Erwachsenenbildung und Migration: Internationale Kontexte und historische Bezüge [1. Aufl.] 978-3-658-26862-6;978-3-658-26863-3

Die Beiträgerinnen und Beiträger dieses Sammelbandes untersuchen Migrationsbewegungen als Lern- und Bildungsanlässe. Es

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German Pages XI, 215 [221] Year 2020

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Erwachsenenbildung und Migration: Internationale Kontexte und historische Bezüge [1. Aufl.]
 978-3-658-26862-6;978-3-658-26863-3

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XI
Einleitung der Herausgeberin (Tetyana Kloubert)....Pages 1-10
Front Matter ....Pages 11-11
Emigration und Remigration im Blickpunkt der Erwachsenenbildung (Martha Friedenthal-Haase)....Pages 13-32
A Trade is a Refugee’s Passport (Julia Devlin)....Pages 33-44
Spirituelle Bedürfnisse und die Lebenszufriedenheit von Flüchtlingen (Janusz Surzykiewicz, Kathrin Maier)....Pages 45-76
Möglichkeiten und Grenzen Transformativen Lernens im Kontext von Flucht- und Migrationserfahrungen (Saskia Eschenbacher)....Pages 77-91
Lernmotivation im Kontext kultureller Vielfalt (Elisabeth Beck)....Pages 93-114
Democracy Education in the Context of German “Orientation Courses” for Migrants (Tetyana Kloubert)....Pages 115-132
Medien und digitale Plattformen in der Migrationsgesellschaft (Klaus-Dieter Altmeppen)....Pages 133-151
Immigration, Integration, and “National Culture” (Lionel McPherson, Travis Quigley)....Pages 153-168
Front Matter ....Pages 169-169
Die Transformation des polnischen Hochschulwesens im Kontext der Migration (Dorota Gierszewski)....Pages 171-182
Migration als Chance und Herausforderung für die Erwachsenenbildung in der Ukraine (Iryna Petriuk)....Pages 183-198
Front Matter ....Pages 199-199
Bildung und Ausbildung im Rahmen der Betreuung von Flüchtlingen (Stefan Wagner)....Pages 201-215

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Tetyana Kloubert Hrsg.

Erwachsenenbildung und Migration Internationale Kontexte und historische Bezüge

Erwachsenenbildung und Migration

Tetyana Kloubert (Hrsg.)

Erwachsenenbildung und Migration Internationale Kontexte und historische Bezüge

Hrsg. Tetyana Kloubert Erwachsenenbildung und Außerschulische Jugendbildung Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt Eichstätt, Deutschland

ISBN 978-3-658-26863-3  (eBook) ISBN 978-3-658-26862-6 https://doi.org/10.1007/978-3-658-26863-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Inhalt

Einleitung der Herausgeberin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Tetyana Kloubert I

Interdisziplinäre Zugänge zum Thema

Emigration und Remigration im Blickpunkt der Erwachsenenbildung. Ein biographischer Zugang zu einem aktuellen Fachgebiet und seiner Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Martha Friedenthal-Haase A Trade is a Refugee’s Passport. Erwachsenenbildung für jüdische Displaced Persons in Bayern in der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Julia Devlin Spirituelle Bedürfnisse und die Lebenszufriedenheit von Flüchtlingen . . . . . . 45 Janusz Surzykiewicz und Kathrin Maier Möglichkeiten und Grenzen Transformativen Lernens im Kontext von Flucht- und Migrationserfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Saskia Eschenbacher Lernmotivation im Kontext kultureller Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Elisabeth Beck

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Inhalt

Democracy Education in the Context of German “Orientation Courses” for Migrants . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Tetyana Kloubert Medien und digitale Plattformen in der Migrationsgesellschaft. Zu den Strukturen öffentlicher Kommunikation über Flucht und Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Klaus-Dieter Altmeppen Immigration, Integration, and “National Culture” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Lionel McPherson and Travis Quigley II Internationale Perspektiven und Herausforderungen Die Transformation des polnischen Hochschulwesens im Kontext der Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Dorota Gierszewski Migration als Chance und Herausforderung für die Erwachsenenbildung in der Ukraine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Iryna Petriuk III Praktische Beispiele Bildung und Ausbildung im Rahmen der Betreuung von Flüchtlingen. Konzepte und Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Stefan Wagner

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Prof. Dr. Klaus-Dieter Altmeppen Prof. Dr. Klaus-Dieter Altmeppen, geboren 1956, ist Hochschullehrer an der journalistischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Er ist Co-Leiter des Zentrums für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft und leitet das Zentrum Flucht und Migration der KU. Von 2010 bis 2014 war er Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Er ist Mitglied des Kleinen Konvents der Schader-Stiftung und derzeit dessen Sprecher. Er beschäftigt sich in der Forschung mit Verantwortungskommunikation, Medien- und Digitalethik, Öffentlichkeit und Medienökonomie und -management. Elisabeth Beck, M. A. Elisabeth Beck ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU). Zuvor arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Pädagogik mit Schwerpunkt Erwachsenen- und Weiterbildung und der Professur für Pädagogik mit Schwerpunkt Vergleichende Bildungsforschung an der Universität Augsburg (und als Koordinatorin von Bildungsangeboten für neu zugewanderte Migrantinnen und Migranten). Seit 2018 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum Flucht und Migration der KU. Schwerpunkte in ihrer Forschung und Lehre sind Bildung im Rahmen von Migration und Flucht, Holocaust Education in der Migrationsgesellschaft sowie Didaktik und Methodik im Kontext von Heterogenität. Dr. Julia Devlin Dr. Julia Devlin ist Historikerin mit Schwerpunkt auf Migrationsforschung und seit 2017 Geschäftsführerin des Zentrums Flucht und Migration an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Zu ihren Forschungsinteressen gehören die MigraVII

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

tionsgeschichte Ost- und Ostmitteleuropas, Gewaltmigration im Zweiten Weltkrieg und Kriegsfolgewanderungen, Biographieforschung und Erinnerungskultur in der Diaspora. Sie studierte die Geschichte Ost- und Südosteuropas, Neuere und Neueste Geschichte, Kunstgeschichte und Slavistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, an der School of Slavonic and East European Studies London und an der Moskovskij Linguističeskij Universitet Moskau. Sie lehrte und forschte am Ost-Europa-Institut München und an der Ludwig-Maximilian-Universität München. Dr. Saskia Eschenbacher Dr. phil. Saskia Eschenbacher war wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Erwachsenenbildung der Universität Augsburg sowie der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Als Gastwissenschaftlerin hat sie mehrfach u.a. an der New York University (NYU) in den USA geforscht. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich des Transformativen Lernens (Transformative Learning Theory) mit Anknüpfungspunkten an Systemische Ansätze und an die Friedens- und Konfliktforschung. Als Dozentin und Trainerin im Bereich Erwachsenen- und Weiterbildung ist sie international tätig (z.B. für DVV International in Osteuropa). Als systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin (SG) arbeitet sie in einer freien Praxis – unter anderem auch mit Geflüchteten und Überlebenden von Folter. Prof. em. Dr. Martha Friedenthal-Haase Prof. em. Dr. Martha Friedenthal-Haase wurde 1942 in Lutherstadt Wittenberg geboren. Seit der Kindheit hat sie prägende Beziehungen zu emigrierten Verwandten in London. Sie widmete ihr Studium der Politikwissenschaft, der Soziologie, der Neueren Geschichte, zeitweise der Rechtswissenschaft und der Publizistik an der Freien Universität Berlin sowie der Universität Heidelberg. An der FU Berlin wurde sie zur Diplom-Politologin. Es folgte ein Forschungsaufenthalt an der London School of Economics. Die Promotion erfolgte an der Technischen Universität Hannover. Sie ist Assessorin für den höheren Dienst an wiss. Bibliotheken. Daneben hat sie Berufserfahrung in verschiedenen kulturellen Feldern. Ihre Habilitation fand an der Universität Tübingen statt, Danach war sie von 1992 bis 2007 Professorin für Erwachsenenbildung Friedrich-Schiller-Universität Jena. Von 2007 bis 2016 übte sie in Boston, MA, USA eine Lehrtätigkeit an der Boston University aus. Ihre Publikationen sind auf den Gebieten Geschichte und Theorie der Erwachsenenbildung. Jetzt wohnt sie im Ruhestand in Kleinmachnow bei Berlin.

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

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Dr. habil. Dorota Gierszewski Dorota Gierszewski ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung an der Jagiellonen-Universität in Krakau. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind die Zivilgesellschaft, die politische Erwachsenenbildung, der Non-Profit-Sektor sowie die international-vergleichende Erwachsenenbildung in kulturellen Kontexten. Daneben übt sie Gutachtertätigkeiten für verschiedene erziehungs- bzw. sozialwissenschaftliche Zeitschriften aus und ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat verschiedener Nonprofit-Organisationen. Ihre neusten Publikationen sind: Edukacja obywatelska w przestrzeni lokalnej (Politische Bildung in lokalen Umfeld) (2017); Bobrowska, Ewa/Gierszewski, Dorota/Kluzowicz, Julia (Hgg.): Civic Education in the Context of Migration (2018). Prof. Dr. Tetyana Kloubert Tetyana Kloubert ist Vertretungsprofessorin für Erwachsenenbildung und Außerschulische Jugendbildung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt sowie akademische Rätin an der Universität Augsburg, an der sie im Jahr 2013 zum Thema „Aufarbeitung der Vergangenheit in Ost- und Mitteleuropa“ promovierte. Nach ihrem Studium in der Ukraine und in Deutschland forscht sie zu Fragen der Migration, der politischen Bildung (und der Indoktrination) in Osteuropa, Westeuropa und den Vereinigten Staaten. Als Gastwissenschaftlerin forschte sie an diversen US-amerikanischen Universitäten (Harvard University, Tufts University). Seit 2015 organisiert sie zusammen mit US-amerikanischen Kollegen jährlich das Summer Institute of Civic Studies, das sich auf die Frage fokussiert, wie Bürger*innen als Mitgestalter*innen ihrer Welten unterstützt werden können (besonders im Kontext der Entwicklungen in Ost- und Westeuropa). Prof. Dr., Dipl. Psych., Dipl. Päd. Kathrin Maier Kathrin Maier ist Professorin für Pädagogische Psychologie in der Sozialen Arbeit an der Katholischen Stiftungshochschule München. Sie ist diplomierte Psychologin und Pädagogin und promovierte in der angewandten Kognitionspsychologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich sozial-emotionaler Kompetenzförderung von Kindern und Jugendlichen unter besonderer Berücksichtigung von Flucht- und Migrationskontexten sowie in der Erforschung von Einfluss- und Wirkfaktoren auf subjektives Wohlbefinden in der Gesundheitsförderung und im Bereich der beruflichen Adaptabilität. Ihr besonderer Fokus liegt hierbei auf der Bedeutung spiritueller und positiv-psychologischer Ressourcen. In ihren Forschungsaktivitäten ist sie international und interdisziplinär vernetzt. Ein wichtiges Anliegen ist ihr zudem die forschungsbegleitende IX

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Praxisentwicklung in der Sozialen Arbeit, im Rahmen dessen sie verschiedene Förderprojekte etablierte. Prof. Dr. Lionel McPherson Lionel K. McPherson ist ein Professor der Philosophie an der Tufts University in Massachusetts. Er wurde an der Harvard University promoviert. Unter seinen Publikationen, die sich mit sozialer und politischer Philosophie sowie der Ethikund Morallehre befassen, sind besonders die Aufsätze „Deflating ‚Race‘“ (Journal of the American Philosophical Association), „Is Terrorism Distinctively Wrong?“ (Ethics) und „Normativity and the Rejection of Rationalism“ (Journal of Philosophy) zu nennen. Derzeit arbeitet er am Buch „The Afterlife of Race“, das sich mit der Rassenidentität und politischer Solidarität befasst. Prof. Dr. Iryna Petriuk Iryna Petriuk ist seit 2007 Inhaberin des Lehrstuhls für Pädagogik und Soziale Arbeit an der Universität Tscherniwzi/Czernowitz. Sie studierte Grundschulpädagogik und Volkskunde in Tscherniwzi/Czernowitz und promovierte 1998 zum Thema „Die Entwicklung der allgemeinen Sekundarbildung in der Bukowina (1775-1918)“. Seit 2008 sie leitet zusammen mit der Katholischen Hochschule Freiburg internationale Forschungsprojekte im Bereich der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik. Gemeinsam mit den Kolleg*innen von der Universität Augsburg und KU Eichstätt-Ingolstadt führte sie ukrainisch-deutsche Projekte „Erwachsenenbildung für Demokratie in der Ukraine“ (2016), „Auf dem Weg zur Einführung der Vertiefungsrichtung „Erwachsenenbildung in der Ukraine“ (2017-2018) sowie „Zentrum für Erwachsenenbildung im Dorf Woloka als Ort des Demokratielernens in der Ukraine“ (2018) durch. Travis Quigley, M. A. Travis Quigley erhielt seinen „Master of Arts“-Abschluss im Fach Philosophie an der Tufts University in Massachusetts. Derzeit promoviert er im Bereich Philosophie an der Universität von Arizona. Die Schwerpunkte seiner Forschung liegen in der Moralphilosophie und der politischen Philosophie. Prof. Dr. phil. habil. Dr. theol. Janusz Surzykiewicz Janusz Surzykiewicz ist promovierter Theologe in Christlicher Spiritualität (Päpstliche Universität Gregoriana) und promovierter Pädagoge (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt). Er habilitierte in den Humanwissenschaften, Schwerpunkt Pädagogik, an der Universität Warschau. Zusätzliche studierte er Psychologie in

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

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Italien und den USA. Als Professor für Sozialpädagogik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt ist seine Forschung fächerübergreifend, interdisziplinär und transnational ausgerichtet sowie an einem regen Austausch zwischen Theorie und praktischer Anwendung orientiert. Seine Forschungsinteressen konzentrieren sich auf die ressourcenorientierte Prävention sowie die Intervention von Problemverhalten bei Kindern und Jugendlichen, Work-Life-Balance und das Wohlbefinden von Arbeitnehmer*innen, religionspsychologische Aspekte der sozialen Inklusion sowie Spiritualität und spirituelle Bedürfnisse in der Gesundheitsförderung wie auch in der Flüchtlingsarbeit. Mehrere internationale Kooperationen und Projekte sowie Mitgliedschaften in internationalen Arbeitsgruppen und Gremien tragen zu seinem wissenschaftlichen Wirken wesentlich bei. Auch agiert er als Lehrtrainer und Coach in den internationalen Coaching-Verbänden ICI und EASC sowie in der Gemeindeseelsorge. Stefan Wagner Stefan Wagner ist gebürtiger Österreicher. Nach einem begonnenen Studium der Theologie in Wien kam er zum weiteren Studium der Sozialpädagogik nach Bayern. Nach dem Abschluss arbeitet er seit 1999 beim Landes-Caritasverband und ist für den Fachbereich der Migration und Integration zuständig. Ausbildungen zum Auditor, aber auch zum Mediator beim BMWA ergänzen das berufliche Portfolio. Fortbildungsangebote für die Migratonsberater*innen etwa in Case-Management oder Einführungstage für neue Kolleg*innen führen ihn immer wieder nah an den Puls der Zeit.

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Einleitung der Herausgeberin Tetyana Kloubert

Fatin Abbas, eine Schriftstellerin und Journalistin, die als Kind aus dem Sudan floh und jetzt in den USA und in Deutschland lebt, veröffentlichte in der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 14.03.2018 einen Artikel über ihre Migrationserfahrung, dem sie den Titel „Niemals eine Bürgerin“ gab. Sie erklärte den Titel mit ihren eigenen Erfahrungen sowie mit denen ihres persönlichen Umfeldes: „Viele meiner deutschen Freunde mit Migrationshintergrund sagen, dass, egal wie lange sie oder ihre Eltern im Land leben, egal wie gut sie die Sprache sprechen, egal wie produktiv sie in der Gesellschaft sind: Sie werden nicht als gleichberechtigte Bürger angesehen oder behandelt“ (Abbas 2018). Dieses Beispiel kann stellvertretend für eine Diskussion darüber stehen, wann nun Integration als gelungen erachtet werden kann. Bedeutet eine gelungene Integration eine sprachliche und kulturelle Kompetenz sowie Integration in den Arbeitsmarkt oder erfordert sie auch eine gleichberechtigte Partizipation im öffentlichen Raum? Des Weiteren deutet dieses Beispiel auf die Fragen nach Kriterien der Anerkennung, Identitätsbildung und gelungenen Lebensführung, schließlich auch auf die Frage nach der Notwendigkeit einer begleitenden lebenslangen Bildung in einer heterogenen Gesellschaft hin. Die genannten Aspekte verdeutlichen den Zusammenhang zwischen Migration und Lernen – bezogen auf die ganze Gesellschaft. Laut Pickel bedeutet Migration nämlich „die gleichzeitige Aufgabe für die Migranten und die Einwanderungsgesellschaft, eine nun neue Gemeinschaft zu schaffen. Dies impliziert die Inklusion ihrer Mitglieder als gleichwertige Gemeinschaftsmitglieder“ (Pickel/Pickel 2018, S. 301). Wenn es um Integration und den Zusammenhalt in einer heterogenen Gesellschaft geht, wird Bildungsarbeit dementsprechend auf lebenslange Bildung angelegt sein müssen, die sich als Persönlichkeits-, Menschenrechts- und Demokratiebildung den Fragen der Lebensbewältigung und des Miteinanders in heterogenen Gesellschaften gewachsen zeigt. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Kloubert (Hrsg.), Erwachsenenbildung und Migration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26863-3_1

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Tetyana Kloubert

Die neuen, globalen Migrationsbewegungen zwingen die Bildungswissenschaften, sich auf die Suche nach Wegen des Lernens sowie neuen Konzepten und Modellen für gesellschaftliche Verständigung zu begeben. Lernen im Zusammenhang mit Migration stellt offensichtlich hohe Anforderungen an menschliche Interaktionen und an eine Wissenschaft von Bildung und Erziehung. Oltmer stellt fest: „Gegenwart und Zukunft Deutschlands, Europas und der Welt lassen sich mithin nur unter Berücksichtigung des Wandels der Migrationsverhältnisse zureichend beschreiben“ (Oltmer 2017, S. 8). Migration wird dabei definiert als „[r]äumliche Bewegungen von Menschen, die weitreichende Konsequenzen für die Lebensverläufe der Wandernden haben und aus denen sozialer Wandel resultiert. Meist [ist sie] verbunden mit einem längerfristigen Aufenthalt andernorts und als Verlagerung des Lebensmittelpunktes von Individuen, Familien und Kollektiven angelegt“ (ebd., S. 21). Weltweit werden Migrationsverhältnisse zur kennzeichnenden Signatur sozialer, kultureller und politischer Systeme. Dies hat sowohl für die Lebensverläufe der Wandernden als auch für den sozialen Wandel in den betroffenen Gesellschaften Konsequenzen (vgl. ebd., S. 8; 21). Dieser Band versammelt Beiträge aus einer gleichnamigen Ringvorlesung, veranstaltet von der Professur für Erwachsenenbildung und Außerschulischen Jugendbildung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt im Sommersemester 2018. Im Mittelpunkt stehen Migrationsbewegungen als Lern- und Bildungsanlässe. Dabei geht es um die deutsche Migrationsgeschichte, internationale Erfahrungen und aktuelle Herausforderungen, sodass Migration sowohl in einen historischen und als auch einen vergleichenden Kontext eingeordnet wird. Migration wird als (individueller) Lernanlass und (gesellschaftliche) Bildungsanforderung verstanden und dabei als Herausforderung für Einrichtungen und Strukturen der formellen und informellen Erwachsenen- und Weiterbildung betrachtet. In den Blick genommen werden Konzepte des (pädagogischen) Umgangs mit migrationsbedingter gesellschaftlicher Heterogenität. Ein übergreifendes Ziel ist es, durch Problemerörterung einen konzeptionellen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration von Migrantinnen und Migranten zu leisten. Ursachen und Auslöser von Migration können unterschiedlich sein: Krieg, Armut, Verfolgung, Gewalt, aber auch vielfältige Motive sozialer, politischer, religiöser oder persönlicher Natur wirken sich aus. Die Erfahrung von Migration geht oft einher mit starken Emotionen wie Hoffnungen und Enttäuschungen, Orientierungslosigkeit und Ohnmachtsgefühlen, Angst und Aussichtslosigkeit. Migration ist zudem mit biographischen Krisen und Wendepunkten verknüpft und stellt in unterschiedlicher Hinsicht einen Bildungsanlass für Menschen aller Lebensalter dar; für den Menschen im Erwachsenenalter ist sie zudem unausweichlich mit dem Zwang umzulernen verbunden. Eine Begleiterscheinung der Migration kann

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Verlust von Halt und gewohnten Deutungsmustern sein; Bildung kann in dieser Situation in unterschiedlicher Hinsicht haltgebend sein. Denn es ist gerade das Ziel der Erwachsenenbildung, die „Fähigkeit des einzelnen zu individuellem und gesellschaftlichem Leben“ (Deutscher Bildungsrat 1970, S. 29) zu fördern. Neben den organisierten Formen der Bildung (im Rahmen von Integrationskursen, Beratungsangeboten, Aus- und Fortbildungsveranstaltungen) sind es auch Formen der Selbstbildung durch Bewältigung der neuen Alltagssituationen, durch persönliche Begegnungen oder durch die Medien. Je nach individuellen Erfahrungen, Interessenlagen und Motiven wird Migration mit positiver Dynamik oder mit negativen Erlebnissen in Verbindung gebracht und kann unterschiedliche Bildungsbedürfnisse auslösen oder auch Lernbarrieren verursachen. Ob Bildung im Kontext der Migration als hoffnungsgebend und perspektiveneröffnend oder als oktroyiert und belastend empfunden wird, hängt von den subjektiven Konstellationen und objektiven Situationsbedingungen ab. Erwachsenenbildung kann diesen Prozess auf unterschiedliche Weisen professionell begleiten und somit nicht nur zur persönlichen Krisenbewältigung und sozialen Integration, sondern auch zu gesellschaftlichem Zusammenhalt und kultureller Erneuerung beitragen. Wenn Bildung als Hilfe zur Integration verstanden wird, so darf sie nicht auf Effizienz und Ertrag reduziert werden. Eine lebenslange Bildungsarbeit, die sich an den Menschen als freie Persönlichkeit richtet, sollte vielmehr die Möglichkeiten einer wahren Begegnung in einem freien Raum schaffen, um die Fähigkeit zur vernunftbasierten Auseinandersetzung mit Meinungen und Argumenten zu unterstützen, wobei der Dissens nicht nur „ausgehalten“, sondern produktiv verarbeitet werden muss. Eine so verstandene Bildung dient also einer geistigen Anregung und Bestärkung im Prozess der eigenverantwortlichen Orientierung mit dem Anspruch der tiefergehenden undogmatischen Persönlichkeitsbildung. Der Erfolg einer so verstandenen Bildung hängt folglich mit der Sicherung und Gestaltung von Bildungsräumen unterschiedlicher Art zusammen, in denen das Reflektieren, Artikulieren, Überprüfen und Korrigieren von Auffassungen und Deutungsmustern ungehindert vollzogen werden kann. Es gilt dabei, den anderen Menschen als gleichwertig zu respektieren sowie seine Anliegen, Ansichten und Urteile als erwägungswert zu betrachten, insbesondere bei Meinungsverschiedenheiten. Es ist eine bedeutende Aufgabe in der Bildungsarbeit, sich mit verschiedenen Perspektiven auseinanderzusetzen, auch wenn diese zunächst abwegig erscheinen. Die Bildungsarbeit unterliegt somit einer ethischen Verpflichtung, einer „Wendung zum Subjekt“ hin, um an dieser Stelle Adornos Worte zu verwenden. Sobald sich das Subjekt hinter den pädagogischen Bemühungen in eine zu formende Größe verwandelt, geht die Bildungsidee der Mündigkeit verloren.

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Tetyana Kloubert

In einer heterogenen, multinationalen Gesellschaft gilt es, die Idee der Bildung mit der persönlichen Entwicklung wie auch mit Möglichkeiten zur Teilhabe an unterschiedlichen öffentlichen Räumen in Verbindung zu bringen. Nur so können das Fortbestehen und die Entwicklung der Demokratie gefördert werden. Derartige Bildungsangebote, die sich auf unterschiedliche Lebensphasen beziehen müssen, stellen eine notwendige Voraussetzung für eine gleichberechtigte Mitgliedschaft in einer (politischen) Gemeinschaft dar. Der Maßstab für das Gelingen einer solchen Bildung muss dann so angelegt werden, dass Menschen hinsichtlich ihrer Rolle als Akteure in einer Demokratie für die Wahrnehmung ihrer Rechte und auch ihrer Pflichten als Bürgerinnen und Bürger auf unterschiedlichen Ebenen hinreichend qualifiziert werden können. Eine Demokratie stellt erhebliche Anforderungen einerseits an jede Bürgerin und jeden Bürger, andererseits auch an den Staat. Eine individuelle Beteiligung an zivilgesellschaftlichen Entscheidungen erfordert ein breites Verständnis der wirtschaftlichen und politischen Strukturen und Fähigkeiten für das individuelle Denken. Der demokratische Staat ist daher verpflichtet, jeder Bürgerin und jedem Bürger die Voraussetzungen für die Erfüllung dieser Anforderungen zu geben. Die Mitgestaltung der pluralen Gesellschaft erfordert ein Mindestmaß an Wissen und Kompetenzen. Lebenslanges Lernen hat ein enormes Potenzial, diese Aufgaben zu erfüllen. Das lebenslange Lernen ist darauf ausgerichtet, informierte und urteilsfähige Menschen zu fördern oder zu unterstützen, die sich gleichberechtigt mit anderen Menschen fühlen. Hier geht es um die Bildung der Urteilsfähigkeit eines jeden und einer jeden, um konkurrierende Vorstellungen und Entwürfe einer guten Gesellschaft analysieren und bewerten zu können. Eine so verstandene Bildung wird drei Bereiche einschließen müssen: den kognitiven (Fragen des Wissens), den ethischen (Fragen der Angemessenheit der Interaktion) und den habituellen (Fragen des ansprechenden Verhaltens und der Gewohnheiten). Migration stellt eine der Formen dar, in der Menschen sich an ihre Umwelt anpassen (vgl. Oltmer 2017) und kann entweder als Ausnahme- oder als Normalzustand definiert werden mit entsprechend unterschiedlicher Bewertung von Kontinuität und Sesshaftigkeit einerseits oder von Veränderung und Konfrontation mit Neuem andererseits. Daraus erfolgen unterschiedliche Ansätze der Forschung (vgl. Ebner von Eschenbach 2016, S. 48–51) mit unterschiedlichen Implikationen für die Konzipierung von Bildungsprozessen. Wenn Migration als Lernanforderung und Lernanlass für die Gesamtgesellschaft aufgefasst wird, so kommen nicht nur die Migranten, sondern auch der ansässige Teil der Bevölkerung in das Blickfeld der didaktischen Konzeptentwicklung. Bei einem solchen Perspektivenwechsel ist zu fragen, welche Modelle der Interaktion und des Lernens voneinander herangezogen werden können. Martin Buber zum Beispiel unterschied, als er über verschiedene Formen der kulturellen Interaktion im jüdischen Kontext nachdachte, zwischen

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drei Formen des kulturellen Zusammenlebens: Er sprach von einem negativ-fremden Verhältnis, vom Verhältnis zwischen „Verwandtem“ und von positiv-fremdem Verhältnis (vgl. Buber [1939]/1993, S. 630f.; auch Friedenthal-Haase 2000, S. 140f.). Das erste bedeute eine bloße Nebeneinanderexistenz, das zweite die Interaktion aufgrund der Zusammengehörigkeit in einem gewissen Sinne, und das dritte Verhältnis sei dasjenige, das eine „echte Befruchtung“ ermöglicht: „In all ihrer Fremdheit sind sie in ihrem Wesen aufeinander angelegt, aufeinander gerichtet, aufeinander gewiesen […] ein kulturelles Werk erwächst, das ohne diese Begegnung ungeschaffen geblieben wäre“ (Buber [1939]/1993, S. 630). Das positiv-fremde ist deshalb ein solches Verhältnis, weil „die Anderheit des Anderen“ anerkannt wird: „Jeder Kulturverknüpfung wohnt eine heimlich trennende Kraft ein“ (ebd., S. 211). Die Bildung unter Berücksichtigung des „Normalfalls“ Migration bleibt dabei Ort der Klärung der persönlichen Entscheidungen und Wertmaßstäbe, ermöglicht Distanz und Perspektivenwechsel, verdeutlicht die möglichen Alternativen und stärkt die – individuelle wie auch kollektive – Handlungsfähigkeit. In der Erwachsenenbildung ist der Gedanke allgegenwärtig, dass Erwachsene „lernfähig, aber unbelehrbar“ (Siebert) seien: Lernende könnten (und dürften) nicht zu einem (pädagogisch definierten) Ziel gesteuert werden. Bildung und Lernen sollen durch komplexe Arrangements ermöglicht werden, wobei die Ausrichtung und das Ergebnis der Bildungsprozesse nicht vorherbestimmt werden sollen (und können). Dabei wird die grundsätzliche Freiheit des menschlichen Handelns berücksichtigt – eine absolute Determination von außen kann es nie geben. Bildung ist, so wäre hervorzuheben, kein Instrument, durch das die Machthabenden auf die Gemüter der Menschen – auch im Kontext der Migration – Einfluss nehmen können. Bildung soll auf die Stärkung von kritischen Kräften des Geistes ausgerichtet sein, um dem Anspruch der Mündigkeit zu entsprechen. Nur so können die Bürgerinnen und Bürger (mit oder ohne Migrationshintergrund) an den Prozessen der kritischen Diskussion teilnehmen, wovon die Qualität und Legitimität einer Demokratie abhängt. Mit der vorliegenden Sammlung wird eine Reihe von Zielen verfolgt, die abschließend festgehalten seien: 1. Aus historischen und aktuellen Perspektiven soll ein Zusammenhang zwischen Migration und Erwachsenenbildung beleuchtet werden; 2. durch Darstellungen internationaler und historischer Erfahrungen sollen einige allgemeine Züge und Herausforderungen der Bildung im Kontext der Migration aufgezeigt werden;

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Tetyana Kloubert

3. verschiedene Erscheinungsformen der Erwachsenenbildung sollen präsentiert werden in Bezug auf Teilnehmerschaft, Modalität des Bildungsprozesses, Zielsetzung, didaktische Zugänge, ethische Implikationen etc.; 4. wird der Frage nachgegangen, ob die Erwachsenenbildungswissenschaft über Konzepte und Theorien verfügt, die helfen, Lernprozesse im Kontext der Migration zu analysieren und zu begleiten; 5. und Letzens werden Fragen des Zusammenlebens in einer heterogenen Gesellschaft erörtert, um zu klären, welche Strategien, Methoden und Instrumente Erwachsenenbildung in Theorie und Praxis hierfür bieten kann. Für die zwischenmenschliche Interaktion und die darauf ausgerichtete praktische Erwachsenenbildung, die im Sinne des kommunikativen Handelns und des Dialogs gestaltet wird, ist das diskursive Streben nach Wahrheit mit einer prinzipiellen Offenheit und einer gegenseitigen Anerkennung als (einmaliges) Subjekt verbindlich. In der diesem Band vorausgegangenen Ringvorlesung kam die grundlegende Annahme immer wieder zum Ausdruck, dass nur Erwachsenenbildung, die auch einen reflektierten und begründeten gesellschaftlichen Wandel einbezieht, eine gelungene Integration auf lange Sicht sichern kann. Die lebenslange (und notwendigerweise auch interkulturelle und bürgerschaftliche) Bildungsarbeit erfordert es selbstverständlich auch, auf Missionieren und Indoktrinieren zu verzichten – sei es auch zu „guten“ Zwecken. Bildungsarbeit im hier vertretenen Sinn stellt den lernenden Menschen in den Mittelpunkt und fördert – unter Bewahrung der gegenseitigen Anerkennung – eine Meinungspluralität und Kontroversität. Die Bildungsforschung ist dazu berufen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, in welcher Weise sich Menschen in eine reale Praxis der Mitgestaltung der Lebenswelten einbringen können, um in der Interaktion ihre eigenen Möglichkeiten für die Zukunft zu entwickeln.

Zum Aufbau des Bandes Die Beiträge des Bandes haben gemeinsam, dass sie aus verschiedenen Perspektiven nach möglichen Auswirkungen von Migrationsprozessen auf gesellschaftliche Entwicklungen sowie nach persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten auf der individuellen wie sozialen Ebene fragen. Betont wird dabei die Notwendigkeit des Lernens voneinander und miteinander zwischen den Menschen mit unterschiedlichen Biographien mit und ohne Migrationserfahrungen. Der Sammelband besteht aus drei Abschnitten, wobei (1) die interdisziplinären Zugänge zum Thema Bildung und Migration aus den Perspektiven der Erziehungswissenschaft, Geschichtswissenschaft, Journalistik und politischen Philosophie beleuchtet werden und (2) internationale Erfahrungen mit dem Phänomen der

Einleitung der Herausgeberin

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Migration an den Beispielen zweier ost- und mitteleuropäischer Staaten, Polens und der Ukraine, erläutert werden, die in der Geschichte wie in der Gegenwart von Migrationsbewegungen stark geprägt waren und sind. Im abschließenden Teil (3) werden die praktischen Erfahrungen einer Einrichtung, der Caritas, bei der Förderung, Unterstützung und Begleitung von Veränderungs- und Lernprozessen reflektiert.

Zu den einzelnen Beiträgen An den Anfang wird ein Fachgebiet gestellt, das sich mit Prozessen des Lernens und der Bildung im gesamten Lebenslauf befasst, mit besonderer Betonung des Erwachsenenalters. Anhand von drei Biographien von Erwachsenenbildnern zeigt Martha Friedenthal-Haase Auswirkungen von erzwungener Migration auf den einzelnen Menschen wie auch auf die deutsche Erwachsenenbildung des 20. Jahrhunderts, die in ihrem traditionell freiheitlichen Bildungsverständnis in unauflösbarer Wechselbeziehung mit der Demokratie steht. Julia Devlin unterstreicht in ihrem Beitrag die Bedeutung der Bildung für die Menschen, die ihre Heimat verloren haben und sich entwurzelt fühlten. Am Beispiel von Bildung für Displaced Persons (DPs) nach dem Zweiten Weltkrieg zeigt die Verfasserin auf, dass Erwachsenenbildung einerseits eine Möglichkeit des Broterwerbs, unabhängig von dem eigentlichen Endpunkt der Migration, eröffnete und andererseits dem Menschen Selbstachtung und Sinn zurückgab. Gegenstand des Beitrags von Janusz Surzykiewicz und Kathrin Maier sind die spirituellen Bedürfnisse der Geflüchteten als Quelle der Lebenszufriedenheit und Motor der Integration. Anhand einer breit angelegten Studie verdeutlichen die Verfasser die Notwendigkeit der Anerkennung der spirituellen Dimension in der Arbeit mit Geflüchteten und plädieren für die Entwicklung entsprechender Lern- und Seelsorgekonzepten. Die Studie legt nahe, dass die spirituellen Bedürfnisse bei der Suche nach Bewältigungsstrategien für existenzielle Krisen- und Fluchterfahrungen und als wichtige Ressource im Prozess des Lernens beachtet werden müssen. Saskia Eschenbacher untersucht Migrationserfahrungen aus der Perspektive der Theorie des Transformativen Lernens von Jack Mezirow. Dabei blickt sie auf die Migration als eine krisenhafte Erfahrung, die ein desorientierendes Dilemma auslöst und im Prozess einer anschließenden intensiven Bildung reflektiert wird. Die Veränderungsprozesse, die dadurch ausgelöst werden, sollen pädagogisch begleitet und unterstützt werden. Die Verfasserin schildert die individuelle wie auch die überindividuelle Dimension des transformativen Lernens im Zuge der Migration und betont die Notwendigkeit der Berücksichtigung von konstituierenden Machtund Herrschaftsverhältnissen, die auch individuelle Lernprozesse beeinflussen.

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Tetyana Kloubert

Elisabeth Beck behandelt in ihrem Beitrag die Frage nach der Lernmotivation beim Spracherwerb von Migrantinnen und Migranten. Die Verfasserin zeigt, wie die Bedingungen der erlebten kulturellen Heterogenität in den Sprachkursen die Lernmotivation beeinflussen, und betont die Kategorien der Anerkennung und Autonomie als prägende Faktoren beim Lernen in heterogenen Gruppen. Beck schildert, in welchem Ausmaß die kulturelle Heterogenität eine Herausforderung darstellt, und gleichzeitig, wie die darin enthaltenen Potentiale für die Gestaltung von Lernprozessen genutzt werden können. Gegenstand des Beitrags von Tetyana Kloubert sind ebenfalls Integrationskurse für Migrantinnen und Migranten in Deutschland. Das Augenmerk dieser Untersuchung richtet sich auf die sogenannten Orientierungskurse, die als Beiträge zur politischen Bildung und Demokratiebildung verstanden werden. Anhand einer empirischen Studie werden die Fragen erörtert, welche Strategien verwendet und welche Wege der Vermittlung gesellschaftlicher Werte im Rahmen von Integrationskursen für erwachsene Migrantinnen und Migranten und mit welchen Implikationen begangen werden. Der Beitrag von Klaus-Dieter Altmeppen beschäftigt sich mit der Wirkung von medial erzeugten Narrativen und Frames auf die Wahrnehmung von Flucht und Migration in der deutschen Gesellschaft. Im Artikel wird auf die aktuellen Probleme bei der Berichterstattung hingewiesen: Marginalisierung des Themas Migration, Negativtendenz sowie stereotype Berichterstattungsmuster. Altmeppen unterstreicht die Notwendigkeit der Medienbildung und Medienkompetenz der Gesamtbevölkerung hinsichtlich der Kommunikation zum Thema Flucht und Migration, die eine kritische Auseinandersetzung mit Medienframes verlangen. Darüber hinaus fordert Altmeppen eine Rerationalisierung der politischen Kommunikation über das Phänomen der Migration. Migrationsbewegungen unterliegen immer gewissen Kontroll- und Steuerungsmechanismen. In ihrem Beitrag fragen Lionel McPherson und Travis Quigley nach ethischen und philosophischen Begründungen von Steuerungs- und Einschränkungsmechanismen für Migrationsprozesse. Die Autoren gehen auf das Konzept der „Nationalkultur“ am Beispiel der USA ein und fragen, inwieweit die Übernahme und das Erlernen der Nationalkultur Bedingungen für die Naturalisierung der Migranten darstellen können. Gleichzeitig unterstreichen die Autoren die Notwendigkeit, den Migrantinnen und Migranten einen Zugang zur Partizipation an und Mitgestaltung von öffentlichen Diskussionen und gesellschaftlichen Werten zu gewähren. Polen ist in vielfacher Hinsicht von Prozessen der Ein- und Auswanderung betroffen. Dorota Gierszewski geht der Frage nach, was die Migration der Ukrainerinnen und Ukrainern als einer kulturell zwar verwandten, politisch und wirtschaftlich

Einleitung der Herausgeberin

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aber abweichenden Gruppe für das Hochschulwesen und für den gesellschaftlichen Wandel in Polen bedeutet. Die Verfasserin sieht in der Bildung den entscheidenden Faktor für die Integration in den Arbeitsmarkt, für die Herstellung von Chancengleichheit und für demokratische Entwicklung der polnischen Gesellschaft, aber auch für die Lebenszufriedenheit der Migrantinnen und Migranten. Gleichzeitig wird in diesem Beitrag die Notwendigkeit der institutionellen Öffnung Polens und die Kompetenz der Reflexivität im Umgang mit dem Anderen und sich selbst hervorgehoben. Iryna Petriuk vermittelt einen Überblick über Migrationsprozesse in der Ukraine und verdeutlicht im Anschluss daran die Rolle, die Erwachsenenbildung im Umgang mit den damit einhergehenden gesellschaftlichen Herausforderungen einnehmen soll bzw. bereits einnimmt. Mit dem rasanten Anstieg der Zahl der Binnenflüchtlinge infolge des Krieges in der Ostukraine ging eine Reihe von erwachsenenbildnerischen Initiativen einher (Beratung, Kurse für Unternehmungsgründung, Sprachkurse), welche die Notwendigkeit der Bildung insbesondere in den Situationen eines gesellschaftlichen Umbruchs verdeutlichen. Stefan Wagner stellt den Ansatz der pädagogischen und sozialen Arbeit mit Migrantinnen und Migranten in Bayern durch die Organisation Caritas vor. Als Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche sieht sich die Caritas in der christlichen Verantwortung, Unterstützungsangebote für Menschen in Krisensituationen zu unterbreiten und Bildungsberatung bereitzustellen. In seinem Beitrag schildert der Verfasser die aktuellen Herausforderungen, aber auch Errungenschaften und Unterstützungsinstrumente bei der Arbeit mit Migrantinnen und Migranten. Der Sammelband basiert auf der Annahme, dass lebenslange Bildung im Kontext der Migration als Bestandteil des menschlichen Lebens lebenswelt- und subjektorientiert sein und die Themen des öffentlichen Lebens behandeln muss. Versucht man eine Gesamtbilanz des Sammelbandes zu ziehen, so ist zweierlei hervorzuheben: Einerseits ein großes Potential der Erwachsenenbildung, die Migration und Integration, den Zusammenhalt und die Erneuerung einer Gesellschaft zu begleiten und zu gestalten; andererseits das Grenzbewusstsein, dass Erwachsenenbildung nicht als Allheilmittel in Grenz- und Übergangssituationen gesehen werden kann und dass sie ohne angemessene politische, psychologische, philosophische und ökonomische Diskussionen und Instrumente den aus der Migration hervorgehenden Herausforderungen nicht gerecht werden kann.

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Tetyana Kloubert

Danksagung Es ist der Herausgeberin ein Anliegen, allen zu danken, die zur Entstehung dieses Bandes beigetragen haben. Zuallererst danke ich den Verfasserinnen und Verfassern der Beiträge dafür, dass sie ihre Thesen und Forschungsergebnisse im Rahmen dieses Bandes präsentiert und damit die Diskussion über die Wechselbeziehung zwischen Erwachsenenbildung und Migration bereichert haben. Bedanken möchte ich mich beim Zentrum Flucht und Migration der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (insbesondere bei Herrn Prof. Dr. Altmeppen und Frau Dr. Julia Devlin) für die finanzielle Unterstützung der Ringvorlesung „Erwachsenenbildung und Migration“, aus welcher der Sammelband entstanden ist. Herzlicher Dank gilt auch dem Zentrum für Forschungsförderung der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, das mir die Förderung gewährte, die zur Entstehung des Bandes beitrug. Mein Dank gilt auch der Pädagogischen Stiftung Cassianeum für die Gewährung des Druckkostenzuschusses. Ein besonderer Dank geht an Herrn Philipp Buckl und Frau Franziska Michel, die mit großem Engagement die Druckvorlage des Bandes erstellt haben. Schließlich danke ich Frau Sabine Schöller vom Springer-Verlag, die sich dem Band unterstützend zugewandt hat.

Literaturverzeichnis Abbas, Fatin (2018): Niemals eine Bürgerin. In: Zeit (14.03.2018). . Aufgerufen am 26.03.2019. Buber, Martin ([1939]/1993): Das Ende der deutsch-jüdischen Symbiose. In: Buber, Martin: Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden. 2 Aufl. Gerlingen. S. 629–632. Deutscher Bildungsrat (1970): Strukturplan für das Bildungswesen. Stuttgart. Ebner von Eschenbach, Malte (2016): „Was ist Migration?“ Risiken eines essentialistischen Migrationsbegriffs in der Erwachsenenbildung. In: Zeitschrift für Weiterbildungsforschung – Report 39 (1). S. 43–59. Friedenthal-Haase, Martha (2000): Interkulturalität als Idee und Form von Bildung. In: Faulstich, Peter (Hg.): Internationalität der Erwachsenenbildung. Analysen, Erfahrungen und Perspektiven. Bielefeld. S. 133–144. Oltmer, Jochen (2017): Migration. Geschichte und Zukunft der Gegenwart. Darmstadt. Pickel, Gert/Pickel, Susanne (2018): Migration als Gefahr für die politische Kultur? Kollektive Identitäten und Religionszugehörigkeit als Herausforderung demokratischer Gemeinschaften. In: Zeitschrift für vergleichende Politikwissenschaft 12. S. 297–320.

I Interdisziplinäre Zugänge zum Thema

Emigration und Remigration im Blickpunkt der Erwachsenenbildung Zugang zu einem aktuellen Fachgebiet und seiner Geschichte Martha Friedenthal-Haase

Zusammenfassung

Untersucht werden die Lebensläufe von drei profilierten Personen aus dem Gebiet der Erwachsenenbildung in Deutschland, die sich 1933 zur Emigration gezwungen sahen. Gefragt wird nach dem Verlauf der Migration, den Bedingungen für das Lernen und die Selbstbehauptung in der Emigration, der Erhaltung oder dem Verlust der Fachidentität und der Bereitschaft bzw. Gelegenheit zur Rückkehr. Im Einzelnen ergeben sich Erkenntnisse hinsichtlich des Zusammenwirkens von subjektbezogenen und objektiven Gegebenheiten der Migration, hinsichtlich der Fachentwicklung sowie hinsichtlich einer möglichen Aktualisierung im Umgang mit Migration heute. Generell wird die Wechselbeziehung zwischen Demokratie und dem Fachgebiet Erwachsenenbildung verdeutlicht.

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Zu Thema und Ansatz der Untersuchung; zur Lage der Forschung

Wer Umbruch und Aufbruch erlebt, Vertreibung und Flucht durchgestanden hat, der weiß, was Lernen in Notlagen ist. Es ist ein Zwangslernen, ein Krisenlernen, das an Migranten jeden Lebensalters herantritt, Jung und Alt, das an jeden einzelnen unausweichliche Forderungen stellt, harte Anforderungen insbesondere an die Erwachsenen, die Verantwortung tragen, nicht nur für das eigene Überleben, sondern auch für Sicherheit, Gesundheit und Zusammenhalt der von ihrer Fürsorge abhängigen Familienmitglieder. In derartigen Lebenskrisen ist der Mensch zumeist auf sich allein gestellt. Nur im günstigen Fall findet er auf seinem Weg im Land des © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 , T. Kloubert (Hrsg.), Erwachsenenbildung und Migration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26863-3_2

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Durchgangs oder der Aufnahme eine helfende Hand, eine Lernhilfe informeller oder formeller Art, durch zugewandte Mitmenschen oder durch Angebote der professionellen Erwachsenenbildung oder Sozialpädagogik. Migration und das Lernen des Menschen im Erwachsenenalter, das gehört grundlegend zusammen, sowohl aus dem Blickwinkel der Menschen auf der Flucht wie aus dem Blickwinkel der im Fachgebiet der Erwachsenenbildung Tätigen. Die einen müssen lernend den Alltag existentiell bestehen und dabei auch die Weichen für ihre Zukunft stellen, die anderen müssen als Lernhelfer den Forderungen des Tages pädagogisch entsprechen und dürfen dabei den weiten und kritischen Blick auf das eigene Tun nicht verlieren. Theorie und Praxis zueinander in Beziehung zu setzen, ist für eine jede angewandte Wissenschaft eine selbstverständliche Forderung und für das Fachgebiet der Erwachsenenbildung als einer Integrationswissenschaft grundlegend. ‚Theoria cum praxi’, die altehrwürdige Devise des Philosophen Leibniz, hat seit der Zeit der Aufklärung bis heute von ihrer Prägnanz nichts verloren. Aus dem Ziel der wissenschaftlichen Zuwendung zur Praxis folgt heute die Notwendigkeit, sich auch der drängenden Fragen der Migration anzunehmen – geleitet durch Theorie, verbunden mit Praxis, in Verantwortung für beides. Zu den Wirkungen und Nebenwirkungen der weltweiten Migration gehört, dass sie eine Erweiterung der Perspektiven und eine neue Wechselseitigkeit fordert: in den praktischen Handlungsfeldern der Nothilfe, in den Politikfeldern der Integration, im Alltagsleben der Bürger und Bürgerinnen, in den angewandten Wissenschaften und in der Theoriebildung. In allen Bereichen zeigen sich parallele Entwicklungstendenzen: So wie die Migranten nationale Grenzen überschritten haben, so fordert die weltweite Migration eine Zusammenarbeit oder Abstimmung, politisch über nationale Grenzen hinausgehend, praktisch über Grenzen der einzelnen Ressorts hinaus, gesellschaftlich über das Einzelinteresse und wissenschaftlich über die Grenzen der Einzeldisziplin hinausweisend. So werden die Wortelemente „inter“, „trans“ und „supra“ zu neuen Leitmarken der politischen, gesellschaftlichen und auch fachwissenschaftlichen Veränderungen - ob dabei einer Absicht gefolgt wird oder nicht. Die praktischen Erfahrungen, die im Folgenden behandelt werden sollen, betreffen drei Personen, in deren Leben die Theorie-Praxis Beziehung von besonderer Bedeutung war. Die in aller Kürze vorgestellten Lebensläufe sind durch einige Besonderheiten geprägt: Sie ermöglichen eine Betrachtung aus größerer Distanz, da sie die weltweite Migration nicht in unserer unmittelbaren Gegenwart zeigen, sondern in der Zeitgeschichte, der gewissermaßen historisch ‚erweiterten‘ Gegenwart. In den Blick genommen werden Einzelschicksale, nicht Gruppen von Migranten. Die Fragen sind biographisch orientiert, betreffen Individuen, ihre Wege und Stationen, ihre Entscheidungen und Leistungen. Im Mittelpunkt steht der Zusammenhang von persönlicher, fachlich-beruflicher, politischer und natio-

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naler Identität unter den Bedingungen der Migrationskrise. Bei den vorgestellten Emigranten handelt es sich nicht um zufällig ausgewählte Personen, sondern um Pioniere und Pionierinnen des Fachs, deren Erfahrungen das Potential hatten und wohl auch heute noch haben können, um das Fachwissen im Gebiet der Erwachsenenbildung zu bereichern. Einbezogen in den Horizont der Untersuchung wird auch die Frage nach einer möglichen Remigration: Haben die Emigranten ihr erzwungenes Verlassen der Heimat als vorübergehend und zeitlich befristet aufgefasst und am Ziel einer späteren Remigration festgehalten, sofern eine Veränderung der politischen Situation im Herkunftsland es erlauben würde, oder haben sie sich selbst, notgedrungen, als Auswanderer auf der Suche nach einer neuen Heimat verstanden und die Trennung vom Herkunftsland als endgültig aufgefasst? Eine weitere Frage betrifft den Wissenstransfer über nationale Grenzen hinweg: Was bedeutet die Migration für das Wissen im Herkunftsland, welche Kenntnisse und Ideen haben die Migranten mitgenommen, was konnten sie davon im Land der Aufnahme verwerten, was haben sie im Aufnahmeland an Neuem gelernt und, im Falle der Remigration oder des fortgesetzten oder wieder aufgenommenen Fachkontakts, ihrem Herkunftsland übermittelt? Die Lebensläufe können die Auseinandersetzung mit diesen Bedingungen und in gewissem Maße auch die Mitgestaltung derselben zeigen. Das Augenmerk wird dabei auch auf das sich unter verschiedenen Bezeichnungen etablierende Fachgebiet der Erwachsenenbildung gerichtet. Nicht zufällig zeigte dies zunächst nach dem Ersten Weltkrieg und dann erneut nach dem Zweiten Weltkrieg eine besondere Nähe zur Demokratiebewegung. Vor 1933 sind fachliche Pionierleistungen zu einem beträchtlichen Teil von Akteuren vollbracht worden, die dann in ihren Fähigkeiten und Dynamiken durch den Nationalsozialismus blockiert wurden, in Deutschland seit 1933, in Österreich seit 1938. Diese avantgardistischen Persönlichkeiten wurden ausgegrenzt, mehr noch, ihnen wurde, wenn sie Juden waren, sogar das Existenzrecht abgesprochen. Nur wenige dieser Menschen waren nach 1945 noch in der Lage, am Wiederaufbau eines demokratischen Bildungssystems und des Fachgebiets Erwachsenenbildung in ihrem Herkunftsland mitzuwirken. Das Studium der Migrationsgeschichte kann von der Betrachtung des Einzelfalls zu einer Bilanz des Fachgebiets führen: Was ging verloren, was wurde vergessen, was konnte gewonnen und unter veränderten Verhältnissen in das fachliche Wissen neu integriert werden? Die drei hier ausgewählten Personen sind aufgrund ihres bereits 1933 erreichten fachlichen Rangs geeignet, um relevante Bedingungen der Entwicklung des Fachgebiets der Erwachsenenbildung im 20. Jahrhundert zu dokumentieren – in Deutschland und ansatzweise auch in den Ländern der Zuflucht und Aufnahme.

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Die geistige Überlieferung der Emigration aus dem Machtbereich des Nationalsozialismus steht heute nicht mehr im Schatten, sondern wird als ein bedeutender kultureller Bestand, der zu bewahren und zu erschließen ist, anerkannt. In der Deutschen Nationalbibliothek nimmt das Thema der Emigration als Sammlungsgebiet einen entsprechenden Rang ein. Das „Deutsche Exilarchiv 1933–1945“, eine Abteilung der Nationalbibliothek in Frankfurt am Main, ist die größte Stätte der Sammlung und Erschließung von Dokumenten zur Emigration. Das Exilarchiv will nicht nur der Forschung dienen, sondern auch der breiten Öffentlichkeit. Mit einer umfangreichen Dauerausstellung wird dem allgemeinen Publikum in Frankfurt am Main und darüber hinaus Einblick geboten in die Geschichte und die Leistungen der Menschen, die als Verfolgte, Entrechtete und Regimegegner aus dem Machtbereich des Nationalsozialismus flohen. Noch in einer Reihe weiterer Einrichtungen sind in der Bundesrepublik literarische, politische, fachhistorische und biographische Quellen zur Emigration archiviert. Die Emigration von 1933 bis 1945 ist in den verschiedensten Sparten der Künste und der Wissenschaften mittlerweile zu einem eigenen differenzierten Forschungsgebiet geworden, das eine Fülle von Ergebnissen und Publikationen hervorgebracht hat. Für einen Überblick über Forschungsrichtungen, Fragestellungen und Resultate ist hier nicht der Raum. Nur ein knapper Hinweis sei zur Pädagogik und schließlich zur Erwachsenenbildung angebracht. Pädagogen und Pädagoginnen, ihre im Exil verfassten Schriften sowie die im Exil entstandenen pädagogischen Zeitschriften sind auch in den bekannten fachübergreifenden Übersichtswerken, wie dem dreibändigen Handbuch der deutschsprachigen Emigration (Röder/Strauss 1980) und dem dreibändigen Handbuch der deutschen Exilpresse 1933–1945 (Maas 1981–1990), verzeichnet. Wendet man sich der erziehungswissenschaftlichen Emigrationsforschung zu, so ist zuerst an die Wegbereiterin dieses speziellen Forschungsgebiets zu erinnern: an Hildegard Feidel-Mertz (1930-2013), einst Professorin an der Gesamthochschule Kassel. Ihre Sammlungen und ihre Publikationen haben dazu beigetragen, das Bild von der deutschsprachigen pädagogischen Emigration zu konturieren. Das Gebiet der pädagogischen Emigrationsforschung wird durch unterschiedliche Gruppen von Publikationen gekennzeichnet, von denen hier nur einzelne genannt seien: Editionen von Exilschriften (als Beispiel die noch 1930 verfasste, aber seinerzeit nicht mehr veröffentlichte und später von Feidel-Mertz herausgegebene Schrift des emigrierten Sozialpädagogen Carl Mennicke, 2001), Monographien zu Personen und Werken (als Beispiel die Lebensgeschichte der Pädagogin Minna Specht, verfasst von Hansen-Schaberg, 1992), Aufsatzsammlungen über Ideen und Konzepte von, wie es heißt, verdrängten „Klassikern und Klassikerinnen“ der Pädagogik (herausgegeben von Kluge und Borst, 2013), Darstellungen über Institutionen, Schulen und Heime im Exil (herausgegeben von Feidel-Mertz und Budde, 1983) und

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Untersuchungen über die Rezeption und Wirkung der deutschen pädagogischen Tradition in Ländern der Aufnahme (als Beispiel Volkmann 1984). Bemerkenswert ist auch die Etablierung eines wissenschaftlichen Diskussionsforums in Gestalt der Fachzeitschrift „Exil“ (seit 1981 herausgegeben von Joachim H. Koch und anderen). Von verschiedenen pädagogischen Teilgebieten und ihren Vertretern und Vertreterinnen handelt ein einschlägiges Themenheft der Zeitschrift „Bildung und Erziehung“ (Friedenthal-Haase/Matthes 2009). Speziell für das Gebiet der Erwachsenenbildung ist auf verschiedene Tagungsberichte des u. a. von Volker Otto geförderten Arbeitskreises „Historische Quellen der Erwachsenenbildung (Deutschland, Österreich, Schweiz)“ aufmerksam zu machen, der sich als Forum immer wieder auch einzelnen Zeitzeugen aus der Emigration sowie Untersuchungen zum Thema geöffnet und insbesondere 1999 eine Konferenz in Naumburg zum Thema „Erwachsenenbildung und Emigration“ veranstaltet hat (Otto/Schlutz 1999). Indem dort teilweise unbekannte Quellen und Perspektiven aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu Emigration und Erwachsenenbildung vorgestellt wurden, ist diese schmale Sammlung fachhistorisch bis heute unübertroffen und kann der Forschung zahlreiche weiterführende, noch nicht ausgeschöpfte Hinweise und Anregungen bieten (Friedenthal-Haase 1999).

II

Drei Lebensgeschichten aus dem Fachgebiet der Erwachsenenbildung

Die deutsche Erwachsenenbildung hat durch die Emigration eine beträchtliche Zahl von fachlich profilierten Persönlichkeiten verloren. Unter diesen eine Auswahl von nur drei Fällen zu treffen, ist schwierig, ja unbefriedigend – es bleiben Desiderate, denen in der hier gebotenen Kürze nicht entsprochen werden kann. Neben der Frage der Ergiebigkeit der Quellen- und Forschungslage ist die einer möglichen Exemplarik der je einzelnen Lebensgeschichte zu berücksichtigen. Zu kurz kommt bei der Auswahl, wahrscheinlich notgedrungen, der Aspekt der Vielfalt der praktischen Ansätze wie auch der politisch-weltanschaulichen Orientierungen der Emigranten. In den folgenden Migrationsgeschichten ist Beachtliches zu erfahren über drei begabte, kreative und leistungsstarke Menschen aus den Gebieten der Erwachsenenbildung und der Sozialpädagogik: Paul Honigsheim, Fritz Borinski und Carola Rosenberg-Blume. Die Reihenfolge der Behandlung stellt keine Wertung der Personen dar; sie ergibt sich vielmehr aus dem jeweiligen Jahr der erzwungenen Emigration aus Deutschland: zuerst 1933 für Paul Honigsheim, dann 1934 für Fritz Borinski und schließlich 1936 für Carola Rosenberg-Blume.

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Jeder Fall ist einzigartig und hat dennoch Gemeinsamkeiten mit den anderen. Eine vergleichende Darstellung der drei Migrationsverläufe soll helfen, einerseits die Besonderheiten des Einzelfalls und andererseits die strukturellen Gemeinsamkeiten in den Bedingungen herauszustellen. Es sind sechs Aspekte, unter denen die drei Biographien beleuchtet werden sollen: 1. Ausbildung und ursprüngliche Fachidentität 2. wichtigste fachliche Leistung bis 1933 3. Grund für die Emigration 4. Stationen und Verlauf der Emigration 5. Entwicklung der Fachidentität im Lauf der Emigrationszeit 6. das Problem der Remigration

1. Paul Honigsheim: Soziologische Aufklärung zwischen Theorie und Praxis In der hier betrachteten Gruppe von Erwachsenenbildnern ist Paul Honigsheim, geboren 1885 in Düsseldorf und gestorben 1963 in East Lansing, Michigan, USA, der älteste und der im Entscheidungsjahr 1933 erwachsenenbildnerisch und wissenschaftlich profilierteste.1 Aus einer zunächst wohlhabenden, später vollständig verarmten Familie stammend hatte er in jungen Jahren die Freiheit genutzt, ein „Langzeitstudent“ mit weitreichenden Interessen zu werden. Zu seinen Fächern gehörten Geschichte, Philosophie, Soziologie, Ethnologie, Musikwissenschaft und anderes mehr. In der ausgedehnten Studienzeit wurde sein vielleicht wichtigstes Bildungserlebnis die persönliche Bekanntschaft und Freundschaft mit dem größten deutschen Soziologen der damaligen Zeit: Max Weber. Zuvor war prägend die Sozialisation in einem bikulturellen Elternhaus: Sein Vater war deutscher Rheinländer, seine Mutter Französin. Honigsheim wuchs zweisprachig auf und wurde als Deutscher mit der französischen Kultur tief vertraut; in späteren Lebensjahren bezeichnete er sich manchmal als Halbfranzosen. Zur praktischen Erwachsenenbildung kam er, wie so manche seiner Altersgenossen, zunächst durch den Ersten Weltkrieg, während dessen er, der Pazifist, aus gesundheitlichen Gründen vom Dienst an der Waffe befreit, in Lazaretten und Internierungslagern 1 Zu Paul Honigsheim finden sich die meisten Dokumente im Kölner Stadtarchiv, im Kölner Universitätsarchiv und im Archiv der Michigan State University in East Lansing, Michigan, USA. Als publiziertes autobiographisches Zeugnis siehe Honigsheim [1961]/1991; als quellenbasierte biographische Aufarbeitung mit weiteren Literatur- und Quellenangaben siehe Friedenthal-Haase 1991, S. 301–353.

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als Übersetzer, Betreuer und Lehrer arbeitete. Seinen Weg zur Kölner Volkshochschule, deren Leiter er für 12 Jahre wurde, bahnte nach dem Ersten Weltkrieg der Soziologe Leopold von Wiese. Honigsheims Fachidentität ist wegen seiner vielfältig ausgreifenden Verbindungen nicht leicht zu bestimmen. Man könnte ihn wohl einen geisteswissenschaftlich fundierten Sozialwissenschaftler und Polyhistor mit ausgeprägt pädagogischer Orientierung nennen. Seine Leistung in den Gebieten Erwachsenenbildung und Sozialpädagogik war, um sich hier auf Weniges zu beschränken, zweifach: zum einen war er lange Leiter der Volkshochschule Köln und Mitorganisator des Rheinischen Volkshochschulverbands; zum anderen etablierte er daneben als Privatdozent und Professor der Soziologie an der Kölner Universität ein kontinuierliches akademisches Lehrangebot in den Gebieten Volksbildung und Sozialpädagogik – eine Pionierleistung und ein persönlicher Kraftakt. 1933 verlor er als regional bekannter Sozialdemokrat von interkultureller und pazifistischer Ausrichtung seine Funktionen in Köln aus politisch-weltanschaulichen und nicht aus sogenannten rassischen Gründen (d. h. nach § 4 und nicht nach § 3 des Reichsgesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. 4. 1933), denn an seiner „arischen“ Abstammung gab es keinen ernsthaften Zweifel, obwohl der Familienname in manchen Ohren damals „jüdisch“ klang, was er jedoch nicht war. Honigsheim brach noch im Jahre 1933 nach dem Tod seines Vaters gemeinsam mit seiner Mutter nach Paris auf, wo er eine Anstellung als Leiter der dortigen Niederlassung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung fand und den vorübergehend in der Schweiz ansässigen Soziologen und Sozialphilosophen Max Horkheimer als Vorgesetzten hatte, einen patriarchalischen Vorgesetzten – überwiegend im guten Sinn des Wortes. Honigsheim beurteilte den Nationalsozialismus scharfsinnig und schon früh sah er den Zweiten Weltkrieg kommen. Die erste Gelegenheit, Europa zu verlassen, nahm er deshalb wahr und folgte 1936 einem Ruf an die gerade erst gegründete Universität von Panama. Von dort aus führten ihn ausgedehnte ethnologische und kulturhistorische Studien- und Vortragsreisen nach Chile und in andere lateinamerikanische Länder. Die Erwachsenenbildung trat im Laufe dieser Unternehmungen mehr und mehr an den Rand, war aber nicht vergessen. Mit ungebrochener Energie fand der 51-jährige Zeit und Schwung, um sich dort auch außerakademischen Aufgaben zuzuwenden, und schon bald nach seiner Ankunft in Panama beteiligte er sich an der Gründung einer Volkshochschule. Schließlich gelang es ihm, für sich und seine betagte Mutter, die ihn durch alle Stationen der Emigration begleitet hatte, eine dauerhaft gesicherte Bleibe in den USA zu finden. Er wurde 1938 als Professor für Soziologie an die Michigan State University in East Lansing, Michigan, berufen. Fortan galt seine ungeteilte Energie der Aufgabe, sich den Anforderungen an einen Hochschullehrer im neuen Land gewachsen zu zeigen, nunmehr in englischer Sprache; nicht leicht für ihn, den „Halbfranzosen“,

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dem in Lateinamerika das Spanische ohne große Anstrengung zugefallen war. Seine Beschäftigung mit der regulären Erwachsenenbildung war damit zwar beendet, doch traten auch hier zuweilen extracurriculare Aufgaben an ihn heran wie beispielsweise die Abhaltung mehrmonatiger Kurse über europäische Politik und Kultur für amerikanisches Militärpersonal zur Vorbereitung auf eine künftige Stationierung in verschiedenen europäischen Ländern wie Frankreich, Italien und – natürlich – Deutschland. An der Michigan State University wurde Honigsheim ein erfolgreicher und außerordentlich beliebter Hochschullehrer, der einen großen Schülerkreis um sich versammelte, in dem seine inspirierende Wirkung als Lehrer noch jahrzehntelang lebendig bleiben sollte. Remigriert ist Paul Honigsheim nicht; er erwarb die amerikanische Staatsbürgerschaft, wurde in den USA pensioniert und ist dort, wie bereits erwähnt, 1963 gestorben. War er an einer Rückkehr nach Deutschland nicht mehr interessiert? Über seine diesbezüglichen Motive und Dispositionen liegen Dokumente aus dem Jahre 1946 vor. Damals hatte die Universität Köln (mit Vermittlung durch die britische Besatzungsmacht) bei Honigsheim schriftlich angefragt, ob er eine Rückkehr nach Köln erwägen würde. Honigsheim zeigte sich interessiert, zunächst als Gastprofessor nach Köln zu kommen, wobei er an einen Aufenthalt von einem Jahr (oder auch weniger) dachte: „Ich bin seit Jahren gewohnt im Flugzeug zu reisen, könnte leicht für kurze Zeit herüberkommen […]“ (dieser Satz und alle weiteren wörtlichen Zitate aus dem Brief von Paul Honigsheim vom 05.06. 1946 an den Dekan Prof. Dr. Peter Rassow, Universität Köln, im Universitätsarchiv Köln [UAK] Bestand Honigsheim). Er erwähnte eine kürzlich an ihn ergangene Einladung an die Universität Kairo und fragte, ob sich die Kairo-Reise nicht mit dem Plan eines Besuchs in Köln verbinden ließe: „Bestände die Möglichkeit im Zusammenhange mit der Tätigkeit in Kairo auf der Rückreise in Köln zu dozieren?“ Er bat um möglichst rasche Antwort, weil die Universität von Kairo ihn dränge. Für unsere Frage nach der Remigration ist nun der folgende Satz entscheidend, der sich auf den erstrebten Kölner Gastaufenthalt bezieht: „[…] bei beiderseitigem Einverständnis könnte ein definitives Verbleiben dort festgesetzt werden.“ Zu einem solchen vorbereitenden Gastaufenthalt, bei dem die Möglichkeit für ein „definitives Verbleiben“ hätte erkundet werden können, ist es jedoch nie gekommen. Die Verhandlungen mit der Universität, kaum dass sie überhaupt aufgenommen waren, verliefen fruchtlos. Aus Honigsheims Sicht war entscheidend, dass die Universität Köln und die zuständigen deutschen Behörden ihm, dem damals bereits 61-jährigen, eine Pensionsberechtigung nicht zusagen wollten (oder konnten), während er durch seine amerikanische Universität eine Pension erhalten würde. Honigsheims Brief an die Universität Köln enthielt Passagen, die seine Position als Emigrant offen bekennen und die seine deutschen Kollegen möglicherweise befremden konnten: „Von Abstammung halb Deutscher und halb

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Franzose (französisch ist meine Muttersprache) habe ich keinen Verrat begangen, als ich eine andere Nationalität annahm.“ Den Vereinigten Staaten, die ihn, den „Heimatlosen“, gerufen und ihm wissenschaftliche Wirkungsmöglichkeiten geboten hätten, sei er „in Dankbarkeit und Loyalität ergeben“. Seine Liebe zur deutschen Wissenschaft sei gleichwohl „unerschüttert“ und er wolle „stets alles tun, was in meinen Kräften liegt, um der deutschen Wissenschaft in ihrem Wiederaufbaubestreben beizustehen“. Auch nach dem Scheitern einer Berufung nach Köln schon im Vorfeld hielt Honigsheim an dem Plan für einen längeren Gastaufenthalt an seiner alten Universität fest – eine Einladung dazu hat er jedoch offenbar nie erhalten. Anders setzten sich die deutschen Volkshochschulen für ihn ein, allen voran die Kölner, als deren erster Leiter nach 1945 Alfred Nicolai, ein alter Freund und ehemaliger Schüler Honigsheims, gewirkt hatte. Zweimal wurde Honigsheim vonseiten der Volkshochschulen zu umfangreichen Vortragsreisen nach Deutschland eingeladen, denen er 1955/56 und 1959 unter Einsatz außerordentlicher Energie folgte (beispielsweise hielt er auf der ersten der beiden Reisen 41 Vorträge innerhalb von zweieinhalb Monaten). Mit 13 Vorträgen beteiligte er sich an der Funkuniversität des Senders Rias Berlin und für die Festschrift eines früheren Kollegen verfasste er einen Beitrag über seine Erinnerungen als Kölner Volksbildner (Honigsheim [1961]/1991). Das war seine Weise, sich gegen Ende seines Lebens wieder mit der deutschen Erwachsenenbildung in Verbindung zu bringen, mit großem Schwung und Erfolg, mit Sorge um die politische Zukunft Deutschlands und mit Liebe.

2. Fritz Borinski: Für eine Bildung zur Demokratie entschieden „Liebe und Sorge“, das könnte, bei allen sonstigen Unterschieden zu Paul Honigsheim, auch als Motto über der Biographie des um eine Generation jüngeren Fritz Borinski stehen: Liebe zu Deutschland und Sorge um die Demokratie. Fritz Borinski wurde 1903 als Sohn getaufter Juden in Berlin geboren und starb 1988 in Bremen.2 Neben seinem juristischen Studium in Leipzig, Jena und Halle hatte er sich frühzeitig der Jugendbewegung und der Volkshochschulbewegung verschrieben. Ein bleibender Einfluss war der bedeutende Jurist und hochkreative Erwachsenenbildner Hermann Heller in Leipzig. Borinski war ab 1927, nach Abschluss seines Studiums, ununter2 Der wissenschaftliche und persönliche Nachlass Fritz Borinskis befindet sich in verschiedenen Einrichtungen. Biographisch von besonderem Interesse sind der pädagogische Nachlass in Oldenburg, der politisch-staatswissenschaftliche Nachlass im Institut für Zeitgeschichte in München und (hinsichtlich seines Wirkens als Hochschullehrer) das Universitätsarchiv der Freien Universität Berlin. Zur Autobiografie siehe Borinski 1976; zahlreiche biografische Informationen auch in der Festschrift aus Anlass des zehnten Todestages (Jelich/Haussmann 2000) und in der Ausgabe seiner bis dahin unveröffentlichten Emigrationsschrift (Friedenthal-Haase 2014).

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brochen hauptberuflich in der Erwachsenenbildung tätig, zunächst als Leiter einer Bildungswohngemeinschaft für junge Arbeiter in Leipzig, dann als pädagogischer Mitarbeiter an der Heimvolkshochschule Sachsenburg, schließlich als Leiter der Abteilung für Freies Volksbildungswesen am Pädagogischen Seminar der Universität Leipzig. Seine Fachidentität kann beschrieben werden als die eines Staatswissenschaftlers mit ausgeprägt volksbildnerischen, aber auch publizistisch-journalistischen Interessen. 1933 wurde Borinski entlassen, da er als sogenannter Nichtarier den Erfordernissen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums nicht entsprach. Damals war der gerade Dreißigjährige ein vielseitig ausgebildeter junger professioneller Erwachsenenbildner, der jede leitende Stellung in der Erwachsenenbildung/Volksbildung der Zeit hätte übernehmen können – sei sie mehr praktischer oder mehr wissenschaftlicher Art. Er begab sich nach seiner Entlassung durch die Universität Leipzig auf eine Wanderung durch ganz Deutschland – von einem Freund aus politischen und jugendbewegten Kreisen zum anderen. In den zahlreichen Gesprächen, die er auf diesen Wegen führte, wurde ihm vollends klar, dass er in Deutschland keine Zukunft haben würde. Er hatte das Glück, im April 1934 nach England ausreisen zu können und Aufnahme in einer Art von Settlement, einer kleinen, von den Quäkern unterstützten Wohngemeinschaft am Rand von London, zu finden. In Sicherheit zwar, aber nur geduldet, ohne Arbeitserlaubnis, begann für ihn eine Reihe von schwierigen Jahren, in denen er sich nur mühsam mit allerlei Tätigkeiten über Wasser hielt. Er hatte Heimweh nach Deutschland, hielt Verbindung zu seinem deutschen Freundeskreis und hatte nicht aufgehört, auf den Zusammenbruch des Naziregimes zu hoffen. Um dieser Lebensphase der erzwungenen Stagnation doch einen Sinn zu geben, erklärte er sie zu einer Zeit der Vorbereitung auf die Rückkehr. Er brachte es fertig, wieder ein Studium aufzunehmen, gewissermaßen als „Postdoc“, an der London School of Economics bei dem bekannten deutschen (ursprünglich ungarischen) Soziologen Karl Mannheim, auch dieser ein Emigrant. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde Borinski in London als sogenannter Enemy Alien in Gewahrsam genommen und – gegen seinen Willen - auf einer langen und gefährlichen Schiffsreise in ein Internierungslager nach Australien verbracht. Unerwartet begann für ihn dort, hinter Stacheldraht, eine kraftvolle neue Lebensepoche als Leiter der Lagerschule, die internierte Jugendliche auf Schulabschlüsse vorbereiten und allgemein geistige Anregung und Weiterbildung in der Art einer Volkshochschule oder Lageruniversität vermitteln wollte. Auch nutzte er die Zeit, um an einer wissenschaftlichen Untersuchung zur „Soziologie des Lagers“ zu arbeiten, und entwickelte sorgfältig durchdachte Pläne zum Wiederaufbau eines demokratischen Bildungswesens in Deutschland nach der Befreiung vom Nationalsozialismus, von deren Kommen er fest überzeugt war. Aus der Internierung entlassen, als Asylant anerkannt und mit Arbeitser-

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laubnis versehen, konnte Borinski 1941 nach London zurückkehren, wo er 1942 Mitbegründer einer non-governmental organisation (NGO) wurde, eines Komitees zur Vorbereitung emigrierter deutscher Pädagogen und Sozialpädagogen auf eine künftige Rückkehr in ein befreites Deutschland. Diese Nichtregierungsorganisation war eine britisch-deutsche oder deutsch-britische Initiative mit pädagogischen und bildungspolitischen Zielen und nannte sich „German Educational Reconstruction Committee“ (GER). Die Geschäftsführung wurde professionell besetzt mit Borinski als einem von zwei besoldeten „Sekretären“. GER verstand es, sowohl potentielle britische Förderer der Sache als auch deutsche Emigranten unter der Devise von ‚Reconstruction‘ anzusprechen und zusammenzubringen. Reconstruction stand für einen weltoffenen Neuanfang in Deutschland. Die verschütteten demokratischen Traditionen des deutschen Bildungswesens sollten wiederbelebt und weiterentwickelt werden. Der vieldeutige Begriff ‚Re-education‘ wurde abgelehnt, weil darunter autoritäre ‚Umerziehung‘ verstanden werden konnte (wenn auch nicht musste). Die pädagogische Arbeit von GER in London sollte von deutschen Emigranten geleistet werden; sie richtete sich auf sämtliche Zweige des Erziehungs- und Bildungswesens, und eines der Ziele war der künftige Neubau der Volkshochschule in Freiheit. Sache der britischen Partner dagegen waren die Aufgaben der Beratung, der Beschaffung von materieller und immaterieller Förderung und der Vernetzung des Projekts in der britischen Öffentlichkeit. Neben seiner Tätigkeit für GER wirkte Borinski in der Bildungsarbeit für deutsche Kriegsgefangene mit und widmete sich zudem der Abfassung verschiedener Schriften, mit denen demokratische Traditionen der Weimarer Republik, u. a. die der deutschen Volkshochschule, bekannt gemacht werden sollten (Friedenthal-Haase, Kloubert 2009). Borinski, dessen in Deutschland verbliebene nächste Angehörige, darunter auch seine Mutter, sämtlich Opfer des Holocaust geworden waren, rang sich dazu durch, an seinem einmal gefassten Ziel der Rückkehr festzuhalten. In der alten Heimat fehlte ihm ein Ankerplatz für den Neubeginn und so wartete er, um wieder Fuß fassen zu können, auf die Möglichkeit einer bezahlten Stelle und einer Unterkunft in Deutschland. Beides bot sich im April 1947 durch die residentielle Bildungsarbeit, als er die Leitung der neuen Heimvolkshochschule Göhrde (bei Lüneburg) übernehmen konnte. Später wurde er Leiter der Volkshochschule Bremen, danach, 1956, Professor für Pädagogik an der Freien Universität Berlin, wo er der Promotor einer wissenschaftlichen Ausbildung für die Erwachsenenbildung wurde. In all diesen Positionen war es ihm ein Anliegen, die internationalen Fachkontakte als Korrespondenzpartner, als Reisender und als Gastgeber zu pflegen, die Beziehungen zum Land seines Exils und seiner wegweisenden Fachkultur aufrechtzuerhalten und dem wissenschaftlichen und berufspraktisch andragogischen Nachwuchs des Faches in Deutschland

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zu vermitteln, dass der Blick über den Horizont des Nationalen hinaus sich lohnt und Teil der Fachidentität ist. Was die Bewahrung der Fachidentität betrifft, so ist Borinski einer der wenigen, die in den langen Jahren der Emigration, in seinem Fall währte sie 13 Jahre, ihre Fähigkeiten als Erwachsenenbildner nicht nur erhalten, sondern sogar erweitern konnten. Die Frage, wie und durch wen die Bildung zur Demokratie in einem vom Nationalsozialismus befreiten Deutschland wirksam betrieben und am besten gefördert werden und welche Aufgabe dabei den zur Rückkehr entschlossenen Emigranten zukommen könne, hat Borinski schon während des Krieges tiefgehend beschäftigt. Er war nicht der Auffassung, dass Emigranten als solche bereits die bestgeeigneten politischen Erwachsenenbildner für die deutsche Bevölkerung der Zeit nach 1945 seien. Vielmehr kam es ihm darauf an, dass die künftigen pädagogischen Wegbereiter der Demokratie in Deutschland die Fähigkeit erworben hätten, eine Situation von der anderen Seite aus, vom Gegenüber her zu verstehen: „[…] and before employing ‚teachers and students from exile’ particular care should be taken to make sure that they understand the social and psychological situation of the German worker (after ten years of very different and most striking experiences) and are able to find the right way of approach.“ (Borinski [1943]/1969, S. 48). Bei der Reflexion der künftigen Lehr-Lernsituation in Deutschland zeigt sich Borinskis Bestreben, in geradezu radikaler Weise von sich selbst und seiner eigenen Lebensgeschichte abzusehen. Sein persönliches wie auch professionelles Ziel war es, seinen deutschen Mitbürgern künftig in sorgfältig durchdachter und erarbeiteter Unvoreingenommenheit vollständig offen und positiv, und das hieß für ihn frei von Ressentiments, gegenüberzutreten. Nicht wenige Besonderheiten der Fallgeschichte von Fritz Borinski und seiner späteren Wirkung in Deutschland lassen sich auf die ihm eröffnete einzigartige Chance zur konstruktiven pädagogisch-professionellen Arbeit im Land des Exils zurückführen. Was hat das Komitee GER für die deutschen Pädagogen in der Emigration bedeutet? Dazu hat Fritz Borinski sich im Rückblick geäußert: „Es hat uns in einer schweren Zeit der Isolierung die Möglichkeit zu konstruktiver Arbeit gegeben; es hat Freundschaften mit Deutschen und Engländern begründet, die unser Leben bereichert haben; es hat unsere pädagogische und kulturpolitische Arbeit im heutigen Deutschland vorbereitet.“ (Borinski 1960, S. 88).

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3. Carola Rosenberg Blume: Die Volkshochschule als Lernort der Frau Carola Rosenberg, verehelichte Blume, geboren 1899 in Neudenau an der Jagst (nördlich von Heilbronn, Württemberg) und gestorben 1987 in Redlands, Kalifornien, USA, war eine bemerkenswert scharfsinnige, kreative und tatkräftige Frau.3 Sie entstammte einem jüdischen nichtakademischen Elternhaus. Von beiden Eltern wurde der Bildungsaufstieg der wissensdurstigen begabten Tochter gefördert, die ein breitgefächertes Studium der Pädagogik, Philosophie, Psychologie und Sozialwissenschaften in München beginnt und 1923 mit einer Promotion abschließt. Das Thema ihrer praxisorientierten Dissertation ist bezeichnend für ihr künftiges Wirken als Erwachsenenbildnerin: „Die Berufseinstellung und (Berufs)-interessen der weiblichen Jugend“. Schon 1924 erhält die junge Hochschulabsolventin von der Volkshochschule Stuttgart den Auftrag, die Bildungsinteressen der weiblichen Bevölkerung der Stadt Stuttgart zu ermitteln und einen entsprechenden Bildungsplan zu entwerfen. Sie arbeitet zunächst als unbesoldete Praktikantin, ist aber bereits sechs Monate später die Leiterin der neu geschaffenen Abteilung für Frauenbildung an der Volkshochschule. Diese eigene Frauenbildungsabteilung beginnt im ersten Trimester mit 15 Kursen und ist in Kürze so erfolgreich, dass pro Trimester etwa 50 Kurse für Frauen angeboten werden. In bemerkenswertem Umfang werden dadurch neue Kreise von Teilnehmerinnen gewonnen. Rosenberg-Blume richtet das Kursangebot an alle Frauen, versteht es aber, inhaltlich und didaktisch-methodisch auf Bedürfnisse und Lebensumstände von bildungsbenachteiligten Frauen einzugehen. Sie erreicht damit besonders Arbeiterinnen, berufstätige Hausfrauen und weibliche Angestellte. Die Stuttgarter Frauenvolkshochschule und ihre junge Leiterin werden bald im ganzen Reich bekannt. Rosenberg-Blume, die großes Organisationstalent mit didaktischer Konzeptionskraft verband, hatte ein Modell fortschrittlicher Volkshochschularbeit für die Frau geschaffen. Als überzeugende Sprecherin auf Tagungen und durch ihre Publikationen trug sie die Idee einer eigenständigen Frauenbildung in führende Kreise der Volkshochschulbewegung der Zeit. Ihr Fachprofil im Jahre 1933 war durch diese wegweisende Leistung bestimmt, bis es im Mai 1933 zu der dramatischen Ausgrenzung ihrer Person kam, als der Vorstand der Volkshochschule Stuttgart

3 Die folgende Darstellung des Lebenslaufs von Rosenberg-Blume beruht auf Informationen aus der von Anne-Christel Recknagel verfassten umfassenden Biographie (2002). Mit dieser engagierten und reich dokumentierten Arbeit wurde ich frühzeitig bekannt, da die Biographin über ihr Projekt noch vor der Publikation in einem von mir geleiteten Seminar über Erwachsenenbildung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena auf Einladung berichtet hat, wo ihr Vortrag lebhafte Resonanz fand.

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die Kündigung der Leiterin der Frauenabteilung beschloss, „da sie ihre Position als Jüdin nicht weiter ausfüllen könne“ (Recknagel 2002, S. 217). So endete ein bedeutendes Großprojekt urbaner emanzipatorischer Frauenbildungsarbeit in Deutschland. Carola Rosenberg-Blume wurde arbeitslos. Sie fand als Überbrückung eine Aufgabe als Mitarbeiterin des berühmten Philosophen und Erwachsenenbildners Martin Buber in der Mittelstelle für Jüdische Erwachsenenbildung, stand jedoch Bubers Bildungsidee einer geistigen Rückkehr zum Judentum kritisch gegenüber. Schweren Herzens erkannten sie und ihr (nichtjüdischer) Ehemann, der Germanist und Dichter Bernhard Blume, die Aussichtslosigkeit ihres Bleibens in Deutschland. Mit dem dieser Erwachsenenbildnerin in besonderem Maße eigenen Talent zur Planung und Neuorientierung bereitete sie die Emigration in die USA vor und konnte im April 1936 nach Überwindung großer Schwierigkeiten gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern Deutschland verlassen. Die Stationen dieser Emigration waren vielfältig, die Wege von Kalifornien über Ohio bis Massachusetts verschlungen. Bei einem modernen Ehepaar haben sich berufliche Entscheidungen nicht nur nach einer Person, sondern nach den Möglichkeiten beider Partner zu richten. Anfänglich gelang es Rosenberg-Blume, ihre in der deutschen Erwachsenenbildung gewonnenen Erfahrungen auch in den USA einzusetzen. Sie widmete ihren Lehrauftrag an einem Frauencollege im Westen der USA (Mills College in Oakland, Kalifornien) den Themen der sozialen Erwachsenenbildung, trat mit einer eigenen empirischen Untersuchung zu den Bildungsinteressen von Arbeitern in den USA hervor und wurde in Fachkreisen bekannt für ihre Initiativen zur Zusammenarbeit von Bibliotheken und Einrichtungen der Adult Education. Sie benötigte aber auch soziale Sicherheit, ein geregeltes Einkommen, und sah, dass eine feste Anstellung in den USA vornehmlich diejenigen erlangten, die einen amerikanischen akademischen Abschluss vorweisen konnten. Das veranlasste die Familienmutter von mittlerweile über vierzig Jahren dazu, wieder ein Studium aufzunehmen. Ihre früh erworbenen psychologischen Kenntnisse vertiefte sie in einem Studium der Psychologie an der Universität von Ohio in Columbus, welches sie 1949 mit einer Promotion in Klinischer Psychologie abschloss. Als nunmehr anerkannte Psychologin erlangte sie eine Dauerstellung mit Pensionsanspruch in der öffentlichen Verwaltung. Ihr Interesse an Fragen der Bildung im Erwachsenenalter war damit zwar nicht beendet, aber eine berufliche Laufbahn im Gebiet von Adult Education kam nicht mehr in Betracht. In den USA haben beide Ehepartner, Rosenberg und Blume, schließlich Sicherheit und Anerkennung gefunden und ihre beiden Söhne waren rasch amerikanisiert. Die Frage, wo sie als Paar leben wollten, in Deutschland oder Amerika, hat sie jedoch weiter beschäftigt. Für Rosenberg-Blumes Ehemann, den deutschen Schriftsteller, war der deutsche Sprachraum Quellort seiner sprachlichen Kreativität und Reso-

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nanzraum seines Werks; für sie selbst galt die Devise „Ich will dort sein, wo ich gebraucht werde“, was die Bedeutung der Nation für die Wahl des Aufenthaltsorts für sie vielleicht relativierte (Recknagel 1999, S. 35ff.). Zu einer Remigration ist es nicht gekommen – aus verschiedenen Gründen. Entscheidend dafür war, wie die Biographin Carola Rosenberg-Blumes, Anne-Christel Recknagel, zeigen konnte, dass keiner der beiden Eheleute sich zu einer Rückkehr eingeladen fühlte. Hätten alte Kollegen nur einen von ihnen zur Rückkehr aufgefordert, ihnen das Gefühl gegeben, bei dem deutschen Wiederaufbau gebraucht zu werden, und wäre so etwas wie ein Ruf an einen der beiden oder gar an beide ergangen, nur dann ließen sich begründete Aussagen über die Rückkehrbereitschaft der beiden treffen. Es liegen Zeugnisse dafür vor, dass Carola Rosenberg-Blume nach dem Krieg enttäuscht und bekümmert darüber war, dass ihre Frauenbildungsarbeit der Weimarer Zeit und auch sie selbst in ihrem alten Kollegenkreis mehr oder weniger vergessen zu sein schienen. Bei einem Gastvortrag, den sie 1955 in Stuttgart hielt, wurde sie gar einfach „als amerikanische Psychologin“ vorgestellt. Es hatte gewissermaßen eine „Normalisierung“ stattgefunden: Die rassistische Vertreibung konnte inzwischen, wenn auch nur versehentlich, in eine normale Auswanderung umgedeutet werden. An eine Einladung zur Rückkehr dachte in Deutschland offenbar niemand mehr. Vielleicht stellte man sich auch in der Nachkriegszeit die Lebensverhältnisse in den USA als so verlockend vor, dass die Rückkehr einer erfolgreichen Emigrantin von vornherein als unwahrscheinlich angesehen wurde, vielleicht aber wurde deren Fehlen im Kreis der nahen und der fernerstehenden Berufskollegen und -kolleginnen auch gar nicht als schmerzlich empfunden. Ihr ‚Platz‘ war inzwischen eben besetzt, sei es durch die Aspirationen des aufstrebenden Berufsnachwuchses, sei es, dass die durch die Vertreibung von 1933 entstandene Lücke schon bald nicht mehr sichtbar war und durch andere Personen geschlossen worden war. Die Stuttgarter Volkshochschule hat später, 1991, einen passenden Weg gefunden, um das Andenken ihrer Pionierin der Frauenbildungsarbeit zu ehren, indem sie die Aufarbeitung der Biographie gefördert und einen der Lehrsäle nach Carola Rosenberg-Blume benannt hat. Inzwischen ist das Werk dieser außerordentlichen Erwachsenenbildnerin im Fach wieder bekannt und geachtet, ja, in den lebendigen Traditionsbestand der deutschen Erwachsenenbildung eingegangen.

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III

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Ertrag, Aktualität und Ausblick

Abschließend zu den Fragen, warum die Beschäftigung mit einzelnen Gestalten sinnvoll sein kann, was Lebensgeschichten über die Fachgeschichte zeigen können und welche Aktualität diesen zeitlich weit zurückliegenden Beispielen zukommt. Die Untersuchung hat Einblick in Einzelfälle geboten: Migrationsgeschichten von drei Persönlichkeiten, deren Kenntnisse und Ideen, bedingt durch den Untergang der Demokratie, sich im Gebiet der deutschen Erwachsenenbildung nicht kontinuierlich auswirken konnten. Als Datenbasis für eine Generalisierung sind diese Lebensgeschichten nicht geeignet, und doch spricht viel für die Betrachtung auch von Individuen, durch die der einzelne Mensch mit seinen Zielen und Bedürfnissen sichtbar werden kann – in dem komplexen Bedingungsgeflecht seiner Migrationssituation. Als Einzelfälle betrachtet haben sich drei moderne Menschen gezeigt, in deren Leben gesellschaftliche Entwicklungen bereits vorweggenommen wurden. Umbruchserfahrungen verschiedener Art waren allen dreien als Voraussetzung gemeinsam. Gemeinsam war auch die Breite der Interessen und die vielleicht sogar problematisch ausufernde Neigung zu Interdisziplinarität, wodurch jedoch vielfältige Anknüpfungspunkte für Neuorientierung gegeben waren. Im Falle der Frau waren Kraft und Selbstbewusstsein für ein emanzipiertes Leben in beeindruckendem Maße gegeben: Studium, Partnerschaft, Kinder, Erfolg in beruflichem Neuland. Im Falle Honigsheims zeigt sich die Bedeutung der frühen interkulturellen Kompetenz. Als Deutsch-Franzose war er zum Leben in zwei Kulturen disponiert, was ihm das Verstehen und die Anpassung wohl auch hinsichtlich eines weiteren Sprachraums erleichterte. Bei Borinski gab es ebenfalls eine interkulturelle Frühprägung. Er stammte aus einer jüdischen Familie mit vielfältiger Migrationserfahrung. Seine Eltern hatten sich taufen lassen, während die übrige Familie, der geliebte Großvater zumal, im Judentum verblieben war. Von früher Kindheit an hatte Borinski sich mit diesen Unterschieden konstruktiv auseinandergesetzt und sich bewusst für die Identität als Deutscher entschieden, was seine Art der Emigrationserfahrung und seinen unbedingten Rückkehrwillen, den er in die Tat umsetzen konnte, zu einem guten Teil erklärt. Es sind Lebensgeschichten unserer – historischen – Fachkollegen und -kolleginnen, die Aufschluss über die frühe Entwicklung unseres Fachgebiets geben, woher das Fachgebiet kommt, welche Entwicklungsbrüche es kennt, welche Möglichkeiten es enthält. Vielleicht ließe sich einwenden, dass die Entwicklung eines Fachgebiets weniger durch Lebenswege als durch relevante fachliche Schriften dokumentiert wird: durch Fachbücher, wissenschaftliche Aufsätze, Konferenzberichte. Das trifft zu für die Ideen-, Theorie- und Konzeptgeschichte (einschließlich der gewiss

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aufschlussreichen, jedoch noch nicht geschriebenen Geschichte der fachlichen Irrtümer). Dagegen zeigen die Lebensgeschichten der in einem Gebiet Handelnden etwas über die Mikroprozesse der Praxis, über den Stand der Verberuflichung und der Akademisierung und die Realität des grenzüberschreitenden Fachtransfers (und seiner Barrieren). Honigsheim, Borinski und Rosenberg-Blume waren 1933 bereits als Hauptberufliche in der Erwachsenenbildung tätig. An der frühen Akademisierung des Fachs hatten sie auf verschiedene Weise Anteil: als Lehrende an Universitäten, allen voran Honigsheim als Hochschullehrer, Borinski als Hochschulassistent mit Leitungsaufgaben, und Rosenberg-Blume als Studierende, mit ihrem breitangelegten pädagogischen Studium und einer praxisrelevanten Dissertation über Frauenfragen. Die Lebensläufe geben Auskunft über die Schwierigkeiten des Fachtransfers über nationale Grenzen hinweg und werfen damit Licht auf das Fach sowohl im Land der Vertreibung als auch im Land der Aufnahme. Es ist die Geschichte eines als Disziplin und als Profession damals nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA und Großbritannien noch nicht voll „erwachsenen“ Gebiets, mithin eine schwierige und wiederholt unterbrochene Entwicklungsgeschichte. Es zeigte sich, dass der fachliche Wissenstransfer von einem Land in das andere nur zu einem geringen Teil von den Absichten, Begabungen und Bemühungen der Emigranten und Emigrantinnen abhing, sondern bedingt wurde durch die akademische Reife eines Fachs, durch seinen internationalen Status und, gegebenenfalls, den Stand der Professionalisierung sowie den Wert der Fachkompetenz auf dem internationalen Arbeitsmarkt. Für Migranten war es im Gebiet der Erwachsenenbildung besonders schwer, ihre fachliche Identität zu bewahren. Für eine „erfolgreiche“ Emigration – wie in den Fällen Honigsheims und Rosenberg-Blumes – kam es auf Neulernen, Umlernen und Umorientierung an, wobei nicht nur die geistige und psychophysische Energie, sondern auch der Rang und die Breite der Vorbildung die Voraussetzungen bildeten. Für Borinski war entscheidend, dass sich ihm Aufgaben boten, die ihn ernsthaft herausforderten, sich zu sammeln und klar zu definieren: zuerst die Dissertation an der London School of Economics, dann die Leitung der Lagerschule in Australien und schließlich die leitende Tätigkeit in einer britisch-deutschen NGO in London. Fragt man nach Ergebnissen, die für den Umgang mit Migrationsproblemen heute hilfreich sein können, so wird der Blick zunächst auf die Bedeutung der jeweiligen Besonderheit des Einzelfalls gelenkt. Als Beispiel genannt seien die Schwierigkeiten einer finanziell riskanten Emigration mit zwei kleinen Kindern (bei Rosenberg-Blume), die besondere Leistung und Belastung von Emigranten mit Fürsorge- und Unterhaltsaufgaben für betagte Eltern (bei Honigsheim), die Einsamkeit alleinstehender Emigranten und die höchst berechtigte Sorge um die zurückgebliebene Familie (bei Borinski). Sich in die Besonderheiten zu vertiefen und

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im Verständnis derselben zu üben, ist eine Aufgabe von allgemeiner, überzeitlicher Bedeutung. In jedem Einzelfall erwies sich die durch nichts zu ersetzende integrative Kraft einer Aufgabe, die Erfahrung, gebraucht zu werden, etwas zu sein und zu tun, das konstruktiv ist. Unmittelbar aktualisierbar erscheint das Beispiel der NGO „German Educational Reconstruction“ in ihrer Bedeutung für die deutschen Emigranten, zunächst für ihre Integration in die britische Öffentlichkeit und dann für ihre Reintegration in die entsprechenden Fachkreise in Deutschland. Damit ist ein Modell geboten – allgemein strukturell, nicht inhaltlich im Einzelnen – wie an Kompetenzen von Emigranten angeknüpft, ein Teil ihrer Kompetenzen weiterentwickelt und eine interkulturelle und internationale Zusammenarbeit mit Blick in die Zukunft aufgebaut werden kann. Es wäre sorgfältig zu prüfen, welche Möglichkeiten einem solchen, seinerzeit avantgardistischen Modell auch in der Gegenwart zukommen können. Als allgemeinstes Ergebnis lässt sich schließlich festhalten, dass an neuem Material gezeigt werden konnte, wie sehr das Fachgebiet der Erwachsenenbildung auf die Demokratie angewiesen ist, wie auch die Demokratie ihrerseits angewiesen ist auf ein informiertes, ein politisch gebildetes Publikum, das sich des Wertes der Demokratie bewusst ist. Hätte es 1933 ein solches Publikum mehrheitlich in Deutschland gegeben – die drei Menschen, von denen hier berichtet wurde, hätten in Deutschland bleiben und ihre großen Begabungen und Energien ohne Umwege in die deutsche Öffentlichkeit wie auch in die Entwicklung der Wissenschaft von der Erwachsenenbildung einbringen können.

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A Trade is a Refugee’s Passport Erwachsenenbildung für jüdische Displaced Persons in Bayern in der Nachkriegszeit Julia Devlin

Zusammenfassung

Bildung und Ausbildung öffnen Grenzen, schaffen Perspektiven und ermöglichen Existenz und Integration in einem neuen Land. Dies war zahlreichen Hilfsorganisationen sehr bewusst, als sie nach dem Zweiten Weltkrieg Bildungsprogramme für jüdische Displaced Persons schufen. Dabei ging es sowohl um den Bereich der Berufsbildung in seiner ganzen Breite als auch um das Universitätsstudium im Speziellen.

Flüchtlingshilfe der Vereinten Nationen Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg. Deutschland wurde von den alliierten Siegermächten besetzt. Eine der großen Herausforderungen, mit denen die Besatzer sich konfrontiert sahen, war es, sich um die Menschen zu kümmern, die durch das nationalsozialistische Regime aus ihren Herkunftsländern vertrieben oder deportiert worden waren. Die Alliierten hatten diese Problematik antizipiert. Schon im Juni 1944 gingen sie in ihrem Outline Plan darauf ein, dass in einem befreiten Europa nach dem Kriegsende unzählige heimatlose Menschen versorgt werden müssten. Das Hauptquartier der alliierten Streitkräfte (Supreme Headquarters Allied Expeditionary Forces, SHAEF) definierte im November 1944 den Begriff Displaced Persons, kurz DPs. Dabei handelte es sich um „Zivilpersonen, die sich aus Kriegsfolgegründen außerhalb ihres Staates befinden; die zwar zurückkehren oder eine neue Heimat © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Kloubert (Hrsg.), Erwachsenenbildung und Migration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26863-3_3

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finden wollen, dieses aber ohne Hilfestellung nicht zu leisten vermögen“ (Jacobmeyer 1985, S. 26). SHAEF wusste um die Dimension der DP-Problematik. Durch Verlustmeldungen der Exilregierungen und Schätzungen der Nachrichtendienste ging man von über 10 Millionen Menschen aus. Da eine angemessene Versorgung der DPs keine reine Militäraufgabe war, bezog das SHAEF schon früh andere Institutionen und Hilfsorganisationen in die Planung mit ein. Zu einem wichtigen Kooperationspartner wurde die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA). Die UNRRA war 1943 gegründet worden. Als eine specialized agency der Vereinten Nationen sollte sie als ausführendes Organ dem Militär bei der Befreiung, Versorgung und Repatriierung der DPs zur Seite stehen. Die DPs waren zum größten Teil Opfer des nationalsozialistischen Regimes: Zwangsarbeiter, die von den Nationalsozialisten verschleppt worden waren, ehemalige Insassen von Konzentrationslagern und Kriegsgefangene. Unter ihnen waren aber auch Osteuropäer, die freiwillig während der Kriegsjahre nach Deutschland gekommen oder vor der Roten Armee geflohen waren. Ihre Zahl genau zu bestimmen ist schwierig, die Forschung geht von zehn bis zwölf Millionen Menschen aus, die rund 20 verschiedenen Nationalitäten mit über 35 verschiedenen Sprachen entstammten. Die meisten westeuropäischen DPs kehrten rasch in ihre Herkunftsländer zurück. Anders verhielt es sich bei den DPs aus Polen, aus der Ukraine, aus Ungarn, dem Baltikum, aus Jugoslawien und der Sowjetunion. Viele DPs aus osteuropäischen Staaten fürchteten Repressalien, denn Stalin betrachtete Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter als Vaterlandsverräter. Zudem hatten diese DPs wenige Möglichkeiten, an ihr Leben vor dem Krieg anzuknüpfen, denn sie hatten häufig durch Genozid und Krieg ihre Angehörigen und ihren Besitz verloren, und durch die territorialen Veränderungen bestand oft die alte Heimat nicht mehr. Als eine der Siegermächte hatte die Sowjetunion die Repatriierung ihrer Staatsangehörigen forciert. Dabei kam es oft zu Gewaltsamkeiten gegen die entwurzelten Menschen, die in ihrer Verzweiflung mitunter so weit gingen, sich durch Selbstmord einer Repatriierung zu entziehen. So beschlossen die Vereinten Nationen 1946 gegen den Widerstand der Sowjetunion, dass eine Repatriierung nur freiwillig erfolgen dürfe. Als sich abzeichnete, dass Hunderttausende DPs sich nicht repatriieren lassen würden, setzte man sich ein neues Ziel: Resettlement. Die UNRRA wurde aufgelöst und durch die IRO (International Refugee Organization) ersetzt, an der die Sowjetunion nicht mehr beteiligt war.

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Resettlement bedeutete, die DPs in Deutschland zu integrieren oder ihnen die Auswanderung, meist in die USA, nach Kanada, Australien oder Palästina zu ermöglichen (Oltmer 2017, S. 151f.).

Die Versorgung der DPs Die Alliierten organisierten die Unterkunft und Versorgung der DPs in ihren jeweiligen Besatzungszonen. Die Menschen wurden untergebracht, wo immer sich Wohnraum fand. Das war oft in vormaligen Kasernen der Wehrmacht, in Baracken ehemaliger Konzentrations- oder Zwangsarbeiterlager oder in Kriegsgefangenenlagern, aber auch in Lazaretten, Klöstern und requirierten Privatwohnungen. Die Unterbringung erfolgte zunächst, dem Repatriierungsvorhaben entsprechend, nach nationaler Zugehörigkeit. Ab Herbst 1945 wurde im amerikanischen Sektor vermehrt darauf geachtet, für jüdische DPs einen eigenen Status zu schaffen. Dies war auf den Harrison-Report zurückzuführen, der die schwierige Situation jüdischer Menschen in den DP-Camps beschrieb. Daraufhin wurden eigene rein jüdische Camps eingerichtet (Wolfson 2015, S. 512). Ursprünglich als Provisorium gedacht existierten viele DP-Lager bis in die 1950er Jahre hinein. Sie wurden in Selbstverwaltung organisiert, es gab eine eigene Camp-Polizei und ein eigenes Gericht mit Jurisdiktion in kleineren internen Streitigkeiten. Versorgt wurden die Menschen durch die UNRRA bzw. nach deren Auflösung durch die IRO, unterstützt zudem von internationalen Hilfsorganisationen. Dabei ging es nicht nur um Ernährung und medizinische Versorgung, sondern auch um religiöse Aktivitäten, Freizeitangebote, psychologische Unterstützung und Bildung. In den DP-Camps wurden Schulen, Kirchen und Synagogen eingerichtet, Sportvereine, Theater- und Musikgruppen gegründet und Bibliotheken eröffnet.

Bildung für Displaced Persons Bildung für die entwurzelten Menschen wurde als höchst wichtig erachtet. Zum einen erhöhte es die Chancen, wieder Fuß zu fassen sowie sich selbst und eine Familie ernähren zu können. Bildung gab den Menschen zum anderen wieder einen Sinn im Leben, sprach ihnen, die zum Teil jahrelang unter entmenschlichten

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Bedingungen gelebt hatten, geistige Fähigkeiten zu, strukturierte den Tagesablauf und stiftete eine Perspektive. So verschrieben sich dann auch viele der Hilfsorganisationen, die für die DPs tätig wurden, der Bildung und Ausbildung der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen. Im Folgenden sollen die Aktivitäten der drei großen Organisationen beschrieben werden, die sich in Bayern für die Erwachsenenbildung der DPs einsetzten: UNRRA, World ORT und das American Jewish Joint Distribution Committee.

UNRRA-Universität – „für die Menschen, die heute Studenten wären, wenn es keinen Krieg gegeben hätte“ Das Deutsche Museum in München, malerisch auf einer Insel in der Isar gelegen, war nach dem Krieg von der UNRRA requiriert worden, die es zu einem Transient and Information Center umwidmete. Neben vielen Rückkehrwilligen trafen im Camp Deutsches Museum viele Menschen ein, die nicht in ihre ursprüngliche Heimat zurückkehren wollten oder bei denen sich die Weiterreise verzögerte. Diese Menschen kamen vornehmlich aus Osteuropa. Das Camp Deutsches Museum diente als Hostel, als Bierhalle, es gab Suchdienst- und Arbeitsvermittlung, einen Friseur, eine Kapelle und einen Konzertsaal. Bis zu 1900 Personen wurden täglich mit Frühstück versorgt. Auch das Zentralkomitee der befreiten Juden hatte hier seinen Sitz. So war das Camp Deutsches Museum eine wichtige, zentrale Anlaufstelle für viele DPs, die in München oder im Münchener Umland lebten. Unter ihnen waren viele, die durch den Krieg daran gehindert worden waren, ein Studium zu beginnen oder abzuschließen. In den Registrierungsbögen der UNRRA hatten bis zum Jahresbeginn 1946 3061 DPs angegeben, studieren zu wollen. So begann man gezielt, die Aus- und Weiterbildung der DPs zu organisieren. Abiturkurse wurden für Schüler und Schülerinnen angeboten, die ihre Hochschulreife noch nachholen mussten. Schwierigkeiten waren, wie zu erwarten, die verschiedenen Niveaus der Vorbildung und natürlich die Sprache. Es waren Angehörige von über 20 verschiedenen Nationen, wie die Registrierung ergab. Man kam überein, Englisch als Amtssprache zu nutzen. Ab August 1945 wurden englische Sprachkurse angeboten, die von über 2000 Interessenten besucht wurden. Aber auch Deutsch wurde als Unterrichtssprache genehmigt. Denn die meisten DPs konnten Deutsch, das in Osteuropa lingua franca gewesen war, und man ging davon aus, dass viele DPs doch länger in Deutschland bleiben würden.

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Das große Interesse an Bildung und Studium war so offensichtlich, dass eine Gruppe von Professoren unter den DPs sich zu einem Komitee zusammentat, mit dem ehrgeizigen Plan, eine Universität zu gründen. Sie sollte den Menschen gewidmet sein, „die heute Studenten wären, wenn es keinen Krieg gegeben hätte“, wie die Gründer der Universität betonten (Zittel 1979, S. 289). Am 31. Oktober 1945 wurde ein Senat gebildet, ein Rektor gewählt und Dekane für die künftigen Fakultäten bestellt. Diese Fakultäten waren: Maschinen- und Bauwesen, Land- und Forstwirtschaft, Tiermedizin, Ökonomie, Medizin und Jura. Die Universität wurde auf 2000 Studienplätze ausgelegt. Unterrichtsräume wurden von der UNRRA in den beschlagnahmten Räumlichkeiten des Deutschen Museums und der Bibliothek zur Verfügung gestellt. Der 16. Februar 1946 war das offizielle Gründungsdatum der Universität. In der Gründungsurkunde heißt es: „Die UNRRA-Universität wurde gegründet in dem Glauben, dass den Displaced Persons, während sie auf Repatriierung oder Weiteremigration warten, die Gelegenheit gegeben werden muss, dass sie ihren Geist rege halten sollen, dass sie sich vorbereiten auf die Zukunft und dass sie nach der langen Unterbrechung die Vorteile eines freien und demokratischen intellektuellen Lebens genießen sollen.“ (Zittel, 1979, S. 290 – Übersetzung der Autorin).

Am Ende des zweiten Semesters hatten 143 Professoren und Assistenten aus 13 Nationen insgesamt 2174 Studierende aus 28 Nationen unterrichtet, wobei knapp ein Drittel Frauen waren. Die meisten Studierenden und Lehrenden stammten aus der Ukraine, Polen und Litauen, gefolgt von Russland und Lettland. Trotz Mängeln in Ausstattung und sozialer Unterstützung waren die Studierenden sehr stolz auf ihre Universität und hofften darauf, dass sie zur Permanenz gelangen würde. Denn das wäre ein Signal gewesen: eine internationale Universität mit Vorbildfunktion für die Nachkriegsgesellschaft, eine, wie es idealistisch hieß, große „Verbrüderungsidee der Vereinten Nationen und der Verbrüderung der ganzen Welt“ (Zittel 1979, S. 298). Ein Sprecher der Studentenschaft, Valerius Michelson aus dem Baltikum, drückte dies in einem Interview aus: „Es scheint mir so, dass, wenn diese Universität, die nun gegründet wird, an Stärke gewinnen würde, wenn sie eine Einrichtung würde, die lebendig ist und weiter existiert, dann würde das zu einer wahren Zusammenarbeit untereinander führen. Speziell unter uns, den Menschen aus dem Osten, die es nicht geschafft haben, einander freundschaftlich zu begegnen. Sie wollten es, aber hörten nie auf zu denken „Ich bin Ukrainer“. „Ich bin Pole. Wir können nicht zusammen leben.“ Oder „Ich bin ein Ukrainer, und du bist ein Moskowiter, ein Russe. Du unterdrückst meine Nation“, und so weiter“ (Rosen 2010, S. 96 - Übersetzung der Autorin).

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Die UNRRA hingegen pochte auf den vorläufigen Charakter ihrer Hochschule. Denn sie sah ja ihre vorrangige Aufgabe in der Repatriierung, die sich mit einem langfristig angelegten Studium nicht vertrug. Schließlich wurden alle Hoffnungen auf eine neuartige Institution mit einem Federstrich zunichte gemacht: Die US-Armee ordnete an, zum 17. Januar 1947 die UNRRA-Universität zu schließen, weil die Hilfsorganisation UNRRA aufgelöst wurde. Dies traf vor allem die Studierenden hart, die kurz vor ihrem Abschluss standen. Man erreichte noch einen Aufschub bis Mai 1947. Doch am 31. Mai 1947 wurden die Universitätssiegel zertrümmert. Man erlaubte den über 2000 Studierenden, sich an anderen bayerischen Universitäten und der Technischen Hochschule München einzuschreiben. So endete die idealistische Institution der UNRRA-Universität für DPs in München.

Aktivitäten von ORT und JDC Unter den DPs, die nicht repatriierbar oder repatriierwillig waren, nahmen die jüdischen DPs eine besondere Position ein. Viele von ihnen waren osteuropäischer Herkunft. Zu den durch das nationalsozialistische Regime entwurzelten Menschen kamen 1946 und 1947 schätzungsweise 300.000 Juden in den amerikanischen Sektor, die vor Repressalien in Polen, Rumänien und Ungarn flohen. Auch sie wurden als DPs anerkannt. Wegen der besonderen psychologischen und religiösen Bedürfnisse der jüdischen DPs wurden im amerikanischen Sektor zwei internationale Hilfsorganisationen aktiv, die sich die Belange jüdischer Menschen zur Aufgabe gemacht hatten: ORT und JDC. Beide arbeiteten eng mit der UNRRA zusammen.

ORT: Improving People’s Live through Education ORT ist die Abkürzung für Obščestvo Remeslennogo Truda bzw. in der englischen Übertragung Organization for Rehabilitation through Training. Die Organisation wurde 1880 in St. Petersburg gegründet, um die Berufsausbildung der jüdischen Bevölkerung in Russland zu fördern und dadurch ihre Lebenssituation zu verbessern. Zunächst auf Russland beschränkt, wurde die Organisation 1921 in Berlin als World ORT Union etabliert. World ORT ist immer noch eine erfolgreich tätige NGO, die Schulen in der ganzen Welt betreibt. Während des Zweiten Weltkriegs folgte ORT den durch Krieg und Verfolgung entwurzelten Menschen und etablierte Bildungszentren dort, wohin die Menschen

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geflohen waren – in Großbritannien, Kanada, USA, Süd- und Mittelamerika und in Shanghai. Sofort nach Kriegsende gingen Mitarbeiter von ORT nach Bayern. Sie bezogen ihr Hauptquartier in München, wo sie von der US-Militärregierung eine Villa in der Möhlstraße in Bogenhausen zugewiesen bekamen. Zu den Unterstützern der ORT gehörte der aus Litauen stammende Arzt Dr. Zalman Grinberg, der das Ghetto Kaunas und das KZ Dachau überlebt hatte. Er wirkte als leitender Arzt am DP-Krankenhaus in St. Ottilien und baute das Zentralkomitee der befreiten Juden in der US-Zone auf, deren erster Präsident er wurde. Sinnvolle Betätigung fördere den Heilungsprozess, so Grinberg: „Nun, da es genug zu Essen gibt und die Todesdrohung hinweggenommen ist, müsste man unbedingt eine psychologische Atmosphäre schaffen, in der die Arbeit eine Art von Therapie ist“ (Shapiro 1980, S. 237). Grinberg brachte es auf den Punkt: Die Bewohner der DP-Camps litten massiv an der erzwungenen Untätigkeit. Gerade weil sich herausstellte, dass viele jüdische DPs nicht so schnell neue Aufnahmemöglichkeiten finden konnten, münzte man die Wartezeit um als Gelegenheit, Bildung und Ausbildung zu vermitteln. So begann ORT mit dem Aufbau von Schulen und Ausbildungszentren. Die erste Schule wurde in Landsberg am Lech eröffnet. Innerhalb von zwei Jahren wurden 59 weitere Schulen im ganzen amerikanischen Sektor gegründet - immer dort, wo es ein DP-Camp gab. Der Jubiläumsalmanach aus dem Jahr 1947 vermeldet stolz: „sziler 8412, personal 1089, kursn 496, fachn 53, absolwentn 2061.“ Und zuversichtlich endet der Bericht: „Betrachtet man den zurückliegenden Weg bis 1947, hat der ORT-Verband in Deutschland in der amerikanischen Zone gehörig Grund, zufrieden zu sein mit den Erfolgen. Das Jahr 1948 wird die ORT-Aktiven auf ihren Posten finden“ (ORT-Centrale in München 1947, S. 12). ORT stand vor einigen Herausforderungen. Zunächst mussten Unterrichtsräume gefunden werden. Dann musste man Bildungsstandards und ein Curriculum für eine inhomogene Gruppe traumatisierter Menschen definieren und Unterrichtsmaterial organisieren. Man brauchte Bildungsberater*innen, Psycholog*innen, Seelsorger*innen und natürlich Lehrpersonal. Es war typisch im Bildungswesen für DPs, dass viele der Lehrer*innen, Instrukteure und Professor*innen selber DPs waren. Es gab aber auch einheimische Lehrer*innen und Handwerksmeister*innen für die DP-Schulen. Oft arbeiteten die Dozenten mit den Fabriken oder Handwerksbetrieben der Umgebung zusammen, um praktische Instruktion zu vermitteln. ORT arrangierte auch die Versorgung mit Maschinen, Werkzeugen sowie Instrumenten und verteilte sie von ihrem Stützpunkt in Schleißheim aus im ganzen amerikanischen Sektor.

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Aktivitäten von ORT in Eichstätt Neben dem ORT Headquarter in München gab es Stützpunkte in der ganzen amerikanischen Besatzungszone, die in sechs Distrikte aufgeteilt wurde: Stuttgart, Kassel, Passau, Bamberg-Regensburg, München und Frankfurt am Main (ORT-Centrale in München 1947, S. 18). Eichstätt gehörte zum Distrikt IV (Bamberg-Regensburg). Das jüdische DP-Camp befand sich in der Jägerkaserne und der ehemaligen Landwirtschaftsschule. Im Frühjahr 1947 bezog die ORT-Verwaltung ihren Sitz im Gasthof Traube am Marktplatz (Ettle 2016, S. 51) und öffnete im Mai 1947 die ORT-Schule (Undzer Wort, 20.6.1947, S. 9). Die angebotenen Ausbildungen waren bei der Eröffnung: Damenschneiderin (52 Schülerinnen), Automechaniker (36 Schüler), Radio- und Elektrotechniker (15 Schüler). Bald wurde das Angebot um Weber, Ledergalanterie, Fotograf, Tischler, Goldschmiede, Friseur und Tapezierer erweitert. Schon nach wenigen Wochen stellte sich heraus, dass die Räumlichkeiten zu klein waren. Der Lagerdirektor Stern stellte zusätzliche Räume auf dem Gelände der Jägerkaserne zur Verfügung (Undzer Wort 1946–1947, S. 9). Die Abschlussprüfungen an den ORT-Schulen waren streng, um das hohe Niveau der Ausbildung zu unterstreichen (ORT-Centrale in München 1947, S. 27). Am 11. August 1947 trafen sich sämtliche ORT-Fachschul-Direktoren des Bamberger Distriktes mit Vertretern der ORT-Zentrale in Eichstätt. Anwesend waren auch David Rosenstein, der dem amerikanischen Central Board angehörte, und seine Frau Emily Rosenstein, Mitglied der World ORT Women Organization aus den USA. Auf dem Treffen wurden Probleme der Schulen diskutiert, wobei vor allem der Mangel an Werkzeug und Maschinen beklagt wurde. David Rosenstein sicherte den Anwesenden dabei die weitere Unterstützung der Organisation zu. Es waren auch Vertreter neugegründeter DP-Lager gekommen, die die Vertreter der ORT-Zentrale baten, auch in ihren Lagern ORT-Fachschulen zu gründen (ORT-Centrale in München 1947, S. 47).

ORT als Förderer der Frauen-Ausbildung 1940 wurde die Women’s American ORT gegründet. Das Motto der ersten Zusammenkunft hieß: A Trade is a Refugee’s Passport. Dahinter stand nicht nur der Leitgedanke, dass ein Mensch mit einer guten Bildung und Ausbildung überall weiterkommt und dass dies vor allem für Flüchtlinge eine wichtige Perspektive darstellte, sondern auch, dass ein Beruf vor allem für Frauen von enormer Wichtigkeit sei. ORT hatte schon seit seiner Gründung im späten 19. Jahrhundert Mädchen- und Frauenbildung propagiert. In den ORT-Schulen der DPs wurden daher auch viele Frauenkurse angeboten. Die als typisch weiblich geltenden Berufe hatten

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mit Krankenpflege, Bekleidung und Mode zu tun. Halina Wolkowitz, Leiterin der „Damen-Fächer“ der ORT-Schulen, lobte die Ausdauer ihrer Schülerinnen: „Im Kampf für die Familie hat die jüdische Frau ständig viel Mut und Charakter bewiesen. Und die charaktervolle jüdische Frau kommt nun massenweise in die ORT-Schulen in Deutschland. Sie hat das volle Bewusstsein, dass die Übergangsperiode hier in Deutschland ausgenutzt werden muss, um sich auf ein produktives Leben in der neuen Heimat vorzubereiten“ (ORT-Centrale in München 1947, S. 35, Übersetzung der Autorin). Die ersten Kurse, so schrieb Wolkowitz, waren sehr praxisorientiert und kurz, denn es gab noch keine Maschinen, kein Werkzeug und auch kein theoretisches Konzept. Dies war für die ORT-Pädagog*innen nicht zufriedenstellend, und um das Niveau der Ausbildung zu verbessern, übernahmen sie Methoden der Erwachsenenbildung, die in der Schweiz entwickelt worden waren. Auch an französischen ORT-Schulen bildete sich Wolkowitz fort. Sukzessive wurden die Arbeits- und Unterrichtsstunden auf 40 Stunden in der Woche angehoben. 30 Stunden waren der praktischen Arbeit vorbehalten, sechs für theoretisches Fachwissen und vier für Allgemeinbildung wie Hebräisch, jüdische Geschichte und Landeskunde Palästinas. Es galt, in kurzer Zeit möglichst viel zu lernen, denn allen war bewusst, dass die Zeit in Deutschland nur eine Durchgangsstation war und man jederzeit bereit sein musste, zu emigrieren, wenn sich die Möglichkeit ergab. „Nicht leicht ist der Weg, den der Schüler durchzumachen hat von dem Moment an, wo er in die Schule kommt, bis er sie beendigt“, schrieb Wolkowitz. Von frühmorgens bis in den Abend seien die Lernenden beschäftigt. „Aber der Schüler von heute ist nicht mehr der Schüler von einstmals – von vor dem Krieg. Der Schüler von heute ist ein Mensch, der die schwere Zeit von Krieg, Ghetto und KZ durchgemacht hat. Der größte Teil der Schüler sind nicht Jugendliche, deren Lebensweg erst beginnt, sondern Männer und Frauen verschiedenen Alters.“ Damit brachte Halina Wolkowitz die Herausforderungen der Lehrenden bei ORT auf den Punkt: Ihre Klientel war nicht nur äußerst heterogen, was Sprache, Bildung und Alter anbetraf, es war dazu noch durchweg traumatisiert. Mit dem Examen war die Tätigkeit von ORT nicht beendet. Es gab Unterstützung bei der Stellensuche, Weiterbildungsmöglichkeiten und praktische Anleitung durch Berufsschullehrer in der Arbeit. Die Absolventen und Absolventinnen wurden „in deutsche Fabriken und Werkstätten vermittelt, wo es große Möglichkeiten der fachlichen Weiterentwicklung gibt“ (ORT-Centrale in München 1947, S. 38, Übersetzung der Autorin). Dies rührt an eine Thematik, die in der Literatur kontrovers diskutiert wird: Wie gestalteten sich Berührungspunkte zwischen jüdischen DPs und der deutschen Umgebungsgesellschaft? Lange ging man davon aus, dass es strikt

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getrennte Lebenswelten gab (Berkowitz/Patt 2010, S. 4). In neueren Forschungen zur Geschichte der DPs wird diese Sichtweise in Frage gestellt. „They continually interacted in uneasy, sometimes cordial, and always pragmatic ways in black market enterprises and the general messy stuff - the nitty gritty – of everyday life: feeding people, taking care of children and the sick, establishing local businesses, administering refugee camps, and engaging in sports, education, and entertainment as well as sexual relations and even marriage“, schreibt die Historikerin Atina Grossmann (Berkowitz/Patt 2010, S. 15). Liest man die Artikel zu beruflicher Bildung in der DP-Zeitung Undzer Wort und die Berichte in dem ORT-Almanach, so scheint es gerade in diesem Bereich einen selbstverständlichen Umgang zwischen den jüdischen DPs und der nicht-jüdischen deutschen Bevölkerung gegeben zu haben. So betrieb ORT zusammen mit der IRO, der JDC und dem Zentralkomitee Jüdischer DPs in München eine große Berufsschule. Hier arbeiteten die Lehrer eng mit zahlreichen Fabriken der Umgebung zusammen, um praktische Instruktion zu vermitteln. Wenn kein jüdisches Lehrpersonal zu finden war, wurden Deutsche angestellt (Shapiro 1980, S. 240f.). Auch in Eichstätt übernahmen Deutsche Aufgaben in Unterricht und praktischer Unterweisung von DPs (Ettle 2016, S. 50). Mit der Staatsgründung Israels 1948 und dem U.S. Displaced Persons Act wurden den DPs in einem großen Umfang Möglichkeiten der Emigration eröffnet. So waren zu Jahresbeginn 1949 nur noch 50.000 Menschen in den DP-Camps, 1952 waren es 15.000. So stellte ORT seine Betätigung für die DPs in den frühen 1950er Jahren ein. Schätzungsweise 40.000 bis 45.000 Menschen hatten zu diesem Zeitpunkt eine Ausbildung an einer ORT-Schule abgeschlossen (Shapiro 1980, S. 245).

American Joint Distribution Committee Eine zweite NGO wurde nach dem Krieg in den jüdischen DP-Lagern aktiv, das privat finanzierte American Joint Distribution Committee (JDC). Von ORT wurde JDC als Konkurrenz empfunden. Denn JDC war zu diesem Zeitpunkt die wohlhabendste und größte jüdische Wohlfahrtsorganisation. ORT befürchtete, dass nun JDC über die Versorgung des befreiten Europa bestimmen wollte. Man fand dann aber doch meist zu einer friedlichen Koexistenz, gerade weil auch das Terrain in der Bildung abgesteckt war: berufliche und handwerkliche Bildung für ORT, Universitätsbildung, Sprachen, Religion und Geisteswissenschaften für JDC. JDC war etwas jünger als ORT, es war 1914 gegründet worden. JDC sah seine Aufgabe neben der Grundversorgung vor allem im Religions-, Bildungs- und Kulturbereich. So brachte JDC aus den USA Schreibmaschinen, Bücher, Torah-Rollen

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und Artikel für den religiösen Bedarf, richtete Schulen und Synagogen in den DP-Lagern ein. Im Februar 1946 untersuchte der amerikanische Rabbiner Alexander Rosenberg im Auftrag des JDC die religiöse Situation in den DP-Camps. Er konnte berichten, dass es in der amerikanischen Zone vier yeshivot gäbe, jüdische Hochschulen zum Studium der Tora und des Talmud. Eine yeshiva befand sich in Eichstätt. Insgesamt waren in Bayern 2000 jüdische Studenten in religiösen Schulen eingeschrieben (Brenner 1999, S. 25). Auch um Universitätsangelegenheiten kümmerte sich das JDC. Dafür wurde im Sommer 1946 ein eigenes Büro in München gegründet. Die Aufgabe dieser Anlaufstelle war es, jüdischen Studierwilligen zu helfen, sich an einer Universität einzuschreiben und sie zu unterstützen, wenn die Einschreibung gelungen war. Das Office of University Affairs gewährte finanzielle Unterstützung und half beim Finden von Jobs an den Universitäten und von Stipendien (Varon 2014, S. 131). Dazu stellte das JDC eigens einen University Officer an, Alexander Piekarczyk, einen jüdischen DP, der in Polen studiert hatte. Er fungierte als Verbindung zwischen den Studierenden, den Universitäten und der Bildungsabteilung des JDC.

Conclusio Nach den traumatisierenden Erfahrungen, die die DPs gemacht hatten, gaben ihnen Bildung und Berufsausbildung wieder eine Perspektive – konkret als Möglichkeit, sich mit einem Beruf eine von Almosen unabhängige Existenz sichern zu können, als Vergewisserung der Selbstwirksamkeit, und nach Jahren der versuchten Entmenschlichung, dem Zuspruch geistiger Kapazitäten. Zudem stellte die berufliche Bildung einen wichtigen Faktor für Integration dar, da auf diese Weise Kontakte nicht nur zwischen den international agierenden Akteuren der Hilfsorganisationen und den DPs, sondern auch zwischen den DPs untereinander und zwischen der isolierten DP-Welt im Lager und der Umgebung gebildet wurden. Mit dem System der jüdischen Religionsschulen wurde zudem dem lange unterdrückten Aspekt religiös-kultureller jüdischer Identität wieder Raum gegeben.

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Literaturverzeichnis Berkowitz, Michael/Patt, Avinoam (2010): “We are here”. New Approaches to Jewish Displaced Persons in Postwar Germany. Detroit. Brenner, Michael (1999): After the Holocaust. Princeton. Ettle, Maximilian (2016): „ … wir saßen auf gepackten Koffern …“. Die Lager für „Displaced Persons“ in Eichstätt 1945–1949. In: Historischer Verein Eichstätt 108. S. 7–100. Jacobmeyer, Wolfgang (1985): Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer. Die Displaced Persons in Westdeutschland 1945–1951. Göttingen. Oltmer, Jochen (2017): Migration. Geschichte und Zukunft der Gegenwart. Bonn. Rosen, Alan (2010): The Wonder of Their Voices. The 1946 Holocaust Interviews of David Boder. Oxford. Shapiro, Leon (1980): The History of ORT. A Jewish Movement for Social Change. New York. Varon, Jeremy (2014): The New Life: Jewish Students of Postwar Germany. Detroit. Wolfson, Leah (2015): Jewish Responses to Persecution. 1944–1946. London. Zittel, Bernhard (1979): Die UNRRA-Universität in München 1945–1947. In: Archivalische Zeitschrift 75. S. 281–301.

Quellen ORT-Centrale in München (1947): ORT US-Zone Germany 1945–1947. Almanach. München. Undzer Wort (1946-1947): Wochn-Szrift (20.06.1947). Hg. durchn C. K. fun die befraijte Jidn in Franken. Bamberg.

Spirituelle Bedürfnisse und die Lebenszufriedenheit von Flüchtlingen Janusz Surzykiewicz und Kathrin Maier

Zusammenfassung

Der Beitrag untersucht die Bedeutung spiritueller und religiöser Bedürfnisse für die Lebenszufriedenheit von geflüchteten Menschen. Die Relevanz bedürfnisund ressourcenorientierter Ansätze zur Mobilisierung von Anpassungsverhalten und Coping wie auch die besondere Bedeutung von Religiosität und Spiritualität wurden in zahlreichen Studien hervorgehoben. Eigene Studienergebnisse mit einer Stichprobe von 763 Flüchtlingen in Bayern transferieren und überprüfen diese Zusammenhänge für den Kontext von Flucht und Migration. Es konnte gezeigt werden, dass die Berücksichtigung spiritueller Bedürfnisse wie auch die Mobilisierung religiös fundierter Copingstrategien positiv zur Lebenszufriedenheit Geflüchteter beitragen. Diese Ergebnisse bieten wertvolle Ansatzpunkte für die Integrationsarbeit. Für die Praxis muss konkret gefragt werden, wie derartige Bedürfnisse von Flüchtlingen erkannt und relevante Copingstrategien unterstützt werden können. Zudem müssen konkrete Konzepte für ihre systematische und professionelle Implementierung im psychosozialen und seelsorgerischen Handeln entwickelt werden.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Kloubert (Hrsg.), Erwachsenenbildung und Migration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26863-3_4

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Janusz Surzykiewicz und Kathrin Maier

Zur Bedeutung psychosozialer und religiösspiritueller Aspekte bei Flüchtlingen

Während Religion und Spiritualität im Kontext von Integration und Akkulturation (Phalet et al. 2018; Johansson 2016; Pirner 2017) wie auch in der klinischen Gesundheitsversorgung zunehmend thematisiert werden, finden religiöse und spirituelle Bedürfnisse von Flüchtlingen kaum Beachtung (Acquaye 2017; Schouler-Ocak et al. 2016; Harris et al. 2015; Hodge 2015). Hinsichtlich ihrer psychosozialen Versorgung stehen vor allem Primärbedürfnisse zur Sicherung der Grundversorgung im Vordergrund, wohingegen sekundäre Bedürfnisse oftmals vernachlässigt werden (Kartal et al. 2019; Schick et al. 2018; Liedl et al. 2016; Kuo 2011). Trotz aller Versorgungsbemühungen wird der einzelne Mensch mit seinem persönlich-biographischen Hintergrund und seinen individuellen Entwicklungspotentialen somit nicht umfassend gesehen. Jedoch könnte gerade die Berücksichtigung religiöser und spiritueller Bedürfnisse als personale und soziale Ressourcen zur Bewältigung von Herausforderungen beitragen (Acquaye et al. 2018; Pandya 2018; Phalet et al. 2018; Wesselmann et al. 2016; Tagay et al. 2009). Migration geht in der Regel mit dem Wunsch einher, die Lebensqualität und das Wohlbefinden zu verbessern. Dennoch zeigen zahlreiche Studien und Metaanalysen, dass Migration und insbesondere Flucht hochgradig stressbelastet sind und die psychische Gesundheit oftmals negativ beeinflussen (Carlsson/Sonne 2018; Hodes et al. 2018; Esses et al. 2017; Li et al. 2016; Bogic et al. 2015; Alemi et al. 2014). Im Unterschied zu Migrant*innen verlassen Flüchtlinge ihre Heimat zumeist unfreiwillig aufgrund von Gewalt, Verfolgung, Vertreibung oder politischen Krisen und können nicht mehr in ihr Land zurückkehren (BAMF 2017; Schouler-Ocak et al. 2016). Viele Betroffene sind minderjährig (Schachner et al. 2018; Plener et al. 2017; Edge et al. 2014). Zudem fehlt es oft an Sicherheit, ob das Gastland dauerhaft Schutz gewährt (Joyce/Liamputtong 2017; Oppedal/Idsoe 2015). Im Gastland selbst müssen zahlreiche Herausforderungen bewältigt werden. Hierzu zählen die Trennung von Zurückgebliebenen und innerfamiliäre Zerreißproben, Entwurzelung und soziale Isolation, Identitätsprobleme und Rollenverluste, Akkulturationsanforderungen (z. B. sprachliche und kulturelle Verständigungsprobleme), schwierige sozioökonomische Lebensbedingungen, Diskriminierungserfahrungen und weitere strukturell bedingte Schwierigkeiten, die in Zusammenhang mit der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik stehen (z. B. Orientierungslosigkeit) (Bekteshi/Kang 2018; Schouler-Ocak et al. 2016). Anpassungsstörungen – wie beispielsweise Somatisierungen, Angstzustände und/oder posttraumatische Belastungsstörungen – spiegeln häufig die Situation von Flüchtlingen wider (Hodes et al. 2018; Carlsson/Sonne 2018; Schick et al. 2016) und gehen mit einer niedrigeren psychosozialen Adaptabilität

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und schwächerem Wohlbefinden einher. Auch haben sie markante Auswirkungen auf den gesamten Familienverbund (Sangalang/Vang 2017). Zugleich jedoch ist die Sicherung von Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit der Bevölkerung wie auch konkret von Schutzsuchenden eine grundlegende Voraussetzung für soziale Stabilität (Schick et al. 2018; Estes/Sirgy 2017; Diener et al. 2010).

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Diverse Forschungsansätze beschäftigten sich mit der Frage nach Schutzfaktoren und Ressourcen zur Abschwächung bzw. Vermeidung negativer Folgeerscheinungen von Migrations- und Fluchterfahrungen (Anderson et al. 2019; Ley/Barrio 2019; Cantekin 2019; Tekie 2018; Van Loenen et al. 2017; Edge et al. 2014; Alemi et al. 2014; Guribye et al. 2011). Religion und Spiritualität können hier als wichtige Ressourcen identifiziert werden.

Religiosität und Spiritualität Die inhaltliche Nähe der Begriffe „Religiosität“ und „Spiritualität“ lässt sich in alltagssprachlichen wie auch in wissenschaftlichen Begriffsbestimmungen erkennen (Streib/ Hood 2016). Zugleich jedoch handelt es sich um zwei voneinander unterscheidbare Konzepte. Religion erfasst vor allem eine institutionelle Religionszugehörigkeit, Glaubensnormen, Traditionen, Rituale und Texte. Der Begriff der Religiosität legt den Schwerpunkt auf eine persönliche Gestaltung und Lebenspraxis von Religion. Das Konstrukt der Spiritualität bezieht sich zwar ebenfalls auf das individuelle religiöse Erleben, wird jedoch in den Sozial- und Gesundheitswissenschaften als weiterreichender Begriff verstanden. Als solcher schließt er sowohl die persönliche Suche nach dem Heiligen, nach Sinn und nach einer Deutung von Lebenszusammenhängen als auch die Suche nach intra- und transpersonaler Verbundenheit ein. Entsprechend umfasst Spiritualität ebenso verschiedene spirituelle Traditionen, (u. a. buddhistische, christliche, islamische) Schulen sowie eine gewisse Kunst der Lebensführung im Allgemeinen (z. B. ein achtsames, gutes Leben). Spiritualität kann somit eine dezidiert existentielle Dimension einnehmen und zugleich auch transzendente Themen einschließen, wie etwa die Beziehungen zu anderen, die Suche nach Harmonie mit dem Kosmos, nach Nähe zur Natur, nach Gott, einer höheren Macht oder dem Heiligen. Insofern sind auch Weltanschauungen und Glaubenskonzepte außerhalb institutionalisierter Religionen berücksichtigt. Zusammenfassend kann Spiritualität ebenso einen theistischen Bezug aufweisen, der

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Janusz Surzykiewicz und Kathrin Maier

insbesondere die Suche und Beziehung zum „Heiligen“ beinhaltet, wie auch einen atheistischen Bezug, der in einem rein humanistischen Kontext stärker durch Selbstreflexivität und Metakognition geprägt ist. Vor diesem Hintergrund und durch ihre hohe Wertschätzung des Lebens in seiner Sinn- und Zweckhaftigkeit wurde Spiritualität in den letzten Jahren als wichtiges Konstrukt in der sozialund gesundheitswissenschaftlichen Forschung erkannt (Utsch 2018; Koenig 2018; Tomlinson et al. 2016; Zwingmann/Gottschling 2015; Emmons 2000). Die Bedeutung von Religiosität und Spiritualität als Ressourcen ist vielschichtig. Auf individueller Ebene verweisen zahlreiche empirische Befunde auf ihre positive Rolle für die Aufrechterhaltung von Wohlbefinden (Cruz et al. 2017, Biccheri et al. 2016; Aldwin et al. 2014). Darüber hinaus korreliert Spiritualität mit körperlicher und geistiger Gesundheit (Koenig 2018; Vallurupalli et al. 2012; Agaibi/Wilson 2005; Brune et al. 2002). So geht Spiritualität einerseits mit einem geringeren Ausmaß an Depression, Angst und Schmerzen sowie höherem Selbstwertgefühl, Optimismus und Engagement einher (Duarte et al. 2018; Chaar et al. 2018; Abu-Raiya et al. 2016). Auch die WHO hat spirituelles Wohlbefinden als eine wichtige Dimension von Gesundheit betont (O’Connell/Skevington 2010). Religion ermöglicht dem Menschen oftmals dort Antworten und Lösungen zu finden, wo man an menschliche Grenzen und Unzulänglichkeiten zu stoßen scheint und andere Unterstützungsquellen und Lösungsansätze versagen (Pargament/Brant 1998). Dies erklärt, weshalb extreme Belastungen mitunter auch zu einem ganz besonderen, spirituell begründeten, inneren Wachstum führen können (spiritual growth; Tedeschi et al. 1998; López et al. 2015). Zusammenfassend kann somit angenommen werden, dass Religiosität und Spiritualität auch für das Wohlbefinden von Flüchtlingen von zentraler Bedeutung sind (Pandya 2018; Simich/Andermann 2014). Dies gilt auch auf der sozialen Ebene. Bourdieu (2014) und Coleman (2003) erkennen in religiöser Zugehörigkeit einen wichtigen Bestandteil soziokultureller Ressourcen (siehe auch Schäfer 2015). So erweist sich eine enge Verbindung mit der eigenen ethnischen, nationalen oder religiösen Gemeinschaft als bedeutsamer Resilienzfaktor für den Geflüchteten und seine Familie. Kontakt mit religiösen Gruppen kann zu einer Erweiterung von sozialen Netzwerken beitragen und gerade für Flüchtlinge ohne sozialen Rückhalt weitere Kontaktmöglichkeiten mit anderen sozialen Gruppen und Organisationen eröffnen. Somit wird die Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft zu einem stabilisierenden Faktor für das gesellschaftliche Miteinander (Shakir/Topalovic 2016; O’Grady et al. 2016; Trovão et al. 2014; Tingvold et al. 2012; Dorais 2007; Shoeb et al. 2007; Hollifield 2005), indem neue Zugänge zu sozial legitimierten Formen des Kulturkapitals im Bildungs- und Beschäftigungsmarkt ermöglicht werden (Cheung/ Phillimore 2013; Ndengeyingoma et al. 2013). Dies gilt vor allem für jüngere Generation von Flüchtlingen, da religiöses Engagement den soziokulturellen Habitus

Spirituelle Bedürfnisse und die Lebenszufriedenheit von Flüchtlingen

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prägt. Auf diese Weise stärkt sie nicht nur ihr individuelles Anpassungsvermögen und ihre Leistungsfähigkeit, sondern zugleich auch eine positive gesellschaftliche Gesamtentwicklung (z. B. am Lernort Schule; Barrett 2010; Trovão 2012; Seglem et al. 2014; Phalet et al. 2018). Neben dieser sozialintegrativen Funktion werden Religiosität und Spiritualität durch ihre positiven Auswirkungen auf die individuelle Gesundheit auch als wichtige Dimensionen für die globale Gesundheitsfürsorge erkannt (Oman 2018a; b; c; Koenig 2018).

Spirituelle Bedürfnisse im Kontext Flucht Wohlbefinden im Sinne subjektiver Lebenszufriedenheit ist weltweit an ähnliche Bedingungen geknüpft (Diener et al. 1995; Wills 2009). Bei der Einschätzung des individuellen Wohlbefindens spielen daher weniger kulturspezifische Besonderheiten eine Rolle, als vielmehr das Ausmaß der psychoemotionalen Befriedigung universeller Bedürfnisse (Veenhoven 2015), welche folglich als wichtige Ressource zu verstehen ist. Auch nach Maslow (1970) liegt die Grundlage des menschlichen Wohlbefindens in der Bedürfnisbefriedigung (siehe auch Lonn/Dantzler 2017; Etzioni 2017). Bedürfnisse können als Erwartungen einer Person an das verstanden werden, was vor dem Hintergrund ihrer gegenwärtigen Situationsinterpretation sein sollte oder könnte. Bedürfnis drückt demnach die emotional erlebte, antizipierte Wahrnehmung der Bedarfsdeckung aus. Dieser Prozess findet auf der Grundlage aller bisherigen Bewertungen bzw. Sinnbildungen statt. Auf diese Weise lassen sich Grundbedürfnisse als ein Kontinuum operationalisieren, das vom Mangelzustand bis hin zur vollständigen Erfüllung reicht. Somit wirken Grundbedürfnisse als Motivationsquelle, die das Denken, Handeln und Fühlen anleiten und subjektives Wohlbefinden bedingen (Grawe 1998). Lebensqualität als subjektives Wohlbefinden wird entsprechend sowohl durch den wahrgenommenen Erfüllungsgrad von Bedürfnissen, als auch durch das Ausmaß bestimmt, zu dem sich Einzelpersonen oder Gruppen mit dem jeweils erzielten Niveau zufriedengeben. Der Grad an individuell erlebter Bedürfnisbefriedigung ist folglich eine wichtige persönliche und soziale Ressource (Costanza et al. 2007). In diesem Zusammenhang und in Anlehnung an Hobfolls Theorie (2001) fokussieren Ryan, Dooley und Bensson (2008) – in Abgrenzung zu bislang überwiegend defizitorientierten Theoriemodellen – die Bedeutung von Ressourcen für einen positiven Anpassungsprozess und das Wohlbefinden von Flüchtlingen. Dabei heben sie die Notwendigkeit hervor, Ressourcen jeweils vor dem Hintergrund aktueller individueller Bedürfnisse, persönlicher Ziele und individueller Anforderungen zu verstehen, mit denen eine geflüchtete Person konfrontiert ist. Diese unterscheiden sich je nach Fluchtphase (vorher, währenddessen, danach), wobei

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Janusz Surzykiewicz und Kathrin Maier

auch die Fluchtverläufe selbst hoch variabel sind und von verschiedenen internen und externen Einflüssen sowie unterschiedlichen individuellen, politischen und gesellschaftlichen Haltungen geprägt und beeinflusst sind (Carlsson/Sonne 2018; Bekteshi/Kang 2018; Goforth et al. 2014; Edge et al. 2014; Kuo 2011). Anpassungs- und Bewältigungsleistungen im Sinne von Coping sind ausgehend von dem komplexen Gefüge aus persönlichen Bedürfnissen, Zielen und Anforderungen insofern möglich, als der geflüchtete Mensch aktiv auf seine jeweils verfügbaren individuellen Ressourcen zurückzugreifen vermag. Überlagerungen mit kulturellen Rahmungen sowohl des Herkunfts-, als auch des Gastlandes sind hierbei zu berücksichtigen. In Kombination mit von außen verfügbaren sozialen Ressourcen kann so eine erfolgreiche Bewältigung gegebener Stressoren und folglich eine Verbesserung des Wohlbefindens erzielt werden. Ausgehend von der Bedeutung von Spiritualität und Religiosität für das menschliche Wohlbefinden erscheint es als bedeutsam, im Rahmen individueller Bedürfnisse nicht nur Grundbedürfnisse in den Blick zu nehmen, sondern auch spirituelle und religiöse Bedürfnisse einzuschließen. Religiosität und Spiritualität werden oftmals als universale anthropologische Gegebenheiten angesehen. Als solche stellen sie wesentliche menschliche Bedürfnisse dar und sind entscheidend für die Verfügbarkeit und Nutzung individueller und sozialer Ressourcen in bedeutsamen Lebensbereichen (Balboni/Balboni 2018; Ho/Yin 2016; Hodge 2015). Spirituelle Bedürfnisse werden als Belange und Erwartungen definiert, die der Vermittlung von Bedeutung, Sinn und Erfüllung im Leben dienen (Best et al. 2016; Büssing et al. 2012; Hodge/Horvath 2011). Als solche können sie rein humanistisch-existentielle Kategorien umfassen (z. B. Bedürfnisse nach Geborgenheit, Frieden, Harmonie, Zugehörigkeit, Verbundenheit mit anderen und der Umwelt), oder auch religiös begründet sein (z. B. Bedürfnis nach Heilung, Vergebung). Je nach Art und Weise des spirituellen bzw. religiösen Engagements finden sie in verschiedenen Verhaltensweisen und Ritualen Ausdruck (Tomlinson et al. 2016; Harris et al. 2016; Hodge et al. 2016a; b; Büssing et al. 2010). Durch ihre Reichweite und Vielgestaltigkeit spiegeln spirituelle Bedürfnisse somit Ambiguität und Komplexität wider und bringen dabei auch das jeweilige Verständnis von Spiritualität und Religiosität zum Ausdruck. Die Abgrenzung spiritueller und psychosozialer Bedürfnisse ist nicht immer eindeutig (Errington 2017; Hodge 2015; Meezenbroek et al. 2012). Humanistisch-existentielle Bedürfnisse etwa verkörpern nicht nur psychophysiologische Grundfunktionen, sondern beschreiben auch das menschliche Verlangen nach Selbstreflexion und Sinnsuche, nach innerem Frieden, nach Verbundenheit mit der Natur, nach Generativität (im Sinne von aktivem Geben, z. B. Trost spenden; Büssing et al. 2010; Büssing 2014). Dies gilt ebenso für Menschen, die sich selbst als religiös beschreiben, wie auch für Menschen, die sich nicht als religiös

Spirituelle Bedürfnisse und die Lebenszufriedenheit von Flüchtlingen

51

betrachten und keiner religiösen Institution angehören. Auch sie haben bestimmte Glaubenssysteme, die ihnen einen Lebenssinn vermitteln, und verfügen ebenfalls über spirituelle Bedürfnisse. Was unter „spirituellem“ Bedürfnis verstanden wird, variiert entsprechend je nach individueller Grundüberzeugung, Weltanschauung und kulturellem Hintergrund. Während spirituelle Bedürfnisse für einen gläubigen Menschen eher religiös konnotiert sind, können sie für einen nicht-religiösen Menschen eine eher humanistisch-existentielle Dimension haben, wie etwa seine Mitmenschen und sich selbst zu respektieren (Hodge 2015; Erichsen/Büssing 2013). Erste wissenschaftliche Rezeptionen zu religiös-spirituellen Bedürfnissen erfolgten im palliativmedizinischen Bereich. Das Bemühen um eine bestmögliche Patientenversorgung mit dem Ziel, Lebensqualität und Wohlbefinden auch in Terminalphasen des Lebens zu ermöglichen, trug maßgeblich zur Berücksichtigung von religiösen und spirituellen Bedürfnissen in Forschung und Praxis bei. In der Tat erhöhte sich die Zufriedenheit der Patienten und ihrer Familienangehörigen bzw. Betreuer nachhaltig (Hodge/Horvath 2011; Williams et al. 2011; Hampton et al. 2007; Astrow et al. 2007; Cobb et al. 2012; Sulmasy 2002). Eine solch umfassende Versorgung, die spirituelle Bedürfnisse berücksichtigt, zeigt auch in der allgemeinen Patientenversorgung positive Zusammenhänge zu Wohlbefinden und Lebensqualität auf (Duarte et al. 2018; Lazenby 2018; Balboni/Balboni 2018; Forouzi et al. 2017; Haußmann et al. 2017; Zeighamy/Sadeghi 2016; Vilalta et al. 2014). Die Bedeutung von Spiritualität wird auch für die Behandlung posttraumatischer Störungen bei Flüchtlingen erkannt (Acquaye et al. 2018). Die Berücksichtigung spirituell-religiöser Bedürfnisse eröffnet wichtige Ansatzpunkte für die Identifikation von Ressourcen in kritischen Lebenssituationen und stellt Handlungsimpulse für die psychosoziale Beratung, Psychotherapie und das sozialpädagogische Arbeiten mit Klienten bereit (Koenig 2018; Goncalves et al. 2015; Oxhandler et al. 2015; Ross et al. 2015). Dies könnte auch für die komplexe Situation Geflüchteter angesichts ihrer vielfältigen Herausforderungen gelten (vgl. Vorarbeiten von Ryan et al. 2008; Arksey/O’Malley 2005).

3

Religiös-spirituelles Coping

Konzeptualisiert man Religion als ein System, das Nähe zum Heiligen oder Transzendenten herstellt, verkörpern Religiosität und Spiritualität wesentliche existentielle und positive Überzeugungen, die für das gesamte Wohlbefinden und die Lebensqualität von bedeutender Relevanz sind (Koenig et al. 2012; Bonelli/Koenig 2013; Green/Elliot 2010). Die situativen Ausdrucksformen von Religiosität und Spiritualität werden

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Janusz Surzykiewicz und Kathrin Maier

von einer glaubenden Person auf ihrer Suche nach Bedeutung und Sinn gebildet und im Zuge von herausfordernden Stressoren weiter vertieft (Pargament 1997). In diesem Sinne sind religiöse und spirituelle Ausdrucksformen unmittelbar als religiöse Bewältigungsstrategien bzw. religiöses Coping zu verstehen (Pargament 2011). Diese funktionale Seite von Religiosität vermag zu einer Verbesserung von Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit beizutragen (Bekteshi/Kang 2018; Acquaye et al. 2018; Bogic et al. 2015; Benson et al. 2012). Unter Coping versteht man zielgerichtete Denkprozesse und Verhaltensweisen einer Person, die angesichts physischer, psychologischer oder sozialer Anforderungen bei der Emotions- und Belastungsregulation unterstützen (Lazarus/Folkman 1984; Folkman/Moskowitz, 2004). Religiöses Coping ist ein multidimensionales Konstrukt, das sich im Rahmen der Situationsbewertung auf verschiedene religiöse Überzeugungen und Deutungsmuster bezieht und in unterschiedlichsten religiösen und spirituellen Handlungen und Praktiken Ausdruck findet (z. B. Gebet, Suche nach spiritueller Begleitung; Pargament 2011; Wachholtz et al. 2007). In Anlehnung an das transaktionale Stressbewältigungsmodell (Lazarus/Folkman 1984) werden zwei Bewertungsstufen unterschieden: Aufbauend auf der subjektiven Situationsinterpretation vor dem Hintergrund des eigenen Gottesbildes („Was meint Gott mit mir?“; primary appraisal), erfolgt die Einschätzung der verfügbaren religiös-spirituellen Handlungsmöglichkeiten (secondary appraisal). Dabei wird zwischen aktiven, passiven und interaktiven religiösen Strategien unterschieden (Pargament et al. 1998a; b; 2004; Pargament 2002a; 2011). Aktives Bewältigen (basierend auf einem positiven Gottesbezug) wird als anpassungsfähiger Umgang mit stressvollen Anforderungen gesehen und geht mit einer Verbesserung des psychologischen Wohlbefindens und der Lebensqualität einher (Counted 2016; Cummings/Pargament 2010). Passives religiöses Coping hingegen versteht Herausforderungen als eine Bestrafung oder Abwendung durch Gott und korreliert tendenziell mit geringerer Lebenszufriedenheit (McLaughlin et al. 2013). Eine alternative Systematik unterscheidet zwischen positiven und negativen religiösen Copingstrategien (Pargament 1998a; Pargament et al. 2004). Positives religiöses Coping umfasst eine wohlwollende Bewertung des Stressors, basierend auf einer sicheren Bindung zu Gott sowie dem Vertrauen in Sinnhaftigkeit und eine spirituelle Verbundenheit (z. B. Herausforderung durch Gott, Bewältigung durch partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Gott, Wissen um Halt und Trost in Gottes Liebe und Fürsorge, Bewältigung durch ein vertrauensvolles Sich-Einlassen auf Gottes Wirken). Positives religiöses Coping steht in Zusammenhang mit innerem Wachstum sowie spiritueller, psychischer und physischer Gesundheit (Pargament et al. 2004). Negatives religiöses Coping basiert auf einer unsicheren und ängstlichen Beziehung zu Gott, getragen von einem strafenden Gottesbild und Angst vor sozialem Druck durch die religiöse Gemeinschaft. Negative

Spirituelle Bedürfnisse und die Lebenszufriedenheit von Flüchtlingen

53

religiöse Copingstrategien umfassen die Infragestellung der Allmacht Gottes sowie pessimistische Einschätzungen religiös orientierter Lösungen. Negative religiöse Bewältigung ist tendenziell maladaptiv und geht häufig mit einem schlechteren psychischen Gesundheitszustand und geringerem Wohlbefinden einher (Pargament et al. 2004). Auch wird angenommen, dass negatives religiöses Coping mitunter „religiöses Hadern“ (spiritual struggles, z. B. „Er antwortet nicht“) ausdrücken kann (Burke et al 2014). Dieses kann zu einem spirituellen Reifungsprozess führen, wie auch zu religiöser Ernüchterung. Insgesamt überwiegt die Anwendung positiver religiöser Copingstrategien (Pargament et al. 2000; 2004; Pargament 2007; 2013; Koenig et al. 2012; Koenig 2012; Bonelli/Koenig 2013). Ursprünglich für den christlichen Kulturkreis entwickelt, wird religiöses Coping inzwischen auch in anderen Religionen überprüft, u. a. im Islam (Abu-Raiya et al. 2015; Abu-Raiya et al. 2016). Auch unter Muslimen werden positive und negative religiöse Bewältigungsstrategien beobachtet (Abu-Raiya et al. 2018), wobei jedoch kulturbedingte Unterschiede sowohl zum Christentum als auch zwischen verschiedenen muslimisch geprägten Regionen existieren (Abu-Raiya/Pargament 2015). In einzelnen Gesellschaften etwa sind Religion und Kultur eng miteinander verbunden, weshalb religiöses Hadern weder normativ zulässig noch subjektiv akzeptabel ist. Vielmehr kann es zu sozialer Marginalisierung beitragen und die Gefahr von Mehrfachverlusten und sozialer Isolation erzeugen (Ai et al. 2003; Arksey/O’Malley 2005; Watts 2017; Bekteshi/Kang 2018; Counted 2019). Zusammenfassend erweist sich das Vertrauen in Gott bzw. in eine höhere Macht als wichtige Bewältigungshilfe im Umgang mit Belastungen und Krisen, die religiöses Coping fördert und somit Lebenszufriedenheit erhöht (Pargament 2002b; 2011; Koenig 2018; Cummings/Pargament 2010; van Dyke et al. 2009).

4

Religiöse Bedürfnisse, religiöses Coping und Wohlbefinden bei Flüchtlingen – Befunde eigener Forschungserkenntnisse

4.1

Forschungsfrage und Hypothesen

Religiös-spirituelle Bedürfnisse (z. B. einen höheren Sinn im Leben finden) gehen mit intrinsischer Motivation, Selbsttranszendenz, Integration und Wohlbefinden einher (Pargament 2013; Abu-Raiya et al. 2016; Forouzi et al. 2017; Zeighamy/ Sadeghi, 2016; Vilalta et al. 2014). Verstanden als Kontinuum zwischen Mangelzustand und maximaler Bedürfniserfüllung (Grawe 1998), wirken Bedürfnisse als

54

Janusz Surzykiewicz und Kathrin Maier

intrinsisch-motivationale Quelle, die nach Befriedigung strebt. Bezugnehmend auf das ressourcenorientierte Modell nach Ryan und Kollegen (2008; siehe auch Ginesini 2018; Lonn/Dantzler 2017) resultiert dieses Streben nach Bedürfniserfüllung in Anbetracht eines Mangelzustands bzw. eines bedürfnisrelevanten Stressors in Coping, um Wohlbefinden und Lebensqualität zu erhöhen. Die vorliegende Studie untersucht, inwiefern dieser angenommene Zusammenhang auch für die spezifische Subgruppe spirituell-religiöser Bedürfnisse aufgezeigt werden kann. Gerade Flüchtlinge aus anderen Kulturkreisen betonen oftmals die Bedeutung ihres Glaubens angesichts von Problemen, Krisen und Krankheit (Kizilhan 2015; Bateye et al. 2016; Ennis 2011; Agaibi/Wilson 2005). Vor diesem Hintergrund verfolgt die empirische Untersuchung die Fragestellung, inwiefern Flüchtlinge religiös-spirituelle Bedürfnisse äußern und wie diese zu ihrem Wohlbefinden beitragen. Religiöse Copingstrategien werden in einem parallelen Mediationsmodell als vermittelnde Variablen konzeptualisiert, wobei positive und negative religiöse Bewältigungsstrategien berücksichtigt werden. Das Studienmodell basiert auf einer Reihe empirischer Untersuchungen, die einzelne Dimensionen dieses Untersuchungskonzepts bei Flüchtlingen erhoben haben. So etwa wurde religiöses Coping als Prädiktor für subjektive Lebenszufriedenheit bei Flüchtlingsstichproben identifiziert (Areba et al. 2018; Acquaye et al. 2018; Counted 2018; Aflakseir/Mahdiyar 2016; Sanchez et al. 2012; Braam et al. 2010; Khan/Watson, 2006). Es wird angenommen, dass positive religiöse Copingstrategien die subjektive Lebenszufriedenheit erhöhen, während negatives religiöses Coping die wahrgenommene Lebenszufriedenheit tendenziell verschlechtert (Pargament et al. 2004). Der besondere Wert der Untersuchung liegt darin, dass diesem Zusammenhang spirituelle Bedürfnisse von Geflüchteten vorangestellt werden. Es wird vermutet, dass spirituelle Bedürfnisse insbesondere mit positiven religiösen Copingstrategien assoziiert werden. Zusammengefasst werden der Untersuchung folgende Hypothesen vorangestellt: 1. Spirituelle Bedürfnisse (X1 bis X4) beeinflussen die Lebenszufriedenheit von Flüchtlingen (Y) indirekt in Abhängigkeit von religiösen Bewältigungsstrategien (M1 und M2). Dabei gehen positive Bewältigungsstrategien (M1) mit erhöhter und negative Bewältigungsstrategien (M2) mit geringerer Lebenszufriedenheit einher. 2. Darüber hinaus weisen spirituelle Bedürfnisse auch einen direkten Einfluss auf die Lebenszufriedenheit auf (siehe Abbildung 1).

Spirituelle Bedürfnisse und die Lebenszufriedenheit von Flüchtlingen

Abb. 1

Konzeptuelles Modell des erwarteten parallelen Mediationsmodells

4.2

Stichprobe

55

Die Stichprobe umfasste ursprünglich 870 Personen, wobei die Daten von 763 Personen in die Auswertung einfließen konnten (darunter 524 Männer, 198 Frauen) . Die Altersspanne der finalen Stichprobe erstreckt sich von 14 bis 67 Jahren, mit einem durchschnittlichen Alter von M = 27,9 Jahren (SD = 8,5 Jahre) . 71,3 % der Studienteilnehmer*innen gehören dem Islam an, 20,6 % sind Christ*innen . Die Hauptherkunftsländer sind Syrien (39,9 %), Afghanistan (10,4 %) und Marokko (8,4 %) . Etwa 4 % der Befragten kommen jeweils aus Nigeria, Tunesien, Eritrea und Algerien . Andere Nationen sind mit kleineren prozentualen Anteilen vertreten (Irak, Libanon, Palästina, Iran und Ägypten) . Knapp 50 % der Befragten hatten zum Zeitpunkt der Befragung bereits einen positiv bewerteten Asylbescheid (ohne Statusanalyse), 25,7 % hatten einen ungeklärten Aufenthaltsstatus . 24 % der Befragten machten hierzu keine Angaben .

56

4.3

Janusz Surzykiewicz und Kathrin Maier

Studiendesign und Durchführung

Die vorliegende Studie wurde an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt in Kooperation mit der Privaten Universität Witten Herdecke und der Katholischen Stiftungshochschule München durchgeführt. Es handelt sich um eine einmalige Querschnittsuntersuchung mit korrelativem Studiendesign. Die Datenerhebung erfolgte zwischen Dezember 2017 und Mai 2018 in Bayern, überwiegend in den Regionen Eichstätt und München. Die Rekrutierung erfolgte mithilfe des Schneeballsystems, indem Schlüsselpersonen in den Flüchtlingseinrichtungen und -zentren um Mithilfe bei der Verteilung von Fragebögen sowie darum gebeten wurden, weitere ihnen bekannte Netzwerke zu aktivieren. Die Befragungsteilnehmer*innen wurden teilweise in Flüchtlingscamps, in Wohngruppen sowie bei unterschiedlichen Treffen und Veranstaltungen rekrutiert. Alle Befragten füllten den standardisierten Fragebogen anonymisiert aus. Die Fragebögen standen in unterschiedlichen Sprachen zur Verfügung (Englisch, Arabisch, Farsi, Deutsch, Französisch).

4.4 Erhebungsinstrumente Neben soziodemographischen Angaben (u. a. zu Geschlecht, Alter, Aufenthaltsstatus) wurden validierte Multi-Item-Skalen verwendet, um eine zuverlässige Erhebung der Studienvariablen zu gewährleisten. Spirituelle Bedürfnisse: Zur Messung spiritueller Bedürfnisse wurde der Spiritual Needs Questionnaire (SpNQ) von Büssing et al. (2010) verwendet. Das ursprünglich für chronisch Kranke entwickelte Instrument erfasst spirituelle Bedürfnisse vor dem Hintergrund der chronischen Krankheitsbelastung. Das Instrument wurde herangezogen, da davon ausgegangen wurde, dass Geflüchtete einem chronisch hohen Stresslevel ausgesetzt sind. Die 26 Items wurden faktorenanalytisch zu vier Bedürfnisfeldern zusammengefasst: Existentielle Bedürfnisse (sechs Items, u. a. Bedürfnisse nach Sinn und Bedeutung des Lebens, α = .83), generative Bedürfnisse (sieben Items, u. a. Bedürfnisse nach Verbundenheit, Wohlsein, Liebe, α = .78), Bedürfnisse nach innerem Frieden (sieben Items, u. a. Bedürfnisse nach Ruhe, Frieden, Angstfreiheit, α = .78) und religiöse Bedürfnisse (sechs Items, u. a. Bedürfnisse nach Gebet, spirituelle Lektüre, α = .81). Die Items wurden auf einer vierstufigen Skala von 1 (nicht vorhanden) bis 4 (sehr stark vorhanden) gemessen. Religiöses Coping: Die Erhebung religiöser Bewältigungsstrategien erfolgte mithilfe des Brief Measure of Religious Coping (Brief RCOPE) nach Pargament et al. (2000; 2011). Das Instrument umfasst 14 Items. Jeweils sieben Items messen

Spirituelle Bedürfnisse und die Lebenszufriedenheit von Flüchtlingen

57

positive (u. a. Suche nach einer stärkeren Verbindung und Liebe zu Gott, α = .86) sowie negative religiöse Bewältigungsstrategien (u. a. Gefühl des Verlassen-Seins von Gott, Infragestellung der Liebe Gottes, α = .91). Den Items liegt eine fünfstufige Skala von 1 (überhaupt nicht) bis 5 (sehr stark) zugrunde. Lebenszufriedenheit: Die Messung der Lebenszufriedenheit erfolgte durch die Brief Multidimensional Life Satisfaction Scale (BMLSS) nach Büssing et al. (2009). Das Instrument basiert auf der Brief Multidimensional Students‘ Life Satisfaction Scale von Huebner et al. (2004; Zullig et al. 2005) und bietet zusätzlich die Möglichkeit, die Lebenszufriedenheit im Kontext von Gesundheit und Krankheit zu erheben. Das ursprüngliche Instrument umfasst acht Items, die intrinsische (z. B. Zufriedenheit mit mir selbst), soziale (z. B. Zufriedenheit mit meinen Freundschaften), externale (z. B. Zufriedenheit mit meiner beruflichen Situation) und prospektive Dimensionen von Lebenszufriedenheit (z. B. Zufriedenheit mit meiner finanziellen Situation) einschließen. Drei weitere optionale Items betreffen die gesundheitliche Zufriedenheit (z. B. Zufriedenheit mit meiner gesundheitlichen Situation). Für die vorliegende Befragung wurden die acht generischen Items herangezogen sowie zwei weitere Items zur gesundheitlichen Zufriedenheit. Die zehn Items wurden auf einer Skala von 1 (sehr unzufrieden) bis 7 (sehr zufrieden) erhoben. Die interne Konsistenz erwies sich als sehr zufriedenstellend (α = .90).

4.5 Ergebnisse Mittelwerte, Standardabweichungen, Standardfehler und Pearson Korrelationen zwischen den Studienvariablen sind in Tabelle 1 dargestellt. Die Korrelationen zwischen der Lebenszufriedenheit, den vier Dimensionen spiritueller Bedürfnisse sowie positiven religiösen Bewältigungsstrategien erwiesen sich durchgängig als hochsignifikant und positiv. Lebenszufriedenheit und positives religiöses Coping korrelierten hingegen nicht mit negativen religiösen Bewältigungsstrategien. Die Korrelation zwischen negativem religiösen Coping und dem spirituellen Bedürfnis nach Frieden war hochsignifikant negativ. Die Korrelationen zwischen den übrigen spirituellen Bedürfnissen und negativem religiösen Coping waren (sehr) signifikant positiv.

58 Tab. 1

Janusz Surzykiewicz und Kathrin Maier Deskriptive Statistiken

Variable 1 Lebenszufriedenheit 2 Existentielle Bedürfnisse 3 Generative Bedürfnisse 4 Bedürfnisse nach Frieden 5 Religiöse Bedürfnisse 6 Positives religiöses Coping 7 Negatives religiöses Coping

1

2

M 4.49

SD 1.18

SE 0.04

.29**

2.41

0.78

0.03

.32** .62**

2.77

0.65

0.02

.31**

.34** .51**

2.72

0.68

0.02

.25** .67** .58** .33**

2.56

0.80

0.03

2.83

0.79

0.03

1.71

0.81

0.03

.25** .12** -.03

3

4

.26** .21**

.40** .08*

5

6

.31**

-.15** .31**

.05

Anmerkung: M = Mittelwert; SD = Standardabweichung; SE = Standardfehler * p < .05. ** p < .01.

Zur Berechnung des parallelen Mediationsmodells wurde das Makro PROCESS 3.0 in IBM SPSS 24 herangezogen (Hayes 2018). Prädiktor waren die vier Dimensionen spiritueller Bedürfnisse, wobei das Mediationsmodell jeweils einzeln für existentielle (X1), generative (X 2), Friedens- (X3), und religiöse Bedürfnisse (X4) getestet wurde. Kriterium war die Lebenszufriedenheit (Y). Als parallel wirkende Mediatoren zwischen den jeweiligen Ausprägungen der spirituellen Bedürfnisse (X1 bis X4) und dem Kriterium (Y) wurden positive (M1) und negative (M2) religiöse Bewältigungsstrategien vermutet. Die Modellkoeffizienten werden unstandardisiert präsentiert, um eine skalengebundene Dateninterpretation zu ermöglichen. Als Effektstärkemaß für die indirekten Effekte sowie den direkten und den totalen Effekt des Mediationsmodells wird der vollständig standardisierte Effekt angegeben (Lachowicz et al. 2018). Dieser entspricht dem standardisierten Regressionskoeffizient β. Tabelle 2 zeigt die Signifikanztestungen der indirekten, direkten und totalen Effekte. Abbildung 2 illustriert das statistische Modell mit den errechneten Regressionskoeffizienten.

Spirituelle Bedürfnisse und die Lebenszufriedenheit von Flüchtlingen

Abb. 2

59

Paralleles Mediationsmodell zur Vorhersage von Lebenszufriedenheit

Die Modellkoeffi zienten werden unstandardisiert berichtet . Schwarze Linien im Fettdruck markieren zusammen mit grau hinterlegten Kästchen signifi kante Pfade . Grau gestrichelte Linien markieren nicht-signifi kante Pfade . * p < .05 . ** p < .01

Existentielle Bedürfnisse: Es konnte ein signifi kanter indirekter Einfluss existentieller Bedürfnisse auf die allgemeine Lebenszufriedenheit nachgewiesen werden, der durch positives religiöses Coping (M1) vermittelt wird . Diesem zufolge führen existentielle Bedürfnisse zu einem geringeren Ausmaß an positivem religiösem Coping (a11 = - .26, p < .01), das wiederum entsprechend eine niedrigere allgemeine Lebenszufriedenheit nach sich zieht (b1 = .34, p < .01) . Demgegenüber führen existentielle Bedürfnisse zu einem verstärkten negativen religiösen Coping (a12 = .48, p < .01) . Eine hierdurch vermittelte Einflussnahme auf die allgemeine Lebenszufriedenheit bleibt jedoch aus (b2 = - .01, n .s .) . Wird der Einfluss religiösen Copings kontrolliert, ergibt sich zusätzlich ein direkter positiver Einfluss existentieller Bedürfnisse auf die allgemeine Lebenszufriedenheit (c’1 = .30, p < .01) . Diesem zufolge führen existentielle Bedürfnisse zu einer erhöhten allgemeinen Lebenszufriedenheit . Generative Bedürfnisse: Der indirekte Mediationspfad über positives religiöses Coping (M1) erwies sich als signifi kant, demzufolge generative Bedürfnisse zu einem verstärkten positiven religiösen Coping führen (a21 = .22, p < .01), das wiederum eine höhere allgemeine Lebenszufriedenheit nach sich zieht (b1 = .34, p < .01) . Demgegenüber führen generative Bedürfnisse zu einem verringerten negativen religiösen Coping (a22 = - .22, p < .01) . Eine hierdurch vermittelte Einflussnahme

60

Janusz Surzykiewicz und Kathrin Maier

auf die allgemeine Lebenszufriedenheit bleibt jedoch aus (b2 = -.01, n.s.). Dies gilt auch für einen direkten Effekt generativer Bedürfnisse auf die allgemeine Lebenszufriedenheit (c’2 = .12, n.s.), demzufolge der Zusammenhang zwischen generativen Bedürfnissen und Lebenszufriedenheit vollständig auf Mediationseffekte durch positives religiöses Coping zurückgeht. Bedürfnisse nach innerem Frieden wirken sich indirekt positiv auf die allgemeine Lebenszufriedenheit aus, indem sie positives religiöses Coping fördern (a31 = .12, p < .05), was wiederum eine höhere allgemeine Lebenszufriedenheit nach sich zieht (b1 =.34, p < .01). Umgekehrt verringern Bedürfnisse nach innerem Frieden negatives religiöses Coping (a32 = -.34, p < .01). Abermals bleibt jedoch eine hierdurch vermittelte Einflussnahme auf die allgemeine Lebenszufriedenheit aus (b2 = -.01, n.s.). Neben dem indirekten Mediatoreffekt durch das positive religiöse Coping kann zudem auch noch eine direkte positive Einflussnahme durch Bedürfnisse nach innerem Frieden auf die allgemeine Lebenszufriedenheit nachgewiesen werden (c’3 = .30, p < .01). Auch religiöse Bedürfnisse wirken sich indirekt auf eine erhöhte allgemeine Lebenszufriedenheit aus, indem sie positives religiöses Coping unterstützen (a41 = .37, p < .01) und somit die allgemeine Lebenszufriedenheit erhöhen (b1 = .34, p < .01). Zugleich fördern religiöse Bedürfnisse auch ein erhöhtes Ausmaß an negativem religiösen Coping (a42 = .20, p < .01). Abermals jedoch bleibt eine hierdurch vermittelte Einflussnahme auf die allgemeine Lebenszufriedenheit aus (b2 = -.01, n.s.). Auch ein direkter, d. h. vom religiösen Coping unabhängiger, Effekt religiöser Bedürfnisse auf die allgemeine Lebenszufriedenheit kann nicht nachgewiesen werden (c’4 = -.06, n.s.), demzufolge der Zusammenhang zwischen religiösen Bedürfnissen und Lebenszufriedenheit vollständig auf Mediationseffekte durch positives religiöses Coping zurückgeht.

Spirituelle Bedürfnisse und die Lebenszufriedenheit von Flüchtlingen Tab. 2

61

Totaler, direkter und indirekter Effekte des parallelen Mediationsmodells

Indirekter Mediationseffekt durch M1 (Xi → M1 → LS)

Indirekter Mediationseffekt durch M2 (Xi → M2 → LS)

Direkter Effekt von Xi auf Y (kontrolliert bzgl. Mediatoreinflüsse)

Totaler Effekt von Xi auf Y (direkt und indirekt)

[1] Existentielle Bedürfnisse B = -.09; SE B = .03; β = -.03 n.s. c’1 = .30** c1 = .20* CI [-.16; -.04] SE = .11 SE = .10 [2] Generative Bedürfnisse B = .07; SE = .03; β = .02 n.s. n.s. n.s. CI [.03; .15] [3] Bedürfnisse nach innerem Frieden B = .04; SE = .02; β = .02 n.s. c’3 = .30** c3 = .34** CI [.01; .09] SE = .10 SE = .09 [4] Religiöse Bedürfnisse B = .12; SE = .04; β = .05 n.s. n.s. n.s. CI [.06; .21] Anmerkung: Die Modellkoeffizienten sind unstandardisiert. Nur signifikante Effekte werden berichtet: * p < .05, ** p < .01. Die Signifikanztestungen der indirekten Effekte basieren auf Bootstrap-basierten Tests mit 10.000 Bootstrap-Sekundärstichproben.

4.6

Diskussion und praktische Schlussfolgerungen

Die vorliegende Studie hatte zum Ziel, den Zusammenhang zwischen spirituellen Bedürfnissen, religiösen Copingstrategien und der Lebenszufriedenheit von Flüchtlingen herauszuarbeiten. Mit Blick auf die spirituellen Bedürfnisdimensionen waren existentielle und religiöse Bedürfnisse in der untersuchten Gruppe am geringsten ausgeprägt. Das Bedürfnis nach innerem Frieden hingegen wurde am stärksten hervorgehoben. Eine ähnliche Tendenz wurde auch bei anderen Stichproben beobachtet, wie etwa bei chronisch Kranken und insbesondere bei onkologischen Patienten (Büssing et al. 2010). In Übereinstimmung mit früheren Studien zu religiösen Bewältigungsstrategien bei Flüchtlingen zeigte sich, dass religiös orientierte Anpassungs- bzw. Bewältigungsstile von den Befragten praktiziert werden. Erwartungsgemäß dominierten dabei positive Bewältigungsstrategien (u. a. hoffnungsvoller Umgang mit Lebenswidrigkeiten, Vertrauen in die göttliche Nähe) in der untersuchten Flüchtlingsstichprobe. Die Lebenszufriedenheit, die als ein wichtiges Merkmal von Wohlbefinden verstanden wird (Diener 2006;

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Veenhoven 2015), zeigt sich bei den befragten Flüchtlingen auf einem immerhin moderat-positiven Niveau. In Übereinstimmung mit den Hypothesen erwiesen sich positive religiöse Bewältigungsstrategien für sämtliche spirituelle Bedürfniskategorien als vermittelnder Faktor zur Vorhersage von Lebenszufriedenheit. Negative religiöse Bewältigungsstrategien hingegen korrelierten nicht mit der subjektiven Lebenszufriedenheit und konnten sich demzufolge nicht als vermittelnde Variable zwischen spirituellen Bedürfnissen und der Kriteriumsvariable qualifizieren. Flüchtlinge, die verstärkte Bedürfnisse nach Generativität und innerem Frieden äußerten, greifen mit höherer Wahrscheinlichkeit auf positives religiöses Coping und mit geringerer Wahrscheinlichkeit auf negative religiöse Bewältigungsstrategien zurück. Entsprechend geht eine stärkere Ausprägung dieser Bedürfniskategorien jeweils mit einer höheren subjektiven Lebenszufriedenheit einher. Die hier dargestellten Zusammenhänge verdeutlichen erwartungsgemäß, dass ein Streben nach Verbundenheit, Wohlsein und Liebe, wie auch nach Ruhe, Frieden und Angstfreiheit tendenziell von einer sicheren Bindung zu Gott wie auch einem positiven, wohlwollenden Gottesbild getragen ist. Mit Gott als verlässliche Stütze und Hoffnungsanker, der Kontrolle selbst dort ermöglicht, wo das Leben möglicherweise außer Kontrolle scheint (Pargament/Brant 1998), ist stets eine Kraft- und Vertrauensquelle verfügbar. Entsprechend steigt die subjektive Lebenszufriedenheit. Religiöse Bedürfnisse stehen ebenfalls in Zusammenhang mit einem verstärkten Maß an positiven religiösen Bewältigungsstrategien und resultieren analog in einer erhöhten subjektiven Lebenszufriedenheit. Das Streben nach einer aktiven Verbindung zu Gott, etwa im Gebet oder durch spirituelle Lektüre, regt demnach eine wohlwollende Auseinandersetzung mit den gegebenen Lebensumständen im Sinne einer Herausforderung durch Gott an, die durch ein partnerschaftliches Miteinander lösbar und bewältigbar erscheint. Zugleich impliziert dieses Streben jedoch scheinbar auch vermehrte Ängste und Zweifel am Wohlwollen Gottes, was sich in parallel auftretenden negativen religiösen Bewältigungsstrategien ausdrückt. In dieser Ambivalenz wird religiöses Hadern sichtbar (Burke et al. 2014), das möglicherweise im Zuge der langwierigen Flucht mit all ihren hoffnungserfüllten wie auch verzweifelten Momenten ausgelöst wurde. Auf diese Weise wurden positive wie auch negative religiöse Bewältigungsstile entwickelt und verfestigt, wobei positives religiöses Coping vergleichsweise überwiegt. Auf die subjektive Lebenszufriedenheit bezogen wirken sich spirituelle Bedürfnisse ausschließlich positiv aus, indem lediglich positives religiöses Coping die Lebenszufriedenheit signifikant zu beeinflussen vermag. Negatives religiöses Coping lässt in der Stichprobe keine Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit erkennen.

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Besonders interessant gestalten sich auch die Zusammenhänge zwischen existentiellen Bedürfnissen und der Lebenszufriedenheit von Geflüchteten. Stärkere existentielle Bedürfnisse (z. B. das Bedürfnis nach Sinn) gehen mit einem niedrigen Maß an positivem religiösen Coping einher. Damit wird deutlich, dass Flüchtlinge bei ihrer Suche nach Sinn und der Reflexion ihres bisherigen Lebens tendenziell nicht auf positive religiöse Erklärungsansätze (z. B. Gott will mich herausfordern, Gott liebt mich) zurückzugreifen vermögen, was sich wiederum negativ auf ihre Lebenszufriedenheit auswirkt. Umgekehrt hängen stärkere existentielle Bedürfnisse mit einem höheren Maß an negativem religiösen Coping zusammen. Demzufolge nehmen Flüchtlinge in Anbetracht der Sinnfrage oder auch der Reflexion ihrer Lebensumstände verstärkt eine Bestrafung, Ablehnung oder ein Desinteresse Gottes wahr. Auch hierin wird ein Hadern und Zweifeln deutlich. Die Befunde stimmen mit früheren Erkenntnissen überein, denen zufolge negatives religiöses Coping im Kontext kritischer Lebensereignisse (wie etwa Krankheit) Ausdruck einer existenziellen Krise ist (Rego/Nunes 2019; Counted 2018; Ai et al. 2012). In der vorliegenden Studie zeigt negatives religiöses Copings jedoch keine weiterführenden Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit. Unabhängig davon wirken sich existentielle Bedürfnisse zusätzlich auch direkt auf die Lebenszufriedenheit aus, wobei sie hier mit einer erhöhten Lebenszufriedenheit einhergehen. Demzufolge zieht die reflexive Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben prinzipiell eine erhöhte Lebenszufriedenheit nach sich, insofern die Sinnfrage nicht durch religiöse Erklärungsansätze (d. h. religiöses Coping) zu verstehen versucht wird. Die Forschungsergebnisse legen nahe, dass religiös-spirituelle Bedürfnisse sowie positives religiöses Coping für Flüchtlinge wichtige Ressourcen bzw. Schutzfaktoren für Lebenszufriedenheit sind. Angesichts ihrer Lebens- und Akkulturationsanforderungen im Gastland Deutschland erscheinen Religiosität und Spiritualität als wichtige kognitive Deutungsstrukturen und Bedürfnisquellen. Zugleich werden auch einschlägige Bewältigungsstrategien deutlich: Sinnsuche, Hoffnung auf eine bessere Zukunft wie auch die Ermutigung, im Glauben und in der Beziehung zu Gott proaktiv Lösungen zu finden und Unterstützungsressourcen zu generieren. Ähnliche Assoziationen bezüglich der Auswirkungen von religiösem Coping lassen sich auch in Studien über junge sudanesische Flüchtlinge und ihre Familien in den USA (Goodman 2004; Wilkinson et al. 2017), über Iraker (Shoeb et al. 2007) und Latinos in den USA (Bekteshi/Kang, 2018) sowie über südostasiatische Flüchtlinge in Kanada (Dorais 2007), Australien (Pulla/Woods 2016; Sulaiman-Hill/Thompson 2012), Irland (Ni Raghallaigh/Gilligan 2009) und Großbritannien (Seglem et al. 2014; Scott 2018) finden. Angesichts der vorliegenden Befunde muss künftig verstärkt der Frage nachgegangen werden, wie die Anpassungs- und Bewältigungsbemühungen der Geflüch-

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teten besser unterstützt und im Sinne der Erwachsenenbildung systematisch in psychosoziales und seelsorgerliches Handeln implementiert werden können. Dieser erwachsenenbildnerische Auftrag ist nach Schmitz (1989) als lebensweltbezogener Erkenntnisprozess zu verstehen. Entsprechend sollten die hier gewonnenen Befunde als Bildungswirklichkeit intentional auf die Lebenspraxis der Flüchtlinge übertragen werden. Für die in der Flüchtlingshilfe Tätigen gilt es hierbei, die Zusammenhänge zwischen ihren subjektiven Deutungen und der objektiven Bildungswirklichkeit zu verstehen und in ihren kommunikativen Prozessen so umzusetzen, dass auch ihre Klient*innen wirksame Lern- und Bildungsprozesse initiieren und realisieren können. Konkret unterstreichen die deutlich gewordenen religiös-spirituellen Bedürfnisse der Flüchtlinge, dass ein nachhaltiger Wissens- und Handlungsbedarf an religiös-spiritueller Bildung bzw. Beratung besteht; dies umso mehr, als eine direkte Auswirkung auf die Lebenszufriedenheit der Geflüchteten aufgedeckt werden konnte. Aus Sicht einer bedürfnisorientierten Erwachsenenbildung sollten Professionelle wie auch ehrenamtliche Helfer*innen in der Flüchtlingshilfe daher im Sinne einer Erweiterung ihres Bildungsverständnisses nicht nur kognitive Belange aufgreifen, sondern bedenken, dass auch spirituelle und religiöse Bedürfnisse für ihre Klientel von hoher Bedeutung sind. Zugleich ist aus der Gesundheitsforschung bekannt, dass die Artikulation spiritueller Bedürfnisse im psychosozialen und sozialarbeiterischen Kontext oftmals eine Überforderung für das Personal darstellt (Balboni et al. 2014). Religiosität und Spiritualität werden jedoch (zumindest) in der Flüchtlingsarbeit zukünftig eine immer gewichtigere Rolle spielen, da ein Großteil der Migranten bzw. Flüchtlinge aus Kulturen kommt, die der Religiosität bzw. Spiritualität stark verpflichtet sind. Zahlreiche Studien zeigen überdies, dass Religiosität und Spiritualität, Sinnsuche sowie Fragen nach der existentiellen Bedeutsamkeit gerade im Zuge von Fluchterfahrungen weiter verstärkt und vertieft werden (Counted 2019; Cruz et al. 2017). Eine erhöhte Responsivität auf solche Fragestellungen wird daher zukünftig sowohl für die Gesundheits- und Sozialwissenschaft wie auch für die Praxis immer bedeutsamer, wenn diese den Erwartungen und Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht bleiben wollen. In diesem Zusammenhang gilt es nicht nur, Gesprächen über spirituelle Belange offen gegenüberzustehen, sondern diese im Zuge der Betreuungsarbeiten möglicherweise auch proaktiv anzusprechen. Um eine differenzierte Betreuung von Flüchtlingen und Migranten gewährleisten und entsprechende religions- und spiritualitätssensible Beratungsformate sowie psychosoziale Dienste etablieren zu können, werden zunehmend Kenntnisse über verschiedene Religionen, Kulturen und Formate des interreligiösen Dialogs benötigt (Liefbroer et al. 2017; Brownell 2015; Hodge 2015; Whipple et al. 2015; Clarke/ Borders 2014; Ennis 2011). Erste Formate für eine kultur- und religionssensible Bildungsarbeit werden bereits in verschiedenen internationalen Programmen der

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Sozialen Arbeit sowie der klinischen Therapie und Beratung (Ginesini 2018; Hodge et al. 2016b; Utsch 2016; O’Grady et al. 2016; Oxhandler et al. 2015; Benson et al. 2012), in der Arbeit verschiedener NGO’s (Heist/Cnaan 2016; Karaman/Ricard 2016) wie auch im Rahmen religions- bzw. seelsorgerisch orientierter Aktivitäten (Schwander 2018) erfolgreich entwickelt und umgesetzt. Im Umgang mit Flüchtlingen und ihren spirituellen Belangen gilt es, diese aufzunehmen sowie individuelles Erleben und Verhalten bei positivem Coping zu fördern. Angesichts von negativem religiösen Coping ist es gegebenenfalls geboten, Reaktionen des Kontrollverlusts und der Hilflosigkeit wie auch Gefühle der religiösen Bestrafung durch stützende Gespräche zu begleiten und aufzufangen. In Fällen von religiösem Hadern sollten Klärungshilfen ermöglicht werden. Professionelle Unterstützung sollte in kritischen Situationen helfen, Deutungshorizonte zu erweitern und bei Bedarf auch Zugänge zu sozialen Netzwerken herzustellen (Abu-Raiya et al. 2018; Andrade Vinueza 2017; Abu-Raiya et al. 2016; Ross et al. 2015; Cummings/Pargament 2010). Psychosoziale Beratungsformate wie auch einzel- und gruppentherapeutische Angebote sollten entsprechend offen sein, religiös-spirituelle Belange zu integrieren und positive religiöse Copingformate zu fördern (Acquaye et al. 2018; Starnino/Sullivan 2016; Pulla 2013). Auf diese Weise kann religiöses Coping eine Neubewertung problematischer Bedingungen bis hin zu spirituellem Wachstum ermöglichen (Hill/Pargament 2008; Gladden 2012) und die Resilienz von Flüchtlingen stärken (Acquaye 2017; Hutchinson/Dorsett 2012; Rutter 2012; Ní Raghallaigh/Gilligan 2010; Ai et al. 2003; Park/Ai 2006; Manglos/Weinreb 2013; Clarke/Borders 2014). Zentral hierbei ist die Freiwilligkeit der Teilnahme wie auch persönliche Selbsterfahrungen spiritualitätsfördernder Angebote, wie eine internationale experimentelle Studie zur Rolle der Spiritualität in der Förderung psychischer Gesundheit von Flüchtlingen zeigte (Pandya 2018; vgl. auch Ginesini 2018). Eine so geartete spirituell sensible Erwachsenenbildung vermag es, den Prozess der Sinn- und Zielfindung im ‚neuen‘ Leben der Flüchtlinge zu unterstützen. Darüber hinaus sollten kulturell erlernte und tradierte Strategien und Kompetenzen der Adressat*innen gezielt berücksichtigt und aktiv aufgegriffen werden, um eine Adaptation an die neuen Lebensbedingungen weiter zu unterstützen. Basierend auf der vorliegenden Literaturanalyse wie auch den empirischen Ergebnissen zur Rolle spiritueller und religiöser Bedürfnisse wird zusammenfassend deutlich, dass Flüchtlinge trotz ihrer oftmals prekären Lebenslage über eigene Ressourcen und Möglichkeiten verfügen, den vielfältigen Belastungen entgegenzutreten (Hutchinson/Dorsett 2012; Simich/Andermann 2014; Pulla/Woods 2016). Diese Ressourcen anzuerkennen und im erwachsenen- bzw. sozialpädagogischen Arbeiten gezielt zu fördern ist von hoher Relevanz. Hierin werden wichtige Bedarfe deutlich, die den Rahmen der Flüchtlingshilfe wirkungsvoll zu erweitern vermögen. Die

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Berücksichtigung spiritueller Bedürfnisse von Flüchtlingen und eine professionelle Begleitung ihrer Anpassungs- und Bewältigungsstile können auf diesem Weg zu einer erhöhten individuellen wie auch gesellschaftlichen Zufriedenheit beitragen. Dabei ist es von Bedeutung, dies nicht nur im klinischen Setting zu praktizieren. Vielmehr müssen vor allem auch die Theoriebildung und Konzeptentwicklung der Erwachsenenbildung wie auch der Sozialpädagogik und Sozialen Arbeit diese Themen verstärkt anstoßen, sprachfähig machen und unmittelbar in die sozialarbeiterische Praxis transferieren (vgl. Ginesini 2018; Lonn/Dantzler 2017).

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Möglichkeiten und Grenzen Transformativen Lernens im Kontext von Flucht- und Migrationserfahrungen Saskia Eschenbacher Möglichkeiten und Grenzen Transformativen Lernens

Zusammenfassung

Im Beitrag werden Migrationserfahrungen aus der Perspektive der Theorie des Transformativen Lernens von Jack Mezirow reflektiert. Dabei wird Migration als eine krisenhafte Erfahrung betrachtet, die ein desorientierendes Dilemma auslöst. Dadurch werden Prozesse einer intensiven Bildung angeschlossen.

Einleitung „The crisis imposes a rest not from life but in life“, schreibt Vinciguerra (2017, S. 359) mit Blick auf krisenhafte Erfahrungen von Migration und Flucht. Krisen, die uns zum Innehalten zwingen, bilden das Zentrum der Theorie Transformativen Lernens (Mezirow). Beide Kontexte eint eine strukturelle Gemeinsamkeit, der Zwang, individuell ein überindividuelles Problem, das seinen Niederschlag in der Krise findet, konstruktiv in eine Chance umzuarbeiten. Wenn sich das Öffentliche im Privaten bricht, ist das Individuum herausgefordert, Antwortmöglichkeiten auf diese Krisen zu entwerfen. Dieser Beitrag verbindet beide Kontexte miteinander und geht der Frage nach, ob, und wenn ja, wie im Zuge von Flucht- und Migrationserfahrungen transformativ gelernt werden kann respektive wird. Gefragt werden muss zunächst, wieso transformatives Lernen besser geeignet ist als andere Theorien des Lernens im Erwachsenenalter, um diese krisenhaften Erfahrungen beschreiben zu können. Findet sich etwas Flucht- und Migrationserfahrungen-Inhärentes, das eine Beschäftigung mit dieser Theorie lohnenswert(er) macht? Inwiefern kann hier © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Kloubert (Hrsg.), Erwachsenenbildung und Migration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26863-3_5

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von transformativen Lernprozessen gesprochen werden, etwa im Unterschied zu Lernprozessen generell (z. B. additives Lernen)? Welche Möglichkeiten ergeben sich im Rahmen der Erwachsenenbildung durch diese Lerntheorie, transformative Erfahrungen im Kontext von Flucht und Migration (besser) zu verstehen? Wo stößt die Theorie selbst an Grenzen und ist vielleicht sogar zum Innehalten und zur ‚Neuorientierung‘ gezwungen? Diese (und andere) Fragen werden der Reihe nach adressiert und miteinander verwoben. Reflektiert wird dabei durchgängig auf das bereits skizzierte Spannungsverhältnis von individuellen und überindividuellen Prozessen. Die Theorie Transformativen Lernens ist an eben dieser Schnittstelle verortet. Taylor beschreibt Mezirows Ansatz als „in the middle-of-the-road position“ (1998, S. 18). Wie diese Position als Ressource genutzt werden kann, zeigt sich am Phänomen des Lernens im Kontext von Flucht und Migration, das sich in genau diesem Spannungsverhältnis vollzieht. Gleichzeitig ergibt sich hier die Möglichkeit einer Rückbindung an die Theorie und ihren Entstehungskontext, genauer gesagt können der Theorie inhärente Leerstellen unter Bezugnahme auf das Lernen im Kontext von Flucht und Migration freigelegt werden, die bislang zu wenig berücksichtigt wurden. Dabei wird ebenfalls der Frage nachzugehen sein, welche Chancen dieser Kontext bereithält, die Theorie in ihren Ursprüngen wiederaufzugreifen.

Transformatives Lernen im Erwachsenenalter Die Besonderheit der Theorie ergibt sich aus deren transformativer Dimension: Sie adressiert existentielle Veränderungsprozesse Erwachsener (u. a. Mezirow 1991). Transformatives Lernen zielt auf den Entwurf einer Antwortmöglichkeit auf die Frage nach einer möglichen Umarbeitung von Krisen in Chancen ab. Im Zentrum der Theorie steht eine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen (Erfahrungs-) Hintergrund, der zum Vordergrund wird, wenn, wie im Beispiel von Migration und Flucht, das Unhinterfragte plötzlich fraglich wird. Transformatives Lernen betont die Freiheit und Möglichkeit des Menschen, sich selbst und die den Menschen umgebende Welt anders wahrzunehmen und in ihr zu leben, sie betont gleichzeitig das emanzipatorische Potenzial, die Möglichkeit, die zur Wirklichkeit werden kann. Als andragogische Theorie beschäftigt sich die Theorie Transformativen Lernens mit dem Lernen Erwachsener. Mezirows „middle-of-the-road position“ (Taylor 1998, S. 18) ist eng verwoben mit dem Entstehungskontext der Theorie, dem women’s movement in den USA. Mezirow legt 1978 (a; b) die Studie „Education for Perspective Transformation - Women’s Re-entry Programs in Community Colleges“

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vor, innerhalb derer transformative Lernprozesse identifiziert werden. Die Theorie selbst fokussiert die Schnittstelle von Individuum und Gesellschaft (Tennant 1993, S. 36). Transformativ gelernt wird dann, folgt man den Ausführungen von Mezirow, wenn ein kritisches Bewusstsein dafür entsteht, wie sich öffentliche Strukturen im Privaten brechen: “A woman becomes a transformation learner when she realizes how the culture and her own attitudes have conspired to define and delimit her self-conception, her lifestyle, and her options in terms of a set of prescribed, stereotypic roles. As a result of recognizing these taken-for-granted cultural expectations and how they have shaped the way she thinks and feels about herself and her relationships, the transformation learner comes to identify her personal problem as a common one and a public issue” (Mezirow 1978a, S. 15, Hervorh. i. O.).

Transformatives Lernen generell wird von Mezirow und Taylor (2009, S. xi) beschrieben als „approach to teaching based on promoting change, where educators challenge learners to critically question and assess the integrity of their deeply held assumptions about how they relate to the world around them“. Ziel transformativen Lernens ist eine Perspektiventransformation, im Zuge derer (eigene) Grundannahmen kritisch reflektiert werden, vor allem im Hinblick darauf, wie und warum diese das eigene In-der-Welt-Sein beschränken. Werden diese habitualisierten Strukturen transformiert, wird der eigene Bezugsrahmen (frame of reference) differenzierter und umfassender (Mezirow 1991, S. 167). Der Prozess der Perspektiventransformation ist eindeutig im Individuum verortet, nicht in der Gesellschaft. Er zeigt sich als „shift in the tectonic plates of one’s assumptive clusters“ (Brookfield 2000, S. 139). Dieser Prozess vollzieht sich nur dann, wenn der gegenwärtige Bezugsrahmen nicht mehr ausreicht, der bisherige Erfahrungshorizont überschritten wurde und transformativ gelernt werden muss: „Adding knowledge, skills, or increasing competencies within the present perspective is no longer functional“ (Mezirow 1978b, S. 104). Dieser Unterschied begründet das emanzipatorische Potential transformativer Lernprozesse. Im Rahmen der Studie, die Mezirow (1978a) vorgelegt hat, identifiziert er verschiedene Phasen, die hierbei durchlaufen werden. Diese Phasen wurden weitestgehend durch weitere Forschungsarbeiten bestätigt (Mezirow 2012) und blieben dementsprechend in ihren Grundzügen erhalten. Das Spannungsverhältnis von individuellen und überindividuellen Prozessen findet auch seinen Niederschlag in diesen Phasen. Mehrheitlich handelt es sich um individuelle Prozesse, die jedoch mit überindividuellen Prozessen verknüpft oder auf diese angewiesen sind, wie beispielsweise in der vierten Phase: Das eigene Problem respektive der eigene Transformationsprozess wird nicht nur als individuell wahrgenommen,

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sondern ist auf die Erkenntnis angewiesen, dass die eigene Krisenerfahrung und der Lernprozess von anderen geteilt werden. Verwiesen wird durchgängig auch auf die soziale Dimension dieser Transformationsprozesse, wie beispielsweise das Explorieren neuer Möglichkeitsräume hinsichtlich (neuer) Rollen, Beziehungen und Handlungsoptionen oder auch die Reintegration im Rahmen von Beziehungen, die über die Beziehung zu sich selbst hinaus verweisen. Ziel transformativen Lernens ist die strukturelle Neuorganisation des eigenen Bezugsrahmens, der den Kontext für das eigene In-der-Welt-Sein bildet: „Our values and sense of self are anchored in our frames of reference. They provide us with a sense of stability, coherence, community, and identity. Consequently they are often emotionally charged and strongly defended“ (Mezirow 2000, S. 18). Auch hier zeigt sich das Spannungsverhältnis zwischen individuellen und überindividuellen Dimensionen transformativen Lernens, wenn auf Stabilität, Kohärenz (der eigenen Lebenserzählung), Gemeinschaft und Identität verwiesen wird. Taylor verdichtet diese Zusammenhänge nochmals unter Bezugnahme auf die Theorie Mezirows: „He seems to sit in the middle between two models of change, one that emphasizes change associated with coming to terms with the Self and the other that emphasizes change associated with coming to terms with Self in relationship to society“ (Taylor 1998, S. 18f.).

Flucht- und Migrationserfahrungen Morrice et al. (2017, S. 129) bieten mit ihrer prägnanten Definition von Migration den Ausgangspunkt für das vorliegende Kapitel: „Migration might be voluntary; or it can be forced, for example, refugees fleeing persecution, displacement caused by environmental disasters, climate change, prolonged conflict, grinding poverty and dispossession of land“. Friedenthal-Haase beschreibt in diesem Band die damit einhergehenden Erfahrungen als verschärften Kampf um Selbsterhaltung, als eine Lebenskrise des Verlusts und der Entwurzelung, „eine Krise auch des Lernens, des Umlernens, des Verlernens sowie auch der Neuorientierung, der Neubeheimatung; mithin eine Herausforderung und eine Chance für ein besseres Leben - für die einzelnen Migranten und Migrantinnen; Herausforderung und Chance aber auch für das aufnehmende Land“ (Friedenthal-Haase 2018). Strukturell zeigt sich auch in diesen Ausführungen die Verwobenheit von individuellen und überindividuellen Prozessen, die Krise muss dennoch vom Individuum in eine Chance umgearbeitet werden, sofern möglich. Unterstützung kann und soll dem Einzelnen hier durch erwachsenenbildnerische Angebote zuteilwerden. Friedenthal-Haase verweist (in

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diesem Band) explizit auf die fachlich professionelle Dimension der Erwachsenenbildung im Hinblick auf das Thema Migration, sie hebt die Zuständigkeit der Disziplin, Migrantinnen und Migranten darin zu unterstützen, mit den Folgen von Migration lernend konstruktiv umzugehen, explizit hervor. Die fachlich professionelle Zuständigkeit von Erwachsenenbildnerinnen und Erwachsenenbildnern zeigt sich auch in der Angewiesenheit von Migrantinnen und Migranten auf Bildungsprogramme, die eine (Neu-)Orientierung ermöglichen, was beispielsweise Sprache, Kultur und Arbeitsmarkt betrifft. Der Erwachsenenbildung kommt darüber hinaus die Aufgabe zu, „to ensure their [migrant’s] sense of belonging and full participation in the host society“ (Webb et al. 2016, S. 213). Das Gefühl der Zugehörigkeit zu der aufnehmenden Gesellschaft betont nochmals die Verwobenheit von individuellen und überindividuellen Prozessen. Hertz (1981) differenziert drei Phasen, die Migrantinnen und Migranten im Laufe ihres Migrationsprozesses durchlaufen. Die erste Phase wird als Impact-Phase bezeichnet, sie ist geprägt durch positive und negative Gefühle (Hoffnung, Entlastung, Angst und Depression). Daran schließt sich eine zweite, sogenannte Rebound-Phase an, die hauptsächlich durch Enttäuschung gekennzeichnet ist (damit einhergehend Aggression und Depression, Wut oder Rückzug). Die dritte Phase, die er als Coping-Phase bezeichnet, verweist auf das der Situation inhärente Entwicklungspotential, das eine Innen- und eine Außenperspektive einschließt und zentral für einen entsprechenden Integrationsprozess ist. Auch hier zeigt sich wieder die Verwobenheit individueller und überindividueller Prozesse, die situativ unterschiedlich erlebt werden. Was bereits weiter oben als verschärfter Kampf um Selbsterhaltung beschrieben wurde, wird dann besonders riskant, wenn die Erfahrung von Mangelhaftigkeit oder Unzulänglichkeit gemacht wird und sich eine entsprechende Marginalisierung vollzieht. Einen anderen Zugang wählt Achotegui (2005). Er fokussiert ebenfalls auf die individuelle Ebene und beschreibt diese Erfahrungen im Rahmen des Ulyssess Syndromes, oder Immigrant syndrome with chronic and multiple stress. Dieses Syndrom (respektive Krankheitsbild) beschreibt eine spezifische mentale Störung (ungeachtet der Kultur und des sozio-ökonomischen Status von Migrantinnen und Migranten). Sie zeigt sich als eine Kombination von Einsamkeit, Erfahrungen des Scheiterns, extremer Not und Terror und schafft damit die psychologische und psychosoziale Grundlage für dieses Störungsbild. Als Abwehrmechanismen nennt er Negation, Wut und Aggressivität bis zu dem Zeitpunkt an dem eine Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen ein Weitergehen erlaubt und eine Integration der (Lebens-) Erfahrungen möglich wird. Die Problematik dieses Störungsbildes liegt darin, und das wird deutlich unter Bezugnahme auf die mehrfach skizzierte Verwobenheit individueller und überindividueller Prozesse, dass die öffentliche, überindividu-

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elle oder auch politische Dimension nicht nur in den Hintergrund rückt, sondern beinahe unsichtbar wird. Die Einnahme einer gesellschaftskritischen Perspektive oder auch die kritische Auseinandersetzung mit den (politischen) Umständen, die Migration respektive Flucht zur Folge haben, bleibt aus. Die Möglichkeit einer (kritischen) Auseinandersetzung der Mitglieder der aufnehmenden Gesellschaft mit sich selbst und der politischen Situation bleibt damit verschlossen. Die Kosten trägt das Individuum, das als krank beschrieben wird.

Transformatives Lernen im Kontext von Flucht- und Migrationserfahrungen Flucht- und Migrationserfahrungen werden von Vinciguerra (2017, S. 353) in ihrer überindividuellen Dimension als „social[ly] stressful event“ und in ihrer individuellen Dimension als „migratory grief“, migratorisches Leid, beschrieben. Beide Dimensionen finden ihren Ausdruck im Erleben eines „disorienting dilemma“, das in seiner Intensität von den Unterschieden zwischen dem Herkunftsland und der aufnehmenden Gesellschaft abhängt (Morrice 2012, S. 253; Fursova 2013, S. 7). In der Diskussion (e. g. Morrice 2012; 2014; Fursova 2013; Vinciguerra 2017; Webb 2015) um transformative Lernprozesse im Zusammenhang mit Flucht- und Migration wird durchgängig auf das Ausgesetztsein gegenüber Erfahrungen verwiesen, die außerhalb des gewöhnlichen Erfahrungsbereichs liegen, über das Gefühl von Entwurzelung (Gemeinschaft, Kultur, Arbeit, Sprache) und das Abgeschnittensein von Teilen der eigenen Identität, die vormals hoch relevant waren (Morrice 2012, S. 252). Das Gefühl der Entwurzelung und eine brüchig gewordene Identität verweisen beide sowohl auf individuelle als auch auf überindividuelle Dimensionen dieser Krisenerfahrung. Trotz dieser Migrations- und Fluchterfahrung einenden Aspekte muss gleichzeitig auf die individuellen und überindividuellen Unterschiede verwiesen werden; „migratory experiences are shaped and conditioned by ethnicity, race, gender, social class and position in the life cycle“ (Morrice 2014, S. 149). Gemeinsam ist diesen Erfahrungen die enge Verwobenheit mit der Frage nach dem eigenen Gewordensein und dem Entwurf möglicher neuer Identitäten, die sich aus der Krisenerfahrung ergeben (könnten) und im Prozess des Innehaltens erarbeitet werden (können): „Learning and identity formation are inescapable facets of the upheavals accompanying migration; movement across social space inevitably involves reflection, questioning and the need to learn new ways of being and new identities“ (Morrice 2014, S. 149). Migrantinnen und Migranten sind laut Morrice (2014, S. 151) mit der Notwendigkeit konfrontiert, ihr Leben neu zu

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entwerfen und ihre Identitäten neu zu verhandeln. Die Möglichkeit existentieller Veränderungs- respektive Transformationsprozesse ist Migrations- und Fluchterfahrungen immanent. Der Blick auf die Theorie Transformativen Lernens hebt diese Möglichkeit und das darin enthaltene emanzipatorische Potential hervor. Im Zuge von Migrations- und Fluchterfahrungen wird der bestehende Bezugsrahmen, frame of reference (Mezirow), durchbrochen, mit ihm das biographische Wissen und Selbstverständnis des einzelnen Individuums (Morrice 2014, S. 152; 2012, S. 252); das Individuum ist herausgefordert, den eigenen (zumeist bislang unhinterfragten) Bezugsrahmen in Frage zu stellen (Fursova 2013, S. 7). Folgt man den Ausführungen von Mezirow (2000, S. 18), dann ist ein Gefühl von Kohärenz ein zentraler Bestandteil eben dieses Bezugsrahmens, der plötzlich brüchig geworden ist. Die Arbeit von Antonovsky (1997) verweist auf die zentrale Rolle von Kohärenz, die ein Bewusstsein der eigenen Integrität, einen inneren Zusammenhalt der Lebensgeschichte, die Verbundenheit mit anderen Menschen und das Gefühl, sich in einer verstehbaren, kontrollierbaren und bedeutungsvollen Welt zu bewegen, mit einschließt. Die Aufrechterhaltung des Kohärenzgefühls gilt als Konstituente psychischer Gesundheit. Eine kontinuierliche Reproduktion einer kohärenten Lebenserzählung ist hierbei zentral. Traumatische Erfahrungen generell, sowie Migrations- und Fluchterfahrungen im Besonderen, bergen eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass dieser Prozess nachhaltig gestört wird. Gerade der Zusammenhang von Identität und Herkunft spielt eine wesentliche Rolle, in ihr enthalten sind die Bezugspunkte des eigenen Gewordenseins. Im Kontext von Flucht- und Migrationserfahrungen ist die Kontinuität und Kohärenz der eigenen Lebensgeschichte bedroht, häufig begleitet von einem Erleben von Verwirrung und Zerrissensein. Vinciguerra betont die Notwendigkeit, sich diese Veränderungsprozesse bewusst zu eigen zu machen: „The real risk for the immigrant is to undergo the change passively, rather than actively acquire it consciously“ (Vinciguerra 2017, S. 356). Nur dann können auch die entsprechenden Phasen transformativen Lernens durchschritten und mit einer Reintegration (vorläufig) abgeschlossen werden. Vor allem auf diese letzte Phase in Mezirows Arbeit wird auch im Kontext der Debatte um transformatives Lernen im Kontext von Flucht und Migration verwiesen (Morrice 2012, S. 254). Dieser vorläufige Abschluss vollzieht sich laut Vinciguerra wie folgt: „Hence evidencing that although a transformative process is already in action during the migratory period, the actual moment of the narration can represent a necessary passage to the decision (even if only the choice to speak about it), and to the action (even if only narrating it). In this moment the change seems to manifest itself and the subject becomes fully aware of (thanks to the listening and being listened to) the transformation that has occured“ (2017, S. 361). Transformatives Lernen findet in der Auseinandersetzung mit anderen

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statt, im Dialog, auch hier zeigt sich wieder die Verwobenheit von individuellen und überindividuellen Prozessen. Dieses Spannungsverhältnis, das sich bereits durch die Studie, die Mezirow 1978 vorgelegt hat, zieht, gewinnt nochmals an Brisanz im Hinblick auf die besonderen Herausforderungen, mit denen sich Frauen im Kontext von Flucht und Migration konfrontiert sehen. Folgt man Fursova (2013, S. 10), dann sind Frauen herausgefordert, ihre (neuen) Identitäten auf individueller Ebene auszubalancieren und neu zu verhandeln, gleichzeitig müssen auf einer überindividuellen, sozialen Ebene die vorherrschenden Überzeugungen und Glaubenssysteme hinterfragt und ebenfalls neu verhandelt werden, sofern möglich. Lernen wird dann zur doppelten Zumutung, gerade was die letzte Phase betrifft, die der Reintegration (Mezirow) oder die des Copings (Hertz). Von besonderem Interesse ist für die Erwachsenenbildung die Frage danach, wie dieser verschärfte Kampf um Selbsterhaltung (Friedenthal-Haase 2018) und das darin enthaltene emanzipatorische Potential bestmöglich unterstützt respektive gerahmt werden kann. Präziser kann gefragt werden, welche Lernbedingungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit transformativer Lernprozesse erhöhen und welche weniger hilfreich oder sogar hemmend wirken. Dieser Frage geht auch Fursova (2013) in ihrer Studie nach, die sich Migrantinnen und (weiblichen) Geflüchteten und deren transformativer Lernprozesse widmet. Folgt man ihren Ausführungen, dann ist das Lernen von Anderen im Kontext der Verschiedenheit der Perspektiven besonders hilfreich für transformatives Lernen: „Exposure to other people’s experiences and the way they interpret them“ (Fursova 2013, S. 7).Hier zeigt sich erneut die Verwobenheit von individuellen und überindividuellen Dimensionen zeigt. Gerade gemeinsames Lernen und Lernumgebungen, die das Identifizieren von Stärken und Fähigkeiten fördern und Ressourcen aktivieren, möchte man hinzufügen, haben sich als besonders hilfreich erwiesen (Fursova 2013, S. 7). Gegenteilige Effekte hatten die Bildungsprogramme, die den Charakter einer Informationsveranstaltung zum Zweck der Wissensübermittlung hatten. Verschärft wurden diese Effekte durch eine Haltung von Seiten der Erwachsenenbildnerinnen und -bildner, die als bevormundend und herablassend wahrgenommen wurde und bei der eine Würdigung der (bisherigen) Erfolge der Teilnehmerinnen ausblieb.

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Möglichkeiten und Grenzen Transformativen Lernens im Kontext von Flucht und Migration Der verschärfte Kampf um Selbsterhaltung (Friedenthal-Haase 2018) im Kontext von Flucht und Migration enthält potentiell auch die Möglichkeit von tiefgreifenden Veränderungsprozessen. Um das Wesen dieser Möglichkeit (besser) zu verstehen, kann die Theorie Transformativen Lernens hilfreich sein. Dies schließt die Frage nach den Möglichkeiten ein, die sich durch transformatives Lernen in eben diesem Kontext bieten. Gleichzeitig wird anhand der Auseinandersetzung mit dem Phänomen von Migration und Flucht auch die Grenze der Theorie deutlich (und die Möglichkeit der Neuorientierung). Das Wesen der Möglichkeit transformativ zu lernen ergibt sich aus einer individuellen und einer überindividuellen Dimension respektive einem Zusammenspiel von äußeren und inneren Veränderungsprozessen. Aus einer Außenperspektive heraus sieht sich das Individuum mit einer tiefgreifenden, abrupten Veränderung der kulturellen, sozialen und ökonomischen (Lebens-)Welt konfrontiert, die häufig zu einer kritischen Auseinandersetzung und Veränderung des bisherigen Bezugsrahmens führt, um in einem neuen, unbekannten Kontext überleben und sich darüber hinaus integrieren zu können (Fursova 2013, S. 13). Für Fursova (2013, S. 13) bietet die Theorie Transformativen Lernens eine bessere Grundlage, um die Lernerfahrungen in diesem Zusammenhang verstehen zu können. Morrice (2014, S. 151) verweist gleichzeitig auf die Möglichkeit und Grenze der Theorie Transformativen Lernens in diesem Kontext. Transformatives Lernen zielt nicht auf eine additive Wissenserweiterung oder das Erlernen neuer Fähigkeit ab, sondern betrachtet die damit einhergehenden Veränderungsprozesse aus einem ganzheitlicheren Blickwinkel. Hier wird gleichzeitig eine Grenze der Theorie offenbar, wenn die Bedeutsamkeit von somatischen und emotionalen Dimensionen für transformative Lernprozesse hervorgehoben wird. Seit einigen Jahren sieht sich die Theorie Transformativen Lernens wie sie von Mezirow konzipiert wurde mit der Kritik konfrontiert, diese Dimensionen nur unzureichend zu berücksichtigen (siehe u. a. Schlattner 1994; Michelson 1998; Taylor 1997; 1998). Morrice (2014, S. 153) verweist weiter auf die Bedeutung von Macht- und Herrschaftsdiskursen, die einige privilegieren und andere marginalisieren, die den Raum, in dem sich die oder der Einzelne bewegt, gestalten. Morrice (2012) stellt ebenfalls eine Verbindung zu der Kritik her, die Taylor (1997) im Hinblick auf die fehlende Berücksichtigung der Kontextbedingtheit transformativen Lernens formuliert hat. Einerseits wurden hier wichtige Fortschritte gemacht, die ein besseres Verständnis der Rolle des Kontextes im Zuge transformativer Lernprozesse ermöglichen (Taylor 2007, S. 185). Andererseits bleiben diesbezüglich eine Reihe von Fragen offen, die

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etwa die Möglichkeiten betreffen, entsprechende Einflussfaktoren des Kontextes zu identifizieren, wie dieser für Lernprozesse genutzt werden kann (Taylor 2007, S. 185). Diese ergänzt Taylor um die Rolle der Kultur, die bislang kaum berücksichtigt wurde: „Furthermore, much could be learned about the role of context, by exploring the role of culture and transformative learning, an area of research greatly overlooked“ (Taylor 2007, S. 185). Hier zeigt sich zunächst eine Grenze der Theorie Transformativen Lernens für den Kontext von Flucht und Migration. Die generelle Kritik, dass Mezirow den sozialen Kontext nur unzureichend berücksichtigt hat, wird jedoch zurückgewiesen. Taylor und Cranton schreiben hierzu: „[H]e pays close attention to the social context, including the feminist movement at the time. Mezirow also clearly states that he is an educator, not a politician or a social change agent“ (Cranton/Taylor 2013, S. 43). Hier zeigt sich einerseits das Spannungsverhältnis von individuellen und überindividuellen Dimensionen transformativen Lernens und andererseits die Notwendigkeit, den Kontext und die ihn konstituierenden Macht- und Herrschaftsdiskurse entsprechend zu berücksichtigen, zu adressieren und der Frage nachzugehen, wie dieser für Lernprozesse genutzt werden kann. Dies wird dann wiederum aus einer Innenperspektive für das einzelne Individuum hoch relevant: „Perspective transformation appears to focus on the individual examining her or his own personal experience […] about understanding and changing oneself […] a reintegration by the individual into a society where the dominant ideology may go unquestioned“ (Newman 1993, S. 229). Fraglich bleibt hier natürlich, inwiefern eine Reintegration zu den Bedingungen dieser Diskurse überhaupt wünschenswert ist respektive sein kann. Dies zeigt sich auch an Lernprozessen im Asylsystem, auf deren Problematik hinsichtlich deren identitätsstiftender Bedeutung Morrice (2012, S. 262) hinweist: „[T]he identity of both asylum seeker and refugee was an identity associated with vulnerability and shame“ (Morrice 2012, S. 262); mehr noch, das Individuum lernt, „that to be an asylum seeker/refugee is to be disparaged and stigmatized“ (Morrice 2012, S. 266). An dieser Stelle zeigt sich erneut die Verwobenheit individueller und überindividueller Dimensionen von Lernprozessen im Kontext von Flucht und Migration. Migrantinnen und Frauen mit Fluchterfahrung sind doppelt respektive dreifach benachteiligt, „with those from visible minorities“ (IOM 2012, S. 165f.), folgt man einer Studie der Internationalen Organisation für Migration. Diese Ergebnisse verweisen direkt zurück auf die zum Teil defizitäre Diskussionslage angesichts der Möglichkeit negativer Folgen transformativer Lernprozesse für das Individuum: „Surprisingly, little is written in the transformative learning literature about either the inherent goodness of the outcomes of transformative learning or the often-painful process of moving toward those outcomes“ (Cranton/Taylor 2013, S. 38). Darüber hinaus wird das Phänomen des Nicht-Lernens

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oder Verlernens nur gelegentlich berücksichtigt. Die Forschungsergebnisse zu transformativen Lernprozessen im Kontext von Flucht und Migration zeigen diese Möglichkeit deutlich auf und verweisen gleichzeitig auf die Verwobenheit von individuellen und überindividuellen Dimensionen: „Positive outcomes may include developing cultural and linguistic competencies or personal change towards something better. But there is also the possibility of negative outcomes: the impact on subjectivities of prejudiced social discourses, and the way education and employment are circumscribed and scripted by policy which shapes and constrains the identities that are possible“ (Morrice 2014, S. 158). Morrice (2012, S. 252) stellt in aller Deutlichkeit die Überlegung in Frage, dass Lernen immer positiv ist und Vorteile für das Individuum bereithält. Sie verweist auch auf die negativen Lernerfahrungen, etwa die Geringschätzung von kulturellem Kapital von Migrantinnen, Migranten und Geflüchteten, das in den Herkunftsländern zu Erfolg geführt hat, das in der aufnehmenden Gesellschaft jedoch keine Wertschätzung zuteil und diese Erfahrung als bitter und schmerzhaft erlebt wurde (Morrice 2012, S. 263). Geflüchtete, Migrantinnen und Migranten sahen (und sehen sich noch immer) mit der Notwendigkeit des Umlernens respektive Verlernens positiver identitätsstiftender Aspekte konfrontiert, „having to unlearn and let go of much of who and what they were“ (Morrice 2012, S. 262). Morrice spricht von einer dunklen Seite, die auch die Grenzen der Theorie Tranformativen Lernens aufzeigt: „a ‚darker side‘ to becoming a refugee that transformative learning cannot accomodate“ (Morrice 2012, S. 266). Fursova (2013, S. 6) zeichnet ebenfalls ein ambivalentes Bild, das einerseits geprägt ist vom Verlust des Selbst (professionell, sozial, kulturell) und andererseits die Möglichkeit birgt, neue Facetten der eigenen Persönlichkeit zu entdecken und Entwicklungspotentiale zu nutzen. Neben einer Zunahme an Autonomie verweist sie auf die damit einhergehende, gleichzeitige Abnahme der Unterstützung durch bestehende Netzwerke. Dies betrifft insbesondere Frauen: „Transformative learning can support migrant women’s capacities by enabling them to ‚find their voice‘ and to both reaffirm and reassert themselves as individuals. At the same time, it can alienate women from their traditional sources of support, thereby undermining their safety and well-being“ (Fursova 2013, S. 13). Ihre Forschungsergebnisse stehen gewissermaßen in der Tradition der Ursprungsstudie, die Mezirow mehr als drei Jahrzehnte zuvor veranlasst hat, die Theorie Transformativen Lernens zu entwickeln. Der Kontext Flucht und Migration scheint dieses Spannungsverhältnis zu verschärfen. Taylor verdichtet das skizzierte Spannungsverhältnis, das sich in der „middleof-the-road position“ von Mezirow zeigt, und daraus resultierende Schwierigkeiten für die Theorie Transformativen Lernens selbst. „He [Mezirow] tends to avoid or gives minimal attention to the deep analytical challenges associated with personal

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transformation, such as its inherent emotive nature, the emphasis on personal self-awareness, and the need to resolve past life issues. On the other hand he also sees transformation occurring in and out of a social action context, such that political action is a new choice associated with, but not necessarily a direct consequence of a more inclusive discriminating world view“ (Taylor 1998, S. 18f.). Die Frage nach der Richtung einer gezielten Weiterentwicklung der Theorie Transformativen Lernens bleibt bestehen, der Kontext von Flucht- und Migration hat die Notwendigkeit einer solchen durch das Freilegen von Möglichkeiten und Grenzen der Theorie verdeutlicht. Im Zuge einer Theorieentwicklung müssten Anknüpfungspunkte entstehen, die die Berücksichtigung individueller Veränderungsprozesse erlauben und gleichzeitig gesellschaftliche Prozesse in den Blick nehmen können und dieses Spannungsverhältnis nicht einseitig auflösen, sondern als Quellpunkt neuer Forschungsfragen nutzen, „to encircle both the personal and the social by engaging and fostering – not avoiding – its inherent tensions“ (Cranton/ Taylor 2012a, S. 558). Diese Zusammenhänge gewinnen insofern an Bedeutung, als dass noch immer keine Klarheit über die Beziehung von individuellen und sozialen Transformationsprozessen zu verzeichnen ist: „The line between individual and social transformative learning is by no means clear“ (Cranton/Taylor, 2012b, S. 12). Wenngleich transformatives Lernen genau dort verortet ist: „Transformative learning is found at the intersection between the personal and the social“ (Taylor/Snyder 2012, S. 49); eine Konfliktlinie, die sich durch mehrere Jahrzehnte der Forschung zur Theorie Transformativen Lernens hindurch zieht.

(Vorläufige) Bilanz und Perspektiven Eine der Ausgangsfragen dieses Beitrags war, welche Chancen der Kontext von Flucht und Migration birgt, zu den Ursprüngen der Theorie Transformativen Lernens (Mezirow) zurückzugehen und etwas über die Möglichkeiten und Grenzen der Theorie in genau diesem Kontext zu lernen. Freigelegt wurde ein der Theorie inhärentes Spannungsverhältnis, Mezirows „middle-of-the-road position“, was die Frage angeht, ob die Theorie selbst primär auf individuelle oder überindividuelle Transformationsprozesse abzielt. Beide Dimensionen sind eng miteinander verwoben, das zeigt sich nicht nur in der Ursprungsstudie, die Mezirow (1978) vorgelegt hat, sondern dies wird am Kontext von Flucht und Migration überdeutlich. Diese zirkuläre Bedingtheit ist unübersehbar, folgt man etwa Morrice’ (2014, S. 157) Ausführungen: „For migrants, the disjuncture between past and present, the old social space and new, involves rethinking the self, identity and possibilities of being,

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across all domains of life“. Der Theorie Transformativen Lernens ist dieses Spannungsverhältnis inhärent. Mezirow weigerte sich konsequent, es in eine Richtung hin aufzulösen: „He [Mezirow] wants to situate transformative learning within an emancipatory framework, but at the same time his model seems to emphasize personal transformation to a greater extent than social transformation“ (Taylor 1998, S. 25). Eine Frage, die sich für die Erwachsenenbildung respektive die in ihr Tätigen stellt, ist, wie das einzelne Individuum bestmöglich unterstützt werden kann, lernend konstruktiv mit den Folgen von Migration (Friedenthal-Haase 2018) und Flucht umzugehen. Wenn sich das Öffentliche im Privaten bricht, wie kann das Individuum dann bestmöglich darin unterstützt werden, diese Krise in eine Chance umzuarbeiten? „The crisis imposes a rest not from life but in life“, schreibt Vinciguerra (2017, S. 359). Die Frage könnte dann weiter präzisiert werden; wie können es Erwachsenenbildnerinnen und Erwachsenenbildner schaffen, eine (Lern-)Umwelt anzubieten, die es den Teilnehmenden ermöglicht, dieses Innehalten als eine Einladung zu sehen, Antwortmöglichkeiten auf existentielle (Lebens-)Fragen zu entwerfen. Die Rolle von Erwachsenenbildnerinnen und Erwachsenenbildnern wäre die eines „co-learners“ (Fursova 2013, S. 14), der oder die selbst diesen Raum nutzen könnte, um eigene, bislang unhinterfragte Grundannahmen kritisch zu reflektieren. Eine erste Antwortmöglichkeit bietet Fursova an: „The reflection necessary for transformative learning was also far more likely to occur in learning environments that promoted dialogue and meaningful engagement with diversity“ (Fursova 2013, S. 13). In diesem Sinne birgt gerade der Kontext Flucht und Migration auch und vor allem für Erwachsenenbildnerinnen und Erwachsenenbildner die Möglichkeit, transformativ zu lernen. Hier bietet sich die Position, die Mezirows Theorie einnimmt als Ressource an, „directed at the intersection of the individual and social“ (Tennant 1993, S. 36). Sie verweist auf das emanzipatorische Potential, das dieser Position inhärent ist. Das Ziel transformativen Lernens – eine Perspektiventransformation – ist im Individuum verortet, nicht in der Gesellschaft. Als (aktiver) Teil der Gesellschaft gestalten Individuen diese und sind in der Lage sie neu zu gestalten, wie am Entstehungskontext der Studie von Mezirow (1978) bereits deutlich wurde. Konsequenterweise muss eine fachlich-professionelle Dimension andragogischen Handelns darin bestehen, neue Mitglieder zur Partizipation einzuladen und sie darin zu unterstützen, ein Teil dieser Gesellschaft zu werden. Nur dann ergibt sich auch eine Chance für die aufnehmende Gesellschaft. Das Konzept von Integration kann und muss in zwei Richtungen verstanden werden, wie Morrice et al. (2017, S. 130) deutlich machen: „a two-way process involving mutual accomodation and change on the part of both the migrant and host society.“

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Lernmotivation im Kontext kultureller Vielfalt Elisabeth Beck

Zusammenfassung

Bildung ist der zentrale Faktor für ein Gelingen von Integration. Besondere Bedeutung kommt der sprachlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Integration von Zuwanderinnen und Zuwanderern zu, denn diese hat ihren Ausgangspunkt stets in Bildungsprozessen. Der Spracherwerbsprozess von Migrantinnen und Migranten erfolgt oftmals im Rahmen eines Integrationskurses, der das zentrale Integrationsinstrument des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge darstellt. Lernprozesse sind in diesem sowie in allen anderen Kontexten in hohem Maße von affektiven Variablen abhängig, insbesondere von der Lernmotivation. Da Lernprozesse fast immer in kulturell heterogenen Gruppen stattfinden, thematisiert der vorliegende Beitrag Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen der kulturellen Heterogenität von Integrationskursteilnehmenden und deren Lernmotivation. Ziel des Beitrags ist es, Erkenntnisse über die Teilnahmemotivation von Menschen mit Migrationshintergrund zu erhalten, die freiwillig an einem Integrationskurs teilnehmen. Darüber hinaus wird das gemeinsame Lernen in kulturell heterogenen Lerngruppen und die damit einhergehenden Erfahrungen der Kursteilnehmenden beleuchtet. Der Studie liegt ein qualitatives Forschungsdesign zugrunde. Die Untersuchungsbefunde basieren auf elf leitfadengestützten Interviews mit Integrationskursteilnehmenden. Die Ergebnisse zeigen, dass den Aspekten der Anerkennung und Autonomie bei Lernprozessen im Kontext kultureller Vielfalt eine besondere Bedeutung zukommt.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Kloubert (Hrsg.), Erwachsenenbildung und Migration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26863-3_6

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I Einleitung Mit der Überwindung der Auffassung, Deutschland sei kein Einwanderungsland, und der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes vom 01.01.2005, das einer umfassenden Reform der bis dahin geltenden Bestimmungen zu Migration, Integration und Aufenthalt Nichtdeutscher entspricht, wurde der Integrationskurs als eines der zentralen Integrationsinstrumente des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (kurz: BAMF) entwickelt und implementiert.1 Die Teilnahme an einem Integrationskurs kann für Zuwanderinnen und Zuwanderer über die weiteren Weichenstellungen im Aufnahmeland entscheiden. Eine Nichtteilnahme kann eine Verschärfung der sozialen Ungleichheit zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zur Folge haben (vgl. Geißler/Orthey 1998). Denn Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration im Sinne einer Lebensbewältigung in der Aufnahmegesellschaft ist eine angemessene Beherrschung der Landessprache, ein soziales Netzwerk und im Idealfall eine Erwerbstätigkeit (vgl. z. B. Weingarten/ Wohlert 2018, S. 54). Für die Bildungsforschung sind insbesondere der (institutionalisierte) Spracherwerb sowie die Bedingungen, unter welchen dieser erfolgt, von Interesse. Studien gehen davon aus, dass zum Integrationskurs verpflichtete Teilnehmende eine weniger hohe Motivation zur Teilnahme haben als nicht verpflichtete Teilnehmer (vgl. BAMF 2011b). Dennoch: Es gibt nur wenige wissenschaftlich fundierte Analysen und empirische Befunde zu der Frage, ob und welcher Zusammenhang zwischen einer Verpflichtung zur Kursteilnahme, einer freiwilligen Kursteilnahme und der Lernmotivation der Kursteilnehmenden besteht. Dies ist besonders vor dem Hintergrund bemerkenswert, da v. a. die Anzahl derjenigen, die freiwillig an einem Integrationskurs teilgenommen haben, stark gestiegen ist.2 2014 haben sich 62,3 Prozent der neuen Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer für einen freiwilligen Besuch des Kurses entschieden, ohne dass eine Verpflichtung dazu durch die Ausländerbehörde oder das Jobcenter ausgesprochen wurde (vgl. BAMF 2015, S. 4). 1 Integrationskurse werden auch in anderen europäischen Ländern als Integrationsinstrumente eingesetzt, unter anderem in Österreich, Dänemark, Schweden und den Niederlanden. 2 Dieser Trend hat sich nach 2014 nicht weiter fortgesetzt, sondern hat sich ins Gegenteil verkehrt: 2015 haben von den neuen Kursteilnehmenden 56,7 Prozent, 2016 45,7 Prozent und 2017 nur noch 33,9 Prozent freiwillig teilgenommen (vgl. BAMF 2018, S. 4). Diese Entwicklung steht in direktem Zusammenhang mit der gestiegenen Anzahl an Asylanträgen in Deutschland. Asylberechtigte, die in der Regel zum Kursbesuch verpflichtet werden, haben Vorrang beim Zugang zu Integrationskursen vor anderen Zuwanderinnen und Zuwanderern ohne Teilnahmeverpflichtung.

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Dem Forschungsdesiderat folgend liegen dem vorliegenden Beitrag3 folgende Fragestellungen zugrunde: Welche Gründe haben Menschen mit Migrationshintergrund freiwillig an einem Integrationskurs teilzunehmen? Wie gestalten sich die Einstellung zu und der Umgang mit kultureller Heterogenität der Integrationskursteilnehmenden? Wie wirken sich die Einstellung zu und der Umgang mit kultureller Heterogenität auf die Lernmotivation der Teilnehmenden aus? Im Folgenden wird daher der Zusammenhang von kultureller Heterogenität der Integrationskursteilnehmenden und deren Lernmotivation in den Blick genommen. Ziel der Untersuchung ist es, detailliertere Erkenntnisse zu den subjektiven Wahrnehmungen von Heterogenität der Integrationskursteilnehmenden zu erlangen, deren Beweggründe und Motivationslagen zu identifizieren und schließlich weitere Einsichten zum Umgang mit Vielfalt im Bildungskontext zu generieren. Die gewonnenen Erkenntnisse können dazu beitragen, eine noch stärker an den Bedürfnissen der Adressatinnen und Adressaten orientierte Bildungspraxis auszubauen, die von kultureller Heterogenität geprägt ist. Der Beantwortung der Forschungsfragen nähert sich der Beitrag in drei Schritten an. Zunächst erfolgt eine kurze theoretische Analyse der Bedeutung von Motivation im migrationsbedingten Spracherwerbsprozess. Daran knüpft eine Analyse des Zusammenhangs zwischen der Motivation der Kursteilnehmenden und einer Verpflichtung zur Teilnahme am Integrationskurs an. Bevor das forschungsmethodische Vorgehen der dem Beitrag zugrundeliegenden Untersuchung transparent gemacht wird¸ werden Anerkennung und Autonomie als theoretische Grundpositionen herausgearbeitet und dargestellt. Nachfolgend werden mittels der Analyse des empirischen Materials die Motive einer freiwilligen Kursteilnahme sowie der Umgang mit Vielfalt in interkulturellen Lernsettings konkretisiert. Sodann wird im Ausblick nach den bildungspraktischen Implikationen gefragt und weitere zentrale Einflussfaktoren auf (Sprach-)Lernmotivation im Einwanderungsland Deutschland identifiziert.

3 Der vorliegende Beitrag basiert auf einem Forschungsprojekt, das im Rahmen der Qualifizierung der Autorin umgesetzt wurde.

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II

Theoretische Zugänge

1

Motivation im Spracherwerbsprozess

Ein erfolgreicher Spracherwerbsprozess hängt von verschiedenen Faktoren ab: kognitive Faktoren wie die Intelligenz und bisherige Sprachlernerfahrungen, soziokulturelle Faktoren wie das Alter, das Geschlecht oder die Herkunft sowie affektive Variablen wie Angst, Einstellungen und Motivation. Gleichwohl Motivation einer von vielen Faktoren in Lernprozessen ist, steht sie im Besonderen in Zusammenhang sowohl mit Lernerfolg als auch mit der Entscheidung zu lernen. Daher stehen auch vorangehende bewusste oder unbewusste Motive, einen Lernprozess anzustoßen, im Fokus von Bildungsforschung. Motive gelten hier als zeitstabile Merkmale einer Person, die das Handeln der Person verständlich machen sollen und die mit einer (positiven oder negativen) Bewertung konkreter Situationen einhergehen (vgl. Rheinberg 2002, S. 17f.). Motive stellen demnach die Ursachen eines Verhaltens dar und wirken sich direkt auf die Entscheidung aus, an einem Integrationskurs teilzunehmen. Dass besonders Motivation als affektive Variable beim Sprachenerwerbsprozess eine wichtige Rolle spielt (vgl. z. B. Rost-Roth 2010), ist heute unumstritten und wird interdisziplinär untersucht. Als Meilensteine in der Erforschung des Zusammenhangs von Motivation und Fremdsprachenerwerb gelten die Untersuchungen von Gardner und Lambert (1972) und Gardner (1979 und 1985). Ihre frühen Untersuchungsergebnisse weisen darauf hin, dass Orientierungen bzw. Einstellungen der oder des Lernenden zur Kultur und zu den Sprechenden des Zielsprachenlandes den fremdsprachlichen Lernerfolg beeinflussen. Sie zeigen, dass eine integrative Orientierung den Lernerfolg von Sprachenlernenden stärker fördert als eine instrumentelle Orientierung.4 Die Annahme einer grundlegenden Überlegenheit einer integrativen gegenüber einer instrumentellen Orientierung konnte in empirischen Studien in den Folgejahren nicht mehr eindeutig verifiziert werden. So zeigen spätere Untersuchungen, dass auch eine negative Einstellung zur Zielkultur bzw. eine nicht auf die Integration in die Mehrheitsgesellschaft abzielende Motivation für den Spracherwerb förderlich sein kann (vgl. Oller et al. 1977). Spätere Studien, deren Fokus auf dem Zusammenhang zwischen Moti-

4 Eine Lernende oder ein Lernender gilt als integrativ orientiert, wenn sie oder er die zu erlernende Sprache aufgrund des Interesses an der Zielsprachenkultur, gegenüber dieser sie oder er positiv eingestellt ist, erlernt. Liegt dem Lerninteresse aber ein Nützlichkeitsgedanke zugrunde, um z. B. individuelle Jobchancen zu verbessern, gilt die oder der Lernende als instrumentell orientiert.

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vation und Selbstkonzept liegt, weisen wiederum darauf hin, dass sich besonders im Rahmen von Migration Abgrenzungstendenzen gegenüber der Zielkultur, die auf angenommenen und wahrgenommenen Ausgrenzungen basieren, negativ auf den Spracherwerb auswirken können. Anerkennung und Wertschätzung durch die Angehörigen der Zielsprache können hingegen die Akkommodationsbereitschaft und damit den Spracherwerb positiv beeinflussen (vgl. List 2007, S. 29f.). Weiter untersuchten Noels et al. (1999) den Zusammenhang zwischen intrinsischer Motivation und den Ergebnissen des Spracherwerbsprozesses. Sie fanden heraus, dass je mehr Lernende sich als willentliche Initiatoren des Sprachlernprozesses fühlen, desto höher ist die Bereitschaft, einen bereits begonnen Spracherwerbsprozess weiterzuführen. Haben Lernende allerdings das Gefühl, der Entschluss, eine Sprache zu lernen, wurde aufgrund externer Anreize getroffen, so kann sich dies negativ auf den Willen, weiterzulernen, auswirken. Sie konkludieren, dass ein hohes Maß an gefühlter externer Kontrolle zu Amotivation führen kann.

2

Motive einer (freiwilligen) Integrationskursteilnahme

Das BAMF (2011b) untersuchte die zentralen Gründe einer Kursteilnahme, unabhängig von einer ausgesprochenen oder nicht vorhandenen Verpflichtung. Die Ergebnisse zeigen, dass die am häufigsten genannten Gründe für einen Integrationskursbesuch in der besseren Beherrschung der deutschen Sprache liegen sowie der Erwartung einer späteren Erwerbstätigkeit, der Erhöhung der Selbstständigkeit, der Erlangung und Aufrechterhaltung sozialer Kontakte und darin, den eigenen Kindern ein Vorbild zu sein. Die der Entscheidung, einen Integrationskurs zu besuchen, zugrundliegenden Motive werde in Form von Motivation handlungswirksam. Motivation ist hier als die Ausrichtung des momentanen Lebensvollzugs auf einen positiv bewerteten Zielzustand hin zu definieren (vgl. Rheinberg 2002, S. 18). Eine im Jahr 2011 erschienene Untersuchung des BAMF (2011a) fragte demnach, ob Integrationskursteilnehmende, die zu einer Partizipation verpflichtet wurden, weniger motiviert lernen als freiwillig teilnehmende Kursbesucherinnen und Kursbesucher. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass sich Teilnehmende – egal ob freiwillig oder verpflichtet – in ihrem Spaß am Kurs nicht signifikant unterscheiden. Die Autorinnen kommen zu dem Schluss, dass dieses Ergebnis den Befürchtungen widerspräche, dass sich eine Kursverpflichtung negativ auf die Teilnahmemotivation und somit den Lernerfolg auswirke. Gleichzeitig weist Zimmer (2013) in ihrer Untersuchung zu inkludierenden und exkludierenden Komponenten im Integrationskurs im Grenzdurchgangslager Friedland darauf hin, dass sich v. a. Erfahrungen in der Aufnahmegesellschaft auf die (Lern-)Motivation auswirken.

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Das weite Feld der Motivations- und Spracherwerbsforschungen legt ebenso wie Studien zum Zusammenhang von Migration und Bildungserfolg den Fokus vornehmlich auf die Institution Schule, d. h. auf Schülerinnen und Schüler im Sinne von Kindern und Jugendlichen (vgl. exemplarisch Allemann-Ghionda et al. 2010). Erwachsene hingegen stehen dabei selten im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Dabei stellt Plutzar (2008) zurecht fest, dass sowohl die theoretische Fundierung als auch die praktische Umsetzung einer sprachlichen Bildung erwachsener Menschen mit Migrationshintergrund Aufgaben der Erwachsenenbildung sind (vgl. Plutzar 2008, S. 2). Die vorliegende Untersuchung möchte diesem Desiderat nachkommen und einen Beitrag zur Motivationsforschung im Spracherwerb aus andragogischer Perspektive leisten.

3

Autonomie und Anerkennung als verbindendes Element im Bildungsprozess

Damit Bildung als Gelingensfaktor von Integration wirksam werden kann, müssen insbesondere im Bereich der Erwachsenenbildung zentrale Prinzipien berücksichtigt werden. Der Lernprozess Erwachsener ist gekennzeichnet durch „Interessenorien­ tierung, Nutzenorientierung, Selektion“ (Nuissl 2013, S. 20) und steht damit in einer engen Wechselbeziehung mit den Vorerfahrungen und Bildungsbiographien der Lernenden. Diese (Bildungs-)Erfahrungen vollziehen sich in „bildbaren“ und „gestaltbaren“ Kontexten (vgl. Alheit 1992, S. 77) und demnach kommen besonders der Autonomie und der Anerkennung in Bildungsprozessen zentrale Bedeutung zu: Beide fungieren als verbindende Elemente der Theorien zu Motivation, Spracherwerbsprozessen und zum Umgang mit kultureller Heterogenität. Die Autonomie der/des Lernenden als bedeutendes Prinzip in der Erwachsenenbildung (vgl. Wolf 2011, S. 199f.) spielt demnach bei Bildungsprozessen im Allgemeinen sowie beim Spracherwerb im Besonderen eine zentrale Rolle. Autonomie oder Selbstbestimmung sind v. a. im theoretischen Ansatz von Deci und Ryan (1993) in der Motivationsforschung zentral, genauer: der Grad der Selbstbestimmung und der (empfundenen) Kontrolliertheit innerhalb eines Lernprozesses. Die drei basic needs eines Lernenden sehen Deci und Ryan in Autonomie oder Selbstbestimmung, sozialer Eingebundenheit (social relatedness) und Kompetenz (effectance) (vgl. Deci/ Ryan 1993, S. 229). Die Möglichkeit, autonom und selbstbestimmt einen Lernprozess zu gestalten, lässt die Lernende oder den Lernenden ihre oder seine individuelle Kompetenz und Wirksamkeit erfahren. Die Sinngebung und Verantwortung für den Lernprozess liegt bei der oder dem Lernenden selbst. Indem sie oder er in einen sozialen Kontext eingebunden und aktiv am Lernprozess beteiligt ist, wirkt sich

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die Befriedigung der drei basic needs auf die Motivation aus. Dresel und Lämmle (2011) sprechen – bezugnehmend auf Deci und Ryan – von einem Selbstbestimmungskontinuum (Dresel/Lämmle 2011, S. 80). Dem subjektiv empfundenen Grad der Selbstbestimmung innerhalb eines external regulierten Lernprozesses kommt demnach – v. a. auch in Integrationskursen – eine besondere Bedeutung zu: Der Grad des Erlebens der Selbstbestimmung kann im Laufe der Kursteilnahme zwischen stark selbstbestimmt und stark fremdbestimmt empfundenen Phasen des Lernens differieren. In direktem Zusammenhang stehend, kann Motivation daher innerhalb des Lernprozesses ab- und zunehmen (Winke 2005, S. 1). Darüber hinaus wird ebenso in den konnektionistisch und konstruktivistisch orientierten Ansätzen der Spracherwerbstheorien von der Selbstverantwortlichkeit des lernenden Subjekts für seinen individuell gestalteten Lernprozess ausgegangen. Bereits vorhandene Wissensstrukturen werden überarbeitet, modifiziert und um neue Inhalte ergänzt. Es findet zu jedem Zeitpunkt eine individuelle und selbstbestimmte Interaktion der oder des Lernenden mit ihrem oder seinem Lerngegenstand statt. Die oder der Lernende wird – angelehnt an konstruktivistische Lerntheorien – als ein selbstständiges, selbstbestimmtes und selbstorganisiertes Subjekt betrachtet (vgl. Schmidt 2010, S. 811ff.). Neben der Autonomie stellt Anerkennung ein verbindendes Element in den Theorien zu Motivation, Spracherwerb und Heterogenität dar. Die Pädagogik der Vielfalt nach Annedore Prengel (2006) betont neben dem Aspekt der Selbstbestimmung im Lernprozess die uneingeschränkte Akzeptanz und Anerkennung von verschiedenen Lebensweisen. Dies gelingt ihrer Theorie folgend nur durch eine Bildung zur Autonomie, Mündigkeit und Selbstbestimmung. Anerkennung ist demnach das zentrale Moment der Pädagogik der Vielfalt. Selbstbestimmung und Anerkennung können zusammenfassend als zwei bedeutsame Aspekte von Lernmotivation im Rahmen von interkulturell geprägten Lernprozessen gelten. Aus erwachsenenbildnerischer Perspektive ist v. a. die Selbstbestimmung von entscheidender Bedeutung. Durch das Erfahren eines selbstbestimmten und selbstorganisierten Lernprozesses ist von einer positiven Beeinflussung der Lernmotivation des Individuums auszugehen. Weiterhin kann die Anerkennung differenter Lernstrategien, Lernfortschritte und Lernziele eine erhöhte Motivation der Lernenden bewirken. Daher geht die vorliegende Untersuchung davon aus, dass erfahrbare und erlebbare Selbstbestimmung und Anerkennung in einem direkten Zusammenhang mit der Motivation von erwachsenen Lernenden stehen.

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III

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Methodischer Rahmen

Die Beantwortung der oben formulierten Forschungsfragen nach den Gründen einer freiwilligen Integrationskursteilnahme, der Einstellung zu und dem Umgang mit kultureller Heterogenität sowie deren Auswirkung auf die Lernmotivation der Teilnehmenden kann durch eine qualitative Herangehensweise geleistet werden. Die Integrationskursteilnehmenden gelten dabei als Expertinnen und Experten ihres eignen Lernprozesses. Die Untersuchung wurde im Jahr 2014 in Zusammenarbeit mit dem Kolping Erwachsenen-Bildungswerk der Diözese Eichstätt (kurz: KEBW) gestaltet. Eichstätt als bayerische Kleinstadt wurde als Untersuchungsfeld ausgewählt, da es einen Migrationsanteil von 18 Prozent (Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung 2015) aufweist5 und aufgrund der sukzessiven Annäherung an den Bundesdurchschnitt sowie nicht zuletzt aufgrund der 2014 eingerichteten Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende6 als ‚Modellort‘ fungieren kann. Von den vier zum Forschungszeitpunkt laufenden bzw. kürzlich abgeschlossenen Integrationskursen des KEBW wurden elf Teilnehmende mittels Leitfadeninterviews7 befragt. Voraussetzung für die Auswahl der Interviewpartnerinnen und -partner war die freiwillige Teilnahme am Kurs.8 Die sechs männlichen und fünf weiblichen 5 Der Anteil von Ausländerinnen und Ausländern an der Bevölkerung im Landkreis Eichstätt betrug 2014 6,5 Prozent (Stand: 31.12.2014) und 2017 8,9 Prozent (Stand: 31.12.2017) (vgl. Bayerisches Landesamt für Statistik 2018). 6 Im Herbst 2017 wurde die Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende in Eichstätt geschlossen. Das Bistum Eichstätt hatte bis zu diesem Zeitpunkt die Räumlichkeiten mietfrei zur Verfügung gestellt. 7 Die Möglichkeit, durch eine offene und flexible Handhabung des Interviewleitfadens ein vertrauensvolles Gesprächsklima zu gestalten sowie auf jede Gesprächspartnerin bzw. jeden Gesprächspartner und deren bzw. dessen Gesprächsschwerpunkte individuell einzugehen, trug im Wesentlichen dazu bei, problemzentrierte Interviews als Befragungsmethode für die vorliegende Forschungsarbeit heranzuziehen. Bei der Ausarbeitung des Leitfadens wurde auf eine möglichst einfache und verständliche Formulierung der Fragen geachtet. Aufgrund sprachlicher Hürden – die Interviews wurden auf Deutsch und z. T. auch in englischer Sprache geführt – mussten in der Gesprächssituation einige Fragen umformuliert werden, sodass alle Interviewten die Fragen verstehen konnten. 8 Die Kursleiterinnen der Integrationskurse boten beim Zugang zu möglichen Interview­ partnerinnen und -partnern ihre Hilfe an. Dabei sprachen sie Teilnehmende, die den Kurs freiwillig besuchen, noch einmal gezielt auf ihre freiwillige Teilnahme an, um sie um eine Interviewteilnahme zu bitten. Dies hatte eine weniger freiwillige Teilnahme an den Interviews und somit an der Untersuchung zur Folge. Dieser Umstand bezieht sich v. a. auf die zum Erhebungszeitpunkt noch stattfindenden Integrationskurse. Dies ist in besonderem Maße zu reflektieren, da die Gesprächsbereitschaft der von den Kursleitungen explizit noch einmal gebetenen Interviewten weniger hoch erschien als die derjenigen,

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Gesprächspartnerinnen und -partner befanden sich zum Zeitpunkt der Gespräche im Alter zwischen 21 und 46 Jahren. Insgesamt stammen die Befragten aus sieben verschiedenen Herkunftsländern. Weiterhin unterscheiden sie sich hinsichtlich ihres Ankunftszeitpunkts in Deutschland und ihrer Bildungs- und Migrationsverläufe. Die Datengenerierung orientierte sich an der Methode des problemzentrierten Interviews nach Witzel (2000). Die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner wurden nach ihren bisherigen Migrations- und Bildungserfahrungen, ihren Motiven für eine freiwillige Kursteilnahme sowie ihren bisherigen Lernerfahrungen im Integrationskurs gefragt. Zuletzt sollten die Teilnehmenden von ihren Zukunftsperspektiven berichten. Die anschließende Datenauswertung erfolgte in Anlehnung an die Methode der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2010). Zur systematischen Aufbereitung und Organisation des gewonnenen Materials wurde die Datenanalysesoftware MAXQDA, unterstützt durch die Transkriptionssoftware f4, verwendet. Grundlage der Analyse sind elf Fallbeispiele aufbauend auf den elf Transkripten der geführten Interviews sowie die während und nach der Interview­ durchführung angefertigten Protokolle. Die Untersuchung bediente sich sowohl einer deduktiven als auch einer induktiven Kategorienbildung bzw. -anwendung.

IV

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Die Analyse des empirischen Materials mittels der qualitativen Inhaltsanalyse ermöglichte die Identifikation und Destillation zentraler thematischer Kategorien. Die Auswertung lieferte profunde Erkenntnisse zu den Gründen einer freiwilligen Integrationskursteilnahme und dem Umgang mit kultureller Heterogenität im Lernprozess. Die Untersuchungsergebnisse dieser den Forschungsfragen folgenden zentralen Aspekte werden im Folgenden dargestellt.

1

Motive einer freiwilligen Teilnahme an einem Integrationskurs

Die Verständigung im Aufnahmeland ist für die Befragten zentral. Wie oben ausgeführt ist das Meistern eines Neuanfangs in Deutschland untrennbar mit dem die sich gänzlich freiwillig für ein Interview entschieden haben. Die Freiwilligkeit zur tatsächlich Teilnahme an der Untersuchung ist in jedem Fall bei denjenigen gegeben, die den Integrationskurs bereits abgeschlossen hatten.

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Erlernen der deutschen Sprache verbunden. Daher ist der Besuch eines Integrationskurses aufs Engste mit dem Wunsch nach sprachlicher und beruflicher Integration verbunden. Die Interviewten machen deutlich, dass sowohl die Beherrschung der Sprache als auch eine Erwerbstätigkeit im bereits erlernten oder angestrebten Berufsfeld ausschlaggebend für einen freiwilligen Besuch des Integrationskurses seien. Dabei lassen sich Priorisierungstendenzen feststellen. Zum einen stellen einige Befragten die Bedeutung der Sprachbeherrschung heraus und machen dabei deutlich, dass es unabdingbar sei, (zuerst) die Landessprache zu sprechen: „Wie ich wollt das sofort also ich bin gekommen äh 23 Oktober und […] ich bin sofort nach drei Tage in Deutschkurs gegangen. […] Weil ich finde das äh eine Schritt sehr sehr wichtig.“ (C, 121–126)9 Die Interviewten berichten von sprachlich herausfordernden Situationen und Interaktionen und wie sie diese selbstständig meistern. Dies stellt für sie einen großen Schritt hin zur selbstbestimmten Lebensgestaltung dar. Aus den Interviews lässt sich schlussfolgern, dass die (sprachliche) Abhängigkeit von anderen Personen mit Fortschreiten des Spracherwerbs ab- und das Vertrauen in die eigenen (sprachlichen) Fähigkeiten zunimmt. Zum anderen lässt sich anhand des Materials die Erwerbstätigkeit als weiterer zentraler Grund für die freiwillige Teilnahme an einem Integrationskurs identifizieren. Die Interviewpartnerinnen und -partner berichten einerseits, dass sie durch die Integrationskursteilnahme in ihrer aktuellen Erwerbstätigkeit bestehen, in ihrem ursprünglich erlernten Beruf tätig sein oder eine subjektiv besser empfundene Erwerbstätigkeit als die momentane erlangen möchten. Andererseits bestehe der Wunsch, eine Ausbildung bzw. ein Studium zu absolvieren (vgl. dazu Zimmer 2013, S. 107). In all diesen Fällen sind nicht selten Nachweise über ein angemessenes Sprachniveau, z. B. mittels eines Zertifikats, notwendig. Der Erwerb eines formalen Nachweises der eignen sprachlichen Kompetenzen ist hierbei von großer Bedeutung: „[…] erste (.) Motiv erste Grund war, dass (..) für andere Arbeitsplatz oder für andere (.) Job oder für andere (..) Plätze muss (..) haben sie diese B1 […] also (…) 9 Die Transkription der Interviews orientiert sich an den Vorgaben des Gesprächsanalytischen Transkriptionssystems 2 (GAT 2) (vgl. Selting/Auer 2009). Abweichungen von GAT 2 finden sich z. B. in der Beachtung der Groß- und Kleinschreibung sowie bei Auslassungen im Transkript, die mit eckigen Klammern dargestellt werden.

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für nächste Schritt nächste Schritte B2 oder mehr […] das war der wichtigste Motiv […] der wichtigste Grund […] nur für diese Papier B1 […].“ (B, 301–318) Nicht allein die Beherrschung der Sprache ist für die Migrantinnen und Migranten für ihr Selbstverständnis entscheidend, sondern auch das Erwerben eines Zertifikats, das die im Moment der Prüfung vorhandenen sprachlichen Fähigkeiten dokumentiert und diese damit z. B. für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber nachweisbar macht. Zertifikate stellen darüber hinaus Formen formaler Anerkennung dar. Absolventinnen und Absolventen erhalten nach erfolgreichem Kursabschluss Anerkennung für ihre Bemühungen. Es kann festgehalten werden, dass sowohl die Sprachaneignung als auch die berufliche Entwicklung als die beiden wichtigsten Gründe für einen freiwilligen Integrationskursbesuch gelten können. Dennoch sind verschiedene Tendenzen festzustellen, welchem der beiden Schritte – der sprachlichen oder beruflichen Orientierung in Deutschland – zunächst mehr Bedeutung zukommt. Auf der einen Seite machen die Interviewten deutlich, dass sie zuerst die Sprache beherrschen müssen, um eine Arbeitsstelle suchen und besetzen zu können. Auf der anderen Seite berichten die Befragten, dass sie bereits in ihrem Herkunftsland eine Arbeitsstelle gesucht (und gefunden) bzw. in Deutschland zuerst eine Arbeitsstelle gesucht und sich dann auf den Spracherwerb konzentriert hätten. Diese Priorisierungen stehen in Zusammenhang mit den unterschiedlichen Migrations- und Lernerfahrungen der Interviewten. Eine Gesprächspartnerin berichtet, dass sie bereits im Rahmen ihrer ersten Migrationserfahrung nach Griechenland zunächst einen Sprachkurs absolviert habe, um sich anschließend um eine Erwerbstätigkeit zu bemühen. Ein anderer Kursteilnehmer sammelte hingegen gute Erfahrungen in Irland, wo er sich in erster Linie um eine Erwerbsarbeit kümmerte und dabei die Landessprache erlernte. Wesentliche Säulen eines Integrationsprozesses stellen Sprache, Erwerbstätigkeit sowie – wenn auch zunächst nachrangig – bürgerschaftliche Zugehörigkeit im Sinne einer Annahme der Staatsbürgerschaft dar. Diese Elemente wurden von den Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern in den Interviews hervorgehoben. Letzteres, also die Möglichkeit, die deutsche Staatsbürgerschaft nach erfolgreichem Ablegen der Abschlussprüfung (früher) zu erwerben, wird einerseits als nicht entscheidend für den Integrationskursbesuch beschrieben. Diese Einschätzung ist abhängig vom Herkunftsland der jeweiligen Gesprächspartnerin bzw. des jeweiligen Gesprächspartners: Für diejenigen, die aus Mitgliedsstaaten der Europäischen Union stammen, spielt ein (früherer) Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft eine untergeordnete bis keine Rolle. Andererseits ist für einen geflüchteten Interview­ partner, dem nach seinem Asylverfahren eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis

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zugesprochen wurde, die deutsche Staatsbürgerschaft ein zentraler Grund, um den Integrationskurs zu besuchen. Er macht deutlich, dass er in Deutschland bleiben möchte und aus diesem Grund den Integrationskurs absolvieren müsse: „Ja ich will bleiben in Deutschland […]: und (..) ich muss die Orientation und alles (..) machen […] das ist warum ich bin […] hier.“ (G, 598–610)

2

Kulturelle Heterogenität und Lernmotivation: Einstellungen, Umgang und Auswirkungen

Heterogenität stellt in der Bildungspraxis generell, besonders aber in der Erwachsenenbildung, den Normalfall dar. Nicht zuletzt kumulieren in Integrationskursen verschiedenste Dimensionen von Heterogenität: kulturelle und soziale Herkunft, Alter, Religion, bisherige Bildungserfahrungen etc. Obschon Verschiedenheit als Bereicherung begriffen werden kann, stellt sie nicht selten eine Herausforderung dar, denn dem Bildungswesen liegen meist „Homogenitätsannahmen“ (Wenning 2004, S. 572) zugrunde, die „einen Homogenisierungsdruck […] [ausüben]; Einheitlichkeit wird vorausgesetzt und produziert“ (ebd.). Entsprechend sind – mit Blick auf kulturelle Vielfalt – Interkulturelle Kompetenz und Interkulturelle Kommunikation wesentlich für Zuwanderinnen und Zuwanderer, um einen Integrationskurs erfolgreich absolvieren zu können. So betonen die Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer ihr Interesse daran, besonders zu Beginn des Kurses die anderen Teilnehmenden und deren kulturelle Hintergründe kennenzulernen. Gleichzeitig lassen sich deutliche Fremdheitsgefühle in den Aussagen der Befragten erkennen. So wird von den Befragten beschrieben, dass andere bzw. fremde Traditionen, Religionen und Kulturen z. T. als „komisch“ empfunden würden: „[…] ich denke da ist gut dass alle ins aus verschiedenen Ländern äh (.) jede hat etwas erklärt über seinen Land äh in und äh (.) ähm (.) das war immer interessant (.) ja äh und für (.) mich zum Beispiel äh (.) die Religion oder äh (.) mh (.) diese Leben in anderen Ländern oder in in ko in (.) komisch (.) zum Beispiel komisch ja aber für ihn äh (.) für sie das war normal ja und ich hab meine in Polen äh Leben erklärt und das war für äh sie äh (.) nicht normal aber für mich normal ja (.) äh wir haben äh uns aber verstanden gut und äh ja das war interessant […].“ (K, 357–363) Das Kennenlernen anderer Lebensweisen und Werteorientierungen, die auch als befremdlich empfunden werden können, fordert von den Integrationskursteil-

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nehmenden ein hohes Maß an Anerkennung und Respekt gegenüber den unterschiedlichen Traditionen und Kulturen. Die Neugierde, zu Beginn des Kurses herauszufinden, aus welchen Ländern die anderen Teilnehmenden stammen, leistet aber auch kulturellen Vorannahmen Vorschub: „An Anfang (.) äh (.) äh zum Beispiel mit die Schüler aus Arabien oder aus China also (..) diese Beziehung an Anfang kommt bei dir wie die Geschichte hast du gelernt ja (.) aber dann entdeckst du äh diese Person ist genauso wie du und hat eine gena hat ein Herz genauso wie deine und (.) Wün Wünsche genauso wie du (.) und war wirklich schön das zu entdecken […].“ (C, 260–264) Die Interviews zeigen, dass erst indem sowohl die eigene historische und kulturelle Gebundenheit als auch die der Anderen (an)erkannt wurden, eine Überwindung von Vorannahmen und Stereotypen möglich ist. Gleichzeitig scheint eine spätere intensive Auseinandersetzung mit der kulturellen Vergangenheit und Gegenwart für die Befragten nicht immer notwendig zu sein bzw. teilweise bewusst nicht thematisiert zu werden. Eine Interviewpartnerin, die aus Albanien stammt, berichtet davon, dass sie in Deutschland eine Arbeitskollegin aus Serbien kennengelernt habe und trotz der konfliktreichen Vergangenheit der Herkunftsländer der beiden Frauen eine Freundschaft entstanden sei: „[…] auch in meine Arbeit zum Beispiel ich habe Kollegin aus (.) Serbien und an Anfang war mit mir (.) äh (.) nicht böse und (.) äh aber war einfach weit von mir an Anfang ja? Und ich könnten nicht dabei die gehen nö warum bist du mit mir so weil i ich wusste das warum sie ist nicht weil unsere Geschichte ist kompliziert […] Je ja (.) zum Beispiel mit diese meine Kollegin aus Serbien (.) an Anfang äh sie wollte wissen woher komme ich aus Kosovo oder aus Albanien weil (.) ja wie Krieg war äh zwischen äh Kosovo und Serbien (.) […] und ich habe entdeckt in sie also sie ist eine (.) sehr ähm (.) positive Person (.) also hat ein Herz große Herz (.) und (..) äh war schön also in diesen Beziehung zu kommen ohne unsere Geschichte äh hören […] also dann endet man in Beziehung zwischen Menschen (.) wann (.) wann jemand schaut wer ist jetzt da zum Beispiel ja diese Person ist jetzt mit mir und ist nett mit mir und ich bleibe gern mit diesen Person ohne die Geschichte schauen (.) und das glaub ich ist etwas schön […].“ (C, 358–409). Ein solcher Umgang mit kultureller Heterogenität trotz widriger Umstände erfordert Respekt für eine Person und Anerkennung für deren individuelle Lebensweise. Ferner zeigt sich, dass die Befragten im Integrationskurs sehr behutsam mit Themen

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umgehen, die einen Konflikt hervorrufen oder die individuelle kulturelle Identität eines anderen Teilnehmenden verletzen könnten: „[…] weil ich bin auch vorsichtig aber auch die andere hab ich verstanden sind vorsichtig weil wir sind sehr unterschiedlich zum Beispiel jeden einer ist äh muslimisch aus Arabien und jetzt in Arabien also mit diesem Muslimleute äh äh Welt können sie auch irgendwie […] zu viel gehört was passiert und (.) äh wir muss vorsichtig sein was sprechen wir wie sprechen wir über diese Thema (..) […] und die Geschichte überhaupt von äh Balkanien ist sehr kompliziert also ich muss sehr vorsichtig wie spreche ich mit einen aus Bosnien oder aus Serbien oder weil (.) also Albanien und Serbien waren also (..) äh zwölf (.) bis auch jetzt gibt Krieg aber (..) äh zwölf Jahre vorher war Krieg und ist noch frisch die Situation also da muss man vorsichtig sein was äh wie sch was (.) redet und wie reagiert […] da muss jeden viel Respekt (.) h haben und wir ähm vorsichtig sein.“ (C, 343–365) Ein adäquater Umgang mit kultureller Vielfalt ist aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten besonders im Rahmen von Zweit- und Fremdspracherwerb herausfordernd (vgl. hierzu auch Rost-Roth 1995, S. 257). Aus diesem Grund zeigen die Ergebnisse der diesem Beitrag zugrundeliegenden Untersuchung einerseits, dass sensible Themen z. T. überhaupt nicht angesprochen bzw. Gespräche darüber rasch abgebrochen werden. Andererseits kann festgehalten werden, dass für andere Interviewte die kulturelle Vielfalt in der Kursgruppe keine besondere Rolle im Umgang miteinander spielte. In diesem Kontext ist die grundsätzliche Einstellung zu Migration im Allgemeinen und Migration nach Deutschland im Speziellen bedeutsam. Während einer der Interviewten auf die multikulturelle Gesellschaft in Deutschland aufmerksam macht und festhält, dass er sich in einem „cosmopolitan […] country“ (B, 539) befände, steht ein anderer Interviewpartner der Migration nach Deutschland und damit den Menschen mit Migrationshintergrund allgemein skeptisch bis ablehnend gegenüber. Dabei zeigt sich, dass eine grundsätzlich skeptische Einstellung gegenüber einer multikulturellen Gesellschaft in Deutschland einen anerkennenden und respektvollen Umgang mit den anderen Kursteilnehmenden nicht ausschließt.10 10 Diese Erkenntnis ist auf die Ausführungen von Interviewpartner J zurückzuführen. J hat die deutsche Staatsbürgerschaft. Sein Vater ist Deutscher, seine Mutter stammt aus der Tschechischen Republik. Seine Familie lebt z. T. in Deutschland und z. T. in der Tschechischen Republik. Er lebte bereits einige Jahre in Deutschland, identifiziert sich stark mit Deutschland und nimmt sich selbst als Deutscher wahr. Er berichtet: „[…] meine Familie wohnt in Deutschland also das ist mein Heimat […]“ (J, 56f.). Der Einwanderung

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Der wertschätzenden Beziehung zwischen den Teilnehmenden im Integrationskurs kommt daher eine große Bedeutung zu. Die gegenseitige Anteilnahme, das Gefühl zu einem Team geworden zu sein und das gegenseitige Unterstützen im Kurs sind Kennzeichen dieser Beziehung zwischen den Kursteilnehmenden. Aus den Interviews geht hervor, dass diese Beziehung sich sowohl im Rahmen des gemeinsamen Lernens, als auch in Zeiten schwieriger privater Situationen zeigt. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Befragten unterschiedlich mit der Situation von kultureller Heterogenität und damit auch Homogenität umgehen. Denn nach Wenning (2007) sind Homogenität und Heterogenität untrennbar miteinander verbunden. Beide benötigen einen Maßstab, ein Merkmal, anhand dessen Unterschiedlichkeit und Gleichheit beobachtet werden kann. Die Interviewpartnerinnen und -partner wählen in ihren Berichten die kulturelle Herkunft als tertium comparationis (Wenning 1999). Sie berichten, dass sie Freundschaften und Bekanntschaften außerhalb des Kurses häufig mit Angehörigen des eigenen kulturellen Hintergrunds pflegen. Obgleich diese Tendenz, sich vornehmlich mit Menschen aus demselben Herkunftsland zu befreunden, von den Integrationskursteilnehmenden selbst gezeigt wird, kritisieren sie dieses Verhalten bei anderen scharf. Einer generellen Anerkennung der von Unterschieden und historischer Gebundenheit geprägten Lebens- und Lernbiographien der anderen Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer steht die Forderung der Interviewten gegenüber, offen für die von ihnen sogenannte „deutsche Lebensweise“ zu sein. Diese Forderung nach Offenheit bezieht sich auf die Bedeutung, die andere Migrantinnen und Migranten der deutschen Sprache und dem Leben in Deutschland beimessen. Es zeigt sich, dass die Befragten kaum bis kein Verständnis für diejenigen zeigen, die die deutsche Sprache aus ihrer Sicht nicht ausreichend erlernen, und für diejenigen, die sich sowohl sozial als auch kulturell nicht integrieren (möchten). In diesem Zusammenhang reflektieren die Befragten fehlende Möglichkeiten des weiteren Erlernens der Sprache, die von ihnen als solche identifizierten fehlenden Ambitionen Deutsch zu sprechen sowie den eigenen Anspruch an gesellschaftliche Teilhabe.11 Es wird deutlich, dass Migrantinnen nach Deutschland steht er genauso skeptisch gegenüber wie der Einwanderung in die Tschechische Republik: „[…] des ist viele Problem dann (.) diese multikulti (.) ja des (.) des is mein Theorie […] des is nicht gut weil (.) Deutschland war immer Deutschland […].“ (J, 602–616.) Gleichzeitig betont er den Spaß beim gemeinsamen Lernen im Integrationskurs: „[…] aber (..) wir wir sind zusammen dann kein Problem weil wir haben Pause und dann macht man Kaffee zusammen und andere und viele Spaß […] [lacht] […].“ (J, Abs. 488f.) 11 Auf die genauen Umstände und Hintergründe der Migration der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner konnte im Rahmen der Untersuchung nicht im Detail eingegangen werden. Ebenfalls liegen keine Kenntnisse vor, inwieweit die Interviewten

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und Migranten, die den Integrationskurs freiwillig besuchen und die Bedeutung der Sprachbeherrschung und des Aufbaus eines sozialen Netzwerkes mit Hilfe des Kurses klar herausstellen, scharfe Kritik an denjenigen üben, die sich einer von ihnen so beschriebenen sozialen, kulturellen und sprachlichen Integration verweigern bzw. diese aufgrund verschiedener Rahmenbedingungen nicht leisten können. Die Befragten stellen einen hohen Anspruch an ihren eigenen Integrationsprozess. Es kann davon ausgegangen werden, dass dieser hohe Anspruch in Verbindung mit dem Entschluss zu einer freiwilligen Kursteilnahme steht. Dabei muss noch einmal deutlich gemacht werden, dass sich Freiwilligkeit im Rahmen dieser Studie als das Nichtvorhandensein einer Verpflichtung zur Integrationskursteilnahme konstituiert. Über weitere latente Zwänge, die im Hintergrund wirken, kann mittels der Analyse des vorliegenden Materials keine Aussage getroffen werden. Es zeigen sich dennoch Tendenzen, dass sich ein hoher (eigener!) Integrationsanspruch positiv auf die (Sprach-)Lernmotivation der Integrationskursteilnehmenden auswirkt. Dies wird daran deutlich, dass ein Großteil der Befragten den Wunsch äußert, gut bzw. noch besser Deutschsprechen lernen zu wollen, auch außerhalb des Integrationskurses. Nicht nur kulturelle Heterogenität, sondern auch Homogenität kann als Herausforderung beim Deutschlernen empfunden werden. Während einige der Befragten auf die Vorzüge der sprachlichen Homogenität aufmerksam machen, wünschen sich andere eine kulturell und v. a. sprachlich deutlich heterogener zusammengesetzte Gruppe im Integrationskurs. Auf der einen Seite kann sich die gegenseitige Unterstützung der Teilnehmenden bei sprachlichen Herausforderungen positiv auf die Lernmotivation auswirken. Auf der anderen Seite deutet sich an, dass die Lernmotivation aufgrund durchgängiger Möglichkeiten, in einer anderen Sprache zu kommunizieren, nachlässt, da es leichter für die Kursteilnehmenden ist, sich gemeinsam in ihrer jeweiligen Herkunftssprache zu verständigen. Diese Erkenntnis korrespondiert mit den Arbeiten von Rost-Roth (1995) und Rohmann (2010). Die Anerkennung der anderen Kursteilnehmenden, die Unterstützung beim Lernen durch soziale Netzwerke wie die Familie und der Respekt für andere Meinungen, andere Traditionen und kulturelle Gepflogenheiten im Integrationskurs erscheinen als weitere wichtige Aspekte, die im gemeinsamen Lernprozess in Bezug auf die Lernmotivation eine Rolle spielen.

ihren formulierten Ansprüchen an die eigene gesellschaftliche Teilhabe gerecht werden konnten. Es kann davon ausgegangen werden, dass der weitere Integrationsprozess der Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner in engem Zusammengang mit weiteren wichtigen Faktoren steht, z. B. die berufliche Integration und somit der soziale Status sowie die Einbindung in ein soziales Netzwerk.

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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bewertung des gemeinsamen Lernens einer der zentralen Aspekte für die Lernmotivation in kulturell vielfältigen Lernsettings ist. Neben der generellen Einstellung zu kultureller Heterogenität ist es v. a. das gemeinsame Lernen mit Menschen aus verschiedenen Ländern, das im Integrationskurs als Herausforderung und als Chance verstanden werden kann. Insbesondere scheinen die bisherigen Lernerfahrungen der Interviewpartnerinnen und -partner eine Rolle in der Bewertung des gemeinsamen Lernprozesses zu spielen. Während eine Teilnehmerin das Klima im Kurs als „kalt“ beschreibt und damit davon auszugehen ist, dass von ihrer Seite ein solidarischeres und freundschaftlicheres Verhältnis zwischen den Teilnehmenden gewünscht wird, weisen andere Interviewpartnerinnen und -partner darauf hin, dass sie nicht für die Gruppe, also nicht für die Freundschaft zu den anderen Teilnehmenden, am Kurs partizipieren, sondern für sich selbst. Dennoch bleiben gegenseitige Anerkennung und die Eingebundenheit in soziale Netzwerke im Lernprozess – innerhalb und außerhalb des Integrationskurses – wichtige Aspekte der Motivation von (Sprachen-)Lernenden.

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Zusammenfassung und Ausblick

Zahlreiche Aspekte spielen bei der Lernmotivation im Kontext kultureller Vielfalt eine wichtige Rolle. Aus den Interviews lässt sich gegenseitige Anerkennung der Kursteilnehmenden als ein zentrales und wichtiges Moment für den (Sprach-) Lernprozess destillieren. Dies zeigt sich z. B. im Wunsch nach Respekt für die eigene Herkunft und nach Eingebundenheit in soziale Netzwerke. Auch Selbstbestimmtheit wird von den Interviewpartnerinnen und -partnern als Element des Lernprozesses im Integrationskurs thematisiert. Dies zeigt sich z. B. in der freiwilligen Entscheidung, an einem Kurs teilzunehmen. Beide Aspekte, Anerkennung und Autonomie, lassen sich als verbindende Elemente verschiedener Theorien identifizieren, die einen Spracherwerbsprozess in interkulturellen Lernsettings zu beschreiben versuchen. Zum einen ist die Anerkennung der Teilnehmenden als individuelle Lernende mit unterschiedlichen (Lern-)Biographien von entscheidender Bedeutung für das Interesse am Erlernen der Zielsprache. Dies macht auch Oomen-Welke (2010) in ihrem Beitrag zur sprachlichen und kulturellen Vielfalt im Unterricht deutlich. Die Beachtung und Thematisierung der vielfältigen Migrations- und Bildungserfahrungen12 sind für die Integrationskursteilnehmenden ein wesentlicher Teil der 12 Die Interviewteilnehmerinnen und -teilnehmer beziehen sich in ihren Ausführungen nicht nur auf ihre Migrations-, sondern ebenso auch auf ihre verschiedenen Bildungs-

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Gestaltung des Integrationskurses und damit für ihr Interesse am Kurs. Anerkennung und Wertschätzung der bereits vorhandenen sprachlichen und kulturellen Ressourcen unterstützen die Lernenden beim Spracherwerbsprozess (vgl. ebd.), indem sie sich positiv auf die Lernmotivation auswirken. Dies gilt sowohl für die Anerkennung durch die Sprechenden der Zielsprache als auch für die Anerkennung und Wertschätzung, die sich die Teilnehmenden entgegenbringen. Darauf macht auch List (2007) in ihren Ausführungen zur Sprachpsychologie aufmerksam. Essentiell für die Lernmotivation scheint die Anerkennung von gleichberechtigtem Verschiedenem, von Individualität in all ihren Formen, zu sein. Prengel (2001 und 2003) macht daher Anerkennung zu einem zentralen Aspekt in ihrer Pädagogik der Vielfalt. Zum anderen spielt die Autonomie der Lernenden eine entscheidende Rolle für die Lernmotivation der Integrationskursteilnehmerinnen und -teilnehmer. Autonomie wird dabei als die Übernahme von Verantwortung für das eigene Lernen und für die Reflexion des eigenen Lernprozesses verstanden. Die Interviewten reflektieren selbstständig ihren Lernprozess und bewerten ihn in Abhängigkeit von ihren eigenen sprachlichen Ansprüchen und vorherigen Lernerfahrungen. Sie machen darauf aufmerksam, dass sie die Verantwortung für ihren individuellen Lernprozess tragen. Fuhr (2013) verdeutlicht dies in Anlehnung an Mezirow, indem er den erwachsenen Lerner zum freien Lerner erklärt: „Erwachsenenbildung ist nicht nur ein Angebot an autonome Lerner, sondern auch Anstoß zum Streben nach höherer Autonomie, wobei Autonomie hier nicht als absolute Freiheit verstanden wird, sondern eher als Fähigkeit der Bewältigung anstehender Herausforderungen.“ (Fuhr 2013, S. 31) Autonomie als Grundprinzip der Erwachsenenbildung trägt daher dem Anspruch nach einer selbstbestimmten Organisation gewonnener Erkenntnisse in bereits vorhandene Wissensstrukturen Rechnung. Damit kann der Integrationskurs emanzipatorisch wirken und die Selbstständigkeit der Teilnehmenden bezüglich ihres Lernprozesses stärken. Nur indem die Lernprozesse von dem Gefühl, autonom und kompetent zu sein, begleitet werden, ist (im Idealfall) sowohl extrinsische als auch intrinsische Lernmotivation und damit nachhaltiger Lernerfolg möglich. Zu diesem Ergebnis kommt auch Prenzel (1993), welcher der Frage von „Autonomie und Motivation im Lernen Erwachsener“ nachging. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung machen deutlich, dass sich die Gründe, warum Menschen mit Migrationshintergrund freiwillig an einem Integrationskurs teilnehmen, nicht wesentlich von den Gründen derjenigen unterscheiden, die zu einer Teilnahme verpflichtet werden. Die kulturell heterogene Zusammenerfahrungen. Im vorliegenden Beitrag wurde der Fokus auf die Migrationserfahrungen der Gesprächspartnerinnen und -partner gelegt.

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setzung des Integrationskurses wirkt sich auf verschiedene Art und Weisen auf die Lernmotivation der Kursteilnehmenden aus. Einerseits kann sich die Einstellung zu kultureller Vielfalt allgemein, andererseits konkret die Bewertung des gemeinsamen Lernens in kulturell heterogenen Lernsettings auf die Lernmotivation auswirken. Erkenntnisgewinne zu den unterschiedlichen Ausprägungen von Motivation bei verpflichtet und freiwillig teilnehmenden Integrationskursbesucherinnen und -besuchern im Vergleich kann die vorliegende Studie nicht leisten. Dies wird Aufgabe weiterer Forschungsvorhaben sein. Es kann festgehalten werden, dass die Motivation der Teilnehmenden auf vielfältige Weise beeinflusst wird, u. a. sind hierbei z. B. die soziale Herkunft, das Alter, bisherige Bildungserfahrungen etc. zu nennen. Auch auf diese Zusammenhänge kann die vorliegende Untersuchung keine Antworten geben. Es ist davon auszugehen, dass sich die Aussprache einer Verpflichtung zur Teilnahme nicht in solch hohem Maße auf die (Lern-)Motivation der Teilnehmenden auswirkt, sodass weitere Einflussfaktoren, wie Rahmenbedingungen, Lernbiographie und weitere affektive Variablen, ihre Wirkung verlieren. Die Gesprächspartnerinnen und -partner nennen neben den dargestellten Ergebnissen weitere bedeutsame Einflussfaktoren für ihre Lernmotivation. Dazu zählen insbesondere die beruflichen und persönlichen Weiterentwicklungsperspektiven im Einwanderungsland Deutschland, denen die Interviewten eine hohe Bedeutung beimessen. Dabei ist v. a. auf die Anerkennung ausländischer Studienund Ausbildungsabschlüsse aufmerksam zu machen, denn diese steht in engem Zusammenhang mit Identitätskonstruktionen der Migrantinnen und Migranten und stellt damit einen entscheidenden Integrationsfaktor dar.

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Democracy Education in the Context of German “Orientation Courses” for Migrants Tetyana Kloubert Democracy Education in the Context of German “Orientation Courses”

Abstract

Migrants coming to Germany are obliged to take “integration courses” in order to obtain certain residence titles. In addition to the knowledge of the German language, proof of civic knowledge is required. This usually includes knowledge about the history, politics and culture of the country, or as Heinemann puts it provocatively, “it is presumed that they follow different social rules and therefore need a kind of citizen education in order to be transformed into democratic subjects” (Heinemann 2017, p. 178). This article will partly address Heinemann’s criticism using results of an empirical study conducted in summer 2018, the purpose of which was to analyze strategies and ways of communicating societal values in the context of integration courses for adult migrants. In contrast to Heinemann, this article doesn’t denounce the orientation courses as entanglement of hegemonic norms and structures, but discusses in general the need and the limits of value-promoting adult education in order to foster orientation – using the Habermasian lifeworld-system-concept. On the basis of the qualitative study, this article provides insights into the practical experiences from the point of view of the participants of the integration courses. In the following, the project will first be briefly presented in its theoretical location, then the partial results of the qualitative research study will be discussed.1

1 The project was funded by the Center for Flight and Migration, Catholic University Eichstätt-Ingolstadt. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Kloubert (Hrsg.), Erwachsenenbildung und Migration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26863-3_7

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Concept of Integration courses First of all, let me address briefly the question on what concept the orientation course is based form the point of view of the responsible authority. According to the Integration Course Ordinance (Integrationskursverordnung), the curriculum is determined by the Federal Office for Migration and Refugees (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge = BAMF). The courses themselves are carried out by different public and private institutions of adult and youth education on behalf and according to the specifications of the BAMF. These are e. g. the local community colleges (Volkshochschulen), supra-regional private providers such as the German Employees Academy (DAA), Kolping-Academies etc. The institutions that organize the courses are regularly controlled by BAMF for their organization and educational design to ensure the quality of the courses. The Federal Office for Migration and Refugees (BAMF) presented a concept for a nationwide integration course in 2004 (siehe BAMF 2004); three years later, a curriculum for a nationwide integration course was published (BAMF 2007), and in 2017 a readjustment took place (BAMF 2017). These documents basically follow the same principles and visions and differ only in the fact that the revised version is much more detailed and the scope of lessons was raised from 30 first to 45, then to 60 and finally to 100. The curriculum indicates topics, goals and learning contents as well as the number of teaching units per topic or module. The significance and relevance of the orientation courses for the integration process has been explained in the following way: “Knowledge of fundamental values of society as well as knowledge of the legal system, history and culture as well as the political institutions in Germany make it easier to find one’s way in the new society and create possibilities for identification“ (BAMP 2017, p. 7, translated by the author). The proclaimed specific goals are: • to foster understanding of the German state • to develop positive evaluation of the German state • to provide knowledge of the rights and duties of citizens and residents • to develop ability to orient oneself further (methodical competence) • to empower participation in social life (agency competence) • to acquire intercultural competence (ibid.). The content of the orientation course comprises three modules: • The module “Politics in Democracy” (35 hours) focuses on the constitutional principles and fundamental rights in the of the Constitution as well as on the constitutional organs and political parties.

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• The module “History and Responsibility” (20 hours) deals with the German past (dictatorship of National-Socialism and GDR) in order to “better understand the German and European present” and to enable “a special appreciation of the fundamental rights against the background of the national socialism and the Holocaust“ (BAMF 2017, p. 32) • The module “People and Society” (38 hours) aims at religious and cultural tolerance, the acceptance of diverse opinions as well as gender equality. The orientation course has to be completed with a standardized test. The pool for the “orientation test” is a catalog of 300 multiple-choice questions, 33 of which will be asked in the test. Technically, the test shows the ability to remember the right answers.

Theoretical framework The new curriculum from 2017 proclaims the orientation courses explicitly as “value-based political education” (BAMF 2017, p. 9), which contributes to the “promotion of social participation” and enables “dealing with one’s own life reality” (ibid., p. 9) The courses do so while referring to “the fundamental rights and democratic principles as a benchmark and framework for the independent judgment and individual positioning of the participants” (ibid., p. 9). If thus orientation courses have been considered as a part of political education, they have to be based on a plurality of approaches, must be life-world-oriented, controversial and offer a guiding basis for actions values-oriented. The orientation courses should consequently take into account the basic principles of German political education formulated in the socalled Beutelsbach consens (1976), which are: 1. Prohibition Against Overwhelming the Participant: It is not permissible to entrap participants intellectually, by whatever means, for the sake of imparting desirable opinions and hindering them from “forming an independent judgment.” 2. Treating Controversial Subjects as Controversial: Matters that are controversial in intellectual and political affairs must also be taught as controversial. If educators treat differing or alternative points of view as forgotten, suppressed, or ignored, they lay a path to indoctrination. 3. Giving Weight to the Personal Interests of Participants: Participants must be put in a position to analyze a political situation and to assess how their own

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personal interests are affected while also seeking ways to influence the political situation they have identified. The Curriculum of the orientation courses mentions the Beutelsbach consens as a basis for the didactical arrangements (BAMF 2017, p. 14). In the traditional (self-)conception of German political adult education its task is to strengthen democracy through supporting the autonomy (Mündigkeit) of each individual, the ability to act and the ability to judge (Urteilsfähigkeit) all members of society, and through offering “reflection spaces”. Klaus-Peter Hufer delineates clearly political adult education from any attempt of persuasion or taking influence: “Political education is the opposite of agitation, indoctrination and manipulation. The last-mentioned forms of political influence are about heteronomy and about compelling an opinion that is believed to be right. Contrary to this, autonomy and self-determination are and will stay the indispensable principles of political education” (Hufer 2005). Characteristically for adult education is a special perception of the role of the learner: “The top priority is the recognition of learners as subjects of their own educational process, as actors of their own political education, even if they may (and that is the pedagogically paradoxical) have not (yet) the reflected relationship to politics or political participation” (Becker/Krüger 2018, p. 922).

The role of teachers in adult education is also clearly defined: “They should have the ability to encourage and empower people for their educational processes” (Becker/ Krüger 2018, p. 923). Heinemann (who was mentioned at the beginning) argues that despite the fact that orientation courses are obviously a part of adult education, in this case the practice of adult education abandoned its core principles: “While the movement of adult education has historically emerged as a force that irritated hegemonic relations, encouraging workers to recognize, assert, and form their own rights, the continuing education institutions of today are struggling with danger in the course of the expansion of the neoliberal ideologies to become to accomplices of employment agencies and companies, who only turn their participants into market-compatible workers or help separate the ‘good’ migrant from the ‘bad’ ones” (Heinemann 2018, p. 81).

In the next step I will explore the question to what extent the core principles of the political adult education are taken into the educational practice of the orientation courses. I focus on the principles of the promotion of an autonomous and critical judgment, understanding of the self and the world, the ability to participate in a community and the society, and finally also the facilitation of orientation (as

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the courses claim to offer by their title). Hentges, who compared the concepts of integration courses for migrants in different countries points out that in the phase of introducing orientation courses in Germany, the term “orientation” was not further problematized but was adopted from the European neighboring states, which already had experience with the so-called “orientation courses”. Hentges argues that “orientation” has become an “omnipresent term”; without questioning the meaning of the term, it is assumed that anyone who hears the term will have an idea of what could be the object and goal of such courses (Hentges 2010, p. 27). But we should ask what lies behind the term “orientation”? Friedenthal-Haase points out the metaphorical meaning of the word “orientation”, containing the notion of “orient” – sunup. She sees there a metaphor distinctive for the understanding of education in the epoch of Enlightenment – in the sense of Light, Reason, clarity, the capacity of an individual to think and to act for herself and to overcome the darkness. “Orientation means being aware of the real conditions and circumstances. Orientation also means a mental attitude or alignment in the sense of world view.” (Friedenthal-Haase 2002, p. 69) The author indicates, however, that orientation could also mean – especially used in the context of totalitarian regimes – steering, aiming at something. As it could be seen, the term is transportable to different dimensions: orientation can be seen in terms of empowering to autonomous decisions concerning one’s own worldviews and the self-perception of oneself being in the world, but it could at the same time mean an imposing of a certain direction, guiding someone to a pre-defined goal. The question that could be posed in the context of orientation courses for migrants is: Do these courses aim more at providing the orientation in terms empowering for thinking and acting for oneself in the process of finding one’s own relation to the world or in terms of steering? In any sense, orientation means a balancing act between requirements and expectations from the outer world and an individual’s autonomously-derived personal and inner life, or as Friedenthal-Haase argues: “Orientation mediates between a breadth of the horizon and a clarification of personal decisions, appears as a condition of participation and codetermination, enables distance, selection of actions and synthesis capacity” (Friedenthal-Haase 2002, p. 76). Thus, orientation can be understood as a process of creating and transforming subjective and shared worldviews in an ever-changing world. To explore this sense of the concept we will refer to the Habermasian approach of lifeworld and system, developed in his theory of communicative action. The lifeworld can be in general conceived of as the horizon of meaning within which actors engage with each other in different (communicative) actions. For Habermas, the lifeworld is the basis of ordinary life: it is predominantly private, based

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on collective attitudes, but at the same time authentic and secured and developed through personal communication. The existence of the lifeworld is indispensable for our satisfaction as individuals. Lifeworld thus means a shared, culturally transmitted basic knowledge within a communication community. It contains a set of shared patterns of interpretation (Habermas 1987, p. 189). Lifeworld is a source of reliable expectations, social security and foreseeability; therefore, it builds a foundation to the feeling of having an orientation in the world. Habermas refers to the concept of the system – as the opposite to the lifeworld – while adapting some thoughts of Max Weber: systems are accordingly rationalized and build on such core principles as control, efficiency, predictability, and standardization. Habermas speaking about the domination of systems in modernity draws attention to the problem that he calls the “colonization of the lifeworld by system.” The system while colonializing the lifeworld imposes at the same time anonymous, mechanical, media-driven processes of material reproduction. The authenticity of human experience and the significance of one’s own resources for action are counteracted by the threats of the constant interventions of the system into the lifeworld. The results of such colonization has its consequences: The most common are motivational crises and alienation effects that occur within the lifeworld. The loss of orientation is the next effect of the colonizing. Then, if the certainty of one’s lifeworld disappears, the individual experiences a loss in his/her sense of positioning in the world. The lifeworld is based on the constitution of the biography and identity of the subject and the constitution and transformation of society – through the process of interpersonal communication and understanding. On the basis of this understanding-oriented action, the lifeworld for the individual is the framework in which social integration takes place. At the same time, the society determines certain abstract-functional structures of the system integration (through goal-oriented strategic communication): e. g. law, economics, politics. The orientation course, as proclaimed in the curriculum (BAMP 2017) aims at fostering an understanding and positioning of oneself in the society. Accordingly understanding implies reaching an agreement of the communication participants on the validity of a truth claim. Consent/agreement (as a result of preceding discourse) is regarded as the intersubjective recognition of the validity claim that the speaker makes (Habermas 1987, p. 184). The practice of narration supports in this case the process of understanding, for the communicative actors not only encounter each other in offering to each other beliefs, assumptions and attitudes; they give explanations for them through offering narrative insights in the events in their lifeworld. (ibid., p. 206). As a narrator, the person is encouraged to reflect on one’s identity and the integrity of one’s life context. The lifeworld can be thus seen twofold: as the horizon-forming context of a situation, but it forms also a foundation (from

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the narrator’s perspective) for cognitive purposes (ibid.). It should also be said, the elements of the lifeworld can only partially be raised to consciousness and thus become an object of critical reflection. It happens only when the self-evident aspects of everyday life break up and everyday communication becomes problematic or when it comes to disturbances of social integration, for example, in the course of immigration (ibid, p. 212–217). Communication is directed towards building mutual understanding, but the process of cultural transmission within the lifeworld is not purely adaptive; it is transformative by nature as different worldviews interact. Through the application of this framework we intend to develop a helpful perspective on the question of integration and migration that enables the linking of personal and group structure on the one side and organizational and institutional structure on the other. The lifeworld concept gives suggestions for exploring how certain groups of people constitute their worlds anew after a significant crisis of migration and how (new) social systems affect their lifeworld. It can also help to understand how social and ideological systems affect the subjective-relational constitution of the feeling of orientation in the (new) environment. To explore this question further we will look at findings from the interviews with the refugees taking the integration orientation course.

Date collection It will be necessary to start with some methodological remarks about data collection: The method of qualitative research used was that of the semi-structured interview with participants of the orientation courses. Semi-structured interviews as used in our research project rest upon a basic schedule, in question form, of areas to be covered in the interview. The schedule guides the interview, but permits various input from the subject to come up naturally and in any order. This schedule ensures that basically the same information is obtained from all subjects: their expectations for the course, perceptions about what they learned and disappointments about what they hoped to but did not learn, the perception of German democracy, the role of the teacher in their learning process, the consideration of their own experience during the learning process, their perception of their roles as learners, the teacher-learner relationship. The interviews took place in August 2018.2 In total, 2 The data collection and transcription were possible due to the effort of the research team consisting of Dr. Daniel Oelbauer, Dr. Saskia Eschenbacher, Nancy Brenke, M.A. and Inga Stapel, B.A., whom I would like to thank.

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eleven former participants were questioned about their experience in the orientation courses. The interviews were conducted in a well-established adult education institution of Mittelfranken, a region in Bavaria, Germany. During the interviews, if preferred by participants, a translator was available so that the answers could be given in their native language and were afterwards translated into German. The interviewees were guaranteed that all their answers would remain anonymous. They were also reassured that the research doesn’t aim at evaluation of the educational institution or even their own achievement during the course, but at learning from their personal perceptions and experience made during the course. The obtained empirical data provides information about the participants’ expectations of and experience during the orientation courses, and about searching and finding points of personal orientation in the new society while learning the content proposed by a state authority. Furthermore, the data collected can be used to describe the effects of the orientation course in terms of gaining and interpreting knowledge about German history and politics and finding individual and shared strategies of social integration. The analysis of the interviews was based on the following questions: What concept of democracy do the interview partners have and how did the orientation course contribute to the formation of this concept? How deeply did the participants feel a connection between the content of the orientation courses and their own lifeworlds? How and to what extent did the participants feel supported in their capacity for autonomous critical thinking and acting in the new democratic society? The leading research questions refer to the nature of educational processes: Is civic education, as part of which the integration course is considered to be, designed in the sense of its genuine principles of autonomy, empowerment, participation and critical reflection, or is a societal narrative transmitted through uncritical acceptance of information? An approach to these questions takes place on the micro-level, analyzing the pedagogical relationships between course instructors and participants as well as the learning contents and formats from the subjective perspective of the participants. Specifically, it asks how learning processes have been considered and described - as orientation in the sense of empowerment and self-discovery, or rather as orientation in the sense of steering and controlling from one side and being subject to rules from the other. The present article presents partial results of the collected data. Selected were those results pertaining to participants’ images of democracy, the role of the teacher and the learner’s own role, as well as the involvement of participants’ experiences in their so-called “orientation” to Germany. In the following, only a part of the overall project will be presented. Three exemplary areas of adult learning will be focused more precisely: (1) how the interviewees

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described the democratic values as learned in the course, (2) how interviewees felt their (life-)stories and individual perspectives were acknowledged and respected in the course, and (3) how interviewees were encouraged to develop their own capacity to think and act autonomously.

Findings and discussion (1)

Democratic values

The claim of the orientation course is a fundamentally democratic one: civic/political education should be made accessible for all – for citizens, residents, migrants, etc. This is based on an underlying assumption that in principle everyone should be able to participate in the process of maintaining and shaping democratic society. The implementation of this raison d’être of the orientation courses is, however, less promising. Furthermore, the desired education for all has been done at the expense of voluntary participation as one of the core principles of political adult education. Orientation courses have in most cases a compulsory character because non-participation can be sanctioned through administrative decisions concerning one’s own prospects of stay in Germany. The interviewees emphasize that participation in the orientation course is often considered to be a prerequisite for a permission to stay in the country. From the interviews, it also became clear that the primary motivation for a course was the language acquisition. According to their responses, interviewees felt insecure in their language competence and have great difficulties familiarizing themselves with the vocabulary of the legal system, absorbing the history and culture of the Federal Republic of Germany, understanding the political, historical and cultural contexts and operating with abstract categories in German language. Speaking about their notion of democracy, the interview partners often mention slogans such as “freedom of speech, equality, laws”. The impression arises that the participants have memorized certain key words. The question to be put here is whether the democratic principles as taught in the course were recognized by the participants as useful tools for navigating through the new environment and as a point of reference that could provide them a feeling of increased ability to deal with their new society. Hassam points out that the orientation course was for him “useless”: “I have not learned anything in his course at all, but I have only luck [to pass the test, TK]. I didn’t learn about politics in my country, so I won’t learn about

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it in this country. What I care are the rules: What I can do and what I can’t.” (Hassam, # 00: 01: 50 #) There is a vague understanding of democracy, especially since participants often have no experience of living in a democratic society and culture; they call the timing of the orientation course too early. Samira, for instance, argues it would be important to have an experience of living in a democratic society in order to be able to form an opinion and a personal reference based on this experience, as well as to participate in the discussions. Samira describes her attitude towards democracy as that of “accepting”. The reason she gives is: “I accept it because it is a right form of life. It’s clear for everyone, yes, here, it’s a democratic country. And all should accept it and do exactly what should [be done] (Samira, # 00: 06: 29 #). As she was asked about the controversies debated during the course, she indicates there were no discussions, because everyone “accepted the democracy how it is here, nobody puts it into question” (Samira, # 00: 09: 46 #). She adds however: “But it should be also said that you cannot know if someone has a critical opinion. Because one doesn’t speak about it, one can be still coined“ (Samira, # 00: 10: 00 #). The sentence suggests the inner censorship that some participants still have due to fear of being persecuted for expressing of their opinions. This problem should be addressed during the orientation courses through fostering the ability to conduct a dialogue, to gain skills not only about how to express an opinion and to develop a personal narrative, but also how to argue and evaluate the arguments of others. The unwilingness to conduct a dialogue, to engage in deliberation, seems to be a product of life in a totalitarian society (Kloubert 2015). The interviews reveal some important dimensions of democracy. Several interviewees refer repeatedly to need to follow the “rules”. Samira describes her interest at the orientation courses as a desire to know the rules of the society she lives in now. Samira accentuates her unwillingness to consider the process of law-making, why it could be useful to know “who makes and rules and how”; significant for her is “that the rules work”. She describes her astonishment by the fact that the laws in Germany are accepted and followed by everyone. Her experience in Syria was different: “In our country, we (laughs) write [laws, TK], but we don’t care [about them]. For me it was important to know that everyone respect the law, the law is not just a piece of paper, but that everyone is equal before the law and that the people in a democracy really accept this” (Samira).

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The “acceptance of the rules” of the society are in the interviews often equated with integration. Adam argues: “I feel like I can be a part of the society, I came here, I see how the rules and the laws are, and I have to follow them” (Adam, # 00: 08: 51 #). The orientation course, from Adam’s perspective , should “teach” the migrants what is “German” and what norms of living together are applicable in Germany. From the interviews we can conclude that the participants perceive that the acceptance of the rules is equated with integration, whereas the questioning of the rules leads to exclusion or marginalization from society.

(2)

Lifeworld and personal narratives

Taking into account the experience and the lifeworld of the participants implies didactical arrangements that allow sufficient space and time to express and discuss different, even controversial perspectives and which support a multi-perspective, pluralistic, individual formation of opinion. A frontal transfer of knowledge and reciting of the constitutional principles would promote a superficial learning of content, rather than helping students deeply relate to and understand the desired topics. The question if there was enough space to talk about and to discuss personal experience was in several cases denied by the interviewees: “Yes, we should say something [about personal experience], but not too long, because [there was only] little time, one mustn’t speak too much (laughs), but we were allowed to, yes, to discuss a bit.” (Samira, # 00: 00: 53 #) In the interviews it becomes clear that the reference to and reflecting on one’s own life experiences were addressed only marginally at best. This marginality is not only the result of the pedagogical design of the course or of a personal choice of the teachers. The interviewees stated at several points that the teachers certainly asked questions about their previous experience. However, the participants regard their experience as insufficient or inadequate to have (appropriate) opinions about life in a democracy. The reference to one’s own culture is more anecdotal or is being told as a “cultural peculiarity”: The presentation of different “ethnic traditions” was finished by the teacher with a description of the “German model”: “Yes, Yes, in the course was allowed to say their [one’s own, TK] opinion, what has with us in the past, what happens to us in the home country. Sometimes our teachers maybe corrected that: you’ve done that in your home and it’s OK, but here in Germany we have to do so and do that; that’s the right thing. (Samira, # 00: 01: 58 #).

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The orientation course seems to provide participants with a declarative knowledge, comparable to that of the school curriculum: the most important historical events will be memorized as well as state institution and structures. To the question: What did you learn, Abbas answers: “The name of party, when it was started, when did the war start, when did the war end, when Berlin Wall [was erected, TK], and which federal cities were for example with Americans, with France and so (Abbas, # 00: 05: 46 #). Samira doesn’t want to know much about the history. The goal of the orientation courses to provide justification and explanation for the “rules” or principles of living together in the German society seems not plausible to her: “About the past it was too much. I think no one cares about the history. Better would be the questions about the present, how to live now in Germany. Shouldn’t we understand better, what’s going on in Germany now?“ (Samira, 1:241). Abbas says, however, he was interested in all the contents of the orientation course, but at the same time he claims to be an exception. He searched for information about the democracy in Germany already in his home country, and was also politically active as a Kurd in Iraq. Abbas emphasizes that the orientation course doesn’t provide the participants an orientation in everyday life: “It helps to understand big things, but only for those who inform themselves [additionally, TK]. More time is needed for everyday orientation” (Abbas, # 00: 37: 24 #). Reference to the participants’ lifeworlds demands a special sensibility on the part of the teachers, but also on the part of the authors of the curriculum. The curriculum of the orientation course prescribes a discussion about the German past, especially about the period of dictatorship of national socialism. In some interviews the participants speak about difficulties dealing with German history. These difficulties emerge not (only) from lacking points of connection, but from the personal experience of living in a dictatorial state and personal trauma that arose from this experience. Speaking about persecution and murdering seems to some participants to be a re-traumatization. Samira states, she searches for re-orientation in a new democratic state, a possibility to find a new way of living together “a life in peace and democracy”. The intensive dealing with Germany’s totalitarian past doesn’t seem useful for her: “A lot of foreigners like me come from Afghanistan, Iran, Syria and we have still a war there. We do not like [speaking, TK] about dictatorship, reading

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again and again, we [feel] reminded [of the cruelties]. That makes us sick, (laughs) I would say”. Abbas shared similar observations: „You know, my family still live under dictatorship. I cannot speak about it in the classroom […] The military dictatorship isn’t a past for us. It is different for us as for normal people” (Abbas, # 00: 21: 05 #) Migration is associated in many cases with the feeling of losing control over one’s own life and the loss of one’s own lifeworld. The need for orientation is understandably immense in this situation. Also understandable is the need to find a guideline and to have a list of rules in hand. This can be described as a basal orientation, but if no other is developed beyond that, the orientation course clearly falls short. In a further stage, orientation means finding one’s own way of shaping rules, developing communicative strategies for deliberation and for argumentative defense of one’s own lifeworld. Orientation means thus developing a participatory perspective (perspective of an actor), - in contrast to the role of a spectator. The task of the teacher in an orientation course should therefore be to gradually make himself superfluous as an intermediary and to make the learners participants and co-creators of the new lifeworlds. Teaching in the sense of instruction might be in very limited cases helpful for the basic need for security immediately after migrating to a new society, but it ultimately has nothing to do with orientation. The interviewees were explicitly asked if they experienced any kind of directing of the participants or channeling of the discussions through a teacher during the course. This question was answered “no” in every interview. At the same time, from the interviews we can conclude that in some cases values and norms as required in the curriculum have been taught in a more frontal than discursive way. Thus, the elements of deliberation that are important for understanding and acting seem to be marginal. Dialogue about the underlying societal values seems, however, to be in large part replaced by reciting and learning the exam questions by heart. The core point of political education is that not (only) the content matters, but also the way of dealing with it. Political adult education that aims to foster democracy creates an environment through which to learn skills how to communicate and to develop habits of deliberation. It is pointless to teach in frontal way; the participants need to emulate how to live in a deliberative democracy and participate through discourse and action.

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Autonomy and agency

The orientation course offers a broad knowledge about the principles and laws of German society. At the same time, “learning about rules” is conducted in a manner of tacitly accepting them. In the orientation course, the process of discursive, deliberate establishing and changing of the “rules” seems not to be a focus. Adam points out that he does not feel competent or authorized to criticize the rules in Germany: “We had to keep the rules in Germany, we could not interfere or say they are not good or so” (Adam, # 00: 09: 00 #). Abbas argues in a similar way: “It is difficult to [disagree] when the refugees come from Syria, Iraq or Iran. Because in Syria / Iraq is war and Iran is a dictatorship regime which is worse than a war (laughs) and thus I cannot say like ‘yes, in my home it is at any point better than in Germany’”. (Abbas, # 00: 24: 38 #) Adam describes a situation where the teacher of the orientation course did not allow the discussion about laws and regulations, justifying it by the fact that “she is not a specialist in the laws or political parties” (Adam, # 00: 12: 44 #). Adam continues: “She just gave us sheets with the multiple-choice-questions [which will be a part of the final test, TK] and read them loudly in front of the class”. The passage points to the question of the qualification of the teachers of the orientation courses: besides having competencies to teach German as a foreign language and having andragogical competencies they need to be able to discuss (from different perspectives) the questions of constitution, political institutions, history, human and national rights, election systems, etc. This would require further, intensive professional education for the teachers (which is not foreseen by the BAMF). As already mentioned above, political adult education aims at “critical reflection, at a positioning that first of all takes a distance to and critical assessment of the traditional patterns, and at the controversial discourse.” (Becker/Krüger 2018, p. 924). Orientation in the orientation courses is, as was shown, however, strictly linked to learning and complying with norms, rules and laws. Participation in society is associated with memorizing an appropriate behavior in the new society. The awareness that laws can be the product of long deliberation in a society and can be changed in a discursive process is nowhere to be seen. The predominant attitude is as follows: We are not capable enough to talk about democracy or to criticize democracy because we could not build democracy in our countries of origin. That’s why we came here and are willing and ready to adopt your democracy.

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In an interview, it is pointed out that the orientation courses initially had a disorienting effect. One participant indicates that awareness of the complexity of life in Germany has come through the orientation course. Fatima describes her experience: “I thought the life here in Germany [would, TK] be easier. Then, when I took this orientation course, I knew, it was not easy at all. You have to do a lot of things, a lot … to achieve your goals […]. I also see people do not get the money here so easily, they have to work a lot. They don’t see their families or children so much if they want to live better. (laughs)” (Fatima, # 00: 13: 01 #). Recognizing the complexity of the world can be stated as a learning result of a positive nature. The question remains, and future research should inquire into, how participants deal with this complexity. Is the complexity overwhelming and a cause of feelings of helplessness or powerlessness? Or, does it wake curiosity and prompt them to search for ways and tools of dealing with it? From the several interviews it can be concluded that democratic values such as freedom of expression and equality as well as participation are often strikingly repeated but not understood as an instrument for one’s own actions and own life-style. The goal of empowerment laid down in the curriculum cannot be found in any interview. The transmitted knowledge is therefore not action-enabling orientation knowledge, but merely factual information. The focus has been thus laid on the acquisition of facts while ignoring a critical examination of social conditions; additional emphasis is put on memorizing the multiple-choice questions for the final test. Some participants mentioned their hesitation to engage critically in the controversial dialogues within the classroom. Besides the subjectively perceived incompetence as described above, there is an inner censorship as a result of living under the dictatorship that apparently plays a role. Even if free opinion and political and civic engagement are generally unregulated and even encouraged in Germany, it might be a habitual attitude of several participants not to publicly engage in political discussions: “Because we are in Syria always far from politics, … because I cannot speak badly about politics without punishment, so maybe in Germany we don’t. Maybe one year later or two years yes, that’s difficult (Abbas, # 00: 24: 12 #) Nahla explains her reluctance towards political action and discussion: “At home we shouldn’t even think [for ourselves, TK]. The government does it.” (Nahla, # 00: 09: 12 #)

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Summary: Orientation courses as contribution to what kind of orientation? To return to the conception of the lifeworld and system, it should be noticed that integration into a society cannot take place solely on the premises of understanding-oriented action, that is to say, in the level of the lifeworld. The members of a socio-cultural lifeworld undertake also the goal-oriented strategical action, thus using the logic of the system. The functional connections and logics of the system obviously play a role in the process of orientation in a new society. The lifeworld is dependent on formal systems (money, power, etc.); a decoupling, a denial of formal systems, is not possible. Thus, orientation courses need to address both: the logic and the structure of the system, but also the experiences and the interpretation patterns from the lifeworld of the participants. From the interviews can be concluded that the emphasis of the orientation courses has been laid too far on the system and the regulation logic of the system. The lifeworlds of the participants need to be addressed in a more explicit way through promoting the ability to tell personal stories, through creating safe learning spaces and the culture of recognition of personal experience, opinions and beliefs – in order to fulfil what the orientation courses promise in their very title. It can be concluded that the courses currently place an emphasis on offering orientation for the role of the spectator of the system, but not for the role of the actor in the new disclosed lifeworld. The foreign lifeworlds (e. g. that of the “German citizens”), perceived from the perspective of the spectator, i. e. from the outside perspective, will always seem to be a system – a system of required actions and reactions, a system of rules to be learned and memorized. It is important in the sense of fostering integration and providing political education to strengthen the structures of the lifeworld in which the communications take place, and to promote the rational practice against the constraints of the systems. If orientation courses only address the systems, the effect will be that participants will feel alienation and lack of identification and motivation. The participants stay as spectators of the system. The indispensable means of truly participating in the system was and is dialogue, a communicative action that enables the students to discover how the ambiguities present in the system (democracy) can be approached, understood and handled. This would lead to a balanced system/lifeworld integration, where the system leaves room for the individual lifeworlds and the lifeworlds help the system to evolve and to improve. The system involved in the construction of meaning can be then understood as a legitimate guide rather than as a coercive element. Heinemann, quoted at the beginning of this paper, is correct in the sense that within the framework of the orientation courses the rules of the local society are taught so that the participants are expected just to accept them. Questioning of and critical reflection

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on the alleged “normalities” and of “German tradition” does not take place. Thus, the process of forming one’s own opinion and promoting one’s ability to act can hardly take place. The way the courses are currently conducted, they only serve to support and reproduce the current system; they do not promote the development of independent and politically-active thinkers. The education course can be understood in the words of Freire as domesticating education, meaning adapting to the system. Being subjected to better norms and laws is interpreted as democracy. Education aiming at autonomy and agency is not described by the participants. Instead, democracy is learned in rigid categories as a finished product. Democracy as a project or as a “construction site” should be communicated so that the participants can see and understand the potential for improvement as an invitation to participate. The questioning of rules is, however, communicated as inadmissible in the interviews. Heinemann asks the question “Where are rooms in which the human and not the test quota remains at the center of pedagogical considerations?” (Heinemann 2018, p. 89) An appeal to the discipline of adult education that Heinemann expresses in her study is: “Re-occupy Education” (Heinemann 2018, p. 90). That means the need for adult education in general and for political adult education in particular to return to its basic principle: fostering the individual’s autonomy and critical thinking, capacity to act, ability to perceive and to evaluate the plurality of perspectives, as well as see the correspondence between the personal interest and political participation in different forms. The question that can still arise in this context is whether adult education can be value-promoting without prompting learners to give up or suspend their own principles. One option would be to denounce such value-oriented courses as a hegemonic, postcolonial practice and “undemocratic institution”, as Heinemann does (Heinemann 2017, p. 192). Another option would be to see integration as a twofold process in terms of the tension between the system and the lifeworld. At the same time, the task of adult education remains to search for ways to realize the goals set out in the curriculum at the micro level in such a manner that a dialogue, capacity for judgment, autonomy, plurality and controversy can actually be experienced in the courses themselves. A pure knowledge-based mediation (and multiple-choice testing of content) obviously cannot provide it. Adult education that remains true to its own core principle has to distance itself from the attempts of coercion, indoctrination, imposition or even shaping, conversion and persuasion: “If orientation and reorientation are discussed in the horizon of an adult education worthy of its name, then only in the sense of free self-activity and self-determination of the adult learner and of possible support for him by adult education” (Friedenthal-Haase 2002, p. 79f.) The orientation in the orientation courses takes place against the backdrop of enormous pressure to pass the final exam. A possible didactic recommendation,

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which can be derived from this study, would be an abolition of the existing form of examination. A documentation of the learning process in form of portfolio, in which the principles of democracy are reflected against the background of personal experience and narration, thoughts and expectations as well as questions and irritations would be closer to the proclaimed goals of the orientation course. From the didactical point of view, it might make sense to create collections of cases coming from the experiences of the participants that can be treated discursively. A realistic goal setting in the curriculum itself would also be needed.

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Medien und digitale Plattformen in der Migrationsgesellschaft Zu den Strukturen öffentlicher Kommunikation über Flucht und Migration Klaus-Dieter Altmeppen

Zusammenfassung

Was weite Kreise der Bevölkerung über die sogenannte Flüchtlingskrise wissen, wissen sie durch die Medien. Obwohl sich der Alltag der allermeisten Menschen in Zeiten erhöhter Migration kaum veränderte und sie zumeist persönlich keinerlei Einschränkungen erlebten, obwohl die wenigsten Menschen in Deutschland überhaupt Kontakt zu Flüchtlingen oder ihren Helfern hatten, dominierten Sorgen und Ängste in der Bevölkerung, die von (nicht nur) rechtsextremen Gruppierungen für ihre Zwecke instrumentalisiert werden konnten. Diese Phänomene untersucht die Kommunikationswissenschaft. In diesem Beitrag werden die Strukturen öffentlicher Kommunikation aufgrund kommunikationswissenschaftlicher Ergebnisse zu Narrativen und Frames bei Flucht- und Migrationsthemen nachgezeichnet. Dazu werden Forschungsbefunde zur Berichterstattung über Migranten wie zu den Mechanismen stereotyper Medieninhalte herangezogen. Das abschließende Kapitel beschäftigt sich mit der bewussten Nutzung und strategischen Planung der Kommunikationsprozesse.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Kloubert (Hrsg.), Erwachsenenbildung und Migration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26863-3_8

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Klaus-Dieter Altmeppen HARRAS Muss sie aber! Muss sie! Wenn schon – denn schon! Denken Sie doch – was kann da nicht alles vorgekommen sein in einer alten Familie. Vom Rhein – noch dazu. Vom Rhein. Von der großen Völkermühle. Von der Kelter Europas! (Ruhiger) Und jetzt stellen Sie sich doch mal Ihre Ahnenreihe vor – seit Christi Geburt. Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl, braun wie ne reife Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Und dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie, das war ein ernster Mensch, der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begründet. – Und dann kam ein griechischer Arzt dazu, oder ein keltischer Legionär, ein Graubündner Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein Schwarzwälder Flözer, ein wandernder Müllerbursch vom Elsass, ein dicker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pandur, ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler, ein böhmischer Musikant – das hat alles am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen und gesungen und Kinder gezeugt – und – und der Goethe, der kam aus demselben Topf, und der Beethoven, und der Gutenberg, und der Matthias Grünewald, und – ach was, schau im Lexikon nach. Es waren die Besten, mein Lieber! Die Besten der Welt! Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben. Vermischt – wie die Wasser aus Quellen und Bächen und Flüssen, damit sie zu einem großen, lebendigen Strom zusammenrinnen. Vom Rhein – das heißt: vom Abendland. Das ist natürlicher Adel. Das ist Rasse. Seien Sie stolz darauf, Hartmann – und hängen Sie die Papiere Ihrer Großmutter in den Abtritt. Prost. Carl Zuckmayer: Des Teufels General. 1945, S. 54.

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Von der medialen und digitalen „Kultivierung“ des Fremden in den Köpfen

Die „Völkermühle“, die des Teufels General seinem Adjutanten erklärt, ist ein Narrativ, das bis heute so gut wie überhaupt nicht in den öffentlichen Diskursen vorkommt. Das Fremde, das Andere wird in den öffentlichen Erzählungen des Internets und den Nachrichten der Medien stigmatisiert, diskriminiert und auf negative Merkmale reduziert. Wenn man es pointiert formuliert, dann stehen die Medien immer noch auf der Entwicklungsstufe der 1960er/1970er Jahre. Aus dieser Zeit stammt die Kultivierungshypothese des amerikanischen Kommunikationswissenschaftlers George Gerbner (Gerbner 2000). Ihre Erklärungskraft allerdings ist bis heute bedeutend. Ausgangspunkt ist die Prämisse, dass das Fernsehen in modernen Gesellschaften eine eigenständige und dominante kulturelle Prägung auf die Menschen ausübt. Das Fernsehen gilt mit seinen „Geschichten“ seit langer Zeit als das wirkmächtigste und am stärksten globalisierte Medium, was wiederum besagter Kultivierungshypothese überzeugenden Nährboden gibt. Bei diesem von Gerbner „Mainstreaming“ genann-

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ten Vorgang gleichen sich durch ständiges Fernsehen die ansonsten heterogenen Weltsichten der Zuschauer allmählich an. Kultivierung ist folglich ein Prozess, bei dem Medien „nicht nur ‚Mittler‘ (Agenturen) und Beobachtungsinstanzen (Kritik), sondern auch selbst gestaltender Teil der Kultur“ sind (Thomas/Krotz 2008, S. 23).

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Öffentliche Kommunikation durch Medien und Plattformen

Allerdings greift der Begriff des Mediums heutzutage zu kurz, um Strukturen öffentlicher Kommunikation zu beschreiben, denn mittlerweile hat das Internet mit seinen vielfältigen, ubiquitären und multimedialen Strukturen das Fernsehen wie auch die Printmedien in der Verbreitung und der Wirkung eingeholt. Nicht nur Geräte wie Smartphones haben eine ähnliche Haushaltsabdeckung wie Fernsehgeräte, auch die Nutzung der inhaltlichen Angebote ist hoch. Knapp 49 Mio. Menschen in Deutschland sind TV-Tagesseher, 54 Mio. Deutsche gehen täglich ins Internet (Frees/Koch 2018, S. 401). Aus der medialen ist eine digitale Kultivierung geworden, die digitalen Plattformen (Facebook, Twitter, YouTube, Google, Apple) und die dahinterstehenden Konzerne sind Akteure, die mit großer Gestaltungsmacht öffentliche Kommunikation und Meinungsbildung betreiben. Diese Kultivierung bedeutet unter dem Strich nichts anderes als die Tatsache, dass öffentliche Kommunikation nicht mehr nur durch traditionelle Medien hergestellt wird, sondern in deren Zusammenspiel mit den Inhalten der digitalen Plattformen. Nur in Kombination, durch mediale Berichterstattung und durch die öffentlichen Arenen der Plattformen, entstehen eben jene Geschichten, die zu gestaltenden Teilen der Kultur werden. Das irritierende Element daran ist, dass der Begriff „Kultur“ nicht nur in positiver Konnotation zu verstehen ist. Falschnachrichten und Hassreden sind ebenfalls Bestandteil dieser Kultur, deren zentrales Problem allerdings viel tiefer liegt. Es besteht darin, dass die Mechanismen der Berichterstattung durch Personalisierung und Skandalisierung der Nachrichtenwerte, durch Ökonomisierung der Produktionsprozesse und durch geringe Verantwortungswahrnehmung strukturell ungeeignet für objektive Berichterstattung sind. Nichts macht dies deutlicher als der Masterplan Migration, den das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat am 4. Juli 2018 vorgelegt hat. Ganz offiziell trägt dieser den Titel „Maßnahmen zur Ordnung, Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung“. Schon vor der – mehrfach verzögerten – Veröffentlichung und noch lange danach dominierte der Plan die öffentliche Diskussion. Es ging in den öffentlichen Arenen aber nicht um eine politische Auseinandersetzung bezüglich der richtigen Migrationspolitik, sondern um Wahlkampfsemantiken und dabei

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zuvorderst darum, weitere Wahlerfolge der AfD zu verhindern. Diesen Strategien folgte die mediale Berichterstattung. Dort und auf den digitalen Plattformen wurden all die Narrative und Frames geprägt (wie Asyltourismus, Anti-Abschiebeindustrie, Masseneinwanderung und Messermigration), die bis heute rückwirken und deren demokratiezersetzendes Potential in vielen Ländern der Welt gerade auch im Rahmen von Flucht- und Migrationsprozessen beobachtet werden kann. Dass diese Narrative so wirkmächtig werden, liegt nicht allein in ihrer steten Wiederholung durch ihre politischen Erzeuger. Ein weiterer wesentlicher Grund findet sich in den Strukturanalogien von massenmedialer Kommunikation und Populismus: Die Kriterien der Massenmedien (und ohne Zweifel auch und noch mehr die der Plattformen) und die Elemente des Populismus (Diehl 2016, S. 80) sind sich allzu ähnlich. Diese Strukturen sollen im folgenden Beitrag vor allem im Hinblick auf eine Betrachtung kommunikationswissenschaftlicher Ergebnisse zu Narrativen und Frames bei Flucht- und Migrationsthemen nachgezeichnet werden. Ein abschließendes Kapitel beschäftigt sich mit der bewussten Nutzung und strategischen Planung solcher Kommunikationsprozesse.

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Narrative, Frames und das „Brennglas“ Medienberichterstattung

Obwohl sich der Alltag der allermeisten Menschen in Zeiten erhöhter Migration kaum veränderte und sie zumeist persönlich keinerlei Einschränkungen erlebten, obwohl die wenigsten Menschen in Deutschland überhaupt Kontakt zu Flüchtlingen oder ihren Helfern hatten, dominierten Sorgen und Ängste in der Bevölkerung, die von (nicht nur) rechtsextremen Gruppierungen für ihre Zwecke instrumentalisiert werden konnten. Was weite Kreise der Bevölkerung über die sogenannte Flüchtlingskrise wussten, wussten sie durch die Medien. Wie in einem Brennglas verdichteten sich in einer einzigen „Tagesschau“ Bilder und Deutungsmuster des öffentlichen Diskurses zu Flucht und Migration (Herrmann 2016, S. 9).

II

Kommunikation und Migration: Ergebnisse kommunikationswissenschaftlicher Forschung

Das hat Folgen. Dass zum Beispiel die Herkunft über das mediale Framing von Einwanderern entscheidet, haben Goedeke Tort, Guenther und Ruhrmann (2016) empirisch nachgewiesen. Sie stellen zudem die Forschungsbefunde zum Themen-

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komplex Flucht, Migration und Zuwanderung knapp aber präzise dar (Goedeke Tort et al. 2016, S. 498–500). Sie verweisen auf die verschiedenen methodischen Zugänge zum Thema Migranten und Medien, unter denen quantitative Inhaltsanalysen der Presse-Berichterstattung, seltener des Fernsehens und des Internets am häufigsten sind. Ergänzend können qualitative beziehungsweise diskursanalytische Untersuchungen notiert werden. Zusammenfassen lassen sich die Ergebnisse dieser Untersuchungen in sechs zentrale Erkenntnisse (Goedeke Tort et al. 2016, S. 498–500): Erstens wird über Migranten tendenziell negativer und weniger berichtet als über Deutsche, häufiger ist dabei ein ereignis- und problemorientierter Zugang zu diesem Thema. Zugleich werden Migranten medial oftmals stereotyp dargestellt und im Kontext von Kriminalität, Straftaten, finanzieller Belastung und Überfremdung thematisiert. Demnach erscheinen sie eher als Bedrohung, während über positive Ereignisse seltener berichtet wird. Zweitens sind Migranten mehrheitlich passive Objekte von Zuschreibungen, denn sie selbst kommen in medialen Beiträgen nur selten direkt zu Wort. Ruhrmann und Sommer (2009) unterscheiden eine passive Rolle, in der Einwanderer eher als Opfer präsentiert werden, von einer aktiven Rolle, in der sie vor allem als Kriminelle in Erscheinung treten. Drittens wird über Migrantinnen und Migranten in Teilen mit negativen Metaphern berichtet. Dabei werden komplexe Phänomene in einfache bildliche Zusammenhänge gestellt und mit Katastrophenrhetorik gepaart, die mit Dramatisierung einhergeht und Angst auslösen kann (z. B. Narrative wie Asylantenschwemme und Ansturm). Viertens ist unter den vielen Möglichkeiten der Darstellung von Migrantinnen und Migranten die Nennung eines Kriminalitäts- oder auch Eindringlingsframes dominant. Fünftens gibt es Hinweise darauf, dass die Nationalität der Migranten einen Einfluss auf die Häufigkeit ihres Vorkommens (Über- oder Unterrepräsentation) und die Art der Darstellung in der Berichterstattung hat. Fremd erscheinende Nationalitäten werden häufig stärker stigmatisiert als diejenigen aus dem eigenen Kulturkreis. Sechstens unterscheiden sich Medien nach ihrer politischen Ausrichtung: Eher konservative Medien neigen häufig dazu, Migranten in negativeren Zusammenhängen darzustellen als politisch eher linksgerichtete Medien. Goedeke Tort, Guenther und Ruhrmann (2016, S. 498–500) verweisen darauf, dass sich die Studien zum Thema Migrantinnen und Migranten und Medien in mehreren Hinsichten unterscheiden. Nicht allen Studien liegt das gleiche Begriffsverständnis zu Migranten, Einwanderern und Flüchtlingen zugrunde, das Forschungsfeld wird generell eher selektiv erfasst und der Gegenstand der Forschung variiert: So wird zum Beispiel einmal die mediale Repräsentation in Deutschland lebender Frauen mit Migrationshintergrund untersucht, dann wiederum liegt der

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Fokus auf spezifischen Gruppen wie Türken in Deutschland oder ganz allgemein auf Menschen mit Migrationshintergrund. Flucht und Migration sind schon lange ein Thema der Kommunikationswissenschaft, und ebenso lange sind die dominierenden Narrative und Frames die gleichen geblieben: Schon Gastarbeiter wurden in einer Untersuchung von 1972 zumeist mit Kriminalität und Arbeitsmarkt assoziiert. Studien, die in den 1990er Jahren entstanden, fanden auch weiterhin Frames wie Kriminalität und Arbeitsmarkt, zusätzlich konnten Einwanderung als Gefahr für den Wohlstand und auch Gewalt von und gegen Migrantinnen und Migranten als weitere Narrative nachgewiesen werden (vgl. zu Überblicken Greck 2018; Goedeke Tort et al. 2016). Ab dem Jahrtausendwechsel kamen die Themen Terror und Islam dazu. Mit dem Jahr 2015, als die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kamen, in kurzer Zeit stark anstieg, wurde die Berichterstattung forciert und – analog zu den Krisen des politischen Betriebs – verschärft. Herrmann (2016) hat dies anhand des Narrativs rund um den Begriff der „Flut“ untersucht, Hemmelmann und Wegner (2016) verfolgten den Verlauf der Berichterstattung 2015: Sie verlief in Wellen, es begann mit Vorurteilen gegenüber Geflüchteten, wendete sich dann Richtung anwaltschaftlicher Berichterstattung und kippte am Ende ins Negative. Haller (2017) kann in einer methodisch-begrifflich stark kritisierten Studie (Horz 2017), die mit automatisierter semantischer Textanalyse (Textmining) deutsche Lokal- und Regionalzeitungen untersucht, zeigen, dass die „Flüchtlingskrise“ als Gefahr dargestellt wird und die Berichterstattung insgesamt in ihrer Argumentation der bundesweiten Presse folgt, die sich hauptsächlich auf politisches Geschehen konzentriert.

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Framing und Migration

Eine größere Zahl an Studien arbeitet mit dem methodisch-theoretischen Konzept des Framings. Das Konzept wird in der Kommunikationswissenschaft vor allem bei öffentlichen Streitfragen genutzt, da Frames vorrangig bei konflikthaften Themen sinnvoll angewendet werden können (vgl. zum Folgenden Greck 2018, S. 367–370). Die sogenannte Flüchtlingskrise kann – wie Migration insgesamt – als Konflikt mit hoher gesellschaftlicher Relevanz angesehen werden. Empirische Studien versuchen zu ermitteln, welche Verteilung der Einstellungen zu diesen Konfliktthemen in der Bevölkerung bestehen. Beim Framing werden Themen, Akteure und Ereignisse in selektiver Weise dargestellt. Neben der Selektion spielt Salienz eine bedeutende Rolle. Erst wenn häufig gleiche Muster in der Kommunikation entstehen, kann von einem Frame

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gesprochen werden. Idealtypisch enthalten Frames vier Bestandteile: eine Problemdefinition, die die Inhalte spezifiziert; eine Ursachenzuschreibung, die die Verantwortung attribuiert; eine moralische Bewertung, die den Frame positiv und negativ einordnet, und die Handlungsaufforderung, die Appelle für oder gegen bestimmte Maßnahmen formuliert. Da Framing ein Prozess der Wirklichkeitskonstruktion aller Menschen ist, lassen sich verschiedene Frames zu einem Thema beobachten. Frames sind für Journalistinnen und Journalisten eine hilfreiche Konstruktion, da sie Informationen strukturieren, was dem redaktionellen Selektionsprozess sehr entgegen kommt. Neben diesen Medienframes existieren auch beim Publikum Frames. Sie helfen dem Publikum, die Komplexität zu reduzieren und beeinflussen auf diese Weise die Selektion neuer und weiterer Informationen. Als Deutungsmuster sind Frames ebenso notwendig, wie sie dazu beitragen, Stereotype und Vorurteile zu bilden oder zu verfestigen. Akteure, die in der strategischen Kommunikation tätig sind (PR, Werbung), machen sich diese Mechanismen des Framing zu eigen und richten ihre Kommunikationskonzepte auf strategisches Framing aus. Es wird also deutlich, dass beim Framinghochwirksame Selektionen stattfinden. Die Auswahl der Medien (beispielsweise überregionale vs. regionale Medien), die Zeiträume der Untersuchung (beispielsweise vor oder nach dem Jahr 2015) und die Forschungsfragen beeinflussen das Design und die Ergebnisse der Studien. Dies kann an zwei Beispielen verdeutlicht werden. Beispiel 1: Greck (2018) hat acht Regionalzeitungen untersucht. Die 1.231 Artikel, die in die Auswertung kamen, hat sie mit den Schlagworten „Migra*“ und „Flücht*“ gesucht. Die von ihr ermittelten Frames hat sie mit (1) „Brennpunktframe“ benannt, in dem die „große Zahl der Geflüchteten [….] als negativ geprägtes sozio-kulturelles Problem aufgefasst [wird], das (Bundes-)Politiker verursacht haben und das nur sie lösen können.“ (Greck 2018, S. 376). Der (2) „Integrationsframe“ thematisiert Hilfsmaßnahmen und die Willkommenskultur, die positiv gesehen werden. Der (3) „Kapazitätsframe“ behandelt die Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten, der „Protestframe“ ist auf den negativ gerahmten Protest und Gewalt gegen Geflüchtete und Helfer beziehungsweise Unterstützer gerichtet. Der (4) „Lösungsframe“ schließlich konzentriert sich auf politisches Handeln auf Bundesebene und auf Lösungen für die Migration. Beispiel 2: Goedeke Tort, Guenther und Ruhrmann (2016, S. 508 ff.) fanden in einer Clusteranalyse sechs Frames zur Frage, wie die Herkunft über das mediale Framing von Einwanderern entscheidet. Sie untersuchten 2014 vier überregionale Tageszeitungen. Aufgrund der Suchkriterien („zuwander*“, „einwander*“, „asyl*“ und „flüchtling*“) kamen 371 Artikel in die Auswertung.

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Zu den Frames gehört das von den Autorinnen und Autoren sogenannte Feld „Kriminelle“. Kriterien für die Bildung dieses Feldes sind Missbrauch von Sozialleistungen, Politik und Gesetzgebung und Zunahme der Kriminalität. „Einwanderer kommen nicht selbst zu Wort und werden unpersönlich und passiv dargestellt. Die Bewertungstendenz fällt so negativ wie in keinem anderen Cluster aus (94 %). Handlungsempfehlungen sind eine Reglementierung oder sogar ein Stopp der Einwanderung, die sich vor allem an die Politik (66 %) richten. Werden Prognosen abgegeben, dann gehen diese von schlechten Zukunftsszenarien für Deutschland aus.“ (Goedeke Tort et al. 2016, S. 508) Weitere Cluster betitelten die Autorinnen und Autoren mit „Nützliche“, dabei geht es um Integrations- und Ökonomiethemen; mit „Integrationswillige“, wo es sich um Aussagen zu den Themen Migration, Zivilgesellschaft und Integration dreht; mit „Kostenintensive“, ein Frame, der sich mit der Unterbringung von Einwanderern beschäftigt; sowie mit „Willkommene“, ein letztes Cluster, das politische und gesetzgeberische Aussagen zusammenfasst. Einen interessanten Zugang wählt Sielschott (2011), der mit Hilfe des Stereotype Content Model (SCM) der Sozialpsychologie ein Framing erarbeitet. Nach dem Modell werden Gruppenangehörige in den Dimensionen Wärme und Kompetenz bewertet. Die Dimension Wärme gibt Antwort auf die Frage, ob man Gruppenangehörigen gute oder schlechte Absichten zuschreibt (Sielschott 2011, S. 160). Seine Analyseergebnisse „bestätigen die aus sozialpsychologischen Forschungen und Modellen abgeleiteten Hypothesen zum medialen Framing stereotyper Bewertungen weitgehend. Muslime werden im Oktober 2008 sowohl im Nordkurier als auch in der Volksstimme in knapp zwei Dritteln aller kodierten Artikel innerhalb eines Kälte- und Schädigungs-Frames thematisiert.“ (Sielschott 2011, S. 174) In den Artikeln dominiert die Darstellung von Muslimen als islamistische Terroristen, die Zuschreibung von Kälte erfolgt moralisch abwertend, indem sie mit den Todesfolgen terroristischer Handlungen und damit eindeutigen Schuldzuschreibungen an islamistische Terroristen einhergeht.

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Komplementarität von traditioneller Berichterstattung und digitalen Plattformen

Diese Befunde resultieren aus inhaltsanalytischen Untersuchungen von Tageszeitungen, der vorrangig untersuchten Mediengattung. Noch ist es so, dass solch „journalistische Informationsmedien intensiv und kontinuierlich über das Flüchtlingsthema“ (Arlt/Wolling 2017, S. 325) berichten. Immer weniger aber sind diese Medien die alleinigen Quellen für Informationen über das aktuelle gesellschaftliche

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und politische Geschehen. Zunehmend werden die sozialen Medien (die digitalen Plattformen) wie Facebook, Twitter und YouTube von vielen Menschen als Quellen für aktuelle Nachrichten genutzt. Mit den digitalen Plattformen erweitern sich die Informationsrepertoires der Menschen enorm (vgl. zum Begriff der Informationsrepertoires und zum Medienangebot sowie zur Mediennutzung zu den Themen Flucht und Migration (Arlt/Wolling 2017). Arlt und Wolling (2017) haben in ihren Studien festgestellt, dass traditionelle Medienangebote (öffentlich-rechtliches Fernsehen und Tagespresse) wichtig für Prozesse wie Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt sind. Auf der anderen Seite kann die Debattenkultur in Social Media desintegrierend wirken. Zudem treten durch Berichterstattungen ausgelöste negative Emotionen vor allem bei „Social-Media-Orientierten“ und „Themen-Vermeidern“ auf. Diese beiden Gruppen gehören zu den Clustern von Menschen mit vergleichbarer Mediennutzung zur Flüchtlingsthematik, die Arlt und Wolling (2017, S. 327) ermittelt haben. Sie haben dabei keine Inhaltsanalyse, sondern eine Befragung von 836 Personen durchgeführt. Sie wollten wissen, welche Bedeutung die unterschiedlichen Informationsquellen im Kontext der Flüchtlingsdebatte haben und wie sie in den individuellen Nutzungsmenüs zusammenspielen. Identifiziert werden sollten unterschiedliche Informationsnutzungstypen der Flüchtlingsdebatte in der Bevölkerung Deutschlands, die anhand ihrer persönlichen Merkmale, ihrer Einstellungen gegenüber Flüchtlingen und der Flüchtlingspolitik sowie bezüglich ihrer Erwartungen an die Medien und Bewertungen der Berichterstattung beschrieben werden sollten. Neben den „Themen-Vermeidern“, die sich durch kaum eine Quelle über das Thema Flüchtlinge informierten, und den „Social-Media-Orientierten“, die sich vor allem über Facebook, Nutzerkommentare und Onlineportale informierten, ließ sich daneben die Gruppe der „Journalismus-Orientierten“ ausmachen. Diese suchten vergleichsweise viele Informationen über das Thema Flüchtlinge aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen sowie aus regionalen und lokalen Zeitungen, während die sozialen Medien keine große Rolle spielten. Schließlich ergab sich ein Cluster aus den „Themen-Vielnutzern“, die sich über das Flüchtlingsthema durch die Massenmedien und die sozialen Medien informierten (Arlt/Wolling 2017, S. 327–329).

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Ein (kursorisches) Resümee kommunikationswissenschaftlicher Forschung zu Flucht und Migration

In der Forschung zu Flucht, Migration und Medien lassen sich grob Untersuchungen zur Mediennutzung von und zu Medienangeboten für Geflüchtete, Reichweiten- und Quotenmessungen der Berichterstattung sowie Studien zu medialen Repräsentationen von Menschen mit Migrationsgeschichte unterscheiden (Trebbe/ Paasch-Colberg 2016). Insbesondere Untersuchungen zu ethnischen Minderheiten, zu Menschen mit Migrationsgeschichte und zu den Fluchtbewegungen sind zwar zahlreich, aber weder im Umfang erschöpfend noch in der Qualität befriedigend (Trebbe/Paasch-Colberg 2016). Studien, welche die Ethnizität in der Berichterstattung thematisieren, welche die Rollen und Verhaltensweisen von Menschen mit Migrationshintergrund in fiktionalen Medieninhalten nachzeichnen und welche die Beurteilung der Repräsentation von Angehörigen ihrer eigenen und anderer ethnischer Gruppen zum Gegenstand haben, werden vor allem unter dem Integrationsgesichtspunkt thematisiert (vgl. etwa Vlasic 2004). Die aktuellen Auseinandersetzungen über den Integrationsbegriff, die auch darauf zielen, diesen zugunsten von zum Beispiel Akkulturationsbegrifflichkeiten (Pries 2015, S. 26) abzuschaffen, sind in der Kommunikationswissenschaft noch nicht angekommen und können somit weder die theoretische noch die empirische Arbeit anleiten. Problematisch sind die Befunde zur Berichterstattung über Flucht und Migration aus weiteren Gründen. Einer ist die Marginalisierung, also die Tatsache, dass Themen wie Ethnizität und Migration oder gesellschaftliche Minderheiten insgesamt in der Berichterstattung wenig präsent sind. Dies gilt nicht nur für die Berichterstattung, sondern auch für fiktionale Sendungen. Auch dort sind ethnische Gruppen unterrepräsentiert, wie die Realitätsindikatoren zeigen, also der Vergleich offizieller statistischer Bevölkerungsdaten mit dem prozentualen Anteil an Ethnien und Charakteren in den Sendungen (Trebbe/Paasch-Colberg 2016). Ein weiteres Problem ist die Negativtendenz der Berichterstattung. Damit ist gemeint, dass über Menschen mit Migrationsgeschichte häufig in negativen und konfliktbehafteten Kontexten berichtet wird. Migration wird häufig als Bedrohung dargestellt, nicht oder wenig als ökonomische oder kulturelle Chance. Verbindet sich die Marginalisierung mit der Negativtendenz, entsteht eine verstärkte Wirkung: Die durchschnittlich geringere Berichterstattung ist durch einseitig negative Inhalte geprägt, so dass gesellschaftliche Vorurteile, gruppenbezogene Stereotype und Diskriminierung entstehen und gefördert werden (Zick et al. 2011).

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Derartig stereotype Berichterstattungsmuster sind eher die Regel als die Ausnahme. Menschen mit Migrationsgeschichte und ethnische Minderheiten werden häufig stereotypisiert dargestellt. Viele Studien kommen dabei zu dem Ergebnis, dass ethnische Charaktere häufiger negativ-konnotierte Rollen einnehmen und negativ-konnotierte Verhaltensweisen zeigen. Erst in einigen aktuelleren Forschungsprojekten können Ansätze von „Counter-stereotyping“ ermittelt werden, also der Versuch, gängige Stereotype über bestimmte Gruppen durch fiktionale Inhalte zu brechen (Trebbe/Paasch-Colberg 2016). Der Fernsehunterhaltung als einem zentralen Mechanismus der Konstruktion von gesellschaftlicher Wirklichkeit widmet sich die deutsche Forschung erst in letzter Zeit intensiver. Zwar wird fiktionalen Sendungen das Potenzial zugesprochen, die Themen Flucht und Migration vielfältig und kreativ umsetzen zu können, die bestehenden, vor allem ökonomischen Strukturen der Fernsehbranche sowie die tiefsitzenden Routinen der Fernsehproduktion fördern jedoch eher die Bildung von Stereotypen und deren kommunikative Verfestigung. So stellt Goebel (2018, S. 192) mit seiner diskursanalytischen Studie zu Flucht als Thema politischer Talkshows fest, dass in diesen Runden lediglich das Meinungsspektrum des herrschenden Diskurses abgebildet wird: „Jene Gäste, die Geflüchtete repräsentieren sollen, sind teilweise keine Geflüchteten oder sie sind als Geflüchtete in irgendeiner Weise (z. B. sozial oder ökonomisch) privilegiert. Geflüchtete stehen außerhalb des herrschenden Diskurses. [….] Es wird vor allem über Geflüchtete geredet. Die Gäste sind Personen aus Politik und Journalistik/ Publizistik, Personen des öffentlichen Lebens und Privatpersonen. Ihnen fehlt jedoch oft eine themenspezifische Expertise. Politische, rechtliche, soziale, kulturelle und ökonomische Kontexte werden falsch, extrem verkürzt oder in polarisierender, oft undifferenzierter Weise, artikuliert.“ Das Vorhandensein vieler divergenter Frames mag auf den ersten Blick irritierend sein. Es resultiert daraus, dass insbesondere im politischen Raum viele divergente Ideen im kommunikativen Wettbewerb stehen. Für sie alle gilt, was Herrmann (2016, S. 11) generell für den Begriff des Narrativs formuliert: „Latente Narrative konkurrieren in der öffentlichen Debatte um Deutungshoheit.“ Narrative, so Herrmann weiter, „sind nicht ein Stilmittel des Journalismus, sondern sie sind Teil der Prozesse öffentlicher Kommunikation, sie formen Diskurse, ohne dass sie immer explizit als Geschichten erzählt werden müssen.“ Trotz einer durchaus imposanten Menge an Untersuchungen gilt aber: „Die mediale Repräsentation von Flüchtlingen ist in wissenschaftlichen Diskursen eine Leerstelle.“ (Almstadt 2017, S. 187)

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III

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Die Folgen: Strategische politische Kommunikation und die Schaffung von Spielregeln durch Frames

Zwar sind Fake News mittlerweile auch in der breiteren Medienberichterstattung und somit in vielen Köpfen angekommen, allerdings hinkt das individuelle wie gesellschaftliche Bewusstsein über die Mechanismen von Medien und Plattformen und deren Folgen der Bedeutung dieser Institutionen weit hinterher. Das resultiert auch aus der mangelhaften Medienkompetenz. Die „Wissensbestände über Medien sowie die Fähigkeit, Medien souverän bedienen, kritisch beurteilen und kreativ gestalten zu können“ (Hugger 2008, S. 93), sind nur schwach ausgeprägt, da sie in der Sozialisation kaum vermittelt werden. Von den vier Dimensionen einer Medienkompetenz (Hugger 2008, S. 94) wird die (1) Medienkritik nur in wenigen Medien überhaupt noch praktiziert, was bedeutet, dass problematische gesellschaftliche Prozesse wie Medienkonzentration und notwendige ethische Parameter kaum bekannt sind. Das beruht auch darauf, dass (2) Medienkunde als das Wissen über das Handlungsfeld von Medien und Plattformen kaum vermittelt wird. Am meisten ist die (3) Mediennutzung hinsichtlich der rezeptiven Nutzung ebenso wie der Aneignung neuer digitaler Medientechnologien ausgeprägt. (4) Mediengestaltung schließlich führte zu Zeiten der traditionellen Medien eher ein Nischendasein, rückt mit den digitalen Plattformen und der dadurch möglichen Rolle des Producers (also des produzierenden Konsumenten) zunehmend in den Mittelpunkt, da nun Inhalte von allen am Kommunikationsprozess Beteiligten einfach und schnell erstellt werden können, wie die sogenannten Influencer auf YouTube zeigen. Das hat Folgen, denn auch das Wissen über die Zusammenhänge von medialer und strategischer Kommunikation ist kaum verbreitet, so dass eine durch eine Vielzahl von Frames geprägte, von zum Teil diskriminierenden Stereotypen durchzogene und regelhaft auf singuläre Ereignisse fokussierte Berichterstattung von vielen Nutzerinnen und Nutzern für die Realität gehalten wird. Dominiert wird die kommunikationswissenschaftliche Forschung zu Flucht und Migration immer noch von Untersuchungen zur Berichterstattung, seltener auch zu Unterhaltungsformaten in den traditionellen Medien. Dabei stehen die Nutzungs- und Wirkungseffekte im Vordergrund, Untersuchungen zur Produktionsseite, beispielsweise zu Diversitätsfragen in Medienredaktionen, sind dagegen rar (Pöttker et al. 2016; Geißler/Pöttker 2009). Zunehmend in den Blick genommen werden die Strukturen und Wirkungen der digitalen Plattformen. Zumeist immer noch als soziale Netzwerke oder Social Media betitelt, entwickeln sich Facebook, Google, Twitter, YouTube und weitere Plattformen zu einflussreichen Akteuren in der öffentlichen Kommunikation (Altmeppen et al. 2015, 2018). Mit ersten Forschungsprojekten werden die Zusam-

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menhänge zwischen den traditionellen Medien, den digitalen Plattformen und der interpersonalen Kommunikation in den Blick genommen, um zum Beispiel die verstärkenden oder abschwächenden Effekte zwischen den Vermittlungsformen zu erkennen und die Einstellungen zu Migrantinnen und Migranten und ihre Ursachen zu ergründen (Arlt/Wolling 2016). Die Ausweitung der Forschung wird auch höchste Zeit, denn es geht nicht mehr allein um Medienwirkungen, sondern darum, die soziale, kulturelle und kommunikative gesellschaftliche Ordnung für künftige Lebensverhältnisse in einer ebenso lokalen wie globalen Welt zu schaffen. Die Komplexität der Zusammenhänge zeigt sich auch am Beispiel der Migrationsprozesse, denn es offenbart, wie sich das Handlungsfeld Flucht und Migration in einem Verbund von politischen und kommunikativen Strukturen in einer Welt entwickelt, in der mediale und Plattforminhalte die Kommunikation zunehmend dominieren. Die Logiken von Medien und Plattformen prägen die Kommunikation insgesamt. Die Migrationskrise „wirft ein grelles Licht auf die politische Kommunikation“ und es wird sichtbar, „wie sich die kommunikativen Veränderungen zu einem strukturellen Wandel der politischen Kommunikation gebündelt haben“ (Vowe 2016, S. 432). Mit Hilfe von sieben Fragen und den entsprechenden substantivischen Antworten (s. Abbildung) visualisiert Vowe (2016, S. 432–437) seine Thesen.

Abb. 1 Tendenzen des strukturellen Wandels politischer Kommunikation in der Online-Welt Quelle: Vowe 2016, S. 432

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Dazu gehört, 1. dass durch die Möglichkeiten digitaler Kommunikation die Zahl der Teilnehmer an den Kommunikationsprozessen erheblich wächst und unübersichtlich wird (Pluralisierung); 2. dass sich sowohl die Zahl der Themen als auch die Zahl der Positionen zu den Themen erhöht und auseinanderdriftet (Differenzierung); 3. dass die Vervielfachung der Kommunikationsmöglichkeiten zu einer Hybridisierung führt, weil sich Massenkommunikation, interpersonale, gruppeninterne und innerorganisatorische Kommunikation verweben; 4. dass die nationalen politischen Grenzen mittlerweile durch Kommunikationsströme unterlaufen werden (Globalisierung); 5. dass die Kommunikationsströme sich enorm beschleunigen (Dynamisierung); 6. dass die Digitalisierung einen enormen Sprung in der Leistungsfähigkeit durch Algorithmen, Big Data und Künstliche Intelligenz bedeutet und 7. dass krisenhafte Zuspitzungen von Ereignissen (wie der Migration) eine professionelle Optimierung der politischen Kommunikation unmöglich machen. Notwendig ist daher eine (Re-)Rationalisierung der politischen Kommunikation. In den meisten Punkten beschreibt dieses Szenarium zwar schlaglichtartig, aber nachvollziehbar die Entwicklungen und künftigen Herausforderungen. An einem Punkt allerdings ist Widerspruch nötig: Für Vowe (2016, S. 435) ist es „wenig plausibel, dass die Migrationsdebatte strategisch gesteuert worden wäre. Im Gegenteil: Sie ist aus dem Ruder gelaufen.“ Er konstatiert einen Kontrollverlust, ein Hinterherhecheln der Politik hinter den Ereignissen, „statt sie kommunikativ vorzubereiten und zu begleiten“. Beispiele sind für Vowe der für lange Zeit ungeregelte Zustrom von Migranten, die Silvesterereignisse in Köln 2015/2016 oder die Böhmermann-Affäre. Der Widerspruch hat zwei Argumente: Erstens ist von Vowes Beispielen nur die Böhmermann-Affäre als genuin kommunikativ initiierte Krise zu definieren, die Flüchtlingsankünfte und die Silvesterereignisse sind dagegen gesellschaftliche, politische Ereignisse, die erst durch die Berichterstattung und die Instrumentalisierung auf den digitalen Plattformen zu kommunikativen Krisen wurden. Zweitens wird politische Kommunikation sehr wohl strategisch geplant, gerade auch für digitale Öffentlichkeiten (Evers 2019). Außerdem sollte im Hinblick auf Narrative und Frames in der öffentlichen Kommunikation strategisches Denken auch nicht auf durchchoreografierte, schriftlich verfasste und auf Dauer angelegte Planungen beschränkt werden. Wenn strategische Kommunikation als Dachbegriff für alle unterschiedlichen Formen geplanter, intentional-zweckgebundener Kommunikation verwendet wird, dann gehören dazu auch die durchaus willentlich gesetzten Bot-

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schaften, die in kurzen Sätzen oder in Begriffen wie „Asyltourismus“ ausgedrückt werden. Sie transportieren dabei ein hohes Maß an Informationen in den Subtexten, die in den Köpfen des Publikums zu weitreichenderen Assoziationen führen. Die Botschaften können somit durchaus als Narrative oder Frames angesehen werden. Akteure, die solche Frames platzieren, tun dies mit strategischen Zielen. Die politische Kommunikation soll auf diese Weise strukturiert, wenn möglich sogar gesteuert werden. Zwar lassen sich die folgenden Ereignisse, die sich aus der Anschlusskommunikation nach dem Setzen von Botschaften ergeben, nicht steuern und kontrollieren, aber darauf kommt es auch nicht an. Ziel ist vielmehr, die Deutungshoheit im Kommunikationswettbewerb zu erreichen (Sielschott 2011, S. 162). Das geht mit kurzen Narrativen viel einfacher als mit langen Ausführungen. Und es passiert täglich: „In der Repräsentation von Flüchtlingen werden politische Entscheidungen und Auseinandersetzungen medial verhandelt. Wenn also in den Printmedien über Flüchtlinge geredet wird, positionieren sich die Verfasser*innen zu politischen Ereignissen. Dabei schaffen sie zugleich im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung Perspektiven, aus denen geflüchtete Menschen betrachtet und beurteilt werden.“ (Almstadt 2017, S. 199) Insbesondere das sprachliche Bild des „Fremden“ mit all seinen Facetten und Schattierungen dominiert die Macht der sprachlichen Bilder und ihren gesellschaftlichen wie gesellschaftspolitischen Einfluss (Friese 2017). Das Narrativ des „Fremden“ wird als Bedrohung in der Berichterstattung artikuliert, in der darüber hinaus aufgrund der Nachrichtenfaktoren diejenigen Ereignisse oder inszenierten Narrative aufgegriffen werden, die für gesellschaftlich relevant gehalten oder die einfach als ökonomisch erfolgreich bewertet werden, um Quoten und Auflagen zu erzielen. Da die Wahrnehmung als Ausländerinnen, Ausländer oder Fremde in der Regel selten von der tatsächlichen Staatsbürgerschaft abhängt, werden Menschen innerhalb eines Landes „auch wenn sie die entsprechende Staatsbürgerschaft besitzen, schon lange in einem Land leben oder dort geboren sind, trotzdem von der Mehrheit der Bevölkerung als Migrant*innen, Ausländer*innen oder Fremde wahrgenommen werden. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn sie als Mitglied einer als fremd definierten Gruppe identifiziert werden, das heißt, einer Gruppe, die in ethnischer, kultureller oder religiöser Hinsicht als ,anders‘ kategorisiert und mit negativen Stereotypen belegt wird.“ (Zick et al. 2011, S. 20) An dieser Stereotypisierung, also dem Prozess, in dem Menschen anderen Menschen in Abhängigkeit zu ihrer Gruppenzugehörigkeit bestimmte Eigenschaften zuweisen, sind die mediale Berichterstattung und die vielstimmigen Inhalte der digitalen Plattformen in entscheidendem Maße beteiligt. Denn die Bilder, die in den Köpfen entstehen und entwickelt werden, beruhen vielfach auf besagter medialer Vermittlung, weil viele Menschen keine Primärerfahrungen mit diesen Gruppen

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haben. In den Wissensspeicher der Menschen kommen diese Gruppen zumeist allein über die medial-digitale Vermittlung. Das ist der Grund, warum medial vermittelte Stereotype bei der Entstehung und Verfestigung sozialer Ungleichheit eine entscheidende Rolle spielen (Thiele 2015; 2016, S. 7; Ruhrmann/Sommer 2009, S. 421–423). Stereotype haben, solange es um die sogenannte Kategorisierung geht, eine alltagsnotwendige Bedeutung. Kategorisierung gilt als ein normaler kognitiver Wahrnehmungsmechanismus, mit dem Menschen unbewusst und automatisiert ihrer komplexen sozialen Umwelt gerecht werden. Das gleiche Prinzip gilt auch in der massenmedialen Kommunikation, weil die Komplexitätsreduktion (Orientierung) als eine Leistung der Massenmedien gilt. Daher finden sich in der Berichterstattung Kategorisierungen von allen gesellschaftlichen Gruppen (Thiele 2015, S. 155 ff.). Das Problem entsteht, wenn zur Kategorisierung eine Zuschreibung oder Nennung von bestimmten Eigenschaften, Rollen oder Verhaltensweisen aufgrund von Gruppenzugehörigkeit kommt und wenn aufgrund dieser Zuschreibungen Bewertungen gemacht werden. Dann entstehen Vorurteile (Zick et al. 2011, S. 32–34) und dieses Zustandekommen wird regelmäßig durch mediale Berichterstattung gefördert. Die Berichterstattung stellt ethnische Minderheiten und Migranten häufig als besonders kriminell dar, bestimmte Nationalitäten sind überrepräsentiert und damit salient gemacht. Des Weiteren orientiert sich die Berichterstattung an Nachrichtenfaktoren, mittels derer Journalisten nicht nur bestimmte Ereignisse auswählen, sondern sie auch hervorheben und damit indirekt bewerten (Ruhrmann/ Sommer 2009, S. 420). Die Vielschichtigkeit dieser Probleme stellt die Medienschaffenden vor große Herausforderungen, die sie nicht in jedem Fall meistern können. Zu offensichtlich sind zudem die Widerstände mancher Redaktionen gegen eine kritische Betrachtung ihres eigenen Tuns, wie das Beispiel der ARD-Talkshow „Hart, aber fair“ 2018 zeigte. Deren Redaktion konterte den Vorwurf, dass mit Titeln wie „Flüchtlinge und Kriminalität“ populistisches Framing betrieben würde, mit der zynischen Antwort: „Framing? Als Journalisten können wir mit diesem Begriff wenig anfangen. Wir versuchen das, was Menschen beschäftigt, so darzustellen, wie es ist.“ (Deutschlandfunk 2018) Die ganze intensive Berichterstattung des vergangenen Jahres über die Bedeutung und Macht von Sprache gerade unter populistischen Bedingungen scheint an dieser Redaktion somit komplett vorbeigegangen zu sein – auch eine Art von Wirklichkeitsverweigerung. Bedenklich ist die Tatsache, dass sich in der Antwort wieder einmal zeigt, wie gedankenlos manche Redaktionen mit ihrer Verantwortung umgehen.

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„Medien, genauer: Journalistinnen, Journalisten und Werbetreibende, setzen bewusst und unbewusst auf Stereotype. Wenn sie Medieninhalte produzieren, greifen sie auf die ‚Bilder in ihren Köpfen‘ zurück. Diese Kognitionen werden materialisiert, in grafische und optische Bilder transferiert und mittels Sprache und sprachlichen Bildern medial vermittelt. Als rezipierte Medienbilder knüpfen sie dann wieder an bereits vorhandene Bilder in unseren Köpfen an. So versorgen uns Journalismus und Werbung mit Hinweisen auf gesellschaftliche Normen.“ (Thiele 2016, S. 4–5)

Unter diesen Bildern, die in unsere Köpfe gesendet werden, kommt die „Völkermühle“, die Mischung aus Ethnien, Schichten und Klassen, von der des Teufels General spricht, nicht vor. Die medialen Bilder sind schwarzweiß, eindimensional und faktenfern, sie kultivieren Stereotype und befördern das Narrativ des Fremden als Bedrohung. Sie „hätte sich den Mut gewünscht, das Sperrfeuer des Herrn Seehofer auch einmal auf die hinteren Plätze zu verweisen“ schreibt Friederike Herrmann (2016, S. 18) an die Adresse der Journalistinnen und Journalisten – und öffnet dabei mit dem Begriff „Sperrfeuer“ doch schon wieder ein Narrativ.

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Immigration, Integration, and “National Culture” Lionel McPherson and Travis Quigley

Abstract

The philosophical literature on immigration is confusingly abstract. Most prominently, “open borders” advocates are against immigration restrictions, and “national culture” advocates are for them. Yet we are skeptical there is a universal, cogent argument for or against immigration restrictions: too many empirical factors are relevant to just immigration policy under actual circumstances. A prior commitment to either cosmopolitan egalitarianism or nationalist autonomy is not helpful. We defend the view that liberal democratic citizenries may value certain cultural features (e. g., sex non-discrimination, a national language) in reasonable ways that weigh against lowering barriers to entry. But we also argue that appeal to national culture is too vague and inadequately responsive to serious claims of non-members. We conclude that along with rectifying injustices that burden disadvantaged citizens, at least moderately wealthy liberal democratic societies should admit significantly greater numbers of vulnerable immigrants than is now the global norm. Education has a critical role to play in helping citizenries understand their responsibilities of global engagement.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Kloubert (Hrsg.), Erwachsenenbildung und Migration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26863-3_9

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I

Lionel McPherson and Travis Quigley

An Unruly Debate

Reasoned debate about immigration involves a mix of considerations of justice and morality on one side and realities of politics, economics, and culture on the other. The issues include human rights; enforcement practices; distributive justice; collective self-determination; political “refugees” as compared to economic “migrants”; unapproved workers; family separation; and cultural integration. The philosophical literature on immigration often proceeds in confusing abstraction. Most prominently, Joseph Carens, under the banners of “moral equality” and individual “freedom,” is against immigration restrictions (Carens 1987; 2013); David Miller, under the banner of “national culture,” is for them (Miller 2005; 2016b). We are skeptical there is a universal, cogent argument for or against restrictions: there are too many empirical factors to weigh when evaluating what should count as just immigration policy under actual circumstances. We do presume that states can have a right to control their territory.1 Without jurisdictional authority, states (whatever they might look like) could have no prima facie right to exclude immigrants. Our perspective emphasizes morally weighing the stakes for prospective immigrants against various costs and burdens to states, especially to their socio-economically disadvantaged citizens. Along with basic human rights, the empirical details in different situations are critically relevant to the fairness of policies that would exclude immigrants. We will defend the thesis that discussion of immigration ought to engage the fact that citizens often highly value certain cultural features of their country. At the same time, we will argue that defense of immigration restrictions in the name of national culture is too vague and will be misleading in many realistic situations.

II

Some Clarifying Assumptions

Theorists who oppose restrictions on immigration tend to appeal to “liberal political theory” or “liberalism.” These theorists subscribe to a cosmopolitan egalitarianism that is marked by commitment to global distributive justice. We believe that an orientation closer to the non-egalitarian global liberalism Rawls elaborates in The Law of Peoples is theoretically and pragmatically more convincing, particularly given the cultural and political diversity there is in the world (Rawls 1999). For present purposes, though, we are objecting to the notion that liberal commitment 1 Some theorists debate this presumption. See, e. g., Stilz 2009 and Simmons 2016.

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to the moral equality of persons entails globalized equality of opportunity, which in turn would support a strongly cosmopolitan – also known as “open borders” – argument against restrictions. Economic and social circumstances in states that strong cosmopolitans expect to accept much larger numbers of immigrants vary more than strong cosmopolitans acknowledge. The United States will be our working example of a large, wealthy, and culturally diverse country. Of course, so-called “immigration crises” do not involve only “the rich democratic states of Europe and North America” (Carens 2014). There are also crises involving marginally wealthy countries such as Greece and Hungary, neither of which is large or culturally diverse. Germany is medium-size, wealthy, and marginally diverse, whereas France is moderately diverse. In any event, no state could be obliged to accept an unspecified number of immigrants to a level that would threaten the basic welfare of its own citizens: domestic welfare priority seems almost implicit in the idea of a self-governing, democratic people. Strong cosmopolitans challenge the worldly extent of domestic welfare priority: they believe that egalitarianism is the standard for global justice. Those drawn to the immigration debate would utilize immigration as an important tool for achieving that standard. Yet cosmopolitan egalitarianism is controversial in its own right. Moreover, globalized equality of opportunity might not be better served if wealthy countries opened their borders to immigrants from poor countries instead of aiding poor countries in development by transferring resources (and know-how) to them. It will help to maintain contact with reality by starting with some plausible assumptions surrounding immigration. First, on the economic front, justice can allow countries to target sufficient wealth to enable stable middle-class lives for their citizens – with “middle class” roughly defined by median household wealth in moderately wealthy countries. Call this type of target a country’s “wealth baseline.” While strong cosmopolitans would contest the wealth baseline we use, it seems morally decent enough for provisional purposes. Regarding immigration, this baseline is sensitive to differences in wealth between countries that are not poor. But the fact that immigration could come with some economic costs would not give such states carte blanche to exclude prospective immigrants. A state could have reasonable grounds for excluding immigrants who would be, relative to its wealth baseline, economically burdensome to receive. This domestic prerogative is heightened when burdens tied to immigration would heavily fall on vulnerable citizens. These citizens have a justice claim that their state prioritize their morally compelling interests over those of prospective immigrants. Open borders advocates sidestep this consideration by framing immigration as an issue of global distributive justice, which is why they starkly contrast wealthy and poor

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Lionel McPherson and Travis Quigley

countries. Toward the other end of the spectrum, restrictionists seem reluctant to acknowledge global inequality and the capacity of wealthy countries to absorb much larger numbers of immigrants than is now common. Specifying a wealth baseline highlights both that immigration can add to the burdens on vulnerable citizens and that global justice puts moral pressure on wealthy countries to lower barriers to entry. A second plausible assumption is that what moral equality requires partly reflects prior connectedness between particular individuals or groups. There is diffuse global interconnectedness, say, through climate change and the international trade system. But often there are thick historical connections between particular states or peoples; and this can give rise to special responsibilities. Informed discussion of immigration cannot ignore political, economic, and cultural ties, especially in relation to legacies of transnational injustice (e. g., colonization). The moral significance of thick historical connections suggests, among other things, that justice does not compel all wealthy countries to open their borders for all persons, irrespective of national origin. For instance, Greenland has close ties with Denmark and not with the United States, which has close ties with Mexico. This could translate into special responsibilities that should differently shape immigration policies: justice might compel Denmark to give priority to immigrants from Greenland and the U.S. to give priority to those from Mexico. Justice would not compel wealthy countries as such to be neutral in accepting immigrants from anywhere. The broader point is that moral equality does not simply lead to a globalized equality of opportunity principle, and a globalized opportunity principle would not necessarily rule out immigration restrictions. Thick historical connections between particular states or peoples may alter or complicate the reasonableness of restrictions. A third plausible assumption is that citizens value their country as a place that has certain cultural features, not merely as a place to access a decent standard of living. This means that citizens can be deeply invested in their country in ways not reducible to economic considerations, including those related to immigration. Compare Chandran Kukathas’s view: “A political community need be no more than an association of people who recognize the terms of coexistence” (Kukathas 1996, p. 104). Such minimalism – unless it is supposed to represent an upper limit on the type of political community that citizens can justly foster – provides little practical guidance on the question of immigration restrictions. Open borders advocates downplay economic and social differences within wealthy countries. Carens does so with a declaration: “Citizenship in Western liberal democracies is the modern equivalent of feudal privilege – an inherited status that greatly enhances one’s life chances. Like feudal birthright privilege, restrictive citizenship

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is hard to justify” (Carens 1987, p. 252). This perspective discounts the domestic circumstances of poor and working-class persons and members of marginalized social groups. The Organisation for Economic Co-Operation and Development reports that “social mobility” has been “stagnating or even decreasing” in wealthy countries since the 1990s (OECS 2018, S. 81–89). A country’s overall wealth is not a reliable indicator of the welfare of citizens in all demographics. Black Americans, for example, do not enjoy anything like feudal privilege in the United States: circa 2013, they had the highest poverty at 26 percent, as compared to 10 percent for White Americans; and the median wealth of White households was roughly 13 times that of Black households, $144,000 USD to $11,000 (Pew Research Center 2016). Absolute disadvantage and domestic relative disadvantage can be difficult to morally compare. The strong cosmopolitan’s flattening of economic and social differences within countries distorts philosophical debate by ignoring how immigration, even when beneficial to a state’s macro economy, might have a negative impact on vulnerable citizens. To insist that vulnerable citizens in wealthy democratic countries usually are better off than the global poor risks adding insult to injury. Of course, a state with plenty of resources to admit a significant number of vulnerable immigrants also has a moral responsibility to rectify substantial domestic injustices; and there will rarely be a direct trade-off between allocation of resources that would go to those immigrants and resources that could go to socio-economically disadvantaged citizens. Nevertheless, the state would further stigmatize and marginalize those citizens through policy that treats their domestic justice claims as relatively unimportant vis-à-vis the global justice claims of outsiders (Waters et al. 2014).

III

Enforcement Issues

It has been suggested that the immigration debate is about whether states have “the right” in justice to exclude non-members (Blake 2013). But the fundamental question is about the basis on which states can exclude. Some persons are national security threats (e. g., international terrorists) or threats to public order (e. g., 125,000 Cubans migrated to the United States in 1980 via “the Mariel boatlift”, with thousands of unidentified criminals among them). Sorting the persons who can be justifiably excluded on grounds of public security, however, is not easy in practice (Mendoza 2017). The open borders argument introduced by Carens is ambitious: a human right to “freedom of movement” would create a strong presumption against border

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control. This purported right would cast into doubt the control that states can legitimately exercise over their territory. Apart from issues of sheer capacity to absorb newcomers, states might lack reasonable grounds for preventing ordinary non-members from entering since there is nothing inherently objectionable about their movement across state borders. The vast majority of migrants are trying to escape persecution, mitigate harm to their families, or access better opportunities to economically support themselves. Ordinary unapproved immigrants do not intend to do anything “illegal” except in the narrow sense that they unlawfully cross state borders in order to live in a foreign land. Thus a plausible argument for immigration restrictions might concede, as Miller’s does, that states must have a serious public interest in preventing ordinary non-members from entering. This obviously is compatible with recognizing some need for states to control their borders. Any version of freedom of movement, we presume, would permit excluding non-members who are real threats to public security. The problem is identifying justifiably unwelcome persons using measures that do not impose undue burdens on nearly all non-members who would enter. Although some means of enforcement could preempt active measures (e. g., a virtually impassable border wall), non-coercive means are generally not feasible as a complete solution. To paraphrase Carens’s famous quote: borders have guards and guards have guns. The worry is really about who should have reason to fear those guns. Since border crossers who suspect they might be identified as public security threats will anticipate being excluded, they will always try to evade detection. “Freedom of movement” objections to coercive border control are in effect on the behalf of ordinary non-members. But active measures to identify these border crossers could conceivably be no more fearful and burdensome than the screening process at airport checkpoints, which also have guards. The restrictiveness of immigration policies, not their means of enforcement, is the underlying source of contention. Similarly, “public security” does not go far in defense of restrictions: a permissive policy could still require screening for threats to public security, with aggressive enforcement reserved for persons who try to enter unlawfully. Miller believes that the aim of preserving national culture can provide reasonable grounds for moderately restrictive policies. Yet restrictive policies are a catalyst for ordinary non-members to unlawfully immigrate. The international migration status quo appears to morally weaken national culture claims in defense of moderate restrictions. Destination states often regard immigration with alarm because so many persons from poor or struggling countries try to cross a state’s borders despite dangerous journeys and aggressive enforcement. Few persons will readily undergo the trouble of becoming an ordinary unapproved immigrant, especially when there are significant risks of deportation or extralegal abuse once inside the

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destination state. A national culture argument cannot avoid the challenge of answering how justice could tolerate cross-national wealth and opportunity disparities large enough that they motivate millions of persons to try to unlawfully immigrate under arduous conditions (Connor 2016). In short, the immigration debate is fundamentally about why states may justifiably exclude non-members, not how. Enforcement issues do not get to the philosophical heart of the matter. When these issues are set aside, the question of grounds for exclusion can be more productively addressed.

IV

The Limits of “National Culture”

Our discussion has tried to streamline the contours of philosophical debate about immigration. We now turn our attention to the view that national culture is a morally weighty consideration in favor of restrictions. The clarifying assumptions we elaborated run counter to the notion that persons have a presumptive justice claim to join any country with capacity to absorb them. We are cautiously sympathetic to the idea that states have certain cultural features, shaped through collective self-determination, that citizens may have morally compelling interests in upholding – interests not easily outweighed by morally compelling interests non-members may have in joining. Too often, however, appeal to national culture is unhelpful or misleading. Additionally, national culture claims are susceptible to being used as a pretext for irrational, prejudiced, or hypocritical policies concerning immigrants. For culturally diverse countries – say, the United States as compared to Iceland – there probably will not be any unified national culture to provide a credible rationale for restrictions. The argument would instead be tied to worthy cultural features that are in tension with values strongly held by prospective immigrants. On our view, there should be good evidence of functional incompatibility between such features and the values of non-members who would join. Both Chandran Kukathas and Sarah Fine criticize the methodology of Miller’s defense of moderate immigration restrictions. Miller thinks he is making a theoretical argument for immigration control from “a realist perspective” that starts from “the world as it is” (Kukathas 2017, p. 712; Fine 2017, p. 721). The critics point out that there would then be no need to defend a state’s “right to exclude” (Kukathas 2017, p. 714). States have borders, and borders require control in order to keep out persons who warrant keeping out. At a minimum, those will be persons who are real threats to public security. Open borders advocates would not favor

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admitting migrants who are violent criminals, for instance. What is in dispute is the “realist” baseline. Still, Kukathas’s interpretation of Miller’s realism is uncharitable: “States have certain rights in law to determine who may or may not enter, and what rights those who do [enter] enjoy. From a realist perspective, there is no further need to justify this: we live in a world of states and states have the authority and usually also the capacity to control their borders” (Kukathas 2017, S. 714). But Miller is not indifferent to the impact immigration policy has on non-members. He grants that their morally compelling interests may weigh against restrictions, even when these interests are not protected by basic human rights. In other words, Miller tacitly acknowledges a presumption, apart from special circumstances (e. g., refugees), in favor of lowering barriers to entry. That is why he seeks moral justification for moderate restrictions. Fine understands Miller’s project as “a defense of the state’s right to exclude and against a human right to immigrate” (Fine 2017, p. 720). We take it that a human right to join another state would not simply be generated by a less controversial right to leave one’s own state, any more than a right to own property yields a corresponding right to demand property. A right to leave would typically support only an entitlement to try to find a willing destination (Miller 2016a). By contrast, there is no mystery why migrants have a strong claim to get shelter in another state when fleeing persecution, catastrophe, or extreme poverty: their lives are truly at risk, and they have basic human rights to liberty and security of the person. Appeal to freedom of movement undermines urgency as a distinctive rationale for admission: the moral weight of a general human right to immigrate would also apply in non-urgent circumstances (Kelly 2004). Fine’s response to Miller bluntly preempts the relevance of national culture to the question of restrictions. Kukathas more directly addresses the issue of national culture. “The case for opening borders”, he writes, “is a case for reducing the barriers not only to entry but also to participation and membership of a society” (Kukathas 2017, p. 714). This extends from rejecting more than minimal restrictions to skepticism about preserving national culture. It seems appropriate, though, for citizens to ask on what terms non-members would join. Fair expectations for accommodation go in both directions. Open borders advocates are quiet about whether states could legitimately have any entry and participation guidelines that are more than minimal. Could a state exclude polygamous families, for example (without relying on the contestable judgment that polygamy is outright morally objectionable)? On our view, mutual accommodation between citizens and non-members leaves room for a state to privilege upholding worthy cultural features. Some non-members may not be a good fit. This is compatible with liberal democratic socieities exercising, within limits of morally decent laws and norms, due toleration toward

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the values and cultural practices of immigrants. Kukathas might warn that mutual accommodation on these terms could allow states too much discretion to impose barriers to entry and participation. Yet, practically speaking, there will not be much remedy for states that would enact immigration policy in bad faith. National culture as such would not be the problem. Racism, xenophobia, and the like would be. Wariness about state discretion is better targeted at restrictive immigration policies that would appeal to “freedom of association.” According to Christopher Wellman, “just as an individual has a right to determine whom (if anyone) he or she would like to marry, a group of fellow-citizens has a right to determine whom (if anyone) it would like to invite into its political community” (Wellman 2008, p. 110f.). The comparison between marriage and political community is exaggerated: physical, psychological, and social dynamics of a state-size political community do not approximate those of a marriage. There is nothing very intimate about a relationship as citizens. In any event, Wellman believes that freedom of association is a fundamental right. His view seems to be that for any private or closed partnership, members are entitled to decide which non-members to accept. The right to this freedom would need no moral rationale other than what is supposed to explain its basic importance. So Wellman’s approach to immigration restrictions would leave states largely free, on behalf of their citizens, to exclude non-members. He acknowledges exceptions for refugees and, indirectly, for non-members who are objects of racial or religious prejudice when people of their kind already belong to the society in question. How he tries to defend these exceptions is not relevant for present purposes. (Evidently, states could circumvent charges of racial or religious prejudice by offering reasons for exclusion that do not allude to race or religion. Non-members would not be due a conscientious reason, merely one that is not symbolically vicious.) What is here most relevant can be captured in a slogan: states may legitimately exclude non-members for almost any reason or no reason. A freedom of association case for immigration restrictions is the polar opposite of an open borders case. Each stands or falls on the plausibility of commitments not distinctive to immigration: namely, (a) the basic importance of freedom of association or (b) egalitarianism as the standard for global justice. To be clear, Miller does not argue from sheer freedom of association. He argues more specifically that national culture can be a morally weighty consideration against ceding priority to morally compelling interests non-members may have in moving to another state. His liberal nationalism is a type of non-egalitarian global liberalism: national culture claims are subject to moral scrutiny and, even when credible, are not morally decisive vis-à-vis the claims of outsiders.

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V

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National Culture and the United States

We now consider how a liberal national culture case for immigration restrictions could apply to the United States. As a culturally diverse country – by ethnicity, religion, language, and values – the U.S. cannot plausibly be said to have a unified national culture. Many Americans think that their country embodies “freedom” and “equality.” But it is hard to know what to make of those broad ideals in relation to the history and present of U.S. foreign policy (e. g., the Vietnam War, military support for Saudi Arabia’s war in Yemen) and domestic antidemocratic practices (e. g., legal racial segregation, voter suppression) (Zenko 2018; Anderson 2018). National self-image can be far from representing an actual national culture. Nonetheless, sizable cohorts of Americans do highly value certain cultural features of their country. Miller’s case for moderate immigration restrictions would repudiate some of those features. An increasingly unconcealed strain of conservatism, for example, espouses the notion that the United States is “a white Christian nation”, which is meant to be prescriptive; the growing distance from descriptive reality is why its proponents are angry.2 The prescriptive notion roughly goes as follows: there should continue to be a white majority that is culturally and politically dominant; non-whites are supposed to remain in their subordinate place, with emphasis on Black Americans and non-white Hispanics; and non-Christians are supposed to keep a low profile, especially Muslims. Racist, xenophobic visions for the United States are neither new nor fringe. The Immigration Act of 1924, for instance, was intended to “preserve the ideal of U.S. [racial] homogeneity”, with a focus on excluding persons from Asia (and setting no quotas on persons from the Western Hemisphere, in contrast to the current-day preoccupation with migrants from Mexico and Central America) (United States Department of State Office of the Historian 2018). If white Christian identity, as it used to, did represent American national culture, this would only exhibit why national culture as such does not provide reasonable grounds for exclusion. In general, a liberal national culture case for immigration restrictions cannot validate whatever cultural features citizens deem important to preserve, even if some features would make the integration of immigrants more difficult. Here lies a problem for Miller’s twin commitments to taking seriously the justice claims of prospective immigrants and the national culture claims of citizens. The first commitment pushes him to limit acceptable reasons for exclusion to “relevant” cultural differences (Miller 2016b, p. 23). But what if these differences are mainly about racial or religious identity itself, despite the typical pretext that they translate 2

For an extensive study of this phenomenon, see Jones 2016.

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into morally salient considerations? When challenged about how to balance the interests of immigrants and citizens, Miller adverts to “debate and decision within the political community” (Miller 2016b, p. 71). That approach would merely refer the problem back to citizens of the racist, xenophobic society in question – with predictable results that otherwise would be unjust by Miller’s liberal orientation. Any liberal nationalism defense of restrictive immigration policies will require subjecting cultural claims to moral (as well as factual) scrutiny. There is little to recommend, say, Donald Trump’s desire for a policy that would welcome immigrants from “white” countries like Norway, ostensibly for cultural reasons, while shutting out immigrants from countries like Nigeria (Hirschfeld Davis et al. 2018). Of course, there are worthy cultural features of the United States that garner widespread domestic support. A commitment to female education is one example. Girls in the U.S. now academically outperform boys, and more women than men graduate from college.3 Prospective immigrants who reject post-elementary female education are not good candidates to join the country. Their cause is not helped by the precedent of citizens (e. g., the Amish) whose rejection of education beyond ages 13–14 is tolerated under U.S. law: domestic (religious) exemptions owe to “grandfather clauses” that highlight an evolved national consensus about education without regard to biological sex (Graham 1972). A restrictive outcome of this sort might seem perverse. Non-member girls are in no position to benefit from fair opportunity for education in the United States if their illiberal parents are disallowed from immigrating. Although that is unfortunate, strongly illiberal immigrants could threaten progress against sex discrimination in the U.S. through their eventual political participation. A liberal democracy cannot prohibit political participation by illiberal persons who are already members. But this does not entail that a liberal democracy should welcome immigrants who reject core liberal values. Global liberalism, without distinctive appeal to national culture, could accept that good evidence of antipathy toward liberal values is relevant as grounds for exclusion. Language raises issues that are more complicated (Van Parijs 2011). The dominance of English is secure in English language countries, and English has the greatest global reach. Discomfort or annoyance that many Americans might feel when hearing a foreign language in their midst is a weak indicator of morally legitimate complaints. For instance, a United States border agent in 2018 detained two U.S.-born women he heard speaking Spanish in the state of Montana, which borders Canada (Stack 2019). Citizenries in non-English language countries, by comparison, cannot take for granted the future cultural standing and function of 3 International findings tell a surprisingly complicated story. See, e. g., Stoet/Geary 2015.

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their respective national languages. Generally, language exerts influence on arts, entertainment, intellectual, and other aspects of culture. In addition to outsider illiberal values, in our estimation, language is at the center of national culture worries in non-English speaking liberal democratic societies. Miller apparently favors “seeking to integrate immigrants into national culture in a broader sense that includes recognizing cultural landmarks such as feasts and holidays, artistic and literary icons, places of natural beauty, historical artifacts, sporting achievements, popular entertainers, and so forth” (Miller 2016b, p. 144). What such “recognizing” by immigrants would involve is unclear. Nevertheless, a citizenry may have morally compelling interests in privileging the national language by limiting admission of immigrants who are not minimally conversant in the langauge. The moral weight of those interests depends on particulars of a national language’s cultural role and how immigration could compromise that role. Iceland is a sympathetic example, whereas the United States is a linguistically diverse country for which notions of cultural jeopardy through foreign language influence seem vague at best. Liberal nationalism cannot plausibly count as “relevant” raw feelings that citizens might have in response to foreign cultural elements. In sum, the United States illustrates a modest national culture case for immigration restrictions. We have argued that there are circumstances when liberal democracies may justifiably exclude some would-be immigrants for reasons tied to worthy national cultural features. Those reasons must be genuine and morally legitimate, which does not imply that they then generally weigh against lowering barriers to entry. The United States is large, culturally diverse, and well above any morally decent wealth baseline. Along with rectifying injustices that have burdened its socio-economically disadvantaged citizens, the U.S. can and should admit many more vulnerable immigrants than it currently does.

VI

Conclusion: A Stable Polity and Education in the Public Sphere

We conclude with a brief discussion of what we call “fair stability of the polity.” Appeal to a principle of this type is one way a national culture case for immigration restrictions could be elaborated. Consider, again, a culturally diverse country like the United States, whose citizens overall have made progress toward the realization of certain liberal values. Take gay marriage in relation to a possible influx of religious conservatives of whatever faith. These immigrants could reshape the electorate,

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which in the U.S. will also affect the membership of the Supreme Court, which is where contested law is eventually decided. In such a situation, applying immigration restrictions with the aim of upholding established liberal values may constitute appropriate deference to the long, difficult process of public values-shaping and collective decision-making. It would be unfair, we believe, for outsiders who have not been part of that process to move to a country and play a pivotal role in reshaping the electorate – and law and policy that follow – in ways contrary to those values. Yet this reveals a legacy dynamic: illiberal citizens are already in a position to try to reproduce their rival values and reshape the electorate over time. (In fact, religious conservatives in the United States have worked to do that for at least the last 50 years, with some success regarding abortion laws.) Illiberal newcomers could build on the active legacy of illiberal citizens whose right to political participation and influence is secure regardless of their illiberalism. The more familiar challenge for liberal democratic societies is balancing cultural accommodation and integration of new immigrants. Mutual resentements between citizens and immigrants threaten stability of the polity by promoting insular subcommunities, which in turn tends to intensify mutual resentments. Concern about this circular negativity motivates a point of agreement between open borders advocates and national culture preservation restrictionists: immigration justice requires participation and not mere entry for non-members. Taking this goal seriously would have a profound impact on immigration and cultural integration policies. With that in mind, education policy seems especially important in shaping a society’s future through young citizens and immigrants alike. The merits of various education policy measures should be the object of moral reflection and empirical study, not ideological conviction. Focus on language as an expression of national culture prompts questions of the following sort. Could immersion in the national or dominant language through schools be required for immigrant children? Or are immigrant children due “second language” transitional education? Is willingness by non-members to learn the national language, perhaps shown through parents having an elementary grasp of the language as a condition for admission, a fair way to judge the potential for their and their children’s cultural integration? Might residential policy discourage the formation of insular immigrant subcommunities, which in effect could encourage linguistic immerision through informal social means? Such questions are relevant to whether cultural integration worries surrounding language may provide reasonable grounds for excluding certain kinds of immigrants or limiting their number. We would emphasize, though, that public understanding of immigration is in major need of improvement in liberal democratic societies. There is an impoverished

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public discourse about human rights – which typically are framed as “humanitarian” options, not legal entitlements or a source of bona fide moral duties. Opportunities for formal learning in schools and informal learning through public affairs media should be regularly employed to help citizens develop a better feel for responsibilities of global engagement. Public perception of immigration “crises” often seems to reflect a nationalist assumption that immigration policy is rightly a destination state’s discretion and to be decided in terms of that state’s own needs, interests, or preferences. Yet the international migration status quo – with millions of persons trying to unlawfully immigrate under arduous conditions – is a powerful indicator that admission norms in wealthy liberal democracies are far too restrictive. With respect to national culture, our tentative proposal is that fair stability of the polity can provide reasonable grounds for excluding illiberal immigrants. The downside, we realize, is that fair stability of the polity could weigh against the realization of liberal values that conflict with commonplace illiberal practices (e. g., de facto racial segregation in the United States). However, as long as citizens remain committed overall to established liberal values, immigration policy is not a politically appropriate tool for attempting to erode a liberal national consensus. Fair stability of a liberal democratic polity, at least, implies a principled response to unesasy social and political dynamics that would be created by admitting immigrants who are strongly illiberal.

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II Internationale Perspektiven und Herausforderungen

Die Transformation des polnischen Hochschulwesens im Kontext der Migration Dorota Gierszewski Die Transformation des polnischen Hochschulwesens

Zusammenfassung

Die Zahl der Migrantinnen und Migranten, die nach Polen kommen, steigt stetig an. Die kulturelle Diversität der heutigen Gesellschaft kann sich für weitere Entwicklung als Potential erweisen. In diesem Artikel wird daher der Frage nachgegangen, welche Konsequenzen das Phänomen der Migration mit sich bringt und vor welchen Herausforderungen das polnische Hochschulwesen steht. Der Transformationsprozess ist auf die Internationalisierung gerichtet, die sich als Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart und als Beitrag zum Aufbau einer europäischen demokratischen Gesellschaft versteht. Der Artikel zeigt die Spezifik des Internationalisierungsprozesses an den Hochschulen in Polen und befasst sich insbesondere mit dem Tempo, dem Umfang und den Formen der Internationalisierung.

Einwanderung in Polen Migration ist ein Element der allgemeinen gesellschaftlichen Mobilität. Sie begründet neue Herausforderungen und temporäre Schwierigkeiten. Durch Migration haben Menschen seit jeher versucht, komplexe Situationen zu lösen oder lebensbedrohlichen Lagen zu entgehen. Für viele Menschen ist Sicherheit in allen Lebensbereichen von fundamentaler Bedeutung. Das heutige Europa mit seinem stabilen Wohlstand und seiner sozialen Sicherheit ist relativ offen für Einwanderung. Polen hingegen hat spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg als monokultureller Staat funktioniert. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Kloubert (Hrsg.), Erwachsenenbildung und Migration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26863-3_10

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Dorota Gierszewski

Dabei ist allerdings zu betonen, dass es mit einer Außengrenze der Europäischen Union Migrationsbewegungen in besonderer Weise ausgesetzt ist. In den vergangenen Jahren hat die Erwerbsimmigration nach Polen erheblich zugenommen (Kupczyk 2017, S. 11). Ihr Ausmaß übersteigt die Vorhersagen der Experten bei Weitem. Es ist nicht ohne weiteres abzusehen, ob es sich dabei um einen vorübergehenden Trend handelt oder ob die Zahl der Einwanderer zukünftig weiter steigen wird. Die gegenwärtigen Massenwanderungen bewirken, dass Migranten einen immer größeren Anteil der Bevölkerung der einzelnen Staaten ausmachen. Dieser Bevölkerungszustrom verursacht verschiedene Probleme. Polen gehört heute zu den Staaten, die sich in einem Wandlungsprozess von einem typischen Emigrationsland zu einem Emigrations-Immigrationsland befinden (Szylko-Skoczny/Duszczyk 2008, S. 14). Auf dem polnischen Arbeitsmarkt sind derzeit knapp eine Million Arbeitnehmer aus den östlichen Nachbarländern tätig (Chmielewska et al. 2016, S. 4). Die meisten halten sich in Polen legal auf, manche sehen allerdings Schwarzarbeit als lukrativer an. Die Arbeitnehmer aus dem Osten zeichnen sich durch eine hohe berufliche Aktivität aus. Beschäftigung finden sie vor allem im sogenannten zweiten Sektor des Arbeitsmarkts und dort in Stellungen, die keiner höheren Qualifikation bedürfen, vor allem in der Landwirtschaft, im Bauwesen und in Privathaushalten (Brunarska et al. 2013, S. 1). Zu den größten Zuwanderergruppen gehören die Ukrainer, vor allem aufgrund ihrer geographischen und kulturellen Nähe. Dazu kommen die sich verschlechternde wirtschaftliche Situation infolge des Systemwandels, die unsichere politische Lage und der bewaffnete Konflikt in der Ost-Ukraine. Ukrainern fällt es zudem relativ leicht, sich in ihrer neuen Umgebung einzufinden, da sie kaum Verständigungsprobleme haben und ihnen die polnische Bevölkerung relativ positiv gegenübersteht. Hierzu sollte ein genauerer Blick auf Geschlechterspezifitäten der Migrationsgruppe geworfen werden, da dies nicht selten zu Konflikten führt. Unter den Einwanderern nach Polen sind mehr Frauen als Männer. Erstere migrieren zumeist, um sich und ihren Familien eine bessere Zukunft zu sichern, wobei sie den veränderten Aufenthaltsort als eine neue Chance begreifen. In der Population der Migrantinnen und Migranten machen sie mehr als 56 % aus (Chmielewska et al. 2016, S. 10). Hinsichtlich der Altersstruktur stellen Personen über 45 (über 35 %) sowie unter 25 (24 %) die größten Gruppen dar. Über 53 % besitzen Hochschulreife und über 37 % einen Hochschulabschluss, nur 8 % von ihnen haben dagegen Berufsschulbildung. Die nach Polen kommenden Ukrainer verfügen also über ein recht hohes Bildungsniveau. Es lässt sich also erkennen, dass viele junge Ukrainer – über die Intention eines schlichten Broterwerbs hinaus – polnische Schulen und Hochschulen unterschiedlichen Typs besuchen und sich somit für anspruchsvolle Aufgaben auf dem Arbeitsmarkt qualifizieren.

Die Transformation des polnischen Hochschulwesens

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Die Möglichkeiten des Aufenthalts und der Berufstätigkeit von Ausländern in Polen sind aufgrund einer Liberalisierung der polnischen Einwanderungspolitik leichter geworden. Das Ministerium für Investitionen und Entwicklung (zuständig für Bauwesen, Raumplanung und Raumnutzung sowie Wohnungsbau und Regionalentwicklung) hat erklärt, dass ein wirtschaftlicher Bedarf an Arbeitskräften besteht und ein Dokument mit dem Titel Die sozialen und ökonomischen Prioritäten der Einwanderungspolitik (Ministerstwo Inwestycji i Rozwoju 2018) erstellt, aus dem hervorgeht, dass die Einwanderungspolitik an die Prioritäten des Arbeitsmarkts anzupassen ist, um die heimischen Ressourcen durch Kapital von außen zu ergänzen. Dies kann zu einem Anstieg der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft Polens führen. Zu den Leitlinien der Einwanderungspolitik gehören dabei die Überwachung der Migrationsprozesse, die Überwachung und Prognostizierung des sozialen und wirtschaftlichen Bedarfs in Polen, die Integration der Einwanderer sowie die Erarbeitung von Lösungen zur Gewährleistung angemessener Beschäftigungsstandards.

Folgen der Einwanderung im Kontext des Hochschulwesens Angesichts der Herausforderungen, die die Aufnahme einer großen Menge von Einwanderern mit sich bringt, ist die Einführung einheitlicher Lösungen unverzichtbar. Polen verfügt über große Erfahrungen im Zusammenhang mit Emigration, über wesentlich geringere dagegen die Immigration betreffend. Diese Problematik ist in der öffentlichen Debatte erst seit dem Beitritt des Landes zur Europäischen Union 2004 aufgetreten (Gierszewski 2018, S. 59). Es ist erkennbar, dass diese Migrationsentwicklungen aufgrund der Konfrontation mit dem „Fremden“ in der polnischen Gesellschaft Ängste ausgelöst haben. Die migrationsbedingte kulturelle und ethnische Vielfalt des Landes ist zu einem unumstößlichen Teil der alltäglichen Lebenswelt der Polinnen und Polen geworden. Heute sehen wir das neue Antlitz der Migration auch an den Hochschulen im ganzen Land, die eine gestiegene Zahl von Studierenden mit Migrationshintergrund zu verzeichnen haben. Dies ist deshalb von Bedeutung, da Bildung einen Impuls gibt, der das Humankapital anhebt, Chancen für die Migrantinnen und Migranten auf dem Arbeitsmarkt eröffnet, Chancengleichheit in der Gesellschaft insgesamt schafft, soziale Barrieren abbaut und das Selbstbewusstsein stärkt. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die Herkunft der Einwanderer einen wesentlichen Einfluss auf den Grad ihrer Integration hat. Es ist wichtig, einen differenzierenden Blick auf die Migration zu richten und diese nicht primär als ein Problem zu betrachten, sondern vielmehr das Potential der kulturellen Vielfalt zu erkennen. Hierbei geht es nicht nur um die

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Einhaltung der politischen Korrektheit, sondern vor allem um die Möglichkeit der Konfrontation unterschiedlicher Denkweisen, das Wecken von Innovationskraft und die Bereitschaft zur Infragestellung eigener Überzeugungen angesichts der Pluralität. Ein wichtiges Dokument, das die Empfehlungen bezüglich der europäischen Integrationspolitik synthetisierte, war die Mitteilung der Europäischen Kommission über Einwanderung, Integration und Beschäftigung aus dem Jahr 2003 (European Commission 2003). Darin wurde auf die Bedeutung des Bildungssystems nicht nur für den Wissenserwerb, sondern auch als Ort für den formellen und informellen Informationsgewinn im Hinblick auf Normen und Werte des aufnehmenden Landes hingewiesen. Der Zugang zu Bildung kann also zur Bekämpfung von Diskriminierung und zum Bau einer interkulturellen Brücke beitragen. Heute ist die Internationalisierung ein wichtiges Merkmal des Hochschulbetriebs. Sie ist ein Prozess, der einen großen Einfluss auf den Erfolg der öffentlichen Politik und der wissenschaftlichen Institutionen, aber auch auf die Entwicklung individueller akademischer Karrieren hat (Antonowicz 2016, S. 136). Die ersten EU-Programme, die den Prozess der schrittweisen Internationalisierung des Bildungswesens initiiert haben, waren Sokrates, Erasmus und Leonardo. Später kam es zur Umsetzung des Bologna-Prozesses. Dieser hat neben zahlreichen weiteren Veränderungen zu größerer Mobilität Studierender und Lehrender geführt. Der Umfang der Prozesse, die der Internationalisierung der Hochschulen gewidmet sind, ist beträchtlich. Eine diesbezügliche Stellungnahme der polnischen Regierung wurde 2014 im Programm für die Internationalisierung des Hochschulwesens präsentiert. Das Ministerium für Wissenschaft und Hochschulwesen stellte in diesem Rahmen fest, dass die Internationalisierung eine der wichtigsten Herausforderungen für die polnischen Hochschulen sei. Die vorgestellten Maßnahmen tragen zur verbesserten Wettbewerbsfähigkeit der polnischen Hochschulen auf dem internationalen Markt bei. Es besteht kein Zweifel daran, dass dieser Prozess durch die vom Staat gesetzten Rahmenbedingungen ermöglicht wurde. In Polen begannen die Internationalisierungsbewegungen bereits im Jahr 1989 (Popowska 2016, S. 134). Damals erlebte das Hochschulwesen infolge der gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozesse tiefgreifende Veränderungen, wobei die nichtstaatlichen Hochschulen eine aktive Rolle spielten. Für die besten öffentlichen und privaten Hochschulen boten die Internationalisierungsstrategien zudem die Chance, sich auf dem Markt zu etablieren und weiterzuentwickeln (Domański 2011, S. 23–30), da der Grad der Internationalisierung als Indikator für die Qualität der angebotenen Leistungen und das Prestige der Hochschule angesehen wurde und nach wie vor wird. Das Ministerium für Wissenschaft und Hochschulwesen setzt eine Reihe von Initiativen zur Internationalisierung des Hochschulwesens um. Darunter sind zu nennen: das Programm Erasmus+, bilaterale internationale Verträge, Stipendien-

Die Transformation des polnischen Hochschulwesens

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programme zur Unterstützung der Länder der Östlichen Partnerschaft, darunter insbesondere der Ukraine (Polnischer Erasmus für die Ukraine), die Kampagne Ready, Study, Go! Poland, welche die Möglichkeit eines Studiums in Polen popularisiert. Ihr Ziel ist die Schaffung einer wiedererkennbaren, positiv konnotierten Marke der polnischen Wissenschaft auf dem Weltmarkt. Im Rahmen dieser Initiative sind neben der Einrichtung von Infoständen mit dem Angebot des polnischen Hochschulwesens auf internationalen Messen auch Zuschüsse für die Marketingarbeit von Hochschulen und Konsortien (Siwińska, 2014, S. 21) vorgesehen. Das Programm Polnischer Erasmus für die Ukraine (Polski Erasmus dla Ukrainy), das seit 2014 läuft, ist vor allem an junge Leute gerichtet, ursprünglich speziell an die Bewohner der Krisengebiete im Osten, heute erweitert auf die gesamte Ukraine. Die dem Programm zugrundeliegenden Ziele sind der Wunsch nach dem Aufbau von demokratischen Institutionen und einer Zivilgesellschaft in der Ukraine sowie Entwicklungshilfen. Ukrainer können in Polen kostenlos studieren und erhalten zudem ein Stipendium zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts. Im bereits erwähnten Dokument Prioritäten einer sozialen und wirtschaftlichen Einwanderungspolitik wurden Maßnahmen entworfen, welche die Förderung von Hochschulen im Hinblick auf den Ausbau des Angebots von Studiengängen mit einer Schlüsselfunktion für die polnische Wirtschaft bezwecken. Darunter befinden sich die Entwürfe von Studienprogrammen sowohl in Fremdsprachen als auch auf Polnisch, gemeinsame Studiengänge polnischer und ausländischer Hochschulen und wissenschaftlicher Institute, die Durchführung von Sommerkursen der polnischen Sprache und Kultur sowie von Vorbereitungskursen für die Aufnahme eines Studiums in polnischer Sprache. Außerdem wurde besonderes Augenmerk auf die Entwicklung von Stipendienprogrammen für Ausländer gelegt. Um die polnischen Hochschulen bei der Internationalisierung zu unterstützen, rief das Ministerium für Wissenschaft und Hochschulwesen im Jahr 2017 die Nationale Agentur für akademischen Austausch (Narodowa Agencja Wymiany Akademickiej; NAWA) ins Leben, die hauptsächlich aus den Mitteln für Wissenschaft und Hochschulwesen finanziert wird. Zu ihren Aufgaben gehören die Umsetzung von Maßnahmen zur Unterstützung des internationalen akademischen Austauschs sowie die Verbreitung von Informationen über das polnische Hochschulwesen. In der Strategie für die Jahre 2018 bis 2025 ist zu lesen, dass „die Internationalisierung den Austausch von Wissen, Erfahrungen und Entdeckungen sowie eine vielseitige Erschließung des Forschungspotenzials der Wissenschaftler und der Infrastruktur ermöglicht und zu einem Qualitätsanstieg der Lehre beiträgt“ (NAWA 2018, S. 1). Zu diesem Zweck wurden Programme für eine internationale Kurzzeitmobilität wissenschaftlicher Mitarbeiter sowie die Gestaltung und Umsetzung von Studiengängen in Partnerschaft mit Wissenschaftsstandorten im Ausland eingeführt. Man

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setzte also insbesondere auf die Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit (Teilnahme an Konferenzen, Studienbesuche, Fortbildungen). Die Gründung der spezialisierten Agentur NAWA zur Förderung des akademischen Austauschs ist ein Zeichen dafür, dass die Internationalisierung zu einer Priorität der Maßnahmen des Ministeriums geworden ist und ein neues Niveau hinsichtlich ihrer Substanz und Qualität erreicht hat. Als Regierungsagentur ergänzt die NAWA die Tätigkeit zweier anderer Institutionen: des Nationalen Wissenschaftszentrums (Narodowe Centrum Nauki; NCN) und des Nationalen Zentrums für Forschung und Entwicklung (Narodowe Centrum Badań i Rozwoju; NCBiR). Indem Polen in den Prozess der Internationalisierung des Hochschulwesens investiert, erkennt das Land sie als wichtigen Bestandteil einer zukunftsträchtigen Entwicklungsstrategie und als einen der Motoren der Hochschulentwicklung an. Denn obwohl der polnische Bildungsmarkt wettbewerbsfähiger wird und die Zahl der Studierenden aus dem Ausland steigt, ist das polnische Hochschulwesen im EU-Vergleich immer noch schwach internationalisiert. Der dynamische Anstieg von ausländischen Studierenden kann jedoch als ein vielversprechendes Zeichen für die Zukunft gesehen werden.

Vielfalt als neue Kategorie in den Bildungsinstitutionen Die Internationalisierung der Hochschulen bedeutet sowohl Offenheit für Studierende aus anderen Ländern als auch die Möglichkeit für polnische Studierende, Wissen in anderen Ländern zu erwerben. Grundsatz dieses Prozesses ist die Mehrstufigkeit. Laut Kommuniqué der Konferenz der für die Hochschulen zuständigen europäischen Ministerinnen und Minister der Länder des Bologna-Prozesses (Komunikat z Leuven/Louvain-la-Neuve 2009) sollen 20 % der Hochschulabsolventinnen und -absolventen im Jahr 2020 über internationale Erfahrung verfügen. In Polen liegt der Koeffizient des akademischen Austauschs dagegen auf einem sehr geringen Level. Seit Jahren ist jedoch ein schrittweiser Anstieg der Zahl der ausländischen Studierenden in Polen zu verzeichnen. Die einen kommen auf der Suche nach einem Abenteuer, andere möchten eine Ausbildung beginnen, die ihnen ihr Herkunftsland aufgrund der mangelnden Voraussetzungen nicht ermöglichen kann, wieder andere suchen nach besseren Lebensbedingungen. Im Jahr 2016 studierten in Polen über 57 000 Studierende aus dem Ausland (Domański 2017, S. 70). Im Vergleich zu 2015 bedeutete dies einen Anstieg um 23 %. Dieses Wachstum der Studierendenzahl ist, wie bereits vermerkt, vor allem durch den beispiellosen Zustrom aus der Ukraine bedingt. Ein Teil dieser Immigranten studiert, um das Aufenthaltsrecht zu erwerben und eine nichtregistrierte Arbeit anzunehmen (Bieniecki/Pawlak 2010,

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S. 8). Dies ist durch ein Studium an Privathochschulen oder postlyzealen Schulen möglich. Es sei hier noch einmal betont, dass sich diese Studierenden trotz der anfänglich pragmatischen Motivation in den Lernprozess intensiv einbringen und gute Leistungen erzielen. Für viele von ihnen ist die in diesem Rahmen erworbene Qualifikation eine Chance auf eine feste Arbeitsstelle in Polen selbst. Die Zahl der ukrainischen Studierenden in Polen belief sich im Jahr 2016 auf 30 589 (Siwiński 2016). Daten des Statistischen Hauptamts für das Studienjahr 2017/18 zeigen, dass die meisten ausländischen Studierenden aus Europa stammen, davon über die Hälfte (37 800, also 52 %) aus der Ukraine (Główny Urząd Statystyczny [Statistisches Zentralamt] 2018). Die zweitstärkste Gruppe stellen die Studierenden aus Weißrussland dar (6 000, also 8,3 %). An polnischen Hochschulen studierten im Studienjahr 2016/2017 insgesamt 65 800 Ausländer. Dies bedeutet einen Anstieg um 15 % gegenüber dem Vorjahr. Das ist umso bemerkenswerter, da Polen einen solchen Anstieg von Studierenden aus dem Ausland zu diesem Zeitpunkt noch nicht erlebt hatte. Zugleich ist zu betonen, dass die Zahl der Studierenden außereuropäischer Länder weiterhin relativ gering ist, was auch mit der polnischen Einwanderungspolitik in Verbindung stehen kann. Unter den Hochschulen, an denen die meisten Ausländer studieren, sind die Universität Warschau, die Jagiellonen-Universität Krakau und die Maria-Curie-Skłodowska-Universität Lublin zu nennen. Diese drei Universitäten bilden 10 % aller ausländischen Studierenden in Polen aus (Główny Urząd Statystyczny [Statistisches Zentralamt] 2017), so stellt sich heraus, dass

Anstieg der Zahl der Studierenden aus der Ukraine in den Jahren 2006-2016

30589

26900

23392

21900 16900

15123

11900

9747

20 15 /2 01 6

20 14 /2 01 5

20 13 /2 01 4

20 12 /2 01 3

4879

20 11 /2 01 2

3499

20 10 /2 01 1

2831

20 08 /2 00 9

2467

20 07 /2 00 8

20 06 /2 00 7

1900

2223

20 09 /2 01 0

6900

6321

Quelle: Główny Urząd Statystyczny (GUS [Statistisches Zentralamt]), Hochschulwesen im Studienjahr 2017/2018, Warschau.

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Medizinische Hochschulen (in Lublin, Danzig und Stettin) eindeutig an der Spitze stehen. Die folgende Grafik illustriert den Anstieg der Zahl der Studierenden aus der Ukraine in den Jahren 2006 bis 2016. Die Internationalisierung ist untrennbar mit der Ausprägung bestimmter Haltungen und der Entwicklung interkultureller Kompetenzen verbunden. In der Situation der aufeinandertreffenden Kulturen muss der Erwerb von interkulturellen Kompetenzen Priorität haben. Beim Lernen gewinnt nicht das Aufrechterhalten von Kulturunterschieden an Bedeutung, sondern die Suche nach Möglichkeiten der Bereicherung gerade aufgrund dieser Unterschiede. Ziel dieses Lernprozesses ist die Förderung des Bewusstseins und der Reflexivität statt reiner Affirmation der beobachteten Unterschiede. Bislang wurde zu häufig auf die Prozesse der Akkommodation und Assimilierung hingewiesen. Vernachlässigt oder auf enge Bereiche beschränkt wurden dagegen diejenigen Aspekte, die auf der Verbindung verschiedener kultureller Individualmerkmale beruhen. Das Paradigma der Koexistenz stellt jedoch die Grundlage des interkulturellen Lernens dar und bestimmt die Aufgaben, die sich auf ein Leben in einer Welt beziehen, deren immanente Eigenschaft Unterschiede sind (Lewowicki 2000, S. 31). Vor diesem Hintergrund und im Zuge der konstanten Demokratisierung spielt auch die Erwachsenenbildung eine immer größere Rolle. Es besteht die Notwendigkeit, ihre Grundsätze laufend an die sich wandelnden Bedingungen anzupassen, damit die Erwachsenenbildung den Anforderungen der postmodernen Welt gerecht wird (Gierszewski 2017, S. 181). So muss sie sich vor allem der Herausforderung der Heterogenität ihrer Teilnehmer stellen, die in einer pluralistischen Gesellschaft in Verbindung mit Kulturkonflikten immer sichtbarer wird. Die Bewältigung dieser Probleme erfordert Offenheit, Perspektivenwechsel sowie tiefere Reflexion – also kurzum interkulturelles Lernen. Notwendig ist nicht nur die Einbeziehung der Immigranten in das Bildungssystem, sondern auch in das Leben der lokalen Gemeinschaften, indem man ihnen Wissen über die Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens im jeweiligen Land vermittelt und Chancen für die Partizipation eröffnet. Ein wichtiger Schritt ist dabei die Integration der Immigranten in das demokratische System und die politische Kultur des neuen Landes. Eine Schlüsselrolle kommt dabei einer lokalen politischen Erwachsenenbildung zu, die sich außerhalb des formalen Bildungssystems ereignet und zum Prozess der gesellschaftlichen Integration, beispielsweise durch das Einbeziehen der Immigranten in die öffentliche Partizipation, beitragen kann. In ihrem Streben nach hoher Qualität und Effizienz des Bildungsbetriebs sehen manche Hochschulen in ihren Lehrplänen Fächer vor, die Wissen über andere Kulturen vermitteln sollen. Dies findet jedoch besonders in den Bereichen der Pädagogik, Soziologie, Linguistik, Kommunikations- und Kulturwissenschaften sowie der internationalen Beziehungen statt. Mobilitäts- und Handlungsfähigkeit in

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einem internationalen Umfeld sind dabei zwei der unabdingbaren Qualifikationen und eng mit den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts verbunden. Deshalb erscheint es auch begründet, dies in den Lehrplänen stärker zu berücksichtigen, um die Furcht vor den „Anderen“ zu verringern. Interkulturelles Lernen zeichnet sich nicht nur durch einen individuellen Aspekt aus, sondern auch durch eine soziale Dimension, die das Handeln in anderen Kulturkontexten ermöglicht. Hier können Menschen aus verschiedenen Kulturen voneinander und übereinander lernen und werden gegenseitig mit Symbolen, Ritualen, Werten, Denkweisen und Standpunkten konfrontiert, die ihnen bislang nicht bekannt waren. Die aktuellen Migrationen sind nicht nur eine Frage des Zu- und Abstroms von Bevölkerungsgruppen. Einwanderer werden vielmehr zu einem integralen Bestandteil der Gesellschaften und einer Herausforderung für alle Dimensionen des staatlichen Miteinanders, zu dem auch der Bildungssektor gehört. Migrationen haben signifikant zu einer größeren kulturellen Diversität an den Hochschulen geführt. Nach Florian Znaniecki, einem Vertreter der humanistischen Soziologie, ist kulturelle Vielfalt der natürliche Zustand der gesellschaftlichen Wirklichkeit (Znaniecki 2001, S. 39). Dank ihr können Kulturen einander bereichern und ergänzen und damit ein allgemeinmenschliches Kultursystem erschaffen. Znaniecki vertrat die Ansicht, dass zwischen verschiedenen Kulturgruppen Feindschaft, Misstrauen und manchmal sogar Hass bestehen können, wobei Differenzen immer als Konfrontation mit einer bestimmten kulturellen Andersartigkeit wahrgenommen werden. Kulturelle Vielfalt hat demnach zwei Seiten und zeigt sowohl positive als auch negative Konsequenzen auf. Die Ausschöpfung des Potenzials, das in besagter Andersartigkeit steckt, ist eine große Herausforderung und bedeutet die Behandlung von Diversität als positive Erscheinung. Diese Vielfalt kann und muss als Kapital einer Hochschule verstanden und zu ihrer Entwicklung genutzt werden. Kozminski weist auf eine Reihe von notwendigen Aspekten hin, die bei der Auseinandersetzung mit der Vielfalt in Betracht gezogen werden müssen (Koźmiński 2004, S. 188): • Reflexivität als Fähigkeit zur Identifizierung von Formen, Erscheinungsformen und Quellen der Multikulturalität, • Empathie beim Verstehen von Motiven und Emotionen Anderer, • Anerkennung der Unterschiedlichkeit als Recht auf Andersartigkeit, • das Prinzip der auf Berücksichtigung gemeinsamer Interessen, Motivationen und Werte basierenden Gemeinschaft und der Aufbau eines Gemeinschaftsgefühls auf eben dieser Grundlage, • Kompromissfähigkeit durch Eingehen auf andere Kulturgruppen,

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• ständige Adaptation, unterstützt durch Sensibilität für kulturellen Wandel und neue Herausforderungen, • schnelles Handeln, also das Antizipieren kultureller Vorgänge und die Erarbeitung neuer Verhaltensmuster und Normen, bevor diese auftreten. Eine maximale Nutzung des Potenzials dieser Vielfalt erfordert einen bewussten Einsatz der obigen Leitsätze und das intentionale Herangehen an die Unterschiedlichkeit. Besonders wichtig ist in diesem Kontext die Reflexivität. Wenn wir davon ausgehen, dass es sich dabei um die Fähigkeit handelt, Erfahrungen zu analysieren und neue Daten, Informationen und Wissensinhalte in die eigenen kognitiven Strukturen einzubeziehen, um neue Verknüpfungen zwischen Wissen und Handeln herzustellen (Hejnicka-Bezwińska 2008, S. 502), so ist anzuerkennen, dass dieser Prozess einen erheblichen Einfluss auf Entscheidungen und die Handlungseffektivität des Menschen hat. Der Begriff der Reflexivität ist in zahlreichen Diskursen über die Postmoderne allgegenwärtig geworden. Sie zeigen eine neue Sicht der Reflexivität als Voraussetzung für lebenslanges Lernen. Erwähnenswert erscheint hier Anthony Giddens, für den Reflexivität Voraussetzung für das Erleben der eigenen Subjektivität ist. Er versteht sie jedoch nicht nur als Wegbereiter der Selbsterkenntnis, sondern darüber hinaus als Mittel, den permanenten Strom des gesellschaftlichen Lebens zu kontrollieren (Giddens 2006, S. 664). Reflexivität ist des Weiteren dem Prozess der Konstruktion der eigenen Identität untergeordnet und umfasst nicht nur das Planen und Entscheiden bezüglich der Zukunft, sondern auch eine permanente Reinterpretation der gegebenen Wirklichkeit (Marody 2014, S. 221). In Zeiten von Migration und Multikulturalität gewinnt dies besonders an Bedeutung. Es geht also darum, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich jeder geachtet fühlt und die Möglichkeit bekommt, seine Fähigkeiten unabhängig von seiner Nationalität zu entwickeln. Eine solche Perspektive einzunehmen, kann den Erfolg der Maßnahmen sicherstellen.

Zusammenfassung Ziel der Einwanderungspolitik muss sein, soziale Verluste zu minimieren und Nutzen aus der Migration zu schöpfen. Bevölkerungswanderung an sich ist und bleibt ein allgemeines Phänomen, das heute gewissermaßen zur Natur des Menschen gehört. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass die Internationalisierung des Lehrprozesses an den Hochschulen voranschreiten wird. Die Hochschulen in Polen stehen vor vielen Herausforderungen im Kontext der steigenden Migrantenzahlen. Die Trans-

Die Transformation des polnischen Hochschulwesens

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formation des Bildungssektors geht eindeutig in Richtung Internationalisierung. Dies ist als positive, erwünschte Erscheinung zu begreifen, sodass alle möglichen Maßnahmen ergriffen werden sollten, um eine kluge Integration der Immigranten zu sichern. Gewiss erfordert dies eine Individualisierung von Lehrangeboten und die Berücksichtigung der Bedürfnisse einer internationalen Studentenschaft. Es muss ebenfalls anerkannt werden, dass auf lange Sicht die Aufnahme von Migranten auch zur Vermeidung der demographischen Krise und zur Rettung insbesondere des vom Niedergang bedrohten nichtöffentlichen Hochschulwesens beiträgt, schafft sie doch Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung ihrer Beschäftigtenzahlen und zur Fortsetzung der standardgemäßen Tätigkeit der Hochschulen. Festzustellen ist aber, dass trotz des sich beschleunigenden Internationalisierungsprozesses Immigranten im polnischen Bildungsdiskurs kaum sichtbar sind. Von besonderer Wichtigkeit ist der Prozess der Adaptation der Einwanderer an die polnische Kultur, wie auch die Gewöhnung der polnischen Bevölkerung an den Umgang mit Vertretern fremder Kulturen. Der Entstehung von Enklaven, in denen sich das Risiko der sozialen Ausgrenzung kumulieren würde, muss entgegengewirkt werden. Dies ist eine sehr wichtige Integrationsaufgabe für die polnische Gesellschaft. Sie muss auch mittels der Erwachsenenbildung angegangen werden – nicht nur weil es nötig erscheint, sondern auch aus der Überzeugung heraus, dass Integration sinnvoll ist.

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Migration als Chance und Herausforderung für die Erwachsenenbildung in der Ukraine Iryna Petriuk Migration als Chance und Herausforderung für die Erwachsenenbildung

Zusammenfassung

Die Migrationsprozesse in der Ukraine sind in den letzten fünf Jahren besonders intensiv geworden. Sie stellen einerseits eine große Herausforderung für die Erwachsenenbildung dar, andererseits bedeuten sie eine Chance für ihre Entwicklung, denn sie tragen zur Entstehung der strukturellen und inhaltlichen Vielfalt dieses Bereiches sowie dessen rechtlichen Regulierung bei. Die große Welle der Abwanderung von Arbeitskräften aus der Ukraine, der sogenannte „brain drain“, wird mit rund vier Millionen Menschen beziffert und ist zum nationalen Problem geworden. Die Zahl der Binnenflüchtlinge infolge des Krieges im Osten des Landes beträgt 1,5 Millionen Menschen. Bildungsangebote für diese Menschen zielen auf Umschulungen und die Unterstützung unternehmerischer Tätigkeiten in den neuen Wohnorten ab. Es gibt keine weiterführende Ausbildung für Flüchtlinge aus anderen Ländern und Transitmigranten. Auch wenn die Anzahl dieser Personen in der Ukraine relativ gering ist, benötigen sie dringend Bildungsangebote, insbesondere im Bereich Spracherwerb, Kultur, Psychologie usw. Das ist eine große Herausforderung, auf die die ukrainische Erwachsenenbildung im Laufe der Zeit eine Antwort geben sollte.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Kloubert (Hrsg.), Erwachsenenbildung und Migration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26863-3_11

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Einleitung Nicht zum ersten Mal in ihrer Geschichte ist die Ukraine mit dem Problem der Migration und der vergrößerten Anzahl von Flüchtlingen konfrontiert. Die aktuelle Situation ist jedoch im Hinblick auf die Einwanderer und Arbeitsimmigrant*innen einzigartig. Sie ist weitgreifend, kompliziert und hat schwerwiegende Folgen für die ukrainische Gesellschaft. Aufgrund der aktuellen Migrationssituation in der Ukraine unterscheidet man drei Hauptarten: • Arbeitsmigration aus der Ukraine, ca. 2–4 Millionen Menschen (Piontkiwska et al. 2018, S. 15); • Migration innerhalb des Landes aufgrund der Annexion der Krim und militärischer Operationen im Osten (die sogenannte „Binnenmigration von Personen“), ca. 1,5 Millionen Menschen (Smal/Posniak 2016, S. 9); • Einwanderung, vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion, ca. 250.000 Menschen, die eine Aufenthaltserlaubnis in der Ukraine haben, sowie etwa 3.000-4.000 Menschen aus dem Nahen Osten, die über eine Migrations- und Transitmigrationserlaubnis verfügen (Smal/Posniak 2016, S. 22). Wir gehen kurz auf jede diese drei Arten ein und beginnen dabei mit den Migrant*innen aus Mittlerem Osten und Transitmigrant*innen an.

Flüchtlinge und Asylsuchende Eine besondere Untergruppe der Ausländer in der Ukraine bilden Flüchtlinge und Asylsuchende, denen zusätzlicher Schutz gewährt wird. Dieser zusätzliche Schutz wurde in der Ukraine erst 2011 eingeführt. Die meisten Asylsuchenden in der Ukraine sind Einwanderer aus Afghanistan und Syrien. Im Jahre 2015 gab es 3.085 offiziell anerkannte Flüchtlinge aus diesen Ländern, darunter diejenigen, die den zusätzlichen Schutz erhielten (Malynowska 2016, S. 7f.). Dabei ist die Wirksamkeit der staatlichen Integrationspolitik unbefriedigend, wie die Zuwanderer mit ihrem geringeren Wissen über aktuelle staatliche Programme aufgewiesen haben. Es herrschen Seriositätsprobleme der Arbeitsbeschäftigung von Immigrant*innen vor. Das Bildungsniveau der Ausländer*innen ist ziemlich hoch: Mehr als drei Viertel von ihnen haben entweder eine Hochschulreife oder eine abgeschlossene Fachausbildung. Nur jeder Zehnte von ihnen kann jedoch Ukrainisch und weniger als die Hälfte Russisch (Malynowska 2016, S. 12f.). Das Angebot von Sprachkursen

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für Ausländer*innen ist jedoch nicht ausreichend. Die meisten Ausländer*innen haben kein eigenes Zuhause und müssen einen Wohnraum mieten. Gleichzeitig können sie in der Regel in den gemieteten Wohnungen nicht gemeldet werden, da die Vermieter*innen keine Fremden in ihren Wohnungen anmelden wollen. Ohne Meldung hat man kein Recht auf die Gesundheitsversorgung sowie Bildung- und Verwaltungsdienste. Die Einwanderer sind zudem häufig mit den Erfahrungen der Ausgrenzung konfrontiert: Jeder vierte Einwanderer wird von der Seite der Polizei und Verwaltung mit Anfeindungen konfronitert (Balamusch 2017, S. 46–48; Malynowska 2016, S. 14). Diese Gruppe von eingewanderten Menschen benötigt dringend Bildungs- und Kulturprogramme, die ihre soziale Anpassung und Integration in die ukrainische Gesellschaft fördern.

Transitmigrant*innen Der Anteil der Flüchtlinge aus anderen Ländern in der Ukraine ist jedoch nach wie vor nicht hoch. Wegen der schwierigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation in der Ukraine gilt das Land für Flüchtlinge aus dem Nahen und Mittlerem Osten und anderen Ländern als kein sicherer Ort. Die geschlossenen Grenzen der sogenannten „Westbalkanstraße“ stellen sie vor die Herausforderung, neue Wege nach Europa zu suchen und unter anderem auch durch die Ukraine zu wandern. Hauptsächlich kommen Leute aus der Türkei über das Schwarze Meer nach Odessa und möchten anschließend mit privaten oder öffentlichen Verkehrsmitteln, wie zum Beispiel der grenzüberschreitenden Eisenbahn in Beregove und Tschop im Westen, illegal in die EU einreisen. Ab und zu verhaften ukrainische Zollbeamte illegale Transitmigrant*innen. Im Jahre 2015 wurde eine große Gruppe von illegalen Migrant*innen festgenommen, darunter kamen 37 % aus Afghanistan, 11 % aus Syrien, 7 % aus der Republik Moldau, 6 % aus Georgien und jeweils 5 % aus dem Irak und Somalia. Insgesamt wurden ungefähr 2.000 nichtreguliert reisende Migrant*innen verhaftet (Geliuh 2018). 2016 und 2017 sind von der ukrainischen Polizei mehrere kriminellen Gruppen aus Ukrainern, Syrern und Rumänen festgesetzt worden, die sich mit dem illegalen Menschentransfer über die ukrainische Grenze beschäftigten (Geliuh 2018). Gemäß den Gesetzwerken der Ukraine „Über die Rechtsstellung der Ausländer und Staatenlose“ und „Über Flüchtlinge und Schutzsuchende“, werden festgehaltene illegale Einwanderer in den Zentren der vorläufigen Unterbringung angesiedelt, wo sie zwischen 6 und 18 Monate bleiben dürfen und danach zurück in ihr Herkunftsland geschickt werden sollen. Jedoch kehrt die Mehrheit dieser Menschen

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nicht in ihre Heimatländer zurück, sondern bittet immer wieder in der Hoffnung die Grenze zu überqueren und in wohlhabende europäische Länder zu gelangen um Asyl. Wenn die Identität und das Ursprungsland der Flüchtlinge während der angegebenen Zeit nicht festgestellt worden sind, werden sie durch Gerichtsurteile vom Aufenthaltspunkt verweisen, verbleiben aber in der Ukraine. Die meisten von ihnen versuchen wiederholt, die EU-Länder zu erreichen. Dabei hängt die Dauer ihres Aufenthalts in der Ukraine vom Erfolg dieser Versuche ab. Diese Kategorie von Migrant*innen ist wenig erforscht. Es gibt keine zuverlässigen Daten über ihre genaue Anzahl. Es werden auch fast keine Initiativmaßnahmen im Hinblick auf entsprechende Sozialhilfen für diese Menschen vorgenommen. Im Ganzen wird diese Gruppe von Migrant*innen in keinem Bildungsprojekt vorgesehen und bleibt „im Schatten“ des Problems der binnenvertriebenen Bürger*innen. Es lässt sich nicht von einem hohen Interesse für das Schicksal dieser Menschen seitens der ukrainischen Gesellschaft sprechen; ihren Bedürfnissen wird kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Durch den Mangel an Medienberichten zu diesem Thema wird das Problem in der Öffentlichkeit verschwiegen, wodurch auch eine negative Einstellung zu den Einwanderern aus Asien und Afrika geprägt wird. Davon ausgehend spricht man von der Notwendigkeit, nicht nur die Ausbildung der Flüchtlinge zu fördern, sondern auch die Ukrainer*innen selbst politisch und kulturell so zu erziehen, dass sie Toleranz gegenüber anderen Kulturen, Nationalitäten und Religionen zu entwickeln und die Fremdfeindlichkeit überwinden.

Auswanderung Eine weitere Komponente der ukrainischen Migrationskrise ist die Auswanderung von Arbeitskräften, die schon Mitte der 90er Jahre begann. Gleichzeitig mit der Rechtserklärung der Bewegungsfreiheit der Ukrainer*innen kam auch ein tiefgreifender Strukturwandel der Wirtschaft zu Stande, der von sinkendem Lebensstandard und steigender Arbeitslosigkeit begleitet wurde. Aufgrund der Verschlechterung von kostenloser Bildung und Medizin fielen die Kosten für diese Dienstleistungen immer mehr zulasten der Bevölkerung. Die Geschäftsleute, die ihr eigenes Unternehmen gründen wollten, benötigten ein Startkapital, welches nur ein Kreditsystem anbieten konnte, welches nur selten vorhanden war. Das fehlt in der Ukraine aber. Der Übergang zur Marktwirtschaft hat die Verbrauchernachfrage nach Immobilien, Autos, Haushaltsgeräten und vielem mehr angehoben. All dies förderte die Arbeitsmigration ins Ausland, die sich in den späten 90er Jahren zu einem Massenphänomen und einer Einkommensquelle für viele Familien entwi-

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ckelte. In den folgenden Jahren hat die Zahl der ukrainischen Wanderarbeiter*innen in Russland und in der EU deutlich zugenommen. Derzeit ist es schwierig, ja sogar fast unmöglich, die genaue Zahl der ukrainischen Bürger*innen anzugeben, die dauerhaft oder vorübergehend in anderen Ländern arbeiten, da sich die Methoden der Berechnung und Bewertung dieser Entwicklung unter den Experten wesentlich unterscheiden. So waren zum Beispiel nach der Umfrage der Internationalen Organisation für Migration (IOM) etwa 700.000 Ukrainer im Zeitraum von 2014 bis 2015 im Ausland tätig. Das widerspricht sich jedoch deutlich mit den Schätzungen des Instituts für Soziologie der Nationalen Akademie der Wissenschaften und dem staatlichen Zollamt der Ukraine, laut deren Schätzungen etwas mehr als 1.000.000 Ukrainer in den Jahren 2014 und 2015 mit einer Arbeitsabsicht ausgereist sind (Krawtschuk 2016, S. 106). In den folgenden Jahren 2016 und 2017 nahm diese Zahl tendenziell zu. Aufgrund der kumulierten Daten aus den unterschiedlichen Quellen wird die Zahl der Wanderarbeiter aus der Ukraine weltweit auf zwei bis vier Millionen geschätzt (Piontkiwska et al. 2018, S. 15). Die IOM schätzt ein Drittel davon als kurzfristig Beschäftigte, die hauptsächlich zu einer Saisonarbeit für nur zwei bis fünf Monate ausgereist sind, und zwei Drittel als langfristige Wanderarbeiter ein, die entweder auf der Basis eines Arbeitsvertrages arbeiten und ein Arbeitsvisum bzw. ein Aufenthaltserlaubnis haben oder illegal Geld im Ausland verdienen. Der gleichen Umfrage nach ist die größte Gruppe den Wanderarbeiter*innen die der Männer zwischen 30 und 44 Jahren (über 40 %). Die meisten Migrant*innen kommen aus den westlichen Regionen der Ukraine. 41 % der Arbeitsmigrant*innen haben entweder eine Schulausbildung oder eine Berufsausbildung abgeschlossen, während 36 % eine Hochschulreife besitzen (Piontkiwska et al. 2018, S. 19). Arbeitsgebiete ukrainischer Migrant*innen im Ausland sind vor allem das Baugewerbe (bei Männern) und die Haushaltsarbeit (Frauen) sowie der Service- und Landwirtschaftssektor. Die populärsten Zielländer der Auswanderer sind Polen, Russland, Tschechien und Italien. Auf sie entfallen etwa 80 % der Gesamtströme von kurzfristigen und langfristigen Wanderarbeiter aus der Ukraine. Im Laufe der letzten drei Jahre ist die Arbeitsmigration der Ukrainer*innen in die EU um 30 % gestiegen. Die meisten gehen nach Polen, Deutschland, Italien, Tschechien und Skandinavien. Während die Vereinigten Staaten und Kanada immer mehr Beachtung in den Auswanderungsplänen der betreffenden Personen finden, sinkt die Zahl der Ukrainer*innen, die nach Russland auswandern. Im Vergleich zu 2011 sind jetzt offiziell 6 % weniger Ukrainer*innen in Russland tätig (Piontkiwska et al. 2018, S. 17). Die Struktur der Arbeitsmigration in der Ukraine ist ebenfalls von diesen Veränderungen betroffen: Es erhöht sich der Anteil der langfristigen Migrationen und immer mehr junge

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Menschen, Frauen und Stadtbewohner sowie die Leute aus den nördlichen, zentralen und östlichen Regionen des Landes gehen auf die Suche nach vermeintlich besseren Lebensumständen. Diese Arbeitsmigration kann sowohl positive als auch negative Konsequenzen haben. Einerseits überweisen die Wanderarbeiter eine Menge Geld an ihre Familien und tragen damit zu Wirtschaftsleistung des Landes nicht unwesentlich bei. Als die Wirtschaft im Jahr 2015 einen starken Rückgang erlebte, machte der Anteil ausländischer Geldüberweisungen 5,7 % des BIPs aus (Malynowska 2016, S. 12f.). Andererseits wird das Geld nicht vom eigenen Staat besteuert. Während die Arbeitsmigration also die Spannungen auf dem Arbeitsmarkt löst und hier ein positives Resultat erzeugt, verliert das Land viele kompetente Fachleute und aktive Erwerbsbevölkerung, was letztendlich auch zu einer nationalen demographischen Krise führt. Das Gleiche gilt auch für den kulturellen Aspekt der Arbeitsmigration. Einerseits verbreiten die Ukrainer*innen ihre Traditionen und Bräuche auf diese Weise in der Welt, andererseits lernen viele Einwanderer aber die Sprache des Empfängerlandes, um die gut bezahlten Arbeitsplätze nicht zu verlieren, passen sich teilweise unreflektiert an fremde Kultur an und verlieren nicht selten ihre ukrainische Identität. Zu den negativen Folgen der Arbeitsmigration gehört auch die Transformation des ukrainischen Familienbildes – die Entwicklung hin zu einer großen Anzahl sogenannter „distanzierter Familien“ und verlassener Kinder sowie die Auflösung persönlicher familiärer Beziehungen. Darüber hinaus spricht man von Akten der Belästigung und Diskriminierung, die Arbeitsmigrant*innen oft in vielen Ländern erleben müssen. Seit 1991 wurden mehr als 160.000 Ukrainer*innen zu den Opfern von Menschenhandel und sexueller Sklaverei, sind krank geworden, gestorben oder als vermisst gemeldet worden (Beha 2018). Die ukrainische Erwachsenenbildung hat rasch auf die Probleme und Forderungen der Wanderarbeitnehmer reagiert. Bereits zu Beginn der 2000er Jahre wurden einige Sprachkurse von der non-formalen Erwachsenenbildung mit dem Angebot die Sprachen der Länder zu erlernen, in denen damals ukrainische Arbeitsmigrant’innen aktiv einwanderten, angeboten: Italienisch, Spanisch, Portugiesisch und Griechisch. In Czernowitz beispielsweise bieten Sprachschulen bis jetzt sehr flexibel Morgen- und Abendkurse mit intensiven und traditionellen Lernmethoden an. Es gibt zudem Privatschulen, in denen Muttersprachler*innen unterrichten. Es wurde aber auch im Rahmen der Erwachsenenbildung versucht, der Arbeitsmigration ins Ausland entgegenzuwirken. Die Angebote der Umschulungskurse an vielen Universitäten des Landes, insbesondere in der westlichen Region, waren Versuche, der Auswanderung von Arbeitskräften eine Alternative anzubieten. Sie waren so organisiert, dass eine Person mit einer höheren Ausbildung während eines zweijährigen Abwesenheitsaufenthalts an einer Universität oder einem Institut eine

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zweite Hochschulausbildung und eine zweite Qualifikation erwerben konnte, die auf dem Arbeitsmarkt stärker gesucht wurde. Besondere Nachfrage bestand seit den späten 1990ern – bis zu Beginn des Jahres 2000 – nach sogenannten „neuen Berufen“ wie Psychologen, Computer-Netzwerk- und System-Ingenieuren, Sozialpädagogen oder, Übersetzern. Diese Angebote waren kommerziell. Es gab jedoch auch nicht-kommerzielle Angebote: NGOs, die im Bereich der Sozialdienste tätig sind, konnten die Gastarbeiter, die mit ihrem verdienten Geld in die Ukraine zurückkehrten und Rat brauchten, wie dieses ordnungsgemäß verwaltet werden sollte, so dass sie innerhalb kurzer Zeit nach ihren Ausgaben wieder Einnahmen generieren konnten, richtig beurteilen und einschätzen. Mit der Unterstützung von Stiftungen in Deutschland, Italien und Österreich organisierten diese NGOs kostenlose ein- und dreimonatige Businesskurse, die Kompetenzen im Bereich des Marketings, der Marktanalyse usw. vermittelten. Die Kurse hatten einen flexiblen Arbeitszeitplan und konnten auch im Rahmen eines Fernlehrgangs belegt werden.

Binnenvertriebene Die dritte Gruppe der Migranten, die so genannten Binnenflüchtlinge, sind eine große, aktuelle Herausforderung für das Land. In diesem Zusammenhang kann von Flüchtlingen oder Binnenvertriebenen gesprochen werden. Die Definition des ersten Begriffs ist in der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 festgelegt: Flüchtlinge sind Personen, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befinden, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen“. Binnenflüchtlinge (oder auch Binnenvertriebene) ist der offizielle Begriff, der für Flüchtlinge in der Ukraine verwendet wird, die vor Krieg und Verfolgung im Osten geflohen sind, aber das Land nicht verlassen haben und in eine andere Region des Landes gezogen sind. Nach dem Gesetz der Ukraine „Über die Rechte und Freiheiten der Binnenflüchtlinge“ ist der Binnenflüchtling ein Bürger der Ukraine, Ausländer oder Staatenloser, der in der Ukraine aus rechtlichen Gründen zu ständigem Aufenthalt berechtigt ist. Dieser war infolge oder mit dem Ziel die negativen Auswirkungen von bewaffneten Konflikten, die vorübergehende Besetzung, weit verbreitete Gewalt, Menschenrechtsverletzungen sowie natürliche oder von Menschen verursachte Katastrophe zu vermeiden gezwungen seinem Wohnsitz zu verlassen (Zakon Ukrainy pro zabezpechennia praw i svobod vnutrishnio

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peremishchenych osib [Gesetz über Gewährleistung von Rechten und Freiheiten der Binnenflüchtlinge] 2014, Art. 1). Nach der Annexion der Krim durch Russland und dem Verlust der staatlichen Kontrolle über einen Teil der Donetsk und Lugansk Regionen wurden viele Menschen gezwungen, ihre Wohnorte zu verlassen, und in andere Regionen der Ukraine umzuziehen. In den einheimischen wissenschaftlichen Quellen und in den Massenmedien definiert man die Menschen als „Binnenmigrant*innen“ oder „erzwungene Migrant*innen“ und in den offiziellen Dokumenten als „Binnenvertriebene“, was am ehesten dem englischen Begriff „internally displaced persons“ (IDPs) entspricht. Diese Definition ist auch in den Richtlinien der Vereinten Nationen für die Umsiedlungsbewegung der Binnenmigrant*innen verankert. Laut dem ersten Paragraph des ersten Artikelgesetzes „Über die Rechte und Freiheiten der Binnenvertriebenen“ wird als Binnenvertriebener „ein Bürger der Ukraine, Ausländer oder Staatenloser“ bezeichnet, „der aus rechtlichen Gründen auf dem Territorium der Ukraine angesiedelt ist, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht hat und gezwungen wurde, entweder aus Präventionsmaßnahmen oder in Folge negativer Auswirkungen von militärischen Konflikten vorübergehender Besetzung des Territoriums, weit verbreiteter Gewalt, Menschenrechtsverletzungen sowie technogenen oder naturbedingten Notfällen, seinen Wohnort zu verlassen“ (Zakon Ukrainy pro zabezpechennia praw i svobod vnutrishnio peremishchenych osib [Gesetz über Gewährleistung von Rechten und Freiheiten der Binnenflüchtlinge] 2014, Art. 1). Ende Februar 2016 gab es nach Angaben des Ministeriums für Sozialpolitik 1.650.000 Binnenvertriebene in der Ukraine. Etwa 22.000 davon kommen aus der Krim und mehr als 1.620.000 aus dem Osten der Ukraine (Slowo i dilo 2018). Im Jahr 2017 ist die Zahl der Binnenvertriebenen in der Ukraine um fast 200.000 zurückgegangen, und beträgt jetzt 1.364.713 (Slowo i dilo 2019). Die Besonderheit dieser Bevölkerungsgruppe ist vor allem die Tatsache, dass sie ukrainische Bürger*innen sind, die keine Grenzen überschritten haben und vor Militärmaßnahmen fliehen mussten, oft nur mit Kindern im Arm, ohne Geld und Proviant. Aufgrund von Bombenangriffen im Osten verloren viele von ihnen ihr Zuhause und das ganze Eigentum. Etwa 60 % der Binnenvertriebenen sind Rentner, 23,1 % arbeitsfähige Menschen, 12,8 % Kinder, und 4,1 % Behinderte (Smal/Pozniak 2017, S. 9; 16). Der Anteil der gemeldeten Binnenflüchtlinge beträgt etwa 4 % der Gesamtbevölkerung des Landes. Nach Angaben des Ministeriums für Sozialpolitik wurde die Mehrheit von Binnenvertriebenen in dem Donezk, Luhansk und Kharkiv Regionen und in Kiew registriert. Der geringste Anteil war in den westlichen Regionen wie Czernowitz, Iwano-Frankiwsk und Ternopil zu finden. Das zeigt die Ungleichheit der regionalen Verteilung der Vertriebenen in der Ukraine, die zu einer sozialen und administrativen Belastung für Gemeinden führt und dabei

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lokale Arbeitsmärkte und soziale Infrastruktur der Regionen überfordert. Ohne gleichmäßige Unterbringungen von Binnenvertriebenen in den Regionen ist auch die Umsetzung der Beschäftigungspolitik nicht möglich. Das Bildungsniveau von Binnenvertriebenen ist hoch. 60 % haben eine Hochschulreife, 25 % die Fachhochschulreife und 11 % haben einen Schulabschluss (Mizhnarodna orhanisatsia z mihratsii/Ministerstvo sotsialnoi polityky Ukrainy 2017, S. 6). Die größten Schwierigkeiten, denen Binnenvertriebene gegenüberstehen, sind mit den Wohnräumen verbunden (70 %). 27 % der Menschen haben Probleme mit Räumlichkeiten und Wohnbedingungen, knapp 23 % mit der Finanzierung der Miete und 20 % mit der Zahlung von Kommunaldienstleistungen. Die Beschäftigung gehört auch zu den Hauptproblemen von Binnenflüchtlingen. Der Anteil der Arbeitslosen unter ihnen beträgt 13 % (Mizhnarodna orhanisatsia z mihratsii/ Ministerstvo sotsialnoi polityky Ukrainy 2017, S. 9.11). Die Schwierigkeit, die Umgesiedelten aus Donbass zu beschäftigen, wird teilweise durch ihre Berufsbiographien erklärt. Am anfälligsten für Arbeitslosigkeit sind ehemalige Arbeiter der Kohleindustrie und der Metallurgie. Die Nachfrage nach diesen Berufen ist in anderen Regionen der Ukraine sehr gering. Für solche Migrant*innen ist das Thema der beruflichen Umschulung auf populäre und gefragte Berufe heute von großer Bedeutung. Im April und Mai 2017 wurden im Rahmen des Projektes „Konfliktmanagement und Interessenausgleich im Ost-West-Dialog: Ansätze der Sozialen Arbeit“ vom Lehrstuhl für Pädagogik und Soziale Arbeit der Nationalen Juhrij-Fedkowytsch-Universität Czernowitz die Erfahrung von Regierungs- und Freiwilligenorganisationen für Binnenvertriebene in Czernowitz untersucht. Dabei wurden narrative Interviews mit sechs Binnenflüchtlingen, vier Sozialarbeiter*innen und acht Bürger*innen aus Kiew und Czernowitz durchgeführt (Petriuk 2018, S. 8; 14; 18). Die Interviewpartner*innen beschrieben dabei Konfliktsituationen, die ihrer Meinung durch mangelnde materielle Ressourcen für das Leben und den Mangel an Wohnraum evoziert wurden: „… mit drei Kinder eine Einzimmerwohnung in Czernowitz zu mieten, der Mann arbeitet Tag und Nacht, er ist ein guter Arzt … das Geld reicht nicht einmal für die notwendigsten Dinge …“ (Interview Nr. 2, Binnenvertriebene). Aus den Interviews wurde zudem auch ersichtlich, dass nach dem Empfinden der Betroffenen die Zivilgesellschaft den Binnenvertriebenen effektiv nicht hilft sowie dass NGOs nur formal existieren, aber auch dass sie größtenteils für ein spezifisches Projekt geschaffen wurden und ihre Tätigkeit nur in diesem Rahmen zeigen:

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„… wohin sich wenden? Die meisten Organisationen für Flüchtlinge existieren nur auf dem Papier.“ (Interview Nr. 1, Sozialarbeiter) Die Bürgerrechte von Binnenflüchtlingen werden oft verletzt: „Die Flüchtlingszahlen übersteigen an vielen Orten die lokale Einwohnerzahl, aber tatsächlich sind sie entrechtet, weil sie kein Recht haben, bei den Kommunalwahlen zu wählen.“ (Interview Nr. 5, Binnenvertriebene) Bei der Analyse der Interviews mit ukrainischen Befragten wurde herausgefunden, dass sowohl Sozialarbeiter*innen als auch Binnenflüchtlinge unterschiedliche Strategien zur Konfliktverarbeitung anwenden. So ist es in der Ukraine heute ein gängiges Modell, einen Konflikt durch Schweigen zu bewältigen, wenn Menschen mit unterschiedlichen politischen Ansichten versuchen, nicht zu diskutieren, damit es keinen Konflikt gibt. Aber der Konflikt existiert bereits, er verbirgt sich und lässt sich nicht lösen: „… wir versuchen, keine politischen und militärischen Themen bei den Gesprächen zu berühren, um Streitigkeiten mit unseren Verwandten zu vermeiden …“ (Interview Nr. 4, Bürger). In den Gesprächen wurde hervorgehoben, dass Peer-to-Peer-Strategien als Methode des Konfliktmanagements gute Wirkung erzielen: „… Binnenflüchtlinge (gemeint ist als Sozialarbeiter*in) verstehen natürlich die Probleme dieser Gruppe besser als andere, sie knüpfen Kontakte mit solchen Klient*innen (gemeint mit anderen Binnenflüchtlingen) sehr gut.“ (Interview Nr. 2, Binnenvertriebene) Eine sehr effektive Strategie ist die Suche nach Übereinstimmungen und die Koordination von Interessen im Prozess des Verständnisses ihrer eigenen gemeinsamen Vorteile und der Durchführung gemeinsamer Aktivitäten: „… nachdem wir gemeinsam den Spielplatz im Hof unseres Hauses in der Ordnung gebracht hatten, sind unsere Beziehungen mit einigen Nachbarn sogar freundschaftlich geworden …“ (Interview Nr. 6, Binnenvertriebene) Die Sozialarbeiter*innen berichten von der uneinheitlichen der Struktur des lokalen Arbeitsmarktes in den Berufen der Flüchtlinge, ihren Fähigkeiten und Forderun-

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gen. Sie sprechen auch über Konfliktsituationen sowie aggressive und depressive Zustände, die sich in Menschen durch die hoffnungslose Situation entwickeln und über die fehlenden Möglichkeiten, einen Job zu finden, der für ihren Beruf relevant ist. Viele Migrant*innen wollen nicht zu einem niedrigeren Gehalt arbeiten: „Ich bot ihm mehr als 20 Gelegenheiten an, einen Job zu bekommen, aber nichts passt ihm. Er will nicht weniger Gehalt als vor vier Jahren in seinem Bergwerk erhalten …“ (Interview Nr. 2, Sozialarbeiter). Die voreingenommene Einstellung der lokalen Bevölkerung gegenüber den Binnenflüchtlingen ist recht häufig und die Befragten sprechen auch im Interview darüber. Nicht jeder kann die Gründe für diese Vorurteile erklären: „… zwei Tage lang gingen sie um acht Wohnungen herum … in einer hat die Vermieterin gesagt, dass sie prinzipiell an „Menschen aus dem Osten“ nicht vermieten wird.“ (Interview Nr. 5, Binnenvertriebene) „Wie können wir das Verständnis mit den Leuten, die die russische Armee und Putin in die Ukraine gerufen haben, die Sprache vom Okkupant sprechen, finden … und sie hassen uns auch …“ (Interview Nr. 7, Bürger). Aufgrund der Ergebnisse der Befragungen kann der Schluss gezogen werden, dass die innere Migration in der Ukraine viele Herausforderungen für die Erwachsenenbildung geschaffen hat. Die wichtigsten unter ihnen sind die Umschulung und soziale Anpassung von Binnenvertriebenen sowie die Aufklärung über Toleranz und Bürgerbewusstsein in der Gesellschaft. Am 8. Juli 2015 hat die Staatsregierung der Ukraine das Programm der Beschäftigung und Berufsausbildung der Binnenvertriebenen für die Jahre 2015 und 2016 genehmigt (Kabinet Ministriv Ukrainy 2015). In diesem Programm ist eine Reihe von Schritten für den Staat vorgesehen, um das Problem der Beschäftigung von Binnenvertriebenen zu lösen. Die wichtigste davon sind die folgenden: 1. Förderung unternehmerischer Aktivitäten unter Binnenvertriebenen. 2. Organisation der Berufsausbildung von Vertriebenen in Berufen, die auf anderen regionalen Arbeitsmärkten angefragt werden. Gemäß diesem Programm führt die staatliche Arbeitsverwaltung der Ukraine ihre Arbeit an der Berufsausbildung von Binnenmigrant*innen durch. Ein erheblicher Anteil der Personen, die sich der staatlichen Arbeitsverwaltung zugewandt haben,

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hat eine solche Ausbildung bereits absolviert. In den Ergebnissen der Studie „Bewertung der Berufsnachfrage“, die im Rahmen des Entwicklungsprogramms von den Vereinten Nationen und des Projekts „Der wirtschaftlichen und sozialen Erneuerung von Donbass“ durchgeführt wurde, stellte man fest, dass die Möglichkeiten der Umschulung sehr begrenzt sind. Der Grund dafür ist, dass dem Arbeitsmarkt vor allem erfahrene Fachleute fehlen. Ein gut ausgebildeter Fachmann kann nicht so kurzfristig ausreichend vorbereitet werden. Effektiver wäre es, den Menschen mit entsprechender Ausbildung Fortbildungskurse anzubieten und sie, betreut durch einen Mentor, praktische Erfahrungen sammeln zu lassen. Nach Meinung vieler Wirtschaftler zeigt sich eine wachsende Nachfrage nach multifunktionalen Fachleuten, die über mehrere Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen und bereit sind, wieder zu lernen, neue Aufgaben übernehmen zu können. Diese Tendenz ist für alle Berufe relevant. So wäre es für die Binnenvertrieben empfehlenswert, aufgrund eigener Berufserfahrung neue Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, und damit auch der Konkurrenz auf dem Markt widerstehen zu können. In den Arbeitnehmerkategorien, im Hinblick auf die es in allen Regionen der Ukraine eine ausreichende Nachfrage gibt, legt man in allen Bereichen besonders auf qualifizierte und erfahrene Arbeiter*innen viel Wert. Dazu gehören vor allem Industriefachleute, Middle- und Senior-IT-Spezialist*innen, Spezialist*innen im Online-Marketing, in telefonischer Kundenbetreuung sowie auch motivierte Vertriebsspezialist*innen, die auch im Fall von Rezession und sinkender Kaufkraft effizient arbeiten werden, zudem Ärzt*innen, Krankenschwestern, Call-Center-Betreiber*innen, LKW-Fahrer*innen, Buchhalter*innen, Ingenieure, Handwerker*innen (einschließlich Schneider*innen und Köch*innen) (Kyivskyi mizhnarodnyi instytut sotsiologii 2015, S.10-20) Da das Bildungsniveau von Binnenvertriebenen ziemlich hoch ist, halten sie die meisten Vorschläge regionaler Arbeitsmärkte für unattraktiv. So haben die Expert*innen des ukrainisch-kanadischen Projekts „Partnerschaft für Stadtentwicklung“ festgestellt, dass Binnenvertriebene zum Beispiel in Poltawa und Zaporizhya sogar höhere Kompetenz als Einheimische haben, besonders im Bereich der Produktion (Smal/Pozniak 2016, S. 39). Daher sollte bei Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen auch die aktuelle Situation berücksichtigt werden. Besonders viel Aufmerksamkeit sollte man den Bereichen schenken, in denen das gewünschte Ergebnis in kürzester Zeit erzielt werden kann. Derzeit beobachtet man die Nachfrage nach Arbeitskräften im Handel und Service. Dabei ist der Erfolg nicht so sehr von speziellen Kenntnissen abhängig, sondern vielmehr von der kommunikativen Kompetenz des Arbeitnehmers, seiner Organisation, Motivation und Ergebnisorientierung. Effektive Verkaufstrainings und Coachings in Verhandlungsgeschick, Präsentationen, Telefongesprächsführung, Einarbeitungsfähigkeit,

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Kundenorientierungsprinzipien, Verkaufsszenarien, Überzeugungsfähigkeit und Geschäftsplanung können für sie sehr nützlich sein. Die Erweiterung der Beschäftigungsmöglichkeiten wird auch durch die Kompetenz der Handlungsfähigkeiten im Internet gewährleistet. Es werden auch andere Arten von Spezialist*innen gesucht, die keine langfristigen Ausbildungen in Computertechnologien machen sollen, sondern, zum Beispiel, in Internetmarketing, Design und Entwicklung von Webseiten (einschließlich Online-Shops) sowie Umgang mit unterschiedlichen Softwares kompetent sind. Die Weiterbildung in der Buchhaltung soll vor allem im Zusammenhang mit Änderungen in der Gesetzgebung und neuen Softwareversion durchgeführt werden. Viele Buchhalter aus Donbass kennen diese neuen Programme nicht. Für verschiedene Kategorien von Mitarbeitern sind auch andere Fähigkeiten wichtig, wie zum Beispiel Stressbewältigung und Problemlösung, effektives Zeitmanagement und Teamarbeit, kommunikative Kompetenz und Fremdsprachen, zusätzliches Wissen um die neusten Computer-Softwares (Microsoft Office, Skype, Google Cloud), die man in der Arbeit nutzen kann (Smal/Pozniak 2016, S. 39). Regionale staatliche Verwaltungen wie Winnytsia haben Förderungsprogramme gestartet, die Binnenvertriebene bei der Gründung eigenen Geschäfts unterstützen. Dabei werden folgende Maßnahmen untergenommen: • Prüfung von unternehmerischen Fähigkeiten; • Organisation von Ausbildungskursen für Unternehmer*innen unter Berücksichtigung der Entwicklungsstrategie auf lokaler und regionaler Ebene, ökologischer Nachhaltigkeit und der Bestrebungen des zukünftigen Unternehmers; • Spezielle Kurse in Buchhaltung und Besteuerung von Kleinunternehmen, Coachings in mikroökonomischen Fragen, Marketing, Management und Unternehmensplanung; • Wirtschaftliche und finanzielle Expertise von Geschäftsideen; • Hilfe und Beratung bei der Anmeldung; • Finanzierung der Entwicklung von Unterstützungsinfrastruktur für Unternehmen, vor allem Gründerzentren, Businesszentren und Businessvereine. In verschiedenen Aufnahmeregionen setzt man verschiedene Unterstützungsprogramme für Binnenvertriebene um, die sowohl von ausländischen Spendern als auch von lokalen Behörden unterstützt werden. So wird in der Ukraine das Projekt „Reaktion auf die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Binnenvertriebenen in der Ukraine“ implementiert, das durch das Entwicklungsprogramm von den Vereinten Nationen und der Regierung von Japan in Partnerschaft mit der Regierung der Ukraine, regionalen und lokalen Behörden sowie in Zusammenarbeit

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mit anderen Organisationen der Vereinten Nationen unterstützt wird. Das Projekt wird in acht Gebieten durchgeführt. Es unterstützt Beschäftigungsprogramme für die Binnenvertrieben, Entwicklung von Selbständigkeit und Unternehmertum bei Binnenvertriebenen, psychologische und rechtliche Betreuung der Binnenvertriebenen und Vertreter*innen der Aufnahmegemeinden, Stärkung des Dialogs zwischen den Aufnahmegemeinden und den Binnenvertriebenen sowie Unterstützung von Regierungsstrukturen. Es werden auch Weiterbildungskurse für die am häufigsten angefragten Berufen durchgeführt. Dabei hat man die Möglichkeit einen Englisch-Sprachkurs und Trainings in Unternehmungsgründung zu besuchen. Es werden auch Zuschüsse für die Realisierung und Entwicklung neuer Geschäftsideen zur Verfügung gestellt. Die Höhe des Zuschusses hängt von der Anzahl der Arbeitsplätze ab, die vom Unternehmer geschaffen werden, und kann 225.000 Griwna erreichen. Im Rahmen dieses Projektes startete das Stadtkomitee der Jugendorganisation Krementschug im Gebiet Poltawa am 21. September 2015 das Projekt „Psychologische und soziale Betreuung für Binnenvertriebene Poltawa Gebiets“, das psychologische Adaptation und soziale Integration der Binnenvertriebenen fördert, und kostenlos psychologische Hilfe anbietet (Gromadskyi prostir 2015).

Schlussfolgerung Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass einige Bereiche der Erwachsenenbildung zur Verbesserung der sozioökonomischen Situation von Migranten und Binnenvertriebenen in der Ukraine beitragen. Regierungsbehörden, insbesondere Gebietsverwaltungen, sowie NGOs sind im Rahmen der Migrationskrise zu den aktiven Anbietern von Bildungsleistungen geworden. Das Potenzial der bestehenden Erwachsenenbildungseinrichtungen, insbesondere Donbass Donezk und Luhansk Universitäten, die Umschulungskurse, psychologische Schulungen usw. anbieten könnten, wird unserer Meinung nach jedoch nicht genug genutzt. Einwanderern mit Behinderungen und auch älteren Menschen geht es unter dem Aspekt der Bildungsangebote deutlich schlechter, diese Gruppe ist am wenigsten beschäftigt und hat die schlechtesten Aussichten. Ukrainische Erwachsenenbildung zielt in erster Linie darauf ab, das sozioökonomische Niveau der Migrant*innen zu unterstützen. Die politischen und kulturellen Komponenten in der Erwachsenenbildung sind aber gleichzeitig nicht gut entwickelt. Ihre weitere Entwicklung würde zu einer besseren sozio-kulturellen Integration von Migrant*innen beitragen und Missverständnisse sowie Feindschaft zwischen Siedler*innen und der lokalen Bevölkerung vermeiden.

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III Praktische Beispiele

Bildung und Ausbildung im Rahmen der Betreuung von Flüchtlingen Konzepte und Erfahrungen Stefan Wagner

Zusammenfassung

In den Jahren 2015 und 2016 kam eine große Zahl von geflohenen Menschen nach Deutschland, deutlich mehr als der normale Flüchtlingszuzug in den Jahren zuvor. Der Anstieg des Zugangs Asylsuchender hatte aber schon 2014 begonnen. Bereits damals gab es Anzeichen, dass die Zuzüge nochmal steigen würden. Mit der Aufnahme – vor allem der Menschen aus Syrien – und der Durchführung des Asylverfahrens war aber auch sehr schnell klar, dass der Unterstützungsbedarf mit Abschluss des Asylverfahrens nicht enden wird, sondern ihr Integrationsprozess erst startet. Wer kommt nun zu uns, was erwartet diese Menschen bei uns und wie können wir sowohl von Seiten der Caritas aber auch der Zivilgesellschaft sie dabei unterstützen, darum wird es in diesem Artikel gehen. Caritas als Wohlfahrtsverband der Katholischen Kirche widmet sich seit langem aus einer christlichen Verantwortung heraus in einer anwaltlichen und solidaritätsstiftenden Funktion sowie als Dienstleister für Menschen in Notsituationen vielfältige Unterstützung. Gerade Menschen auf der Flucht, brauchen hier unser besonderes Augenmerk. Caritas bietet beinahe flächendeckend Asyl- und Migrationsberatung an und ist mit gut 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der größte Anbieter in Bayern.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Kloubert (Hrsg.), Erwachsenenbildung und Migration, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26863-3_12

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Wer kam zu uns? Es kamen Menschen aus den Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien, Afghanistan, Iran, Irak, Eritrea und anderen afrikanischen Ländern wie Nigeria oder Somalia aber auch Menschen vom Westbalkan, deren Rückführung zu dieser Zeit schon intensiv betrieben wurde. Es kamen ebenfalls Menschen zu uns, die sich aufgrund ihrer großen Armut und kaum Lebensperspektiven in ihren Ländern oder auch aufgrund der klimatischen Veränderungen auf den Weg gemacht hatten.

Wenn wir nun von Flüchtlingen sprechen, wer ist damit gemeint? Der Begriff „Flüchtling“, wie wir ihn landläufig gerne verwenden, ist eigentlich ein unbestimmter Rechtsbegriff und subsummiert alle Menschen, die in unser Land flüchten und hier Asyl suchen. In unseren Gesetzen bspw. dem Asyl- oder dem Aufenthaltsgesetz haben wir mittlerweile über hundert Aufenthaltszwecke definiert, mit denen, wohl ausdifferenziert, Rechte verbunden sind oder abgesprochen werden und sich damit Perspektiven und Möglichkeiten eröffnen oder verschließen und Hoffnungen aufbauen oder enttäuscht werden, mit denen wiederum unsere hauptamtlichen Mitarbeiter, die Ehrenamtlichen, aber auch die Nachbarn von Flüchtlingsunterkünften und die restliche Bevölkerung konfrontiert sind und umgehen lernen müssen.

Welche Begrifflichkeiten tauchen im Zusammenhang mit Aufenthaltstitel auf, die hier relevant sind? • • • • • • •

Asylsuchende/Asylbewerber*innen Asylberechtigte nach dem Grundgesetz Subsidiär Schutzberechtigte Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention Abgelehnte Asylbewerber*innen Geduldete Kontingentflüchtlinge

Diese Begriffe werden uns noch öfter begegnen, wenn erläutert wird, was für Möglichkeiten und Rechte sich dahinter verbergen und welche Unterstützungsangebote dabei denkbar sind.

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Ablauf und Phasen des Asylverfahrens Um nun aber die Zusammenhänge noch besser verstehen zu können, ist es nötig einen Blick auf den Ablauf und die Phasen des Asylverfahrens zu werfen.

Ablauf Eine Person überschreitet die bundesdeutsche Grenze und wird von der Bundespolizei aufgegriffen oder meldet sich freiwillig bei einer Behörde und fragt nach Asyl. Dann wird zunächst von der Bundespolizei überprüft, ob es nach den europäischen Abkommen bereits Einträge in Asyl-Datenbanken in anderen Ländern der EU über diese Person gibt. Sollte dies der Fall sein, können Asylsuchende, die in Österreich registriert sind, direkt an der Grenze gleich wieder dorthin zurückgeschickt werden. Sollte es einen Treffer im EURODAC-System (European Dactyloscopy – Europäische Datenbank für Fingerabdrücke) in einem anderen Mitgliedsstaat geben, wird ein sogenanntes Dublin-Verfahren angestrengt und dieses Land um Rückübernahme gebeten. Der Asylsuchende bleibt dann allerdings nicht in den Räumen der Polizei, sondern wird, wie alle anderen, für die es keine Treffer gibt, in sogenannte AnkER-Einrichtungen (Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtung) gebracht. In Bayern sind dies sieben, mit etwaigen Dependancen (Manching, Deggendorf, Regensburg, Bamberg, Schweinfurt, Zirndorf bei Nürnberg und Donauwörth). Bis 01.08.2018 hießen diese Einrichtungen Erstaufnahmeeinrichtungen oder auch Ankunftszentren. In diesen AnkER-Einrichtungen stellen die Asylsuchenden ihren Asylantrag und verbleiben dort mindestens für die Dauer ihres Asylverfahrens, bei einer Ablehnung des Asylgesuchs kann der Aufenthalt in diesen Einrichtungen auch bis zu zwei Jahre dauern. Bei einem positiven Bescheid, also einer Anerkennung als Asylsuchender und Erteilung eines Bleiberechts, dürfen die Personen dann ausziehen und eine Wohnung suchen, ihre Familie nachholen oder müssen in Gemeinschaftsunterkünfte umziehen, falls sich das Asylverfahren länger gestaltet.

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Welche Aufenthaltstitel gibt es und welche Folgen hat dies? Die Aufenthaltstitel, die während des und nach dem Asylverfahren relevant sind, finden sich im Asylgesetz (AsylG) und werden dort näher ausgeführt.

Während des laufenden Asylverfahrens: • BÜMA • Gestattung

Nach positivem Bescheid: • • • •

Anerkennung Aufenthaltserlaubnis für 3 Jahre Aufenthaltserlaubnis für 1 Jahr Niederlassungserlaubnis

Nach negativem Bescheid: • Ablehnung • Grenzübertrittsbescheinigung • Duldung Nun möchte ich die Aufenthaltstitel, die jeweils zugehörigen Regelungen und die entsprechenden Unterstützungsmöglichkeiten im Einzelnen etwas näher erläutern:

ad a) Während des laufenden Asylverfahrens: Während des laufenden Asylverfahrens bzw. unmittelbar nach Stellung des Asylantrags gibt es zwei Aufenthaltstitel: Die BÜMA (Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender) – AsylG § 63: Dieser Aufenthalt wird vorübergehend gestattet, bis der Asylsuchende durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als Asylbewerber registriert wurde. Diese Erlaubnis ist solange gültig, bis eine Aufenthaltsgestattung ausgestellt wurde oder sie erlischt. Solange die BÜMA gilt, bedeutet dies eine Wohnpflicht in einem AnkER-Zentrum, dem die Asylsuchenden zugewiesen wurden. Eine Arbeitsaufnahme ist nicht erlaubt (AsylG § 61(1)). Während dieser Zeit gilt es, den Personen ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, mit ihnen ihr Asylverfahren vorzubereiten und, falls möglich, auch schon mit ganz

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einfachen Sprachkursen zu beginnen, die häufig von Ehrenamtlichen organisiert und angeboten werden. Die Aufenthaltsgestattung – AsylG § 55: Diese folgt der BÜMA nach und erlaubt den Aufenthalt im Bundesgebiet zur Durchführung des Asylverfahrens. Es wird auch hier eine Wohnsitzauflage ausgesprochen, die vorschreibt, in einer AnkER-Einrichtung zu wohnen. Zusätzlich gilt auch die sog. Residenzpflicht nach §§ 56 und 59a AsylG. Dies bedeutet, dass die Personen eine gewisse Region – einen Regierungsbezirk aber auch einen Landkreis oder eine kreisfreie Stadt sind denkbar – ohne Erlaubnis nicht verlassen dürfen. Die Erwerbstätigkeit kann durch die Ausländerbehörde während dieser Zeit grundsätzlich erst dann erlaubt werden, wenn sich die Asylbewerber länger als drei Monate erlaubt, gestattet oder geduldet in Deutschland aufhalten. Die Vorrangprüfung durch die Bundesagentur für Arbeit ist grundsätzlich in 133 Agenturbezirken ausgesetzt, bis auf gewisse Ausnahmen, welche die besondere regionale Arbeitsmarktlage berücksichtigen. Die Beschäftigungsbedingungen hingegen werden immer geprüft und Leiharbeit ist möglich. Während der Zeit der Gestattung, also während des laufenden Asylverfahrens, kann auch eine Ausbildung in einem Lehrberuf oder auch eine schulische Ausbildung begonnen werden, diese muss auch nach den oben genannten Bedingungen erlaubt werden, was im Falle einer Ablehnung neue Chancen eröffnet. Für Asylbewerber aus Herkunftsländern mit guter Bleibeperspektive im laufenden Asylverfahren ist der Zugang zu Basisintegrationskursen mit 320 Stunden geöffnet worden. Dies betrifft vor allem Menschen aus Syrien, Iran, Irak, Eritrea sowie Somalia, jedoch nicht Afghanistan. Die Unterstützungsmöglichkeiten, die sich hier ergeben, umfassen Vermittlung in geeignete Schulen und Kindergärten, Begleitung der schulpflichtigen Kinder bei der Bewältigung ihrer Hausaufgaben sowie Unterstützung im Asylverfahren mittels Verfahrensberatung. Die Beratungsstellen helfen den Menschen aber auch dabei, eine Beschäftigung oder Lehrstelle zu finden. Hier ist es oft auch sehr hilfreich, wenn Patenschaften in die Wege geleitet werden. Diese werden auch durch die Caritas organisiert, indem Ehrenamtliche akquiriert werden, die sich bereit erklären, dies zu tun. Diese werden dann in ihrer Patenschaft begleitet und angeleitet. Diese erhöht die Erfolgschancen enorm, weil es jemanden gibt, der sich im intensiven persönlichen Kontakt für einen Flüchtling einsetzt und ihn bei allen wichtigen Schritten begleitet und damit als Mentor fungiert. Für Menschen aus sicheren Herkunftsländern, die im Grundgesetz Art. 16 eingeführt und im Asylgesetz § 29a definiert werden, gelten eigene Regelungen. Welche Länder auf der Liste der sicheren Herkunftsländer stehen, findet sich in Anhang

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II des Asylgesetzes. Aktuell sind dies neben den EU-Staaten Kosovo, Albanien, Montenegro, Serbien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Ghana und der Senegal. Menschen aus diesen Herkunftsländern, die einen Asylantrag stellen, verbleiben bis zur Abschiebung in AnkER-Einrichtungen. Es gilt ein generelles Arbeitsverbot, auch wenn sie im Besitz einer Duldung sein sollten. Diese Menschen beraten und begleiten wir in ihrem Asylverfahren, versuchen mit ihnen aber auch Perspektiven für ihre Rückkehr in ihre Herkunftsländer aufzubauen oder sie dabei zu unterstützen einen konkreten Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden, für den sie dann nach der Rückkehr in ihre Herkunftsländer einen Visumsantrag stellen können. Die Perspektivenlosigkeit ist hier sehr hoch, weil die Armut in diesen Ländern drückend ist und die Menschen z. T. wenige Chancen haben. Vor allem die Kinder werden motiviert, eine Schule zu besuchen und in sog. Übergangsklassen zumindest die Grundlagen der deutschen Sprache zu lernen, damit ihre Bildungschancen nicht gänzlich vergeben werden und dem Recht auf Bildung Rechnung zu tragen. Hiermit verfolgen wir auch das Ziel, dass die Idee der Bildung als hohes Gut möglicherweise auch in die Herkunftsländer getragen wird. Diese Menschen müssen wir aber auch als Botschafter unseres Landes betrachten, die nach ihrer Rückkehr berichten, wie man in Deutschland mit ihnen umgegangen ist. Je positiver dieser Eindruck ist, umso eher können auch später wieder positive Beziehungen aufgebaut werden. Sollten die Erlebnisse jedoch negativ sein und die Berichte dementsprechend, werden sich diese Länder möglicherweise andere (Handels-)Partner suchen.

ad b) Nach positivem Bescheid: Falls nun ein Asylsuchender einen positiven Bescheid zugestellt bekommt, erhält er auch ein befristetes Bleiberecht und damit verbunden auch die Möglichkeit, die vom Staat angebotenen und gesetzlichen Integrationsleistungen in Anspruch zu nehmen, wie Integrationskurse, berufsbezogene Sprachkurse, unbeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt, Reisefreiheit u. a. m. Beim Prozess der Integration bekommen die Anerkannten auch vielfältige Unterstützungsmöglichkeiten, wie etwa Beratung, den richtigen Integrationskurs zu finden oder auch bei der Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen Abschlüsse etc..

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ad c) Nach negativem Bescheid: Wird der Asylantrag abgelehnt, erhält der abgelehnte Asylbewerber seinen Ablehnungsbescheid schriftlich vom BAMF zugestellt und wenig später Post durch die Ausländerbehörde, wo ihm mitgeteilt wird, dass er oder sie vollziehbar ausreisepflichtig ist und das Land freiwillig verlassen möge. In diesem Fall gibt es wiederum zwei mögliche Aufenthaltstitel: Grenzübertrittsbescheinigung (GÜB im Behördenjargon): Eine Grenzübertrittsbescheinigung erhält, wer das Land unmittelbar verlassen muss und hierfür eine Frist von der zuständigen Ausländerbehörde gesetzt bekommt. Ausstellungen einer GÜB nehmen immer mehr zu. Falls binnen dieser Frist das Land nicht freiwillig verlassen wurde, werden behördlicherseits aufenthaltsbeendende Maßnahmen – also die Abschiebung – vorbereitet und eingeleitet, sofern dies möglich ist, insofern ein Pass vorliegt, ein Rückübernahmeabkommen geschlossen wurde oder Reisefähigkeit besteht. Duldung – AsylG § 60a: Wird ein Asylantrag abgelehnt, aber eine Abschiebung beispielsweise aufgrund von Krieg im Herkunftsland, Reiseunfähigkeit, fehlender Verkehrsverbindungen oder auch fehlender Dokumente nicht möglich ist, stellt die Ausländerbehörde eine Duldung aus und kann die Abschiebung aussetzen. Die Duldung wird immer nur für einen relativ kurzen Zeitraum erteilt und ist kein Aufenthaltstitel im eigentlichen Sinne, der Aufenthalt wird lediglich geduldet und kann jederzeit widerrufen werden. Der Aufenthalt wird immer nur für maximal drei Monate geduldet, dann muss er verlängert werden. Geduldete haben mittlerweile unter gewissen Voraussetzungen, wie etwa eine gewisse Aufenthaltsdauer, die Möglichkeit einen Integrationskurs zu besuchen. Für die Ausübung einer Beschäftigung gibt es strenge und restriktive Regelungen, die Duldungsinhaber*innen die Entscheidung erleichtern sollen, freiwillig in ihre Herkunftsländer zurückzukehren. Eine Beschäftigung darf jedoch nicht erlaubt werden, wenn der Verdacht besteht, dass Sozialleistungen erschlichen werden sollen, selbstverschuldet aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können sowie bei Staatsangehörigen aus sicheren Herkunftsländern. In allen anderen Fällen kann eine Arbeitserlaubnis erteilt werden, eventuell gilt dabei die Vorrangprüfung. Genauso kann auch eine Ausbildungsduldung für eine Ausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf erteilt werden. Diese sog. 3+2-Regelung wurde in Bayern nun erweitert auf die schulische Ausbildung als Pflegehelfer. Die

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Duldung soll für die gesamte Ausbildung erteilt werden, um sowohl den Arbeitgebern aber auch den Auszubildenden, also den abgelehnten Asylbewerber*innen, ein gewisses Maß an Sicherheit zu geben. Bayern erteilt diese aber nur für jeweils ein Ausbildungsjahr zur zwischenzeitlichen Beurteilung des Erfolges. All dies müssen Geduldete aber auch die jeweiligen Lehrherren und -frauen wissen, um eine positive Entscheidung für eine Bewerberin oder einen Bewerber zu treffen und sich durch die kurzen und vermeintlich unsicheren Aufenthaltsperspektiven nicht abschrecken zu lassen. Bei der Vorbereitung und Umsetzung dieser Schritte können unsere Dienste begleiten. Eine weitere Unterstützungsmöglichkeit bietet der Jugendmigrationsdienst, der junge Migrant*innen zwischen 12 und 27 Jahren bei ihrem Übergang von der Schule in den Beruf oder auch beim Berufseinstieg durch vielfältigste Hilfen und Netzwerke begleitet. Bei Inhaber*innen von Duldungen, die auch eine Arbeitserlaubnis haben, gilt es zu beachten, dass die Ausländerbehörde ein Arbeitsverbot als Sanktion erteilen kann. Die Begleitung dieser Menschen durch unsere Dienste und Angebote beinhaltet oft auch Unterstützung in Zeiten der Hoffnungslosigkeit, vor allem dann, wenn beispielsweise der ablehnende Asylbescheid zugestellt wurde, wenn sie keine Arbeitserlaubnis erhalten haben oder auch immer dann, wenn die Verlängerung der Duldung bevorsteht. Die freiwillige Rückkehr ist hier immer eine Option, die in Erwägung gezogen wird. Auch hier werden die Menschen intensiv von Caritas begleitet. Dies geschieht in einem ergebnisoffenen Prozess der Entscheidungsfindung, durch Praktika vor der Rückkehr, Kurse oder finanzielle Hilfen, um die Existenzgründung im Herkunftsland zu fördern und erleichtern.

Was Flüchtlinge erwarten. Geflüchtete, die in unser Land kommen, haben eine Vielzahl an Erwartungen, angereichert durch Berichte, Erzählungen und Einflüsterungen anderer Flüchtlinge oder auch unterschiedliche Informationen aus dem Internet. Aus meiner Erfahrung würde eine unvollständige Liste dieser Erwartungen etwa so lauten: • • • • •

Sicherheit Aufenthalt Arbeit festes Einkommen eine Zukunft für sie und ihre Familie

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• • • • • • •

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Wohnung stabile Verhältnisse Frieden Partizipation Anteil an der Konsumgesellschaft Anerkennung ihre Familie nachholen zu können

Was erwartet nun Flüchtlinge, wenn sie hier ankommen? Wenn Asylsuchende in Bayern ankommen, treffen die Erfahrungen, die sie in der Realität machen auf die Erwartungen, mit denen sie hierhergekommen sind und die häufig nicht übereinstimmen. Diese Widersprüche aufzuklären und einzuordnen, sind eine große Herausforderung für die hauptamtlichen Berater*innen als auch die ehrenamtlichen Unterstützer*innen. • • • • • • • • • • • • • • •

Aufgreifen und Aufnahme durch die Polizei Unbestimmter Aufenthalt in großen Camps mit Zäunen und Security Undurchsichtiger Dschungel von gesetzlichen Regelungen und Fallstricken Lange Verfahrensdauern mit ungewissem Ausgang Leben in Mehrbettzimmern ohne Privatsphäre Residenzpflicht Sachleistungen anstatt Geldleistungen Unbekanntes Essen Neue Lebensgewohnheiten Gefühl der Ablehnung durch Politik und Teile der Bevölkerung Rassismus Rückkehr Perspektivlosigkeit Andere, fremde Kultur Große Hilfsbereitschaft

Herausforderungen und was wir tun können: Welche Herausforderungen stellen sich und welche Unterstützungsmöglichkeiten können wir als Caritas bieten?

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Bei Asylverfahren und anderen behördlichen Verfahren: In allen behördlichen Verfahren bieten wir Unterstützungsmöglichkeiten, die beim Erläutern der Verfahren beginnen, aber auch Hilfe bei der Antragstellung und beim Ausfüllen der Formulare beinhalten. Daneben gibt es das Angebot der Vermittlung von Informationen in Gruppenangeboten, manchmal findet auch Begleitung bei Behördengängen statt ebenso wie bei ablehnenden oder falschen Bescheiden die Aufklärung über das Einlegen eines Widerspruchs und die Vermittlung zu Fachanwälten. Um die Informationen auch gut verständlich vermitteln zu können und Sprachbarrieren zu überwinden, suchen wir Dolmetscher oder Übersetzer, vermittelt diese und schulen sie in interkulturellen Kenntnissen. Für manche Tätigkeiten gewinnen wir auch Ehrenamtliche, die geschult und in ihrem Engagement begleitet werden. Die Hilfsbereitschaft ist glücklicherweise immer noch hoch, obwohl es gerade in AnkER-Einrichtungen schwieriger geworden ist, Freiwillige zu finden.

Aufenthalt Vorrangiges Ziel der Asylsuchenden ist eine möglichst schnelle Aufenthaltssicherung. Bis es jedoch soweit ist, bieten wir frei nach dem Motto „Wie funktioniert Deutschland/Bayern“ Orientierung in unserer Gesellschaft an. Auch hierfür brauchen wir Ehrenamtliche, die uns hier unterstützen. Wir erklären daneben die Strukturen und Chancen in unserer Gesellschaft, damit sich möglichst keine unerfüllbaren Erwartungen aufbauen können. Gibt es eine Bleibeperspektive, bieten wir auch hier Orientierung an und begleiten Menschen bei den Möglichkeiten, die sie mit ihrem jeweiligen Aufenthaltstitel haben.

Schule, Bildung Kinder und Jugendliche unterliegen der Schulpflicht und müssen dieser nachkommen. Welche Chancen sich durch eine gute Bildung und Ausbildung bieten, muss Menschen, die neu in unserem Land sind, zumeist erst erläutert werden. Unterstützung in der schulischen Entwicklung leisten wir durch unsere zahlreichen Hausaufgabengruppen, Patenschaften sowie Sprachtandems, in denen ein Flüchtling mit einer einheimischen Person Deutsch lernen kann. Eine wichtige Aufgabe liegt daneben auch darin, Lernräume zu schaffen, in denen das Lernen für Kinder gut möglich sein kann.

Beruf, Anerkennung Sowohl die berufliche Anerkennung als auch die Einmündung in den Arbeitsmarkt in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stellen eine große

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Herausforderung für beide Seiten dar. Zum einen bringen gerade Geflüchtete oft keine Dokumente über ihre berufliche Laufbahn mit, zum anderen sind die Fähigkeiten, die sie haben, oft praktisch erlernt und nicht mit einem Zertifikat belegbar. Dies stellt unser durchstrukturiertes System vor schier unüberbrückbare Hürden. Dennoch hat laut einer Statistik der Arbeitsagentur etwa ein Drittel aller seit 2015 aus Kriegsgebieten eingereisten Personen, das sind etwa 61.500 Personen, ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Die geringfügig Beschäftigten sind hier nicht einbezogen. Mit allen unseren Diensten und Angeboten, wiederum unterstützt durch Ehrenamtliche, helfen wir bei der Suche nach Möglichkeiten zur Probearbeit, bieten gemeinnützige Tätigkeiten und Praktika an oder helfen bei der Suche nach diesen. Jobpatenschaften sind hier unersetzbar. Wichtig ist hierbei unsere Devise „Ausbildung vor Beschäftigung“, auch wenn dies nicht immer die Vorstellungen der Flüchtlinge trifft, die oft schnell Geld verdienen möchten und müssen. Dennoch versuchen wir gerade hier den Gedanken der Nachhaltigkeit zu verbreiten. Ein wichtiger Aspekt, den die Politik besser regen müsste, ist der frühzeitige und erleichterte Zugang zu Ausbildung und Beschäftigung und nicht die restriktiven Verbote und damit das Verdammen in die Untätigkeit. Dies fördert nicht die Motivation, etwas zu lernen, Kurse zu besuchen oder Deutsch zu lernen. Verwehrte Arbeitserlaubnisse, die zur Untätigkeit verdammen, sorgen nicht unbedingt für eine hohe Akzeptanz der betroffenen Personen und -gruppen in der Bevölkerung.

Wohnraum Das Thema leistbaren Wohnraum zu finden ist eine große Herausforderungen unserer Gesellschaft. Wie bei uns das Wohnen gestaltet ist – von der Mülltrennung bis hin zu gemeinschaftlichen Aufgaben, aber auch beispielsweise Lärmbelästigung – müssen zugewanderte Menschen oftmals erst lernen. Hierbei unterstützen wir sie mit Mietbefähigungskursen. Zudem schulen und sensibilisieren wir Vermieter, Genossenschaften und die Nachbarschaft. Auch hier haben sich Patenschaften bewährt. Gleichwohl bietet das Thema aber ein hohes Frustrationspotenzial auf Seiten der Vermieter und Mieter und nicht zuletzt der Nachbarn. Dass es viel zu wenig erschwinglichen Wohnraum gibt, führt dann dazu, dass Flüchtlinge selten Wohnungen bekommen und als sogenannte Fehlbeleger weiterhin in Unterkünften wohnen müssen, obwohl sie gerne ausziehen würden, vor allem Familien mit ihren Kindern.

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Stefan Wagner

Orientierung in unserer Gesellschaft Eine weitere große Herausforderung besteht darin, dass viele Geflüchtete aus Herkunftsländern kommen, in denen eine andere Kultur vorherrscht und wo der Religion eine andere gesellschaftliche Rolle zukommt. Sie werden unvermittelt mit unserer Form des Zusammenlebens, unseren Werten und Normen sowie den Erwartungen an sie konfrontiert. Oft ist dies mit dem Gefühl verbunden, dass sie sich mutwillig so verhalten, wie sie es aus ihrer alten Heimat gewohnt sind und sich auch nicht bemühen, hier geltende Regeln und Verhaltenscodices anzunehmen. Vielfach verhält es sich jedoch so, dass ihnen niemand erklärt hat, was bei uns wichtig ist, welche demokratischen Prinzipien wir leben und allen voran die Gleichberechtigung von Mann und Frau, aber auch die Meinungsfreiheit. Hier werden Wertekurse durch das Justizministerium angeboten, in Sprachkursen vermittelt und zudem immer wieder wiederholt und vorgelebt. Diese Kurse werden in der Regel sehr gut angenommen, verweilen aber ganz häufig längere Zeit bei dem Thema Gleichberechtigung von Mann und Frau, meist ohne im ersten Schritt zu einem gegenseitigen Verständnis zu führen. Hier bedarf es kontinuierlicher und vertiefender Auseinandersetzungen, für die es leider bislang wenig Formate und Gelegenheiten gibt. Weitere Themen, die etwa im Rahmen von Sprach- oder Konversationskursen behandelt werden, sind: wie verbringen wir unsere Zeit, wie pflegen wir Beziehungen, den Umgang mit Individualismus und Emotionalität, wie behandeln wir die Kategorien Leistung, Herkunft, und Macht (um nur einige Kulturdimensionen zu nennen). Diese müssen Beachtung finden, damit wir uns gegenseitig verstehen und akzeptieren lernen und das Zusammenleben gelingen kann.

Konflikte in Einrichtungen und mit der Nachbarschaft Unsere Mitarbeiter*innen und ehrenamtlich Engagierten werden oft involviert, wenn es Konflikte in Flüchtlingsunterkünften oder in der Umgebung gibt. Sie sollen intervenieren und diese Konflikte schlichten. Dies kann gelingen, je nachdem welche Rolle die jeweilige Person im System spielt, wie oft sie vor Ort präsent ist und ob sie als Vermittler akzeptiert wird. Diese Konflikte können sich innerhalb der Unterkünfte zwischen einzelnen Bewohner*innen, zwischen Bewohnergruppen oder auch mit der Nachbarschaft entwickeln. Informationsabende, an denen auch die Wohnbevölkerung über die Kulturen der Flüchtlinge informiert wird und sie so Verständnis für die anderen Lebensgewohnheiten bekommen soll, können hilfreich sein, um Konflikte zu vermeiden.

Bildung und Ausbildung im Rahmen der Betreuung von Flüchtlingen

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Wichtig ist aber auch immer wieder, Bildungsmaßnahmen, wie Mülltrennung funktioniert, wie das Thema Sauberkeit zu behandeln ist, o. ä. anzubieten. Die Motivation, sich hier zu engagieren, steht und fällt mit den Chancen und Perspektiven, die jemand hier bekommt und der Anerkennung, die er oder sie erfährt. Diese Themen greifen wir auch in Mitarbeiterfortbildungen und Teambesprechungen auf und entwickeln sie weiter.

Ehrenamt Sehr große Unterstützung in vielen Bereichen unserer Arbeit erfahren wir durch ehrenamtliches Engagement: Vom Sprachkurs über Sprachpaten, Lernpatenschaften, Hausaufgabenhilfe, Organisation von Kleiderkammern, handwerklicher Unterstützung, Umzugshilfen, Jobpat*innen, sportliche Aktivitäten, Fahrdiensten, Begleitung zu Behörden oder Ärzten und viele weitere Bereich. Ohne diese Unterstützung wären wir bei unseren Integrationsbemühungen heute nicht dort, wo wir stehen. Wie viele Ehrenamtliche sich hier engagieren können wir zahlenmäßig nicht genau beziffern, aber es war eine erhebliche Anzahl, die in die Tausende geht. Bedauerlicherweise hat die Zahl der Engagierten deutlich abgenommen. Dies resultiert häufig aus einer hohen Frustration durch erlebte Behördenwillkür und restriktive Maßnahmen und damit verbunden eine subjektiv erlebte mangelnde Anerkennung und Wertschätzung des eigenen Engagements. Manche fühlen sich mittlerweile aber auch ausgebrannt und überfordert.

Projektarbeit Unsere regulären Angebote im Hinblick auf Beratung, Jugendsozialarbeit und Arbeitsmarktinitiativen unterstützen wir immer wieder durch gezielte Projekte, um unser pädagogisches Angebot vielfältig und den jeweiligen Bedürfnissen angemessen gestalten zu können. Dies können Migrant*innen-Cáfes, Tanzgruppen, Kochkurse oder auch Konversationsgruppen und vieles mehr sein. Ein Vorteil dieser niederschwelligen Angebote ist, dass die Zugangshürden sehr gering sind und viele „einfach so“ daran teilnehmen können. Bei manchen dieser Projekte ist es bedauerlicherweise so, dass zu wenige Einheimische darin partizipieren und mitmachen. Dies bedauern vor allem die Migrant*innen sehr, weil sie das Gefühl haben, in ihrer Entwicklung und ihrer Integration nicht so stark unterstützt werden.

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Stefan Wagner

Motivation Einen besonders wichtigen Bereich stellt die Motivation dar: Die Motivation der Geflüchteten, hier anzukommen und ein Teil unserer Gesellschaft zu werden. Ob man die hier gelebten Prinzipien anerkennt, hängt oft damit zusammen, wie man willkommen geheißen wird, wie respektvoll der Umgang ist und welche Akzeptanz man erfährt. Die Motivation der aufnehmenden Gesellschaft, neuzugewanderte Menschen willkommen zu heißen, hängt in hohem Maße vom Wissen um die Geschichte des Gegenüber ab, wie sehr sie sich darum bemühen, Aufnahme zu finden sowie von Kategorien wie Dankbarkeit und dem Bemühen, sich an gewisse Lebensgewohnheiten in der Öffentlichkeit anzupassen. Hierfür braucht es Angebote, in denen dieses Wissen vermittelt wird. Dabei ist ein hohes Maß an Reflexionsfähigkeit gefragt. Dies zu begleiten, verlangt nach akzeptierten Multiplikatoren, die in die Gesellschaften wirken, um immer wieder auch Haltungen und Verhaltensmuster zu hinterfragen.

Begegnungsmöglichkeiten mit Einheimischen Jedes Bemühen um Integration scheitert, wenn es keine Möglichkeit der Interaktion und Begegnung mit der einheimischen Bevölkerung gibt. Dies kann bei Nachbarschaftsfesten, bei gemeinsamen Aktivitäten, bei Kindergeburtstagen, bei Vereinen und vielen anderen Veranstaltungen sein. Die Bereitschaft zu fördern, uns als Gesellschaft zu öffnen, stellt uns immer wieder vor große Herausforderungen. Wir bieten hierzu Informationsabende, Erfahrungsberichte von gelungenen Beispielen in verschiedenen Formaten und Medien sowie Begegnungsmöglichkeiten an. Dies kann die Bereitschaft zur Öffnung der Gesellschaft fördern.

Ausländerfeindlichkeit, Rassismus Das Thema Zuwanderung und vor allem die negativen Auswirkungen überlagern oft jegliche fachliche Diskussion über andere gesellschaftlich relevante Themen. Dies schürt eine latente, oft sogar offen artikulierte Fremdenfeindlichkeit und führt verkürzt dargestellt zu Grenzverschiebungen in den Bereichen, was gedacht und artikuliert wird und wie dann gehandelt werden kann. Sehr viele Kräfte unserer Gesellschaft versuchen dem mittlerweile wieder etwas Positives entgegenzusetzen. Wir unterstützen diese Gruppen oder Einzelpersönlichkeiten mit unserem Know-How diesbezüglich, aber auch durch politische Bildungsangebote. Es finden

Bildung und Ausbildung im Rahmen der Betreuung von Flüchtlingen

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Coachings, Supervisionen, Gruppengespräche für Reflexionen aber auch Planungen in Form einer Zukunftswerkstatt statt. Unsere Dienste und Mitarbeiter stehen in der Öffentlichkeit unter Beobachtung, wie sie denn gegenüber wem handeln, wen sie wie unterstützen und wie sie sich in Diskussionen, in ihren Familien oder auch Freundeskreisen artikulieren. Gleichwohl werden wir sowohl als Verband, als auch als Bürger nicht müde, an der Integration und einer gerechteren Chancengleichheit mitzuarbeiten.

Fazit Wir versuchen mit unseren Angeboten und unserer Unterstützung in vielfältiger Weise der einheimischen Bevölkerung aber auch den Asylsuchenden unter die Arme zu greifen. Dies erfordert einen hohen Personaleinsatz, den wir nicht immer in der gewünschten Weise leisten können, weil uns haupt-, wie ehrenamtliches Personal fehlt. Hier gilt es Konzepte zu entwickeln, wie wir trotz reduzierter Kapazitäten möglichst vieles anbieten können. Eine Herausforderung, die sich uns ebenfalls stellt, ist die, dass wir uns als unabhängiges Angebot behaupten können, wenn immer öfter die öffentliche Seite mit ähnlichen Initiativen auf diesen Markt drängt. Abschließend kann aber festgestellt werden, daß wir mit unseren Leistungen ganz viel erreicht haben, worauf wir zurecht stolz sein können.