Europäische Innovations- und Spezialisierungsdynamik im Gesundheitssektor: Vergleichsperspektiven und wirtschaftspolitische Konsequenzen 9783110511581, 9783828205369

Die Studie analysiert den Gesundheitssektor aus regionaler Sicht und entwickelt eine Vergleichsperspektive für Deutschla

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Europäische Innovations- und Spezialisierungsdynamik im Gesundheitssektor: Vergleichsperspektiven und wirtschaftspolitische Konsequenzen
 9783110511581, 9783828205369

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Charakterisierung und Bedeutung des Life-Science-Sektors
3. Mobilitätsnetzwerke ausgewählter Regionen
4. VC Finanzierung innovativer Life-Science-Unternehmen
5. Aspekte zu regional spezifischen Rahmenbedingungen
6. Schlussfolgerungen
Literaturverzeichnis

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Paul J. J. Welfens/Oliver Emons/Christian Schröder Europäische Innovations- und Spezialisierungsdynamik im Gesundheitssektor

*

*

Europäische Integration und Digitale Weltwirtschaft Herausgegeben von Paul J. J. Weifens Europäisches Institut für Internationale Wirtschaftsbeziehungen e.V. an der Bergischen Universität Wuppertal

Band 5: Europäische Innovations- und Spezialisierungsdynamik im Gesundheitssektor Vergleichsperspektiven und wirtschaftspolitische Konsequenzen

Paul J. J. Weifens Oliver Emons Christian Schröder

Europäische Innovations- und Spezialisierungsdynamik im Gesundheitssektor Vergleichsperspektiven und wirtschaftspolitische Konsequenzen

Lucius & Lucius · Stuttgart · 2011

Anschrift der Autoren: Prof. Dr. Paul J.J. Weifens Dipl.-Ök. Oliver Emons Dipl.-Ök. Christian Schröder Europäisches Institut für Internationale Wirtschaftsbeziehungen (EIIW) an der Bergischen Universität Wuppertal Rainer-Gruenter-Straße 21 42119 Wuppertal http://www.eiiw.eu

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

ISSN 1868-0607 ISBN 978-3-8282-0536-9

© Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart 2011 Gerokstr. 51, 70184 Stuttgart www.luciusverlag.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung, Verarbeitung und Übermittlung in elektronischen Systemen.

Druck und Einband: Rosch-Buch, Scheßlitz Printed in Germany

Vorwort Der Gesundheitssektor zählt in Deutschland bzw. der EU zu dem dynamisch wachsenden Sektoren, der vom medizinischen Fortschritt einerseits und andererseits einer strukturell wachsenden Nachfrage in der alternden Gesellschaft bestimmt ist. Dieser Sektor ist nicht nur wichtig aus wirtschaftlicher Sicht und mit Blick auf seine Besonderheiten in Wettbewerbs- bzw. regulierungspolitischer Sicht — schließlich sind wesentliche Bereiche der Angebotsseite des Gesundheitssektors von staatlichen Vorgaben bestimmt, die sich u. a. im Rahmen der Versorgung bei den gesetzlich Krankenversicherten bzw. bei Ärzten und Krankenhäusern sowie Arzneimittelanbietern zeigen. Dabei ist der Gesundheitssektor ein teilweise von hoher Innovationsdynamik geprägter Wirtschaftsbereich, wobei regionale Innovationsaktivitäten bislang in der EU kaum untersucht worden sind; gerade auch die moderne Methode der Netzwerkanalyse ist bislang nicht angewendet worden, sodass für den Gesundheitssektor die vorliegende Studie — unseres Wissens nach — eine Pionieranalyse ist. Für die Analyse von Clusterstrukturen ist die soziale Netzwerkanalyse ein vielversprechender Ansatz. Zudem ist mit Blick auf den anhaltenden Kostendruck im Gesundheitssektor ein makroökonomischer Aspekt von besonderer Bedeutung, nämlich der Sachverhalt, dass mit steigenden Gesundheitsausgaben relativ zum Bruttoinlandsprodukt die Lohnnebenkosten bzw. Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung steigen: Hier droht dann eine Lohnkostenerhöhung, die wiederum die Arbeitslosenquoten hochziehen könnte. Der Gesundheitssektor weist jedoch, getrieben von materiellen Anreizmechanismen und marktbasierter Konkurrenz, aber auch immateriellem Anreiz bzw. der Angst der Patienten und Ärzte vor dem Tode, auch eine hohe Produktivitätssteigerung bzw. Innovationsdynamik auf. Dabei haben sich einige Regionen mit sinnvoller Vernetzung von Anbietern der Gesundheitswirtschaft als besonders innovationsstark bzw. effizient in der Gesundheitsversorgung erwiesen. Von daher liegt es nahe, exemplarisch ausgewählte Regionen in der EU zu analysieren. Die nachfolgende Analyse richtet den Fokus auf die Clusterentwicklungen in den Regionen Bergisches Städtedreieck und Dresden in Deutschland sowie auf die Regionen Wien und Linz in Österreich. Die Vergleichsanalyse erweist sich in verschiedener Hinsicht als außerordentlich nützlich, um besonders erfolgversprechende Innovationsansätze in der Gesundheitswirtschaft aufzuzeigen bzw. die Rolle von Vernetzungen im Innovationsprozess und von Erfindermobilität einerseits und von Risikokapitalverfügbarkeit andererseits zu beleuchten. Auch wenn mit dem Fokus auf den vier Vergleichsregionen nur eine eingeschränkte Datenbasis vorliegt, so sei doch betont, dass zum einen die Ergebnisse selbst sehr interessant sind, zum anderen sind die hier gewählten neuen methodischen

vi • Paul J.J. Welfens/Oliver Emons/Christian Schröder

Ansätze der Innovationsanalyse von großer Bedeutung: Mit der auf den Gesundheitssektor gerichteten regionalen Auswertung der Patentdatenbanken des Europäischen Patentamtes und des Deutschen Patent- und Markenamts hat diese Studie einen neuen Weg beschritten und zudem kann die Einbeziehung der Risikokapitalaspekte als gewichtiges neues Element gelten. Das allgemeine Interesse der Bevölkerung bzw. der Arbeitnehmerschaft und auch der nationalen und europäischen Wirtschaftspolitik an Modernisierungs- und Innovations fragen der Gesundheitswirtschaft unterstreicht die Relevanz der vorliegenden Studie. Diese Studie wurde im Rahmen der Forschungskooperation mit der HansBöckler-Stiftung Düsseldorf in 2008/09 erstellt und wird hoffentlich als wesentlicher Impuls zur Clusterdebatte in der Gesundheitswirtschaft beitragen. Es gibt noch zahlreiche Bereiche in diesem Sektor, wo sich durch eine adäquate Clusterförderung und optimales Clustermanagement Produktivitätsreserven heben und mehr Innovationsdynamik mobilisieren lassen. Gerade nach der verheerenden Transatlantischen Bankenkrise, in deren Gefolge die Risikoprämien stark angestiegen sind, gilt verstärkt, dass insbesondere auch ausreichender Zugang zu Risikokapital für die Modernisierung des Gesundheitssektors wesentlich ist — auch hierzu bietet die Analyse eine Reihe interessanter neuer Befunde. Es zeigt sich, dass gerade regionale Vergleichsstudien für die deutsche und europäische Reformdebatte außerordentlich nützlich sein können. Für technische Unterstützung danken wir Herrn Samir Kadiric und Frau Martina Gaida sowie Herrn Jens Perret (EIIW).

Wuppertal, im Oktober 2010

Inhaltsverzeichnis Vorwort

ν

Abbildungsverzeichnis

ix

Tabellenverzeichnis

χ

1.

1 1 7

Einleitung 1.1 Innovationsdynamik und Gesundheitssektor 1.2 Vorgehensweise

2.

Charakterisierung und Bedeutung des Life-Science-Sektors

11

3.

Mobilitätsnetzwerke ausgewählter Regionen 3.1 Clusterperspektiven 3.2 Knowledge-Spillover and Scientist Mobility 3.2.1. Regionale Innovationssysteme, Innovationen und Patente 3.2.2. Die Soziale Netzwerkanalyse 3.2.3. Grundlagen der Sozialen Netzwerkanalyse 3.2.4. Methodenerläuterungen 3.3. Auswahl der Regionen und Identifikation des zu untersuchenden Kompetenzfeldes 3.3.1. Der Begriff Gesundheitswirtschaft 3.3.2. Patentidentifikation innerhalb der IPC 3.4. Instrumentarium und Analyse der Erfindermobilität 3.4.1. Visualisierung 3.4.2. Netzwerkanalytische Maßzahlen 3.4.3. Scientist Mobility für das Bergische Städtedreieck 3.4.4. Scientist Mobility für Dresden 3.4.5. Scientist Mobility für Wien 3.4.6. Scientist Mobility für Linz 3.5. Zwischenfazit

20 20 22 22 23 24 25

4.

28 29 31 34 34 37 38 47 52 57 60

VC Finanzierung innovativer Life-Science-Unternehmen 65 4.1. Venture Capital 65 4.2. Private VC-Investitionen im Life-Science-Sektor in Österreich bzw. Wien und Linz 73 4.3. Öffentliche (VC-)Förderung in Österreich im Life-Science-Sektor 79 4.4. Beurteilung der österreichischen Risikokapitalszene 84 4.5. Private VC-Investitionen im Life-Science-Sektor in Deutschland bzw. Dresden und dem Bergischen Städtedreieck 85 4.6. Öffentliche (VC-)Förderung in Deutschland im Life-Sciences-Sektor...94 4.7. Beurteilung der deutschen Risikokapitalszene 98

viii

5.

6.

Paul J.J. Welfens/Oliver Emons/Christian Schröder

Aspekte zu regional spezifischen Rahmenbedingungen 5.1. Forschung und Entwicklung 5.2. Forschungseinrichtungen/Aus- und Weiterbildung Schlussfolgerungen

Literaturverzeichnis

101 101 103 109 118

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Clusterklassifizierung

19

Abbildung 2: Methodisches Vorgehen

27

Abbildung 3: Gesundheitswirtschaft und deren untergeordnete Teilbereiche...33 Abbildung 4: Übertragung einer Matrix in einen Graphen

35

Abbildung 5: Gahuku-Gama-System

36

Abbildung 6: Patentanmeldungen insgesamt 2000-2005

40

Abbildung 7: Netzwerk der Erfindermobilität 2000-2002

40

Abbildung 8: Untergliederung der Bayer A G in Teilkonzerne

42

Abbildung 9: Netzwerk der Erfindermobilität 2003-2005

45

Abbildung 10: Netzwerk der Erfindermobilität 2000-2002

49

Abbildung 11: Netzwerk der Erfindermobilität 2003-2005

51

Abbildung 12: Mobilitätsnetzwerk Wien 2000-2002

54

Abbildung 13: Mobilitätsnetzwerk Wien 2003-2005

56

Abbildung 14: Mobilitätsnetzwerk Linz 2000-2002

58

Abbildung 15: Typische Struktur einer Venture-Capital-Beteiligung

67

Abbildung 16: Innovationszyklus in der Therapeutikaentwicklung

68

Abbildung 17: Investitionsphasen und Kapitalbedarf von Private Equity bzw. Venture Capital 69 Abbildung 18: Venture-Capital-Investitionen in der Expansions- und Erneuerungsphase: EU-15 und USA

70

Abbildung 19: Venture Capital-Investitionen in der Frühphase: EU-15 und USA

71

Abbildung 20: Sektorale Verteilung der Private-Equity-Investitionen (VC und MBOs/MBIs) in Österreich in 2007 74 Abbildung 21: Regionale Verteilung österreichischer Private-EquityInvestitionen (Venture Capital plus MBO/MBI)

74

Abbildung 22: Early-Stage-Venture-CapitalTnvestitionen 2007 nach Branchen 86 Abbüdung 23: NRW.Bank als Dachfonds regionaler Seed-Fonds in NRW Abbildung 24: Life-Sciences-Aktivitätsprofil in Österreich

96 102

Tabellenverzeichnis Tabelle 1:

Adjacency Matrix Α (symmetrisch)

26

Tabelle 2:

Bestandteile der Gesundheitswirtschaft

31

Tabelle 3:

Hauptklassen der IPC

32

Tabelle 4:

Entwicklung der Patentanmeldungen im Bereich der Gesundheitswirtschaft (Bergisches Städtedreieck SD)

39

Tabelle 5:

Unternehmensbeziehungen im Biotechnologie, Pharma- und Chemiebereich

43

Tabelle 6:

Degree-Zentralitäten Bergisches Städtedreieck 2000-2002

44

Tabelle 7:

Durchschnittliche Degree-Zentralität und Dichte für das SD 2000-2002

45

Tabelle 8:

Degree-Zentralitäten Bergisches Städtedreieck 2003-2005

46

Tabelle 9:

Durchschnittliche Degree-Zentralität und Dichte für das SD 2003-2005

47

Tabelle 10:

Entwicklung der Patentanmeldungen im Bereich der Gesundheitswirtschaft (Dresden)

48

Tabelle 11:

Degree-Zentralitäten Dresden 2000-2002

48

Tabelle 12:

Durchschnittliche Degree-Zentralität und Dichte für Dresden 2000-2002

50

Tabelle 13:

Degree-Zentralitäten Dresden 2003-2005

51

Tabelle 14:

Durchschnittliche Degree-Zentralität und Dichte für Dresden 2003-2005

52

Tabelle 15:

Entwicklung der Patentanmeldungen im Bereich der Gesundheitswirtschaft (Wien)

53

Tabelle 16:

Durchschnittliche Degree-Zentralität und Dichte für Wien 2000-2002

55

Tabelle 17:

Degree-Zentralitäten Wien 2000-2002

55

Tabelle 18:

Degree-Zentralitäten Wien 2003-2005

56

Tabelle 19:

Durchschnittliche Degree-Zentralität und Dichte für Wien 2003-2005

57

Europäische Innovations- und Spezialisierungsdynamik im Gesundheitssektor · xi

Tabelle 20:

Entwicklung der Patentanmeldungen im Bereich der Gesundheitswirtschaft (GW) in Linz

58

Tabelle 21:

Degree-Zentralitäten Linz 2000-2002

59

Tabelle 22:

Durchschnittliche Degree-Zentralität und Dichte für Linz 2000-2003

59

Tabelle 23:

Durchschnittliche Ergebnisse für die deutschen Regionen

61

Tabelle 24:

Durchschnittliche Ergebnisse für die österreichischen Regionen ..61

Tabelle 25:

Private-Equity-Investitionen im Life-Science-Sektor

Tabelle 26:

Private in Life-Science-Unternehmen mit Sitz 77 in WienVC-Investitionen oder Linz (vor 2005)

Tabelle 27:

Early-Stage-VC-Investitionen aufgeteilt nach Bundesländern in 2007

87

VC-Transaktionen im Gesundheitssektor in Dresden (2003-2007)

88

Tabelle 28: Tabelle 29:

71

Private VC-Gesellschaften mit Sitz in NRW mit Investitionen in Life-Science-Unternehmen

89

Tabelle 30:

VC Transaktionen im Gesundheitssektor in NRW (2005-2007) ....91

Tabelle 31:

Börsennotierte Biotech-Unternehmen in Deutschland (Stand 2007)

93

Tabelle 32:

Ausgaben für Forschung und Entwicklung in % zum Bruttoinlandsprodukt (alle Sektoren)

101

Überblick Life Science in Österreich

107

Tabelle 33:

1. Einleitung 1.1 Innovationsdynamik und Gesundheitssektor Der Gesundheitssektor steht immer wieder im Vordergrund wirtschaftspolitischer Debatten in Deutschland bzw. der EU, nicht zuletzt, weil man in den alternden Gesellschaften Europas von einem anhaltenden Kostendruck in diesem Sektor ausgeht: Steigende Ausgaben für Gesundheit relativ zum Bruttoinlandsprodukt, die teilweise vom medizinischen Fortschritt getrieben seien, werden problematisiert; nicht zuletzt, weil hierdurch steigende Lohnnebenkosten entstehen, die wiederum über Lohnkostendruck die Arbeitslosenquote weiter erhöhen könnten. Zwar weist die Bertelsmann Stiftung (2010) in ihrer Analyse darauf hin, dass die Öffentlichkeit gerade bei der Kostendebatte im Gesundheitssektor teilweise von Mythen bzw. unzutreffenden Annahmen besümmt ist. Dennoch stellt sich grundsätzlich die Frage, wie man anhaltende Innovationsdynamik plus Effizienz in einem wettbewerblich und regulatorisch geprägten Gesundheitssektor auf Dauer sichern kann. Diese Thematik beinhaltet auch die Frage, ob und inwieweit man regionale Gesundheitscluster sinnvoll als angebotsseitiges Netzwerk teilweise komplementärer und teilweise durch Wettbewerb miteinander verbundener Akteure organisieren kann und inwieweit der Staat mit direkten oder indirekten Fördermöglichkeiten hier aktiv sein sollte; zu den wichtigen Herausforderungen gehört dabei u. a., dass neue innovative Anbieter im Gesundheitssektor gute Chancen haben, eine marktmäßige Finanzierung — ggf. mit staatlichen Unterstützungsimpulsen — zu erhalten, sodass Fragen der Venture-CapitalFinanzierung mit zu bedenken sind. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland erreichten zu Beginn des 21. Jahrhunderts rund 7% des Bruttoinlandsproduktes; wenn man die Ausgaben der privaten Krankenversicherung (etwa 10% aller Krankenversicherten) bzw. die privaten Gesundheitsausgaben hinzunimmt, dann erhöht sich der Anteil auf etwa 10%, sodass der Gesundheitssektor tatsächlich als einer der größten Sektoren der Wirtschaft in Deutschland gelten kann. Der Gesundheitssektor, wie die Wirtschaft insgesamt, ist in den westeuropäischen Hochlohnländern durch verschärfte Innovationskonkurrenz geprägt, wobei hier Impulse vom EU-Binnenmarkt und von Seiten der Globalisierung zusammenwirken. Vor dem Hintergrund der Globalisierung bzw. der EU-Osterweiterung und der veränderten europäischen Arbeitsteilung hat sich die mittelfristige Standort- bzw. Innovationskonkurrenz erheblich intensiviert. Der grenzüberschreitende Technologietransfer sowie Direktinvestitionen nehmen zu: Aus westeuropäischer bzw. deutscher Sicht ist in einer Reihe von Industrien zu befürchten, dass Produktivitätsvorsprünge und mithin rentable Arbeitsplätze im Inland in einigen Sektoren über längere Anpassungsphasen hin verloren gehen könnten; dies gilt

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verschärft auch vor dem Hintergrund der Transadantischen Bankenkrise (WELFENS, 2009). Die Problematik könnte langfristig durch beschleunigte internationale Innovations- bzw. Wissensdiffusion über das Internet noch verstärkt werden. Wenn zudem auch Industrieunternehmen aus technologie- bzw. wissensintensiven Produktionsbereichen mittelfristig verstärkt Teile der Produktion, der Wertschöpfungskette — auch bei qualitativ hochwertigen und innovationsmäßig bedeutenden Wertschöpfungsbereichen — in osteuropäische Beitrittsländer verlagern sollten, dann wird möglicherweise die Fähigkeit westeuropäischer Unternehmen geschwächt, auf internationalen Märkten hohe Marktanteile bzw. Preise zu erzielen. Gerade die Geringqualifizierten könnten dann in westeuropäischen Hochlohnländern in eine strukturelle Verliererposition geraten. Während zahlreiche Industriesektoren von starkem Anpassungsdruck betroffen sind, gibt es in einigen Sektoren und insbesondere im Dienstleistungsbereich erhebliche Expansionschancen — innovationsstarke Sektoren wie der Gesundheitsbereich spielen hier längerfristig eine wichtige Rolle, zumal die Demografiedynamik zu einem steigenden Anteil der Gesundheitsausgaben führt und zudem die Einkommenselastizität der Nachfrage nach Gesundheitsdiensten größer 1 ist. Eine steigende Nachfrage nach Gesundheitsdiensten ergibt sich unmittelbar im Pflegemarkt, wo man von einer starken Expansion bis 2050 ausgeht (ENSTE/ PIMPERTZ, 2008). Angesichts des in vielen Branchen absehbaren Fachkräftemangels wird die Technisierung und Informatisierung in allen Bereichen gerade auch des Gesundheitssektors voranschreiten. Hier ist auch in 2010 noch anzumerken, dass trotz verschiedener nationaler IT-Gipfel die digitale Gesundheitskarte erst im Versuchsstadium ist. Dabei wäre doch gerade die Einführung einer solchen Karte wichtig, um Effizienzreserven im Gesundheitssektor zu heben und Belastungen für Patienten — etwa aus doppelten Röntgen- oder Blutuntersuchungen bei Krankenhausaufenthalten - zu minimieren. Zudem könnte durch die geplante Gesundheitskarte die Transparenz der Abrechnung im Gesundheitssektor erhöht werden. Nachdem sich im Gefolge der Bankenkrise auch eine Staatsverschuldungskrise in der EU — mit deutlich erhöhten Schuldenquoten in fast allen Mitgliedsländern der EU — ergeben hatte, ist freilich das Interesse des Staates deutlich gestiegen, Effizienzreserven im Gesundheitssektor aufzudecken. Schließlich ist der Staat ja selbst in vielen Bereichen auf der Angebotsseite des Gesundheitssektors aktiv, wobei kommunale Haushalte etwa durch Ausgaben bzw. Zuschüsse im Krankenhaussektor belastet werden. Zudem hat der Staat aus dem Ziel der Vollbeschäftigung heraus ein grundlegendes Interesse daran, eine Erhöhung der Lohnnebenkosten — hier via steigende Gesundheitsausgaben relativ zum Bruttonationaleinkommen — vermeiden zu helfen. Der Staat reglementiert im Übrigen mit Blick auf die große Bevölkerungsmehrheit, die Kassenpatienten, den Gesundheitssektor in hohem Maße.

Europäische Innovations- und Spezialisierungsdynamik im Gesundheitssektor • 3

Der Gesundheitssektor ist seit jeher ein stark politisch beeinflusster Sektor, in dem der Staat über Vorgaben in der Krankenversicherung (z. B. CASSEL, 2005) und auf Seiten der Anbieter von Gesundheitsversorgungsdiensten einwirkt. Zudem ist dieser Sektor in vielen Bereichen durch Kooperationsaspekte einerseits und durch kollektive Vereinbarungen andererseits geprägt. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2007, S.22): „Die Diskussion um neue Kooperationsformen und Kompetenzen von Gesundheitsberufen ist nicht primär aus der Perspektive der Berufsgruppen, sondern auf der Basis der zukünftigen Anforderungen an das Gesundheitssystem — d. h. aus der Patientenperspektive - zu führen. Die wichtigsten künftigen Anforderungen ergeben sich aus der Demografie (Alterung der Gesellschaft), dem KrankheitsSpektrum (Multimorbidität), der Innovation (raschere Einführung neuer Methoden) und der Integration der Versorgung (Aufhebung der sektoralen Gliederung)." Der Gesundheitssektor setzt sich aus einer ökonomischen Sicht aus einer Angebots- und einer Nachfrageseite zusammen; dabei sollte man jenseits der Betrachtung der Rolle kollektiver Akteure natürlich nicht die große Bedeutung der Individuen selbst übersehen, die sich mit ihrer privaten Lebensführung je nach individueller Lebensweise in unterschiedlicher Weise Gesundheitsrisiken aussetzen. Jenseits dieser individuellen Perspektive der privaten Haushalte gibt es naturgemäß auch eine auf alle Unternehmen bezogene Sicht, die auf den Zusammenhang von gesunder Lebensweise und reduziertem Krankenstand bzw. erhöhter Arbeitsproduktivität und Innovationsfähigkeit abstellt (BERTELSMANN STIFTUNG, 2006). Eine hohe Wertschöpfungs- bzw. Beschäftigungsdynamik in den wissens- und forschungsintensiven Wirtschaftsbereichen ist für ein Land wie Deutschland von besonderer Bedeutung, da neue innovative Produkte und Prozessinnovationen oft der Ausgangspunkt für den technologischen Wandel sind. Zu den innovationsstarken Branchen gehört der Gesundheitssektor, der in den alternden Gesellschaften Europas — insbesondere auch in Deutschland — langfristig an Gewicht gewinnen wird. Dabei ist zu beachten, dass sich der Gesundheitssektor im Spannungsfeld steigender Nachfrage, verschärfter staatlicher Budgetrestriktion und anhaltender Innovationsdynamik entwickelt; hinzukommen die Vorgaben des EU-Binnenmarktes, der eine Internationalisierung auf der Angebots- und Nachfrageseite fördert. Produkt- und Prozessinnovationen entstehen in einem Prozess Schumpeterscher Dynamik, und zwar insbesondere in solchen Wirtschaftsräumen, wo sich regionale Innovationssysteme mit Schwerpunkt Gesundheitssektor entwickelt haben. Das Zusammenspiel von entsprechenden Unternehmen, (Kranken-)Versicherungen, Krankenhäusern und Anbietern innovativer Produkte und Dienste sowie von einschlägigen Aktivitäten in Forschungszentren bzw. Hochschulen spielt

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dabei eine wichtige Rolle. Der Gesundheitssektor ist in Teilbereichen innovationsstark, denn er besteht u. a. aus den Unternehmen aus der Biotechnologie, der Pharmazie, der Medizintechnik und der Chemie. Nicht zu unterschätzen ist auch das Innovationspotenzial bei Anbietern von Gesundheitsdiensten und im Versicherungssektor, wobei hier der zunehmende Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologie bedeutsam ist. Im Rahmen der nationalen ITGipfel hat die Bundesregierung u. a. das Projekt digitale Gesundheitskarte (der Einsatz wird verspätet erfolgen: in 2009) vorangetrieben, von deren Einsatz Rationalisierung- und Innovationsimpulse zu erwarten sind. Die Bundesregierung hat in ihrer Hightech-Strategie 17 Bereiche identifiziert, zu denen in den Feldern 10, 11 und 13 mit „Gesundheitsforschung und Medizintechnik", „Dienstleistungen" sowie „Biotechnologie" drei unmittelbar für den Gesundheitssektor besonders relevante Felder benannt worden sind; Hierzu gibt es in der Hightech-Strategie noch weitere komplementäre Felder (BMBF, 2007). Eine ζ. T. staatlich geförderte Innovationsdynamik und die sich im Wettbewerbsprozess herausbildenden Spezialisierungs-gewinne können hier ökonomisch positiv zusammenwirken. Seit den 90er Jahren hat sich in Deutschland und zahlreichen anderen EU-Ländern seitens der regionalen und nationalen Wirtschaftsförderung zunehmend ein Interesse an der Entwicklung und Förderung von Clustern ergeben. Hierbei geht es um den Verbund konkurrierender wie komplementärer Unternehmen, wobei sich Wissensspillover zwischen den einzelnen Unternehmen ergeben können. Aus ökonomischer Sicht werden regionale Unternehmensnetzwerke in der Regel positiv eingeschätzt. Allerdings gibt es auch grundsätzliche Einwände gegen eine allgemein positive Sicht von Clustern — insbesondere im Kontext einer undifferenzierten Förderung durch die Innovations- bzw. Wirtschaftspolitik: •

Es ist durchaus vorstellbar, dass sich in einen staatlich geförderten Cluster vor allem „fußkranke" Unternehmen flüchten; in einem solchen Kontext wäre es keineswegs überraschend, wenn bei einer Untersuchung der Firmen in einem Cluster sich als Befund ergibt, dass diese keine überdurchschnittliche Produktivität bzw. keinen überdurchschnittlichen Innovationsgrad aufweisen (verglichen mit Firmen, die nicht in einem Cluster aktiv sind). Von daher ist es sehr wichtig, dass für den Zugang zu einem innovationsorientierten Cluster bestimmte Kriterien vorab definiert werden — etwa dass die betreffende Kandidatenfirma bereits eine hohe Innovationsintensität aufweist (etwa ermittelt durch den Indikator Ausgaben für Forschung & Entwicklung relativ zum Umsatz, der mindestens 3,5 % überschreiten muss, um — nach OECDMethodik — zum Unternehmenskreis mittlerer Technologieintensität gezählt zu werden; wenn die F&E-Quote 8,5 % übersteigt, so liegt eine Zugehörigkeit zum Hochtechnologiesektor vor) oder dass sich anhand

Europäische Innovations- und Spezialisierungsdynamik im Gesundheitssektor · 5

objektivierter anderer Kriterien eine starke Innovationsleistung ablesen bzw. erwarten lässt. •

Was die grundsätzliche Cluster-Struktur angeht, so wird man unterscheiden können zwischen dem Fall eines Clusters mit einem großen führenden Nabenakteur und Clustern mit flachen Firmenhierarchien, bei denen eine große Zahl von Firmen ähnlicher bzw. mittelständischer Größe im Netzwerk agiert. Hier ist es aus Sicht der Wirtschaftspolitik wichtig, dass ein effizientes und effektives Clustermanagement organisiert wird. Bei Präsenz eines dominanten Netzwerkakteurs wäre ein solches extern organisiertes Clustermanagement offensichtlich nicht nötig bzw. redundant.

Bei der wirtschaftspolitischen Clusterförderung steht der Gedanke mit im Vordergrund, dass man Aktivitäten mit positiven externen Effekten wirtschaftspolitisch fördern sollte; und in leistungsfähigen Clustern mit hinreichender Innovationsorientierung sind in der Tat positive externe Effekte von Forschung und Entwicklung zu erwarten. Was aber macht ein erfolgreiches Cluster im Gesundheitssektor aus? Welcher Mindestverbund von verschiedenen Akteuren des Gesundheitssektors ist für ein effizientes Cluster erforderlich? Die vorgelegte Studie analysiert den Gesundheitssektor aus regionaler Sicht und entwickelt dabei eine exemplarische Vergleichsperspektive für Deutschland bzw. Österreich, wobei der betrachtete Sektor tendenziell als hochinnovativ und damit im Kontext von Wirtschaftswachstum und Strukturwandel einerseits bzw. EULissabon-Strategie andererseits als gewichtig gelten kann. Dabei ist zu beachten, dass das räumliche Zusammenwirken von innovativen Anbietern in Clustern eine ökonomisch wichtige Rolle spielt, da hier neben vertikalen Spezialisierungsstrukturen auch produktivitätsrelevante Netzwerkeffekte und räumliche Ubertragungseffekte (spillovers) relevant sind. Cluster, also eine räumliche Ansammlung von vernetzten Unternehmen, die in Leistungsbeziehungen zueinanderstehen, werden in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur (z.B. MARSHALL, 1890; AUDRETSCH/FELDMAN, 1996; DEEDS et al., 1997; BAPTISTA, 2000) als produktivitätssteigernd angesehen. Dabei spielen Wettbewerbs- und Kooperationseffekte gleichermaßen eine Rolle. Ein wesentlicher produktivitätssteigernder Kanal sind sogenannte Wissensspillover, welche bei geografischer Konzentration von Unternehmen häufiger auftreten als in Regionen mit einer geringen Unternehmensdichte einschlägig ausgerichteter Firmen. Diese Wissensspillover können u. a. anhand der Mobilität von Erfindern gemessen werden. Im Rahmen der sogenannten Sozialen Netzwerkanalyse steht ein Verfahren zur Verfügung, das eine Reihe von höchst aussagekräftigen und anschaulichen Ergebnissen bezüglich der Erfindermobilität liefern kann. Die Befunde solch einer Analyse sind für Hochlohnregionen, die sich

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längerfristig verschärftem Strukturwandelsdruck ausgesetzt sehen, von großer Bedeutung. Hier zeigen sich ggf. besondere Stärken oder auch Schwachpunkte und damit Ansatzpunkte für die regionale Wirtschafts- bzw. Standortpolitik — besonders aufschlussreich sind hier auch Vergleichsstudien für EU-Regionen. Diese Netzwerkanalyse wird in der vorliegenden Studie anhand von vier Clusterregionen durchgeführt, die nach Angaben diverser Institutionen vor Ort ihren wirtschaftlichen Fokus auf den Gesundheitssektor legen. Diese Regionen sind in Deutschland das Bergische Städtedreieck (bestehend aus Remscheid, Solingen, Wuppertal) und die Stadt Dresden sowie die Städte Wien und Linz in Österreich. Auch wenn regionale Vergleiche wegen im Einzelnen differierender Strukturmerkmale nicht ohne Vorbehalte zu Einzelpunkten sind, so kann doch eine komparative Analyse in der Regel wichtige zusätzliche Einsichten bringen. In den neuen Bundesländern ist ohnehin nach 1991 ein verschärfter Strukturwandel eingetreten und es ist daher besonders interessant, das Zusammenwirken staatlicher Modernisierungsimpulse, technologischer Dynamik und marktlicher Entwicklungen beim Gesundheitssektor zu thematisieren. Im Bergischen Städtedreieck bildet das räumliche Zusammenwirken führender Krankenversicherer, Gesundheitsdiensteanbietern und Forschungsinstitutionen (u. a. Bayer Forschungszentrum, Bergische Universität Wuppertal) einen interessanten Ansatzpunkt für eine regionale Cluster- bzw. Innovations- und Spezialisierungsanalyse. Neben der Bestandsaufnahme steht dabei auch die Frage im Vordergrund, wie man durch regionale Weichenstellungen in der Standort- bzw. Wirtschaftspolitik zu einer besseren Nutzung der Expansionspotenziale des Gesundheitssektors kommen kann. Dabei kann man von Erfahrungen in den EU-Nachbarländern profitieren, wobei Österreich eine Reihe von interessanten Regionen mit Schwerpunkten im Gesundheitssektor bietet. Grundsätzlich könnte man auch andere Regionen in europäischen Hochlohnländern zum Vergleich heranziehen; zu denken wäre etwa an die Niederlande oder Schweden als EU-Länder oder auch an die Schweiz — allesamt Länder mit einem relativ innovativen Gesundheitssektor. In der vorliegenden Studie erfolgt eine Beschränkung auf jeweils zwei ausgewählte Regionen Deutschlands und Österreichs, um im Sinn einer Pilotstudie die Relevanz des Forschungsansatzes und der Politiküberlegungen zu verdeutlichen. Die hier behandelten Vergleichsregionen sind trotz des Fokus auf den Gesundheitssektor u. a. im Hinblick auf ihre Struktur, Lage, Infrastruktur, die wirtschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen heterogen. Die Auswahl der Regionen wurde absichtlich so gewählt, damit sich herausfinden lässt welche dieser Rahmenbedingungen tatsächlich einen großen Einfluss auf die Innovationsdynamik bzw. Wissensspillover haben. Neben der Analyse von sogenannten Wissensspillovern behandelt die Studie einen anderen wichtigen Aspekt, der Innovationen erst ermöglicht — die Finanzierung insbesondere junger innovativer Unternehmen. Das Problem der Finanzie-

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rung tritt verstärkt bei diesen Unternehmen auf, da noch keine langfristigen Beziehungen zu Banken aufgebaut werden konnten. Die Finanzierung noch junger innovativer Unternehmen beinhaltet große Risiken bezüglich der Entwicklung neuer Produkte und deren Marktfähigkeit, insbesondere im Hinblick auf junge Unternehmen aus dem Life-Science-Sektor (Biotechnologie, Medizintechnik, Pharma und Chemie). Daher soll neben den Wissensspillovern auch die Finanzierungsproblematik in dieser Studie thematisiert werden. Dazu wird in den oben genannten Vergleichsregionen die Verfügbarkeit von Risikokapital (Venture Capital) untersucht. Dies erscheint sinnvoll, da Venture-Capital-Gesellschaften aufgrund von Wissensspillovern vorzugsweise in Clusterregionen investieren. Es werden also nachfolgend zwei der in der Literatur häufig genannten Determinanten analysiert, welche für die Innovationsdynamik eine bedeutende Rolle spielen: Wissensspillover und Venture Capital. Ziel ist es, Politikimplikationen insbesondere für die gesundheitspolitisch ambitionierten Regionen (inklusive des Bergischen Städtedreiecks) herauszuarbeiten, um ggf. die Innovationsdynamik zu erhöhen und Effizienzreserven zu mobilisieren. Dabei ist es von großem Interesse, durch regionale Vergleichsanalysen besonders erfolgreiche Bausteine effizienter Gesundheitssysteme zu identifizieren, um letztlich auf Basis eines gewissen Benchmarkings regionale Modernisierungsmöglichkeiten anzuschieben. Hierbei ist die Nutzung der sozialen Netzwerkanalyse für die Erfassung der regionalen Innovationsdynamik außerordentlich nützlich und hier zeigen sich auch erhebliche Unterschiede über die Regionen hinweg.

1.2

Vorgehensweise

In der vorliegenden Studie werden vier Städte bzw. Regionen in zwei Ländern analysiert. Es handelt sich in Deutschland um das Bergische Städtedreieck, das aus den Städten Remscheid, Solingen und Wuppertal besteht, sowie Dresden. In Österreich sind es die Städte Wien und Linz, wobei die Hauptstadtregion Österreichs für eine hohe Innovationsdynamik steht; Linz ist stärker industriedominiert, hat allerdings auch seit den 90er Jahren einen verstärkten Wandel hin zu einer breiteren Dienstleistungsbasis erfahren. Diese Regionen bezeichnen sich selbst aufgrund der zahlreichen Unternehmen vor Ort und ihrer Infrastruktur als wirtschaftlich stark in verschiedenen Bereichen des Sektors der privaten Gesundheitswirtschaft. Anhand von Indikatoren soll festgestellt werden, ob es sich um sogenannte Cluster von innovativen Unternehmen aus der Gesundheitsbranche in diesen Regionen handelt. Dazu werden Indikatoren herangezogen, die zur Bewertung und Einordnung eines Clusters in Bezug auf seine wirtschaftliche Stärke bzw. Innovationskraft geeignet sind. In der Literatur finden sich folgende Punkte, die für einen funktionierenden Cluster charakteristisch sind:

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• • •

Wissensspillover zwischen Unternehmen und Institutionen bzw. ihrer Vernetzung Verfügbarkeit von Risikokapital (Venture Capital) Forschungseinrichtungen vor Ort

Anhand dieser Faktoren werden Unternehmen und Forschungseinrichtungen der Gesundheitsbranche 1 in den vier Regionen analysiert, um eine Vergleichbarkeit und Einordnung der Cluster zu ermöglichen. Der Schwerpunkt der Studie liegt dabei auf den ersten beiden genannten Punkten. Nach einer kurzen Charakterisierung und Einordnung der Bedeutung der privatwirtschaftlichen Unternehmen aus dem Gesundheitssektor (Biotechnologie, Pharmazie und Medizintechnik) für Österreich und Deutschland in Kapitel 2, folgen im nächsten Kapitel einige theoretische Ausführungen zur Clusterbildung und Clusterpolitik. In den nächsten 3 Kapiteln folgt eine ausführliche Analyse der vier Regionen anhand der oben genannten Kriterien, die wie folgt vorgenommen wird: Kapitel 4 widmet sich mit einer innovativen und aufwendigen Methode der Messung von implizitem, also nicht kodifiziertem Wissen, das von einem Unternehmen auf ein anderes gewollt oder ungewollt übergeht. Ziel dieser Analyse ist es, diese sogenannten Spillover in Form einer Mobilität von Erfindern aufzudecken. Um dieses Ziel zu erreichen, werden Patentdaten des DPMA und des EPA mit Hilfe der Sozialen Netzwerkanalyse erhoben und ausgewertet, sodass es möglich sein wird, innerhalb gewisser Regionen die Mobilität von Erfindern — Erfindervernetzung — im Bereich der Gesundheitswirtschaft aufzudecken. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Analyse ist somit die Lokalisierung und Visualisierung von Mobilitätsnetzwerken. Der Grund für die Auswahl von Patentdaten als Indikator ergibt sich aus der Vielzahl von Informationen, die Patente beinhalten (u. a. geografische Lokalisierung von Erfindern und Anmeldern). Weiterhin hat die Bedeutung von Patenten, insbesondere wegen des Wettbewerbsvorteils, stetig zugenommen, wie bspw. die Wachstumsraten der Patentanmeldungen am Deutschen Patent- und Markenamt belegen. 2 Das Vorbild für unser methodisches Vorgehen liefert eine Studie von CANTNER/GRAF (2004), die eine Erfindervernetzung für Jena — über alle Sektoren hinweg — anschaulich zeigt. Im Gegensatz zu dieser Analyse streben wir jedoch innerhalb eines ausgewählten Sektors — hier Gesundheitswirtschaft — einen Vergleich mit weiteren Regionen (Deutschland und Osterreich) an und vergleichen

Synonym dazu wird der Begriff Life Science (Sektor/Branche) in dieser Studie verwendet. 2 Waren es 1994 noch ca. 44 000 eingegangene Patentanmeldungen, sind es 2004 rund 60.000 Anmeldungen (vgl. WAGNER/THIELER, 2007, S. 275). 1

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anschließend die Mobilitätsnetzwerke untereinander. Wenn man die Innovations- bzw. Wissensdynamik erfassen will, dann bietet es sich an, die Patentdatenbanken des Europäischen Patentamtes und Deutschen Patent- und Markenamtes auszuwerten; denn auf den Patentschriften sind u. a. die Erfinder mit Ort und Firma verzeichnet, sodass man Regionen nach ihrer jeweiligen Patentintensität in bestimmten Sektoren vergleichen kann. In einem ersten Analyseschritt werden relevante Daten erhoben und anschließend so aufbereitet, dass nachfolgend eine Übertragung der gewonnenen Daten in Matrizen erfolgen kann, die die Erfindermobilität widerspiegeln. Hierbei hilft uns insbesondere die räumliche Lokalisierung der Erfinder. Daraufhin wird ein Netzwerkanalyseprogramm hinzugezogen, das uns die Möglichkeit bietet, die Mobilität von Erfindern zu visualisieren und somit räumliche Muster der Wissensproduktion aufzuzeigen. Die Visualisierung von Mobilitätsnetzwerken schafft Möglichkeiten, bis dato verdeckte Zusammenhänge aufzudecken: Es kann ermittelt werden, in welchem Umfang ζ. B. Erfinder X von Firma xi zu Firma X2, X3 etc. wechselte — sofern die Erfindermobilität relativ hoch ist, so ist eben auch Wissen in der Form des impliziten Wissens (tacit knowledge) zwischen den Firmen mobil; intensive Wissensdiffusion ist zu erwarten. Das Thema besticht durch seine Aktualität, da vor dem Hintergrund einer zunehmenden Globalisierung der Märkte ein Wissensvorsprung einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil darstellt. Dass Wissensspillover Innovationen stimulieren und somit ein wichtiger Bestandteil für unternehmerische Wettbewerbsfähigkeit sind, ist keine neue Erkenntnis. Wichtige Beiträge zu diesem Zusammenhang finden sich schon bei Marshall (1890) und Schumpeter (1912). Im Kapitel 5 wird auf die Verfügbarkeit von Risikokapital, dem sogenannten Venture Capital (VC) eingegangen. Finanzierungslücken sind, insbesondere für junge innovative Unternehmen, ein großes Hindernis für eine Unternehmensgründung. Den Start-ups im Gesundheitssektor, welche neue Produkte oder Dienstleistungen entwickeln, haftet ein großes Risiko an, da die Entwicklung der Produkte oft lange Entwicklungszeiten benötigt: mit unsicherem Ausgang im Hinblick auf das Ergebnis und Marktchancen. Banken scheuen sich häufig, jungen innovativen Unternehmen Kapital zur Verfügung zu stellen, da eine präzise Risikobewertung aufgrund von Informationsasymmetrien zwischen Unternehmer und potenziellem Investor sehr schwierig bzw. aufwendig ist. Je höher die entsprechende Risikoprämie, desto geringer das Potenzial an rentablen Investitionen und Innovationen. Ein Finanzintermediär, der sich auf solche spezifischen Probleme spezialisiert hat, ist der Venture Capitalist (VCs). Daher ist eine Analyse der Verfügbarkeit von Risikokapital, das VC-Gesellschaften zur Verfügung stellen, ein kritischer Faktor für ein Clustergebilde bestehend aus innovativen Unternehmen. Der VCs benötigt viel Zeit, um ein mögliches Zielunternehmen im Vorfeld bezüglich sei-

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ner Überlebens- und Wachstumschancen einzuschätzen bzw. es in seiner weiteren Entwicklung aktiv zu begleiten und bevorzugt es daher, in geografischer Nähe der VC-Gesellschaft zu investieren. Da ein VCs oft auf eine oder nur wenige Branchen spezialisiert ist, werden Investitionen vorzugsweise in Clustern und einhergehend in Unternehmen derselben Branche getätigt, um neben der Zeitersparnis auch seine Netzwerke vor Ort dem Portfoliounternehmen zur Verfügung zu stellen. Ziel des VCs ist es, in einem vorher definierten Zeitraum einen Mehrwert des Zielunternehmens durch den Einsatz von Kapital, aber auch Managementexpertise zu generieren und durch eine sog. Exit-Strategie zu realisieren. Private Equity (ΡΕ) bzw. VC wird grundsätzlich je nach Investitionsphase differenziert. In dieser Studie wird der Fokus auf VC in der Frühphase (Early-StageInvestitionen) gelegt, da dort die Finanzierungslücke für innovative Unternehmen am häufigsten auftritt und die Unsicherheit über zukünftige Erträge am größten ist. Zudem wird auch die Möglichkeit der Wachstumsfinanzierung durch VC-Gesellschaften für Unternehmen in der Expansionsphase analysiert. Für die Verfügbarkeit von Venture Capital (VC) in den vier Clusterregionen werden Unternehmen betrachtet, die der Life-Science-Branche unmittelbar zuzuordnen sind. Nicht berücksichtigt werden Technologieunternehmen, welche Querschnittstechnologien entwickeln, die teilweise, aber nicht überwiegend im Gesundheitssektor zum Einsatz kommen. Allerdings findet hier keine präzise begriffliche Abgrenzung statt, wie es für die formale Analyse der Vernetzung in Kapitel 4 anhand der Patentklassifizierung noch notwendig war. Begriffe wie Gesundheitssektor, Life Science(s) werden synonym gebraucht und bezeichnen Unternehmen aus der Biotechnologie-, Pharma- und Medizintechnik-Branche. Da in Deutschland und Osterreich das statistische Zahlenmaterial zu dieser spezifischen Thematik zum Teil unterschiedlich aufgearbeitet wird, ist eine exakte Vergleichbarkeit der betrachteten Cluster nicht unproblematisch. Trotzdem sollte es gelungen sein, wesentliche Vor- oder Nachteile bezüglich der privaten und öffentlichen Bereitstellung von Risikokapital in den Regionen herauszuarbeiten. Das Kapitel 6 verdeutlicht die unterschiedliche Anzahl der forschenden- und ausbildenden Einrichtungen in den Clusterregionen, ein Umstand, der sich in Patentanmeldungen bzw. der Vernetzung und damit in der Innovationstätigkeit klar widerspiegelt. Das letzte Kapitel endet mit Schlussfolgerungen bezüglich der Innovationsdynamik (Mobilität von Erfindern bzw. deren Vernetzung), des verfügbaren Risikokapitals und der Einbindung forschender und lehrender Einrichtungen in den betrachteten Regionen.

2. Charakterisierung und Bedeutung des Life-ScienceSektors Dieser Abschnitt bietet einen Überblick über die Situation des Life-Science-Sektors und dessen Wirtschaftsbereiche in Deutschland und Österreich. Weiterhin wird auf die Wichtigkeit dieses Sektors für die in unserer Studie relevanten Regionen eingegangen. Die Gesundheitswirtschaft zählt zu einem der wichtigsten Sektoren in Deutschland. Wie sich in unserer Patentanalyse noch zeigen wird, zerfällt dieser Bereich in verschiedene Wirtschaftsbereiche. Hier finden sich neben der Chemie ebenfalls die Bereiche Pharma und Biotechnologie. Nach Angaben von NRW.INVEST sind allein in der chemischen Industrie deutschlandweit 442.900 Menschen beschäftigt. 3 Im Bereich der Gesundheitswirtschaft — bestehend aus dem Gesundheitswesen, der Medizintechnik und Pharmazie — arbeiten insgesamt 2.213.800 Menschen. Erweitert man diese Definition um Krankenhäuser, Apotheken, Vor- und Nachsorgeeinrichtungen, Medizinische Versorgungszentren und Universitätskliniken, so arbeiten rund 4,26 Millionen Mitarbeiter im Gesundheitssektor. 4 Die Beschäftigungszahlen machen deutlich, dass diese Bereiche zu den beschäftigungsstärksten Sektoren Deutschlands zählen. Zu einem der wichtigsten Wirtschaftsbereiche des Gesundheitssektors zählt neben der Pharmazie vor allem die Biotechnologie. Innerhalb der Biotechnologie zeigte sich 2007/08 ein moderates Umsatzwachstum. Nach Angaben einer im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durchgeführten Studie erwirtschaftete die Branche 2007 erstmals über zwei Milliarden Euro (BIOTECHNOLOGIE.DE, 2008). Die Biotechnologie-Branche stellt einen Sonderfall dar, weil einerseits Unternehmen vollständig der Biotechnologie-Branche zugeordnet werden können, andererseits existieren auch Unternehmen, die nur Geschäftsteile in der Biotechnologie aufweis e n. Eine genauere Kategorisierung findet sich beispielaw^re b.im Statistischen Bundesamt (STATISTISCHES BUNDESAMT, 2008, S. 7). Gemäß dieser Demnach können Unternehmen fünf Kategorien zugeordnet werden: • • • • •

Biotech-Kernunternehmen Zulieferer der Biotech-Akteure Kombinationen von Kernunternehmen und Ausrüstern größere Unternehmen der Life-Science-Industrie Berater und Finanzdienstleister der Biotech-Branche

Nutzt man diese Kategorisierung der Biotechnologie-Branche, bietet sich 2004 in einer vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Studie ein ernüchterndes 3 4

SVB: Sozialversicherungspflichtige Beschäftigte Vgl. http://www.gtai.com/startseite/branchen/gesundheitssektor/

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Bild der Biotechnologie-Branche. Im Rahmen dieser Studie wurde eine Befragung von Unternehmen durchgeführt, in der festgestellt wurde, dass bei großen Unternehmen die einen Geschäftszweig im Bereich der Biotechnologie unterhalten, ein Beschäftigungszuwachs, bei Biotech-Kernunternehmen jedoch ein Rückgang zu beobachten ist. Weiterhin heißt es dort, dass Kernunternehmen traditionell eine hohe Forschung- und Entwicklungstätigkeit aufweisen würden, dies aber zwischen 2002 und 2004 nicht zu erkennen sei. Die großen Life-ScienceUnternehmen würden ebenfalls ihre Forschung- und Entwicklungsausgaben senken, aber in einem deutlich geringeren Maße. Hierbei stellt sich selbstverständlich die Frage, inwiefern sich dies auf Patentanmeldungen in diesem Bereich auswirkt. 2007 stellte das Ministerium für Bildung und Forschung siebzehn Bereiche vor, in denen eine Hightech-Strategie verfolgt werden soll. Unter anderem finden sich hierbei die Bereiche Biotechnologie, Gesundheitsforschung und Medizintechnik (BMBF, 2007, S. 18-19). Von 2006 bis 2009 stehen hierfür Gesamtmittel von 1,23 Mrd. Euro zur Verfügung. Dieser Betrag ist moderat, wenn man bedenkt, dass doch in diesen Feldern hohe positive externe Effekte zu erwarten sind. Dass die Biotechnologiebranche in Deutschland hoch innovativ ist, wird ebenfalls anhand der Patentanmeldungen am Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) deutlich. Waren es 1995 noch 200 Anmeldungen, finden sich 2005 559 Anmeldungen. Somit hat eine Verdoppelung der Patentanmeldungen im Bereich Biotechnologie stattgefunden. In einem bundesweiten Vergleich weist Nordrhein-Westfalen dabei den größten Anteil an Patentanmeldungen auf (GREIF/ SCHMIEDEL/ NIEDERMEYER 2006, S. 206). Innerhalb Deutschlands stellt Nordrhein-Westfalen den wichtigsten Chemiestandort dar (NRW.INVEST, 2008). Ein Ländervergleich 2006 führt zu dem Ergebnis, dass in Nordrhein-Westfalen 109.300 Beschäftigte (von deutschlandweit 442.900) im Bereich der chemischen Industrie arbeiten. Traditionell finden sich in Nordrhein-Westfalen ebenfalls zahlreiche Global Player aus der Chemie und Pharmabranche, wie beispielsweise Henkel, Evonik und Bayer. Weiterhin beherbergt Nordrhein-Westfalen rund 300 Unternehmen aus dem Bereich Life Science; davon 170 Unternehmen aus den Bereichen industrielle und pharmazeutische Biotechnologie und Nanotechnologien. Daneben weist das Bundesland ebenfalls eine nicht zu vernachlässigende Anzahl an analytischen und diagnostischen Dienstleistern auf. Weiterhin finden sich zahlreiche junge Unternehmen, z.B. Artes Biotechnology, Bitop und Protagen, wie auch international tätige Unternehmen wie Qiagen und Miltenyi Biotec. Des Weiteren sind hier einige bekannte Unternehmen aus der Medizintechnik ansässig. (EXZELLENZNRW, 2010). Die Stärkung der Biotechnologiebranche wird mitderweile ebenfalls durch die Landesregierung gefördert. Dabei wurde die sogenannte ExzellenzNRW-Initiave gegründet, die die 16 NRW-Landescluster insbesondere hinsichtlich der Initiie-

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rung von branchen- und technologiefeldübergreifenden Innovationsprojekten beraten und unterstützen soll. Dabei bildet das Cluster Biotechnologie Nordrhein-Westfalen (BIO.NRW) ein Landescluster. Ein Schwerpunkt liegt auf der Förderung von Innovation in den Leitmärkten „Gesundheit" und „neue Werkstoffe und Produktionstechnologien". Die Verbindung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sowie der gemeinsame Austausch zwischen Unternehmen, Universitäten, Forschungseinrichtungen und Kompetenznetzwerken sollen gefördert werden. Zu den regionalen Kompetenznetzwerken zählen nach ExzellenzNRW (2010): • • • • • • •

BioCologne e.V. Biolndustry e.V. BioRiver e.V. Bio-Tech-Region OstWestfalen Lippe e.V. LifeScienceNet Düsseldorf Life TecAachen-Jülich e.V. Bioanalytik-Münster

Die Ausgangsregion unserer Studie ist an dieser Stelle das „Bergische Städtedreieck", welches innerhalb Nordrhein-Westfalens eine besondere Stellung einnimmt. Denn die pharmazeutische und die chemische Industrie sind hier sehr stark präsent. Bei einem Vergleich der Regionen innerhalb Nordrhein-Westfalens zeigt sich beispielsweise dass, gemessen an der Beschäftigungszahl innerhalb der chemischen Industrie (7000 Beschäftigte), Wuppertal den dritten Platz einnimmt und mit der Bayer AG einen wichtigen Global Player beherbergt. Dabei liegt die historische Keimzelle der Bayer AG in Wuppertal, jedoch wird hier nur noch nur noch in geringem Maß produziert - dahingegen sind die Forschungsaktivitäten am Standort enorm expandiert. Im Rahmen der Kompetenzfeldermittlung des Bergischen Städtedreiecks entstand die Kompetenzhoch 3 -Initiative, nach deren Information die Bedeutung der pharmazeutischen Industrie in der Region (gemessen am Anteil an der Gesamtbeschäftigung) fünfmal so hoch ist wie in NRW im Durchschnitt. Das Wertschöpfungssystem des Bergischen Städtedreiecks setzt sich aus vielen Branchen zusammen und weist eine gewachsene Struktur von Wertschöpfungsketten, Zulieferer- und Abnehmerbeziehungen auf. Vernetzungen mit einem aktiven Universitätsumfeld im Städtedreieck bestehen bislang nur ansatzweise. Hingegen ist die Situation in der ostdeutschen Vergleichsregion Dresden strukturell anders, wobei diese Region natürlich in den frühen 90er Jahren erst einmal massive Anpassungsprobleme im Zuge der Systemtransformation bzw. der deutschen Wiedervereinigung zu verkraften hatte. In Dresden findet sich eine weit vernetzte Forschungslandschaft. Max-Planck-Institute, Leibniz- und Fraunhofer-Institute kooperieren mit der Technischen Universität Dresden. In Dres-

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den hat sich aufgrund der Pharmaindustrie ein Cluster im Bereich Life-Sciences/ Biotechnologie entwickelt (vgl. DRESDEN, 2008), wobei ein eindeutiger Schwerpunkt in der Biotechnologie zu finden ist. Im Zentrum steht hier der Bereich Molekulares Bioengineering. Weiterhin finden sich hier Kompetenzen in den Bereichen Bioinformatik, Biomaterialien, Zellbiologie und Genetik, Pharmazie und Medizin. Die moderne Zellbiologie, Genetik und Ingenieurwissenschaften arbeiten hierbei eng zusammen. In Dresden sind mehrere bekannte Pharmaunternehmen wie die elbion AG, die AWD.Pharma und das Sächsische Serumwerk (Tochterunternehmen von GlaxoSmithKline), das Grippestoffe entwickelt, herstellt und liefert, ansässig (vgl. DRESDEN, 2007). 2005 wurde für 97 Mio. € eine Verdoppelung der Produktionskapazitäten ins Auge gefasst. Dresden weist mit vier namhaften Unternehmen die größte Dichte an Pharmaunternehmen auf. Diesbezüglich liegt im Bereich der Biotechnologie ein erkennbarer Schwerpunkt in der pharmazeutischen Biotechnologie sowie bei Zulieferern und Dienstleistungsunternehmen (vgl. BIOTECHNOLOGIEBERICHT, 2006, S. 4). Jungen Unternehmen bietet sich beispielsweise das Gründerzentrum BiolnnovationsZentrum an. Hierbei handelt es sich um ein Gründerzentrum, das sechs Biotechnologielehrstühle der Technischen Universität beherbergt. Hieran wird deutlich, dass universitäre Expansionsimpulse in der Gründerszene ausgesprochen wichtig sein können. Für die Auswahl Österreichs als Vergleichsland spricht, dass Österreichs FuEQuote seit 1997 über der durchschnittlichen FuE-Quote der EU, seit 2004 über der durchschnittlichen Quote der OECD-Länder liegt. Seit 2006 ist sie in etwa gleichauf mit Deutschlands FuE-Quote (ÖTB, 2008). Wie in anderen OECDLändern, zeigt sich auch in Österreich, dass der überwiegende Teil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung von Unternehmen getragen wird. Life Science ist in Österreich ein bedeutender Wirtschaftssektor. Im Jahr 2005 waren 100 Unternehmen und 170 Forschungsinstitute in dem Wirtschaftsbereich tätig. Weiterhin arbeiten in diesem Bereich rund 10.000 Mitarbeiter (AUSTRIAN COUNCIL, 2005). Dem Internetauftritt der Vienna Region bzw. den Ergebnissen einer kürzlich veröffentlichten Studie (2006) von Technopolis und dem Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung ist zu entnehmen, dass insbesondere die Stadt Wien (und deren Umfeld) eine besondere Kernkompetenz im Bereich Life-Sciences aufweist. Life-Sciences setzt sich demnach — definiert nach Branchen — aus der Biotechnologie, der Pharmaindustrie, der Medizintechnik und den Life-Science-Unternehmen zusammen (TECHNOPOLIS/FRAUNHOFER/ISI, 2006, S. 7-9). Die Vienna-Region bildet den größten Life-Science-Standort Österreichs (LISA, 2008, S. 2). Dies wird durch die große Anzahl dort ansässiger Unternehmen gestützt, die hoch innovativ forschen. In Wien sind 140 Life-Science-Unternehmen angesiedelt. Der Großteil der Beschäftigten in diesem Sektor findet sich bei

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großen Unternehmen aus dem Pharmabereich. Insgesamt beschäftigen diese rund 140 Unternehmen 9652 Menschen. Im Bereich der Biotechnologie konzentrieren sich die dort ansässigen Unternehmen auf den medizinischen Bereich. 75% der Biotech-Unternehmen sind der roten Biotechnologie zuzuordnen. Hierbei liegen besondere Schwerpunkte in den Bereichen Onkologie, Immunologie, Entzündungsreaktion, Infektiologie und Neurobiologie (Medizin, Pharmazie). In Wien sind große Unternehmen wie Boehringer Ingelheim, Intercell und Novartis angesiedelt. Neben diesen Global Playern w ä h l e n ebenfalls zahlreiche andere Biotech-Unternehmen Wien als ihren Standort. L. Rahmen der Wiener Forschungs-, Technologie- und Innovatio'isstrategie "Wien aeiii.* Zukunft — Wissen schafft Innovation" weist die Stadt Wien darauf hin, dass eine ihrer stärksten Kompetenzen in den Bereichen Life-Sciences, Biotechnologie uni_l Medizin zu finden ist und diesen durch entspr ;chende Infrastrukturmaßnahmen und Vernetzungsanstrengungen weiter ausgetaut werden sollen (LISA, 2008, S. 15-17). Im Vergleich zur Vienna-Region ist die Region Linz naturgemäß keine Metropolregion. Linz - in Oberösterreich gelegen - ist die drittgrößte Stadt Österreichs und war Europas Kulturhauptstadt 2009. Im Rahmen des strategischen Programms „Innovatives OÖ 2010" 5 wurden fünf Forschungsschwerpunkte festgelegt. Dazu zählen neben Mechatronik auch die Informations- und Kommunikationstechnologie, innovative Werkstoffe, Logistik und Life Sciences. Linz zeichnet sich durch Schwerpunkte im Bereich Pharma und Chemie aus. Es zeigen sich vor allem deutliche Kompetenzen in den Bereichen Lebensmittel- und Agrochemie (LINZ, 2008). In Linz findet sich neben großen Unternehmen wie die Voestalpine AG, außerdem die DSM Fine Chemicals Austria GmbH (DSM Chemie Linz GmbH), welche sich einen Namen als Hersteller von Vorprodukten für die Life-Science-Industrie (Pharma-, Agro- und Food-Bereich) gemacht hat (WIRTSCHAFTSBLATT.DE, 2008). Außerdem befindet sich in Linz der Firmensitz der AMI Agrolinz Melamine International GmbH, welche als Hauptprodukte Melamin und Pflanzennährstoffe produziert und in diesen Bereichen intensiv forscht. Neben der Universität, die über einen Fachbereich Chemie mit Spezialisierungsmöglichkeiten in den Bereichen biologische, technische Chemie und Wirtschaftsingenieurwesen - technische Chemie — verfügt 6 , findet sich in Linz ebenfalls das 2007 eröffnete Forschungslabor zet Life Sciences Laboratorium, das im Bereich Alternativen zu Tierversuchen forscht. 7 In dieses Labor wurden vom Land Oberösterreich 10 Millionen Euro investiert. Linz weist im Übrigen als Industriestandort eine hohe Dichte an verfügbaren Fachkräften auf

O Ö = Oberösterreich Vgl. Internettauftritt der Johannes Keppler Universität in Linz : http://www.jku.at/content/e363/e435/e6772/ 7 Vgl. Internetauftritt des „zet": http://www.zet.or.at/node,2,de,lifescience.ph 5

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und ist von der Infrastruktur her zu Luft, Wasser und zu Land gut in die europäischen Infrastrukturnetzwerke eingebunden. Durch die Präsenz einer forschungsstarken Universität vor Ort sind gute Ausgangsbedingungen für eine Clusterbildung bzw. eine auf aktiven Vernetzungsstrategien basierende Clusterentwicklung gegeben. Von der Finanzierungsseite her gibt es eine differenzierte Bankenlandschaft, wobei die Raiffeisen-Gruppe eine starke Präsenz vor Ort aufweist. Der Cluster-Begriff ist vielschichtig, wobei jedoch typischerweise eine starke Betonung auf der Vernetzung komplementärer Akteure eines Sektors liegt; teilweise können auch nebeneinander auf derselben Wertschöpfungsstufe stehende Firmen im Wettbewerb positive Expansionseffekte erzeugen, wobei hier Wissensspillover und die Mobilität von Fachkräften — sie bringen beim Firmenwechsel nichtkodifizierbares Expertenwissen („tacit knowledge") mit sich — eine bedeutende Rolle spielen. Den Begriff des Clusters zu operationalisieren, kann anhand der wissenschaftlichen Literatur zu diesem Thema als durchaus schwierig bzw. kontrovers bezeichnet werden. (ELLISON/GLAESER (1997) liefern eine einfache Beschreibung eines Clusters und bezeichnen es als eine nicht zufällige räumliche Ansammlung von ökonomischen Aktivitäten. ROSENFELD (1997) beschreibt regionale Cluster als geografisch begrenzte Konzentrationen interdependenter Unternehmen. ROSENFELD fügt hinzu, dass Cluster aktive Kanäle für wirtschaftliche Transaktionen, Dialog und Kommunikation haben sollten. MICHAEL E. PORTER (1998) charakterisiert einen Cluster über drei Kernelemente: 1) Cluster bestehen aus verbundenen Unternehmen und Institutionen, die 2) räumlich konzentriert sind und 3) zueinander in Beziehung stehen. Clustergrenzen ergeben sich aus der Beziehungsstärke zwischen den verbundenen Unternehmen und Institutionen. Die moderne Literatur zu dieser Thematik baut auf der Arbeit von MARSHALL (1890) auf. Nach seinen Vorstellungen gibt es drei positive Effekte, welche für die Clusterbildung, also die lokale Ansammlung von Unternehmen, verantwortlich sind. Nicht handelbare lokale Inputs, das lokale Angebot an qualifizierter Arbeit und Informationsspillover. Diese traditionelle Clusteranalyse betont die relativ hohe Menge an Ressourcen an einem bestimmten Ort. Damit können natürliche Ressourcen ebenso gemeint sein, wie das Angebot an Infrastruktur. Unter Infrastruktur werden bspw. Gebäude, Forschungseinrichtungen, existierende Produktions Fähigkeiten, die eine spezielle Technik erfordern, das Angebot an hochqualifizierten bzw. speziell ausgebildeten Arbeitskräften, die Informationsund Telekommunikationsinfrastruktur, Zugang zu Kapital u.v.m. verstanden. Dieser ressourcenbasierte Ansatz wurde Ende der siebziger Jahre und Anfang der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts von Modellen herausgefordert, in denen Skaleneffekte der Unternehmen bei entsprechender Marktgröße realisiert werden und als Haupterklärungsgrund für Clusterbildung gelten (siehe hierzu z. B. LANCASTER, 1980; KRUGMAN 1979, 1980 und 1981, HELPMAN 1984).

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Sie erklären, dass u. a. die Clusterbildungen im Kontext von internen und externen Skaleneffekten entstehen. Interne Skaleneffekte entstehen ζ. B. durch eine höhere Arbeitsteilung im Unternehmen. Durch das Outsourcen, also Auslagern von Produktionsaktivitäten an andere Unternehmen, können Unternehmen externe Skaleneffekte zugutekommen. Die ausgelagerten Produktionsstätten sind oft in räumlicher Nähe zum ursprünglichen Produktionsstandort angesiedelt, um Transaktionskosten möglichst gering zu halten. Neue Unternehmen, welche denselben Input benötigen, siedeln sich wiederum in der Nähe an, um ebenfalls höhere externe Skaleneffekte zu realisieren. Skaleneffekte dieser Art haben eine vertikale Dimension. Das heißt, dass ein Cluster sich nicht unbedingt dadurch auszeichnet, dass eine hinreichende Anzahl ähnlicher Unternehmen in geografischer Nähe zueinander liegt — horizontale Dimension des Clusters - , sondern auch dadurch, dass entsprechende Zulieferer sich dort ansammeln können. Hier liegen dann komplementäre Elemente vor, deren Zusammenwirken die regionale Faktorproduktivität erhöht. HOLMBERG/JOHANSSON/STRÖMQUIST (2003) verbinden diese beiden Ansätze, indem der ressourcenbasierte Ansatz die Inputkosten berücksichtigt und zugleich das Marktpotenzial auf der Outputseite, bei entsprechender Größe, betrachtet wird; hier sind Skaleneffekte ggf. möglich, wobei dadurch die Stückkosten gesenkt werden können. Die neuere Literatur zur Clusterbildung widmet sich im Kontext der zunehmenden Bedeutung von Wissen für entwickelte Volkswirtschaften vermehrt auch dem von MARSHALL genannten Aspekt der Informations- bzw. Wissensspillover. Durch die physische Nähe der Cluster-Mitglieder ist es wahrscheinlich, dass sich Wissen über formelle Treffen wie Konferenzen, gemeinsame Projekte, Messen, aber auch durch informelle Treffen der Cluster-Teilnehmer überträgt. Dieses übertragene Wissen spielt eine große Rolle für die Diffusion von Wissen. Empirische Studien haben gezeigt, dass ein robuster Zusammenhang zwischen Clustern, Wissensspillovern und dem Innovationsoutput von Unternehmen existiert. (ζ. B. AUDRETSCH/FELDMAN, 1996; DEEDS et al., 1997; BAPTISTA, 2000). JAFFE et al. (1993) fanden für wachstumsstarke innovative Sektoren heraus, dass Patentzitierungen auf anderen Patenten innerhalb einer Stadt, zumindest im ersten Jahr nach der Patentausstellung fünf- bis zehnmal wahrscheinlicher sind. ALMEIDA und KOGUT (1997) präsentieren ähnliche Ergebnisse in Bezug auf die Patentzitierung und betonen damit den Zusammenhang von Innovationen und räumlicher Nähe. Unternehmen, die in Clustern angesiedelt sind, haben nicht nur einen höheren Unternehmensoutput, sondern auch ein höheres Umsatzwachstum (CANINA et. al, 2005) und eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit (FOLTA et al., 2006; SORENSON/AUDIA 2000, STUART/SORENSONS, 2003).

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Insbesondere das Know-how von hoch innovativen Produkten und Dienstleistungen enthält oft einen hohen Anteil an Wissen, das nicht ohne weiteres kodifizierbar ist und daher nur in den „Köpfen" der an der Produkt- bzw. Prozessentwicklung beteiligten Personen vorhanden ist. Je höher dieser Anteil von implizitem Wissen ist, desto wichtiger wird die direkte persönliche Kommunikation untereinander. Für die Life-Science-Branche trifft dieser Umstand im Besonderen zu. Ein gutes Beispiel hierfür bietet die Biotechnologie. In den Anfängen der Biotechnologie, aber auch in anderen forschungsintensiven Sektoren wurden die größten Innovationen durch Unternehmen erzielt, welche in geografischer Nähe zu Forschungseinrichtungen gegründet wurden (siehe ζ. B. MUNROE/CRAFT/HUTTON, 2002). Diese räumliche Nähe begünstigt Spillover-Effekte, also das „Überspringen" von Wissen, und ist insbesondere für Neugründungen von Unternehmen von großer Bedeutung. CHUNG und KANINS (2001) zeigten, dass insbesondere kleine Firmen von einer lokalen Firmenansammlung von bereits etablierten Unternehmen profitieren, da diese Nachfrageexternalitäten erzeugen und somit junge Unternehmen von der hohen Kundenzahl der älteren und in der Regel umsatzstärkeren Unternehmen profitieren können. MUNROE et al. fanden heraus, dass die Nähe zu führenden Forschungszentren für Unternehmen aufgrund der vorhandenen qualifizierten Arbeitskräfte sowie mit Blick auf den Zugang zu aktuellen Forschungsaktivitäten und neuen Technologien von Vorteil ist. Venture Capital wird als weiterer wichtiger Faktor genannt, der zu einer prosperierenden Entwicklung des Clusters bzw. zu Firmenneugründungen im Cluster entscheidend beiträgt. Angesichts der enormen Entwicklungssprünge in der modernen Informationsund Kommunikationstechnologie können Cluster nicht mehr nur in geografischen Grenzen betrachtet werden. Allerdings hat der persönliche Austausch von Informationen durch seinen oft informellen Charakter einen gewissen nicht zu unterschätzenden Zusatznutzen. Die Literatur, welche sich den Spillover-Effekten von implizitem Wissen in Clustern bzw. der regionalen Entwicklung widmet (z.B. JAFFE/TRAJTEN-BERG/HENDERSON, 1993), betont, dass dieses Wissen oft nur durch direkte Beobachtung, Teilnahmen oder gemeinsame Erfahrung gewonnen bzw. übertragen werden kann. Dieses Wissen ist dann nicht nur zur Nachahmung gewisser Vorgänge wichtig, sondern kann als eine Art Wettbewerb untereinander betrachtet werden. Durch das direkte Vergleichen und Diskutieren verschiedener Lösungsansätze wird nicht nur vorhandenes Wissen ausgetauscht, sondern es werden auch neue Lösungsansätze gefunden. Zudem wird die eigene alltägliche Arbeitspraxis kritisch reflektiert (MASKELL, 2001). Räumliche Nähe lässt enge persönliche Beziehungen und ggf. komplexe Wissensnetzwerke entstehen. Diese Beziehungen werden nicht selten von ähnlichen kulturellen Werten getragen. Dieses Milieu, eine enge Beziehung zu Zuliefererunternehmen, Kontakt mit den Kunden und wechselndes hochqualifiziertes Personal, erzeugt eine diffuse Atmosphäre, in der kollektive Lernprozesse stattfinden (GIU-

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LIANI, 2005). Dabei können diese durchaus ungewollt sein oder Informationen bzw. Wissen übertragen, welches anscheinend nicht immer einen unverzüglichen Nutzen hat. In diesem Milieu kann sich ursprünglich privates Wissen durch räumliche Nähe in ein öffentliches Gut verwandeln (LAWSON/LORENZ, 1999). Die oben genannten Vorteile eines Clusters kommen allerdings nur zum Tragen, wenn einige Voraussetzungen erfüllt sind. Nachdem nachfolgend auf wichtige Aspekte der Clusterpolitik eingegangen wird, werden im folgenden Kapitel die vier betrachteten Life-Science-Städte bzw. -Regionen Bergisches Städtedreieck (Remscheid, Solingen, Wuppertal), Dresden, Wien und Linz anhand einiger Indikatoren klassifiziert und anschließend verglichen, um herauszufinden, ob es sich tatsächlich um Cluster handelt und um Stärken und Schwächen der Regionen aufzuzeigen. Ein Klassifizierungsschema von ENRIGHT (2004) hilft, eine Einordnung der betrachteten Regionen vorzunehmen.

Abbildung 1:

Clusterklassifizierung

Clustertyp

Merkmal

„working"

Funktionierende Cluster, in denen kritische Massen an Betrieben, spezialisierten Arbeitskräften, Fähigkeiten und Wissen Agglomerationsvorteile generieren, die von den Unternehmen im Wettbewerb genutzt werden.

Cluster

latente Cluster

Cluster, die eine kritische Masse an Unternehmen aufweisen; jedoch bestehen Defizite bei Interaktionen und dem Wissensaustausch.

potentielle

Einige wichtige Elemente funktionierender Cluster sind vorhanden, diese sind jedoch noch nicht ausreichend entwickelt, um Agglomerationseffekte entstehen zu lassen.

Cluster

politikgetriebene Cluster „wishful thinking" Cluster

Cluster, in denen eine kritische Masse an Unternehmen nicht gewährleistet ist; dennoch werden sie auf Grund verschiedener politischer Interessen gefördert. Politisch geförderte Cluster, die weder eine kritische Masse von Betrieben noch spezielle Ressourcen aufweisen, auf denen eine eigenständige Entwicklung basieren könnte.

Quelle: TÖDTLING/TRIPPL/GABAIN (2006), S.6

3. Mobilitätsnetzwerke ausgewählter Regionen 3.1

Clusterperspektiven

Wissen ist ein entscheidender Produktionsfaktor. Ein voranschreitender technologischer Fortschritt und eine zunehmende Globalisierung haben dazu geführt, dass der Wettbewerb zwischen Unternehmen an Intensität zugenommen hat. Hierbei kann man einen Wissensvorsprung in der Regel mit einem Wettbewerbsvorteil gleichsetzen (vgl. W A G N E R / T H I E L E R , 2007, S. 275). Weiterhin ist bekannt, dass eine regionale Forschungs- und Innovationsaktivität dazu führen kann, dass die wirtschaftliche Entwicklung einer Region posiüv gefördert wird (HAFNER, 2008, S. 40). Dadurch steigen die Möglichkeiten, weitere Innovationen und folglich ein innovationsorientiertes Wachstum der Wirtschaft zu fördern. U m zukünftige Wettbewerbsvorteile zu sichern, ist es diesbezüglich wichtig, mit der technologischen Entwicklung Schritt halten zu können (BMBF, 2007a). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung der Bundesrepublik Deutschland weist darauf hin, dass es mittelfristig wichtig und zentral sein wird, verstärkt Investitionen in Forschung und Entwicklung und in Bildung und Ausbildung vorzunehmen. Weiterhin heißt es im technologischen Leistungsbericht Deutschlands 2007, dass dies vor allem vor dem Hintergrund eines bestehenden und zukünftig gleich bleibenden Durchsetzungsvermögens der deutschen Wirtschaft auf bestehenden und zukünftigen internationalen Märkten von besonderem Interesse sein muss. Im Zusammenhang mit diesen Vorgängen rücken Begriffe wie Cluster und Clusterinitiativen immer mehr in den Vordergrund. 8 Der Begriff Cluster leitet sich vom Wort Bündel ab. Ein Cluster besteht aus einem Netzwerk von vielfältigen Akteuren (bspw. Zulieferer, Produzenten, Bildung- und Forschungseinrichtungen), die miteinander über gemeinsame Austauschbeziehungen (bspw. Kooperationen) verbunden sind und eine oder mehrere Wertschöpfungsketten bilden. Diese Netzwerke weisen eine inhaltliche und geographische Nähe auf und die Partner in diesen Clustern haben gemeinsame Interessen. Diese Bündelung bietet sämtlichen beteiligten Partnern Vorteile. Diesbezüglich sollten Cluster in strukturschwachen Regionen gefördert werden, um diese Regionen wettbewerbsfähig zu machen und um sie auf die zunehmende Globalisierung vorzubereiten. In diesem Zusammenhang hat das BMBF siebzehn Bereiche vorgestellt, in denen eine Hightech Strategie verfolgt werden soll. Unter anderem werden hierbei die Bereiche Biotechnologie, Gesundheitsforschung und Medizintechnik aufge8

Zum Clusterbegriff siehe auch COOKE/MEMEDOVIC (2003), COOKE (1992), COOKE (1997).

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führt (BMBF, 2007, S. 18-19). Weiterhin weist das BMBF im Zusammenhang mit Clustern darauf hin, dass das Vermögen, Innovationen hervorzubringen, hauptsächlich dadurch bedingt wird, dass Wissen schneller und effizienter ausgetauscht werden kann. Weiterhin muss die Möglichkeit der Anwendbarkeit dieses Wissens gegeben sein (BMBF, 2007, S. 30-31). In unserer Analyse spielen die drei aufgeführten Bereiche der Hightech-Strategie - neben anderen wichtigen Bereichen der Gesundheitswirtschaft - ebenfalls eine entscheidende Rolle. Mittlerweile konnten im Rahmen des Spitzencluster-Wettbewerbs des BMBF fünf verschiedene förderungswürdige Regionen festgestellt werden (SPITZENCLUSTER, 2008). Im Zusammenhang mit der Wichtigkeit des Austausche von Wissen in Clustern wird in dieser Studie die Methodik der Sozialen Netzwerkanalyse herangezogen, um die Erfindervernetzung zu analysieren. Mit der Netzwerkanalyse steht ein Verfahren zur Verfügung, das eine Reihe von höchst aussagekräftigen und anschaulichen Ergebnissen liefert. Mithilfe von Patentanmeldungen ist es insbesondere möglich, sog. Wissenspillover (Abfluss bzw. Übertragung von Wissen) in Form einer Mobilität von Erfindern aufzudecken (CANTNER/ GRAF, 2004a).9 Dass Wissensspillover Innovationen stimulieren und einen wichtigen Bestandteil für eine unternehmerische Wettbewerbsfähigkeit darstellen, ist keine neue Erkenntnis. Wichtige Beiträge zu diesem Zusammenhang finden sich bei MARSHALL (1890) und SCHUMPETER (1912). Die Befunde solch einer Analyse sind für die Hochlohnregion des Bergischen Städtedreiecks, die sich längerfristig verschärftem Strukturwandelsdruck ausgesetzt sieht, von großer Bedeutung. Bei einer Fokussierung auf regionale Innovationssysteme zeigt sich, dass Unternehmen nicht unbedingt eigene FuE (Forschung und Entwicklung) betreiben müssen, um neue Produkte oder Verfahren einzuführen (AUDRETSCH, 1998). Vielmehr ist es möglich, dass hier am Patent beteiligte Erfinder für mehrere Patentanmelder gearbeitet haben. Hier zeigt sich ebenfalls ein Zusammenhang mit der Mobilität von Erfindern. Im Rahmen der Kompetenzfeldermittlung konnten durch das Kompetenznetzwerk Kompentenzhoch 3 mittlerweile fünf verschiedene Kompetenzfelder identifiziert werden (DEWALD, 2006, S. 23). Diese Analyse wird sich vor allem dem Kompetenzfeld Health und Personal Care widmen. Gemessen an den Beschäftigungszahlen, zählt es zu einem großen und wichtigen Kompetenzfeld im Bergischen Städtedreieck (vgl. KOMPETENZHOCH 3 ). Unter Berücksichtigung von Strukturwandlungen und Kompetenzfeldentwicklungen von zwei Regionen in Deutschland und zwei Vergleichsregionen in Österreich ist es möglich, die Bemühungen und Potenziale in den Kompetenzfeldentwicklungen im Bergi9

Scientist Mobility bedeutet, dass ein Erfinder bei Patenten unterschiedlicher Anmelder mitgewirkt hat.

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sehen Städtedreieck zu bewerten und im Zeitverlauf zu analysieren. In den folgenden Ausführungen wird zunächst auf das theoretische Konstrukt von Knowledge-Spillovern und darauf aufbauend auf die Methode der Sozialen Netzwerkanalyse näher eingegangen. Weiterhin werden Vorarbeiten und Ergebnisse dieser Analyse vorgestellt und Handlungsimplikationen abgeleitet.

3.2

Knowledge-Spillover and Scientist Mobility

Grundsätzlich nehmen Erfinder eine wichtige Funktion bei der Erforschung und Entwicklung neuer Produkte und Prozesse ein. Dies wird vor allem bei einem Vergleich der Personalkosten an den FuE-Ausgaben deutlich, die mittlerweile fast 70 % ausmachen (ZEW, 2008). Die Mobilität von Erfindern spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle, da ein Teil des Wissens einen an Personen gebundenen Charakter besitzt (tacit knowledge). Somit spielt insbesondere nichtkodifizierbares Wissen eine Schlüsselrolle. Eine Mobilität von Erfindern kann nun dazu führen, dass Unternehmen produktive Erfinder und damit verbunden potentiell wichtige Erfindungen verlieren. Auf der anderen Seite führt die Mobilität von Erfindern zu einer Übertragung von Wissen. Diesen Übertragungsmechanismus bezeichnet man als „Knowledge-Spillover". Hierbei handelt es sich um positive externe Effekte, die in den letzten Jahren immer stärker in das Zentrum des Erkenntnisinteresses der Wirtschaftsgeographie und des Wissensmanagement insbesondere im Kontext der neuen Wachstumstheorie gerückt sind (KRUGMAN, 1991). Weiterhin konnte in unterschiedlichen Untersuchungen und Studien mittlerweile auf vielfaltige Weise gezeigt werden, wie wichtig diese Effekte für Regionen sein können (AUDRETSCH, 1998).

3.2.1.

Regionale Innovationssysteme, Innovationen und Patente

Es ist unstrittig, dass Innovationen innerhalb der Industrieforschung systematisch erzeugt werden (JUNGMITTAG, 2000, S.7-12). Die Schaffung von neuem Wissen und damit verbundener neuer Technologien innerhalb der Industrieforschung kann als ein Prozess betrachtet werden, an dem unterschiedliche Akteure und Institutionen beteiligt sind, die untereinander durch vielfältige Rückkoppelungsmechanismen und wechselseitige Beziehungen verbunden sind (WELFENS/JUNGMITTAG/EMONS, 2006, S. 37). Einer der Indikator, die kommerzielle Innovationen erfassen sind Patente. Bei der Wahl dieses Indikators ist gewährleistet, dass eine interregionale Vergleichbarkeit möglich ist. Innovative Ideen werden nicht mehr ausschließlich von einzelnen Erfindern oder kleineren

Europäische Innovations- und Spezialisierungsdynamik im Gesundheitssektor • 23

Gruppen von Erfindern und Forschern hervorgebracht, vielmehr entstehen diese Ideen im Rahmen der Kooperationen von verschiedenen Akteuren. Bei der folgenden Analyse werden Patente als Indikator für die Innovationsleistung herangezogen und die Region stellt die räumliche Ebene dar, auf der diese Kooperadonen stattfinden. Dazu ist es wichtig, ein Patent zu definieren und wichtige Eigenschaften dieses Indikators darzustellen. Ein Patent ist zunächst ein ausschließbares Recht an einer Erfindung. Dem Inhaber dieses Wissens wird ein zeitlich begrenztes Nutzungsrecht (20 Jahre) gewährt. Nach einer Definition der Europäischen Union stellen Patente ein immaterielles Recht dar, welches für eine technische Erfindung gewährt wird (vgl. EU, 2006). Patentierbare Erfindungen sind demnach: • • •

ein Erzeugnis, eine Verwendung eines Erzeugnisses, ein Verfahren.

Hingegen nicht patentierbar sind: • • •



Entdeckungen, wissenschaftliche Theorien oder mathematische Methodenerläuterung; ästhetische Kreationen; ein Schema, eine Regel oder eine Methode für einen Gedankengang, ein Spiel, Geschäftsmodell oder Computersoftware ohne technischen Effekt; Darstellung von Informationen.

Hierbei zeigt sich ein Nachteil bei Patenten. Nicht alles ist patentierbar. Der folgende Abschnitt widmet sich nun der Sozialen Netzwerkanalyse.

3.2.2.

Die Soziale Netzwerkanalyse

Interpersonelle oder soziale Beziehungen sind wichtige Begriffe, wenn man sich mit Clustern, Netzwerken und regionalen Erfindervernetzungen beschäftigt. Es ist für die Analyse regionaler bzw. internationaler Wissensdynamik wesentlich, dass man Netzwerke — mit einer bestimmten Struktur - bzw. direkte und indirekte Netzwerkakteure identifiziert sowie die für die Produktivitätsentwicklung relevanten Handlungs- und Mobilitätsmuster herausarbeitet. Dabei ist es u. a. nützlich, dass man auf Patentinformationen zurückgreifen kann, in denen nicht nur der Patentinhalt aufgezeigt wird, vielmehr enthalten Patentschriften zusätzliche Informationen, die man auswerten kann.

24 • Paul J.J. Welfens/Oliver Emons/Christian Schröder

Auf jedem Patent finden sich Informationen über alle Wissenschaftler und Ingenieure, die an der Entwicklung dieses neuen Wissens beteiligt waren. Durch die Soziale Netzwerkanalyse steht eine Methode zur Verfügung, die es uns ermöglicht, diejenigen Erfinder zu identifizieren, die in diesen Patenten für mehr als einen Anmelder gearbeitet haben. Dieses Phänomen wollen wir in dieser Studie näher beleuchten. Eine ähnliche Studie wurde 2004 in Jena durchgeführt. Hierbei konnte nachgewiesen werden, dass aus einem vermehrten Austausch von Erfindern eine starke Verbindung zwischen Anmeldern resultiert (CANTNER/ GRAF, 2004a, S. 11). CANTNER/GRAF zeigen ebenfalls in dieser Studie, wie diese Verbindung entsteht. Sie vermuten, dass es zwei Arten von Verbindungen geben muss: • •

Eine Kooperation zwischen zwei Anmeldern kommt zustande, wenn mehr als ein Anmelder an einem Patent beteiligt war. Scientist Mobility: wenn ein Erfinder an Patenten von mindestens zwei unterschiedlichen Anmeldern beteiligt war; hier zeigt sich die Mobilität von Erfindern.

Für unsere Zwecke spielt die zweite Form von Verbindungen eine wesentliche Rolle. Im Zusammenhang mit der Mobilität von Erfindern und der Analyse von Innovationsprozessen muss das vorliegende theoretische Konstrukt messbar gemacht bzw. operationalisiert werden, sodass es durch eine Indikatorenvariable abgebildet werden kann.

3.2.3.

Grundlagen der Sozialen Netzwerkanalyse

Die Soziale Netzwerkanalyse ist einerseits eine Methode der Sozialethnographie (vgl. SCHNEGG/LANG, 2002), andererseits aber auch eine interdisziplinäre Methode, die bei Sozialwissenschaftlern, Forschern in der Sozialpsychologie und mittlerweile auch bei Ökonomen relativ beliebt ist (CANTNER/GRAF, 2004a, S. 2-3). Im Wesentlichen untersucht die Soziale Netzwerkanalyse die sozialen Beziehungen zwischen Akteuren in einem Netzwerk. Ihr Hauptziel besteht darin, gewisse Muster von Beziehungen zwischen diesen Akteuren darzustellen. Diese untersuchten Beziehungsmuster können der Austausch von Informationen und Waren oder die Ausübung von Einfluss oder Verbindungen anderer Art darstellen (KLOCKE 2007, S. 138). In der Netzwerkanalyse geht es im Wesentlichen um die Aufklärung sozialer Ordnungen. Einerseits spielen in dieser Analyseform sogenannte Akteure wie bspw. einzelne Personen oder Aggregate von Personen (bspw. Familien) eine wesentliche Rolle. Auf der anderen Seite sind die Bezie-

Europäische Innovations- und Spezialisierungsdynamik im Gesundheitssektor • 25

hungen bzw. die Relationen zwischen den Akteuren für die Erklärung der inneren Struktur wichtig (vgl. SCHNEGG/LANG, 2002).10 Da die Theorie der Sozialen Netzwerkanalyse sehr umfangreich ist, muss zunächst eine Wahl des Netzwerktyps getroffen werden. Um eine Einordnung unseres Netzwerks vorzunehmen, unterscheiden wir an dieser Stelle zunächst zwischen Gesamtnetzwerken und persönlichen Netzwerken. Beide Netzwerktypen unterscheiden sich in der Art und Weise der Datenerhebung bzw. in ihrem Ergebnis. Bei Gesamtnetzwerken geht man der Frage nach, welche Beziehungsarten jeder Akteur einer bestimmten Untersuchungsmenge von Akteuren mit jedem anderen Akteur dieser Menge unterhält oder auch nicht unterhält. Bei persönlichen Netzwerken hingegen wird untersucht, welche Beziehungsarten jeder Akteur einer bestimmten Untersuchungsmenge mit anderen Akteuren - gleichgültig ob sie zur Untersuchungsmenge gehören oder nicht - unterhält. Das bedeutet, dass bei persönlichen Netzwerken keine abgeschlossene Menge an Akteuren vorhanden ist. Wir analysieren in unserem Fall Gesamtnetzwerke, da wir eine klar abgrenzbare Menge an Akteuren haben und Aussagen über die innere Struktur dieses Netzwerks getroffen werden sollen. Im folgenden Abschnitt werden nun grundlegende Eigenschaften von Matrizen und Graphen im Rahmen einer Erläuterung der Vorgehensweise in unserer Analyse vorgestellt, bevor wir den für uns zu untersuchenden Sektor näher betrachten und dessen Identifikation in einer Vielzahl von möglichen Patenten vornehmen.

3.2.4.

Methodenerläuterungen

Dieser Abschnitt soll eine Basis für unser Vorgehen in der Analyse der Scientist Mobility liefern. Hier gilt es zu berücksichtigen, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, die Soziale Netzwerkanalyse anzuwenden und dass diesbezüglich eine Methodenentwicklung unter Berücksichtigung des theoretischen Konzepts durchgeführt werden muss. Wie schon angedeutet, fußt unsere Analyse auf der Auswertung von Patentdaten und dementsprechend muss ein Weg gefunden werden, die für die Analyse relevanten Informationen aus dem gesamten Datensatz herauszufiltern und so aufzubereiten, dass aussagekräftige und vergleichbare Ergebnisse geliefert werden können. Für das Aufdecken von Mobilitätsbeziehungen werden ausschließlich Patente herangezogen, bei denen mindestens einer der beteiligten Erfinder seinen Wohnort innerhalb der zu untersuchenden Region aufweist. 10

In unserer Analyse ist dies die Mobilität von Erfindern.

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Im Wesentlichen folgt unsere Analyse folgendem Schema. Wir führen eine Datenerhebung durch, indem wir einerseits Patente des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA) und andererseits Patente des Europäischen Patentamtes ordnen und somit eine Tabelle mit Rohdaten erstellen. Dieser Tabelle lassen sich folgende für unsere Zwecke wichtige Informationen entnehmen: • • • • • • •

Patentnummer Veröffentlichungsdatum Anmeldedatum am Patent beteiligte Erfinder (mit jeweiligen Wohnort) Anmelder an einem Patent (mit jeweiliger Adresse) Patentbeschreibung IPC-Klassifizierung

Unser Ziel besteht nun darin, nach mehreren Berechnungsschritten (Aufbereitung der Datenbasis) eine symmetrische Matrix zu erstellen, die uns die Mobilität von Erfindern anzeigt. Ein Beispiel für eine solche Matrix liefert uns die erste Tabelle.

Tabelle 1:

Adjacency Matrix Α (symmetrisch)

Al A2 A3 Al 0 0 1 A2 1 0 0 1 1 A3 0 A4 0 1 1 A5 0 0 0 A6 0 0 0 A7 0 0 0 A8 0 0 0 A9 0 0 0 Quelle: CANTNER/GRAF (2004a)

A4 0 1 1 0 1 0 0 0 0

A5 0 0 0 1 0 1 0 0 1

A6 0 0 0 0 1 0 1 0 0

A7 0 0 0 0 0 1 0 1 1

A8 0 0 0 0 0 0 1 0 1

A9 0 0 0 0 1 0 1 1 0

Eine Matrix (M) besteht aus η Zeilen und m Spalten (wobei η und m für die Anzahl der Zeilen und der Spalten stehen). Die Einträge in den Zellen (Mij) der Matrix geben Auskunft über die Art der Beziehung, also ihr Vorhandensein, ihre Intensität zwischen dem Zeilenelement i und dem Spaltenelement j. In einem ersten Schritt müssen zunächst Rohdaten geordnet werden. Darauf aufbauend wird in einem zweiten Schritt eine Matrix erstellt, in der sich Anmelder und Erfinder gegenüberstehen. Besteht eine Beziehung zwischen dem jewei-

Europäische Innovations- und Spezialisierungsdynamik im Gesundheitssektor · 27

ligen Anmelder (Zeile) und einem Erfinder (Spalte), ergibt sich in dieser Matrix eine Eins, bei keiner Beziehung hingegen ergibt sich eine Null (bei mehreren Verbindungen ist auch eine höhere Wertigkeit möglich). Diese Matrix bezeichnen CANTNER/GRAF als „2-mode Soziomatrix X". Mithilfe dieser Matrix lassen sich jedoch nur grundlegende Informationen über die Größe eines Netzwerks oder Aussagen über existierende Verbindung zwischen Erfindern und Anmeldern aufdecken. Für unsere Zwecke sind weitere Analyseschritte notwendig. In einem dritten Schritt versucht man nun die sog. „square matrix" darzustellen, welche die Anzahl der Verbindungen zwischen Anmeldern widerspiegelt. In Tabelle 1 ist diese Matrix dargestellt, die als „adjacency Matrix A" bezeichnet wird. Mathematisch ergibt sich diese, indem man die Matrix X (Soziomatrix) mit ihrer Transponierten multipliziert. Daraus ergibt sich eine symmetrische Matrix11, die in einem abschließenden Schritt in ein Netzwerkanalyseprogramm eingelesen werden kann (hier UCINET). Daran anschließend ist eine bildliche Darstellung eines Netzwerks (wenn vorhanden) mithilfe eines Visualisierungsprogramms (NetDraw) möglich. Das erstellte Netzwerk lässt sich ebenfalls graphentheoretisch analysieren. Den groben Aufbau unserer Analyse zeigt Abbildung 2. Die verschiedenen Schritte sind nochmals kurz dargestellt.

Abbildung 2: Methodisches Vorgehen

Quelle: Eigene Darstellung

11 Von einer symmetrischen Matrix spricht man, wenn die obere und die untere Hälfte der Diagonalen identisch sind.

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3.3. Auswahl der Regionen und Identifikation des zu untersuchenden Kompetenzfeldes Nachdem zunächst die Analysemethode dargestellt wurde, erfolgt nun die Sichtung des zur Verfügung stehenden Datenmaterials. Vor unserer Analyse muss insbesondere geklärt werden: • •

ob ausreichende Daten in Europa bei den hiesigen Patentämtern zur Verfügung stehen; wie die jeweiligen Patente für eine Region und für einen bestimmten Wirtschaftsbereich aus der Vielzahl an Patentdaten herausgefiltert werden können.

Bei unserer Analyse erfolgt eine Darstellung der Mobilität von Erfindern für insgesamt vier Regionen. Die Ausgangsregion setzt sich aus den Städten Solingen, Remscheid und Wuppertal zusammen (Bergisches Städtedreieck). Weiterhin wird die Scientist Mobility in der Region Dresden (Stadt Dresden) untersucht. Bei den deutschen Regionen wird ausschließlich auf Patentdaten des Deutschen Patentund Markenamtes (DPMA) zurückgegriffen, welche in ausreichender Form zur Verfügung stehen. Bei der Datenbeschaffung für die deutschen Regionen helfen uns vor allem die ausführlichen Suchoptionen (vielfältige Recherchemöglichkeiten beim DPMA) in der Suchmaske der Patentrecherche des DPMA. Hier ist es möglich, jegliche Patente für eine gewisse Region/Stadt, für einen gewissen Zeitraum (Jahr) zu suchen. Dabei hilft uns vor allem die Angabe des Wohnorts des Erfinders, Patente für eine spezielle Region aus der Gesamtzahl an deutschen Patenten ausfindig zu machen. Um einen europäischen Vergleich vorzunehmen, werden ebenfalls zwei Regionen in Österreich hinzugezogen. Hierbei handelt es sich um die Regionen Wien und Linz. Inwiefern beide Regionen für einen Vergleich geeignet sind, lässt sich dem folgenden Unterpunkt entnehmen. An dieser Stelle muss zunächst angemerkt werden, dass sich bei der Datensichtung für Österreich zeigte, dass es zweckmäßig ist, auf Patentdaten des Europäischen Patentamtes zurückzugreifen, da Daten des Österreichischen Patentamtes (ÖPA) zu diesem Zeitpunkt nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung standen. Patentdaten des EPA hingegen sind mindestens für die letzten 20 Jahre für überwiegend alle europäischen Länder verfügbar. Weiterhin wurde bei den europäischen Patenten nicht das Publikationsdatum, sondern das Veröffentlichungsdatum der Anmeldung gewählt, da dem Anmelder ab diesem Zeitpunkt ein vorläufiger Schutz gewährt wird. 12 Bis zur Erteilung eines Patents vergehen in der Regel mehr als drei Jahre. Teilweise konnten Patente innerhalb des Patentdatensatzes für Österreich identifiziert 12 Ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Patentanmeldung genießt der Patentinhaber einen vorläufigen Schutz (Art. 67 EPÜ) - A l und A2 Schriften.

Europäische Innovations- und Spezialisierungsdynamik im Gesundheitssektor · 29

werden, bei denen sechs Jahre bis zu einer Patenterteilung vergangen sind. Aus diesem Grund wurden die bis zum heutigen Tag nicht erteilten Patente aus den Datensätzen nicht entfernt, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese Patente noch erteilt werden. 13 Für Österreich ergeben sich demnach bei einer Suchabfrage beim EPA für die Jahre 1990-2008 insgesamt 10.573 Patente. Diese Abfrage ist ausschließlich über ESPACE-Bulletin möglich.14 Mit Hilfe dieser Daten ist es insbesondere möglich, einen für unsere Zwecke geeigneten Datensatz zu erstellen. Somit kann in einem ersten Schritt der Datensichtung eine ausreichende Datenbasis gewährleistet werden. Dennoch soll hier nicht verschwiegen werden, dass durch eine Wahl des EPA Inkonsistenzen bei der Analyse und bei einem Vergleich der deutschen mit den österreichischen Regionen entstehen können. Diesbezüglich ist ein Vergleich nur unter gewissen Einschränkungen möglich.15 Im folgenden Schritt wird nun eine Definition des Wirtschaftsbereichs Gesundheitswirtschaft und dessen Identifikation innerhalb von Patentdatensätzen vorgenommen. 16

3.3.1.

Der Begriff Gesundheitswirtschaft

Es zeigt sich bei einem ersten oberflächlichen Vergleich der zu untersuchenden Regionen keine vollständige Ubereinstimmung innerhalb des Branchenschwerpunktes und der Kompetenzen. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da es niemals zwei Regionen geben wird, die sich in ihren Kernkompetenzen in allen Punkten gleichen. Um aber eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten, muss zunächst eine für alle Regionen gültige Definition des Personal- und Health-CareBereichs gefunden werden. Die Kompetenzhoch 3 -Initiative spricht in diesem Zusammenhang von zwei wesentlichen Wirtschaftsbereichen, die diesem Kompetenzfeld zugeordnet werden können. Da aber ein Vergleich mit anderen Regionen im Vordergrund steht, wird im Folgenden anhand von Vergleichsregionen gezeigt, dass dies eine sehr enge Definition darstellt und eine Erweiterung dieser Definition hin zum Bereich

13 In den dieser Analyse zugrunde liegenden österreichischen Datensätzen finden sich ca. 20% bis zum heutigen Tag nicht erteilte Patente. 14 Eine kostenpflichtige Datenbank, die dem Nutzer Zugang zu biographischen Daten jeglicher, beim EPA publizierten (seit Gründung des EPA) und allen bewilligten Europäischen Patenten bietet. 15 Trotz dieser Einschränkungen wird sich zeigen, dass vielfältige Analysemöglichkeiten zur Verfügung stehen, die wichtige Aussagen über die Mobilität von Erfindern zulassen. 16 wie sich zeigen wird, ist der Bereich Health- und Personal-Care in diesen Bereich eingebettet.

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Gesundheitswirtschaft unerlässlich sein wird, der neben anderen wichtigen Sektoren ebenfalls den Sektor Personal und Health Care enthält. Die Kompetenzhoch 3 -Initiative liefert diesbezüglich eine erste Definition von Personal und Health Care und weist diesem Bereich die Vorleistungs- und Zuliefererindustrie der sog. Health-Care-Industries zu, die aus der pharmazeutischen Industrie, der Medizin- und Gerontotechnik, der Bio- und Gentechnologie, dem Gesundheitshandwerk, den Versicherungen sowie dem Groß- und Facheinzelhandel mit medizinischen und orthopädischen Produkten besteht. In Dresden hingegen hat sich aufgrund der Pharmaindustrie ein Cluster im Bereich Life Sciences und Biotechnologie entwickelt (vgl. DRESDEN, 2008). Im Zentrum steht hier der Bereich Molekulares Bioengineering. Weiterhin finden sich hier Kompetenzen in den Bereichen Bioinformatik, Biomaterialien, Zellbiologie und Genetik, Pharmazie und Medizin. Die moderne Zellbiologie, Genetik und Ingenieurwissenschaften arbeiten hierbei eng zusammen. Für die Auswahl Österreichs als Vergleichsland spricht, dass Österreichs FuEQuote seit 1997 über der durchschnittlichen FuE-Quote innerhalb der EU, seit 2004 über der durchschnittlichen Quote der OECD-Länder liegt. Seit 2006 ist sie in etwa gleichauf mit Deutschlands FuE-Quote (ÖTB, 2008). Wie in anderen OECD-Ländern zeigt sich auch in Österreich, dass der überwiegende Teil der FuE-Ausgaben von Unternehmen getragen wird. Dem Internetauftritt der Vienna Region bzw. den Ergebnissen einer kürzlich veröffentlichten Studie (2006) von Technopolis und dem Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung ist zu entnehmen, dass Wien eine besondere Kernkompetenz im Bereich Life Science aufweist. Life Science setzt sich (definiert nach Branchen) demnach aus der Biotechnologie, Pharmaindustrie, Medizintechnik und Life-Science-Unternehmen zusammen (TECHNOPOLIS/FRAUNHOFER/ISI, 2006, S. 7-9). In Wien sind 140 Life-Science-Unternehmen angesiedelt. Der Großteil der Beschäftigten in diesem Sektor findet sich bei großen Unternehmen aus dem Pharmabereich; insgesamt beschäftigen diese ca. 140 Unternehmen 9652 Menschen. Linz — die zweite zu untersuchende österreichische Region — weist ebenfalls Schwerpunkte im Bereich Pharma auf. Zusätzlich zeigen sich in Linz deutliche Kompetenzen in den Bereichen Lebensmittel- und Agrochemie (vgl. Internetauftritt der Stadt LINZ, 2008). Vergleicht man nun diese drei Regionen mit dem Bergischen Städtedreieck, so ist auffällig, dass im Städtedreieck ebenfalls die pharmazeutische und die chemische Industrie sehr stark präsent sind. Bei einem Vergleich der Regionen innerhalb Nordrhein-Westfalens zeigt sich, dass beispielsweise Wuppertal, gemessen anhand der Anzahl von Beschäftigten innerhalb der chemischen Industrie (7000 Beschäftigte), den dritten Platz einnimmt. Innerhalb Deutschlands stellt Nordrhein-Westfalen den wichtigsten Chemiestandort dar (NRW.INVEST, 2008). Ein Ländervergleich 2006 führt zu dem Ergebnis, dass in Nordrhein-Westfalen 109300 Beschäftigte (von deutschland-

Europäische Innovations- und Spezialisierungsdynamik im Gesundheitssektor • 31

weit 442900) im Bereich der chemischen Industrie arbeiten. Weiterhin finden sich in N R W zahlreiche Global Player wie beispielsweise Henkel, Evonik und Bayer. Des Weiteren sind hier einige bekannte Unternehmen aus der Biotechnologie und der Medizintechnik ansässig. 17 Bei dieser Untersuchung der Branchenkompetenz in Nordrhein-Westfalen 2008 (NRWINVEST, 2008, S. 46) findet sich ebenfalls eine erste Definition des Bereichs Gesundheitswirtschaft, der sich aus den Branchen des Gesundheitswesens, der Pharmazie und der Medizintechnik zusammensetzt. Diese Definition liefert einen ersten wichtigen Hinweis ist jedoch für unseren Vergleich von Regionen zu eng gefasst. Legt man nun die Kompetenzen der jeweiligen Regionen übereinander, ergibt sich eine für unsere Zwecke geeignetere Definition des Bereichs Gesundheitswirtschaft. Tabelle 2 bietet einen Überblick über die in unserer Definition enthaltenen Branchen. Diese besteht aus den Wirtschaftsbereichen Pharmazie, Chemie, Medizinische, zahnärztliche und kosmetische Präparate, Gesundheitswesen, Persönlicher Bedarf und Haushaltsgegenstände (mit einem Bezug zur Gesundheitswirtschaft) und Biotechnologie. Diese erweiterte Definition wird ebenfalls der Tatsache gerecht, dass viele Global Player innerhalb NordrheinWestfalens nicht ausschließlich nu einem Wirtschaftsbereich zugeordnet werden können. Das Unternehmen Bayer beispielsweise weist Schwerpunkte innerhalb der chemischen und der pharmazeutischen Industrie auf. Tabelle 2:

Bestandteile der Gesundheitswirtschaft GESUNDHEITSWIRTSCHAFT

Pharma Chemie Medizinische, zahnärztliche und kosmetische Präparate Gesundheitswesen Persönlicher Bedarf und Haushaltsgegenstände (mit einem Bezug zur Gesundheitswirtschaft) Biotechnologie Quelle: Eigene Darstellung

3.3.2.

Patentidentifikation innerhalb der IPC

Nachdem nun eine Definition des Bereichs Gesundheitswirtschaft erfolgt ist, stellt sich die Frage nach der Identifikation dieses Bereichs aus der hohen Anzahl

17

Quiagen ist das größte Biotechnologie-Unternehmen aus NRW.

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an Patenten innerhalb des gesamten Patentdatensatzes eines Patentamtes. Die International Patent Classification (IPC) bietet uns die Möglichkeit dieser Frage nachzugehen. Die IPC ist ein international gültiges Klassifikationssystem für Patente. Jedes bei den Patentämtern (EPA, DPMA etc.) veröffentlichte Patent wird innerhalb dieses Klassifikationssystems (in technische Sachverhalte) eingeordnet. Das Hauptproblem für unsere Analyse liegt in der Grundstruktur der IPC. Tabelle 3 zeigt die jeweiligen Hauptklassen der IPC, die wiederum eine Vielzahl an Unterklassen aufweisen. Die IPC basiert auf technologischen Kategorien. Diese können nicht direkt in industrielle Sektoren übersetzt werden. Um aber nun in der Vielzahl der Patente die für uns relevanten Patente zu identifizieren, haben wir eine Identifikationsmatrix entwickelt, die unserer Definition von Gesundheitswirtschaft entspricht. Aus Abbildung 3 lassen sich die von uns identifizierten IPC-Klassen entnehmen. Um nun eine Verbindung zwischen der technologischen Einordnung von Patenten und industriellen Sektoren herzustellen, finden sich in der Literatur mehrere Cocordance-Tabellen. Die von uns gewählte „Identifikationstabelle" (unterster Bereich der Abbildung 3) ergibt sich aus einer Zusammenführung einer MERIT-Concordance-Tabelle, einer OECDKlassifizierung von Biotechnologie (OECD, 2005) und der Übersetzungstabelle von Wirtschafsbereichen in IPC-Klassen aus dem Deutschen Patentadas 2006 (SCHMIEDL, D., NIEDERMEYER, G., 2006).18

Tabelle 3:

Hauptklassen der IPC Hauptklassen der IPC

Α Täglicher Lebensbedarf Β Arbeitsverfahren; Transportieren C Chemie; Hüttenwesen D Textil; Papier Ε Bauwesen; Bergbau F Maschinenbau; Beleuchtung; Heizung; Waffen G Physik Η Elektrotechnik Quelle: Eigene Darstellung, angelehnt an die Darstellung der IPC-Klassifizierung des DPMA/WIPO

Die Tabelle von MERIT (IPC-ISIC rev. 2) übersetzt zunächst ISIC-Kategorien in die Patentklassifizierung. Der Grad an Übereinstimmung mit der jeweiligen 18 Es gibt noch weitere Concordance-Tabellen wie beispielsweise die OECD Technology Concordance (OTC).

Europäische Innovations- und Spezialisierungsdynamik im Gesundheitssektor · 33

Klasse der IPC zeigt eine prozentuale Angabe hinter jeder Klasse an. In dieser Analyse werden ausschließlich jene Klassen mit einbezogen, die eine Ubereinstimmung größer als 50 % aufweisen. Um nun aber den recht neuen und schwer erfassbaren Bereich der Biotechnologie in der Fülle von Patenten zu identifizieren bzw. in IPC-Klassen zu übersetzen, bedienen wir uns weiterhin einer Definition der O E C D aus dem Scoreboard 2005, die der Biotechnologie gewisse Klassen zuordnet (vgl. OECD, 2005). Diese Zuordnung wird ebenfalls vom Bundesministerium für Bildung und Forschung vertreten (vgl. BIOTECHNOLOGIE, 2008).

Abbildung 3: Gesundheitswirtschaft und deren untergeordnete Teilbereiche (

Palentallai 200ft

Organische Chtnit: IPC: Bill B09

(k»undhfiisw«lKhi»ft (Life Science und PersonalCa»)

OBCO - Scoreboard 3OOS

Biotechnologie:

)

MKRIT Concordance Tabelle

Chemie:

II", • IPC: AOl N, AOl H4U0 Λ62 D. B27 K. A6I Κ ί*·3' %4& B29K/L. Mtdi/iniicht. »1 /ahnirt/liclu jCÖ2 η . 34 C0I HCIX.'G. ' und konemtisehe Präparate < 0? G (l ΙΌ0, 13/00, IS.OD) C05 B'C D i G, 1 nytryH, ,. CH' Κ (400. 14 (Kl. 1600, 17-00. 19Ό0Ι ei» ac/f. CO» Β c I G : tnargaaiacfce (ti< mit C12P C12Q Η JK- L. IPC:C07,AOI Ν teij s C09 OD/FUG/H/J/K CIO Η J K/N. k'21 -C23 CI I D.