Es gibt Ideen, die Jahrtausende überstehen. Ein Gespräch zur Person und über die Zeit mit Stefan Heym 978-3928788380

Ein Gespräch mit Stefan Heym: Der ostdeutsche Schriftsteller über den Untergang der DDR, Begegnungen mit Walter Ulbricht

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German Pages 56 Year 2001

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Es gibt Ideen, die Jahrtausende überstehen. Ein Gespräch zur Person und über die Zeit mit Stefan Heym
 978-3928788380

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Michael Martens

Es gibt Ideen, die Jahrtausende überstehen

Ein Gespräch zur Person und über die Zeit mit

Hans Boldt Verlag

Stefan Heym

Gespräche über die Zeit

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Gespräche über die Zeit

Michael Martens

Es gibt Ideen, die Jahrtausende überstehen

Ein Gespräch zur Person und über die Zeit mit Stefan Heym

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Hans Boldt Verlag

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Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Martens, Michael: Es gibt Ideen, die Jahrtausende überstehen: ein Gespräch zur Person und über die Zeit mit Stefan Heym/ Michael Martens. - Winsen/Luhe; Weimar: Boldt, 2001 (Gespräche über die Zeit) ISBN 3-928788-38-8

Hans Boldt Literaturverlag GmbH, Winsen/Luhe und Weimar Technische Herstellung: V_r Gutenberg Druckerei GmbH Weimar © Copyright: Hans Boldt Literaturverlag GmbH

Inhaltsverzeichnis

Michael Martens: Seine Gegner ... Seite 7-16 „Es gibt Ideen, die Jahrtausende überstehen.“ Stefan Heym am 13. September 2000 in Berlin über den Untergang der DDR, Begegnungen mit Walter Ulbricht und Erich Honecker, die Fehlentwicklung des Sozialismus und seine Gefühle als Advokat einer Idee, die am 20. Jahr¬ hundert scheiterte. Seite 17-42 Biografisches über Stefan Heym Seite 43 - 45 Verzeichnis lieferbarer Titel von Stefan Heym Seite 46 Der Autor Michael Martens Seite 47

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Seine Gegner... ...möchten gerne einen Verlierer sehen in ihm. Die Argumente, scheint es, haben sie auf ihrer Seite. Das Projekt, dessen Advokat er sein Leben lang war, hat das Jahrhun¬ dert nicht überlebt. Der Staat, für den er sich - trotz allem, wie er bisweilen hinzu¬ fügt - kritisch-distanziert eingesetzt hat, ist vom eigenen Volk unter den Teppich gekehrt worden. Die politische Idee dahin¬ ter, die auch seine Idee war, hat bei ihrer potentiellen Klientel an Attraktivität verlo¬ ren. Was also kann solch ein Mensch ande¬ res sein als ein Verlierer - besonders jetzt, wo der große Croupier schon seine Ansage gemacht hat und nichts mehr geht?

Stefan Heym, der vermeintliche Verlierer, entzieht sich dem Stück. Er weigert sich, den Verlierer zu geben. „Ich fühle mich nicht vom Jahrhundert betrogen“, sagt er. Er läßt dem Satz ein kurzes Schweigen fol¬ gen, um der Aussage nicht ihre Wirkung zu nehmen. Dann fügt er hinzu: „Wieso auch? Ich habe doch keine Ansprüche gehabt.“ Sicher, dieses und jenes hätte man anders

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machen können. Aber was, fragt er, wäre denn die Alternative gewesen in seinem Fall? „Ich hätte in Amerika bleiben können. Ich hätte wie andere überlaufen und bekennen können, wir hätten vorher alles falsch gemacht. Dann hätte man mich sicher für einige Monate hochgejubelt.“ Aber das habe er natürlich ernsthaft nie in Erwägung gezogen. Natürlich blieben jetzt Fragen, große und kleine. Die große Frage zum Beispiel, ob es denn überhaupt einen Sinn gehabt hat, ob es für die Menschheit war und das Glück auf Erden und die Gerechtigkeit, oder nicht doch bloß für die Katz’. Aber mit dieser Frage müßten sich die anderen, wenn sie sich wirklich fragten, schließlich auch herumplagen, selbst wenn sie meinen, auf der einzig richtigen Seite des Jahrhunderts gestanden zu haben. Bleiben die vielen kleinen Fragen. Warum, zum Beispiel, hat Walter Ulbricht ihn nie um Rat gefragt? Nicht als Ulbricht sich in Begleitung von ihm unters Volk mischen wollte und auch später nicht, als sie einander gegenübersaßen in Ulbrichts Büro und der kommende Herr der DDR bei Apfel und Butterbrot mit dem späterhin berühmtesten Schreiber seines Staates plaudern wollte? Fragen, die Heym ihm gerne selbst gestellt hätte. Ein Interview¬ termin mit dem abgesetzten Ulbricht war schon verabredet, da starb er. Auch mit Honecker, sagt Heym, hätte er gern noch

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einmal geredet. Honeckers Widersprüche hätten ihn interessiert. Aber auch da kam der Tod der Erfüllung des Wunsches zuvor. Vielleicht sei es ja auch gut, nicht um Rat gefragt zu werden, sagt Heym. Weil man dann keine Mitverantwortung trägt? „Nein“, antwortet Heym und friert seine Züge kurz vor dem Ansatz eines Lächelns ein: „Weil ich nicht allweise bin. Ich kann nur teilweise Rat geben.“ Dann wieder die Andeutung eines Lächelns. Damit die Iro¬ nie auch als solche verstanden werde. Es liegt auch eine unübersehbare Ironie - des Schicksals, der Geschichte - in der Mög¬ lichkeit, daß der Teilweise aus Chemnitz, wenn seine Gesundheit mitspielt, fast dop¬ pelt so alt werden könnte wie der Staat, des¬ sen Existenz er stets für notwendig und berechtigt hielt, auch wenn er mit dessen politischer Wirklichkeit haderte. Die mit real existierendem Sozialismus in fortgeschrittenem Stadium darniederlie¬ gende DDR war eine Konstruktion, die er bis in die letzten Monate ihrer Existenz hin¬ ein für reformierbar hielt. Doch die Mehr¬ heit ihrer ßevölkerung wollte das nicht glauben. Der real existierende Sozialist Ste¬ fan Heym mußte den Zerfall seines Staates mit ansehen. Der zerfiel auch deshalb, weil man für das Produkt, das er darstellte, nie richtig zu werben verstand, glaubt Heym: „Man hat das sehr schlecht propagiert. Die

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Art, wie man mit den Menschen gespro¬ chen hat, war total falsch.“ Nun wird er sei¬ nen Lebensabend in der kommoden Demo¬ kratie der Bundesrepublik verbringen, dem fünften Deutschland seines Lebens. Viele haben das hämisch registriert. Ein Kampf¬ flugzeug, dessen Flugzeugträger unterge¬ gangen ist.

Zehn Tage sind vergangen seit dem D-Day, dem Beginn der amerikanischen Invasion Frankreichs am sechsten Juni 1944. Der Sergeant S.H. mit der Seriennum¬ mer 32860259 auf dem dog tag, der Hunde¬ marke, die eine Identifizierung des zerfetz¬ ten oder sonstwie verunstalteten Leibs möglich machen soll, falls für ihren Träger der Krieg abrupt zu Ende gehen sollte, lan¬ det mit der von ihm geführten Gruppe an dem noch vor kurzem umkämpften Strand. Jahrzehnte danach erinnert sich der Schriftsteller in der DDB, ein alter Mann schon, an das Wiedersehen mit seinem Kontinent, fast ein Jahrzehnt, nachdem er ihn hatte verlassen müssen: „Erster Eindruck: Desorganisation. Ein Gewirr von Schiffen, großen, kleinen, von Zerstörern, Lastern, Passagierdampfern, Fährschiffen, teils noch in Fahrt befindlich, teils vor sich hin dümpelnd...und über allem schwe¬ bend, wie graue Urtiere, unförmig, die Fes¬ selballons. Draußen, schwarze Silhouetten

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vor rosa getöntem Horizont, zwei patrouil¬ lierende Schlachtschiffe.“ Am Abend desselben Tages, an dem Heym diese Beobachtung macht, nimmt ein Landsmann von ihm einige hundert Kilo¬ meter weiter im Landesinnern, in Paris, seine Tagebueheintragungen vor. Auch er trägt, wie Heym, eine Uniform, nur ist es die der Armee, die den Krieg verlieren wird. Am Tag hat er aus dem Heeresbericht erfahren, daß eine deutsche „Vergeltungs¬ waffe“ zu feuern begonnen habe. An deren Wirksamkeit glaubt er nicht, echt sei an ihr nur der Wille, „...die lebendige Welt in eine Einöde zu verwandeln und den Triumph des Todes in ihr zu verwirklichen. Wer heute an der ,Vergeltung4 und an der Ver¬ nichtung4 zweifelt, begeht ein Sakrileg.“ Für Ernst Jünger, jenen anderen, ist es die Zeit der Abschiedsbesuche, denn er weiß, daß er seinen Einsatzort Paris bald wird verlassen müssen. Ernst Jünger ist einer jener Deutschen, die bei Heym, im „Nachruf4 und auch im „Bitteren Lorbeer“, Heyms Buch über seine Weltkriegserfahrungen, als „die anderen“ auftauchen. Die anderen, das waren die, die in der Schule in ihrem Religionsunter¬ richt, von dem er befreit war, Dinge über Jesus lernen mußten, und die, denen er dann als amerikanischer Soldat in Gefange¬ nenlagern wiederbegegnete. Zu ihnen hat

Heym, ein Deutscher unter Vorbehalt, immer ein distanziertes Verhältnis gehabt. Einige habe er gehaßt, sagte er einmal. Aber anderen gegenüber habe er, damals bei Verhören und Befragungen in den Lagern schon, eine Verbundenheit gefühlt und gedacht, daß sie seine Leute seien, denen er die Hand geben müsse. Zu diesen, seinen Leuten, meinte er zu kommen, als er 1952 in die DDR übersiedelte. Bald waren aber auch dort viele wieder „die anderen“ für ihn.

Aufgrund seiner apologetischen Haltung zur DDR war er in Westdeutschland nie beliebt: Zwar sprach er über die DDR so, wie man es gerne hörte auf der anderen Seite - kritisch, skeptisch, tadelnd - aber ihre Daseinsberechtigung zweifelte er nie an. Und, schlimmer noch, er sah die Bun¬ desrepublik, mit der man sich doch so viel Mühe gegeben hatte, mit all ihren Fußgän¬ gerzonen, dem Arbeitgeberanteil an der Sozialversicherung und ihrer strebsamen Vergangenheitsaufarbeitung, nicht als das bessere Modell an. Daß dieses Modell sich schließlich durchsetzte, hat er nicht verhin¬ dern können. Aber ein Verlierer? Er? Nein, sagt Heym. Ein Außenseiter im eigenen Team, das vielleicht. Man ist geneigt, Heyms heitere Unbeugsamkeit für Koketterie zu halten. Aber

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wenn er nur eine Rolle spielt, spielt er sie überzeugend. Ein Verlierer sieht anders aus, spricht anders. Nie macht Heym in sei¬ ner Argumentation Gebrauch von der grammatikalischen Lieblingsform histo¬ risch Enttäuschter, dem Konjunktiv. Die larmoyanten Überlegungen dazu, wie es hätte kommen können, wenn es nicht so gekommen wäre, wie es kam, sind seine Sache nicht. Wenn er konjunktivisch redet, dann von Zukünftigem. Zum Beispiel davon, wie der Sozialismus eines Tages, bei der erstbesten schweren Krise des Kapita¬ lismus, wieder potente Sprecher finden werde. Auch in allen anderen Belangen weigert sich Stefan Heym, die Rolle eines Verlierers zu besetzen. Sein letzter Roman, „Die Architekten“, wurde sogar in Blättern, von denen er glaubt, sie seien ihm feindlich gesonnen, anerkennend besprochen. Das habe er mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, sagt Heym und sieht hochzu¬ frieden aus dabei. Und daß Marcel ReichRanicki, der ihn doch immerhin in der „Zeit“ einmal einen „scharfsinnigen, sarka¬ stischen und phantasievollen Erzähler“ genannt hatte, ihn in seiner Autobiographie nicht einmal erwähnt, obwohl er doch immerhin geschrieben hat, zu Jünger fiele ihm nichts ein - geschenkt. Man habe halt ein kühles Verhältnis miteinander. Sicher hat er sich geärgert über die selbstgerechte Bosheit Henryk M. Broders, der schrieb, Heym bringe das Kunststück fertig, mit

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dem Strom zu schwimmen und dabei so zu tun, als kämpfe er gegen die Strömung an. Aber auch das ist Jahre her und inzwischen durch manch wohlwollende Kritik seiner Arbeit von anderen vergessen gemacht, scheint es. Auch gesundheitlich geht es ihm wieder besser. Medizinisch gesehen sei er ein Wunder, haben die Ärzte seiner Frau bestätigt. Acht Wochen lag er im Koma, im Sommer 1999. Jetzt vermittelt er den Ein¬ druck, daß all die Nachrufe auf ihn, seit Jahren schon gehortet in den Redaktions¬ computern - der Mann ist schließlich nicht mehr der Jüngste - dort noch ein paar Jahre liegenbleiben werden.

Nur ein Mal während unseres Ge¬ spräches fällt Stefan Heym aus der Rolle, da blitzen Emphase und Zorn auf. Als man über Heiner Müllers Resuch bei Ernst Jün¬ ger spricht und ich mich darüber wundere, daß es Jünger quasi nebenbei gelungen ist, nahezu das gesamte 20. Jahrhundert unbe¬ schadet zu überstehen, so als habe er die Jahre nur zufällig überlebt. „Er hat über¬ lebt, weil er zufällig ein Faschist war“, ant¬ wortet Heym da, und die Stimme ist laut und Heym böse. Zu vorsichtigen Einwän¬ den, daß man da wohl etwas differenzieren müsse, schweigt er. Der Alte aus Wilflingen polarisiert sogar noch als Toter. Dabei haben Heym und Jünger wohl mehr

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gemein, als ihnen lieb wäre. Jüngers Haus auf der Schwäbischen Alb und das von Heym in der Hauptstadt strahlen beide ein sehr ähnliches bildungsbürgerliches Selbst¬ bewußtsein aus, in beiden Häusern fällt es nicht schwer, von der Einrichtung darauf zu schließen, daß der Hausherr ein in die Jahre gekommener Narziß sein muß, wie jeder alte Schriftsteller. Zum Abschied freundliche Worte. „Rom¬ men Sie gut nach Hause.“ Es war ein schwieriges Gespräch, das . schwierigste, das ich je geführt habe. Immer wieder redeten wir aneinander vor¬ bei, schwiegen das Tonband voll. Heym wußte mit einigen Fragen nichts anzufan¬ gen oder wollte nichts mit ihnen anzufan¬ gen wissen. Ein paar Schritte vom Haus, gelegen in Grünau am Ostrand Berlins, liegt ein Wald. Überall viel Grün. Eine nette Gegend, wie man so sagt. Daß sie jetzt Teil der BRD ist, stört Stefan Heym nicht. „Ich bin ein Welt¬ bürger. Dort, wo gute Menschen sind, fühle ich mich daheim.“

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„Es gibt Ideen, die Jahrtausende überstehen“ Webt nicht, strickt nicht, schneidet niemandem die Haare: Ein Gespräch mit Stefan Heym über den Untergang der DDR, Begegnungen mit Wal¬ ter Ulbricht und Erich Honecker, die Fehlent¬ wicklungen des Sozialismus und seine Gefühle als Advokat einer Idee, die am 20. Jahrhundert scheiterte.

Berlin, am 13. September 2000

Beim Wiederlesen Ihres „Nachrufs in Vor¬ bereitung auf dieses Gespräch mußte ich an Joseph Roth denken, der einmal gesagt hat, die Habsburger Monarchie sei sein Vater¬ land gewesen, das einzige, das er je gehabt habe, und er hätte es verloren. Im „Nachruf \ schien es mir, wird die Biografie eines ande¬ ren Menschen erzählt, der seine Heimat ver¬ loren hat. “

Heym: Einer, der keine Heimat hat? Wel¬ cher Mensch soll das sein? Sie.

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Heym: Ich? Ja. Heym: Ich bin ein Weltbürger. Dort, wo gute Menschen sind, fühle ich mich daheim. Aber Sie haben sich doch einen großen Teil Ihres Lebens, vier Jahrzehnte lang, kritisch bejahend fiir einen Staat eingesetzt, den es nun nicht mehr gibt. Das kann doch nicht völlig bedeutungslos sein in Ihrer Biogra¬ fie? Heym: Natürlich ist es von großer Bedeu¬ tung, daß die DDR nicht mehr existiert, denn dadurch existiert in Deutschland die Alternative nicht mehr zum Kapitalismus. Der Kapitalismus hat gesiegt und hat den Versuch, etwas anderes, eine andere Ord¬ nung, ein anderes Verhältnis der Menschen zueinander zu schaffen, vernichtet. Das spürt man natürlich im Leben. Die Men¬ schen hier haben neue Probleme bekom¬ men. Manchen geht es besser. Aber den meisten geht es, zumindest seelisch ge¬ sprochen, nicht besser. Die Verhältnisse geben weiterhin Anlaß, sich Fragen zu stel¬ len über den Staat und seine Herrschaft. Die Menschen sind nicht neutral. Die Un¬ zufriedenheit ist nicht aus der Welt ge¬ schafft. Die Kapitalisten müssen in Betracht ziehen, daß das Volk sich Gedanken macht. Es gibt ja auch immer noch Gewerk-

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schäften und andere Organisationen, die ihre Kritik zum Ausdruck bringen. So leicht haben es die Herren also nicht. Wenn Sie sagen, daß mit der DDR die Alternative weggefallen ist, dann ist das ja eine Erfolgsdefinition ex negativo. Das hieße, die DDR war nur denkbar als Gegen¬ stück zur ERD und andersherum. Heym: Ja, ohne den Kapitalismus hätte es keine DDR gegeben. Das ist doch klar. Wenn wir nun an die große Ladentheke der Historie treten und Klio steht dahinter und wir sagen, wir hätten gerne etwas Kom¬ munismus, wird sie wahrscheinlich sagen: „Ist gerade aus. Kommen Sie in fünfzig Jah¬ ren mal wieder vorbei. Nur heißt das Schei¬ tern des Sozialismus im 20. Jahrhundert ja nicht, daß dieses Experiment auf ewig gescheitert sein müßte. Die Frage ist aber: Was gibt man denen mit auf den Weg, die noch einmal versuchen wollen, das Ganze in Gang zu bringen? “

Heym: Was es in der DDR gegeben hat, war kein Sozialismus. Es war der Versuch, einen Sozialismus zu schaffen. Das Ergeb¬ nis davon entsprach nicht dem, was mir vorschwebte. Und wie ich glaube auch nicht dem, was Marx und Engels vorschwebte. Marx und Engels haben ja auch kein Rezept vorgegeben. Sie haben ein Rezept zur Ana-

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lyse der Lage hinterlassen, aber keines dazu, wie man es denn anders machen sollte. Mit was für einem Programm und mit welchen Methoden ein Sozialismus zu machen ist, mußten die jeweiligen Genera¬ tionen, die sich damit beschäftigt haben, selbst entscheiden. Aber so, wie Sie jetzt fra¬ gen, bedeutet das, was vorgefallen ist, daß der Sozialismus überhaupt am Ende ist, und dann kann ich Ihnen nur antworten: Der Kapitalismus ist keine ideale Weltordnung und den Menschen wird immer klarer wer¬ den, daß etwas anderes gefunden werden muß. Daraus, glaube ich, wird in der Zukunft wieder ein Versuch entstehen, die¬ ses andere zu schaffen. Nun ist ja der Sozialismus von Marx und Engels konstruiert worden als Alternative zu dem Kapitalismus, der damals bestand. Seit¬ her hat der Kapitalismus ja durchaus einige Fortschritte gemacht. Heym: Natürlich. Die Verhältnisse haben sich verändert. Die Technik hat sich verän¬ dert und die Produktionsmittel, auch die Produktionsweise hat sich verändert. Aber immer noch ist es das alte System: Die Pro¬ duktionsmittel befinden sich in einer Hand, die anderen haben nichts und müssen ihre Hand verkaufen. Einen Kapitalismus mit menschlichem Ant¬ litz halten Sie nicht fiir möglich?

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Heym: Ideale Verhältnisse werden nie existieren. Man wird auch nie einen idea¬ len Sozialismus schaffen. Das gibt es nicht. Es sei denn, wir geraten zufällig ins Para¬ dies. Aber man muß versuchen, etwas Bes¬ seres zu schaffen. Und diesen Versuch zu vertreten, habe ich unternommen. Was war denn das Erhaltenswerte, das mit der DDR verlorenging?

Heym: Ich denke, da gibt es gewisse Tat¬ sachen, die eindeutig sind: Zum Beispiel, daß es keine Arbeitslosen gab und kaum Obdachlosigkeit. All die Nachteile des Kapi¬ talismus hat es in der DDR nicht gegeben. Dafür gab es andere Nachteile, die sehr groß waren und die viele Menschen veran¬ laßt haben, eine Haltung gegen die Versu¬ che einzunehmen, die da unternommen wurden. Weil das Experiment die Menschen nie hat einnehmen können fiir sich.

Heym: So ist es. Man hat das auch sehr schlecht propagiert. Die Art, wie man mit den Menschen gesprochen hat, war total falsch. Ich habe über diesen Punkt auch immer wieder geschrieben. Sie haben ja nun in fünf Deutschlands gelebt: geboren im Kaiserreich, es folgte Wei¬ mar, danach ganz kurz unter Hitler, dann in

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der DDR und jetzt in der Bundesrepublik. Wie stehen Sie zu diesem fünften Deutsch¬ land Ihres Lebens? Wie sehen Sie Ihre Rolle darin? Haben Sie überhaupt eine? Heym: Ich glaube, daß ich nichts anders tun kann als schreiben. Wenn ich arbeite, schreibe ich. Ich webe nicht, ich stricke nicht, ich schneide niemandem die Haare. Nur als Abgeordneter im Deutschen Bun¬ destag habe ich versucht, auf eine andere Art zu wirken und das nach einer Weile wieder aufgegeben, weil mir schien, daß die Leute, die mit mir im Bundestag saßen, darauf aus waren, sich auf Kosten des Volkes noch ein wenig zu bereichern. Ich wollte nicht der Alterspräsident dieser Menschen sein. Deshalb bin ich von allen meinen Ämtern zurückgetreten. Ich konnte nicht die Position des Alterspräsidenten aufgeben und gleichzeitig Abgeordneter bleiben, denn ich wäre dann immer noch der älteste Mann dieses Hauses gewesen. Also habe ich auch meine Position als Abge¬ ordneter aufgegeben. Sie schreiben in einem Ihrer Bücher, daß die Revolutionäre von 1848 zu spät zu dikta¬ torischen Mitteln gegriffen hätten, um ihre Revolution zu sichern. Das ist ja nicht der einzige Fall einer Revolution, die zu zaghaft vorgegangen ist. 1918 hat sich das wieder¬ holt. Die Grundfrage lautet aber doch wohl: Kann man, um es mit Ihrem Kollegen Grass

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zu sagen, „Schnecken das Springen lehren“, oder gebiert nicht jede Revolution mehr Leid als sie zu beseitigen versprach? Heym: Das Problem ist immer dasselbe: Wenn Sie die Freiheit verteidigen wollen, können Sie den Gegnern der Freiheit keine Freiheit geben. Sie brauchen sowieso dikta¬ torische Mittel, um die Freiheit zu erkämp¬ fen. Es braucht Demokraten mit gebleckten Zähnen sozusagen. Heym: Zumindest mit Zähnen, sie müs¬ sen ja nicht unbedingt gebleckt sein. In die¬ sem Lande zum Beispiel wäre ich dafür, daß man Rechtsextremen keine Möglich¬ keiten gibt, in der Öffentlichkeit aufzutre¬ ten. Das muß polizeilich unterdrückt wer¬ den, mit diktatorischen Mitteln. Sie haben ja der Figur des Ahasver einen Roman gewidmet. Ihr Ahasver kritisiert darin Jesus aufgrund von dessen Ideologie des Leidens und Duldens und all dessen, was wir aus der Rergpredigt kennen. Wenn man das nun weiter ausspinnt und darüber nach¬ denkt, was passiert wäre, wenn Jesus damals wirklich ein Schwert des Glaubens gezückt und zur Gewalt gegriffen hätte wäre er uns dann heute nicht allenfalls als eine Figur wie Spartakus oder Pugatschow in Erinnerung?

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Heym: Das ist eine interessante Frage. Was wäre aus Jesus geworden, wenn er gekämpft hätte? Seine Apostel waren natür¬ lich hervorragende Propagandisten für ihre Zeit. Die haben diese Leidensfigur groß gemacht, auch dadurch, daß es dann später zu einem Kompromiß kam mit den römi¬ schen Imperatoren, wodurch die Religion mit dieser Art von Leitfigur zu einer Staats¬ religion wurde. Das war ein sehr geschick¬ ter Schachzug. Man wurde von einer oppo¬ sitionellen Gruppe zu einer Macht, die bis heute noch eine Macht geblieben ist. Das zeigt, daß es Ideen gibt, die Jahrtau¬ sende überstehen. Und so wird es, glaube ich, auch mit dem Sozialismus sein. Die Idee wird weiter in der Geschichte wirken und es kann sein, daß sie irgend¬ wann wieder in führender Position erschei¬ nen wird. Wenn die Notwendigkeit sich ergibt, wenn also der Kapitalismus in eine ausweglose Krise kommt, dann wird die alternative Idee wieder zum Vorschein kommen und auch potente Sprecher fin¬ den. Die Geschichte kennt ja, darauf können wir uns wohl einigen, keinen Konjunktiv. Sie ist immer ausgekommen ohne die Fragen nach dem „ Was-wäre-gewesen-wenn?“. Ihre Bücher dagegen haben diese Frage immer wieder gestellt, jedenfalls habe ich Sie so gelesen. Wenn Sie das letzte Jahrhundert, das Sie ja fast zur Gänze miterlebt haben,

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sich ins Gedächtnis rufen - gibt es da eine dieser „ Was - wäre-gewesen - wenn - Fragen “, die sich Ihnen immer wieder aufdrängt? Heym: Das ist zwar ein sehr müßiges Gedankenspiel, aber man verfällt natürlich manchmal darauf. Also was wäre zum Bei¬ spiel gewesen, wenn 1945 das große Bünd¬ nis zwischen den Amerikanern und den Bussen nicht auseinandergebrochen wäre? Was wäre geschehen, wenn die Atom¬ bombe nicht abgeworfen worden wäre, über Japan? Es gibt da immer wieder histo¬ rische Gabelungen, an denen sich diese Frage stellen ließe. Tatsache ist aber: Es ist so gekommen, wie es gekommen ist - und damit müssen wir uns auseinandersetzen. Sie haben eine Affinität zum Common Sense. Heym: Das stimmt. Freut mich, daß Sie das bemerkt haben. Sie haben ja selbst Thomas Paine zitiert in Ihren Büchern. Das ist doch eine ungewöhn¬ liche Mischung: Man sollte meinen, daß einer, der so weit auf der linken Seite der Gesellschaft steht, für den Common Sense nichts übrig hat. Heym: Wieso? Nur mit Common Sense kön¬ nen Sie Dinge ändern. Sie können doch nicht mit Träumen herangehen an Ihre Sache. Sie müssen doch mit der realen Welt rechnen.

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Aber was ist denn der grundsätzliche Impetus des Sozialismus anderes als zunächst einmal: Ein Traum? Heym: Ich glaube, der richtige Sozialis¬ mus ist eine höchst vernünftige Angelegen¬ heit, an die man vernünftig, also mit Com¬ mon Sense, herangehen muss. Wer das nicht tut, gerät unweigerlich in eine fürch¬ terliche Klemme. Ein Mensch wie beispielsweise Bakunin wäre demnach ein Sozialist, der daran scheiterte, dass ihm der Common Sense fehlte? Heym: Also - ich will mich hier nicht zu Bakunin äußern. Das ist nun doch schon eine Weile her. Gut. Ich halte aber diese „Was-wäre-gewesen-wenn-Fragen“ dennoch für reizvoll. Weil sie einem für das nächste Mal, wenn man an eine solche historische Gabelung gerät, wie Sie das nannten, eine Hilfe sein können. Heym: Natürlich ist es notwendig, bei jet¬ zigen Entscheidungen in Betracht zu zie¬ hen, was vorher gewesen ist, um daraus Folgerungen zu ziehen. 1990 zum Beispiel hat man zu hastig gehandelt. Man war sehr gierig auf Bananen, auf Beisen und so wei¬ ter. Ich erinnere mich an eine Szene im Palast der Bepublik am Abend der ersten

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freien Wahl in der DDR, als die CDU ihren großen Wahlsieg errang. Otto Schily kam auf mich zu mit einer Banane in der Hand und sagte höhnisch: „Da sehen Sie: Das habt ihr gewählt!“. Er hat das ganz genau begriffen. Aber es wurden natürlich nicht nur Bananen gewählt, sondern auch andere Dinge. Es wurde wohl auch gegen etwas gewählt: Dagegen, daß es so weiter geht, wie es gegangen war. Heym: So ist es. Ich habe von Ihnen einmal etwas gelesen, über das ich mich geärgert habe: Sie bezeich¬ nten 1989 in einem Essay für den „Spiegel Ihre Mitbürger in der DDR als eine „Horde von Wütigen“, die bei Hertie auf die Jagd nach Tinnef ginge. Wie aber kann man, bild¬ lich gesprochen, einem Menschen, der nie gereist ist, sein Fernweh vorwerfen oder daß er geblendet ist vom Glanz des Goldes, wenn er Gold nie besaß?



Heym: Man hat mich ja dann auch sehr kritisiert für diesen Artikel. Ich muß aner¬ kennen, daß die Menschen an die Grabbel¬ tische geströmt sind, weil sie die vorher nicht gehabt haben. Aber das nun als das Vorbild zu bezeichnen, die Existenz von Grabbeltischen, das ist wohl nicht das allein Entscheidende. Es gibt auch noch

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andere Momente. Das habe ich damals gesagt. Es war eine sehr radikale Situation und ich habe mich sehr radikal geäußert dazu. Vielleicht wäre es für meine Bequem¬ lichkeit besser gewesen, wenn ich mich vorsichtiger ausgedrückt hätte. Aber ich hielt es für notwendig in der damaligen Lage, das so zu sagen wie ich es gesagt habe, und die Kerle im „Spiegel“ haben es auch mit großem Vergnügen abgedruckt, um mich ein paar Wochen später genau deswegen zu attackieren. Was haben Sie gedacht, als Sie die Nach¬ rufe auf Honecker gelesen haben? Heym: Ich habe es eigentlich bedauert, daß er gestorben war, denn ich hätte gern noch mal mit ihm geredet. Ich hatte sogar die Absicht, ihn zu interviewen. Schon Ulbricht hatte ich interviewen wollen nach seiner Absetzung, aber der ist mir dann auch weggestorben. Honecker hatte ja zunächst, nach seinem Machtantritt, dafür gesorgt, daß der „König-David-Bericht“, die „Schmähschrift“ und der „Lassalle“ in der DDR erscheinen konnten. Danach hat er seine Haltung geändert, weil politische Entwicklungen ihren Lauf genommen hat¬ ten, die ihm das Gefühl gaben, daß seine anfängliche Liberalität ein Fehler war. Die Menschen haben halt Widersprüche. Das interessiert mich. Darum hätte ich gern noch einmal mit ihm gesprochen.

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In Ihren Romanen sind meist Intellektuelle die Protagonisten: Schriftsteller, Revolu¬ tionäre, Journalisten. Heym: Das liegt daran, daß Menschen dieses Typs die Widersprüche stärker emp¬ finden und reflektieren. Das ist für mich als Schriftsteller viel nützlicher, als wenn ich mir Leute vornehmen würde, die nichts oder so gut wie nichts im Kopf haben. Ihr Kollege Plenzdorf hat einen ganz nor¬ malen jungen DDR-Rürger in den Mittel¬ punkt seines Werther gestellt. Heym: Ja, das hat ihn halt interessiert. Sie würde das nicht interessieren? Heym: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Es gibt da diese Geschichte von Michail Rulgakow, in dessen Moskauer Wohnung eines Tages das Telefon klingelte und am Apparat war Stalin, der Rulgakow die Aus¬ reise aus der UdSSR anbot. Daran mußte ich denken, als ich im „Nachruf die Szene las, als bei Stefan Heym das Telefon klingelte und Walter Ulbricht am Apparat war. Was waren das für Gefühle, wenn Sie den Menschen per¬ sönlich begegneten, die Ihren Traum... ‘

Heym: ... was dann passiert ist, habe ich ja beschrieben.

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Ja, die Unterredung bei Apfel und Butter¬ brot. Heym: Nicht nur Apfel und Butterbrot. Wir sind dann noch zusammen unterwegs gewesen, weil Ulbricht unter das Volk gehen wollte. Darüber habe ich später auch einen Artikel geschrieben. Aber was Sie nicht geschrieben haben: Wenn Sie mit diesen Menschen in Kontakt gekommen sind... Heym: ...und er hat mich ja auch nicht um Rat gefragt. Ich weiß auch nicht, ob ich ihm hätte Rat geben können. Welcher Politiker fragt schon Intellektuelle um Rat? Brandt vielleicht. Heym: Es fragt mich ja auch jetzt keiner um Rat. Würden Sie sich das denn wünschen? Heym: Nicht besonders. Dann wären Sie nämlich auch gleich in einer direkten Verantwortung, die Sie als Schriftsteller so nicht haben. Heym: Nein, nicht deshalb. Nur weil ich nicht allweise bin. Ich kann nur teilweise Rat geben.

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Teilweise statt allweise - schön. Eine Frage, die ich immer stelle, wenn ich mit Schriftstellern zusammen bin, weil ich mir nicht vorstellen kann, daß sie diese Frage nicht auch sehr beschäftigt: Was bleibt von der Arbeit, von der Arbeit des Stefan HeymP Heym: Die Bücher. Und wenn in den Büchern Menschen Vorkommen, in die der Leser sich hineinversetzen kann, dann werden sie auch ein langes Leben haben. Folgt noch eine uralte Frage: Was meinen Sie denn ist die Wirkung von Büchern? Es gibt einige wenige Beispiele von Romanen, die direkt gewirkt haben, Upton Sinclairs „Dschungel“ zum Beispiel, das in den USA dann Grund für ein Gesetz zur Fleischbe¬ schau war. Günter Grass ist angeblich stolz darauf, daß seine Blechtrommel den Aalum¬ satz beeinflusst hat. Heym: Ich werde Ihnen eine Geschichte erzählen zur direkten Wirkung des Wortes: Während des Krieges habe ich bei Radio Luxemburg psychological warfare ge¬ macht. Das Ende jeder Sendung bildete jeweils ein Witz für die Soldaten. Nach einer Weile gingen uns die Witze aus. Ich bat daher meine Kollegen, bei ihren Ver¬ hören von Wehrmachtssoldaten auch zu fragen, ob die Gefangenen nicht Witze wüßten. Was dabei herauskam war, daß die Gefangenen uns unsere eigenen Witze zu-

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rückerzählt haben. Das ist also ein eindeu¬ tiger Fall von direkter Wirkung des Wortes. Und eine zweite Geschichte von direkter Wirkung: Eines Tages wurde ich zum Chef der gesamten Gruppe der psychological warfare gerufen und gebeten, ein Flugblatt zu schreiben für die Insel Cezembre, einen von Deutschen gehaltenen Bunker mitten im Hafen von Saint-Malo, der dadurch für die Amerikaner nicht benutzbar war. Ich kam auf die Idee, einfach konzentrische Kreise zu malen, eine Zielscheibe also, und zu schreiben: „Ihr seid nichts anderes als eine Zielscheibe für unsere Flugzeuge. Es ist besser, ihr ergebt euch!“. Und tatsäch¬ lich haben sich die Soldaten ergeben. Der Effekt dieses Flugblattes war, daß die ame¬ rikanische Armee den Hafen von SaintMalo benutzen konnte. Hier haben Sie also die direkte Wirkung des Wortes. Es gibt auch in meinen Büchern Szenen, die direkt gewirkt haben. Was wäre denn so eine Szene? Wie hat sie gewirkt? Heym: Die Wirkung kam von der Seite des herrschenden Apparats her. Der hat angefangen, die Verbreitung meiner Bü¬ cher zu unterbinden. Jahrzehntelang. Das ist ja wohl eine direkte Wirkung. In der DDR waren meine Bücher das, was man als „Bückware“ bezeichnete. Das heißt, sie wurde unter dem Ladentisch verkauft. Sie

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waren, wie sagt man da, sehr in demand. Es gibt ein Buch dazu von einem norwegi¬ schen Professor mit dem Titel „Der dreißig¬ jährige Krieg um ein Buch“. Das ist eine Zusammenfassung der Geschichte der Unterdrückung meines Romans über die Ereignisse des 17. Juni 1953, der in der DDR drei Jahrzehnte lang nicht erscheinen durfte. Sie schrieben einmal von den Deutschen als „den anderen“. In der Szene des „Nach¬ rufs“, in der Sie beschreiben, wie Sie 1944 erstmals mit deutschen Kriegsgefangenen in Berührung kamen, ist eine große Entfrem¬ dung zu spüren. Sind die Deutschen „die anderen“ geblieben für Sie? Heym: Ich bin gegen nationale Vorurteile. Ich sehe den Menschen nicht als Deutschen oder Franzosen, sondern als Menschen. Es gibt natürlich Unterschiede in den Haltun¬ gen der verschiedenen Völker, aber das sind nicht die wichtigen Unterschiede. Die entscheidenden Unterschiede sind die zwi¬ schen den Klassen. Die sind viel größer als die zwischen den Völkern. Aber die gefan¬ genen Deutschen damals waren Feinde. Das waren Kriegsgefangene, die noch kurz zuvor auf uns geschossen hatten. Als ich später nach Berlin zurückkam, nicht als Soldat, sondern nachdem ich schon in die DDR übergesiedelt war, habe ich mich oft gefragt, ob der Mann, der neben mir in der

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S-Bahn saß, nicht womöglich meinen Onkel oder meine Tante umgebracht hat. Das wäre ja möglich gewesen. So ein Gefühl hatte ich. Mittlerweile hat sich das bei mir verloren. Aber manchmal stellte ich eben fest, daß der Kerl, mit dem ich redete, ein Nazi gewesen war. Manche sagten das ja auch ganz offen oder es kam im Laufe des Gesprächs heraus. Mir ist zum Beispiel der Holocaust erst deutlich geworden, nachdem ich in Czernowitz eine Woche lang mit Joseph Burg gesprochen habe, einem jüdischen Schrift¬ steller, der 1912 geboren wurde. Seither habe ich manchmal, wenn ich in Deutsch¬ land eine Straße entlang gehe, so ein merk¬ würdiges Gefiihl: „Das alles war HIEB!“ Heym: Ich habe auch so eine Art Dejä-vuErlebnis gehabt in Amerika, in Chicago, am Anfang meiner amerikanischen Zeit. Da fand eine Kriegsveteranenparade statt, an deren Spitze eine Gruppe uralter Männer in Uniform marschierte - Veteranen aus dem amerikanischen Bürgerkrieg. Plötzlich wurde der Bürgerkrieg, der mich immer interessiert hatte - ich habe später im Lenz ja auch geschrieben darüber - lebendig für mich: „Aha, das hat es also gegeben“. Haben Sie während Ihrer Emigrationszeit in Prag nie den Gedanken gehabt, statt nach Amerika in die Sowjetunion zu gehen?

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Heym: Wenn man mir das rechtzeitig offeriert hätte, wäre ich wahrscheinlich nach Moskau gegangen. Aber das Angebot kam dann aus Amerika, und ich bin froh, daß ich das gemacht habe. Amerika war eine entscheidende Erfahrung in meinem Leben. Tucholsky hat schon in den zwanziger und dreißiger Jahren Dinge über Stalin geschrie¬ ben, die nichts zu wünschen übrig ließen. Sie haben in Ihrer Kolumne „Offen gesagt Sta¬ lin noch 30 Jahre später gelobt. Haben Sie das, was Tucholsky geschrieben hatte, als nicht gültig empfunden? “

Heym: Ich habe über Stalin nie zu seinen Lebzeiten geschrieben, sondern erst nach seinem Tode, einen Nachruf, in dem ich versucht habe, seine historische Rolle dar¬ zustellen. Aber ich habe diesem Mann nie zugejubelt, als er noch lebte. Ich habe diese ganze Lobhudelei führenden Personen gegenüber in den Zeitungen generell für schlechten Geschmack gehalten. Haben Sie denn die Aussage im „Nachruf ‘, daß Hitler ohne Stalin nicht besiegt worden wäre, ernst gemeint? Heym: Das ist doch die Wahrheit. Es gibt viele Leute, die sagen, vielleicht habe die Sowjetunion trotz Stalin gewon-

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nen, trotz seiner miserablen strategischen Fähigkeiten, trotz der miserablen Art, in der seine Armee vorbereitet war, trotz der Tatsa¬ che, daß er sich nach Kriegsausbruch erst einmal wochenlang zurückgezogen hat. Heym: Schauen Sie: Genaues wissen Sie ebensowenig wie ich. Aber ich weiß, daß Stalin für die meisten russischen Soldaten eine Identifikationsfigur war. Es hat tat¬ sächlich Menschen gegeben, die mit dem Namen Stalin auf den Lippen gestorben sind. Ich glaube, daß es sicher russische Marschälle gegeben hat, die bessere Strate¬ gen waren als Stalin, aber er hat sie ja auch arbeiten lassen. Der größte Fehler von Sta¬ lin war, daß er seinen eigenen Leuten nicht geglaubt hat, den Geheimdienstberichten, die ihm das Angriffsdatum Hitlers genau voraussagten. Er hat Hitler für einen relativ ehrlichen Volksführer gehalten. Haben Sie eigentlich bei Ihren Reisen in die Sowjetunion Unterschiede bemerkt zwischen dem Sozialismus, wie er in der DDR prakti¬ ziert wurde und dem in der UdSSR? Heym: Mein erster Kontakt mit sowjeti¬ schen Menschen war meine Begegnung mit Redakteuren der „Täglichen Rund¬ schau“, der deutschen Zeitung, welche die Sowjetarmee in Berlin herausgab. Ich fand, das waren weltoffene, intelligente Leute. Als ich dann in die Sowjetunion kam, habe

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ich solche Leute gesucht und sie auch gefunden. Konstantin Fedin zum Beispiel. Ich war sehr offen für die Sowjetunion. Immer blieb mir im Gedächtnis, daß ohne die Millionen sowjetischer Menschen, die im Zweiten Krieg sich geopfert haben, der Hitlerismus gesiegt hätte. Zwar haben auch die Engländer und die amerikanische Armee einen großen Beitrag geleistet, aber die Hauptanstrengung kam von den Rus¬ sen. Das nahm mich natürlich sehr für sie ein. Gut, aber haben Sie in der Sowjetunion eine andere Atmosphäre bemerkt, ein ande¬ res Klima? Heym: Es war armseliger. Aber das gei¬ stige Klima war besser. Ich war mehrmals in der Sowjetunion, und immer waren die Russen interessierter an geistigen Dingen als die Durchschnittsdeutschen. Vielleicht lag das natürlich daran, daß ich nur mit gewissen Kreisen in Rußland zusammen¬ kam. Ich war aber einmal in einer Klinik in der sowjetischen Provinz und bin dort auch öfter außerhalb des Klinikgeländes spazie¬ ren gegangen. Dort habe ich mit gewöhnli¬ chen Menschen aus der Umgebung gespro¬ chen - und das Interesse an geistigen Dingen, auf das ich dabei traf, hat mich überrascht. Etwas von dieser russischen Haltung zur Literatur haben die Sowjets auch übertragen auf die DDR. Die Tatsa-

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che, daß man sich so interessiert hat für die Schriftsteller und ihre Arbeit in der DDR, diese Haltung Schriftstellern und Künstlern gegenüber, nicht nur seitens der Regie¬ rung, ist auch dem Einfluß der Sowjets zuzuschreiben. In gewisser Weise hat man Ihnen in der DDR eine Aufmerksamkeit geschenkt, von der ein Schriftsteller nur träumen kann. Heym: Außerordentlich schmeichelhaft. Als Schriftsteller wird man im Sozialismus sicherlich mehr geachtet. Ich stelle mir auch vor, daß ein Sozialismus der Zukunft den Schriftstellern mehr Achtung entge¬ genbringen wird als der Kapitalismus jetzt. Horst Janssen erzählte, er habe an jenem Morgen verstanden, daß er berühmt ist, als er aus dem Küchenfenster schaute und sah, wie die Männer von der Müllabfuhr seine Tonne durchsucht haben, ob da nicht eine weggeworfene Zeichnung von ihm drin sei. Heym: Unsere Mülleimer wurden auch durchsucht. Die Leute von der Stasi haben hier vor dem Zaun gestanden. Ein paarmal habe ich ihnen Kaffee rausgebracht. Wenn Sie früher von der DDR in die RRD reisten für Lesungen oder Ähnliches, was für einen Unterschied im geistigen Klima bemerkten Sie da? Läßt sich das erklären?

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Heym: Auch für meine Reisen nach West¬ deutschland gilt natürlich, daß ich meistens mit einem gewissen Typ Mensch zusam¬ menkam. Mit Verlegern, Journalisten, meinen Lesern, geistigen Leuten. Obwohl ich auch mit Arbeitern zusammentraf, denn ich habe für Gewerkschaften gesprochen. Die DDR wurde immer als der kleine Nachbar angesehen. Man wußte im Westen nur, was dort in der Presse erschien, und das war kein vollkommenes Rild. Aus meinen Büchern ließ sich etwas über die DDR erfahren, es gab auch einige fähige Korrespondenten, die sehr viel wu߬ ten und ein treffendes Bild vermittelten. Fritz Pleitgen zum Beispiel. Ein vollständi¬ ges Bild aber, mit all seiner Komplexität, das hat wohl im Westen kaum einer gehabt. Nun darf man auch nicht vergessen, daß man in der Bundesrepublik ohnehin nur daran interessiert war, ein ganz bestimm¬ tes Bild von der DDR zu zeigen. Das war kein echtes Bild, sondern eines mit Vorur¬ teilen. Die FAZ hat jetzt zum ersten Mal eine anständige Kritik über ein Buch von mir gebracht, was mich natürlich sehr gefreut hat, obwohl ich im allgemeinen nicht viel auf Kritiken gebe. Ich habe einmal mit dem Schriftsteller Hans Habe, der während des Krieges mein komman¬ dierender Offizier war, über Kritiken gesprochen. Habe sagte: „Heym, eine Kritik kann man nur nach zwei Gesichtspunkten beurteilen: Erstens - wie lang ist sie? Zwei-

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tens: Ist der Name richtig buchstabiert?“. An diesen Spruch habe ich mich seither gehalten. Sie meinen also, die Kritik interessiert Sie nicht? Wenn Marcel Reich-Ranicki Sie in sei¬ nen 600-seitigen Lebenserinnerungen nicht einmal erwähnt, läßt Sie das kalt? Heym: Hat er mich nicht erwähnt? Da sehen Sie, wie zuverlässig die Kritiker sind. Wenn er mich erwähnt hätte, hätte er mich sicher verrissen. Das wäre auch gut gewe¬ sen, denn ein guter Verriß ist nützlich. Aber so haben wir ein sehr kühles Verhältnis miteinander. Fühlen Sie sich vom Jahrhundert betrogen? Heym: Nein. Aber ich bedaure, daß die DDR auf diese schändliche Weise zugrunde gegangen ist. Ich habe versucht, Einfluß zu nehmen. Aber daß ich mich betrogen fühlte - wieso? Ich habe doch keine Ansprüche gehabt. Aber Sie hätten es sich ja einfacher machen können ohne Ihren Einsatz für ein System, das ohnehin das Jahrhundert nicht über¬ lebte. Heym: Ich hätte in Amerika bleiben kön¬ nen. Ich hätte wie andere überlaufen können zu den Kapitalisten und bekennen

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können, wir hätten vorher alles falsch ge¬ macht. Dann hätte man mich sicherlich einige Monate hochgejubelt. Aber ich finde, ich habe mich richtig verhalten. Haben Sie irgendwann einmal das Gefiihl gehabt in Ihrem Leben, richtig zu einer Gruppe dazuzugehören? Heym: Aber ja, natürlich. Zwar nicht einer besonderen politischen Gruppe, wohl aber einer Gruppe von Menschen, von Schriftstellern, von Kollegen in der DDR. Wir haben uns sehr gut verstanden, obwohl wir sehr verschieden waren. Es gab ja keine Schriftstellergruppe in der DDR, die gemeinsam politisch aufgetreten ist. Jeden¬ falls keine, an der ich beteiligt war. Sie fühlen sich also nicht von den Ereignis¬ sen um ein gewisses Quentchen Altersruhe gebracht, um die Gewissheit, daß die Idee, der Sie zugearbeitet haben, auch Erfolg hatte? Heym: Sie meinen, ich schlechtes Gewissen haben?

müßte

ein

Nein. Mich interessiert nur, wie Sie sich fühlen, als lebenslanger Advokat einer Idee, die sich nicht durchsetzen konnte. Heym: Natürlich frage ich mich manch¬ mal, ob alles umsonst war und warum alles

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so gekommen ist wie es kam. Das sind auch meine Fragen, das ist eines meiner literari¬ schen Themen. Man könnte das in das Bild eines Fußball¬ spiels kleiden, jede Minute ein Jahr. Erste Halbzeit: Ihre Mannschaft liegt knapp vorn. Nach der neunzigsten Minute: Leider knapp verloren. Heym: Ach so? Hm. Na ja. So genau sind die Parallelen denn wohl doch nicht. Die Mannschaften waren ja sehr verschieden¬ artig zusammengesetzt. Mit den Dok¬ trinären in meiner Mannschaft habe ich nicht sehr gut zusammengespielt und die nicht mit mir. Sie waren ein Außenseiter im eigenen Team. Heym: So ungefähr kann man das wohl sagen. Ja.

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Biografisches über Stefan Heym Stefan Heym wurde, behauptet er, auf dem Prager Hauptpostamt geboren, und zwar in der Nacht vom 12. auf den 13. März 1933 gegen zwei Uhr. Damals soll der junge Chemnitzer Schriftsteller Helmut Flieg nach seiner Flucht aus Deutschland dort in der Schalterhalle eine Karte an seine Eltern geschrieben haben - des Inhalts, daß er gut angekommen sei, sich den Umständen ent¬ sprechend wohl befinde, aber dringend Nachricht erwarte, Antwort poste restante an Stefan Heym, Prag. Einen Helmut Flieg durfte es nicht mehr geben, weil das die Empfänger des Briefes gefährdet hätte. Helmut Flieg nämlich, geboren zwanzig Jahre vor Stefan Heym, am 10. April 1913 in Chemnitz, hatte als Gymnasiast in einer Uokalzeitung ein Gedicht veröffentlicht, das die einen als „antimilitaristisch“, die anderen als „vaterlandsverräterisch“ ansa¬ hen. Aus dem Gedicht wurde ein lokaler Skandal, Heym mußte seine Schule, seine Stadt und schließlich, als „die anderen“ an die Macht kamen, auch sein Uand verlas¬ sen. In Prag fand der aus der Not Neugebo¬ rene, der in Deutschland auch für die „Weltbühne“ geschrieben hatte, schnell Freunde und Förderer - Karel Capek zum Beispiel. Heym schrieb Reportagen und Feuilletons für deutsche Zeitungen und tat das, was man „sich durchschlagen“ nennt.

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Zwei Jahre später siedelte er, in vorausei¬ lender Vorsicht vor den zu erwartenden Entwicklungen, in die Vereinigten Staaten über. Dort war er zunächst Student an der University of Chicago (seine Magisterar¬ beit: „Atta Troll, Versuch einer Analyse“, soll Heines Glauben an die soziale Revolu¬ tion beweisen) und später, von 1937 bis 1939, Chefredakteur der stets scharf am Rande des Bankrotts entlangschlingernden New Yorker Wochenzeitung „Deutsches Volksecho“, in der „die Wahrheit über Deutschland, unsere in Ketten gelegte Hei¬ mat“ zu finden sein sollte, wie Heym schrieb. Im Jahr 1942 erschien dann „Hostages“, sein erster Roman. Die „Times“ lobte ihn als den besten des Jahres, die wichtigen Tageszeitungen des Landes urteilten ähnlich, „Hostages“ wurde in Amerika zum Bestseller und zum erfolg¬ reichsten deutschen Exilroman überhaupt, verfilmt von Hollywood und als Tornister¬ ausgabe in einer Riesenauflage für Gis gedruckt. Gänzlich ungeteilt war das Lob jedoch nicht: „Las in Heyms «Hostages»“, schrieb ein anderer deutscher Exilschrift¬ steller am 20. Oktober 1942 in sein Tage¬ buch und weiter: „Unzuträglich. Gefühl von Illegimität und unlauterem Wettbewerb“. Es war Thomas Mann. Als Sergeant für psychologische Krieg¬ führung nahm der nunmehr bekannte Autor an der Invasion der Normandie teil, als vom McCarthyism Verfolgter gab er

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1952 seine militärischen Auszeichnungen zurück und siedelte nach Ost-Berlin über, wo er, der sich stets als „kritischen Marxi¬ sten“ sah, bald mit den dort herrschenden Marxisten aneinandergeriet. Trotz seiner häufigen und deutlichen Kritik an ihr hat er die DDR immer verteidigt. Sein Ruf als „Weltautor“, auf den er sich gern beruft, und später als „bekannteste Unperson der DDR“, wie der „Spiegel“ ihn nannte, schützte ihn bei seinen Kritteleien gegen die Mißstände seiner Wahlheimat vor den Konsequenzen, die deren weniger bekannte Kritiker zu gewärtigen hatten. Bei den Wahlen zum Bundestag 1994 kandidierte Heym im Wahlkreis Berlin Mitte als parteiloser Kandidat für die PDS und setzte sich gegen Wolfgang Thierse durch. Als ältester Abgeordneter und damit Alterspräsident des Hauses eröffnete er dessen konstituierende Sitzung mit einer vielbeachteten, gleichwohl zurückhalten¬ den Rede, der die Fraktion der CDU-CSU, mit Ausnahme der Abgeordneten Süssmuth, ihren Beifall versagte. Heym lebt in Berlin.

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Verzeichnis lieferbarer Titel von Stefan Heym Ahasver Die Architekten Auf Sand gebaut Die Augen der Vernunft Der bittere Lorbeer Collin Einmischung Der Fall Glasenapp Fünf Tage im Juni Immer sind die Weiber weg Der König David Bericht Lassalle Lenz oder die Freiheit Nachruf Pargfrider Radek Beden an den Feind Schwarzenberg Der Winter unseres Mißvergnügens Zeugen des Jahrhunderts

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Der Autor Michael Martens Für den Journalisten Michael Martens ist ein Interview mehr als Berufsausübung. Seinen „Gesprächen über die Zeit“ gehen monate¬ lange Vorbereitungen voraus, weshalb sie sich wohltuend von dem üblichen FrageAntwort-Spiel unterscheiden, das der Zei¬ tungsleser sonst unter der Rubrik „Interview“ zu lesen bekommt. Sie sind von vornherein nicht für Tageszeitungen konzipiert, das zeigt schon der Duktus der Gesprächs¬ führung, der nicht auf Skandale und schnelle Sensationen spekuliert. Weil Michael Mar¬ tens dennoch „bei der Sache“ bleibt und beharrlich nachfragen kann, wenn die Ant¬ worten zu Umschweifen werden, sind die Gespräche kleine Biografien der Intervie¬ wten, die sie abseits der Tageshektik in einem ungewohnten Licht zeigen. Michael Martens wuirde am 24. April 1973 in Hamburg geboren. Von 1995 bis Mitte 1997 lebte er als Journalist in Zentralasien, danach in Kiew/ Ukraine. Seit Anfang 1999 war er in St. Petersburg/Bußland tätig. Er unternahm ausführliche Beisen, insbesondere nach Afghanistan, Pakistan, China, Tadschikistan, Usbekistan, Kasachstan und Kirgisien, zuletzt nach Tartastan und Karelien. Seine Reporta¬ gen, Feuilletons, Interviews und Buchbespre¬ chungen wurden in zahlreichen bekannten Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland, Österreich und der Schweiz veröffentlicht. Heute ist er Redakteur im politischen Ressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Gespräche über die Zeit von Michael Martens Es liegen weiter vor: Tschingis Aitmatow: Mein Lebensziel ist das Schaffen. Christo und Jeanne-Claude: Ist Kunst unsterblich? Günter Grass: Ich werde die Wunde offen halten. Friedensreich Hundertwasser: Ohne Lüge können wir nicht existieren. Dieter Hildebrandt: Ich möchte keine tragische Figur sein

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Für den Journalisten Michael Martens ist ein Interview mehr als Berufsausübung. Jeder der Befragten bedeutet ihm persönlich etwas. Jedem „Gespräch über die Zeit“ gehen monate¬ lange Vorbereitungen voraus. Deshalb sind die Gespräche, zusammen mit den sie ergänzen¬ den Erläuterungen, kleine Biografien der Inter¬ viewten. In diesem Buch äußert sich Stefan Heym über den Untergang der DDB, Begegnungen mit Walter Ulbricht und Erich Honecker, die Fehl¬ entwicklung des Sozialismus und über seine Gefühle als Advokat einer Idee, die am 20. Jahr¬ hundert scheiterte. Ergänzt wird der Interviewtext durch Schilderungei "tefan Heym £rnst Iitel:Es gibt Ideen, die Jahrt Jünge urch Autor:Martens, Michael ein Ve Art.:40Ö678 ISBN:3-928788-38Acquisitions Department, Pete KdNr.:676610 Auf.Nr.:117255 Lief.:12830, 770218 24.11.2003 8,60 A03-2127 / 2003 APT Versand:P0ST

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