zu garantieren (…)“; vgl allg von der Groeben/Schwarze/Gaitanides, EUV/EGV IV6 Art 220 EGV Rn 52.

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B.I.5 EU-Schutzmaßnahmenverordnung

76 Hinsichtlich der systematischen Interpretation ist etwa aufgrund der Einbettung in den

AEUV zu bedenken, dass über den Bedeutungszusammenhang einer Norm in dem konkreten Rechtsakt hinaus das gesamte Unionsrecht – insbes die Vertragsziele – unterstützend herangezogen werden kann.333 77 Eine Hilfestellung für die Reproduktion des vom europäischen Gesetzgeber ursprünglich

intendierten Regelungsgehalts der einzelnen Normen liefern jeweils die Vorschläge der Europäischen Kommission für einen neuen Rechtsakt im Rahmen der Ausübung des Initiativrechts im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren der Europäischen Union, die Stellungnahmen des Europäischen Datenschutzbeauftragten, des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen und die Dokumente der Legislativorgane (historische Interpretation). 78 Im Zentrum der Auslegung steht eindeutig die teleologische Interpretation, bei welcher die

in der Präambel genannten Ziele des Rechtsakts und der Zweck der auszulegenden Vorschriften maßgeblich sind. Durch die Einbettung in den AEUV sind auch dessen Vertragsziele bei der Auslegung mit zu berücksichtigen; schließlich stellen die Rechtsakte ein Produkt zur Verwirklichung der Marktziele dar und sind daher auch im Lichte dieser auszulegen. Im Rahmen der teleologischen Interpretation können auch aktuelle Entwicklungen im Zusammenhang mit der fortschreitenden Integration Europas in den Auslegungsprozess hineinspielen (dynamische Auslegung). Im Zweifel ist demzufolge eine die Integration begünstigende anstelle einer die nationalen Unterschiede aufrechterhaltende Lösung zu wählen. Eine besondere Ausprägung der teleologischen Auslegung findet sich ferner in der Beachtung des effet utile einer unionsrechtlichen Vorschrift. Nach dem sog Effektivitätsgrundsatz soll eine unionsrechtliche Vorschrift nach Möglichkeit ihren Zweck erreichen und praktische Wirksamkeit entfalten.334 Eine insbes für den Bereich des Europäischen Zivilverfahrensrecht relevante normative Ausprägung erfährt die bisher auf Art 10 EGV (Art 4 EUV) in Verbindung mit Art 249 EGV (Art 288 AEUV)335 gestützte Rspr des EuGH336 in Art 19 Abs 1 AEUV, demzufolge die Mitgliedstaaten dazu angehalten sind, die für einen wirksamen Rechtsschutz erforderlichen Rechtsbehelfe zu gewährleisten. Im Rahmen einer unionsautonomen Auslegung der einzelnen Begriffe soll die volle Wirksamkeit des entsprechenden Rechtsakts unter dem Blickwinkel der Ziele des AEUV sichergestellt werden, zu dessen Durchführung der Rechtsakt letztlich erlassen wurde.337

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335 336 337

Vgl von der Groeben/Schwarze/Gaitanides, EUV/EGV IV6 Art 220 EGV Rn 56; Calliess/Ruffert/Wegener, EUV/AEUV4 Art 19 EUV Rn 14. Insbes EuGH v 8.4.1976 – Rs 48/75 Royer Rn 69 ff EuGHE 1976, 497 = NJW 1976, 2065. Näheres zum Effektivitätsgrundsatz siehe etwa König, Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz; Lecheler in: Reichelt, LBI Europarecht Heft 15; Potacs EuR 2009, 465 ff; Streinz FS Everling II (1995) 1491 ff; Tomasic, Effet utile. Entspricht Art I-29 Abs 1 UAbs 2 VVE. EuGH v 19.6.1990 – Rs C-213/89 The Queen/Factortame Rn 18 ff EuGHE 1990, I 2433 = NJW 1991, 2271. EuGH v 13.7.1993 – Rs C-125/92 Mulox IBC/Geels Rn 10 EuGHE 1993 I 4075 = IPRax 1997, 110; EuGH v 9.1.1997 – Rs C-383/95 Rutten/Cross Medical Rn 12 EuGHE 1997 I 57 = IPRax 1999, 365; EuGH v 20.3. 1997 – Rs C-295/95 Farrell/Long Rn 12 EuGHE 1997 I 1683 = BeckRS 2004, 76093 = WBl 1997, 206.

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3. Bindungswirkung Das Urteil des EuGH über die ihm im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens gestell- 79 ten Auslegungs- oder Gültigkeitsfragen ist für das vorlegende nationale Gericht sowie für alle übrigen am Ausgangsverfahren beteiligten Gerichte bindend.338 Bestehen in dem konkreten Rechtsstreit weiterhin Unklarheiten über die vom EuGH bereits entschiedene Rechtsfrage, ist eine erneute Vorlage zulässig.339 Die Bindungswirkung folgt aus dem Grundsatz der Rechtskraft (res iudicata);340 gem Art 91 Abs 1 VerfahrensO-EuGH341 werden Entscheidungen des EuGH mit dem Tag ihrer Verkündung rechtskräftig. Während hinsichtlich der Bindungswirkung eines Vorabentscheidungsurteils des EuGH im 80 konkreten Ausgangsverfahren keinerlei Zweifel bestehen, ist die Frage der Bindungswirkung in sog Parallelverfahren, also vom Ausgangsverfahren unabhängigen Verfahren, in denen eine vom EuGH bereits beantwortete Rechtsfrage erneut auftritt, umstritten. Ohne auf die einzelnen Rechtspositionen in diesem Rahmen näher eingehen zu können, sprechen mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Unionstreue342 sowie dem System des Vorabentscheidungsverfahrens, in dem durch das Auslegungsmonopol des EuGH die Einheitlichkeit des Unionsrechts gewahrt werden soll, gewichtige Gründe für eine Bindungswirkung, die über eine bloß faktische Orientierung im Sinne einer „Leitfunktion“ höchstrichterlicher Rspr hinausgeht. Vorbehalte eines nationalen Gerichts gegenüber der bisherigen Rspr des EuGH können nur durch eine erneute Vorlage an diesen ausgeräumt werden, wodurch mangels Selbstbindung des EuGH an seine Entscheidungen die Dynamik des Unionsrechts insgesamt gesichert erscheint.343 VII. Gegenstand, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen (Kapitel I, Art 1-3) 1. Gegenstand Der erst im Zuge des Legislativverfahrens344 hinzugefügte Art 1 zum Gegenstand der Ver- 81 ordnung besitzt keinen eigenständigen Regelungsgehalt, sondern umschreibt nur den Regelungszweck. Die EU-SchutzMVO legt einheitliche Vorschriften für einen einfachen und

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Grundlegend zur sog inter partes-Bindung EuGH v 24.6.1969 – Rs 29/68 Milch-, Fett- und Eierkontor/ Hauptzollamt Saarbrücken Rn 3 EuGHE 1969, 165 = NJW 1970, 399; EuGH v 3.2.1977 – Rs 52/76 Benedetti/Munari Rn 26/27 EuGHE 1977, 163 = BeckRS 2004, 73265. Zur einhelligen Meinung in der Lit siehe bspw Schima, Vorabentscheidungsverfahren2 97 f; Thiele, Europäisches Prozessrecht Rn 99. Grundlegend EuGH 24.6.1969 – Rs 29/68 Milch-, Fett- und Eierkontor/Hauptzollamt Saarbrücken Rn 3 EuGHE 1969, 165 = NJW 1970, 399. Vgl Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed v 14.9.2006 – Rs C-119/05 Ministero dell‘Industria, del Commercio e dell‘Artigianato/Lucchini Rn 36 ECLI:EU:C:2006:576. Verfahrensordnung des Gerichtshofs, 25.9.2012, ABl EU 2012 L 265 idF ABl EU 2013 L 173/65, ABl EU 2014 L 32/37. Näheres dazu Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip. Ausf dazu etwa Sima in: Reichelt, LBI Europarecht Heft 25, 139 ff mwN. Siehe den Standpunkt des Europäischen Parlaments in der legislativen Entschließung, P7_TA(2013) 0210.

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zügigen Mechanismus zur Anerkennung – und gegebenenfalls Vollstreckung345 – von Schutzmaßnahmen fest, die in einem anderen Mitgliedstaat in Zivilsachen angeordnet wurden. Gegenstand der Anerkennung und Vollstreckung im ersuchten Mitgliedstaat sind somit im Ursprungsmitgliedstaat nach innerstaatlichem Recht angeordnete zivilrechtliche Schutzmaßnahmen. Diese Verordnung trägt dem Umstand Rechnung, dass in einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union – wie zB in Deutschland346 und Österreich347 – der Gewaltschutz vor allem zivilrechtlich gesichert wird, und ergänzt damit die Richtlinie 2011/ 99/EU über die Europäische Schutzanordnung348, welche die gegenseitige Anerkennung von ausländischen Schutzmaßnahmen in Strafsachen zum Gegenstand hat, um dadurch gesamtumfänglich einen effektiven Schutz der Opfer von Gewalt im europäischen Justizraum zu gewährleisten.349 Dieses duale Schutzsystem trägt den unterschiedlichen Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten Rechnung und lässt die nationalen Systeme für die Anordnung von Schutzmaßnahmen unberührt. Wie ErwGr 12 hervorhebt, sind die Mitgliedstaaten weder dazu verpflichtet ihre nationalen Systeme zu ändern noch Schutzmaßnahmen in Zivilsachen einzuführen. Durch die zügige und einfache Anerkennung und Vollstreckung von Schutzmaßnahmen soll im Sinne von ErwGr 3 der einer natürlichen Person in einem Mitgliedstaat gewährte Schutz in jedem Mitgliedstaat, in den diese Person reist oder umzieht, aufrechterhalten und fortgesetzt werden. Dadurch erspart sich das Gewaltopfer, in einem anderen Mitgliedstaat erneut die Anordnung einer Schutzmaßnahme zu erreichen.350 2. Anwendungsbereich 82 Vom sachlichen Anwendungsbereich der EU-SchutzMVO sind gem Art 2 Abs 1 nur solche

Schutzmaßnahmen umfasst, die in Zivilsachen von einer sog Ausstellungsbehörde angeordnet wurden.351 Während sowohl der Begriff der Schutzmaßnahme als auch der Begriff der Ausstellungsbehörde in Art 3 Nr 1 und Nr 4 näher bestimmt werden,352 ist der unbestimmte Begriff der Zivilsachen dagegen erst über eine unionsautonome Auslegung zu ermitteln. ErwGr 10 enthält lediglich den Hinweis, dass für die Beurteilung des zivilrechtlichen Charakters einer Schutzmaßnahme nicht entscheidend sein sollte, ob diese von einer zivil-, verwaltungs- oder strafrechtlichen Behörde angeordnet wurde. Schutzanordnungen, die in Strafsachen angeordnet werden,353 werden ebenso wenig vom sachlichen Anwendungsbereich der EU-SchutzMVO erfasst wie solche, die unter die Brüssel IIa-VO fallen.354 Die Anerkennung und Vollstreckung von Schutzmaßnahmen, die aus Anlass eines in den Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO fallenden Verfahrens getroffen werden355 – wie zB ein 345

346 347 348 349 350 351 352 353

354 355

Insoweit ist sowohl der Titel als auch der in Art 1 umschriebene Gegenstand der Verordnung unvollständig; vgl Mansel/Thorn/Wagner IPRax 2014, 1, 3. Zu den Maßnahmen nach dem GewSchG siehe oben II.1. Zu den einstweiligen Verfügungen zum Schutz vor Gewalt und Stalking nach der EO siehe oben II.2. ABl EU 2011 L 338/2. Vgl Wagner NJW 2014, 1862. Vgl Mohr iFamZ 2014, 221. Vgl ErwGr 9 Satz 2. Siehe dazu unten Rn 87 und Rn 89. Diese werden von der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung (ABl EU 2011 L 338/2) erfasst (ErwGr 9 Satz 3). Art 2 Abs 3 iVm ErwGr 11; krit van Iterson FS van Loon (2013) 609, 618 f. Rauscher/Rauscher Art 20 Brüssel IIa-VO Rn 9.

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zum Schutz des Kindes angeordnetes Kontaktverbot für einen Elternteil356 –, richten sich daher weiterhin nach dieser Verordnung. Nicht geregelt wird dagegen das Verhältnis zur Brüssel I-VO (Brüssel Ia-VO). Nach dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali gehen die besonderen Vorschriften der EUSchutzMVO den allgemeinen Bestimmungen der Brüssel I-VO (Brüssel Ia-VO) vor.357 Dieser Vorrang reicht jedoch nur soweit, als die Dauer einer Schutzmaßnahme zwölf Monate nicht übersteigt; andernfalls kann die geschützte Person auch eine Vollstreckung nach der Brüssel I-VO beantragen358 bzw kann sich die Vollstreckung auch nach der Brüssel Ia-VO richten. Diese Auslegung ergibt sich zum einen aus Art 4 Abs 4, der unabhängig von einer längeren Gültigkeitsdauer die Wirkung der Anerkennung der Schutzmaßnahme auf zwölf Monate ab Ausstellung der in der EU-SchutzMVO vorgesehenen Bescheinigung befristet und zum andern aus ErwGr 16, wonach die geschützte Person eine Schutzmaßnahme mit einer zwölf Monate übersteigenden Geltungsdauer nach „jedwedem anderen hierfür zur Verfügung stehenden Rechtsakt der Union“ geltend machen kann. Alternativ sieht ErwGr 16 noch die Möglichkeit vor, dass die geschützte Person in diesem Fall eine nationale Schutzmaßnahme im ersuchten Mitgliedstaat beantragt. Dies wird mit Mohr wohl auch dann gelten, wenn eine nationale Schutzmaßnahme wie beispielsweise eine einstweilige Verfügung nach §§ 382e oder 382g EO vorerst für längstens ein Jahr angestrebt werden kann, sofern nur eine Verlängerungsmöglichkeit besteht.359 Der räumliche Anwendungsbereich der EU-SchutzMVO erstreckt sich auf alle Mitglied- 83 staaten der Europäischen Union mit Ausnahme von Dänemark360, das sich nicht an der Annahme der Verordnung beteiligt. Die Verordnung gilt gem Art 2 Abs 2 nur für grenzüberschreitende Fälle, indem die Anerkennung einer in einem Mitgliedstaat angeordneten Schutzmaßnahme in einem anderen Mitgliedstaat beantragt wird. Hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs nimmt die EU-SchutzMVO – bis auf 84 die den Gewaltschutzsachen immanenten Beschränkung auf natürliche Personen – keine Einschränkungen vor. Es kommt weder auf die Staatsangehörigkeit noch auf den Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien an. Vielmehr bezweckt die EU-SchutzMVO den einer natürlichen Person in einem Mitgliedstaat gewährten Schutz in jedem Mitgliedstaat, in den diese Person reist oder umzieht, aufrechtzuerhalten und fortzusetzen.361 Wie in ErwGr 6 hervorgehoben wird, gilt die Verordnung für alle Opfer, und zwar unabhängig davon, ob sie Opfer von geschlechtsbezogener Gewalt362 sind oder nicht. Zum zeitlichen Anwendungsbereich siehe Art 22.363

356 357 358 359 360 361 362 363

85

Mohr iFamZ 2014, 221. Vgl KOM (2011) 276, S 6; Pietsch NZFam 2014, 726, 728; van Iterson FS van Loon (2013) 609, 617. Vgl Mohr iFamZ 2014, 221; Pesendorfer iFamZ 2014, 209, 211. Mohr iFamZ 2014, 221. ErwGr 41. ErwGr 3. Zur geschlechtsspezifischen Dimension zum Thema Opferrechte siehe oben Fn 232. Siehe dazu unten Rn 121.

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3. Begriffsbestimmungen 86 Art 3 enthält in angelsächsischer Tradition eingangs einen Katalog von Begriffsbestim-

mungen, der neben hilfreichen Klarstellungen der in der Verordnung häufig verwendeten Begriffe eigentlich selbsterklärend auch die beteiligten Parteien und Staaten beschreibt. 87 Mit dem Ausdruck „Schutzmaßnahme“ (Nr 1) wird jede Entscheidung bezeichnet, die zum

einen von einer Ausstellungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaats gemäß ihrem autonomen nationalen Recht angeordnet worden ist, und zum anderen die der gefährdenden Person eine oder mehrere bestimmte Verpflichtung(en) auferlegt, die dem Schutz einer anderen Person bei Gefährdung der körperlichen oder seelischen Unversehrtheit dienen. Klarstellend wird noch hervorgehoben, dass es auf die Bezeichnung der Entscheidung nicht ankommt. Während der Verordnungsvorschlag noch von einer „Entscheidung vorbeugender und vorübergehender Natur“ ausging,364 muss die Schutzmaßnahme nach der EUSchutzMVO weder vorläufig noch befristet angeordnet worden sein, sondern kann auch eine unbefristete Gültigkeitsdauer vorsehen.365 Art 4 Abs 4 beschränkt allerdings die Wirkung der Anerkennung auf zwölf Monate ab dem Tag der Ausstellung der Bescheinigung. Im Sinne von ErwGr 6 liegt eine solche Gefährdung vor, wenn das Leben der geschützten Person, ihre körperliche oder psychische Unversehrtheit, ihre persönliche Freiheit, ihre Sicherheit oder ihre sexuelle Integrität in Gefahr ist. Als Beispiele werden körperliche Gewalt, Belästigung, sexuelle Übergriffe, Stalking, Einschüchterung oder andere Formen der indirekten Nötigung angeführt, wobei die Gefährdung nicht unbedingt auf geschlechtsbezogene Gewalt zurückzuführen sein muss. Während der Verordnungsvorschlag noch von einer demonstrativen Aufzählung der Verpflichtungen ausging,366 fällt die Formulierung der für die gefährdende Partei bestimmten Verpflichtungen in Art 3 Nr 1 lit a-c abschließend aus,367 wobei mE zum Schutz des Opfers kein allzu strenger Maßstab anzulegen ist. Der Katalog umfasst das Verbot oder die Regelung des Betretens bestimmter Orte, an denen die geschützte Person wohnt, an denen sie arbeitet oder die sie regelmäßig aufsucht oder an denen sie sich regelmäßig aufhält (lit a: Betretungs- und Aufenthaltsverbot). Neben dem Wohn- und Arbeitsort nennt ErwGr 19 noch den Wohnort enger Verwandter oder die vom Kind besuchte Schule oder Bildungseinrichtung. Das Formblatt I führt in den Auswahlfeldern in Nr 10 noch religiöse Einrichtung, Krankenhaus oder Gesundheitseinrichtung an. Weiters enthält der Katalog das Verbot oder die Regelung jeglicher Form des Kontakts mit der geschützten Person, auch telefonisch, auf elektronischem Weg, per Post oder Fax oder mit anderen Mitteln (lit b: Kontaktverbot) sowie das Verbot oder die Regelung, sich der geschützten Person mehr als bis auf eine vorgeschriebene Entfernung zu nähern (lit c: Näherungsverbot bzw Abstandsgebot). Dabei kommt es weniger auf die in die Schutzmaßnahme aufgenommene konkrete Anschrift als auf den Zweck des Ortes an,368 weshalb die zuständige Behörde des ersuchten Mitgliedstaats allfällige Anpassungen der faktischen Elemente der Schutzmaßnahme – wie betref364 365 366 367 368

Art 2 lit a EU-SchutzMVO-E; KOM (2011) 276, S 7. ErwGr 15. Art 2 lit a EU-SchutzMVO-E: „insbesondere“. Für eine taxative Aufzählung Mohr iFamZ 2014, 221, 222. ErwGr 19.

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fend die Anschrift, den Ort oder den Mindestabstand – vornehmen darf, um deren praktische Wirksamkeit zu gewährleisten.369 Nicht in den Katalog aufgenommen wurde jedoch die in Art 2 lit a Z iv EU-SchutzMVO-E noch vorgesehene Entscheidung, mit der die ausschließliche Nutzung der gemeinsamen Wohnung zweier Personen der gefährdeten Person zugesprochen wird. Während „geschützte Person“ (Nr 2) eine natürliche Person bezeichnet, die Gegenstand des 88 Schutzes ist, der durch eine Schutzmaßnahme gewährt wird, ist unter „gefährdende Person“ (Nr 3) eine natürliche Person zu verstehen, der eine oder mehrere der unter Nr 1 genannten Verpflichtungen auferlegt wurden. Während § 12 Nr 2 und 3 EUGewSchVG-E die Verfahrensbeteiligten noch als Gläubiger und Schuldner umschrieben haben, ist der Bundestag in § 13 Nr 2 und 3 EUGewSchVG der Anregung des Bundesrates gefolgt, die Bezeichnung der Parteien sinnvollerweise an den Sprachgebrauch der EU-SchutzMVO anzupassen. Eine „Ausstellungsbehörde“ (Nr 4) ist jedes Gericht oder jede andere Behörde, die ein 89 Mitgliedstaat für einen unter diese Verordnung fallenden Sachverhalt gegenüber der Kommission für zuständig erklärt. Da die EU-SchutzMVO – wie aus ErwGr 12 hervorgeht – nicht in die nationalen Systeme für die Anordnung von Schutzmaßnahmen eingreifen will, trägt die Verordnung den unterschiedlichen Arten von Behörden insoweit Rechnung, als sie auch Entscheidungen von Verwaltungsbehörden erfasst.370 Diese erfüllen nur dann die Voraussetzungen einer Ausstellungsbehörde im Sinne der EU-SchutzMVO, wenn sie den Parteien Garantien hinsichtlich der Unparteilichkeit bietet. Außerdem müssen ihre Entscheidungen der gerichtlichen Nachprüfung unterliegen und vergleichbare Wirkungen und Folgen haben, wie dies bei entsprechenden gerichtlichen Entscheidungen der Fall ist. ErwGr 13 schließt daher Polizeibehörden explizit aus, weshalb polizeiliche Anordnungen nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen.371 Schlussendlich werden noch Banalitäten definiert wie „Ursprungsmitgliedstaat“ (Nr 5), in 90 dem die Schutzmaßnahme angeordnet wird, und der wenig geglückte Begriff „ersuchter Mitgliedstaat“ (Nr 6), in dem die Anerkennung und gegebenenfalls die Vollstreckung der Schutzmaßnahme beantragt wird. VIII. Anerkennung und Vollstreckung von Schutzmaßnahmen (Kapitel II, Art 4-14) 1. Anerkennung und Vollstreckung ohne besonderes Verfahren Anknüpfend an die Verordnungen der „neuen Generation“372 im Europäischen Zivilver- 91 fahrensrecht sind gem Art 4 Abs 1 die im Ursprungsmitgliedstaat angeordneten Schutzmaßnahmen ohne vorheriges Anerkennungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahren direkt in den anderen Mitgliedstaaten vollstreckbar. § 17 EUGewSchVG stellt klar, dass in Deutschland eine Zwangsvollstreckung stattfindet, ohne dass es für die ausländische Schutz369 370 371

372

ErwGr 20. ErwGr 13. Ausgeschlossen sind daher etwa ein Betretungsverbot sowie eine Wegweisung zum Schutz vor Gewalt nach § 38a SPG. Frauenberger-Pfeiler JAP 2008/2009, 103, 170; Rechberger FS Leipold (2009) 301.

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anordnung einer Vollstreckungsklausel im Sinne von § 724 ZPO bedarf. Durch die Abschaffung jeglicher Art von Zwischenverfahren im ersuchten Mitgliedstaat wird eine erhebliche Kosten- und Zeitersparnis bezweckt.373 Der auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens374 beruhende Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung375 rechtfertigt, dass eine im Ursprungsmitgliedstaat angeordnete Schutzmaßnahme im ersuchten Mitgliedstaat so behandelt wird, als wäre sie in diesem Mitgliedstaat angeordnet worden.376 92 Die automatische Anerkennung einer Schutzmaßnahme und gegebenenfalls deren Voll-

streckung ohne Exequatur sind an eine vom Ursprungsmitgliedstaat ausgestellte Bescheinigung geknüpft, die gem Art 4 Abs 2 lit b der zuständigen Behörde im ersuchten Mitgliedstaat vorzulegen ist. Diese Bescheinigung ersetzt somit die im klassischen Anerkennungs- und Vollstreckungssystem ursprünglich noch vorgesehene Anerkennungsprüfung und vom Vollstreckungsmitgliedstaat zu erteilende Exequatur, weshalb der Ordnungsmäßigkeit der Bescheinigung erhebliche Bedeutung zukommt. Damit lehnt sich die EUSchutzMVO an das Anerkennungssystem der Brüssel IIa-VO zum Umgangsrecht und zum Recht auf Rückgabe des Kindes an.377 Neben der Bescheinigung (lit b) und erforderlichenfalls deren Transkription und/oder Übersetzung (lit c) hat die geschützte Person der zuständigen Behörde noch eine beweiskraftfähige Kopie der Schutzmaßnahme (lit a) vorzulegen, für die im Gegensatz zur Bescheinigung keine Übersetzung in die Amtssprache des ersuchten Mitgliedstaats oder eine andere der Kommission mitgeteilte Amtssprache der Organe der Europäischen Union vorgesehen ist. § 18 EUGewSchVG sieht in Deutschland eine Übersetzung oder Transliteration der Bescheinigung in deutscher Sprache vor. 93 Die vorzulegende Bescheinigung ist gem Art 4 Abs 3 freilich nur insoweit wirksam, als die

Schutzmaßnahme vollstreckbar ist. Grundsätzlich entspricht die Anerkennung einer Entscheidung auch deren Gültigkeitsdauer. Art 4 Abs 4 befristet jedoch ungeachtet einer längeren Gültigkeitsdauer der Schutzmaßnahme die Wirkung der Anerkennung auf zwölf Monate ab dem Tag der Ausstellung der Bescheinigung. Aus ErwGr 15 geht hervor, dass die zeitliche Beschränkung der Anerkennung einerseits der Vielfalt der nationalen Schutzmaßnahmen Rechnung tragen will sowie andererseits dem Umstand, dass die EU-SchutzMVO typischerweise in dringenden Fällen zur Anwendung kommt. In ErwGr 17 wird nochmals explizit auf den Ausnahmecharakter der erst im Zuge des Legislativverfahrens hinzugekommenen Befristung der Wirkung der Anerkennung hingewiesen, der auf die Besonderheit des Gegenstands der Verordnung zurückzuführen ist und nicht als Präzedenzfall für andere Instrumente in Zivil- und Handelssachen herangezogen werden soll. ErwGr 16 stellt klar, dass dadurch nicht das Recht der geschützten Person berührt wird, eine Schutzmaßnahme mit einer zwölf Monate übersteigenden Geltungsdauer nach „jedwedem anderen hierfür zur Verfügung stehenden Rechtsakt der Union“ (Brüssel I-VO bzw Brüssel Ia-VO) geltend zu machen oder eine nationale Schutzmaßnahme im ersuchten Mitgliedstaat zu beantragen. Nicht geregelt ist, ob nach Ablauf der Befristung eine neuerliche Bescheinigung ausgestellt werden darf.378 373 374 375 376 377 378

Vgl ErwGr 4 Satz 1; KOM (2011) 276, S 5 f. Siehe dazu oben Rn 61 ff. Siehe dazu oben Rn 58 ff. Vgl ErwGr 4 Satz 2. Vgl KOM (2011) 276, S 7. Zust Mohr iFamZ 2014, 221, 224.

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Art 4 Abs 5 verweist hinsichtlich des Verfahrens zur Vollstreckung von Schutzmaßnahmen 94 auf das Recht des ersuchten Mitgliedstaats. Für Deutschland erklärt § 19 EUGewSchVG das Familiengericht für ausschließlich örtlich zuständig, in dessen Zuständigkeitsbezirk sich die gefährdende Person aufhält (Nr 1) oder die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll (Nr 2). Für den Bezirk des Kammergerichts ist eine an § 35 Abs 1 Satz 2 AUG angelehnte Sonderzuständigkeitsregelung zugunsten des Amtsgerichts Pankow/Weißensee vorgesehen.379 Zur Vollstreckung siehe oben in Rn 18. In Österreich ist gem § 86b Abs 1 Z 1 EO für die Anordnung der Vollstreckung einer ausländischen Schutzmaßnahme und die Entscheidung über den Exekutionsantrag aufgrund einer solchen Schutzmaßnahme das Bezirksgericht zuständig, bei dem die geschützte Person ihren allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen hat, subsidiär – sofern die geschützte Person weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat – das Bezirksgericht Innere Stadt Wien. Die Vollstreckung380 kann entweder im Rahmen eines Exekutionsverfahrens – insbes durch eine Unterlassungsexekution nach § 355 EO mit Beugestrafen – geschehen oder die Sicherheitsbehörden können mit dem Vollzug betraut werden,381 wobei Letzteres nur bei der Durchsetzung eines mittels einstweiliger Verfügung angeordneten Betretungs-, Aufenthalts- und persönlichen Kontaktaufnahmeverbots vorgesehen ist.382 Sowohl das Äquivalenz- als auch das Effektivitätsprinzip sprechen mE für die Möglichkeit einer Vollziehung durch die Sicherheitsbehörden, auch wenn die ausländische Schutzmaßnahme in einem Urteil angeordnet worden ist und eine solche Vollziehung für eine entsprechende einstweilige Verfügung festgelegt wird.383 2. Bescheinigung a) Verfahren Um eine im Ursprungsmitgliedstaat angeordnete Schutzmaßnahme im ersuchten Mitglied- 95 staat geltend zu machen, benötigt die geschützte Person eine sog Bescheinigung. Diese wird gem Art 5 Abs 1 von der Ausstellungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaats auf Ersuchen (Antrag) der geschützten Person mittels eines mehrsprachigen Standardformulars ausgestellt. Zum Zeitpunkt der Drucklegung sind die der Kommission mitzuteilenden Ausstellungsbehörden der einzelnen Mitgliedstaaten noch nicht veröffentlicht. Gem Art 1 Abs 1 Durchführungsverordnung (EU) 939/2014 ist für die Bescheinigung das Formular I in Anhang I zu verwenden. In Deutschland weist § 14 EUGewSchVG die Zuständigkeit für die Ausstellung einer 96 solchen Bescheinigung jenen Gerichten zu, denen die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Titels obliegt. Mit dem neu angefügten § 25 Nr 4 RpflG soll die Ausstellung der Bescheinigung in die funktionelle Zuständigkeit des Rechtspflegers fallen. In Österreich wird die Zuständigkeit für die Ausstellung einer Bescheinigung im Zuge der EO-Novelle 2014 nicht explizit geregelt. Mohr lässt aus dem Bundesministerium für Justiz 379 380 381 382 383

BR-Drs 397/14 und BT-Drs 18/2955, 34. Nähres dazu oben in Rn 37. Zum Wahlrecht siehe JAB 106 BlgNR 24. GP 11. Vgl Mohr iFamZ 2014, 221, 225. Vgl Mohr iFamZ 2014, 221, 225 f.

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durchklingen, dass die Ausstellung der Bescheinigung jenem Gericht obliegt, das die einstweilige Verfügung erlassen hat; wurde die einstweilige Verfügung erst vom Rekursgericht bewilligt, ist dieses zuständig.384 97 Art 5 Abs 2 erklärt einen Rechtsbehelf gegen die Ausstellung einer Bescheinigung für

unstatthaft, was in ErwGr 28 nochmals wiederholt wird. Eine Beteiligung der gefährdenden Person ist im Verfahren zur Erteilung der Bescheinigung nicht vorgesehen.385 Gem Art 9 hat die gefährdende Partei nur die Möglichkeit, eine Berichtigung oder Aufhebung der Bescheinigung zu erwirken. 98 Art 16 sieht eine Transkription oder Übersetzung der Bescheinigung in die Amtssprache

des ersuchten Mitgliedstaats vor oder in eine andere Amtssprache der Organe der Europäischen Union, die dieser Mitgliedstaat der Kommission mitgeteilt hat zu akzeptieren. Die geschützte Person kann sich zu diesem Zweck an die Ausstellungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaats wenden, die gem Art 5 Abs 3 auf deren Ersuchen hin – wiederum unter Verwendung des dafür vorgesehenen Standardformulars – eine Transkription und/oder Übersetzung der Bescheinigung herstellt. Wie aus ErwGr 23 hervorgeht, sollte das Formblatt so wenige Freitextfelder wie möglich enthalten, sodass die Transkription oder Übersetzung in den meisten Fällen durch die Verwendung des Formblatts in der jeweiligen Sprache kostenfrei für die geschützte Person erfolgen kann. Ist darüber hinaus eine Übersetzung notwendig, weil das Formblatt einen freien Text enthält, sind die Kosten nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats zuzuweisen. Selbst wenn die Bescheinigung einen freien Text enthält, kann die geschützte Person im Sinne von ErwGr 24 Satz 1 vorerst versuchen, nur die unter Verwendung des Formblatts hergestellte Übersetzung der zuständigen Behörde des ersuchten Mitgliedstaats vorzulegen, die dann darüber entscheidet, ob eine weitergehende Übersetzung oder Transkription erforderlich ist. Im Sinne der Rspr des OGH386, derzufolge eine Übersetzung erforderlich ist, wenn die Bestätigung einen Inhalt aufweist, der über das Ankreuzen von Kästchen und die Angabe von Zahlen hinausgeht, ist in Österreich eine Übersetzung des gesamten Formblatts geboten, die im Rahmen eines Verbesserungsverfahrens oder durch Erlag eines Kostenvorschusses für eine Übersetzung vorgenommen werden kann.387 Ungeachtet dessen kann die geschützte Person oder die Ausstellungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaats auch auf eigene Initiative für eine Übersetzung oder Transkription sorgen.388 b) Voraussetzungen 99 Art 6 regelt in drei Absätzen die Voraussetzungen für die Ausstellung der Bescheinigung,

wobei – wenngleich nicht explizit angeführt – von der Ausstellungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaats zuallererst zu prüfen ist, ob die angeordnete Schutzmaßnahme überhaupt in den Anwendungsbereich der EU-SchutzMVO fällt.389 Gem Art 6 Abs 1 darf eine Ausstellung 384 385 386 387 388 389

Mohr iFamZ 2014, 221, 223. Siehe § 15 EUGewSchVG. OGH v 22.2.2007 – 3 Ob 253/06m, JBl 2007, 735 zur EG-VollstrTitelVO. Mohr iFamZ 2014, 221, 226. ErwGr 24 Satz 2. Vgl Garber/Neumayr Jahrbuch Europarecht 2014, 199, 204; Mohr iFamZ 2014, 221, 223. Siehe auch Art 9 Abs 1 lit b, der als Aufhebungsgrund der Bescheinigung auch die Missachtung des Anwendungsbereichs der Verordnung anführt.

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der Bescheinigung nur dann erfolgen, wenn die gefährdende Person von der Schutzmaßnahme in Kenntnis gesetzt worden ist, was sich nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats richtet. Sofern eine Schutzmaßnahme nicht gegenüber der gefährdenden Person verkündet wurde, wird wohl nur über eine Zustellung mit Rückschein feststehen, ob die gefährdende Person über die Schutzmaßnahme in Kenntnis gesetzt wurde.390 Art 6 Abs 2 betrifft den Fall, dass der gefährdenden Person zwar Gelegenheit zur Äußerung 100 eingeräumt wurde, sich die gefährdende Person jedoch nicht auf das Verfahren eingelassen hat. Bei rügeloser Einlassung kann die Bescheinigung nur dann ausgestellt werden, wenn der gefährdenden Person das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück zugestellt wurde. Dem wird gleichgesetzt, dass die gefährdende Person gegebenenfalls auf anderem Wege gemäß dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats rechtzeitig und in einer Weise über die Einleitung des Verfahrens in Kenntnis gesetzt wurde, die es ihr erlaubt hat, Vorkehrungen für ihre Verteidigung zu treffen. Aufgrund der Dringlichkeit wird keine allzu lange Frist zu verlangen sein.391 Art 6 Abs 3 enthält eine Sonderregelung für den Fall, dass eine Schutzmaßnahme in einem 101 sog Ex-parte-Verfahren angeordnet wurde. Da hier eine Entscheidung ohne vorherige Gewährung rechtlichen Gehörs getroffen wurde, muss sichergestellt sein, dass für die gefährdende Person das Recht eines Rechtsbehelfs gegen die Schutzmaßnahme bestand. Aufgrund der typischen Dringlichkeit der Fälle, in denen Schutzmaßnahmen notwendig sind, soll es im Sinne von ErwGr 25 nicht erforderlich sein, dass die Frist für die Geltendmachung dieser Verteidigungsrechte abgelaufen ist, bevor eine Bescheinigung ausgestellt wird. Die Schutzmaßnahme muss im Ursprungsmitgliedstaat aber vollstreckbar sein. In Österreich kann gem § 382c Abs 1 EO von der Anhörung des Antragsgegners insbes abgesehen werden, wenn durch ihn eine weitere Gefährdung unmittelbar droht. Aufgrund des im Rekursverfahren geltenden Neuerungsverbots steht dem Antragsgegner gegen die Bewilligung einer einstweiligen Verfügung ohne dessen vorherige Anhörung außerdem der Rechtsbehelf des Widerspruchs gem § 397 EO zu, mit dem er sich nachträglich rechtliches Gehör verschaffen kann. c) Inhalt Art 7 normiert den Inhalt der Bescheinigung, der von der Kommission bei der Erstellung 102 des entsprechenden Formblatts zu berücksichtigen ist. Anzuführen sind der Name und die Anschrift/Kontaktdaten der Ausstellungsbehörde (lit a; Formblatt I Nr 7), das Aktenzeichen (lit b; Formblatt I Nr 6), das Ausstellungsdatum der Bescheinigung (lit c; Formblatt I Nr 5) sowie Angaben zu der geschützten (lit d; Formblatt I Nr 8) als auch der gefährdenden Person (lit e; Formblatt I Nr 9) wie Name, Geburtsdatum und -ort, sofern verfügbar, und die für Zustellungen zu verwendende Anschrift, wobei dieser eine deutlich sichtbare Warnung für die geschützte Person vorangeht, dass diese Anschrift der gefährdenden Person bekanntgegeben werden kann (das Formblatt I enthält in Nr 8.5 einen entsprechenden Hinweis in Fettdruck). Im Sinne von ErwGr 27 sollte das Interesse der geschützten Person an der Geheimhaltung ihres Aufenthaltsorts und anderer Kontaktdaten gebührend Berücksichtigung finden, weshalb diese Angaben der gefährdenden Person gem Art 8 Abs 3 nur dann 390 391

Mohr iFamZ 2014, 221, 223. Mohr iFamZ 2014, 221, 223 hält eine Frist von drei Arbeitstagen für ausreichend.

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mitgeteilt werden sollen, wenn dies für die Einhaltung oder die Vollstreckung der Schutzmaßnahme erforderlich ist. Darüber hinaus enthält das Formblatt I neben dem Datum der Anordnung der Schutzmaßnahme (Nr 1) noch fakultative Angaben zum Datum der Rechtskraft (Nr 2), zum Aktenzeichen der Schutzmaßnahme (Nr 3) und der Behörde, die die Schutzmaßnahme angeordnet hat, wenn es sich um eine andere Behörde handelt als die Behörde, die die Bescheinigung ausstellt (Nr 4), sowie zur gewährten Prozesskostenhilfe im ausstellenden Mitgliedstaat (Nr 15.1). Außerdem sind noch alle für die Vollstreckung der Schutzmaßnahme erforderlichen Informationen aufzunehmen, gegebenenfalls einschließlich der Art der Maßnahme und der Verpflichtung, die der gefährdenden Person damit auferlegt wird, und unter Angabe der Funktion des Ortes (Wohnort, Arbeitsort oder Ort, den die geschützte Person regelmäßig aufsucht392) und/oder des abgegrenzten Gebiets (ungefährer Radius393), dem diese Person sich nicht nähern bzw das sie nicht betreten darf (lit f; Formblatt I Nr 10). Weiters hat die Bescheinigung die Dauer der Schutzmaßnahme (lit g; Formblatt I Nr 11) sowie die Dauer der Wirkung der Anerkennung, welche Art 4 Abs 4 ungeachtet einer längeren Gültigkeitsdauer auf zwölf Monate ab dem Ausstellungstag der Bescheinigung befristet (lit h; Formblatt I Nr 12). Neben einer Erklärung, dass die in Art 6 niedergelegten Voraussetzungen erfüllt sind (lit i; Formblatt I Nr 13), hat die Bescheinigung noch eine Belehrung über die nach den Art 9 und 13 gewährten Rechte über die Berichtigung oder Aufhebung der Bescheinigung sowie die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung der Schutzmaßnahme zu enthalten (lit j; Formblatt I Nr 14). Zur Erleichterung der Bezugnahme ist zudem der vollständige Titel der EU-SchutzMVO anzugeben (lit k). d) Zustellung an die gefährdende Person 103 Art 8 Abs 1 sieht vor, dass die gefährdende Partei über die Bescheinigung – durch deren

Zustellung (Abs 2) – von der Ausstellungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaats mit dem gleichzeitigen Hinweis in Kenntnis zu setzen ist, dass die Ausstellung der Bescheinigung die Anerkennung und gegebenenfalls gem Art 4 die Vollstreckbarkeit der Schutzmaßnahme in einem anderen Mitgliedstaat zur Folge hat.

104 Die Zustellung der Bescheinigung erfolgt gem Art 8 Abs 2 nach dem Recht des Ursprungs-

mitgliedstaats, wenn die gefährdende Person dort ihren Wohnsitz hat. Hat die gefährdende Person ihren Wohnsitz hingegen in einem anderen Mitgliedstaat als dem Ursprungsmitgliedstaat oder in einem Drittstaat, so erfolgt die Zustellung der Bescheinigung per Einschreiben mit Rückschein oder gleichwertigem Beleg. Ist die Anschrift der gefährdenden Person unbekannt oder weigert sie sich, den Erhalt der Zustellung zu bestätigen, richtet sich die Zustellung der Bescheinigung nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats. In Deutschland richtet sich die Zustellung nach § 15 FamFG, wobei gem Abs 2 die Bekanntgabe entweder durch Zustellung nach den Vorschriften der ZPO oder durch Aufgabe zur Post bewirkt werden kann;394 in Österreich nach dem ZustG395 und der östZPO. 392 393 394 395

ErwGr 21. ErwGr 21. Ausf dazu MünchKommFamFG/Pabst § 15 Rn 12 ff mwN. Bundesgesetz über die Zustellung behördlicher Dokumente (Zustellgesetz – ZustG), östBGBl 200/1982 idF östBGBl I 33/2013.

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Im Sinne von ErwGr 27 sollte das Interesse der geschützten Person an der Geheimhaltung 105 ihres Aufenthaltsorts und anderer Kontaktdaten gebührend Berücksichtigung finden, weshalb diese Angaben der gefährdenden Person gem Art 8 Abs 3 nur dann mitgeteilt werden, wenn dies für die Einhaltung oder die Vollstreckung der Schutzmaßnahme erforderlich ist. e) Berichtigung oder Aufhebung Während Art 5 Abs 2 die Erhebung eines Rechtsbehelfs gegen die Bescheinigung aus- 106 schließt, eröffnet Art 9 Abs 1 sowohl der geschützten Person als auch der gefährdenden Person zumindest die Möglichkeit, an die Ausstellungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaats ein Ersuchen (Antrag) auf Berichtigung oder Aufhebung der Bescheinigung zu richten. Die Ausstellungsbehörde kann aber auch von Amts wegen eine Berichtigung oder Aufhebung der Bescheinigung vornehmen. Art 9 Abs 1 lit a führt als Berichtigungsgrund die auf einen Schreibfehler zurückzuführende Abweichung zwischen der Schutzmaßnahme und der Bescheinigung an. Im Sinne von ErwGr 29 fallen darunter offensichtliche Fehler oder offensichtliche Ungenauigkeiten wie zB ein Tippfehler oder ein Fehler bei der Transkription oder der Abschrift, die Ursache für die inkorrekte Wiedergabe der Schutzmaßnahme sind. Gem Art 9 Abs 1 lit b ist die Bescheinigung aufzuheben, wenn sie unter Berücksichtigung der Voraussetzungen gem Art 6 und des Anwendungsbereichs der EU-SchutzMVO offenkundig zu Unrecht erteilt wurde. Eindeutig zu unrecht erteilt wurde eine Bescheinigung, wenn sie unter Verstoß gegen die Anforderungen an ihre Ausstellung ausgestellt wurde oder wenn die der Bescheinigung zugrunde liegende Schutzmaßnahme überhaupt nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt.396 Gem Art 9 Abs 2 unterliegt das Verfahren für die Berichtigung bzw die Aufhebung einer 107 Bescheinigung, einschließlich eines etwaigen Rechtsbehelfs, dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats. § 16 EUGewSchVG verweist in Deutschland hinsichtlich des Verfahrens für die Berichtigung und die Aufhebung einer gem Art 5 Abs 1 ausgestellten Bescheinigung sinngemäß auf § 42 Abs 2 und 3 FamFG, in denen das Verfahren zur Berichtigung familiengerichtlicher Beschlüsse wegen Schreib- und Rechenfehlern und ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten normiert ist. In Österreich kommt es hinsichtlich des Verfahrens für die Berichtigung zur sinngemäßen Anwendung von § 419 östZPO, der die Berichtigung von Urteilen regelt. Diese Bestimmung findet gem § 430 östZPO auch für Beschlüsse und nach § 402 Abs 4 in Verbindung mit § 78 EO ebenso für solche im Verfahren über einstweilige Verfügungen Anwendung. Das Verfahren über die Aufhebung wird sich an § 7 Abs 3 EO über die Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung orientieren.397 3. Hilfestellung für die geschützte Person Gem Art 10 hat die Ausstellungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaats der geschützten Per- 108 son auf deren Ersuchen hin Hilfestellung bei der Erlangung der für die Öffentlichkeit im 396 397

ErwGr 29. Vgl Mohr iFamZ 2014, 221, 224 f.

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Europäischen Justiziellen Netz für Zivil- und Handelssachen bereitgestellten Informationen über die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats zu leisten, bei denen die Schutzmaßnahme geltend zu machen oder die Vollstreckung der Schutzmaßnahme zu beantragen ist.398 Die in Art 17 und 18 vorgesehenen Informationen stehen zum Zeitpunkt der Drucklegung noch nicht zur Verfügung. 4. Anpassung der Schutzmaßnahme 109 Art 11 soll der Situation vorbeugen, dass die zuständige Behörde im ersuchten Mitgliedstaat

die im Ursprungsmitgliedstaat angeordnete Schutzmaßnahme in der Form nicht anerkennen oder vollstrecken kann, weil etwa die geschützte Partei in den Vollstreckungsstaat umgezogen ist und sich das verhängte Betretungsverbot auf den zwischenzeitig aufgegebenen Wohnsitz im Ursprungsmitgliedstaat bezieht.399 Um einer solchen Schutzmaßnahme im ersuchten Mitgliedstaat Wirksamkeit zu verleihen, sieht Art 11 Abs 1 vor, dass die zuständige Behörde des ersuchten Mitgliedstaats – sofern und soweit erforderlich – eine Anpassung der faktischen Elemente der Schutzmaßnahme vorzunehmen hat. Zu diesen faktischen Elementen der Schutzmaßnahme führt ErwGr 20 die Anschrift, den Ort oder den Mindestabstand an. Durch eine solche Anpassung dürfen jedoch die Art und der zivilrechtliche Charakter der Schutzmaßnahme nicht berührt werden. Wurde nur eine persönliche Kontaktaufnahme verboten, kann nicht etwa zusätzlich ein Verbot der Kontaktaufnahme mittels moderner Kommunikationsmittel festgelegt werden.400 110 Gem Art 11 Abs 2 unterliegt das Verfahren für die Anpassung einer ausländischen Schutz-

maßnahme dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats. In Deutschland sieht § 20 EUGewSchVG vor, dass das gem § 19 EUGewSchVG zuständige Gericht die Anpassung gem Abs 1 von Amts wegen vorzunehmen hat. Gem Abs 2 kann das Gericht über die Anpassung ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Eine solche erscheint entbehrlich, zumal keine neue Sachentscheidung getroffen wird, sondern nur die faktischen Elemente der Schutzmaßnahme erforderlichenfalls angepasst werden, um der ausländischen Schutzmaßnahme im Inland Wirkung zu verleihen. Hinsichtlich der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung ist die Eilbedürftigkeit in Gewaltschutzsachen zu berücksichtigen. Um eine zügige Umsetzung des Anpassungsbedarfs der ausländischen Schutzanordnung zu ermöglichen, soll dem Vorschlag des Bundesrates entsprechend eine Entscheidung auch ohne Anhörung der gefährdenden Person erfolgen können. Die Entscheidung über die Anpassung einer ausländischen Schutzmaßnahme erfolgt in Beschlussform und bedarf – schon im Lichte eines zweiseitigen Rechtsbehelfs gegen den Anpassungsbeschluss in Form der Beschwerde (Abs 4) – der Begründung. In Österreich enthält § 86c EO verfahrensrechtliche Vorschriften, die bei der Anpassung von ausländischen Schutzmaßnahmen anzuwenden sind. Aus Abs 1 geht jedoch hervor, dass eine Anpassung von Schutzmaßnahmen einen Antrag der geschützten Person voraussetzt, in dem die begehrte Anpassung anzugeben ist.401 Im Lichte des Effektivitätsprinzips soll das Gericht mE auch von Amts wegen eine Anpassung der faktischen Elemente der 398 399 400 401

ErwGr 30. Pietsch NZFam 2014, 726, 729. Mohr iFamZ 2014, 221, 226. Fehlen diese Angaben, ist ein Verbesserungsverfahren zu erteilen.

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Schutzmaßnahme vornehmen können.402 Gem Abs 2 hat das Gericht über diesen Antrag ohne Anhörung der gefährdenden Person zu entscheiden. Dieser wird rechtliches Gehör im Nachhinein durch die Möglichkeit, gegen den Beschluss auf Anpassung Widerspruch im Sinne des § 397 Abs 2 EO zu erheben, eingeräumt. Hinsichtlich der Kostenersatzpflicht im Verfahren über die Anpassung der Schutzmaßnahme verweist Abs 3 auf die Bestimmungen der östZPO (§§ 40 ff). Wie schon die Bescheinigung ist gem Art 11 Abs 3 auch die Anpassung der Schutzmaß- 111 nahme der gefährdenden Person mitzuteilen. Die „Mitteilung“ der Bescheinigung erfolgt gem Art 11 Abs 3 wiederum nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats. Hat die gefährdende Person ihren Wohnsitz hingegen in einem anderen Mitgliedstaat als dem ersuchten Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat, so erfolgt die Zustellung der Bescheinigung per Einschreiben mit Rückschein oder gleichwertigem Beleg. Ist die Anschrift der gefährdenden Person unbekannt oder weigert sie sich, den Erhalt der Zustellung zu bestätigen, richtet sich die Zustellung der Bescheinigung nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats.403 Sowohl die geschützte als auch die gefährdende Person können gem Art 11 Abs 5 Satz 1 112 gegen die Anpassung der Schutzmaßnahme einen Rechtsbehelf einlegen. Das Rechtsbehelfsverfahren richtet sich gem Art 11 Abs 5 Satz 2 nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats, wobei Satz 3 noch festlegt, dass der Erhebung des Rechtsbehelfs keine aufschiebende Wirkung zukommt bzw zuerkannt werden darf.404 Gegen den Anpassungsbeschluss stehen in Deutschland der geschützten Person und der gefährdenden Person gem § 20 Abs 4 EUGewSchVG der Rechtsbehelf der Beschwerde zu. In Österreich können beide Parteien den Anpassungsbeschluss mit Rekurs bekämpfen. Darüber hinaus steht der gefährdenden Person gem § 86c Abs 2 EO noch die Möglichkeit zu, Widerspruch im Sinne des § 397 Abs 2 EO zu erheben. 5. Ausschluss einer Nachprüfung in der Sache Das in Art 12 normierte Verbot der révision au fond schließt im ersuchten Mitgliedstaat 113 jede Nachprüfung der im Ursprungsmitgliedstaat angeordneten Schutzmaßnahme in der Sache aus. Dadurch soll die Ausschließlichkeit der Anerkennungsversagungsgründe gesichert und eine erneute Entscheidung vermieden werden.405 Die in Art 11 vorgesehene Anpassung der Schutzmaßnahme betrifft ausschließlich deren faktischen Elemente wie etwa die Anschrift, den Ort oder den Mindestabstand, um die praktische Wirksamkeit der ausländischen Schutzmaßnahme im ersuchten Mitgliedstaat zu gewährleisten. 6. Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung Ausgehend vom Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten wird die Ver- 114 sagung der Anerkennung oder Vollstreckung auf ein notwendiges Mindestmaß beschränkt. Die Anerkennung und gegebenenfalls die Vollstreckung der Schutzmaßnahme 402 403 404 405

Vgl Mohr iFamZ 2014, 221, 226. Vgl dazu oben Rn 104. Vgl Mohr iFamZ 2014, 221, 227. Vgl Rauscher/Rauscher Art 26 Brüssel IIa-VO Rn 1.

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ist gem Art 13 Abs 1 auf Antrag der gefährdenden Person zu versagen, wenn die Anerkennung der vom Ursprungsmitgliedstaat angeordneten Schutzmaßnahme der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Mitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde (lit a) oder – entsprechend dem Erfordernis einer geordneten Rechtspflege406 – mit einer Entscheidung unvereinbar ist, welche im ersuchten Mitgliedstaat ergangen oder anerkannt worden ist (lit b). Im Kommissionsvorschlag war in Art 12 EU-SchutzMVO-E der Versagungsgrund des offensichtlichen Widerspruchs mit der öffentlichen Ordnung des ersuchten Mitgliedstaats noch nicht vorgesehen, sondern ist erst im Zuge des Legislativverfahrens hinzugekommen. ErwGr 32 hebt hervor, dass der ordre public-Vorbehalt nur unter außergewöhnlichen Umständen gerechtfertigt sei und nicht zur Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung angewendet werden dürfe, wenn dies insbes gegen Art 21 EuGrRCh (Nichtdiskriminierung) verstoßen würde. 115 Zuständig für die Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung ist jenes Gericht, das der

Kommission gem Art 18 Abs 1 lit a Z iv mitgeteilt wurde, wofür den Mitgliedstaaten bis 11.7. 2014 eine Frist gesetzt war. Zum Zeitpunkt der Drucklegung liegen die für die Öffentlichkeit bestimmten Informationen der einzelnen Mitgliedstaaten noch nicht vor. In Deutschland erklärt § 21 Abs 1 EUGewSchVG das in § 19 EUGewSchVG bestimmte Gericht für die Entscheidung über einen Versagungsantrag für zuständig. Abs 2 sieht vor, dass der Antrag auf Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung beim Gericht entweder schriftlich eingereicht oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden kann. Abs 3 regelt die Entscheidungsform und ermöglicht dem Gericht beschlussmäßig ohne vorhergehende mündliche Verhandlung zu entscheiden. Der geschützten Person ist aber zuvor rechtliches Gehör zu gewähren. Im Hinblick auf den Rechtsbehelf der Beschwerde nach dem FamFG (Abs 4), ist der Beschluss zu begründen. In Österreich ist gem § 86b Abs 2 EO das über die Anordnung oder den Exekutionsantrag entscheidende Bezirksgericht auch für die Versagung (Z 1) der Anerkennung oder der Vollstreckung zuständig. 116 Die Anerkennung der Schutzmaßnahme darf nach Art 13 Abs 3 nicht mit der Begründung

versagt werden, dass das Recht des ersuchten Mitgliedstaats eine solche Maßnahme nicht kennt. 7. Aufhebung der Anerkennung oder Vollstreckung 117 Art 14 regelt die Aufhebung der Anerkennung oder Vollstreckung von Schutzmaßnah-

men, wenn die im Ursprungsmitgliedstaat angeordnete Schutzmaßnahme dort ausgesetzt oder aufgehoben, die Vollstreckbarkeit ausgesetzt oder beschränkt oder die Bescheinigung gem Art 9 Abs 1 lit b aufgehoben wird, weil sie unter Berücksichtigung der Voraussetzungen gem Art 6 und des Anwendungsbereichs der EU-SchutzMVO offenkundig zu Unrecht erteilt wurde. Auf Ersuchen (Antrag) der geschützten oder der gefährdenden Person hat nach Abs 1 die Ausstellungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaats eine Bescheinigung über 406

ErwGr 31.

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diese Aussetzung, Beschränkung oder Aufhebung mittels eines mehrsprachigen Standardformulars auszustellen. Gem Art 1 Abs 2 Durchführungsverordnung (EU) 939/2014 ist für die Bescheinigung das Formular II in Anhang II zu verwenden, welches neben Angaben zum Ausstellungsdatum (Nr 1) und Aktenzeichen der Bescheinigung (Nr 2) noch Angaben zum Antragsteller (Nr 3) und fakultativ zur Behörde enthält, die die Schutzmaßnahme ausgesetzt oder aufgehoben, ihre Vollstreckbarkeit ausgesetzt oder eingeschränkt oder die Aufhebung der Bescheinigung gem Art 9 Abs 1 lit b verfügt hat, wenn es sich um eine andere Behörde handelt als die Behörde, die diese Bescheinigung ausgestellt hat (Nr 4). Außerdem sind im Formular noch Angaben zur Behörde, die die Bescheinigung ausgestellt hat (Nr 5), sowie Informationen über die Entscheidung über die Aussetzung, Beschränkung oder Aufhebung der durch diese Bescheinigung bescheinigten Anerkennung oder Vollstreckung (Nr 6) aufzunehmen, für welche noch ein Freitextfeld für sonstige Bemerkungen zur Verfügung steht (Nr 7). Wird diese Bescheinigung von der geschützten oder der gefährdenden Person der zustän- 118 digen Behörde im ersuchten Mitgliedstaat vorgelegt, so hat diese die Wirkung der Anerkennung und gegebenenfalls die Vollstreckung der Schutzmaßnahme gem Art 14 Abs 2 auszusetzten oder aufzuheben.407 In Deutschland verweist § 22 EUGewSchVG hinsichtlich der Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung auf § 95 Abs 1 FamFG in Verbindung mit § 775 Nr 1 und 2 sowie § 776 ZPO. In Österreich ist gem § 86b Abs 2 EO das über die Anordnung oder den Exekutionsantrag entscheidende Gericht auch für die Aufhebung (Z 2) der Anerkennung oder der Vollstreckung zuständig. IX. Allgemeine und Schlussbestimmungen (Kapitel III, Art 15-22) Sämtliche Urkunden, die im Anwendungsbereich der EU-SchutzMVO in einem Mitglied- 119 staat ausgestellt werden, sind gem Art 15 von jedem Erfordernis der Legalisation oder einer entsprechenden Förmlichkeit befreit. Im Einklang mit anderen Rechtsakten bedürfen die nach der EU-SchutzMVO vorzulegenden Urkunden insbes keiner Apostille. Art 16 sieht eine Transkription oder Übersetzung der Bescheinigung in die Amtssprache des ersuchten Mitgliedstaats vor oder in eine andere Amtssprache der Organe der Europäischen Union, die dieser Mitgliedstaat der Kommission mitgeteilt hat zu akzeptieren. Sofern nicht ohnedies im Sinne von Art 5 Abs 3 eine Transkription und/oder Übersetzung der Bescheinigung unter Verwendung des mehrsprachigen Standardformulars durch die Ausstellungsbehörde auf Ersuchen (Antrag) der geschützten Person erfolgt, ist gem Art 16 Abs 2 eine solche von einer in einem der Mitgliedstaaten zur Anfertigung von Übersetzungen befugten Person vorzunehmen. Gem § 18 EUGewSchVG müssen in Deutschland Übersetzungen oder Transliterationen in deutscher Sprache abgefasst sein. Die Mitgliedstaaten werden in Art 17 sowohl zur Bereitstellung von Informationen für die Öffentlichkeit als auch zu deren Aktualisierung im Rahmen des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen408 aufgefordert. Hierzu haben die Mitgliedstaaten eine 407 408

ErwGr 33. http://ec.europa.eu/civiljustice/.

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Beschreibung der nationalen Vorschriften und Verfahren im Zusammenhang mit Schutzmaßnahmen in Zivilsachen inklusive Informationen zu der Art von (zuständigen) Behörden zu übermitteln. Das auf einen Ratsbeschluss409 zurückgehende Netz wurde von der Kommission in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten zum Zweck eines Informationsaustauschs eingerichtet. Art 18 Abs 1 hat den Mitgliedstaaten bis 11.7.2014 eine Deadline gesetzt, der Kommission die zuständigen Behörden (lit a) sowie die für Übersetzungen zulässige(n) Sprache(n) (lit b) mitzuteilen. Diese Mitteilungen werden nicht in Anhängen in die Verordnung selbst integriert, sondern von der Kommission in geeigneter Weise – insbes im digitalen Netz – veröffentlicht (Art 18 Abs 2). Zum Zeitpunkt der Drucklegung liegen die für die Öffentlichkeit bestimmten Informationen noch nicht vor.410 120 Art 19 räumt der Kommission die Kompetenz für Durchführungsrechtsakte zur Erstellung

bzw späteren Änderung der in Art 5 und Art 14 genannten Bescheinigungsformulare ein. Zu diesem Zweck wird nach Art 20 ein Ausschuss aus Vertretern der Mitgliedstaaten unter Vorsitz der Kommission eingesetzt, der im Rahmen des Prüfverfahrens gem Art 5 Durchführungsbefugnisse-VO411 nach Art 291 AEUV die Kommission unterstützt. Diese kann nach befürwortender Stellungnahme des Ausschusses mittels solcher Durchführungsrechtsakte die EU-SchutzMVO hinsichtlich der Formblätter präzisieren, was mit der Durchführungsverordnung (EU) 939/2014 schließlich erfolgt ist.412 Darüber hinaus trifft die Kommission gegenüber dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gem Art 21 bis zum 11.1.2020 eine Berichtspflicht über die Anwendung der EU-SchutzMVO samt allfälligen Änderungsvorschlägen.413 121 Die EU-SchutzMVO ist gem Art 22 am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt

(29.6.2013), somit am 19.7.2013 in Kraft getreten und gilt ab 11.1.2015 unmittelbar in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Ausnahme von Dänemark414. Die Verordnung ist auf Schutzmaßnahmen anwendbar, die am oder nach dem Tag ihrer Geltung angeordnet wurden, wobei es auf den Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens zur Erlangung einer Schutzmaßnahme gerade nicht ankommt. Für die Anerkennung und Vollstreckung vor dem

409

410

411 412

413 414

Entscheidung 2001/470/EG des Rates über die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, 28.5.2001, ABl EG 2001 L 174/25 idF Entscheidung 568/2009/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Entscheidung 2001/470/EG des Rates über die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, ABl EU 2009 L 168/35. Siehe in diesem Zusammenhang die nationalen Durchführungsbestimmungen in Deutschland in Rn 49 ff und in Österreich in Rn 53 ff. ABl EU 2011 L 55/13. Vgl Fabricius EuZW 2014, 453; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Das Recht der EU Art 291 AEUV Rn 48, 50 (EL 47); Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, EU-Kommentar3 Art 291 AEUV Rn 8 f; siehe die Durchführungsverordnung (EU) Nr 939/2014 der Kommission zur Ausstellung der Bescheinigung gemäß den Artikeln 5 und 14 der Verordnung (EU) Nr 606/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen, 2.9.2014, ABl (EU) 2014 L 263/10. Zu den Hintergründen einer internen Überprüfung siehe Rauscher/Rauscher Art 65 Brüssel IIa-VO Rn 1. ErwGr 41.

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Kapitel I: Gegenstand, Anwendungsbereich, Begriffsbestimmungen

Art 3 EU-SchutzMVO

11.1.2015 angeordneter Schutzmaßnahmen gelten weiterhin die Vorschriften der Brüssel IVO und des LGVÜ II. X. Formblätter Gem Art 19 erlässt die Kommission Durchführungsrechtsakte zur Erstellung bzw späteren 122 Änderung der Formulare zur Bescheinigung der Schutzmaßnahme gem Art 5 und zur Bescheinigung über die Aussetzung, Beschränkung oder Aufhebung der Schutzmaßnahme gem Art 14. Die Abfassung der Formblätter in allen Amtssprachen nach gleichem Muster soll das Verständnis für die verwendeten Formblätter ohne eine entsprechende Übersetzung fördern. Die Durchführungsverordnung (EU) 939/2014 der Kommission415, die gem Art 2 am 11.1. 123 2015 in Kraft tritt, enthält in Anhang I das Formular I zur Ausstellung der Bescheinigung gemäß Art 5 (Rn 102) und in Anhang II das Formular II zur Ausstellung der Bescheinigung gem Art 14 (Rn 117).

Kapitel I: Gegenstand, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen Artikel 1: Gegenstand Diese Verordnung legt Vorschriften für einen einfachen und zügigen Mechanismus zur Anerkennung von Schutzmaßnahmen fest, die in einem Mitgliedstaat in Zivilsachen angeordnet wurden. Artikel 2: Anwendungsbereich (1) Diese Verordnung gilt für Schutzmaßnahmen in Zivilsachen, die eine Ausstellungsbehörde im Sinne des Artikels 3 Nummer 4 angeordnet hat. (2) Diese Verordnung gilt für grenzüberschreitende Fälle. Für die Zwecke dieser Verordnung wird ein Fall als ein „grenzüberschreitender Fall“ angesehen, wenn die Anerkennung einer Schutzmaßnahme, die in einem Mitgliedstaat angeordnet wurde, in einem anderen Mitgliedstaat beantragt wird. (3) Diese Verordnung gilt nicht für Schutzmaßnahmen, die unter die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 fallen. Artikel 3: Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck 1. „Schutzmaßnahme“ jede von der Ausstellungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaats gemäß ihrem innerstaatlichen Recht angeordnete Entscheidung – ungeachtet ihrer Bezeichnung –, mit der der gefährdenden Person eine oder mehrere der folgenden Verpflichtungen auferlegt werden, die dem Schutz einer anderen Person dienen, wenn deren körperliche oder seelische Unversehrtheit gefährdet sein könnte: a) das Verbot oder die Regelung des Betretens bestimmter Orte, an denen die geschützte 415

ABl (EU) 2014 L 263/10.

Kathrin Binder

1259

Art 4 EU-SchutzMVO

2. 3. 4.

5. 6.

B.I.5 EU-Schutzmaßnahmenverordnung

Person wohnt, an denen sie arbeitet oder die sie regelmäßig aufsucht oder an denen sie sich regelmäßig aufhält, b) das Verbot oder die Regelung jeglicher Form des Kontakts mit der geschützten Person, auch telefonisch, auf elektronischem Weg, per Post oder Fax oder mit anderen Mitteln, c) das Verbot oder die Regelung, sich der geschützten Person mehr als bis auf eine vorgeschriebene Entfernung zu nähern, „geschützte Person“ eine natürliche Person, die Gegenstand des Schutzes ist, der durch eine Schutzmaßnahme gewährt wird, „gefährdende Person“ eine natürliche Person, der eine oder mehrere der unter Nummer 1 genannten Verpflichtungen auferlegt wurden, „Ausstellungsbehörde“ jedes Gericht oder jede andere Behörde, die ein Mitgliedstaat als für die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallenden Sachverhalte zuständig benennt, sofern diese andere Behörde den Parteien Garantien hinsichtlich der Unparteilichkeit bietet und sofern ihre Entscheidungen im Zusammenhang mit der Schutzmaßnahme nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem sie tätig ist, von einem Gericht nachgeprüft werden können und vergleichbare Wirkungen und Folgen haben wie die einer Entscheidung eines Gerichts, die denselben Gegenstand betrifft, „Ursprungsmitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, in dem die Schutzmaßnahme angeordnet wird, „ersuchter Mitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung und gegebenenfalls die Vollstreckung der Schutzmaßnahme beantragt wird.

Kapitel II: Anerkennung und Vollstreckung von Schutzmaßnahmen Artikel 4: Anerkennung und Vollstreckung (1) Eine in einem Mitgliedstaat angeordnete Schutzmaßnahme wird in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf, und ist dort vollstreckbar, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf. (2) Eine geschützte Person, die in dem ersuchten Mitgliedstaat eine in dem Ursprungsmitgliedstaat angeordnete Schutzmaßnahme geltend machen will, hat der zuständigen Behörde des ersuchten Mitgliedstaats Folgendes vorzulegen: a) eine Kopie der Schutzmaßnahme, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, b) die nach Artikel 5 im Ursprungsmitgliedstaat ausgestellte Bescheinigung und c) erforderlichenfalls eine Transkription und/oder Übersetzung der Bescheinigung gemäß Artikel 16. (3) Die Bescheinigung ist nur insoweit wirksam, als die Schutzmaßnahme vollstreckbar ist. (4) Ungeachtet dessen, ob die Schutzmaßnahme eine längere Gültigkeitsdauer hat, ist die Wirkung der Anerkennung gemäß Absatz 1 auf 12 Monate, gerechnet ab dem Tag der Ausstellung der Bescheinigung, befristet. (5) Das Verfahren für die Vollstreckung von Schutzmaßnahmen unterliegt dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats. Artikel 5: Bescheinigung (1) Die Bescheinigung wird von der Ausstellungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaats auf Ersuchen

1260

November 2014

Kapitel II: Anerkennung und Vollstreckung von Schutzmaßnahmen

Art 8 EU-SchutzMVO

der geschützten Person unter Verwendung des gemäß Artikel 19 erstellten mehrsprachigen Standardformulars mit den in Artikel 7 vorgesehenen Angaben ausgestellt. (2) Gegen die Ausstellung einer Bescheinigung ist kein Rechtsbehelf möglich. (3) Auf Ersuchen der geschützten Person stellt die Ausstellungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaats der geschützten Person unter Verwendung des gemäß Artikel 19 erstellten mehrsprachigen Standardformulars eine Transkription und/oder Übersetzung der Bescheinigung aus. Artikel 6: Voraussetzungen für die Ausstellung der Bescheinigung (1) Die Bescheinigung darf nur dann ausgestellt werden, wenn die gefährdende Person gemäß dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats von der Schutzmaßnahme in Kenntnis gesetzt worden ist. (2) Wurde die Schutzmaßnahme bei Nichteinlassung auf das Verfahren angeordnet, kann die Bescheinigung nur dann ausgestellt werden, wenn der gefährdenden Person das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück zugestellt wurde oder wenn sie gegebenenfalls auf anderem Wege gemäß dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats rechtzeitig und in einer Weise über die Einleitung des Verfahrens in Kenntnis gesetzt wurde, die es ihr erlaubt hat, Vorkehrungen für ihre Verteidigung zu treffen. (3) Wenn eine Schutzmaßnahme im Rahmen eines Verfahrens angeordnet wurde, in dem nicht vorgesehen ist, dass die gefährdende Person zuvor unterrichtet wird (Ex-parte-Verfahren), so kann die Bescheinigung nur dann ausgestellt werden, wenn diese Person das Recht hatte, gegen die betreffende Schutzmaßnahme nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats einen Rechtsbehelf einzulegen. Artikel 7: Inhalt der Bescheinigung Die Bescheinigung enthält die folgenden Informationen: a) den Namen und die Anschrift/Kontaktdaten der Ausstellungsbehörde, b) das Aktenzeichen, c) das Ausstellungsdatum der Bescheinigung, d) Angaben zu der geschützten Person: Name, Geburtsdatum und -ort, sofern verfügbar, und die für Zustellungen zu verwendende Anschrift, der eine deutlich sichtbare Warnung vorangeht, dass diese Anschrift der gefährdenden Person bekanntgegeben werden kann, e) Angaben zu der gefährdenden Person: Name, Geburtsdatum und -ort, sofern verfügbar, und die für Zustellungen zu verwendende Anschrift, f) alle für die Vollstreckung der Schutzmaßnahme erforderlichen Informationen, gegebenenfalls einschließlich der Art der Maßnahme und der Verpflichtung, die der gefährdenden Person damit auferlegt wird, und unter Angabe der Funktion des Ortes und/oder des abgegrenzten Gebiets, dem diese Person sich nicht nähern beziehungsweise das sie nicht betreten darf, g) die Dauer der Schutzmaßnahme, h) die Dauer der Wirkung der Anerkennung gemäß Artikel 4 Absatz 4, i) eine Erklärung, dass die in Artikel 6 niedergelegten Voraussetzungen erfüllt sind, j) eine Belehrung über die nach den Artikeln 9 und 13 gewährten Rechte, k) zur Erleichterung der Bezugnahme, den vollständigen Titel dieser Verordnung. Artikel 8: Zustellung der Bescheinigung an die gefährdende Person (1) Die Ausstellungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaats setzt die gefährdende Person über die Bescheinigung sowie über die Tatsache in Kenntnis, dass die Ausstellung der Bescheinigung die Anerkennung und gegebenenfalls gemäß Artikel 4 die Vollstreckbarkeit der Schutzmaßnahme in allen Mitgliedstaaten zur Folge hat. (2) Hat die gefährdende Person ihren Wohnsitz im Ursprungsmitgliedstaat, so erfolgt die Zustellung

Kathrin Binder

1261

Art 9 EU-SchutzMVO

B.I.5 EU-Schutzmaßnahmenverordnung

der Bescheinigung nach dem Recht dieses Mitgliedstaats. Hat die gefährdende Person ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Ursprungsmitgliedstaat oder in einem Drittstaat, so erfolgt die Zustellung per Einschreiben mit Rückschein oder gleichwertigem Beleg. Fälle, in denen die Anschrift der gefährdenden Person nicht bekannt ist oder in denen die gefährdende Person sich weigert, den Erhalt der Zustellung zu bestätigen, unterliegen dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats. (3) Angaben über den Aufenthaltsort und andere Kontaktdaten der geschützten Person werden der gefährdenden Person nicht mitgeteilt, es sei denn, die Mitteilung dieser Angaben ist für die Einhaltung oder die Vollstreckung der Schutzmaßnahme erforderlich. Artikel 9: Berichtigung oder Aufhebung der Bescheinigung (1) Unbeschadet des Artikels 5 Absatz 2 wird die Bescheinigung auf Ersuchen der geschützten oder der gefährdenden Person, das an die Ausstellungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaats zu richten ist, oder von dieser Behörde von Amts wegen a) berichtigt, wenn aufgrund eines Schreibfehlers eine Abweichung zwischen der Schutzmaßnahme und der Bescheinigung besteht; oder b) aufgehoben, wenn sie unter Berücksichtigung der Voraussetzungen gemäß Artikel 6 und des Anwendungsbereichs dieser Verordnung offenkundig zu Unrecht erteilt wurde. (2) Das Verfahren für die Berichtigung bzw. die Aufhebung der Bescheinigung, einschließlich eines etwaigen Rechtsbehelfs, unterliegt dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats. Artikel 10: Hilfestellung für die geschützte Person Die Ausstellungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaats ist der geschützten Person auf deren Ersuchen hin dabei behilflich, die gemäß den Artikeln 17 und 18 bereitgestellten Informationen über die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats zu erhalten, bei denen die Schutzmaßnahme geltend gemacht oder die Vollstreckung der Schutzmaßnahme beantragt werden kann. Artikel 11: Anpassung der Schutzmaßnahme (1) Die zuständige Behörde des ersuchten Mitgliedstaats passt, sofern und soweit erforderlich, die faktischen Elemente der Schutzmaßnahme an, um der Schutzmaßnahme in diesem Mitgliedstaat Wirkung zu verleihen. (2) Das Verfahren für die Anpassung der Schutzmaßnahme unterliegt dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats. (3) Die Anpassung der Schutzmaßnahme wird der gefährdenden Person mitgeteilt. (4) Hat die gefährdende Person ihren Wohnsitz im ersuchten Mitgliedstaat, so erfolgt die Mitteilung nach dem Recht dieses Mitgliedstaats. Hat die gefährdende Person ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem ersuchten Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat, so erfolgt die Mitteilung per Einschreiben mit Rückschein oder gleichwertigem Beleg. Fälle, in denen die Anschrift der gefährdenden Person nicht bekannt ist oder in denen die gefährdende Person sich weigert, den Erhalt der Mitteilung zu bestätigen, unterliegen dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats. (5) Die geschützte und die gefährdende Person können einen Rechtsbehelf gegen die Anpassung der Schutzmaßnahme einlegen. Das Rechtsbehelfsverfahren unterliegt dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats. Das Einlegen eines Rechtsbehelfs hat jedoch keine aufschiebende Wirkung. Artikel 12: Ausschluss einer Nachprüfung in der Sache Eine in dem Ursprungsmitgliedstaat angeordnete Schutzmaßnahme darf im ersuchten Mitgliedstaat keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden.

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November 2014

Kapitel III: Allgemeine und Schlussbestimmungen

Art 17 EU-SchutzMVO

Artikel 13: Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung (1) Auf Antrag der gefährdenden Person wird die Anerkennung und gegebenenfalls die Vollstreckung der Schutzmaßnahme versagt, soweit diese Anerkennung a) der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Mitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde oder b) mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die im ersuchten Mitgliedstaat ergangen oder anerkannt worden ist. (2) Der Antrag auf Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung wird bei dem Gericht des ersuchten Mitgliedstaats eingereicht, das dieser Mitgliedstaat der Kommission gemäß Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer iv mitgeteilt hat. (3) Die Anerkennung der Schutzmaßnahme darf nicht mit der Begründung versagt werden, dass im Recht des ersuchten Mitgliedstaats eine solche Maßnahme für denselben Sachverhalt nicht vorgesehen ist. Artikel 14: Aufhebung der Anerkennung oder Vollstreckung (1) Wird eine Schutzmaßnahme im Ursprungsmitgliedstaat ausgesetzt oder aufgehoben oder wird ihre Vollstreckbarkeit ausgesetzt oder beschränkt oder wird die Bescheinigung gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe b aufgehoben, so stellt die Ausstellungsbehörde des Ursprungsmitgliedstaats auf Ersuchen der geschützten oder der gefährdenden Person eine Bescheinigung über diese Aussetzung, Beschränkung oder Aufhebung unter Verwendung des gemäß Artikel 19 erstellten mehrsprachigen Standardformulars aus. (2) Nach Vorlage der gemäß Absatz 1 ausgestellten Bescheinigung durch die geschützte oder die gefährdende Person setzt die zuständige Behörde des ersuchten Mitgliedstaats die Wirkung der Anerkennung und gegebenenfalls die Vollstreckung der Schutzmaßnahme aus oder hebt sie auf.

Kapitel III: Allgemeine und Schlussbestimmungen Artikel 15: Legalisation oder ähnliche Förmlichkeiten Im Rahmen dieser Verordnung bedarf es hinsichtlich der Urkunden, die in einem Mitgliedstaat ausgestellt werden, weder der Legalisation noch einer ähnlichen Förmlichkeit. Artikel 16: Transkription oder Übersetzung (1) Eine Transkription oder Übersetzung, die im Rahmen dieser Verordnung verlangt wird, erfolgt in die Amtssprache oder in eine der Amtssprachen des ersuchten Mitgliedstaats oder in eine andere Amtssprache der Organe der Union, die dieser Mitgliedstaat angegeben hat zu akzeptieren. (2) Vorbehaltlich des Artikels 5 Absatz 3 ist eine Übersetzung nach Maßgabe dieser Verordnung von einer Person vorzunehmen, die zur Anfertigung von Übersetzungen in einem der Mitgliedstaaten befugt ist. Artikel 17: Informationen für die Öffentlichkeit Die Mitgliedstaaten übermitteln im Rahmen des durch die Entscheidung 2001/470/EG geschaffenen Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen im Hinblick auf die Bereitstellung von Informationen für die Öffentlichkeit eine Beschreibung der innerstaatlichen Vorschriften und Verfahren im Zusammenhang mit Schutzmaßnahmen in Zivilsachen, einschließlich Informationen zu

Kathrin Binder

1263

Art 18 EU-SchutzMVO

B.I.5 EU-Schutzmaßnahmenverordnung

der Art von Behörden, die für Angelegenheiten, die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen, zuständig sind. Die Mitgliedstaaten halten diese Informationen auf dem neuesten Stand. Artikel 18: Mitteilungen der Informationen durch die Mitgliedstaaten (1) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission bis zum 11. Juli 2014 die folgenden Informationen mit: a) die Art der Behörden, die für die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallenden Angelegenheiten zuständig sind, gegebenenfalls unter Angabe i) der Behörden, die dafür zuständig sind, Schutzmaßnahmen anzuordnen und Bescheinigungen gemäß Artikel 5 auszustellen, ii) der Behörden, bei denen eine in einem anderen Mitgliedstaat angeordnete Schutzmaßnahme geltend gemacht werden kann und/oder die für die Vollstreckung einer solchen Maßnahme zuständig sind, iii) der Behörden, die für die Anpassung von Schutzmaßnahmen gemäß Artikel 11 Absatz 1 zuständig sind, iv) der Gerichte, bei denen ein Antrag auf Versagung der Anerkennung und gegebenenfalls der Vollstreckung gemäß Artikel 13 einzureichen ist, b) die Sprache oder Sprachen, in der bzw. denen Übersetzungen gemäß Artikel 16 Absatz 1 zugelassen sind. (2) Die Angaben nach Absatz 1 werden von der Kommission in geeigneter Weise der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, insbesondere über die Website des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen. Artikel 19: Erstellung und spätere Änderung der Formulare Die Kommission erlässt Durchführungsrechtsakte zur Erstellung beziehungsweise späteren Änderung der in den Artikeln 5 und 14 genannten Formulare. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 20 genannten Prüfverfahren erlassen. Artikel 20: Ausschussverfahren (1) Die Kommission wird von einem Ausschuss unterstützt. Dieser Ausschuss ist ein Ausschuss im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 182/2011. (2) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gilt Artikel 5 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011. Artikel 21: Überprüfung Die Kommission unterbreitet dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss bis zum 11. Januar 2020 einen Bericht über die Anwendung dieser Verordnung. Dem Bericht werden erforderlichenfalls Vorschläge zur Änderung dieser Verordnung beigefügt. Artikel 22: Inkrafttreten Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. Sie gilt ab dem 11. Januar 2015. Diese Verordnung gilt für Schutzmaßnahmen, die am oder nach dem 11. Januar 2015 angeordnet wurden, unabhängig davon, wann das Verfahren eingeleitet worden ist.

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November 2014

Kapitel III: Allgemeine und Schlussbestimmungen

Art 22 EU-SchutzMVO

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt gemäß den Verträgen unmittelbar in den Mitgliedstaaten. Geschehen zu Straßburg am 12. Juni 2013. Im Namen des Europäischen Parlaments Der Präsident M. SCHULZ Im Namen des Rates Die Präsidentin L. CREIGHTON

Kathrin Binder

1265

B.I.5 EU-Schutzmaßnahmenverordnung

Anl I EU-SchutzMVO 3.9.2014

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 263/11

ANHANG I

1266

November 2014

Anhänge L 263/12

Anl I EU-SchutzMVO DE

Kathrin Binder

Amtsblatt der Europäischen Union

3.9.2014

1267

Anl I EU-SchutzMVO 3.9.2014

1268

DE

B.I.5 EU-Schutzmaßnahmenverordnung Amtsblatt der Europäischen Union

L 263/13

November 2014

Anhänge L 263/14

Anl I EU-SchutzMVO DE

Kathrin Binder

Amtsblatt der Europäischen Union

3.9.2014

1269

Anl I EU-SchutzMVO 3.9.2014

1270

DE

B.I.5 EU-Schutzmaßnahmenverordnung Amtsblatt der Europäischen Union

L 263/15

November 2014

Anhänge L 263/16

Anl I EU-SchutzMVO DE

Kathrin Binder

Amtsblatt der Europäischen Union

3.9.2014

1271

Anl I EU-SchutzMVO 3.9.2014

1272

DE

B.I.5 EU-Schutzmaßnahmenverordnung Amtsblatt der Europäischen Union

L 263/17

November 2014

Anhänge L 263/18

Anl II EU-SchutzMVO DE

Amtsblatt der Europäischen Union

3.9.2014

ANHANG II

Kathrin Binder

1273

Anl II EU-SchutzMVO 3.9.2014

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DE

B.I.5 EU-Schutzmaßnahmenverordnung Amtsblatt der Europäischen Union

L 263/19

November 2014

Anhänge L 263/20

Anl II EU-SchutzMVO DE

Kathrin Binder

Amtsblatt der Europäischen Union

3.9.2014

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Gesetzesanhang Gesetz zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz – IntFamRVG Verkündet in Art 1 Gesetz zum internationalen Familienrechts v 26.1.2005, BGBl 2005 I 162 Geändert durch Art 4 Abs 11 Gesetz zur Errichtung und zur Regelung der Aufgaben des Bundesamts für Justiz v 17.12.2006, BGBl 2006 I 3171 Geändert durch Art 7 Abs 8 Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft v 26.3.2007, BGBl 2007 I 358 Geändert durch Art 2 Gesetz zur Änderung des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes v 17.4.2007, BGBl 2007 I 529, 1058 Geändert durch Art 45 Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGG-RG) v 17.12.2008, BGBl 2008 I 2586 Geändert durch Art 1 Gesetz zur Änderung des Internationalen Familienrechtsverfahrensgesetzes v 25.6.2009, BGBl 2009 I 1594 Geändert durch Art 8 Gesetz über die Internetversteigerung in der Zwangsvollstreckung und die Änderung anderer Gesetze v 30.7.2009, BGBl 2009 I 2474 Geändert durch Art 26 Gesetz über die weitere Bereinigung von Bundesrecht v 8.12.2010, BGBl 2010 I 1864 Geändert durch Art 7 Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr 4/2009 und zur Neuordnung bestehender Aus- und Durchführungsbestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts v 23.5.2011, BGBl 2011 I 898 Geändert durch Art 6 Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften v 8.7.2014, BGBl 2014 I 890

Inhaltsübersicht Abschnitt 1: Anwendungsbereich; Begriffsbestimmungen §1 Anwendungsbereich §2 Begriffsbestimmungen Abschnitt 2: Zentrale Behörde; Jugendamt §3 Bestimmung der Zentralen Behörde §4 Übersetzungen bei eingehenden Ersuchen §5 Übersetzungen bei ausgehenden Ersuchen §6 Aufgabenerfüllung durch die Zentrale Behörde

Steffen Pabst

§7 §8 §9

Aufenthaltsermittlung Anrufung des Oberlandesgerichts Mitwirkung des Jugendamts an Verfahren

Abschnitt 3: Gerichtliche Zuständigkeit und Zuständigkeitskonzentration § 10 Örtliche Zuständigkeit für die Anerkennung und Vollstreckung § 11 Örtliche Zuständigkeit nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen § 12 Zuständigkeitskonzentration

1277

Gesetzesanhang

IntFamRVG § 13

Zuständigkeitskonzentration für andere Familiensachen § 13a Verfahren bei grenzüberschreitender Abgabe Abschnitt 4: Allgemeine gerichtliche Verfahrensvorschriften § 14 Familiengerichtliches Verfahren § 15 Einstweilige Anordnungen Abschnitt 5: Zulassung der Zwangsvollstreckung, Anerkennungsfeststellung und Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses Unterabschnitt 1: Zulassung der Zwangsvollstreckung im ersten Rechtszug § 16 Antragstellung § 17 Zustellungsbevollmächtigter § 18 Einseitiges Verfahren § 19 Besondere Regelungen zum Europäischen Sorgerechtsübereinkommen § 20 Entscheidung § 21 Bekanntmachung der Entscheidung § 22 Wirksamwerden der Entscheidung § 23 Vollstreckungsklausel Unterabschnitt 2: Beschwerde § 24 Einlegung der Beschwerde; Beschwerdefrist § 25 Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Anspruch § 26 Verfahren und Entscheidung über die Beschwerde § 27 Anordnung der sofortigen Wirksamkeit Unterabschnitt 3: Rechtsbeschwerde § 28 Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde § 29 Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde § 30 Verfahren und Entscheidung über die Rechtsbeschwerde § 31 Anordnung der sofortigen Wirksamkeit Unterabschnitt 4: Feststellung der Anerkennung § 32 Anerkennungsfeststellung Unterabschnitt 5: Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses § 33 Anordnung auf Herausgabe des Kindes

1278

Unterabschnitt 6: Aufhebung oder Änderung von Beschlüssen § 34 Verfahren auf Aufhebung oder Änderung § 35 Schadensersatz wegen ungerechtfertigter Vollstreckung Unterabschnitt 7: Vollstreckungsabwehrklage § 36 Vollstreckungsabwehrklage bei Titeln über Verfahrenskosten Abschnitt 6: Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen § 37 Anwendbarkeit § 38 Beschleunigtes Verfahren § 39 Übermittlung von Entscheidungen § 40 Wirksamkeit der Entscheidung; Rechtsmittel § 41 Bescheinigung über Widerrechtlichkeit § 42 Einreichung von Anträgen bei dem Amtsgericht § 43 Verfahrenskosten- und Beratungshilfe Abschnitt 7: Vollstreckung § 44 Ordnungsmittel; Vollstreckung von Amts wegen Abschnitt 8: Grenzüberschreitende Unterbringung § 45 Zuständigkeit für die Zustimmung zu einer Unterbringung § 46 Konsultationsverfahren § 47 Genehmigung des Familiengerichts Abschnitt 9: Bescheinigungen zu inländischen Entscheidungen nach der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 § 48 Ausstellung von Bescheinigungen § 49 Berichtigung von Bescheinigungen Abschnitt 10: Kosten §§ 50 bis 53 (weggefallen) § 54 Übersetzungen Abschnitt 11: Übergangsvorschriften § 55 Übergangsvorschriften zu der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 § 56 Übergangsvorschriften zum SorgerechtsübereinkommensAusführungsgesetz

Oktober 2014

Gesetzesanhang

IntFamRVG

Abschnitt 1: Anwendungsbereich; Begriffsbestimmungen § 1 Anwendungsbereich Dieses Gesetz dient 1. der Durchführung der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1347/ 2000 (ABl. EU Nr. L 338 S. 1); 2. der Ausführung des Haager Übereinkommens vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern (BGBl. 2009 II S. 602, 603) – im Folgenden: Haager Kinderschutzübereinkommen; 3. der Ausführung des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (BGBl. 1990 II S. 207) – im Folgenden: Haager Kindesentführungsübereinkommen; 4. der Ausführung des Luxemburger Europäischen Übereinkommens vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses (BGBl. 1990 II S. 220) – im Folgenden: Europäisches Sorgerechtsübereinkommen. § 2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieses Gesetzes sind „Titel“ Entscheidungen, Vereinbarungen und öffentliche Urkunden, auf welche die durchzuführende EG-Verordnung oder das jeweils auszuführende Übereinkommen Anwendung findet. Abschnitt 2: Zentrale Behörde; Jugendamt § 3 Bestimmung der Zentralen Behörde (1) Zentrale Behörde nach 1. Artikel 53 der Verordnung (EG) Nr 2201/2003, 2. Artikel 29 des Haager Kinderschutzübereinkommens, 3. Artikel 6 des Haager Kindesentführungsübereinkommens, 4. Artikel 2 des Europäischen Sorgerechtsübereinkommens ist das Bundesamt für Justiz. (2) Das Verfahren der Zentralen Behörde gilt als Justizverwaltungsverfahren. § 4 Übersetzungen bei eingehenden Ersuchen (1) Die Zentrale Behörde, bei der ein Antrag aus einem anderen Staat nach der Verordnung (EG) Nr 2201/ 2003 oder nach dem Europäischen Sorgerechtsübereinkommen eingeht, kann es ablehnen, tätig zu werden, solange Mitteilungen oder beizufügende Schriftstücke nicht in deutscher Sprache abgefasst oder von einer Übersetzung in diese Sprache begleitet sind. (2) Ist ein Schriftstück nach Artikel 54 des Haager Kinderschutzübereinkommens oder nach Artikel 24 Abs. 1 des Haager Kindesentführungsübereinkommens ausnahmsweise nicht von einer deutschen Übersetzung begleitet, so veranlasst die Zentrale Behörde die Übersetzung. § 5 Übersetzungen bei ausgehenden Ersuchen (1) Beschafft die antragstellende Person erforderliche Übersetzungen für Anträge, die in einem anderen Staat zu erledigen sind, nicht selbst, veranlasst die Zentrale Behörde die Übersetzungen auf Kosten der antragstellenden Person.

Steffen Pabst

1279

IntFamRVG

Gesetzesanhang

(2) Das Amtsgericht befreit eine antragstellende natürliche Person, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder bei Fehlen eines gewöhnlichen Aufenthalts im Inland ihren tatsächlichen Aufenthalt im Gerichtsbezirk hat, auf Antrag von der Erstattungspflicht nach Absatz 1, wenn sie die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe ohne einen eigenen Beitrag zu den Kosten nach den Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit erfüllt. § 6 Aufgabenerfüllung durch die Zentrale Behörde (1) Zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben veranlasst die Zentrale Behörde mit Hilfe der zuständigen Stellen alle erforderlichen Maßnahmen. Sie verkehrt unmittelbar mit allen zuständigen Stellen im Inund Ausland. Mitteilungen leitet sie unverzüglich an die zuständigen Stellen weiter. (2) Zum Zweck der Ausführung des Haager Kindesentführungsübereinkommens und des Europäischen Sorgerechtsübereinkommens leitet die Zentrale Behörde erforderlichenfalls gerichtliche Verfahren ein. Im Rahmen dieser Übereinkommen gilt sie zum Zweck der Rückgabe des Kindes als bevollmächtigt, im Namen der antragstellenden Person selbst oder im Weg der Untervollmacht durch Vertreter gerichtlich oder außergerichtlich tätig zu werden. Ihre Befugnis, zur Sicherung der Einhaltung der Übereinkommen im eigenen Namen entsprechend zu handeln, bleibt unberührt. § 7 Aufenthaltsermittlung (1) Die Zentrale Behörde trifft alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Einschaltung von Polizeivollzugsbehörden, um den Aufenthaltsort des Kindes zu ermitteln, wenn dieser unbekannt ist und Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich das Kind im Inland befindet. (2) Soweit zur Ermittlung des Aufenthalts des Kindes erforderlich, darf die Zentrale Behörde bei dem Kraftfahrt-Bundesamt erforderliche Halterdaten nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Straßenverkehrsgesetzes erheben und die Leistungsträger im Sinne der §§ 18 bis 29 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch um Mitteilung des derzeitigen Aufenthalts einer Person ersuchen. (3) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 kann die Zentrale Behörde die Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung durch das Bundeskriminalamt veranlassen. Sie kann auch die Speicherung eines Suchvermerks im Zentralregister veranlassen. (4) Soweit andere Stellen eingeschaltet werden, übermittelt sie ihnen die zur Durchführung der Maßnahmen erforderlichen personenbezogenen Daten; diese dürfen nur für den Zweck verwendet werden, für den sie übermittelt worden sind. § 8 Anrufung des Oberlandesgerichts (1) Nimmt die Zentrale Behörde einen Antrag nicht an oder lehnt sie es ab, tätig zu werden, so kann die Entscheidung des Oberlandesgerichts beantragt werden. (2) Zuständig ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk die Zentrale Behörde ihren Sitz hat. (3) Das Oberlandesgericht entscheidet im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. § 14 Abs. 1 und 2 sowie die Abschnitte 4 und 5 des Buches 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gelten entsprechend. § 9 Mitwirkung des Jugendamts an Verfahren (1) Unbeschadet der Aufgaben des Jugendamts bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit unterstützt das Jugendamt die Gerichte und die Zentrale Behörde bei allen Maßnahmen nach diesem Gesetz. Insbesondere 1. gibt es auf Anfrage Auskunft über die soziale Lage des Kindes und seines Umfelds, 2. unterstützt es in jeder Lage eine gütliche Einigung,

1280

Oktober 2014

Gesetzesanhang

IntFamRVG

3. leistet es in geeigneten Fällen Unterstützung bei der Durchführung des Verfahrens, auch bei der Sicherung des Aufenthalts des Kindes, 4. leistet es in geeigneten Fällen Unterstützung bei der Ausübung des Rechts zum persönlichen Umgang, der Heraus- oder Rückgabe des Kindes sowie der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen. (2) Zuständig ist das Jugendamt, in dessen Bereich sich das Kind gewöhnlich aufhält. Solange die Zentrale Behörde oder ein Gericht mit einem Herausgabe- oder Rückgabeantrag oder dessen Vollstreckung befasst ist, oder wenn das Kind keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, oder das zuständige Jugendamt nicht tätig wird, ist das Jugendamt zuständig, in dessen Bereich sich das Kind tatsächlich aufhält. In den Fällen des Artikels 35 Absatz 2 Satz 1 des Haager Kinderschutzübereinkommens ist das Jugendamt örtlich zuständig, in dessen Bezirk der antragstellende Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. (3) Das Gericht unterrichtet das zuständige Jugendamt über Entscheidungen nach diesem Gesetz auch dann, wenn das Jugendamt am Verfahren nicht beteiligt war. Abschnitt 3: Gerichtliche Zuständigkeit und Zuständigkeitskonzentration § 10 Örtliche Zuständigkeit für die Anerkennung und Vollstreckung Örtlich ausschließlich zuständig für Verfahren nach – Artikel 21 Abs. 3 und Artikel 48 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 sowie für die Zwangsvollstreckung nach den Artikeln 41 und 42 der Verordnung (EG) Nr 2201/2003, – den Artikeln 24 und 26 des Haager Kinderschutzübereinkommens, – dem Europäischen Sorgerechtsübereinkommen ist das Familiengericht, in dessen Zuständigkeitsbereich zum Zeitpunkt der Antragstellung 1. die Person, gegen die sich der Antrag richtet, oder das Kind, auf das sich die Entscheidung bezieht, sich gewöhnlich aufhält oder 2. bei Fehlen einer Zuständigkeit nach Nummer 1 das Interesse an der Feststellung hervortritt oder das Bedürfnis der Fürsorge besteht, 3. sonst das im Bezirk des Kammergerichts zur Entscheidung berufene Gericht. § 11 Örtliche Zuständigkeit nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen Örtlich zuständig für Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen ist das Familiengericht, in dessen Zuständigkeitsbereich 1. sich das Kind beim Eingang des Antrags bei der Zentralen Behörde aufgehalten hat oder 2. bei Fehlen einer Zuständigkeit nach Nummer 1 das Bedürfnis der Fürsorge besteht. § 12 Zuständigkeitskonzentration (1) In Verfahren über eine in den §§ 10 und 11 bezeichnete Sache sowie in Verfahren über die Vollstreckbarerklärung nach Artikel 28 der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 entscheidet das Familiengericht, in dessen Bezirk ein Oberlandesgericht seinen Sitz hat, für den Bezirk dieses Oberlandesgerichts. (2) Im Bezirk des Kammergerichts entscheidet das Familiengericht Pankow/Weißensee. (3) Die Landesregierungen werden ermächtigt, diese Zuständigkeit durch Rechtsverordnung einem anderen Familiengericht des Oberlandesgerichtsbezirks oder, wenn in einem Land mehrere Oberlandesgerichte errichtet sind, einem Familiengericht für die Bezirke aller oder mehrerer Oberlandesgerichte zuzuweisen. Sie können die Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. § 13 Zuständigkeitskonzentration für andere Familiensachen (1) Das Familiengericht, bei dem eine in den §§ 10 bis 12 bezeichnete Sache anhängig wird, ist von

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diesem Zeitpunkt an ungeachtet des § 137 Abs. 1 und 3 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für alle dasselbe Kind betreffenden Familiensachen nach § 151 Nr. 1 bis 3 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit einschließlich der Verfügungen nach § 44 und den §§ 35 und 89 bis 94 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständig. Die Zuständigkeit nach Satz 1 tritt nicht ein, wenn der Antrag offensichtlich unzulässig ist. Sie entfällt, sobald das angegangene Gericht auf Grund unanfechtbarer Entscheidung unzuständig ist; Verfahren, für die dieses Gericht hiernach seine Zuständigkeit verliert, sind nach näherer Maßgabe des § 281 Abs. 2 und 3 Satz 1 der Zivilprozessordnung von Amts wegen an das zuständige Gericht abzugeben. (2) Bei dem Familiengericht, das in dem Oberlandesgerichtsbezirk, in dem sich das Kind gewöhnlich aufhält, für Anträge der in Absatz 1 Satz 1 genannten Art zuständig ist, kann auch eine andere Familiensache nach § 151 Nr. 1 bis 3 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit anhängig gemacht werden, wenn ein Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Haager Kinderschutzübereinkommens, des Haager Kindesentführungsübereinkommens oder des Europäischen Sorgerechtsübereinkommens hat. (3) Im Falle des Absatzes 1 Satz 1 hat ein anderes Familiengericht, bei dem eine dasselbe Kind betreffende Familiensache nach § 151 Nr. 1 bis 3 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit im ersten Rechtszug anhängig ist oder anhängig wird, dieses Verfahren von Amts wegen an das nach Absatz 1 Satz 1 zuständige Gericht abzugeben. Auf übereinstimmenden Antrag beider Elternteile sind andere Familiensachen, an denen diese beteiligt sind, an das nach Absatz 1 oder Absatz 2 zuständige Gericht abzugeben. § 281 Abs. 2 Satz 1 bis 3 und Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. (4) Das Familiengericht, das gemäß Absatz 1 oder Absatz 2 zuständig oder an das die Sache gemäß Absatz 3 abgegeben worden ist, kann diese aus wichtigen Gründen an das nach den allgemeinen Vorschriften zuständige Familiengericht abgeben oder zurückgeben, soweit dies nicht zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens führt. Als wichtiger Grund ist es in der Regel anzusehen, wenn die besondere Sachkunde des erstgenannten Gerichts für das Verfahren nicht oder nicht mehr benötigt wird. § 281 Abs. 2 und 3 Satz 1 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Die Ablehnung einer Abgabe nach Satz 1 ist unanfechtbar. (5) §§ 4 und 5 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 und 3 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit bleiben unberührt. § 13a Verfahren bei grenzüberschreitender Abgabe (1) Ersucht das Familiengericht das Gericht eines anderen Vertragsstaats nach Artikel 8 des Haager Kinderschutzübereinkommens um Übernahme der Zuständigkeit, so setzt es eine Frist, innerhalb derer das ausländische Gericht die Übernahme der Zuständigkeit mitteilen kann. Setzt das Familiengericht das Verfahren nach Artikel 8 des Haager Kinderschutzübereinkommens aus, setzt es den Parteien eine Frist, innerhalb derer das ausländische Gericht anzurufen ist. Ist die Frist nach Satz 1 abgelaufen, ohne dass das ausländische Gericht die Übernahme der Zuständigkeit mitgeteilt hat, so ist in der Regel davon auszugehen, dass das ersuchte Gericht die Übernahme der Zuständigkeit ablehnt. Ist die Frist nach Satz 2 abgelaufen, ohne dass eine Partei das ausländische Gericht angerufen hat, bleibt es bei der Zuständigkeit des Familiengerichts. Das Gericht des ersuchten Staates und die Parteien sind auf diese Rechtsfolgen hinzuweisen. (2) Ersucht ein Gericht eines anderen Vertragsstaats das Familiengericht nach Artikel 8 des Haager Kinderschutzübereinkommens um Übernahme der Zuständigkeit oder ruft eine Partei das Familienge-

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richt nach dieser Vorschrift an, so kann das Familiengericht die Zuständigkeit innerhalb von 6 Wochen übernehmen. (3) Die Absätze 1 und 2 sind auf Anträge, Ersuchen und Entscheidungen nach Artikel 9 des Haager Kinderschutzübereinkommens entsprechend anzuwenden. (4) Der Beschluss des Familiengerichts 1. das ausländische Gericht nach Absatz 1 Satz 1 oder nach Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 um Übernahme der Zuständigkeit zu ersuchen, 2. das Verfahren nach Absatz 1 Satz 2 oder nach Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 auszusetzen, 3. das zuständige ausländische Gericht nach Artikel 9 des Kinderschutzübereinkommens oder nach Artikel 15 Absatz 2 Buchstabe c der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 um Abgabe der Zuständigkeit zu ersuchen, 4. die Parteien einzuladen, bei dem zuständigen ausländischen Gericht nach Artikel 9 des Haager Kinderschutzübereinkommens die Abgabe der Zuständigkeit an das Familiengericht zu beantragen, oder 5. die Zuständigkeit auf Ersuchen eines ausländischen Gerichts oder auf Antrag der Parteien nach Artikel 9 des Haager Kinderschutzübereinkommens an das ausländische Gericht abzugeben, ist mit der sofortigen Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572 der Zivilprozessordnung anfechtbar. Die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen. Die in Satz 1 genannten Beschlüsse werden erst mit ihrer Rechtskraft wirksam. Hierauf ist in dem Beschluss hinzuweisen. (5) Im Übrigen sind Beschlüsse nach den Artikeln 8 und 9 des Haager Kinderschutzübereinkommens und nach Artikel 15 der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 unanfechtbar. (6) Parteien im Sinne dieser Vorschrift sowie der Artikel 8 und 9 des Haager Kinderschutzübereinkommens und des Artikels 15 der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 sind die in § 7 Absatz 1 und 2 Nummer 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit genannten Beteiligten. Die Vorschriften über die Hinzuziehung weiterer Beteiligter bleiben unberührt. Abschnitt 4: Allgemeine gerichtliche Verfahrensvorschriften § 14 Familiengerichtliches Verfahren Soweit nicht anders bestimmt, entscheidet das Familiengericht 1. über eine in den §§ 10 und 12 bezeichnete Ehesache nach den hierfür geltenden Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, 2. über die übrigen in den §§ 10, 11, 12 und 47 bezeichneten Angelegenheiten als Familiensachen im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. § 15 Einstweilige Anordnungen Das Gericht kann auf Antrag oder von Amts wegen einstweilige Anordnungen treffen, um Gefahren von dem Kind abzuwenden oder eine Beeinträchtigung der Interessen der Beteiligten zu vermeiden, insbesondere um den Aufenthaltsort des Kindes während des Verfahrens zu sichern oder eine Vereitelung oder Erschwerung der Rückgabe zu verhindern; Abschnitt 4 des Buches 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gilt entsprechend.

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Abschnitt 5: Zulassung der Zwangsvollstreckung, Anerkennungsfeststellung und Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses Unterabschnitt 1: Zulassung der Zwangsvollstreckung im ersten Rechtszug § 16 Antragstellung (1) Mit Ausnahme der in den Artikeln 41 und 42 der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 aufgeführten Titel wird der in einem anderen Staat vollstreckbare Titel dadurch zur Zwangsvollstreckung zugelassen, dass er auf Antrag mit der Vollstreckungsklausel versehen wird. (2) Der Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel kann bei dem zuständigen Familiengericht schriftlich eingereicht oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. (3) Ist der Antrag entgegen § 184 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht in deutscher Sprache abgefasst, so kann das Gericht der antragstellenden Person aufgeben, eine Übersetzung des Antrags beizubringen, deren Richtigkeit von einer 1. in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder 2. in einem anderen Vertragsstaat eines auszuführenden Übereinkommens hierzu befugten Person bestätigt worden ist. § 17 Zustellungsbevollmächtigter (1) Hat die antragstellende Person in dem Antrag keinen Zustellungsbevollmächtigten im Sinne des § 184 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung benannt, so können bis zur nachträglichen Benennung alle Zustellungen an sie durch Aufgabe zur Post (§ 184 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 der Zivilprozessordnung) bewirkt werden. (2) Absatz 1 gilt nicht, wenn die antragstellende Person einen Verfahrensbevollmächtigten für das Verfahren bestellt hat, an den im Inland zugestellt werden kann. § 18 Einseitiges Verfahren (1) Im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 und des Haager Kinderschutzübereinkommens erhält im erstinstanzlichen Verfahren auf Zulassung der Zwangsvollstreckung nur die antragstellende Person Gelegenheit, sich zu äußern. Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung. Jedoch kann eine mündliche Erörterung mit der antragstellenden oder einer von ihr bevollmächtigten Person stattfinden, wenn diese hiermit einverstanden ist und die Erörterung der Beschleunigung dient. (2) Abweichend von § 114 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist in Ehesachen im ersten Rechtszug eine anwaltliche Vertretung nicht erforderlich. § 19 Besondere Regelungen zum Europäischen Sorgerechtsübereinkommen Die Vollstreckbarerklärung eines Titels aus einem anderen Vertragsstaat des Europäischen Sorgerechtsübereinkommens ist auch in den Fällen der Artikel 8 und 9 des Übereinkommens ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen des Artikels 10 Abs. 1 Buchstabe a oder b des Übereinkommens vorliegen, insbesondere wenn die Wirkungen des Titels mit den Grundrechten des Kindes oder eines Sorgeberechtigten unvereinbar wären. § 20 Entscheidung (1) Ist die Zwangsvollstreckung aus dem Titel zuzulassen, so beschließt das Gericht, dass der Titel mit der Vollstreckungsklausel zu versehen ist. In dem Beschluss ist die zu vollstreckende Verpflichtung in deutscher Sprache wiederzugeben. Zur Begründung des Beschlusses genügt in der Regel die Bezug-

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nahme auf die Verordnung (EG) Nr 2201/2003 oder den auszuführenden Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag sowie auf die von der antragstellenden Person vorgelegten Urkunden. (2) Auf die Kosten des Verfahrens ist § 81 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend anzuwenden; in Ehesachen gilt § 788 der Zivilprozessordnung entsprechend. (3) Ist der Antrag nicht zulässig oder nicht begründet, so lehnt ihn das Gericht durch mit Gründen versehenen Beschluss ab. Für die Kosten gilt Absatz 2; in Ehesachen sind die Kosten dem Antragsteller aufzuerlegen. § 21 Bekanntmachung der Entscheidung (1) Im Falle des § 20 Abs. 1 sind der verpflichteten Person eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses, eine beglaubigte Abschrift des noch nicht mit der Vollstreckungsklausel versehenen Titels und gegebenenfalls seiner Übersetzung sowie der gemäß § 20 Abs. 1 Satz 3 in Bezug genommenen Urkunden von Amts wegen zuzustellen. Ein Beschluss nach § 20 Abs. 3 ist der verpflichteten Person formlos mitzuteilen. (2) Der antragstellenden Person sind eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses nach § 20, im Falle des § 20 Abs. 1 ferner eine Bescheinigung über die bewirkte Zustellung zu übersenden. Die mit der Vollstreckungsklausel versehene Ausfertigung des Titels ist der antragstellenden Person erst dann zu übersenden, wenn der Beschluss nach § 20 Abs. 1 wirksam geworden und die Vollstreckungsklausel erteilt ist. (3) In einem Verfahren, das die Vollstreckbarerklärung einer die elterliche Verantwortung betreffenden Entscheidung zum Gegenstand hat, sind Zustellungen auch an den gesetzlichen Vertreter des Kindes, an den Vertreter des Kindes im Verfahren, an das Kind selbst, soweit es das 14. Lebensjahr vollendet hat, an einen Elternteil, der nicht am Verfahren beteiligt war, sowie an das Jugendamt zu bewirken. (4) Handelt es sich bei der für vollstreckbar erklärten Maßnahme um eine Unterbringung, so ist der Beschluss auch dem Leiter der Einrichtung oder der Pflegefamilie bekannt zu machen, in der das Kind untergebracht werden soll. § 22 Wirksamwerden der Entscheidung (1) Der Beschluss nach § 20 wird erst mit seiner Rechtskraft wirksam. Hierauf ist in dem Beschluss hinzuweisen. (2) Absatz 1 gilt nicht für den Beschluss, mit dem eine Entscheidung über die freiheitsentziehende Unterbringung eines Kindes nach Artikel 56 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 für vollstreckbar erklärt wird. In diesem Fall hat das Gericht die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses anzuordnen. § 324 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und Satz 3 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gilt entsprechend. § 23 Vollstreckungsklausel (1) Auf Grund eines wirksamen Beschlusses nach § 20 Abs. 1 erteilt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Vollstreckungsklausel in folgender Form: „Vollstreckungsklausel nach § 23 des Internationalen Familienrechtsverfahrensgesetzes vom 26. Januar 2005 (BGBl. I S. 162). Gemäß dem Beschluss des … (Bezeichnung des Gerichts und des Beschlusses) ist die Zwangsvollstreckung aus … (Bezeichnung des Titels) zugunsten … (Bezeichnung der berechtigten Person) gegen … (Bezeichnung der verpflichteten Person) zulässig. Die zu vollstreckende Verpflichtung lautet: … (Angabe der aus dem ausländischen Titel der verpflichteten Person obliegenden Verpflichtung in deutscher Sprache; aus dem Beschluss nach § 20 Abs. 1 zu übernehmen).“ (2) Wird die Zwangsvollstreckung nur für einen oder mehrere der durch den ausländischen Titel zuerkannten oder in einem anderen ausländischen Titel niedergelegten Ansprüche oder nur für einen Teil

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des Gegenstands der Verpflichtung zugelassen, so ist die Vollstreckungsklausel als „Teil-Vollstreckungsklausel nach § 23 des Internationalen Familienrechtsverfahrensgesetzes vom 26. Januar 2005 (BGBl. I S. 162)“ zu bezeichnen. (3) Die Vollstreckungsklausel ist von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben und mit dem Gerichtssiegel zu versehen. Sie ist entweder auf die Ausfertigung des Titels oder auf ein damit zu verbindendes Blatt zu setzen. Falls eine Übersetzung des Titels vorliegt, ist sie mit der Ausfertigung zu verbinden. Unterabschnitt 2: Beschwerde § 24 Einlegung der Beschwerde; Beschwerdefrist (1) Gegen die im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung findet die Beschwerde zum Oberlandesgericht statt. Die Beschwerde wird bei dem Oberlandesgericht durch Einreichen einer Beschwerdeschrift oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt. (2) Die Zulässigkeit der Beschwerde wird nicht dadurch berührt, dass sie statt bei dem Oberlandesgericht bei dem Gericht des ersten Rechtszugs eingelegt wird; die Beschwerde ist unverzüglich von Amts wegen an das Oberlandesgericht abzugeben. (3) Die Beschwerde gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung ist einzulegen 1. innerhalb eines Monats nach Zustellung, wenn die beschwerdeberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat; 2. innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung, wenn die beschwerdeberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat. Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Vollstreckbarerklärung der beschwerdeberechtigten Person entweder persönlich oder in ihrer Wohnung zugestellt worden ist. Eine Verlängerung dieser Frist wegen weiter Entfernung ist ausgeschlossen. (4) Die Beschwerdefrist ist eine Notfrist. (5) Die Beschwerde ist dem Beschwerdegegner von Amts wegen zuzustellen. (6) Im Fall des § 22 Absatz 2 kann das Beschwerdegericht durch Beschluss die Vollstreckung des angefochtenen Beschlusses einstweilen einstellen. § 25 Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Anspruch Die verpflichtete Person kann mit der Beschwerde gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einem Titel über die Erstattung von Verfahrenskosten auch Einwendungen gegen den Anspruch selbst insoweit geltend machen, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach Erlass des Titels entstanden sind. § 26 Verfahren und Entscheidung über die Beschwerde (1) Der Senat des Oberlandesgerichts entscheidet durch Beschluss, der mit Gründen zu versehen ist und ohne mündliche Verhandlung ergehen kann. (2) Solange eine mündliche Verhandlung nicht angeordnet ist, können zu Protokoll der Geschäftsstelle Anträge gestellt und Erklärungen abgegeben werden. Wird in einer Ehesache die mündliche Verhandlung angeordnet, so gilt für die Ladung § 215 der Zivilprozessordnung. (3) Eine vollständige Ausfertigung des Beschlusses ist den Beteiligten auch dann von Amts wegen zuzustellen, wenn der Beschluss verkündet worden ist. (4) § 20 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3, § 21 Abs. 1, 2 und 4 sowie § 23 gelten entsprechend. § 27 Anordnung der sofortigen Wirksamkeit (1) Der Beschluss des Oberlandesgerichts nach § 26 wird erst mit seiner Rechtskraft wirksam. Hierauf ist in dem Beschluss hinzuweisen.

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(2) Das Oberlandesgericht kann in Verbindung mit der Entscheidung über die Beschwerde die sofortige Wirksamkeit eines Beschlusses anordnen. Unterabschnitt 3: Rechtsbeschwerde § 28 Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde Gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts findet die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof nach Maßgabe des § 574 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 der Zivilprozessordnung statt. § 29 Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde § 575 Abs. 1 bis 4 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden. Soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Oberlandesgericht von einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften abgewichen sei, muss die Entscheidung, von der der angefochtene Beschluss abweicht, bezeichnet werden. § 30 Verfahren und Entscheidung über die Rechtsbeschwerde (1) Der Bundesgerichtshof kann nur überprüfen, ob der Beschluss auf einer Verletzung des Rechts der Europäischen Gemeinschaft, eines Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrags, sonstigen Bundesrechts oder einer anderen Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus erstreckt. Er darf nicht prüfen, ob das Gericht seine örtliche Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. (2) Der Bundesgerichtshof kann über die Rechtsbeschwerde ohne mündliche Verhandlung entscheiden. § 574 Abs. 4, § 576 Abs. 3 und § 577 der Zivilprozessordnung sind entsprechend anzuwenden; in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit bleiben § 574 Abs. 4 und § 577 Abs. 2 Satz 1 bis 3 der Zivilprozessordnung sowie die Verweisung auf § 556 in § 576 Abs. 3 der Zivilprozessordnung außer Betracht. (3) § 20 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3, § 21 Abs. 1, 2 und 4 sowie § 23 gelten entsprechend. § 31 Anordnung der sofortigen Wirksamkeit Der Bundesgerichtshof kann auf Antrag der verpflichteten Person eine Anordnung nach § 27 Abs. 2 aufheben oder auf Antrag der berechtigten Person erstmals eine Anordnung nach § 27 Abs. 2 treffen. Unterabschnitt 4: Feststellung der Anerkennung § 32 Anerkennungsfeststellung Auf das Verfahren über einen gesonderten Feststellungsantrag nach Artikel 21 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr 2201/2003, nach Artikel 24 des Haager Kinderschutzübereinkommens oder nach dem Europäischen Sorgerechtsübereinkommen, einen Titel aus einem anderen Staat anzuerkennen oder nicht anzuerkennen, sind die Unterabschnitte 1 bis 3 entsprechend anzuwenden. § 18 Absatz 1 Satz 1 ist nicht anzuwenden, wenn die antragstellende Person die Feststellung begehrt, dass ein Titel aus einem anderen Staat nicht anzuerkennen ist. § 18 Absatz 1 Satz 3 ist in diesem Falle mit der Maßgabe anzuwenden, dass die mündliche Erörterung auch mit weiteren Beteiligten stattfinden kann. Unterabschnitt 5: Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses § 33 Anordnung auf Herausgabe des Kindes (1) Umfasst ein vollstreckungsfähiger Titel im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr 2201/2003, des Haager Kinderschutzübereinkommens oder des Europäischen Sorgerechtsübereinkommens

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nach dem Recht des Staates, in dem er geschaffen wurde, das Recht auf Herausgabe des Kindes, so kann das Familiengericht die Herausgabeanordnung in der Vollstreckungsklausel oder in einer nach § 44 getroffenen Anordnung klarstellend aufnehmen. (2) Liegt im Anwendungsbereich des Europäischen Sorgerechtsübereinkommens ein vollstreckungsfähiger Titel auf Herausgabe des Kindes nicht vor, so stellt das Gericht nach § 32 fest, dass die Sorgerechtsentscheidung oder die von der zuständigen Behörde genehmigte Sorgerechtsvereinbarung aus dem anderen Vertragsstaat anzuerkennen ist, und ordnet zur Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses auf Antrag an, dass die verpflichtete Person das Kind herauszugeben hat. Unterabschnitt 6: Aufhebung oder Änderung von Beschlüssen § 34 Verfahren auf Aufhebung oder Änderung (1) Wird der Titel in dem Staat, in dem er errichtet worden ist, aufgehoben oder abgeändert und kann die verpflichtete Person diese Tatsache in dem Verfahren der Zulassung der Zwangsvollstreckung nicht mehr geltend machen, so kann sie die Aufhebung oder Änderung der Zulassung in einem besonderen Verfahren beantragen. Das Gleiche gilt für den Fall der Aufhebung oder Änderung von Entscheidungen, Vereinbarungen oder öffentlichen Urkunden, deren Anerkennung festgestellt ist. (2) Für die Entscheidung über den Antrag ist das Familiengericht ausschließlich zuständig, das im ersten Rechtszug über den Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel oder auf Feststellung der Anerkennung entschieden hat. (3) Der Antrag kann bei dem Gericht schriftlich oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle gestellt werden. Die Entscheidung ergeht durch Beschluss. (4) Auf die Beschwerde finden die Unterabschnitte 2 und 3 entsprechend Anwendung. (5) Im Falle eines Titels über die Erstattung von Verfahrenskosten sind für die Einstellung der Zwangsvollstreckung und die Aufhebung bereits getroffener Vollstreckungsmaßregeln die §§ 769 und 770 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Die Aufhebung einer Vollstreckungsmaßregel ist auch ohne Sicherheitsleistung zulässig. § 35 Schadensersatz wegen ungerechtfertigter Vollstreckung (1) Wird die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einem Titel über die Erstattung von Verfahrenskosten auf die Rechtsbeschwerde aufgehoben oder abgeändert, so ist die berechtigte Person zum Ersatz des Schadens verpflichtet, welcher der verpflichteten Person durch die Vollstreckung des Titels oder durch eine Leistung zur Abwendung der Vollstreckung entstanden ist. Das Gleiche gilt, wenn die Zulassung der Zwangsvollstreckung nach § 34 aufgehoben oder abgeändert wird, sofern der zur Zwangsvollstreckung zugelassene Titel zum Zeitpunkt der Zulassung nach dem Recht des Staates, in dem er ergangen ist, noch mit einem ordentlichen Rechtsbehelf angefochten werden konnte. (2) Für die Geltendmachung des Anspruchs ist das Gericht ausschließlich zuständig, das im ersten Rechtszug über den Antrag, den Titel mit der Vollstreckungsklausel zu versehen, entschieden hat. Unterabschnitt 7: Vollstreckungsabwehrklage § 36 Vollstreckungsabwehrklage bei Titeln über Verfahrenskosten (1) Ist die Zwangsvollstreckung aus einem Titel über die Erstattung von Verfahrenskosten zugelassen, so kann die verpflichtete Person Einwendungen gegen den Anspruch selbst in einem Verfahren nach § 767 der Zivilprozessordnung nur geltend machen, wenn die Gründe, auf denen ihre Einwendungen beruhen, erst 1. nach Ablauf der Frist, innerhalb deren sie die Beschwerde hätte einlegen können, oder 2. falls die Beschwerde eingelegt worden ist, nach Beendigung dieses Verfahrens entstanden sind.

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(2) Die Klage nach § 767 der Zivilprozessordnung ist bei dem Gericht zu erheben, das über den Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel entschieden hat. Abschnitt 6: Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen § 37 Anwendbarkeit Kommt im Einzelfall die Rückgabe des Kindes nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen und dem Europäischen Sorgerechtsübereinkommen in Betracht, so sind zunächst die Bestimmungen des Haager Kindesentführungsübereinkommens anzuwenden, sofern die antragstellende Person nicht ausdrücklich die Anwendung des Europäischen Sorgerechtsübereinkommens begehrt. § 38 Beschleunigtes Verfahren (1) Das Gericht hat das Verfahren auf Rückgabe eines Kindes in allen Rechtszügen vorrangig zu behandeln. Mit Ausnahme von Artikel 12 Abs. 3 des Haager Kindesentführungsübereinkommens findet eine Aussetzung des Verfahrens nicht statt. Das Gericht hat alle erforderlichen Maßnahmen zur Beschleunigung des Verfahrens zu treffen, insbesondere auch damit die Entscheidung in der Hauptsache binnen der in Artikel 11 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 genannten Frist ergehen kann. (2) Das Gericht prüft in jeder Lage des Verfahrens, ob das Recht zum persönlichen Umgang mit dem Kind gewährleistet werden kann. (3) Die Beteiligten haben an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, wie es einem auf Förderung und Beschleunigung des Verfahrens bedachten Vorgehen entspricht. § 39 Übermittlung von Entscheidungen Wird eine inländische Entscheidung nach Artikel 11 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 unmittelbar dem zuständigen Gericht oder der Zentralen Behörde im Ausland übermittelt, ist der Zentralen Behörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach Artikel 7 des Haager Kindesentführungsübereinkommens eine Abschrift zu übersenden. § 40 Wirksamkeit der Entscheidung; Rechtsmittel (1) Eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes in einen anderen Vertragsstaat verpflichtet, wird erst mit deren Rechtskraft wirksam. (2) Gegen eine im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung findet die Beschwerde zum Oberlandesgericht nach Unterabschnitt 1 des Abschnitts 5 des Buches 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit statt; § 65 Abs. 2, § 68 Abs. 4 sowie § 69 Abs. 1 Satz 2 bis 4 jenes Gesetzes sind nicht anzuwenden. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen einzulegen und zu begründen. Die Beschwerde gegen eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes verpflichtet, steht nur dem Antragsgegner, dem Kind, soweit es das 14. Lebensjahr vollendet hat, und dem beteiligten Jugendamt zu. Eine Beschwerde findet nicht statt. (3) Das Beschwerdegericht hat nach Eingang der Beschwerdeschrift unverzüglich zu prüfen, ob die sofortige Wirksamkeit der angefochtenen Entscheidung über die Rückgabe des Kindes anzuordnen ist. Die sofortige Wirksamkeit soll angeordnet werden, wenn die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist oder die Rückgabe des Kindes vor der Entscheidung über die Beschwerde unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Beteiligten mit dem Wohl des Kindes zu vereinbaren ist. Die Entscheidung über die sofortige Wirksamkeit kann während des Beschwerdeverfahrens abgeändert werden.

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§ 41 Bescheinigung über Widerrechtlichkeit Über einen Antrag, die Widerrechtlichkeit des Verbringens oder des Zurückhaltens eines Kindes nach Artikel 15 Satz 1 des Haager Kindesentführungsübereinkommens festzustellen, entscheidet das Familiengericht, 1. bei dem die Sorgerechtsangelegenheit oder Ehesache im ersten Rechtszug anhängig ist oder war, sonst 2. in dessen Bezirk das Kind seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hatte, hilfsweise 3. in dessen Bezirk das Bedürfnis der Fürsorge auftritt. Die Entscheidung ist zu begründen. § 42 Einreichung von Anträgen bei dem Amtsgericht (1) Ein Antrag, der in einem anderen Vertragsstaat zu erledigen ist, kann auch bei dem Amtsgericht als Justizverwaltungsbehörde eingereicht werden, in dessen Bezirk die antragstellende Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder, mangels eines solchen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, ihren tatsächlichen Aufenthalt hat. Das Gericht übermittelt den Antrag nach Prüfung der förmlichen Voraussetzungen unverzüglich der Zentralen Behörde, die ihn an den anderen Vertragsstaat weiterleitet. (2) Für die Tätigkeit des Amtsgerichts und der Zentralen Behörde bei der Entgegennahme und Weiterleitung von Anträgen werden mit Ausnahme der Fälle nach § 5 Abs. 1 Kosten nicht erhoben. § 43 Verfahrenskosten- und Beratungshilfe Abweichend von Artikel 26 Abs. 2 des Haager Kindesentführungsübereinkommens findet eine Befreiung von gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten bei Verfahren nach diesem Übereinkommen nur nach Maßgabe der Vorschriften über die Beratungshilfe und Verfahrenskostenhilfe statt. Abschnitt 7: Vollstreckung § 44 Ordnungsmittel; Vollstreckung von Amts wegen (1) Bei Zuwiderhandlung gegen einen im Inland zu vollstreckenden Titel nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr 2201/2003, nach dem Haager Kinderschutzübereinkommen, dem Haager Kindesentführungsübereinkommen oder dem Europäischen Sorgerechtsübereinkommen, der auf Herausgabe von Personen oder die Regelung des Umgangs gerichtet ist, soll das Gericht Ordnungsgeld und für den Fall, dass dies nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft anordnen. Verspricht die Anordnung eines Ordnungsgeldes keinen Erfolg, soll das Gericht Ordnungshaft anordnen. (2) Für die Vollstreckung eines in Absatz 1 genannten Titels ist das Oberlandesgericht zuständig, sofern es die Anordnung für vollstreckbar erklärt, erlassen oder bestätigt hat. (3) Ist ein Kind heraus- oder zurückzugeben, so hat das Gericht die Vollstreckung von Amts wegen durchzuführen, es sei denn, die Anordnung ist auf Herausgabe des Kindes zum Zweck des Umgangs gerichtet. Auf Antrag der berechtigten Person soll das Gericht hiervon absehen. Abschnitt 8: Grenzüberschreitende Unterbringung § 45 Zuständigkeit für die Zustimmung zu einer Unterbringung Zuständig für die Erteilung der Zustimmung zu einer Unterbringung eines Kindes nach Artikel 56 der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 oder nach Artikel 33 des Haager Kinderschutzübereinkommens im Inland ist der überörtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe, in dessen Bereich das Kind nach dem Vorschlag der ersuchenden Stelle untergebracht werden soll, andernfalls der überörtliche Träger, zu dessen Bereich die Zentrale Behörde den engsten Bezug festgestellt hat. Hilfsweise ist das Land Berlin zuständig.

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§ 46 Konsultationsverfahren (1) Dem Ersuchen soll in der Regel zugestimmt werden, wenn 1. die Durchführung der beabsichtigten Unterbringung im Inland dem Wohl des Kindes entspricht, insbesondere weil es eine besondere Bindung zum Inland hat, 2. die ausländische Stelle einen Bericht und, soweit erforderlich, ärztliche Zeugnisse oder Gutachten vorgelegt hat, aus denen sich die Gründe der beabsichtigten Unterbringung ergeben, 3. das Kind im ausländischen Verfahren angehört wurde, sofern eine Anhörung nicht auf Grund des Alters oder des Reifegrades des Kindes unangebracht erschien, 4. die Zustimmung der geeigneten Einrichtung oder Pflegefamilie vorliegt und der Vermittlung des Kindes dorthin keine Gründe entgegenstehen, 5. eine erforderliche ausländerrechtliche Genehmigung erteilt oder zugesagt wurde, 6. die Übernahme der Kosten geregelt ist. (2) Im Falle einer Unterbringung, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, ist das Ersuchen ungeachtet der Voraussetzungen des Absatzes 1 abzulehnen, wenn 1. im ersuchenden Staat über die Unterbringung kein Gericht entscheidet oder 2. bei Zugrundelegung des mitgeteilten Sachverhalts nach innerstaatlichem Recht eine Unterbringung, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nicht zulässig wäre. (3) Die ausländische Stelle kann um ergänzende Informationen ersucht werden. (4) Wird um die Unterbringung eines ausländischen Kindes ersucht, ist die Stellungnahme der Ausländerbehörde einzuholen. (5) Die zu begründende Entscheidung ist auch der Zentralen Behörde und der Einrichtung oder der Pflegefamilie, in der das Kind untergebracht werden soll, mitzuteilen. Sie ist unanfechtbar. § 47 Genehmigung des Familiengerichts (1) Die Zustimmung des überörtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe nach den §§ 45 und 46 ist nur mit Genehmigung des Familiengerichts zulässig. Das Gericht soll die Genehmigung in der Regel erteilen, wenn 1. die in § 46 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 bezeichneten Voraussetzungen vorliegen und 2. kein Hindernis für die Anerkennung der beabsichtigten Unterbringung erkennbar ist. § 46 Abs. 2 und 3 gilt entsprechend. (2) Örtlich zuständig ist das Familiengericht am Sitz des Oberlandesgerichts, in dessen Zuständigkeitsbereich das Kind untergebracht werden soll, für den Bezirk dieses Oberlandesgerichts. § 12 Abs. 2 und 3 gilt entsprechend. (3) Der zu begründende Beschluss ist unanfechtbar. Abschnitt 9: Bescheinigungen zu inländischen Entscheidungen nach der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 § 48 Ausstellung von Bescheinigungen (1) Die Bescheinigung nach Artikel 39 der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 wird von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszugs und, wenn das Verfahren bei einem höheren Gericht anhängig ist, von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle dieses Gerichts ausgestellt. (2) Die Bescheinigung nach den Artikeln 41 und 42 der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 wird beim Gericht des ersten Rechtszugs von dem Familienrichter, in Verfahren vor dem Oberlandesgericht oder dem Bundesgerichtshof von dem Vorsitzenden des Senats für Familiensachen ausgestellt.

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§ 49 Berichtigung von Bescheinigungen Für die Berichtigung der Bescheinigung nach Artikel 43 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 gilt § 319 der Zivilprozessordnung entsprechend. Abschnitt 10: Kosten §§ 50 bis 53 (aufgehoben) § 54 Übersetzungen Die Höhe der Vergütung für die von der Zentralen Behörde veranlassten Übersetzungen richtet sich nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz. Abschnitt 11: Übergangsvorschriften § 55 Übergangsvorschriften zu der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 Dieses Gesetz findet sinngemäß auch auf Verfahren nach der Verordnung (EG) Nr 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (ABl. EG Nr. L 160 S. 19) mit folgender Maßgabe Anwendung: Ist ein Beschluss nach § 21 an die verpflichtete Person in einem weder der Europäischen Union noch dem Übereinkommen vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1994 II S. 2658) angehörenden Staat zuzustellen und hat das Familiengericht eine Beschwerdefrist nach § 10 Abs. 2 und § 50 Abs. 2 Satz 4 und 5 des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes bestimmt, so ist die Beschwerde der verpflichteten Person gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung innerhalb der vom Gericht bestimmten Frist einzulegen. § 56 Übergangsvorschriften zum Sorgerechtsübereinkommens-Ausführungsgesetz Für Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen und dem Europäischen Sorgerechtsübereinkommen, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes eingeleitet wurden, finden die Vorschriften des Sorgerechtsübereinkommens-Ausführungsgesetzes vom 5. April 1990 (BGBl. I S. 701), zuletzt geändert durch Artikel 2 Abs. 6 des Gesetzes vom 19. Februar 2001 (BGBl. I S. 288, 436), weiter Anwendung. Für die Zwangsvollstreckung sind jedoch die Vorschriften dieses Gesetzes anzuwenden. Hat ein Gericht die Zwangsvollstreckung bereits eingeleitet, so bleibt seine funktionelle Zuständigkeit unberührt.

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Gesetz zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Verkehr mit ausländischen Staaten (Auslandsunterhaltsgesetz – AUG)

Verkündet in Art 1 Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr 4/2009 und zur Neuordnung bestehender Aus- und Durchführungsbestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts v 23.5.2011, BGBl 2011 I 898 Geändert durch Art 1 Gesetz zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen sowie zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts und des materiellen Unterhaltsrechts v 20.2.2013, BGBl 2013 I 273 Geändert durch Art 10 Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts v 31.8.2013, BGBl 2013 I 3533

Inhaltsübersicht Kapitel 1: Allgemeiner Teil Abschnitt 1: Anwendungsbereich; Begriffsbestimmungen §1 Anwendungsbereich §2 Allgemeine gerichtliche Verfahrensvorschriften §3 Begriffsbestimmungen Abschnitt 2: Zentrale Behörde §4 Zentrale Behörde §5 Aufgaben und Befugnisse der zentralen Behörde §6 Unterstützung durch das Jugendamt Abschnitt 3: Ersuchen um Unterstützung in Unterhaltssachen Unterabschnitt 1: Ausgehende Ersuchen §7 Vorprüfung durch das Amtsgericht; Zuständigkeitskonzentration §8 Inhalt und Form des Antrages §9 Umfang der Vorprüfung § 10 Übersetzung des Antrages § 11 Weiterleitung des Antrages durch die zentrale Behörde § 12 Registrierung eines bestehenden Titels im Ausland

Steffen Pabst

Unterabschnitt 2: Eingehende Ersuchen § 13 Übersetzung des Antrages § 14 Inhalt und Form des Antrages § 15 Behandlung einer vorläufigen Entscheidung Abschnitt 4: Datenerhebung durch die zentrale Behörde § 16 Auskunftsrecht der zentralen Behörde zur Herbeiführung oder Änderung eines Titels § 17 Auskunftsrecht zum Zweck der Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung eines Titels § 18 Benachrichtigung über die Datenerhebung § 19 Übermittlung und Löschung von Daten Abschnitt 5: Verfahrenskostenhilfe § 20 Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe § 21 Zuständigkeit für Anträge auf Verfahrenskostenhilfe nach der Richtlinie 2003/8/EG § 22 Verfahrenskostenhilfe nach Artikel 46 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 § 23 Verfahrenskostenhilfe für die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung von unterhaltsrechtlichen Titeln § 24 Verfahrenskostenhilfe für Verfahren mit förmlicher Gegenseitigkeit

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AUG Abschnitt 6: Ergänzende Zuständigkeitsregelungen; Zuständigkeitskonzentration § 25 Internationale Zuständigkeit nach Artikel 3 Buchstabe c der Verordnung (EG) Nr 4/2009 § 26 Örtliche Zuständigkeit § 27 Örtliche Zuständigkeit für die Auffang- und Notzuständigkeit § 28 Zuständigkeitskonzentration; Verordnungsermächtigung § 29 Zuständigkeit im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr 1896/2006 Kapitel 2: Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen Abschnitt 1: Verfahren ohne Exequatur nach der Verordnung (EG) Nr 4/2009 § 30 Verzicht auf Vollstreckungsklausel; Unterlagen § 31 Anträge auf Verweigerung, Beschränkung oder Aussetzung der Vollstreckung nach Artikel 21 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 § 32 Einstellung der Zwangsvollstreckung § 33 Einstweilige Einstellung bei Wiedereinsetzung, Rechtsmittel und Einspruch § 34 Bestimmung des vollstreckungsfähigen Inhalts eines ausländischen Titels Abschnitt 2: Gerichtliche Zuständigkeit für Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen § 35 Gerichtliche Zuständigkeit; Zuständigkeitskonzentration; Verordnungsermächtigung Abschnitt 3: Verfahren mit Exequatur nach der Verordnung (EG) Nr 4/2009 und den Abkommen der Europäischen Union Unterabschnitt 1: Zulassung der Zwangsvollstreckung aus ausländischen Titeln § 36 Antragstellung § 37 Zustellungsempfänger § 38 Verfahren § 39 Vollstreckbarkeit ausländischer Titel in Sonderfällen

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§ 40 § 41 § 42

Entscheidung Vollstreckungsklausel Bekanntgabe der Entscheidung

Unterabschnitt 2: Beschwerde, Rechtsbeschwerde § 43 Beschwerdegericht; Einlegung der Beschwerde; Beschwerdefrist § 44 (weggefallen) § 45 Verfahren und Entscheidung über die Beschwerde § 46 Statthaftigkeit und Frist der Rechtsbeschwerde § 47 Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde § 48 Verfahren und Entscheidung über die Rechtsbeschwerde Unterabschnitt 3: Beschränkung der Zwangsvollstreckung auf Sicherungsmaßregeln und unbeschränkte Fortsetzung der Zwangsvollstreckung § 49 Prüfung der Beschränkung § 50 Sicherheitsleistung durch den Schuldner § 51 Versteigerung beweglicher Sachen § 52 Unbeschränkte Fortsetzung der Zwangsvollstreckung; besondere gerichtliche Anordnungen § 53 Unbeschränkte Fortsetzung der durch das Gericht des ersten Rechtszuges zugelassenen Zwangsvollstreckung § 54 Unbeschränkte Fortsetzung der durch das Beschwerdegericht zugelassenen Zwangsvollstreckung Unterabschnitt 4: Feststellung der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung § 55 Verfahren § 56 Kostenentscheidung Abschnitt 4: Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltstiteln nach völkerrechtlichen Verträgen Unterabschnitt 1: Allgemeines § 57 Anwendung von Vorschriften § 58 Anhörung § 59 Beschwerdefrist

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Gesetzesanhang § 59a Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Anspruch im Beschwerdeverfahren § 60 Beschränkung der Zwangsvollstreckung kraft Gesetzes Unterabschnitt 2: Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltstiteln nach dem Haager Übereinkommen vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen § 60a Beschwerdeverfahren im Bereich des Haager Übereinkommens Unterabschnitt 3: Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltstiteln nach dem Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen § 61 Einschränkung der Anerkennung und Vollstreckung § 62 Beschwerdeverfahren im Anwendungsbereich des Haager Übereinkommens Unterabschnitt 4: Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 § 63 Sonderregelungen für das Beschwerdeverfahren Abschnitt 5: Verfahren bei förmlicher Gegenseitigkeit § 64 Vollstreckbarkeit ausländischer Titel Kapitel 3: Vollstreckung, Vollstreckungsabwehrantrag, besonderes Verfahren; Schadensersatz

Steffen Pabst

AUG Abschnitt 1: Vollstreckung, Vollstreckungsabwehrantrag, besonderes Verfahren § 65 Vollstreckung § 66 Vollstreckungsabwehrantrag § 67 Verfahren nach Aufhebung oder Änderung eines für vollstreckbar erklärten ausländischen Titels im Ursprungsstaat § 68 Aufhebung oder Änderung ausländischer Entscheidungen, deren Anerkennung festgestellt ist Abschnitt 2: Schadensersatz wegen ungerechtfertigter Vollstreckung § 69 Schadensersatz wegen ungerechtfertigter Vollstreckung Kapitel 4: Entscheidungen deutscher Gerichte; Mahnverfahren § 70 Antrag des Schuldners nach Artikel 19 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 § 71 Bescheinigungen zu inländischen Titeln § 72 Bezifferung dynamisierter Unterhaltstitel zur Zwangsvollstreckung im Ausland § 73 Vervollständigung inländischer Entscheidungen zur Verwendung im Ausland § 74 Vollstreckungsklausel zur Verwendung im Ausland § 75 Mahnverfahren mit Zustellung im Ausland Kapitel 5: Kosten; Übergangsvorschriften Abschnitt 1: Kosten § 76 Übersetzungen Abschnitt 2: Übergangsvorschriften § 77 Übergangsvorschriften

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Kapitel 1: Allgemeiner Teil Abschnitt 1: Anwendungsbereich; Begriffsbestimmungen § 1 Anwendungsbereich (1) Dieses Gesetz dient 1. der Durchführung folgender Verordnung und folgender Abkommen der Europäischen Union: a) der Verordnung (EG) Nr 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (ABI. L 7 vom 10.1.2009, S. 1); b) des Abkommens vom 19. Oktober 2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABI. L 299 vom 16.11.2005, S. 62), soweit dieses Abkommen auf Unterhaltssachen anzuwenden ist; c) des Übereinkommens vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABI. L 339 vom 21.12.2007, S. 3), soweit dieses Übereinkommen auf Unterhaltssachen anzuwenden ist; 2. der Ausführung folgender völkerrechtlicher Verträge: a) des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen (ABl. L 192 vom 22.7.2011, S. 51) nach Maßgabe des Beschlusses des Rates der Europäischen Union vom 9. Juni 2011 (ABl. L 192 vom 22.7.2011, S. 39) über die Genehmigung dieses Übereinkommens; b) des Haager Übereinkommens vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (BGBl. 1986 II S. 826); c) des Übereinkommens vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1994 II S. 2658), soweit dieses Übereinkommen auf Unterhaltssachen anzuwenden ist;, d) des New Yorker UN-Übereinkommens vom 20. Juni 1956 über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland (BGBl. 1959 II S. 150); 3. der Geltendmachung von gesetzlichen Unterhaltsansprüchen, wenn eine der Parteien im Geltungsbereich dieses Gesetzes und die andere Partei in einem anderen Staat, mit dem die Gegenseitigkeit verbürgt ist, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die Gegenseitigkeit nach Satz 1 Nummer 3 ist verbürgt, wenn das Bundesministerium der Justiz dies festgestellt und im Bundesgesetzblatt bekannt gemacht hat (förmliche Gegenseitigkeit). Staaten im Sinne des Satzes 1 Nummer 3 sind auch Teilstaaten und Provinzen eines Bundesstaates. (2) Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen gehen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Vorschriften dieses Gesetzes vor. Die Regelungen der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Verordnung und Abkommen werden als unmittelbar geltendes Recht der Europäischen Union durch die Durchführungsbestimmungen dieses Gesetzes nicht berührt. § 2 Allgemeine gerichtliche Verfahrensvorschriften Soweit in diesem Gesetz nichts anderes geregelt ist, werden die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit angewendet. § 3 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieses Gesetzes 1. sind Mitgliedstaaten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union,

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2. sind völkerrechtliche Verträge multilaterale und bilaterale Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge, 3. sind Berechtigte a) natürliche Personen, die einen Anspruch auf Unterhaltsleistungen haben oder geltend machen, b) öffentlich-rechtliche Leistungsträger, die Unterhaltsansprüche aus übergegangenem Recht geltend machen, soweit die Verordnung (EG) Nr 4/2009 oder der auszuführende völkerrechtliche Vertrag auf solche Ansprüche anzuwenden ist, 4. sind Verpflichtete natürliche Personen, die Unterhalt schulden oder denen gegenüber Unterhaltsansprüche geltend gemacht werden, 5. sind Titel gerichtliche Entscheidungen, gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden, auf welche die durchzuführende Verordnung oder der jeweils auszuführende völkerrechtliche Vertrag anzuwenden ist, 6. ist Ursprungsstaat der Staat, in dem ein Titel errichtet worden ist, und 7. ist ein Exequaturverfahren das Verfahren, mit dem ein ausländischer Titel zur Zwangsvollstreckung im Inland zugelassen wird. Abschnitt 2: Zentrale Behörde § 4 Zentrale Behörde (1) Zentrale Behörde für die gerichtliche und außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen in Unterhaltssachen nach diesem Gesetz ist das Bundesamt für Justiz. Die zentrale Behörde verkehrt unmittelbar mit allen zuständigen Stellen im In- und Ausland. Mitteilungen leitet sie unverzüglich an die zuständigen Stellen weiter. (2) Das Verfahren der zentralen Behörde gilt als Justizverwaltungsverfahren. (3) Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, Aufgaben der zentralen Behörde entsprechend Artikel 51 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 oder Artikel 6 Absatz 3 des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen auf eine andere öffentliche Stelle zu übertragen oder eine juristische Person des Privatrechts mit den entsprechenden Aufgaben zu beleihen. Die Beliehene muss grundlegende Erfahrungen bei der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen im Ausland nachweisen können. Den Umfang der Aufgabenübertragung legt das Bundesministerium der Justiz fest. Die Übertragung ist vom Bundesministerium der Justiz im Bundesanzeiger bekannt zu geben. Die Beliehene unterliegt der Fachaufsicht des Bundesministeriums der Justiz. § 5 Absatz 6 und die §§ 7 und 9 werden auf die Tätigkeit der Beliehenen nicht angewendet. § 5 Aufgaben und Befugnisse der zentralen Behörde (1) Die gerichtliche und außergerichtliche Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen nach diesem Gesetz erfolgt über die zentrale Behörde als Empfangs- und Übermittlungsstelle. (2) Die zentrale Behörde unternimmt alle geeigneten Schritte, um den Unterhaltsanspruch des Berechtigten durchzusetzen. Sie hat hierbei die Interessen und den Willen des Berechtigten zu beachten. (3) Im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr 4/2009 richten sich die Aufgaben der zentralen Behörde nach den Artikeln 50, 51, 53 und 58 dieser Verordnung. (4) Im Anwendungsbereich des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen richten sich die Aufgaben der zentralen Behörde nach den Artikeln 5, 6, 7 und 12 dieses Übereinkommens. (5) Die zentrale Behörde gilt bei eingehenden Ersuchen als bevollmächtigt, im Namen des Antragstellers selbst oder im Wege der Untervollmacht durch Vertreter außergerichtlich oder gerichtlich tätig zu

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werden. Sie ist insbesondere befugt, den Unterhaltsanspruch im Wege eines Vergleichs oder eines Anerkenntnisses zu regeln. Falls erforderlich, darf sie auch einen Unterhaltsantrag stellen und die Vollstreckung eines Unterhaltstitels betreiben. (6) Die zentrale Behörde übermittelt die von den Verpflichteten eingezogenen Unterhaltsgelder an die Berechtigten nach den für Haushaltsmittel des Bundes geltenden Regeln. Satz 1 gilt für die Rückübermittlung überzahlter Beträge oder für andere bei der Wahrnehmung der Aufgaben der zentralen Behörde erforderlich werdende Zahlungen entsprechend. § 6 Unterstützung durch das Jugendamt Wird die zentrale Behörde tätig, um Unterhaltsansprüche Minderjähriger und junger Volljähriger, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, geltend zu machen und durchzusetzen, kann sie das Jugendamt um Unterstützung ersuchen. Abschnitt 3: Ersuchen um Unterstützung in Unterhaltssachen Unterabschnitt 1: Ausgehende Ersuchen § 7 Vorprüfung durch das Amtsgericht; Zuständigkeitskonzentration (1) Die Entgegennahme und Prüfung eines Antrages auf Unterstützung in Unterhaltssachen erfolgt durch das für den Sitz des Oberlandesgerichts, in dessen Bezirk der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständige Amtsgericht. Für den Bezirk des Kammergerichts entscheidet das Amtsgericht Pankow-Weißensee. (2) Das Vorprüfungsverfahren ist ein Justizverwaltungsverfahren. (3) Für das Vorprüfungsverfahren werden keine Kosten erhoben. § 8 Inhalt und Form des Antrages (1) Der Inhalt eines an einen anderen Mitgliedstaat mit Ausnahme des Königreichs Dänemark gerichteten Antrages richtet sich nach Artikel 57 der Verordnung (EG) Nr 4/2009. (2) Der Inhalt eines an einen anderen Vertragsstaat des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen gerichteten Antrages richtet sich nach Artikel 11 dieses Übereinkommens. (3) In den nicht von den Absätzen 1 und 2 erfassten Fällen soll der Antrag alle Angaben enthalten, die für die Geltendmachung des Anspruchs von Bedeutung sein können, insbesondere 1. den Familiennamen und die Vornamen des Berechtigten; ferner seine Anschrift, den Tag seiner Geburt, seine Staatsangehörigkeit, seinen Beruf oder seine Beschäftigung sowie gegebenenfalls den Namen und die Anschrift seines gesetzlichen Vertreters, 2. den Familiennamen und die Vornamen des Verpflichteten; ferner seine Anschrift, den Tag, den Ort und das Land seiner Geburt, seine Staatsangehörigkeit, seinen Beruf oder seine Beschäftigung, soweit der Berechtigte diese Angaben kennt, und 3. nähere Angaben a) über die Tatsachen, auf die der Anspruch gestützt wird; b) über die Art und Höhe des geforderten Unterhalts; c) über die finanziellen und familiären Verhältnisse des Berechtigten, sofern diese Angaben für die Entscheidung bedeutsam sein können; d) über die finanziellen und familiären Verhältnisse des Verpflichteten, soweit diese bekannt sind. Ein Antrag eines Berechtigten im Sinne des § 3 Nummer 3 Buchstabe b soll die in den Nummern 1 und 3 Buchstabe c genannten Angaben der Person enthalten, deren Anspruch übergegangen ist. (4) Einem Antrag nach Absatz 3 sollen die zugehörigen Personenstandsurkunden und andere sachdien-

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liche Schriftstücke beigefügt sein. Das in § 7 benannte Gericht kann von Amts wegen alle erforderlichen Ermittlungen anstellen. (5) In den Fällen des Absatzes 3 ist der Antrag vom Antragsteller, von dessen gesetzlichem Vertreter oder von einem bevollmächtigten Vertreter unter Beifügung einer Vollmacht zu unterschreiben, Soweit dies nach dem Recht des zu ersuchenden Staates erforderlich ist, ist die Richtigkeit der Angaben vom Antragsteller oder von dessen gesetzlichem Vertreter eidesstattlich zu versichern. Besonderen Anforderungen des zu ersuchenden Staates an Form und Inhalt des Ersuchens ist zu genügen, soweit dem keine zwingenden Vorschriften des deutschen Rechts entgegenstehen. (6) In den Fällen des Absatzes 3 ist der Antrag an die Empfangsstelle des Staates zu richten, in dem der Anspruch geltend gemacht werden soll. § 9 Umfang der Vorprüfung (1) Der Vorstand des Amtsgerichts oder der im Rahmen der Verteilung der Justizverwaltungsgeschäfte bestimmte Richter prüft 1. in Verfahren mit förmlicher Gegenseitigkeit (§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3), ob nach dem deutschen Recht die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg haben würde, 2. in den übrigen Fällen, ob der Antrag mutwillig oder offensichtlich unbegründet ist. Bejaht er in den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 die Erfolgsaussicht, stellt er hierüber eine Bescheinigung aus, veranlasst deren Übersetzung in die Sprache des zu ersuchenden Staates und fügt diese Unterlagen dem Ersuchen bei. (2) Hat die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (Absatz 1 Satz 1 Nummer 1) oder ist der Antrag mutwillig oder offensichtlich unbegründet (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2), lehnt der Richter die Weiterleitung des Antrages ab. Die ablehnende Entscheidung ist zu begründen und dem Antragsteller mit einer Rechtsmittelbelehrung zuzustellen. Sie ist nach § 23 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz anfechtbar. (3) Liegen keine Ablehnungsgründe vor, übersendet das Gericht den Antrag nebst Anlagen und vorliegenden Übersetzungen mit je drei beglaubigten Abschriften unmittelbar an die zentrale Behörde. (4) Im Anwendungsbereich des New Yorker UN-Übereinkommens vom 20. Juni 1956 über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland (BGBI. 1959 II S. 150) legt der Richter in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 den Antrag der zentralen Behörde zur Entscheidung über die Weiterleitung des Antrages vor. § 10 Übersetzung des Antrages (1) Der Antragsteller hat dem Antrag nebst Anlagen von einem beeidigten Übersetzer beglaubigte Übersetzungen in der Sprache des zu ersuchenden Staates beizufügen, Die Artikel 20, 28, 40, 59 und 66 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 bleiben hiervon unberührt. Ist im Anwendungsbereich des jeweils auszuführenden völkerrechtlichen Vertrages eine Übersetzung von Schriftstücken in eine Sprache erforderlich, die der zu ersuchende Staat für zulässig erklärt hat. so ist die Übersetzung von einer Person zu erstellen, die zur Anfertigung von Übersetzungen in einem der Vertragsstaaten befugt ist. (2) Beschafft der Antragsteller trotz Aufforderung durch die zentrale Behörde die erforderliche Übersetzung nicht selbst, veranlasst die zentrale Behörde die Übersetzung auf seine Kosten. (3) Das nach § 7 Absatz 1 zuständige Amtsgericht befreit den Antragsteller auf Antrag von der Erstattungspflicht für die Kosten der von der zentralen Behörde veranlassten Übersetzung, wenn der Antragsteller die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen einer ratenfreien Verfahrenskostenhilfe nach § 113 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Verbindung mit § 115 der Zivilprozessordnung erfüllt. (4) § 1077 Absatz 4 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt.

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§ 11 Weiterleitung des Antrages durch die zentrale Behörde (1) Die zentrale Behörde prüft, ob der Antrag den förmlichen Anforderungen des einzuleitenden ausländischen Verfahrens genügt. Sind diese erfüllt, so leitet sie den Antrag an die im Ausland zuständige Stelle weiter. Soweit erforderlich, fügt sie dem Ersuchen eine Übersetzung dieses Gesetzes bei. (2) Die zentrale Behörde überwacht die ordnungsmäßige Erledigung des Ersuchens. (3) Lehnt die zentrale Behörde die Weiterleitung des Antrages ab, ist § 9 Absatz 2 Satz 2 und 3 entsprechend anzuwenden. § 12 Registrierung eines bestehenden Titels im Ausland Liegt über den Unterhaltsanspruch bereits eine inländische gerichtliche Entscheidung oder ein sonstiger Titel im Sinne des § 3 Nummer 5 vor, so kann der Berechtigte auch ein Ersuchen auf Registrierung der Entscheidung im Ausland stellen, soweit das dort geltende Recht dies vorsieht. Die §§ 7 bis 11 sind entsprechend anzuwenden; eine Prüfung der Gesetzmäßigkeit des vorgelegten inländischen Titels findet nicht statt. Unterabschnitt 2: Eingehende Ersuchen § 13 Übersetzung des Antrages (1) Ist eine Übersetzung von Schriftstücken erforderlich, so ist diese in deutscher Sprache abzufassen. (2) Die Richtigkeit der Übersetzung ist von einer Person zu beglaubigen, die in den nachfolgend genannten Staaten hierzu befugt ist: 1. in einem der Mitgliedstaaten oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum; 2. in einem Vertragsstaat des jeweils auszuführenden völkerrechtlichen Vertrages oder 3. in einem Staat, mit dem die Gegenseitigkeit förmlich verbürgt ist (§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3). (3) Die zentrale Behörde kann es ablehnen, tätig zu werden, solange Mitteilungen oder beizufügende Schriftstücke nicht in deutscher Sprache abgefasst oder in die deutsche Sprache übersetzt sind. Im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr 4/2009 ist sie hierzu jedoch nur befugt, wenn sie nach dieser Verordnung eine Übersetzung verlangen darf. (4) Die zentrale Behörde kann in Verfahren mit förmlicher Gegenseitigkeit (§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3) im Verkehr mit bestimmten Staaten oder im Einzelfall von dem Erfordernis einer Übersetzung absehen und die Übersetzung selbst besorgen. § 14 Inhalt und Form des Antrages (1) Der Inhalt eines Antrages aus einem anderen Mitgliedstaat mit Ausnahme des Königreichs Dänemark richtet sich nach Artikel 57 der Verordnung (EG) Nr 4/2009. (2) Der Inhalt eines Antrages aus einem anderen Vertragsstaat des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen richtet sich nach Artikel 11 dieses Übereinkommens. (3) In den nicht von den Absätzen 1 und 2 erfassten Fällen soll der Antrag alle Angaben enthalten, die für die Geltendmachung des Anspruchs von Bedeutung sein können, insbesondere 1. bei einer Indexierung einer titulierten Unterhaltsforderung die Modalitäten für die Berechnung dieser Indexierung und 2. bei einer Verpflichtung zur Zahlung von gesetzlichen Zinsen den gesetzlichen Zinssatz sowie den Beginn der Zinspflicht. Im Übrigen gilt § 8 Absatz 3 entsprechend. (4) In den Fällen des Absatzes 3 soll der Antrag vom Antragsteller, von dessen gesetzlichem Vertreter oder von einem bevollmächtigten Vertreter unter Beifügung einer Vollmacht unterschrieben und mit einer

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Stellungnahme der ausländischen Stelle versehen sein, die den Antrag entgegengenommen und geprüft hat. Diese Stellungnahme soll auch den am Wohnort des Berechtigten erforderlichen Unterhaltsbetrag nennen. Der Antrag und die Anlagen sollen zweifach übermittelt werden. Die zugehörigen Personenstandsurkunden und andere sachdienliche Schriftstücke sollen beigefügt und sonstige Beweismittel genau bezeichnet sein. § 15 Behandlung einer vorläufigen Entscheidung In Verfahren mit förmlicher Gegenseitigkeit (§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3) gilt eine ausländische Entscheidung, die ohne die Anhörung des Verpflichteten vorläufig und vorbehaltlich der Bestätigung durch das ersuchte Gericht ergangen ist, als eingehendes Ersuchen auf Erwirkung eines Unterhaltstitels. § 8 Absatz 3 und § 14 Absatz 3 Satz 1 gelten entsprechend. Abschnitt 4: Datenerhebung durch die zentrale Behörde § 16 Auskunftsrecht der zentralen Behörde zur Herbeiführung oder Änderung eines Titels (1) Ist der gegenwärtige Aufenthaltsort des Berechtigten oder des Verpflichteten nicht bekannt, so darf die zentrale Behörde zur Erfüllung der ihr nach § 5 obliegenden Aufgaben bei einer zuständigen Meldebehörde Angaben zu dessen Anschriften sowie zu dessen Haupt- und Nebenwohnung erheben. (2) Soweit der Aufenthaltsort nach Absatz 1 nicht zu ermitteln ist, darf die zentrale Behörde folgende Daten erheben: 1. von den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung die dort bekannte derzeitige Anschrift, den derzeitigen oder zukünftigen Aufenthaltsort des Betroffenen; 2. vom Kraftfahrt-Bundesamt die Halterdaten des Betroffenen nach § 33 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Straßenverkehrsgesetzes; 3. wenn der Betroffene ausländischen Streitkräften angehört, die in Deutschland stationiert sind, von der zuständigen Behörde der Truppe die ladungsfähige Anschrift des Betroffenen. (3) Kann die zentrale Behörde den Aufenthaltsort des Verpflichteten nach den Absätzen 1 und 2 nicht ermitteln, darf sie einen Suchvermerk im Zentralregister veranlassen. § 17 Auskunftsrecht zum Zweck der Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung eines Titels (1) Ist die Unterhaltsforderung tituliert und weigert sich der Schuldner, auf Verlangen der zentralen Behörde Auskunft über sein Einkommen und Vermögen zu erteilen, oder ist bei einer Vollstreckung in die vom Schuldner angegebenen Vermögensgegenstände eine vollständige Befriedigung des Gläubigers nicht zu erwarten, stehen der zentralen Behörde zum Zweck der Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung eines Titels die in § 16 geregelten Auskunftsrechte zu. Die zentrale Behörde darf nach vorheriger Androhung außerdem 1. von den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung den Namen, die Vornamen, die Firma sowie die Anschriften der derzeitigen Arbeitgeber der versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse des Schuldners erheben; 2. bei dem zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende einen Leistungsbezug nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – abfragen; 3. das Bundeszentralamt für Steuern ersuchen, bei den Kreditinstituten die in § 93b Absatz 1 der Abgabenordnung bezeichneten Daten des Schuldners abzurufen (§ 93 Absatz 8 der Abgabenordnung); 4. vom Kraftfahrt-Bundesamt die Fahrzeug- und Halterdaten nach § 33 Absatz 1 des Straßenverkehrsgesetzes zu einem Fahrzeug, als dessen Halter der Schuldner eingetragen ist, erheben.

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(2) Daten über das Vermögen des Schuldners darf die zentrale Behörde nur erheben, wenn dies für die Vollstreckung erforderlich ist. § 18 Benachrichtigung über die Datenerhebung (1) Die zentrale Behörde benachrichtigt den Antragsteller grundsätzlich nur darüber, ob ein Auskunftsersuchen nach den §§ 16 und 17 erfolgreich war. (2) Die zentrale Behörde hat den Betroffenen unverzüglich über die Erhebung von Daten nach den §§ 16 und 17 zu benachrichtigen, es sei denn, die Vollstreckung des Titels würde dadurch vereitelt oder wesentlich erschwert werden. Ungeachtet des Satzes 1 hat die Benachrichtigung spätestens 90 Tage nach Erhalt der Auskunft zu erfolgen. § 19 Übermittlung und Löschung von Daten (1) Die zentrale Behörde darf personenbezogene Daten an andere öffentliche und nichtöffentliche Stellen übermitteln, wenn dies zur Erfüllung der ihr nach § 5 obliegenden Aufgaben erforderlich ist. Die Daten dürfen nur für den Zweck verwendet werden, für den sie übermittelt worden sind. (2) Daten, die zum Zweck der Anerkennung, Vollstreckbarerklärung oder Vollstreckung nicht oder nicht mehr erforderlich sind, hat die zentrale Behörde unverzüglich zu löschen. Die Löschung ist zu protokollieren. § 35 Absatz 3 des Bundesdatenschutzgesetzes bleibt unberührt. Abschnitt 5: Verfahrenskostenhilfe § 20 Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe Auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ist § 113 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Verbindung mit den §§ 114 bis 127 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist. § 21 Zuständigkeit für Anträge auf Verfahrenskostenhilfe nach der Richtlinie 2003/8/EG (1) Abweichend von § 1077 Absatz 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung erfolgt in Unterhaltssachen die Entgegennahme und Übermittlung von Anträgen natürlicher Personen auf grenzüberschreitende Verfahrenskostenhilfe nach § 1076 der Zivilprozessordnung durch das für den Sitz des Oberlandesgerichts, in dessen Bezirk der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständige Amtsgericht. Für den Bezirk des Kammergerichts entscheidet das Amtsgericht Pankow-Weißensee. (2) Für eingehende Ersuchen gilt § 1078 Absatz 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung. § 22 Verfahrenskostenhilfe nach Artikel 46 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 und den Artikeln 14 bis 17 des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen (1) Eine Person, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erhält unabhängig von ihren wirtschaftlichen Verhältnissen Verfahrenskostenhilfe für Anträge 1. nach Artikel 56 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 gemäß Artikel 46 dieser Verordnung und 2. nach Kapitel III des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen gemäß Artikel 15 dieses Übereinkommens. Durch die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wird sie endgültig von der Zahlung der in § 122 Absatz 1 der Zivilprozessordnung genannten Kosten befreit. Absatz 3 bleibt unberührt. (2) Die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe kann nur abgelehnt werden, wenn der Antrag mutwillig oder offensichtlich unbegründet ist. In den Fällen des Artikels 56 Absatz 1 Buchstabe a und b der

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Verordnung (EG) Nr 4/2009 und des Artikels 10 Absatz 1 Buchstabe a und b des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen und in Bezug auf die von Artikel 20 Absatz 4 dieses Übereinkommens erfassten Fälle werden die Erfolgsaussichten nicht geprüft. (3) Unterliegt der Antragsteller in einem gerichtlichen Verfahren, kann das Gericht gemäß Artikel 67 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 und gemäß Artikel 43 des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen eine Erstattung der im Wege der Verfahrenskostenhilfe verauslagten Kosten verlangen, wenn dies unter Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse des Antragstellers der Billigkeit entspricht. § 23 Verfahrenskostenhilfe für die Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung von unterhaltsrechtlichen Titeln Hat der Antragsteller im Ursprungsstaat für das Erkenntnisverfahren ganz oder teilweise Verfahrenskostenhilfe erhalten, ist ihm für das Verfahren der Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung der Entscheidung Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen. Durch die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wird der Antragsteller endgültig von der Zahlung der in § 122 Absatz 1 der Zivilprozessordnung genannten Kosten befreit. Dies gilt nicht, wenn die Bewilligung nach § 124 Absatz 1 Nummer 1 der Zivilprozessordnung aufgehoben wird. § 24 Verfahrenskostenhilfe für Verfahren mit förmlicher Gegenseitigkeit Bietet in Verfahren gemäß § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 die beabsichtigte Rechtsverfolgung eingehender Ersuchen hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint sie nicht mutwillig, so ist dem Berechtigten auch ohne ausdrücklichen Antrag Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen. In diesem Fall hat er weder Monatsraten noch aus dem Vermögen zu zahlende Beträge zu leisten. Durch die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wird der Berechtigte endgültig von der Zahlung der in § 122 Absatz 1 der Zivilprozessordnung genannten Kosten befreit, sofern die Bewilligung nicht nach § 124 Absatz 1 Nummer 1 der Zivilprozessordnung aufgehoben wird. Abschnitt 6: Ergänzende Zuständigkeitsregelungen; Zuständigkeitskonzentration § 25 Internationale Zuständigkeit nach Artikel 3 Buchstabe c der Verordnung (EG) Nr 4/2009 (1) Die deutschen Gerichte sind in Unterhaltssachen nach Artikel 3 Buchstabe c der Verordnung (EG) Nr 4/ 2009 zuständig, wenn 1. Unterhalt im Scheidungs- oder Aufhebungsverbund geltend gemacht wird und die deutschen Gerichte für die Ehe- oder die Lebenspartnerschaftssache nach den folgenden Bestimmungen zuständig sind: a) im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1347/2000 (ABI. L 338 vom 23.12.2003, S. 1) nach Artikel 3 Absatz 1 dieser Verordnung, b) nach § 98 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder c) nach § 103 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit; 2. Unterhalt in einem Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft eines Kindes geltend gemacht wird und die deutschen Gerichte für das Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft international zuständig sind nach

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a) § 100 Nummer 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und sowohl der Berechtigte als auch der Verpflichtete Deutsche sind, b) § 100 Nummer 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. (2) Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b und c ist nicht anzuwenden, wenn deutsche Gerichte auf Grund der deutschen Staatsangehörigkeit nur eines der Beteiligten zuständig sind. § 26 Örtliche Zuständigkeit (1) Örtlich zuständig nach Artikel 3 Buchstabe c der Verordnung (EG) Nr 4/2009 ist das Amtsgericht, 1. bei dem die Ehe- oder Lebenspartnerschaftssache im ersten Rechtszug anhängig ist oder war, solange die Ehe- oder Lebenspartnerschaftssache anhängig ist; 2. bei dem das Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft im ersten Rechtszug anhängig ist, wenn Kindesunterhalt im Rahmen eines Abstammungsverfahrens geltend gemacht wird. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 gilt für den Erlass einer einstweiligen Anordnung § 248 Absatz 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. (2) § 233 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit bleibt unberührt. § 27 Örtliche Zuständigkeit für die Auffang- und Notzuständigkeit Sind die deutschen Gerichte nach den Artikeln 6 oder 7 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 international zuständig, ist ausschließlich das Amtsgericht Pankow-Weißensee in Berlin örtlich zuständig. § 28 Zuständigkeitskonzentration; Verordnungsermächtigung (1) Wenn ein Beteiligter seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hat, entscheidet über Anträge in Unterhaltssachen in den Fällen des Artikels 3 Buchstabe a und b der Verordnung (EG) Nr 4/2009 ausschließlich das für den Sitz des Oberlandesgerichts, in dessen Bezirk der Antragsgegner oder der Berechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständige Amtsgericht. Für den Bezirk des Kammergerichts ist das Amtsgericht Pankow-Weißensee zuständig. (2) Die Landesregierungen werden ermächtigt, diese Zuständigkeit durch Rechtsverordnung einem anderen Amtsgericht des Oberlandesgerichtsbezirks oder, wenn in einem Land mehrere Oberlandesgerichte errichtet sind, einem Amtsgericht für die Bezirke aller oder mehrerer Oberlandesgerichte zuzuweisen. Die Landesregierungen können diese Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. § 29 Zuständigkeit im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr 1896/2006 In Bezug auf die Zuständigkeit im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABI. L 399 vom 30.12.2006, S. 1) bleibt § 1087 der Zivilprozessordnung unberührt. Kapitel 2: Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen Abschnitt 1: Verfahren ohne Exequatur nach der Verordnung (EG) Nr 4/2009 § 30 Verzicht auf Vollstreckungsklausel; Unterlagen (1) Liegen die Voraussetzungen der Artikel 17 oder 48 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 vor, findet die Vollstreckung aus dem ausländischen Titel statt, ohne dass es einer Vollstreckungsklausel bedarf. (2) Das Formblatt, das dem Vollstreckungsorgan nach Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe b oder Artikel 48

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Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 vorzulegen ist, soll mit dem zu vollstreckenden Titel untrennbar verbunden sein. (3) Hat der Gläubiger nach Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe d der Verordnung (EG) Nr 4/2009 eine Übersetzung oder ein Transkript vorzulegen, so sind diese Unterlagen von einer Person, die in einem der Mitgliedstaaten hierzu befugt ist, in die deutsche Sprache zu übersetzen. § 31 Anträge auf Verweigerung, Beschränkung oder Aussetzung der Vollstreckung nach Artikel 21 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 (1) Für Anträge auf Verweigerung, Beschränkung oder Aussetzung der Vollstreckung nach Artikel 21 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 ist das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht zuständig. Örtlich zuständig ist das in § 764 Absatz 2 der Zivilprozessordnung benannte Gericht. (2) Die Entscheidung über den Antrag auf Verweigerung der Vollstreckung (Artikel 21 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr 4/2009) ergeht durch Beschluss. § 770 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden. Der Beschluss unterliegt der sofortigen Beschwerde nach § 793 der Zivilprozessordnung. Bis zur Entscheidung nach Satz 1 kann das Gericht Anordnungen nach § 769 Absatz 1 und 3 der Zivilprozessordnung treffen. (3) Über den Antrag auf Aussetzung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung (Artikel 21 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr 4/2009) entscheidet das Gericht durch einstweilige Anordnung. Die Entscheidung ist unanfechtbar. § 32 Einstellung der Zwangsvollstreckung Die Zwangsvollstreckung ist entsprechend § 775 Nummer 1 und 2 und § 776 der Zivilprozessordnung auch dann einzustellen oder zu beschränken, wenn der Schuldner eine Entscheidung eines Gerichts des Ursprungsstaats über die Nichtvollstreckbarkeit oder über die Beschränkung der Vollstreckbarkeit vorlegt. Auf Verlangen ist eine Übersetzung der Entscheidung vorzulegen. In diesem Fall ist die Entscheidung von einer Person, die in einem Mitgliedstaat hierzu befugt ist, in die deutsche Sprache zu übersetzen. § 33 Einstweilige Einstellung bei Wiedereinsetzung, Rechtsmittel und Einspruch (1) Hat der Schuldner im Ursprungsstaat Wiedereinsetzung beantragt oder gegen die zu vollstreckende Entscheidung einen Rechtsbehelf oder ein Rechtsmittel eingelegt, gelten die §§ 707, 719 Absatz 1 der Zivilprozessordnung und § 120 Absatz 2 Satz 2 und 3 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. (2) Zuständig ist das in § 35 Absatz 1 und 2 bestimmte Gericht. § 34 Bestimmung des vollstreckungsfähigen Inhalts eines ausländischen Titels (1) Lehnt das Vollstreckungsorgan die Zwangsvollstreckung aus einem ausländischen Titel, der keiner Vollstreckungsklausel bedarf, mangels hinreichender Bestimmtheit ab, kann der Gläubiger die Bestimmung des vollstreckungsfähigen Inhalts (Konkretisierung) des Titels beantragen. Zuständig ist das in § 35 Absatz 1 und 2 bestimmte Gericht. (2) Der Antrag kann bei dem Gericht schriftlich gestellt oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Das Gericht kann über den Antrag ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Vor der Entscheidung, die durch Beschluss ergeht, wird der Schuldner angehört. Der Beschluss ist zu begründen. (3) Konkretisiert das Gericht den ausländischen Titel, findet die Vollstreckung aus diesem Beschluss statt, ohne dass es einer Vollstreckungsklausel bedarf. Der Beschluss ist untrennbar mit dem ausländischen Titel zu verbinden und dem Schuldner zuzustellen. (4) Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit statthaft. § 61 des Gesetzes über das

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Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist nicht anzuwenden. Abschnitt 2: Gerichtliche Zuständigkeit für Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen § 35 Gerichtliche Zuständigkeit; Zuständigkeitskonzentration; Verordnungsermächtigung (1) Über einen Antrag auf Feststellung der Anerkennung oder über einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Titels nach den Abschnitten 3 bis 5 entscheidet ausschließlich das Amtsgericht, das für den Sitz des Oberlandesgerichts zuständig ist, in dessen Zuständigkeitsbezirk 1. sich die Person, gegen die sich der Titel richtet, gewöhnlich aufhält oder 2. die Vollstreckung durchgeführt werden soll. Für den Bezirk des Kammergerichts entscheidet das Amtsgericht Pankow-Weißensee. (2) Die Landesregierungen werden ermächtigt, diese Zuständigkeit durch Rechtsverordnung einem anderen Amtsgericht des Oberlandesgerichtsbezirks oder, wenn in einem Land mehrere Oberlandesgerichte errichtet sind, einem Amtsgericht für die Bezirke aller oder mehrerer Oberlandesgerichte zuzuweisen. Die Landesregierungen können diese Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. (3) In einem Verfahren, das die Vollstreckbarerklärung einer notariellen Urkunde zum Gegenstand hat, kann diese Urkunde auch von einem Notar für vollstreckbar erklärt werden im Anwendungsbereich 1. der Verordnung (EG) Nr 4/2009 oder 2. des Übereinkommens vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Die Vorschriften für das Verfahren der Vollstreckbarerklärung durch ein Gericht gelten sinngemäß. Abschnitt 3: Verfahren mit Exequatur nach der Verordnung (EG) Nr 4/2009 und den Abkommen der Europäischen Union Unterabschnitt 1: Zulassung der Zwangsvollstreckung aus ausländischen Titeln § 36 AntragsteIlung (1) Der in einem anderen Staat vollstreckbare Titel wird dadurch zur Zwangsvollstreckung zugelassen, dass er auf Antrag mit der Vollstreckungsklausel versehen wird. (2) Der Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel kann bei dem zuständigen Gericht schriftlich eingereicht oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. (3) Ist der Antrag entgegen § 184 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht in .deutscher Sprache abgefasst, so kann das Gericht von dem Antragsteller eine Übersetzung verlangen, deren Richtigkeit von einer Person bestätigt worden ist, die in einem der folgenden Staaten hierzu befugt ist: 1. in einem Mitgliedstaat oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder 2. in einem Vertragsstaat des jeweils auszuführenden völkerrechtlichen Vertrages. (4) Der Ausfertigung des Titels, der mit der Vollstreckungsklausel versehen werden soll, und seiner Übersetzung, soweit eine solche vorgelegt wird, sollen je zwei Abschriften beigefügt werden. § 37 Zustellungsempfänger (1) Hat der Antragsteller in dem Antrag keinen Zustellungsbevollmächtigten im Sinne des § 184 Absatz 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung benannt, so können bis zur nachträglichen Benennung alle Zustellungen an ihn durch Aufgabe zur Post (§ 184 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 der Zivilprozessordnung) bewirkt werden.

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(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn der Antragsteller einen Verfahrensbevollmächtigten für das Verfahren benannt hat, an den im Inland zugestellt werden kann. (3) Die Absätze 1 und 2 sind auf Verfahren nach der Verordnung (EG) Nr 4/2009 nicht anzuwenden. § 38 Verfahren (1) Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung. Jedoch kann eine mündliche Erörterung mit dem Antragsteller oder seinem Bevollmächtigten stattfinden, wenn der Antragsteller oder der Bevollmächtigte hiermit einverstanden ist und die Erörterung der Beschleunigung dient. (2) Im ersten Rechtszug ist die Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht erforderlich. § 39 Vollstreckbarkeit ausländischer Titel in Sonderfällen (1) Hängt die Zwangsvollstreckung nach dem Inhalt des Titels von einer dem Gläubiger obliegenden Sicherheitsleistung, dem Ablauf einer Frist oder dem Eintritteiner anderen Tatsache ab oder wird die Vollstreckungsklausel zugunsten eines anderen als des in dem Titel bezeichneten Gläubigers oder gegen einen anderen als den darin bezeichneten Schuldner beantragt, so ist die Frage, inwieweit die Zulassung der Zwangsvollstreckung von dem Nachweis besonderer Voraussetzungen abhängig oder ob der Titel für oder gegen den anderen vollstreckbar ist, nach dem Recht des Staates zu entscheiden, in dem der Titel errichtet ist. Der Nachweis ist durch Urkunden zu führen, es sei denn, dass die Tatsachen bei dem Gericht offenkundig sind. (2) Kann der Nachweis durch Urkunden nicht geführt werden, so ist auf Antrag des Antragstellers der Antragsgegner zu hören. In diesem Fall sind alle Beweismittel zulässig. Das Gericht kann auch die mündliche Verhandlung anordnen. § 40 Entscheidung (1) Ist die Zwangsvollstreckung aus dem Titel zuzulassen, so beschließt das Gericht, dass der Titel mit der Vollstreckungsklausel zu versehen ist. In dem Beschluss ist die zu vollstreckende Verpflichtung in deutscher Sprache wiederzugeben. Zur Begründung des Beschlusses genügt in der Regel die Bezugnahme auf die Verordnung (EG) Nr 4/2009 oder auf den jeweils auszuführenden völkerrechtlichen Vertrag sowie auf von dem Antragsteller vorgelegte Urkunden. Auf die Kosten des Verfahrens ist § 788 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. (2) Ist der Antrag nicht zulässig oder nicht begründet, so lehnt ihn das Gericht durch mit Gründen versehenen Beschluss ab. Die Kosten sind dem Antragsteller aufzuerlegen. (3) Der Beschluss wird mit Bekanntgabe an die Beteiligten wirksam. § 41 Vollstreckungsklausel (1) Auf Grund des Beschlusses nach § 40 Absatz 1 erteilt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Vollstreckungsklausel in folgender Form: „Vollstreckungsklausel nach § 36 des Auslandsunterhaltsgesetzes vom 23. Mai 2011 (BGB!. I S. 898). Gemäß dem Beschluss des … (Bezeichnung des Gerichts und des Beschlusses) ist die Zwangsvollstreckung aus … (Bezeichnung des Titels) zugunsten … (Bezeichnung des Gläubigers) gegen … (Bezeichnung des Schuldners) zulässig. Die zu vollstreckende Verpflichtung lautet: … (Angabe der dem Schuldner aus dem ausländischen Titel obliegenden Verpflichtung in deutscher Sprache; aus dem Beschluss nach § 40 Absatz 1 zu übernehmen). Die Zwangsvollstreckung darf über Maßregeln zur Sicherung nicht hinausgehen, bis der Gläubiger eine gerichtliche Anordnung oder ein Zeugnis vorlegt, dass die Zwangsvollstreckung unbeschränkt stattfinden darf.“ Lautet der Titel auf Leistung von Geld, so ist der Vollstreckungsklausel folgender Zusatz anzufügen:

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„Solange die Zwangsvollstreckung über Maßregeln zur Sicherung nicht hinausgehen darf, kann der Schuldner die Zwangsvollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von … (Angabe des Betrages, wegen dessen der Gläubiger vollstrecken darf) abwenden.“ (2) Wird die Zwangsvollstreckung nur für einen oder mehrere der durch die ausländische Entscheidung zuerkannten oder in einem anderen ausländischen Titel niedergelegten Ansprüche oder nur für einen Teil des Gegenstands der Verpflichtung zugelassen, so ist die Vollstreckungsklausel als „Teil-Vollstreckungsklausel nach § 36 des Auslandsunterhaltsgesetzes vom 23. Mai 2011 (BGB!. I S. 898)“ zu bezeichnen. (3) Die Vollstreckungsklausel ist von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben und mit dem Gerichtssiegel zu versehen. Sie ist entweder auf die Ausfertigung des Titels oder auf ein damit zu verbindendes Blatt zu setzen. Falls eine Übersetzung des Titels vorliegt, ist sie mit der Ausfertigung zu verbinden. § 42 Bekanntgabe der Entscheidung (1) Lässt das Gericht die Zwangsvollstreckung zu (§ 40 Absatz 1), sind dem Antragsgegner eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses, eine beglaubigte Abschrift des mit der Vollstreckungsklausel versehenen Titels und gegebenenfalls seiner Übersetzung sowie der gemäß § 40 Absatz 1 Satz 3 in Bezug genommenen Urkunden von Amts wegen zuzustellen. Dem Antragsteller sind eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses, die mit der Vollstreckungsklausel versehene Ausfertigung des Titels sowie eine Bescheinigung über die bewirkte Zustellung zu übersenden. (2) Lehnt das Gericht den Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel ab (§ 40 Absatz 2), ist der Beschluss dem Antragsteller zuzustellen. Unterabschnitt 2: Beschwerde, Rechtsbeschwerde § 43 Beschwerdegericht; Einlegung der Beschwerde; Beschwerdefrist (1) Beschwerdegericht ist das Oberlandesgericht. (2) Die Beschwerde gegen die im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung über den Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel wird bei dem Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, durch Einreichen einer Beschwerdeschrift oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt. Der Beschwerdeschrift soll die für ihre Zustellung erforderliche Zahl von Abschriften beigefügt werden. (3) § 61 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist nicht anzuwenden. (4) Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung ist einzulegen 1. im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr 4/2009 und des Abkommens vom 19. Oktober 2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen innerhalb der Frist des Artikels 32 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr 4/2009, 2. im Anwendungsbereich des Übereinkommens vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen a) innerhalb eines Monats nach Zustellung, wenn der Antragsgegner seinen Wohnsitz im Inland hat, oder b) innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung, wenn der Antragsgegner seinen Wohnsitz im Ausland hat. Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Vollstreckbarerklärurig dem Antragsgegner entweder

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persönlich oder in seiner Wohnung zugestellt worden ist. Eine Verlängerung dieser Frist wegen weiter Entfernung ist ausgeschlossen. (5) Die Beschwerde ist dem Beschwerdegegner von Amts wegen zuzustellen. § 44 (aufgehoben) § 45 Verfahren und Entscheidung über die Beschwerde (1) Das Beschwerdegericht entscheidet durch Beschluss, der mit Gründen zu versehen ist und ohne mündliche Verhandlung ergehen kann. Der Beschwerdegegner ist vor der Entscheidung zu hören. (2) Solange eine mündliche Verhandlung nicht angeordnet ist, können zu Protokoll der Geschäftsstelle Anträge gestellt und Erklärungen abgegeben werden. Wird die mündliche Verhandlung angeordnet, so gilt für die Ladung § 215 der Zivilprozessordnung. (3) Eine vollständige Ausfertigung des Beschlusses ist dem Antragsteller und dem Antragsgegner auch dann von Amts wegen zuzustellen, wenn der Beschluss verkündet worden ist. (4) Soweit nach dem Beschluss des Beschwerdegerichts die Zwangsvollstreckung aus dem Titel erstmals zuzulassen ist, erteilt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Beschwerdegerichts die Vollstreckungsklausel. § 40 Absatz 1 Satz 2 und 4, §§ 41 und 42 Absatz 1 sind entsprechend anzuwenden. Ein Zusatz, dass die Zwangsvollstreckung über Maßregeln zur Sicherung nicht hinausgehen darf, ist nur aufzunehmen, wenn das Beschwerdegericht eine Anordnung nach § 52 Absatz 2 erlassen hat. Der Inhalt des Zusatzes bestimmt sich nach dem Inhalt der Anordnung. § 46 Statthaftigkeit und Frist der Rechtsbeschwerde (1) Gegen den Beschluss des Beschwerdegerichts findet die Rechtsbeschwerde statt. (2) Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats einzulegen. (3) Die Rechtsbeschwerdefrist beginnt mit der Zustellung des Beschlusses (§ 45 Absatz 3). (4) § 75 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist nicht anzuwenden § 47 Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde (1) Die Rechtsbeschwerde wird durch Einreichen der Beschwerdeschrift beim Bundesgerichtshof eingelegt. (2) Die Rechtsbeschwerde ist zu begründen. § 71 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist nicht anzuwenden. Soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Beschwerdegericht von einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union abgewichen sei, muss die Entscheidung, von der der angefochtene Beschluss abweicht, bezeichnet werden. § 48 Verfahren und Entscheidung über die Rechtsbeschwerde (1) Der Bundesgerichtshof kann nur überprüfen, ob der Beschluss auf einer Verletzung des Rechts der Europäischen Union, eines einschlägigen völkerrechtlichen Vertrages oder sonstigen Bundesrechts oder einer anderen Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus erstreckt. (2) Der Bundesgerichtshof kann über die Rechtsbeschwerde ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Auf das Verfahren über die Rechtsbeschwerde sind die §§ 73 und 74 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend anzuwenden. (3) Soweit die Zwangsvollstreckung aus dem Titel erstmals durch den Bundesgerichtshof zugelassen

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wird, erteilt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle dieses Gerichts die Vollstreckungsklausel. § 40 Absatz 1 Satz 2 und 4, §§ 41 und 42 Absatz 1 gelten entsprechend. Ein Zusatz über die Beschränkung der Zwangsvollstreckung entfällt. Unterabschnitt 3: Beschränkung der Zwangsvollstreckung auf Sicherungsmaßregeln und unbeschränkte Fortsetzung der Zwangsvollstreckung § 49 Prüfung der Beschränkung Einwendungen des Schuldners, dass bei der Zwangsvollstreckung die Beschränkung auf Sicherungsmaßregeln nach der Verordnung (EG) Nr 4/2009 oder dem auszuführenden völkerrechtlichen Vertrag oder auf Grund einer auf diesem Gesetz beruhenden Anordnung (§ 52 Absatz 2) nicht eingehalten werde, oder Einwendungen des Gläubigers, dass eine bestimmte Maßnahme der Zwangsvollstreckung mit dieser Beschränkung vereinbar sei, sind im Wege der Erinnerung nach § 766 der Zivilprozessordnung bei dem Vollstreckungsgericht (§ 764 der Zivilprozessordnung) geltend zu machen. § 50 Sicherheitsleistung durch den Schuldner (1) Solange die Zwangsvollstreckung aus einem Titel, der auf Leistung von Geld lautet, nicht über Maßregeln der Sicherung hinausgehen darf, ist der Schuldner befugt, die Zwangsvollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe des Betrages abzuwenden, wegen dessen der Gläubiger vollstrecken darf. (2) Die Zwangsvollstreckung ist einzustellen und bereits getroffene Vollstreckungsmaßregeln sind aufzuheben, wenn der Schuldner durch eine öffentliche Urkunde die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erforderliche Sicherheitsleistung nachweist. § 51 Versteigerung beweglicher Sachen Ist eine bewegliche Sache gepfändet und darf die Zwangsvollstreckung nicht über Maßregeln zur Sicherung hinausgehen, so kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag anordnen, dass die Sache versteigert und der Erlös hinterlegt werde, wenn sie der Gefahr einer beträchtlichen Wertminderung ausgesetzt ist oder wenn ihre Aufbewahrung unverhältnismäßige Kosten verursachen würde. § 52 Unbeschränkte Fortsetzung der Zwangsvollstreckung; besondere gerichtliche Anordnungen (1) Weist das Beschwerdegericht die Beschwerde des Schuldners gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung zurück oder lässt es auf die Beschwerde des Gläubigers die Zwangsvollstreckung aus dem Titel zu, so kann die Zwangsvollstreckung über Maßregeln zur Sicherung hinaus fortgesetzt werden. (2) Auf Antrag des Schuldners kann das Beschwerdegericht anordnen, dass bis zum Ablauf der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde oder bis zur Entscheidung über diese Beschwerde die Zwangsvollstreckung nicht oder nur gegen Sicherheitsleistung über Maßregeln zur Sicherung hinausgehen darf. Die Anordnung darf nur erlassen werden, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die weiter gehende Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. § 713 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden. (3) Wird Rechtsbeschwerde eingelegt, so kann der Bundesgerichtshof auf Antrag des Schuldners eine Anordnung nach Absatz 2 erlassen. Der Bundesgerichtshof kann auf Antrag des Gläubigers eine nach Absatz 2 erlassene Anordnung des Beschwerdegerichts abändern oder aufheben. § 53 Unbeschränkte Fortsetzung der durch das Gericht des ersten Rechtszuges zugelassenen Zwangsvollstreckung (1) Die Zwangsvollstreckung aus dem Titel, den der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszuges mit der Vollstreckungsklausel versehen hat, ist auf Antrag des Gläubigers über

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Maßregeln zur Sicherung hinaus fortzusetzen, wenn das Zeugnis des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle dieses Gerichts vorgelegt wird, dass die Zwangsvollstreckung unbeschränkt stattfinden darf. (2) Das Zeugnis ist dem Gläubiger auf seinen Antrag zu erteilen, 1. wenn der Schuldner bis zum Ablauf der Beschwerdefrist keine Beschwerdeschrift eingereicht hat, 2. wenn das Beschwerdegericht die Beschwerde des Schuldners zurückgewiesen und keine Anordnung nach § 52 Absatz 2 erlassen hat, 3. wenn der Bundesgerichtshof die Anordnung des Beschwerdegerichts nach § 52 Absatz 2 aufgehoben hat (§ 52 Absatz 3 Satz 2) oder 4. wenn der Bundesgerichtshof den Titel zur Zwangsvollstreckung zugelassen hat. (3) Aus dem Titel darf die Zwangsvollstreckung, selbst wenn sie auf Maßregeln der Sicherung beschränkt ist, nicht mehr stattfinden, sobald ein Beschluss des Beschwerdegerichts, dass der Titel zur Zwangsvollstreckung nicht zugelassen werde, verkündet oder zugestellt ist. § 54 Unbeschränkte Fortsetzung der durch das Beschwerdegericht zugelassenen Zwangsvollstreckung (1) Die Zwangsvollstreckung aus dem Titel, zu dem der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Beschwerdegerichts die Vollstreckungsklausel mit dem Zusatz erteilt hat, dass die Zwangsvollstreckung auf Grund der Anordnung des Gerichts nicht über Maßregeln zur Sicherung hinausgehen darf (§ 45 Absatz 4 Satz 3), ist auf Antrag des Gläubigers über Maßregeln zur Sicherung hinaus fortzusetzen, wenn das Zeugnis des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle dieses Gerichts vorgelegt wird, dass die Zwangsvollstreckung unbeschränkt stattfinden darf. (2) Das Zeugnis ist dem Gläubiger auf seinen Antrag zu erteilen, 1. wenn der Schuldner bis zum Ablauf der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde (§ 46 Absatz 2) keine Beschwerdeschrift eingereicht hat, 2. wenn der Bundesgerichtshof die Anordnung des Beschwerdegerichts nach § 52 Absatz 2 aufgehoben hat (§ 52 Absatz 3 Satz 2) oder 3. wenn der Bundesgerichtshof die Rechtsbeschwerde des Schuldners zurückgewiesen hat. Unterabschnitt 4: Feststellung der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung § 55 Verfahren (1) Auf das Verfahren, das die Feststellung zum Gegenstand hat, ob eine Entscheidung aus einem anderen Staat anzuerkennen ist, sind die §§ 36 bis 38, 40 Absatz 2, die §§ 42 bis 45 Absatz 1 bis 3, die §§ 46, 47 sowie 48 Absatz 1 und 2 entsprechend anzuwenden. (2) Ist der Antrag auf Feststellung begründet, so beschließt das Gericht, die Entscheidung anzuerkennen. § 56 Kostenentscheidung In den Fällen des § 55 Absatz 2 sind die Kosten dem Antragsgegner aufzuerlegen. Dieser kann die Beschwerde (§ 43) auf die Entscheidung über den Kostenpunkt beschränken. In diesem Fall sind die Kosten dem Antragsteller aufzuerlegen, wenn der Antragsgegner durch sein Verhalten keine Veranlassung zu dem Antrag auf Feststellung gegeben hat. Abschnitt 4: Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltstiteln nach völkerrechtlichen Verträgen Unterabschnitt 1: Allgemeines § 57 Anwendung von Vorschriften Auf die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von ausländischen Unterhaltstiteln nach den in § 1

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Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 bezeichneten völkerrechtlichen Verträgen sind die Vorschriften der §§ 36 bis 56 entsprechend anzuwenden, soweit in diesem Abschnitt nichts anderes bestimmt ist. § 58 Anhörung Das Gericht entscheidet in dem Verfahren nach § 36 ohne Anhörung des Antragsgegners. § 59 Beschwerdefrist (1) Die Beschwerde gegen die im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung über den Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel ist innerhalb eines Monats nach Zustellung einzulegen. (2) Muss die Zustellung an den Antragsgegner im Ausland oder durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen und hält das Gericht die Beschwerdefrist nach Absatz 1 nicht für ausreichend, so bestimmt es in dem Beschluss nach § 40 oder nachträglich durch besonderen Beschluss, der ohne mündliche Verhandlung ergeht, eine längere Beschwerdefrist. Die nach Satz 1 festgesetzte Frist für die Einlegung der Beschwerde ist auf der Bescheinigung über die bewirkte Zustellung (§ 42 Absatz 1 Satz 2) zu vermerken. Die Bestimmungen über den Beginn der Beschwerdefrist bleiben auch im Fall der nachträglichen Festsetzung unberührt. § 59a Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Anspruch im Beschwerdeverfahren (1) Der Schuldner kann mit der Beschwerde, die sich gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einer Entscheidung richtet, auch Einwendungen gegen den Anspruch selbst insoweit geltend machen, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Erlass der Entscheidung entstanden sind. (2) Mit der Beschwerde, die sich gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einem gerichtlichen Vergleich oder einer öffentlichen Urkunde richtet, kann der Schuldner die Einwendungen gegen den Anspruch selbst ungeachtet der in Absatz 1 enthaltenen Beschränkung geltend machen. § 60 Beschränkung der Zwangsvollstreckung kraft Gesetzes Die Zwangsvollstreckung ist auf Sicherungsmaßregeln beschränkt, solange die Frist zur Einlegung der Beschwerde noch läuft und solange über die Beschwerde noch nicht entschieden ist. Unterabschnitt 2: Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltstiteln nach dem Haager Übereinkommen vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen § 60a Beschwerdeverfahren im Bereich des Haager Übereinkommens Abweichend von § 59 gelten für das Beschwerdeverfahren die Fristen des Artikels 23 Absatz 6 des Haager Übereinkommens. Unterabschnitt 3: Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltstiteln nach dem Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen § 61 Einschränkung der Anerkennung und Vollstreckung (1) Öffentliche Urkunden aus einem anderen Vertragsstaat werden nur anerkannt und vollstreckt, wenn dieser Staat die Erklärung nach Artikel 25 des Übereinkommens abgegeben hat. (2) Die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus einem anderen Vertragsstaat über Unterhaltsansprüche zwischen Verwandten in der Seitenlinie und zwischen Verschwägerten ist auf Verlangen des Antragsgegners zu versagen, wenn

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1. nach den Sachvorschriften des Rechts desjenigen Staates, dem der Verpflichtete und der Berechtigte angehören, eine Unterhaltspflicht nicht besteht oder 2. der Verpflichtete und der Berechtigte nicht die gleiche Staatsangehörigkeit haben und keine Unterhaltspflicht nach dem am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Verpflichteten geltenden Recht besteht. § 62 Beschwerdeverfahren im Anwendungsbereich des Haager Übereinkommens (1) Abweichend von § 59 Absatz 2 Satz 1 beträgt die Frist für die Beschwerde des Schuldners gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung zwei Monate, wenn die Zustellung an den Schuldner im Ausland erfolgen muss. (2) Das Oberlandesgericht kann seine Entscheidung über die Beschwerde gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung auf Antrag des Schuldners aussetzen, wenn gegen die Entscheidung im Ursprungsstaat ein ordentliches Rechtsmittel eingelegt wurde oder die Frist hierfür noch nicht verstrichen ist. Im letzteren Fall kann das Oberlandesgericht eine Frist bestimmen, innerhalb der das Rechtsmittel einzulegen ist. Das Gericht kann die Zwangsvollstreckung auch von einer Sicherheitsleistung abhängig machen. (3) Absatz 2 ist in Verfahren auf Feststellung der Anerkennung einer Entscheidung entsprechend anwendbar. Unterabschnitt 4: Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 § 63 Sonderregelungen für das Beschwerdeverfahren (1) Die Frist für die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Entscheidung über die Zulassung der Zwangsvollstreckung beträgt zwei Monate und beginnt von dem Tage an zu laufen, an dem die Entscheidung dem Antragsgegner entweder in Person oder in seiner Wohnung zugestellt worden ist, wenn der Antragsgegner seinen Wohnsitz oder seinen Sitz in einem anderen Vertragsstaat dieses Übereinkommens hat. Eine Verlängerung dieser Frist wegen weiter Entfernung ist ausgeschlossen. § 59 Absatz 2 ist nicht anzuwenden. (2) § 62 Absatz 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Abschnitt 5: Verfahren bei förmlicher Gegenseitigkeit § 64 Vollstreckbarkeit ausländischer Titel (1) Die Vollstreckbarkeit ausländischer Titel in Verfahren mit förmlicher Gegenseitigkeit nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 richtet sich nach § 110 Absatz 1 und 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Die Rechtskraft der Entscheidung ist für die Vollstreckbarerklärung nicht erforderlich. (2) Ist der ausländische Titel für vollstreckbar zu erklären, so kann das Gericht auf Antrag einer Partei in seinem Vollstreckungsbeschluss den in dem ausländischen Titel festgesetzten Unterhaltsbetrag hinsichtlich Höhe und Dauer der zu leistenden Zahlungen abändern. Ist die ausländische Entscheidung rechtskräftig, so ist eine Abänderung nur nach Maßgabe des § 238 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zulässig. Kapitel 3: Vollstreckung, Vollstreckungsabwehrantrag, besonderes Verfahren; Schadensersatz Abschnitt 1: Vollstreckung, Vollstreckungsabwehrantrag, besonderes Verfahren

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§ 65 Vollstreckung Für die Vollstreckung von ausländischen Unterhaltstiteln gilt § 120 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, soweit in der Verordnung (EG) Nr 4/2009 und in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist. § 66 Vollstreckungsabwehrantrag (1) Ist ein ausländischer Titel nach der Verordnung (EG) Nr 4/2009 ohne Exequaturverfahren vollstreckbar oder nach dieser Verordnung oder einem der in § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Abkommen für vollstreckbar erklärt, so kann der Schuldner Einwendungen, die sich gegen den Anspruch selbst richten, in einem Verfahren nach § 120 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Verbindung mit § 767 der Zivilprozessordnung geltend machen. Handelt es sich bei dem Titel um eine gerichtliche Entscheidung, so gilt dies nur, soweit die Gründe, auf denen die Einwendungen beruhen, erst nach dem Erlass der Entscheidung entstanden sind. (2) Ist die Zwangsvollstreckung aus einem Titel nach einem der in § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 genannten Übereinkommen zugelassen, so kann der Schuldner Einwendungen gegen den Anspruch selbst in einem Verfahren nach § 120 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Verbindung mit § 767 der Zivilprozessordnung nur geltend machen, wenn die Gründe, auf denen seine Einwendungen beruhen, erst entstanden sind: 1. nach Ablauf der Frist, innerhalb derer er die Beschwerde hätte einlegen können, oder 2. falls die Beschwerde eingelegt worden ist, nach Beendigung dieses Verfahrens. (3) Der Antrag nach § 120 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Verbindung mit § 767 der Zivilprozessordnung ist bei dem Gericht zu stellen, das über den Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel entschieden hat. In den Fällen des Absatzes 1 richtet sich die Zuständigkeit nach § 35 Absatz 1 und 2. § 67 Verfahren nach Aufhebung oder Änderung eines für vollstreckbar erklärten ausländischen Titels im Ursprungsstaat (1) Wird der Titel in dem Staat, in dem er errichtet worden ist, aufgehoben oder geändert und kann der Schuldner diese Tatsache in dem Verfahren zur Zulassung der Zwangsvollstreckung nicht mehr geltend machen, so kann er die Aufhebung oder Änderung der Zulassung in einem besonderen Verfahren beantragen. (2) Für die Entscheidung über den Antrag ist das Gericht ausschließlich zuständig, das im ersten Rechtszug über den Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel entschieden hat. (3) Der Antrag kann bei dem Gericht schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle gestellt werden. Über den Antrag kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Vor der Entscheidung, die durch Beschluss ergeht, ist der Gläubiger zu hören. § 45 Absatz 2 und 3 gilt entsprechend. (4) Der Beschluss unterliegt der Beschwerde. Die Frist für die Einlegung der Beschwerde beträgt einen Monat. Im Übrigen sind die §§ 58 bis 60, 62, 63 Absatz 3 und die §§ 65 bis 74 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend anzuwenden. (5) Für die Einstellung der Zwangsvollstreckung und die Aufhebung bereits getroffener Vollstreckungsmaßregeln sind die §§ 769 und 770 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Die Aufhebung einer Vollstreckungsmaßregel ist auch ohne Sicherheitsleistung zulässig. § 68 Aufhebung oder Änderung ausländischer Entscheidungen, deren Anerkennung festgestellt ist Wird die Entscheidung in dem Staat, in dem sie ergangen ist, aufgehoben oder abgeändert und kann die

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davon begünstigte Partei diese Tatsache nicht mehr in dem Verfahren über den Antrag auf Feststellung der Anerkennung geltend machen, so ist § 67 Absatz 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. Abschnitt 2: Schadensersatz wegen ungerechtfertigter Vollstreckung § 69 Schadensersatz wegen ungerechtfertigter Vollstreckung (1) Wird die Zulassung der Zwangsvollstreckung auf die Beschwerde (§ 43) oder die Rechtsbeschwerde (§ 46) aufgehoben oder abgeändert, so ist der Gläubiger zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem Schuldner durch die Vollstreckung des Titels oder durch eine Leistung zur Abwendung der Vollstreckung entstanden ist. (2) Das Gleiche gilt, wenn 1. die Zulassung der Zwangsvollstreckung nach § 67 aufgehoben oder abgeändert wird, sofern die zur Zwangsvollstreckung zugelassene Entscheidung zum Zeitpunkt der Zulassung nach dem Recht des Staates, in dem sie ergangen ist, noch mit einem ordentlichen Rechtsmittel angefochten werden konnte oder 2. ein nach Artikel 17 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 ohne Exequaturverfahren vollstreckbarer Titel im Ursprungsstaat aufgehoben wurde und der Titel zum Zeitpunkt der Zwangsvollstreckungsmaßnahme noch mit einem ordentlichen Rechtsmittel hätte angefochten werden können. (3) Für die Geltendmachung des Anspruchs ist das Gericht ausschließlich zuständig, das im ersten Rechtszug über den Antrag, den Titel mit der Vollstreckungsklausel zu versehen, entschieden hat. In den Fällen des Absatzes 2 Nummer 2 richtet sich die Zuständigkeit nach § 35 Absatz 1 und 2. Kapitel 4: Entscheidungen deutscher Gerichte; Mahnverfahren § 70 Antrag des Schuldners nach Artikel 19 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 (1) Der Antrag des Schuldners auf Nachprüfung der Entscheidung gemäß Artikel 19 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 ist bei dem Gericht zu stellen, das die Entscheidung erlassen hat. § 719 Absatz 1 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anwendbar. (2) Hat der Schuldner den Antrag nicht innerhalb der Frist des Artikels 19 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 eingereicht oder liegen die Voraussetzungen des Artikels 19 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 nicht vor, weist das Gericht den Antrag durch Beschluss zurück. Der. Beschluss kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. (3) Liegen die Voraussetzungen des Artikels 19 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 vor, so wird das Verfahren fortgeführt. Es wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor Eintritt der Versäumnis befand. Die §§ 343 bis 346 der Zivilprozessordnung werden entsprechend angewendet. Auf Antrag des Schuldners ist die Zwangsvollstreckung auch ohne Sicherheitsleistung einzustellen. § 71 Bescheinigungen zu inländischen Titeln (1) Die Gerichte, Behörden oder Notare, denen die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung obliegt, sind zuständig für die Ausstellung 1. des Formblatts nach Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe b, Artikel 28 Absatz 1 Buchstabe b, Artikel 40 Absatz 2 und Artikel 48 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr 4/2009, 2. der Bescheinigungen nach den Artikeln 54, 57 und 58 des Übereinkommens vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. (2) Soweit nach Absatz 1 die Gerichte für die Ausstellung des Formblatts oder der Bescheinigungen zuständig sind, werden diese Unterlagen von dem Gericht des ersten Rechtszuges ausgestellt oder, wenn das Verfahren bei einem höheren Gericht anhängig ist, von diesem. Funktionell zuständig ist die

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Stelle, der die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung obliegt. Für die Anfechtbarkeit der Entscheidung über die Ausstellung des Formblatts oder der Bescheinigung gelten die Vorschriften über die Anfechtbarkeit der Entscheidung über die Erteilung der Vollstreckungsklausel entsprechend. (3) Die Ausstellung des Formblatts nach Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe b und Artikel 48 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr 4/2009 schließt das Recht auf Erteilung einer Klausel nach § 724 der Zivilprozessordnung nicht aus. § 72 Bezifferung dynamisierter Unterhaltstitel zur Zwangsvollstreckung im Ausland Soll ein Unterhaltstitel, der den Unterhalt nach § 1612a des Bürgerlichen Gesetzbuchs als Prozentsatz des Mindestunterhalts festsetzt, im Ausland vollstreckt werden, gilt § 245 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. § 73 Vervollständigung inländischer Entscheidungen zur Verwendung im Ausland (1) Will ein Beteiligter einen Versäumnis- oder Anerkenntnisbeschluss, der nach § 38 Absatz 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in verkürzter Form abgefasst worden ist, in einem anderen Vertrags- oder Mitgliedstaat geltend machen, so ist der Beschluss auf Antrag dieses Beteiligten zu vervollständigen. Der Antrag kann bei dem Gericht, das den Beschluss erlassen hat, schriftlich gestellt oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Über den Antrag wird ohne mündliche Verhandlung entschieden. (2) Zur Vervollständigung des Beschlusses sind die Gründe nachträglich abzufassen, von den Richtern gesondert zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übergeben; die Gründe können auch von Richtern unterschrieben werden, die bei dem Beschluss nicht mitgewirkt haben. (3) Für die Berichtigung der Sachverhaltsdarstellung in den nachträglich abgefassten Gründen gelten § 113 Absatz 1 Satz 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und § 320 der Zivilprozessordnung. Jedoch können bei der Entscheidung über einen Antrag auf Berichtigung auch solche Richter mitwirken, die bei dem Beschluss oder der nachträglichen Abfassung der Gründe nicht mitgewirkt haben. (4) Die vorstehenden Absätze gelten entsprechend für die Vervollständigung von Arrestbefehlen und einstweiligen Anordnungen, die in einem anderen Vertrags- oder Mitgliedstaat geltend gemacht werden sollen und nicht mit einer Begründung versehen sind. § 74 Vollstreckungsklausel zur Verwendung im Ausland Vollstreckungsbescheide, Arrestbefehle und einstweilige Anordnungen, deren Zwangsvollstreckung in einem anderen Vertrags- oder Mitgliedstaat betrieben werden soll, sind auch dann mit der Vollstreckungsklausel zu versehen, wenn dies für eine Zwangsvollstreckung im Inland nach § 796 Absatz 1, § 929 Absatz 1 der Zivilprozessordnung und nach § 53 Absatz 1 und § 119 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht erforderlich wäre § 75 Mahnverfahren mit Zustellung im Ausland (1) Das Mahnverfahren findet auch statt, wenn die Zustellung des Mahnbescheids in einem anderen Vertrags- oder Mitgliedstaat erfolgen muss. In diesem Fall kann der Anspruch auch die Zahlung einer bestimmten Geldsumme in ausländischer Währung zum Gegenstand haben. (2) Macht der Antragsteller geltend, dass das angerufene Gericht auf Grund einer Gerichtsstandsvereinbarung zuständig sei, so hat er dem Mahnantrag die erforderlichen Schriftstücke über die Vereinbarung beizufügen. (3) Die Widerspruchsfrist (§ 692 Absatz 1 Nummer 3 der Zivilprozessordnung) beträgt einen Monat.

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Kapitel 5: Kosten; Übergangsvorschriften Abschnitt 1: Kosten § 76 Übersetzungen Die Höhe der Vergütung für die von der zentralen Behörde veranlassten Übersetzungen richtet sich nach dem Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz. Abschnitt 2: Übergangsvorschriften § 77 Übergangsvorschriften (1) Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Unterhaltstitels richtet sich für die am 18. Juni 2011 bereits eingeleiteten Verfahren nach dem Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz in der Fassung vom 3. Dezember 2009 (BGBl. I S. 3830) im Anwendungsbereich 1. der Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABI.L 12 vom 16.1.2001, S. 1), 2. des Abkommens vom 19. Oktober 2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeitund die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungenin Zivil- und Handelssachen (ABI. L 299 vom 16.11.2005, S. 62), 3. des Übereinkommens vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennungund Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABI. L 339 vom 21.12.2007, S: 3), 4. des Übereinkommens vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in· Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1994 II S. 2658) und 5. des Haager Übereinkommens vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (BGBI. 1986 II S. 826). (2) Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Titels richtet sich für Verfahren mit förmlicher Gegenseitigkeit (§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3), die am 18. Juni 2011 bereits eingeleitet sind, nach dem Auslandsunterhaltsgesetz vom 19. Dezember 1986 (BGBI. I S. 2563), das zuletzt durch Artikel 4 Absatz 10 des Gesetzes vom 17. Dezember 2006 (BGBI. I S. 3171) geändert worden ist. (3) Die gerichtliche Zuständigkeit für am 18. Juni 2011 noch nicht abgeschlossene Unterhaltssachen und anhängige Verfahren auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe bleibt unberührt. (4) Die §§ 30 bis 34 sind nur auf Titel anwendbar, die auf der Grundlage des Haager Protokolls vom 23. November 2007 über das anwendbare Recht (ABI. L 331 vom 16.12.2009, S. 19) ergangen sind. (5) Die §§ 16 bis 19 sind auch auf Ersuchen anzuwenden, die bei der zentralen Behörde am 18. Juni 2011 bereits anhängig sind.

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Rechtspflegergesetz (Auszug) § 20 Nr 6a eingefügt, § 20 Nr 10, § 20 Nr 16a, § 29 neu gefasst durch Art 2 Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr 4/2009 und zur Neuordnung bestehender Aus- und Durchführungsbestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts v 23.05.2011, BGBl 2011 I 898. § 3 Übertragene Geschäfte Dem Rechtspfleger werden folgende Geschäfte übertragen: (…) 3. die in den §§ 20 bis 24a, 25 und 25a dieses Gesetzes einzeln aufgeführten Geschäfte (…) g) auf dem Gebiet der Familiensachen, (…) 4. die in den §§ 29 und 31 dieses Gesetzes einzeln aufgeführten Geschäfte a) im internationalen Rechtsverkehr, (…) § 20 Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten Folgende Geschäfte im Verfahren nach der Zivilprozessordnung werden dem Rechtspfleger übertragen: (…) 6a. die Entscheidungen nach § 22 Absatz 3 des Auslandsunterhaltsgesetzes vom 23. Mai 2011 (BGBl. I S. 898); (…) 10. die Anfertigung eines Auszugs nach Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen; (…) 16a. die Anordnung, dass die Sache versteigert und der Erlös hinterlegt werde, nach § 21 des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes vom 19. Februar 2001 (BGBl. I S. 288, 436) und nach § 51 des Auslandsunterhaltsgesetzes vom 23. Mai 2011 (BGBl. I S. 898); (…) § 29 Geschäfte im internationalen Rechtsverkehr Dem Rechtspfleger werden folgende Aufgaben übertragen: (…) 2. die Entgegennahme von Anträgen auf Unterstützung in Unterhaltssachen nach § 7 des Auslandsunterhaltsgesetzes vom 23. Mai 2011 (BGBl. I S. 898) sowie die Entscheidung über Anträge nach § 10 Absatz 3 des Auslandsunterhaltsgesetzes; 3. die Entgegennahme von Anträgen nach § 42 Absatz 1 und die Entscheidung über Anträge nach § 5 Absatz 2 des Internationalen Familienrechtsverfahrensgesetzes vom 26. Januar 2005 (BGBl. I S. 162).

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Oktober 2014

Register n/Art x y bedeutet: systematische Verordnungsnummer/Art x Rn y. In diesem Band finden folgende systematischen Verordnungsnummern Verwendung: B.I.1 Brüssel IIa-VO, B.I.2 EG-UntVO, B.I.3 HUntVerfÜbk, B.I.4a EU-EheGüterVO-E, B.I.4b EU-LP-GüterVO-E, B.I.5 EU-SchutzMVO Abänderung Umgangsentscheidungen B.I.1/Art 40 10 zu vollstreckende Entscheidung B.I.1/ Art 43 7 Abänderungsantrag B.I.2/Art 21 42, B.I.2/ Art 40 1 Abänderungsentscheidung B.I.2/Art 56 25 f Zuständigkeitssperre B.I.2/Art 8 6 ff Abänderungsverfahren internationale Zuständigkeit B.I.3/Art 31 7 Abstammungsfeststellung B.I.2/Art 56 23, B.I.2/ Art 56 7 Abwendungssicherheit B.I.2/Art 21 37 Adoption B.I.2/Art 1 7 Amtsermittlung B.I.1/Art 17 15 ff autonome Grundsätze B.I.1/Art 17 16 Anerkennung B.I.1/Einl 16, B.I.2/Einl 25, B.I.2/ Art 23 1 ff, B.I.3/Art 20 1 ff amtswegige Prüfung B.I.3/Art 24 9 Anfechtung B.I.1/Art 41 6 Anmaßung Zuständigkeit B.I.3/Art 20 29 Annexentscheidung B.I.2/Art 17 2b Anwendungsbereich B.I.1/Art 21 2 ff Aufhebung B.I.5/Einf 117 f Aufrechnung B.I.2/Art 17 7 Aussetzung des Verfahrens B.I.1/Art 27 1 ff, B.I.2/Art 25 1 ff, B.I.3/Art 30 17 automatische B.I.1/Art 41 4 f, B.I.2/ Art 17 1 ff, B.I.2/Vorbem Art 16 2, B.I.3/ Art 23 4, B.I.5/Einf 92, B.I.4a/Einf 90 Bekanntgabe B.I.3/Art 23 6 Ehesachen B.I.1/Art 2 10 f einstweilige Maßnahmen B.I.1/Art 20 24 f Feststellungsentscheidungen B.I.1/Art 2 13 f gegenseitige B.I.5/Einf 58 ff gerichtlicher Vergleiche B.I.2/Art 24 3, B.I.2/ Art 48 6 ff güterrechtliche Entscheidungen B.I.4a/Einf 85 ff Herbeiführung einer Entscheidung B.I.3/ Art 20 18 ff Hindernis B.I.1/Art 19 60

indirekte Zuständigkeit B.I.3/Art 20 4 ff internationale Zuständigkeit B.I.2/Vorbem Art 3 14 ff Inzidentanerkennung B.I.1/Art 21 19 ff kirchengerichtliche Eheaufhebungen B.I.1/ Art 63 7 f kontradiktorisches Verfahren B.I.3/Art 24 1, B.I.3/Art 24 3 ff öffentliche Urkunden B.I.1/Art 46 11, B.I.2/ Art 24 3, B.I.2/Art 48 6 ff ordre public B.I.2/Art 24 4 ff Personenstandsbücher B.I.1/Art 21 25 ff rechtliches Gehör B.I.2/Art 24 12 ff Rechtsbehelf B.I.3/Art 23 7 ff Sorgerechtssachen B.I.1/Art 2 12 Sorgerechtsvereinbarungen B.I.1/Art 46 11 Spiegelbildprinzip B.I.2/Vorbem Art 3 16 f, B.I.3/Art 20 17 teilweise B.I.3/Art 21 3 ff Unterhaltsvereinbarung B.I.3/Art 30 5 f unvereinbare Entscheidungen B.I.2/ Art 24 16 f Verfahren B.I.1/Art 21 15 ff Verfahrensbeschleunigung B.I.3/Art 23 18, B.I.3/Art 24 13 Versagungsgründe B.I.2/Art 24 1 ff Vorfrage B.I.2/Art 17 2a vorzulegende Schriftstücke B.I.3/Art 25 4 ff widersprechende Entscheidungen B.I.2/ Art 17 4 ff Wirkung B.I.2/Art 17 3, B.I.2/Art 22 2, B.I.5/ Einf 94 Wirkungserstreckung B.I.1/Art 21 13 f Zuständigkeitsprüfung B.I.1/Art 24 2 ff Zweitentscheidung B.I.2/Art 56 16 Zwischenfeststellungsurteil B.I.1/Art 21 22 ff Anerkennungsfeststellungsverfahren B.I.1/ Art 21 31 ff Anerkennungsprinzip B.I.2/Einl 29 Anerkennungsverfahren B.I.3/Art 22 19 Abschaffung B.I.5/Einf 91 f

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Anerkennungsversagungsgründe Änderungen gegenüber Brüssel I-VO B.I.2/ Vorbem Art 23 3 ff Anwendbarkeit B.I.2/Vorbem Art 23 2 Anwesenheit Kind B.I.3/Art 29 1 lex fori B.I.3/Art 23 3 Anerkennungsversagungsgründe B.I.3/Art 22 3 ff Ehesachen B.I.1/Art 22 1 ff eindeutiges Einverständnis mit Ehescheidung B.I.1/Art 22 19 f eindeutiges Einverständnis mit Sorgerechtsentscheidung B.I.1/Art 23 14 f elterliche Verantwortung B.I.1/Art 23 1 ff ordre public B.I.1/Art 22 7 ff, B.I.1/Art 23 4 ff Prüfungsumfang B.I.1/Art 22 5 f rechtliches Gehör des Kindes B.I.1/Art 23 7 ff rechtliches Gehör Inhaber elterlicher Verantwortung B.I.1/Art 23 16 ff Rechtsunterschiede B.I.1/Art 25 3 ff Schutzmaßnahmen B.I.5/Einf 114 ff Unvereinbarkeit mit früherer Entscheidung B.I.1/Art 22 21 ff, B.I.1/Art 22 30 ff Unvereinbarkeit mit späterer Entscheidung B.I.1/Art 23 20 ff, B.I.1/Art 23 25a ff Zustellung B.I.1/Art 22 12 ff, B.I.1/ Art 23 10 ff Anhängigkeit B.I.1/Art 16 3 ff Ehesache B.I.1/Art 12 7 f einstweilige Regelungen B.I.1/Art 16 12 Versöhnungsverfahren B.I.1/Art 16 9 ff Anhängigkeit B.I.2/Art 13 3, B.I.2/Art 9 1 ff, B.I.3/ Art 22 6 Anhörung Antragsgegner B.I.5/Einf 35 Jugendamt B.I.5/Einf 17 Annexzuständigkeit Anerkennung frühere Zuständigkeit B.I.1/ Art 12 18 ff Beendigung B.I.1/Art 12 28 ff Bindung des Kindes B.I.1/Art 12 38 ff Kindeswohl B.I.1/Art 12 25 f, B.I.1/Art 12 46 Sorgerechtssachen B.I.1/Art 12 12 ff, B.I.2/ Art 3 51 ff Statusverfahren B.I.2/Art 3 46 ff Unterhaltsverfahren B.I.2/Art 3 46 ff, B.I.2/ Art 3 51 ff Anordnung bestätigende B.I.3/Art 31 3 ff einstweilige B.I.1/Art 35 8, B.I.5/Einf 34 provisorische B.I.3/Art 31 3 ff Anrufung des Gerichts B.I.1/Art 16 1 ff Verzögerungen B.I.1/Art 16 6 ff Zustellung B.I.1/Art 16 5 Antrag Abänderung B.I.3/Art 10 8, B.I.3/Art 10 11 Anerkennung B.I.3/Art 10 4, B.I.3/Art 26 4

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Register Angaben B.I.3/Art 11 3 ff, B.I.3/Art 11 17 ff angebrachte Angaben B.I.3/Art 11 12 ff Aussetzung B.I.3/Art 10 10 gemeinsamer B.I.1/Art 3 36 f öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen B.I.3/Art 36 6 Sorgerechtsverfahren B.I.1/Art 11 42 f Sprachfassung B.I.3/Art 44 3 ff Übermittlung durch Zentrale Behörde B.I.3/ Art 12 4 f Übersetzung B.I.3/Art 45 3 ff unmittelbarer B.I.3/Art 37 3 ff unvollständig B.I.3/Art 12 24 f verfahrenseinleitend B.I.3/Art 10 6 f Vollstreckung B.I.3/Art 10 5 Antragsberechtigung B.I.1/Art 21 34 ff, B.I.2/ Art 3 1 ff, B.I.2/Art 23 2 f Verfahrensfragen B.I.1/Art 21 38 ff Zuständigkeit B.I.1/Art 21 39 Antragsgegenstand B.I.2/ Vorbem Art 3 18 Anwendungsbereich B.I.1/Einl 21 ff, B.I.1/ Art 61 4 f beschränkter B.I.1/Einl 31 f Prüfungsumfang B.I.2/Art 16 9 universelle Anwendbarkeit B.I.1/Einl 27 ff, B.I.2/ Vorbem Art 3 2 Anwendungsbereich, persönlich B.I.1/Art 11 8, B.I.3/Art 2 1 ff, B.I.5/Einf 84 Abstammung B.I.3/Art 2 8 ff Ehegatten B.I.3/Art 2 13 f Kind B.I.3/Art 2 7, B.I.3/Art 2 27 f Anwendungsbereich, räumlich B.I.1/Einl 24, B.I.1/Einl 26, B.I.1/Art 21 4, B.I.1/Art 46 6 ff, B.I.1/Art 59 5 f, B.I.2/Einl 1 f, B.I.2/Art 1 48 ff, B.I.2/Art 16 8, B.I.5/Einf 44 f, B.I.5/Einf 83, B.I.4a/Einf 22 Dänemark B.I.2/Art 1 50 Irland B.I.2/Art 1 48 überseeische Gebiete B.I.2/Art 1 51 Vereinigtes Königreich B.I.2/Art 1 48 f Kindesentführung B.I.1/Art 10 5 ff Anwendungsbereich, räumlich-persönlich B.I.1/ Art 6 1 ff, B.I.1/Art 14 1, B.I.1/Art 18 4 ff Ausschließlichkeit B.I.1/Art 6 1 ff Konkurrenzverhältnis Art 3-5 B.I.1/Art 6 6 ff Anwendungsbereich, sachlich B.I.1/Einl 21 ff, B.I.1/Art 1 1 ff, B.I.1/Art 12 6, B.I.1/Art 20 13 f, B.I.1/Art 21 2 f, B.I.1/Art 28 8 ff, B.I.1/Art 42 2, B.I.1/Art 46 3 ff, B.I.1/Art 59 3, B.I.2/Einl 2, B.I.2/ Einl 18 f, B.I.2/Art 1 1 ff, B.I.2/Art 16 2 ff, B.I.3/ Einl 18 ff, B.I.3/Art 2 1 ff, B.I.5/Einf 82, B.I.4a/ Einf 15 ff, B.I.4b/Einf 2 Abgrenzung zum Güterrecht B.I.2/Art 1 24 ff Adoption B.I.1/Art 1 35 Asylentscheidungen B.I.1/Art 1 36

Register behördliche Aufsicht B.I.1/Art 1 34 Beistandschaft B.I.1/Art 1 30 deliktische Ansprüche B.I.2/Art 1 29 Ehebegriff B.I.1/Art 1 5 ff, B.I.2/Art 1 3 ff Ehewohnung B.I.2/Art 1 27a Eingetragene Lebenspartnerschaft B.I.1/ Art 1 5 ff elterliche Verantwortung B.I.1/Art 1 21 ff Entscheidungsgegenstand B.I.2/Art 16 5 Erbschaft B.I.1/Art 1 35 Exequaturentscheidungen B.I.2/Art 16 3 Familienverhältnis B.I.2/Art 1 1 ff Folgesachen B.I.1/Art 1 17 ff funktionelle Qualifikation B.I.2/Art 1 17 f Gleichgeschlechtliche Partnerschaft B.I.1/ Art 1 5 ff Inobhutnahme B.I.1/Art 1 32 Kindesrückgabe B.I.1/Art 40 16 f Morgengabe B.I.2/Art 1 27c nachehelicher Unterhalt B.I.2/Art 1 32 Namensrecht B.I.1/Art 1 35 öffentliche Einrichtungen B.I.2/Art 1 38 ff Pflegschaft B.I.1/Art 1 30 Scheidung B.I.1/Art 1 1 Schutzmaßnahmen B.I.1/Art 1 22 Sorgerecht B.I.1/Art 1 27 ff soziale Sicherheit B.I.1/Art 1 36 Statusentscheidungen B.I.1/Art 1 35 Straftaten B.I.1/Art 1 35 Trennung ohne Auflösung B.I.1/Art 1 2 Umgangsrecht B.I.1/Art 1 27 ff, B.I.1/ Art 40 12 ff Ungültigerklärung der Ehe B.I.1/Art 1 3 Unterbringung des Kindes B.I.1/Art 1 32 Unterhaltsanspruch B.I.3/Art 2 12, B.I.3/ Art 2 15 ff Unterhaltspflicht B.I.1/Art 1 35, B.I.2/ Art 1 22 ff, B.I.3/Art 2 6 Vermögensverwaltung B.I.1/Art 1 33 Versorgungsausgleich B.I.2/Art 1 27b vertraglicher Anspruch B.I.2/Art 1 30 f Verwaltungsentscheidungen B.I.2/Art 16 3 Volljährigerklärung B.I.1/Art 1 35 vorläufige Vollstreckbarkeit B.I.2/Art 16 4 Vormundschaft B.I.1/Art 1 30 Zinsen B.I.2/Art 1 28 Zivilsache B.I.1/Art 1 10 ff, B.I.1/Art 1 20, B.I.2/Art 1 44 ff, B.I.5/Einf 82 Anwendungsbereich, zeitlich B.I.1/Einl 25, Art 19 B.I.1/Art 64 20 ff, B.I.1/Art 21 5 ff, B.I.1/Art 59 4, B.I.1/Art 64 1 ff, B.I.1/Art 72 2, B.I.2/Einl 1, B.I.2/ Art 16 7, B.I.2/Art 48 21 B.I.2/Art 75 2 ff, B.I.3/ Art 56 3 ff, B.I.3/Art 60 1, B.I.5/Einf 85, B.I.5/Einf 121, B.I.4a/Einf 21

Auffangzuständigkeit abgeschlossene Brüssel II-VO-Verfahren B.I.1/Art 64 12 f Altverfahren B.I.1/Art 64 16, B.I.2/Art 75 7 ff Anerkennungsregeln B.I.1/Art 64 6 ff behördliche Zusammenarbeit B.I.2/Art 75 14 Beitrittsstaaten B.I.1/Art 64 3 Brüssel II-VO-Altverfahren B.I.1/Art 64 14 f doppelte Rechtshängigkeit B.I.2/Art 75 13a HUntStProt 2007 B.I.2/Art 15 19 ff Lücken B.I.1/Art 64 17 ff übergeleitete Brüssel II-VO-Verfahren B.I.1/ Art 64 8 ff Vollstreckungsregeln B.I.1/Art 64 6 ff Zuständigkeitsregeln B.I.1/Art 64 4 f Apostille B.I.2/Art 65 1 Äquivalenzgebot B.I.5/Einf 47 Aufenthalt, gewöhnlicher B.I.1/Einl 50 f, B.I.1/ Art 3 21 ff, B.I.1/Art 3 34, B.I.1/Art 8 11 ff, B.I.2/ Vorbem Art 3 6, B.I.2/Art 3 23 ff, B.I.4a/Einf 29 f, B.I.4a/Einf 71 f alternierender B.I.1/Art 8 11 Begriff B.I.4a/Einf 65 ff Dauer B.I.1/Art 3 41 f, B.I.1/Art 8 11c Entwicklung B.I.4a/Einf 62 ff EuGH-Rechtsprechung B.I.1/Einl 50 f familiäre Integration B.I.1/Art 8 11d gemeinsamer B.I.1/Art 3 23, B.I.4b/Einf 15 f Kind B.I.2/Art 3 34 ff Kindesentführung B.I.1/Art 8 12 ff, B.I.2/Art 3 38 Kindeswohl B.I.1/Art 8 11a letzter gemeinsamer B.I.1/Art 3 27 mehrfacher B.I.1/Art 3 22a, B.I.1/Art 8 11 Mehr-Jurisdiktionen-Staat B.I.1/Art 66 4 Mindestdauer B.I.1/Art 3 24 Staatsangehörigkeit B.I.1/Art 8 11e Wille B.I.1/Art 3 22b, B.I.1/Art 8 11d Aufenthalt, schlichter B.I.1/Art 3 43, B.I.3/ Art 9 5 f Aufenthaltszuständigkeit B.I.1/Art 3 19 ff Aufenthaltsbegriff B.I.1/Art 3 21 ff Aufenthaltsdauer B.I.1/Art 3 41 f forum actoris B.I.1/Art 3 39 ff forum actoris im Heimatstaat B.I.1/ Art 3 45 ff forum rei B.I.1/Art 3 31 ff gemeinsamer Antrag B.I.1/Art 3 35 ff schlichter Aufenthalt B.I.1/Art 3 43 Auffangzuständigkeit B.I.2/Art 6 1 ff, B.I.4b/Einf 5 domicile B.I.2/Art 6 11 LugÜbk 2007 B.I.2/Art 6 12 Mehrstaater B.I.2/Art 6 9 Prozessstandschaft B.I.2/Art 6 9 Subsidiarität B.I.2/Art 6 8 Voraussetzungen B.I.2/Art 6 4 ff

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Aufgebotsverfahren Aufgebotsverfahren B.I.1/Art 11 38 f Ausfertigung der Entscheidung B.I.1/Art 32 2, B.I.1/Art 38 2, B.I.1/Art 45 7, B.I.2/Art 20 3 Ausführungsbestimmungen B.I.2/Art 16 15 Auslegung autonome B.I.1/Art 20 5, B.I.1/Art 41 28, B.I.1/Einl 33, B.I.2/Einl 34, B.I.2/Art 7 5, B.I.2/Art 15 24, B.I.3/Art 2 6, B.I.3/Art 9 6, B.I.5/Einf 75 einheitliche B.I.2/Einl 35, B.I.3/Art 53 3 f Erwägungsgründe B.I.3/ErwGr 8 EuGH B.I.1/Einl 38 ff, B.I.1/Einl 60, B.I.1/ Art 17 8, B.I.2/Einl 33, B.I.2/Art 15 23, B.I.5/ Einf 70 Grundsätze B.I.1/Einl 33 ff, B.I.2/Einl 36 ff historische B.I.1/Einl 35, B.I.1/Art 10 10, B.I.2/Einl 40, B.I.5/Einf 77 HUntStProt 2007 B.I.2/Einl 22, B.I.2/Art 1 1 Rechtsprechungssammlung B.I.2/Art 15 26 rechtsvergleichende B.I.2/Einl 43, B.I.5/Einf 75 sprachliche B.I.1/Einl 34, B.I.1/Art 6 7, B.I.2/ Einl 36, B.I.5/Einf 74 systematische B.I.1/Einl 37, B.I.2/Einl 37 ff, B.I.5/Einf 76 teleologische B.I.1/Einl 36, B.I.1/Art 10 27, B.I.1/Art 6 14a, B.I.2/Einl 42, B.I.5/Einf 78 übereinkommensautonom B.I.2/Einl 41, B.I.2/Art 15 25, B.I.3/Art 2 10 Wortlaut B.I.1/Einl 34, B.I.1/Art 6 7, B.I.2/ Einl 36, B.I.5/Einf 74 Ausschließlichkeitsanordnung B.I.1/Art 6 1 ff Ausschuss B.I.1/Art 70 1 Außenkompetenz B.I.2/Art 15 2 Aussetzung B.I.1/Art 18 12, B.I.2/Art 11 6, B.I.2/ Art 12 1 ff, B.I.2/Art 13 7 ff, B.I.2/Art 21 18 ff, B.I.2/Art 32 7, B.I.2/Art 35 1 ff, andere Familiensachen B.I.1/Art 19 21 f Anerkennung B.I.1/Art 27 1 ff Anspruchsidentität B.I.1/Art 19 18 f, B.I.1/ Art 19 39 ff Anwendungsbereich B.I.1/Art 27 2 f Ehesachen B.I.1/Art 19 15 ff einstweilige Anordnung B.I.1/Art 35 8 Inlandsfälle B.I.2/Art 21 21 nationale Rechtsbehelfe B.I.2/Art 21 22 Nichtmitgliedstaat B.I.2/Art 12 17 f Parteiidentität B.I.1/Art 19 17, B.I.1/ Art 19 38 Sicherheitsleistung B.I.1/Art 35 7 Sorgerechtssachen B.I.1/Art 19 37 ff Ursprungsstaat B.I.2/Art 21 23 ff Verbundentscheidung B.I.1/Art 19 41 f Verfahrensweise B.I.1/Art 19 23 f Vollstreckbarerklärung B.I.1/Art 35 1 ff

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Register Vollstreckungsverfahren B.I.2/Art 19 22 von Amts wegen B.I.2/Art 12 13, B.I.2/ Art 13 8 Voraussetzungen B.I.1/Art 27 4 f vorläufiger Rechtsschutz B.I.1/Art 19 43 Ausstellungsbehörde B.I.5/Einf 89 Auswanderung B.I.1/Art 3 28 ff Belästigung, unzumutbare B.I.5/Einf 8 Bescheinigung über Schutzanordnung Anhörung B.I.5/Einf 101 Aufhebung B.I.5/Einf 106 f Ausstellung B.I.5/Einf 96 Berichtigung B.I.5/Einf 106 f Inhalt B.I.5/Einf 102 Rechtsbehelf B.I.5/Einf 97 Übersetzung B.I.5/Einf 98 Voraussetzungen B.I.5/Einf 99 ff Zuständigkeit Ausstellungsbehörde B.I.5/ Einf 96 Zustellung B.I.5/Einf 103 ff Beschleunigungsgrundsatz B.I.1/Art 31 3, B.I.2/ Art 30 3 f Betrügerische Machenschaften B.I.3/Art 22 4 Bindungswirkung B.I.3/Art 27 3 f Brüssel I-VO B.I.1/Einl 21, B.I.1/Einl 34, B.I.1/ Art 2 6, B.I.1/Art 16 3, B.I.1/Art 17 3, B.I.1/ Art 18 1 ff, B.I.1/Art 19 2 f, B.I.1/Art 20 1, B.I.1/ Art 20 3 ff, B.I.1/Art 21 33, B.I.1/Art 22 3 f, B.I.1/ Art 22 13, B.I.1/Art 23 1, B.I.1/Art 23 21, B.I.1/ Art 24 1, B.I.1/Art 26 1, B.I.1/Art 27 1, B.I.1/ Art 27 7, B.I.1/Art 28 19, B.I.1/Art 28 5 f, B.I.1/ Art 30 1, B.I.1/Art 31 1, B.I.1/Art 33 1, B.I.1/ Art 34 1, B.I.1/Art 37 1 f, B.I.1/Art 39 1, B.I.1/ Art 51 1, B.I.1/Art 51 5 f, B.I.5/Einf 62 Brüssel Ia-Reform B.I.1/Einl 60 Brüssel IIa-VO Anwendungsbericht B.I.1/Einl 60 Ausführungsgesetz B.I.1/Einl 59 Ausführungsübereinkommen B.I.1/Art 59 15 Inkrafttreten B.I.1/Art 72 1 Kompetenzgrundlage B.I.1/Einl 2 Reformbestrebungen B.I.1/Einl 43 ff, B.I.1/ Einl 53 ff, B.I.1/Art 7 25 Überprüfung B.I.1/Art 65 1 Verhältnis zu altrechtlichen Übereinkommen B.I.1/Art 59 1 ff Verhältnis zu Brüssel I-VO B.I.1/Einl 21, B.I.1/Art 21 9 Verhältnis zu EG-UntVO B.I.1/Art 20 20, B.I.1/Art 21 9 Verhältnis zu HKindEntfÜbk B.I.1/Einl 19, B.I.1/Art 11 5 ff, B.I.1/Art 61 8, B.I.1/ Art 62 2 ff Verhältnis zu KSÜ B.I.1/Einl 18, B.I.1/Einl

Register 22, B.I.1/Art 8 1 ff, B.I.1/Art 12 3, B.I.1/ Art 12 4, B.I.1/Art 12 42 f, .I.1/Art 13 11, B.I.1/Art 14 3, B.I.1/Art 20 18 f, B.I.1/ Art 21 10, B.I.1/Art 61 9 ff Verhältnis zu lex fori B.I.1/Art 21 11 Verhältnis zu MSA B.I.1/Art 12 3a, B.I.1/ Art 12 42 f, B.I.1/Art 13 11, B.I.1/Art 14 4, B.I.1/Art 20 18 f, B.I.1/Art 21 10, B.I.1/ Art 8 1 ff Verhältnis zu Völkerverträgen B.I.1/Einl 17, B.I.1/Einl 20 Vorrangverhältnis B.I.1/Art 61 1 ff, B.I.1/ Art 62 1 Verhältnis zu Sorgerechtsübereinkommen B.I.1/Einl 8 f Brüssel II-VO B.I.1/Art 12 1 ff Aufhebung B.I.1/Art 71 1 f Reform B.I.1/Einl 1 Bundesamt für Justiz B.I.1/Art 53 3 CEFL B.I.1/Einl 56 Common Law marriage B.I.1/Art 1 8 Daten, personenbezogene B.I.3/Art 38 3 Datenschutz B.I.3/Art 38 1 ff Deutsch-französischer Wahlgüterstand B.I.4a/ Einf 14 Diskriminierungsverbot B.I.1/Art 3 47, B.I.1/ Art 3 5 f, B.I.1/Art 3 54 f, B.I.1/Art 51 3, B.I.1/ Art 59 10, B.I.1/Art 7 19, B.I.1/Art 7 7, B.I.3/ Art 14 14, B.I.3/Art 33 3 f Dokument, elektronisches B.I.3/Art 25 3 Domicile B.I.1/Einl 51 f B.I.1/Art 3 48, B.I.1/ Art 3 51 ff, B.I.1/Art 3 61 ff, B.I.1/Art 6 17, B.I.2/ Art 2 20 ff Mehr-Jurisdiktionen-Staat B.I.1/Art 66 5 Doppelexequatur B.I.2/Art 16 3 Drohung B.I.5/Einf 8 Dynamisierter Unterhaltstitel B.I.2/Art 20 22 Effektivitätsgrundsatz (effet utile) B.I.5/Einf 47, B.I.5/Einf 78 EG-BagatellVO B.I.2/Einl 9 EG-BewVO B.I.2/Art 53 26, B.I.3/Art 6 18 EG-ErbVO B.I.2/Art 1 21 EG-MahnVO B.I.2/Einl 9, B.I.2/Art 3 21b, B.I.5/ Einf 62 EGMR B.I.1/Art 11 4, B.I.1/Art 11 58, B.I.1/ Art 41 8, B.I.1/Art 42 5c EG-UntVO Inkrafttreten B.I.2/Art 76 1 Verhältnis zu bilateralen Verträgen B.I.2/ Art 69 18 f Verhältnis zu Brüssel I-VO B.I.2/Art 68 2 ff Verhältnis zu Datenschutz-RL B.I.2/Art 68 8

Einstweilige Maßnahmen Verhältnis zu EG-MahnVO B.I.2/Art 68 9 Verhältnis zu EG-VollstrTitelVO B.I.2/ Art 68 5 ff Verhältnis zu HUntAVÜbk 1958 B.I.2/ Art 69 5 ff Verhältnis zu HUntAVÜbk 1973 B.I.2/ Art 69 5 ff Verhältnis zu HUntVerfÜbk 2007 B.I.2/ Art 69 9 ff, B.I.3/Einl 47 ff Verhältnis zu Lugano-Übereinkommen B.I.2/Art 69 16 ff Verhältnis zu New Yorker Übereinkommen B.I.2/Art 69 15 Verhältnis zu PKH-RL B.I.2/Art 68 8 Verordnungsentwurf B.I.2/Einl 12, B.I.2/ Art 15 7 ff EG-VollstrTitelVO B.I.1/Art 40 2, B.I.1/Art 40 4, B.I.1/Art 41 17, B.I.1/Art 43 1, B.I.1/Art 43 6, B.I.1/Art 44 1, B.I.5/Einf 62 EG-ZustellVO B.I.1/Art 18 19 f, B.I.1/Art 22 15, B.I.1/Art 22 18, B.I.1/Art 33 8, B.I.2/Art 11 2 ff Ehe B.I.2/Einl 46, B.I.2/Art 1 3 ff Begriff B.I.1/Art 1 5 ff katholisches Recht B.I.1/Art 63 1 ff Vorfrage B.I.1/Art 1 19, B.I.1/Art 1 9 Ehegatte B.I.3/Art 2 13 f Ehesachen Aussetzung des Verfahrens B.I.1/Art 19 15 ff einstweilige Maßnahmen B.I.1/Art 20 1 ff Ehevertrag B.I.4a/Einf 58 Ehewirkungen B.I.4a/Einf 19 Ehewohnung Schutz B.I.4a/Einf 77, B.I.4b/Einf 17 Eilmaßnahmen B.I.1/Art 2 17 f Eilverfahren B.I.5/Einf 35 Eingetragene Lebenspartnerschaft B.I.1/Art 1 5 ff, B.I.2/Art 1 5a, B.I.2/Art 1 15, B.I.4b/Einf 2 Eingriffsnormen B.I.4a/Einf 77 ff, B.I.4b/Einf 17 ff Einleitung des Verfahrens B.I.1/Art 6 18 ff, B.I.1/ Art 7 11, B.I.1/Art 64 4 f B.I.2/Art 15 21, B.I.2/ Art 75 3 f gerichtliche Vergleiche B.I.2/Art 75 5 öffentliche Urkunden B.I.2/Art 75 6 Zeitpunkt B.I.1/Art 64 5 Einstweilige Maßnahmen B.I.1/Art 20 1 ff Anerkennung B.I.1/Art 20 24 f Außerkrafttreten B.I.1/Art 20 27 ff außerordentliche Zuständigkeiten B.I.1/ Art 20 17 ff Begriff B.I.1/Art 20 5 ff Dringlichkeit B.I.1/Art 20 3 Gegenstand B.I.1/Art 20 10 ff Verhältnis zu Hauptsacheverfahren B.I.1/ Art 20 4a, B.I.1/Art 20 16a

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Einstweiliger Rechtsschutz Einstweiliger Rechtsschutz B.I.2/Einl 48, B.I.2/ Art 13 9, B.I.2/Art 14 1 ff einzelstaatliche Zuständigkeit B.I.2/ Art 14 12 ff Gerichtsstandsvereinbarung B.I.2/Art 14 8a grenzüberschreitender Bezug B.I.2/Art 14 2 Leistungsanordnungen B.I.2/Art 14 5 Maßnahmen B.I.2/Art 14 3 ff nationale Zuständigkeitsvorschriften B.I.2/ Art 14 16 ff rügelose Einlassung B.I.2/Art 14 8b Sicherungsmaßnahmen B.I.2/Art 14 4 Zuständigkeit B.I.2/Art 14 7 ff Elterliche Verantwortung B.I.1/Art 1 21 ff allgemeine Zuständigkeit B.I.1/Art 8 6 ff Annexzuständigkeit B.I.1/Art 12 15 ff Anwesenheitszuständigkeit B.I.1/Art 13 9 ff Aussetzung des Verfahrens B.I.1/Art 19 37 ff besondere Zuständigkeiten B.I.1/Art 12 1 ff, B.I.1/Art 13 1 ff, B.I.1/Art 9 1 ff einstweilige Maßnahmen B.I.1/Art 20 1 ff Kollisionsrecht B.I.1/Art 8 21 ff Restzuständigkeit B.I.1/Art 14 1 ff sonstige Zuständigkeiten B.I.1/Art 8 15 ff Träger B.I.1/Art 2 24 Umgangsrecht B.I.1/Art 9 1 ff Zuständigkeitsvereinbarung B.I.1/Art 12 5 ff Zuständigkeitsverweisung B.I.1/Art 15 5 ff Eltern-Kind-Beziehung B.I.3/Art 2 8 ff EMRK B.I.1/Art 11 11, B.I.1/Art 19 49, B.I.1/ Art 23 6a, B.I.1/Art 42 5a f, B.I.2/Art 21 50, B.I.3/ Art 23 18 Entscheidung B.I.1/Art 2 5 ff, B.I.2/Art 56 4, B.I.3/ Art 19 5 Ablehnung Kindesrückgabeantrag B.I.1/ Art 11 33 ff antragsabweisende B.I.1/Art 22 26 ff, B.I.1/ Art 22 32 behördliche B.I.1/Art 1 10, B.I.1/Art 2 6 Bestandskraft B.I.1/Art 2 15 f Ehesachen B.I.1/Art 2 10 f Ehescheidung B.I.1/Art 22 25 Ehetrennung B.I.1/Art 22 23 Ehewirkungen B.I.1/Art 22 29 Eilmaßnahmen B.I.1/Art 2 17 f einstweiliger Rechtsschutz B.I.2/Art 2 3 Feststellungsbegehren B.I.1/Art 1 13 ff Freizügigkeit B.I.5/Einf 57 gerichtliche B.I.2/Art 2 2 f, B.I.3/Art 19 3 Inhalt B.I.3/Art 19 6 f Kindesrückgabe B.I.1/Art 43 2 kirchliche B.I.1/Art 1 11, B.I.1/Art 2 7 f Kostenfestsetzung B.I.1/Art 49 1 ff negative Feststellungsbegehren B.I.1/Art 2 14 Nichtigerklärung der Ehe B.I.1/Art 22 24

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Register öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen B.I.3/Art 36 5 positive Feststellungsbegehren B.I.1/Art 2 13 Privatscheidung B.I.1/Art 1 12, B.I.1/Art 2 9 Sorgesachen B.I.1/Art 2 12 Umgangsrecht B.I.1/Art 9 9 ff Unterhaltsvereinbarung B.I.3/Art 19 8, B.I.3/Art 30 3 ff Verwaltungsbehörde B.I.3/Art 19 3 f verwaltungsgerichtliche B.I.2/Art 2 2, B.I.2/ Art 2 17 ff vorläufige B.I.2/Art 2 3 widersprechende B.I.2/Art 13 1 ff, B.I.3/ Art 22 10 EO-Novelle 2014 B.I.5/Einf 53 ff Anpassung Schutzmaßnahme B.I.5/Einf 110, B.I.5/Einf 112 Anerkennungs– und Vollstreckungsversagung B.I.5/Einf 115 Anpassung ausländischer Schutzmaßnahmen B.I.5/Einf 55 Aufhebung Anerkennung– und Vollstreckung B.I.5/Einf 118 Berichtigung Bescheinigung B.I.5/Einf 107 Vollstreckungsverfahren B.I.5/Einf 95 Zuständigkeit B.I.5/Einf 54, B.I.5/Einf 96 Ermessen B.I.1/Art 38 5, B.I.1/Art 38 7, B.I.2/ Art 7 13, B.I.2/Art 11 7, B.I.2/Art 11 9, B.I.2/ Art 18 10, B.I.2/Art 21 9 ff, B.I.2/Art 39 2, B.I.2/ Art 45 3, B.I.3/Art 22 15 f ~sentscheidung B.I.2/Art 53 31 billiges B.I.1/Art 41 14 doppeltes B.I.2/Art 21 19 pflichtgemäßes B.I.1/Art 35 6, B.I.1/Art 38 9 Zentrale Behörde B.I.3/Art 5 7, B.I.3/Art 8 9, B.I.3/Art 12 22 Errungenschaftsgemeinschaft B.I.4a/Einf 68 EU-EheGüterVO-E B.I.1/Einl 12 Entstehungsgeschichte B.I.4a/Einf 4 ff Verhältnis zu bilateralen Übereinkommen B.I.4a/Einf 14 Verhältnis zu EU-ErbVO B.I.4a/Einf 20 Verhältnis zu Haager GüterrechtsÜbk B.I.4a/ Einf 8 Verhältnis zu multilateralen Übereinkommen B.I.4a/Einf 12 f Verordnungsvorschlag B.I.4a/Einf 5 EU-ErbVO B.I.4a/Einf 3, B.I.4a/Einf 20, B.I.4a/Einf 44 EUGewSchVG B.I.5/Einf 49 ff Anerkennungs– und Vollstreckungsversagung B.I.5/Einf 115 Anpassung Schutzmaßnahme B.I.5/Einf 52, B.I.5/Einf 110, B.I.5/Einf 112

Register Aufhebung Anerkennung– und Vollstreckung B.I.5/Einf 118 Begriffsbestimmungen B.I.5/Einf 50 Berichtigung Bescheinigung B.I.5/Einf 107 Verfahren B.I.5/Einf 51 f Versagungsantrag B.I.5/Einf 52 Vollstreckung B.I.5/Einf 52 Vollstreckungsverfahren B.I.5/Einf 95 Zuständigkeit B.I.5/Einf 51 f, B.I.5/Einf 96 EuGH abstraktes Vorlageverfahren B.I.1/Einl 41 f Aufenthaltsbegriff B.I.1/Art 3 22a f Auslegungskompetenz B.I.5/Einf 70 Begriff der einstweiligen Maßnahme B.I.1/ Art 20 6 ff Eilverfahren B.I.1/Einl 40 gegenseitiges Vertrauen B.I.5/Einf 65 gewöhnlicher Kindesaufenthalt B.I.1/ Art 8 11a Kindesrückgabe B.I.1/Art 42 5a Konkurrenzverhältnis Art 3-5 zu Art 6 B.I.1/ Art 6 11 f, B.I.1/Art 6 23 Konkurrenzverhältnis Art 6 zu Art 7 B.I.1/ Art 7 2 ff Vorabentscheidungsverfahren B.I.1/Einl 38 f EU-Grundrechtecharta B.I.1/Art 3 6, B.I.1/ Art 3 10, B.I.1/Art 19 49, B.I.1/Art 42 5a, B.I.4b/ Einf 9 EuGVÜ B.I.2/Einl 4 f EU-LP-GüterVO-E Anwendungsbereich B.I.4b/Einf 2 Entstehungsgeschichte B.I.4b/Einf 1 Kollisionsrecht B.I.4b/Einf 7 ff Verfahrensrecht B.I.4b/Einf 3 ff Europäische Kommission Kontrollaufgabe B.I.2/Art 74 1 Europäischer Vollstreckungstitel B.I.2/Einl 7 Europäisches Justizielles Netz für Zivil– und Handelssachen B.I.2/Art 50 1, B.I.5/Einf 63, B.I.5/ Einf 68, B.I.5/Einf 108, B.I.5/Einf 119 Europäisches SorgerechtsÜbk B.I.1/Art 53 3, B.I.1/Art 54 3 EU-SchutzMVO Anerkennung B.I.5/Einf 91 ff Anerkennungsversagung B.I.5/Einf 114 ff Anerkennungswirkung B.I.5/Einf 94 Anwendungsbereich B.I.5/Einf 82 ff Anwendungsbericht B.I.5/Einf 120 Aufhebung d Anerkennung B.I.5/Einf 117 f Aufhebung d Vollstreckung B.I.5/Einf 117 f Bescheinigung B.I.5/Einf 92, B.I.5/Einf 96 ff Durchführungsrechtsakte B.I.5/Einf 120, B.I.5/Einf 46 Entstehungsgeschichte B.I.5/Einf 38 ff Formblätter B.I.5/Einf 122 f

Formblatt Gegenstand B.I.5/Einf 81 Geltungsbereich B.I.5/Einf 1 Gesetzgebungsverfahren B.I.5/Einf 43 Hilfestellung durch Behörde B.I.5/Einf 108 Inkrafttreten B.I.5/Einf 1, B.I.5/Einf 121 legislative Entschließung B.I.5/Einf 41 f nationale Durchführungsbestimmungen B.I.5/Einf 47 ff rügelose Einlassung B.I.5/Einf 100 Urkunden B.I.5/Einf 119 Verhältnis zu Brüssel I-VO B.I.5/Einf 82 Verordnungsvorschlag B.I.5/Einf 40 Vollstreckung B.I.5/Einf 91 ff Vollstreckungsversagung B.I.5/Einf 114 f Zielsetzung B.I.5/Einf 56 ff Exequatur s Vollstreckbarerklärungsverfahren FamFG B.I.1/Art 15 40 Anerkennung B.I.1/Art 22 31 Anerkennung Ehesachenurteile B.I.1/ Art 21 17 Anerkennung Scheidung B.I.1/Art 19 36 Anhörung Kind B.I.1/Art 23 9 Gewaltschutzsachen B.I.5/Einf 49 Verfahren in Gewaltschutzsachen B.I.5/Einf 5, B.I.5/Einf 17 Verfahrenskonzentration B.I.1/Art 21 40 Zuständigkeit Gewaltschutzsachen B.I.5/ Einf 15 Zustellung Bescheinigung über Schutzanordnung B.I.5/Einf 104 Zwischenfeststellung B.I.1/Art 21 22 ff Familienrechtsvereinheitlichung B.I.1/Einl 56 ff Familienverhältnis B.I.2/Einl 46, B.I.2/Art 1 1 ff Feststellungsantrag, negativer B.I.1/Art 1 16, B.I.1/Art 40 21 ff Feststellungsantrag, positiver B.I.1/Art 1 15 Feststellungsverfahren B.I.1/Art 1 13 ff, B.I.1/ Art 43 5 Flüchtlinge B.I.1/Art 13 12 f Folgezuständigkeit B.I.1/Art 5 1 ff Abänderung von Unterhaltsentscheidungen B.I.1/Art 5 3 andere Ehesachen B.I.1/Art 5 2 forum shopping B.I.1/Art 3 11 Scheidungsstatut B.I.1/Art 3 8 ff Formblatt B.I.1/Art 41 19 ff, B.I.1/Art 42 12 ff, B.I.2/Art 20 13d ff Änderung B.I.1/Art 69 1, B.I.2/Art 20 19, B.I.3/Art 55 3 ff Angaben B.I.2/Art 20 16 ff Antragsberechtigung B.I.2/Art 20 13 f Bindung B.I.2/Art 20 18b Entscheidungen in Ehesachen B.I.1/ Art 39 1 ff

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Forum non conveniens Entscheidungen über elterliche Verantwortung B.I.1/Art 39 1 ff Eröffnung Anwendungsbereich B.I.2/ Art 20 17 nationale Verfahrensvorschriften B.I.2/ Art 20 20 ff öffentliche Urkunden B.I.1/Art 46 13 Rechtsbehelfe B.I.2/Art 20 18a Rechtscharakter B.I.2/Art 20 13d Schutzmaßnahmen B.I.5/Einf 122 f Sorgerechtsvereinbarungen B.I.1/Art 46 13 Übersetzung B.I.1/Art 39 6 f, B.I.1/Art 41 22 Verständlichkeit B.I.1/Art 41 21 Vollstreckbarkeit der Entscheidung B.I.2/ Art 20 16a Vorprüfung B.I.2/Art 20 14a Zentrale Behörden B.I.3/Art 11 22 Zuständigkeit B.I.2/Art 20 13e Forum non conveniens B.I.1/Art 12 46, B.I.1/ Art 15 1 ff, B.I.1/Art 19 15, B.I.1/Art 19 5 Anrufung B.I.1/Art 15 28 ff Fallsituationen B.I.1/Art 15 11 ff Frist B.I.1/Art 15 25 ff Kindeswohl B.I.1/Art 15 18 f Rechtsmittel B.I.1/Art 15 39 f Voraussetzungen B.I.1/Art 15 5 ff Zuständigerklärung B.I.1/Art 15 34 ff Forum shopping B.I.1/Einl 46, B.I.1/Art 3 11, B.I.1/Art 3 15, B.I.2/Vorbem Art 3 23, B.I.2/ Art 3 6, B.I.3/Einl 6, B.I.3/Art 18 1 Freiheitsverletzung B.I.5/Einf 7 Gebühren B.I.1/Art 51 5 Gegenantrag B.I.1/Art 4 1 ff Gegenseitiges Vertrauen B.I.5/Einf 61 ff Gegenstand des Verfahrens B.I.3/Art 22 8 Genfer Flüchtlingskonvention B.I.2/Art 7 9 Gericht B.I.1/Art 2 2 f, B.I.1/Art 68 1 ff Gerichtsstand Beklagter B.I.2/Art 3 22 ff Unterhaltsberechtigter B.I.2/Art 3 40 ff Gerichtsstandsvereinbarung B.I.2/Art 4 1 ff, B.I.4a/Einf 28, B.I.4a/Einf 33 ff, B.I.4b/Einf 6 Aussetzung des Verfahrens B.I.2/Art 12 16 Bestimmtheit B.I.2/Art 4 26 Bindungswirkung B.I.2/Art 4 58 Domicile B.I.2/Art 4 36 f Drittstaaten B.I.2/Art 4 65 Drittstaatenzuständigkeit B.I.2/Art 4 5 f Ehegatten B.I.2/Art 4 41 ff Eheverträge B.I.2/Art 4 23 f Einigung B.I.2/Art 4 20 f Form B.I.4a/Einf 37 Gericht der Ehesache B.I.2/Art 4 43 ff gewöhnlicher Aufenthalt B.I.2/Art 4 33 ff

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Register Gleichlauf mit Rechtswahl B.I.4a/Einf 34 f grenzüberschreitender Bezug B.I.2/Art 4 8 f Heimatzuständigkeit B.I.2/Art 4 7 intertemporale Anwendung B.I.2/Art 4 72 Kindesunterhalt B.I.2/Art 4 49 ff letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt B.I.2/Art 4 47 f LugÜbk 2007 B.I.2/Art 4 59 ff Missbrauchskontrolle B.I.2/Art 4 53 ff Modalitäten B.I.4a/Einf 36 Nichtmitgliedstaaten B.I.2/Art 4 59 ff örtliche Zuständigkeit B.I.2/Art 4 10 f Schriftform B.I.2/Art 4 12 ff Sperrwirkung B.I.2/Art 8 12 Staatsangehörigkeit B.I.2/Art 4 36 ff Teilwirksamkeit B.I.2/Art 4 25 Wahlmöglichkeiten B.I.2/Art 4 27 ff Willensmängel B.I.2/Art 4 22 Gesetzgebungsverfahren, ordentliches B.I.5/Einf 43 Gewaltschutzanordnungen Befristung B.I.5/Einf 16 Vollstreckung B.I.5/Einf 18 Gewaltschutzgesetz B.I.5/Einf 3 ff Anwendungsbereich B.I.5/Einf 6 ff Belästigung B.I.5/Einf 8 Drohung B.I.5/Einf 8 Entwicklungsgeschichte B.I.5/Einf 3 ff Freiheitsverletzung B.I.5/Einf 7 Interessenabwägung B.I.5/Einf 10 Körperverletzung B.I.5/Einf 7 Nachstellungen B.I.5/Einf 6 Überlassung der Wohnung B.I.5/Einf 11 ff Unterlassungsanordnungen B.I.5/Einf 14 Verfahren B.I.5/Einf 15 ff Vorsatz B.I.5/Einf 9 Gewaltschutzrecht, Österreich B.I.5/Einf 19 ff allgemeiner Gewaltschutz B.I.5/Einf 27 ff Eingriffe in Privatsphäre B.I.5/Einf 30 ff einstweilige Verfügungen B.I.5/Einf 23, B.I.5/Einf 27, B.I.5/Einf 31 Interessenabwägung B.I.5/Einf 29, B.I.5/Einf 32 Rechtsentwicklung B.I.5/Einf 19 ff Unterlassungsanspruch B.I.5/Einf 31 Verfahren B.I.5/Einf 34 ff Vollstreckung B.I.5/Einf 37 Wohnungsschutz B.I.5/Einf 23 ff Zuständigkeit B.I.5/Einf 33 Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft B.I.1/ Art 1 5 ff, B.I.2/Art 1 14 ff Grenzüberschreitender Bezug B.I.1/Art 41 30 f, B.I.2/Art 16 6, B.I.2/Art 19 7 potentieller B.I.1/Art 41 32 f späterer B.I.1/Art 41 34 f

Register Grünbuch Unterhaltspflichten B.I.2/Einl 11, B.I.2/Art 3 51, B.I.2/Art 15 7 Grundrechte-Charta der EU B.I.2/Art 44 1 Günstigkeitsprinzip B.I.2/Einl 5 Güterrecht, eheliches Anerkennung und Vollstreckung B.I.4a/Einf 85 ff Anerkennungsprüfung B.I.4a/Einf 87 Anerkennungsversagungsgründe B.I.4a/Einf 86 Anknüpfungszeitpunkt B.I.4a/Einf 68 ff Drittschutz B.I.4a/Einf 82 ff Gerichtsstandsvereinbarung B.I.4a/Einf 33 ff Kollisionsrecht B.I.4a/Einf 43 ff Notzuständigkeit B.I.4a/Einf 40 f objektive Anknüpfung B.I.4a/Einf 62 ff Parteiautonomie B.I.4a/Einf 47 f, B.I.4a/Einf 50 Rechtswahlform B.I.4a/Einf 56 ff Rechtswahlfreiheit B.I.4a/Einf 45 ff Rechtswahlmöglichkeiten B.I.4a/Einf 51 ff Rechtswahlvereinbarung B.I.4a/Einf 60 f rügelose Einlassung B.I.4a/Einf 38 Statutenwechsel B.I.4a/Einf 68 subsidiäre Zuständigkeiten B.I.4a/Einf 27 ff B.I.4a/Einf 39 Vollstreckbarerklärung B.I.4a/Einf 88 Widerklage B.I.4a/Einf 42 Zuständigkeit bei Ehescheidung B.I.4a/Einf 25 f Zuständigkeit bei Tod des Ehegatten B.I.4a/ Einf 24 Güterrecht, eingetragene Partnerschaft objektive Anknüpfung B.I.4b/Einf 14 ff Rechtswahl B.I.4b/Einf 7 ff sachlicher Anwendungsbereich B.I.4b/Einf 2 Zuständigkeit B.I.4b/Einf 3 ff Güterstand, ehelicher B.I.4a/Einf 15 Haager Konferenz B.I.2/Einl 15, B.I.2/Einl 17, B.I.2/Art 15 1, B.I.2/Art 15 3 ff, B.I.3/Einl 23 f, B.I.3/Einl 36, B.I.4a/Einf 62 Spezialkommission B.I.2/Art 15 4 f, B.I.3/ Einl 22 f, B.I.3/Einl 26 ff, B.I.3/Art 55 3 ff Ständiges Büro B.I.3/Einl 25 B.I.3/Art 4 5, B.I.3/Art 16 6, B.I.3/Art 54 1, B.I.3/Art 57 1 Haushaltsführung, gemeinsame B.I.5/Einf 12 HEhegüterrechtsÜbk B.I.4a/Einf 8 ff, B.I.4a/Einf 57 f, B.I.4a/Einf 61, B.I.4a/Einf 68 f gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt B.I.4a/Einf 9 Rechtswahl B.I.4a/Einf 10 f Herkunftslandprinzip B.I.5/Einf 59 HKindEntfÜbk B.I.1/Einl 9, B.I.1/Art 2 25, B.I.1/ Art 2 28, B.I.1/Art 8 13, B.I.1/Art 10 1 ff, B.I.1/

IntFamRVG Art 10 12 f, B.I.1/Art 10 36 f, B.I.1/Art 10 6 f, B.I.1/ Art 11 1 ff, B.I.1/Art 11 22 ff, B.I.1/Art 11 29 ff, B.I.1/Art 11 9 f, B.I.1/Art 19 40a, B.I.1/Art 42 16, B.I.1/Art 42 2, B.I.1/Art 53 3, B.I.1/Art 54 3, B.I.3/ Art 37 3 Höhere Gewalt B.I.2/Art 19 19 HUntAVÜbk 1958 B.I.3/Einl 7, B.I.3/Einl 11 f HUntAVÜbk 1973 B.I.3/Einl 7, B.I.3/Einl 13 f HUntStProt 2007 B.I.3/Einl 5 HUntStÜbk 1956 B.I.3/Einl 5 HUntStÜbk 1973 B.I.3/Einl 5 HUntVerfÜbk Abschlusskompetenz EU B.I.3/Einl 40 f Anwendungsbereich B.I.3/Einl 18 ff Anwendungsbericht B.I.3/Art 54 1 Ausdehnung Anwendungsbereich B.I.3/ Art 2 23 ff Auslegung B.I.3/ErwGr 8 Durchführungsgesetze B.I.3/Einl 50, Entstehungsgeschichte B.I.3/Einl 21 ff Entstehungsgeschichte Präambel B.I.3/ ErwGr 1 ff Entwurf B.I.3/Einl 26, B.I.3/Einl 28 f, B.I.3/ Einl 31, B.I.3/Einl 33 Genehmigung durch EU B.I.3/Einl 42 ff Hinterlegung Ratifikationsurkunde EU B.I.3/Einl 46 Inkrafttreten B.I.3/Einl 37, B.I.3/Art 60 1 Ratifikationsstand B.I.3/Einl 38 Regelungsgegenstand B.I.3/Einl 15 f Verhältnis zu EG-UntVO B.I.3/Einl 47 ff Verhältnis zu HBÜ B.I.3/Art 50 1 Verhältnis zu HUntAVÜbk 1958 B.I.3/Art 48 1 Verhältnis zu HUntAVÜbk 1973 B.I.3/Art 48 1 Verhältnis zu HZÜ B.I.3/Art 50 1 Verhältnis zu innerstaatlichen Gesetzen B.I.3/Art 52 8 Verhältnis zu NYUntÜbk 1956 B.I.3/Art 49 1 Verhältnis zu sonstigen bi- u multilateralen Übk B.I.3/Art 51 3 ff, B.I.3/Art 52 3 ff Vorbehalt B.I.3/Art 2 2, B.I.3/Art 2 19 ff, B.I.3/Art 36 7, B.I.3/Art 55 7 f, B.I.3/ Art 62 1, B.I.3/Art 20 15 f HZÜ B.I.1/Art 18 21, B.I.1/Art 33 10 IntFamRVG B.I.1/Art 11 16 ff, B.I.1/Art 11 37, B.I.1/Art 21 39, B.I.1/Art 21 41 ff Antrag B.I.1/Art 30 2 Berichtigungsverfahren B.I.1/Art 43 10 Mitteilungspflichten B.I.1/Art 32 2 Rechtsbehelfsverfahren B.I.1/Art 33 1 ff Rechtsbeschwerde B.I.1/Art 34 3 ff Tätigwerden Zentrale Behörde B.I.1/Art 57 5 Teilvollstreckungsklausel B.I.1/Art 36 3 Umgangsrechtsmodalitäten B.I.1/Art 48 4

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Register

Jugendamt Unterbringung eines Kindes B.I.1/Art 56 4 ff Vollstreckbarerklärung B.I.1/Art 31 7 ff Vollstreckbarerklärungsverfahren B.I.1/ Art 28 22 ff Vollstreckungsklausel B.I.1/Art 32 4 Vollstreckungsverfahren B.I.1/Art 47 2 ff zeitlicher Anwendungsbereich B.I.1/ Art 64 23 ff Zentrale Behörde B.I.1/Art 53 3 Zuständigkeit B.I.1/Art 29 5 Zuständigkeit Vollstreckbarkeitsbescheinigung B.I.1/Art 41 18 Zuständigkeit Vollstreckung B.I.1/Art 41 7, B.I.1/Art 45 17 Zustellungsadressaten B.I.1/Art 32 5 Jugendamt Beteiligung bei Gewaltschutzsachen B.I.5/ Einf 17 Justizgewährungsanspruch B.I.2/Art 7 1 ff, B.I.2/Art 12 11 Kernpunkttheorie B.I.1/Art 19 25 Kind B.I.1/Art 1 24 f Familienstand B.I.3/Art 2 27 f Kindesentführung B.I.1/Art 2 25 ff, B.I.1/ Art 8 12 ff, B.I.1/Art 8 17 Ablehnung Rückgabeantrag B.I.1/Art 11 31 ff Entscheidung im Verbringungsstaat B.I.1/ Art 11 38 ff internationale Zuständigkeit B.I.1/Art 10 4, B.I.1/Art 10 8 ff Kindeswohlgefährdung B.I.1/Art 11 23 f rechtliches Gehör B.I.1/Art 11 53 Rückgabeanordnung B.I.1/Art 10 30 ff, B.I.1/ Art 11 50 Rückgabeantrag B.I.1/Art 10 12 f, B.I.1/ Art 10 25 ff Rückgabeentscheidung B.I.1/Art 10 33 ff Rückgabeverfahren B.I.1/Art 10 28 f, B.I.1/ Art 11 1 ff Rückgabeverweigerung B.I.1/Art 11 22 ff Verfahren B.I.1/Art 2 28 Vollstreckbarkeit widersprechender Entscheidungen B.I.1/Art 11 56 ff Widerrechtlichkeit B.I.1/Art 2 26 ff Widerrechtlichkeitsbescheinigung B.I.1/ Art 10 36 f Zuständigkeitsfixierung B.I.1/Art 10 8 ff Zuständigkeitswechsel B.I.1/Art 10 14 ff Kindesunterbringung B.I.1/Art 56 1 ff Kindeswohl B.I.1/Art 11 23, B.I.1/Art 12 1, B.I.1/ Art 12 25 f, B.I.1/Art 12 46, B.I.1/Art 23 2, B.I.1/ Art 23 4 ff, B.I.1/Art 26 5

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Gefährdung B.I.1/Art 20 16 Prüfung B.I.1/Art 15 18 f Kompetenzgrundlage B.I.1/Einl 2 ff, B.I.1/Einl 44, B.I.2/Einl 38, B.I.4a/Einf 1 Beitritt HUntStProt 2007 B.I.2/Art 15 14 ff Konkordatsehen B.I.1/Art 63 1 ff Körperverletzung B.I.5/Einf 7 Kosten außergewöhnliche B.I.3/Art 8 6 Eintreibung B.I.3/Art 43 3 ff Übersetzung B.I.3/Art 45 4 f Unterhaltszahlungen B.I.3/Art 35 1 Unterliegensprinzip B.I.3/Art 43 5 ff Zentrale Behörde B.I.3/Art 8 1, B.I.3/ Art 8 3 ff, B.I.3/Art 14 10 ff, B.I.3/Art 15 3 ff Kosteneintreibung B.I.2/Art 43 1 f Kostenentscheidung B.I.1/Art 39 8, B.I.1/ Art 49 1 ff ablehnende Entscheidung B.I.1/Art 49 4 Verbundsachen B.I.1/Art 49 5 f Vollstreckung B.I.1/Art 47 4 f Kostenfestsetzungsbeschluss B.I.1/Art 49 3 Kostentragung B.I.5/Einf 36 KSÜ B.I.1/Einl 8 f, B.I.1/Art 1 22 ff, B.I.1/ Art 1 30 ff, B.I.1/Art 8 1 ff, B.I.1/Art 8 21 ff, B.I.1/ Art 10 22 ff, B.I.1/Art 10 5, B.I.1/Art 12 37, B.I.1/ Art 13 1, B.I.1/Art 15 3 f, B.I.1/Art 23 2, B.I.1/ Art 23 24 ff, B.I.1/Art 26 6, B.I.1/Art 61 6 f, B.I.1/ Art 66 1 Landesjustizverwaltung B.I.1/Art 21 17 Legalisation B.I.1/Art 52 1 ff Leistungsfähigkeit B.I.2/Art 56 13 Lex fori Anwendung in Sorgerechtssachen B.I.1/ Art 14 7 Vollstreckungsverfahren B.I.1/Art 47 1 Lex rei sitae B.I.4a/Einf 18 Mahnverfahren, europäisches B.I.2/Art 10 10 Maßnahmenprogramm von Tampere B.I.1/ Art 40 1, B.I.2/Einl 6, B.I.2/Art 3 17, B.I.5/Einf 60 Mediation B.I.3/Art 6 11 ff, B.I.3/Art 34 5 Mehr-Jurisdiktionen-Staat B.I.1/Art 66 2 ff, B.I.3/ Art 46 1, B.I.3/Art 47 1 Mehrstaater B.I.1/Art 3 50, B.I.1/Art 3 58 ff Meistbegünstigungsprinzip B.I.1/Art 50 1 Minimum contact B.I.3/Art 20 10 f Mitgliedstaat B.I.1/Art 2 4 MSA B.I.1/Einl 8 f, B.I.1/Art 8 1 ff, B.I.1/Art 8 21 ff, B.I.1/Art 61 6 f Nachprüfung B.I.2/Art 19 1 ff Antrag B.I.2/Art 19 9 f

Register

Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts

Beweislast B.I.2/Art 19 20 Frist B.I.2/Art 19 12 ff Gründe B.I.2/Art 19 17 ff Nichteinlassung B.I.2/Art 19 15 Rechtsfolgen B.I.2/Art 19 21 ff Voraussetzungen B.I.2/Art 19 9 ff Zuständigkeit B.I.2/Art 19 11 Nachstellen B.I.5/Einf 6 Nichtanerkennung B.I.2/Art 56 8 ff Nichteheliche Lebensgemeinschaft B.I.2/Art 1 18 Nichteinlassung B.I.1/Art 18 8 ff, B.I.1/Art 22 12, B.I.2/Art 11 5, B.I.2/Art 19 15 Nordisches Ehesachenübereinkommen B.I.1/ Art 59 7 ff Notzuständigkeit B.I.2/Art 7 1 ff Ermessensentscheidung B.I.2/Art 7 13 Gegenseitigkeitserfordernis B.I.2/Art 7 10 f Mitgliedstaatenbezug B.I.2/Art 7 12 spiegelbildliche Zuständigkeit B.I.2/Art 7 8 Voraussetzungen B.I.2/Art 7 6 ff NYUntÜbk 1956 B.I.3/Einl 7, B.I.3/Einl 9 f Öffentliche Einrichtung B.I.2/Art 64 1 f, B.I.3/ Art 36 3 f, B.I.3/Art 36 8 Antragsberechtigung B.I.2/Art 64 8 ff Dänemark B.I.2/Art 64 12 kollisionsrechtliche Regelung B.I.2/Art 64 6 f Rückgriffsberechtigung B.I.2/Art 64 10c Tätigkeiten B.I.2/Art 64 4 ff Ordre public B.I.1/Einl 48, B.I.1/Art 22 7 ff, B.I.1/ Art 24 3, B.I.3/Art 22 3, B.I.3/Art 23 5 Anerkennungsversagung B.I.2/Art 24 4 ff Drittstaat B.I.2/Art 7 9 eheliches Güterrecht B.I.4a/Einf 80 Güterrecht eingetragene Partnerschaft B.I.4b/Einf 18 f Kindesentführung B.I.1/Art 11 58 Kindesrückgabe B.I.1/Art 11 31 f Kindeswohl B.I.1/Art 23 4 ff liberale Scheidungsvorschriften B.I.1/ Art 25 1 f, B.I.1/Art 25 4 ff materiell-rechtlicher B.I.1/Art 22 11, B.I.1/ Art 26 1, B.I.2/Einl 27, B.I.2/Art 21 46 ff Scheidungsrecht B.I.1/Art 19 35 Schutzanordnungen B.I.5/Einf 69, B.I.5/Einf 114 f verfahrensrechtlich B.I.1/Art 22 9 f, B.I.2/ Art 21 48, B.I.2/Art 24 9 ff Verzicht B.I.1/Art 40 3, B.I.2/Einl 25 ff, B.I.2/ Vorbem Art 16 2, B.I.2/Art 17 9, B.I.2/ Art 21 44 ff Vollstreckung Kindesrückgabe B.I.1/ Art 42 4 ff vollstreckungsrechtlicher B.I.1/Art 40 9 zuständigkeitsbegründender B.I.1/Art 3 12

Organisation d reg Wirtschaftsintegration B.I.3/ Art 51 6 f, B.I.3/Art 59 1 Pacte civil de solidarité (PACS) B.I.1/Art 1 8, B.I.4b/Einf 2 Parteienidentität B.I.2/Art 12 3 f Perpetuatio fori B.I.1/Art 3 16, B.I.1/Art 3 34, B.I.1/Art 6 19 f, B.I.1/Art 7 11, B.I.1/Art 8 9, B.I.1/ Art 9 17, B.I.1/Art 12 31 ff, B.I.1/Art 15 7, B.I.1/ Art 15 12, B.I.2/Art 3 12 ff, B.I.2/Art 7 14, B.I.2/ Art 8 4, B.I.3/Art 20 5, B.I.3/Art 20 7 f Person gefährdende B.I.5/Einf 88 geschützte B.I.5/Einf 88 Personenstandssache B.I.3/Art 20 14 Pfändungsschutzvorschriften B.I.2/Art 21 30, B.I.2/Art 21 34 Pflegefamilie B.I.1/Art 56 7 Posterioritätsprinzip B.I.1/Art 23 22 ff, B.I.1/ Art 23 25a Prioritätsgrundsatz B.I.1/Art 19 3, B.I.1/Art 22 30 Privatscheidung B.I.1/Art 1 12, B.I.1/Art 2 9 Privatsphäre B.I.5/Einf 30 Privaturkunde B.I.1/Art 52 3 Prozesskostenhilfe B.I.1/Art 50 1 ff, B.I.2/Einl 30, B.I.2/Einl 39, B.I.2/Einl 49, B.I.2/Art 44 1 ff, B.I.2/ Art 46 1 ff, B.I.2/Art 47 1 ff Richtlinie 2003/8 EG Vorbem B.I.2/Art 44 2 Ablehnung B.I.2/Art 45 9 ff Antragsberechtigung B.I.2/Art 44 10 f Anwendungsbereich B.I.2/Art 44 4 ff Bedarfsunabhängigkeit B.I.2/Art 45 6 Fortführung im Vollstreckungsverfahren B.I.2/Art 47 6 ff Kostenerstattung B.I.2/Art 45 15 ff minderjährige Unterhaltsberechtigte B.I.2/ Art 46 1 ff multilaterale Übereinkommen B.I.2/Vorbem Art 44 3 ff nationale Durchführungsbestimmungen B.I.2/Art 47 13 Pflicht B.I.2/Art 44 12 ff Sicherheitsleistungen B.I.2/Art 44 21 Umfang B.I.1/Art 50 2 ff, B.I.2/Art 45 4 ff Unentgeltlichkeit B.I.2/Art 45 13 Verfahren B.I.2/Art 45 14 f Verwaltungsbehörden B.I.2/Art 47 11 f Wahl des Beistands/Vertreters B.I.2/ Art 56 18 f Prozessverschleppung B.I.1/Art 19 49, B.I.2/ Art 12 9 ff Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts B.I.5/Einf 64

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Rechtliches Gehör Rechtliches Gehör B.I.1/Art 18 1, B.I.1/Art 22 13, B.I.2/Art 11 1 ff, B.I.2/Art 19 1 ff, B.I.3/ Art 22 11 ff, B.I.3/Art 31 5 Inhaber elterlicher Verantwortung B.I.1/ Art 23 16 ff Kind B.I.1/Art 23 7 ff Präklusion B.I.2/Art 24 14 Verletzung B.I.2/Art 19 17 f, B.I.2/ Art 24 12 ff Vollstreckbarerklärungsverfahren B.I.1/ Art 33 15 f Rechtsbehelf Anerkennung B.I.3/Art 23 7 ff autonome B.I.1/Art 34 1 f, B.I.2/Art 19 6 f Beweislast B.I.3/Art 23 8 Entscheidungsbekanntgabe B.I.3/Art 23 15 Frist B.I.3/Art 23 10 Gründe B.I.3/Art 23 11 ff nationale B.I.2/Art 19 8 Vollstreckbarerklärung B.I.3/Art 23 7 ff Rechtshängigkeit B.I.2/Art 9 1 ff, B.I.2/Art 12 1 ff Aussetzung des Verfahrens B.I.1/Art 19 15 ff doppelte B.I.3/Art 22 5 ff Ehesachen B.I.1/Art 19 15 ff Ehetrennung und Ehescheidung B.I.1/ Art 19 32 ff Konkurrenzsituationen B.I.1/Art 19 7 ff LugÜbk 2007 B.I.2/Art 12 17 Säumnis B.I.2/Art 9 5 Sorgerechtssachen B.I.1/Art 19 37 ff, B.I.1/ Art 19 5 Sperrwirkung B.I.1/Art 19 25 ff Verbundverfahren B.I.1/Art 19 13 f Zustellung verfahrenseinleitendes Schriftstück B.I.2/Art 9 2 ff Rechtskraft formelle B.I.1/Art 21 27, B.I.1/Art 31 8 materielle B.I.1/Art 19 25 Rechtsschutz effektiver B.I.1/Art 43 3 Gleichwertigkeit B.I.1/Einl 5 ff Rechtswahl B.I.4a/Einf 45 ff Formerfordernisse B.I.4b/Einf 12 f Güterrecht eingetragene Partnerschaft B.I.4b/Einf 7 ff Möglichkeiten B.I.4b/Einf 11 Regelungsumfang B.I.2/Einl 13 f Kollisionsrecht B.I.2/Einl 16, B.I.2/Einl 24 Registrierungsort B.I.4b/Einf 7, B.I.4b/Einf 14 Restzuständigkeit B.I.1/Art 7 1 ff, B.I.1/Art 14 1 ff gewöhnlicher Aufenthalt des Antragstellers B.I.1/Art 7 17 f Inländergleichstellung B.I.1/Art 7 19 ff lex fori B.I.1/Art 7 9 f, B.I.1/Art 7 12 ff, B.I.1/ Art 14 7

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Register Staatsangehörigkeit des Antragstellers B.I.1/ Art 7 15 f Verhältnis zu Art 6 B.I.1/Art 7 2 ff Verhältnis zu vereinbarter Zuständigkeit B.I.1/Art 14 5 f Révision au fond B.I.1/Art 11 36, B.I.1/Art 26 1 ff, B.I.2/Art 42 1 f, B.I.3/Art 24 8, B.I.3/Art 28 3, B.I.5/Einf 62, B.I.5/Einf 69, B.I.5/Einf 113 Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung B.I.5/Einf 1, B.I.5/Einf 39, B.I.5/Einf 56 Rom III-VO B.I.1/Einl 43, B.I.1/Einl 45 ff, B.I.1/ Einl 60, B.I.1/Art 1 5, B.I.1/Art 1 12, B.I.1/ Art 3 22, B.I.1/Art 3 8, B.I.1/Art 3 11, B.I.1/ Art 19 33, B.I.1/Art 25 6, B.I.1/Art 3 10 ff, B.I.4a/ Einf 2, B.I.4a/Einf 32, B.I.4a/Einf 49, B.I.4a/Einf 52, B.I.4a/Einf 54, B.I.4a/Einf 63, B.I.4a/Einf 76 Rückgabeverfahren Anhörung des Kindes B.I.1/Art 11 11 ff Anwendungsbereich B.I.1/Art 11 9 f Ausschlussfrist B.I.1/Art 11 45 Beschleunigungsgebot B.I.1/Art 11 14 f Instanzenzug B.I.1/Art 11 21 Mitwirkungsverweigerung B.I.1/Art 11 18 f nationales Verfahrensrecht B.I.1/Art 11 16 ff rechtliches Gehör B.I.1/Art 11 28 Zuständigkeitslücke B.I.1/Art 11 46 Rügelose Einlassung B.I.1/Art 17 6, B.I.2/ Art 5 1 ff, B.I.3/Art 18 11, B.I.4a/Einf 38 Schutzmaßnahmen B.I.5/Einf 100 Begrifflichkeit B.I.2/Art 5 8 ff Kindesunterhalt B.I.2/Art 5 10 Postulationsfähigkeit B.I.2/Art 5 12 Rechtsfolge B.I.2/Art 5 15 f Rügeinhalt B.I.2/Art 5 12 ff Rügezeitpunkt B.I.2/Art 5 11 Sperrwirkung B.I.2/Art 8 11 Sachenrecht B.I.4a/Einf 18 Schadensersatz B.I.2/Art 21 51 f, B.I.2/Art 39 5b Scheidungskollisionsrecht B.I.1/Einl 43 ff domicile B.I.1/Einl 52 gewöhnlicher Aufenthalt B.I.1/Einl 50 f Grünbuch B.I.1/Einl 43 objektive Anknüpfung B.I.1/Einl 50 ff Rechtswahl B.I.1/Einl 49 Staatsangehörigkeit B.I.1/Einl 52 Scheidungsstatut B.I.1/Art 3 6a ff, B.I.1/Art 3 8 ff, B.I.1/Art 19 9 Schlichtung B.I.3/Art 6 11 ff, B.I.3/Art 34 5 Schriftstück B.I.2/Art 20 1 ff, B.I.3/Art 25 4 ff, B.I.3/Art 30 7 ff Übermittlungspflicht B.I.3/Art 25 10 f Übersetzung B.I.2/Art 20 5 ff, B.I.2/

Register Art 20 9 ff, B.I.2/Art 20 24, B.I.2/Art 21 35, B.I.2/Art 66 1 verfahrenseinleitendes B.I.1/Art 18 15 f Zustellungsnachweis B.I.1/Art 37 12 f Schutzbedürftige Person B.I.3/Art 3 11 f Schutzmaßnahme, zivilrechtliche B.I.5/Einf 2, B.I.5/Einf 81, B.I.5/Einf 87 Anpassung B.I.5/Einf 109 ff Deutschland B.I.5/Einf 3 ff Kind B.I.5/Einf 4 Österreich B.I.5/Einf 19 ff Schwägerschaft B.I.2/Art 1 8 Sicherheitsleistung B.I.1/Art 51 1 ff, B.I.5/Einf 36 Dauer B.I.2/Art 18 8 Rechtsbehelfe B.I.2/Art 18 9 ff Sicherungsmaßnahmen B.I.2/Art 18 4 Voraussetzungen B.I.2/Art 18 5 ff Sorgeberechtigte Person B.I.1/Art 10 18 f Sorgerechtsvereinbarung B.I.1/Art 41 19, B.I.1/ Art 46 1 ff räumlicher Anwendungsbereich B.I.1/ Art 46 7 f sachlicher Anwendungsbereich B.I.1/ Art 46 3 Spiegelbildprinzip B.I.3/Art 20 17 Staatenlose B.I.1/Art 3 50, B.I.1/Art 3 60 Staatsangehörigkeit effektive B.I.4a/Einf 32 gemeinsame B.I.4a/Einf 31, B.I.4a/Einf 73 mehrfache B.I.4a/Einf 32, B.I.4a/Einf 55, B.I.4a/Einf 74 Mehr-Jurisdiktionen-Staat B.I.1/Art 66 5 f Staatsangehörigkeitszuständigkeit B.I.1/ Art 3 54 ff einseitige B.I.1/Art 3 55 gemeinsame Staatsangehörigkeit B.I.1/ Art 3 54 Mehrstaater B.I.1/Art 3 58 ff Staatenlose B.I.1/Art 3 60 Zeitpunkt B.I.1/Art 3 56 Stalking B.I.5/Einf 30 ff Stockholmer Programm B.I.5/Einf 38 Aktionsplan B.I.5/Einf 38 Streitgegenstand B.I.1/Art 19 25 Identität B.I.2/Art 12 5 f Teilidentität B.I.2/Art 12 7 f Subsidiaritätsprinzip B.I.5/Einf 64 Suspensiveffekt B.I.3/Art 23 17, B.I.3/Art 24 12 Teilvollstreckbarerklärung B.I.2/Art 37 1 ff Titelfreizügigkeit B.I.2/Art 16 11 Trennung ohne Auflösung des Ehebandes Anerkennung B.I.1/Art 5 7 Umwandlung B.I.1/Art 5 4

Unterhaltsregress Übersetzung Teilübersetzung Bescheinigung B.I.1/ Art 45 11 f Urkunden B.I.1/Art 38 8 ff Vollstreckungstitel B.I.1/Art 45 9 f zugelassene Sprachen B.I.1/Art 45 15 f Umgangsrecht Abänderung Umgangsregelung B.I.1/ Art 9 16 ff Ausübung B.I.1/Art 48 1 ff berechtigter Elternteil B.I.1/Art 9 10 f internationale Zuständigkeit B.I.1/Art 9 1 ff rechtmäßiger Umzug B.I.1/Art 9 5 ff, B.I.1/ Art 9 12 ff rügelose Einlassung B.I.1/Art 9 22 Unbenannte Zuwendungen B.I.4a/Einf 17 Unbestrittene Forderung B.I.2/Einl 8 Unionsbürgerschaft B.I.1/Art 3 13, B.I.1/Art 3 47 UN-KinderrechteÜbk B.I.1/Art 23 9 Untätigkeitsbeschwerde B.I.1/Art 11 20 Unterhaltsanspruch Antrag B.I.3/Art 2 16 ff Anträge an Zentrale Behörde B.I.3/Art 10 4 ff Bedeutung B.I.3/Einl 2 Erfüllung B.I.3/Art 24 7, B.I.3/Art 24 11 grenzüberschreitende Durchsetzung B.I.3/ Einl 3 f int VerfahrensrechtsÜbk B.I.3/Einl 5, B.I.3/ Einl 7 juristische Unterstützung B.I.3/Art 3 5a ff Kollisionsrechtsvereinheitlichung B.I.3/Einl 6 schutzbedürftige Person B.I.3/Art 3 11 f Vereinbarung B.I.3/Art 3 8 Verjährung B.I.3/Art 32 7 Unterhaltsberechtigter B.I.2/Art 2 13 ff, B.I.2/ Art 56 2 Forderungsübergang B.I.2/Art 3 42 Gerichtsstand B.I.2/Art 3 40 ff öffentliche Einrichtung B.I.2/Art 2 14 f, B.I.2/Art 3 44, B.I.2/Art 64 3 Prozessstandschaft B.I.2/Art 3 41 Regressklagen B.I.2/Art 3 41 Zessionar B.I.2/Art 2 13 Unterhaltsentscheidung B.I.3/Art 19 6 f Anerkennung B.I.3/Art 1 6 Tatbestandswirkung B.I.3/Art 20 25 f Vollstreckung B.I.3/Art 1 6 f Ziele B.I.3/Art 1 3 ff Unterhaltsersatzleistung B.I.2/Art 64 10a Unterhaltsgläubiger B.I.3/Art 3 3 f Unterhaltspflicht B.I.2/Art 1 22 ff, B.I.3/Art 2 6 Dauer B.I.3/Art 32 6 Unterhaltsregress B.I.2/Einl 32, B.I.2/Einl 50, B.I.2/Art 1 33 ff

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Unterhaltsschuldner Scheinvater B.I.2/Art 1 37 Unterhaltsschuldner B.I.2/Art 2 16 Unterhaltsschuldner B.I.3/Art 3 5 Unterhaltstitel, dynamisierter B.I.2/Einl 7 Unterhaltsvereinbarung B.I.3/Art 19 8, B.I.3/ Art 30 3 ff Anerkennung B.I.3/Art 30 5 ff Anerkennungsverweigerung B.I.3/Art 30 11 Vollstreckung B.I.3/Art 30 5 ff Vollstreckungsverweigerung B.I.3/Art 30 11 Unterhaltsverfahren Antrag B.I.3/Art 1 6 effektiver Zugang B.I.3/Art 14 1 f, B.I.3/ Art 14 9 Unterhaltszahlung Überweisung B.I.3/Art 35 3 f Unterlassung Anordnung B.I.5/Einf 14 Anspruch B.I.5/Einf 31 Unzuständigerklärung B.I.1/Art 17 19, B.I.1/ Art 19 45 ff Verfahren B.I.1/Art 19 56 ff Vorlegung des Antrags beim Erstgericht B.I.1/Art 19 50 ff Unzuständigkeit B.I.2/Art 10 13 ff, B.I.2/ Art 12 14, B.I.2/Art 13 11 ff Anerkennungs– und Vollstreckungshindernis B.I.2/Art 10 17 Einrede B.I.2/Art 10 16 Verweisungsmöglichkeit B.I.2/Art 10 14 f Urkunde ausländische B.I.2/Art 20 18 Ausfertigung der Entscheidung B.I.1/ Art 45 7 Bescheinigung B.I.1/Art 45 8 gleichwertige B.I.1/Art 38 6 Legalisation B.I.1/Art 52 1 f, B.I.5/Einf 119 Privaturkunde B.I.1/Art 52 3 Rückgabetitel B.I.1/Art 45 14 Übersetzung B.I.1/Art 38 8 ff, B.I.1/ Art 45 9 ff, B.I.5/Einf 119 Umgangstitel B.I.1/Art 45 13 Vollstreckungsverfahren B.I.1/Art 45 1 ff Urkunde, öffentliche B.I.1/Art 37 16, B.I.1/ Art 41 19, B.I.1/Art 42 13, B.I.1/Art 46 1 ff, B.I.2/ Art 2 8 ff, B.I.2/Art 16 14, B.I.2/Art 48 2 f, B.I.4a/ Einf 89 Anerkennung B.I.2/Art 48 6 ff Echtheitsvermutung B.I.2/Art 65 2 räumlicher Anwendungsbereich B.I.1/ Art 46 6 sachlicher Anwendungsbereich B.I.1/ Art 46 4 f Unterhaltsvereinbarung B.I.3/Art 3 9 f Vollmachtserteilung B.I.2/Art 65 2

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Register Vollstreckung B.I.2/Art 48 10 ff Urkunde, private B.I.2/Art 2 9 Unterhaltsvereinbarung B.I.2/Art 2 11 Urkunde, vorzulegende B.I.1/Art 37 1 ff Fehlen B.I.1/Art 38 1 Nachfrist B.I.1/Art 38 3 f Umfang B.I.1/Art 37 6 ff Zustellungsnachweis B.I.1/Art 37 12 f Versäumnisverfahren B.I.1/Art 37 10 ff Verbindung, engste gemeinsame B.I.4a/Einf 75 f Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten B.I.5/ Einf 47 Verfahrensbegrenzung B.I.2/Art 8 1 ff Ausnahmen B.I.2/Art 8 10 ff rechtliche Handhabung B.I.2/Art 8 17 ff Voraussetzungen B.I.2/Art 8 6 ff Verfahrensbeteiligte formell B.I.1/Art 23 12 f materiell B.I.1/Art 23 11 Verfahrensdauer, überlange B.I.1/Art 19 49 Verfahrenskonzentration B.I.2/Art 27 2 Verfahrenskosten B.I.1/Art 33 21 Verfahrensverbindung B.I.2/Art 13 12 Verfahrenszusammenhang B.I.2/Art 13 5 f Verfassungsbeschwerde B.I.2/Art 21 49 Vergleich, gerichtlicher B.I.1/Art 46 4 f, B.I.2/ Art 2 4 ff, B.I.2/Art 16 14, B.I.2/Art 48 4 f Anerkennung B.I.2/Art 48 6 ff Anwalt B.I.2/Art 2 6 Mediation B.I.2/Art 2 6 Vollstreckung B.I.2/Art 48 10 ff Versäumnisentscheidung B.I.1/Art 18 14, B.I.1/ Art 22 12 Vollstreckbarkeit B.I.1/Art 41 25, B.I.1/ Art 42 15 vorzulegende Unterlagen B.I.1/Art 37 10 ff Versöhnungsverfahren B.I.1/Art 16 9, B.I.1/ Art 19 22 Verstärkte Zusammenarbeit B.I.1/Einl 45, B.I.4a/ Einf 2 Vertraulichkeit B.I.3/Art 40 3 Verwandtschaftsverhältnis B.I.2/Art 1 6 ff Verweisung, zuständigkeitsrechtliche B.I.1/ Art 15 5 ff Vollmacht B.I.2/Art 52 1 ff Vollstreckbarerklärung B.I.2/Art 48 19 amtswegige Prüfung B.I.3/Art 24 9 Aussetzung des Verfahrens B.I.3/Art 30 17 Bekanntgabe B.I.3/Art 23 6 Bestimmtheitsanforderungen B.I.2/Art 30 10 Form B.I.2/Art 30 5 f Inhalt B.I.2/Art 30 5 kontradiktorisches Verfahren B.I.3/Art 24 1, B.I.3/Art 24 3 ff

Register Mitteilung an Antragsteller B.I.1/Art 32 1 ff Rechtsbehelf B.I.3/Art 23 7 ff sofortige B.I.3/Art 23 4 Sonderfälle B.I.2/Art 30 7 ff Sorgerechtsentscheidungen B.I.1/Art 28 15 ff teilweise B.I.1/Art 36 4 ff Titelkonkretisierung B.I.2/Art 30 11 ff Unterhaltsvereinbarung B.I.3/Art 30 5 f Verfahrensbeschleunigung B.I.3/Art 23 18, B.I.3/Art 24 13 vorzulegende Schriftstücke B.I.3/Art 25 4 ff Zuständigkeit B.I.1/Art 29 1 ff Vollstreckbarerklärungsverfahren B.I.1/Art 281ff, B.I.1/Art 30 1 ff, B.I.1/Art 40 2, B.I.1/Art 41 2, B.I.2/Vorbem Art 23 2, B.I.2/Art 28 1 ff, B.I.3/ Art 22 18 f Änderungen gegenüber Brüssel I-VO B.I.2/ Vorbem Art 23 3 ff Antrag B.I.1/Art 30 1 f Beibehaltung B.I.2/Art 16 12a f, B.I.2/Vorbem Art 23 2 Beschleunigungsgebot B.I.1/Art 31 3 Beschwerdeberechtigung B.I.1/Art 33 2 ff Beschwerdefrist B.I.1/Art 33 6 ff Entscheidung des Gerichts B.I.1/Art 31 1 ff Forderungsübergang B.I.2/Art 26 4 Geltungsbereich B.I.2/Art 16 13 ff Nichteinlassung B.I.1/Art 33 19 örtliche Zuständigkeit B.I.2/Art 27 1 f Prozessführungsbefugnis B.I.2/Art 26 3 Prüfungsumfang B.I.1/Art 31 1, B.I.1/ Art 31 4 ff, B.I.2/Art 30 2 rechtliches Gehör B.I.1/Art 33 15 f Rechtsbehelfe B.I.1/Art 33 1 ff, B.I.1/ Art 43 1 ff, B.I.2/Art 32 1 ff Rechtsbehelfsverfahren B.I.2/Art 34 2 ff Rechtsbeschwerde B.I.1/Art 34 3 ff Teilvollstreckung B.I.1/Art 36 1 ff, B.I.3/ Art 21 3 ff Wegfall B.I.2/Art 15 8, B.I.2/Vorbem Art 16 1, B.I.2/Art 16 12, B.I.2/Art 17 1 ff, B.I.5/Einf 69, B.I.5/Einf 91 Zustellung B.I.1/Art 30 3 ff Vollstreckbarkeit B.I.2/Art 26 1 ff, B.I.3/Art 20 28, B.I.3/Art 31 6 Anhörung B.I.1/Art 41 26 ff Aussetzung B.I.2/Art 19 22 Ausstellung Bescheinigung B.I.1/Art 41 29 ff Bescheinigung B.I.1/Art 41 1 ff, B.I.1/ Art 41 15 ff Bescheinigungsvoraussetzungen B.I.1/ Art 41 24 ff, B.I.1/Art 42 14 ff einstweiliger Maßnahmen B.I.2/Art 26 2 Formblatt B.I.1/Art 41 19 ff, B.I.1/Art 42 12 f

Vollstreckung grenzüberschreitender Bezug B.I.1/ Art 41 30 ff Kindesrückgabeentscheidung B.I.1/ Art 42 1 ff Nachweis B.I.1/Art 28 18, B.I.3/Art 25 5 öffentlicher Urkunden B.I.1/Art 46 9 f Schutzmaßnahmen B.I.5/Einf 93 Sorgerechtsvereinbarungen B.I.1/Art 46 9 f umgangsrechtlicher Entscheidung B.I.1/ Art 41 1 ff Versäumnisverfahren B.I.1/Art 42 15 Vollstreckbarkeit, abstrakte B.I.1/Art 28 16 Vollstreckbarkeit, unmittelbare B.I.2/Einl 28, B.I.2/Vorbem Art 16 1, B.I.2/Art 17 8 ff Vollstreckbarkeit, vorläufige B.I.1/Art 42 10, B.I.1/Art 28 17, B.I.1/Art 41 11 ff, B.I.2/Art 39 1 ff, B.I.3/Art 23 16 räumliche Anwendung B.I.2/Art 39 3 ff Sicherheitsleistung B.I.2/Art 39 6 ff Vollstreckung B.I.1/Einl 16, B.I.3/Art 20 1 ff Abänderungsentscheidung B.I.1/Art 41 9, B.I.1/Art 42 6, B.I.1/Art 43 7, B.I.2/Art 21 17 Anmaßung Zuständigkeit B.I.3/Art 20 29 Aufhebung B.I.5/Einf 117 f Aussetzung B.I.1/Art 41 8, B.I.1/Art 43 6, B.I.2/Art 21 18 ff bedingte Leistungspflichten B.I.2/Art 20 13b Bedingungen B.I.1/Art 43 11, B.I.1/Art 47 6 ff Berichtigungsverfahren B.I.1/Art 43 9 f Bescheinigungswirkungen B.I.1/Art 44 1 Bestimmtheit des Titels B.I.2/Art 20 13 Durchführung B.I.1/Art 41 7 f Eilbedürftigkeit B.I.1/Art 40 4 f entgegenstehende Entscheidungen B.I.2/ Art 48 15 entgegenstehende Statusentscheidungen B.I.2/Art 21 13 ff Formblatt B.I.2/Art 20 13d ff gerichtliche Vergleiche B.I.2/Art 48 10 ff Gewaltschutzsachen B.I.5/Einf 18, B.I.5/Einf 92 f güterrechtliche Entscheidungen B.I.4a/Einf 85, B.I.4a/Einf 88 indirekte Zuständigkeit B.I.3/Art 20 4 ff inländische Voraussetzungen B.I.2/Art 17 14 Kindesrückgabeanordnungen B.I.1/ Art 11 56 ff Kindesrückgabeentscheidungen B.I.1/ Art 47 8 nichtige Bescheinigung B.I.1/Art 43 8 öffentlicher Urkunden B.I.2/Art 48 10 ff, B.I.1/Art 46 12 Rechtsbehelfe B.I.2/Art 17 10 ff, B.I.2/ Art 21 2 ff Rechtsnachfolge B.I.2/Art 20 13a

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Vollstreckung, erleichterte Sicherungsmaßnahmen B.I.2/Art 18 1 ff Sorgerechtsvereinbarungen B.I.1/Art 46 12 Teilvollstreckung B.I.2/Art 17 9a unvereinbare Entscheidungen B.I.2/ Art 21 7 ff Verhältnis zu Statusentscheidung B.I.2/ Art 22 3 Verjährung B.I.2/Art 21 3 ff, B.I.2/Art 48 15 Verweigerungsgründe B.I.2/Art 21 1 ff vorzulegende Schriftstücke B.I.2/Art 20 1 ff widersprechende Entscheidung B.I.1/ Art 41 10, B.I.1/Art 42 7 ff Zustellung des Titels B.I.2/Art 20 13c Vollstreckung, erleichterte B.I.1/Art 40 2 ff, B.I.1/ Art 40 11 ff, B.I.1/Art 40 18 ff Vollstreckung, unmittelbare B.I.3/Art 32 5 Vollstreckung, zügige B.I.3/Art 32 4 Vollstreckungsabwehrantrag B.I.2/Art 21 38 ff, B.I.2/Art 34 5, B.I.2/Art 48 17 Vollstreckungseinwände B.I.2/Art 34 5 ff Vollstreckungserinnerung B.I.2/Art 21 34 Vollstreckungsgenklage B.I.1/Art 47 5 Vollstreckungsklausel B.I.1/Art 31 7, B.I.1/ Art 32 2, B.I.1/Art 32 4, B.I.2/Art 17 12, B.I.2/ Art 20 20, B.I.2/Art 20 23, B.I.2/Art 41 4, B.I.2/ Art 48 12 f Vollstreckungsverfahren B.I.1/Art 47 1 ff, B.I.2/ Art 41 1 ff Anhörung B.I.1/Art 42 14 Anwesenheit Kind B.I.3/Art 29 1 Ausstellung der Bescheinigung B.I.1/ Art 42 17 Bestimmtheitsanforderungen B.I.2/Art 41 5 Diskriminierungsverbot B.I.2/Art 41 1, B.I.3/Art 33 3 f elterliche Verantwortung B.I.1/Art 28 8 ff Kostenentscheidungen B.I.1/Art 28 14, B.I.1/ Art 47 4 f lex fori B.I.3/Art 23 3, B.I.3/Art 32 3 Maßnahmen B.I.3/Art 34 4 f Rückgabetitel B.I.1/Art 40 8 Schutzmaßnahmen B.I.5/Einf 95 Umgangsentscheidungen B.I.1/Art 40 6 f vorzulegende Urkunden B.I.1/Art 45 1 ff Zustellung B.I.2/Art 41 6 f Vollstreckungsversagung B.I.2/Art 34 1 ff Prüfungsumfang B.I.2/Art 34 2 f Gründe B.I.2/Vorbem Art 16 2 Rechtsbehelfe B.I.2/Art 21 2 ff, B.I.2/ Art 21 29 ff Vollstreckungsversagungsgründe B.I.3/Art 22 3 ff, B.I.5/Einf 114 f Vorabentscheidungsverfahren B.I.5/Einf 70 ff Bindungswirkung B.I.5/Einf 79 f

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Register Vorfrage B.I.1/Art 21 20, B.I.1/Art 22 28, B.I.1/ Art 25 6, B.I.4a/Einf 16 Widerklage B.I.2/Art 12 15, B.I.4a/Einf 42 Widerrechtlichkeitsbescheinigung B.I.1/ Art 10 36 f Wirkungserstreckung B.I.2/Art 17 3, B.I.2/ Art 17 8, B.I.2/Art 41 1 Wohnbedürfnis, dringendes B.I.5/Einf 26 Wohnsitz B.I.2/Art 2 20 ff, B.I.5/Einf 54 ständiger B.I.1/Art 3 22a Wohnungsüberlassung B.I.5/Einf 11 ff Zentrale Behörde B.I.1/Art 53 1 ff, B.I.1/Art 67 1 f, B.I.2/Art 45 3, B.I.2/Art 49 2 f, B.I.3/Art 4 3 ff, B.I.3/Art 6 16 Abgrenzung zu Judikative B.I.3/Art 6 26 Abstammungsfeststellung B.I.2/Art 51 19 ff Adressermittlung B.I.2/Vorbem Art 61 3 ff allgemeine Aufgaben B.I.1/Art 54 1, B.I.2/ Art 50 2 ff, B.I.3/Art 5 3 ff Anerkennungs– u Vollstreckungsverfahren B.I.3/Art 17 6 f Angemessenheit des Tätigwerdens B.I.2/ Art 53 10 Anträge des Unterhaltsberechtigten B.I.2/ Art 56 2 ff Anträge des Unterhaltsverpflichteten B.I.2/ Art 56 12 ff Antragsarten B.I.2/Art 56 1 ff, B.I.3/Art 10 1, B.I.3/Art 10 3 ff, B.I.3/Art 10 9 ff Antragsinhalt B.I.2/Art 57 5 f, B.I.3/ Art 11 3 ff, B.I.3/Art 11 17 ff Antragsvorbereitung B.I.2/Art 53 3 ff Antragszurückweisung B.I.2/Art 58 9 ff, B.I.3/Art 12 20 ff Aufenthaltsfeststellung B.I.3/Art 6 9 Aufgabendelegation B.I.3/Art 6 24 f Ausfindigmachung B.I.2/Art 51 8 f Bearbeitungsregeln B.I.2/Art 58 2 ff Beschleunigungsgebot B.I.3/Art 12 6 f, B.I.3/ Art 12 16 ff besondere Aufgaben B.I.2/Art 51 3 ff, B.I.3/ Art 7 1 f, B.I.3/Art 7 4 ff Beweiserhebung B.I.2/Art 51 16 ff, B.I.3/ Art 6 18 Datenschutz B.I.2/Art 56 10, B.I.3/Art 40 4 ff Einkommensinformationen B.I.2/Vorbem Art 61 7 ff Einkommensverhältnisse B.I.2/Art 51 10 f Einschränkungen B.I.2/Art 61 15 f Eintreibung Unterhalt B.I.3/Art 6 17 einzureichende Unterlagen B.I.2/Art 57 7 f

Register Ermessen B.I.3/Art 5 7, B.I.3/Art 8 9, B.I.3/ Art 12 22 Ersuchen B.I.3/Art 7 5, B.I.3/Art 7 10 fehlende Angaben B.I.3/Art 11 21 Formblätter B.I.2/Art 57 2 ff, B.I.3/Art 11 22 fortlaufende Vollstreckung B.I.2/Art 51 13 f Gebührenfreiheit B.I.2/Art 54 5 ff gütliche Einigung B.I.3/Art 6 11 ff Heilungsmöglichkeit B.I.2/Art 58 12 Hilfeleistung B.I.3/Art 6 3 f Informationsbeschaffung B.I.2/Art 53 11 ff, B.I.2/Art 61 3 ff, B.I.3/Art 6 10 Informationszugang B.I.2/Vorbem Art 611 ff, B.I.2/Art 61 6 ff inländische Verfahren B.I.3/Art 7 9 ff juristische Unterstützung B.I.3/Art 6 8, B.I.3/Art 14 5 ff, B.I.3/Art 15 3 ff Kommunikation B.I.1/Art 58 1, B.I.2/ Art 58 8, B.I.3/Art 12 19, B.I.3/Art 13 1 Kosten B.I.1/Art 57 4, B.I.2/Art 54 2 f Kosteneintreibung B.I.3/Art 43 3 ff Kostenerstattung B.I.2/Art 54 8 ff Kostenfreiheit B.I.3/Art 8 1, B.I.3/Art 8 3 ff, B.I.3/Art 14 10 ff, B.I.3/Art 15 3 ff Kostentragung B.I.2/Art 54 4 Maßnahmen B.I.3/Art 6 5 ff Mitwirkung bei Anerkennung und Vollstreckung B.I.2/Art 53 8 Mitwirkung im Erkenntnisverfahren B.I.2/ Art 53 4 ff Notwendigkeit des Tätigwerdens B.I.2/ Art 53 9 Prozesskostenhilfe B.I.2/Art 51 7 Prüfung d Mittel B.I.3/Art 16 3 ff, B.I.3/ Art 17 3 ff Schutz personenbezogener Daten B.I.2/ Art 62 8 ff Sicherungsmaßnahmen B.I.2/Art 51 23 Sprachenregelung B.I.1/Art 67 3 ff, B.I.2/ Art 59 1 ff Übersetzung B.I.3/Art 45 3 Übersetzungskosten B.I.2/Art 54 12 f, B.I.3/ Art 44 7 f Unterbringung des Kindes B.I.1/Art 56 1 ff Unterhaltsantrag B.I.3/Art 2 18 Unterrichtungspflichten B.I.3/Art 12 8 ff unvollständige Anträge B.I.3/Art 12 24 f Verfahren im ersuchenden Mitgliedstaat B.I.2/Art 53 20 ff Verfahrensablauf B.I.2/Art 53 15 ff Verfahrensrecht B.I.3/Art 10 12 ff Verfahrensschritte ersuchende Behörde B.I.2/Art 58 4 ff Verfahrensschritte ersuchte Behörde B.I.2/ Art 58 7

Zuständigkeit, internationale Verfahrensweise bei Sorgerechtsfällen B.I.1/ Art 57 1 ff Vollmacht B.I.3/Art 42 3 f Vollständigkeitskontrolle B.I.3/Art 12 3 vorläufige Maßnahmen B.I.3/Art 6 20 ff Weiterleitung von Informationen B.I.2/ Art 62 1 ff zugelassene Sprachen Zuständigkeit B.I.3/Art 5 4 f, B.I.3/Art 9 3 ff Zustellung B.I.2/Art 51 24 Zustellungserleichterung B.I.3/Art 6 23 Zentrale Behörden, Zusammenarbeit B.I.1/ Art 55 1 f, B.I.2/Einl 20 ff, B.I.2/Einl 31, B.I.2/Einl 51 f, B.I.2/Vorbem Art 49 1 ff, B.I.3/Einl 19, B.I.3/ Art 1 5, B.I.3/Art 5 3 Zusammenleben, weiteres Unzumutbarkeit B.I.5/Einf 24 f, B.I.5/Einf 29 Zuständigkeit, alternative B.I.1/Art 3 11 Zuständigkeit, ausschließliche B.I.1/Art 12 10 f, B.I.1/Art 14 2, B.I.1/Art 17 3 ff, B.I.1/Art 3 12, B.I.1/Art 3 60a, B.I.1/Art 6 1 ff, B.I.2/Art 4 57 Zuständigkeit, funktionelle B.I.1/Art 41 15 f Zuständigkeit, indirekte B.I.3/Art 20 4 ff Zuständigkeit, internationale B.I.1/Art 3 1 ff, B.I.2/Einl 23 B.I.2/Vorbem Art 3 4 ff, B.I.2/ Art 3 1 ff, B.I.2/Art 56 22 Abänderungsentscheidungen B.I.2/Vorbem Art 3 9, B.I.3/Art 31 7 actor sequitur forum rei B.I.3/Art 20 5 Amtsermittlungsgrundsatz B.I.2/Art 10 6, B.I.2/Art 10 10 Anerkennung B.I.2/Vorbem Art 3 14 ff Annexzuständigkeit Sorgerechtssachen B.I.1/Art 12 5 ff Annexzuständigkeit Statusverfahren B.I.2/ Vorbem Art 3 7, B.I.2/Art 3 46 ff Anwesenheitszuständigkeit in Sorgerechtssachen B.I.1/Art 13 1 ff Auffangzuständigkeit B.I.2/Vorbem Art 3 8, B.I.2/Art 6 1 ff, B.I.4b/Einf 5 Aufrechnung B.I.2/Vorbem Art 3 12 f Ausschluss B.I.3/Art 18 3 ff Ausstellung Schutzanordnungsbescheinigung B.I.5/Einf 96 Beschwerdeverfahren B.I.1/Art 33 5 eheliches Güterrecht B.I.4a/Einf 23 ff einstweilige Maßnahmen B.I.1/Art 20 17 ff, B.I.1/Art 20 25 ff, B.I.2/Art 14 7 ff elterliche Verantwortung B.I.1/Art 8 6 ff Ersatzzuständigkeit B.I.2/Art 3 28 Folgezuständigkeit B.I.1/Art 5 1 ff Formblatterteilung B.I.1/Art 39 4 forum shopping B.I.1/Art 3 15, B.I.2/Vorbem Art 3 23, B.I.2/Art 3 6

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Zuständigkeit, örtliche Gegenantrag B.I.1/Art 4 3 ff gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt B.I.1/ Art 3 19 ff gemeinsamer Scheidungsantrag B.I.1/ Art 3 35 ff gerichtlicher Prüfungsumfang B.I.2/Vorbem Art 3 19 ff Gerichtsstandsvereinbarung B.I.2/Vorbem Art 3 8, B.I.2/Art 4 1 ff, B.I.3/Art 18 8, B.I.3/ Art 20 12, B.I.4a/Einf 33 ff; B.I.4b/Einf 4 Gewaltschutzsachen B.I.5/Einf 15 gewöhnlicher Aufenthalt Antragsgegner B.I.1/Art 3 31 ff gewöhnlicher Aufenthalt Antragsteller B.I.1/ Art 3 39 ff gewöhnlicher Aufenthalt in Heimatstaat B.I.1/Art 3 45 ff grenzüberschreitender Bezug B.I.2/ Art 3 15 ff Günstigkeitsprinzip B.I.2/Art 3 43 Güterrecht eingetragene Lebenspartnerschaft B.I.4b/Einf 3 ff Hilfsgerichtsstand B.I.2/Art 3 39 HUntVerfÜbk 2007 B.I.3/Einl 16, B.I.3/ Art 18 1 indirekte B.I.3/Art 20 4 ff Kindesaufenthalt B.I.3/Art 20 8 ff Kindesentführung B.I.1/Art 10 4, B.I.1/ Art 10 8 ff letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt B.I.1/Art 3 26 ff lex fori B.I.1/Art 14 7 nationale Regelungen B.I.1/Einl 14 Notzuständigkeit B.I.1/Art 3 12, B.I.2/Vorbem Art 3 8, B.I.2/Art 7 1 ff, B.I.4a/Einf 40 f Parteiautonomie B.I.1/Art 3 2 perpetuatio fori B.I.1/Art 3 16, B.I.1/Art 3 34, B.I.2/Art 3 12 ff Personenstand B.I.3/Art 20 13 f Porogationsbefugnis B.I.1/Einl 55 Prüfung B.I.1/Art 17 7 ff, B.I.2/Art 10 1 ff Prüfungsumfang B.I.2/Art 10 11 Rangverhältnis B.I.1/Art 3 14, B.I.2/Art 3 5 f Rechtsbehelf B.I.2/Art 19 11 Restzuständigkeit B.I.1/Einl 54, B.I.1/ Art 7 1 ff, B.I.1/Art 14 1 ff Richter B.I.1/Art 41 17 rügelose Einlassung B.I.1/Art 9 22, B.I.2/ Art 5 1 ff, B.I.3/Art 18 11, B.I.4a/Einf 38 Scheidungsstatut B.I.1/Art 3 6a ff Schutzanordnung Bescheinigung B.I.5/Einf 51 sonstige Sorgerechtssachen B.I.1/Art 9 21a Sorgerechtsverfahren B.I.2/Art 3 51 ff Sperrwirkung B.I.2/Art 8 3 ff

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Register Staatsangehörigkeit B.I.1/Art 3 3 ff Umgangsmodalitäten B.I.1/Art 48 4 Umgangsrecht B.I.1/Art 9 5 ff Verbundzuständigkeit B.I.1/Einl 15 Verfahrenskonzentration B.I.2/Art 3 21a Verweisung B.I.1/Art 15 1 ff Vollstreckbarkeitsbescheinigung B.I.1/ Art 41 15 ff, B.I.1/Art 42 11 Widerklage B.I.2/Vorbem Art 3 10, B.I.2/ Art 3 12 ff, B.I.4a/Einf 42 Zeitpunkt B.I.1/Art 3 16 Zentrale Behörden B.I.3/Art 9 4 Zuständigkeitsunterwerfung B.I.3/Art 18 9 ff, B.I.3/Art 20 6 Zuständigkeitsvereinbarung bei Sorgerechtssachen B.I.1/Art 12 1 ff Zuständigkeit, örtliche B.I.1/Einl 30, B.I.1/ Art 3 18, B.I.1/Art 4 9, B.I.1/Art 5 6, B.I.1/Art 8 7, B.I.1/Art 12 5, B.I.1/Art 15 29, B.I.1/Art 21 39 B.I.1/Art 29 2 ff, B.I.2/Einl 47, B.I.2/Vorbem Art 3 2, B.I.2/ Art 3 7 B.I.2/Art 3 7 ff, B.I.2/ Art 3 19 f, B.I.2/Art 5 3 ff, B.I.2/Art 6 10, B.I.2/ Art 7 15, B.I.2/Art 10 8, B.I.2/Art 56 22, B.I.5/Einf 15, B.I.5/Einf 52 Gerichtsstandsvereinbarung B.I.2/Art 4 10 f konkurrierende Zuständigkeiten B.I.2/ Art 3 10 f Zuständigkeit, sachliche B.I.1/Art 21 39, B.I.1/ Art 29 1 Zuständigkeitskonzentration B.I.4a/Einf 24 ff, B.I.4b/Einf 3 Zustellung B.I.2/Art 41 6 f, B.I.2/Art 53 7 Ablehnung Rückgabeantrag B.I.1/Art 11 41 Auftrag zum Verlassen der Wohnung B.I.5/ Einf 35 Bescheinigung über Schutzanordnung B.I.5/ Einf 103 ff Bevollmächtigter B.I.1/Art 30 4 fiktive B.I.2/Art 24 13 Nachholung B.I.1/Art 28 20 Ordnungsgemäßheit B.I.1/Art 18 13 ff, B.I.1/ Art 22 15 f Rechtshängigkeit B.I.1/Art 16 5 Rechtzeitigkeit B.I.1/Art 22 17 f Risikoverteilung B.I.1/Art 18 5 f verfahrenseinleitendes Schriftstück B.I.2/ Art 9 2 ff, B.I.2/Art 19 18 Versäumnisentscheidung B.I.1/Art 41 25 Vollstreckbarerklärungsverfahren B.I.1/ Art 30 3 ff Vollstreckungstitel B.I.2/Art 20 13c zu vollstreckende Entscheidung B.I.1/ Art 28 19 ff