Erster Kreuzzug und Ethnogenese: In novam formam commutatus - Ethnogenetische Prozesse im F|rstentum Antiochia und im Königreich Jerusalem (Nova Mediaevalia) (German Edition) 9783847104322, 9783847004325, 9783737004329, 3847104322

119 20 5MB

German Pages [400]

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Erster Kreuzzug und Ethnogenese: In novam formam commutatus - Ethnogenetische Prozesse im F|rstentum Antiochia und im Königreich Jerusalem (Nova Mediaevalia) (German Edition)
 9783847104322, 9783847004325, 9783737004329, 3847104322

Citation preview

Nova Mediaevalia Quellen und Studien zum europäischen Mittelalter

Band 13

Herausgegeben von Nikolaus Henkel und Jürgen Sarnowsky

Timo Kirschberger

Erster Kreuzzug und Ethnogenese In novam formam commutatus – Ethnogenetische Prozesse im Fürstentum Antiochia und im Königreich Jerusalem

V& R unipress

®

MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen

www.fsc.org

FSC® C083411

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-6231 ISBN 978-3-8471-0432-2 ISBN 978-3-8470-0432-5 (E-Book) ISBN 978-3-7370-0432-9 (V& R eLibrary) Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Graduiertenschule für Geisteswissenschaften Göttingen (GSGG). Ó 2015, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, 37079 Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Die Kreuzigung Christi aus dem Psalter der Königin Melisendis Ó The British Library Board, MS Egerton 1139, fol. 8r Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Zum Alten Berg 24, 96158 Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Gewidmet meinem Großvater Karl Fey (1926–2014)

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

I.

17 17

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik . . . . . . . 1. Ethnogenese und Kreuzzugsforschung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Panlatinismus oder Partikularismus? – Antiochia und die Normannen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vereinnahmung, Instrumentalisierung und Projektion – Die Kreuzfahrerstaaten im Zeichen des Orientalismus . . . . . . . . . a. Kolonisierte Kolonisatoren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Religiöse, philosophische und nationale Instrumentalisierung des lateinischen Orients . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Der lateinische Orient als Projektionsfläche für abendländischen Idealismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Geschichtswissenschaftliche Ethnogeneseforschung . . . . . . b. Sozialwissenschaftliche Ethnizitätsforschung zwischen Primordialismus und Konstruktivismus . . . . . . . . . . . . 5. Zielsetzung, zeitliche und räumliche Eingrenzung des Themas . .

II. Die Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Historiographie des Fürstentums Antiochia . 2. Die Historiographie des Königreiches Jerusalem 3. Andere historiographische Quellen . . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

22 27 29 34 38 40 41 49 52 57 58 66 71

8 III. Gesta Francorum? – ethnische Terminologie in der Historiographie der Kreuzfahrerstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Entwicklung der Franci-Bezeichnung . . . . . . . . . . . . . a. Franci und Galli in der frühen antiochenischen Historiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Die Franci-Bezeichnung in der jerosolymitanischen Überlieferung der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts . . . . . c. Die Franci-Bezeichnung bei Walter dem Kanzler . . . . . . . . d. Die Franci-Bezeichnung bei Wilhelm von Tyrus . . . . . . . . 2. Hierosolymitani, Antiocheni und Latini – ethnische Terminologie mit Bezug zur neuen Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Die Hierosolymitani-Bezeichnung in der jerosolymitanischen Historiographie der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts . . . . b. Terminologische Jerusalem-Bezüge bei Wilhelm von Tyrus . . c. Die Antiocheni-Bezeichnung in der antiochenischen Historiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Die Antiocheni-Bezeichnung in der jerosolymitanischen Historiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e. Hierosolymitani und Latini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fremd- und Feindbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kreuzzugsideologie oder Toleranz? – Abgrenzung von den Muslimen im Königreich Jerusalem und im Fürstentum Antiochia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. ex fonte pernicioso aque […] pestilentes – das Bild der Muslime bei Wilhelm von Tyrus und Fulcher von Chartres . . b. Unwissen und Verachtung – Muslime in der antiochenischen Historiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. timeo Danaos et dona ferentes – das Bild der Byzantiner in den lateinisch-orientalischen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Byzanz und die Ursprünge des Kreuzzuges . . . . . . . . . . . b. Kampfestüchtige Barbaren und verweichlichte Zivilisationsmenschen – das normannisch-byzantinische Verhältnis vor dem ersten Kreuzzug . . . . . . . . . . . . . . . c. Quare miseri occiditis gentem Christi et meam? – antiochenische Graecophobie . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Den Grundsätzen des Kreuzzuges verpflichtet – Byzantiner in den jerosolymitanischen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . .

Inhalt

75 80 80 82 86 87 88 88 91 93 94 97 103

103 106 114 118 121

124 128 133

9

Inhalt

Ethnohistorische Entwürfe und Reflexionen . . . . . . . . . . . 1. Prologe in der antiochenischen Historiographie . . . . . . . . a. Der normannisch-antiochenische Kreuzzug im Prolog der Gesta Tancredi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Antiochia als primärer Bezugspunkt in den Prologen der Bella Antiochena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ethnohistorische Reflexion in den Prologensembles der jerosolymitanischen Historiographie . . . . . . . . . . . . . . a. Quis audivit unquam talia? – Reflexion der jerosolymitanischen Ethnogenese im Prologensemble Fulchers von Chartres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Das Prologgedicht der Historia Nicæna vel Antiochena . . c. urgentissimus instat amor patrie – ethnohistorische Reflexionen Wilhelms von Tyrus in den Abendstunden des lateinischen Königreiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prologe in der abendländischen Überlieferung . . . . . . . .

. . . .

139 140

. .

140

. .

144

. .

148

. . . .

149 158

. . . .

160 170

VI. Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase . . . . . . . . . . . 1. Die unterschiedliche Gewichtung der Kreuzzugsphasen . . . . . 2. Urban II. und das Konzil von Clermont . . . . . . . . . . . . . . 3. Der erste Kreuzzug bis zur Eroberung Antiochias . . . . . . . . . a. Ex pluribus unum – die kleinasiatische Phase des ersten Kreuzzuges in der jerosolymitanischen Historiographie . . . . b. Wiscardi acta nota sunt orbi – die normannisch-guiscardische Ouvertüre zum ersten Kreuzzug und der personal-dynastische antiochenische Mythomoteur . . . . . . 4. Die Schlacht von Dorylaeum – Moment des Zusammenwachsens oder Triumph der Normannitas? . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Die grünen Auen von Dorylaeum und die Speisung des wandernden Volkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. quasi ut unigenæ uno consilio unam patriæ suæ gloriam prærogarent – Dorylaeum und die Normannitas . . . . . . . . 5. Antiochia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. de uino non loquar – Hungersnöte vor und in Antiochia . . . b. Belagerung, Eroberung und Verteidigung Antiochias . . . . . c. Antiochi[a] horribilis oder anhelata Antiochia? – Sehnsuchtsoder Etappenziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Ein Denkmal für Bohemund und die antiochenische Ethnogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

175 176 178 184

V.

185

188 199 200 206 210 212 216 224 233

10

Inhalt

6. Die Heilige Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Die Belagerung und Eroberung Jerusalems in den nicht-jerosolymitanischen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . b. Kurz vor dem Ziel – die Annäherung an die Heilige Stadt und der Adventus von Bethlehem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. novum edificium, veteri continuo et inserto – das Jerusalem der Jerosolymitaner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Liturgisches Gedenken an die primordiale Tat – die Feier des Befreiungsfestes in Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235

VII. Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes . . . . . . . 1. Gegründet gegen den Geist des Kreuzzuges? – Antiochenische Legitimationsprobleme und Lösungsstrategien . . . . . . . . . . a. nec cohibere flammas potuit fornax succensa – Heiliger Zorn gegen berechtigte byzantinische Ansprüche . . . . . . . . . . b. Pereant male qui volunt habitare Antiochie – die antiochenische Erbsünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. super hanc petram – der Apostelfürst und das Fürstentum Antiochia . 3. Legitimation weltlicher Herrschaft im irdischen regnum Christi . a. advocatus, princeps, rex – die Titel Gottfrieds von Bouillon und ihre Bedeutung für das jerosolymitanische Selbstverständnis . . b. Der abwesende König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Königreich des Kreuzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Kreuz und Kreuzzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Das Kreuz als Verweis auf Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . c. Die Auffindung der Kreuzesreliquie in Jerusalem . . . . . . . d. Wahres Kreuz und Bundeslade . . . . . . . . . . . . . . . . . . e. Wem gehört das Wahre Kreuz? – das lignum domini zwischen König, Patriarch und Volk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f. Das Kreuz im Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g. Der jerosolymitanische Kreuzes-Adventus . . . . . . . . . . . 5. Das Wahre Kreuz im Fürstentum Antiochia . . . . . . . . . . . .

267

Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

351

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

355

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

359

Personen-, Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

389

237 242 248 254

268 268 272 278 287 287 298 304 304 307 315 324 327 331 339 343

Vorwort

Bücher erzählen nicht nur Geschichten, sie haben auch selbst eine Geschichte. Die des vorliegenden Buches begann vor beinahe zehn Jahren in einem Seminar, das Dorothea Weltecke an der Georg-August-Universität Göttingen angeboten hat. Die Begeisterung für die Kreuzfahrerstaaten, die ich aus diesem Seminar mitgenommen habe, hat schließlich zu der Entscheidung geführt, meine Dissertation dem lateinischen Orient zu widmen. Neben dem geographischen Raum und der historischen Epoche sind für diese Arbeit auch ihre Fragestellung und die zu deren Beantwortung gewählte Methode von Bedeutung. Hier habe ich die entscheidenden Prägungen und Anregungen meiner Doktormutter und langjährigen akademischen Lehrerin Hedwig Röckelein zu verdanken, die mir in Lehrveranstaltungen, im persönlichen Gespräch und nicht zuletzt in meiner langjährigen Tätigkeit an ihrem Lehrstuhl in Göttingen das Handwerkszeug historischen Arbeitens mit auf den Weg gegeben hat. Sie hat mir vor allem hervorragende Grundlagen zur Erforschung von Ethnogenese und Ethnizität in Spätantike und Frühmittelalter vermittelt und mich darin bestärkt, diese Methodik auch auf meinen Forschungsgegenstand anzuwenden. Mein großer und herzlicher Dank gilt daher Frau Röckelein und Frau Weltecke sowie meinem Drittgutachter Herrn Peter Aufgebauer. Sie alle haben die Geschichte dieses Buches begleitet und dazu beigetragen, daß es überhaupt entstehen konnte. Zu danken habe ich ebenfalls Jörg Bölling, der durch fachlichen Rat und freundschaftlichen Zuspruch dieser Arbeit und ihrem Autor über so manchen steinigen Wegabschnitt geholfen hat. Wichtige wissenschaftliche Anregungen haben mir in verschiedenen Phasen und bei verschiedenen Schritten der Arbeit Deborah Gerish, Nikolas Jaspert, Thomas Madden, Alan Murray, Galit Noga-Banai, William Purkis, Jochen Schenk und Kurt Villads Jensen gegeben. Finanzielle und ideelle Förderung habe ich im Laufe der Promotion von der Society for the Study of the Crusades and the Latin East, dem Institute for Medieval Studies (Leeds), dem Deutschen Historischen Institut London und dem Center for Medieval and Renaissance Studies (Saint Louis)

12

Vorwort

erhalten. Besonderer Dank gilt dem Cusanuswerk, das meine Promotion durch ein Stipendium ermöglicht hat, und der Graduiertenschule für Geisteswissenschaften Göttingen für einen großzügigen Zuschuß zu den Druckkosten. Julia Freder, Jasmin Hoven, Benjamin Müsegades, Christian Popp und Christian Stadermann haben das Manuskript korrekturgelesen und zu zahlreichen Gelegenheiten fachliche Hilfe und Anregungen beigesteuert. Ganz besonders danke ich meinen Eltern Angelika Kirschberger und Peter Crepon sowie meinem leider noch vor der Publikation der Arbeit verstorbenen Großvater, Karl Fey, die mir mein Studium und meine Promotion durch finanzielle Unterstützung, vor allem aber durch familiären Rückhalt und Zuspruch überhaupt ermöglicht haben. Für Ihre Ermunterung und Unterstützung bei der Vorbereitung der Publikation danke ich von Herzen meiner Frau Zuzana Kirschberger.

Einleitung

In novam […] formam commutatus1 – Mit diesen Worten bezeichnet der im ersten Viertel des 12. Jahrhunderts in Jerusalem schreibende Chronist Fulcher von Chartres († ca. 1127) die Veränderung der Gestalt der Sonne bei einer Eklipse im Spätsommer des Jahres 1124. Ausgehend von der Anschauung des Naturphänomens stellt Fulcher Überlegungen zu Ereignissen der jüngsten Vergangenheit an. Er vergleicht die Erscheinung am Himmel über Jerusalem mit dem Einzug der Teilnehmer des ersten Kreuzzuges in den Orient und reflektiert einen Prozeß, der an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert zur dauerhaften Ansiedlung lateinischer Christen aus verschiedenen Teilen Europas in Syrien und Palästina führte.2 Als Folge dieses Prozesses entstanden neue Staaten im Orient und in seinem Verlauf entwickelten die Einwanderer sowie ihre Nachkommen und Nachfolger ein neues Selbstverständnis, das nicht mehr an die europäischen Herkunftsgebiete geknüpft war, sondern an die neue Heimat in der Levante. Der Auftakt zu diesen Geschehnissen war fanfarenartig am 27. November 1095 auf dem Konzil von Clermont erschallt, als Papst Urban II. zur Hilfeleistung für die durch die Expansion der muslimischen Seldschuken bedrohten Christen des Orients aufgerufen hatte. Neben diese Absicht, den Kirchen des Ostens und vor allem dem Kaiser von Konstantinopel – Alexios I. Komnenos – Unterstützung zukommen zu lassen, war jedoch schon früh das Bestreben getreten, die Kirche von Jerusalem selbst aus der Herrschaft der Muslime zu befreien.3 1 Fulcher von Chartres, Historia Hierosolymitana, hg. v. Heinrich Hagenmeyer, Heidelberg 1913 (fortan FvC), III.xxxvii.1. Detaillierte Angaben zu Fulcher in Kapitel II.2. 2 Vgl. hierzu mit anderen Akzenten Giese, Wolfgang, ›Untersuchungen zur Historia Hierosolymitana des Fulcher von Chartres‹, in: Archiv für Kulturgeschichte (69; 1987), 62–115, 93. 3 Zu den Grundlagen der Debatte über die Frage, welche Rolle Jerusalem in den Kreuzzugsplänen Urbans II. spielte, vgl. knapp und immer noch aktuell Blake, Ernest O. u. Morris, Colin, ›A Hermit goes to War : Peter and the Origins of the First Crusade‹, in: Monks, Hermits and the Ascetic Tradition. Papers Read at the 1984 Summer Meeting and the 1985 Winter Meeting of the Ecclesiastical History Society, hg. v. William J. Sheils (= Studies in Church History ; 22), Oxford 1985, 79–107, 79ff. Hans Eberhard Mayer beharrt darauf, daß der »Sinn«

14

Einleitung

Am Mittag des 15. Juli 1099 gelang dieses Unterfangen, als die Besatzung eines Belagerungsturms unter dem Kommando Gottfrieds von Bouillon die Nordmauer Jerusalems erstürmte. Mit der Überwindung dieser Mauer fand die einmonatige Belagerung der Heiligen Stadt ein erfolgreiches Ende, und gleichzeitig bildete die Eroberung den Schlußakkord des ersten Kreuzzuges. In den mehr als dreieinhalb Jahren, die vom Aufruf Urbans II. bis zur Eroberung Jerusalems vergingen, traten mehrere Kontingente von Kreuzfahrern – vor allem aus dem Herrschaftsbereich des Königs von Frankreich, aber auch aus dem Reich, aus Süditalien und Sizilien – zunächst getrennt den beschwerlichen Weg gen Osten an und konnten bei der Belagerung von Nicaea im Juni 1097 einen ersten großen gemeinsamen Erfolg feiern. Es folgten weitere Siege in offenen Feldschlachten wie auch in Belagerungen, unter denen vor allem der Triumph von Dorylaeum im Juli 1097 und die Eroberung und anschließende Verteidigung der nordsyrischen Metropole Antiochia im Juni 1098 hervorstechen.4 Wenn sich auch die genauen Pläne nicht im Detail rekonstruieren lassen, welche der Papst für den Kreuzzug ursprünglich ersonnen hatte, so bleibt doch zu konstatieren, daß die Resultate dieses Unternehmens über eine Unterstützung der orientalischen Kirchen und eine bewaffnete Pilgerfahrt zu den Heiligen Stätten weit hinausgingen. So wurden die eroberten Gebiete und Städte nicht der Obhut orientalischer Christen anvertraut. Weder Antiochia, das noch kurze Zeit zuvor unter byzantinischer Herrschaft gestanden hatte, noch Jerusalem, das vor seiner schon länger zurückliegenden Eroberung durch die Araber im Jahre 638 ebenfalls von Konstantinopel aus regiert worden war, wurden an Kaiser Alexios übergeben. Vielmehr ließen sich zahlreiche Kreuzfahrer in den von ihnen eroberten Gebieten in der Levante nieder und gründeten insgesamt vier neue Staaten – die sogenannten Kreuzfahrerstaaten. Zunächst ging aus einer Nebenkampagne Balduins von Boulogne im März 1098 die Grafschaft Edessa hervor.5 Noch im Sommer des selben Jahres errichtete der süditalienische von Urbans Plänen tatsächlich in der »Hilfe für die christlichen Ostkirchen« bestanden habe (Mayer, Hans Eberhard, Geschichte der Kreuzzüge, Stuttgart 2005 (10. Aufl., 1. Aufl. 1965, 20). Auch die neuere und neueste angelsächsische Forschung hingegen setzt immer noch voraus, daß Jerusalem von Beginn an mit den Kreuzzugsplänen verknüpft war, wobei diese Position wohl aus einer unkritischen Übernahme der Aussagen von Quellen beruhen dürfte, welche im Rückblick auf die Entwicklung der Ereignisse verfaßt wurden. Vgl. Asbridge, Thomas S., The Crusades. The War for the Holy Land, London 2010, 1ff; Phillips, Jonathan, Holy Warriors. A Modern History of the Crusades, London 2009, 4; Riley-Smith, Jonathan Simon Christopher, The First Crusade and the Idea of Crusading, London 1986, 18. 4 Für einen knappen und übersichtlichen Überblick zum ersten Kreuzzug vgl. Mayer, Kreuzzüge, 51–80. Für eine ausführlichere Darstellung vgl. Asbridge, Thomas S., The First Crusade. A New History, London 2003. Die byzantinische Perspektive auf den ersten Kreuzzug betont Frankopan, Peter, The First Crusade. The Call from the East, London 2012. 5 Zur Geschichte der Grafschaft Edessa vgl. Cahen, Claude, La Syrie du Nord a l’Êpoque des Croisades et la Principatu¦ Franque d’Antioche (= Institut FranÅais de Damas. BibliothÀque

Einleitung

15

Normanne Bohemund von Tarent nach der Eroberung Antiochias ein Fürstentum, welches Nordsyrien und Teile Kilikiens umfaßte.6 Am 22. Juli 1099 schließlich wurde Gottfried von Bouillon vom Heer des Kreuzzuges zum ersten Herrscher7 des lateinischen Königreichs Jerusalem erhoben.8 Nach dem Kreuzzug errichteten in den Jahren 1102 bis 1113 zudem Graf Raimund von Toulouse und seine Erben die Grafschaft Tripolis.9 Zur Bezeichnung dieser formativen Phase während des Kreuzzuges und in den Jahren unmittelbar nach der Eroberung Jerusalems prägte Erzbischof Wilhelm von Tyrus (†1186) die Bezeichnung Latinorum introitus.10 Die vorliegende Arbeit ist der Analyse der Prozesse gewidmet, die im Laufe dieses introitus die Einwanderer aus dem Westen im Orient zu neuen Gruppen zusammenwachsen ließen. Es gilt, die nova forma, die sie in dieser Phase annahmen, genauer zu untersuchen. Im Folgenden werden dazu zunächst die Schwerpunkte der Analyse vor dem Hintergrund der bisherigen Forschung und ihrer Probleme erarbeitet. Zudem wird die Methodik der Analyse hergeleitet und vorgestellt.

6

7

8

9

10

Orientale; 1), Paris 1940; Amouroux-Mourad, Monique, Le Comt¦ d’Edesse, 1098–1150 (= BibliothÀque Arch¦ologique et Historique; 128), Paris 1988. Zur Geschichte des Fürstentums Antiochia vgl. Asbridge, Thomas S., The Creation of the Principality of Antioch. 1098–1130, Woodbridge 2000; Cahen, Syrie du Nord; Mayer, Hans Eberhard, Varia Antiochena. Studien zum Kreuzfahrerfürstentum Antiochia im 12. und frühen 13. Jahrhundert (= Monumenta Germaniae Historica. Studien und Texte; 6), Hannover 1993. Zu Bohemund vgl. Flori, Jean, Boh¦mond d’Antioche. Chevalier d’Aventure, Paris 2007; Russo, Luigi, Boemondo. Figlio di Guiscardo e Principe di Antiochia, Ariano Irpino 2009. Der erste gekrönte König des Reiches war jedoch Balduin von Boulogne. Nach dem frühen Tod Gottfrieds im Sommer des Jahres 1100 trat er die Grafschaft Edessa an seinen Verwandten Balduin von Bourcq ab und wurde am Weihnachtstag in Bethlehem gekrönt. Vgl. Mayer, Kreuzzüge, 85f. Zur Geschichte des Königreichs Jerusalem vgl. Mayer, Hans Eberhard, Herrschaft und Verwaltung im Kreuzfahrerkönigreich Jerusalem (= Schriften des Historischen Kollegs: Vorträge; 43), München 1996; Murray, Alan V., The Crusader Kingdom of Jerusalem. A Dynastic History. 1099–1125 (= Occasional Publications of the Linacre Unit for Prosopographical Research; 4), Oxford 2000; Prawer, Joshua, The Latin Kingdom of Jerusalem. European Colonialism in the Middle Ages, London 1972; Richard, Jean, The Latin Kingdom of Jerusalem (= Europe in the Middle Ages. Selected Studies; 11), Amsterdam 1979. Zur Geschichte der Grafschaft Tripolis: Dédèyan, G¦rard u. Rizik, Karam (Hgg.), Le Comt¦ de Tripoli: Êtat Multiculturel et Multiconfessionnel (1102–1289). Actes des Journ¦es d’Êtudes, Universit¦ Saint-Esprit, Kaslik, Liban, D¦cembre 2002, Paris 2010; Richard, Jean, Le Comt¦ de Tripoli sous la Dynastie Toulousaine (1102–1187) (= BibliothÀque Arch¦ologique et Historique; 39), Paris 1945. Wilhelm von Tyrus, Willelmi Tyrensis Archiepiscopi Chronicon, hg. v. Robert Burchard Constantyn Huygens (= Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis; 63/63 A), 2 Bde., Turnhout 1986 (fortan WvT), VIII.iii.24, IX.xvii.1, XI.xvi.4, XI.xxvii.18, XXII.xvii.42–43. Detaillierte Angaben zu Wilhelm in Kapitel II.2.

I.

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

1.

Ethnogenese und Kreuzzugsforschung

Für die Bezeichnung solcher Prozesse der Gruppen- und Identitätsbildung hat sich in der Geschichtswissenschaft insbesondere im Hinblick auf die Erforschung des Mittelalters der Begriff der Ethnogenese etabliert. Die Träger und Teilnehmer der Ethnogenese werden als ethnische Gruppe, Ethnie, Volk oder auch archaisierend als Stamm11 bezeichnet, ihr kollektives Selbstverständnis als Ethnizität oder ethnische Identität.12 Das Themenfeld der Ethnogenese beschäftigt die Geschichtswissenschaft und andere geistes- und sozialwissenschaftliche Disziplinen schon seit langem und steht nach wie vor hoch im Kurs.13 Trotz der allgemein großen Beachtung, die Ethnogenese und Ethnizität in der Forschung insgesamt erfahren haben und noch heute erfahren, ist die Entstehung neuer ethnischer Gruppen in den Kreuzfahrerstaaten bislang noch nicht systematisch untersucht worden. Wenn im Zusammenhang von Kreuzzügen und Kreuzfahrerstaaten ethnische oder nationale Gruppen in den Blick genommen werden, so handelt es sich in der Regel um Erwägungen zu den Herkunftsgruppen und deren Zusammenspiel in der Levante oder auf dem Weg dorthin.14 Dies bedeutet nicht, daß ethnogenetische Prozesse im lateinischen 11 Vgl. Wenskus, Reinhard, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes, Köln 1961. 12 Vgl. z. B. Pohl, Walter, ›Conceptions of Ethnicity in Early Medieval Studies‹, Debating the Middle Ages: Issues and Readings, hg. v. Little, Lester K. u. Rosenwein, Barbara H., Malden, MA/Oxford 1998, 15–24, 15ff. Siehe hierzu detaillierter. 13 Ein repräsentativer Überblick über die Forschung zu Ethnizität kann hier nicht geleistet werden. Die für diese Arbeit wichtigen Beiträge werden im Kapitel I.4 vorgestellt. 14 Vgl. z. B. Balard, Michel, ›Gesta Dei per Francos: L’Usage du Mot Francs dans les Chroniques de la PremiÀre Croisade‹, in: Clovis. Histoire & Memoire. Le BaptÞme de Clovis, son Êcho — travers l’Histoire, hg. v. Michel Rouche, Paris 1997, 473–483; Bull, Marcus, ›Overlapping and Competing Identities in the Frankish First Crusade‹, in: Le Concile de Clermont de 1095 et l’Appel — la Croisade. Actes du Colloque Universitaire International de ClermontFerrand (23–25 Juin 1995) Organis¦ et Publi¦ avec le Concours du Conseil R¦gional d’Au-

18

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

Orient in der Forschung grundsätzlich nicht erkannt worden wären. Ein Bewußtsein dafür, daß die nach dem ersten Kreuzzug im Orient verbliebenen oder später zugezogenen Lateiner ein neues kollektives Selbstverständnis ausbildeten, ist in der Forschung durchaus vorhanden, und auch die Reflexion dieses Prozesses durch die Historiographen des lateinischen Orients hat bereits Beachtung gefunden. August C. Krey etwa erkannte das Chronicon Wilhelms von Tyrus als »story […] of a nation, his nation«15. Den zumeist nicht kritisch hinterfragten Terminus der Nation auf die Kreuzfahrerstaaten anzuwenden, war und ist vor allem in der anglo- und frankophonen Forschung weit verbreitet. Insbesondere französische Forscher verwenden auch den Begriff »nation franco-syrienne«16, um damit auszudrücken, daß es zu einer Vermischung der Lateiner mit den autochthonen Christen sowie zu einer kulturellen Anpassung an diese gekommen sei. Zudem wird in der älteren Forschung zumeist der eigentliche Entstehungsprozeß dieser vermeintlichen Nation nicht thematisiert, sondern lediglich dessen Ergebnis konstatiert.17 Dies gilt auch für eine jüngst von Malcolm Barber vorgelegte Monographie zu den Kreuzfahrerstaaten, die ein hehres Ziel verfolgt: »This is the story of how the new conquerors from the West adapted to these circumstances and produced a distinct cultural entity of their own.«18 Diesem hohen Anspruch jedoch wird Barber nicht gerecht. Zwar vermerkt er, daß im Hinblick auf die im Orient verbliebenen Kreuzfahrer »a need for self-definition«19 zu diagnostizieren sei. Auch er beschäftigt sich jedoch nicht detaillierter mit der Frage, ob und gegebenenfalls wie dieses Bedürfnis auch erfüllt wurde, und die Erwägungen zu diesem Thema beschränken sich auf einige wenige Sätze. Die ersten Versuche einer systematischen Auseinandersetzung mit ethnogenetischen Prozessen in den Kreuzfahrerstaaten wurden im Laufe der letzten dreieinhalb Jahrzehnte von deutschen Forschern unternommen. Allerdings

15 16

17 18 19

vergne, hg. v. Êcole FranÅaise de Rome (= Collection de l’Êcole FranÅaise de Rome; 236), Rom 1997, 195–211; Murray, Alan V., ›Questions of Nationality in the First Crusade‹, in: Medieval History (1; 1991), 61–73; Ders., ›National Identity, Language and Conflict in the Crusades to the Holy Land, 1096–1192‹, in: The Crusades and the Near East, hg. v. Conor Kostick, 2011, 107–130. Krey, August C., ›William of Tyre: The Making of an Historian in the Middle Ages‹, in: Speculum (16; 1941), 149–166, 158. Grousset, Ren¦, Histoire des Croisades et du Royaume Franc de J¦rusalem. I. L’Anarchie Musulmane et la Monarchie Franque, Paris 1934, 287; Madelin, Louis, ›La Syrie Franque‹, in: Revue des deux Mondes (87; 1917), 314–358, 334. Zu dieser klassischen französischen Position vgl. auch Smail, Raymond Charles, Crusading Warfare, 1097–1193, Cambridge 1995 (2. Aufl., 1. Aufl. 1956), 182–187. Vgl. z. B. Richard, Jean, Le Royaume Latin de J¦rusalem, Paris 1953, 228ff. Wiederholt in der aktualisierten englischen Übersetzung: Ders., Latin Kingdom, 281ff. Barber, Malcolm, The Crusader States, New Haven 2012, 3. Ibid., 96.

Ethnogenese und Kreuzzugsforschung

19

wurde das Thema in allen Fällen lediglich als Nebenaspekt größerer Studien zu einem anderen Thema oder in Form kürzerer Forschungsbeiträge behandelt. In seiner 1977 erschienenen Dissertation zum Spannungsverhältnis von Kreuzzugsideologie und Toleranz im Werk Wilhelms von Tyrus widmet sich Rainer Christoph Schwinges unter anderem auch der Analyse der Verwendung des patria-Begriffes.20 Seine Thesen zu diesem Thema hat Schwinges zudem im Laufe der letzten dreieinhalb Jahrzehnte immer wieder in kürzeren Beiträgen aufgegriffen.21 Dabei verwendet er seine Analyse von Wilhelms patria stets allein dazu, sein umstrittenes22 Postulat einer weitgehenden Toleranz der Lateiner in den Kreuzfahrerstaaten den Muslimen gegenüber zu belegen. Ganz ähnlich wie Schwinges verfährt auch Verena Epp, die im Jahre 1981 eine kurze Miszelle dem »Nationalbewußtsein in den Kreuzfahrerstaaten«23 widmete und dieses Thema auch in ihrer ein Jahr später erschienenen Dissertation24 über Fulcher von Chartres beiläufig behandelt. Das Nationalbewußtsein in den Kreuzfahrerstaaten habe laut Epp auf den Grundlagen des lateinisch-christlichen Glaubens, der zunehmenden Mehrsprachigkeit unter den Lateinern25 und der Opposition zu den Muslimen beruht. Es habe sich im Laufe der Zeit ver-

20 Vgl. Schwinges, Rainer Christoph, Kreuzzugsideologie und Toleranz. Studien zu Wilhelm von Tyrus (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters; 15), Stuttgart 1977, 233–240. 21 Vgl. Ders., ›Die Wahrnehmung des Anderen durch Geschichtsschreibung. Muslime und Christen im Spiegel der Werke Wilhelms von Tyrus († 1186) und Rodrigo Xim¦nez’ de Rada († 1247)‹, in: Toleranz im Mittelalter, hg. v. Alexander Patschovsky u. Harald Zimmermann Sigmaringen 1998, 101–127; Ders., ›Regionale Identität und Begegnung der Kulturen in Stadt und Kreuzfahrerkönigreich Jerusalem‹, in: Päpste, Pilger, Pönitentiarie. Festschrift für Ludwig Schmugge zum 65. Geburtstag, hg. v. Andreas Meyer, Constanze Rendtel u. Maria Widmer-Butsch, Tübingen 2004, 237–251; Ders., ›Die andere Seite und sich selbst im Blick. Wahrnehmung und Identität zur Zeit der Kreuzzüge‹, in: Konfrontation der Kulturen? Saladin und die Kreuzfahrer. Begleitband zur Sonderausstellung »Saladin und die Kreuzfahrer« in Halle, Oldenburg und Mannheim, hg. v. Heinz Gaube, Bernd Schneidmüller u. Stefan Weinfurter, Mainz 2005, 107–120. Schwinges‹ Grundthese hat Bunna Ebels-Hoving aufgegriffen. Vgl. Ebels-Hoving, Bunna, ›William of Tyre and his patria‹ in: Media Latinitas. A Collection of Essays to Mark the Occasion of the Retirement of L.J. Engels, hg. v. R.I.A. Nip, E.M.C. van Houts, C.H. Kneepkens u. G.A.A. Kortekaas (= Instrumenta Patristica; 28), Turnhout 1996, 211–216. 22 Siehe dazu z. B. die Rezensionen zu Kreuzzugsideologie und Toleranz von Marie-Luise Favreau (Historische Zeitschrift [228; 1979], 686–688) und Hans Eberhard Mayer (Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters [34; 1978], 255–257). Detaillierte Ausführungen zu diesem Thema in Kapitel IV.1. 23 Epp, Verena ›Die Entstehung eines »Nationalbewußtseins« in den Kreuzfahrerstaaten‹, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters (45; 1989), 596–604. 24 Dies., Fulcher von Chartres. Studien zur Geschichtsschreibung des ersten Kreuzzuges (= Studia Humaniora; 15), Düsseldorf 1990, z. B. 155ff u. 166ff. 25 Vgl. Dies., ›Nationalbewußtsein‹, 598. Diese Mehrsprachigkeit bezeichnet Epp etwas unpassend als »Sprachgemeinschaft«. Gemeint ist die wachsende Fähigkeit, die Sprachen der anderen Lateiner in der Levante zu verstehen und zu sprechen.

20

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

stärkt, aber auch gewandelt.26 Leider äußert sich Epp nur sehr knapp zu den Trägern dieses Nationalbewußtseins und spricht lediglich verallgemeinernd von den »Bewohner[n] der Kreuzfahrerstaaten« oder den »Kreuzfahrer[n]«.27 Wie Schwinges will auch Epp das Aufkommen eines eher säkularen Patriotismus erkennen: »[D]er Glaubenskrieg weicht einer weltlichen Auseinandersetzung. Palästina ist nicht in erster Linie das Land der Verheißung, sondern das Gebiet, in dem die Kreuzfahrer eine neue Heimat gefunden und auf das sie Rechte erworben haben.«28 Fünf Jahre nach Epp griff auch ihr Lehrer Rudolf Hiestand das Thema auf und analysierte im Rahmen eines Aufsatzes die »Siedleridentität in den Kreuzfahrerstaaten«.29 Einen ganz ähnlichen Ansatz wie zuvor seine Schülerin verfolgend, bezieht Hiestand jedoch ein größeres Quellenkorpus in seine Untersuchung ein. Als entscheidende Elemente einer Identitätsstiftung nennt er das Vorhandensein einer tragfähigen »Idee« und von »Zeichen«,30 an welche sich diese knüpfen kann. Im Falle der Kreuzfahrerstaaten habe die Idee laut Hiestand im gemeinsamen Glauben der Kreuzzugsteilnehmer sowie in der aus diesem resultierenden Bindung an die neue Heimat als Land der biblischen Geschichte und Prophezeiungen bestanden. Als besonders prägende Zeichen für die neue Siedleridentität identifiziert er die Kreuznahme nach der Predigt Papst Urbans II. in Clermont im Jahre 1095, außerdem die 1099 aufgefundene Kreuzreliquie und die Grabeskirche in Jerusalem.31 Auch der Aufstieg des Französischen zur »lingua franca«32 des lateinischen Orients spielt in Hiestands Identitätskonzept eine wichtige Rolle. Immerhin in Ansätzen wird der Entstehungsprozeß der Siedleridentität beschrieben und in Teilen als Ausdruck der Suche nach »einer historisch und rechtlich begründeten Legitimation der neuen Existenz« verstanden.33

26 Epps Befunde beruhen im Kern auf einem Vergleich der beiden zwischen 1109 und 1127 entstandenen Redaktionen von Fulchers Historia Hierosolymitana, den sie in der Miszelle um einige Beobachtungen zum Chronicon Wilhelms von Tyrus und den Bella Antiochena des antiochenischen Kanzlers Walter ergänzt (Walter der Kanzler, Bella Antiochena, hg. v. Heinrich Hagenmeyer, Innsbruck 1896 [fortan WdK]). 27 Vgl. Epp, ›Nationalbewußtsein‹, 598f, 603f (Zitate 603f). 28 Ibid., 603. 29 Hiestand, Rudolf, ›Nam qui fuimus Occidentales, nunc facti sumus Orientales. Siedlung und Siedleridentität in den Kreuzfahrerstaaten‹, in: Siedler-Identität. Neun Fallstudien von der Antike bis zur Gegenwart, hg. v. Christof Dipper u. Rudolf Hiestand, Frankfurt am Main 1995, 61–80. 30 Ibid., 62. 31 Vgl. ibid., 70. 32 Ibid., 71. 33 Vgl. ibid., 62f, Zitat 62.

Ethnogenese und Kreuzzugsforschung

21

Neue Impulse brachte im selben Jahr Alan V. Murray.34 Zwar untersucht er ein ähnliches Quellenkorpus wie Epp, wenn er nach der ethnischen Identität der Lateiner in den Kreuzfahrerstaaten fahndet, und seine Schlüsse ähneln jenen Hiestands. Größeren Wert als Epp, Hiestand und Schwinges legt Murray allerdings darauf, eine methodologisch-theoretische Grundlage für seinen Beitrag zu etablieren. Vor allem macht er die Theorien der klassischen Ethnogeneseschule35 um Reinhard Wenskus, Herwig Wolfram und Walter Pohl für seine eigene Arbeit fruchtbar. Zwar weisen auch Epp und Hiestand auf die Heterogenität der lateinischen Einwohner der Kreuzfahrerstaaten hin;36 erst Murray aber zieht durch seine Rezeption der Ethnogeneseforschung aus dieser Heterogenität Schlüsse, die zu einer Klassifizierung der Gruppe führen. Er benennt die Träger der ethnischen Identität mit dem Begriff gens Francorum und zieht Parallelen zu den spätantiken und frühmittelalterlichen gentes.37 Diese Parallelen bestehen für Murray in der »integration of individuals and groups of diverse ethnic backgrounds«38 in einer militärisch geprägten, biologisch und sprachlich heterogenen Gruppe, die sich um einen stabilen, elitären Kern herum bildete. Zur Untersuchung der Ausformung ihrer Identität müsse man laut Murray vor allem historiographische Texte in den Blick nehmen, welche die Herkunft der Gruppe einerseits beschreiben, andererseits aber auch konstruieren. Murray übernimmt in diesem Punkt von der Ethnogeneseschule den Gattungsbegriff der Origines Gentium und wendet ihn auf die von ihm untersuchten historiographischen Texte zum ersten Kreuzzug an.39 Somit hat sich Murray durch seine methodologische Innovation von den übrigen Vertretern der Kreuzzugsforschung abgesetzt und einen wichtigen Impuls für die Untersuchung der Ethnogenese in den Kreuzfahrerstaaten gegeben. Allerdings bleiben seine Bemühungen auf diesem Themenfeld auf einen kurzen Beitrag beschränkt, der zwar viele wichtige Punkte der von ihm untersuchten Ethnogenese streiflichtartig berührt, der aber den einzelnen identifizierten Spuren nicht detaillierter nachgeht. Deshalb kann eine ausführliche und systematische Erforschung der ethnogenetischen Prozesse in den Kreuzfahrerstaaten und ihrer Ergebnisse als ein erstes wichtiges Forschungsdesiderat identifiziert werden. Ein weiteres ergibt sich aus einem perspektivischen Pro34 Murray, Alan V., ›Ethnic Identity in the Crusader States: The Frankish Race and the Settlement of Outremer‹, in: Concepts of National Identity in the Middle Ages, hg. v. Simon Forde, Lesley Johnson u. Alan V. Murray (= Leeds Texts and Monographs. New Series; 14), Leeds 1995, 59–73. 35 Siehe dazu Kapitel I.4.a. 36 Vgl. Epp, ›Nationalbewußtsein‹, 598; Hiestand, ›Siedleridentität‹, 68. 37 Vgl. Murray, ›Ethnic Identity‹, 64f. Ob freilich Murrays Übersetzung von lateinisch gens mit englisch »race« (ibid., 65, 70) eine glückliche Wahl ist, darf bezweifelt werden. 38 Ibid., 65. 39 Vgl. ibid., 64ff.

22

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

blem, das bislang unterschiedslos die gesamte Erforschung des Themas charakterisiert.

2.

Panlatinismus oder Partikularismus? – Antiochia und die Normannen

Murray reiht sich trotz seiner Innovationen in anderer Hinsicht nahtlos in den Reigen der bisherigen Arbeiten zu diesem Thema ein, die ausnahmslos eine einzige, die gesamte lateinische Levante erfassende und auf Jerusalem bezogene Ethnogenese untersuchen. Deshalb erscheinen die Grafschaften Edessa und Tripolis sowie das Fürstentum Antiochia nur als Satelliten des lateinischen Königreichs, denen keine eigenen Identitäten, keine selbständigen Ethnogenesen zugeschrieben werden.40 Diese Sichtweise hat eine lange Tradition in der Forschung. Schon im 17. Jahrhundert rechnete Thomas Fuller den gesamten lateinischen Orient zum Königreich von Jerusalem. Die Fürsten von Antiochia sowie die Grafen von Edessa und Tripolis bezeichnet er zudem als »subjects to the Kings of Jerusalem«, die freilich seiner Ansicht nach »too large and absolute power and authoritie« gehabt hätten.41 Auch Hiestand sucht allein nach einer einzigen, an das Königreich Jerusalem geknüpften Siedleridentität a l l e r lateinischen Einwohner der Kreuzfahrerstaaten. »Alle waren eben Hierosolymitani geworden«42 schreibt er daher und bezieht sich explizit auch auf die Lateiner in Antiochia, Edessa und Tripolis. Murray fahndet ebenfalls nach einer verbindenden Identität der lateinischen Einwohner a l l e r vier Kreuzfahrerstaaten, die er unter dem etablierten Begriff »Franken« zusammenfaßt.43 Diese Fokussierung auf Jerusalem ist durchaus symptomatisch für die historische Forschung zu den lateinischen Staaten in der Levante, die seit jeher von einer Vernachlässigung der drei – im Vergleich zum lateinischen Königreich vermeintlich weniger wichtigen – Kreuzfahrerstaaten Antiochia, Edessa und Tripolis geprägt ist. Zwar hat man Antiochia zuletzt – vor allem in seiner Funktion als wichtige Drehscheibe im interkulturellen Transfer zwischen Orient und Okzident – ver40 Ganz ähnlich verfährt auch Sarah B. Buchanan in einer Arbeit aus dem Bereich der Literaturwissenschaft. Sie untersucht das altfranzösische, im späten 12. Jahrhundert entstandene Gedicht La Chanson d’Antioche, in dem sie nach Zeichen einer neu entstehenden nationalen Identität fahndet. Auch Buchanan interessiert sich allein für eine alle Lateiner in der Levante erfassende Identität und räumt Antiochia keine besondere Stellung ein. Vgl. Buchanan, Sarah B., ›A Nascent National Identity in La Chanson d’Antioche‹, in: The French Review (76; 2003), 918–932. Zum Chanson d’Antioche vgl. Edgington, Susan B., ›Chanson d’Antioche‹, in: CE, 1:235–236. 41 Fuller, Thomas, The Historie of the Holy Warre, Cambridge 1639, 259f. 42 Hiestand, ›Siedleridentität‹, 68. 43 Vgl. Murray, ›Ethnic Identity‹, 60f.

Panlatinismus oder Partikularismus? – Antiochia und die Normannen

23

mehrte Aufmerksamkeit gewidmet.44 Doch zur Frage einer lateinisch-antiochenischen Ethnogenese haben auch neuere Arbeiten keinen Beitrag geleistet. Diese nicht nur dominante, sondern unangefochtene Interpretation der ethnogenetischen Prozesse in den Kreuzfahrerstaaten kann als p a n l a t e i n i s c h bezeichnet werden. Es stellt sich die Frage, ob diese panlateinische Position berechtigt ist, oder ob es Anzeichen dafür gibt, daß sich auch unter den Lateinern der anderen Kreuzfahrerstaaten unabhängig von Jerusalem eigene ethnogenetische Prozesse entfalteten. Muß man der panlateinischen also eine p a r t i k u l a r i st i s c h e Alternativperspektive entgegenstellen? Im Hinblick auf die Grafschaften Edessa und Tripolis wird dieser Frage schwer nachzugehen sein. Edessa ging schon früh unter und war zudem stark von Antiochia abhängig. Tripolis bestand zwar beinahe so lange wie das lateinische Königreich, war aber wiederum eng an dieses gebunden. Zudem haben Edessa und Tripolis keine eigene lateinische Historiographie hervorgebracht, deren Existenz jedoch für die Fahndung nach separaten ethnogenetischen Prozessen unabdingbar ist. Anders stellt sich die Situation des Fürstentums Antiochia dar, das – von Phasen der Regentschaft durch Könige von Jerusalem abgesehen – eine eigenständige Politik verfolgte und eigenständige Interessen hatte, die sich nicht immer mit jenen des lateinischen Königreiches deckten. Vor allem sind im nordsyrischen Fürstentum und in enger Bindung an dieses mehrere historiographische Texte entstanden, so daß die notwendige Quellengrundlage gegeben ist. Vor allem sprechen bestimmte Eigenarten des Fürstentums und seiner Entstehungsgeschichte für eine separate Betrachtung Antiochias. Der Annahme einer alle Kreuzfahrerstaaten verbindenden und an Jerusalem gebundenen kollektiven Identität widerspricht nämlich eine andere Forschungstradition, deren Anhänger die Bedeutung der Normannen und der ersten normannischen Herrscher des Fürstentums hervorheben – Bohemunds von Tarent (1098–1104) und seines Neffen Tankred (1104–1112). Diese zumeist anglophonen Forscher reklamieren für Antiochia eine besondere normannische Prägung und mithin ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber den anderen Kreuzfahrerstaaten. Reginald Allen Brown erkennt im Fürstentum Antiochia »the fourth in the extra44 Vgl. Asbridge, Thomas S., ›The Crusader Community at Antioch: The Impact of Interaction with Byzantium and Islam‹, in: Transactions of the Royal Historical Society (9; 1999), 305–325; Burnett, Charles, ›Antioch as a Link between Arabic and Latin Culture in the Twelfth and Thirteenth Centuries‹, in: Occident et Proche-Orient: Contacts Scientifiques au Temps des Croisades. Actes du Colloque de Louvain-la-Neuve, 24 et 25 Mars 1997, hg. v. Isabelle Draelants, Anne Tihon, Baudouin van den Abeele, Turnhout 2000, 1–78; Ciggaar, Krijnie N. u. Metcalf, D. M. (Hgg.), East and West in the Medieval Eastern Mediterranean I. Antioch from the Byzantine Reconquest until the End of the Crusader Principality. Acta of the Congress Held at Hernen Castle in May 2003 (= Orientalia Lovaniensia Analecta; 147), Löwen 2006.

24

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

ordinary series of Norman states stretching across the known world – Normandy itself, England, southern Italy and Sicily, and now Antioch.«45 Bei den Vertretern dieser Forschungstradition46 erscheint das Fürstentum Antiochia als das letzte große Kapitel in der Meistererzählung47 von Aufstieg und Triumph der Normannen, als hervorragendes Beispiel ihres Eifers und Glaubens, ihrer Stärke und organisatorischen Leistung.48 Zudem wird der Eindruck einer zielgerichteten Entwicklung erweckt, die von der Landnahme heidnisch-skandinavischer Eroberer im Norden Frankreichs im späten neunten und frühen 10. Jahrhundert über die Eroberungen in Süditalien und auf Sizilien seit Beginn des 11. Jahrhunderts und die Unterwerfung Englands 1066 bis hin zum Ersten Kreuzzug und der Gründung des Fürstentums Antiochia reicht. Man muß sich dieser Position nicht bedingungslos anschließen, um ihr wesentliches Element – eine distinktiv normannische Prägung Antiochias – anzuerkennen. So räumen nämlich auch die meisten nicht der Forschungstradition um Brown und Douglas angehörenden Historiker den Normannen einen besonderen Platz in Antiochia ein.49 Schon beim Ersten Kreuzzug selbst kam den Normannen aus der Normandie und vor allem jenen aus den normannischen 45 Brown, Reginald Allen, The Normans, Woodbridge 1994 (2. Aufl., 1. Aufl. 1984), 152. 46 Außer Brown sind vorrangig zu nennen: Albu, Emily, The Normans in their Histories: Propaganda, Myth and Subversion, Woodbridge 2001, 1; Chibnall, Marjorie, The Normans, Oxford 2000, 96f; Douglas, David C., The Norman Fate. 1100–1154, London 1976, 169; Haskins, Charles Homer, The Normans in European History, London 1916, 216; Hodgson, Natasha, ›Reinventing Normans as Crusaders? Ralph of Caen’s Gesta Tancredi‹, in: Anglo Norman Studies XXX. Proceedings of the Battle Conference, hg. v. C. P. Lewis, Woodbridge 2007, 118–132. Diese auf die Normannen fokussierte Forschungstradition organisiert sich vor allem in der US-amerikanischen Haskins Society for Anglo-Saxon, Anglo-Norman, Angevin and Viking History (http://www.haskins.cornell.edu/soc.html) und in der Gruppe um die Battle Conference on Anglo-Norman Studies (http://www.battleconference.com/). 47 Zum Begriff der Meistererzählung vgl. Rexroth, Frank, ›Meistererzählungen und die Praxis der Geschichtsschreibung. Eine Skizze zur Einführung‹, in: Meistererzählungen vom Mittelalter. Epochenimaginationen und Verlaufsmuster in der Praxis mediävistischer Disziplinen, hg. v. Dems. (= Beiheft der Historischen Zeitschrift; 46), München 2007, 1–22. 48 Brown stellt einen expliziten Zusammenhang zwischen der Normannitas des Fürstentums und dessen Stärke her: »Nor should it surprise us that the principality of Antioch […] was the strongest of the Latin states of Outremer.« Brown, The Normans, 152. 49 Einschränkungen werden allein von Matthew Bennett und Alan V. Murray geäußert, wobei es sich hierbei in erster Linie um eine Kritik an den sehr weitgehenden Positionen der »Normannenforscher« handelt. Eine besondere Bedeutung der Normannen für Antiochia – zumindest im Hinblick auf die Frühzeit des Fürstentums – bezweifeln aber auch Bennett und Murray nicht. Vgl. Bennett, Matthew, ›The Normans in the Mediterranean‹, in: A Companion to the Anglo-Norman World, hg. v. Christopher Harper-Bill u. Elisabeth van Houts, Woodbridge 2003, 87–102; Murray, Alan V., ›How Norman was the Principality of Antioch? Prolegomena to a Study of the Origins of the Nobility of a Crusader State‹, in: Family Trees and the Roots of Politics. The Prosopography of Britain and France from the Tenth to the Twelfth Century, hg. v. Katharine Stephanie Benedicta Keats-Rohan, Woodbridge 1997, 349–359.

Panlatinismus oder Partikularismus? – Antiochia und die Normannen

25

Territorien in Süditalien und auf Sizilien eine herausragende Position zu – insbesondere bei der mehr als siebenmonatigen Belagerung Antiochias in den Jahren 1097 und 1098, bei der Eroberung der Stadt am 3. Juni 1098 und bei der anschließenden Etablierung und Konsolidierung des Fürstentums.50 Noch vor und dann verstärkt während der Belagerung Antiochias etablierten die Normannen um Bohemund und Tankred in Nordsyrien durch die Besetzung strategisch wichtiger Orte und den Aufbau eines Netzwerks von Fouragezentren zur Versorgung ihrer Truppen eine starke Position, die sie nach der endgültigen Übernahme der Herrschaft in Antiochia im Januar 1099 stabilisieren und ausbauen konnten.51 Als eine »normannisch[e] Herrschaftsgründung«52 bezeichnet deshalb auch ein der Normannenbegeisterung unverdächtiger Gewährsmann wie Harald Dickerhoff das Fürstentum Antiochia. Speziell die ritterliche Elite des Fürstentums war – zumindest während der ersten zwei Jahrzehnte nach dem Ersten Kreuzzug – überwiegend normannisch geprägt.53 Erst die verlustreiche Niederlage des antiochenischen Heeres unter Roger von Salerno – dem dritten Herrscher des Fürstentums – gegen muslimische Truppen unter Ilgazi von Aleppo in der Schlacht auf dem Ager sanguinis54 am 28. Juni 1119 könnte diese normannische Dominanz im Adel eingeschränkt, wenn auch wohl nicht vollends ausgelöscht haben.55 Außerdem weist Marjorie Chibnall darauf hin, daß selbst der nicht normannischstämmige Teil des antiochenischen Adels in kultureller Hinsicht von den Normannen geprägt gewesen sei.56 Über die Herkunft der nicht-adeligen Lateiner in Antiochia lassen sich erwartungsgemäß nur schwer Aussagen treffen. Allerdings spräche, wie Claude Cahen vermerkt,57 ein starkes normannisches Element im antiochenischen Adel 50 Vgl. Albu, Normans, 164; Bennett, ›Normans in the Mediterranean‹, 87; Douglas, David C., The Norman Fate. 1100–1154, London 1976, 169–172; Jamison, Evelyn, ›Some Notes on the Anonymi Gesta Francorum, with Special Reference to the Norman Contingent from South Italy and Sicily in the First Crusade‹, in: Studies in French Language and Medieval Literature. Presented to Professor Mildred K. Pope, Manchester 1939, 183–208, 205; Mayer, Kreuzzüge, 62. 51 Vgl. Asbridge, Creation, 16ff, 27ff, 42, 129f; Aubé, Pierre, Les Empires Normands d’Orient: XIe–XIIIe SiÀcle, Paris 1999, 106ff; Mayer, Kreuzzüge, 67ff; Runciman, Steven, ›The First Crusade: Constantinople to Antioch‹, A History of the Crusades. Volume I. The First Hundred Years, hg. v. Kenneth M. Setton u. Marshall W. Baldwin, Madison 1969, 280–307. 52 Dickerhoff, Harald, ›Über die Staatsgründung des ersten Kreuzzuges‹, in: Historisches Jahrbuch (100; 1980), 95–130, 98, 118. 53 Vgl. Asbridge, Creation, 163; Brown, The Normans, 153; Cahen, Syrie du Nord, 334ff, 439; Chibnall, The Normans, 97; Murray, ›Prolegomena‹, 358f. 54 Zum Ager sanguinis siehe: Asbridge, Thomas S., ›The Significance and Causes of the Battle of the Field of Blood‹, in: Journal of Medieval History (23; 1997), 301–316; Edgington, Susan B., Art. ›Ager Sanguinis, Battle of‹, in: CE, 1:22; Mayer, Kreuzzüge, 99. 55 Vgl. Albu, Normans, 177; Mayer, Kreuzzüge, 99. 56 Vgl. Chibnall, The Normans, 97. 57 Vgl. Cahen, Syrie du Nord, 439, 547f.

26

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

auch für einen signifikanten Anteil der Normannen an der Gruppe der Gemeinen. Ganz evident hingegen ist die normannische Prägung an der Spitze des Fürstentums. Der erste lateinische Herrscher Antiochias war Bohemund von Tarent, der allerdings nur relativ kurz selbst herrschte und die meiste Zeit von seinem Neffen Tankred vertreten wurde. Gründe für die Regentschaft waren eine längere Gefangenschaft Bohemunds und ein Aufenthalt in Europa, wo er im Jahre 1111 verstarb. Auf Bohemund folgte 1105 endgültig Tankred. Nach dessen Tod im Jahre 1112 übernahm sein Neffe Roger von Salerno die Regentschaft, verstarb aber 1119 auf dem Ager sanguinis. Nach dem Intermezzo einer Regentschaft König Balduins II. von Jerusalem übernahm Bohemunds gleichnamiger Sohn 1126 als Bohemund II. die Herrschaft in Antiochia.58 Auf seinen frühen Tod im Jahre 1130 folgte zunächst eine weitere Regentschaft unter Balduin II., der drei Jahre später Raimund von Poitiers, der kein Normanne war, zum neuen Herrscher bestimmte.59 Somit waren die Männer, welche die Geschicke des Kreuzfahrerstaates Antiochia in der frühen Phase bis 1133 lenkten mit der Ausnahme Balduins II. von Jerusalem allesamt Normannen aus dem in Süditalien beheimateten Geschlecht der Hauteville-la-Guichard. In diesem Zusammenhang stellt sich allerdings die grundlegende Frage, wer im späten 11. und frühen 12. Jahrhundert überhaupt als Normanne angesehen wurde. Schon die kriegerischen skandinavischen Seefahrer, welche die Küsten Europas seit dem 8. Jahrhundert heimsuchten, wurden als Normannen benannt. Einige von ihnen wurden im beginnenden 10. Jahrhundert in Nordfrankreich seßhaft,60 von wo aus sie im frühen 11. Jahrhundert – unter der Führung vor allem der Familie der Hauteville-la-Guichard61 – auf das teils byzantinisch, teils arabisch geprägte Süditalien ausgriffen. Bis 1091 gelang es ihnen, nach und nach Sizilien von den Arabern zu erobern.62 Auch dort blieb die Bezeichnung als Normannen für sie üblich.63 Das Gleiche gilt auch für jene Normannen aus der Normandie, welche unter Wilhelm dem Eroberer 1066 erst das angelsächsische England unterwarfen und anschließend ihre Herrschaft auf Teile von Wales,

58 Es ist nicht sicher, ob Tankred und Roger von Salerno offiziell Fürsten von Antiochia waren oder ob sie – wie definitiv Balduin II. von Jerusalem – nur als Regenten für den minderjährigen Bohemund II. die Macht in Nordsyrien ausübten. Vgl. Asbridge, Creation, 134–139. 59 Vgl. Mayer, Kreuzzüge, 90f, 108f. 60 Vgl. Brown, The Normans, 16–58; Plassmann, Alheydis, Die Normannen. Erobern – Herrschen – Integrieren, Stuttgart 2008, 27–77. 61 Vgl. ibid., 110ff. 62 Vgl. Brown, The Normans, 93–129; Plassmann, Normannen, 104–128. 63 Vgl. Webber, Nick, The Evolution of Norman Identity. 911–1154, Woodbridge 2005, 175.

Die Kreuzfahrerstaaten im Zeichen des Orientalismus

27

Irland und Schottland ausdehnten.64 Der Gebrauch der Normannen-Bezeichnung mit Bezug auf ganz unterschiedliche Zeiten und Räume ist im Übrigen keine Erfindung der neuzeitlichen Forschung, sondern beruht auf den Selbstbezeichnungen der Normannen oder zumindest ihrer Historiographen seit dem 10. Jahrhundert.65 Freilich muß betont werden, daß man die »Scandinavian ›proto-Normans‹«66 des 8. und 9. Jahrhunderts mitnichten in jeder Beziehung mit den normannischen Eroberern Englands oder Süditaliens gleichsetzen darf. Christianisierung und Vermischung mit autochthonen Bevölkerungen in den eroberten Gebieten müssen eine solche ethnische Kontinuität als konstruiert erscheinen lassen. Nichtsdestotrotz ordneten sich die Normannen selbst mindestens bis ins 12. Jahrhundert in diese Kontinuitätslinie ein.67 Wenn man also die an der Eroberung Antiochias beteiligten und schließlich dort herrschenden Normannen als solche identifiziert, wird man nicht Opfer einer Fiktion, sondern nimmt die ethnischen Traditionen der Akteure selbst ernst und erkennt ihre Wirkmächtigkeit an. Wie diese kurzen Ausführungen zur Rolle der Normannen in Antiochia zeigen, bietet das Fürstentum in Nordsyrien ausreichend Anhaltspunkte, welche die Fahndung nach Spuren einer eigenständigen normannisch geprägten, lateinisch-antiochenischen Ethnogenese rechtfertigen. Eine Untersuchung, die sich diesen Spuren widmet und damit die dominante panlateinische Interpretation der ethnogenetischen Prozesse nach dem ersten Kreuzzug hinterfragt, stellt daher ein weiteres wichtiges Forschungsdesiderat dar.

3.

Vereinnahmung, Instrumentalisierung und Projektion – Die Kreuzfahrerstaaten im Zeichen des Orientalismus

Neben der panlateinischen Präferenz der Kreuzzugsforschung ist auf ein weiteres Problem zu verweisen, welches die bisherige Auseinandersetzung mit dem Thema der Ethnogenese in den Kreuzfahrerstaaten beeinflußt und mitunter behindert hat, das jedoch neben der Forschung auch die populäre Rezeption der Geschichte der Kreuzzüge und des lateinischen Orients erfaßt. Edward Said definiert in seiner einflußreichen wie umstrittenen Kritik am abendländischen Orientverständnis68 den Orientalismus als »a kind of Western projection onto

64 Vgl. Brown, The Normans, 61–90; Plassmann, Normannen, 160–178, 309ff; Webber, Identity, 175f. 65 Vgl. Plassmann, Normannen, 309ff; Webber, Identity, 175ff. 66 Ibid., 175. 67 Vgl. Plassmann, Normannen, 309ff; Webber, Identity, 175ff. 68 Vgl. Bernstein, Richard, ›Edward W. Said, Polymath Scholar, Dies at 67‹, in: The New York

28

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

and will to govern the Orient«69. Der 1935 in Jerusalem geborene, im britischen Mandatsgebiet Palästina und in Ägypten aufgewachsene Said befaßt sich mit der Wahrnehmung des Orients und der autochthonen Bevölkerungsgruppen durch potentielle und tatsächliche westliche Kolonisatoren, die sich den fremden Osten politisch, militärisch und intellektuell zu unterwerfen suchten. Said widmet sich vornehmlich dem modernen Orientalismus, sieht jedoch in den mittelalterlichen Kreuzzügen dessen Vorläufer und Wegbereiter.70 Den Lateinern in den Kreuzfahrerstaaten schenkt er hingegen keine Aufmerksamkeit. Dabei sind diese und mit ihnen die Kreuzfahrerstaaten ebenfalls Objekte einer westlichen Wahrnehmung, die sich nach Saids Definition als orientalistisch bezeichnen ließe.71 Auch der lateinische Orient wurde und wird von Kultur und Wissenschaft als Projektionsfläche eigener Vorstellungen und Ideale ge- und mißbraucht, wird für die jeweils eigene religiöse, politische oder intellektuell-philosophische Agenda instrumentalisiert. Die in den Kreuzfahrerstaaten anzutreffende Kombination aus vermeintlich vertrauten lateinischen Elementen einerseits und mal verlockend mal verstörend fremden orientalischen Elementen andererseits verstärkt diese orientalistische Annäherung noch zusätzlich. Die lateinische Levante wurde zudem im 19. und 20. Jahrhundert von der Forschung zu einem Instrument der Rechtfertigung kolonialistischer Ambitionen – insbesondere der Franzosen – entwickelt. Diese auf den lateinischen Orient gerichtete Sonderform des Orientalismus hat auch die bisherige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den ethnogenetischen Prozessen in den Kreuzfahrerstaaten geprägt und soll daher an dieser Stelle genauer beleuchtet werden.72

69 70 71

72

Times, 26. September 2003 (http://www.nytimes.com/2003/09/26/obituaries/26SAID.html? pagewanted=all), eingesehen am 22. April 2013. Said, Edward, Orientalism, London 2003 (Neudruck d. 1. Aufl v. 1978 m. neuem Vorw. u. neuem Anhang), 95. Vgl. ibid., 58, 168ff. Siehe hierzu auch Skottki, Kristin. ›The Other at Home? On the Entanglement of Medievalism, Orientalism and Occidentalism in Modern Crusade Historiography‹, in: European Receptions of the Crusades in the Nineteenth Century. Franco-German Perspectives International Workshop – Research Group ›Myths of the Crusades‹ (= Eckert.Dossiers; 4), http:// www.edumeres.net/urn/urn:nbn:de:0220–2011–0022–0087, Braunschweig 2011, eingesehen am 12. August 2013, 8. Skottki befaßt sich in erster Linie mit der Bewertung der von den Kreuzfahrern und ihren Gegnern ausgeübten Gewalt, deren Bewertung durch die Kreuzzugshistoriographie sie als Ausdruck von Mediävalismus und Orientalismus deutet. Skottki gründet ihre Ausführungen auf eine nicht recht nachvollziehbare Auswahl von Texten aus später Neuzeit und jüngster Vergangenheit, die zahlreiche populäre bzw. in populären Publikationen erschienene Beiträge enthält, während zentrale Forschungsarbeiten – namentlich jene Prawers und Schwinges’ (zu diesen siehe Kapitel IV.1) – unberücksichtigt bleiben. Zur Historiographiegeschichte der Kreuzzüge und der Kreuzfahrerstaaten vgl. Boase, Thomas S. R., ›Recent Developments in Crusading Historiography‹, in: History. The Journal of the Historical Association (22; 1937), 110–125; Constable, Giles, ›The Historiography of the Crusades‹, in: The Crusades. Critical Concepts in Historical Studies. Volume I. The West and the Mediterranean World in the Eleventh Century, hg. v. Andrew Jotischky, London

Die Kreuzfahrerstaaten im Zeichen des Orientalismus

a.

29

Kolonisierte Kolonisatoren?

Seit der Antike reisten Christen aus Westeuropa ins Heilige Land und berichteten – in die Heimat zurückgekehrt – von ihren Erfahrungen. Der erste Kreuzzug brachte erstmals größere Scharen von Lateinern dauerhaft in den Orient, und nachfolgende Pilgerfahrten – von der individuellen Wallfahrt bis zu groß angelegten, regelrechten Kreuzzügen – vollzogen diese initiale Wanderung von Westeuropäern in den Osten in den folgenden Jahrhunderten nach. Auch nach dem Untergang des Königreiches Jerusalem im Jahre 1291 erschlossen sich die Okzidentalen als Pilger, Soldaten, Diplomaten, Wissenschaftler und schließlich Touristen den gleichsam fremden und doch vertrauten Orient. Der abendländische Zugang zum Morgenland und mithin zu den Kreuzfahrerstaaten ist – verständlicherweise – zutiefst geprägt von dieser Strömung von West nach Ost. Die Levante mag als Ursprung der täglichen Fahrt der Sonne imaginiert und in Einklang mit dieser Imagination als Quell von Weisheit und Erleuchtung idealisiert werden; für die Europäer selbst war sie jedoch vor allem ein Ziel – ein Ziel ihrer eigenen tatsächlichen oder doch erhofften Reise. Diese von West nach Ost gerichtete Perspektive wird jedoch allzu häufig auch auf die Lateiner in den Kreuzfahrerstaaten übertragen, die selbst an diesem Ziel schon angekommen waren. In der von der University of Columbia herausgegebenen Reihe Records of Civilization, die Studenten sowie einem breiteren Publikum interessierter Laien insbesondere in Nordamerika bedeutende Werke der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Literatur durch Übersetzungen ins Englische näherbringen sollte, erschien im Jahre 1943 eine englische Ausgabe des Chronicon Wilhelms von Tyrus.73 Diese unter der Ägide des namhaften Kreuzzugsforschers August C. Krey angefertigte und auch heute noch häufig benutzte Übersetzung ist in mehrfacher Hinsicht von großem Interesse für die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Forschung zu Kreuzzügen und Kreuzfahrerstaaten. Dies gilt insbesondere für den von Krey und seiner Mitarbeiterin Emily Atwater Babcock gewählten englischen Titel: A History of Deeds done beyond the Sea. Der Wahl dieses Titels liegt eine aufschlußreiche Umdeutung des Werkes und seiner 2001, 63–89; Ders., Crusaders and Crusading in the Twelfth Century, Farnham 2008, 3–43; Irwin, Robert, ›Orientalism and the Early Development of Crusader Studies‹, in: The Experience of Crusading. Volume Two. Defining the Crusader Kingdom, hg. v. Peter Edbury u. Jonathan Phillips, Cambridge 2003, 214–230; La Monte, John L., ›Some Problems in Crusading Historiography‹, in: Speculum (15; 1940), 57–75; Mayer, Hans Eberhard, ›America and the Crusades‹, in: Proceedings of the American Philosophical Society (125; 1981), 38–45. 73 Wilhelm von Tyrus, A History of Deeds done beyond the Sea, hg. u. übers. v. Emily Atwater Babcock u. August C. Krey (= Records of Civilization. Sources and Studies; 35), New York 1943 (fortan WvTÜ); vgl. La Monte, ›Some Problems‹, 64.

30

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

Perspektive zugrunde. Wenn nämlich Wilhelm von Tyrus in seinem Text von den Ländern »beyond the sea« – von den partes transmarinae – spricht, so geschieht dies aus der Sichtweise des lateinischen Orients und bezeichnet demzufolge selbstverständlich den Okzident.74 Insofern entspricht zwar die englische Ausgabe seines Werkes mit ihrem Titel dem Standpunkt ihres anglophonen Publikums im 20. Jahrhundert, das sich den Orient vom Vereinigten Königreich oder gar von Nordamerika oder Ozeanien aus erschloß, kehrt dabei jedoch die Weltsicht Wilhelms von Tyrus ins Gegenteil um. Dieser Perspektivwechsel ist im Übrigen keine Besonderheit Kreys und Babcocks, sondern es handelt sich vielmehr um ein Problem, welches symptomatisch für die gelehrte wie auch für die populäre Auseinandersetzung mit dem lateinischen Orient durch den Westen war und ist. Krey und Babcock greifen mit dem Titel ihrer Übersetzung lediglich eine Werkbezeichnung auf, welche sich schon in zwei aus dem 13. Jahrhundert stammenden, heute in Montpellier beziehungsweise Paris liegenden Handschriften75 der Chronik Wilhelms von Tyrus findet: historia rerum in partibus transmarinis gestarum.76 Dies verdeutlicht die lange Tradition der perspektivischen Anpassung des Textes des Chronicon an den Standpunkt eines westlichen Publikums, der von mittelalterlichen Kopisten über die ersten wissenschaftlichen Editionen – die Herausgeber des Recueil des Historiens de Croisades übernahmen bei ihrer Ausgabe des Chronicon bezeichnenderweise den Titel aus den beiden genannten Handschriften77 – bis hin zur modernen Kreuzzugsforschung reicht. Selbst die erst im Juni 2014 erschienene Festschrift für Peter Edbury, die einen Schwerpunkt auf Wilhelm von Tyrus setzt, bildet hier keine Ausnahme. Sie trägt den Titel Deeds Done beyond the Sea und ist somit wohl nicht zufällig identisch mit der Titelübersetzung Kreys und Babcocks.78 Wilhelm von Tyrus und mit ihm dem gesamten lateinischen Orient wird durch die Projektion der eigenen eurozentrischen Perspektive die kulturelle und 74 Vgl. Huygens, Robert Burchard Constantyn, ›Introduction‹, in: WvT, 1–95, 33. 75 Montpellier, BibliothÀque de la Facult¦ de M¦decine, 91 (MS M bei Huygens WvT) u. Paris, BibliothÀque Nationale, lat. 6066 (MS P bei Huygens WvT).Vgl. Huygens, ›Introduction WvT‹, 16f. 76 Vgl. Huygens, Robert Burchard Constantyn, ›Introduction‹, in: WvT, 33. Hans Prutz verweist zwar darauf, daß dieser Titel im Abendland entstanden sein muß, verwendet diesen dann aber dennoch. Vgl. Prutz, Hans, ›Studien über Wilhelm von Tyrus‹, in: Neues Archiv der Gesellschaft für Ältere Deutsche Geschichtskunde zur Beförderung einer Gesamtausgabe der Quellenschriften deutscher Geschichten des Mittelalters (8; 1883), 91–132, 114. 77 Vgl. ›Historia rerum in partibus transmarinis gestarum edita a venerabili Willermo Tyrensi archiepiscopo‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 1:1–1130 u. 2:1–828. 78 Edgington, Susan B. u. Nicholson, Helen J. (Hgg.), Deeds Done beyond the Sea. Essays on William of Tyre, Cyprus and the Military Orders presented to Peter Edbury (= Crusades/ Subsidia; 6), Aldershot 2014.

Die Kreuzfahrerstaaten im Zeichen des Orientalismus

31

historische Eigenständigkeit abgesprochen. Der israelische Historiker Joshua Prawer hat das Königreich Jerusalem als einen frühen Fall europäischen Kolonialismus‹ interpretiert.79 Ohne die Debatte um diese in sich umstrittene Deutungsweise80 hier aufgreifen oder die Frage nach der kolonialen Natur der Kreuzfahrerstaaten beantworten zu wollen, läßt sich doch konstatieren, daß die vermeintlichen oder wahrhaftigen Kolonisatoren in zweifacher Hinsicht selbst zu den Objekten von Entwicklungen wurden, welche die Züge von Kolonialismus tragen. Als Folge des Erstarkens der muslimischen Gegner seit der Mitte des 12. Jahrhunderts und vor allem nach dem Untergang des ersten Königreiches von Jerusalem im Jahre 1187 gewannen in den territorial und im Hinblick auf ihre Macht geschrumpften Kreuzfahrerstaaten europäische Herrscher, Handelsstädte und grenzübergreifende Organisationen wie die Ritterorden immer mehr Einfluß. Die lateinischen Staaten im Orient und vor allem das Königreich Jerusalem wurden zum Spielball externer Interessen wie jener der Staufer.81 Selbst die aus dem Kolonialismus- und Orientalismusdiskurs vertraute abwertende Darstellung der einheimischen – in diesem Falle jedoch aus Europa stammenden lateinisch-orientalischen – Bevölkerung unter Betonung ihrer Andersartigkeit durch die Zugezogenen läßt sich beobachten. Der aus Zentralfrankreich stammende Jakob von Vitry kam in den 1210er Jahren als neuer Bischof von Akkon in die Exilhauptstadt des lateinischen Königreiches82 und kritisiert in seiner Historia Orientalis die alteingesessenen Lateiner wegen ihrer orientalisch anmutenden, von ihm als dekadent empfundenen Sitten und schmäht sie mit biblischen Worten als Generatio enim prava atque perversa.83 Die moderne Forschung ließ der hier skizzierten politischen eine intellektuelle Kolonialisierung folgen, ging und geht dabei jedoch mitunter noch radikaler vor, indem sie dem lateinischen Orient von Beginn an die Eigenständigkeit abspricht. Raymond Smail etwa dekonstruiert im letzten Kapitel seiner 1973 erschienenen Monographie The Crusaders in Syria and the Holy Land unter dem 79 Vgl. Prawer, Latin Kingdom. 80 Nachhaltige Kritik an der Kolonialismusthese und vor allem am Postulat der weitgehenden Segregation einer kleinen, auf die urbanen Zentren konzentrierten lateinischen Elite hat vor allem Prawers Landsmann Ronnie Ellenblum geäußert. Vgl. Ellenblum, Ronnie, Frankish Rural Settlement in the Latin Kingdom of Jerusalem, Cambridge 1998; Ders., Crusader Castles and Modern Histories, Cambridge 2007. 81 Vgl. Richard, Latin Kingdom, 167–288. 82 Vgl. Funk, Philipp, Jakob von Vitry : Leben und Werke (= Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance; 3), Leipzig 1909, 4, 37–51. 83 Jakob von Vitry, Histoire Orientale/Historia Orientalis, hg. u. übers. v. Jean Donnadieu, Turnhout 2008 (fortan JvV), LXXIII. Vgl. Dt 32:5. Siehe hierzu auch Davis, Ralph H. C., ›William of Tyre‹, in: Relations between East and West in the Middle Ages, hg. v. Derek Baker, Edinburgh 1973, 64–76.

32

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

Titel »Was there a Franco-Syrian Nation?« nicht allein das französische Konstrukt der auf Harmonie und Ausgleich beruhenden franko-syrischen Nation, sondern er degradiert den gesamten lateinischen Orient zu einem bloßen Anhängsel Westeuropas: »The Latins in the East knew themselves to be an outpost of a western world«84. Wie noch ausführlicher darzustellen sein wird, verstand man sich gerade im Königreich Jerusalem jedoch mitnichten als einen Außenposten, sondern als das Zentrum der Welt, und auch die Lateiner in Antiochia dürften die alte Metropole am Orontes mit ihrem reichen antiken und christlichen Erbe kaum als peripher angesehen haben. Doch das Beispiel Smails ist repräsentativ für weite Teile der Forschung, welche die Kreuzfahrerstaaten vor allem als eine europäische Exklave im fremden Orient betrachtet, die immer nur in Rückkopplung an Europa verstanden werden kann.85 Es spricht vieles dafür, in dieser Deutungsweise einen wesentlichen Grund für das Ausbleiben einer systematischen Erforschung der lateinisch-orientalischen Ethnogenesen zu erkennen. Einem bloßen Außenposten schreibt man keine oder zumindest keine beachtenswerte eigene Identität, keine eigene signifikante ethnohistorische Entwicklung zu. Als die französische Acad¦mie des Inscriptions et Belles Lettres im 19. Jahrhundert ihr Großprojekt zur Edition der Historiographie zur Geschichte der Kreuzzüge unter dem Titel Recueil des Historiens des Croisades anstrengte, beschloß man, zwischen Autoren okzidentalischer und orientalischer Quellen zu unterscheiden. Zu den okzidentalischen Quellen werden alle in Latein und Französisch schreibenden Autoren gerechnet – auch jene, die im Orient lebten und wirkten. Dieser Einteilung liegt die Auffassung zugrunde, daß die Lateiner, die sich im Orient ansiedelten, im Kern Westeuropäer oder gar Vertreter ins Mittelalter rückprojizierter moderner Nationen geblieben seien. Pate gestanden hat hier vor allem das zeitgenössische französische Denken des 19. Jahrhunderts. Franzosen, die sich in den französischen Kolonien und Dependancen im Orient und anderswo in der Welt niederließen, blieben nach dieser Vorstellung Franzosen. Die Sichtweise, welche der Kategorisierung des Recueil zugrunde liegt, hat im Übrigen mitnichten an Bedeutung verloren. Auch in der neuesten Forschung zu Kreuzzügen und Kreuzfahrerstaaten werden daher wie selbstverständlich im Orient und im Okzident entstandene lateinische Quellen nebeneinander besprochen. Für Rekonstruktion und Verständnis historischer Abläufe und Zu84 Smail, Raymond Charles, The Crusaders in Syria and the Holy Land (= Ancient Peoples and Places; 82), New York 1973, 184. 85 Eine solche intellektuelle Kolonialisierung diagnostizieren John D‚genais und Margaret Rich Greer der modernen Sicht auf das Mittelalter insgesamt, welches sie als »colonized region within the history of Modernity« bezeichnen. Dágenais, John u. Rich Greer, Margaret, ›Decolonizing the Middle Ages: Introduction‹, in: The Journal of Medieval and Early Modern Studies (30; 2000), 431–448, 438.

Die Kreuzfahrerstaaten im Zeichen des Orientalismus

33

sammenhänge stellt dies kein Problem dar, doch für geistes- und mentalitätsgeschichtliche Untersuchungen ist eine solche Vermengung höchst unangebracht. Als Beispiel sei auf einen Beitrag aus dem Jahre 2011 verwiesen, in welchem der Einfluß des ersten Kreuzzuges auf die »western opinion« über Byzanz analysiert wird.86 In dieser Untersuchung wird nicht nur in klassisch panlateinischer Manier keine Distinktion zwischen Antiochia und Jerusalem vorgenommen, sondern es werden Autoren des lateinischen Orients gemeinsam mit ihren in Europa wirkenden Zeitgenossen ausgewertet, um auf diesem Wege d i e westliche Einstellung gegenüber den Byzantinern zu charakterisieren. Selbst in jenen Fällen, in denen die lateinisch-orientalischen Historiographen ihre Eigenständigkeit in größter Begeisterung vor der Welt bekunden, werden sie nicht ernstgenommen. David Vessey etwa schreibt über Wilhelm von Tyrus: »An important reason for the composition of his work, he maintains, is love for his country«.87 Schon im Wort »maintain« zeigt sich, daß Vessey der von ihm referierten Selbstaussage nicht recht vertrauen mag, und tatsächlich sieht er im Königreich Jerusalem vor allem die Heimat aller Christen und gesteht Wilhelm daher lediglich »a special bond of fidelity towards the Crusading Kingdom«88 zu. Selbst Schwinges, der durchaus die Eigenständigkeit des lateinischen Orients betont und dies auch auf den von ihm besprochenen Patriotismus Wilhelms von Tyrus bezieht, ist der Auffassung, daß der Historiograph aus dem Königreich Jerusalem erst zur Ausbildung in den Westen habe reisen müssen, um dort überhaupt das Konzept des Patriotismus kennenzulernen und es dann in den lateinischen Orient zu reimportieren. Die intellektuelle Kolonisierung des lateinischen Orients und seiner Historiographie läßt sich zudem an den Aussagen der Forschung zu Anlaß und Adressatenbezug der Quellen nachweisen. So wird ausgerechnet den beiden bedeutendsten Chronisten des lateinischen Königreiches – Fulcher von Chartres und Wilhelm von Tyrus – unterstellt, sie hätten ihre

86 Vgl. Ní Chléirigh, L¦an, ›The Impact of the First Crusade on Western Opinion towards the Byzantine Empire. The Dei Gesta per Francos of Guibert of Nogent and the Historia Hierosolymitana of Fulcher of Chartres‹, in: The Crusades and the Near East, hg. v. Conor Kostick, 2011, 161–189. Auch die Beiträge in einem erst 2014 erschienenen Band zur Historiographie der frühen Kreuzzüge spiegeln diese Sichtweise. Alle lateinischen Texte zum ersten Kreuzzug werden der Kategorie der Kreuzzugsgeschichte zugeordnet und gemeinsam besprochen. Vgl. Marcus Bull u. Damien Kempf (Hgg.), Writing the Early Crusades. Text, Transmission and Memory, Woodbridge 2014. 87 Vessey, David W. T. C., ›William of Tyre and the Art of Historiography‹, in: Mediaeval Studies (35; 1973), 433–455, 439. 88 Ibid., 440. Ganz ähnlich auch bei: Edbury, Peter W. u. Rowe, John Gordon, William of Tyre. Historian of the Latin East, Cambridge 1988, 40; Lehtonen, Tuomas M. S., ›By the Help of God, because of our Sins, and by Chance. William of Tyre explains the Crusades‹, in: Medieval History Writing and Crusading Ideology, hg. v. Dems. u. Kurt Villads Jensen (= Studia Fennica. Historica; 9), Helsinki 2005, 71–84, 75.

34

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

Werke vor allem als an ein westliches Publikum gerichtete Propagandaschriften zur Anwerbung von bewaffneter Unterstützung aus Europa verfaßt.89 In der vorliegenden Arbeit gilt es daher, sich von der europäischen Vereinnahmung des lateinischen Orients zu trennen und die Kreuzfahrerstaaten sowie die im Orient lebenden Lateiner in ihrer Eigenständigkeit zu respektieren – als eine Gruppe mit okzidentalischen Wurzeln, die jedoch mit ihrer neuen Heimat auch eine neue Identität angenommen hatte. Es gilt, die Selbstaussagen von Orientlateinern wie jene Fulchers von Chartres ernstzunehmen, der von sich selbst behauptete, zum Orientalen geworden zu sein.

b.

Religiöse, philosophische und nationale Instrumentalisierung des lateinischen Orients

Einhergehend mit der Übertragung der eurozentrischen Perspektive ist ferner die religiöse, philosophische und schließlich nationale Instrumentalisierung der Kreuzzüge und des lateinischen Orients durch Westeuropäer zu beobachten. Wurden bis in das 16. Jahrhundert hinein die Kreuzzüge als Teil des anhaltenden Kampfes des gesamten Christentums gegen einen vordringenden Islam betrachtet, so stand die Beschäftigung mit den bewaffneten Pilgerfahrten und den Kreuzfahrerstaaten in der Zeit bis ins 18. Jahrhundert im Zeichen konfessioneller und philosophischer Differenzen innerhalb des christlichen Abendlandes. Im 17. Jahrhundert begann die erste Welle einer systematischen Erforschung der Kreuzzugsgeschichte, die durch die Ausgabe einer Quellensammlung durch Jacques Bongars im Jahre 1611 eingeleitet wurde.90 Gleichzeitig jedoch war die Forschung von der Konfession des jeweiligen Forschers geprägt, so daß sich eine Polarisierung zwischen protestantischer Verurteilung und katholischer Apologie entwickelte. Der englische Geistliche Thomas Fuller drückte zwar in seiner 1639 erschienen Kreuzzugsgeschichte seine Bewunderung für die frommen Mühen vieler Christen im Dienste des seiner Ansicht nach prinzipiell erstrebenswerten »Holy warre against the generall common foe of our Religion«91 aus, setzt dem jedoch die angeblich eigennützigen Motive des Papsttums und ins89 Vgl. Edbury u. Rowe, William of Tyre, 171; Epp, Fulcher von Chartres, 137f; Giese, ›Untersuchungen‹, 94f; Kletler, Paul, ›Die Gestaltung des geographischen Weltbildes unter dem Einfluß der Kreuzzüge‹, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (70; 1962), 294–322, 305f. Siehe auch Flori, Jean, ›De l’Anonyme Normand — Tudebode et aux Gesta Francorum. L’Impact de la Propagande de Boh¦mond sur la Critique Textuelle des Sources de la PremiÀre Croisade‹, in: Revue d’Histoire Eccl¦siastique (102; 2007), 717–746. 90 Bongars, Jacques (Hg.), Gesta Dei per Francos, sive Orientalium expeditionum, et regni Francorum Hierosolimitani Historia, Hanau 1611. 91 Fuller, Holy Warre, 277.

Die Kreuzfahrerstaaten im Zeichen des Orientalismus

35

besondere das vermeintliche Profitstreben des Pontifex entgegen – »he got a masse of money by it«92. Der französische Jesuit Louis Maimbourg hingegen schrieb 1675 aus unmißverständlich französisch-katholischer Perspektive eine Apologie des Heiligen Krieges.93 Diese konfessionelle Aufladung der Kreuzzugsrezeption hielt an, wurde aber seit dem 18. Jahrhundert durch die Religionskritik der Aufklärung überlagert, die in den Kreuzzügen ein Paradebeispiel für religiöse Intoleranz und Fanatismus erkennen wollte.94 Das 19. Jahrhundert erlebte wie das frühe siebzehnte ebenfalls einen Aufschwung für die wissenschaftliche Erforschung von Kreuzzügen und lateinischem Orient. Dieser Aufschwung jedoch war nicht zuletzt aus der Mittelalterbegeisterung der Romantik hervorgegangen, und Robert Irwin weist zurecht darauf hin, daß der Zugang für viele Interessierte damals nicht über die Originalquellen erschlossen wurde, sondern über die Romane Walter Scotts oder die Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht erfolgte.95 Gerade bei katholischen Historikern ging die Kreuzzugsbegeisterung in dieser Zeit zudem mit einer Romantisierung und Idealisierung des Forschungsobjektes einher.96 Doch die Romantik führte nicht nur zu einer verstärkten religiös motivierten Rezeption der Kreuzzüge, sondern resultierte vor allem in einer nationalen Neuinterpretation der bewaffneten Pilgerfahrten und des lateinischen Orients. Die Faszination am Mittelalter und eine intensivere Auseinandersetzung mit dem, was man für die mittelalterlichen Wurzeln der eigenen Nation hielt, ließen viele Europäer des 19. Jahrhunderts Kreuzzüge und Kreuzfahrerstaaten durch das Prisma des Nationalismus betrachten. Die Engländer errichteten vor den Houses of Parliament im Jahre 1860 ein durch öffentliche Subskription bezahltes Reiterstandbild Richards I. Löwenherz. Grund für die Würdigung Richards war seine Teilnahme am dritten Kreuzzug (1189–1192). Der Kunstkritiker der London Times rief freudig aus »A great reproach has been removed from London. We have at last another equestrian statue which deserves to rank with the few great statues of that class in Europe.«97 92 Ibid., 17. 93 Maimbourg, Louis, Histoire des Croisades pour la Delivrance de la Terre Sainte, Paris 1675. 94 Vgl. Constable, Crusaders and Crusading, 11ff; Tyerman, Christopher, The Debate on the Crusades, Manchester 2011, 37–66. 95 Vgl. Irwin, ›Orientalism‹, 223. Die populäre Orientbegeisterung überschnitt sich in vielfacher Weise mit der seriösen Forschung. Der erste Übersetzer der Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht – Antoine Galland – war etwa eng in das wissenschaftliche Netzwerk des Klosters Saint-Germain-des-Pr¦s eingebunden, und Irwin leitet die Entwicklung der Recueil nicht zuletzt auf Gallands Anregungen zurück. Vgl. ibid., 215. 96 Vgl. Constable, Crusaders and Crusading, 13f. 97 ›Marochetti’s Cœur de Lion‹, in: The Times (7. November 1860), 7 (http://han.sub.unigoettingen.de/han/Timesdigitalarchive/infotrac.galegroup.com/itw/infomark/465/649/686 2815w16/purl=rc1_TTDA_0_CS118658919& dyn=3!xrn_7_0_CS118658919& hst_1?sw_aep =wib6055), eingesehen am 24. April 2013.

36

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

Hier klingt die Rivalität mit Frankreich an, die sich freilich nicht auf die Kunst beschränkte, sondern die gerade auch die nationale Vereinnahmung der Kreuzzüge betraf. Allerdings konnten auch die verspätete Ehrung Richards I. und die Beanspruchung seines auf dem Sockel des Denkmals dargestellten Sieges bei Askalon für England nicht darüber hinweg täuschen, daß die Franzosen allen anderen europäischen Nationen im Hinblick auf die nationale Vereinnahmung der Kreuzzüge und des lateinischen Orients voraus waren. Schon in vorrevolutionärer Zeit hatten die Mönche der Kongregation von Saint-Maur im Kloster SaintGermain-des-Pr¦s unter dem Schutz der französischen Krone die Erforschung der Kreuzzüge in das Zeichen der Glorifizierung Frankreichs und seiner Monarchie gestellt. Die Arbeit des in der Revolution aufgelösten Klosters, dessen Mönche auf dem Schafott ermordet wurden, setzte im 19. Jahrhundert die Acad¦mie des Inscriptions et Belles Lettres fort. Man war darum bemüht, den lateinischen Orient für Frankreich zu reklamieren.98 Die Breitenwirkung dieser Kreuzzugsrezeption über akademische Kreise hinaus läßt sich an einer Anekdote aus dem Jahre 1839 belegen. Bei der Renovierung des Schlosses von Versailles in diesem Jahr richtete man einen Saal neu ein, in dem des Beitrages der Franzosen zur Kreuzzugsbewegung mit Gemälden und Wappen der französischen Kreuzfahrerfamilien gedacht werden sollte. Der ursprüngliche Plan mußte schließlich deutlich erweitert werden, da – häufig unter Verwendung eigens gefälschter Urkunden – so viele Franzosen ihre Abstammung von Kreuzfahrerfamilien behauptet hatten, daß der vorhandene Platz nicht ausreichte.99 Während außerhalb Frankreichs die Nationalisierung der Kreuzzugsforschung mit dem Ende des 19. Jahrhundert allmählich zurückging, erlebte sie in Frankreich nach dem ersten Weltkrieg und bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts noch einmal eine neue Blüte. Als Mandatsmacht des Völkerbundes übernahm Frankreich nach dem ersten Weltkrieg die Kontrolle in Syrien vom gefallenen Osmanischen Reich und in Nordafrika wirkte der französische Staat eigenständig als Kolonialmacht. Die französische Herrschaft in diesen Regionen galt es zu rechtfertigen, und vor diesem Hintergrund entstand auch in Teilen der französischen Mediävistik ein Bedürfnis danach, zu diesen Legitimationsbemühungen einen Beitrag zu leisten. Dazu besann man sich auf die Kreuzfahrerstaaten, die man als Vorläufer der französischen Kolonien in Nordafrika und des Mandatsgebietes in Syrien ansah. Die dominante Rolle, die französischsprachige Kreuzfahrer beim ersten Kreuzzug spielten, ist ebenso wenig von der Hand zu weisen wie die Tatsache, daß die Kreuzfahrerstaaten frankophon waren und auch kulturell zahlreiche Verbindungen mit Frankreich bestanden. Doch 98 Vgl. Irwin, ›Orientalism‹, 214, 221f. 99 Vgl. Murray, ›Language and Conflict‹, 109.

Die Kreuzfahrerstaaten im Zeichen des Orientalismus

37

die französische Mediävistik um Ren¦ Grousset setzte im Zeichen der »nation franco-syrienne«100 die frankophonen Siedler im Orient mit Franzosen gleich und überging dabei die im 12. und 13. Jahrhundert erheblichen Unterschiede zwischen Zentralfranzosen, frankophonen Normannen – aus der Normandie und aus Süditalien und Sizilien – und okzitanophonen Provenzalen. Das Propagieren der Harmonie zwischen Lateinern und Autochthonen sollte als Vorbild und Vorläufer für die französische Präsenz in der arabischen Welt des 20. Jahrhunderts dienen und diese legitimieren.101 Unter dem Eindruck des Weltkrieges wurden zudem zeitgenössische Konflikte auf den lateinischen Orient rückprojiziert. Im Jahre 1228 heiratete der Staufer Friedrich II. während seines Kreuzzuges die Thronerbin Isabella II. von Jerusalem. Ihr gemeinsamer Sohn herrschte als Konrad II.102 über das lateinische Königreich. Die in den frühen 1230er Jahren ausgebrochene Revolte der Barone gegen die Partei des Staufers, der freilich selbst nie in den Orient kam, wurde von Ren¦ Grousset als Aufstand Frankreichs gegen deutsche Dominanz interpretiert und verklärt. Eine französisch-nationalistische Stoßrichtung offenbaren auch Inhalt wie Titel einer im Jahre 1918 erschienenen Vortragssammlung Louis Madelins: L’Expansion FranÅaise. De la Syrie au Rhin.103 Die Geschichte der Kreuzzüge und der Kreuzfahrerstaaten wurde zum Unterkapitel der glorreichen Geschichte Frankreichs, und die Grafschaften Edessa und Tripolis, das Fürstentum Antiochia und das Königreich Jerusalem erscheinen als mittelalterliche Vorläufer der modernen d¦partements d’outre-mer. Seit der Zeit des Algerienkrieges und wohl auch unter dem Eindruck der deutsch-französischen Aussöhnung nach dem zweiten Weltkrieg verschwand der chauvinistische Ton aus der französischen Forschung und eine neue Generation von Historikern um den 1921 geborenen Jean Richard hat maßgeblich zu einer sachlicheren Behandlung der Kreuzzugsgeschichte beigetragen. Die grundsätzliche Vereinnahmung der Kreuzfahrerstaaten durch Frankreich jedoch hielt an und wirkt bis heute nach. Selbst Jean Richard, der grundsätzlich die Ausbildung einer eigenen Identität in Jerusalem anerkennt, möchte in der vor allem zentralfranzösisch und provenzalisch geprägten Bevölkerung des lateinischen Königreiches die Präfiguration der späteren französischen Nation erkennen104 und Michel Balard will die Teilnehmer des ersten Kreuzzuges ge-

100 101 102 103

Grousset, Histoire des Croisades. I, 287. Vgl. Mayer, ›America‹, 41 m. Anm. 18. Konrad IV. nach der Herrscherzählung des Heiligen Römischen Reiches. Madelin, Louis, L’Expansion FranÅaise. De la Syrie au Rhin, Paris 1918. Zur kolonialistisch-nationalistischen Prägung der französischen Forschung vgl. Mayer, ›America‹, 41 m. Anm. 18. 104 Vgl. Richard, Latin Kingdom, A:281f.

38

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

meinsam »sous la banniÀre franÅaise«105 versammelt wissen. Leise aber doch vernehmliche Anklänge an die Romantisierung der Kreuzzüge, aber sogar an den Nationalchauvinismus eines Ren¦ Grousset zeigt auf einer anderen Ebene Jean Flori, der in seiner 1999 erschienenen Monographie zum ersten Kreuzzug explizit behauptet, gegen die Dominanz der anglophonen und deutschen Kreuzzugforschung seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorgehen zu wollen.106 Die Instrumentalisierung der Kreuzfahrerstaaten durch europäische Interessen und vor allem ihre Beanspruchung als französische Dependance in der Levante widerspricht dem Postulat eigener ethnogenetischer Prozesse im lateinischen Orient. Daher wird in der vorliegenden Arbeit wiederholt auf diese Problematik hinzuweisen sein. Vor allem im Rahmen einer ausführlichen Analyse der von den zeitgenössischen Quellen gebrauchten Gruppenterminologie wird eine Auseinandersetzung mit der französischen Appropriation der Kreuzfahrerstaaten erfolgen.

c.

Der lateinische Orient als Projektionsfläche für abendländischen Idealismus

Neben der perspektivischen Vereinnahmung der Kreuzfahrerstaaten und ihrer Instrumentalisierung im Dienste westlicher Interessen ist schließlich auf die Verklärung des Orients der Kreuzfahrerzeit hinzuweisen. Schon in Lessings 1779 veröffentlichtem Drama Nathan der Weise bringt die berühmte Ringparabel die Sehnsucht nach einem Ausgleich zwischen Judentum, Christentum und Islam zum Ausdruck, der sich nicht zufällig im Heiligen Land selbst vollzieht.107 Doch auch in Teilen der neueren Kreuzzugsforschung läßt sich eine Verklärung des Orients zur Zeit der Kreuzzüge als Ort der interkulturellen Verständigung und der Toleranz nachweisen. Dies gilt einerseits schon für die bereits besprochene französische These der fränkisch-syrischen Nation. Diese jedoch war aufgrund ihrer Instrumentalisierung für die Legitimation kolonialer Ambitionen nicht allein idealistischer Natur. Idealismus spricht jedoch gerade aus dem Werk zweier schon erwähnter deutscher Forscher, deren Arbeiten für die Untersuchung der ethnogenetischen Prozesse in den Kreuzfahrerstaaten von Bedeutung sind. Rainer Christoph Schwinges sieht Wilhelm von Tyrus als Vertreter einer weitgehenden religiösen Toleranz, die er als Eigenart des lateinischen Orients 105 Balard, ›Gesta Dei‹, 481. 106 Vgl. Flori, Jean, Pierre l’Ermite et la PremiÀre Croisade, Paris 1999, 9f. 107 Zur Ringparabel vgl. Dinzelbacher, Peter, ›Kritische Bemerkungen zur Geschichte der religiösen Toleranz und zur Tradition der Lessing’schen Ringparabel‹, in: Numen (55; 2008), 1–26.

Die Kreuzfahrerstaaten im Zeichen des Orientalismus

39

identifiziert. Religion und der Geist des Kreuzzuges hätten für »diese multikonfessionelle oder ›multikulturelle Gesellschaft‹ von Einheimischen und Zuwanderern« keine zentrale Rolle mehr gespielt, da ihr »Wir-Bewusstsein […] sich Zug um Zug vom Wir-Kreuzfahrer-Motiv gelöst und zu einer neuartigen Wir-Orientalen-Identität gewandelt«108 habe. Schwinges geht dabei so weit, Wilhelm von Tyrus die im Text des Chronicon definitiv nicht anzutreffende Aussage zuzuschreiben, daß bei einer Schlacht des Königreiches Jerusalem gegen Tugtakin von Damaskus im Jahre 1126 der Apostel Paulus bei Gott Fürsprache für die Muslime eingelegt habe.109 Die Tatsache, daß der Sieg der Lateiner in der Schlacht nicht mit einer völligen Vernichtung des muslimischen Gegners einherging, müsse Wilhelm als Zeichen gewertet haben, daß Gott »die muslimischen Ansprüche [auf das heilige Land] nicht als unrechtmäßig«110 betrachtet habe.111 Das Bedürfnis, in den Quellen des lateinischen Orients die gegenwärtig vertretenen, eigenen Werte gespiegelt zu finden, ist auch in Verena Epps in mancherlei Hinsicht auf Schwinges aufbauenden Ausführungen zur »nationalen Identität« in den Kreuzfahrerstaaten wiederzufinden. Auch Epp will auf Grundlage ihres Vergleiches der beiden Redaktionen der Historia Fulchers von Chartres und vor allem anhand Wilhelms von Tyrus eine allmähliche Säkularisierung des Gemeinschaftsgefühls beobachten, eine partielle Abkehr von den Werten der Kreuzzugszeit.112 Obgleich diese Projektion des eigenen Idealismus ohne Frage nicht mit dem Nationalchauvinismus des neunzehnten und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu vergleichen ist, manifestiert sich in ihr dennoch abermals eine Vereinnahmung des lateinischen Orients, die dessen Eigenständigkeit und die Aussagen seiner Historiographen nicht hinreichend würdigt. Diese in ihrer Thesenbildung durchaus gewinnbringenden und anregenden Studien geben daher Anlaß, sich im Zuge der Analyse der Feind- und

108 Schwinges, ›Regionale Identität‹, 242. 109 Schwinges, Kreuzzugsideologie und Toleranz, 244f. Tatsächlich kann sich das eis, hinter welchem Schwinges die Muslime vermutet, nur auf die Truppen des lateinischen Königreiches beziehen, nicht auf deren später genannte hostes. Es entzieht sich dem Verständnis, warum die Fürsprache des Völkerapostels für die Muslime reklamiert und für den Ausgang der Schlacht verantwortlich gemacht und im gleichen Satz deren Niederlage mit den Worten opitulante divina clementia et intercedente pro eis doctore gentium erklärt werden sollte. Vgl. WvT XIII.xviii.69–72. 110 Schwinges, Kreuzzugsideologie und Toleranz, 243. Tatsächlich stellt Wilhelm den Ausgang des Gefechts aus muslimischer Sicht durchaus als vernichtend dar: suorum stragem perpessi saeculis memorabilem. Es kann also nicht die Rede davon sein, Wilhelm habe die Kriegsmotive beider Parteien als gleichermaßen gerecht angesehen. 111 Schwinges wiederholt dennoch seine These von der angeblichen Interzession des Apostels zugunsten der Muslime in einem neueren Aufsatz. Vgl. Ders., ›Wahrnehmung und Identität‹, 108. 112 Vgl. Epp, ›Entstehung‹, 603.

40

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

Fremdbilder der Lateiner in den Kreuzfahrerstaaten mit der Frage der Toleranz eingehender auseinanderzusetzen.

4.

Methodik

Die vorausgegangenen Ausführungen zur Forschungssituation wie auch zur Rezeption der Geschichte der Kreuzzüge und der Kreuzfahrerstaaten haben gezeigt, daß eine eingehendere und systematische Untersuchung der ethnogenetischen Prozesse in den Kreuzfahrerstaaten nötig ist und daß eine solche Untersuchung besonderes Augenmerk auf Unterschiede zwischen den verschiedenen Kreuzfahrerstaaten legen muß, wobei dieser Vergleich bedingt durch die Überlieferungssituation allein zwischen dem Königreich Jerusalem und dem Fürstentum Antiochia durchgeführt werden kann. Die vorangegangenen Bemerkungen zur Rezeption der Geschichte der Kreuzzüge und der Kreuzfahrerstaaten verdeutlichen ferner die Notwendigkeit, bei einer Untersuchung des lateinischen Orients nicht nur eine Binnendifferenzierung zwischen Jerusalem und Antiochia vorzunehmen, sondern trotz aller Abhängigkeiten und Verbindungen stets auch die Eigenständigkeit der Kreuzfahrerstaaten gegenüber Europa wahr- und ernstzunehmen. Zuerst muß eine theoretisch fundierte Methodik etabliert werden, auf deren Grundlage aussagefähige Feststellungen getroffen werden können. Dabei begegnet man zwei großen Problemen. Insbesondere in der geschichtswissenschaftlichen Forschung ist eine große begriffliche Verwirrung zu bemerken. So finden sich unterschiedlichste Bezeichnungen wie etwa Nation, national, Nationalismus, Nationalbewußtsein, ethnische Gruppe, Ethnizität, Volk, Stamm und (kollektive) Identität. Leider bleiben allzu oft präzise Definitionen dieser nicht eindeutigen Termini aus.113 Die sozialwissenschaftlichen Forschungen zum Thema von Gruppenbildungsprozessen und Gruppenidentität hingegen sind von einem anderen Problem betroffen. Die für diesen Themenkomplex wichtigen Konzepte wie Ethnizität und (kollektive) Identität diskutiert die Forschung vor allem im Zusammenhang mit den Phänomenen Nation und 113 Zur mangelnden Begriffsschärfe in der Wissenschaft siehe: Emil, Wilhelm, ›Ethnogonie und Ethnogenese. Theoretisch-ethnologische und ideologiekritische Studie‹, in: Studien zur Ethnogenese (= Abhandlungen der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften; 72), Opladen 1985, 9–27, 9; Murray, Alexander Callander, ›Reinhard Wenskus on »Ethnogenesis«, Ethnicity, and the Origin of the Franks‹, in: On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, hg. v. Andrew Gillett, Turnhout 2002, 41–68; Smith, Anthony D., ›National Identities: Modern and Medieval?‹, in: Concepts of National Identity in the Middle Ages, hg. v. Simon Forde, Lesley Johnson u. Alan V. Murray (= Leeds Texts and Monographs. New Series; 14), Leeds 1995, 21–46, 24.

Methodik

41

Nationalismus. Worte wie Nation, Nationalismus und Nationalbewußtsein, aber eben auch die im öffentlichen Diskurs vielleicht etwas weniger präsenten Begriffe Ethnizität, Volk, Stamm und (kollektive) Identität sind ohne Zweifel durch die Geschichte der letzten zweihundert Jahre, durch die Katastrophen der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts wie auch durch das Aufflammen ethnischer und religiöser Konflikte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und im jungen 21. Jahrhundert geprägt. Als ein regelrechtes Minenfeld bezeichnet diesen Forschungsgegenstand deshalb auch Anthony D. Smith,114 der allerdings selbst seit bald vierzig Jahren äußerst produktiv im Niemandsland zwischen Geschichtswissenschaft und Soziologie an der Erforschung von Nationalismus und Ethnizität arbeitet.115 In einem Minenfeld ist es zwar nötig, aber nachvollziehbarerweise mitunter schwer, einen kühlen Kopf zu bewahren. Dies betrifft auch Teile der Forschung, die zu Themen wie Nationalismus und Ethnizität vorliegt: »despite a scholarly air of unconcerned objectivity, few subjects engage the passions so vividly.«116 So fordert Smith denn auch mit einem durchaus zur Kreuzzugszeit passenden Bild: »[I]f we are to move beyond the sweeping certitudes of these rival theoretical positions, like the brilliant jousts of knights on horseback, we need to start with some attempt to unravel the tangle of terms and definitions.«117 Diesem Aufruf folgend, muß also zunächst im Rahmen einer Synthese, welche die Ergebnisse verschiedener Disziplinen und widerstreitender Parteien in der Forschung berücksichtigt, eine Methodik für die Untersuchung der Ethnogenesen im lateinischen Orient erarbeitet werden.

a.

Geschichtswissenschaftliche Ethnogeneseforschung

Den wichtigsten methodischen Impuls hat, wie bereits angemerkt, Murray mit seinem Plädoyer für die Anwendung des klassischen Ethnogenesemodells auf die Kreuzfahrerstaaten gegeben. Diesem Plädoyer soll in der vorliegenden Arbeit entsprochen werden. Im Mittelpunkt stehen dabei die Studien des Göttinger Mediävisten Reinhard Wenskus und der Mitglieder der sogenannten Wiener Schule um Herwig Wolfram und Walter Pohl, welche sich, um den Untertitel von Wenskus’ Stammesbildung und Verfassung aufzugreifen, vor allem mit dem 114 Vgl. Smith, ›National Identities‹, 21. 115 Die Publikationen Smiths zu diesem Thema sind äußerst zahlreich, weshalb hier nur auf eine für die vorliegende Arbeit besonders wichtige Auswahl verwiesen sei: Smith, Anthony D., The Ethnic Origins of Nations, Oxford 1986; Ders., ›National Identities‹; Ders., Nationalism. Theory, Ideology, History, Cambridge 2001; Ders., The Antiquity of Nations, Cambridge 2004. 116 Ders., ›National Identities‹, 21. 117 Ibid., 24.

42

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

Werden der frühmittelalterlichen gentes befassen. Wenskus selbst benennt diesen Prozeß mit dem heute leicht archaisch anmutenden Wort »Stammesbildung«, während sich seither der Begriff Ethnogenese durchgesetzt hat.118 Das Verdienst der Ethnogeneseforschung seit Wenskus besteht darin, sich von der ideologischen Überfrachtung gelöst zu haben, welche die vorherige Forschung zu diesem Thema – insbesondere die deutschsprachige germanische Altertumskunde – allzu oft bestimmt und mit einer völkisch-nationalistischen Prägung versehen hatte.119 Die frühmittelalterlichen gentes wurden seit Wenskus nicht mehr als »homogeneous product[s] of natural organic processes«120 gesehen, sondern als von Individuen unterschiedlichster Herkunft gebildete, komplexere Gruppen, die nicht in erster Linie als biologische Abstammungsgemeinschaften definiert waren. Gleichzeitig spricht sich Wenskus gegen »[a]lle Versuche [aus], die ethnische Gruppierung allein auf Grund objektiv feststellbarer Merkmale, politischer Verbände, sprachlicher und kultureller Zusammenhänge usw. grundsätzlich festzulegen« und verweist darauf, daß die Gruppenzugehörigkeit vielmehr durch »ethnische[s] Bewußtsein […] und […] Selbstabgrenzung«121 definiert gewesen sei. In den Mittelpunkt rückte nun vor allem die Interpretation des »Stamm[es] als Traditionsgemeinschaft«, als eine Gruppe also, welche »ihre ethnische Existenz« erst durch die Bildung »historisch-ethnische[r] Traditionen« begründete, die durch einen »kleine[n] traditonstragende[n] Kern« bewahrt und tradiert werden.122 Wolfram spricht daher auch von einem inter118 Pohl, Walter, ›Ethnicity, Theory, and Tradition: A Response‹, in: On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, hg. v. Andrew Gillett, Turnhout 2002, 221–239, 221. 119 Verwiesen sei vor allem auf Otto Brunner und Otto Höfler, die beide auch nach 1945 lehrten, forschten und veröffentlichten. Zur ideologischen Prägung der Forschung vgl. Beck, Heinrich, Geuenich, Dieter, Steuer, Heiko u. Hakelberg, Dietrich (Hgg.), Zur Geschichte der Gleichung »germanisch—deutsch« Sprache und Namen, Geschichte und Institutionen (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde; 34), Berlin 2004; Pohl, Die Germanen (= Enzyklopädie Deutscher Geschichte; 57), München 2004 (2. Aufl., 1. Aufl. 2000), 5f; Ders., ›Response‹, 224; Ders., ›Identität und Widerspruch: Gedanken zu einer Sinngeschichte des Frühmittelalters‹, in: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters, hg. v. Dems. (= Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse. Denkschriften; 322/ Forschungen zur Geschichte des Mittelalters; 8), Wien 2004, 23–35, 25f. 120 Murray, ›Ethnogenesis‹, 50f. Murray allerdings sieht hier keine Innovation durch Wenskus. 121 Wenskus, Stammesbildung, 81. 122 Ibid., 54, 73. Zu Verdienst und Neuerungen von Reinhard Wenskus und der Ethnogeneseforschung insgesamt vgl.: Coumert, Magali, Origines des Peuples. Les R¦cits du Haut Moyen ffge Occidental (550–850) (= Collection des Êtudes Augustiniennes. S¦rie Moyen ffge et Temps Modernes; 42), Paris/Turnhout 2007, 12f; Pohl, Walter, ›Tradition, Ethnogenese und literarische Gestaltung: eine Zwischenbilanz‹ in: Ethnogenese und Überliefe-

Methodik

43

pretatorischen Wandel von der »biologischen Abstammungsgemeinschaft« hin zu einer »Abstammungsgemeinschaft aus Überlieferung«123. Leider wird zur Beschreibung der Träger der Ethnogenese eine Vielfalt von Begriffen gebraucht, die nicht immer klar voneinander unterschieden werden. Erschwerend kommt hinzu, daß Definitionen von und Distinktionen zwischen Begriffen wie gens, natio, Stamm und Volk erwartungsgemäß eng an die untersuchte Zeit – also vor allem Spätantike und Frühmittelalter – und die diese behandelnden historiographischen Texte gebunden sind.124 Für die Anwendung des Ethnogenesemodells auf die lateinische Levante empfiehlt es sich daher, diese begriffliche Klippe zu umschiffen und die oft verwirrende Terminologie auf das Wesentliche zu reduzieren. Wenskus selbst stellt zwar die von ihm synonym gebrauchten Begriffe Stamm und gens ins Zentrum seines Modells, greift aber immer wieder auch auf ein anderes begriffliches Register zurück, wenn er etwa von »ethnische[n] Einheite[n]«125 und »ethnische[m] Bewußtsein«126 spricht.127 Die Bezeichnungen »ethnische Gruppe« und »ethnische Identität« sind im Gegensatz zu gens und Stamm in ihrer Definition nicht an eine bestimmte Epoche oder einen bestimmten geographischen Raum gebunden und bieten sich somit für eine Übertragung des Ethnogenesemodells auf andere Epochen und Räume an. Wie entsteht nach dem Ethnogenesemodell eine ethnische Gruppe, und wodurch zeichnet sie sich aus? Eine zentrale Rolle kommt der ethnischen Tradition

123

124 125 126 127

rung. Angewandte Methoden der Frühmittelalterforschung, hg. v. Karl Brunner u. Brigitte Merta (= Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; 31), Wien 1994, 9–26, 10ff; Pohl, ›Response‹, bes. 221f. Wolfram, Herwig, ›Einleitung oder Überlegungen zur Origo Gentis‹, in: Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern. 1: Berichte des Symposiums der Kommission für Frühmittelalterforschung, 27. bis 30. Oktober 1986, Stift Zwettl, Niederösterreich, hg. v. Dems. u. Walter Pohl (= Österreichische Akademie der Wissenschaften/ Philosophisch-Historische Klasse/Denkschriften; 201), Wien 1990, 19–33, 30. Vgl. Wenskus, Stammesbildung, 46–51. Ibid., 5. Ibid., 81. Dies läßt sich wohl damit erklären, daß Wenskus’ Methodik in vielerlei Hinsicht auf der Grundlage der älteren deutschen Ethnologie und Ethnosoziologie aufbaut. Vgl. besonders Mühlmann, Wilhelm Emil, Methodik der Völkerkunde, Stuttgart 1938. Siehe dazu auch Pohl, ›Conceptions of Ethnicity‹; Ders., ›Zwischenbilanz‹, 11; Wenskus, Stammesbildung, bes. 2–6; Wolfram, ›Einleitung‹, 2; Ders., ›Auf der Suche nach den Ursprüngen‹, in: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters, hg. v. Walter Pohl (= Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse. Denkschriften; 322/Forschungen zur Geschichte des Mittelalters; 8), Wien 2004, 11–22, 11. Zur Vergleichbarkeit von gens und Ethnie auch abseits von Wenskus und der Wiener Schule siehe außerdem: Plassmann, Alheydis, Origo gentis. Identitäts- und Legitimitätsstiftung in früh- und hochmittelalterlichen Herkunftserzählungen (= Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters; 7), Berlin 2006, 14, bes. Anm. 9.

44

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

und den mit ihr verbundenen Mythen zu.128 Man sucht nach diesen Mythen in historiographischen Texten, welche die Herkunft einer ethnischen Gruppe behandeln und welche man allgemein unter dem modernen Gattungsbegriff der Origo Gentis zusammenfaßt.129 Zumeist liegen die in den Origines Gentium beschriebenen Ereignisse mehrere Jahrhunderte vor der Abfassung der Texte.130 Die Ethnogeneseschule jedoch vertritt die Ansicht, daß diese Berichte trotz der zeitlichen Distanz auf authentischen und zuvor oral tradierten Erzählungen beruhen, daß man also Rückschlüsse auf tatsächliche Vorgänge der Ethnogenese und – noch wichtiger – auf die diese Prozesse prägenden Mythen treffen könne.131 Auch wenn sich diese Mythen im Einzelnen stark unterscheiden können, lassen sich doch ohne zu große Vereinfachung gewisse Grundmuster skizzieren. Typischerweise verläßt eine kleine Schar ihr angestammtes Gebiet, gerät alsbald mit anderen Gruppen in Konflikt und besetzt schließlich eine neue Heimat, zu der in einigen Fällen auch eine besonders enge Beziehung aufgebaut wird.132 Dabei geschieht dieser Auszug oft unter göttlicher Führung, und der Gruppe wird somit der Status der Auserwähltheit zugeschrieben. Die noch kleine Gruppe vollbringt mit besonderer Beteiligung ihres Anführers, seiner Familie und enger Vertrauter eine besondere Leistung – zumeist den Sieg über einen übermächtigen Feind –, was schließlich zur Eroberung der neuen Heimat führt. Diese Leistung wird von der Forschung mit dem Terminus der primordialen Tat bezeichnet. Der Feind, welcher im Rahmen dieser Tat überwunden wurde, wird dann oft zum Erz- und Erbfeind der Gruppe. Wanderung und primordiale Tat stehen in vielen Fällen in Zusammenhang mit dem Motiv der Überquerung eines Gewässers, welche durch ihren liminalen Charakter für den ethnischen Mythos von besonderer Bedeutung ist und einen wichtigen Wendepunkt in der Geschichte der Gruppe markiert.133 Die primordiale Tat verhilft einer kleinen, elitären Kerngruppe innerhalb der ethnischen Einheit – zumeist dem Herrscher, seinen Familienmitgliedern und 128 Vgl. Wenskus, Stammesbildung, 54–82; Plassmann, Origo gentis, 14ff; Wolfram, ›Einleitung, 20ff, 30f. 129 Die ersten dieser Berichte wurden aus der Außenperspektive der römischen Welt auf die barbarischen Gruppen außerhalb des Reiches geschrieben – wie etwa die Germania des Tacitus. Texte, welche aus der Perspektive der Barbaren berichten, tauchen erst seit dem 6. Jahrhundert auf. Zum Gattungsbegriff der Origines Gentium siehe Plassmann, Origo gentis, 14ff. 130 Vgl. ibid., 16ff; Wolfram, ›Einleitung‹ 20f. 131 Vgl. Plassmann, Origo gentis, 16; Pohl, ›Response‹, 229, 238f; Wenskus, Stammesbildung, 54ff; Wolfram, Herwig, ›Origo et religio. Ethnic Traditions and Literature in Early Medieval Texts‹, in: Early Medieval Studies (3; 1994), 19–38, 19f, 38. 132 Die Anbindung an die terra scheint dabei insbesondere bei den Normannen eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Vgl. Plassmann, Normannen, 209f ; dies., Origo gentis, 257ff. 133 Vgl. Plassmann, Origo gentis, 360ff; Wolfram, ›Einleitung‹, 31.

Methodik

45

Anführern – zu gesteigertem Ansehen und legitimiert ihre Vormachtstellung. Dies verdeutlicht auch die vorrangig militärische Prägung der Gruppe. »Volk und Heer sind eins«.134 Durch die primordiale Tat gewinnt zudem die Gruppe insgesamt an Prestige und zieht in der Folge Menschen verschiedenster Herkunft an. Der Zusammenhalt der gewachsenen Gruppe wird durch die an Einfluß und Ansehen reiche Kerngruppe gewährleistet. Ihre Abstammung und ihre Taten auf der Wanderung übernimmt und vereinnahmt die Gesamtgruppe in Form einer gemeinsamen Legende. Auch der Name der Gruppe nimmt in der »Stammestradition« einen wichtigen Platz ein.135 Eine wesentliche Funktion von Herkunftsmythen ist die Legitimation der Gruppe. Dabei können externe Faktoren – eine Gottheit oder die Anknüpfung an eine ältere ethnische Tradition – als Stützen der Legitimität fungieren, aber auch gruppeninterne Größen wie der Herrscher und seine Familie und auch die Eliten der Gruppe.136 Die Bindung an die ethnische Tradition hat nach dem klassischen Ethnogenesemodell einen wesentlichen Anteil an der Zuordnung zu einer ethnischen Gruppe. Auch wenn diese längst heterogener Natur ist, erzeugt ihre ethnische Tradition langfristig doch »die Überzeugung von gemeinsamer Abstammung«137 – »wer sich zur Tradition bekennt, […] ist Teil der Gens«138 und Träger ihrer »ethnic identity«.139 Neben der ethnischen Tradition werden auch andere identitätsbildende Faktoren von objektiverer und greifbarerer Natur – wie etwa Sprache, Recht, Kultur, Brauchtum oder Kleidung – benannt, die aber als sehr viel weniger verbindlich und aussagekräftig angesehen werden.140 Zu betonen ist außerdem, daß ethnische Identität von der Forschung nicht als eine stabile Größe betrachtet wird, sondern als ein Prozeß. Ebenso wie die ethnische Gruppe selbst in ihrer Zusammensetzung fluktuieren kann, ist auch die ethnische Identität ständig in Bewegung und paßt sich an die jeweilige Situation an.141 »[W]e cannot expect to classify peoples in the same way that Linnaeus classified

134 135 136 137 138 139

Ibid.› 22. Vgl. Wenskus, Stammesbildung, 59ff, Zitat 59. Vgl. Plassmann, Origo gentis, 366–369. Ibid., 14. Wolfram, ›Einleitung‹, 30. Pohl, Walter, ›Telling the Difference: Signs of Ethnic Identity‹ in: Strategies of Distinction. The Construction of Ethnic Communities, 300–800, hg. v. Dems. u. Helmut Reimitz (= The Transformation of the Roman World. A Scientific Programme of the European Science Foundation; 2), Leiden 1998, 19–69. Vgl. auch Wenskus, Stammesbildung, 13; Wolfram, ›Suche‹, 11. 140 Vgl. Plassmann, Origo gentis, 14; Wenskus, Stammesbildung, 81. Vgl. auch: Daim, Falko, ›Gedanken zum Ethnosbegriff‹, in: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien (112; 1982), 58–71, 65. 141 Vgl. Pohl, ›Conceptions‹, 16f; Wenskus, Stammesbildung, 81.

46

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

his plants. […] we do not have to look for ethnicity as an inborn characteristic, but as an ›ethnic practice‹ that reproduces the ties that hold a group together.«142 Vor dem Hintergrund dieser Skizze des Ethnogenesemodells wird offensichtlich, warum sich dessen Übertragung auf den ersten Kreuzzug und den lateinischen Orient anbietet: Die Kreuzfahrerstaaten entstanden als Folge des Auszuges mehrerer militärischer Gruppen mit einem großen zivilen Troß aus ihren Heimatgebieten in Westeuropa. Der Kreuzzug setzte sich aus vier Großkontingenten zusammen, innerhalb derer sich kleinere Gruppen um Anhänger der weltlichen und klerikalen Eliten und ihre engsten Gefolgsleute scharten. Die Mitglieder dieser kleineren Gruppen kannten sich häufig aus ihrer Heimat und waren gemeinsam aufgebrochen. Im Laufe des Kreuzzuges aber gab es Fluktuationen zwischen den Kleingruppen und auch über die Grenzen der vier Großkontingente hinweg, wobei das Prestige der jeweiligen Anführer eine wichtige Rolle spielte. Der Kreuzzug gelangte schließlich nach der Überquerung des Bosporus in einen neuen geographischen Raum,143 in dem sich die Teilnehmer nach erbitterten Kämpfen gegen die Muslime – und im Falle Antiochias auch gegen die Byzantiner – eine neue Heimat eroberten.144 All dies geschah im Zeichen der göttlichen Legitimation des Unternehmens, die ihren stärksten Ausdruck im Kreuzzugsaufruf Urbans II. im Jahre 1095 fand. In der Fremde entstanden die vier Kreuzfahrerstaaten, deren lateinische Bevölkerung heterogener Herkunft war und ein neues Selbstbewußtsein entwickelte. Dabei standen die Lateiner als Minderheit einer autochthonen Mehrheit aus orientalischen 142 Pohl, ›Conceptions‹, 17; vgl. auch: Ders., ›Identität und Widerspruch‹, 24f. 143 In diesem Zusammenhang ließe sich auf eine weitere Parallele zwischen den Barbarenheeren der Völkerwanderungszeit und dem Ersten Kreuzzug hinweisen. Die Überquerung des Bosporus wurde den Kreuzfahrern erst gestattet, nachdem sie dem Kaiser förmliche Eide geschworen und ihm die Rückgabe aller zurückeroberten ehemals byzantinischen Besitzungen zugesichert hatten. Sie kämpften somit gewissermaßen im Namen des Kaisers, hatten sich nach einer Interpretation des Eides gar zu dessen Lehnsmännern gemacht (siehe dazu z. B.: Lilie, Ralph-Johannes, Byzanz und die Kreuzzüge, Stuttgart 2004, 45–48). Gesichert ist, daß Alexios einige der Anführer des Kreuzzuges durch Adoptionen an sich band. Dies alles erinnert sehr an die Praxis des spätantiken Römischen Reiches im Westen, Anführer barbarischer Heergruppen als Foederaten an sich zu binden und für sich kämpfen zu lassen. Vgl.: Ganshof, F. L., ›Recherche sur le Lien Juridique qui unissait les Chefs de la PremiÀre Croisade — l’Empereur Byzantin‹, in: M¦langes Offerts — M. Paul-E. Martin, Genf 1961, 49–63, 49ff; Mayer, Kreuzzüge, 64f, 344f, Anm. 24; Pohl, Germanen, 35; Pryor, John H., ›The Oath of the Leaders of the First Crusade to the Emperor Alexius: Fealty, Homage‹, in: Parergon (2; 1984), 111–141, 111f. 144 Vgl. Housley, Norman, Contesting the Crusades, Malden/MA 2006, 39f; Mayer, Kreuzzüge, 53ff, 60–64; Murray, Alan V., ›The Army of Godfrey of Bouillon, 1096–1099: Structure and Dynamics of a Contingent on the First Crusade‹, in: Revue Belge de Philologie et d’Histoire (70; 1992), 301–329; Ders., ›Ethnic Identities‹; Ders., ›Prolegomena‹, bes. 352ff; Pohl, ›Identität und Widerspruch‹, 29; Riley-Smith, Jonathan Simon Christopher, The First Crusaders. 1095–1131, Cambridge 1997, 81–143.

Methodik

47

Christen, Juden und Muslimen gegenüber – eine Situation, die beste Bedingungen für ein Streben nach »ethnic identification«145 bieten mußte.146 Es muß allerdings auch auf einige Probleme eines solchen Versuchs eingegangen werden. Das Ethnogenesemodell ist in den letzten zwanzig Jahren einem hohen Maß an Kritik ausgesetzt gewesen. Insbesondere die zentrale Position, welche in den Argumentationen Wenskus’ und der Wiener Schule historiographischen Texten zukommt, hat Ablehnung erfahren. Walter Goffart etwa liest in seiner einflußreichen Monographie The Narrators of Barbarian History147 die Origines Gentium als literarische Texte, in denen keine authentische ethnische Tradition zu erkennen sei.148 Goffart betont vielmehr die programmatische und auf die politische Situation zum Entstehungszeitpunkt ausgerichtete Natur der von ihm analysierten Texte.149 Goffarts Kritik am Ethnogenesemodell gewann an Einfluß und wurde in einem 2002 erschienenen Sammelband mit dem Titel On Barbarian Identity aufgegriffen und weiterentwickelt.150 Auch Susan Reynolds spricht den Origines Gentium die Bedeutung als zuverlässige Quellen für die in 145 Pohl, ›Response‹, 237. 146 Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß die vorliegende Arbeit mitnichten die erste ist, welche die prinzipielle Vergleichbarkeit von Strukturen und Prozessen auch über die Schwelle zwischen Früh- und Hochmittelalter für gerechtfertigt hält. Siehe etwa: Pohl, ›Zwischenbilanz‹, 12f; Brühl, Carlrichard, Deutschland – Frankreich. Die Geburt zweier Völker, Köln 1995 (2. Aufl., 1. Aufl. 1990), 243–267. An dieser Stelle sei allerdings darauf verwiesen, daß Wenskus selbst seine Theorien allein für die Anwendung auf die gentes in Spätantike und Frühmittelalter für gültig hielt, nicht aber für Erscheinungen seit dem Hochmittelalter (vgl. Wenskus, Stammesbildung, 82–87). Auch das 1972 durch Helmut Beumann und Walter Schlesinger initiierte Forschungsprojekt Nationes schien eine epochale Wasserscheide im 10./11. Jahrhundert anzunehmen, sah daher die Vergleichbarkeit von Prozessen und Kategorien vor und nach dieser Wende als nicht gegeben an und unterschied klar zwischen Stämmen/gentes und mittelalterlicher Nation (vgl. Beumann, Helmut, ›Die Bedeutung des Kaisertums für die Entstehung der deutschen Nation im Spiegel der Bezeichnungen von Reich und Herrscher‹, in: Aspekte der Nationenbildung im Mittelalter. Ergebnisse der Marburger Rundgespräche 1972–1975, hg. v. Dems. u. Werner Schröder (= Nationes. Historische und philologische Untersuchungen zur Entstehung der europäischen Nationen im Mittelalter ; 1), Sigmaringen 1978, 317–365, bes. 318, Anm. 5; Schlesinger, ›Entstehung der Nationen‹, bes. 58). Pohl spricht sich gegen diese scharfe Trennung aus und schlägt vor, stattdessen »von allmählichen Akzentverschiebungen in Richtung auf Territorialisierung und Herrschaftsverdichtung [zu] sprechen.« (Pohl, ›Zwischenbilanz‹, 12f). 147 Goffart, Walter, The Narrators of Barbarian History (A.D. 550–800). Jordanes, Gregory of Tours, Bede and Paul the Deacon, Princeton 1988. Goffarts Theorien basieren entscheidend auf den Arbeiten Hayden Whites, z. B.: White, Hayden, The Content of the Form: Narrative Discourse and Historical Representation, Baltimore 1987. 148 Vgl. Goffart, Narrators, 3–19, 432–437. 149 Vgl. ibid., 433. 150 Gillett, Andrew (Hg.), On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, Turnhout 2002. Darin besonders: Bowlus, Charles M., ›Ethnogenesis: The Tyranny of a Concept‹, 241–256; Gillett, Andrew, ›Introduction: Ethnicity, History and Methodology‹, 1–18; Murray, ›Ethnogenesis‹.

48

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

ihnen beschriebenen Zeiträume und Ereignisse ab. Sie betont den Entstehungskontext der Origines und sieht diese in erster Linie als Ausdruck des Versuchs, den Zusammenhalt einer ethnischen Gruppe zu stärken und das überkommene Machtgefüge und die Machtträger zu legitimieren. Die Rekonstruktion einer authentischen ethnischen Tradition jedoch könne auf Grundlage dieser Texte nicht geleistet werden.151 Die Debatte zwischen Befürwortern und Gegnern des Ethnogenesemodells soll hier nicht en detail nachgezeichnet werden. Es muß jedoch darauf verwiesen werden, daß die Kritik an Wenskus und der Wiener Schule einer Anwendung des Ethnogenesemodells auf die Kreuzfahrerstaaten nicht im Wege steht. So fußt die These, man könne aus den Origines Gentium Prozesse und Phänomene der Völkerwanderungszeit nicht zuverlässig rekonstruieren, vor allem auf der großen zeitlichen Distanz zwischen den beschriebenen Ereignissen und dem Verfassen der Texte. Die von mir in dieser Arbeit herangezogenen, nachfolgend ausführlicher vorzustellenden Quellen entstanden hingegen äußerst zeitnah oder gar gleichzeitig zu den beschriebenen Ereignissen. Bei den Hauptquellen handelt es sich zudem überwiegend um Texte, welche im lateinischen Orient selbst verfaßt wurden und deren Autoren mit den von ihnen beschriebenen Entwicklungen aus eigener Erfahrung vertraut waren. Die Verfasser dieser Texte waren somit keine detachierten Kommentatoren, die wie die frühmittelalterlichen Origo-Verfasser über lang vergangene Begebenheiten jenseits des eigenen Lebensbereiches berichteten. Vielmehr waren sie und ihr Umfeld sowie eben auch ihre Adressaten gewissermaßen selbst Teil ihrer Narrative und von den beschriebenen Ereignissen und ihren Folgen in ihrem täglichen Leben betroffen. Eine allzu starke Verfälschung der historischen Abläufe, aber auch der in ihren Werken transportierten ethnischen Tradition im Dienste einer literarischen Agenda ist daher in diesen Texten weniger wahrscheinlich als im Falle der frühmittelalterlichen Origines. Das heißt nicht, daß diese Autoren reine Tatsachenberichte verfaßten, daß sie keine Identitätskonstruktion betrieben.152 Für die Frage der Rekonstruierbarkeit einer authentischen ethnischen Tradition ist 151 Vgl. Reynolds, Susan, ›Medieval Origines Gentium and the Community of the Realm‹, in: History. The Journal of the Historical Association (68; 1983), 375–390, bes. 389f. Siehe auch: Coumert, Magali, ›Les R¦cits d’Origine des Peuples dans le Haut Moyen ffge Occidental, du Milieu du VIe SiÀcle au Milieu du IXe SiÀcle‹, in: Bulletin d’Information de la Mission Historique FranÅaise en Allemagne (42; 2006), 153–159; dies., Origines, 537–552. 152 Zudem wurde jüngst in einer Paderborner Dissertation argumentiert, daß die Ansätze der Wiener Schule und der Anhänger Goffarts bei nüchterner Betrachtung durchaus nicht unvereinbar seien, da immerhin beide die Flexibilität ethnischer Identität betonten. Vgl. Koch, Manuel, Ethnische Identität im Entstehungsprozess des spanischen Westgotenreiches, Berlin 2012. Als eine Synthese beider Ansätze kann eine schon 2003 erschienene Arbeit über die Ostgoten gelten: Amory, Patrick, People and Identity in Ostrogothic Italy. 489–554, Cambridge 2003.

Methodik

49

jedoch ausschlaggebend, daß die Verfasser von den gleichen Umständen und Einflüssen geprägt waren wie ihre lateinischen Zeitgenossen in der Levante.153 Ein weiteres Problem stellt die Kritik am Konzept des Traditionskerns dar, welche nicht nur durch die Anhänger Goffarts geäußert wird, sondern etwa auch von Walter Pohl. Man sieht sich schnell dem Vorwurf ausgesetzt, ethnische Identität oder vielleicht gar das Verständnis der ethnischen Gruppe insgesamt zu stark von herausragenden Personen, ihren Familienmitgliedern und obersten Gefolgsleuten abhängig zu machen, also im klassisch Carlyleschen Sinne reine Eliten- und Heldengeschichte zu schreiben,154 wenn man den Traditionskern zu einer wichtigen Grundlage einer Untersuchung erhebt.155 Allerdings sollte, wie Wolfram anmerkt, die Anerkennung dieses Problems nicht dazu führen, die traditionstragende Rolle der Eliten insgesamt in Frage zu stellen.156

b.

Sozialwissenschaftliche Ethnizitätsforschung zwischen Primordialismus und Konstruktivismus

Ein Vorteil der sozialwissenschaftlichen Modelle der Ethnizitätsforschung besteht darin, daß sie auf eine universelle, nicht an bestimmte historische Epochen oder geographische Räume gebundene Anwendbarkeit abzielen. Durch eine Berücksichtigung dieser Ansätze läßt sich die Methodik der mediävistischen geschichtswissenschaftlichen Ethnogeneseforschung sinnvoll ergänzen.157 Im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Gruppenbildungsprozessen steht die Kontroverse zwischen Primordialisten/Essentialisten und Konstruktivisten/Instrumentalisten.158 Für die Vertreter des ersten Ansatzes 153 Wolfram weist außerdem zu Recht darauf hin, daß es sich nicht nur bei den Origines Gentium um »politically situated and programmatic literature« handele, sondern daß dies auf »every other text that was ever written« zutreffe (›Origo et religio‹, 36). 154 Siehe hierzu Carlyles gesammelten Vorträge in: Carlyle, Thomas, On Heroes, HeroWorship, & the Heroic in History. Six Lectures, London 1841. 155 Vgl. Pohl, ›Response‹, 224f. 156 Vgl. dazu Wolframs Apologie des Traditionskerns (Wolfram, ›Suche‹, 16f). 157 Daß zwischen geschichts- und sozialwissenschaftlicher Ethnizitätsforschung Berührungspunkte bestehen, zeigt schon das Beispiel Max Webers. Dieser wollte schon 1920 die Grundlage der Bildung ethnischer Gruppen – von ihm als »Vergemeinschaftung« bezeichnet – im »subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft« erkennen, für den wiederum »Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung« von großer Bedeutung seien. Vgl. Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1972 (5. Aufl., 1. Aufl. 1921/22), 235–240, Zitate 237. Der Kern dieses Weberschen Ansatzes findet sich in vielen anderen Schriften wieder, vgl. z. B.: Anderson, Benedict, Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London 1991 (2. Aufl., 1. Aufl. 1983); Hobsbawm, Eric u. Ranger, Terence (Hgg.), The Invention of Tradition, Cambridge 1983. 158 Für die primordialistische/essentialistische Seite vgl. z. B. Kellas, James G., The Politics of Nationalism and Ethnicity, Basingstoke 1998 (2. Aufl., 1. Aufl. 1991), 3ff; Huntington,

50

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

beruhen ethnische Gruppen und ethnische Identität auf einer Verbindung von kulturellen und sozialen Merkmalen wie etwa Blutsverwandtschaft, Religion, Brauchtum und Sprache. Diese Merkmale sehen sie als essentielle, in der menschlichen Natur angelegte Eigenschaften an – als primordial. Zudem gehen die Primordialisten/Essentialisten von einer Stabilität ethnischer Identität aus. Für die Kritiker dieses Ansatzes hingegen ist Ethnizität lediglich das Produkt eines Konstruktionsprozesses.159 Zudem seien ethnische Identitäten nicht stabil, sondern einem dauernden Wandel unterworfen. Ich habe mich dafür entschieden, einem Ansatz zu folgen, welcher in dieser Kontroverse einen mittleren Weg geht und gleichzeitig Berührungspunkte zum Ethnogenesemodell bietet – dem Ethnosymbolismus nach John Alexander Armstrong, der durch Anthony D. Smith entscheidend weiterentwickelt wurde.160 Nach Smiths Definition zeichnet sich eine ethnische Gruppe durch einen gemeinsamen Namen und eine gemeinsame Geschichte, beziehungsweise den Glauben an eine gemeinsame Geschichte aus. Sie habe eine Verbindung zu einem historischen Territorium oder Heimatland, das sie aber nicht mehr notwendigerweise bewohne. Smith differenziert zwei Typen von ethnischen Gruppen: In lateral-aristokratischen Ethnien erfasse die ethnische Solidarität vor allem die aristokratische, klerikale und mitunter bürgerlich-städtische Elite.161 Von dieSamuel P., The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order, London 1997. Der konstruktivistische/instrumentalistische Ansatz hingegen wurde vor allem von Fredrik Barth (›Introduction‹, in: Ethnic Groups and Boundaries. The Social Organization of Culture Difference. Essays presented at a Symposium held at Bergen, Norway, 23rd to 26th February 1967, hg. v. Dems., Boston 1969, 9–38), Benedict Anderson (Imagined Communities) und Ernst Gellner (Nations and Nationalism, Oxford 1983) geprägt. Zur Einführung in diese Kontroversen siehe: Armstrong, John Alexander, Nations before Nationalism, Chapel Hill 1982, 3–13; Smith, Origins, 6–20; Ders., Nationalism, 43–61; Ders., The Antiquity of Nations, Cambridge 2004, 1–30. 159 Ein wichtiger Wegbereiter dieser Position war der norwegische Ethnologe Fredrik Barth. Er betont die Bedeutung von Grenzziehungsmechanismen für die Bildung und Aufrechterhaltung ethnischer Gruppen. Vgl. Barth, ›Introduction‹. Ähnlich dann später etwa auch in Hylland Eriksen, Thomas, Ethnicity and Nationalism. Anthropological Perspectives, London 2002 (2. Aufl., 1. Aufl. 1993), bes. 19–35. 160 Die Basis des ethnosymbolistischen Ansatzes ist John Alexander Armstrongs Nations before Nationalism. Die wesentliche Ausarbeitung des Ansatzes ist aber Anthony D. Smith zu verdanken, der sie vor allem in den beiden Monographien The Ethnic Origins of Nations und The Antiquity of Nations vorantrieb. Ein neuer, von Athena S. Leouissi und Steven Grosby herausgegebener Sammelband gibt eine Einführung in den Ethnosymbolismus, stellt aber vor allem auch neueste Forschungstrends in Arbeiten jüngerer Autoren vor und belegt so die Aktualität des Ansatzes: Leoussi, Athena S. u. Grosby, Steven (Hgg.), Nationalism and Ethnosymbolism. History, Culture and Ethnicity in the Formation of Nations, Edinburgh 2007; darin v. a.: Conversi, Daniele, ›Mapping the Field: Theories of Nationalism and the Ethnosymbolic Approach‹, 15–30. 161 Vgl. Smith, Origins, 76–83.

Methodik

51

sem lateral-aristokratischen Typus zu unterscheiden seien vertikal-demotische Ethnien, in denen das Gemeinschaftsgefühl eine breitere Masse ergreife.162 Die Übergänge zwischen beiden Typen sind laut Smith fließend.163 Solchen ethnischen Gruppen, welche sich – wie etwa die Einwohner der Kreuzfahrerstaaten – in einer Grenzlage mit anderen, zumindest teilweise verfeindeten Konkurrenzgemeinschaften befinden, schreibt er eine Tendenz zur forcierten Ausbildung ihres ethnischen Selbstverständnisses zu.164 Die Mitglieder einer ethnischen Gruppe teilten bestimmte kulturelle Merkmale – etwa Sprache, Religion und Brauchtum. Smiths Stellung zwischen Essentialismus und Instrumentalismus wird besonders an seiner Bewertung dieser kulturellen Marker deutlich.165 Diese sind für ihn als Grenzziehungsmechanismen in ethnischen Prozessen von Bedeutung, fungierten aber zusätzlich innerhalb der Gruppe als »reminders of a common heritage and fate«.166 Die Nähe Smiths zur Ethnogeneseschule zeigt sich an der zentralen Bedeutung, welche er Mythen in ethnischen Prozessen zuspricht, wobei er auch deren situationsbedingte Konstruktion berücksichtigt: »Myths of descent usually reveal several components and layers of legend. There are myths of spatial and temporal origins, of migration, of ancestry and filiation, of the golden age, of decline and exile and rebirth. […] In each, a kernel ›historical truth‹ [meine Hervorhebung] is decked out with fantasies and half-truths so as to provide a pleasing and coherent ›story‹ of the ways in which the community was formed and developed. […] the object of this profusion of myth was not scientific ›objectivity‹, but emotional and aesthetic coherence to undergird social solidarity and social self-definition.«167

Die Verbindung von ethnischen Symbolen und Mythen bezeichnet Smith als »myth-symbol complex[es]«168 oder auch Mythomoteurs.169 Im Zentrum jeder ethnischen Gruppe finde sich ein solcher Komplex aus Mythen, Erinnerungen und Symbolen. Diese Mythomoteurs könnten zum Beispiel dynastischer Natur 162 163 164 165

166 167 168 169

Vgl. ibid. Vgl. ibid., 87. Smith führt in diesem Zusammenhang den Subytpus der »frontier ethnie« ein. Ibid., 84. Smiths Position ähnelt damit dem modifizierten Primordialismus eines Clifford Geertz. Zwar betont Geertz die Bedeutung von »congruities of blood, speech, custom« und nennt sie »primordial attachments«, qualifiziert dies aber, indem er sie gleichzeitig nur als »assumed ›givens‹« bezeichnet. Primordiale Bindungen, so Geertz, könnten also vor allem dadurch wirkmächtig werden, daß Menschen an sie glauben – nicht durch ihre Tatsächlichkeit. Vgl. Geertz, Clifford, ›The Integrative Revolution: Primordial Sentiments and Civil Politics in the New States‹, in: The Interpretation of Cultures. Selected Essays, hg. v. Dems., London 1973, 255–310, Zitat 259f. Vgl. Smith, Origins, 49f, Zitat 49. Ibid., 25. Ibid., 57. Vgl. Ibid., 57f. Zu den Mythomoteurs vgl. auch Armstrong, Nations, 129–167, bes. 164ff.

52

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

sein, also an den Herrscher, seine Familie und die Elite gebunden. Der zweite Typus von Mythomoteurs sei gemeinschaftsbezogen und entstehe insbesondere in religiösen Diasporasituationen. In solchen Fällen sei die Gruppe häufig von einem Gefühl der Auserwähltheit geprägt und sehe sich selbst als Diener Gottes und Vollstrecker des göttlichen Willens auf Erden.170 Wie bei den verschiedenen Typen von Ethnien gebe es auch bei den Mythomoteurs Mischformen.171 Für die Beobachtung ethnischer Prozesse in den Kreuzfahrerstaaten ist zudem das bei Smith mit dem Begriff der Ethnie verbundene Konzept des Ethnizismus bedeutend. Ethnizismus charakterisiert Smith als »activities and efforts […] aimed at resisting perceived threats from outside and corrosion within, at re-newing a community‹s forms and traditions, […] typically found at the intersection of currents of civilization.«172

Smith nennt drei Auslöser für Ethnizismus: militärische Bedrohung, sozioökonomische Herausforderung und interkultureller Kontakt.173 Diese drei Faktoren waren in der Geschichte der Kreuzfahrerstaaten in variierender Stärke durchweg gegeben und tatsächlich ergaben sich immer wieder Situationen, die in der lateinischen Bevölkerung ein verstärktes Bedürfnis nach einer ethnizistischen Rückbesinnung auf identitätsstiftende Mythen und Symbole verursachen mußten.

5.

Zielsetzung, zeitliche und räumliche Eingrenzung des Themas

Ausgehend von den zuvor formulierten Forschungsdesideraten ergeben sich für die vorliegende Arbeit drei Leitprinzipien: 1. Die bislang unbeachteten oder nur beiläufig behandelten ethnogenetischen Prozesse und neuen ethnischen Gruppen im lateinischen Orient werden erstmals systematisch und auf einer breiteren Quellengrundlage untersucht. 2. Die partikularistische Hypothese einer zweiten Ethnogenese im Fürstentum Antiochia wird der bislang dominanten panlateinischen Interpretation der Kreuzfahrerstaaten entgegensetzt und überprüft. 3. Die Eigenständigkeit der lateinischen Bevölkerungen des Fürstentums Antiochia und des Königreiches Jerusalem untereinander und dem Abendland gegenüber wird ernstgenommen. 170 Vgl. Smith, Origins, 58–63; Ders., Nationalism and Modernism. A Critical Survey of Recent Theories of Nations and Nationalism, London 1998, 181ff. 171 Vgl. Ders., Origins, 59f. 172 Ibid., Origins, 50. 173 Vgl. ibid., 55ff.

Zielsetzung, zeitliche und räumliche Eingrenzung des Themas

53

Auf Grundlage dieser Prinzipien ermöglicht eine Kombination der Methoden der geschichtswissenschaftlichen Ethnogeneseforschung und des Ethnosymbolismus eine methodologisch-theoretisch fundierte Untersuchung der Ethnogenesen im lateinischen Orient und der aus diesen hervorgegangenen neuen ethnischen Gruppen. Zur Bezeichnung dieser Gruppen werden die an Quellenbegriffe angelehnten Termini A n t i o c h e n e r und J e r o s o l y m i t a n e r verwendet.174 Die Arbeit identifiziert und untersucht wichtige Elemente der Mythomoteurs dieser beiden Ethnien. Die chronologisch angelegte Untersuchung der ethnogenetischen Phase und der weiteren Entwicklung der neuen ethnischen Gruppen nach dem Kreuzzug – gemeinsam von mir mit dem Arbeitsbegriff E t h n o h i s t o r i e bezeichnet – wird ergänzt um eine thematisch geordnete Analyse einzelner Elemente der Mythomoteurs. Es muß freilich betont werden, daß die Überlieferungslage vor allem Einblicke in die Welt der Eliten gewährt, aus welcher die untersuchten Quellen hervorgingen und deren Perspektive sie reflektieren. Selbst innerhalb dieser elitären Untergruppe wiederum war es nur ein kleiner Bruchteil, der tatsächlich quellenproduzierend wirkte. Alle Rückschlüsse auf die ethnogenetischen Prozesse in den Kreuzfahrerstaaten und auf die Mythomoteurs der Jerosolymitaner und Antiochener beruhen daher auf dem, was ein kleiner Ausschnitt der lateinisch-orientalischen Bevölkerung der Nachwelt hinterlassen hat. Daher werden die historiographischen Quellen des lateinischen Orients nicht als Ablaufbeschreibungen von Ethnogenesen gelesen, sondern als subjektive Verarbeitungen dieser Entwicklungen, die sich stets in der Grauzone zwischen Dichtung und Historiographie bewegen, deren Autoren in einem schriftstellerisch kreativen Prozeß ethnohistorische Erzählungen entwarfen. Das Ziel der vorliegenden Untersuchung kann zwar nicht darin bestehen, eine positivistische Rekonstruktion der ethnogenetischen Prozesse in den Kreuzfahrerstaaten zu versuchen und dabei den Anspruch zu erheben, verbindliche Aussagen über das ethnische Selbstverständnis aller Lateiner in Antiochia und Jerusalem treffen zu können. Der Vergleich der verschiedenen lateinisch-orientalischen Quellen untereinander und mit den Angehörigen anderer Quellengruppen sorgt jedoch dafür, daß die Untersuchung nicht auf die Darstellung hermetischer Konstrukte von Einzelpersonen beschränkt bleibt, sondern daß sich auf Grundlage ihrer Entwürfe Aussagen zu den tatsächlichen ethnohistorischen Entwicklungen und den prägenden Elementen der Mythomoteurs und – im Sinne der Ethnogeneseschule und des Ethnosymbolismus – zu ihrer Wirkung über den engen Kreis der Eliten hinaus treffen lassen. Der Untersuchungszeitraum hat seinen natürlichen Ausgangspunkt bei der Ausrufung des ersten Kreuzzuges im Jahre 1095. Die Festlegung des zeitlichen 174 Siehe hierzu detailliert Kapitel IV.

54

Forschungsstand, Forschungsprobleme und Methodik

Endpunktes wiederum ergibt sich aus der weiteren Geschichte der Kreuzfahrerstaaten. Schon früh wurde die Grafschaft Edessa nach der Eroberung ihrer Hauptstadt durch die Seldschuken im Jahre 1144 nach und nach durch das weitere Ausgreifen der Türken dezimiert und ging im Jahre 1150 schließlich unter. Den drei übrigen Kreuzfahrerstaaten war ein längeres Leben beschieden, doch das zweite Zentenarium der Eroberung der Heiligen Stadt sollten sie ebenfalls nicht überdauern, da nach dem Fürstentum Antiochia (1268) und der Grafschaft Tripolis (1289) im Jahre 1291 mit dem Fall der neuen Hauptstadt Akkon auch das lateinische Königreich vernichtet wurde. Doch schon im vorangegangenen 12. Jahrhundert hatte der lateinische Orient einschneidende Zäsuren erlebt, die auch den vom ersten Kreuzzug angestoßenen ethnohistorischen Entwicklungen ein Ende bereiteten. Im Falle des Fürstentums Antiochia bedeutete schon die Niederlage auf dem Ager sanguinis am 28. Juni 1119 einen harten Einschnitt. Mit der weitgehenden Vernichtung der normannischen Elite des Fürstentums und dem Tod Rogers von Salerno wurde eine wesentliche Komponente des antiochenischen Mythomoteurs geschwächt oder gar ausgelöscht, und auch die eigene antiochenische Historiographie endete bald nach dieser Katastrophe. Die Ethnohistorie der Jerosolymitaner konnte sich über eine längere Zeit entfalten, bevor mit dem Verlust der Hauptstadt des Königreiches und der für das Selbstverständnis der Gruppe zentralen Kreuzesreliquie als Folge der Eroberungen Saladins in der zweiten Hälfte der 1180er Jahre jedoch ebenfalls ein Bruch entstand. Im Anschluß an die Schlacht von Hattin am 4. Juli 1187 gewannen zudem, wie bereits erwähnt, europäische Herrscher und grenzübergreifend agierende Mächte – die italienischen Handelsstädte und die Ritterorden – immer mehr an Einfluß. Der Einschnitt war so groß, daß die Forschung zwischen einem ersten und einem zweiten Königreich Jerusalem beziehungsweise zwischen dem Königreich von Jerusalem und dem Königreich von Akkon – der Exilhauptstadt seit 1191 – unterscheidet.175 Auch für die vorliegende Untersuchung ergibt sich vor diesem Hintergrund eine Beschränkung auf die Zeit zwischen dem Konzil von Clermont im Jahre 1095 und der Schlacht von Hattin im Jahre 1187. Der Schwerpunkt innerhalb dieses Zeitraums wird auf die Zeit des ersten Kreuzzuges selbst gelegt, also auf die eigentliche ethnogenetische Ursprungsphase als besonders prägender Abschnitt der antiochenischen und jerosolymitanischen Ethnohistorie. Das für die Studie zu berücksichtigende geographische Gebiet wiederum umfaßt 175 Vgl. Richard, Royaume Latin, 228–234. Diese Unterscheidung findet auch in den Titeln der ersten beiden Bände der großen Kreuzzugsgeschichte Runcimans ihre Entsprechung. Vgl. Runciman, Steven, A History of the Crusades. II. The Kingdom of Jerusalem and the Frankish East 1100–1187, Cambridge 1952; Ders., A History of the Crusades. III. The Kingdom of Acre and the Later Crusades, Cambridge 1954.

Zielsetzung, zeitliche und räumliche Eingrenzung des Themas

55

das Fürstentum Antiochia und das Königreich Jerusalem, während in Ermangelung geeigneter Quellen – vor allem einer eigenen lateinischen Historiographie – die Grafschaften Edessa und Tripolis nicht gesondert behandelt werden.

II.

Die Quellen

Das Quellenkorpus, auf dem die Arbeit beruht, läßt sich in drei Gruppen unterteilen. Historiographische Quellen zum ersten Kreuzzug und zur Geschichte der Kreuzfahrerstaaten im 12. Jahrhundert, die im lateinischen Orient selbst entstanden sind, bilden die Hauptgrundlage für die Untersuchung. Diese Quellen werden als Ursprungserzählungen der Antiochener beziehungsweise der Jerosolymitaner gelesen und interpretiert. In ihnen wird nach den prägenden Erlebnissen und Taten der werdenden ethnischen Gruppen gesucht, werden die Mythen und Symbole identifiziert, aus welchen sich die jeweiligen Mythomoteurs der beiden Gruppen zusammensetzten. Die in den beiden großen Kreuzfahrerstaaten entstandenen Texte sind für ein solches Vorhaben von größter Bedeutung, erlauben sie doch einen besonders authentischen und unverstellten Blick auf die beschriebenen Ereignisse und Identifikationsmomente, da sie von Menschen verfaßt wurden, die selbst am ersten Kreuzzug teilgenommen hatten oder zumindest selbst im lateinischen Orient lebten. Damit ermöglichen diese Quellen einen Grad der Authentizität, den die klassischen Origines Gentium des Frühmittelalters in der Regel vermissen lassen. Da zudem die lateinisch-orientalische Überlieferung nicht nur den Kreuzzug selbst, sondern auch den weiteren Verlauf der Geschichte der Kreuzfahrerstaaten im 12. Jahrhundert abdeckt, lassen sich über diesen Zeitraum Kontinuitäten und Brüche der ethnohistorischen Entwicklung nach der ethnogenetischen Phase selbst beobachten. Ein Vergleich der antiochenischen mit den jerosolymitanischen Texten gestattet es ferner, partikularistisch und panlateinisch zu deutende Elemente in diesen Erzählungen zu identifizieren. Die zweite zu analysierende Quellengruppe umfaßt Berichte zum ersten Kreuzzug und zur weiteren Geschichte der Kreuzfahrerstaaten, die nicht in Antiochia und Jerusalem, sondern im Abendland auf Grundlage der lateinischorientalischen Texte sowie basierend auf den Berichten zurückgekehrter Kreuzzugsteilnehmer und Orientpilger oder beruhend auf eigenen Erlebnissen in der Levante entstanden sind. Die Angehörigen dieser Gruppe bilden eine ideale Kontrastfolie für die Überprüfung der lateinisch-orientalischen Quellen.

58

Die Quellen

Obgleich die Autoren dieser Texte nämlich die gleichen Ereignisse behandeln, blicken sie auf diese aus einer anderen Perspektive, da sie an den prägenden Ereignissen selbst nicht teilhatten, da sie die Ereignisse des Kreuzzuges nicht als Ursprungserlebnisse neuer ethnischer Gruppen, sondern als Krönung einer Gemeinschaftsleistung der gesamten lateinischen Christenheit verstanden. Durch das Hinzuziehen dieser abendländischen Überlieferung läßt sich überprüfen, ob die in den lateinisch-orientalischen Texten identifizierten Mythen und Symbole wirklich Elemente des antiochenischen beziehungsweise des jerosolymitanischen Mythomoteurs sind, oder ob es sich um Gemeingut der Kreuzzugshistoriographie handelt. Ist die vorliegende Arbeit auch wegen der Überlieferungssituation und bedingt durch die gewählte Methode vom Primat der Historiographie geprägt, so soll dennoch eine dritte, weniger homogene Gruppe von Quellen in die Analyse mit einbezogen werden, die beispielsweise Briefe, Urkunden und liturgische Texte umfaßt. Die Zeugnisse in dieser Gruppe werden anders als die zuvor benannten Quellen nicht systematisch in allen Teilen der Untersuchung konsultiert, sondern sie dienen an geeigneten Stellen zur Überprüfung der auf Grundlage der historiographischen Überlieferung gewonnenen Erkenntnisse.

1.

Die Historiographie des Fürstentums Antiochia

Die antiochenische Überlieferung zeichnet sich durch eine vergleichsweise hohe Dichte für das erste Vierteljahrhundert nach dem ersten Kreuzzug aus, der jedoch der frühe und komplette Abbruch der Historiographie des Fürstentums Antiochia bald nach der Schlacht auf dem Ager sanguinis gegenübersteht. Den Anfangspunkt der antiochenischen Überlieferung bilden zwei Texte einer als Gesta-Familie176 zu bezeichnenden Quellengruppe. Zu dieser gehört mit den Gesta Francorum177 eine der im Hinblick auf zeitgenössische Rezeption und 176 Mit diesem Begriff berufe ich mich auf Flori, Jean, Chroniqueurs et Propagandistes. Introduction Critique aux Sources de la PremiÀre Croisade (= Hautes Êtudes M¦di¦vales et Modernes; 98), Genf 2010, bes. 49–66. 177 Anonymus, ›Gesta Francorum et aliorum Hierosolymitanorum‹, in: Gesta Dei per Francos, sive Orientalium expeditionum, et regni Francorum Hierosolimitani Historia, hg. v. Jacques Bongars, Hanau 1611, 1–29. Die heute maßgebliche, um eine hilfreiche, aber nicht immer präzise Übersetzung ergänzte Edition erstellte Rosalind Hill zu Beginn der Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts: Anonymus, Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanorum. The Deeds of the Franks and the other Pilgrims to Jerusalem, hg. u. übers. v. Rosalind Hill, London 1962 (fortan GF). Aufgrund des sehr viel ausführlicheren Anmerkungsapparates ist zudem die ältere Edition Hagenmeyers immer noch hilfreich: Anonymus, Anonymi Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanorum, hg. v. Heinrich Hagenmeyer, Heidelberg 1890 (fortan GF-Hg). Zu verweisen ist ferner auf die in der frankophonen Forschung immer noch

Die Historiographie des Fürstentums Antiochia

59

Weiterverarbeitung wie auch auf ihre Bedeutung für die moderne Forschung wichtigsten Quellen zum ersten Kreuzzug.178 Trotz zahlreicher Editionen und Forschungsarbeiten ist die Gesta-Familie bis heute Gegenstand wissenschaftlicher Debatten, und insbesondere die Interdependenzen der verschiedenen zu ihr zu rechnenden Texte ist noch nicht abschließend geklärt. Da die Debatte um die Gesta-Familie erheblichen Einfluß auf deren Interpretation hat, sollen die inneren Zusammenhänge dieser Textgruppe hier ausführlicher erörtert werden. Neben den bereits benannten anonymen Gesta Francorum ist die Historia de Hierosolymitano itinere des Petrus Tudebodus179 für die vorliegende Untersuchung von größtem Interesse.180 Zum inneren Kern der Gesta-Familie ist jedoch auch die anonyme Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum181 aus Montecassino zu rechnen. Jacques Bongars als erster Herausgeber der Gesta Francorum zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatte diese Schrift noch als ein Original angesehen.182 Seit der drei Jahrzehnte später erschienen Edition der Historia des Tudebodus durch Jean Besly183 dominierte lange Zeit die Einschätzung, dieser Text eines poitevinischen Priesters sei als das Original zu betrachten. Die Gesta Francorum galten fortan als eine Bearbeitung der Historia,

178

179

180

181

182 183

teilweise bevorzugte Edition Br¦hiers: Anonymus, Histoire Anonyme de la PremiÀre Croisade, hg. u. übers. v. Louis Bréhier, Paris 1924. Vgl. Flori, Chroniqueurs, 67–82; France, John, ›The Use of the Anonymous Gesta Francorum in the Early Twelfth-Century Sources for the First Crusade‹, in: From Clermont to Jerusalem: The Crusades and Crusader Societies, 1095–1500, hg. v. Alan V. Murray, Turnhout 1998, 29–42; Ders., Art. ›Gesta Francorum‹, in: CE, 2:529–530; Hill, Rosalind, ›Introduction‹, in: Anonymus, Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanorum, hg. u. übers. v. Ders., London 1962, x–xlv, x–xvi; Morris, Colin, ›The Gesta Francorum as Narrative History‹, in: Reading Medieval Studies (19; 1993), 55–71, 55ff. Maßgebliche Edition: Petrus Tudebodus, Historia de Hierosolymitano Itinere, hg. v. John Hugh Hill u. Laurita L. Hill unter Mitarb. v. Philippe Wolff u. Jean Richard (= Documents Relatifs a l’Histoire des Croisades; 12), Paris 1974 (fortan PT). Zu Tudebodus siehe auch: Flori, Chroniqueurs, 83–104. Für die direkte Gegenüberstellung der Gesta Francorum und der Historia des Tudebodus ist zudem immer noch die ältere Recueil-Ausgabe hilfreich: Petrus Tudebodus, ›Petri Tudebodi seu Tudebovis sacerdotis Sivracensis historia de Hierosolymitano itinere‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 3:1–117. Maßgebliche Edition: Anonymus, Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum (olim Tudebodus imitatus et continuatus). I Normanni d’Italia alla Prima Crociata in una Cronaca Cassinese, hg. v. Edoardo d’Angelo (= Edizione Nazonale dei Testi Mediolatini; 23), Florenz 2009 (fortan HAI). Siehe auch die ältere Recueil–Edition: Anonymus, ›Historia de via Hierusolymis‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 3:166–229. Vgl. Jacques Bongars (Hg.), Gesta Dei per Francos, sive Orientalium expeditionum, et regni Francorum Hierosolimitani Historia, hg. v. Jacques Bongars, Hanau 1611, xiv. Vgl. Petrus Tudebodus, Petri Tudebodi sacerdotis Sivracensis historia de Hierosolymitano itinere, hg. v. Jean Besly, Paris 1641, 773ff.

60

Die Quellen

die ein normannischer Anonymus zur Verherrlichung Bohemunds und der Normannen angefertigt hatte.184 Heinrich von Sybel jedoch sprach sich 1841 wieder für eine Einstufung der Gesta Francorum als Original aus.185 Diese Sicht sollte sich in der Folge durchsetzen,186 ist jedoch in jüngerer Vergangenheit erneut modifiziert worden. Schon die Forschungen John und Laurita Hills zu Petrus Tudebodus hatten Hinweise auf eine verschollene gemeinsame Quelle der Gesta-Familie geliefert,187 wobei diese Position sich zunächst nicht durchsetzen konnte.188 Die Arbeiten Jay Rubensteins189, Jean Floris190 und jüngst Edoardo d’Angelos191 lieferten jedoch erneut überzeugende Hinweise dafür, daß die verschiedenen Texte der Gesta-Familie auf einen verlorenen Urtext zurückgehen.192 Die verschiedenen Bearbeitungen müssen im Laufe der ersten fünf Jahre nach der Eroberung Jerusalems entstanden sein.193 Ausgehend von den neueren Ergebnissen von Flori und d’Angelo läßt sich 184 Vgl. Hagenmeyer, Heinrich, ›Einleitung‹, in: Anonymus, Anonymi Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanorum, hg. v. Heinrich Hagenmeyer, Heidelberg 1890, 1–98, 81ff. 185 Vgl. Sybel, Heinrich von, Geschichte des ersten Kreuzzuges, Düsseldorf 1841, 22–33. Siehe auch: Gurewitsch, J., ›Zur Kritik der Geschichtsschreiber des ersten Kreuzzugs‹, in: Forschungen zur deutschen Geschichte (14; 1874), 155–174. 186 Vgl. Oehler, Hans, ›Studien zu den Gesta Francorum‹, in: Mittellateinisches Jahrbuch (6; 1970), 58–97, 58. 187 Vgl. Hill, John Hugh u. Hill, Laurita L., ›Introduction‹, in: Petrus Tudebodus, Historia de Hierosolymitano Itinere, hg. u. übers. v. John Hugh Hill u. Laurita L. Hill, Philadelphia 1974, 1–12, 5–11. 188 Vgl. z. B. France, ›Use‹, bes. 34; Ders., ›The Anonymous Gesta Francorum and the Historia Francorum qui ceperunt Iherusalem of Raymond of Aguilers and the Historia de Hierosolymitano Itinere of Peter Tudebode: An Analysis of the Textual Relationship between Primary Sources of the First Crusade‹, in: The Crusades and their Sources. Essays presented to Bernard Hamilton, hg. v. Dems. u. W. G. Zajac, Aldershot 1998, 39–69. 189 Vgl. Rubenstein, Jay, ›What is the Gesta Francorum, and who was Peter Tudebode?, in: Revue Mabillon, N.S. (16; 2005), 179–204. 190 Vgl. Flori, ›Anonyme Normand‹. Vgl. auch: Ders., Pierre l’Ermite, 459–492. 191 Vgl. d’Angelo, Edoardo, ›Introduzione‹, in: Anonymus, Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum (olim Tudebodus imitatus et continuatus). I Normanni d’Italia alla Prima Crociata in una Cronaca Cassinese, hg. v. Edoardo d’Angelo (= Edizione Nazionale dei Testi Mediolatini; 23), Florenz 2009, xiii–lix. 192 Der genaue Verlauf der Verarbeitung dieser Ur-Gesta bleibt umstritten. Rubenstein schließt aus seinen Untersuchungen die Folgerung, daß der Urtext sowohl durch den anonymen Autor der Gesta Francorum als auch durch Petrus Tudebodus direkt verarbeitet wurde, und daß die Hystoria aus Montecassino wiederum auf diesen beiden Bearbeitungen beruhte. Vgl. Rubenstein, ›Gesta Francorum‹, 201ff. d’Angelo hingegen geht – basierend auf Flori – von zwei von den Ur-Gesta ausgehenden Traditionszweigen aus. Er postuliert zum Einen, daß der anonyme Autor aus Montecassino direkt den Urtext bearbeitet habe. In den zweiten Traditionsstrang fügt er eine zweite verschollene Version der Ur-Gesta ein, auf deren Grundlage Tudebodus und der anonyme Autor der Gesta Francorum ihre Texte verfaßt hätten. Vgl. d’Angelo, ›Introduzione HAI‹, li–lv ; Flori, ›Anonyme Normand‹, 742–745. 193 Vgl. d’Angelo, ›Introduzione HAI‹, liif; Flori, ›Anonyme Normand‹, 742–745; Rubenstein, ›Gesta Francorum‹, 201ff.

Die Historiographie des Fürstentums Antiochia

61

folgender Stammbaum der Gesta-Familie skizzieren: Im Laufe des ersten Kreuzzuges oder unmittelbar im Anschluß an diesen entstanden die Ur-Gesta, die den Normannen und Bohemund sowie seinem antiochenischen Projekt gegenüber schon positiv eingestellt waren und deren Verfasser im Umfeld des ersten Fürsten von Antiochia anzusiedeln ist. Anläßlich seiner Europareise im Herbst 1104 ließ Bohemund diesen Urtext bearbeiten und an die neue Situation der Normannen in Nordsyrien – an ihre Auseinandersetzungen mit den Byzantinern und den Provenzalen – anpassen. Diese neue Version nutzte der Fürst dazu, in Frankreich um Unterstützung zu werben. Der Bearbeiter dieser Fassung entstammte definitiv dem Gefolge Bohemunds und war vielleicht identisch mit dem Autor des Urtextes. In Frankreich gelangte sein Text in die Hände des poitevinischen Priesters Petrus Tudebodus, der selbst am Kreuzzug teilgenommen hatte. Tudebodus veränderte seine Quelle minimal und fügte eigene Erlebnisse hinzu. Als Bohemund 1106 – noch in Europa – eine Kampagne gegen die Byzantiner vorbereitete, ließ er den Text abermals überarbeiten, um den antibyzantinischen Ton noch zu verstärken. Beim Ergebnis dieser Bearbeitung handelt es sich um die überlieferten Gesta Francorum. In Montecassino adaptierte zudem ein weiterer Anonymus den Stoff der Ur-Gesta und kombinierte ihn zusammen mit den noch eingehender vorzustellenden Gesta Tancredi zur neuen Hystoria.194 Für die Untersuchung der antiochenischen Ethnogenese sind vor allem die Gesta Francorum und die Historia des Tudebodus von Bedeutung. Sie spiegeln nämlich anders als die Hystoria aus Montecassino in besonderer Deutlichkeit nicht nur die italonormannische Perspektive, sondern sie verleihen der Sicht der schon in Antiochia heimisch gewordenen und antiochenische Interessen verfolgenden Normannen Ausdruck, wie sie Bohemund bei seiner Reise nach Europa vertrat. Daher sollen diese beiden Texte zusammenfassend als antiochenischer Zweig der Gesta-Familie bezeichnet werden. Die Tatsache, daß beide Texte in ihrer überlieferten Form laut Flori an ein europäisches Publikum gerichtet waren, läßt eine Interpretation von Gesta Francorum und Historia de Hierosolymitana Itinere als Origines Gentium der lateinischen Antiochener zwar zunächst als schwierig erscheinen. Wie sich aber in der Analyse der Texte zeigen wird, gibt es stichhaltige Hinweise dafür, daß eine solche Interpretation durchaus angebracht ist. Der Vergleich der beiden Texte miteinander und mit 194 Vgl. d’Angelo, ›Introduzione HAI‹, liif; Flori, ›Anonyme Normand‹, 739–745; Ders., Chroniqueurs, 167ff. Zum normannischen Fokus speziell der Gesta Francorum vgl. auch: Albu, Normans, 147f; Dies., ›Probing the Passions of a Norman on Crusade. The Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanorum‹, in: Anglo-Norman Studies XXVII. Proceedings of the Battle Conference 2004, hg. v. John Gillingham, Woodbridge 2005, 1–15; Kenneth Baxter-Wolf, ›Crusade and Narrative: Bohemond and the Gesta Francorum‹, in: Journal of Medieval History (17; 1991), 207–216.

62

Die Quellen

der Hystoria läßt Rückschlüsse auf die Ur-Gesta zu, die eine Interpretation als antiochenische Origo nahelegen. Zudem sind auch die späteren Bearbeitungen selbst trotz ihres Einsatzes zu Propagandazwecken in Europa gerade wegen ihrer Anpassung an die neuen Herausforderungen der Normannen in Antiochia von Interesse für die Analyse der antiochenischen Ethnohistorie. Ferner muß die Deutung der Historia des Tudebodus als unreflektierte Erweiterung der ersten Überarbeitung der Ur-Gesta zumindest hinterfragt werden. Es spricht einiges dafür, daß Tudebodus die Einstellung des Anonymus zu Bohemund und auch zu Antiochia weitestgehend teilte, diese teilweise gar noch pointierter formulierte. Auch in seinem Text sind wichtige Elemente einer lateinisch-antiochenischen Ethnogenese und einer diese beschreibenden Origo Gentis zu erkennen. Ob dies lediglich auf eine unreflektierte Übernahme von Material aus den Ur-Gesta zurückzuführen ist, oder ob vielleicht Tudebodus viel stärker mit dem normannisch-antiochenischen Umfeld verbunden war als überwiegend angenommen, läßt sich nicht abschließend klären. Allerdings stellt die (vermutete) französische Herkunft des Tudebodus keinen Grund dar, diesen nicht (vielleicht erst nach dem Kreuzzug?) als einen Gefolgsmann Bohemunds zu betrachten. Der Text bietet durchaus starke Indizien für eine Nähe zu Bohemund, und es ist deshalb nicht unschlüssig, zu vermuten, daß sich Tudebodus im Laufe des Kreuzzuges den Normannen anschloß und sich mit ihrem traditionstragenden Kern und ihrem Mythomoteur identifizierte. Zudem wurden in der Historia de Hierosolymitana Itinere auch jene Passagen aus den Gesta Francorum übernommen, die eine besondere Anbindung an Antiochia zum Ausdruck bringen.195 Im Gegensatz zu den schon früh und vor allem häufig rezipierten Gesta Francorum und der Historia de Hierosolymitana Itinere hat der dritte in dieser Arbeit detaillierter zu analysierende Text – die prosimetrischen Gesta Tancredi des Radulf von Caen – eher wenig Aufmerksamkeit auf sich gezogen.196 Über 195 Vgl. etwa PT, 62f, bes. 119f. 196 Die erste Edition erschien 1717: Radulf von Caen, ›Gesta Tancredi‹, hg. v. Edmond Marténe, in: Thesaurus novus anecdotorum, 5 Bde., hg. v. Dems., Paris 1717, 3:107–210. Die vorliegende Arbeit stützt sich auf die bewährte Recueil-Edition der Gesta Tancredi: Radulf von Caen, ›Gesta Tancredi in expeditione Hierosolymitana‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 3:587–716 (fortan RvC). 2011 hat Edoardo d’Angelo eine neue Edition vorgelegt: Radulf von Caen, Radvlphi Cadomensis Tancredvs, hg. v. Edoardo d’Angelo (= Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis; 231), Turnhout 2011. Diese bislang weder rezensierte noch sonst rezipierte Edition zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß sie verschiedene Bearbeitungsschritte des Textes anhand der einzigen erhaltenen Handschrift (Brüssel, BibliothÀque Royale, 5369–5373) identifiziert. Leider läßt die Edition gerade in Bezug auf diese Differenzierung der Bearbeitungsschritte jedoch viele Fragen offen und bleibt mitunter unklar. So wird in der Einleitung (S. xxxvi) auf die Abschnitte 406 bis 412 (nach der Neunumerierung d’Angelos) als herausragende Beispiele der redaktionellen

Die Historiographie des Fürstentums Antiochia

63

Radulf gibt es dabei sogar vergleichsweise gute Informationen. Seine Familie stammte vermutlich aus der Gegend von Caen. Er wurde um 1080 als Kind einer gut gestellten normannischen Familie geboren und absolvierte den frühen Teil seiner Ausbildung in Caen, wohl an der dortigen Kathedralschule.197 Einer seiner Lehrer war Arnulf von Chocques, der damals eine wichtige Position in der normannischen Kirche innehatte und später den Ersten Kreuzzug begleitete, um schließlich sogar zum ersten lateinischen Patriarchen von Jerusalem aufzusteigen.198 Radulf wurde zum Priester geweiht und im Jahr 1106 von Bohemund auf seiner Reise durch Frankreich als Kaplan in sein Gefolge aufgenommen. Er begleitete darauf den Fürsten von Antiochia auf dessen erfolglosem Zug gegen das byzantinisch kontrollierte Dyrrhachion. Zwischen 1108 und 1111 verließ Radulf das Gefolge Bohemunds und ging nach Antiochia, wo er nunmehr in die Dienste des neuen Herrschers Tankred trat. Aus den Gesta Tancredi geht hervor, Bearbeitung verwiesen, ohne daß klar ersichtlich wäre, worin die Ergänzungen in diesen Passagen bestehen. In der Edition werden im kritischen Apparat für diesen längeren Textblock lediglich für zwei einzelne Wörter abweichende Schreibweisen notiert. Auch die dem Text nachgestellten Anmerkungen zu diesen Abschnitten schaffen keine Klarheit. Sollte es sich, wie die Erläuterungen in der Einleitung nahelegen, bei dem gesamten Text der sieben Abschnitte um »aggiunte« handeln, so hätte dies im Editionstext selbst graphisch oder im kritischen Apparat gekennzeichnet werden müssen. Da solche Angaben fehlen und der Edition keine tabellarische Zusammenstellung der redaktionellen Eingriffe beigefügt ist, ist der Mehrwert, den d’Angelos Forschungen zu der Handschrift versprechen, in der praktischen Arbeit mit der neuen Edition leider sehr begrenzt. Zudem hat der Editor einen radikalen Eingriff in die bisher gebräuchliche Strukturierung des Textes vorgenommen. So läßt d’Angelo die bewährte Einteilung in Kapitel entfallen, da diese erst durch die Edition MartÀnes eingeführt wurde, und nimmt eine Neustrukturierung vor. Die Neuedition d’Angelos verfolgt das berechtigte Anliegen, den originalen Text von späteren Strukturierungen zu befreien und neue Überlegungen zum Werkaufbau anzuregen. Doch d’Angelo beläßt es nicht bei einem reinen Verzicht auf die gängige und seit der Recueil-Edition allgemein verbreitete Einteilung, sondern übergeht sogar den bereits erbrachten editorischen Mehrwert der früheren Edition, indem er nicht einmal Querverweise zu deren Kapiteleinteilung bietet. Damit erschwert seine Edition in unnötiger Weise die Arbeit mit der bisherigen Forschungsliteratur, die ihre Textbelege an die etablierte Kapiteleinteilung bindet. Dies gilt auch für neueste Publikationen (vgl. z. B. Skottki, ›Schrecken Gottes‹, 456ff). Aus diesem Grund werden im Folgenden die Belegstellen aus den Gesta Tancredi gemäß der weiterhin unverzichtbaren Recueil-Edition verzeichnet. Ebenso soll weiterhin der allgemein übliche Werktitel Gesta Tancredi anstatt der von d’Angelo favorisierten Bezeichnung Tancredus Verwendung finden. Zur Rezeptionsgeschichte der Gesta Tancredi vgl.: Bachrach, Bernard S. u. Bachrach, David S., ›Introduction‹, in: Radulf von Caen, The Gesta Tancredi of Ralph of Caen. A History of the Normans on Crusade, hg. u. übers. v. Bernard S. Bachrach u. David S. Bachrach (= Crusade Texts in Translation; 12), Aldershot 2005, 1–17, 1; Hodgson, ›Normans‹, 123f; Orth, Peter, Art. ›Radulph of Caen‹, in: CE, 4:1001. 197 Vgl. Payen, Jean-Charles, ›L’H¦g¦monie Normande dans la Chanson de Roland et les Gesta Tancredi: De la Neustrie — la Chr¦tient¦, ou Turold est-il nationaliste?‹, in: Romance Epic. Essays on a Medieval Literary Genre, hg. v. Hans-Erich Keller (= Studies in Medieval Culture; 24), Kalamazoo 1987, 73–90, 77. 198 Vgl. Keats-Rohan, Katharine S. B., Art. ›Arnulf of Chocques‹, in: CE 1:97.

64

Die Quellen

daß Radulf eine vertrauensvolle Beziehung mit Bohemund und Tankred verband. Radulf begann die Arbeit an seinem Werk nach dem Tode Tankreds im Jahre 1112 vermutlich in Jerusalem, wo er anscheinend von seinem ehemaligen Lehrer Arnulf von Chocques die Position eines Kanonikers an der Grabeskirche erhalten hatte.199 Dem Normannen Arnulf hat jüngst wieder Edoardo d’Angelo einen wichtigen Einfluß auf Radulfs Darstellung des Kreuzzuges zugeschrieben. So sieht d’Angelo in Arnulf den Spiritus Rector hinter einer Reihe von redaktionellen Eingriffen in den Text, welche die an Antiochia und den Normannen orientierten Gesta zumindest partiell einem jerosolymitanischen Publikum unter der Herrschaft Balduins II. zugänglich machen und dabei die Position des normannischen Kirchenmannes in Jerusalem festigen sollten.200 Radulf war selbst Normanne und hatte nachweislich enge und vertrauliche Kontakte zur normannischen Elite in Antiochia.201 Zudem stammte er aus der Normandie. Damit bietet sein Text genau den Anknüpfungspunkt zur Normannitas Mitteleuropas, welcher den Gesta Francorum und der Historia des Tudebodus fehlt. Insgesamt haben die üblichen Motive der Kreuzzugschronistik in den Gesta Tancredi weniger Gewicht, und Antikenrezeption überwiegt gegenüber biblischen Anspielungen. Die Forschung schreibt Radulfs Text daher eine Sonderstellung zu und sieht in den Gesta Tancredi vor allem eine Geschichte des normannischen Triumphes in Nordsyrien und der Errichtung der normannischen Herrschaft in Antiochia.202 Radulfs Gesta bieten somit für die Suche nach Spuren einer partikularistischen, normannisch geprägten Ethnogenese in Antiochia eine hervorragende Grundlage. Allerdings wird die Untersuchung zeigen, daß die postulierte Sonderstellung der Gesta Tancredi vor allem im Hinblick auf einen Vergleich mit abendländischer und jerosolymitanischer Historiographie gilt, wohingegen die übrigen Texte der antiochenischen Überlieferung in vielen ethnohistorisch relevanten Punkten große Gemeinsamkeiten 199 Vgl. Boehm, Laetitia, ›Die Gesta Tancredi des Radulf von Caen. Ein Beitrag zur Geschichtsschreibung der Normannen um 1100‹, in: Historisches Jahrbuch (75; 1956), 47–72, 193ff. 200 Vgl. d’Angelo, Edoardo, ›Introduzione‹, in: Radulf von Caen, Radvlphi Cadomensis Tancredvs, hg. v. Edoardo d’Angelo. (= Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis; 231), Turnhout 2011, v–ci, xxxi–xxxvii u. liii–lxiii. 201 Vgl. Pabst, Bernhard, Prosimetrum. Tradition und Wandel einer Literaturform zwischen Spätantike und Spätmittelalter 2, (= Ordo. Studien zur Literatur und Gesellschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit; 4/2), Köln 1994, 855. 202 Zur Sonderstellung der Gesta Tancredi vgl. Elm, Kaspar, ›O beatas idus ac prae ceteris gloriosas! Die Eroberung Jerusalems 1099 und der Erste Kreuzzug in der Geschichtsschreibung Raouls von Caen‹, in: Es hat sich viel ereignet, Gutes wie Böses: Lateinische Geschichtsschreibung der Spät- und Nachantike, hg. v. Jens Holzhausen u. Gabriele Thome, München 2001, 152–178. d’Angelo bezeichnet »la difesa della legitimit— giuridica e politica dell’indipendenza e della ›normannit—‹ del principato di Antiochia« als Kern der Gesta. d’Angelo, ›Introduzione [Radulf von Caen]‹, lii.

Die Historiographie des Fürstentums Antiochia

65

mit Radulfs Werk aufweisen. Die Tatsache, daß die Gesta Tancredi erst im zweiten Jahrzehnt nach dem Ersten Kreuzzug verfaßt wurden, bedeutet zudem, daß man in ihnen das Weiterwirken der zuvor identifizierten Elemente einer lateinisch-antiochenischen Ethnogenese nachverfolgen kann. Diese Möglichkeit bieten auch die zwischen 1115 und nach 1122 in drei Abschnitten entstandenen Bella Antiochena des antiochenischen Kanzlers Walter.203 Die einzigen Informationen über Walter stammen aus seinem Werk selbst. Er hatte zwischen 1114 und 1122 das Amt des Kanzlers von Antiochia inne und dürfte somit ein enges Verhältnis zum antiochenischen Herrscher Roger von Salerno gehabt und ebenfalls über privilegierten Zugang zu König Balduin II. von Jerusalem verfügt haben, der nach dem Tode Rogers im Jahre 1119 vorübergehend die Regentschaft in Antiochia übernahm. Ob Walter Normanne oder zumindest normannischer Abstammung war, läßt sich weder benoch widerlegen. Als Kanzler und enger Vertrauter Rogers von Salerno war er aber in jedem Fall in den inneren Zirkel der normannischen Elite des Fürstentums eingebunden. Walters Text unterscheidet sich von allen übrigen in dieser Arbeit untersuchten historiographischen Schriften, da in den Bella Antiochena der erste Kreuzzug keine Rolle spielt und sich somit zu den Ursprüngen und dem eigentlichen Entstehungsmoment des Fürstentums keine Rückschlüsse gewinnen lassen. Vielmehr beschreibt Walter in seinem Werk Ereignisse in den Jahren zwischen 1114 und 1122. Diese Zeit war einerseits durch die Auseinandersetzung mit Ilgazi204 – dem muslimischen Herrscher von Aleppo – geprägt. Andererseits bestimmte die katastrophale Niederlage der Antiochener in der Schlacht auf dem Ager sanguinis am 28. Juni 1119, in der ein großer Teil des antiochenischen Adels sein Leben ließ, diese Phase.205 Obwohl die Bella Antiochena somit keine lateinisch-antiochenische Origo Gentis darstellen, ist Walters Geschichte der Kämpfe gegen die Muslime in vielerlei Hinsicht von großem Interesse. In den Bella Antiochena konzentriert sich Walter ganz auf seine eigene Heimat und deren Geschichte. Er ist die beste Quelle für die Verbindung von Staats-, Herr-

203 Siehe auch die von Thomas Asbridge und Susan Edgington vorgelegte Übersetzung mit einer hilfreichen Einleitung: Walter der Kanzler, Walter the Chancellor’s The Antiochene Wars, hg. u. übers. v. Thomas S. Asbridge u. Susan B. Edgington, Ashgate 1999 (fortan WdKÜ). 204 Zu ihm vgl. Savvides, Alexios G. C., Art. ›Ilghazi‹, in: CE 3:631. 205 Vgl. Asbridge, Thomas S. u. Edgington, Susan B., ›Introduction‹, in: Walter der Kanzler, Walter the Chancellor’s The Antiochene Wars. A Translation and Commentary, hg. u. übers. v. Thomas S. Asbridge u. Susan B. Edgington, Aldershot 1999, 1–76, 1–8; Edgington, Susan B., Art. ›Walter the Chancellor‹, in: CE 4: 1239; Hagenmeyer, Heinrich, ›Einleitung‹, in: Walter der Kanzler, Bella Antiochena, hg. v. Heinrich Hagenmeyer, Innsbruck 1896, 1–57, 1–24.

66

Die Quellen

scher- und Heiligenkult im Rahmen der Petrus-Verehrung im Fürstentum Antiochia.

2.

Die Historiographie des Königreiches Jerusalem

Während die antiochenische Historiographie durch ihren frühen Abbruch gekennzeichnet ist, zeigt ihr jerosolymitanisches Pendant einen verzögerten Beginn, der jedoch durch eine sehr viel längere Kontinuität und eine stärkere Verdichtung ausgeglichen wird. Am Beginn der jerosolymitanischen Überlieferung steht mit der Historia Hierosolymitana206 Fulchers von Chartres zudem einer der wichtigsten Texte der gesamten Kreuzzugshistoriographie. Fulcher wurde im Jahre 1059 in der Nähe von Chartres geboren. Wahrscheinlich hat er an der angesehenen Kathedralschule von Chartres eine fundierte Ausbildung in den Artes erhalten und Kenntnisse klassischer Autoren erworben. Fulcher wurde geprägt durch Bischof Ivo von Chartres und dessen Eintreten für die libertas ecclesiae.207 Am Konzil von Clermont nahm er vermutlich selbst teil und war somit ein Begleiter des Kreuzzuges der ersten Stunde. Im Gefolge des Grafen Stefan von Blois brach er in den Orient auf, wurde jedoch schon vor dem Eintreffen des Kreuzzuges vor Antiochia durch Balduin von Boulogne als Kaplan rekrutiert. Mit diesem zog er nach Edessa, wo er blieb, bis sein Herr nach dem Tode Gottfrieds von Bouillon im Dezember des Jahres 1100 zum ersten König von Jerusalem erhoben wurde. Somit versäumte Fulcher zwar die Eroberung Jerusalems, seine Heimat wurde jedoch unbestreitbar das lateinische Königreich, wo er bis zum Tode Balduins I. im Jahre 1118 in dessen Gefolge diente und Mitglied des Kapitels der Grabeskirche war.208 Schon bald nach seiner Ankunft in Jerusalem begann er mit der Arbeit an 206 Heinrich Hagenmeyers in gewohnter Weise ausführlichst kommentierte Edition (FvC) bleibt auch genau ein Jahrhundert nach ihrem Erscheinen die maßgebliche Ausgabe der Historia. Eine knappere und in mancherlei Hinsicht daher zugänglichere Einführung zu Fulchers Schrift bietet die – allerdings auch schon mehr als vier Jahrzehnte alte – Übersetzung von Frances Rita Ryan: Fulcher von Chartres, A History of the Expedition to Jerusalem. 1095–1127, hg. v. Harold S. Fink, hg. u. übers. v. Frances Rita Ryan, Knoxville 1969. Nach wie vor für das Verständnis Fulchers unersetzlich: Hagenmeyer, ›Einleitung‹, in: FvC, 1–112. Die letzten wichtigen Studien zu Fulcher von Chartres erschienen in kurzer Abfolge Ende der Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts: Epp, Fulcher von Chartres; Giese, ›Untersuchungen‹. 207 Vgl. Bauer, Dominique u. Lesaffer, Randall, ›Ivo of Chartres, the Gregorian Reform and the Formation of the Just War Doctrine‹, in: Journal of the History of International Law (7; 2005), 43–54; Sprandel, Rolf, Ivo von Chartres und seine Stellung in der Kirchengeschichte (= Pariser historische Studien; 1), Paris 1962, 116–169. 208 Zu Fulchers Biographie vgl. Epp, Fulcher von Chartres, 24–35; Giese, ›Untersuchungen‹, 63; Hagenmeyer, ›Einleitung FvC‹, 1–19.

Die Historiographie des Königreiches Jerusalem

67

seiner Historia Hierosolymitana. Bei seinen Berichten zum ersten Kreuzzug griff er auf die Gesta Francorum sowie auf die Historia Francorum qui ceperunt Iherusalem Raimunds von Aguilers209 zurück, schrieb aber insgesamt vor allem auf Grundlage seiner eigenen Erlebnisse und von Augenzeugenberichten. Eine erste, nicht erhaltene Urfassung der Historia deckte wohl die Zeit bis 1105 ab. Basierend auf diesem Urtext verfaßte Fulcher in den Jahren 1109 bis 1113 und in einer zweiten Phase von 1118 bis 1124 die erste Redaktion der Historia, die sich in einer Reihe von Handschriften erhalten hat.210 Diese Fassung überarbeitete und erweiterte er erneut in den Jahren 1124 bis 1127.211 Fulchers Werk ist von unschätzbarem Wert für die vorliegende Arbeit, da es die Innensicht eines Jerosolymitaners liefert, der die ethnogenetische Phase selbst erlebte und der zudem von einer großen Begeisterung nicht nur für den Kreuzzug, sondern vor allem für das Königreich Jerusalem und seine lateinischen Einwohner geprägt war. Wie noch im Einzelnen darzulegen sein wird, erkannten auch schon Fulchers Zeitgenossen im lateinischen Königreich seine Bedeutung und etablierten ihn geradezu als den offiziellen Historiographen ihrer Gruppe, dessen Schrift nicht nur von einem elitären Leserkreis rezipiert wurde, sondern im öffentlichen Leben des Reiches und in seiner Erinnerungskultur eine wichtige Rolle spielte. Fulchers Bedeutung läßt sich ferner an der noch zu seinen Lebzeiten einsetzenden Bearbeitung seines Stoffes durch andere jerosolymitanische Historiographen nachweisen. So schrieb schon vor der Mitte des Jahres 1109 auf Grundlage der Urfassung von Fulchers Text Bartolf von Nangis seine Gesta Francorum Iherusalem Expugnantium.212 Über Bartolf ist fast nichts bekannt, er muß allerdings selbst im Königreich Jerusalem gelebt haben und war mit dem Autor seiner Quelle – frater Fulcherius Carnotensis213 – persönlich bekannt.214 209 Die maßgebliche Edition der Historia Raimunds ist nach wie vor die Recueil-Ausgabe: Raimund von Aguilers, ›Historia Francorum qui ceperunt Iherusalem‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 3:232–309 (fortan RvA). Siehe auch die jüngere Ausgabe, die jedoch die Kapiteleinteilung verwischt und auch andere Mängel aufweist: Raimund von Aguilers, Le »Liber« de Raymond d’Aguilers, hg. v. John Hugh Hill u. Laurita L. Hill, unter Mitarb. v. Philippe Wolff (= Documents Relatifs a l’Histoire des Croisades; 9), Paris 1969. Ich folge mit der Verwendung der Recueil-Ausgabe dem Beispiel in France, ›Anonymous Gesta‹. 210 Zur handschriftlichen Überlieferung der Historia vgl. Hagenmeyer, ›Einleitung FvC‹, 91–104. 211 Vgl. Epp, Fulcher von Chartres, 26. 212 Bartolf von Nangis, ›Gesta Francorum Iherusalem expugnantium‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 3:487–543 (fortan BvN). 213 Ibid. II. 214 Vgl. Kühn, Fritz, Geschichte der ersten lateinischen Patriarchen von Jerusalem, Leipzig 1886, 21, Anm. 5; Hagenmeyer, ›Einleitung FvC‹, 71ff.

68

Die Quellen

Bartolfs Schrift wird zumeist nur als nachrangige Ergänzungsquelle besprochen. Tatsächlich handelt es sich jedoch bei seinen Gesta nicht allein um »une version primitive de Fulcher de Chartres«215, sondern um ein durchaus bedeutendes Zeugnis für die frühe Geschichte des lateinischen Königreiches, das eine Reihe wichtiger Ergänzungen und Vergleichspunkte zum Verständnis der ethnohistorischen Entwicklung der Jerosolymitaner bietet.216 Auch die anonyme Historia Nicæna vel Antiochena217 fristete lange Zeit ein Schattendasein, und Hagenmeyer sah in ihr eine »im ganzen wertlos[e] Erzählung«.218 Daß dem Text jedoch durchaus ein beachtlicher Wert als Quelle für das Königreich Jerusalem zuzuschreiben ist, haben die Bemühungen Deborah Gerishs in jüngerer Vergangenheit klar herausgestellt.219 Über den Autor dieser Historia ist wenig, über ihren Hintergrund jedoch einiges bekannt. Balduin III. von Jerusalem220 (1130–1163) gab die Historia in den 1140er Jahren in Auftrag. Sie wurde auf Grundlage der – wiederum auf den Gesta Francorum beruhenden – Historia Iherosolimitana Roberts des Mönchs221 und der ersten Redaktion der 215 Ferrier, Luc, ›La Couronne Refus¦e de Godefroy de Bouillon: Eschatologie et Humiliation de la Majest¦ aux Premiers Temps du Royaume Latin de J¦rusalem‹, in: Le Concile de Clermont de 1095 et l’Appel — la Croisade, Rom 1997, 245–265, 248. 216 Bartolfs Gesta sind bislang nicht systematisch erforscht worden. Die wichtigsten Informationen zu ihm und seinem Werk liefern nach wie vor die kurzen Ausführungen Hagenmeyers und Kühns. Vgl. Kühn, Geschichte, 21, Anm. 5; Hagenmeyer, ›Einleitung FvC‹, 71ff. Kümpers Beitrag für die Encyclopedia of the Medieval Chronicle liefert kaum Informationen, berücksichtigt Kühn gar nicht, verweist nicht auf die richtigen Stellen bei Hagenmeyer und ordnet Bartolf Frankreich und nicht dem Königreich von Jerusalem zu. Vgl. Kümper, Hiram, ›Bartolf of Nangis‹, in: Encyclopedia of the Medieval Chronicle, hg. v. Raymond Graeme Dunphy (http://referenceworks.brillonline.com/entries/encyclopediaof-the-medieval-chronicle/bartolf-of-nangis-SIM_00277), Turnhout, eingesehen am 19. Februar 2013. Epp bezieht Bartolf immerhin in ihrer Detailuntersuchung zum milesBegriff bei Fulcher von Chartres mit ein. Vgl. Epp, Verena, ›Miles und militia bei Fulcher von Chartres und seinen Bearbeitern‹, in: Militia Christi e Crociata nei Secoli XI–XIII. Atti della Undecima Internazionale di Studio Mendola, 28 Agosto – 1 Settembre 1989, (= Miscellanea del Centro di Studi Medioevali; 13), Mailand 1992, 769–784. 217 Anonymus, ›Historia Nicæna vel Antiochena‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 5:136–185 (fortan HNvA). Neue Edition in Vorbereitung durch Deborah Gerish. 218 Hagenmeyer, ›Einleitung FvC‹, 84. 219 Vgl. Gerish, Deborah, ›The True Cross and the Kings of Jerusalem‹, in: The Haskins Society Journal. Studies in Medieval History (8; 1996), 137–155; Dies., ›Historia Nicaena vel Antiochena‹, in: CE, 2:582; Dies., ›Remembering Kings in Jerusalem: The Historia Nicaena vel Antiochena and Royal Identity around the Time of the Second Crusade‹, in Vorbereitung. Mein Dank gilt Frau Gerish von der Emporia State University (Kansas), die mir freundlicher ihren Aufsatz noch vor der Veröffentlichung zur Verfügung gestellt hat. 220 Gerish hat jüngst angeregt, der Königinmutter Melisendis die Initiative zum Verfassen der Historia zumindest teilweise zuzuschreiben. Vgl. ibid., 68f. 221 Robert der Mönch, ›Historia Iherosolimitana‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris

Die Historiographie des Königreiches Jerusalem

69

Historia Hierosolymitana Fulchers von Chartres erstellt und deckt die Jahre 1099 bis 1123 ab.222 Sehr viel stärker als alle anderen Vertreter der jerosolymitanischen Historiographie des 12. Jahrhunderts bildet die Historia Nicæna aufgrund ihres Hintergrundes die Perspektive des Hofes von Jerusalem ab.223 Schließlich ist auf den zweiten großen Historiographen des Königreiches Jerusalem im 12. Jahrhundert zu verweisen. Wilhelm von Tyrus war selbst um 1130 im lateinischen Königreich geboren worden und war vermutlich in seiner Kindheit an der Kathedralschule von Jerusalem ein Schüler des Gelehrten Johannes von Pisa. Im Alter von etwa fünfzehn Jahren brach er zu einem circa zwanzigjährigen Aufenthalt in Europa auf, in dessen Verlauf er in Orl¦ans und Paris die Artes und Theologie und anschließend in Bologna kanonisches und römisches Recht studierte.224 1165 kehrte er wieder in den Orient heim und erhielt zunächst ein Kanonikat an der Kathedrale von Akkon, bevor er von 1167 bis 1175 als Erzdiakon in seiner Heimatstadt Tyrus wirkte. In dieser Funktion gewann er erste Erfahrungen im diplomatischen Dienst des Königreiches. Schon zu dieser Zeit – im Jahre 1174 – wurde er zum Kanzler des Reiches ernannt und hielt dieses Amt bis 1185. Von 1175 bis zu seinem Tode am 29. September 1186 war Wilhelm Erzbischof von Tyrus und nahm in dieser Funktion am dritten Laterankonzil teil.225

222 223 224

225

1844–1895, 3:717–882 (fortan RdM). Siehe auch die mit einer hilfreichen Einleitung versehene Übersetzung von Carol Sweetenham: Robert der Mönch, Robert the Monk’s History of the First Crusade. Historia Iherosolimitana, hg. u. übers. v. Carol Sweetenham (= Crusade Texts in Translation; 11), Farnham 2005. Eine neue kritische Edition des Textes ist am 18. April 2013 erschienen, stand jedoch zur Zeit der Abfassung dieser Arbeit noch nicht zur Verfügung. Robert der Mönch, The Historia Iherosolimitana of Robert the Monk, hg. v. Damien Kempf u. Marcus Bull, Woodbridge 2013. Vgl. Sweetenham, Carol, ›Introduction‹, in: Robert der Mönch, Robert the Monk’s History of the First Crusade. Historia Iherosolimitana, hg. u. übers. v. Ders. (= Crusade Texts in Translation; 11), Farnham 2005, 1–71, 44–48; Hagenmeyer, ›Einleitung FvC‹, 83f. Vgl. Gerish, ›Remembering Kings‹, 70–77. Zu Wilhelms Jugend und Studien vgl. Giese, Wolfgang, ›Stadt- und Herrscherbeschreibungen bei Wilhelm von Tyrus‹, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters (34; 1978), 381–409, 382f; Huygens, Robert Burchard Constantyn, ›Guillaume de Tyr Êtudiant. Un Chapitre (XIX, 12) de son Histoire Retrouv¦‹, in: Latomus (21; 1962), 811–829; Mayer, Hans Eberhard, ›Guillaume de Tyr — l’Êcole‹, in: M¦moires de l’Acad¦mie des Sciences (127; 1985), 257–265. Zu Wilhelms Leben und Wirken vgl. Davis, ›William of Tyre‹; Edbury u. Rowe, William of Tyre, 13–43; Hiestand, Rudolf, ›Zum Leben und zur Laufbahn Wilhelms von Tyrus‹, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters (34; 1978), 345–380; Huygens, Robert Burchard Constantyn, ›Editing William of Tyre‹, in: Sacris Erudiri (27; 1984), 461–473; Ders., ›Introduction WvT‹, 1–3; Prutz, Hans, ›Studien‹. Siehe auch: Rödig, Thomas, Zur politischen Ideenwelt Wilhelms von Tyrus (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften; 429), Frankfurt am Main 1990; Schwinges, Kreuzzugsideologie; Vessey, ›William of Tyre‹. Zu Wilhelm von Tyrus siehe auch die Aufsätze in der jüngst erschienenen Festschrift für Peter Edbury, die leider hier nicht mehr berücksichtigt werden konnten: Edgington u. Nicholson (Hgg.), Deeds Done.

70

Die Quellen

Die Arbeit an seinem Hauptwerk – dem Chronicon226 – nahm Wilhelm wohl kurz nach seiner Rückkehr aus Europa im Jahre 1165 auf und führte diese kontinuierlich bis zu seiner Abreise zum Lateranum im Jahre 1178 fort. Nach der Rückkehr in die Heimat zwei Jahre später führte er seine Arbeit unter dem Eindruck der wachsenden Bedrohung durch einen unter Saladins Führung geeinten und erstarkenden muslimischen Gegner fort und überarbeitete zudem Teile des schon geschriebenen Textes, verfaßte etwa auch einen neuen Prolog. Mit der Beschreibung der Ereignisse des Jahres 1184 bricht das Chronicon unvermittelt ab.227 Der Text beruht unter anderem auf einer mitunter geradezu historisch-kritischen Auswertung von Archivquellen, Wilhelm benutzte jedoch auch ältere Geschichtswerke als Grundlage. So verwendete er beispielsweise die Historia Fulchers von Chartres und zog für die Berichte zu Ereignissen in Nordsyrien die Bella Antiochena Walters des Kanzlers heran. Zum ersten Kreuzzug konsultierte er neben Albert von Aachen,228 Raimund von Aguilers und Baldrich von Dol229 auch einen nicht näher zu bestimmenden Text des antiochenischen Zweiges der Gesta-Familie. Zudem beruhen seine Ausführungen auf Augenzeugenberichten sowie auf eigenen Beobachtungen. Für geschichtliche Ereignisse außerhalb des Reiches griff Wilhelm beispielsweise auf die Gesta regum Anglorum Wilhelms von Malmesbury230 zurück. Da Wilhelm von Tyrus selbst Arabisch sprach, verwendete er zudem arabische Quellen. Auf deren Grundlage verfaßte er sogar ein eigenes Geschichtswerk über die Gesta Orientalium principum,231 das zwar verloren ist, dessen Erträge er jedoch bei der Überarbeitung des Chronicon verwertete.232 Wilhelm selbst nennt König Amalrich von Jerusalem (1136–1174) als Auftraggeber seines historio-

226 In der Forschung zumeist als Historia Ierosolymitana bezeichnet. Ich verwende stattdessen den Werktitel aus der maßgeblichen Edition (WvT). 227 Vgl. Edbury u. Rowe, William of Tyre, 27ff. 228 Albert von Aachen, Historia Ierosolimitana. History of the Journey to Jerusalem, hg. u. übers. v. Susan B. Edgington, Oxford 2007 (fortan AvA). 229 Baldrich von Dol, ›Historia Jerosolimitana‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 4:9–111 (fortan BvD). 230 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum. The History of the English Kings, hg. u. übers. v. Roger A. B. Mynors, Rodney M. Thomson u. Michael Winterbottom, 2 Bde., Oxford 1998/9 (fortan WvM). Zu Wilhelm von Malmesbury vgl. Thomson, Rodney Malcolm, William of Malmesbury, Woodbridge 2003. 231 Vgl. Möhring, Hannes, ›Zu der Geschichte der orientalischen Herrscher des Wilhelm von Tyrus: Die Frage der Quellenabhängigkeiten‹, in: Mittellateinisches Jahrbuch (19; 1984), 170–183; Murray, Alan V., ›William of Tyre and the Origin of the Turks: on the Sources of the Gesta Orientalium Principum‹, in: Dei gesta per Francos: Êtudes sur les Croisades D¦di¦es — Jean Richard, hg. v. Michel Balard, Benjamin Z. Kedar u. Jonathan RileySmith, Aldershot 2001, 217–229. 232 Vgl. Edbury u. Rowe, William of Tyre, 44–58; Huygens, ›Introduction WvT‹, 93.

Andere historiographische Quellen

71

graphischen Schaffens.233 Vor allem verweist er jedoch wiederholt auf seinen amor patriae234 als Motiv.235 Damit steht Wilhelm in der Kontinuität Fulchers von Chartres, bietet jedoch als gebürtiger Jerosolymitaner einer späteren Generation beste Voraussetzungen zur Beobachtung von Kontinuitäten und Wandlungen innerhalb der jerosolymitanischen Ethnohistorie zwischen den 1120er und 1180er Jahren.

3.

Andere historiographische Quellen

Obwohl die zuvor besprochenen historiographischen Texte, die im 12. Jahrhundert in den Kreuzfahrerstaaten selbst entstanden sind, eindeutig im Zentrum der vorliegenden Untersuchung stehen, werden auch andere Quellen berücksichtigt. An erster Stelle sind die teilweise schon genannten abendländischen Angehörigen der Gesta-Familie zu nennen. In diese Gruppe gehören neben der Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum auch die Kreuzzugschroniken Baldrichs von Dol, Roberts des Mönchs und Guiberts von Nogent.236 Während der Anonymus von Montecassino in den 1130er Jahren vermutlich auf Basis der Ur-Gesta und der Gesta Tancredi Radulfs von Caen arbeitete, legten die drei übrigen Chronisten die Gesta Francorum selbst zugrunde. Allen gemein ist die Perspektive von kreuzzugsbegeisterten Benediktinern, die jedoch selbst nicht am Zug in den Orient teilgenommen hatten. Baldrich von Dol (1046–1130) – mitunter auch Baudri genannt – war von 1089 bis 1107 Abt von St-Pierre-de-Bourgueil und anschließend Bischof von Dol in der Bretagne. Er hinterließ neben seiner Kreuzzugschronik ein umfangreiches dichterisches und hagiographisches Œuvre. Für seine Historia Jerosolimitana griff er neben den Gesta Francorum als schriftliche Quelle zusätzlich auf Augenzeugenberichte zurück.237 Wie Baldrich war auch sein Zeitgenosse und Or233 Hierin ist jedoch möglicherweise ein Topos zu erkennen. Vgl. Vessey, ›William of Tyre‹, 436–439. 234 Siehe z. B. WvT Prologus.67. Siehe dazu auch Schwinges, Kreuzzugsideologie, 230–245. 235 Vgl. Edbury u. Rowe, William of Tyre, 24ff. 236 Guibert von Nogent, Guitbertus abbas S. Mariae Nogenti, Dei Gesta per Francos, hg. v. Robert Burchard Constantyn Huygens (= Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis; 127 A), Turnhout 1996 (fortan GvN). Aufgrund der spezifischeren Verweise auf bestimmte Absätze in der älteren Literatur ist auch die Recueil-Ausgabe nach wie vor hilfreich: Guibert von Nogent, ›Gesta Dei per Francos‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 4:113–263. 237 Zu Baldrich von Dol vgl. Le Huërou, Armelle, ›Baudri de Bourgueil et la Normandie: la Contribution Stratifi¦e d’un ArchevÞque de Dol au Prestige de Grands Êtablissements

72

Die Quellen

densbruder Guibert von Nogent (1055-ca. 1125) ein vielseitiger Schriftsteller. Seit 1104 Abt von Nogent-sous-Coucy, verfaßte er neben einer Autobiographie238 vor allem Schriften zu vielfältigen theologischen Themen. Für seine zwischen 1106 und 1109 angefertigte Bearbeitung der Gesta Francorum – die Dei Gesta per Francos – griff er auch auf die Historia Fulchers von Chartres und Augenzeugenberichte zurück. Guiberts Dei Gesta per Francos sind stärker als vergleichbare Texte von einer eschatologischen Interpretation der Kreuzzugsereignisse geprägt. Zudem spiegelt sich seine kritische Auseinandersetzung mit Wundergeschichten und dem Reliquienkult auch in den Gesta. Aufgrund dieser beiden Besonderheiten bietet Guiberts Schrift interessante Kontrastmöglichkeiten zu den antiochenischen und jerosolymitanischen Texten.239 Anders als im Falle Baldrichs und Guiberts ist über den dritten bedeutenden Bearbeiter der Gesta Francorum – Robert den Mönch – vergleichsweise wenig bekannt, obwohl seine vor 1118 entstandene Historia Iherosolimitana sich zu einem der beliebtesten Berichte zum ersten Kreuzzug entwickelte. Robert war wie Baldrich und Guibert Benediktiner und gehörte der Abtei St-Remi in Reims an. Nach Roberts eigenem Bekunden in seinem der Historia vorangestellten apologeticus sermo nahm der Mönch selbst am Konzil von Clermont teil.240 Bei der Adaption der Gesta Francorum nahmen Baldrich, Guibert und Robert jeweils tiefgreifende Veränderungen vor, so daß sich zwischen ihren Texten und der gemeinsamen Quelle wie auch innerhalb dieser Untergruppe der europäischen Gesta-Bearbeiter sehr viel stärkere Unterschiede beobachten lassen als

Monastiques Normands (Mont-Saint-Michel, JumiÀges, F¦camp)‹, in: Bretons et Normands au Moyen ffge: Rivalit¦s, Malentendus, Convergences; Colloque International de Cerisy-laSalle; 5–9 Octobre 2005, hg. v. JoÚlle Quaghebeur u. Bernard Merdrignac, Rennes 2008, 201–214; Lutz, Eckart Conrad, Schreiben, Bildung und Gespräch. Mediale Absichten bei Baudri de Bourgueil, Gervasius von Tilbury und Ulrich von Liechtenstein (= Scrinium Friburgense; 31), Berlin 2013; Nuß, Daniel, Die hagiographischen Werke Hildeberts von Lavardin, Baudris von Bourgueil und Marbods von Rennes: Heiligkeit im Zeichen der Kirchenreform und der R¦¦criture (= Beiträge zur Hagiographie; 12), Stuttgart 2013. 238 Guibert von Nogent, Die Autobiographie, hg. u. eingel. v. Walter Berschin, übers. v. Elmar Wilhelm (= Bibliothek der mittellateinischen Literatur ; 10), Stuttgart 2012. Vgl. hierzu auch Röckelein, Hedwig, ›Hochmittelalterliche Autobiographien als Zeugnisse des Lebenslaufs und der Reflexion über Erziehung. Das Beispiel Otlohs von St. Emmeram und Guiberts von Nogent‹, in: Vormoderne Lebensläufe – erziehungshistorisch betrachtet, hg. v. Rudolf W. Keck (= Beiträge zur historischen Bildungsforschung; 12), Köln 1994, 151–186. 239 Zu Guibert von Nogent vgl. Charaud, Jacques, ›La Conception de l’Histoire de Guibert de Nogent‹, in: Cahiers de Civilisation M¦di¦vale (8; 1965), 381–395; Ní Chléirigh, ›Impact‹; Rubenstein, Jay, Guibert of Nogent: Portrait of a Medieval Mind, New York 2002. 240 Zu Robert dem Mönch vgl. Marquardt, Georg, Die Historia Hierosolymitana des Robertus Monachus: Ein quellenkritischer Beitrag zur Geschichte des ersten Kreuzzugs, Königsberg 1892; Russo, Luigi, ›Ricerche sull’ Historia Iherosolimitana di Roberto di Reims‹, in: Studi Medievali (ser. 3, 43; 2002), 651–691; Sweetenham, ›Introduction RdM‹, bes. 1–47.

Andere historiographische Quellen

73

zwischen den Gesta Francorum und der Historia des Tudebodus.241 Insbesondere für die Analyse dieser beiden letztgenannten antiochenischen Texte bietet der Vergleich mit den abendländischen Vertretern der Gesta-Familie großes Potential, da eine Untersuchung der Anpassung der aus dem normannischantiochenischen Kontext hervorgegangenen Quelle dabei behilflich sein kann, zwischen antiochenischen Spezifika und Gemeingut der Kreuzzugshistoriographie zu unterscheiden. Doch auch für das Verständnis der anderen lateinisch-orientalischen Historiographen können diese Texte einen wichtigen Beitrag leisten. Ein vermutlich in Aachen ansässiger und seit dem 13. Jahrhundert in Handschriften als Albert benannter Chronist verfaßte eine zwischen den 1120er und 1130er Jahren abgeschlossene Historia Ierosolimitana. Im Gegensatz zu jenen abendländischen Autoren, welche sich der Gesta Francorum bedienten, behandelt Albert neben den Ereignissen des ersten Kreuzzuges auch die weitere Geschichte der Kreuzfahrerstaaten bis ins Jahr 1119. Albert war wie die GestaBearbeiter selbst nie im Orient. Er gründete seine Historia auf den Berichten von Pilgern aus dem Rheinland sowie auf nicht eindeutig zu identifizierenden Legenden und volkssprachlicher Kreuzzugsdichtung.242 Die frühere Annahme einer verlorenen schriftlichen Quelle als Grundlage für Alberts Bericht, die auch Wilhelm von Tyrus zur Verfügung gestanden habe, ist jüngst in der maßgeblichen Edition der Historia erneut verworfen worden.243 Die Herausgeberin Susan Edgington geht sogar noch weiter und postuliert: »Thus it appears that Albert did not use any known and extant written source when he wrote the Historia.«244 Allerdings setzt sich Edgington nicht mit Hagenmeyers schlüssiger und auf Textvergleichen beruhenden Vermutung auseinander, Albert habe Zugang zu Fulchers Historia Hierosolymitana und den Gesta Francorum gehabt.245 Edgington sieht Alberts eigene Aussage, seinen Text ex […] auditu et relatione246

241 Zu den abendländischen Vertretern der Gesta-Familie und deren Verhältnis zu ihrer Quelle vgl. d’Angelo, ›Introduzione HAI‹; France, ›Use‹; Oehler, ›Studien‹. 242 Zu Albert von Aachen vgl. Blake/Morris, ›Hermit‹; Edgington, Susan B., ›Albert of Aachen and the Chansons de Geste‹, in: The Crusades and Their Sources: Essays Presented to Bernard Hamilton, hg. v. John France u. William G. Zajac, Aldershot 1998, 23–37; Dies., ›Albert of Aachen Reappraised‹, From Clermont to Jerusalem: The Crusades and Crusader Societies, 1095–1500, hg. v. Alan V. Murray, Turnhout 1998, 55–67; Dies., ›Introduction‹, in: Albert von Aachen, Historia Ierosolimitana. History of the Journey to Jerusalem, hg. u. übers. v. Ders., Oxford 2007, xxi–lx; Knoch, Peter, Studien zu Albert von Aachen. Der erste Kreuzzug in der deutschen Chronistik (= Stuttgarter Beiträge zur Geschichte und Politik; 1), Stuttgart 1966. 243 Vgl. Edgington, ›Introduction AvA‹, xxviff. 244 Ibid., xviii. 245 Vgl. Hagenmeyer, ›Einleitung FvC‹, 79f. 246 AvA I.i.

74

Die Quellen

verfaßt zu haben, als Beweis dafür, »that he used predominately oral sources«.247 Sie übergeht jedoch Kuglers frühere einleuchtende Deutung dieser Worte, gemäß welcher durch auditu Augenzeugenberichte und durch relatione schriftliche Zeugnisse bezeichnet seien.248 Immerhin im Hinblick auf die Ankunft der Kreuzfahrer in Bethlehem gibt es, wie an entsprechender Stelle in dieser Arbeit ausgeführt wird,249 gute Gründe, Hagenmeyers Postulat einer Abhängigkeit Alberts von Fulcher nicht gänzlich zu verwerfen. Alberts Text ist vor allem als Kontrastfolie für die etwa zeitgleich im lateinischen Königreich entstandene und die gleiche Zeit abdeckende jerosolymitanische Historiographie von größtem Wert. Eine Sonderrolle innerhalb der in dieser Arbeit untersuchten Quellen nimmt die in den ersten Jahren nach der Eroberung der Heiligen Stadt entstandene Historia Francorum qui ceperunt Iherusalem Raimunds von Aguilers ein. Raimund nahm selbst im provenzalischen Kontingent am Kreuzzug teil, wurde auf dem Weg in den Osten zum Priester geweiht und war anschließend Kaplan Raimunds von Toulouse. Als Parteigänger des Grafen von Toulouse hätte Raimund von Aguilers prinzipiell gute Einblicke in das Entstehen der Grafschaft Tripolis gewähren und somit Rückschlüsse auf mögliche ethnogenetische Sonderentwicklungen in diesem Kreuzfahrerstaat erlauben können. Seine Historia jedoch behandelt lediglich die Ereignisse des ersten Kreuzzuges bis kurz nach der Schlacht von Askalon am 12. August 1099. Der Wert von Raimunds Bericht besteht daher vor allem darin, daß er die Ereignisse des Kreuzzuges und die Ursprünge der Antiochener und Jerosolymitaner aus provenzalischer Perspektive und somit als Außenstehender schildert, der jedoch anders als die abendländischen Chronisten diese Entwicklungen selbst beobachtete.250

247 248 249 250

Edgington, ›Introduction AvA‹, xxvi. Vgl. Kugler, Bernhard, Albert von Aachen, Stuttgart 1885, 4. Vgl. Kapitel VI.6.b. Zu Raimund von Aguilers vgl. France, ›Anonymous Gesta‹; Hill, John Hugh u. Hill, Laurita L., ›Introduction‹, in: Raimund von Aguilers, Le »Liber« de Raymond d’Aguilers, hg. v. Dens., unter Mitarb. v. Philippe Wolff (= Documents Relatifs a l’Histoire des Croisades; 9), Paris 1969, 9–30; Klein, Clemens, Raimund von Aguilers: Quellenstudie zur Geschichte des ersten Kreuzzuges, Berlin 1892; Schuster, Beate, ›Die Stimme des falschen pauper. Der Kreuzzugsbericht des Raimund von Aguilers und die Armenfrage, in: Armut im Mittelalter, hg. v. Otto Gerhard Oexle, Ostfildern 2004, 79–126.

III.

Gesta Francorum? – ethnische Terminologie in der Historiographie der Kreuzfahrerstaaten »Die Gesammtheit dieser abendländischen Einwanderer, mochten sie zu dauernder Niederlassung oder zu vorrübergehendem Aufenthalte, zum Kampfe gegen die Ungläubigen oder zu friedlicher Erwerbsthätigkeit in das Land kommen, wurde von ihren mohammedanischen Gegnern und auch von den einheimischen Christen schlechtweg als Franken bezeichnet.«251 »Franks […] is probably the most common term used in medieval sources and modern scholarship to designate the ruling and privileged classes in the various principalities of Outremer, Cyprus, and Greece that were established in the course of the crusades.«252

Die lateinischen Einwohner aller Kreuzfahrerstaaten – geographisch von der Ägäis bis Ägypten, zeitlich von der Gründung der Grafschaft Edessa 1097 bis zur Kapitulation Famagustas 1571 – wurden und werden zumeist unterschiedslos als Franken bezeichnet. Tatsächlich dürfte – wenn zu diesem Thema in diesem weiten Zuschnitt auch keine systematischen Studien vorliegen – in zeitgenössischen Quellen und modernen Forschungstexten für die Lateiner in diesem geographisch wie zeitlich ausgedehnten Bereich die Franci-Bezeichnung die gängigste Benennung sein. Dabei ist der Ursprung dieser universellen Anwendung der Frankenbenennung nicht eindeutig zu ergründen. Vermutlich haben mehrere Faktoren eine Rolle gespielt. Einerseits bestand die Gesamtheit der Heere des ersten Kreuzzuges mehrheitlich aus Frankophonen, zu denen zudem noch die Kreuzzugsteilnehmer aus Flandern und dem Rheinland kamen, deren Heimat auf dem Boden des ehemaligen Frankenreiches lag. Nicht alle diese Kreuzfahrer hätten sich in Europa als Franken bezeichnet, doch das anhaltend große Prestige des frühmittelalterlichen Frankenreiches dürfte zumindest zu einer Offenheit für eine Assoziation mit fränkischen Traditionen sowie eben auch zu einer Übernahme der Benennung als Franci geführt haben.253 Somit ist es durchaus nachvollziehbar, daß sich die Gesamtheit der Kreuzfahrer unter dem Namen Franci sammelte und damit an die ehrenvolle Traditionslinie der Franken anzuknüpfen suchte. Zudem wurden die Kreuzfahrer auf ihrem Weg in den Orient damit kon251 Prutz, Hans, Kulturgeschichte der Kreuzzüge, Berlin 1883, 109. 252 Murray, Alan V., Art. ›Franks‹, in: CE 2: 470. 253 Vgl. Balard, ›Gesta Dei‹; Bull, ›Identities‹, 205f; Knoch, Studien, 104–107.

76

Ethnische Terminologie in der Historiographie der Kreuzfahrerstaaten

frontiert, daß die Byzantiner wie auch deren muslimische Gegner verallgemeinernd alle lateinischen Christen als Franken benannten.254 inter hostes autem omnes Francigenæ dicebantur,255 erkannte daher auch schon der Kreuzzugsteilnehmer Raimund von Aguilers. Daher glaubt Alan V. Murray auch, in dieser Bezeichnung als Franci das Ethnonym der von ihm postulierten neu entstandenen, panlateinischen ethnischen Gruppe in Outremer erkennen zu können.256 Vieles scheint für diese Interpretation zu sprechen, denn die Franci-Benennung findet sich in allen zeitgenössisch im lateinischen Orient entstandenen Quellen.257 Den Versuch, eine partikularistische Alternative für die Interpretation der ethnischen Prozesse während der Gründungsphase der Kreuzfahrerstaaten zu etablieren, stellt diese Deutung des Franci-Begriffs vor ein fundamentales Problem. Der Terminus wird tatsächlich unterschiedslos für alle Lateiner im Orient gebraucht. Das Vorhandensein einer solchen klar panlateinisch besetzten Gruppenbezeichnung mit der Funktion eines kollektiven Eigennamens für die Lateiner Outremers spräche eindeutig gegen ein partikularistisches Postulat und würde jede weitergehende Auseinandersetzung mit der ethnischen Terminologie in den zeitgenössischen lateinischen Quellen der Kreuzfahrerstaaten überflüssig werden lassen. Tatsächlich hat in der Forschung genau dies stattgefunden, und der Franci-Begriff dominiert in der Literatur als Bezeichnung für die Lateiner im Orient unangefochten. Die sicherlich häufig unreflektierte Übernahme des Quellenbegriffs Franci schon durch die frühesten Quellenherausgeber des 17. Jahrhunderts hat die Beschäftigung mit diesem Thema nachhaltig beeinflußt und wirft einen langen Schatten auf seine Erforschung.258 Die Dominanz der Franci-Benennung in der Kreuzzugsforschung hat zudem dazu geführt, daß andere zeitgenössische Quellenbegriffe zur Bezeichnung von Gruppen in Outremer – wie etwa Latini, Hierosolymitani oder Antiocheni – wenig Beachtung gefunden haben. Wer genau war also mit dem Begriff Franci bezeichnet? Balard und Bull, die sich unabhängig voneinander dieser Frage gewidmet haben, kommen zum 254 Knoch, Studien, 101f bemerkt korrekt, daß zumindest im griechischen Sprachgebrauch jedoch auch andere Bezeichnungen – etwa als Kelten oder Lateiner – gebräuchlich waren. 255 RvA V. 256 Vgl. Murray, ›Identity‹, 60–63; Ders., Art. ›Franks‹, in: CE 2:470–471. 257 Vgl. Hillenbrand, Carole, The Crusades. Islamic Perspectives, Edinburgh 1999, 303f; Kropácˇek, Lubosˇ, ›Les Ifrandj dans les Sources Arabes‹, in: Clovis. Histoire & Memoire. Le BaptÞme de Clovis, son Êcho — Travers l’Histoire, hg. v. Michel Rouche, Paris 1997, 461–472; Murray, ›National Identity‹, 116f; Prutz, Kulturgeschichte, 109f; Thorau, Peter, ›Die fremden Franken – al-farang˘ al-guruba¯. Kreuzfahrer und Kreuzzüge aus arabischer Sicht‹, in: Saladin und die Kreuzfahrer. Begleitband zur Sonderausstellung Saladin und die Kreuzfahrer im Landesmuseum für Vorgeschichte, Halle (Saale), im Landesmuseum für Natur und Mensch, Oldenburg, und in den Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim, hg. v. Mamoun Fansa, Harald Meller u. Alfried Wieczorek, Zabern 2005, 115–125, 118. 258 Vgl. Balard, ›Gesta Dei‹, 473.

Ethnische Terminologie in der Historiographie der Kreuzfahrerstaaten

77

gleichen Ergebnis: Während in den meisten Fällen der Terminus tatsächlich zunächst noch eingeschränkt auf Kreuzfahrer aus dem ehemaligen Westfrankenreich bezogen worden sei, lasse sich beobachten, daß im Laufe des ersten Kreuzzuges die Bezeichnung eine Bedeutungserweiterung erfahren habe, so daß schließlich »en Orient tous les Occidentaux vont pour des siÀcles porter le nom de Francs«.259 Dieser Schluß jedoch vernachlässigt die anhaltende Vieldeutigkeit des Begriffs. So war die Franken-Bezeichnung im Kontext von Kreuzzügen und Kreuzfahrerstaaten allein aus Sicht der Autochthonen eindeutig besetzt – als Fremdbezeichnung für die Lateiner insgesamt. Doch für eine präzise Abgrenzung innerhalb dieser Gruppe eignete sich der Begriff weniger – vor allem nicht als kollektiver Eigenname einer im Orient neu entstandenen ethnischen Gruppe.260 Tatsächlich muß bezweifelt werden, daß ein Begriff, der vor allem mit den Einwohnern des Herrschaftsbereiches des französischen Königs – des rex Francorum – assoziiert und somit eindeutig besetzt war, sich dauerhaft als kollektiver Eigenname einer aus Kreuzfahrern und Pilgern aus ganz Europa neu entstandenen ethnischen Gruppe in vier von Frankreich unabhängigen Kreuzfahrerstaaten eignete.261 Balard und Bull argumentieren mit einer Anknüpfung an die prestigeträchtige Tradition der Karolinger, welche die Annahme des Franci-Begriffs auch für Nichtfranzosen attraktiv gemacht habe.262 Tatsächlich läßt sich nachvollziehen, daß in den historiographischen Texten der Kreuzfahrerstaaten diese Traditionslinie eine Rolle spielt, wobei andererseits eine Anknüpfung an das Erbe Karls des Großen nicht zwingend einer Übernahme des Franci-Begriffs bedurft hätte, der einer Integration der vielfältigen Teilgruppen der Lateiner im Orient zumindest nicht förderlich gewesen sein dürfte. Verena Epp hat zudem überzeugend demonstrieren können, daß in Outremer im Laufe der ersten Jahrzehnte nach dem Kreuzzug eine Abkoppelung von dieser karolingisch-fränkischen Traditionslinie stattfand, wie sich anhand von entsprechenden Streichungen in der zweiten Redaktion der Historia Hierosolymitana Fulchers von Chartres nachweisen läßt.263 Daß man jedoch in der Erinnerungskultur des Königreiches Jerusalem zumindest die Kreuzfahrer selbst als Franci bezeichnete, läßt sich eindeutig be259 Vgl. ibid.; Bull, ›Identities‹. Zitat: Balard, ›Gesta Dei‹, 482. 260 Bull selbst stellt heraus: »Franci, with all its inherent ambiguities, was never wholly severed from its domestic [European] roots«. Bull, ›Identities‹, 211. 261 Zur Mehrdeutigkeit der Franci-Benennung im Europa des 12. Jahrhunderts vgl. Lugge, Margret, »Gallia« und »Francia« im Mittelalter. Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen geographisch-historischer Terminologie und politischem Denken vom 6.–15. Jahrhundert (= Bonner Historische Forschungen; 15), Bonn 1960, 207f. 262 Vgl. Balard, ›Gesta Dei‹, 483; Bull, ›Identities‹, 204f. 263 Vgl. FvC I.xxx.1. Siehe dazu Epp, Fulcher von Chartres, 164ff.

78

Ethnische Terminologie in der Historiographie der Kreuzfahrerstaaten

legen. Johannes von Würzburg, der um das Jahr 1160 Jerusalem besuchte, erwähnt eine dort von ihm vorgefundene Gedenktafel, die an die Eroberung der Heiligen Stadt am 15. Juli 1099 erinnerte.264 Die Inschrift habe unter anderem den Satz Hierusalem Franci capiunt virtute potenti265 enthalten. Freilich sollte aus diesen Worten nicht auf das Ethnonym der Lateiner im Königreich Jerusalem geschlossen werden; vielmehr ist lediglich zu konstatieren, daß man die Eroberer und Staatengründer im Moment der Eroberung selbst als Franci verstand. Daß selbst eine solche historisierende Benennung Verwirrung und Irritation hervorrufen konnte, zeigt jedoch die Reaktion des Pilgers aus Würzburg, wenn er die Inschrift dichtend ergänzt: Non Franci sed Francones, gladio potiores, Hierusalem sanctam longo sub tempore captam a paganorum solvere iugo variorum: Franco, non Francus, […] Gotefridus dux argumento sunt haec fore cognita vero.266

Nicht für die mit den Franzosen gleichgesetzten Franci wollte Johannes den ersten Kreuzzug reklamiert wissen, sondern er beanspruchte Gottfried von Bouillon und seine Taten für die eigene Heimat – für das deutsche Franken.267 Neben dieser hier zu beobachtenden synchronen Ambivalenz des Begriffs muß vor allem auf diachrone Bedeutungsveränderungen verwiesen werden. Die Feststellung, daß Francus im Frühmittelalter etwas anderes bedeutete als im Hochmittelalter, und daß der mittelalterliche Quellenbegriff wiederum von den modernen Bezeichnungen ›französisch‹ und ›Franzose‹ zu unterscheiden ist, mag zunächst banal erscheinen, wird aber selbst in der Forschung nicht immer berücksichtigt. Vielmehr gibt es starke Tendenzen, eine primordialistische Kontinuitätslinie des Franci-Begriffs zu ziehen, welche sich vom Frühmittelalter bis in die Moderne erstreckt. Dies wird beispielhaft deutlich, wenn Balard im Hinblick auf die von ihm bei Fulcher von Chartres beobachtete Übernahme des 264 Vgl. Linder, Amnon, ›Like Purest Gold Resplendent: The Fiftieth Anniversary of the Liberation of Jerusalem‹, in: Crusades (8; 2009), 31–51, 43f. 265 Johannes von Würzburg, in: Peregrinationes tres. Saewulf, John of Würzburg, Theodericus, hg. v. Robert Burchard Constantyn Huygens (= Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis; 139), Turnhout 1986, 79–138, Z. 1144 [Huygens gibt keinen Titel für den Text an]. Diese Worte entstammen der Historia Hierosolymitana Fulchers von Chartres (FvC I.xxx.1). 266 Johannes von Würzburg, Z. 1146–1150. 267 Vgl. Linder, Amnon, ›A New Day, New Joy : The Liberation of Jerusalem on 15 July 1099‹, in: L’Idea di Gerusalemme nella Spiritualit— Cristiana del Medioevo. Atti del Convegno Internazionale in Collaborazione con l’Istituto della Görres-Gesellschaft di Gerusalemme; Gerusalemme, Notre Dame of Jerusalem Center, 31 Agosto – 6 Settembre 1999, hg. v. Walter Brandmüller (= Atti e Documenti. Pontificio Comitato di Scienze Storiche; 12), Vatikanstadt 2003, 46–64, 46f.

Ethnische Terminologie in der Historiographie der Kreuzfahrerstaaten

79

Franci-Begriffs durch Kreuzfahrer unterschiedlichster Herkunft formuliert, daß man sich unter der französischen Standarte versammelt habe.268 Die anhaltende Dominanz dieser Position konnten auch die Beobachtungen Peter Knochs nicht verhindern. Knoch hat schon 1966 darauf hingewiesen, daß im Laufe des 12. Jahrhunderts die Selbstbezeichnung als Franci bei den Lateinern im Orient an Bedeutung verloren habe.269 Sein Einwand ist jedoch folgenlos geblieben. Selbst Bull, der wiederholt auf Knochs Arbeit verweist, geht nicht auf dessen Bemerkungen zum Bedeutungsschwund der Frankenbezeichnung ein, obwohl diese in direktem Zusammenhang mit und Gegensatz zu seiner eigenen Position stehen.270 Die mangelnde Rezeption von Knochs wichtiger Beobachtung zur Selbstbezeichnung der Lateiner im Orient mag darauf zurückzuführen sein, daß er diese in einer Monographie zu Albert von Aachen und dort wiederum ausgerechnet in einem Kapitel über »Die ›Deutschen‹ auf dem ersten Kreuzzug« verbirgt. Zudem beschränkt er sich auf die Feststellung, daß in der zweiten Redaktion der Historia Hierosolymitana Fulchers von Chartres ein Rückgang der Franci-Benennungen zu verzeichnen sei. Ergänzt wird diese Beobachtung durch einige weitere Belege in einer längeren Fußnote.271 Seinen wichtigen Gedanken verfolgt Knoch nicht konsequent weiter, da er sich allein für die Bedeutung der verschiedenen europäischen Herkunftsidentitäten interessiert, nicht aber für das Entstehen neuer Identitäten im Orient. So will er im Hinblick auf die Zeit nach dem ersten Kreuzzug analog zur sinkenden Bedeutung der Franci-Benennung eine Schwächung des »Gemeinschaftsbewußtsein[s] der Kreuzfahrer«272 erkennen, da sich diese nun über ihre neue Heimat definierten. Obwohl Knoch also auf einer wichtigen Spur ist, verliert er gerade mit dem Ablegen der Frankenidentifikation das Interesse an den »andere[n] Formen«273, welche sich in den ethnogenetischen Prozessen in den Kreuzfahrerstaaten nach 1099 entwickelten und die für eine partikularistische Interpretation der ethnogenetischen Prozesse wichtige Hinweise liefern könnten. Auch nimmt er keine Distinktion der antiochenischen und jerosolymitanischen Überlieferung vor ; Fulcher von Chartres, die anonymen Gesta Francorum und Walter der Kanzler werden undifferenziert nebeneinander und nicht systematisch betrachtet, während selbst wichtige Quellen wie Radulf von Caen und Wilhelm von Tyrus gar nicht berücksichtigt werden. Lediglich Schwinges greift Knochs knappe Bemerkungen auf und bestätigt auf Grundlage einer nicht systematischen Auswertung des Chronicon Wilhelms von Tyrus, daß die Franci-Bezeichnung an 268 269 270 271 272 273

Vgl. Balard, ›Gesta Dei‹, 481. Vgl. Knoch, Studien, 99f m. Anm. 41. Vgl. Bull, ›Identities‹, 207, Anm. 45, 208, Anm. 49, 210, Anm. 57. Vgl. Knoch, Studien, 99f m. Anm. 41. Ibid., 100. Ibid.

80

Ethnische Terminologie in der Historiographie der Kreuzfahrerstaaten

Bedeutung eingebüßt und Wilhelm sich vor allem als Lateiner verstanden habe.274 Die Vorstöße Knochs und Schwinges’ zeigen jedoch, daß es gute Gründe gibt, die dominante Position zur Franci-Bezeichnung in Frage zu stellen. Belastbare Aussagen zur im lateinischen Orient gebräuchlichen ethnischen Terminologie müssen allerdings auf einer genauen und systematischen Auswertung der in Outremer selbst entstandenen Überlieferung beruhen, bei der zudem zwischen antiochenischen und jerosolymitanischen Texten zu differenzieren ist.

1.

Die Entwicklung der Franci-Bezeichnung

a.

Franci und Galli in der frühen antiochenischen Historiographie

Tatsächlich scheinen die Quellen die häufig vorausgesetzte zentrale Bedeutung des Franci-Begriffs und damit dessen Interpretation im Sinne eines kollektiven Eigennamens für alle Lateiner im Orient zunächst zu bestätigen und somit eine panlateinische Deutung der ethnischen Prozesse in den Kreuzfahrerstaaten zu belegen. Als Indiz im Sinne einer partikularistischen Interpretation wäre etwa in den Quellen aus dem antiochenischen Kontext das Aufkommen eines neuen, für die Lateiner im Fürstentum Antiochia exklusiven Ethnonyms zu erwarten. Auch die frühen Quellen aus dem antiochenischen Kontext heben allerdings eindeutig immer die Gruppe der Franci hervor. So bezieht sich der anonyme Autor der Gesta Francorum immer auf die Gesamtheit der Kreuzfahrer und gebraucht dabei in erster Linie die Bezeichnung Franci, wohingegen eine besondere Hervorhebung der Normannen ebensowenig zu beobachten ist wie eine neue spezifische Bezeichnung der lateinischen Antiochener.275 Zwar verweist Franci zu Beginn tatsächlich in einigen Fällen allein auf jene Kreuzzugsteilnehmer, die aus dem Machtbereich König Philipps I. kamen,276 wobei diese dann zunehmend eher als Francigeni benannt werden.277 Im Laufe des Textes nimmt der Begriff eine verallgemeinernde, auf alle Kreuzfahrer bezogene Bedeutung an. Doch der Anonymus verwendet auch andere ethnische Bezeichnungen, mit denen er die verschiedenen Kontingente voneinander unterscheidet. So zählt er als Teilnehmer der Unternehmung neben den Francigeni etwa auch Alamann[i], Lombard[i] und Longobard[i] auf.278 Zunehmend aber treten dann solche ethnisch oder vielleicht auch nur geographisch zu verstehenden Unterscheidungen in der 274 275 276 277 278

Vgl. Schwinges, Kreuzzugsideologie, 21f, Anm. 10; Ders., ›Regionale Identität‹, 243. Zum Problem der Identifikation als Normanni vgl. Hodgson, ›Normans‹, 119. Vgl. GF I.i. Vgl. GF IX.xxix. GF I.ii.

Die Entwicklung der Franci-Bezeichnung

81

Begrifflichkeit in den Hintergrund und das verallgemeinernde Franci dominiert. Dies gilt ebenso für den Text des Tudebodus.279 Ganz ähnlich fällt auch der Befund bei der Auswertung der Gesta Tancredi Radulfs von Caen aus. Die gängigste Bezeichnung für die Teilnehmer des ersten Kreuzzuges und für die lateinischen Siedler in Outremer nach der Errichtung der Kreuzfahrerstaaten ist auch in diesem Text der Franci-Begriff.280 Er dient überwiegend zur Bezeichnung der Gesamtheit der Kreuzfahrer beziehungsweise der lateinischen Siedler, kann aber ebenso im Zusammenhang der Beschreibung eines Teilkontingents verwandt werden – etwa in einem Kapitel über den Zug der normannischen Abteilung über den Balkan.281 Allerdings lassen sich im Verlauf des Textes der Gesta Tancredi Veränderungen bei der Verwendung des Franci-Begriffs beobachten. So ist es auffällig, daß gerade in den letzten sechs Kapiteln der Gesta – welche dem Schicksal Antiochias unter der Herrschaft Tankreds gewidmet und daher für Radulfs Programmatik besonders wichtig sind – die Franci-Benennung überhaupt nicht auftaucht. Dies deutet darauf hin, daß die Identifikation mit der Gruppe der Franci in den Gesta Tancredi in erster Linie herkunftsgebunden ist und keine ethnische Relevanz für eine im Orient neu entstandene Ethnie aufweist.282 Im Falle der Gesta Tancredi muß auch auf eine weitere häufig anzutreffende Gruppenbezeichnung eingegangen werden, die mit dem Franci-Begriff in enger Verbindung steht. So finden sich im Text zahlreiche Stellen, an denen eine Identifikation der Kreuzfahrer und der lateinischen Siedler mit dem Gebiet der Gallia erfolgt.283 Selbst die Normannen Tankred und Arnulf von Chocques werden in dieser Weise benannt: Si duo præterea misisset Gallica tales Terra

279 In den Gesta Francorum taucht die Franci-Benennung als Gesamtbezeichnung an insgesamt einundvierzig Stellen auf. Vgl. GF I.i, I.ii, I.iv, II.viii (2x), III.ix (3x), IV.x (2x), VIII.xix (5x), IX.xxi, IX.xxii (12x), IX.xxix (5x), X.xxx (2x), X.xxxii, X.xxxiii, X.xxxiv (2x), X.xxxvii, X.xxxviii. Bei Petrus Tudebodus findet sich der Terminus in dieser Bedeutung insgesamt an dreiunddreißig Stellen. Vgl. PT 32, 40, 49, 55 (2x), 56, 59, 69, 85 (2x), 86 (2x), 87, 88, 89 (2x), 90, 91 (3x), 92 (2x), 93 (2x), 96, 108, 111 (2x), 113 (2x), 126, 133, 137. 280 Radulf verwendet den Franci-Begriff an insgesamt sechsundvierzig Stellen. Vgl. RvC IV (2x), IX, XI, XV, XVI, XVII (2x), XXXI, XXXVII, XLII, XLV, XLVII, XLVIII, LI (2x), LIV, LVI (2x), LVII (2x), LXI, LXIX (2x), LXXII (3x), LXIV, LXXXIII, LXXXV, LXXXVI, LXXXVIII, LXXXIX (2x), XC, XCIII, XCIV, CVII, CXII, CXX, CXXII, CXXXIII (2x), CXXXVIII (2x), CLI. 281 Vgl. RvC IV. 282 Nick Webber verweist zudem auf Basis seiner umfangreichen Quellenstudien darauf, daß zwar auch im anglo-normannischen Raum beiderseits des Englischen Kanals nach der Eroberung von 1066 die Normannen schon als Franci bezeichnet wurden und sich selbst so bezeichneten. »Yet this connection was clearly a temporary one, and had done nothing to diminish Norman separateness in a French context.« Webber, Identity, 176. 283 Es handelt sich um insgesamt dreiundzwanzig solche Stellen. Vgl. RvC VIII, XI, XII, XV (2x), XVI, XVII, XXVII (2x), XXIX (2x), LIII, LXXXI, LXXXII, LXXXVI, XCIX (2x), CIII, CXVII, CXXXII, CXXXIII, CXXXVII (2x).

82

Ethnische Terminologie in der Historiographie der Kreuzfahrerstaaten

viros, jam dumdum Gallos habuissent reges Memphys et Babylon.284 Teils dürfte hier jedoch bei der franco- beziehungsweise gallophilen Haltung Radulfs das Rapprochement zwischen Philipp I. und Bohemund seit der Europareise des antiochenischen Fürsten Pate gestanden haben; teils dürften natürlich tatsächlich insbesondere für den aus der Normandie selbst stammenden Radulf sprachliche und kulturelle Ähnlichkeiten zwischen Normannen und Franzosen zu einem Gefühl der Verbundenheit geführt haben. Ferner ließe sich ergänzen, daß der in so vielerlei Hinsicht auf die römische Antike fixierte und mit Caesars Schriften vertraute Radulf285 den Begriff Gallia hier tatsächlich nur »im antikgeographischen Sinn«286 und nicht mit einer ethnischen Konnotation versehen verwenden könnte, daß also mitnichten die Normannen zu einer bloßen Untergruppe der Franzosen deklassiert werden sollen. Dennoch kann nicht geleugnet werden, daß eine Assoziation mit dem französischen Sprachraum – ausgedrückt durch Franci- und Galli-Benennungen – für Radulf von Caen ein wichtiges Identifikationsmoment darstellt. Dieses allerdings ist fest in Europa verwurzelt, und die Franci- und Galli-Bezeichnungen eigneten sich somit nur eingeschränkt als kollektive Eigennamen einer neuen, im Orient beheimateten ethnischen Gruppe. Um die Frage zu beantworten, ob sie sich dennoch dazu entwickelten oder ob ein anderer Begriff als neues Ethnonym an ihre Stelle trat, müssen die spätere Überlieferung aus den Kreuzfahrerstaaten und der Umgang mit anderen Gruppenbezeichnungen in den Blick genommen werden.

b.

Die Franci-Bezeichnung in der jerosolymitanischen Überlieferung der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts

Die in den frühen Quellen aus dem antiochenischen Kontext beobachtete Hervorhebung der Franci als wichtigste Bezugsgruppe scheint auch in den jerosolymitanischen Texten vorzuliegen. Auch in der Historia Hierosolymitana Fulchers von Chartres ist der Franci-Begriff nach wie vor anzutreffen und wurde selbst bei der Überarbeitung des Textes für die zweite Redaktion in den 1120er Jahren nicht getilgt. Im Text insgesamt sind die Franci-Benennungen Legion. So schreibt Fulcher über den Zug Roberts von der Normandie, Roberts von Flandern und Stefans von Blois durch Frankreich und Italien, an dem er selbst teilgenommen hatte: 284 RvC, CXXXVII. Diese Passage ist angelehnt an Publius Vergilius Maro, P. Vergili Maronis Opera, hg. v. Roger A. B. Mynors, Oxford 1969, XI.285f. Vgl. Bachrach u. Bachrach, ›Introduction RvC‹, 15. 285 Vgl. Bachrach u. Bachrach, ›Introduction RvC‹, 5. 286 Brühl, Geburt, 54. Zum Gallia-Begriff vgl. auch ibid., 52–56.

Die Entwicklung der Franci-Bezeichnung

83

nos Franci Occidentales per Italiam excursa Gallia transeuntes, cum usque Lucam, urbem nominatissimam, pervenissemus, invenimus prope illam Urbanum apostolicum.287

Daß Fulcher diese Passage bei seiner Überarbeitung zur zweiten Rezension veränderte, zeigt sich an der Ergänzung der Worte urbem nominatissimam, worin man einen Hinweis darauf vermuten mag, daß ein Vierteljahrhundert nach dem Kreuzzug nicht mehr jedem im Orient lebenden und dort womöglich geborenen potentiellen Adressaten der Historia bewußt war, daß es sich bei Lucca um eine berühmte Stadt handelte. Die verallgemeinernde, die normannischen, flämischen und nordfranzösischen Teilnehmer des Zuges zu Franci Occidentales zusammenfassende Formulierung hingegen findet sich in beiden Redaktionen. Auch der entscheidende Moment des Kreuzzuges – die Eroberung Jerusalems – wird den Franci zugeschrieben: Iherusalem Franci capiunt virtute potenti.288 Allerdings ist zu beobachten, daß Fulcher die Franci-Bezeichnung häufig in Kontexten gebraucht, in denen es nicht primär um die Jerosolymitaner geht, sondern um Belange des lateinischen Orients insgesamt oder gar um Entwicklungen, an denen auch nicht in den Kreuzfahrerstaaten ansässige Lateiner beteiligt waren. Dies betrifft etwa den Bericht über die Kampagnen der Antiochener unter Fürst Roger gegen die Bedrohung durch Bursuq von Hamadan in Nordsyrien im Jahr 1115289 oder auch die Ausführungen zum Kreuzzug von 1101,290 wobei im zweiten Fall nun nicht nur Lateiner aus Outremer, sondern ebenso die landfremden, europäischen Kreuzfahrer gemeint sind. Von großer Bedeutung ist vor allem die Entwicklung innerhalb der Historia, die von Knoch beobachtet wurde, wobei er allerdings falsche Zahlen nennt, die anscheinend auf den unvollständigen Angaben im Register der Edition Hagenmeyers beruhen.291 Wenn man die Häufigkeit von auf die Kreuzfahrer und später auf die im Orient lebenden Lateiner bezogenen Franci-Benennungen in den drei Büchern getrennt betrachtet, so läßt sich die von Knoch beobachtete bezeichnende Tendenz konstatieren. Im ersten Buch, das den ersten Kreuzzug und die Frühzeit der Kreuzfahrerstaaten bis zum Tod Gottfrieds von Bouillon am 18. Juli des Jahres 1100 behandelt, finden sich siebenundfünfzig Stellen, an denen Kreuzfahrer beziehungsweise Orientlateiner als Franci benannt wer-

287 288 289 290

FvC I.vii.1. FvC I.xxx.1. FvC II.liv.3–4. FvC II.xvi.1–2. Zum Kreuzzug von 1101 vgl. Mulinder, Alec, ›Albert of Aachen and the Crusade of 1101‹, From Clermont to Jerusalem: The Crusades and Crusader Societies, 1095–1500, hg. v. Alan V. Murray, Turnhout 1998, 69–77. 291 Vgl. Knoch, Studien, 99f m. Anm. 41.

84

Ethnische Terminologie in der Historiographie der Kreuzfahrerstaaten

den,292 wobei sechs dieser Fälle bei der Überarbeitung zur zweiten Redaktion wegfielen.293 Im zweiten, die Herrschaft Balduins I. bis zum dessen Tod im April 1118 umfassenden Buch hingegen sind es nur noch dreißig294 und im dritten, welches der Zeit bis 1127 gewidmet ist, schließlich bloß drei295 solche Stellen. So zögert also Fulcher ganz offenkundig nicht, die Kreuzfahrer für die Dauer des Kreuzzuges als Franci zu identifizieren. Bei seinen Berichten zu der etwas über siebzehn Jahre währenden Herrschaft Balduins I. jedoch bezeichnet er die nun im Orient siedelnden Kreuzfahrer von einst und ihre Nachfahren und Nachfolger schon deutlich seltener als Franci, bevor dieser Begriff dann im dritten Buch zu den Jahren 1118 bis 1127 fast vollkommen an Bedeutung verliert. All dies deutet darauf hin, daß Fulcher begrifflich den Prozeß der Ethnogenese reflektiert und nachvollzieht. Zwar berichtet er dem laut Hagenmeyer ursprünglichen296 Titel seines Werkes zufolge durchaus von den heroischen Gesta Francorum, doch der Höhepunkt der Taten der Franken – die Eroberung der Heiligen Stadt – scheint für ihn einen Moment des Wandels darzustellen, mit dem der Eintritt der Gruppe in einen neuen Zustand einherging, welcher eine Assoziation mit dem zuvor üblichen aber herkunftsbezogenen und damit nicht gleichermaßen alle Kreuzfahrer erfassenden Begriff Franci nicht mehr ohne weiteres zuließ. Daher muß es verwundern, wenn gerade im Hinblick auf den letzten Teil der Historia geäußert wird, daß »l’ensemble de l’arm¦e est pass¦ sous la banniÀre franÅaise.«297 Nicht nur zeigt sich hier einmal mehr anhand der unhistorischen Vermengung der Kategorien Francus und »französisch« die in Frankreich immer noch weit verbreitete Neigung, Kreuzzugsgeschichte als französische Nationalgeschichte zu schreiben; vor allem stellt diese Aussage die tatsächlichen Ergebnisse der Textauswertung und die Beobachtung der Entwicklung innerhalb der drei Bücher der Historia vollkommen auf den Kopf. Der Befund eines Bedeutungs- und Relevanzschwundes der Franci-Bezeichnung wird zudem durch Bartolf von Nangis gestützt. In seiner Adaption von Fulchers Text ist der Bruch sogar noch eindeutiger, und den insgesamt dreiunddreißig

292 Vgl. FvC Prologus.2, I.v.5, I.vii.1, I.x.2, I.x.6, I.xiii.4, I.i.xvi.1, I.xv.8 (2x), I.xv.9, I.xv.10 (2x), I.xv.11, I.xv.13, I.xvi.7, I.xvi.8, I.xvii.3, I.xvii.5 (3x), III.xvii.6 (2x), I.xix.1 (2x), I.xix.3, I.xix.4, I.xxi.4, I.xii.1, I.xxii.5 (2x), I.xxii.6, I.xxii.7, I.xxii.8, I.xxiii.2 (2x), I.xxiii.4, I.xxiii.5, I.xxv.3, I.xxv.12, I.xxv.14, I.xxv.15, I.xxv.17, I.xxvii.1, I.xxvii.8, I.xxvii.10, I.xxx.1, I.xxxi.1 (2x), I.xxxi.2, I.xxxi.3, I.xxxi.5, I.xxxi.9 (2x), I.xxxi.12 (2x), I.xxxv.3, I.xxxv.4, I.xxxv.5. 293 Vgl. FvC I.xvii.3, I.xvii.5, I.xxiii.4, I.xxxi.1, I.xxxv.3, I.xxxv.5. 294 Vgl. FvC II.iii.12, II.vii.5 (2x), II.viii.6, II.viii7, II.ix.3, II.ix.4, II.ix.8, II.xi.12, II.xii.4, II.xiii.4, II.xiii.5, II.xvi.1, II.xvi.2 (2x), II.xxi.12, II.xxi.13, II.xxxii.12, II.xxxiii.3, II.xlii.2, II.xliii.4, II.xlv.7 (2x), II.xlix.6, II.xlix.10 (2x), II.liv.3, II.liv.4, II.lxiv.5, II.lxiv.7. 295 Vgl. FvC III.iv.4, II.vi.1, III.xxvii.3. 296 Vgl. Hagenmeyer, ›Einleitung FvC‹, 19f. 297 Balard, Michel, ›Gesta Dei‹, 481.

Die Entwicklung der Franci-Bezeichnung

85

Fällen, in welchen sie vor der Eroberung von Jerusalem gebraucht wird,298 stehen nur drei Stellen299 in späteren Kapiteln gegenüber. Im Hinblick auf die Historia Nicæna jedoch scheint sich diese Interpretation zunächst nicht zu bestätigen. Obwohl der Text im Auftrage König Balduins III. etwa zwei Jahrzehnte nach Fulchers Historia entstand, verwendet der anonyme Autor die Franci-Benennung durchgängig als Bezeichnung für die Lateiner im Orient – sowohl während des Kreuzzuges als auch in der Zeit nach 1099.300 Als kollektiver Eigenname einer neuen, im Rahmen des ersten Kreuzzuges entstandenen ethnischen Gruppe jedoch kann der Begriff auch in der Historia Nicæna nicht verstanden werden, da er nicht exklusiv für die Mitglieder dieser Gruppe gebraucht wird. Taucht die Franci-Bezeichnung nämlich etwa im besonders bedeutenden Kontext eines Herrschertitels auf, so verweist sie stets auf die Untertanen des Königs von Frankreich;301 auch an anderen Stellen sind eindeutig nicht die Lateiner im Orient gemeint, sondern die Franci des Abendlandes,302 und ebenso wird der Terminus zusammenfassend für die Teilnehmer des Kreuzzuges von 1101 gebraucht.303 Eine Ausnahme stellen zwei Stellen im in Versform verfaßten Prolog dar, in dem mit dem Begriff jedoch auf die Teilnehmer des ersten Kreuzzuges in dessen frühester Phase bis zur Belagerung von Nicaea verwiesen wird. Ferner ist zu beobachten, daß der anonyme Autor der Historia Nicæna mitunter in von Fulcher von Chartres oder Robert dem Mönch übernommenen Passagen sogar Franci-Benennungen streicht oder durch eine Bezeichnung als Christiani ersetzt.304 Dies zeigt sich etwa im Fall eines Berichts über die Zeit nach Bohemunds Gefangenname durch die Türken im Jahre 1100, in welchem die bei Fulcher noch anzutreffende Zusammenfassung der Edessener und Antiochener unter dem Oberbegriff Franci gestrichen wird.305 Vor allem ist darauf zu verweisen, daß sich der achtzig Kapitel umfassende Text der Historia Nicæna überwiegend dem Kreuzzug selbst widmet306 und die

298 Vgl. BvN IX (6x), XIV (3x), XV (4x), XVIII (4x), XIX, XX (5x), XXI (2x), XXIII (3x), XXIV, XXIX (4x). 299 Vgl. BvN XXXV, XXXVIII, LI. 300 Vgl. HNvA, Prologus, V, XI, XXIII, XXXVII, XXXVIII, L, LI, LVIII, LIX, LX (2x), LXII (2x), LXIII, LXVI, LXVIII, LXXII, LXXV, LXXVII. 301 Vgl. HNvA, VI, XXXIX. 302 Vgl. HNvA II, LXXII. 303 Vgl. HNvA LXVII (2x). 304 Vgl. Gerish, ›Kings‹. Gerish, die sich in ihrem Beitrag nicht mit ethnischer sondern mit königlicher Identität auseinandersetzt, deutet den Austausch der Franci-Bezeichnungen als Zeichen dafür, daß der anonyme Autor den Krieg gegen die Muslime als gesamtchristliches Projekt darstellen wollte. 305 Vgl. FvC I.xxxv.iv ; HNvA LXIII. 306 Vgl. HNvA I–LX.

86

Ethnische Terminologie in der Historiographie der Kreuzfahrerstaaten

Folgezeit in lediglich zwanzig zumeist kurzen Kapiteln abhandelt,307 wobei auch hier der Akzent eindeutig auf den ersten fünf Jahren der Herrschaft Balduins I. liegt.308 Der Text ist somit als Geschichte des ersten Kreuzzuges angelegt, wohingegen die bei Fulcher ausführlich beschriebenen Jahre 1100 bis 1123 nur ausblickhaft behandelt und die Jahre bis 1127 ganz vernachlässigt werden. Aus diesem Zuschnitt erklärt sich der Einsatz des herkunftsbezogenen Franci-Begriffs, der einen stark historisierenden Charakter hat. Das eindeutige Abebben des Gebrauchs der Franci-Benennung war zudem auch bei Fulcher erst im dritten Buch seines Textes zu beobachten, also bei den Berichten zu jenem Zeitraum, der vom anonymen Autor der Historia Nicæna in lediglich drei Kapiteln behandelt wird.

c.

Die Franci-Bezeichnung bei Walter dem Kanzler

Ein Bedeutungsverlust der Franci-Assoziation im Laufe der Frühzeit der Kreuzfahrerstaaten läßt sich auch anhand der Bella Antiochena des antiochenischen Kanzlers Walter nachvollziehen. Im gesamten Text taucht eine Bezeichnung der Lateiner im Orient als Franci an allein sieben Stellen auf, und all diese Fälle treten zudem erst im zweiten Buch und dort gehäuft in lediglich drei Kapiteln auf,309 welche die Zeit nach der katastrophalen Niederlage der Antiochener unter Fürst Roger auf dem Ager sanguinis am 28. Juni 1119 gegen Ilgazi von Aleppo behandeln.310 Waren die territorialen Verluste des Fürstentums wohl auch weniger schwerwiegend, als dies die Klagen Walters vermuten lassen, so bedeuten doch der Tod des Fürsten Roger und eines großen Teils der waffentragenden Elite des Fürstentums im Zuge der Schlacht einen erheblichen und traumatischen Einschnitt.311 Das plötzliche Aufkommen der Franci-Bezeichnung in den Kapiteln zu dieser Zeit stellt offenkundig eine Reaktion Walters auf die neuen Verhältnisse dar. Der landfremde Balduin II. – solus post Dominum dominus et defensor Christanitatis [sic]312 – war im August 1119 in das Machtvakuum in Nordsyrien gestoßen, wobei er in Antiochia als willkommener Retter in der Not erschien. Die Bella Antiochena reagieren auf diesen Wandel offenbar durch eine Reaktivierung der alten, mit dem Kreuzzug assoziierten Bezeichnung als Franci. 307 308 309 310

Vgl. HNvA LXI–LXXX. Vgl. HNvA LXI–LXX. Vgl. WdK II.viii.5, II.viii.6 (3x), II.xiv.6, II.xiv.7, II.xvi.9. Vgl. Knoch, Studien, 99f, Anm. 41. Vgl. Asbridge, Creation, 74–81; Ders., ›Significance‹. Siehe auch: Cahen, Syrie, 286–287; Smail, Warfare, 57. 311 Vgl. Asbridge, ›Significance‹, 304–308. 312 WdK II.xi.6.

Die Entwicklung der Franci-Bezeichnung

87

Doch wie ist der Begriff in den Bella Antiochena genau besetzt? Sicherlich könnte für eine Interpretation im Sinne eines panlateinischen kollektiven Eigennamens plädiert werden. Dafür spricht etwa, daß in einer Rückschau auf die Niederlage auf dem Blutfeld der Verlust der militärischen Macht der Francorum ciuium313 im Fürstentum beklagt wird, daß also Lateiner in Antiochia an dieser Stelle auch schon im Hinblick auf die Zeit vor dem 28. Juni 1119 zur Gruppe der Franci gerechnet werden. Tatsächlich zeigt dies eindeutig, daß eine Anwendung der Franci-Bezeichnung auf die Antiochener zur Zeit Walters des Kanzlers zumindest noch möglich war. In Anbetracht der Tatsache, daß dies jedoch erst in einem solch späten Kapitel auftritt, erscheint hier eine aus dem Kontext der antiochenischen Niederlage zu erklärende, gewissermaßen nostalgisch auf bessere Zeiten verweisende temporäre Rückbesinnung auf den ersten Kreuzzug wahrscheinlicher als eine Interpretation des Begriffs als ethnisch besetzter kollektiver Eigenname einer panlateinischen Ethnie. Ob diese auf wenige Kapitel in den Bella Antiochena beschränkte Reaktivierung jedoch als Zeichen einer Tendenz zu mehr Panlatinismus in den Kreuzfahrerstaaten insgesamt einherging und sich der Franci-Begriff tatsächlich zu einem panlateinischen Ethnonym entwickelte, muß aufgrund des Befundes der Historia Hierosolymitana Fulchers von Chartres im Hinblick auf die ersten Jahrzehnte nach dem Kreuzzug zumindest bezweifelt werden. Abschließend läßt sich diese Frage jedoch nur durch eine Ausweitung der Untersuchung beantworten.

d.

Die Franci-Bezeichnung bei Wilhelm von Tyrus

Der anhand der jerosolymitanischen Quellen der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts postulierte Bedeutungsverlust des Franci-Begriffs als kollektiver Eigenname manifestiert sich auch im Chronicon Wilhelms von Tyrus, das mit einem noch größeren Abstand zur ethnogenetischen Phase verfaßt wurde. Obgleich in diesem Text zahlreiche314 Franci-Benennungen vorkommen, werden diese von Beginn an fast ausschließlich für den König von Frankreich, seine Untertanen und Gefolgsleute verwendet. Wenn bei Wilhelm von Tyrus nämlich die Rede vom rex Francorum ist, so ist nicht etwa der lateinische König von 313 WdK II.viii.5. 314 Vgl. WvT I.xi.4, I.xiv.5, I.xiv.11, I.xvii.3, I.xvii.24, II.iv.45f, III.v.28, III.vi.36, V.xiv.22, VI.xvii.6, VII.iii.6, VII.i.9, IX.v.8, XI.vi.49, XI.xii.10, XI.xii.19f, XI.xii.24f, XI.xviii.8, XII.xxv.100, XIV.i.33, XIV.1.53, XIV.xvi.11, XVI.xviii.48, XVI.xxi.31, XVI.xxii.43f, XVI.xxiii.1, XVI.xxiii.22, XVI.xxiii.28ff, XVI.xxiii.48f, XVI.xxiv.1, XVI.xxiv.23, XVI.xxvi.54f, XVI.xxix.1, XVI.xxix.31–32, XVII.iii.21f, XVII.iv.26, XVII.viii.25, XVII.xviii.12f, XX.xx.22, XX.xxii.23, XXi.ii.16, XXI.v.24, XXI.v.40, XXI.xii.25, XXI.xiii.22, XXI.xxix.7, XXII.iv.21f, XXII.xiv.42f.

88

Ethnische Terminologie in der Historiographie der Kreuzfahrerstaaten

Jerusalem gemeint, sondern der König von Frankreich,315 und das regnum Francorum bezeichnet selbstverständlich dessen Herrschaftsbereich und nicht etwa das Königreich Jerusalem.316 Nur wenige Ausnahmen von dieser Regel lassen sich im Text ausmachen,317 wobei sich lediglich zwei der vier Fälle auf Ereignisse nach der ethnogenetischen Phase beziehen, und sich diese zudem in von Wilhelm wiedergegeben Urkundentexten finden.318 Im Hinblick auf die Analyse der von Wilhelm eingesetzten ethnischen Terminologie jedoch kann im Angesicht seines von diesen Fällen ausnahmslos abweichenden Vorgehens kein Zweifel bestehen, daß eine Identifikation der Jerosolymitaner als Franci nicht zu verzeichnen ist. Hier besteht eine Fortsetzung der bei Fulcher von Chartres zu beobachtenden Tendenz. Mit der Eroberung Jerusalems, der Gründung der lateinischen Herrschaft in Palästina und deren Etablierung als Königreich unter Balduin I. war die Hauptphase der Ethnogenese offenbar abgeschlossen, die primordiale Tat war vollbracht, und die neue ethnische Gruppe bedurfte eines neuen Namens.

2.

Hierosolymitani, Antiocheni und Latini – ethnische Terminologie mit Bezug zur neuen Heimat

a.

Die Hierosolymitani-Bezeichnung in der jerosolymitanischen Historiographie der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts

Dieser neue Name knüpft bei Fulcher von Chartres an seine neue Heimat an – an das Königreich Jerusalem. So finden sich in seiner Historia zahlreiche Stellen, an denen explizit von den Hierosolymitani die Rede ist. Dabei ist es auffällig und aussagekräftig, daß der Gebrauch dieser Bezeichnung im Verlaufe der drei Bücher der Historia eine Entwicklung erfährt, welche der bei der Verwendung des Franci-Begriffs beobachteten exakt entgegengesetzt ist. Während nämlich die Häufigkeit dieser Franci-Identifikationen zum Ende des Textes immer weiter abnimmt, findet sich die neue Bezeichnung als Hierosolymitani zunächst im 315 Vgl. WvT I.xiv.5, I.xvii.3, I.xvii.24, II.iv.45f, III.v.28, Vi.xvii.6, XI.vi.49, XI.xviii.8, XIV.i.33, XIV.i.53, XVI.xviii.48, XVI.xxi.31, XVI.xxii.43f, XVI.xxiii.1, XVI.xxiii.22, XVI.xxiv.1, XVI.xxvi.54f, XVI.xxix.1, XVI.xxix.31f, XVII.iii.21f, XVII.iv.26, XVII.viii.25, XX.xx.22, XX.xxii.23, XXI.v.24, XXI.v.40, XXI.xii.25, XXI.xiii.22, XXI.xxix.7, XXII.iv.21f, XXII.xiv.42f. 316 Vgl. WvT II.xi.4, I.xiv.11, III.vi.36, IX.v.8, XVII.xviii.12f. 317 Vgl. WvT V.xiv.22, VII.iii.6, XI.xii.10–25, XII.xxv.100. 318 Vgl. DRLH I:40; WvT XI.xii.10–25. Vgl. hierzu Schwinges, Kreuzzugsideologie, 21f, Anm. 10. Siehe auch RRH, Nr. 59. Zum Kanzlei- und Urkundenwesen des lateinischen Königreiches vgl. Mayer, Hans Eberhard, Die Kanzlei der lateinischen Könige von Jerusalem (= Monumenta Germaniae Historica Schriften; 40), 2 Bde., Hannover 1996.

Ethnische Terminologie mit Bezug zur neuen Heimat

89

ersten Buch nur einmal,319 taucht dann im zweiten schon sechsmal320 auf und ist schließlich im dritten und letzten Buch siebenmal321 enthalten.322 Zusätzlich zu diesem eindeutig als Gruppenbezeichnung zu verstehenden Begriff muß auch die ebenfalls im Laufe der Historia zunehmende und auch bei Bartolf von Nangis zu beobachtende Verwendung der Formen Hierosolymorum oder auch Hierosolymis berücksichtigt werden.323 In diesen Fällen handelt es sich streng genommen um den Genitiv beziehungsweise um den Ablativus Locativus des nach Pluralmuster zu deklinierenden Ortsnamens Hierosolyma, und in dieser Lesart müßte man den zuvor genannten Formulierungen einen eher geographischen oder administrativen denn ethnischen Charakter zuweisen. Es gibt allerdings Hinweise, daß Fulcher diese Form zumindest ambivalent und mitunter in gleicher Weise wie Hierosolymitanorum gebraucht – also durchaus als eine für das Aufkommen eines Ethnonyms relevante Gruppenbezeichnung. Dies läßt sich exemplarisch anhand einer Überleitung im zweiten Buch der Historia demonstrieren. Nach einem ausführlichen Bericht über Kämpfe der Antiochener unter Tankred gegen Ridwan von Aleppo im Jahre 1105 verspricht Fulcher, wieder zu den Angelegenheiten des Königreichs Jerusalem zurückzukehren: de Antiochenis hoc tantillum diximus, nunc de Hierosolymis non taceamus.324 Daß Hierosolymis in diesem Fall als eine Gruppenbezeichnung zu lesen ist, zeigt sich schon am Aufbau des Satzes. Im ersten der beiden klar parallel angelegten Teilsätze verweist Antiochenis ohne jeden Zweifel auf die lateinischen Antiochener als Gruppe,325 so daß eine Interpretation von Hierosolymis als Ortsname mit der offenkundig intendierten Symmetrie des Satzes brechen würde. Eine solche Lesart wird auch durch eine Berücksichtigung von Varianten in der handschriftlichen Überlieferung bestätigt. So findet sich in fünf Handschriften die Variante de Iherosolymitis non taceamus,326 in zweien ist zu lesen de 319 FvC I.xxiv.2. 320 Vgl. FvC II.i.1 (populus Hierosolymitanus), II.iii.10 (viri Hierosolymite), II.xv.6, II.xlv.4, II.liii.6, II.liv.5. 321 Vgl. FvC III.i.1, III.iv.1 (Hierosolymitano populo), III.xxv.1, III.xxxvi.2 (Hierosolymitis), III.xxxix.6, III.xlii.2, III.l.2. 322 Vgl. auch Knoch, Studien, 99f, Anm. 41, der jedoch ausgerechnet im dritten Buch die Zählung abbricht. 323 Vgl. BvN LIII; FvC II.xiv.4, II.xxvi.1, II.xxvii.1, II.xxvii.4, II.xxx.5, II.xli.1, II.xlix.2, II.lxiii.4 (2x), III.xvi.1, III.xxxviii.1. 324 FvC II.xxx.5. 325 Freilich ließe sich diese Form, sofern man sie isoliert betrachtete, auch als von den antiochenischen Angelegenheiten deuten. Dann jedoch würde wiederum die offenkundig parallel hierzu gestellte Form Hierosolymis keinen Sinn ergeben, an deren Stelle dann Hierosolymitanis zu erwarten wäre. 326 Mss. A, B, F, O und R. Mss.-Einteilung nach Hagenmeyer, vgl. Hagenmeyer, ›Einleitung FvC‹, 91–104.

90

Ethnische Terminologie in der Historiographie der Kreuzfahrerstaaten

ierosolimitanis non taceamus.327 Diese Varianten verdeutlichen die Ambivalenz der deklinierten Formen des Ortsnamens Hierosolyma, welche wohl der Flexion nach dem Muster des Plurals der o-Deklination geschuldet sein dürfte, die gerade im Genitiv eher Assoziationen mit einer Gruppe als mit einem Ort weckt.328 Der Gebrauch des Begriffs durch Fulcher läßt somit den Schluß zu, daß Formen wie Hierosolymorum und Hierosolymis neben einer geographisch-politischen Bedeutung zumindest auch ein Element in sich tragen, das auf die Jerosolymitaner als Gruppe verweist. Dafür spricht auch die Evidenz anderer Quellen aus dem lateinischen Königreich. Der anonyme Autor der Historia Nicæna, der ansonsten eine an Jerusalem gebundene Gruppenbezeichnung nicht verwendet, stellt anläßlich der Regentschaftsübernahme Balduins II. in Antiochia im Jahre 1119 das regnum Jerosolymorum gleichrangig neben das regn[um] Antiochenorum;329 und auch der Sprachgebrauch der Urkunden des Königreiches Jerusalem weist diese Parallelisierung auf. So verweist ein unter Balduin II. am 2. Mai 1125 ausgestelltes Diplom mit Verfügungen zu von den Venezianern zu entrichtenden Abgaben auf die Barone des Fürstentums Antiochia und des lateinischen Königreiches, die wiederum durch die Formulierung videlicet Ierosolimorum et Antiochenorum330 bezeichnet werden. Die Parallelität der Begriffe verdeutlicht, daß die Hierosolymitani-Bezeichnung – zumeist in der flektierten Form Ierosolimorum – auch oder gar vornehmlich als eine Gruppenbezeichnung angesehen werden kann. Somit läßt sich konstatieren, daß der Einsatz von Gruppenbezeichnungen eine Entwicklung erkennen läßt, in deren Zuge sich eindeutig eine Lösung vom herkunftsgebundenen Franci-Begriff zugunsten einer Identifikation der Hierosolymitani mit ihrer neuen Heimat vollzog. Anders als Murray meint, ist eine Benennung als Hierosolymitani nicht auf die Funktion reduziert, »notions of political territoriality«331 auszudrücken, sondern sie dient als kollektiver Eigenname einer ethnischen Gruppe.

327 Mss. I und K. 328 Diese Ambivalenz und mit ihr ein Hinweis auf die Deutung dieser Bezeichnung im Sinne eines Gruppennamens findet sich auch bei Albert von Aachen. So alternieren verschiedene Handschriften seines Textes ebenfalls zwischen Ierosolymitanorum und Ierosolimorum. Siehe z. B. AvA VI.lviii. 329 HNvA LVIII. 330 DRLH I:93. 331 Murray, ›Identity‹, 61.

Ethnische Terminologie mit Bezug zur neuen Heimat

b.

91

Terminologische Jerusalem-Bezüge bei Wilhelm von Tyrus

Ist die Etablierung eines neuen Ethnonyms in der frühen jerosolymitanischen Historiographie eindeutig nachzuvollziehen, bietet das Chronicon Wilhelms von Tyrus in diesem Punkt ein weniger einheitliches Bild. Sollte die bei Fulcher etablierte Gruppenbezeichnung der Lateiner im Königreich Jerusalem als Hierosolymitani tatsächlich den Charakter eines Ethnonyms gehabt haben, welches – wenn auch sicherlich in volkssprachlichen Formen – über den Text hinaus auch in der lateinischen Bevölkerung gebraucht wurde, so wäre zu erwarten, daß sich dies auch in Wilhelms Text niederschlägt. Zumindest die Gruppenbezeichnung Hierosolymitani – beziehungsweise deren bei Wilhelm dominierende Variante Ierosolimitani – allerdings spielt im Chronicon nur eine untergeordnete Rolle. Sie findet sich an lediglich zwei Stellen.332 Das von Fulcher bekannte auf Jerusalem verweisende Attribut Ierosolimitanus hingegen wird sehr häufig eingesetzt.333 Zwar scheint hier zunächst eine Deutung dieses attributiven Jerusalem-Bezugs in ähnlicher Weise wie bei Fulcher nahezuliegen, also als charakteristische und ethnisch konnotierte Bezeichnung der Lateiner in Jerusalem. Tatsächlich jedoch offenbart eine genauere Analyse der entsprechenden Textstellen, daß Wilhelm diesen Begriff im Vergleich zu Fulcher deutlich restriktiver verwendet. Wo nämlich in der Historia seines Vorgängers dieses Attribut auf den König und den Patriarchen, das Volk und die Kirche gleichermaßen bezogen werden kann, beschränkt Wilhelm die Anwendung eines attributiven Jerusalem-Bezugs fast ausschließlich auf den kirchlichen Bereich. Nennungen der Ierosolimitana ecclesia,334 des ihr vorstehenden Ierosolimitanus patriarcha335 oder auch eines Ierosolimitanus diaconus336 sind Legion im Chronicon, wohingegen das lateinische Königtum und die Gruppe der Lateiner im Königreich – von zwei Ausnahmen337 abgesehen – nicht mit diesem Attribut versehen werden. Wenn also das Attribut Ierosolimitanus weitestgehend auf den kirchlichen Bereich reduziert ist, dann eignet es sich 332 Vgl. WvT, X.xxi.33f, XI.xxviii.100. 333 Vgl. WvT X.iv.23, XI.xii.25–2 u. passim. 334 Vgl. WvT IX.xv.2, X.iv.57, X.xxiv.25, XI.xi.66, XI.xv.16, XI.xxviii.16, XI.xxviii.43–44, XI.xxviii.48, XI.xxviii.78, XI.xxviii.131, XI.xxviii.155, XII.iv.28, XIII.xxv.7, XIV.xii.3–5, XIV.xii.23, XIV.xii.30–31 (2x), XVI.iii.4, XVIII.xx.1–2, XXI.ii.12–13. 335 Vgl. WvT XI.iv.54–55, XI.xxviii.111–112, XII.vii.28–29, XII.vii.47, XII.xiii.67, XIII.xxiii.27, XIII.xxiii.37, XIII.xxiii.48, XIII.xxiii.70, XIII.xxv.1–2, XIV.xi.38, XIV.xii.26, XIV.xii.28–29, XIV.xiii.2, XIV.xiii.55, XIV.xiii.80, XIV.xiv.34, XIV.xiv.36, XIV.xiv.39, XVIII.iii.59–60, XVIII.xix.7. 336 Vgl. WvT X.xxiv.15f, XI.xv.4, XXI.ix.24 337 Vgl. WvT XI.xii.25f (hier ist von einem Ierosolimitano […] solio im Zusammenhang der Thronfolge Balduins I. die Rede), XII.xv.2 (hier bezieht sich Wilhelm auf die civibus Ierosolimitanis).

92

Ethnische Terminologie in der Historiographie der Kreuzfahrerstaaten

zumindest in dieser Form nicht als ethnisch besetzte Gruppenbezeichnung. Vielmehr erscheint es als ein Begriff, der sich vor allem auf die Kirchenprovinz von Jerusalem oder auf die Stadt Jerusalem im engeren Sinne bezieht. Stellte also für Wilhelm von Tyrus eine Bindung an Jerusalem in Wahrheit gar kein ethnisch relevantes Identifikationsmoment dar? Eine zumindest partiell ethnische Deutung des Begriffs ist nicht abwegig. So ist es immerhin bemerkenswert, daß ein auf Jerusalem bezogenes Attribut erst ab Buch IX des Chronicon und somit bei der Beschreibung der Zeit nach dem ersten Kreuzzug zu verzeichnen ist, obwohl auch in vorangegangenen Büchern über Vorgänge in und um Jerusalem berichtet wird. Eine gewisse Bindung des Begriffs an die Lateiner und das lateinische Königreich ist also nicht von der Hand zu weisen. Zudem finden sich auch anderweitig Beispiele eines an das Königreich Jerusalem gebundenen ethnischen Identifikationsmoments, welches bei Wilhelm von Tyrus jedoch fast ausschließlich in Form der auch bei der Besprechung Fulchers von Chartres bereits erwähnten Formulierungen wie rex Ierosolimorum,338 regnum Ierosolimorum339 oder auch patriarcha Ierosolimorum340 in Erscheinung tritt. Diese sind im Chronicon insgesamt vierundsechzigmal zu verzeichnen und werden sowohl im Bezug auf den kirchlichen als auch auf den weltlichen Bereich verwendet. Hier ist ein Bezug zur Bevölkerung im Königreich insgesamt offenkundig, wobei zunächst noch offen bleibt, ob nur auf die Lateiner oder alle Untertanen des Königs Bezug genommen wird. In diesem Zusammenhang kann jedoch einmal mehr darauf verwiesen werden, daß solche Formulierungen erst beginnend mit Buch IX auftreten. Auch in Wilhelms Text wird also deutlich, daß diese Gruppenbezeichnung an Staatsgründung und Siedlung im Heiligen Land gebunden ist und weder für die Kreuzfahrer, noch für die nicht-lateinischen Einwohner Jerusalems vor der Eroberung der Heiligen Stadt angewandt wird. Für die Bezeichnung der Autochthonen scheint Wilhelm zudem eher die Bezeichnung Ierosolimite einzusetzen.341 Dennoch läßt die Auswertung des Chronicon im Vergleich zur früheren 338 Vgl. WvT X.xiii.2, XI.iv.3–4, XI.ix.20, XI.x.43, XI.xxii.68–69, XII.i.1, XII.ii.8, XII.xvii.4–5, XIII.xiii.27, XIII.xv.1–2, XIII.xxvii.18, XIV.i.1–2, XIV.ii.10–11, XIV.iii.46, XIV.iii.47, XIV.xiv.24, XIV.xiv.29, XV.xxi.5–6, XV.xxiv.1, XVI.iv.71, XVII.i.32–33, XVII.iii.18, XVII.iii.48, XVII.iv.21, XVII.x.39, XVII.xv.1, XVII.xviii.1, XVIII.i.19, XVIII.xxiv.1, XVIII.xxx.8, XIX.iv.32, XX.xx.22, XX.xxii.60, XXI.v.27, XXII.vi.38. 339 Vgl. WvT IX.vi.17, IX.xxi.1, IX.xxiii.1–2, X.i.3, XII.ii.2, XII.xxi.2, XXVIII.i.28–29, XVIII.ix.1, XXII.xxiv.26. 340 Vgl. WvT IX.xvii.2, X.xxviii.12, XI.i.7, XI.iii.21, XI.iv.1, XI.xv.2, XII.xiii.7, XIII.xxvi.85, XIV.ii.29, XIV.xiv.24–25, XIV.xxvi.19, XIV.xxvi.28–29, XV.xi.13, XV.xxvii.39–40, XVI.iii.8, XVI.xvii.1–2, XVI.xxix.4, XXI.i.7, XXI.ii.8, XXII.iv.14–15. 341 Vgl. WvT VII.xxiii.1, VII.xxiii24. Dieser Begriff findet sich in gleicher Bedeutung etwa auch bei Raimund von Aguilers, vgl. RvA XIV.

Ethnische Terminologie mit Bezug zur neuen Heimat

93

Überlieferung klare und eindeutige Beweise für Fortleben, Verfestigung und Verbreitung einer exklusiv an das Königreich Jerusalem gebundenen Kollektivbezeichnung vermissen. Ein Fortleben läßt sich zwar durchaus nachweisen, wobei anstatt von Verfestigung und Verbreitung jedoch eher eine Stagnation zu beobachten ist. Um diesen Befund erklären zu können, muß zunächst der begriffliche Umgang der Quellen mit den Lateinern im Fürstentum Antiochia untersucht werden.

c.

Die Antiocheni-Bezeichnung in der antiochenischen Historiographie

Während die Gesta Francorum und Tudebodus noch keine Anhaltspunkte für das Entstehen einer an Antiochia gebundenen Gruppenbezeichnung bieten, findet sich diese bei Radulf von Caen durchaus in Form einer Benennung als Antiocheni. Diese jedoch wird sehr uneinheitlich gebraucht, wird etwa mehrfach eindeutig in Bezug auf die muslimischen Verteidiger Antiochias verwendet.342 Indes läßt sich in den späteren Kapiteln zu Ereignissen nach der Gründung des Fürstentums Antiochia ein Wandel beobachten. Beim Bericht über Bohemunds Gefangenschaft von 1101 bis 1103 etwa wird erwähnt, daß Balduin von Bourcq daraufhin gearbeitet habe, den normannischen Fürsten auszulösen. Balduin verfolgte zu dieser Zeit eigene Interessen in Antiochia und erhoffte sich von einem Freikommen Bohemunds eine Stärkung gegen seinen Rivalen Tankred.343 Radulf berichtet, daß Balduin monendo, spondendo, increpando, Antiochenos pulsat, ut carcerem Boamundo aperiant.344 Bei den Antiochenern, welche hier von Balduin dazu gedrängt werden, durch Verhandlungen und Lösegeld ihrem Fürsten die Kerkertore zu öffnen, handelt es sich offenkundig um die Lateiner Nordsyriens. Mithin kann man anhand dieses Beispiels in den Gesta Tancredi einen Wandel vom Gebrauch des Antiocheni-Begriffs als Fremdbezeichnung hin zu einer an das Fürstentum als neue Heimat der Lateiner gebundenen Terminologie verzeichnen. Allerdings ist diese Bezeichnung bei Radulf von Caen äußerst selten und findet sich im gesamten Text nur an vier Stellen.345 Es ist jedoch von Bedeutung, daß diese Fälle allesamt in den späteren, die Zeit nach der Niederlassung der Lateiner in Nordsyrien betreffenden Kapiteln346 bezie342 Vgl. RvC XLV, XLVIII, LXXXI (hier im Singular), XCVI. 343 Vgl. Fink, Harold S., ›The Foundation of the Latin States, 1099–1118‹, in: A History of the Crusades. Volume I. The First Hundred Years, hg. v. Kenneth M. Setton u. Marshall W. Baldwin, Madison 1969, 387–388. 344 RvC CXLVII. 345 Vgl. RvC LIII, CXLIII, CXLVII, CXLVIII. 346 Vgl. RvC CXLIII, CXLVII, CXLVIII.

94

Ethnische Terminologie in der Historiographie der Kreuzfahrerstaaten

hungsweise in einem die Perspektive dieser Zeit einnehmenden Einschub347 in den Bericht zur Belagerung Antiochias durch die Kreuzfahrer auftreten. So scheint Radulf den zuvor noch auf die Muslime in Antiochia bezogenen Begriff im Hinblick auf spätere Jahre für die Lateiner reklamiert zu haben, so daß sich hier die ersten Ansätze der Entwicklung hin zu einem neuen Ethnonym erkennen lassen. Hinweise darauf lassen sich auch in den Bella Antiochena finden. Im Gegensatz zum Anonymus und zu Tudebodus und stärker noch als bei Radulf werden nämlich von Walter dem Kanzler die lateinischen Einwohner Nordsyriens klar als Antiochener benannt. Schon im ersten Satz der Bella Antiochena wird Roger von Salerno als Herr der Antiochener bezeichnet – Antiochenorum dominus348 – oder auch einfach nur als Antiochenus.349 Ebenso verweist Walter auf die Mitglieder des lateinischen Heeres des Fürstentums bei der Heerschau am 12. September 1115 mit den Worten Antiochen[i] congregat[i].350 Zusätzlich kann die Verwendung der Antiocheni-Bezeichnung auch in der urkundlichen Überlieferung dieser Zeit nachgewiesen werden.351 Allerdings ist die Terminologie bei Walter immer noch nicht einheitlich gewählt; bisweilen sind noch Spuren einer Bezeichnung der autochthonen Bevölkerung Nordsyriens als Antiocheni anzutreffen. An einer Stelle zum Beispiel kontrastiert Walter explizit die gen[s] nostr[a] mit der gens […] Antiochena.352 Die ethnische Begrifflichkeit war also auch etwa zwei Jahrzehnte nach der Staatsgründung Bohemunds noch nicht vollkommen klar.

d.

Die Antiocheni-Bezeichnung in der jerosolymitanischen Historiographie

Die in den antiochenischen Quellen lediglich als Tendenz zu beobachtende Entwicklung zu einem neuen, auf Antiochia bezogenen Ethnonym der Lateiner im Fürstentum kann anhand der Quellen aus dem jerosolymitanischen Kontext sehr gut weiter verfolgt werden. So läßt sich etwa bei Fulcher von Chartres nachvollziehen, daß im gleichen Maße, wie der Franci-Begriff im Verlauf des Textes der Historia zunehmend durch die Hierosolymitani-Bezeichnung und ihre Variationen verdrängt wird, auch ein allmähliches Aufkommen einer an 347 348 349 350 351

Vgl. RvC LIII. WdK I.Prologus. WdK I.II.7. WdK I.IV.9. Vgl. Mayer, Hans Eberhard (Hg.), ›Unedierte und wenig bekannte Urkunden der Fürsten von Antiochia‹, in: Ders., Varia Antiochena. Studien zum Kreuzfahrerfürstentum Antiochia im 12. und frühen 13. Jahrhundert, Hannover 1993, 110–122, Nr. 2. 352 WdK II.VIII.5.

Ethnische Terminologie mit Bezug zur neuen Heimat

95

Antiochia gebundenen Gruppenbenennung zu verzeichnen ist. Im ersten Buch findet sich eine Antiocheni-Bezeichnung der Lateiner lediglich zweimal,353 wobei es sich in beiden Fällen bezeichnenderweise um Stellen aus dem vorletzten Kapitel handelt, welches die Zeit nach der Gründung der Kreuzfahrerstaaten beschreibt. Im zweiten Buch ist der Begriff dann bereits etabliert und findet sich an sechs Stellen,354 und im dritten Buch ist eine erneute Zunahme auf zwölf Fälle355 zu beobachten. Ein Antiochia-Bezug in Form des Adjektivs Antiochenus ist bei Fulcher – analog zu Hierosolymitanus – ebenfalls anzutreffen. Dies gilt etwa für den Titel princeps Antiochenus356 wie auch für die entsprechende Staatsbezeichnung Antiochen[us] principat[us].357 Auch die gens Antiochena358 taucht in der Historia auf, wobei nicht immer eindeutig bestimmbar ist, ob der Begriff gens als ethnische Gruppenbezeichnung oder militärisch im Sinne von bewaffnete Schar zu verstehen ist. Von besonderem Interesse ist eine Passage aus dem Kapitel über die Kampagne Balduins von Boulogne, mit welcher der damalige Graf von Edessa auf die nach der Gefangennahme Bohemunds I. von Antiochia durch die Türken im Juni 1100 entstandene Bedrohungslage359 reagierte. Fulcher berichtet: dux urbis Edessae Balduinus, congregatis Francis quotcumque potuit, Edessenis scilicet et Antiochenis, hostes praedictos [Turcos], ubi eos esse audivit, quaerere non distulit.360

An dieser Stelle, die dem vorletzten Kapitel des ersten Buches entnommen ist, läßt sich der Übergang vom Franci-Begriff zu neuen, durch die Bindung an die einzelnen Kreuzfahrerstaaten definierten Ethnonymen beobachten. Als Franci werden hier zwar noch verallgemeinernd alle Lateiner bezeichnet, wobei für Fulcher nun – im Jahr nach dem Ende des ersten Kreuzzuges – erstmalig diese aus der präethnogenetischen Periode stammende Bezeichnung nicht mehr ausreichte, so daß die Einführung neuer Begriffe angebracht und erforderlich erschien, die sich an den neuen Verhältnissen im lateinischen Orient orientierten. Wie bei der Diskussion der Franci-Bezeichnung schon kurz vermerkt wurde, hat der Autor der Historia Nicæna diese Passage – inklusive der expliziten Hervorhebung von Edissenis et Antiochenis – von Fulcher übernommen und dabei sogar noch die Zusammenfassung dieser beiden Gruppen unter dem 353 Vgl. FvC I.xxxv.4, I.xxxv.6. 354 Vgl. FvC II.vii.1, II.xxx.5, II.xlv.5, II.liii.3, II.liv.2, II.liv.5. 355 Vgl. FvC III.ii.2, III.ii.3, III.iii.2, III.iv.1, III.iv.2, III.iv.3, III.vii.1, III.xi.3, III.xxv.1, III.xxxi.2, III.xxxiv.13, III.xlii.7. 356 FvC II.xlix.7, II.liii.2, III.vii.1. 357 FvC II.xlvii.1. 358 FvC II.xliii.3, II.li.2. 359 Zur Gefangenschaft Bohemunds vgl. Flori, Boh¦mond, 219–239. 360 FvC I.xxxv.4.

96

Ethnische Terminologie in der Historiographie der Kreuzfahrerstaaten

Begriff Franci gestrichen.361 Bartolf von Nangis läßt die Franci-Bezeichnung hingegen ganz entfallen und erwähnt allein die [c]ongregat[i] Antiochen[i].362 Anhand dieser beiden Passagen bei Fulcher von Chartres und in der Historia Nicæna lassen sich außerdem zwei weitere wichtige Punkte mustergültig demonstrieren. Da das antiochenische Heer, von dem hier die Rede ist, sich nicht nur aus Einwohnern der Stadt Antiochia selbst rekrutierte, wird einerseits deutlich, daß der Antiocheni-Begriff die Einwohner des gesamten Fürstentums erfaßte und nicht auf die Bewohner der Metropole am Orontes beschränkt war. Zudem wird die Bezeichnung auf ein aus Lateinern bestehendes Heer bezogen, was aus dem bei Fulcher noch vorhandenen Oberbegriff Franci deutlich wird. Antiocheni erweist sich somit als ein kollektiver Eigenname der Lateiner im gesamten Fürstentum Antiochia. Dies läßt sich anhand von weiteren Beispielen nachvollziehen, an denen die Antiochener mit den Jerosolymitanern kontrastiert werden, etwa beim Bericht zum Zusammentreffen der zu einer gemeinsamen Kampagne gegen die Türken ausgezogenen verbündeten Heere Antiochias und Jerusalems unter Tankred und Balduin I. bei Chastel-Rouge im Jahr 1111:363 Tancredus […] adventum regis [Balduini] iam per V dies exspectaverat. Quo cum gaudio sucepto […] hospitalitatem agentes Hierosolymitani cum Antiochenis.364

Wiederum handelt es sich um zwei lateinische Heere, die sich jeweils aus einem Kreuzfahrerstaat und nicht allein aus dessen Kapitale rekrutierten. Hierosolymitani und Antiocheni erscheinen hier auf gleicher Ebene als Ethnonyme. Auch im Chronicon Wilhelms von Tyrus treten die Antiocheni durchweg als eigene, von den Jerosolymitanern begrifflich klar unterschiedene Gruppe in Erscheinung. In den ersten acht Büchern wird der Begriff noch für die autochthonen Einwohner allein der Stadt Antiochia gebraucht.365 Beginnend mit Buch IX und den Berichten zur Zeit nach der Gründung des Fürstentums unter der Herrschaft Bohemunds jedoch entwickelt sich der Antiocheni-Begriff zum häufig verwendeten kollektiven Eigennamen der lateinischen Antiochener, begleitet vom Attribut Antiochenus. Während bei Fulcher von Chartres der antiochenische Fürst zudem noch überwiegend als Antiochiae princ[eps]366 benannt wird, findet sich bei Wilhelm von Tyrus nun auch im bedeutsamen Kontext des Herrschertitels die Gruppenbezeichnung in Form des Herrschertitels Antio-

361 362 363 364 365

Vgl. HNvA LXIII. BvN XLI. Siehe auch ibid. LIV. Vgl. Asbridge, Creation, 121f. FvC II.xlv.4. Vgl. WvT IV.xxi.21, V.i.1, V.i.22, V.iii.25, V.iv.32, V.vi.69f, V.x.2, V.xiv.4, V.xxiii.17, VI.xx.7, VII.viii.22. 366 FvC II.xxx.3 u. passim.

Ethnische Terminologie mit Bezug zur neuen Heimat

97

chenorum princeps.367 Auch als selbständig agierende Gruppe treten die Antiocheni im Chronicon in Erscheinung – insbesondere in der Folge der Niederlage auf dem Ager sanguinis und nach dem Tod Fürst Bohemunds II. im Jahre 1130,368 als der um die Sicherheit des Fürstentums besorgte populus Antiochenus369 mehrfach aus eigenem Antrieb den König von Jerusalem zur Intervention in Nordsyrien auffordert.

e.

Hierosolymitani und Latini

Vor dem Hintergrund der routinierten Verwendung eines offenkundig ethnisch besetzten Antiocheni-Begriffs in den beiden großen Quellen aus der Gruppe der jerosolymitanischen Historiographie wirft die zuvor diagnostizierte Stagnation einer exklusiven Assoziation mit dem Königreich Jerusalem bei Wilhelm von Tyrus die Frage auf, ob ein alternatives begriffliches Identifikationsmittel zu erkennen ist. Tatsächlich findet sich dies in Form einer zunehmenden Bezugnahme auf die Gruppe der Latini. Diese läßt sich an insgesamt achtundvierzig Stellen370 im Chronicon nachweisen und tritt in verschiedenen Kontexten auf. Bei der Suche nach der korrekten Interpretation des Terminus liegt zuerst eine religiöse oder eher noch eine konfessionelle Deutung nahe, nach welcher eine Benennung als Latinus dazu diente, den Benannten von Angehörigen der Orthodoxie oder anderer orientalischer Kirchen und dadurch selbstverständlich gleichzeitig von Nichtchristen zu unterscheiden. Damit hätte der Latini-Begriff die Bedeutung, welche Murray der Franci-Bezeichnung zuschreibt, und tatsächlich sieht er den Latini-Begriff bei Wilhelm von Tyrus lediglich als das Pendant zur Franci-Benennung bei Fulcher von Chartres, interpretiert den Begriff also im panlateinischen Sinne als kollektiven Eigennamen der von ihm postulierten ethnischen Gruppe der lateinischen Siedler in allen vier Kreuzfahrerstaaten.371 Murray umgeht jedoch die Frage, weshalb sich in den Jahrzehnten, die Fulcher von Wilhelm trennen, ein Wandel in der ethnischen Terminologie vollzogen haben, weshalb also ein Übergang von der panlateinischen 367 WvT X.iii.31, X.xvii.12, X.xxiv.1, X.xxviii.1, XI.xix.26, XI.xxi.16, XI.xxiii.32, XV.ix.22, XVIII.xvii.16, XIX.iv.29, XXII.i.1f. 368 Vgl. WvT XIII.xvi.26. 369 WvT XIV.xxvii.12–13. 370 WvT I.x.2, I.xxiii.24, II.xxi.25, VI.ix.6–7, VI.x.9, VI.x.23, VII.i.2, VII.vii.30, VII.viii.17, IX.xvii.1, X.i.3, X.vi.59–60, X.xxix.52–53, XI.vi.16, XI.vi.28, XI.vi.31, XI.xii.55–56, XI.xvi.4, XI.xxvii.18, XII.i.1, XII.iv.21, XII.xv.5, XIV.i.1–2, XIV.xi.18–19, XV.xxi.25, XVI.i.1–2, XVI.xiii.20–21, XVII.ix.1–2, XVII.ix.14, XVII.xvii.78, XVIII.v.19, XVIII.xxvi.14, XVIII.xxxiv.7, XIX.i.1–2, XIX.i.3, XIX.i.8, XIX.i.10–11, XIX.x.27, XX.xiv.6–7, XXI.i.1, XXI.xxv.3, XXII.v.55, XXII.vi.2–3, XXII.ix.9, XXII.xi.15, XXII.xi.18, XXII.xvii.42–43, XXII.xxix.26. 371 Vgl. Murray, ›Identity‹, 61; Ders., ›National Identity‹, 119.

98

Ethnische Terminologie in der Historiographie der Kreuzfahrerstaaten

Gruppenbezeichnung der Franci zur ebenfalls panlateinischen Gruppenbezeichnung der Latini erfolgt sein sollte. Anders als im Falle der bei Radulf von Caen nebeneinander auftretenden Franci- und Galli-Bezüge nämlich ist bei Wilhelm von Tyrus kein vergleichbares Synonympaar zu verzeichnen, sondern eine komplette Ablösung des einen Terminus durch den anderen. Es gilt daher, zu untersuchen, ob dem Begriff bei Wilhelm von Tyrus tatsächlich der Charakter eines kollektiven ethnischen Eigennamens zukommt, oder ob er allein dazu diente, Angehörige der lateinischen Christenheit von den autochthonen Bevölkerungsgruppen zu unterscheiden. Leider liegt es in der Natur der Latini-Benennung, daß eine Bezugnahme auf die lateinische Christenheit in ihrer Gesamtheit als Unterton immer mitschwingt, daß der Terminus also stets zumindest ambivalent ist. In zahlreichen Passagen des Chronicon ist dennoch eine ethnisch relevante Komponente der Bezeichnung nicht nur nachweisbar, sondern sie tritt sogar klar in den Vordergrund. In besonders eindrucksvoller Weise läßt sich dies anhand einiger Passagen demonstrieren, in denen der Latini-Begriff explizit im Kontext einer Bezugnahme auf die ethnogenetischen Prozesse während des ersten Kreuzzuges eingesetzt wird. Im neunten Buch wird in einem Exkurs erklärt, daß die Verfügungsgewalt des Patriarchen von Jerusalem über ein Viertel der Heiligen Stadt eine Anknüpfung an Traditionen der Vorkreuzzugszeit darstellte, welche dann ab introitu Latinorum372 fortgesetzt worden sei.373 Beim hier beiläufig erwähnten introitus der Latini handelt es sich, wie an anderer Stelle schon angemerkt wurde, offenkundig um einen Verweis auf den Einzug der Kreuzfahrer in ihre neue Heimat während des ersten Kreuzzuges und insbesondere auf die Eroberung Jerusalems. Diese Art der Bezugnahme auf die Eroberungszeit setzt Wilhelm in der Folge noch häufiger als ein Mittel zur historischen Einordnung der von ihm beschriebenen Ereignisse ein. So berichtet er über einen Einfall der Türken in Nordsyrien im Jahre 1111 und stellt heraus, daß [a] primo enim Latinorum introitu374 bis zu den Kampagnen Zengis in den 1130er Jahren kein vergleichbarer Angriff erfolgt sei. Auch das Vordrängen Saladins in den frühen 1180er Jahren – nun also eine Entwicklung, die Wilhelm aus eigener Erfahrung kannte – wertet er zum Ende des Chronicon als schlimmste Bedrohung seit dem Kreuzzug: Dicebatur enim a senioribus regni principibus quod a primo Latinorum in Syriam introitu nusquam tantas hostium vidissent copias.375 Fulcher von Chartres bediente sich in seiner ersten Redaktion noch einer Anknüpfung an Karl den Großen und Wilhelm I. von England, um die Erobe372 373 374 375

WvT IX.xvii.1. Vgl. WvT IX.xvii u. IX.xviii. WvT XI.xvi.4. WvT XXII.xvii.41ff.

Ethnische Terminologie mit Bezug zur neuen Heimat

99

rung Jerusalems historisch einzuordnen, bevor deren Würdigung in Versform dann in der zweiten Rezension gestrichen wurde.376 Bei Wilhelm von Tyrus wiederum dienen die ethnisch zentralen Ereignisse der Eroberung und Landnahme im Zuge des ersten Kreuzzuges selbst zur geschichtlichen Kontextualisierung und stellen den wesentlichen Referenzpunkt im Chronicon dar. Die Deutung der Latini-Bezeichnung läßt sich durch ihre Verquickung mit der ethnohistorisch wichtigsten Phase des introitus nicht mehr auf das religiöskonfessionelle Element reduzieren. Somit scheinen sich bei Wilhelm zwei Identitätsschichten zu überlagern. Das Fortleben einer identitätsstiftenden Anbindung an Jerusalem im Chronicon kann ebenso demonstriert werden wie die ethnische Relevanz der Antiocheni-Benennung. Doch neben diesem terminologischen Partikularismus manifestiert sich bei Wilhelm im Vergleich zu seinen Vorläufern ein deutlich stärkeres Bewußtsein für die Zugehörigkeit zu einem über das Königreich Jerusalem hinausgehenden größeren Ganzen – zur Gruppe der Lateiner in den Kreuzfahrerstaaten. Ein solches panlateinisches Bewußtsein findet sich etwa auch beim Resümee zur Schlacht im Hauran am 7. Mai 1104, welche als eines der erbittertsten Gefechte in universo Oriente tempore Latinorum377 bezeichnet wird. Eine weitere Schlacht im Hauran, die jedoch über vierzig Jahre später im Juni 1147 die Jerosolymitaner gegen Nur ad-Din ausfochten und verloren, wird ebenfalls mit anderen Auseinandersetzungen während Latinorum tempor[is] in toto Oriente378 kontrastierend als besonders gefährlich hervorgehoben. In diesen Fällen definiert einerseits die Gruppe der Latini eine ganze Epoche, welche von der Landnahme bis in die Gegenwart Wilhelms reichte, und andererseits findet hier eine begriffliche Verbindung dieser Gruppe mit dem Orient statt, wodurch sie von den Lateinern im rein religiös-konfessionellen Sinne unterschieden wird. Es sind die Lateiner im Orient, mit denen sich Wilhelm assoziiert, und diese Unterscheidung findet ihren Ausdruck in einer Präzisierung der Gruppenbezeichnung: Im siebzehnten und dann erneut und verstärkt im zweiundzwanzigsten Buch des Chronicon beklagt Wilhelm den Niedergang der lateinischen Macht in der Levante: Ab ea die cepit Latinorum Orientalium manifeste deterior fieri conditio,379 urteilt er resignierend über die Situation in den Kreuzfahrerstaaten vor dem Hintergrund des Scheiterns des zweiten Kreuzzuges (1147–1149);380 und die unrechtmäßige Scheidung Bohemunds III. († 1201) von 376 Vgl. FvC I.xxx.1. Epp hat dies überzeugend als ein Indiz für eine zunehmende Abkopplung von den europäischen Wurzeln und das Entstehen eines – wie sie formuliert – »Nationalbewußtseins« im lateinischen Orient interpretiert. Vgl. Epp, ›Entstehung‹, 601, Zitat 596. 377 WvT X.xxix.52f. 378 WvT XVI.xiii.20f. 379 WvT XVII.ix.1f. 380 Zum zweiten Kreuzzug vgl. Hoch, Martin, Jerusalem, Damaskus und der Zweite Kreuzzug:

100

Ethnische Terminologie in der Historiographie der Kreuzfahrerstaaten

Antiochia von seiner griechischen Frau Theodora im Jahre 1181, welche den antiochenischen Patriarchen Aimerich von Limoges zur Verhängung des Interdiktes über das Fürstentum veranlaßte, kommentiert Wilhelm mit den Worten: turbatus est Orientalium Latinorum status.381 An diesen Stellen findet sich durch die erweiterte Form Latini Orientales eine begriffliche Präzisierung, mit welcher die Deutung des von Wilhelm gebrauchten Latini-Begriffs als Gruppenbezeichnung der Lateiner im Orient – also der Subjekte des introitus Latinorum – eindeutig zum Ausdruck kommt. Wilhelm war zweifellos ein orientalis Latinus,382 fühlte sich also der Gruppe der Orientlateiner zugehörig und legte sein Chronicon auch als deren Geschichte an, wobei sich diese panlateinische Perspektive bei ihm durchaus mit einem jerosolymitanischen Partikularismus verbindet. Die Koinzidenz beider Komponenten läßt sich etwa an den von ihm verwendeten Titeln der lateinischen Herrscher von Jerusalem nachweisen. Diese enthalten immer einen Bezug zur Gruppe der Orientlateiner, der mitunter exklusiv sein kann, wie im Falle einer späten Rückbesinnung auf die Herrschaft Fulks von Anjou († 1143) im letzten Buch des Chronicon, in der er als Latinorum Orientalium re[x] terci[us]383 bezeichnet wird. Bei Balduin I.,384 Balduin III.,385 Amalrich386 und Balduin IV.387 (1161–1185) bezieht Wilhelm den Herrschertitel ebenfalls auf die Gruppe der Lateiner, ergänzt ihn aber um einen Verweis auf das Reich Jerusalem. Im Falle Gottfrieds von Bouillon jedoch wird zusätzlich auch auf die Gruppe der Jerosolymitaner verwiesen, wenn er als prim[us] ex Latinis regni Ierosolimorum moderator388 bezeichnet wird – eine Intitulationspraxis, die im Chronicon auch bei seinen königlichen Nachfolgern Balduin II. und Fulk von Anjou anzutreffen ist.389 Mit dieser Terminologie reflektiert Wilhelm interessanterweise den gängigen Sprachgebrauch der Urkunden der Könige von Jerusalem, wobei in diesen die Bezugnahme auf die Latini schon mit Balduin I. einsetzt – also zu einer Zeit, da in der jerosolymitanischen Historiographie noch die in den Urkunden bedeutungslose Bezeichnung als Franci gebraucht und allmählich durch die Benennung

381 382 383 384 385 386 387 388 389

Konstitutionelle Krise und äußere Sicherheit des Kreuzfahrerkönigreiches Jerusalem, A.D. 1126–1154 (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften; 560), Frankfurt am Main 1993; Phillips, Jonathan, The Second Crusade: Extending the Borders of Christianity, New Haven 2007. WvT XXII.vi.2f. Vgl. Barber, Crusader States, 277. Vgl. Ebels-Hoving, ›William of Tyre‹, 211; Schwinges, ›Regionale Identität‹, 243. WvT XXII.xxix.26. Vgl. WvT X.i.3. Vgl. WvT XIX.i.1f. Vgl. WvT XIX.i.3. Vgl. WvT XXI.i.1. WvT X.i.3. Vgl. WvT XII.i.1, XIV.i.1f (Balduin II.); XVI.i.1f (Fulk von Anjou).

Ethnische Terminologie mit Bezug zur neuen Heimat

101

als Hierosolymitani verdrängt wurde. In diesem frühen Bezug auf die Gesamtheit der Lateiner ließe sich allerdings auch ein Zeichen für einen über ihren Herrschaftsbereich hinausgehenden Führungsanspruch der Könige von Jerusalem erkennen, wie er im Zuge der antiochenische Regentschaft Balduins II. durchaus realisiert wurde.390 Schon in den Urkunden Balduins I. jedoch ist der Doppelbezug auf Jerusalem und auf die Latinitas zu verzeichnen. Gebräuchlich ist vor allem die Form rex Ierusalem Latinorum,391 in welcher die Verwendung der indeklinablen Variante des Substantivs Ierusalem – anstatt der Alternativform Hierosolyma – eindeutig auf die Stadt beziehungsweise das Reich verweist, während die Gruppe, auf die Bezug genommen wird, jene der Latini ist. Doch in Verbindung mit den Latini tauchen auch die Jerosolymitaner als Gruppe in der frühen, bei Balduin I. und Balduin II. gebrauchten Titelform Latinitatis Ierosolimorum rex392 auf. Dafür, daß auch in den Urkunden Ierosolimorum durchaus als eine Gruppenbezeichnung zu verstehen ist, spricht die Tatsache, daß für die Ortsbestimmung in den Urkunden üblicherweise die indeklinable Form Ierusalem verwendet wird. Diese Interpretation stützt ferner ein Diplom Balduins III. vom 1. Februar 1146, in dem der junge König als dei gratia Ierosolimorum et sancte civitatis Latinorum quartus rex393 benannt wird. Ierosolimorum wird hier klar von der sancta civitas unterschieden, so daß der Titel am ehesten als König der Jerosolymitaner und vierter König der Lateiner der Heiligen Stadt zu verstehen ist. Sogar ein exklusiver Bezug des Königstitels auf die Gruppe der Jerosolymitaner kann in der Form Ierosolimorum rex394 nachgewiesen werden. Wie die vorangegangenen Ausführungen zur ethnischen Terminologie zeigen, unterstützt der Befund gerade im Hinblick auf die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts eine partikularistische Interpretation der ethnogenetischen Prozesse im lateinischen Orient und entzieht der panlateinischen und glei390 Vgl. Asbridge, Creation, 81–89. 391 Verwendet in den Urkunden folgender Herrscher : Balduin I. (DRLH I:40); Balduin II. (DRLH I:93, 84, 105, 108, 109, 111, 116 (2x), 124); Melisendis (DRLH I:196); Balduin III. (DRLH I:210 (2x), 212 (2x), 215, 216, 226, 232, 233, 236, 237, 238, 241, 242, 244, 248, 253, 254, 255, 256, 258, 260, 263, 264); Fulk (DRLH I:129, 131, 138 (2x), 139); Amalrich (DRLH II:308, 310, 311, 312, 313, 314, 316, 327, 333, 336, 337, 340, 341, 342, 343, 347, 354, 359, 361, 362); Balduin IV. (DRLH II:381, 382, 390, 391, 393, 398, 401, 405, 309, 410, 412, 413, 415, 417, 420, 423, 424, 425, 427, 429, 431, 432, 435, 437, 438); Balduin V. (DRLH II:451, 452, 453, 454); Guido von Lusignan (DRLH II:473, 474, 475, 476, 477, 478, 479, 480, 482, 485). Diese Form verwendet auch die Fürstinwitwe Alice von Antiochia in ihren Urkunden, wenn sie auf ihren Vater Balduin II. von Jerusalem verweist. Vgl. Mayer (Hg.), ›Unedierte Urkunden‹, Nr. 1, 2. 392 Vgl. DRLH I:64, 84, 85 (2x). 393 DRLH I:214. Auch in einer Urkunde Amalrichs wird diese Form gebraucht (DRLH II:346). 394 Für die Urkunden folgender Herrscher trifft dies zu: Balduin II. (DRLH I:83); Melisendis (DRLH I:175, 177, 180, 188, 194, 196); Balduin III. (DRLH I:248, 254, 263); Fulk (DRLH I:141); Theodora (DRLH I:271); Amalrich (DRLH: II.308, 310).

102

Ethnische Terminologie in der Historiographie der Kreuzfahrerstaaten

chermaßen eurozentrischen Versammlung aller Lateiner in den Kreuzfahrerstaaten unter dem herkunftsbezogenen Begriff Franci ihre Grundlage. Dennoch waren die ethnischen Kategorien im Laufe der untersuchten Zeit nie in vollkommener Einheitlichkeit, Klarheit und Trennschärfe definiert, sondern reflektierten stets den vom Herkunftsbezug über den Partikularismus bis zur panlateinischen Tendenzen verlaufenden Fluß der ethnohistorischen Entwicklungen der bezeichneten Gruppen. Sehr viel klarer gestaltet sich in den Quellen hingegen die Abgrenzung zwischen den Lateinern und der autochthonen Bevölkerung des Orients.

IV.

Fremd- und Feindbilder

1.

Kreuzzugsideologie oder Toleranz? – Abgrenzung von den Muslimen im Königreich Jerusalem und im Fürstentum Antiochia Wann auch immer ich Jerusalem besuchte, betrat ich stets die al-Aqsa-Moschee, neben der eine andere kleine Moschee stand, welche die Franken in eine Kirche umgewandelt hatten. Wenn ich die al-Aqsa-Moschee betrat, die von den Templern – meinen Freunden – gehalten wurde, verließen diese die kleinere Moschee, auf daß ich dort beten konnte. Eines Tages betrat ich die Moschee und sprach die Worte »Gott ist groß«, und ich stand dort im Gebet, woraufhin einer der Franken zu mir stürmte, mich ergriff und nach Osten drehte, wobei er sagte: »In diese Richtung sollst Du beten!« Eine Gruppe Templer eilte zu ihm, faßte ihn und hielt ihn von mir ab. Ich setzte mein Gebet fort. Der Mann bedrängte mich abermals, als die anderen beschäftigt waren, drehte mich gen Osten und sagte wieder : »In diese Richtung sollst Du beten!« Die Templer kamen erneut zu ihm und verwiesen ihn der Kirche. Sie entschuldigten sich bei mir und sagten: »Dies ist ein Fremder, der erst kürzlich aus den Landen der Franken gekommen ist, und er hat niemals jemanden beten sehen, der sich dabei einer anderen Richtung als dem Osten zuwandte.«395

Diese auf etwa 1140 zu datierende Anekdote aus den Erinnerungen des Arabers Usamah ibn Munqidh muß auf den ersten Blick erstaunlich erscheinen. Die Kultusfreiheit eines Muslims im Zentrum der Heiligen Stadt wird in Usamahs Bericht gegen den unwissenden Neuankömmling aus dem Westen ausgerechnet durch Mitglieder eines Ritterordens verteidigt, dessen Aufgabe gerade die Verteidigung des Heiligen Landes und christlicher Pilger gegen Muslime war. Wie läßt sich diese Beobachtung im Hinblick auf die Untersuchung identitätsstiftender Abgrenzungsmechanismen im lateinischen Orient deuten? Welche Rolle 395 Meine Übersetzung ins Deutsche nach der englischen Übersetzung aus Usamah ibn Munqidh, An Arab-Syrian Gentleman & Warrior in the Period of the Crusades. Memoirs of Usa¯mah ibn-Munqidh, hg. u. übers. v. Philip K. Hitti, m. einem Vorw. v. Richard W. Bulliet, New York 2000, 163f.

104

Fremd- und Feindbilder

spielte die Grenzziehung zum Islam in den als Folge eines heiligen Krieges gegen Muslime gegründeten Kreuzfahrerstaaten? Wie bereits besprochen, hat die Stellung der nicht-lateinischen Bevölkerung in den Kreuzfahrerstaaten schon seit langer Zeit im Zuge des KolonialismusDiskurses viel Aufmerksamkeit erfahren. Von zentraler Bedeutung ist die Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung der Muslime durch die Lateiner im Orient in den Beiträgen von Rainer Christoph Schwinges, der seit mehr als drei Jahrzehnten das Spannungsfeld zwischen »Kreuzzugsideologie und Toleranz«396 auf der Grundlage seiner Interpretation des Chronicon Wilhelms von Tyrus auslotet. Er kommt dabei zu dem Schluß, daß in den Kreuzfahrerstaaten mit zunehmendem zeitlichen Abstand von den Ereignissen des ersten Kreuzzuges das Konzept des heiligen Krieges gegen die Muslime an Bedeutung verloren habe und durch eine »informelle Toleranz«397 den Muslimen gegenüber abgelöst worden sei, die auch für eine – jedoch von Schwinges über das Element der Toleranz hinaus nicht ausführlich und systematisch untersuchte – »Wir-Orientalen-Identität«398 konstitutiv gewesen sei.399 »Kreuzfahrergeist und Heiliger Krieg waren«, so Schwinges, »nicht mehr notwendig, um ein kollektives Bewusstsein zu bilden«.400 Ursprünglich exklusiv auf Wilhelm von Tyrus bezogen und dessen Sonderstellung betonend, wurde die durch Schwinges vertretene Deutung jedoch bald auch auf das Königreich Jerusalem insgesamt und insbesondere auf Fulcher von Chartres übertragen.401 Ebenso regte sich allerdings schon früh gewichtiger Widerstand gegen diese – in der nicht deutschsprachigen 396 So der Titel der Dissertation, die Schwinges diesem Thema gewidmet hat. Vgl. Schwinges, Kreuzzugsideologie. 397 Ibid., 67. 398 Ders., ›Regionale Identität‹, 242. 399 Vgl. Ders., Kreuzzugsideologie; Ders., ›Wahrnehmung des Anderen‹; Ders., ›Regionale Identität‹; Ders., ›Wahrnehmung und Identität‹. Freilich relativiert Schwinges seine eigene These, wenn er in ›Wahrnehmung des Anderen‹ (119ff) die Singularität der – auch für sich genommen umstrittenen – Toleranz Wilhelms von Tyrus betont (»allein Sache des Tyrers«, ibid., 121), was im Widerspruch zu seiner Übertragung dieser Interpretation des Chronicon auf das lateinische Königreich insgesamt steht. 400 Ders., ›Regionale Identität‹, 244. 401 Vgl. Ebels-Hoving, ›William of Tyre‹; Epp, ›Entstehung eines »Nationalbewußtseins«‹; Dies., Fulcher von Chartres, 42ff. Siehe auch Bertau, Karl, ›Das Recht des Andern. Über den Ursprung der Vorstellung von der Schonung der Irrgläubigen bei Wolfram von Eschenbach‹, in: Das Heilige Land im Mittelalter : Begegnungsraum zwischen Orient und Okzident; Referate des 5. interdisziplinären Colloquiums des Zentralinstituts für fränkische Landeskunde und allgemeine Regionalforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg, hg. v. Wolfdietrich Fischer u. Jürgen Schneider (= Schriften des Zentralinstituts für fränkische Landeskunde und allgemeine Regionalforschung an der Universität ErlangenNürnberg; 22), Neustadt an der Aisch 1982, 127–149, 127 m. Anm. 1. Recht unkritisch übernommen findet sich die Position Schwinges’ auch jüngst in Goetz, Hans-Werner, Die Wahrnehmung anderer Religionen und christlich-abendländisches Selbstverständnis im frühen und hohen Mittelalter (5.–12. Jahrhundert), Berlin 2013, bes. 404 m. Anm. 692–694.

Abgrenzung von den Muslimen in Jerusalem und Antiochia

105

Kreuzzugsforschung übrigens kaum rezipierte – Position.402 Tatsächlich dürften etwa die Duldung eines Moscheebaus durch Wilhelm von Tyrus in seiner Funktion als Erzbischof403 sowie das Beharren auf dem Einhalten von Verträgen mit Muslimen weniger einer religiösen Toleranz als realpolitischen Erwägungen geschuldet gewesen sein, da das lateinische Königreich zu Wilhelms Zeiten zur Sicherung seiner Existenz auf einen Ausgleich mit seinen muslimischen Nachbarn angewiesen war.404

402 Sehr detailliert bei: Möhring, Hannes, ›Heiliger Krieg und politische Pragmatik: Salahadinus Tyrannus‹, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters (39; 1983), 417–466, 440ff; Rödig, Thomas, Zur politischen Ideenwelt Wilhelms von Tyrus (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften; 429), Frankfurt am Main 1990, 68–86. Siehe auch: Luchitskaya, Svetlana, ›Christian-Muslim Perceptions in the Epoch of the Crusades (Narrative and Visual Sources)‹, in: Hybride Kulturen im mittelalterlichen Europa. Vorträge und Workshops einer internationalen Frühlingsschule/Hybrid Cultures in Medieval Europe. Papers and Workshops of an International Spring School, hg. v. Michael Borgolte u. Bernd Schneidmüller (= Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik; 16), Berlin 2010, 79–88. Luchitskaya rezipiert zwar die Kritik Rödigs, übernimmt als Kunsthistorikerin jedoch nichtsdestotrotz die Interpretation von Schwinges (vgl. ibid., 80 m. Anm. 4). In ihrem Aufsatz beobachtet sie allerdings eine Diskrepanz zwischen dem vermeintlich den Muslimen gegenüber sehr toleranten Text einerseits und den auf übliche Stereotypen zurückgreifenden und martialische Themen bevorzugenden Illuminationen in den Handschriften andererseits. Ihr Beharren auf der durch Schwinges vertretenen Toleranz-These ist schwer nachvollziehbar, da sie im Resümee formuliert: »We should take into account that there was no ›text – images‹ dichotomy in the Middle Ages: they were perceived as one inseparable and indivisible whole, both of equal significance.« (ibid., 88). Implizit wird den mittelalterlichen Auftraggebern und Illuminatoren der Handschriften unterstellt, daß sie kollektiv den Text Wilhelms von Tyrus mißverstanden hätten. 403 Vgl. Schwinges, Kreuzzugsideologie, 266. 404 Vgl. Rezensionen von Favreau und Mayer. Den Einwänden Favreaus, Mayers und Möhrings begegnet Schwinges in ›Wahrnehmung des Anderen‹ mit dem nicht nachvollziehbaren Gegenangriff, die Kritik müsse »vermutlich [auf] […] unsägliche[m] deutschen Idealismus« (ibid., 121) beruhen. Auf die Gefahr, mittelalterliche Wahrnehmungen des Islam einseitig positiv oder negativ und geleitet durch eigene Präferenzen bzw. Abneigungen und Wunschvorstellungen zu bewerten, weist Kristin Skottki hin, die freilich ausgerechnet das umfangreiche Werk Schwinges’ zu diesem Thema, das ihre These hervorragend belegt, nicht rezipiert. Vgl. Skottki, Kristin, ›Medieval Western Perceptions of Islam and the Scholars: What went Wrong?‹, in: Cultural Transfers in Dispute. Representations in Asia, Europe and the Arab World since the Middle Ages, hg. v. Jörg Feuchter, Friedhelm Hoffmann u. Bee Yun (= Eigene und fremde Welten; 23), Frankfurt am Main 2011, 107–134; Dies., ›Vom »Schrecken Gottes« zur Bluttaufe. Gewalt und Visionen auf dem Ersten Kreuzzug nach dem Zeugnis des Raimund d’Aguilers‹, in: Gewalterfahrung und Prophetie, hg. v. Peter Burschel u. Christoph Marx (Veröffentlichungen des Instituts fu¨ r Historische Anthropologie e.V.; 13), Wien 2013, 445–490. Skottkis Dissertation (Christen, Muslime und der Erste Kreuzzug. Die Macht der Beschreibung in der mittelalterlichen und modernen Historiographie (= Cultural Encounters and the Discourses of Scholarship; 7), Münster 2015) lag leider bei der Drucklegung der vorliegenden Arbeit noch nicht vor.

106

Fremd- und Feindbilder

Das Erlebnis Usamah ibn Munqidhs bei den Templern zeigt, daß ein gewisser Grad informeller Toleranz durchaus vorausgesetzt werden darf.405 Allerdings lassen sich in der antiochenischen wie in der jerosolymitanischen Überlieferung zahlreiche Belege für eine große Bedeutung der Feindschaft gegen die muslimischen Gegner ausmachen. Dies soll nachfolgend vor allem anhand Wilhelms von Tyrus und Fulchers von Chartres gezeigt werden, da sich das Postulat der informellen Toleranz und der Loslösung vom Kreuzzugsgeist maßgeblich auf deren Texte stützt.

a.

ex fonte pernicioso aque […] pestilentes – das Bild der Muslime bei Wilhelm von Tyrus und Fulcher von Chartres

In den ersten beiden Kapiteln des Chronicon referiert Wilhelm von Tyrus über die muslimische Eroberung Palästinas und Jerusalems in den 630er Jahren.406 Den unmittelbaren Auftakt setzt eine Gegenüberstellung des Kaisers Herakleios und des Propheten Mohammed. Herakleios wird hier in einer Antizipation des für die Jerosolymitaner identitätsstiftenden Kreuzeskultes407 als Triumphator gefeiert, der nach dem vorausgegangenen Raub der Reliquie des Wahren Kreuzes durch die Perser crucem dominicam cum gloria reportaverat.408 Diesem positiven Anknüpfungspunkt für das Selbstverständnis der Jerosolymitaner setzt Wilhelm antithetisch den Propheten Mohammed und seine Lehren entgegen: Mahumet primogeniti Sathane, qui se prophetam a domino missum mentiendo Orientalium regiones et maxime Arabiam seduxerat, ita invaluerat doctrina pestilens et disseminatus langor ita universas occupaverat provincias.409 405 Zudem ist darauf hinzuweisen, daß im beschriebenen Fall nicht zwingend ein selbstloses Entgegenkommen der Templer zu erkennen ist. In einem zeitlich und räumlich breiter angelegten Beitrag zum Phänomen der Verehrung religiöser Kultorte durch Christen mehrerer Konfessionen wie auch durch Muslime und Juden stellt Dorothea Weltecke heraus: »Hu¨ter des Heiligen Ortes hingegen fu¨ hlten sich ihrerseits allerdings ebenfalls u¨ berlegen und als legitime Verwalter spiritueller Macht und Heilswahrheit.« Weltecke, Dorothea, ›Multireligiöse Loca Sancta und die mächtigen Heiligen der Christen‹, in: Der Islam. Zeitschrift für Geschichte und Kultur des islamischen Orients (88; 2012), 73–95. 406 Vgl. Asbridge, Crusades, 17ff. 407 Siehe hierzu detailliert Kapitel VII.4. 408 WvT I.i.10. 409 WvT I.i.3. Die Behauptung, der Islam erscheine bei Wilhelm von Tyrus nicht »als vom Satan gelenktes Heidentum« (Schwinges, ›Wahrnehmung und Identität‹, 112) muß angesichts dieser Formulierung befremden. An anderer Stelle (›Wahrnehmung des Anderen‹, 109) befaßt sich Schwinges zwar mit diesen und anderen Schmähungen des Islam, versucht diese jedoch zu relativieren, indem er darauf verweist, daß »[s]olch starke Worte« vor allem zu Beginn des Chronicon zu verzeichnen seien. Dabei sind es gerade herausragende Stellen wie

Abgrenzung von den Muslimen in Jerusalem und Antiochia

107

Einen Text, der mit diesen Worten beginnt, als Ausdruck einer Loslösung des lateinischen Orients vom Geist des Kreuzzuges sowie einer Hinwendung zu säkularem Patriotismus und informeller Toleranz dem Islam gegenüber zu interpretieren, muß abwegig erscheinen. Der emotionale Bezug Wilhelms zu seiner orientalischen Heimat spricht durchaus auch aus diesen Worten; allerdings ist dieser Bezug nicht säkular, sondern er äußert sich gerade in der religiös motivierten Abscheu vor der Verführung der Orientalium regiones. In diesem Kontext kann die direkte Kontrastierung des durch seinen Religionsstifter bezeichneten Hauptgegners des Königreiches Jerusalem mit dem für die Jerosolymitaner so bedeutenden Symbol des Wahren Kreuzes eindeutig als starke und prominent platzierte Manifestation des zentralen ethnischen Feindbildes der Jerosolymitaner erkannt werden, in dessen Zeichen der gesamte folgende Text steht. Eine Verurteilung des Islam und seines Propheten bildet auch den Abschluß des ersten Kapitels des Chronicon, wobei die Schmähungen dort ausgerechnet im Rahmen des Verweises auf Wilhelms verschollene Gesta orientalium principum410 auftauchen. Dieser Text gilt bei den Proponenten der Toleranz-These als Beleg der besonderen Offenheit des tyrenischen Erzbischofs, da dieser sich im Rahmen eines eigenen Geschichtswerkes den Muslimen widmete.411 Zum Ende des ersten Kapitels des Chronicon liefert Wilhelm eine Inhaltsangabe zu diesen Gesta der orientalischen Herrscher.412 Auf Grundlage dieser Zusammenfassung muß in dem verlorenen Geschichtswerk eine die identitätsstiftenden Grenzziehungen eher noch forcierende Auseinandersetzung mit dem Islam vermutet werden:

der Beginn eines Werkes, die diesem seine wesentliche Prägung verleihen. Daß zudem der harte Ton dieser Formulierungen auch für den Rest des Textes durchaus repräsentativ ist, ist schon an anderer Stelle belegt worden (Vgl. Möhring, ›Heiliger Krieg‹). Etwas vorsichtiger zeigt sich Schwinges noch in Kreuzzugsideologie, 116–119, wo er jedoch darauf verweist, daß einige der Schmähungen durch Wilhelm von Tyrus auch auf ihm perfide erscheinende Christen angewandt werden. Dies trifft – etwa im Falle Arnulfs von Chocques (vgl. ibid., 119; bezogen auf: WvT X.vii.2) – durchaus zu. Allerdings tauchen solche Beschimpfungen weder an den hier besprochenen herausragenden Stellen im Text auf, noch relativieren sie die Stellung des Islam als wichtigstem Gegner der Jerosolymitaner. Eher drückt die Tatsache, daß Wilhelm das sonst Mohammed vorbehaltene Attribut, der Erstgeborene Satans zu sein, auf Arnulf – und nur auf diesen – überträgt, die besondere Verachtung gegenüber dem normannischen Patriarchen aus. 410 Vgl. Möhring, ›Geschichte‹; Murray, ›William of Tyre; Prutz, ›Studien‹, 107–114. 411 Vgl. z. B. Schwinges, ›Wahrnehmung des Anderen‹, 105f. 412 Diese ausgedehnte Wiederholung der Schmähungen im neunzehnten Buch verschweigt Schwinges, wenn er in ›Wahrnehmung des Anderen‹ (109 m. Anm. 30) harte Worte gegen den Islam auf die frühen Teile des Chronicon beschränkt sehen will (anders dagegen noch in Kreuzzugsideologie, 116f m. Anm. 48).

108

Fremd- und Feindbilder

Quis autem fuerit predictus Mahumet et unde et quomodo ad hanc proruperit insaniam ut se prophetam mentiri et a deo missum dicere presumeret […] et quomodo pene orbem universum pestiferis eius repleverint dogmatibus qui eum in eodem errore sequuti sunt, alibi disseruimus diligenter, sicut ex subsequentibus datur intelligi manifeste.413

Daß Wilhelm offenbar im Hinblick auf den angeschlagenen Ton keinen Widerspruch zwischen diesem äußerst negativen Abriß der islamischen Geschichte und dem Rest seines Werkes sah, zeigt sich an den letzten Worten dieser Passage. Diese Auflistung der Verfehlungen des Islam und seines falschen Propheten legt über die bloße Inhaltszusammenfassung hinaus nahe, daß die Gesta orientalium principum durchaus durch eine scharfe Abgrenzung vom Islam geprägt gewesen sein dürften. So stand wohl hinter jedem der einzelnen Punkte in der hier zitierten Passage jeweils ein längeres Kapitel zum entsprechenden Thema in Wilhelms Geschichte der orientalischen Herrscher.414 Folglich muß der Negativdarstellung der islamischen Frühgeschichte innerhalb des verschollenen Werkes auf Grundlage der vorhandenen Informationen eine wichtige Stellung zugeschrieben werden.415

413 WvT I.i.31–38. 414 Vgl. Prutz, ›Studien‹, 111. 415 Ein zusätzliches Indiz für einen dezidiert antiislamischen Charakter der Gesta orientalium principum und damit des Gesamtwerkes Wilhelms von Tyrus liefert die im 13. Jahrhundert im lateinischen Orient entstandene Historia orientalis Jakobs von Vitry, der sich bei seinen recht umfangreichen Ausführungen zum Islam allem Anschein nach des verschollenen Textes bediente. Die Historia orientalis zeichnet sich durch eine besonders detaillierte wie scharfe Auseinandersetzung mit dem Islam aus. Dem Propheten Mohammed selbst sind vier lange Kapitel gewidmet, wobei insbesondere das erste starke Ähnlichkeit zum ersten Kapitel des Chronicon aufweist. So setzt auch Jakob bei seinen Ausführungen De Mahometo ausgerechnet mit einer Gegenüberstellung des Propheten und des – kurz zuvor ebenfalls für seine Rolle bei der Rückführung des Wahren Kreuzes aus Persien gerühmten – Kaisers Herakleios ein (vgl. JvV II.96–99). Anschließend hebt Jakob zu den offenbar von Wilhelm übernommenen Beschimpfungen an: Als seductor autem ille qui dictus est Mahometus wird der Prophet dort bezeichnet, der quasi alter antichristus et primogenitus Satane filius […] plures populos pervertit et in errorem suum traxit (JvV IV.11–15). Neben der Betitelung der Person Mohammeds selbst gibt es auch Ähnlichkeiten bei den Schmähungen seiner Lehren, die etwa als abominabilis doctrin[a] (JvV IV.2) oder als doctrina […] pestifera, serpens ut cancer (JvV IV.18) bezeichnet werden. Vgl. Funk, Jakob von Vitry, 134; Prutz, ›Studien‹, 110f; Schwinges, Kreuzzugsideologie, 42, 108ff. Eine prominente Stellung in Opposition zu Mohammed nimmt Kaiser Herakleios ebenfalls in einem 1273 verfaßten Traktat des Dominikaners Wilhelm von Tripolis ein, mit welchem der Mendikant den Lütticher Archidiakon Thealdus – den zukünftigen Papst Gregor X. – über die Geschichte und Lehren des Islams unterrichten wollte (Wilhelm von Tripolis, ›Tractatus de statu Saracenorum et de Mahomete pseudo-propheta et eorum lege et fide‹, hg. v. Hans Prutz, in: Ders., Kulturgeschichte der Kreuzzüge, Berlin 1883, 575–598, hier 575–579). Dazu bediente sich Wilhelm von Tripolis – ebenso wie Jakob von Vitry – der verlorenen Gesta orientalium principum seines berühmteren Namensvetters. Vgl. Prutz, ›Studien‹, 111ff. Allerdings fallen im Tractatus die Verweise auf das Wahre Kreuz weg, was sich eventuell aus dem beinahe

Abgrenzung von den Muslimen in Jerusalem und Antiochia

109

Vor dem Hintergrund der zuvor besprochenen scharfen Verurteilungen des Islam und seines Propheten im Chronicon sowie im Hinblick auf die hier vorgebrachten Indizien für eine antiislamische Stoßrichtung der nicht überlieferten Gesta orientalium principium muß das als vermeintlicher Toleranzbeleg angeführte Lob für den Abbasidenkalifen Harun al-Raschid (786–809) als eine Ausnahme erscheinen.416 Eingebettet zwischen den Diffamierungen Mohammeds und der ein ganzes Kapitel einnehmenden Tirade gegen den Fatimidenkalifen al-Hakim (985–1021), den Zerstörer der Grabeskirche, wird Harun als ein Muslim gelobt, der sich eben nicht wie die übrigen Muslime verhalten habe. Die positive Darstellung Haruns dürfte zudem zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auf dessen durch Wilhelm explizit betonte und schon von Einhard417 hervorgehobene Verbindung zu Karl dem Großen zurückgehen, dessen Gesandte im Jahre 797 in Bagdad waren.418 Der Erzählstrom läuft in den ersten Kapiteln des Chronicon jedoch gerade nicht auf Harun zu. Vielmehr dient diese Episode gleichermaßen als Kontrastfolie zu und Hinführung auf die Schandtaten al-Hakims. Für Wilhelm ist die Geschichte Jerusalems in den Jahrhunderten vor dem ersten Kreuzzug immer auch schon Vorgeschichte des lateinischen Königreiches. Obwohl das sepulchrum Domini nachweislich für alle Kreuzzugshistoriographen im Mittelpunkt des Interesses stand, genügt ihnen zur Rechtfertigung des Unternehmens zumeist die synchrone Perspektive auf die gegenwärtige Unterdrückung der Christen im Orient. Wilhelm hingegen will neben dem Kreuzzug viel prononcierter auch die fortdauernde Präsenz der Lateiner in der Levante und damit das Königreich Jerusalem legitimieren. Zu diesem Zwecke nimmt er von Beginn an eine viel stärker diachrone Perspektive ein und setzt folglich bei der Konstitution des Feindbildes schon im frühen Mittelalter an.419

416 417 418

419

einhundert Jahre nach Hattin als endgültig erkannten Verlust der großen Reliquie von Jerusalem erklären läßt. Vgl. Schwinges, Kreuzzugsideologie, 155ff; WvT I.iii.12–14. Vgl. Einhard, Vita Karoli Magni, hg. v. Oswald Holder-Egger (= MGH SS rer. Germ.; 25), XVI. Vgl. Borgolte, Michael, Der Gesandtenaustausch der Karolinger mit den Abbasiden und mit den Patriarchen von Jerusalem (= Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung; 25), München 1976, 46–58; Latowsky, Anne, ›Foreign Embassies and Roman Universality in Einhard’s Life of Charlemagne‹, in: Florilegium (22; 2005), 25–57; Schieffer, Rudolf, Die Karolinger, Stuttgart 2000 (3. Aufl., 1. Aufl 1992), 101. Der tatsächliche Effekt der Zusagen ist umstritten und wird mitunter als minimal bezeichnet. Vgl. Runciman, Steven, ›Charlemagne and Palestine‹, in: The English Historical Review (50; 1935), 606–619. Vgl. Canard, Marius, ›La Destruction de l’Eglise de la R¦surrection par le Calife Hakim‹, in: Byzantion (35; 1965), 16–43; Christie, Niall, Art. ›Al-Hakim‹, in: CE 2:554–555; Halm, Heinz, ›Die Fatimiden‹, in: Geschichte der arabischen Welt, hg. v. Dems., München 2004 (4. Aufl., 1. Aufl. 1987), 166–199, 175–180; Pratsch, Thomas (Hg.), Konflikt und Bewältigung.

110

Fremd- und Feindbilder

Daß Wilhelm mit seinen Karolingerverweisen eine spezifisch jerosolymitanische Sicht vertritt, läßt sich durch einen Vergleich mit Robert dem Mönch demonstrieren. Zwar hebt auch der abendländische Chronist gleich zu Beginn seines Werkes im Rahmen der Ansprache Urbans II. in Clermont Karl den Großen als Anknüpfungspunkt hervor und thematisiert ebenso die Verbrechen gegen das Christentum im Heiligen Land.420 Allerdings dient die Bezugnahme auf den Frankenherrscher nicht der Etablierung einer spezifisch jerosolymitanischen Abgrenzung von den Muslimen. Im Gegenteil vertritt der Mönch aus Reims eine dezidiert französische Position und läßt das Beispiel des Frankenkönigs sowie Ludovici filii ejus aliorumque regum vestrorum421 als Ansporn für seine Landsleute und als Ausweis der besonders würdigen Tradition seines eigenen Landes und seiner Herrscher fungieren. Wenn Robert diese Könige preist, weil sie regna paganorum destruxerunt et in eis f‡nes sanctæ Ecclesiæ dilataverunt,422 dann knüpft er an die europäisch-fränkische Geschichte an – an die Triumphe der Karolinger gegen die Muslime in Spanien und Südfrankreich oder auch an jene gegen die Heiden im Norden und Osten des Frankenreiches. Wilhelm hingegen schreibt eine jerosolymitanische Geschichte und verknüpft in dieser eine aus dem Westen adoptierte aber eben auch adaptierte Karolingertradition mit einer Einführung des Islam in der Funktion des wichtigsten Gegenspielers der Jerosolymitaner. Im Rahmen dieser Einführung bezieht sich Wilhelm auf die Verbrechen al-Hakims im Heiligen Land selbst, während er an den fränkisch-muslimischen und fränkisch-heidnischen Auseinandersetzungen in Europa kein Interesse hat. Die Stellung der Muslime als Hauptfeinde der Jerosolymitaner findet auch im Werk Fulchers von Chartres ihren Niederschlag. Denn wenn schon im Prolog die Rede von den milia martyrum [qui] in hac expeditione beata morte finierunt423 ist, wenn sich die Historia von Anfang an über das Fortbestehen der lateinischen Präsenz inmitten muslimischer Feinde definiert, dann wird ersichtlich, daß auch Fulcher seinen Text von Beginn an im Zeichen des Kampfes gegen die Muslime schreibt, daß in dieser Abgrenzung ein identitätsstiftendes Element besteht. Aus dem ersten Kreuzzug erwachsen und dann durch die fortbestehende Konfrontation verstetigt, ist das Feindbild Teil der Grunddisposition des Textes. Ein mitunter postuliertes fortschreitendes Abebben dieser Feindschaft kann nämlich weder als Entwicklung innerhalb der Historia zwischen Kreuzzugsbericht und späteren Kapiteln zu den 1120er Jahren nachgewiesen werden, noch läßt es

420 421 422 423

Die Zerstörung der Grabeskirche zu Jerusalem im Jahre 1009, Berlin 2011 (= MillenniumStudien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends; 32). Vgl. RdM I. Vgl. RdM I. Von hier direkt übernommen in HNvA II. Vgl. RdM I. FvC Prologus.4.

Abgrenzung von den Muslimen in Jerusalem und Antiochia

111

sich anhand von Veränderungen in der zweiten Redaktion klar belegen. Die für eine solche Deutung bemühten Belegstellen erweisen sich bei genauerem Hinsehen als einige wenige – teilweise sogar äußerst ambivalente – Fälle, denen der ansonsten überall durchdringende Tenor des Textes entgegenschallt.424 Obgleich tatsächlich an einigen Stellen in der zweiten Redaktion – selbst in diesen Fällen freilich nicht immer in allen Handschriften – Schmähungen gegen die Muslime entfallen, verbleibt das Gros dieser Injurien und negativen Charakterisierungen. Zwar begegnet die in der Forschung stellenweise als Ausweis besonderer Verachtung angesehene425 Bezeichnung als pagani tatsächlich vor allem im ersten Buch der Historia.426 Dort jedoch tritt diese spezifische Benennung – und dies wiederum auch in der vermeintlich entschärften zweiten Redaktion – in einer erstaunlichen Häufung427 auf. Dies darf gerade in diesem Kontext durchaus als Beleg für die überragende Bedeutung der durch sie zum Ausdruck gebrachten Abgrenzung betrachtet werden. Schließlich handelt es sich bei den im ersten Buch geschilderten Ereignissen um die wichtigste Phase der jerosolymitanischen Ethnogenese. Gerade hier muß nachvollziehbarerweise der Erzfeind der Gruppe eingeführt und in der ihm zugewiesenen Rolle dargestellt werden. So ist ferner nicht überraschend, daß eine besonders hohe Frequenz der 424 Als Beleg eines Bedeutungsverlustes »der Abgrenzung von den impii« soll unter anderem auch die Anpassung überzogener Angaben zur zahlenmäßigen Stärke muslimischer Heere herhalten (Vgl. Epp, ›Entstehung, 598f m. Anm. 7, Zitat 598). Einerseits sind jedoch die Zahlen in den genannten Fällen nicht in allen Hss. der zweiten Redaktion in der korrigierten Form zu finden (Vgl. z. B. FvC II.xlix.9. Dort bleiben etwa auch in den Hss. D, H u. K die Zusätze innumeram und multam bestehen). Ferner ist nicht unbedingt zu ersehen, wie etwa in II.xxi.3 eine Änderung der Schätzung (und daß lediglich geschätzt wurde – aestimabatur – betont Fulcher explizit!) des zum Entsatz Antiochias im Sommer 1098 herbeigeilten türkischen Heeres von 600000 auf 300000 – trotz einer Halbierung – die Übermacht der Muslime signifikant geringer erscheinen lassen sollte. Vielmehr ließe sich eine Korrektur der überzogenen Zahlen- und Verhältnisangaben auch als bloßes Streben nach Realismus seitens Fulchers von Chartres erklären (beispielsweise in III.xvii.5, wo aus den neunzig Schiffen, die das von den Lateinern gehaltene Jaffa im Jahre 1123 zur See blockierten, in der zweiten Reaktion achtzig werden). Auch der von Epp beobachtete »Abbau von negativen Fremdstereotypen zur Bezeichnung der Muslim« (Vgl. ›Entstehung‹, 599 m. Anm. 8, Zitat 598; Fulcher von Chartres, 42f) erweist sich als wenig aussagekräftig. Das hervorgehobene Entfallen der Bezeichnung der im ersten Kreuzzug aus Nicaea vertriebenen Muslime als pagani (FvC I.ix.4) etwa ist lediglich in den Hss. C, E, H u. P zu verzeichnen, während die ebenfalls der zweiten Redaktion zuzuordnenden Hss. D, K u. S die Schmähung beibehalten. 425 Vgl. bes. Schwinges, Kreuzzugsideologie, 90ff. Diese Einschätzung der Bezeichnung basierend u. a. auf: Kahl, Hans-Dietrich, ›Compellere intrare. Die Wendenpolitik Bruns von Querfurt im Lichte hochmittelalterlichen Missions- und Völkerrechts‹, in: Zeitschrift für Ostforschung (4; 1955), 161–193 u. 360–401. Offenbar von Schwinges übernommen durch: Epp, Fulcher von Chartres, 42. Dagegen: Rödig, Ideenwelt, 71f. 426 Allerdings taucht der Begriff ausgerechnet gegen Ende des dritten Buches noch einmal auf, wenn Fulcher über die Gefangenschaft Balduins II. berichtet. Vgl. FvC III.xl.1. 427 Vgl. FvC I.iv.6, I.v.11, I.ix.4 (gestrichen in 2. Red.), I.xi.4, I.xi.8, I.xvi.4, I.xvi.5, I.xxiv.14 (das komplette Kapitel fehlt in 2. Red.), I.xxv.15, I.xxvii.10, I.xxix.3, I.xxxi.4, I.xxxi.5.

112

Fremd- und Feindbilder

pagani-Bezeichnungen innerhalb des ersten Buches wiederum gerade in jenen Kapiteln zu verzeichnen ist, welche der Belagerung und Eroberung Jerusalems gewidmet sind. Alles läuft auf den für den jerosolymitanischen Mythomoteur konstitutiven Höhepunkt des Kreuzzuges zu, auf welchem die Heilige Stadt a paganorum contagione […] mundatus, tamdiu superstitione eorum contaminatus, […] in modum pristinae dignitatis reformaretur.428 Eine solche Darstellungsweise, die immer wieder das Heidentum und die Fremdheit der Muslime hervorhebt, dient zudem neben der identitätsstiftenden Grenzziehung gleichzeitig der Legitimation der Gruppe der Jerosolymitaner und ihrer Präsenz und Macht im Heiligen Land. Die immerhin mehr als ein halbes Jahrtausend währende islamische Periode in Jerusalem erscheint durch das Prisma der Worte Fulchers gesehen als bloße Abweichung vom Idealzustand einer christlichen Herrschaft, während die neuen Herren aus dem Westen die pristina dignitas wiederhergestellt hätten. Die Überwindung der paganorum contagio aus dem Geist des Kreuzzuges verkörpert gleichsam Ursprung und fortdauernde Daseinsberechtigung der Jerosolymitaner und ihrer neuen Heimat und mußte die Opposition zum Islam folglich als Grundfeste ihres Mythomoteurs auf Dauer verankern. Wenn Fulcher auch im zweiten und dritten Buch der Historia die Schlagzahl der Schmähungen gegen die Muslime reduziert und bisweilen gar anerkennend auf ingenium und probitas429 des Gegners verweist, änderte sich an der grundlegenden Haltung doch nichts. Gerade bei den Berichten zu den Kämpfen gegen die von fatimidischen Truppen noch bis 1153 gehaltene Küstenstadt Askalon macht Fulcher aufs Neue von dieser scharfen antiislamischen Rhetorik Gebrauch. Neben Tyrus, das noch zu Lebzeiten Fulchers im Jahre 1124 erobert wurde, war Askalon in der Zeit nach der Gründungsphase die letzte bedeutende muslimische Präsenz an der Küste des Königreiches, einer seiner wichtigsten regionalen Gegenspieler und – aufgrund der Unterstützung durch die Ägypter – eine ständige Gefahr für die Sicherheit der Jerosolymitaner.430 Daher ist es kein Zufall, daß religiös motivierte Schmähungen im zweiten und dritten Buch der Historia vor allem gegen die Muslime von Askalon und ihre ägyptische Schutzmacht gerichtet sind. Sie erscheinen beispielsweise in Zusammenhang mit der dritten Schlacht von Ramla431 im Jahre 1105 als gens nefaria,432 gens impia433 und hier eben auch 428 429 430 431

FvC I.xxix.3. FvC II.xlvi.2. Vgl. Asbridge, Crusades, 128–137. Vgl. ibid., 135f; Brett, Michael, ›The Battles of Ramla, 1099–1105‹, in: Egypt and Syria in the Fatimid, Ayyubid and Mamluk Eras. Proceedings of the 1st, 2nd and 3rd International Colloquium organized at the Katholieke Universiteit Leuven in May 1992, 1993 and 1994, hg. v. Daniel De Smet u. Urbain Vermeulen (= Orientalia Lovaniensia Analecta; 73), Löwen 1995, 17–37.

Abgrenzung von den Muslimen in Jerusalem und Antiochia

113

wieder – in beiden Redaktionen – als pagani.434 Auch Wilhelm von Tyrus spricht bei dieser Gelegenheit von den hostes nominis et fidei christiane.435 Fulcher läßt Balduin I. in einer Ansprache vor dem Heer Gott anrufen und ihn darum anflehen, daß er de manibus inimicorum suorum nos liberet436 – die Muslime werden hier also sogar als Feinde Gottes bezeichnet. In diesem Zusammenhang muß betont werden, daß die dritte Schlacht von Ramla mehr war als ein bloßes Scharmützel im Rahmen der andauernden Auseinandersetzungen des lateinischen Königreiches mit seinen muslimischen Nachbarn. Vielmehr handelte es sich um einen auch ethnohistorisch wichtigen Markstein in der frühen Geschichte des lateinischen Königreiches.437 Hatten die Lateiner im Orient zuvor von der Uneinigkeit der muslimischen Mächte profitiert, war es im Vorfeld der dritten Schlacht von Ramla erstmals zu einer Allianz zwischen den schiitischen Fatimiden und den Sunniten von Damaskus unter Tugtakin gekommen.438 Obgleich die Begegnung in einem Triumph für die Jerosolymitaner endete, hatten sie sich nichtsdestotrotz im Sommer 1105 mit einer äußerst ernsten Bedrohung ihrer Existenz konfrontiert gesehen. Es dürfte nicht zuletzt diese Situation sechs Jahre nach der Eroberung Jerusalems gewesen sein, die Fulcher bei seinen Bekundungen der Verwunderung darüber vorschwebte, daß man es geschafft habe, inter tot hostium nostrorum regna439 überlebt und obsiegt zu haben. Gerade ein solcher Moment veranlaßt Fulcher in der Historia zu einer typischen ethnizistischen Reaktion, in deren Rahmen eben auch eine Rückbesinnung auf identitätsstiftende Feindbilder und Abgrenzungsmechanismen erfolgen mußte. Solche Mechanismen konnten stets reaktiviert werden, wenn die Situation einen ethnizistischen Rückgriff auf das konstitutive Feindbild des jerosolymitanischen Mythomoteurs erforderlich erscheinen ließ. Geradezu gewohnheitsmäßig prangert Fulcher daher etwa die solit[a] saeviti[a]440 oder die solita protervia441 der muslimischen Askaloniten an, auf die auch Wilhelm von Tyrus mit einem besonders drastischen Bild verweist, wenn er sie anläßlich eines weiteren

432 433 434 435 436 437 438 439 440 441

FvC II.xxxi.4. FvC II.xxxii.8. FvC II.xxxii.3. WvT XI.iii.48–50. FvC II.xxxi.9. Ihre Bedeutung geht tatsächlich deutlich über jenen »alltäglichen Kleinkrieg« (Epp, Fulcher von Chartres, 43) hinaus, in dem sich die Feindschaft mit den Muslimen in dieser Zeit angeblich erschöpft habe. Vgl. Asbridge, Crusades, 134ff; Brett, ›Battles‹. Vgl. ibid. FvC Prologus.4. FvC II.xxxvii.2. FvC III.xxxvii.3.

114

Fremd- und Feindbilder

Angriffs auf das Königreich im Jahre 1113 als vermes inquieti442 bezeichnet. Gerade dieses starke Bild des Schädlings verdeutlicht die ethnizistische Abgrenzungsstrategie Wilhelms, welche er in diesem Falle zusätzlich verstärkt, indem er direkt im Anschluß hinzufügt, daß die Truppen aus Askalon die Ernte auf den Feldern vor Jerusalem verbrannt hätten. Eine vergleichbare Metapher gebraucht er zur Beschreibung des Heeres Maududs von Mosul, welches ebenfalls im Jahre 1113 nach einer Niederlage der Jerosolymitaner über Syrien ins Königreich einfiel.443 Zu Beginn seines Kapitels über die Invasion verweist Wilhelm auf die Herkunft der Feinde aus Persien, que mala semper consuevit effundere germina, ex qua tanquam ex fonte pernicioso aque solent pestilentes derivare.444 Der muslimische Gegner erscheint im Chronicon in Bedrohungssituationen also als Schädling, Unkraut oder unreines Wasser. Er wird in solchen ethnizistischen Reaktionen nicht nur über die Ablehnung des Christentums definiert, sondern er wird regelrecht dehumanisiert.

b.

Unwissen und Verachtung – Muslime in der antiochenischen Historiographie

Eine identitätsstiftende Funktion kommt der Opposition zu den Muslimen zweifelsohne auch in der antiochenischen Historiographie zu, wobei die Rolle des wichtigsten muslimischen Gegenspielers dort durch die in Nordsyrien dominanten Türken und nicht durch die Fatimiden ausgefüllt wird. Am Anfang der Geschichte des Fürstentums Antiochia stand ebenso wie im Falle des Königreiches Jerusalem ein Kampf mit einem muslimischen Gegner, und diese Grundopposition mußte sich folglich auch im lateinisch-antiochenischen Mythomoteur niederschlagen. Erwartungsgemäß sind daher auch die antiochenischen Texte der Gesta-Familie sowie die Gesta Tancredi und die Bella Antiochena von den üblichen Beschimpfungen gegen die Muslime durchsetzt, die als pagani,445 als inimici Dei,446 als infideles447 oder inpii448 bezeichnet werden. Allerdings greift von den Historiographen aus dem antiochenischen Kontext allein Radulf von Caen auch den Propheten Mohammed an, wobei sich sein Schmähen auf einige Sätze beschränkt, die er Tankred im Moment der Plünderung der al-Aqsa-Moschee während der Eroberung Jerusalems in den Mund 442 443 444 445 446 447 448

WvT XI.xx.2. Vgl. Mayer, Kreuzzüge, 95f. WvT XI.xix.2–4. GF und PT passim. GF IV.x, VI.xxxiv, Ix.xxvi; RvC LXIX. RvC XXII, XL, CXXXVI, CLVI; WdK I.xiii.6, II.xvi.6. WdK passim.

Abgrenzung von den Muslimen in Jerusalem und Antiochia

115

legt. Angeblich habe der Normannenführer bei dieser Gelegenheit in der Moschee ein aus Silber gefertigtes, mit Gold überzogenes und mit Juwelen besetztes Götzenbild gefunden, welches Mohammed darstellte, wobei er ausgerufen habe: pristinus Antichristus, / Mahummet pravus, Mahummet perniciosus.449 Gerade diese Interpretation des islamischen Propheten als Antichrist scheint das Mohammed- und Islam-Bild Radulfs geprägt zu haben. Seine Worte legen Zeugnis ab von einem für die antiochenischen Autoren insgesamt charakteristischen Unverständnis der islamischen Religion. So scheinen sie – anders als etwa Wilhelm von Tyrus – nicht über ein klares Bewußtsein dafür verfügt zu haben, daß Muslime in Mohammed nicht Gott sehen, sondern dessen Propheten. In den Gesta Francorum schwören die Muslime beim Namen Mohammeds,450 und Radulf von Caen stellt die Kreuzfahrer als Anhänger Christi den Muslimen als Anhänger Mohammeds gegenüber. Die Eroberung Jerusalems ist für ihn ein Sieg Christi und eine Niederlage Mohammeds.451 Explizit findet sich der Gedanke, Mohammed sei der Gott der Muslime, wenn Kerboga in den Gesta Tancredi die Kreuzfahrer beschuldigt, durch ihre Präsenz in Syrien deum Mahummet452 zu beleidigen. Aberglaube wie auch regelrechter Polytheismus453 werden den Muslimen ebenfalls in mehreren Fällen vorgeworfen. Mag auch bisweilen bewußte Verunglimpfung bei diesen Fehldarstellungen des Islam vorliegen, so muß dennoch darauf verwiesen werden, daß in Antiochia schon vor dem Kreuzzug die Mehrheit der Bevölkerung von den orientalischen Christen gestellt wurde,454 daß die vergleichsweise wenigen Muslime zudem im 449 450 451 452 453 454

RvC CXXIX. GF IX.xxi, X.xxxix. RvC CXXIV. RvC LXXXII. Vgl. GF IX.xxi, IX.xxii; WdK I.vi. Zu den verschiedenen religiösen Gruppen in den Kreuzfahrerstaaten sowie zur Schwierigkeit, klare Kategorisierungen zu entwickeln vgl. Jotischky, Andrew, ›Ethnographic Attitudes in the Crusader States. The Franks and the Indigenous Orthodox People‹, in: East and West in the Crusader States. Context – Contacts – Confrontations III. Acts of the Congress held at Hernen Castle in September 2000, hg. v. Krijnie Ciggaar u. Herman Teule (= Orientalia Lovaniensia Analecta; 125), Löwen 2003, 2–19, 3f; MacEvitt, Christopher, Art. ›City of Antioch‹, in: CE 1:64–66; Ders., The Crusades and the Christian World of the East. Rough Tolerance, Philadelphia 2008, 7–12; Weltecke, Dorothea, ›The Syriac Orthodox in the Principality of Antioch during the Crusader Period‹, in: East and West in the Medieval Eastern Mediterranean I. Antioch from the Byzantine Reconquest until the End of the Crusader Principality. Acta of the Congress held at Hernen Castle in May 2003, hg. v. Krijnie Ciggaar u. M. Metcalf (= Orientalia Lovaniensia Analecta; 147), Löwen 2006, 95–124. Neben kleineren Gruppen gab es im Orient drei große christliche Gemeinschaften mit eigenen kirchlichen Hierarchien. Sie unterschieden sich im Hinblick auf ihre jeweilige Position zur christologischen Lehrformel des Konzils von Chalcedon im Jahre 451 (vgl. Breuning, Wilhelm, Art. ›Das Konzil v. Chalkedon‹, in: LThK 2:999–1002), gemäß welcher die Person Christi dessen zwei Naturen – die göttliche und die menschliche – in sich

116

Fremd- und Feindbilder

Anschluß an die Eroberung durch die Kreuzfahrer aus der Stadt vertrieben wurden. Insofern ist es möglich, daß tatsächlich auch Unkenntnis der theologischen Grundlagen des Islam an dessen verzerrter Darstellung in den antiochenischen Quellen einen Anteil hatte. Dies dürfte insbesondere im Hinblick auf die früh entstandenen Gesta Francorum und die von diesen abhängige Historia des Tudebodus gelten; nicht allein böser Wille, sondern auch Unwissen dürfte allerdings selbst noch die vergleichsweise spät entstandenen Bella Antiochena geprägt haben.455 Dennoch kann kein Zweifel bestehen, daß die Opposition zu den muslimischen Türken für die Antiochener eine wichtige Funktion der Abgrenzung erfüllte. Dies gilt insbesondere für die Zeit ab etwa 1114, welcher sich Walter der Kanzler widmet. Denn es sind vor allem die Bella Antiochena, in denen eine über antiislamische Gemeinplätze der Kreuzzugspropaganda hinausgehende, an die spezifische Situation der Lateiner in Antiochia gebundene Auseinandersetzung mit den Muslimen erfolgte. Der antiochenische Kanzler Walter war selbst 1119 auf dem Ager sanguinis in türkische Gefangenschaft geraten und hatte dort grausame Mißhandlungen der Gefangenen miterlebt. In den früheren antiochenischen Texten resultiert die Feindschaft dem Islam gegenüber aus dem ersten Kreuzzug selbst. Bei Walter dem Kanzler kommen persönliche Erlebnisse in der Zeit seit 1114 und im Hinblick auf die Antiochener insgesamt das Trauma des Jahres 1119 hinzu. Folglich spielt die Abgrenzung von den Muslimen in den Bella Antiochena eine größere Rolle. Verkörpert wird das negativ dargestellte muslimische Gegenüber durch die Figur Ilgazis, der auf dem Blutfeld an der Spitze des türkischen Heeres gestanden hatte. Ilgazi ist für Walter der nefandorum princ[eps],456 dessen Befehl die inpii itaque laeto animo457 Folge leisten. Das Übel, welches die Ereignisse des Sommers 1119 über Antiochia brachten, resultierte für den antiochenischen Kanzler aus den Sünden des Volkes, unter untrennbar vereine. In der Folgezeit gingen theologische Unterschiede mit divergenten politischen Interessen einher. Die größte Gruppe bildeten die auch als Griechisch-Orthodoxe bezeichneten Melkiten, welche die Christologie des Konzils anerkannten und ihre auf das syrische Wort malka¯ (König) zurückzuführende Bezeichnung aufgrund ihrer Loyalität zum byzantinischen Kaisertum erhielten. Die Anhänger der syrisch-orthodoxen Kirche hingegen lehnten die Beschlüsse von Chalcedon ab und vertaten eine miaphysitische Christologie, welche von einer einzigen, Göttliches und Menschliches in sich vereinenden Natur Christi ausgeht (mitunter auch als Monophysitismus bezeichnet. Zur Unterscheidung und zu den Gründen für die Verwendung des Begriffes Miaphysiten vgl. MacEvitt, Rought Tolerance, 9 m. Anm. 8). Auch die historisch von Byzanz weniger abhängigen Armenier, die in Nordsyrien und speziell in Kilikien sehr zahlreich waren, lehnten die Beschlüsse von Chalcedon grundsätzlich ab, gerieten aber dennoch politisch wie theologisch immer wieder unter den Einfluß Konstantinopels. 455 Vgl. Asbridge u. Edgington, ›Introduction‹, 67. 456 WdK II.vi.7. 457 WdK II.vi.7.

Abgrenzung von den Muslimen in Jerusalem und Antiochia

117

denen ein vorausgegangenes Zweckbündnis der Antiochener mit Ilgazi hervorsticht.458 In diesem Bündnis erkennt Walter schon im ersten Buch der Bella Antiochena die societa[s] Belial459 – den sprichwörtlichen Pakt mit dem Teufel.460 Diesen Gedanken läßt er nach der Niederlage auf dem Ager sanguinis den Ritter Euterpius geradezu herausschreien, als er versucht, die Schändung der Feldkapelle im Lager der Antiochener durch die siegreichen Türken zu verhindern: quae societas Christi ad Belial?.461 Der Ritter stürzt sich auf die Feinde und tötet einen Emir, bevor er selbst übermannt wird und das Martyrium erleidet. Bislang ist nicht erkannt worden, daß in diesen Worten nicht nur eine Wiederholung der Gleichsetzung der Muslime mit dem Teufel vorliegt.462 Einerseits soll zwar sicherlich auf die Schändung der Kapelle verwiesen werden, andererseits jedoch erscheint hier erneut eine Kritik am früheren Bündnis mit eben jenen Schändern. Die zitierten Worte nämlich entstammen einer längeren Passage des zweiten Korintherbriefes, in welcher der Apostel Paulus seine Adressaten ermahnt: nolite iugum ducere cum infidelibus quae enim participatio iustitiae cum iniquitate aut quae societas luci ad tenebras quae autem conventio Christi ad Belial aut quae pars fideli cum infidele.463

Der finale Schrei des Euterpius vor seinem Martyrium ist wohl in erster Linie nicht an seine türkischen Gegner gerichtet, sondern an das Publikum Walters des Kanzlers, dem durch die Anspielung auf die biblischen Worte noch einmal signalisiert werden soll, daß das Unglück Antiochias nicht zuletzt auf das Bündnis mit dem Teufel zurückzuführen ist. Die Botschaft ist eindeutig: Mit dem Bündnis wurden Grenzen überschritten und damit verwischt, die für das Selbstverständnis der Lateiner im Fürstentum Antiochia elementar sind. Doch so eindeutig die Stellung der Muslime als Hauptgegner Antiochias in den antiochenischen Texten und insbesondere bei Walter dem Kanzler auch erscheinen mag, muß doch darauf verwiesen werden, daß auch eine andere Feindschaft eine identitätsstiftende Wirkung entfaltete.

458 459 460 461 462

Vgl. Asbridge u. Edgington, ›Introduction‹, 63ff. WdK II.iv.5. Vgl. Asbridge u. Edgington, ›Introduction‹, 66. WdK II.iv.5. Diese Deutung legt die falsche Übersetzung der Passage durch Asbridge und Edgington nahe. »Has Christ’s fellowship gone to the devil? You are dividing the spoils, but the shareout is not equal.« (WdKÜ II.vi). 463 II Cor 6:14–15.

118

2.

Fremd- und Feindbilder

timeo Danaos et dona ferentes – das Bild der Byzantiner in den lateinisch-orientalischen Quellen Audivimus […] quantis calamitatibus, quantis incommoditatibus, quam diris contritionibus […] Christiani, fratres nostri, membra Christi, flagellantur, opprimuntur, injuriantur. Germani fratres vestri, contubernales vestri, couterini vestri […] in ipsis domibus hæreditariis […]. Effunditur sanguis Christianus, Christi sanguine redemptus; et caro Christiana, carni Christi consanguinea, nefandis ineptiis et servitutibus nefariis mancipatur.464

Im Bericht Baldrichs von Dol zur Synode in Clermont bereitet Urban II. mit diesen Worten sein Publikum auf den folgenden Aufruf zum Zug in den Orient vor.465 Grundlage dieser Sätze des Papstes ist eine klare Dichotomie zwischen orientalischen Christen einerseits und Muslimen andererseits – zwischen Gut und Böse, Licht und Schatten, Opfer und Täter. Die Worte des Papstes lassen keinen Raum für Nuancen. Allein auf Grundlage dieser für andere zeitgenössische Versionen der Predigt Urbans durchaus repräsentativen466 Aussagen könnte beinahe vergessen werden, daß im Jahre 1095 der keine vier Jahrzehnte zuvor durch das Morgenländische Schisma aufgerissene und bis in die Gegenwart fortbestehende Bruch zwischen Ost- und Westkirche unverändert bestand.467 Tatsächlich reflektieren die Kreuzzugschroniken bei ihren Berichten zu der Zusammenkunft in Clermont die schon im Vorfeld des ersten Kreuzzuges während des Pontifikates Gregors VII. einsetzende Annäherung zwischen den Kirchen Roms und Konstantinopels, die allerdings auch unter Urban II. keine dauerhaften Ergebnisse bringen sollte. Obwohl nämlich Kaiser Alexios I. Komnenos Mitte der 1090er Jahre Gesandte nach Europa geschickt hatte, um dort beim Papst um Unterstützung gegen die Bedrohung durch die Türken zu wer464 BvD I.iv. 465 Zum Kreuzzugsaufruf von Clermont vgl. Cole, Penny J., The Preaching of the Crusades to the Holy Land: 1095–1270 (= Medieval Academy Books; 98), Cambridge/MA 1991, 1–36; Munro, Dana Carleton, ›The Speech of Pope Urban II at Clermont, 1095‹, in: The American Historical Review (11; 1906), 231–242; Strack, Georg, ›The Sermon of Urban II in Clermont and the Tradition of Papal Oratory‹, in: Medieval Sermon Studies (56; 2012), 30–45. 466 Vgl. GvN II.i; RdM I.i. Ähnlich auch ein Brief Urbans II. an die Flamen aus der Zeit kurz nach der Synode in Clermont (Epistvlæ et Chartæ ad Historiam Primi Belli Sacri Spectantes quæ svpersvnt Ævo Æqvales ac Genuinæ. Die Kreuzzugsbreife aus den Jahren 1088–1100. Eine Quellensammlung zur Geschichte des ersten Kreuzzuges mit Erläuterungen, hg. v. Heinrich Hagenmeyer, Innsbruck 1901 (fortan EC), Nr. II). Eine Abweichung läßt sich hingegen in den Gesta Francorum (Vgl. GF I.i) ausmachen. 467 Vgl. Bayer, Axel, Art. ›Morgenländisches Schisma‹, in: LThK 7:470–474; Hamilton, Bernard, The Latin Church in the Crusader States. The Secular Church, London 1980, 1ff; Lilie, Ralph-Johannes, Einführung in die byzantinische Geschichte, Stuttgart 2007, 78ff; Runciman, Steven, The Eastern Schism: A Study of the Papacy and the Eastern Churches during the XIth and XIIth Centuries, Oxford 1955.

Das Bild der Byzantiner in den lateinisch-orientalischen Quellen

119

ben, bestand 1095 mitnichten eine einheitliche Front der gesamten Christianitas gegen eine dieser – ebenfalls nur vermeintlich geeint – entgegenstehende islamische Welt.468 Tatsächlich kam es jedoch auch schon während des Kreuzzuges zu Konflikten mit den Byzantinern, die sich im Laufe des 12. Jahrhunderts verschärften. Keine zwanzig Jahre nach dem Ende des in dieser Arbeit abgedeckten Zeitraums erstürmten und plünderten im April 1204 – etwas über einhundert Jahre nach der Einnahme Jerusalems – die Teilnehmer des vierten Kreuzzuges Konstantinopel.469 Die ursprüngliche Kreuzzugsidee erscheint in diesem Ereignis bis zur Unkenntlichkeit pervertiert, und aus den Helfern der bedrängten Christen des Ostens waren deren Feinde geworden. Mitunter wird daher die gesamte Kreuzzugsbewegung und mit ihr die lateinische Präsenz in der Levante vor dem Hintergrund des vierten Kreuzzuges betrachtet und eine direkte ideelle Kontinuität von den ersten Kreuzfahrern zu den Plünderern Konstantinopels hergestellt. Sibyll Kindlimann bezeichnet die Eroberung der Hauptstadt des byzantinischen Reiches prägnant als ein »Ceterum censeo«,470 als ein Desiderat also, das im Kontext der Kreuzzugsbewegung in ähnlicher Vehemenz und Frequenz aufgetaucht sei wie die berühmte Einforderung der Zerstörung Karthagos durch Cato den Älteren. Obgleich eine solche direkte Kontinuitätslinie der Komplexität der Kreuzzugsbewegung und ihrer Entwicklung im Laufe des 12. Jahrhunderts 468 Vgl. Lilie, Byzanz, 33. 469 Zum vierten Kreuzzug vgl. Angold, Michael, The Fourth Crusade: Event and Context, Harlow 2003, 75–108; Ders., ›The Road to 1204: The Byzantine Background to the Fourth Crusade‹, in: Journal of Medieval History (25; 1999), 257–278; Lilie, Byzanz, 157–180; Madden, Thomas F., ›Outside and inside the Fourth Crusade‹, in: International History Review (17; 1995), 726–743; Phillips, Jonathan, The Fourth Crusade and the Sack of Constantinople, New York 2004, 5ff u. 310–320; Runciman, History III, 107–131. Schließlich wurden im 13. Jahrhundert Kreuzzüge auch gegen Heiden und Häretiker in Europa geführt, womit das ursprüngliche Konzept einer bewaffneten Pilgerfahrt nach Jerusalem nur noch eines von mehreren Modellen war, das zudem nach dem Fall von Akkon als Exilhauptstadt des Königreiches Jerusalem im Jahre 1291 immer weiter an Bedeutung verlor. Zur Vielfältigkeit der Kreuzzugsoptionen vgl. Riley-Smith, Jonathan Simon Christopher, The Crusades. A History, London 2005 (2. Aufl., 1. Aufl. 1987), 161–171, 195–207 u. bes. 245ff. Freilich scheiden sich an der Definition dessen, was einen Kreuzzug ausmachte, die Geister in der Forschung in die Lager der Traditionalisten, Pluralisten und Generalisten. Während die Traditionalisten allein Kämpfe gegen die Muslime zur Eroberung beziehungsweise Sicherung des Heiligen Landes als echte Kreuzzüge gelten lassen, stellt die päpstliche Autorisierung für die Pluralisten die condicio sine qua non eines wirklichen Kreuzzuges dar. Für die Generalisten hingegen können diverse Formen des Krieges im Namen Gottes als Kreuzzüge aufgefaßt werden, ohne daß diese Kategorisierung an ein bestimmtes Ziel, einen bestimmten Gegner oder eine bestimmte Autorität gebunden wäre. Zu dieser Debatte vgl. Constable, Crusaders, 18–22. 470 Kindlimann, Sibyll, Die Eroberung von Konstantinopel als politische Forderung des Westens im Hochmittelalter. Studien zur Entwicklung der Idee eines lateinischen Kaiserreichs in Byzanz, Zürich 1969, 220.

120

Fremd- und Feindbilder

nicht gerecht wird, ist unbestreitbar, daß eine negative Haltung gegenüber den Byzantinern in der Kreuzzugshistoriographie schon sehr früh nachweisbar ist. Häufig werden den Griechen Feigheit, Hinterlist, Verrat und Verweichlichung vorgeworfen.471 Die Hintergründe dieser Graecophobie im Rahmen der Kreuzzugsbewegung sind vielschichtig. Nicht zu unterschätzen ist der Einfluß antiker Vorurteile über die Graecia fallax,472 die insbesondere durch die intensive und weit verbreitete Rezeption der Aeneis Eingang in die Kreuzzugshistoriographie fanden. Aus diesem Reservoir schöpften die Lateiner, wenn sie byzantinisches Fehlverhalten zu beobachten glaubten.473 Daß die Byzantiner des 12. Jahrhunderts in der Tat mit den Griechen der Antike assoziiert wurden, zeigt sich an den Rückgriffen auf die berühmten Vergil-Worte timeo Danaos et dona ferentes,474 um vor der Verschlagenheit des griechischen Gegenübers zu warnen.475 Einen Einfluß hatten sicherlich auch religiöse Unterschiede. Das Schisma von 1054 hatte die schon lange zurückreichende theologische Entfremdung zwischen Lateinern und Griechen formalisiert, wobei gerade die Genese des ersten Kreuzzuges immer auch im Zeichen päpstlicher Bemühungen um Annäherung und Überwindung der Kluft stand.476 Ein solches Fehlverhalten erkennen die Quellen recht einhellig im Ausbleiben militärischer Hilfe für den ersten Kreuzzug nach der Belagerung Nicaeas im Sommer 1097. Als konkreter Wendepunkt, an dem ein nachhaltiger Bruch zwischen Lateinern und Byzantinern eintrat, wird in der Forschung die Belagerung Antiochias in den Jahren 1097 und 1098 genannt. Antiochia war ohne signifikante Hilfe des Kaisers und unter schlimmsten Entbehrungen erobert und sofort anschließend gegen Kerboga von Mosul verteidigt worden. Stolz auf die allein errungene Leistung habe gemäß einer verbreiteten Deutung in Kombination mit Enttäuschung über die ausgebliebene Unterstützung durch die Byzantiner zu einer nachhaltigen Ausprägung und Verankerung der Graecophobie geführt.477 Als bestes Beweisstück dieser Interpretation gilt der von den 471 Vgl. Kindlimann, Eroberung, 79–98. 472 Gaius Valerius Flaccus, Argonautica, hg., übers. u. komm. v. Paul Dräger, Frankfurt am Main 2003, VIII.275. 473 Vgl. Kindlimann, Eroberung, passim. 474 Vergil, Aeneis, II.49. 475 Vgl. z. B. ›Historia Peregrinorum‹, hg. v. Anton Chroust, in: Quellen zur Geschichte des Kreuzzuges Kaiser Friedrichs I., hg. v. Dems. (= MGH SS rer. Germ. N.S.; 5), Berlin 1928, 116–172, 132.14; Odo von Deuil, La Croisade de Louis VII Roi de France, hg. v. Henri Waquet (= Documents Relatifs — la Croisade; 3), Paris 1949, II; WvT XI.vi.15; XX.ii.7–8. 476 Vgl. Hamilton, Church, 1ff; Lilie, Einführung, 78ff. 477 Vgl. Albu Hanawalt, Emily, ›Norman Views of Eastern Christendom: From the First Crusade to the Principality of Antioch‹, in: The Meeting of Two Worlds: Cultural Exchange between East and West during the Period of the Crusades, hg. v. Vladimir P. Goss (= Studies in Medieval Culture; 21), Kalamazoo 1986, 115–121, 117; Kindlimann, Eroberung, 78ff; Lilie, Byzanz, 57f.

Das Bild der Byzantiner in den lateinisch-orientalischen Quellen

121

Kreuzzugsführern nach der Eroberung Antiochias verfaßte Brief an Urban II., in dem der Papst dazu aufgefordert wird, in den Osten zu kommen, um dort nach dem Sieg über die Muslime den Kampf gegen die griechischen und anderen orientalisch-christlichen Häretiker anzuführen.478 Noch kurze Zeit zuvor hatte hingegen Graf Stefan von Blois seiner Frau Adela gegenüber in einem bei der Belagerung Nicaeas verfaßten Brief seiner Bewunderung für Kaiser Alexios Ausdruck verliehen: in ueritate tibi dico, hodie talis uiuens homo non est sub caelo. Ipse enim omnes principes nostros largissime ditat, milites cunctos donis releuat, pauperes omnes dapibus recreat.479

Es stellt sich also die Frage, welche Rolle die Historiographien des Königreiches Jerusalem und des Fürstentums Antiochia den Byzantinern zuweisen. Erfüllte die Opposition zu den Griechen gegebenenfalls neben der Feindschaft mit den Muslimen ebenfalls die Funktion einer identitätsstiftenden Abgrenzung? Sind Unterschiede zwischen antiochenischen und jerosolymitanischen Texten zu beobachten?

a.

Byzanz und die Ursprünge des Kreuzzuges

Blickt man auf den Beginn des ersten Kreuzzuges, ist eine feindliche Haltung gegen die Byzantiner zunächst nicht zu beobachten. Die meisten Versionen des Kreuzzugsaufrufes Urbans II. sind durch ein wichtiges gemeinsames Element gekennzeichnet, das auf Genese und Legitimation des Kreuzzugsvorhabens des Papstes rekurriert: In allen Fällen wird mehr oder weniger ausführlich auf die Christen des Orients verwiesen, wird hervorgehoben, daß die Glaubensbrüder jenseits des Meeres unter Angriffen der Muslime zu leiden hätten und daß die Anhänger des Islam christliche Städte und Gegenden besetzt und unterjocht hätten. Hieraus ergibt sich in diesen Versionen der Predigt von Clermont eine Aufforderung zur Hilfeleistung.480 Stets bauen die historiographischen Texte eine emotionale Verbindung zu den Christen des Ostens auf, die es zu befreien gelte,481 und auch die erhaltenen Briefe des Papstes aus dieser Zeit sind von 478 Vgl. EC Nr. XVI. Zu dieser Interpretation des Briefs vgl. Kindlimann, Eroberung, 116f. 479 EC Nr. IV. Zur Bewunderung der Kreuzfahrer für Alexios vor der Belagerung von Antiochia siehe auch Kindlimann, Eroberung, 68ff. 480 Vgl. Erdmann, Carl, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens (= Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte; 6), Stuttgart 1935, 301ff; Kindlimann, Eroberung, 57ff; Krey, August C., ›Urban’s Crusade. Success or Failure?‹, in: American Historical Review (53; 1948), 235–250. 481 Vgl. BvD I.iv ; Fulk IV. von Anjou, ›Fragmentum historiae Andegavensis‹, in: Chroniques des Comtes d’Anjou et des Seigneurs d’Amboise, hg. v. Louis Halphen u. Ren¦ Poupardin,

122

Fremd- und Feindbilder

diesem Motiv geprägt.482 Mitunter werden sogar die besondere Würde und Bedeutung der orientalischen Christenheit herausgestellt und gegenüber der lateinischen Kirche hervorgehoben, wie etwa in der Version Baldrichs von Dol: Christi milites audacter procedite, et ad defendendam Orientalem Ecclesiam velocius concurrite. Hæc est enim de qua totius vestræ salutis emanaverunt gaudia, quæ distillavit in os vestrum divini lactis verba, quæ vobis propinavit Evangeliorum sacrosancta dogmata.483

Die jerosolymitanischen Autoren stellen bei ihren Versionen des Aufrufs eine vergleichbare Haltung zur Christenheit der Levante zur Schau, und Wilhelm von Tyrus legt besonderen Wert darauf, die Verbundenheit mit den fratribus nostris484 zu akzentuieren und die tatsächlichen theologischen Risse zu übertünchen, wenn er von einem laudabilis populus spricht, dessen Söhne er als matris ecclesie cara pignora485 bezeichnet. Eine Binnendifferenzierung der verschiedenen christlichen Teilkirchen des Orients wird dabei in der Regel nicht vorgenommen; zumeist ist lediglich von den Christiani oder der Orientalis Ecclesia die Rede, so daß neben der griechischen Orthodoxie implizit auch andere christliche Kirchen eingeschlossen werden. Teilweise wird jedoch auch speziell auf die Griechen verwiesen, wie etwa durch Bartolf von Nangis, der explizit den Einfall der Türken in die imperii[…] Constantinopolitani interiores partes486 beklagt.487 Robert der Mönch nennt neben den üblichen religiösen Rechtfertigungen auch einen eher säkularen Grund für die Aufnahme des Kampfes gegen die Muslime: Regnum Græcorum jam ab eis ita emutilatum est et suis usibus emancipatum quod transmeari non potest itinere duorum mensium.488 Auch Graf Fulk IV. von Anjou sah als Kreuzzugsziel die Befreiung des byzantinischen Territoriums, das nun unter muslimischer Herrschaft war : papa Romanus Urbanus […] ammonuit gentem nostram ut irent Jerusalem expugnaturi gentilem populum qui civitatem illam et totam terram christianorum usque Constantinopolim occupaverant.489

482 483 484 485 486 487 488 489

Paris 1913, 232–238, 237f; FvC II.iii.2–3; OV IX.ii; HNvA II; RdM I.i; WvM IV.347; WvT I.xv. Vgl. ›Epistula Urbani II papae ad omnes fideles in Flandria commorantes‹ (EC Nr. II); ›Epistula Urbani II papae ad Bononienses‹ (EC Nr. III). BvD I.iv. WvT I.xv.87. WvT I.xv.61–64. BvN I. Vgl. außerdem OV IX.ii; RdM I.i. RdM I.i. Fulk von Anjou, ›Fragmentum‹, 237f.

Das Bild der Byzantiner in den lateinisch-orientalischen Quellen

123

Neben der Einschränkung der Ausübung der christlichen Religion durch die Muslime gerät hier also auch die territoriale Verstümmelung des byzantinischen Reiches durch die Seldschuken zum kriegsbegründenden Skandalon.490 Ohne Zweifel soll diese sehr positive Darstellungsweise, diese Zurschaustellung starker Verbundenheit mit den Christen des Ostens vor allem die Gefühle der Kreuzfahrer zu Beginn des Unternehmens ausdrücken, bevor der Kaiser die Byzantiner durch mangelnde Hilfeleistungen in Mißkredit gebracht hatte. Allerdings sind alle hier zitierten Berichte mit einigem Abstand zu den Ereignissen entstanden und spiegeln daher immer auch die Haltung der Autoren zu diesem späteren Zeitpunkt wider, als der Bruch mit Byzanz schon stattgefunden hatte.491 Somit lassen sich die Quellen immerhin nicht als unreflektiert und bedingungslos antibyzantinisch bezeichnen. Die Ressentiments gegenüber den Griechen waren offenbar bei den hier behandelten Autoren nicht stark genug, um schon zu Beginn ihrer Werke an herausragender Stelle einen Niederschlag zu finden. Im Gegenteil setzen diese Kreuzzugshistoriographen einen klar griechenfreundlichen Auftakt und das spätere Verhalten Alexios’ erscheint eher als Aberration denn als Norm. Ein ganz anderes Bild in Bezug auf die orientalischen Christen allerdings präsentiert sich in den lateinisch-antiochenischen Texten. Radulf von Caen weist lediglich darauf hin, daß sich die Hinwendung Tankreds zum Krieg gegen die Muslime entwickelt habe, postquam Urbani papæ sententia universis Christianorum gentilia expugnaturis peccatorum omnium remissionem ascripsit.492 Der Hintergrund des Kreuzzuges wird hier auf die Vergebung der Sünden als Belohnung für den Kampf gegen die Muslime reduziert,493 wohingegen der Gedanke der Hilfeleistung für die Christen des Orients überhaupt nicht in Erscheinung tritt. Ganz ähnlich läßt sich dies auch in den Gesta Francorum und in der Historia des Tudebodus beobachten. Beide Texte beschränken sich auf das Konzept des Krieges gegen die Ungläubigen als Akt der Buße und heben gegenüber Radulf von Caen lediglich die Christusnachfolge als weiteren Aspekt 490 Vgl. Kindlimann, Eroberung, 58f; Munro, ›Urban II‹, 236f. Vor diesem Hintergrund muß es überraschen, wenn Cole behauptet, »nowhere in any version of Urban’s sermon is mention made of Byzantium.« Cole, Preaching, 3. 491 Mitunter werden die Quellen jedoch wie unmittelbare Stimmungsbarometer gelesen, die jeweils nur die Haltung zum beschriebenen Zeitpunkt abbilden. Vgl. z. B. Kindlimann, Eroberung, 57–63. Kindlimann hebt zwar selbst hervor, »daß die meisten dieser Urteile nicht im Moment selber in dieser Form entstanden sind, sondern aus der Ru¨ ckschau gegeschrieben [sic] wurden« (ibid., 63). Allerdings bezieht sie dieses Caveat bezeichnenderweise auf die Negativäußerungen in den Quellen, wohingegen sie zuvor die positiven Äußerungen als authentische Zeugnisse behandelt, die der zu Beginn des Zuges vorherrschenden pro-byzantinischen Stimmung geschuldet gewesen seien. 492 RvC I. 493 Zu diesem Konzept Vgl. Riley-Smith, Idea, 27ff.

124

Fremd- und Feindbilder

hervor.494 Diese Diskrepanz bei der Darstellung der Hintergründe und der Rechtfertigung des ersten Kreuzzuges, die zwischen der antiochenischen Überlieferung und anderen zeitgenössischen Versionen des Kreuzzugsaufrufes von Clermont besteht, bietet einen Hinweis auf ein wichtiges Charakteristikum der antiochenischen Historiographie – auf die Feindschaft zwischen den mediterranen Normannen und Byzanz.

b.

Kampfestüchtige Barbaren und verweichlichte Zivilisationsmenschen – das normannisch-byzantinische Verhältnis vor dem ersten Kreuzzug

Die Ursprünge dieser normannisch-byzantinischen Feindschaft lassen sich auf vorangegangene Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft in Süditalien, auf Sizilien und – direkt vor dem Kreuzzug – in der Adria495 zurückführen, beruhen aber auch auf der um 1100 schon lange etablierten Beschäftigung normannischer Söldner durch das byzantinische Reich.496 Zu Beginn des 11. Jahrhunderts durchlief dessen Heeresverfassung eine Zeit des Wandels. Hatten schon zuvor reichsfremde Söldnerverbände eine wichtige Funktion in der Landesverteidigung eingenommen, standen nun immer weniger reguläre landeseigene Verbände zur Verfügung. Das steigerte den Bedarf nach Söldnern und die entstandene Lücke wurde nicht zuletzt durch Normannen gefüllt, die von den Ufern des Ärmelkanals ebenso in das Reich kamen wie von beiden Seiten der Straße von Messina. Unter der Führung des Generals Georgios Maniakes nahmen normannische Söldner Ende der 1030er Jahre an einem byzantinischen Versuch zur Rückeroberung Siziliens von den Arabern teil. Als es im Zuge von Unstimmigkeiten über die Auszahlung des Soldes zum Streit mit den Byzantinern kam, setzten die Normannen wieder nach Süditalien über. Dort schlossen sie sich einem allgemeinen Aufstand gegen die Griechen an und begannen in den 1040er Jahren damit, Apulien und Kalabrien der eigenen Herrschaft zu unterwerfen. In dieser Zeit handelten die Normannen nicht als Einheit, sondern es waren verschiedene kleinere Gefolgschaftsgruppen unter der Leitung heraus494 GF I.i; PT 32. 495 Zur Geschichte dieses Konfliktes vor dem ersten Kreuzzug vgl. Jenal, Anton, ›Der Kampf um Durazzo 1107–1108 mit dem Gedicht des Tortarius‹, in: Historisches Jahrbuch (37; 1916), 285–352; Kindlimann, Eroberung, 31–55; Plassmann, Normannen, 108ff. 496 Kindlimann setzt bei ihren Ausführungen schon sehr viel früher an und legt eine klassisch primordialistische ethnische Kontinuitätslinie zwischen den Normannen aus Kiew und Nowgorod und den mediterranen Normannen zu Grunde. Sie überträgt daher Beobachtungen zu den frühen Begegnungen der Byzantiner mit den Normannen des Rus auf die Auseinandersetzungen mit den mediterranen Normannen und glaubt, die Konflikte des Hochmittelalters direkt aus den im Frühmittelalter etablierten Mustern ableiten zu können. Vgl. Kindlimann, Eroberung, 17ff.

Das Bild der Byzantiner in den lateinisch-orientalischen Quellen

125

ragender Anführer, die sich allmählich ihre eigenen Territorien eroberten. Allerdings setzte sich seit den 1050er Jahren immer stärker das Geschlecht der Hauteville-la-Guichard durch, dessen Mitglied Robert Guiscard an die Spitze der Normannen in Süditalien trat. Den Höhepunkt der normannischen Macht im zentralen Mittelmeer erreichte Roberts Bruder Roger, der in den 1160er und frühen 1170er Jahren auch Sizilien erobern konnte.497 In den Jahrzehnten zwischen der Etablierung der Normannen in Süditalien und dem ersten Kreuzzug gab es jedoch keine klare Einteilung in eine normannische und eine byzantinische Partei. Vielmehr suchten jene Normannen, die nicht zu den Profiteuren des Aufstiegs der Familie Hauteville-la-Guichard gehörten, nicht selten ihr Glück im östlichen Mittelmeer im Dienst des Kaisers von Konstantinopel. Unter ihnen waren auch Feinde Robert Guiscards, die dieser verdrängt hatte. Die Byzantiner wußten diese Exilanten zum eigenen Zwecke einzusetzen und mitunter veranlaßten sie diese Normannen dazu, nach Italien zurückzukehren und dort Revolten gegen den gemeinsamen Feind zu entfachen. Der durch Byzanz forcierte innernormannische Bruch verlief dabei sogar durch das Geschlecht Hauteville-la-Guichard und so gehörte Roberts Neffe Abelard zu jenen Normannen, die mit byzantinischer Hilfe erbittert jedoch letzten Endes erfolglos gegen Guiscard opponierten. Diese Politik des Kaisers mußte bei der Partei Robert Guiscards und seinen beim Kreuzzug vertretenen Verwandten und Gefolgsleuten zu einer besonders bitteren Feindschaft gegenüber den Byzantinern führen.498 Was schon im 11. Jahrhundert in Süditalien und auf Sizilien begonnen hatte, setzte sich in den zwei Jahrzehnten vor dem Kreuzzug in der Adria fort, wo Normannen und Byzantiner ebenfalls um die Vorherrschaft stritten. Um die im heutigen Albanien gelegene Stadt Dyrrhachion499 kam es in den Jahren 1081/82 zu erbitterten Kämpfen zwischen Guiscard und Kaiser Alexios, an denen auch Roberts Sohn Bohemund maßgeblich beteiligt war. Die Normannen waren zunächst erfolgreich, der Triumph von Dyrrhachion entpuppte sich jedoch als ein Pyrrhussieg und die Normannen konnten – geschwächt von den Kämpfen mit den Byzantinern – ihre Eroberungen auf dem Balkan nicht halten.500 Im Orient entfachte man die Flamme der alten Feindschaft sogleich erneut. 497 Vgl. Bottiglieri, Corinna, ›Die Normannen in der süditalienischen Literatur des 11. Jahrhunderts. Einige Beispiele aus Montecassino und Salerno‹, in: Hybride Kulturen im mittelalterlichen Europa. Vorträge und Workshops einer internationalen Frühlingsschule/ Hybrid Cultures in Medieval Europe. Papers and Workshops of an International Spring School, hg. v. Michael Borgolte u. Bernd Schneidmüller (= Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik; 16), Berlin 2010, 89–104; Kindlimann, Eroberung, 24ff; Lilie, Einführung, 196; Plassmann, Normannen, 110–118. 498 Vgl. Kindlimann, Eroberung, 44f. 499 Auch bekannt als Durazzo. 500 Vgl. Plassmann, Normannen, 120f.

126

Fremd- und Feindbilder

Die Muslime hatten Antiochia den Byzantinern erst 1085 entrissen – also ausgerechnet zu jener Zeit, da die normannischen Angriffe auf byzantinisches Territorium auf dem Balkan Aufmerksamkeit und Kräfte des Reiches im Westen banden, die für die Verteidigung Nordsyriens gegen die Türken im Osten fehlten.501 Die Gründung des Fürstentums Antiochia auf noch bis 1085 byzantinischem Territorium brachte den jungen Kreuzfahrerstaat und mit ihm die Normannen unmittelbar in einen – auch Kampfhandlungen umfassenden – Konflikt mit dem byzantinischen Reich unter Kaiser Alexios. Antiochener und Byzantiner stritten insbesondere um die Kontrolle der Hafenstadt Latakia und um die Region Kilikien.502 Im Herbst 1104 brach Bohemund daher nach Europa auf, wo er bei Papst Paschalis II. und am französischen Hof erfolgreich um Unterstützung einer Kampagne gegen die Byzantiner warb. Ferner strebte er danach, sich und seinem nordsyrischen Projekt durch die Heirat mit Konstanze – der Tochter Philipps I. von Frankreich – zukünftige Unterstützung durch die französische Krone zu sichern. Auch in diesem Anliegen war er erfolgreich. Als Bohemund im Oktober 1107 nach längeren Vorbereitungen tatsächlich in den Osten aufbrach, führte ihn sein Weg erneut nach Dyrrhachion, das sich zu einem Schicksalsort des normannisch-byzantinischen Konfliktes entwickelte.503 Obwohl das Fürstentum Antiochia unter der Führung Tankreds zu dieser Zeit nicht nur mit den Byzantinern um Latakia stritt, sondern durchaus auch mit seinen türkischen Nachbarn im Krieg lag, war für Bohemund die Auseinandersetzung mit Byzanz von größerer Bedeutung.504 Seine Kampagne war letzten Endes erfolglos. Er unterlag den Truppen des Kaisers im Jahre 1108 und sah sich gezwungen, im Vertrag von Devol weitgehende Zugeständnisse in Bezug auf Antiochia zu machen und das Fürstentum byzantinischer Oberhoheit zu unterstellen. Die Bestimmungen des Vertrages wurden freilich nie eingelöst, da Bohemund im Jahre 1111 verstarb, ohne je in den Orient zurückgekehrt zu sein, während Tankred 501 Vgl. ibid.,108ff, 119ff. 502 Vgl. Asbridge, Creation, 47ff; Kindlimann, Eroberung; Plassmann, Normannen, 119ff; Rowe, John Gordon, ›Paschal II, Bohemund of Antioch and the Byzantine Empire‹, in: Bulletin of the John Rylands Library (49; 1966), 165–202. 503 Vgl. Charanis, Peter, ›The Byzantine Empire in the Eleventh Century‹, in: A History of the Crusades. Volume I. The First Hundred Years, hg. v. Kenneth M. Setton u. Marshall W. Baldwin, Madison 1969, 177–220, 214f; Harold S. Fink, ›The Foundation of the Latin States, 1099–1118‹, in: A History of the Crusades. Volume I. The First Hundred Years, hg. v. Kenneth M. Setton u. Marshall W. Baldwin, Madison 1969, 368–409, 391f; Plassmann, Normannen, 120f; Lilie, Byzanz, 67; Rösch, Gerhard, ›Der »Kreuzzug« Bohemunds gegen Dyrrhachium 1107/1108 in der lateinischen Tradition des 12. Jahrhunderts‹, in: Römische historische Mitteilungen (26; 1984), 181–190. 504 Vgl. France, John, ›The Normans and Crusading‹, in: The Normans and their Adversaries at War. Essays in Memory of C. Warren Hollister hg. v. Richard P. Abels u. Bernard S. Bachrach, Woodbridge 2001, 87–101, 95f; Rowe, ›Paschal II‹.

Das Bild der Byzantiner in den lateinisch-orientalischen Quellen

127

weiterhin den Konflikt mit Byzanz pflegte.505 Vor dem Hintergrund der hier skizzierten politischen Geschichte Antiochias in den Jahren nach dem Kreuzzug läßt sich nachvollziehen, daß das Fortleben der gewissermaßen im Erbgut des Fürstentums angelegten Feindschaft mit den Byzantinern im Orient von Beginn an gewährleistet war. Neben diesen politischen Ursachen scheint für die Ausprägung der normannischen Graecophobie die Erfahrung einer Konfrontation mit einem Gegner essentiell gewesen zu sein, dem man sich kriegerisch zwar als eindeutig überlegen betrachtete, dessen Prävalenz in Bezug auf Reichtum, zivilisatorischen Fortschritt, Tradition, politische Macht und imperiale Herrlichkeit man jedoch gleichzeitig erkannte, beneidete und erstrebte. Vieles übernahmen die Normannen von den Byzantinern, und dies betraf sogar den Bereich der Kriegskunst, in dem man sich den Griechen eigentlich in besonderer Weise überlegen fühlte.506 Dies sollte sich in Antiochia fortsetzen. Die griechisch-byzantinische Zivilisation hatte die Metropole am Orontes zutiefst geprägt und im Hinblick auf die Verwaltung oder auch das Münzwesen knüpfte man unter normannischlateinischer Herrschaft an dieses Erbe an.507 Der Prozeß regelrechter Byzantinisierung, welchen die Normannen in Süditalien und in Antiochia durchliefen, zog jedoch ein gesteigertes Bedürfnis nach Rückbesinnung auf die eigene normannische Tradition nach sich. Hierzu dürften auch jene Normannen beigetragen haben, die nach wie vor in byzantinischen Diensten standen und einen Prozeß regelrechter Assimilation durchlaufen hatten.508 Konnte und wollte man auch die Übernahme von Segnungen der byzantinischen Zivilisation nicht rückgängig machen, so mußte im Angesicht der politischen und militärischen Auseinandersetzungen mit Konstantinopel die Dämonisierung des griechischen Gegners um so kompromißloser betrieben werden. Gerade die Kombination aus Unterlegenheits- und Überlegenheitsempfinden mußte fruchtbaren Nährboden für das Gedeihen eines schon lange zuvor gesäten und aufgekeimten ethnizistisch motivierten Feindbildes bieten.509

505 Vgl. Angold, ›Road‹, 266; Lilie, Byzanz, 65–72 506 Vgl. Brown, Normans, 114ff; Kindlimann, Eroberung, 32–44. 507 Vgl. Asbridge, ›Crusader Community‹, 314ff; Metcalf, David Michael, Coinage of the Crusades and the Latin East in the Ashmolean Museum Oxford (= Royal Numismatic Society Special Publications; 28), Oxford 1995 (2. Aufl., 1. Aufl. London 1983), 22–30. Die frühen Kupfermünzen des Fürstentums tragen allesamt griechische Inschriften. 508 Vgl. McQueen, William B., ›Relations between the Normans and Byzantium 1071–1112‹, in: Byzantion (56; 1986), 427–476, 469f. 509 Vgl. Boehm, ›Gesta Tancredi‹, 58f; Payen, Jean-Charles, ›L’Image du Grec dans la Chronique Normande: Sur un Passage de Raoul de Caen‹ in: Images et signes de l’Orient dans l’Occident m¦di¦val (Litt¦rature et Civilisation), hg. v. Jean Arrouye (= S¦n¦fiance; 11), Aix-en-Provence 1982, 268–280, 273; Ders., ›H¦g¦monie‹, 83.

128

Fremd- und Feindbilder

Obwohl diese ererbte und beiderseitig lang gepflegte Ranküne das in den nicht-antiochenischen Quellen recht einmütig propagierte Kreuzzugsethos konterkarierte, übertrug sie sich dennoch direkt auf das Selbstverständnis der normannischen Kreuzzugsteilnehmer und fungierte als identitätsstiftendes Feindbild. Zwar sind in der nicht-antiochenischen Kreuzzugshistoriographie ebenfalls graecophobe Klischees anzutreffen. Doch die Normannen Süditaliens und Siziliens hatten diese Klischees entscheidend geprägt und Nicht-Normannen übernahmen sie von ihnen.510 Am Anfang dieser spezifischen, im lateinischbyzantinisch-muslimischen Beziehungsdreieck in Süditalien, Sizilien und Nordsyrien geprägten Graecophobie standen die Normannen, deren Nachfahren sich in Nordsyrien in einer vergleichbaren Situation wie zuvor im zentralen Mittelmeerraum wiederfanden und die erprobten Abgrenzungsmuster reaktivierten. Diesen Umstand spiegelt auch die antiochenische Historiographie.511

c.

Quare miseri occiditis gentem Christi et meam? – antiochenische Graecophobie

Die Spuren dieser besonderen Feindschaft zwischen Normannen und Byzantinern finden sich in vielerlei Formen in den antiochenischen Texten der GestaFamilie. In erster Linie richten sich die Invektiven dort gegen den Kaiser sowie gegen seine wichtigsten Anführer. Immer wieder wird Alexios mit negativen Attributen versehen. Er erscheint als iniquus imperator,512 als infelix imperator513 oder gar als nequissimus imperator.514 Er wird als plenus uana et iniqua cogitatione515 oder anxians et bullians ira516 charakterisiert. Als wahrer Feind der Unternehmung entpuppt sich Alexios bei der Beschreibung der Reaktion des Kaisers auf die Nachricht vom Massaker am Kreuzzug der Armen unter Peter dem Einsiedler durch die Türken im Oktober 1096517 – gauisus est ualde.518 Ferner wird dem Kaiser Feigheit vorgeworfen, da er sofort an Flucht gedacht habe, als er vor der Eroberung Antiochias im eigentlich weit vom Kampfge-

510 Vgl. Boehm, ›Gesta Tancredi‹, 61f; Kindlimann, Eroberung, passim. 511 Zur Graecophobie der antiochenischen Historiographie vgl. etwa Boehm, ›Gesta Tancredi‹, 61f; Russo, ›Tancredi e i Bizantini‹, bes. 220–229. 512 GF I.iii. Vgl. PT 38. 513 GF II.v. 514 Ibid., II.vi. 515 Ibid., II.viii. Vgl. PT 50. 516 GF II.vi. 517 Zum Kreuzzug der Armen (auch Volkskreuzzug) vgl. Mayer, Kreuzzüge, 60. 518 GF I.ii.

Das Bild der Byzantiner in den lateinisch-orientalischen Quellen

129

schehen entfernten und somit sicheren Ikonium von einer angeblichen Niederlage der Kreuzfahrer gegen die Muslime hörte.519 Neben dem Kaiser trifft die harsche Kritik vor allem dessen Feldherrn Tatikios,520 welcher sich den Kreuzfahrern und insbesondere Bohemund oft widersetzte. Nach der Eroberung Nicaeas am 19. Juni 1097 etwa bewirkte er, daß die Stadt nicht an die Kreuzfahrer fiel, sondern von den Türken direkt den Byzantinern übergeben wurde, was ihm die Feindschaft insbesondere Bohemunds und Tankreds einbrachte. Auch ist es von Bedeutung, daß Tatikios schon vor dem Ersten Kreuzzug im Auftrage des Kaisers militärisch gegen die süditalienischen Normannen vorgegangen war und sich diese offenbar damit nachhaltig zum Feind gemacht hatte.521 So überrascht es auch nicht, daß der Feldherr beim ersten Auftauchen in den Gesta bereits als inimicus Tetigus522 vorgestellt wird. Der byzantinische Heerführer füllt hier die Rolle eines regelrechten Erbfeinds aus. Die normannisch-antiochenische Graecophobie verdeutlichen in den Gesta Francorum und bei Tudebodus in besonderer Weise zwei Stellen, welche den Zug der Kreuzfahrer durch die byzantinischen Lande auf dem Balkan behandeln. Gleich zu Anfang des Textes wird die Aufmerksamkeit auf den Schicksalsort Dyrrhachion gelenkt, dessen griechischer Statthalter Tankreds Bruder Wilhelm gefangennehmen und nach Konstantinopel bringen ließ, damit er sich dort dem Kaiser unterwerfe.523 Die konfliktreiche gemeinsame Geschichte von Byzantinern und Normannen und die Rolle des Kaisers als Erbfeind der Normannen Süditaliens werden immer wieder aufgegriffen und stellen den wohl wichtigsten historischen Bezugspunkt der antiochenischen Vertreter der Gesta-Familie dar. Dies zeigt sich etwa auch, wenn es gilt, die Haltung des Alexios gegenüber Bohemund zu beschreiben: Fortissim[us] […] uir[…] Boamund[us] quem [imperator] ualde timebat, quia olim eum cum suo exercitu eiecerat de campo.524 Hier findet sich eine Anspielung auf die vorherigen Auseinandersetzungen zwischen Normannen und Byzantinern. In der Beschwörung dieser Vorgeschichte kann man eine der zentralen Komponenten der ethnischen Tradition der mediterranen Normannen identifizieren. Anders als bei den übrigen Kreuzfahrern lösten nicht erst das Verhalten der Byzantiner und des Kaisers 519 Vgl. GF IX.xxvii. 520 Vgl. Savvides, Alexios G. C., ›Taticius the Turcopole‹, in: Journal of Oriental and African Studies (3/4; 1991/1992), 235–238; Ders., Art. ›Tatikios‹, in: CE 4:1149. 521 Vgl. Mayer, Kreuzzüge, 66f. 522 GF VI.xvi. Die Verachtung gegenüber Tatikios ist eine Innovation der letzten Bearbeitung des Stoffes, die sich nur in den überlieferten Gesta Francorum findet, nicht aber bei Tudebodus und folglich vermutlich nicht in den Ur-Gesta. Vgl. PT 69. 523 Vgl. ibid. I.iii. 524 GF II.vi. Vgl. PT 48.

130

Fremd- und Feindbilder

während des ersten Kreuzzuges und die Interessenkonflikte zwischen Lateinern und Griechen in der Levante die Graecophobie der Normannen aus, sondern diese hatte sich über mehrere Jahrzehnte durch die Auseinandersetzungen in Süditalien und auf dem Balkan etablieren und in das kollektive Gedächtnis einprägen können. Noch eindrucksvoller aber offenbart sich die graecophobe Prägung der antiochenischen Gesta-Texte in den Berichten zur Überquerung des Flusses Vardar in Mazedonien, bevor das normannische Kreuzzugskontingent Konstantinopel erreichte. Für die besondere Art der Graecophobie des Anonymus ist in diesem Zusammenhang vor allem ein Wortwechsel zwischen Bohemund und einigen griechischen Gefangenen nach dem Sieg von Interesse: ait ipse [Boamundus], ›Quare miseri occiditis gentem Christi et meam? Ego cum uestro imperatore nullam altercationem habeo.‹ Qui responderunt: ›Nos nequimus aliud agere. In roga imperatoris locati sumus, et quicquid nobis imperat nos oportet implere.‹525

Wenn man berücksichtigt, daß zu dem hier beschriebenen Zeitpunkt des Kreuzzuges die Kontingente noch getrennt marschierten und diese Episode allein die normannische Abteilung unter Bohemund und Tankred betraf,526 erscheinen diese Worte besonders bemerkenswert. Schließlich wird hier exklusiv das normannische Kontingent als gens Christi dargestellt. Die im Kreuzzugskontext aber auch für eine ethnohistorische Ursprungserzählung bedeutende Zuweisung göttlicher Erwähltheit und Begünstigung taucht hier ausgerechnet im Kontext einer Schlacht gegen die christlichen Griechen und nicht gegen die Muslime auf.527 Zwar ist die Legitimation durch Gott ein Element, das im Kontext der Kreuzzüge immer wieder begegnet und stellt mithin sicher keine Besonderheit der Normannen dar. Es taucht etwa auch bei Raimund von Aguilers mit Bezug auf die Provenzalen unter dem Grafen von Toulouse in Verbindung mit Kämpfen gegen die Griechen während des Zuges über den Balkan auf.528 Allerdings erscheint die göttliche Legitimation bei Raimund von Aguilers dabei als bloße Floskel, während sie in den Gesta Francorum und bei Tudebodus in einem ethnizistisch stark aufgeladenen Kontext gesetzt wird. So streuen die antiochenischen Texte die göttliche Legitimation anders als Raimund nicht einfach beiläufig ein, sondern Bohemund als Anführer der Gruppe selbst betont, daß seine gens auch die gens Christi sei. Die Graecophobie nimmt im Werk Radulfs von Caen eine noch wichtigere 525 GF I.iv. Vgl. PT 42. 526 Vgl. Duncalf, ›Clermont to Constantinople‹, 270f. 527 Vgl. Smith, Origins, 63; Wolfram, ›Einleitung‹, 31. Auf Grundlage der Gesta Francorum thematisieren auch andere Historiographen die Vardar-Episode. Vgl. WvT II.xiv.22–39; HNvA XI–XII; RdM II.xiv. 528 Vgl. RvA I.

Das Bild der Byzantiner in den lateinisch-orientalischen Quellen

131

Stellung ein als in den Texten der Gesta-Familie.529 Auch in den Gesta Tancredi finden sich die vom Anonymus gewohnten negativen Charakterisierungen des Kaisers, den Radulf als einen jähzornigen, hinterlistigen, feigen und seines Amtes unwürdigen Tyrannen darstellt.530 Die Feindschaft, welche die Normannen mit den Byzantinern und ihrem Kaiser verband, bringt auch Radulf mit der gemeinsamen Geschichte im halben Jahrhundert vor dem Kreuzzug in Verbindung. So stellt er Robert Guiscard schon ganz zu Anfang als erbitterten Gegner des Kaisers vor und auch Bohemunds Kämpfe gegen Alexios bei Dyrrhachion und Larissa in den 1080er Jahren beschwört er.531 Es ist typisch für Radulf, daß er seine Graecophobie sowohl mit biblischen als auch mit antiken Bildern illustriert, um dieser Haltung dadurch besonderen Nachdruck zu verleihen.532 So beschreibt er an einer sehr eindrucksvollen Stelle, wie Tankred und Bohemund nach der erfolgreichen Belagerung Nicaeas im Sommer 1097 im Anschluß an ein Treffen mit Alexios beschließen, nicht mehr zum Kaiser zurückzukehren, sondern fortan seinen Schlingen zu entgehen.533 Dabei vergleicht Radulf zuerst die beiden Normannenführer mit den Heiligen Drei Königen, die sich im Evangelium des Matthäus nach einer warnenden Traumvision weigern, in das Haus des ihnen übel gesonnenen Herodes zurückzukehren.534 Als weitere Bilder gebraucht er die Frau des Lot, welche zur Salzsäule erstarrt, als sie auf das brennende Sodom zurücksieht,535 sowie Orpheus,536 der Eurydike zur Rückkehr in den Hades verdammt, als er sich entgegen der Bedingung Proserpinas auf der Flucht aus der Unterwelt umwendet und seine Geliebte anschaut. Interessant ist hier besonders das erste Bild, da darin die Graecophobie gleich zweifach erscheint – einmal in der Entscheidung gegen eine Rückkehr zum Kaiser, vor allem aber im implizierten Vergleich des Alexios mit dem im christlichen Verständnis äußerst negativ besetzten König Herodes. In die gleiche Richtung weist die im zweiten Bild nahegelegte Gleichsetzung des kaiserlichen Heerlagers mit dem biblischen Sündenpfuhl Sodom. Gott habe Alexios und die Byzantiner, so scheint Radulf hier zu verstehen zu geben, ebenso verdammt wie 529 Vgl. Boehm, ›Gesta Tancredi‹, 55–59; Payen, ›Image‹, 273; Ders., ›H¦g¦monie ‹, 82f. Payen sieht in der Graecophobie der Gesta Tancredi die Komponente eines regelrechten »racisme antim¦diterran¦en« (ibid., 83), der sich auch gegen die gesamte autochthone Bevölkerung in Süditalien und auf Sizilien sowie gegen die Provenzalen gerichtet habe. 530 Vgl. RvC IX, XIII, XVII, LXXII. 531 Vgl. RvC I, II. 532 Vgl. Payen, ›Image‹, 275. 533 Vgl. RvC XIX. Siehe hierzu Mayer, Kreuzzüge, 66f. 534 Vgl. Mt 2:12. Dazu auch: Radulf von Caen, The Gesta Tancredi of Ralph of Caen. A History of the Normans on Crusade, hg. u. übers. v. Bernard S. Bachrach u. David S. Bachrach (= Crusade Texts in Translation; 12), Aldershot 2005 (fortan RvCÜ), 44, Anm. 49. 535 Vgl. Gen 19:26. Dazu auch: RvCÜ, 44, Anm. 50. 536 Vgl. Vergil, Georgica, IV.491. Dazu auch: RvCÜ, 44, Anm. 50.

132

Fremd- und Feindbilder

Herodes und Sodom. Durch diese Einbettung der Abwendung der beiden Normannenführer von Alexios in biblische und antike Bilder würdigt Radulf nicht nur den Kaiser und die Byzantiner herab, sondern er erhebt gleichzeitig Bohemund, Tankred und die normannische Opposition gegen die Griechen auf eine mythoreligiöse Ebene. Die Auseinandersetzung wird zu einem Kampf des Guten gegen das Böse stilisiert, der hier entgegen den Konventionen der Kreuzzugschronistik jedoch ein Kampf der Normannen gegen die Byzantiner ist. Für Radulf sind die Byzantiner den Kreuzfahrern und vor allem den Normannen im Kampfe unterlegen und könnten nur unehrenhaft durch die ihnen eigene Græcorum insidi[a]537 gelegentlich Siege erringen. So seien sie in der Schlacht darauf angewiesen, aus dem Hinterhalt zu attackieren und vor allem von Fernkampfwaffen Gebrauch zu machen.538 Es ist offensichtlich, daß hier ein genaues Gegenbild zu den Idealen des aufkommenden und für die Normannen besonders wichtigen Rittertums gezeichnet wird.539 Eine für den gegen die Griechen allgemein gerichteten Haß aufschlußreiche Stelle ist auch in den Gesta Tancredi die Beschreibung der Schlacht bei der Überquerung des Flusses Vardar, die Radulf als ein Exempel griechischer Niedertracht und Hinterlist schildert.540 In den späteren Kapiteln der Gesta Tancredi sind es zwar erwartungsgemäß die Muslime in Antiochia und Jerusalem, die im Zentrum des Interesses und der Kritik stehen. Dennoch ist unbestreitbar, daß die Feindschaft den Byzantinern gegenüber auch bei Radulf von besonderer Bedeutung ist. In dieses Bild paßt es auch, daß es zum Ende des Textes wieder die Griechen sind, die im Rahmen der Auseinandersetzung um die für Antiochia wichtige Hafenstadt Latakia541 als Feinde Tankreds und des jungen Kreuzfahrerstaates Antiochia auftreten.542 Belege für die Kontinuität dieser Feindschaft bieten vor allem die Ereignisse der Jahre 1104 bis 1108. Radulf berichtet über die Europareise Bohemunds und läßt diesen über die Bedrohungen referieren, denen sich Antiochia in dieser Zeit ausgesetzt sah:

537 RvC II. 538 Vgl. RvC IV, V. 539 Zum Zusammenhang von Normannitas und Rittertum vgl. Brown, Normans, 158; Russo ›Tancredi‹, 201ff. 540 Vgl. RvC IV–VII. Siehe hierzu auch Payen, ›Image‹, 270. 541 Vgl. Asbridge, Creation, 47ff. 542 Vgl. RvC CLI–CLIV, CLVI–CLVII. Dem ließe sich entgegenhalten, daß die Gesta Tancredi allem Anschein nach unvollendet sind und sich über Radulfs tatsächliche Pläne für den Abschluß des Werks nichts mehr sagen läßt. Allerdings ist es auffällig, daß Radulf dem Kampf gegen die Griechen in und um Latakia sehr viel mehr Aufmerksamkeit zukommen läßt als etwa der Auseinandersetzung um Artah mit dem Muslim Ridwan von Aleppo (vgl. RvC CLV).

Das Bild der Byzantiner in den lateinisch-orientalischen Quellen

133

Invaluit contra nos gentilitas, vias nobis circumcirca obstruxerunt Graeci et Turci: geminas totius orbis opulentissimas exasperavimus potestates; Constantinopolim et Persida. Oriens nos per terram territat, occidens vero et terra et mari.543

Obwohl zu dieser Zeit die entscheidende Bedrohung von den Türken ausging, gegen welche die Antiochener bei Harran gerade die schwerste Niederlage vor dem Blutfeld erlitten hatten,544 stellt Radulf die Byzantiner als mindestens ebenso gefährliche Gegner auf einer Ebene mit den Muslimen dar. Er nennt sie sogar an erster Stelle. Während das für die Türken stehende Persien lediglich zu Lande eine Gefahr sei, bedrohe Byzanz das Fürstentum auch zur See. Dabei verbindet Radulf gerade in diesem Zusammenhang Graecophobie mit Attacken gegen die Provenzalen unter Raimund von Toulouse.545 Raimund hatte schon während des Kreuzzuges eine eher probyzantinische Politik verfolgt und griff im Konflikt um Latakia aktiv auf Seiten des Kaisers gegen das lateinische Antiochia in die Kämpfe ein.546 Die Gesta Tancredi bauen in der Tat Alexios und die Byzantiner zu den wahren Gegnern auf, etablieren diese so als Erb- und Erzfeinde der Antiochener und ihres Fürstentums, welches in seiner frühen Zeit seine Unabhängigkeit gegen die Griechen verteidigen mußte.547

d.

Den Grundsätzen des Kreuzzuges verpflichtet – Byzantiner in den jerosolymitanischen Quellen

Vergleicht man die Stellung der Byzantiner in den jerosolymitanischen Quellen mit dem Befund aus der antiochenischen Überlieferung, so fallen zunächst durchaus Parallelen auf. Graecophobe Äußerungen sind auch in den jerosolymitanischen Texten zu identifizieren, wie die Tatsache illustriert, daß Wilhelm von Tyrus an gleich zwei unterschiedlichen Stellen mit den bereits zitierten Vergil-Worten vor den heimtückischen Danaern mahnt.548 Nicht nur im Ton ähnelt damit das Chronicon den Gesta Tancredi, sondern es zieht das gleiche Register, indem Wilhelm Assoziationen zum Kampf um Troja herstellt. Die zuvor besprochene Interpretation der Eroberung und Verteidigung Antiochias durch den ersten Kreuzzug als Punkt des Bruches zwischen Byzantinern und Lateinern wiederum scheint Fulcher von Chartres zu stützen, nimmt er doch den gesamten Wortlaut des bereits benannten Briefes der Kreuzzugsführer an Ur543 544 545 546 547

RvC CLII. Vgl. Asbridge, Creation, 55. Vgl. v. a. RvC XCLV. Vgl. Christopher MacEvitt, Art. ›Laodikeia in Syria‹, in: CE 3:715–716. Vgl. zum Element der Graecophobie in den Gesta Tancredi: Boehm, ›Gesta Tancredi‹, 55–55–62; Payen, ›H¦g¦monie‹, 83; Russo, ›Tancredi‹, passim. 548 Vgl. WvT XI.vi.15; XX.ii.7–8.

134

Fremd- und Feindbilder

ban II., in dem der Papst zur Unterstützung gegen haereticos autem, Graecos et Armenos, Syros, Jacobitas549 aufgerufen wird, in seine Darstellung auf. Ferner rechtfertigt Fulcher die Kampagne Bohemunds von Antiochia gegen Byzanz in den Jahren 1107/08, da der Kaiser Pilger an der Reise nach Jerusalem gehindert und sich diesen gegenüber als perturbator et tyrannus550 erwiesen habe. Doch im Hinblick auf Fulchers Historia erschöpft sich die Graecophobie tatsächlich in dieser Klage sowie im Einbinden des – zudem in der zweiten Redaktion gestrichenen551 – Briefes an Urban II. Ansonsten prägt die Historia vor allem eine große Sympathie den Byzantinern gegenüber.552 Die Übergabe der von den Kreuzfahrern eroberten Stadt Nicaea an die Byzantiner, die dem anonymen Autor der Gesta Francorum wie auch Radulf von Caen Anlaß für heftige Kritik bietet,553 schildert Fulcher neutral und betont dabei zudem, daß der Kaiser befohlen habe, de auro suo et argento atque palliis proceribus nostris dari.554 Dieses auch in der zweiten Redaktion der Historia nicht gestrichene Lob gleicht den Worten Stefans von Blois in seinem bereits zitierten Brief555 und zeigt, daß die wohlwollende Haltung den Griechen und selbst ihrem Kaiser gegenüber auch in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Kreuzzug noch wirkte. Bartolf von Nangis streicht sogar Fulchers zumindest subtil Unwillen signalisierenden Zusatz, daß die Kreuzfahrer die Stadt vor der Kapitulation schon so weit geschwächt hätten, daß sie sich ihnen vermutlich bald ergeben hätte.556 Selbst im Hinblick auf die mangelnde Hilfeleistung des Kaisers für die Kreuzfahrer bei der Belagerung von Antiochia möchte Bartolf die Schuld nicht den Byzantinern zuweisen. Vielmehr tadelt er Stefan von Blois, der von der Belagerung geflohen war und die Falschmeldung einer christlichen Niederlage dem Kaiser überbracht hatte. Bartolf äußert gar Mitleid für den Kaiser, der sich, wenn er nicht die Lüge Stefans geglaubt hätte, nicht nur Dei gratiam, et laudem humanam erworben hätte, sondern der forsitan civitas Antiochia imperio ejus subjiceretur.557 Hier erkennt der Jerosolymitaner Bartolf in bemerkenswerter Weise und in scharfem Kontrast zur antiochenischen Historiographie implizit die Legitimität der byzantinischen Ansprüche auf Antiochia und Nordsyrien an und drückt sein Bedauern aus, daß der Kaiser diese aufgrund der Falschmeldung Stefans nicht habe durchsetzen können. Für Fulcher und Bartolf nämlich kommt 549 550 551 552 553 554 555 556 557

FvC I.xxiv.14. FvC II.xxxviii.3. Vgl. Epp, Fulcher von Chartres, 39. Vgl. Ní Chléirigh, ›Impact‹, 175ff. Vgl. GF II.viii; RvC XVII. FvC I.x.10. Vgl. EC Nr. IV. Vgl. BvN VII; FvC I.x.9. Vgl. BvN XVII.

Das Bild der Byzantiner in den lateinisch-orientalischen Quellen

135

dem ursprünglichen Gedanken der Hilfeleistung für die orientalischen Christen und somit für Byzanz immer noch große Bedeutung zu, und an vielen Stellen bemühen sie sich, die Verbundenheit mit den Griechen herauszustellen. Ganz ähnlich ist auch der Befund, den die Auswertung der Historia Nicæna erbringt. Obwohl der anonyme Autor in wörtlich von seiner Quelle – Robert dem Mönch – übernommenen Passagen die Verunglimpfung der Griechen als effeminata gens beibehält,558 enthält er sich ansonsten der harschen Kritik an den Byzantinern, die der – wiederum von den Gesta Francorum geprägte – Mönch von Reims an den Tag legt. Anders als Fulcher äußert der jerosolymitanische Anonymus zwar verhaltene Kritik an der Besetzung Nicaeas durch die Byzantiner, lobt den Kaiser dann aber unmittelbar im Anschluß für larg[æ] eleemosyn[æ] zugunsten der Armen im Heer : seine große Hilfe – tant[um] benefici[um] – dürfe nicht vergessen werden.559 Wilhelm von Tyrus hingegen kritisiert die Byzantiner bei einigen Gelegenheiten durchaus deutlich und unter Einbeziehung der bekannten Klischees.560 In einer klassischen Gegenüberstellung der ehrlichen Lateiner mit den doppelzüngigen Griechen anläßlich der Begegnung Raimunds von Toulouse mit Kaiser Alexios formuliert Wilhelm von Tyrus: nostris autem, in simplicitate spiritus et sincera fide incedentibus, vix persuaderi poterat Grecorum malicia et nequam illorum principis fraus et circumventio pertinax.561

Der Umgang Alexios’ I. Komnenos mit den Teilnehmern des ersten Kreuzzuges läßt ihn hart urteilen, da der Kaiser – vetusto Grecorum more562 und vicem scorpionis agens563 – ihr Fortkommen absichtlich behindert habe. Zu besonderem Zorn veranlassen Wilhelm die Ausschreitungen gegen die in Konstantinopel lebenden Lateiner, die sich im Jahre 1182 ereigneten:564

558 Vgl. HNvA XXXIII (entspricht RdM V.ii), XLVIII (entspricht RdM VII.v). 559 HNvA XVIII. 560 Vgl. Hamilton, Bernard, ›William of Tyre and the Byzantine Empire‹, in: Porphyrogenita: Essays on the History and Literature of Byzantium and the Latin East in Honour of Julian Chrysostomides hg. v. Charalambos Dendrinos, Aldershot 2003, 219–234, 230. 561 WvT II.xix.30–33 562 WvT X.x.1. 563 WvT X.x.7. 564 Vgl. Schwinges, Kreuzzugsideologie, 297ff. Obwohl Schwinges Wilhelm im Hinblick auf den Großteil des Chronicon einerseits eine besondere Toleranz gegenüber den Griechen diagnostiziert, wertet er jedoch die Verurteilung der Pogrome von Konstantinopel andererseits als Ausweis dafür, daß nun seine »Anlehnung an Byzanz vernichtet« (ibid., 299) worden sei. Schwinges übersieht die hier besprochenen relativierenden Passagen, die sich an den Bericht über die Ausschreitungen anschließen.

136

Fremd- und Feindbilder

Sic ergo impius Grecorum populus et genimina viperarum more serpentis in gremio et muris in pera nichil tale meritos nichilque tale verentes male remuneraverunt hospites suos.565

Allerdings sollte man diese Ausbrüche nicht als Beleg für eine dezidiert graecophobe Prägung des Chronicon insgesamt werten. Obwohl Wilhelm in der Tat wenig Respekt für Alexios erkennen läßt, gerät ihm der Tod des als Latinorum maximus persequutor566 identifizierten Kaisers im Jahre 1118 zum Anlaß, dessen Nachfolger Johannes II. Komnenos überschwenglich zu preisen, da er sich als patre multo humanior et meritis exigentibus populo nostro patre longe acceptior567 erwiesen habe. Bezeichnenderweise wurde dieses Lob in einer im 13. Jahrhundert entstandenen altfranzösischen Übersetzung des Chronicon nicht nur gekürzt, sondern auch durch die Ergänzung relativiert, daß nequedant en aucunes choses mesprist il [li empereres] vers les Latins.568 Noch stärkeren Ausdruck verleiht Wilhelm seiner Bewunderung Manuels I. Komnenos, den er als vir eminentissimus et inmortalis memorie, omnium principum terre munificentissimus569 bezeichnet. Selbst im Hinblick auf das Pogrom des Jahres 1182 finden sich Spuren eines Abwägens.570 Wilhelm beschreibt die anschließenden Vergeltungsaktionen der Lateiner, betont aber auch, daß alii vero, qui stragem et rapinas abhominabantur operari571 sich nicht an den Übergriffen auf die Griechen beteiligt hätten, wobei die Wortwahl Wilhelms Sympathie für diese Verweigerer erkennen läßt. Anhand einer für den hier behandelten Zusammenhang wichtigen und daher eingehender zu besprechenden Stelle im Chronicon läßt sich sogar einerseits Wilhelms prinzipiell wohlwollende Haltung den Byzantinern gegenüber belegen und andererseits seine partikularistisch-jerosolymitanische Perspektive nachweisen. Im Spätsommer 1137 zog Kaiser Johannes II. Komnenos an der Spitze eines Heeres nach Nordsyrien. Die Byzantiner wollten in der Region die Macht des Reiches gegen die Expansion der armenischen Hethoumiden und Roupe565 566 567 568

WvT XXII.xii.52–55. WvT XII.v.2. WvT XII.v.4–6. ›L’Estoire de Eracles Empereur et la Conqueste de la Terre d’Outremer‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 1:1–1130 u. 2:1–828 (fortan EdE), XII.v. Vgl. zu diesem Text Hamilton, Bernard, ›The Old French William of Tyre as an Historical Source‹, in: The Experience of Crusading. Volume Two. Defining the Crusader Kingdom, hg. v. Peter Edbury u. Jonathan Phillips, Cambridge 2003, 93–112; Issa, Mireille, La Version Latine et l’Adaption FranÅaise de L’Historia rerum in partibus transmarinis gestarum (= The Medieval Translator/Traduire au Moyen ffge; 13), Turnhout 2010. 569 WvT XXII.v.19–20. 570 Vgl. Davis, ›William of Tyre‹, 70. 571 WvT XXII.xiv.37.

Das Bild der Byzantiner in den lateinisch-orientalischen Quellen

137

niden stärken und gleichzeitig auf die Einhaltung des Vertrages von Devol drängen, in dem Bohemund I. im Jahre 1108 nach seiner gescheiterten Balkankampagne auf Kilikien verzichtet hatte. Das byzantinische Heer belagerte Antiochia. Da das Fürstentum durch eine vorausgegangene Invasion der Seldschuken unter Imad ad-Din Zengi geschwächt war und dem Heer des Kaisers nichts entgegenzusetzen hatte, wurden nach kurzer Belagerung Verhandlungen eingeleitet. Die resultierende Abmachung sah vor, daß Raimund dem Kaiser im Falle einer erfolgreichen gemeinsamen Kampagne gegen die Seldschuken Antiochia überlassen und dafür mit den erwarteten Eroberungen um Aleppo entschädigt werden sollte. Die gemeinsame Kampagne scheiterte an der mangelnden Unterstützung der Antiochener und ein antibyzantinischer Aufstand in Antiochia veranlaßte den Kaiser dazu, seine antiochenischen Pläne vorerst ruhen zu lassen.572 Im Jahr 1142 jedoch zog das byzantinische Heer erneut an den Orontes und belagerte Antiochia abermals. Das Ziel des Kaisers war es, die Antiochener durch Zwang zu einer Kampagne gegen die Seldschuken zu mobilisieren und damit das Abkommen von 1137 durchzusetzen. Durch den mangelnden Einsatz der Lateiner fünf Jahre zuvor vorsichtig geworden, forderte der Kaiser diesmal Fürst Raimund von Antiochia dazu auf, Stadt und Zitadelle zu öffnen, um diese als Operationsbasis gegen die Muslime nutzen zu können. Daraufhin versammelte der Fürst seinen Rat, und man kam zu dem Schluß, daß man die Stadt nicht den Griechen ausliefern wolle.573 Wilhelm von Tyrus widmet diesen Angelegenheiten in Nordsyrien große Aufmerksamkeit und weiß zu berichten, daß es in Antiochia erbitterten Widerstand gegen die Forderungen des Kaisers gegeben habe. Diese seien schließlich abgelehnt worden, da man befürchtet habe, daß futurum enim erat per ignaviam Grecorum, sicut non multo ante contigit, civitatem in manum hostium deventuram simul cum universa regione.574 Folglich habe man die vorherigen Abmachungen zwischen Raimund und Johannes als ungültig bezeichnet und dem Kaiser den Einzug in die Stadt verweigert, da der Fürst nicht im Namen seiner Frau Konstanze – der Erbin Fürst Bohemunds II. – habe handeln dürfen.575 Panlateinische Solidarität läßt Wilhelm von Tyrus bei seinem Bericht zu diesen Vorgängen nicht erkennen. Der Treuebruch Raimunds wird im Gegenteil unmißverständlich als anfechtbares factum minus commendabile576 getadelt. Die Antiochener hätten daher bewußt einen Vorwand gesucht, um das 572 Vgl. Asbridge, Crusades, 171f; Harris, Jonathan, Byzantium and the Crusades, London 2003, 82–85; Lilie, Byzanz und die Kreuzzüge, 74–77; Mayer, Kreuzzüge, 114ff. 573 Vgl. Harris, Byzantium and the Crusades, 85f; Lilie, Byzanz, 80f; Mayer, Kreuzzüge, 118f. 574 WvT XV.xx.10–12. 575 Vgl. WvT XV.xx. 576 WvT XV.xx.12–14.

138

Fremd- und Feindbilder

durch den Fürsten begangene Unrecht zu vertuschen.577 Wilhelm beschränkt sich nicht auf eine Beschreibung der Vorgänge, sondern er kommentiert und wertet; und durch Wortwahl wie Aussage dieser Kommentare bringt er eine klare Stellungnahme zugunsten der Byzantiner zum Ausdruck. Offenbar sah er partikularistisch-jerosolymitanische Interessen nicht durch das als rechtmäßig empfundene Ausgreifen des Kaisers auf Antiochia tangiert. Das durch Johannes II. eingeforderte konzertierte Vorgehen der Byzantiner mit den Lateinern gegen die Seldschuken begrüßt Wilhelm und tadelt die lateinischen Nachbarn im Norden für ihre – aus antiochenischer Sicht durchaus nachvollziehbare – Sabotage. Wie schon die Analyse der Gruppenbezeichnungen zeigt auch die unterschiedliche Rolle, die den Muslimen und vor allem den Byzantinern in der Historiographie des lateinischen Orients zukommt, daß entscheidende Unterschiede zwischen Antiochia und Jerusalem zu konstatieren sind, die eine partikularistische Interpretation der ethnischen Situation in den Kreuzfahrerstaaten stützen. Der Vergleich mit den abendländischen Quellen hat zudem wichtige Hinweise für die Besonderheiten der beiden Kreuzfahrerstaaten gegenüber Europa geliefert. Nach der Analyse dieser Grundlagen ethnischer Eigenständigkeit – der Selbstbenennung und der Abgrenzung – soll nun die detaillierte Untersuchung der ethnohistorischen Erzählungen erfolgen.

577 Vgl. WvT XV.xx.12.

V.

Ethnohistorische Entwürfe und Reflexionen

Für die Analyse der lateinisch-orientalischen Überlieferung sind die Prologe der Texte von herausragender Bedeutung. Aus dem eigentlichen chronologischen Erzählfluß hinaustretend kommentieren diese auf einer Makroebene die den gesamten Text durchziehenden ethnohistorischen Prozesse und setzen sich zudem auf einer Metaebene mit der Programmatik der Werke auseinander. Eigene Prologe stehen am Anfang der meisten lateinisch-orientalischen Texte, so daß eine gute Untersuchungsgrundlage besteht. Lediglich die Autoren der beiden antiochenischen Texte aus der Gesta-Familie sowie Bartolf von Nangis verzichten auf eine gesonderte Werkeinführung. Nachfolgend werden die Prologe der antiochenischen und der jerosolymitanischen Geschichtsschreibung untersucht und miteinander sowie mit jenen der abendländischen Kreuzzugschroniken kontrastiert. Eine nicht zu vernachlässigende Schwierigkeit besteht darin, die für den jeweiligen Text eigentümlichen und aussagekräftigen Gedanken und Motive in dem Dickicht der literarischen Topoi auszumachen, welches sich üblicherweise in Prologen dem Leser präsentiert. Fünf – zumeist schon auf antike lateinische und griechische Vorbilder zurückgehende578 – Topoiklassen sind von besonderer Bedeutung und lassen sich auch in den meisten Prologen der lateinischorientalischen Überlieferung nachweisen: Apologie (Rechtfertigung des Werkes, Auseinandersetzung mit echten oder angenommen Kritikern), Assertio (Qualifikation des Autors, Hervorhebung der besonderen Bedeutung des Stoffes), Genese (Ausführungen zu Anlaß und Entstehungsgeschichte), Dedikation (Widmung an bestimmte Personen, nicht klar umrissene Personengruppen oder schlicht die posteritas) und Gebet (abschließende Fürbitte des Autors für sich selbst oder seine Leser).579 Es gilt daher, bei der Untersuchung der Prologe auf die 578 Vgl. Janson, Tore, Latin Prose Prefaces. Studies in Literary Conventions (= Acta Universitatis Stockholmiensis. Studia Latina Stockholmiensia; 13), Stockholm 1964, bes. 158–161. 579 Diese Kategorisierung ist übernommen von Vessey, ›William of Tyre‹, 436. Die Einteilung Vesseys folgt grob dem differenzierteren und eine größere Zahl von Unterkategorien be-

140

Ethnohistorische Entwürfe und Reflexionen

Verwendung dieser Topoi zu achten. Ebenso darf jedoch ein als Topos identifiziertes Element nicht allein aufgrund seiner topischen Natur als irrelevant verworfen werden, da gerade die Auswahl und Komposition der Topoi als Resultat einer bewußten schriftstellerischen Entscheidung des Autors für das Verständnis eines Textes von großer Bedeutung sein kann. Vor allem aber sind es jene Elemente der Prologe, welche nicht der Konvention geschuldet sind oder dieser gar entgegenstehen, die hier herausgearbeitet werden müssen.

1.

Prologe in der antiochenischen Historiographie

a.

Der normannisch-antiochenische Kreuzzug im Prolog der Gesta Tancredi

Der Auftakt zu den Gesta Tancredi ist fraglos sprachlich sehr anspruchsvoll gestaltet und von der für Radulf charakteristischen hohen stilistischen Qualität gekennzeichnet.580 Allerdings bleibt der Prolog des Normannen auf eine Beschäftigung mit Anlaß und Entstehungsgeschichte der Gesta Tancredi beschränkt und ergeht sich tatsächlich vor allem in der gekonnten aber wenig aussagekräftigen Aneinanderreihung von Topoi. Die Reflexion der Handlung des Werkes hingegen, für die der Prolog durchaus Raum und Gelegenheit geboten hätte, bleibt weitestgehend aus. So folgt auf ein Lob der Vorzüge der Geschichtsschreibung lediglich eine knappe Exposition des historischen Hintergrundes der Gesta Tancredi, wobei Radulf selbst hier nicht über die bloße Benennung des Kreuzzugskontextes hinausgeht. Schnell leitet er dann zu dem Auftrag zum Verfassen eines Berichtes zu militiæ Christi victorias581 über, den er durch Bohemund und Tankred erhalten habe. Für Prologe typische Elemente stehen im Vordergrund: Die Auseinandersetzung Radulfs mit dem Schreibaufrücksichtigenden Vorbild von Curtius, Ernst Robert, ›Mittelalter-Studien XVIII. Prologe und Epiloge‹, in: Zeitschrift für romanische Philologie (63; 1943), 245–255, 247ff. Von Curtius übernommen ist die bei Vessey nicht gesondert aufgeführte fünfte Kategorie des Abschlusses. Siehe auch: Brinkmann, Henning, ›Der Prolog im Mittelalter als literarische Erscheinung: Bau und Aussage‹, in: Wirkendes Wort (14; 1964), 1–21; Jaffe, Samuel, ›Gottfried von Straßburg and the Rhetoric of History‹, in: Medieval Eloquence: Studies in the Theory and Practice of Medieval Rhetoric, hg. v. James J. Murphy, Berkeley 1978, 288–318; Simon, Gertrud, ›Untersuchungen zur Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber bis zum Ende des 12. Jahrhunderts‹, in: Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde (4; 1958), 52–119. 580 Schon der zweite Halbsatz des Prologes stellt Radulfs spielerischen, geradezu manieristischen Umgang mit Sprache zur Schau, wenn er nacheinander diverse Variationen des Verbs ferre mit jeweils unterschiedlichen Präfixen in parallel angelegten Nebensätzen aneinanderreiht, um die Vorzüge der Geschichtsschreibung zu demonstrieren: dum quod transiit refert, dum victorias profert, dum victoribus defert, segnitiem aufert, probitatem affert, vitia transfert, virtutes infert, plurimum confert (RvC Præfatio). 581 RvC Præfatio.

Prologe in der antiochenischen Historiographie

141

trag, die Schilderung seines anfänglichen Zögerns und schließlich seiner Annahme der Aufgabe unter Vorbringen von Bescheidenheitstopoi sowie des Vorbehaltes, erst nach dem Tod der Auftraggeber mit der Arbeit zu beginnen, bilden den größten Teil des Prologes.582 Eine deutliche Reflexion ethnohistorischer Prozesse ist hingegen nicht zu verzeichnen. Selbst die für das Werk Radulfs insgesamt so bedeutende Anknüpfung an die Normannitas und die Tradition der Dynastie der Hauteville-laGuichard findet nicht explizit statt, sondern wird allein indirekt durch die Hervorhebung Tankreds und Bohemunds ausgedrückt, ohne daß diese dabei als Normannen oder Vertreter ihres Hauses benannt werden. Abgesehen von der auf wenige Sätze begrenzten Zusammenfassung der felix illa peregrinatio583 bleibt damit der Prolog weitestgehend unspezifisch und formelhaft und ist gekennzeichnet durch das Fehlen der den Haupttext bestimmenden charakteristischen Motive. Dennoch lassen sich Spuren einiger für die Untersuchung des ethnohistorischen Charakters der Gesta Tancredi relevanter Elemente im Prolog identifizieren.584 An erster Stelle ist auf die Rolle Antiochias zu verweisen. Im Zentrum des Interesses steht in der knappen historischen Exposition zunächst erwartungsgemäß der Kreuzzug als sudor ille gloriosus, qui matri nostræ Iherusalem hæreditatem suam restituit, idolatriam exstinxit, fidem reparavit.585 Kurz darauf jedoch erweist Radulf auch Antiochia Beachtung, wenn er seine beiden Herren und Auftraggeber – Bohemund und Tankred – über zwei große Ereignisse des Kreuzzuges sinnieren läßt: utriusque [Boamundi et Tancredi] sermo quotidianus Turcos fugisse, institisse Francos, nunc peremptos hostes, nunc captas urbes. Antiochiam noctu dolis, Iherusalem die armis, memorabat.586

Obgleich Jerusalem als spiritueller Ziel- und Höhepunkt des Kreuzzuges auch im Text des Normannen unangefochten ist und dementsprechend im Prolog gewürdigt wird, folgt sogleich eine Parallelisierung Antiochias und Jerusalems, die Radulf hier auf gleicher Ebene als wichtigste Errungenschaften des ersten Kreuzzuges darstellt, wobei er eben die Metropole am Orontes sogar vor der Heiligen Stadt nennt. Dies ist Ausdruck eines – noch genauer zu analysierenden – für Antiochia typischen intensiven Bemühens um die Legitimation der lateinischen Herrschaft in Nordsyrien und um die Rechtfertigung der Existenz des 582 Vgl. Simon, ›Topik‹, 59, 65f, 109ff. 583 RvC Præfatio. 584 Zum Prolog der Gesta Tancredi vgl. Russo, ›Tancredi‹, 196f. Russo schreibt Radulfs Werk jedoch auch im Hinblick auf den Prolog keinen ethnohistorischen Charakter zu. 585 RvC Præfatio. 586 RvC Præfatio.

142

Ethnohistorische Entwürfe und Reflexionen

Fürstentums neben dem das eigentliche Ziel des Kreuzzuges verkörpernden Königreich von Jerusalem.587 Im Prolog der Gesta Tancredi spielt dieses Legitimationsstreben zwar keine zentrale Rolle, Radulf verleiht ihm im hier besprochenen Beharren auf der Dualität von Jerusalem und Antiochia aber dennoch Ausdruck. Dieses Nebeneinander der beiden großen durch ihre Hauptstädte bezeichneten Kreuzfahrerstaaten stellt damit zugleich eine erste subtile Antizipation der partikularistischen Perspektive dar, welche Radulf von Caen im Hinblick auf die ethnogenetischen Prozesse in Outremer einnimmt. Ein Vergleich mit den Prologen der nicht dem antiochenischen Kontext zuzuordnenden Texte bekräftigt diese Interpretation. Anders als Radulf von Caen lassen nämlich die abendländischen Chronisten des ersten Kreuzzuges nicht nur die gleichrangige Gegenüberstellung Antiochias und Jerusalems vermissen; vielmehr erwähnen die Prologe der in Europa entstandenen Texte das nordsyrische Fürstentum und seine Hauptstadt mit keinem Wort, obwohl dessen Eroberung als wichtiger Abschnitt des Kreuzzuges durchaus eines kurzen Verweises würdig gewesen wäre. Die ganze Aufmerksamkeit der abendländischen Autoren gilt Jerusalem selbst, neben dem keine der anderen großen Städte der Kreuzfahrerstaaten eine Nennung an exponierter Stelle gerechtfertigt zu haben scheint. Selbst der anonyme Autor der Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum, dessen Text maßgeblich auf den Gesta Tancredi beruht, bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme und übergeht Antiochia.588 Ebenso kündigt sich im Prolog der Gesta Tancredi schon die zentrale Stellung an, welche Bohemund und insbesondere Tankred in diesem Text einnehmen. Obgleich nämlich ein von Herrschern ausgehender Schreibauftrag sowie die panegyrische Verherrlichung dieser Potentaten gewiß in Prologen häufig anzutreffende Gemeinplätze darstellen,589 geht Radulf über die Anforderungen bloßer Topik hinaus. Dies betrifft etwa die Schilderung der Entstehungsgeschichte des Textes sowie der Schreibmotivation Radulfs. Dieser faßt seine historiographische Arbeit als direkte Fortsetzung der kämpferischen Anstrengungen der beiden Normannenführer auf und stellt seine Feder als Pendant zum Schwert Bohemunds und Tankreds dar : Hujus tam præclari laboris cooperatoribus me contigit militare: Boamundo, quum Dyrachium obsideret; Tancredo paulo post quum Edessam ab obsidione Turcorum liberaret.590

587 588 589 590

Siehe hierzu detailliert Kapitel VII.1. Vgl. BvD Prologus; GvN Praefatio; HAI Prologus; RdM Prologus. Vgl. Simon, ›Topik‹, RvC Præfatio.

Prologe in der antiochenischen Historiographie

143

Bemerkenswert ist in dieser Passage zunächst die Auswahl der militärischen Errungenschaften Bohemunds und Tankreds. Daß nämlich neben den im Text unmittelbar folgenden Eroberungen von Antiochia und Jerusalem und der Hilfeleistung Tankreds für Edessa – ausnahmslos Kämpfe gegen muslimische Gegner – hier ausgerechnet die (nur zu einer kurzzeitigen Besetzung führende) Belagerung von Dyrrhachion als Beispiel gewählt wird, bezeugt die Bedeutung, die Radulf dem Kampf gegen die Byzantiner beimißt.591 Erstmals zeigt sich im Text hier die für die normannisch-antiochenische Historiographie so charakteristische Graecophobie – die Gegner des Kampfes der Normannen in Antiochia sind in den Gesta Tancredi von Beginn an nicht nur die Muslime, sondern auch die Byzantiner, denen der erste Kreuzzug eigentlich Hilfe bringen sollte. Selbst die topischen Angaben zur Genese der Gesta Tancredi enthalten eine spezifisch antiochenisch-ethnohistorische Komponente, deren Artikulation Bohemund und Tankred als Impulsgebern für Radulfs Werk zugeschrieben wird: Papæ! aiebant, quonam modo nos segnities perdit; quum priscis summa vatibus fuerit scribere voluptas? Et illi quidem adinventiones fabulosas ordiuntur ; militiae Christi victorias tacent hodierni: ignavum equidem pecus, et fucis astruendi.592

Hier legt Radulf Bohemund und Tankred den Schreibauftrag in den Mund. In diesen Worten, welche seine beiden Herren täglich wiederholt hätten – publice moventes593 – ist ein indirekter Verweis auf die ethnogenetische Phase der Lateiner Antiochias zu verzeichnen. Denn die Errungenschaften, um deren Vergessen die beiden ersten Fürsten Antiochias hier fürchten, sind trotz der Erwähnung der militia Christi nicht in erster Linie die Ereignisse des ersten Kreuzzuges als bewaffnete Pilgerfahrt nach Jerusalem. Vor dem Vergessen bewahrt werden soll vielmehr der spezifische Kreuzzug der mediterranen Normannen, der sich – das zeigt der Verweis auf Dyrrhachion – immer auch als Fortsetzung der Konflikte vor 1095 gegen die Byzantiner richtete; dessen Schwerpunkt ferner – wie die Einbindung Edessas veranschaulicht – stets eher in Nordsyrien als in Palästina lag.

591 Erwähnenswert ist ferner, daß Bohemunds einziger Exklusiv-Erfolg in dieser Auflistung bezeichnenderweise der Zeit vor dem Kreuzzug entnommen ist, so daß in erster Linie Tankred mit dem orientalischen Projekt der Normannen assoziiert wird. 592 RvC Præfatio. 593 RvC Præfatio.

144 b.

Ethnohistorische Entwürfe und Reflexionen

Antiochia als primärer Bezugspunkt in den Prologen der Bella Antiochena

Walter der Kanzler stellt den beiden Büchern seines Werkes je einen eigenen Prolog voran. Beide sind für die vorliegende Untersuchung auf den ersten Blick von sehr begrenztem Wert, da sie sich auf Kommentare zum eng abgesteckten Thema der Bella Antiochena – zu den Konflikten zwischen Antiochia und den Türken unter Bursuq von Hamadan und Ilgazi. In erster Linie unternimmt der antiochenische Kanzler eine ethisch-religiöse Deutung der Kämpfe gegen die Türken und vor allem der unterschiedlichen Resultate der beiden Kampagnen in den Jahren 1115 und 1119. Es geht Walter darum, anhand der Kontrastierung des lateinischen Triumphes in der ersten Schlacht von Tell Danith im September 1115 mit der verheerenden Niederlage auf dem Ager sanguinis am 28. Juni 1119 Handlungsempfehlungen für zukünftige Generationen zu bieten.594 Eine Reflexion der ethnogenetischen Phase des ersten Kreuzzuges und der ersten Jahre des 12. Jahrhunderts hat in diesen Erwägungen zu den Ereignissen zwischen 1115 und 1119 anscheinend keinen Platz. Eigentlich wäre anläßlich einer Niederlage wie jener der Antiochener auf dem Ager sanguinis, die mit der Auslöschung eines großen Teils der normannischen Elite des Fürstentums einherging, zu erwarten gewesen, daß die Lateiner in Nordsyrien ein gesteigertes Bedürfnis zur ethnischen Selbstvergewisserung entwickelten. Eine solche ethnizistische Reaktion jedoch hätte ihre Spuren in einem Text wie den Bella Antiochena und sicher in dessen Prologen hinterlassen müssen. Insbesondere wäre eine identitätsstiftende und -stärkende Rückbesinnung auf die glorreiche Vergangenheit, auf die Gründungszeit des Fürstentums zu erwarten, die jedoch Walter nicht explizit unternimmt. Vielmehr breitet der antiochenische Kanzler den Mantel des Schweigens nicht nur über den Ursprüngen des Fürstentums aus, sondern bezeichnenderweise auch über dessen Gründervätern. Lassen sich bei Radulf von Caen immerhin noch indirekt Anknüpfungen an die Tradition der Normannitas oder das Haus Hauteville-laGuichard erkennen, wird dessen einziger in den Prologen der Bella Antiochena auftauchender Vertreter Roger von Salerno für das Unglück seiner Untertanen verantwortlich gemacht, während jedweder Verweis auf die normannischen Gründer des Fürstentums fehlt. Diese Beobachtungen erschweren die Interpretation der Prologe Walters und damit der Bella Antiochena. Eine mögliche Schlußfolgerung wäre, daß aus dem ersten Kreuzzug keine eigene, von Jerusalem und den Jerosolymitanern zu trennende ethnische Gruppe in Antiochia hervorging. Alternativ ließe sich die These formulieren, daß die Niederlage im Juni 1119 für das lateinische Antiochia 594 Vgl. WdK I.Prologus u. II.Prologus. Dazu auch: Asbridge u. Edgington, ›Introduction‹, 11f.

Prologe in der antiochenischen Historiographie

145

einen derart tiefen Einschnitt bedeutete, daß eine ethnische Selbstvergewisserung nicht durch eine Anknüpfung an, sondern im Gegenteil nur durch eine Abkoppelung von der vor dieser Katastrophe bestimmenden Traditionslinie erfolgen konnte. Antiochia hatte nicht nur seinen Fürsten und einen beachtlichen Teil seiner militärischen Elite verloren, sondern das Fürstentum hatte auch im Gefüge der lateinischen Staaten in Outremer erheblich an Prestige und Macht eingebüßt und war stärker denn je auf einen jerosolymitanischen Regenten angewiesen – auf Balduin II.595 Vor diesem Hintergrund mußten die Elemente des vor dem Wendepunkt des Sommers 1119 vorherrschenden Mythomoteurs hinterfragt werden. Walter löst sich tatsächlich in seinen Prologen vollkommen von der Normannitas und dem normannischen Herrscherhaus. Insofern stellen die Bella Antiochena einen Glücksfall für die Erforschung der lateinischen Ethnizitäten in Outremer dar, da sie es erlauben, im Vergleich mit den älteren Texten der antiochenischen Überlieferung einen Bruch in der Entwicklung der neu entstandenen ethnischen Gruppen zu beobachten, wie er sich erst 1187 im Königreich Jerusalem wiederholen sollte. Walter der Kanzler allerdings bietet gegenüber der jerosolymitanischen Historiographie nach Hattin den Vorzug, daß er sich ganz diesem Wendepunkt widmet. Freilich könnte auf Grundlage der Prologe der Bella Antiochena der Eindruck entstehen, daß bei dem Prozeß der ethnischen Neuorientierung zwar eine Abkehr von der normannischen Traditionslinie zu konstatieren ist, daß sich aber nicht erschließen läßt, ob etwas und gegebenenfalls was von der Substanz des hier postulierten lateinisch-antiochenischen Mythomoteurs der Zeit vor dem Blutfeld bestehen blieb. Tatsächlich ist es für die Suche nach der verbliebenen Substanz des Mythomotors zunächst vonnöten, weniger auf die positiven Aussagen der Prologe zu achten, sondern vielmehr das Augenmerk auf all jenes zu richten, was unerwähnt bleibt. So fällt auf, daß Balduin II. wie auch das Königreich Jerusalem nicht erwähnt werden, was insbesondere im Hinblick auf den Inhalt des zweiten Buches verwunderlich ist, da gerade dort der Wandel des Jahres 1119 thematisiert und der jerosolymitanische König zum neuen Helden aufgebaut wird.596 Balduin erscheint als rex, qui solus post Dominum dominus et defensor Christanitatis [sic] exstitit,597 wie Walter anläßlich der zweiten Schlacht von Tell Danith im August 1119 formuliert, in der die vereinigten jerosolymitanischen und antiochenischen Heere Ilgazi schlagen und Antiochia vorerst vor der Gefahr einer türkischen Eroberung bewahren konnten. Dennoch würdigt Walter in den sein Gesamtwerk strukturierenden und kommentierenden Textteilen weder Balduin 595 Vgl. Asbridge, ›Significance‹, 306. 596 Vgl. Asbridge u. Edgington, ›Introduction‹, 26–34. 597 WdK II.xi.6.

146

Ethnohistorische Entwürfe und Reflexionen

noch die Jerosolymitaner, ohne deren Hilfe Antiochia im Sommer 1119 dem Untergang geweiht gewesen wäre. Auch bleibt jeder Versuch aus, durch eine Anknüpfung an die Tradition des ersten Kreuzzuges im Sinne einer panlateinischen Neuausrichtung die Gemeinsamkeiten aller Lateiner in der Levante hervorzuheben.598 Diese Beobachtungen erlauben es, die Werkprogrammatik des Textes zu erschließen: Walter der Kanzler schrieb mit seinen Bella Antiochena weder Kreuzzugsgeschichte noch die Geschichte des lateinischen Orients – er verfaßte vielmehr eine genuin partikularistisch antiochenische Historie. Nach der Katastrophe des Blutfeldes war es nicht mehr die durch Roger von Salerno diskreditierte alte normannische Herrscherdynastie, die identitätsstiftend wirkte; ebensowenig konnte allerdings Balduin II. als gefeierter Retter und neuer Regent des Fürstentums vollkommen an die Stelle der Hauteville-la-Guichard treten, der die durch Bursuq von Hamadan in den Mythomoteur der Antiochener gerissene Lücke nicht füllen konnte. Dessen verbliebene wesentliche Substanz ist Antiochia selbst, ist die Identifikation mit dem Fürstentum und seiner Hauptstadt am Orontes. Bedingt durch den zeitlichen und inhaltlichen Zuschnitt seines Werkes muß Walter der Kanzler allerdings anders als Radulf von Caen nicht mehr den Wert Antiochias für den ersten Kreuzzug herausstellen – aus der Dualität der beiden großen Kreuzfahrerstaaten im Prolog der Gesta Tancredi ist in den Prologen der Bella Antiochena eben der exklusive Bezug auf Antiochia geworden. So dienen die langen, den ersten Prolog dominierenden Ausführungen zu den moralischen Verfehlungen der syrischen Christen als Beleg dafür, daß die lateinische Herrschaft in Antiochia gleichermaßen rechtmäßig wie notwendig ist. Die orientalischen Christen hatten sich für den antiochenischen Kanzler als schlechte und unwürdige Sachwalter Antiochias erwiesen und mußten somit konsequenterweise durch geeignetere Herrscher ersetzt werden: Hos itaque perpetrata mala non plangentes et plangenda uoluntarie et publice perpetrantes auctor summae iustitiae signis, prodigiis, plagis, tribulatione etiam aduersarum gentium, multis annorum curriculis inlatis, non perdendo sed parcendo permisit adfligi. Graecis namque regnantibus ipsorum imperio seruisse conuincuntur. eisdem ex Asia propulsis Parthorum regnantium cessere dominio; tandem, Deo uolente, intolerabiliori599 succubuere Gallorum potestati.600 598 Vgl. Asbridge, Creation, 145. 599 Von der Übersetzung dieses Wortes hängt wesentlich die Deutung der Passage ab. Kedar will hierin eine Steigerung der Unterdrückung der syrischen Christen durch die Griechen und die Seldschuken (in typischer Weise historisierend als Parthi bezeichnet) erkennen, übersetzt also intolerabiliori als »more intolerable« (vgl. Kedar, Benjamin Z., ›The Subjected Muslims of the Frankish Levant‹, in: Muslims under Latin Rule, 1100–1300, hg. v. James M. Powell, Princeton 1990, 135–174). Ich schließe mich hingegen der durch As-

Prologe in der antiochenischen Historiographie

147

Obgleich die Bella Antiochena im eigentlichen Sinne keine Ursprungserzählung der lateinischen Antiochener sind, läßt sich in dieser Passage dennoch eine knappe Reflexion der ethnogenetischen Phase und der Gründung des Fürstentums, eine Kurzform der lateinisch-antiochenischen Ethnogenese erkennen, wobei der Akzent eben auf der Legitimation der lateinischen Herrschaft liegt. Diese Legitimation fußt zudem nicht allein auf der Unterstellung moralischer Defizite und mangelnder Wehrhaftigkeit der syrischen Christen, sondern sie ist insbesondere auch gegen die auf den Abmachungen zwischen Alexios Komnenos und den Kreuzfahrern beruhenden Ansprüche gerichtet, die das byzantinische Kaisertum auf Antiochia erhob.601 Zu diesem Zwecke vollzieht Walter hier eine erstaunliche Umdeutung der ethnisch-religiösen Gruppenzugehörigkeiten und -grenzen in Nordsyrien. So scheint er alle autochthonen Christen in den Grenzen des Fürstentums – also die von Konstantinopel abhängigen griechischorthodoxen Melkiten ebenso wie die Anhänger der syrischen Orthodoxie und die Armenier – zu einer Einheit zusammenzufassen, obwohl dieses Konstrukt weder theologisch homogen war, noch eine politische Interessengemeinschaft darstellte. Diese imaginierte Gruppe und ihre ebenso imaginierten gemeinsam Interessen werden nichtsdestotrotz im Prolog gezielt gegen das byzantinische Kaisertum und dessen Ansprüche in Nordsyrien ausgespielt, indem die Periode der byzantinischen Herrschaft gleichrangig neben dem seldschukischen Intermezzo zwischen 1084 und 1098 als eine Fremdherrschaft charakterisiert wird. Diese gleichsam vereinfachte wie verfälschte Sicht der ethnisch-religiösen Vielfalt im Fürstentum sowie der Geschichte Antiochias dürfte kaum einer mangelnden Sachkenntnis und Unterscheidungsfähigkeit des mit Nordsyrien vertrauten Autors geschuldet sein. Vielmehr dient diese Vereinfachung der Legitimation der Eroberung des Jahres 1098, die schließlich ebenfalls von außen über Syrien hereinbrach, wobei Griechen und Türken immerhin noch einen gewissen Anspruch darauf erheben konnten, die natürlichen Fürsprecher der Melkiten beziehungsweise der Muslime in Nordsyrien zu sein, während die Lateiner wahrhaft fremd waren. Die Herrschaft der Lateiner wird dadurch über die der Seldschuken und Byzantiner erhoben, daß sie als Ausdruck des göttlichen Willens dargestellt wird – sie sei eben Deo uolente errichtet worden. Freilich endet der erste Prolog der Bella Antiochena nicht auf dieser für die Lateiner wohlklingenden Note; vielmehr leitet Walter schon das erste Buch, welches eigentlich den großen Triumph der lateinischen Antiochener in der

bridge und Edgington präferierten Übersetzung »irresistible« an (vgl. Asbridge u. Edgington, ›Introduction‹, 80), durch die zum Ausdruck kommt, daß die Syrer der Macht der Lateiner noch weniger entgegenzusetzen hatten als den Griechen und Seldschuken. 600 WdK I.Prologus.6. 601 Vgl. Asbridge, Creation, 92–103; Cahen, Syrie, 205ff; Lilie, Byzanz, 45–49.

148

Ethnohistorische Entwürfe und Reflexionen

ersten Schlacht von Tell Danith thematisiert, mit einer Andeutung bedrohlicher Ereignisse ein: qui cum neque hinc neque inde corrigerentur, praefati Syri et eorum dominatores tantam a contingente terrae motu sunt passi calamitatem et ruinam, quantam antea fuisse nulla commemorauit historia.602

Im verheerenden Erdbeben, welches Antiochia im November 1114 heimsuchte, manifestiert sich für Walter eine erste Mahnung an die Lateiner, mit welcher diese an ihre – die Legitimität ihrer Herrschaft begründende – Verantwortung für die orientalischen Christen erinnert werden. Walter etabliert hier schon zu Beginn des ersten Buches das Leitmotiv der Bella Antiochena, das dann vor allem deren zweites Buch bestimmt: Die Prologe Walters des Kanzlers sind ein Plädoyer für die lateinische Herrschaft über Antiochia und gleichzeitig eine Mahnung an die Lateiner, sich als dieser Aufgabe würdig zu erweisen. Obwohl also die Bella Antiochena keine Origo Gentis darstellen, verleihen ihnen die Prologe einen ethnohistorischen Charakter. Der Text ist im besten Sinne eine lateinisch-antiochenische Geschichte, die als Reaktion auf die Katastrophe des Ager sanguinis geschrieben wurde.

2.

Ethnohistorische Reflexion in den Prologensembles der jerosolymitanischen Historiographie

Gegenüber den Vertretern der antiochenischen Überlieferung haben die Texte aus dem Königreich Jerusalem für eine Analyse von Ethnogenese und Ethnizität einen entscheidenden Vorteil, da die jerosolymitanische Überlieferung einen sehr viel längeren Zeitraum abdeckt. Doch von dieser longue dur¦e der jerosolymitanischen Historiographie profitiert nicht nur der moderne Leser, der aus den Texten des lateinischen Königreiches Informationen zur Entwicklung und Prägung der Gruppe der Jerosolymitaner und ihres Mythomoteurs zu gewinnen sucht. So gab die größere zeitliche Distanz zur Eroberung Jerusalems vor allem den jerosolymitanischen Autoren selbst Gelegenheit, die Ereignisse des Kreuzzuges und der Gründungszeit des lateinischen Königreiches in der Rückschau besser verstehen und bewerten zu können. Insbesondere ergab sich hieraus ein klareres Verständnis jenes Prozesses, durch den die Teilnehmer des ersten Kreuzzuges im Heiligen Land trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft zur Gruppe der Jerosolymitaner zusammenwuchsen. Fulcher von Chartres hatte diesen Prozeß selbst mitvollzogen, was sich in der Entwicklung seines Textes von der nicht überlieferten Urfassung bis zur letzten Überarbeitung vor 1127 spie602 WdK I.Prologus.6.

Prologensembles der jerosolymitanischen Historiographie

149

gelt; und dem im Orient geborenen Wilhelm von Tyrus war die Identifikation mit den Jerosolymitanern und ihrer Geschichte bereits in die Wiege gelegt. Die jerosolymitanischen Autoren schrieben anders als die antiochenischen zwar auch die Entstehungsgeschichte ihrer ethnischen Gruppe, sie waren jedoch in der Lage diese Geschichte deutlich länger über die Phase der origo hinaus zu begleiten und weiterzuschreiben. Daher läßt sich in der jerosolymitanischen Überlieferung in besonderer Klarheit die Ausbildung eines eigenen ethnischen und ethnohistorischen Selbstbewußtseins nachvollziehen, läßt sich nicht nur das Entstehen einer neuen ethnischen Gruppe beobachten, sondern auch die Reflexion dieses Prozesses verfolgen. Dieses stärkere ethnohistorische Bewußtsein spiegelt sich insbesondere in den Prologen, sowie in solchen Kapiteln, die zwar später im Werk platziert sind, die dabei jedoch mit den Prologen in einer engen Beziehung stehen. Zusammenfassend bezeichne ich diese miteinander korrespondierenden Abschnitte als Prologensembles.

a.

Quis audivit unquam talia? – Reflexion der jerosolymitanischen Ethnogenese im Prologensemble Fulchers von Chartres

Die Historia Hierosolymitana veranschaulicht die Besonderheit der jerosolymitanischen Historiographie in besonders eindrucksvoller Weise. Fulcher von Chartres nutzt die textlich herausragende Position des Prologes dazu, über die Stellung seiner eigenen Gruppe innerhalb der Geschichte nachzusinnen. Als Vergleichspunkte für die Taten dieser Gruppe dienen die Israeliten und vor allem die Makkabäer.603 Obgleich er eigentlich keinen Vergleich mit den Leistungen dieser biblischen Vorbilder anstellen wolle, unternimmt er in der Folge eben diese Gegenüberstellung und gelangt zu dem Schluß, daß das Verdienst der eigenen Gruppe als beispiellos erscheinen müsse. Im Rückgriff auf das aus Origines Gentium vertraute Motiv der »paucitas«, mit dem die besondere Vitalität und Durchsetzungskraft der mit der zahlenmäßigen Übermacht ihrer Feinde konfrontierten Ethnie unter Beweis gestellt wird, kommentiert Fulcher am Ende des zweiten Jahrzehntes nach der Eroberung Jerusalems durch das Heer des ersten Kreuzzuges die ethnohistorische Entwicklung seiner eigenen Gruppe. Dabei verleiht er seinem Erstaunen darüber Ausdruck, daß eben diese Gruppe sich allen Widrigkeiten zum Trotz nicht nur erfolgreich verteidigt habe,

603 Vgl. FvC Prologus.3. Siehe auch Giese, ›Untersuchungen‹, 74ff. Giese spricht von einer »makkabäischen Situation«, welche die Existenz der Lateiner im Orient bestimmt habe. Vgl. ibid., 76f.

150

Ethnohistorische Entwürfe und Reflexionen

sondern daß sie im Angesicht der Bedrohung vieler feindlicher Reiche ein neues Leben habe aufbauen können: quis potest non mirari, quomodo nos, exiguus populus inter tot hostium nostrorum regna, non solum resistere, sed etiam vivere poteramus?604

Die isolierte Situation des Volkes inter manus nos laniantium605 erscheint nicht als Strafe Gottes, sondern gar ausdrücklich als göttliche Auszeichnung, als Gelegenheit zu einem besonders gottgefälligen Leben und Sterben, dessen höchste Auszeichnung in der Krönung durch das Martyrium besteht. Diese die ersten zwei Jahrzehnte der jerosolymitanischen Geschichte reflektierende Passage des Prologes schließt daher auch mit den ethnizistisch besonders gut zu instrumentalisierenden Psalmworten beata enim gens cuius est Dominus eius!606 Für Fulcher ist die Gruppe, der er sich selbst zurechnete, ist dieser populus exiguus inmitten der Feinde zudem nicht allein das auserwählte Volk, das in der Nachfolge der Israeliten und Makkabäer steht; vielmehr stellt er die Gruppe als einzigartig in Geschichte und Heilsgeschichte dar : quis audivit unquam talia?607 formuliert er daher auch im Rückblick auf die ersten zwanzig Jahre nach dem Fall der Heiligen Stadt. Mit diesen von Jesaja entlehnten Worten608 verdeutlicht Fulcher einerseits die Wahrnehmung einer beispiellosen göttlichen Begünstigung, welche sich durch zahlreiche Wunder manifestiert.609 Diese Gottesgunst gerät zum Ausweis dafür, daß – trotz der Bescheidenheitsbekundung zu Beginn des Prologes – Fulchers eigene Gruppe jene der Israeliten und Makkabäer sogar noch übertreffen muß.610 Andererseits beinhaltet die Formulierung quis audivit umquam talia? auch eine ethnohistorische Komponente. Fulcher hebt die Bedeutung der Leistungen des populus exiguus nicht nur synchron hervor, sondern er ordnet sie aus einer diachronen Perspektive in den historischen Kontext ein, indem er die rhetorische Frage nach vergleichbaren Taten aus der Geschichte stellt. Die ethnohistorische Interpretation der Kreuzzugsereignisse zeigt sich hier ferner daran, daß die auch zum Zeitpunkt der Abfassung des zwischen 1118 und 1120 entstandenen Prologes611 teilweise noch lebenden Akteure der Historia durch Fulcher – der zudem selbst einer dieser Akteure war – historisiert werden, 604 605 606 607 608 609

FvC Prologus.4. FvC Prologus.4. Ps 32:12. FvC Prologus.4. Vgl. Is 66:8. Zur Beschreibung der Wunder durch Fulcher von Chartres siehe auch Giese, ›Untersuchungen‹, 91f. 610 Vgl. FvC Prologus.3–4. 611 Vgl. Epp, Fulcher von Chartres, 13.

Prologensembles der jerosolymitanischen Historiographie

151

indem er sie als Gruppe der praedecessorum fidelium612 benennt, an denen es sich zu orientieren gelte. Fulcher entrückt die Ereignisse des Kreuzzuges der Gegenwart und verleiht den Gründern und damit der Gruppe der Jerosolymitaner eine Anciennität, die zwanzig Jahre nach Gründung des lateinischen Königreiches eigentlich noch gar nicht bestand, die aber seiner ethnizistischen Agenda dienlich war. Der Autor der Historia beweist damit nicht nur einen hohen Grad an Reflexion der eigenen Ethnohistorie, sondern auch sein Geschick, die ethnogenetisch relevanten Ereignisse als solche zu erkennen, sie zu historisieren und in die ethnizistische Erzählstrategie des Gesamtwerkes einzubinden. Das eindrucksvollste Zeugnis eines klaren Bewußtseins der jerosolymitanischen Ethnogenese findet sich in einem Kapitel gegen Ende der Historia, das trotz der späteren Abfassung zwischen 1124 und 1127 zusammen mit dem Prolog eine Einheit bildet. Fulcher von Chartres zieht dort – ausgehend von der Beobachtung einer Sonnenfinsternis am 11. August 1124 – ein Resümee des ersten Vierteljahrhunderts der Geschichte des Königreiches Jerusalem.613 Diese Rückschau ist als Versuch gewertet worden, durch eine idealisierte Darstellung der Zustände in Outremer Westeuropäer dazu zu bewegen, sich den Pilgerzügen in den Orient anzuschließen, um dort einige Zeit militärische Hilfe für die Kreuzfahrerstaaten zu leisten oder sich gleich dauerhaft in der Levante anzusiedeln.614 Auch wurde das Kapitel als erstes Zeugnis jener Annäherung an wie auch kulturellen und gar familiären Verschmelzung der westeuropäischen Siedler mit den autochthonen Bevölkerungsgruppen Syriens und Palästinas interpretiert, die oft als Charakteristikum des lateinischen Orients bezeichnet wird.615 612 FvC Prologus.1. 613 Vgl. FvC III.xxxvii. 614 Vgl. Epp, Fulcher von Chartres, 137f; Giese, ›Untersuchungen‹, 94f; FvC, 747f, Anm. 1.; Kletler, ›Gestaltung‹, 305f. Epp will die Passage an anderer Stelle (Epp, Fulcher von Chartres, 166) durchaus als Ausdruck des »pränationalen Bewußtsein[s]« (ibid.) Fulchers von Chartres erkennen, hebt aber eben gleichzeitig die werbende Funktion hervor. 615 Vgl. Folda, Jaroslav, ›Crusader Art in the Twelfth Century : Reflections on Christian Multiculturalism in the Levant‹, in: Intercultural Contacts in the Medieval Mediterranean: Studies in Honour of David Jacoby, hg. v. Binya¯min Arbel, London 1996, 80–91, 81; Luchitskaia, Svetlana, ›L’Individu parmi les Autres: Les Contacts Culturels Chr¦tiensMusulmans. Le Cas du Royaume Latin de J¦rusalem‹, in: Das Individuum und die Seinen: Individualität in der okzidentalen und in der russischen Kultur in Mittelalter und früher Neuzeit, hg. v. Yuri L. Bessmertny u. Otto Gerhard Oexle (= Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte; 163), Göttingen 2001, 77–92, 79; Schwinges, Kreuzzugsideologie, passim; Smail, Warfare, 43 m. Anm. 3. Dieser Aspekt der Orientalisierung der Lateiner hat selbst die Deutung des Fulcherschen Resümees durch Hiestand und Murray bestimmt. Vgl. Hiestand, ›Siedleridentität‹, 63; Murray, ›Identity‹, 62f. Allein Epp interpretiert das Kapitel primär als Reflektion des Entstehens »einer eigenen Le-

152

Ethnohistorische Entwürfe und Reflexionen

Tatsächlich finden sich in Fulchers auch als »recruitment manifesto«616 bezeichnetem Text überschwengliche und zweifellos optimistische Beschreibungen der Verhältnisse in Outremer, die dazu geeignet gewesen sein dürften, potentiellen neuen Siedlern die Entscheidung zur Migration zu erleichtern. Insbesondere die Verheißungen von Reichtum und Besitz erinnern an die Versprechungen aus Werbeschriften für Auswanderungswillige späterer Jahrhunderte: qui enim illic erant inopes, hic facit eos Deus locupletes. qui habuerant nummos paucos, hic possident bisantios innumeros, et qui non habuerat villam, hic Deo dante iam possidet urbem.617

Gewiß behandelt Fulcher die Orientalisierung der Okzidentalen ausführlich und in diesem Zusammenhang verweist er auch auf die Eheschließungen von (männlichen) Westeuropäern mit christlichen Syrerinnen und Armenierinnen sowie getauften Sarazeninnen.618 Dennoch ist Fulchers Rückschau in erster Linie weder als optimistischer Kommentar zur Verschmelzung der Kulturen noch als eine Werbeschrift für potentielle Kreuzfahrer und Siedler zu werten. Um die programmatische Stoßrichtung dieses bedeutenden Kapitels richtig zu erfassen, muß dieses vielmehr im weiteren Werkkontext gelesen werden. Als Resümee zu vorangegangenen Ereignissen und Entwicklungen hat dieser Exkurs nämlich neben der Beobachtung der Sonnenfinsternis keinen direkten inhaltlichen Bezug zu den Kapiteln, zwischen denen er eingebettet ist; er hätte also auch an beliebiger anderer Stelle positioniert werden können. Dennoch steht das Kapitel nicht isoliert für sich, sondern bildet vielmehr zusammen mit dem Prolog ein Paar von Klammern, welches die Ethnogenese der Jerosolymitaner umschließt und kommentiert. Die Gedanken und Motive des Prologes werden im Resümee erneut aufgegriffen und ergänzt. In dieser Rückschau auf die ethnogenetische Phase des lateinischen Orients besteht der eigentliche Sinnbezug dieses wichtigen Kapitels. Der Grund für die Einbettung dieser Retrospektive an der von Fulcher gewählten Stelle erschließt sich nicht aus ihrem inhaltlichen, sondern vielmehr aus ihrem zeitlichen Bezug zum textlichen Umfeld. Denn Fulcher hat ausgerechnet seine Berichte zum Sommer 1124 als Kontext für diese Reminiszenz gewählt – also den Rahmen von Geschehnissen, welche sich genau fünfundzwanzig Jahre nach der Gründung des Königreiches Jerusalem zutrugen. Es liegt nahe, in diesem jerosolymitanischen Jubiläum den eigentlichen Anlaß für Fulchers Rückschau zu erkennen. bensgemeinschaft« der Lateiner im Orient (Epp, ›Entstehung‹, 600), beschränkt sich aber ansonsten auf ein unkommentiertes Einfügen des Originaltextes von FvC III.xxxvii. 616 Asbridge, Crusades, 177. 617 FvC III.xxxvii.6. 618 Vgl. FvC III.xxxvii.4.

Prologensembles der jerosolymitanischen Historiographie

153

Anders als mitunter formuliert,619 ist nämlich nicht davon auszugehen, daß die Beobachtung der Sonnenfinsternis Fulcher zu seinem Rückblick veranlaßte, sondern daß umgekehrt die ethnizistische Stoßrichtung dieser Rückschau seine Beschreibung der Sonnenfinsternis bedingte und prägte.620 In direktem Anschluß an die Rückkehr des Patriarchen und der Reliquie des Wahren Kreuzes von der erfolgreichen Belagerung von Tyrus621 habe am 11. August 1124 für die Dauer einer Stunde die Sonne in einem besonderen Farbglanz gestrahlt, bevor sie schließlich in novam vel hyacinthinam formam commutatus622 worden sei. Hier wird offenbar, daß Fulcher mitnichten lediglich über ein interessantes Naturphänomen unterrichten wollte. Während die Berichte der gut dokumentierten Parallelüberlieferung zu der auch in Europa beobachteten Himmelserscheinung nämlich sehr knapp ausfallen und zudem auf die Erwähnung der Verdunkelung der Sonne beschränkt sind,623 deutet Fulcher das Naturphänomen um, indem er nicht die Verfinsterung der Sonne betont, sondern die Aufmerksamkeit auf den Farbglanz und die wunderbare Form der Himmelserscheinung lenkt: Das Resultat ist eben nicht bedrohlich, sondern besteht in der Verwandlung der Sonne in eine neue, wunderbare Gestalt. Wurden Sonnenfinsternisse im Mittealter gemeinhin negativ gedeutet und mit der Verdunkelung der Sonne bei der Kreuzigung Christi624 in Verbindung gebracht,625 so kehrt Fulcher diese gängige Sichtweise hier um. Der Verfasser der Historia nämlich stellt eine direkte Verbindung zwischen der wundersamen Erscheinung am Himmel und den ethnogenetischen Prozessen in den Kreuzfahrerstaaten her : noli ergo mirari 619 Vgl. FvC, 746, Anm. 1. 620 Epp hingegen sieht im Verweis auf die Sonnenfinsternis lediglich das Resultat eines Interesses an »genaue[r] Beschreibung und Deutung des Sternenhimmels«. Epp, Fulcher von Chartres, 106. 621 Vgl. FvC III.xxxvi. 622 FvC III.xxxvii.1. 623 Vgl. Ginzel, Friedrich Karl, ›Astronomische Untersuchungen über Finsternisse. Grundlagen aus historischen Sonnenfinsternissen zur Ableitung empirischer Correctionen der Mondbahn‹, in: Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Mathematisch-Naturwissenschaftliche Classe (88; 1883), 629–755, 694–697; FvC, 747, Anm. 2. 624 Die Finsternis bei der Kreuzigung wird erwähnt in: Mt 27:45; Mc 15:33; Lc 23:44–45. 625 Vgl. Domagalski, Bernhard, Art. ›Sonne. II. Historisch-theologisch‹, in: LThK 9:723; North, John D., ›Finsternis‹, in: LMA, 4:483–486. Eine Sonnenfinsternis, die am 11. Februar 1096 in Paris zu beobachten war, wo König Philipp mit seinen Vasallen über die Möglichkeit der Kreuzzugsteilnahme beriet, wird durch Guibert von Nogent mit den Worten horribiliter est conversa beschrieben (GvN II.xvii). Im Zusammenhang dieser Passage bei Guibert weist Bernard Hamilton zudem darauf hin, daß man den Mond traditionell als ein Symbol des Islams betrachtet habe, daß also eine Verdunkelung der Sonne durch den Erdtrabanten im Kreuzzugskontext eigentlich besonders negativ konnotiert gewesen sein müsse. Vgl. Hamilton, Bernard, ›God Wills It: Signs of Divine Approval in the Crusade‹, in: Signs, Wonders, Miracles: Representations of Divine Power in the Life of the Church, hg. v. Kate Cooper u. Jeremy Gregory, Woodbridge 2005 2005, 88–98, 94f.

154

Ethnohistorische Entwürfe und Reflexionen

cum signa vides in caelis, quia nihilominus operatur Deus et in terris.626 Anschließend an diesen Satz folgt der Hauptteil des Kapitels, in dem Fulcher ausführlich anhand der Geschichte der vorangegangen fünfundzwanzig Jahre das wundersame Wirken Gottes auf der Erde nachvollzieht, indem er auf das Heimischwerden im Orient verweist, auf die schon zu beobachtende Verwurzelung in der neuen Heimat, auf das Zusammenwachsen der Kreuzfahrer und nachfolgender Pilger unterschiedlichster Herkunft: nam qui fuimus Occidentales, nunc facti sumus Orientales.627 Der wunderbare Umformungsprozeß, als welchen Fulcher die Sonnenfinsternis interpretiert, findet seine Entsprechung in den ethnogenetischen Entwicklungen in Outremer, welche in der Verwandlung der heterogenen Gruppe der Kreuzfahrer in eine nova forma mündeten.628 Was von Sybel noch als »bornierte[n] Enthusiasmus« abtat, der »in abenteuerlichen Wundergeschichten zu Tage«629 trete, ist in Wahrheit ein elementarer Bestandteil in Fulchers ethnohistorischer Erzählung. Noch einmal erscheinen somit in dieser Retrospektive die im Prolog benannten Wunder, welche zwischen den beiden Klammern des Prologes und der Rückschau anläßlich des Jubiläums detailliert beschrieben werden. Zum Abschluß – gewissermaßen als Resümee des Resümees – faßt Fulcher die Entwicklung seiner ethnohistorischen Reminiszenzen zusammen, indem er diese als miraculum immensum et universo mundo valde stupendum630 bezeichnet. Ferner findet sich ausgehend von der durch Wunder bezeugten göttlichen Begünstigung noch einmal die Hervorhebung der Einzigartigkeit der jerosolymitanischen Geschichte: quis audivit hactenus tale?,631 ruft daher Fulcher abermals aus und wiederholt damit die schon im Prolog gestellte rhetorische Frage.632 Im dritten Buch der Historia ist es offensichtlicher denn je, daß die Antwort lauten muß: nemo! Die bisherige Deutung der Fulcherschen Retrospektive als Versuch zur Anwerbung von Kreuzfahrern und Siedlern im Westen mit dem Ziel der Entlastung der Kreuzfahrerstaaten läßt besonders klar die eurozentrische Perspektive der Forschung offenbar werden. Die lateinisch-orientalischen Texte werden nicht als 626 FvC III.xxxvii.2. 627 FvC III.xxxvii.3. 628 Auf diese Parallelisierung von Himmelsphänomen und Entwicklung auf Erden weist auch Giese hin, der jedoch in dieser Passage vor allem einen weiteren Nachweis für seine Leitthese erkennt, daß es Fulcher mit seinem Werk darum gehe, die Lenkung aller menschlichen Geschicke durch Gott herauszustellen. Die zentrale ethnohistorische Komponente reduziert er hingegen auf die Aspekte des »Seßhaftwerdens« und eines »Umbürgerungsund sozialen Aufstiegsproze[sses]«. Giese, ›Untersuchungen‹, 93. 629 Von Sybel, Geschichte, 47. 630 FvC III.xxxvii.8. 631 FvC III.xxxvii.8. Zum Einzigartigkeitsgedanken vgl. Epp, Fulcher von Chartres, 345. 632 Vgl. FvC Prologus.4.

Prologensembles der jerosolymitanischen Historiographie

155

Produkte eines eigenständigen kulturellen Raumes ernstgenommen, sondern sie werden lediglich als kleiner Bestandteil der großen Kultursphäre der lateinischen Literatur Westeuropas angesehen. In Europa vermutet man daher auch die Adressaten der Historia Hierosolymitana, und folglich werden die überschwenglich positiven Beschreibungen des Lebens im lateinischen Orient zum bloßen Werbetext degradiert. Hier schimmert die alte koloniale Interpretation der Kreuzfahrerstaaten auf, welche ein Verständnis Outremers immer nur über die Rückkoppelung zum vermeintlichen Mutterland zuläßt. Gewiß bedurfte die lateinische Levante der Unterstützung durch die regelmäßig im Frühjahr mit den italienischen Handelsflotten und gelegentlich im Rahmen regelrechter Kreuzzüge in den Orient kommenden bewaffneten Pilger ; und gewiß wäre den Kreuzfahrerstaaten durch einen signifikanteren Zuzug dauerhafter Siedler geholfen gewesen. Fulchers Worte mögen durchaus dazu geeignet gewesen sein, bei einem europäischen Publikum die Bereitschaft zu Hilfeleistung oder gar Auswanderung zu bestärken. Hierin jedoch die Intention des Kapitels zu sehen, verkennt dessen Essenz, verkennt auch die Essenz der Historia Hierosolymitana und schließlich der orientlateinischen Historiographie insgesamt. Diese Essenz besteht nicht in einem Rückbezug zu den europäischen Wurzeln des lateinischen Orients – nicht einmal in Form eines verdeckten Unterstützungsgesuchs –, sondern sie besteht gerade in der Abkoppelung von diesen Wurzeln, in der Hervorhebung des jerosolymitanischen Neuanfangs. Wenn Fulcher also mit stolz geschwellter Brust formuliert quare ergo reverteretur in Occidentem, qui hic taliter invenit Orientem?,633 dann handelt es sich dabei mitnichten um einen Appell »an den Geschäftssinn seines [abendländischen] Publikums«,634 sondern vielmehr um einen ernstgemeinten und ernstzunehmenden Ausdruck des Stolzes auf all das, was im lateinischen Orient allgemein und im Königreich Jerusalem speziell seit dem Sommer 1099 erreicht wurde, des Stolzes auch auf das Zusammenwachsen zu einer neuen Gruppe, die eben nicht mehr an die alte, sondern an die neue Heimat gebunden ist – iam obliti sumus nativitatis nostrae loca, iam nobis pluribus vel sunt ignota vel etiam inaudita.635 Tatsächlich mag diese Loslösung von den europäischen Wurzeln bloße fünfundzwanzig Jahre nach dem Kreuzzug bei weitem nicht in dem Maße erfolgt sein, wie Fulcher dies hier bekundet. Vermutlich beschwört Fulcher in seiner Rückschau diese Loslösung mehr, als daß er sie wirklich beobachtet. Das Bemerkenswerte ist aber gerade, daß diese Beschwörung der lateinisch-orientalischen Eigenartigkeit erfolgt, obschon sie für den Zweck der Anwerbung von Siedlern und militärischer Hilfe zumindest ein zweischneidiges Schwert gewe633 FvC III.xxxvii.7. 634 Giese, ›Untersuchungen‹, 94. 635 FvC III.xxxvii.3.

156

Ethnohistorische Entwürfe und Reflexionen

sen wäre. Trotz der positiven Beschreibungen des orientalischen Lebensstils überwiegt in Fulchers Rückschau die Hervorhebung der aus den Transformationsprozessen bei und nach dem Kreuzzug entstandenen Andersartigkeit. Andersartigkeit jedoch kann kaum als effektives Instrument für das Anwerben von Unterstützung oder Zuzug von außen fungieren, kann gar ein Hindernis darstellen. Zudem lohnt ein Blick in ein anderes Kapitel der Historia, welches mitunter gemeinsam mit dem Rückblick des Jahres 1124 als Beleg für die Adressierung des Textes an ein okzidentales Publikum im Dienste einer um Unterstützung und Immigration werbenden Agenda vorgebracht wird.636 Anschließend an einen Bericht zu den ersten Wellen europäischer Pilger,637 die nach der Eroberung Jerusalems und vor allem nach der Krönung Balduins I. einsetzten, scheint Fulcher tatsächlich zu beklagen, daß das Heilige Land nach dem Abzug der Pilgerschar gente vacua638 zurückgeblieben sei, daß daher non enim tunc habebamus plusquam CCC milites et tantum de peditibus, qui Hierusalem et Ioppem et Ramulam, Caypham etiam castrum custodiebant.639 Daß man in Jerusalem damals darum bemüht war, in Europa um Beistand zu werben, läßt sich beispielsweise anhand eines Briefes nachweisen, den Patriarch Daimbert im Winter 1099 an omnibus archiepiscopis, episcopis, principibus atque omnibus Teutonicae regionis640 adressierte.641 Dort werden alle Register der Kreuzzugsrhetorik ge636 Vgl. Kletler, ›Gestaltung‹, 305f, welcher FvC II.vi als zusätzlichen Beleg für seine Deutung von FvC III.xxxvii als eine Anwerbeschrift anführt. Der Tatsache, daß an keiner Stelle in beiden Kapiteln explizit zur Hilfeleistung oder gar zur Immigration aufgerufen wird, begegnet er mit der nicht nachvollziehbaren Behauptung, daß Fulcher dies »aus Propagandagründen« (Kletler, ›Gestaltung‹, 305) – gemeint ist aber eben »Propaganda für die ihm sehr am Herzen liegende Einwanderung« (Kletler, ›Gestaltung‹, 306) – unterlassen habe. 637 Vgl. FvC II.vi5–7. An dieser Stelle ist – anders als dann in FvC III.xxxvii – tatsächlich noch eine stärkere Assoziation mit den Besuchern de partibus nostris occidentalibus (FvC II.vi.6) zu beobachten. Interessant ist allerdings vor allem, daß diese Schar noch einmal genauer nach der Herkunft ihrer Angehörigen aufgeschlüsselt wird. So verweist Fulcher darauf, daß es sich um eine aus tam Franci quam Angli, sive Itali et Venetici (FvC II.vi.5) zusammengesetzte Gruppe gehandelt habe. An diesem Beispiel wird die schon besprochene Ablösung des Franci-Begriffs als dominante Gruppenbezeichnung der Lateiner im Orient besonders deutlich. Die Bezeichnung Franci wird gleichrangig neben den anderen und eindeutig an Europa gekoppelten Benennungen als Angli, Itali und Venetici verwendet. Dies hat besonderes Gewicht, da dieser eindeutige Hinweis auf die terminologische Transformation in diesem Fall zu Beginn des zweiten Buches der Historia und somit schon sehr früh auftritt – noch vor der vollständigen Verdrängung des Franci-Begriffs im dritten Buch. 638 FvC II.vi.7. 639 FvC II.vi.9. 640 EC Nr. XXI. 641 Zum lateinischen Patriarchat von Jerusalem vgl. Kirstein, Klaus-Peter, Die lateinischen Patriarchen von Jerusalem. Von der Eroberung der Heiligen Stadt durch die Kreuzfahrer 1099 bis zum Ende der Kreuzfahrerstaaten 1291 (= Berliner historische Studien; 35), Berlin 2002.

Prologensembles der jerosolymitanischen Historiographie

157

zogen, und es erfolgt ein expliziter Aufruf zur Reise in den Orient und zur Unterstützung des Königreiches:642 pro uestra omnium salute, Deo, cuius sanctuaria iam sunt in destructionis periculo, succurrite!643 Ein solcher direkter Aufruf ist in dem Rückblick der Historia auf das Vierteljahrhundert nach dem Fall Jerusalems aber eben nicht vorhanden. Die Gemeinsamkeit des Briefes mit Fulchers Text besteht und erschöpft sich im Konstatieren der muslimischen Übermacht. Die vermeintliche Klage Fulchers ist jedoch abermals kein verdeckter Aufruf zur Immigration, sondern sie bildet lediglich den geschickt gesetzten Auftakt zu einer jener für Fulcher so charakteristischen Passagen, in denen er nach dem Muster klassischer Origines Gentium anhand des Erfolges der scheinbar hoffnungslos unterlegenen Gruppe deren besondere göttliche Begünstigung sowie Einzigartigkeit hervorhebt: Vere liquet omnibus, hoc esse miraculum valde mirabile, quod inter tot milia milium vivebamus etiamque dominantes eorum alios tributarios faciebamus, alios vero depraedando vel captivando confundebamus.644

In diesem Sinne fügt sich das Kapitel in der Tat sehr gut ein in die durch Prolog und Retrospektive gebildete Klammer, greift es doch die gleichen Motive und Gedanken auf und drückt die Verwunderung über den Triumph der neu entstandenen Gruppe im Orient aus. Auch hier wird Fulcher zudem durch seine Verwunderung zur Kontemplation der Wunder geführt, mit denen er den Triumph im Angesicht ungünstigster Umstände erklärt. Dabei gesteht Fulcher freilich ein, daß man sich gerade in der Zeit direkt nach dem ersten Kreuzzug durchaus Hilfe – von Einwanderung ist hingegen wiederum nicht die Rede – gewünscht hätte: saepe quidem contristabamur, cum de transmarinis nostris amicis645 nullum auxilium habere poteramus.646 Hier verbindet sich jedoch die tristitia mit dem Trotz, angesichts der überwältigenden Übermacht der Feinde 642 Der Brief nennt gesondert einige Orte, welche der Verteidigung durch die herbeigesehnten Truppen aus dem Westen bedurften: Hierusalem, Bethlehem, Iopem, Tabariam, Samariam, castrum Sancti Abrahae et Ramas (EC Nr. XXI). Es handelt sich bei diesen Orten nicht ohne Zufall durchweg um solche, die auf dem Territorium des Königreiches Jerusalem liegen (vgl. Hagenmeyer, EC, 416–419), wohingegen das Fürstentum Antiochia und die Grafschaft Edessa ungenannt bleiben. Daran wird deutlich, daß man das Königreich als ein klar von den übrigen Kreuzfahrerstaaten zu unterscheidendes und eigene Interessen verfolgendes Reich auffaßte, daß Daimbert in seinem Brief eindeutig partikularistisch jerosolymitanische Interessen verfolgt. 643 EC Nr. XXI. 644 FvC II.vi.10. 645 In der ersten Redaktion wurden neben den amici außerdem noch die parentes genannt. Das Streichen der familiären Assoziation an dieser Stelle paßt zum Tenor einer Passage, die vor allem die – hier freilich noch nicht ganz freiwillige – Loslösung von den europäischen Wurzeln thematisiert und die Leistungen der auf sich alleine gestellten Jerosolymitaner feiert. Vgl. FvC II.vi.11 m. Anm. i. krit. App. 646 FvC II.vi.11.

158

Ethnohistorische Entwürfe und Reflexionen

und der ausbleibenden Hilfe der Freunde triumphiert zu haben. Die Ursache für diesen Triumph wird in der göttlichen Unterstützung gesehen: sed unde haec probitas? unde ista potentia? vere ab illo cui nomen Omnipotens, qui populi sui pro nomine eius desudantis non immemor, in necessitatibus suis pie ei auxilium impendebat.647

Das Gefühl des Triumphes dominiert den Prolog wie die Rückschau und dominiert auch die gerade besprochene Passage. In allen drei Elementen dieses Prologensembles wird die Eigenständigkeit der Jerosolymitaner648 betont, und in diesem Zusammenhang wird gleichzeitig der Prozeß, welcher zum Entstehen dieser Gruppe führte, thematisiert und durch die Betonung der besonderen göttlichen Gunst sowie der durch diese bedingten Wunder zugunsten des Königreiches Jerusalem mythoreligiös überhöht. In der Tat muß nämlich eindeutig jene Gruppe als Adressat dieses Kapitels erkannt werden, mit welcher Fulcher sich selbst identifizierte, der er sich selbst zurechnete: die Jerosolymitaner. Die ethnizistische und ethnohistorische Komponente der hier besprochenen Textstellen ist nicht akzidentielles Nebenprodukt einer an den Westen gerichteten Kreuzzugschronik, sie ist vielmehr das wesentliche Charakteristikum der Passagen wie auch des primär als Geschichte der Gruppe der Jerosolymitaner zu verstehenden Gesamtwerkes.

b.

Das Prologgedicht der Historia Nicæna vel Antiochena Historiam parvis scriptus tenet ille libellis, Ut fuit urbs capta a Francorum gente Nicæa, Pro qua Francorum ceciderunt millia centum, Quos Solyma stravit, princeps dum victus abivit, Quodque labore, fame, bello, plures cecidere, Urbem qui claram vicerunt Antiochenam, Et qui Jerusalem venerunt, pacis ad urbem, Ac Turcos Sancto Domini pepulere Sepulcro, Auxilio Domini; sedesque f‡t inclyta regni, Hoc regno reges reprimens populosque rebelles. Hac pugna belli quicunque fuere perempti, Quique labore viæ peregrinantes obiere, Christi militiæ cœli jungantur in arce! Hoc regnum solo Godefridus dux habet anno; Annos octodecem Balduinus eam regit urbem;

647 FvC II.vi.10. 648 Im letzten Satz des Kapitels unterscheidet Fulcher klar zwischen den Jerosolymitanern und den Antiochenern: nec Antiocheni nobis, nec nos illis succurrere valebamus (FvC II.vi.12).

Prologensembles der jerosolymitanischen Historiographie

159

Hi duo germani digni diademate regni, Militia clari, fortes, bello metuendi, Pauca gente sua gesserunt prœlia multa, Illis infestas sternentes cæde catervas, Perque Deum fortes fuerunt Babylonis in hostes. Dilataverunt regnum, quod tunc habuerunt. In regno Christi nunc sint sine fine beati! Imperium quorum cognatus sumpsit eorum Alter Balduinus, morum probitate decorus, Quod per quindenos rexit feliciter annos, Excepto solo quo captivus fuit anno; Hic in tredecimo regni defungitur anno Regnat pro socero Volco, comes Andegavensis; Post patrem ternis Balduinis tertius annis, Præfectus regno jam nomine clarus avito, Qui compilavit simul et conscribere fecit Hoc opus; æterna sibi sit retributio vitæ! Incipit Historia Nicæna vel Antiochena, Urbis præclaraæ necnon Jerosolymitanæ.649

Einen Sonderfall stellt die Historia Nicæna vel Antiochena dar, da sie als einziger der hier untersuchten Texte durch einen Prolog in Form eines Gedichtes eingeleitet wird, welches hier aufgrund seiner Kürze in toto wiedergegeben werden kann. Der durch einen apologetischen Eingangsvers sowie durch zwei Verse zur Genese des Werkes gerahmte Hauptteil des Gedichtes ist narrativ und besteht aus zwei inhaltlichen Blöcken. Zu Beginn erfolgt eine kurze Zusammenfassung des ersten Kreuzzuges, an welche sich ein historischer Überblick der Geschichte des Königreiches Jerusalem anschließt, welcher sich jedoch überwiegend einer chronologischen Auflistung der Könige widmet, die von 1099 bis ins dritte Jahr der Herrschaft Balduins III. (1145/47) reicht. Tatsächlich lassen sich trotz der Kompaktheit dieses Prologes und trotz seines Schwerpunktes auf den Herrschern von Jerusalem einige Elemente ausmachen, die Aufschluß in der Frage nach der ethnohistorischen Prägung der Historia Nicæna bringen.650 Als erstes fällt allerdings die zweimalige Verwendung der Franci-Bezeichnung auf, wobei zu vermerken ist, daß der anscheinend gegen eine partikularistische Deutung sprechende Terminus Franci im Prolog der Historia Nicæna nicht ohne Zufall allein in jenem Block auftaucht, der den ersten Kreuzzug beziehungsweise sogar allein dessen erste Phase bis zur Eroberung Nicaeas zum Inhalt hat, während im restlichen Teil des Gedichtes, welcher der eigentlichen Grün649 HNvA Prologus. 650 Mit dem Prolog der Historia Nicæna befaßt sich auch Deborah Gerish ausführlicher, die sich allerdings nur dessen Bedeutung für die Auseinandersetzung des Autors mit königlicher Identität widmet. Vgl. Gerish, ›Kings‹, 71ff.

160

Ethnohistorische Entwürfe und Reflexionen

dungsphase und späteren Geschichte des lateinischen Königreiches gewidmet ist, auf die Verwendung eindeutiger Gruppenbezeichnungen verzichtet wird. Abgesehen von diesem Gebrauch herkunftsbezogener beziehungsweise panlateinisch zu deutender Gruppenterminologie stellt sich der Prolog insgesamt tatsächlich als ein eindeutig auf das Königreich Jerusalem bezogener Text dar. Die ersten sechs Verse des Gedichtes, in denen auch Nicaea und Antiochia hervorgehoben werden,651 dienen allein zur historischen Einführung jenes Ereignisses, auf welches der Prolog eigentlich zuläuft – die Belagerung und Erstürmung der Heiligen Stadt, die in einem Atemzug mit der Betonung ihrer religiösen Bedeutung sogleich auch als Hauptstadt des neuen Reiches gewürdigt wird: sedesque fit inclyta regni. Der Einnahme Jerusalems wird ferner als einziger der drei erwähnten Eroberungen des ersten Kreuzzuges durch die Worte Auxilio Domini eine besondere göttliche Legitimation zugeschrieben. Von diesem Zeitpunkt an werden dann die anderen Kreuzfahrerstaaten im Prolog nicht mehr benannt. Der Anonymus schreibt, das verdeutlicht der Prolog in eindrucksvoller Klarheit, partikularistisch-jerosolymitanische Geschichte aus Perspektive des jerosolymitanischen Hofes.

c.

urgentissimus instat amor patrie – ethnohistorische Reflexionen Wilhelms von Tyrus in den Abendstunden des lateinischen Königreiches

Ganz ähnlich wie Fulcher von Chartres bei seinen Arbeiten an der zweiten Redaktion der Historia Hierosolymitana nutzte auch Wilhelm von Tyrus die Gelegenheit einer Überarbeitung seines Werkes im Jahre 1184 dazu, nicht nur Detailanpassungen vorzunehmen, sondern zudem auf größerer Ebene grundsätzliche Reflexionen zu seinem Werk sowie zur Geschichte des Königreiches Jerusalem und seiner Einwohner anzustellen.652 Interessanterweise wählt Wilhelm dazu einen ganz ähnlichen Weg wie sein Vorgänger, indem er dem Chronicon einen neuen, das gesamte Werk einleitenden Prolog voranstellt, der durch ein resümierendes Kapitel gegen Ende des Textes komplementiert wird und mit diesem ein gemeinsam zu betrachtendes Prologensemble bildet.653 Dieses die 651 Edessa wird einmal mehr übergangen. 652 Vgl. Edbury u. Rowe, William of Tyre, 26. 653 Die Einheit dieses Prologensembles bestreitet Vessey, ›William of Tyre‹, 435: »The two are totally different in tone and intent« (ibid.). Diese Aussage muß überraschen, da Vessey der Werk-Programmatik Wilhelms eine nicht zu belegende innere Widersprüchlichkeit unterstellt. Wie nachfolgend genauer dargelegt wird, harmonieren beide Prologe vielmehr durchaus in Stimmung und Intention und bilden eine gemeinsam zu lesende Einheit. Zwar mag es durchaus Brüche und Entwicklungen innerhalb des Haupttextes des Chronicon geben, die aus der Schreibpause zwischen den Büchern XX und XXI zu erklären sind. Gegen eine Widersprüchlichkeit beider Teile des Prologensembles jedoch spricht schon die Tat-

Prologensembles der jerosolymitanischen Historiographie

161

Motive aus dem Hauptprolog aufgreifende Resümee ist dabei in besonders klarer Weise vom Rest des Textes abgehoben, da Wilhelm es als einen regelrechten zweiten654 Prolog dem unvollendeten dreiundzwanzigsten Buch des Chronicon voranstellt, das allein aus eben jenem Prolog sowie aus einem ersten Kapitel besteht. Ein entscheidender Unterschied zwischen den Klammerkapiteln Fulchers und Wilhelms ist im Grundton zu vernehmen, den die beiden Historiographen anschlagen. Diese Stimmungsunterschiede zwischen Fulcher von Chartres und Wilhelm von Tyrus lassen sich schon anhand der ersten Worte der Prologe demonstrieren. Mit der zwar topischen, aber in Bezug auf ihren Tenor durchaus authentischen Formulierung placet equidem vivis, prodest etiam mortuis655 beginnt Fulcher sein Werk in dezidiert optimistischem Ton und führt anschließend kurz aus, wie Geschichtsschreibung und damit auch sein Text Lebenden und Toten in vielerlei Hinsicht gleichsam nützlich wie gefällig seien; und die Historia Hierosolymitana läßt insgesamt erkennen, daß durchaus auch Fulcher selbst zu jenen Zeitgenossen zählte, die Gefallen am Verlauf der Geschichte des lateinischen Königreiches fanden. In klarem Unterschied zu diesem Fulcherschen DurAkkord erscheint hingegen der in bedrückendem Moll gehaltene Auftakt des Chronicon: Periculosum esse et grandi plenum alea656 beschreibt Wilhelm in den ersten Worten seine historiographische Aufgabe. Keine Spur ist hier von der Freude zu erkennen, die aus den Worten Fulchers spricht; vielmehr wird deutlich, daß Wilhelm sein Werk als eine beinahe schmerzvolle Pflicht begriffen wissen will, bei der er sich zwischen Scylla und Charybdis wähnte, da er sich gezwungen sah, Zeugnis von der Geschichte seiner Heimat abzulegen, ohne dabei die nun dominierenden dunklen Seiten dieser Geschichte und insbesondere die Verfehlungen seiner Landsleute auszublenden.657 Wie lassen sich diese Unterschiede zwischen Fulcher und Wilhelm erklären und welche Bedeutung haben sie für den ethnohistorischen Gesamtentwurf des

654

655 656 657

sache, daß Wilhelm diese gemeinsam im Jahre 1184 konzipierte und verfaßte, daß er also gerade mit diesen beiden Textteilen versuchte, dem Gesamtwerk einen einheitlichen Rahmen zu verleihen. Vgl. Edbury u. Rowe, William of Tyre, 26. Huygens erkennt im ersten Teil des ersten Kapitels des sechzehnten Buches des Chronicon ebenfalls einen Prolog, so daß er die Einleitung zum unvollendeten Buch XXIII als »troisiÀme prologue« bezeichnet. Vgl. Huygens, ›Introduction WvT‹, 5. Diese Zählung habe ich nicht übernommen, da XVI.i lediglich eine kurze einleitende Bemerkung Wilhelms enthält, mit welcher er mitteilt, daß er ab diesem Punkt im Text nicht mehr auf seine schriftlichen Quellen zurückgreifen könne und sich stattdessen auf die eigene Erinnerung und mündliche Zeugnisse stützen müsse. Anders als in den beiden großen Prologen wird zu Beginn des sechzehnten Buches jedoch nicht die Geschichte des Königreiches Jerusalem kommentiert und in einen größeren historischen Zusammenhang eingeordnet. FvC Prologus.I. WvT Prologus.1. Vgl. WvT Prologus.

162

Ethnohistorische Entwürfe und Reflexionen

Chronicon? Zur Beantwortung dieser Fragen muß der historische Kontext, in dem die Prologe entstanden sind, berücksichtigt werden. Fulchers Prolog und seine Rückschau nach dem ersten Vierteljahrhundert des lateinischen Königreiches sind trotz der zahlreichen Schwierigkeiten, mit denen die Jerosolymitaner zu seiner Zeit zu kämpfen hatten, alles in allem Ausdruck einer optimistischen Grundhaltung, die sich speiste aus dem Stolz auf das bislang Erreichte sowie aus der Gewißheit, durch Gott in besonderer Weise begünstigt zu sein. Dieser Optimismus war Mitte der 1120er Jahre nicht unbegründet: das Königreich Jerusalem sollte den Höhepunkt seiner Macht und seine größte territoriale Ausdehnung erst nach dem Tode Fulchers von Chartres erreichen.658 Für das richtige Verständnis des Hauptprologes und damit des Gesamttextes des Chronicon muß an dessen Ende angesetzt werden, denn nur über den untergeordneten Prolog des dreiundzwanzigsten Buches erschließt sich der ethnohistorische Großentwurf Wilhelms von Tyrus. So mag nämlich etwa die Stimmung des Hauptprologes zunächst nicht mit der Tatsache in Einklang zu bringen sein, daß die ersten Bücher des Chronicon von einer Erfolgsgeschichte berichten, daß das Werk zunächst vor allem von den Triumphen der Kreuzfahrer und dann der Jerosolymitaner und ihrer Verbündeten in der Expansionsphase der Kreuzfahrerstaaten Zeugnis ablegt. Wilhelm von Tyrus allerdings schrieb die beiden Prologe unter gänzlich anderen Vorzeichen zu einer Zeit, da bereits zu erkennen war, daß der Abend des ersten Königreiches Jerusalem zu dämmern begonnen hatte. Am 25. November 1177 hatten die Jerosolymitaner in der Schlacht am zwischen Ramla und Ibelin gelegenen Mont Gisard ihren letzten großen militärischen Sieg gegen Saladin errungen, den sie dann jedoch nicht zu einer dauerhaften Verbesserung ihrer Situation auszubauen vermochten.659 Anschließend begann der etwa ein Jahrzehnt währende quälende und von ständiger Bedrohung von außen und Zerrissenheit im Innern begleitete Niedergang des lateinischen Königreiches, der schließlich in der Katastrophe von Hattin seinen Endpunkt fand. Obgleich eben diese Katastrophe in ihrem vollen Ausmaß zu Beginn der 1180er Jahre sicher noch nicht absehbar und vor allem nicht unabwendbar war, sind die beiden Prologe doch eindeutig von einer melancholischen, resignierten und nahezu endzeitlichen Grundstimmung geprägt. Diese Grundstimmung, die im Einklang mit dem Inhalt des dreiundzwanzigsten Buches steht, hat sich jedoch auf den gleichzeitig verfaßten 658 Die Grenzen des Königreiches waren stets umkämpft und verlagerten sich wiederholt. Den letzten wichtigen Markstein der jerosolymitanischen Expansion bildete die Kapitulation der durch fatimidische Truppen gehaltenen Stadt Askalon am 19. August 1153 durch Balduin III., dessen Vorgänger Fulk schon seit 1150 die Einkreisung der Stadt betrieben hatte. Vgl. Barber, Crusader States, 200–206; Richard, Kingdom, A:43f; Mayer, Kreuzzüge, 140f. 659 Vgl. Barber, Crusader States, 270f.

Prologensembles der jerosolymitanischen Historiographie

163

Hauptprolog übertragen. Zwar durchzieht sie nicht den gesamten Text, an dem Wilhelm schließlich auch zu weniger dunklen Zeiten gearbeitet hatte; allerdings lenkt der durch Hauptprolog und Prolog zum letzten Buch geformte Rahmen des Chronicon unweigerlich den Zugang zum Gesamtwerk sowie dessen Verständnis.660 Diese Tatsache hat einen bedeutenden Einfluß auf den ethnohistorischen Gesamtentwurf, der sich im Chronicon präsentiert. Von Interesse ist vor allem Wilhelms Beschreibung des Entscheidungsprozesses, der ihn schließlich dazu veranlaßte, trotz seines Widerwillens die Arbeit an seiner Geschichte im Jahre 1184 fortzusetzen. So begründet er zunächst die Vorbehalte gegen die Weiterführung seiner historiographischen Tätigkeit: Nemo enim est qui non invitus langorem patrie et suorum defectus in lucem proferat, cum quasi usu inter homines eveniat et tanquam naturale reputetur unumquemque totis niti viribus patriam laudibus attollere et titulis non invidere suorum.661

Vor dem Hintergrund der mißlichen Lage des Königreiches Jerusalem habe daher für Wilhelm eigentlich der konsequente Schluß in der Entscheidung bestanden, den Mantel des Schweigens über die Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit auszubreiten: silendum erat consultiusque videbatur nostris defectibus noctem inducere quam solem inferre pudendis.662 Schließlich habe er sich jedoch aufgrund des Drängens seines Umfeldes dazu entschlossen, die Arbeit am Chronicon fortzusetzen. Wilhelm habe sich davon überzeugen lassen, daß regni Ierosolimorum status omnis, tam prosper quam adversus, posteritati nostra significetur opera.663 Bewogen habe ihn zu diesem Sinneswandel auch der Verweis auf andere Historiographen, die ebenfalls die dunklen Seiten der Geschichte ihrer Völker aufgezeichnet hätten: addunt […] historiographorum disertissimos, Titum [Livium] videlicet Romanorum non solum prospera, sed etiam adversa mandasse litteris, [Flavium] Iosephum quoque non solum que a Iudeis egregie gesta sunt, verum et que eis sunt ignominiose illata longis tractatibus publicasse. […] infortuniorum subiectorum exemplo eosdem [posteros] reddant in similibus cautiores.664

Den Dreh- und Angelpunkt des hier dokumentierten Entscheidungsprozesses bildet die patria und bildet eben auch die Gruppe der Lateiner im Königreich Jerusalem. Es geht hier nämlich nicht um einen abstrakten Patriotismus, der allein über die Region definiert und nicht an eine bestimmte Gruppe gebunden 660 661 662 663 664

Vgl. Edbury u. Rowe, William of Tyre, 29f. WvT XXIII.Prologus.4–8. WvT XXIII.Prologus.30–32. WvT XXIII.Prologus.34–35. WvT XXIII.Prologus.36–45.

164

Ethnohistorische Entwürfe und Reflexionen

ist.665 Vielmehr wird die patria eben immer im Zusammenhang mit jener Gemeinschaft genannt, die Träger des Patriotismus ist; und der Vergleich mit Titus Livius als Autor von Ab urbe condita libri666 und Flavius Josephus als Verfasser des Bellum Iudaicum und der Antiquitates Iudaicae667 zeigt sogar primär einen Gruppen- jedoch keinen expliziten patria-Bezug, da das Schaffen dieser antiken Autoren eben auf die Romani und Iudei bezogen wird – nicht auf Roma oder Iudaea. Es sind also die Schwäche seines Vaterlandes wie auch das Dahinsiechen seines Volkes, die Wilhelm erst zur Aufgabe seines historiographischen Schaffens veranlaßten; und es sind schließlich auch die Sorge um die posteritas seiner patria und die Einsicht, daß man in Zukunft aus den Fehlern der Vorfahren Lektionen zum Wohle seiner Heimat und seiner Gruppe ziehen möge, die ihn zum Fortsetzen der Arbeit motivierten. Aus diesen Erwägungen im Prolog des letzten Buches des Chronicon erschließt sich auch der Hauptprolog. Dort betont Wilhelm aus der Perspektive des Jahres 1184 ebenfalls, daß er mit seiner Arbeit eine patriotische Pflicht zu erfüllen habe: Inter tot igitur periculorum insidias et anceps discrimen tutius fuerat quievisse silendumque erat et ocium calamis indicendum: sed urgentissimus instat amor patrie, pro qua vir bene dispositus etiam, si id necessitatis articulus exigat, vitam tenetur impendere. Instat, inquam, et auctoritate qua preminet imperiose precipit ut que apud se centum pene annorum gesta sunt curriculis, silentio sepulta non patiamur sentire posse oblivionis incommodum, sed stili exarata diligenter officio posteritatis memorie conserventur. […] Paruimus sane, utinam tam efficaciter quam libenter, utinam tam commendabiliter quam devote, natalis soli magis tracti dulcedine quam vires cum assumpto labore compensantes, non ingenii ope freti sed pii fervore affectus et caritatis sinceritate.668

Die Pflicht wird jedoch durch die brennende Liebe zu seiner patria erleichtert. Nirgendwo sonst in der jerosolymitanischen Überlieferung findet sich ein derartig emotionales Bekenntnis zur patria der Jerosolymitaner oder eine so 665 Zu dieser Sichtweise des Patriotismus Wilhelms von Tyrus vgl. v. a. Schwinges, ›Regionale Identität‹. 666 Titus Livius, Titi Livi Ab urbe condita, hg. v. Robert Maxwell Ogilvie, Charles Flamstead Walters, Robert Seymour Conway, Stephen Keymer Johnson, Alexander Hugh McDonald u. Patrick Gerard Walsh (6 Bde.), Oxford 1914–1999. Edbury und Rowe weisen darauf hin, daß Wilhelm an keiner anderen Stelle im Chronicon Livius nenne oder zitiere und vermuten, daß er mit dem Werk des römischen Geschichtsschreibers nicht persönlich vertraut gewesen sei, sondern daß er sich in der hier besprochenen Passage ein höheres Maß an klassischer Bildung zuschreiben wolle, als er tatsächlich gehabt habe. Vgl. Edbury u. Rowe, William of Tyre, 37. 667 Mit dem in griechischer Sprache verfaßten Werk des Flavius Josephus war Wilhelm von Tyrus durch die lateinische Übersetzung Cassiodors vertraut. Vgl. Edbury u. Rowe, William of Tyre, 34. 668 WvT Prologus.64–80.

Prologensembles der jerosolymitanischen Historiographie

165

eindrucksvoll vorgebrachte Sorge um das Wohl der nachfolgenden Generationen im nun nicht mehr fremden, sondern über mehrere Generationen wahrhaftig Heimaterde – natalis solum – gewordenen Heiligen Land. Dabei stehen die beiden eine Einheit bildenden Prologe des Chronicon freilich im Schatten des Niedergangs eben jener patria, welche Wilhelm zum Schreiben inspirierte und motivierte. Die Motive dieses Niedergangs sind allgegenwärtig. Der allen Schwierigkeiten zum Trotze immer noch von der Aufbruchsstimmung und dem Optimismus der Gründerjahre geprägten Perspektive, die Prolog und Rückschau Fulchers von Chartres prägt, setzt Wilhelm von Tyrus ein regelrechtes Klagelied auf Jerusalem und die Jerosolymitaner entgegen und blickt auf die großen Taten des zu Ende gehenden ersten Jahrhunderts des lateinischen Königreiches zurück.669 Doch gerade aus dieser wehmütigen Rückschau auf die verklärte Vergangenheit, aus diesem entmutigten670 Blick voraus in eine bestenfalls ungewisse Zukunft läßt sich das Werk Wilhelms von Tyrus besonders gut verstehen. Die Bedrohung des lateinischen Königreiches führte folgerichtig zu einem Aufflammen des jerosolymitanischen Ethnizismus und damit zu einer Rückbesinnung auf die Geschichte der Jerosolymitaner, zu einer intensivierten Reflexion der Ursprünge, Entwicklung und Leistungen der eigenen Gruppe zum Zwecke der Selbstvergewisserung. Geprägt von detestatione presentium671 kontrastiert Wilhelm die mißliche Lage des als verdorben dargestellten lateinischen Königreiches seiner Gegenwart mit dessen idealisierter Vergangenheit. Im Zuge dieser Rückbesinnung mußte die Realität des Jahres 1184 trist erscheinen, und die beiden Prologe sind dementsprechend durch die Sehnsucht nach der Gründerzeit, nach den Tagen der virorum fortium et deo amabilium principum be669 Tatsächlich lag das Zentenarium der Eroberung Jerusalems durch den ersten Kreuzzug zum Zeitpunkt, da Wilhelm seinen Prolog verfaßte, noch 15 Jahre in der Zukunft. Daß er hier dennoch die Formulierung centum pene ann[i] gebraucht, zeugt von seinem Bedürfnis, die Anciennität des Reiches und der Jerosolymitaner auszudrücken. Außerdem verleiht er damit seiner mahnenden Rückschau auf die Gründungsphase zusätzliches Gewicht. 670 Edbury und Rowe möchten im Buch XXIII vor dem Hintergrund der Ablösung des ungeliebten Regenten Guido von Lusignan durch den populären Raimund III. von Tripolis einen eher zuversichtlichen Ton erkennen: »it ends on an optimistic note, now that the man whom William would have his readers believe was the most capable figure in the kingdom had taken charge« (Edbury u. Rowe, William of Tyre, 29). Tatsächlich schlägt Wilhelm jedoch zum Ende des Prologes des letzten Buches bestenfalls einen schicksalsergebenen und von Zweifeln bestimmten Ton an: Vincimur ergo et que subsequentia ministrabunt tempora, sicut cepimus, utinam fausta feliciaque, auctore domino, vita comite, scripto mandare curabimus diligenter, a secundo proposito revocati (WvT XXIII.Prologus.50–53). Auch der das erste Kapitel des Buches und damit den erhaltenen Text des Chronicon insgesamt abschließende Kommentar zur Entscheidung, Raimund III. mit der Regentschaft zu betrauen, fällt eher resigniert als euphorisch aus: unica enim et singularis videbatur omnibus salutis via (WvT XXIII.1.54–55). 671 WvT XXIII.Prologus.14.

166

Ethnohistorische Entwürfe und Reflexionen

stimmt, qui a regnis Occidentalibus, vocante domino, egressi Terram Promissionis et pene universam Syriam in manu forti sibi vendicaverunt.672 Was bei der Bezeichnung dieser glorifizierten Gründergestalten als praedecessores fideles durch Fulcher von Chartres noch als leicht gekünstelte Historisierung erschien, war in den die Historia Hierosolymitana und das Chronicon trennenden Jahrzehnten verinnerlicht worden, und die Verherrlichung der identitätsstiftenden Stammväter nach Ablauf der centum pene annorum curricula wird zum wichtigsten historischen Bezugspunkt für Wilhelm von Tyrus. Das Ensemble der beiden Prologe veranschaulicht in mustergültiger Manier die Merkmale einer ethnizistischen Reaktion auf eine Bedrohung der Gruppe. Dabei ist eine solche Reaktion nicht ziellos, bleibt nicht auf bloße Klage und die Verklärung der Vergangenheit beschränkt, sondern sie ist im besten Sinne defensiv, da sie auf eine Verbesserung der Lage ausgerichtet ist. Diesem defensivethnizistischen Impetus folgt Wilhelm in seiner historiographischen Arbeit, und er bringt ihn durch die wiederholten Verweise auf die posteritas zum Ausdruck, welche er durch die positiven wie negativen Exempel des Chronicon dazu befähigen möchte, der patria zu neuem Glanz zu verhelfen.673 Obgleich die Angabe eines solchen Nützlichkeitsgedankens als Motivation für das Verfassen eines Werkes grundsätzlich topischen Charakter haben kann,674 ist sie im vorliegenden Fall hingegen eindeutig als authentisch zu betrachten. Ein Vergleich mit Fulchers Schrift etwa zeigt, daß im Prolog der Historia Hierosolymitana zwar auch gleich zu Beginn die Nützlichkeit der Erinnerung an die glorreichen Taten der Kreuzfahrer und der Jerosolymitaner eine wichtige Rolle spielt. Dieser Nutzen aber ist eben rein spiritueller Natur und soll die Lebenden zu gottgefälligem Handeln bewegen und dazu anregen, daß sie fideles animas eorum [mortuorum] proinde benedicunt et eleemosynas cum orationibus […] pro eis caritative impendunt.675 Dem gegenüber steht die aus den unmittelbaren Zeitumständen der frühen 1180er Jahre geborene Absicht Wilhelms von Tyrus, dem eigenen Volk durch historische Beispiele einen Vorteil bei kommenden Herausforderungen zu verschaffen.676 Was jedoch macht das Wesen des Ethnizismus Wilhelms von Tyrus aus? Welche Mythen und Symbole stützen ihn? Worin besteht der ethnohistorische Entwurf des Prolog-Ensembles? An vorderster Stelle ist hier auf das bereits benannte Motiv der Verherrlichung der Gründerzeit zu verweisen. Schon die vorangegangenen Erwägungen zur ethnischen Terminologie haben gezeigt, daß dem Verweis auf den introitus Latinorum große Bedeutung beizumessen ist, und 672 673 674 675 676

WvT Prologus.92–95. Vgl. WvT Prologus.33, 51, 72; XXIII.Prologus.3, 35, 43, 45. Vgl. Simon, ›Topik‹, 80f. FvC Prologus.1. Vgl. WvT XXIII.Prologus.40–45.

Prologensembles der jerosolymitanischen Historiographie

167

auch bei Fulcher von Chartres findet sich diese Haltung dem miraculum immensum et universo mundo valde stupendum677 gegenüber. Somit ist hier in den beiden Rahmen-Kapiteln des Chronicon das Kontrastieren der trostlosen Gegenwart mit der ruhmreichen Vergangenheit nicht nur ein Mittel zur Mahnung, sondern das Beschwören des Kreuzzuges und der Gründung des lateinischen Königreiches tritt einmal mehr als ein wesentlicher, identitätsstiftender Bestandteil des jerosolymitanischen Mythomoteurs in Erscheinung. Nicht nur im Hinblick auf diese primordiale Tat jedoch gibt es Übereinstimmungen zwischen Fulcher von Chartres und Wilhelm von Tyrus. So bezieht sich auch der Autor des Chronicon auf alttestamentliche Traditionslinien, wobei dies weniger explizit geschieht als bei den klaren Verweisen auf die Makkabäer bei seinem großen Vorgänger. Immerhin jedoch ist es neben Titus Livius das Beispiel des Flavius Josephus, also des Chronisten des Makkabäeraufstandes, welches Wilhelm als Inspiration für das Fortsetzen seiner Arbeit im Jahre 1184 anführt. Hier also stellt er die Jerosolymitaner implizit in die Tradition der Römer und der Israeliten. Insgesamt allerdings nimmt die Assoziation mit der biblischen Traditionslinie die dominierende Stellung ein. Wenn Wilhelm die Jerosolymitaner als divina destituti gratia678 bezeichnet, ist darin mitnichten das Symptom einer Abkehr von der Interpretation seiner Gruppe als auserwähltes Volk Gottes zu sehen,679 wie eine genauere Untersuchung der literarischen Anspielungen und Zitate zeigt, die Wilhelm im Prologensemble verwendet. Dieser Gedanke findet sich erwartungsgemäß in dem bereits zitierten Verweis auf den ersten Kreuzzug, welcher eben explizit vocante domino680 den Weg in die Terram Promissionis681 genommen habe. Subtilere Anknüpfungen an das Alte Testament und Vereinnahmungen der Tradition des Volkes Israel sind ebenfalls zu verzeichnen. Zu verweisen ist etwa auf die bereits zitierte Passage zum introitus Latinorum, in welcher die Formulierung in manu forti gebraucht wird. Diese für das Chronicon charakteristische und von Wilhelm häufig verwendete Formel entstammt dem Alten Testament, wo diese Worte immer wieder im Kontext des biblischen Prototyps der ethnogenetischen Wanderung – des Exodus – in Erscheinung treten.682 Für das Verständnis des Prologensembles von besonderer Bedeutung ist jedoch eine Passage aus dem Prolog zum dreiundzwanzigsten Buch, welche gleich

677 678 679 680 681 682

FvC III.xxxvii.8. WvT XXIII.Prologus.29. Zu dieser These vgl. Schwinges, ›Regionale Identität‹, 240. WvT Prologus.92–95. WvT Prologus.92–95. Vgl. Ex 13:3, 13:9, 13:14, 13:16, 32:11 (in manu robusta); Nm 20:20; Dt 3:24, 5:15, 6:21, 7:8, 9:26, 26:8; Ios 4:25; Idc 4:24; III Rg 8:41; Is 8:11; Ez 20:33, 20:34 (in manu valida); Dn 9:15.

168

Ethnohistorische Entwürfe und Reflexionen

mehrere relevante Zitate vereint.683 Dort folgt auf die Feststellung, daß die Großen seines Volkes keine der Erinnerung würdigen Taten mehr vollbrächten, eine längere Klage über den Zustand des lateinischen Königreiches (Verweise auf die Bibel und Livius von mir im Text kenntlich gemacht):684 periit enim apud nos iuxta quod propheta conqueritur a prudente consilium, sermo a sacerdote, visio a propheta,685 factusque est apud nos sicut populus ita et sacerdos,686 ita ut nobis aptari possit illud propheticum omne caput languidum et omne cor merens, a planta pedis usque ad verticem non est in nobis sanitas.687 Iam enim ad ea tempora, quibus nec nostra vicia nec eorum remedia pati possumus, perventum est.688

Auf engstem Raum sind hier gleich vier Zitate versammelt. Im Zentrum stehen drei Motive aus den Weissagungen der Propheten des Alten Testamentes, die in den Büchern Jesaja, Jeremia und Hosea auftauchen. Inhaltlich wie stilistisch fügen sich diese Motive nahtlos in die Klage Wilhelms über den Verfall des lateinischen Königreiches und der Jerosolymitaner ein. Zusätzlich zu dieser expliziten Bedeutung ist jedoch ebenso auf die biblischen Hintergründe dieser Zitate zu verweisen und insbesondere auf die ursprüngliche Einbindung der zitierten Worte. Die Zitate sind aus längeren Passagen entnommen, in denen der Abfall der beiden Reiche des auserwählten Volkes – Juda im Süden und Israel im Norden – von Gott sowie der daraus resultierende göttliche Zorn thematisiert werden. Den Auftakt setzt ein Zitat aus dem Buch Jeremia, das an die Drohungen Gottes anschließt, sein untreues Volk den Feinden preiszugeben und das Reich Juda zu einem Ort des Schreckens werden zu lassen.689 Der zweite Verweis auf das Alte Testament – der Gedanke des Klerus und Volk gleichermaßen erfassenden Niedergangs – ist im biblischen Text mehrfach anzutreffen und begegnet in den Anklagen Hoseas gegen den Sittenverfall im Nordreich,690 bei der kurzen Zusammenfassung des Untergangs des Südreiches und der Babylonischen Gefangenschaft im zweiten Buch der Chronik,691 wie auch in besonderer Vehemenz zu Beginn der Jesaja-Apokalypse,692 die das Ende der ganzen Welt verheißt. Den Abschluß dieser Trias aus Verweisen auf das Alte Testament bildet ein weiteres Jesaja-Zitat, welches aus den die Prophezeiungen einleitenden Mahnungen an

683 684 685 686 687 688 689 690 691 692

Vgl. Diedrich, Friedrich, Art. ›Hosea‹, in: LThK 5:283–284. WvT XXIII.Prologus.20–26. Vgl. Ier 18:18. Vgl. Is 24:2; Os 4:9. Ähnlich auch II Par 36:14. Vgl. Is 1:5–6. Vgl. Titus Livius, Ab urbe condita, Praefatio.9–10. Vgl. Ier 18:13–18. Vgl. Os 4–5. Vgl. II Par 36:14. Vgl. Is 24:2.

Prologensembles der jerosolymitanischen Historiographie

169

Jerusalem, Juda und das Volk Gottes entlehnt ist.693 Das Umfeld dieser Worte mußte Wilhelm von Tyrus beeindrucken, da dieses erste Kapitel des Buches Jesaja für das neue auserwählte Volk im lateinischen Königreich eine erschreckende Aktualität besaß.694 So schließen sich im biblischen Text an die von Wilhelm ausgewählte Passage direkt düstere Worte über den Zustand des Reiches Juda an, welche Zeitgenossen an das durch das Vordringen Saladins bedrohte Königreich Jerusalem denken lassen mußten: terra vestra deserta civitates vestrae succensae igni regionem vestram coram vobis alieni devorant et desolabitur sicut in vastitate hostili et derelinquetur filia Sion ut umbraculum in vinea.695

Obgleich diese alttestamentlichen Motive des Niedergangs eines Volkes sicher kein lateinisch-orientalisches Spezifikum darstellen, hatten sie jedoch eine besondere Relevanz für Wilhelm und seine Landsleute, die sich als die Erben des auserwählten Volkes des Alten Bundes sahen und die ihre Heimat auf dem Boden des alten Reiches Juda errichtet hatten. Wilhelm versucht eindeutig, diese Kontinuitätslinie herzustellen, indem er eine kompakte Sektion seines zweiten Prologes mit gleich drei Zitaten anreichert, die in der Bibel eine starke ethnizistische Funktion haben und das auserwählte Volk zur Umkehr aufrufen, um dessen Untergang abzuwenden. Neben den Verweisen auf das Alte Testament, auf denen zweifellos der Schwerpunkt liegt, begegnet an dieser Stelle in Form eines Satzes aus Ab urbe condita ferner eine Anbindung an die Tradition Roms, welche ebenfalls für die bewußte ethnizistische Aufladung dieser Passage und des gesamten Prologensembles spricht. Denn die Worte über das Volk, das seine Vergehen ebensowenig zu ertragen vermag wie die Mittel zur Läuterung seiner Laster, entstammen bezeichnenderweise dem Prolog der Geschichte des Livius, in welcher der Römer einen Ton anschlägt, der jenem Wilhelms von Tyrus gleicht. Auch in der Einleitung zu Ab urbe condita wird der Niedergang eines Volkes beschrieben, der im Angesicht der im gleichen Atemzug beschworenen ruhmreichen Taten der Vergangenheit noch schändlicher erscheinen muß; auch Livius fordert in seiner Vorrede die Rückbesinnung auf die Tugenden der Altvorderen und ihren Ruhm 693 Vgl. Is 1:3–9 u. 21–23. 694 Die Relevanz dieser Zitate für die Gegenwart des Jahres 1184 und die Anknüpfung an die Tradition des Volkes Israel erkennt auch Vessey, ›William of Tyre‹, 454f. Vessey jedoch, der schon zuvor in seinem Aufsatz Wilhelms amor patriae als bloßen Topos bezeichnet und daher jedwede ethnische oder nationale Deutung des Chronicon von der Hand weist (ibid., 439f), will diese Assoziation mit dem Volk Israel auf die Kirche und die Gesamtheit der Christen und nicht speziell auf die Jerosolymitaner bezogen wissen: »The Church was the new Israel, the Christians were Jews of a new dispensation, a holy people guided by God.« (ibid., 454). 695 Is 1:7–8.

170

Ethnohistorische Entwürfe und Reflexionen

ein: nulla unquam res publica nec maior nec sanctior nec bonis exemplis ditior fuit.696 Die Auswahl der Zitate in dieser kurzen aber prägnanten Sektion des zweiten Prologes bezeugt mehr als das bloße und womöglich unbewußte Wiedergeben memorierter Phrasen, die sich allein aufgrund ihres Wortlautes für einen Gebrauch im Chronicon empfahlen.697 Vielmehr belegt die detaillierte Begutachtung der Belegstellen der zitierten Worte, daß Wilhelm hier sehr bewußt und geschickt Elemente komponierte, die durch Inhalt und Stellung im Quelltext eine besondere ethnohistorische Relevanz aufweisen. Neben den Zitaten selbst ist auch deren Originalkontext integraler Bestandteil einer Komposition, die darauf abzielt, die Jerosolymitaner als auserwähltes Volk in der Nachfolge der Israeliten darzustellen und sie gleichzeitig in der römischen Tradition zu verorten und somit zusätzlich zu nobilitieren. Hierin steht Wilhelm von Tyrus abermals in einer Kontinuitätslinie mit Fulcher von Chartres, setzt aber andere Akzente und verleiht durch die Auswahl von Verweisen, die durch das Niedergangsmotiv geeint sind, dem Prologensemble und damit dem gesamten durch dieses umschlossenen Werk einen betont elegischen Charakter.

3.

Prologe in der abendländischen Überlieferung

Zum Abschluß soll der Blick noch auf die abendländische Geschichtsschreibung zum ersten Kreuzzug und den Kreuzfahrerstaaten gelenkt werden. Wodurch zeichnen sich die Prologe der im Okzident entstandenen Texte aus und was unterscheidet sie von ihren lateinisch-orientalischen Pendants? Handelt es sich bei den zuvor als charakteristisch antiochenisch oder jerosolymitanisch interpretierten Elementen tatsächlich um Belege einer spezifisch lateinisch-orientalischen ethnohistorischen Prägung der Historiographie der beiden großen 696 Vgl. Titus Livius, Ab urbe condita, Praefatio.11. Zur Praefatio des Livius vgl. Ogilvie, Robert Maxwell, A Commentary on Livy. Books 1–5, Oxford 1965, 23–29. 697 Diese Position vertreten etwa Edbury und Rowe: »Many of these allusions and quotations were probably drawn subconsciously from his [William of Tyre’s] reading, especially if they belonged to those passages he had committed to memory as part of his education. […] [C]ommonly lines are quoted without attribution, in such a way as to suggest that they formed part of his general knowledge rather than that he had a close familiarity with the authors’ works«; »it may be suspected that William was not as familiar with these authors [Cicero and Livy] as he would have liked his readers to believe.«, Edbury u. Rowe, William of Tyre, 33 u. 37. Schon im 19. Jahrhundert hatte man allerdings bemerkt, daß Wilhelm »mit den Werken der römischen Dichter in einem ungewöhnlichen Grade vertraut« gewesen sein mußte, da seine Verweise auf und Entlehnungen aus antiken Schriften über das Repertoire der gängigen Exempla-Sammlungen der Grammatiker weit hinausgehen (Prutz, ›Studien‹, 96f; siehe auch Schwinges, Kreuzzugsideologie, 286f.).

Prologe in der abendländischen Überlieferung

171

Kreuzfahrerstaaten oder lediglich um Gemeingut der Kreuzzugsgeschichtsschreibung des 12. Jahrhunderts? Mit Ausnahme Alberts von Aachen stellen auch die bedeutenden abendländischen Historiographen des ersten Kreuzzuges und des lateinischen Orients ihren Werken Prologe voran.698 Selbstverständlich sind vielerlei Parallelen zwischen den Texten aus den Kreuzfahrerstaaten und jenen aus Europa zu beobachten, die einerseits durch die Behandlung des gleichen historischen Gegenstandes und andererseits durch die Verwendung von Prolog-Topoi bedingt sind. In mehr oder weniger ausführlicher Form enthalten alle abendländischen Prologe Verweise auf den ersten Kreuzzug und die Eroberung Jerusalems. In den Bereich der Topoi fallen neben Ausführungen zum Schreibanlaß, Widmungsfloskeln und Anrufungen Gottes unter anderem die mannigfachen Bescheidenheitsbekundungen, die mitunter allerdings durch ganz und gar unbescheidene Klagen über die mangelnde Qualität der Vorlage – in all diesen Fällen handelt es sich um die Gesta Francorum699 – ergänzt werden. Hieraus leiten Baldrich von Dol, Guibert von Nogent und Robert der Mönch ihre Rechtfertigung für das Verfassen eigener Berichte ab. Robert beschränkt seine Kritik auf einen kurzen Abschnitt seines Apologeticus sermo, in dem er die ihm vorliegende historiam secundum hanc materiam tadelt, quia series tam pulchræ materiei inculta jacebat, et litteralium compositio dictionum inculta vacillabat.700 Etwas ausführlicher äußert sich Baldrich von Dol über den unbekannten compilator des libellum super hac re nimis rusticanum.701 Am ausführlichsten fällt die Auseinandersetzung mit dem normannischen Anonymus bei Guibert von Nogent aus, der einen großen Teil seines Prologes als einen regelrechten literaturkritischen Traktat anlegt. Er sei angetreten, wird dort vermerkt, den noblen literarischen Stoff des Kreuzzuges endlich in angemessener Form zu würdigen: Videram his Deum diebus quam fecerit a seculo mirabiliora gessisse gemmam que huiusmodi extremo diversari in pulvere, tanti que contemptus impatiens curavi quibus potui eloquiis id omni carius auro quod neglectui tradebatur absolvere.702

Diese Beispiele der kritischen Auseinandersetzung der abendländischen Kreuzzugshistoriographen mit den Gesta Francorum illustrieren eine diesen Autoren gemeinsame Vorliebe, ihre Prologe für ausgedehnte literatur- und historiographietheoretische Überlegungen zu verwenden. Diese metarhetori698 Die folgenden der hier untersuchten abendländischen Texte werden durch Prologe eingeleitet: BvD, GvN, HAI, RdM. Auch der zwischen europäischer und lateinisch-orientalischer Überlieferung einzuordnende Raimund von Aguilers leitet seine Historia durch einen kurzen Prolog ein. 699 Vgl. Sweetenham, ›Introduction RdM‹, 24f. 700 RdM Apologeticus Sermo. 701 BvD Prologus. 702 GvN Præfatio.

172

Ethnohistorische Entwürfe und Reflexionen

sche Komponente ist insbesondere bei Guibert von Nogent so dominant, daß sie nicht mehr nur der Erfüllung einer Konvention geschuldet sein dürfte, sondern daß diese theoretischen Ausführungen vielmehr eigentlicher Gegenstand des Prologes sind.703 Für die Untersuchung der lateinisch-orientalischen Prologe ist dieser Befund insofern relevant, als er einen scharfen Gegensatz zwischen diesen und ihren abendländischen Gegenstücken veranschaulicht. Dieser Gegensatz ist dabei nicht beschränkt auf die Geringschätzung, mit welcher die Europäer einen der wichtigsten Texte der lateinisch-orientalischen Überlieferung strafen. Obschon nämlich die aus antiochenischer beziehungsweise jerosolymitanischer Perspektive schreibenden Autoren in ihren Prologen durchaus topische und metarhetorische Elemente einbauen, geraten diese dort nie zum Selbstzweck. Selbst der formelhafteste der hier behandelten antiochenischen und jerosolymitanischen Prologe – jener der Gesta Tancredi – läßt einen unmittelbaren und praktischen Bezug zum lateinischen Orient erkennen, der den abendländischen Pendants fehlt und fehlen muß. Zugespitzt ließe sich formulieren: Während Guibert von Nogent es sich leisten konnte, über die mangelnde literarische Qualität der Gesta Francorum zu sinnieren, mußte Wilhelm von Tyrus um das Überleben seiner Heimat und seiner Landsleute bangen. Wenn auch die abendländischen Autoren zweifelsohne von der allgemeinen Kreuzzugsbegeisterung ihrer Zeit erfaßt waren, hatten Gelingen oder Scheitern der Kämpfe im Orient auf ihren Lebensalltag keinen nennenswerten Einfluß; gerade Walter dem Kanzler und Wilhelm von Tyrus, die in Krisenzeiten schrieben, mußte ihr historiographisches Schaffen jedoch tatsächlich als Dienst an ihrer Heimat und ihrer ethnischen Gruppe erscheinen. Vor allem fehlt den abendländischen Prologen jedwede Reflexion der ethnogenetischen Prozesse in der Folge des ersten Kreuzzuges. Selbst die Gründung der lateinischen Staaten in der Levante wurde offenbar nicht als wichtig genug angesehen, um sie auch an exponierter Stelle im Prolog zu würdigen. Das Interesse gilt allein dem Kreuzzug selbst, nicht dem Zusammenwachsen der Kreuzfahrer zu neuen Gruppen. Es geht den Europäern allein um den Kampf um das himmlische Jerusalem, nicht um das Entstehen und das Fortdauern des irdischen Reiches Jerusalem, geschweige denn um die Gründung und das Schicksal des Fürstentums Antiochia. Der süditalienische Autor der Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum läßt diesen Unterschied in besondere Deutlichkeit erkennen, wenn er die Makkabäer mit den Kreuzfahrern vergleicht: 703 Daß das metarhetorische Element in Prologen des Mittelalters durchaus dominant sein und von der Konventionserfüllung zum Selbstzweck avancieren kann, hat etwa Sunjee Kim Geertz demonstriert: Geertz, Sunjee Kim, ›Metarhetorical Texturing in Medieval Prologues‹, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte (64; 1990), 591–603.

Prologe in der abendländischen Überlieferung

173

Et dum in Ecclesia legitur, et cantantur fortia facta Machabæorum, qui quamvis pro patriis legibus, tamen et pro suis heredibus et hereditatibus pugnaverunt; isti vero non pro sua, neque pro aliquo suorum, sed solummodo pro regno cœlorum abierunt.704

Auf den ersten Blick mögen diese Worte an Fulcher von Chartres erinnern, der ja auch die Taten der Lateiner über jene der Makkabäer erhebt. Doch während Fulcher die Vorrangstellung der Lateiner mit der durch Wunder bezeugten besonderen göttlichen Gunst begründet, die ihnen zuteil wurde, erkennt der GestaBearbeiter aus Montecassino die Unterlegenheit der Makkabäer darin, daß sie nicht nur für das Himmelreich kämpften, sondern daß sie auch für das Wohl ihrer Familien und Nachkommen in den Krieg zogen. Hier wird ausgerechnet unter Bezugnahme auf eine der großen biblischen Identifikationspunkte der Jerosolymitaner geradezu eine Antithese zur Position insbesondere der jerosolymitanischen Prologe formuliert, in denen schließlich irdisches und himmlisches Jerusalem eine Einheit bilden, in denen der heilige Krieg immer auch Krieg für das diesseitige Königreich Jerusalem und für die eigenen Landsleute ist. In den Kreuzfahrerstaaten stritt man stets auch pro sua […] [et] pro aliquo suorum und damit gleichermaßen pro regno cœlorum. Alles in allem lassen die abendländischen Prologe ein mangelndes Gespür für sowie ein wenig ausgebildetes Interesse an der Eigenständigkeit des lateinischen Orients erkennen. In dem seiner Historia Hierosolymitana vorangestellten Brief an Abt Petrus von Maillezais wertet Baldrich von Dol zwar den ersten Kreuzzug als Grund der Freude für Abendland und Morgenland gleichermaßen: Exultat Oriens […]! Lætetur nihilominus et Occidens.705 Die Prologe der europäischen Autoren jedoch verraten ihre eurozentrische Perspektive und belegen gleichzeitig die Besonderheiten der lateinisch-orientalischen Historiographie, deren Autoren ihren Werken schon zu deren Auftakt eine ethnohistorische Prägung verleihen. Es gilt nun, den Kern dieser ethnohistorischen Erzählungen in den antiochenischen und jerosolymitanischen Texten genauer zu analysieren – den ersten Kreuzzug und die Gründungen des Fürstentums Antiochia und des Königreiches Jerusalem.

704 HAI Prologus. 705 BvD, ›Epistola ad Petrum‹.

VI.

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Der erste Kreuzzug steht im Mittelpunkt der ethnohistorischen Erzählungen des Königreiches Jerusalem wie auch des Fürstentums Antiochia. Als introitus Latinorum bildet er das zentrale Element der jerosolymitanischen Ethnogenese: Durch die Härten des Marsches und durch den Kampf mit dem muslimischen Feind wurde aus der heterogenen Schar der Kreuzfahrer die neue Gruppe der Jerosolymitaner geschmiedet. Prägende Ereignisse trugen sich dabei zu, die sich dauerhaft in die Erinnerung einbrennen und den jerosolymitanischen Mythomoteur bestimmen sollten. Das werdende Volk vollbrachte seine primordiale Tat durch die Eroberung der Heiligen Stadt Jerusalem. Für die Antiochener hingegen endete die wichtigste Phase des Kreuzzuges mit der Eroberung der nordsyrischen Metropole am Orontes und dieser Fokus spiegelt sich in der antiochenischen Historiographie. Beide Traditionen – die jerosolymitanische ebenso wie die antiochenische – und auch die abendländische Kreuzzugschronistik berichten zwar über die gleichen Ereignisse in den Jahren 1095 bis 1099, ja sie sind neben dem gemeinsamen Gegenstand sogar auch durch viele gemeinsame Motive und Ideen verbunden, welche der alle Texte gleichermaßen einenden Verpflichtung auf die Idee des religiös motivierten Kampfes gegen die Muslime und für die Christenheit geschuldet sind. Dennoch setzen die jerosolymitanischen und antiochenischen Autoren jeweils eigene Akzente, welche ihre jeweils eigentümliche ethnohistorische Perspektive widerspiegeln. Diese Unterschiede sind an entscheidenden Stellen so prononciert, daß man von zwei ersten Kreuzzügen sprechen muß – von jenem der Jerosolymitaner einerseits und jenem der Antiochener andererseits. Dies läßt sich schon daran ablesen, wie viel Raum die verschiedenen Texte den jeweiligen Phasen des Kreuzzuges widmen.

176

1.

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Die unterschiedliche Gewichtung der Kreuzzugsphasen

Die beinahe eineinhalb Jahre zwischen dem Eintreffen der Kreuzfahrer vor Antiochia im Oktober 1097 und dem Weiterzug nach Jerusalem im März 1099 waren durch denkwürdige Ereignisse und zahlreiche kleinere und größere Schlachten geprägt. Die Belagerung, Eroberung und anschließende Verteidigung der Metropole am Orontes stechen dabei eindeutig hervor. Sie beanspruchten insgesamt allein mehr als acht Monate. In der antiochenischen Überlieferung nimmt die nordsyrische Periode den größten Raum ein, und vor allem die Texte der Gesta-Familie lassen die antiochenische Kampagne ins Zentrum ihrer Erzählung rücken.706 Die Gesta Francorum widmen lediglich etwa ein Siebtel des Gesamttextes den Ereignissen in und um Jerusalem, während die Zeit in Nordsyrien ausführlich behandelt wird und mehr als die Hälfte des Textes beansprucht.707 Diese ungefähre Gewichtung haben jedoch neben Tudebodus auch andere von den Ur-Gesta abhängige Autoren übernommen,708 so daß allein aufgrund des Traditionsstrangs der Gesta-Familie im Fokus auf die nordsyrische Kampagne noch kein exklusiv antiochenisches Merkmal erkannt werden kann. Selbst Radulf von Caen jedoch verwendet, obwohl er beim Abfassen der Gesta Tancredi in der Heiligen Stadt lebte, deutlich mehr Aufmerksamkeit auf die nordsyrische Phase des ersten Kreuzzuges als auf die Ereignisse in der Gegend von Jerusalem.709 Allerdings nahmen der ein Dreivierteljahr währende Kampf um Antiochia sowie der Verbleib des Heeres im Norden im Vergleich zum Marsch nach Süden, der nur etwas über fünf Wochen dauernden Belagerung Jerusalems und der Sicherung der Eroberung durch den Sieg gegen die Fatimiden in der Schlacht von Askalon im August 1099 sehr viel mehr Zeit in Anspruch. Nimmt man allerdings den weiteren Kreis der Überlieferung zum ersten Kreuzzug in den Blick, so ergibt sich ein anderes Bild. Neben dem anonymen Autor der Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum reduziert etwa auch Guibert von Nogent trotz einer Abhängigkeit von den Gesta Francorum das relative Gewicht Antiochias in seinem Text und widmet Jeru706 Zum Ungleichgewicht zwischen den Berichten zur antiochenischen und zur jerosolymitanischen Kampagne in den Gesta Francorum vgl. Baxter-Wolf, Kenneth, ›Crusade and Narrative: Bohemond and the Gesta Francorum‹, in: Journal of Medieval History (17; 1991), 207–216, 213f; Oehler, ›Studien‹, 79f; Rubenstein, ›Gesta Francorum‹, 184. 707 Zwar nehmen die Ereignisse während und nach der Belagerung Jerusalems auch bei Raimund von Aguilers nur etwa ein Sechstel seiner Historia ein; allerdings schenkt er Antiochia im Vergleich zum Anonymus sehr viel weniger Beachtung und bietet anders als dieser vor allem viele Informationen zu dem, was sich auf dem Weg von Nordsyrien nach Jerusalem zutrug. 708 Vgl. BvD II.viii–III.ii; PT 61–130; RdM III.xix–VIII.xiii. Siehe auch RvA V–XIII. 709 Vgl. RvC XLVIII–CXLIII.

Die unterschiedliche Gewichtung der Kreuzzugsphasen

177

salem immerhin das gesamte lange, mehr als ein Viertel des gesamten Werkes umfassende siebte Buch seiner Gesta Dei per Francos.710 Albert von Aachen geht noch weiter und erweist Antiochia und Jerusalem jeweils annähernd gleich viel Aufmerksamkeit.711 Zudem hat Oehler herausgestellt, daß Baldrich von Dol, Guibert von Nogent und Robert der Mönch in Abgrenzung zu den Gesta Francorum auch schon im Laufe der insgesamt längeren Beschreibungen der Kampagnen in Kleinasien und Nordsyrien die Bedeutung Jerusalems immer wieder hervorheben und somit keinen Zweifel am eigentlichen Ziel des Kreuzzuges aufkommen lassen.712 Die jerosolymitanische Überlieferung läßt gegenüber der antiochenischen eine relative und bisweilen gar absolute Mindergewichtung Antiochias noch stärker erkennen. Fulcher von Chartres verwendet auf die Beschreibung der gesamten Zeit, die das Heer in Nordsyrien zubrachte, in etwa gleich viel Raum wie auf die Berichte zum Marsch nach Jerusalem sowie zur Belagerung und anschließenden Verteidigung der Heiligen Stadt713 und Bartolf von Nangis übernimmt diese Gewichtung von Fulcher.714 Wilhelm von Tyrus zeigt seine im Vergleich zu den beiden erstgenannten Autoren stärker panlateinische Gesinnung, wenn er Antiochia mehr Aufmerksamkeit schenkt und ansatzweise die tatsächliche Länge der nordsyrischen gegenüber der jerosolymitanischen Kampagne reflektiert, wobei Jerusalem dennoch vergleichsweise stark fokussiert wird.715 Allein die auf Robert dem Mönch und somit indirekt auf den Gesta Francorum und deren Betonung Antiochias beruhende Historia Nicæna weicht in dieser Hinsicht von der jerosolymitanischen Norm ab und akzentuiert im Hinblick auf die Länge des Berichts die nordsyrische Phase des Kreuzzuges.716 Wie der Kampf um Jerusalem lediglich den Epilog des antiochenischen ersten 710 Vgl. GvN IV.i–VI.xxiii; HAI XXXIV–XCVIII. Ähnlich verfährt auch Ordericus Vitalis, welcher die Version der Gesta Francorum indirekt durch seine Bearbeitung des Textes Baldrichs von Dol rezipierte. Vgl. OV IX. 711 Vgl. AvA III.xxxiii–V.xxxiii. 712 Vgl. Oehler, ›Studien‹, 91ff. 713 Vgl. FvC I.xv–I.xxxvi. Wilhelm von Malmesbury, der sich an Fulcher anlehnt, läßt die antiochenische Kampagne im Stellenwert noch weiter sinken, so daß sie deutlich kürzer ausfällt als der Bericht zum letzten Teil des Kreuzzuges. Vgl. WvM IV.ccclix–ccclxxxvi. 714 Vgl. BvN X–XL. 715 Vgl. WvT IV.vii–IX.xix. 716 Obgleich Jakob von Vitry hier aufgrund der späten Entstehung seiner Historia orientalis nicht systematisch analysiert wird, soll dennoch zu Illustrationszwecken kurz auf seine Gewichtung der beiden großen Phasen des ersten Kreuzzuges eingegangen werden. Jakob vertritt eine abendländische, aber durch seine Zeit als Bischof von Akkon immerhin teilweise lateinisch-orientalisch geprägte Perspektive. Sein Text zeigt eindeutig, daß in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts die Bedeutung der nordsyrischen Phase des ersten Kreuzzuges verblaßt war. Der schon in der früheren nicht-antiochenischen Überlieferung tendenziell zu erkennende Akzent lag nunmehr eindeutig auf der Belagerung und Eroberung Jerusalems. Vgl. JvV XVIII–XXII.

178

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Kreuzzuges bildet, so fungiert im jerosolymitanischen ersten Kreuzzug die Kampagne in Nordsyrien als bloßer Auftakt zu den ethnohistorisch wichtigeren späteren Ereignissen. Alles läuft auf die Eroberung Jerusalems zu, und alles geht in den Berichten zur weiteren Entwicklung des lateinischen Königreiches von diesem Kulminationspunkt der jerosolymitanischen Ethnohistorie aus – von dieser primordialen Tat. Doch wenn es sich bei den Eroberungen Antiochias im Sommer 1098 und Jerusalems im Sommer 1099 um die Geburtsstunden der beiden großen Kreuzfahrerstaaten und ihrer lateinisch-orientalischen Ethnien handelt, so muß im Konzil von Clermont der Moment der Konzeption dieser beiden ungleichen Kinder des Kreuzzuges gesehen werden. Deshalb soll der Blick zunächst auf diesen Zündfunken der jerosolymitanischen und antiochenischen Ethnogenesen gelenkt werden.

2.

Urban II. und das Konzil von Clermont

Der Kreuzzugsaufruf Urbans II. auf dem Konzil von Clermont stellt einen der wichtigsten Marksteine der Kreuzzugsgeschichte dar. Alle in verschiedenen Kreuzzugschroniken überlieferten Varianten des Aufrufs enthalten Forderungen zur Hilfe für die Christen des Orients und propagieren den Krieg für die heilige Sache als Alternative zu den großen und kleinen Kriegen, welche Christen in Europa Ende des 11. Jahrhunderts miteinander ausfochten. Obschon allerdings das Fürstentum Antiochia der Kreuzzugspredigt Urbans II. ebenso sein Entstehen verdankt wie die anderen Kreuzfahrerstaaten, nehmen die Ereignisse von Clermont in der antiochenischen Historiographie eine eher nebenranginge Position ein. Die Gesta Francorum und mit ihnen die Historia des Tudebodus erwähnen zwar das Konzil von Clermont und binden sogar eine Fassung der Predigt in ihre Berichte ein.717 Diese Versionen fallen jedoch äußerst knapp aus und konzentrieren sich auf den Charakter des Kreuzzuges als Akt der Christusnachfolge und Dienst für das eigene Seelenheil, während jeder konkrete Bezug zum Orient wie auch zu seinen christlichen Bewohnern ausbleibt. Zudem sind es in den antiochenischen Texten der Gesta-Familie allein die Normannen aus Süditalien, die den Wahlspruch des Kreuzzuges Deus uult718 erklingen lassen, als Bohemund bei der Belagerung Amalfis von dem Vorhaben erfährt und gelobt, sich diesem anzuschließen.719 Die Gesta Tancredi erwähnen das Konzil von Clermont hingegen an keiner Stelle direkt720 und den Kreuzzugsaufruf Ur717 718 719 720

GF I.i; PT 32. GF I.iv ; PT 40. Vgl. Oehler, ›Studien‹, 79. Vgl. Boehm, ›Gesta Tancredi‹, 55.

Urban II. und das Konzil von Clermont

179

bans II. faßt Radulf von Caen in Form eines bloßen Nebensatzes innerhalb seiner biographischen Ausführungen zu Tankred zusammen.721 Der einzige Grund für den beiläufigen Verweis auf den päpstlichen Aufruf besteht dort darin, daß er dazu dient, die persönlichen Motive Tankreds zu erklären. Nicht der Kreuzzug und dessen Initialzündung sind für Radulf von Interesse, sondern es gilt lediglich, ein weiteres Detail zum zentralen Element des personal-dynastischen antiochenischen Mythomoteurs zu liefern. Innerhalb dieses Mythomoteurs hatte der Kreuzzugsaufruf offenkundig keine wichtige Funktion inne, was sich nicht zuletzt damit erklären läßt, daß die normannisch-antiochenischen Gründerväter beim Konzil in Südfrankreich selbst nicht zugegen waren. Drei sehr ausführliche und für die spätere Rezeption der Predigt besonders bedeutende Fassungen finden sich hingegen ausgerechnet in den im Abendland entstandenen Texten Baldrichs von Dol, Guiberts von Nogent und Roberts des Mönchs.722 Gerade diese Autoren legen besonderen Wert darauf, die einzigartige Bedeutung Jerusalems hervorzuheben.723 Als umbilicus […] terrarum724 steht Jerusalem in diesen Texten gleichermaßen im Zentrum der Welt und des Interesses. Vor diesem Hintergrund mag es zunächst schwierig erscheinen, Konzil und Kreuzzugsaufruf als Ereignisse von exklusiver ethnohistorischer Relevanz für die Jerosolymitaner zu interpretieren. Tatsächlich fällt etwa der Bericht Fulchers von Chartres zum Auftakt des Kreuzzuges im Gegensatz zu den drei zuvor genannten abendländischen Chronisten eher knapp aus und enthält zudem keine vergleichbaren Würdigungen Jerusalems.725 Bartolf von Nangis übernimmt weitestgehend die Fulchersche Version,726 die Historia Nicæna jene Roberts des Mönchs.727 Es gibt dennoch starke Hinweise darauf, daß die jerosolymitanischen Historiographen dem Konzil von Clermont eine Position in ihren Erzählungen einräumten, die über die allgemein Relevanz des Aufrufs für die Kreuzzugsgeschichte hinausgeht. So ist zunächst zu konstatieren, daß sie anders als ihre antiochenischen Pendants ausnahmslos überhaupt Berichte zum Kreuzzugsaufruf in ihre Berichte einbinden. Dabei setzen sie unterschiedliche Akzente. Fulcher von Chartres hebt die Hilfeleistung für die orientalischen Christen hervor. Keine exklusiv jeroso721 Vgl. RvC I. 722 Vgl. BvD I.iv ; GvN II.iv ; RdM I.i–ii. 723 Zu den Inhalten der verschiedenen Fassungen des Aufrufs vgl. Cowdrey, Herbert Edward John, ›Pope Urban II’s Preaching of the First Crusade‹, in: History. The Journal of the Historical Association (55; 1970), 177–188; Munro, ›Urban II‹, 236ff. 724 RdM I.ii. 725 Vgl. FvC I.ii–iii. 726 Vgl. BvN I. 727 Vgl. HNvA II–III.

180

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

lymitanische Eigenart, kann hierin dennoch das Bestreben erkannt werden, den Kreuzzug und die aus ihm hervorgegangene Herrschaft der Jerosolymitaner zu legitimieren. Durchaus um ein Spezifikum des lateinischen Königreiches handelt es sich, wenn Fulcher Urban II. feststellen läßt, daß er zwar den Aufruf zum Kreuzzug aussprechen und zum Folgen ermahnen könne, daß Christus autem imperat.728 Mögen diese Worte oberflächlich betrachtet im Kontext des Kreuzzugsaufrufes wenig bemerkenswert erscheinen, mögen sie lediglich als eine Variation des bekannteren Ausrufes Deus vult729 angesehen werden, so verbirgt sich hinter ihnen doch eine wichtige tiefere Bedeutung. Die Formulierung Christus imperat stand und steht üblicherweise nicht für sich, sondern sie bildet für gewöhnlich einen Teil der Trias Christus vincit, Christus regnat, Christus imperat aus den seit dem 8. Jahrhundert überlieferten Laudes regiae.730 Wenn Fulcher, der an anderer Stelle die Trias in toto als Schlachtruf in seinen Text einbindet,731 im Kontext des Kreuzzugsaufrufs diese Worte gebraucht, können sie zu Recht als Verweis auf die gesamte Formel und ihren Inhalt verstanden werden.732 Die Laudes regiae dienten einerseits zur Legitimation der weltlichen Herrschaft des Königs, stellten diesem jedoch ebenso das Ideal der Königsherrschaft Christi als Vorbild und Mahnung sowie als eigentliche Quelle seiner Königsmacht vor Augen.733 Wie an anderer Stelle noch ausführlicher darzulegen ist, war die Aushandlung der Position des Königs innerhalb des Spannungsfeldes zwischen weltlichem Königtum und dem Idealtyp der Herrschaft Christi im Königreich Jerusalem von großer Bedeutung. Die Herrschaft Christi wurde in Jerusalem nicht nur transzendent gedacht, sondern sie wurde stets auch direkt auf die weltlichen Geschicke des lateinischen Königreiches als das Erbe Christi bezogen, konnte mitunter auch gegen das Handeln des weltlichen Herrschers ausgespielt werden. Die Formel Christus imperat drückt diese Sonderdeutung der Herrschaft Christi aus. Fulcher variiert diesen Gedanken zudem an gleicher Stelle, wenn er Urban II. betonen läßt, daß non ego, sed Dominus734 zum Kampf gegen die Muslime aufrufe. Für die spezifisch jerosolymitanische Bedeutung 728 FvC I.iii.5. 729 Vgl. z. B. RdM I.ii. 730 Vgl. Cowdrey, Herbert Edward John, ›The Anglo-Norman Laudes regiae‹, in: Viator (12; 1981), 38–78, 43ff; Deusen, Nancy van, ›Laudes regiae: In Praise of Kings. Medieval Acclamations, Liturgy, and the Ritualization of Power‹, in: Procession, Performance, Liturgy, and Ritual: Essays in Honor of Bryan R. Gillingham, hg. v. Ders. (= Wissenschaftliche Abhandlungen / Institute of Medieval Music Ottawa, Canada; 62,8), Ottawa 2007, 83–118. 110ff; Kantorowicz, Ernst H., Laudes regiae. A Study in Liturgical Acclamations and Mediaeval Ruler Worship (= University of California Publications in History ; 33), Berkeley 1946, 21. 731 Vgl. FvC II.xxxii.5 732 Vgl. Kantorowicz, Laudes regiae, 11 m. Anm. 39. 733 Vgl. Deusen, ›Laudes regiae‹, 84–88. 734 FvC I.iii.4.

Urban II. und das Konzil von Clermont

181

dieser Auffassung spricht auch, daß Bartolf von Nangis in seiner Version der Rede des Papstes trotz signifikanter Kürzungen und Umstellungen gerade in dieser Sektion von Fulcher sowohl den Gedanken des von Gott selbst ausgehenden Kreuzzugsaufrufes übernimmt als auch das Fragment der Christusvincit-Trias.735 Schon der Ursprungsmoment des lateinischen Königreiches präfiguriert somit bei Fulcher und Bartolf das jerosolymitanische Selbstverständnis, als auserwähltes Volk im Reich Gottes auf Erden unter direkter Führung Christi zu stehen. Wilhelm von Tyrus hingegen scheint bei seiner Fassung des Aufrufs von Clermont auf den ersten Blick Inhalt und Motive der Version Baldrichs von Dol übernommen zu haben. Die Schwerpunkte liegen eindeutig auf Jerusalem und der Hilfe für die orientalischen Christen; das Plädoyer an die Ritterschaft, ihre martialischen Kräfte fortan gegen die Muslime zu richten, findet ebenso Erwähnung wie der den Kreuzzugsteilnehmern in Aussicht gestellte Sündenablaß.736 Eine genauere Überprüfung erbringt jedoch den Befund, daß Wilhelm im Hinblick auf den zentralen Aspekt der Ansprache – die Bedeutung Jerusalems – durch eine andere Anordnung und durch die Auswahl von Bibelstellen eigene Akzente setzt, welche die ethnohistorische Stoßrichtung seines Textes offenlegen. Obschon nämlich Robert und vor allem Baldrich sowie Guibert die wichtige Stellung Jerusalems als Ort der Verheißung ausführlich hervorheben,737 binden sie die Heilige Stadt anders in ihren Text und in den Argumentationsstrang Urbans II. ein. Robert läßt Urban mit einer Anrufung der [g]ens francorum […] a Deo electa et dilecta beginnen und mit einem Lob auf die Franken fortfahren, wobei durch anschließende Verweise auf gesta prædecessorum vestrorum in Verbindung mit der Huldigung für die probitas et magnitudo Karoli magni regis und seiner Nachfahren eindeutig wird, daß hier die Franzosen gemeint sind.738 Somit wohnt Roberts Version durchaus eine ethnohistorische Komponente inne; diese jedoch ist eindeutig an die Franken in Europa gebunden. Baldrich und Guibert hingegen beginnen mit längeren Schilderungen der Verbrechen gegen die orientalischen Christen und Klagen über die Schändung der heiligen Stätten.739 Mithin richten sich diese Autoren zwar durchaus auf den Orient aus, sehen diesen dabei jedoch allein durch das Prisma des Kreuzzugskontextes, wenn sie exponiert zu Beginn das Skandalon der muslimischen Herrschaft über das Heilige Land und ihre Vergehen an den Christen akzentuieren. Die Levante wird aus europäischer Perspektive gesehen – aus der Perspektive von Menschen, 735 BvN I. Guibert von Nogent hingegen, der ebenfalls auf Fulcher zurückgreift, bindet diesen Gedanken in seine sehr viel längere Version der Predigt nicht ein. Vgl. GvN II.iv. 736 Vgl. WvT I.xv. 737 Vgl. Cole, Preaching, 15 u. 23; Munro, ›Urban II‹, 240. 738 RdM I.i. 739 Vgl. BvD I.iv ; GvN II.iv. Vgl. auch OV IX.ii.

182

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

die als Christen eine tiefe spirituelle Bindung an und mitunter auch mehr oder weniger gute Kenntnisse von der Heiligen Stadt hatten, für die Jerusalem aber nichtsdestotrotz etwas Fernes und Fremdes war. Wilhelm von Tyrus wiederum ordnet die verschiedenen Elemente anders an. Den Auftakt der Predigt setzt Urban II. im Chronicon bezeichnenderweise nicht durch eine Klage über den gegenwärtigen Zustand Jerusalems, sondern er hebt unmittelbar zu einem mit Zitaten aus und Verweisen auf die Bibel durchsetzten Loblied auf das Heilige Land an – auf die levantinische Heimat des Erzbischofs von Tyrus. Zunächst stellt er die heilsgeschichtliche Bedeutung Jerusalems heraus. Neben dem religiösen Pathos verleiht Urban in Wilhelms Version jedoch ebenso einer sehr viel menschlicheren Verbindung Christi zum Heiligen Land Ausdruck: Quadam sane dilectionis prerogativa certum est eam dilexisse [Christus], ita quod eam orbis partem, immo particulam, hereditatem suam dignatus est appellare, cum eius sit omnis terra et plenitudo eius.740

Hier vermischen sich der gesamtchristliche Gemeinplatz der religiösen Überhöhung als Terr[a] Promissionis741 mit einer ganz individuellen und geradezu liebevollen Beziehung zum lateinischen Königreich und seiner Hauptstadt.742 Die beinahe verniedlichende Bezeichnung als orbis particula hat keine Entsprechung in den europäischen Fassungen des Aufrufs, die sich ganz der Verklärung Palästinas verschreiben und in Jerusalem ausschließlich den umbilicus […] terrarum […] quasi alter Paradisus deliciarum743 erkennen mochten. Mit der Verklärung jedoch wird das geographisch ohnehin ferne Heilige Land regelrecht aus der irdischen Realität entrückt. Selbst wenn Guibert mit Verweis auf die Makkabäer den Kampf zur Befreiung Jerusalems mit der Verteidigung der liberta[s] patriae744 gleichsetzt, erscheint daher das Heilige Land in dieser Deutung allein als spirituelle Heimat. Dem entgegen mußte Wilhelm Stadt und Reich Jerusalem als – um auf seine Wortwahl im Prolog zurückzugreifen – sein natalis sol[um]745 immer auch gegenwärtig, greifbar und alltäglich und gerade deshalb als besonders wichtig wahrnehmen. Diese sehr unterschiedliche Beziehung zu Jerusalem läßt sich auch anhand der verschiedenen Akzente bei Auswahl und Einsatz der Bibelzitate durch Wilhelm und die europäischen Chronisten demonstrieren. Letztere verwenden 740 WvT I.xv.8–11. 741 WvT I.xv.4. 742 Zur Wahrnehmung Jerusalems als Heimat durch die jerosolymitanischen Quellen (allerdings allein auf Grundlage Fulchers von Chartres bzw. Wilhelms von Tyrus) vgl. Epp, ›Entstehung eines »Nationalbewußtseins«‹, 603; Schwinges, ›Regionale Identität‹, 243ff. 743 RdM I.ii. 744 GvN II.iv. 745 WvT Prologus.78.

Urban II. und das Konzil von Clermont

183

das wirkungsvolle Werkzeug des biblischen Verweises fast ausschließlich746 zur direkten Begründung und Legitimation des Kreuzzuges. So beklagt Baldrich von Dol mit dem Psalmisten, daß die Muslime polluerunt templum sanctum tuum,747 während Guibert von Nogent den Evangelisten Johannes bemüht, um die Europäer zum Handeln zu bewegen: tempus […] vestrum semper est paratum;748 und bei Matthäus bedient sich mit ähnlicher Absicht Robert der Mönch, der zum Verlassen der Familie in Christi Namen aufruft, da qui amat patrem aut matrem super me, non est me dignus.749 Freilich finden sich solche Verweise auch in Wilhelms Version, der jedoch direkte Zitate aus der Bibel ebenso zum Zwecke des vom Kreuzzugskontext völlig losgelösten Lobes seiner Heimat verwendet. Den ersten diesem Ziel verpflichteten Block der Ansprache Urbans II. läßt Wilhelm in einer von Jesaja übernommenen Anrufung Jerusalems münden, die einem Kapitel entstammt, welches ganz der Verherrlichung Jerusalems gewidmet ist: eris corona glorie in manu domini et diadema regni in manu dei tui. et non vocaberis amplius desolata. sed vocaberis voluntas mea in ea, quia complacuit domino in te.750

Beide Elemente der spezifisch jerosolymitanischen Beziehung zu Jerusalem sind auch hier vereint; religiös verklärte und persönlich alltägliche Wahrnehmung der Heiligen Stadt und des Heiligen Landes verschmelzen und zudem sind Anklänge an die bei Fulcher konstatierte Vorstellung einer vergegenwärtigten Herrschaft Christi im lateinischen Königreich zu verzeichnen. Noch bevor der Kreuzzug begonnen hat, wird dessen Erfolg gleichzeitig angekündigt und zelebriert, da die Jerosolymitaner der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in ihren Vorfahren die Vollstrecker dieser Prophezeiung erkennen konnten. Doch grundsätzlich hätten sich auch die europäischen Autoren diese Perspektive zueigen machen können, da sie ebenfalls ausnahmslos nach dem erfolgreichen Abschluß des ersten Kreuzzuges schrieben. Für sie jedoch blieb das irdische Jerusalem auch nach seiner Eroberung fern und fremd. Für sie mußten die Zuhörer Urbans II. in Clermont ebenso wie ihr eigenes Publikum zunächst über den Anlaß des Kreuzzuges informiert werden, um erst dann von diesem ausgehend erzählerisch nach Jerusalem als Ziel der bewaffneten Wallfahrt sowie zum Lob der Heiligen Stadt geführt zu werden. Für den Jerosolymitaner Wilhelm und sein lateinisch-orientalisches Publikum in der zweiten Hälfte des 12. Jahr746 Die einzige wirkliche Ausnahme in der Reihe der großen europäischen Chronisten ist Robert der Mönch, der immerhin an einer Stelle Ex 3:8 zitiert und Palästina als das Land benennt, in welchem Milch und Honig fließen. Vgl. RdM I.i. 747 BvD I.iv. Vgl. Ps 78:2. 748 GvN II.iv. Vgl. Io 7:6. 749 RdM I.i. Vgl. Mt 19:29. 750 WvT I.xv.29–31. Vgl. Is 62:3–4.

184

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

hunderts hingegen war diese literarische wie geographische Wanderung nicht mehr nötig, da ihre eigenen Vorfahren sie bereits vollzogen hatten. Das Land der Verheißung war zur Heimat geworden. Allerdings sollte die Erkenntnis dieser Aneignung des Heiligen Landes als irdische patria751 durch die Jerosolymitaner nicht zu dem Schluß verleiten, die religiöse Komponente als weniger bedeutend zu gewichten.752 Vielmehr sind beide Element gleichrangig kombiniert. Zum Ausgangspunkt der päpstlichen Argumentation in Clermont geraten für Wilhelm von Tyrus Stadt und Reich Jerusalem, denen stets die allein aus jerosolymitanischer Perspektive nachvollziehbare Doppelrolle als geliebte Heimaterde und Land der Verheißung zugeschrieben wird. Urban II. stellt im Chronicon nicht einfach das Programm des heiligen Krieges vor ; vielmehr läßt Wilhelm den Pontifex zugleich ein ethnohistorisches Gründungsmanifest für das lateinische Königreich Jerusalem präsentieren.

3.

Der erste Kreuzzug bis zur Eroberung Antiochias

Im Anschluß an das Konzil von Clermont erfolgte die eigentliche Wanderungsbewegung des ersten Kreuzzuges. Vier große Kontingente brachen im Spätsommer 1096 gen Osten auf. Gottfried von Bouillon aus dem Geschlecht der Grafen von Boulogne stand an der Spitze eines Heeres von Rheinländern, Nordfranzosen und Lothringern. Mit ihm zogen auch sein Bruder Balduin von Boulogne sowie der ebenfalls mit ihm verwandte Balduin von Bourcq. Somit waren die ersten drei Herrscher des Königreiches Jerusalem in dieser Gruppe versammelt. Sie nahmen den Landweg und erreichten am 23. Dezember 1096 Konstantinopel. In den ersten Apriltagen des folgenden Jahres trafen dort auch Bohemund von Tarent und sein Neffe Tankred an der Spitze der mediterranen Normannen ein, die von Bari aus die Adria überquert hatten und dann ebenfalls über den Balkan gezogen waren. Die Provenzalen unter Raimund von Toulouse stellten das größte der vier Teilkontingente, mit dem auch der päpstliche Legat Adh¦mar von Le Puy reiste. Ende April 1097 erreichten sie nach dem Marsch über den Balkan den Bosporus. Zuletzt trafen dort im Mai die gemeinsam mit den Flamen ausgezogenen nordfranzösischen Normannen unter Robert II. von Flandern und Robert von der Normandie ein.753 Die einzelnen Kontingente verhandelten jedoch individuell mit Kaiser Alexios die Bedingungen für die

751 Vgl. WvT Prologus.15 u. passim. 752 Zu einer solchen Umdeutung der Quellen vgl. v. a. Epp, ›Entstehung‹, 603; Schwinges, ›Regionale Identität‹, 244f. 753 Vgl. Asbridge, First Crusade, 89–109; Mayer, Kreuzzüge, 59–63.

Der erste Kreuzzug bis zur Eroberung Antiochias

185

Bosporusüberfahrt und trafen daher erst im Mai bei der Belagerung Nicaeas zusammen.754 In der nun folgenden kleinasiatischen Phase des Kreuzzuges hatten sich die Kreuzfahrer gegen zwei Feinde zu behaupten – gegen die Seldschuken und gegen den Hunger. Der Kampf mit diesen beiden Gegnern wird von den antiochenischen, jerosolymitanischen und abendländischen Historiographen gleichermaßen dazu instrumentalisiert, das Zusammenwachsen der Kreuzfahrer unter schwersten Entbehrungen und gegen überwältigenden Widerstand in Szene zu setzen. Diese Hervorhebung großer Einigkeit kann als Gemeinplatz der Kreuzzugshistoriographie gelten.755 Für die lateinisch-orientalischen Historiographen jedoch hat diese frühe Phase des Kreuzzuges zusätzlich eine wichtige ethnohistorische Bedeutung, da sie in ihrem Verlauf nicht nur das Zusammenwachsen des Kreuzzugsheeres beobachteten, sondern in diesem Prozeß zugleich die prägende Wanderungsbewegung erkannten, aus welcher ihre jeweilige ethnische Gruppe erwuchs.

a.

Ex pluribus unum – die kleinasiatische Phase des ersten Kreuzzuges in der jerosolymitanischen Historiographie quasi fomitibus conflare animos et ex pluribus unum facere756 tunc exercitibus plurimis unus illic exercitus effectus est757

Im Rahmen der Analyse der Prologe ist bereits der erstaunliche Grad der bewußten Ethnogenesereflexion in den jerosolymitanischen Quellen thematisiert worden. In ihren Prologen betrachten die Historiographen des lateinischen Königreiches die jerosolymitanische Ethnogenese von ihrem Ergebnis her, nehmen also den Schluß jenes ethnogenetischen Prozesses schon zu Beginn vorweg, den sie im Laufe der Texte detailliert schildern. Doch auch die Berichte zu den Ereignissen der ethnogenetischen Phase selbst zeichnen sich dadurch aus, daß sie ethnohistorisch relevante Ereignisse und Prozesse nicht nur erwähnen, sondern daß sie diese im Bewußtsein dieser Relevanz reflektieren und hervorheben. 754 Vgl. ibid., 66f. 755 William Purkis hat schlüssig nachgewiesen, daß sich die Kreuzzugsspiritualität unter anderem aus der reformpäpstlichen Propagierung eines apostolischen Lebens speiste. Dies lasse sich in den Chroniken zum Beispiel anhand der zahlreichen Betonungen der Einmütigkeit unter den Kreuzfahrern unter Rückgriff auf das Vokabular der Apostelgeschichte nachvollziehen. Vgl. Purkis, William Crusading Spirituality in the Holy Land and Iberia c.1095-c.1187, Woodbridge 2008, 47ff. 756 Augustinus, Confessions, hg. v. James Joseph O‹Donnell, 3 Bde., Oxford 1992, IV.viii.13. 757 FvC I.x.4.

186

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Ein häufig wiederkehrendes Motiv ist das Zusammenwachsen der den Kreuzzug bildenden Kleingruppen unterschiedlichster Herkunft zu einer neuen Großgruppe, das sich erwartungsgemäß bei den Berichten zum Marsch durch Kleinasien und der Zeit bis zur Belagerung Antiochias beobachten läßt.758 In den jerosolymitanischen Texten kommt dieser Phase nach dem Übertritt von Europa nach Asien die Funktion eines entscheidenden Momentes zu. Im Anschluß an eine Auflistung der verschiedenen Kreuzzugskontingente und ihrer Anführer, die sich nach dem Aufruf Urbans II. auf den Weg in den Orient machten, kommentiert daher Fulcher von Chartres den Zug dieser Teilgruppen und deren allmähliche Zusammenführung: itaque tanto collegio ab occidentalibus partibus procedente, paulatim per viam diatim de innumera gente concrevit exercitus exercituum undique convenientium, ut de linguis quamplurimis et regionibus multis videretis multitudinem infinitam.759

Ganz ähnlich berichtet Wilhelm von Tyrus: Multiplicato igitur exercitu et ex diversis copiis in unum convenientibus facto per dei gratiam numerosiore.760

Dieses Zusammenwachsen eines heterogenen Heerhaufens zum Heer der Heere und damit jener Prozeß, welcher zur Ausformung der Gruppe der Jerosolymitaner führte, ist eines der zentralen Motive in den jerosolymitanischen Texten und taucht in verschiedenen Variationen immer wieder auf.761 Einen wichtigen Meilenstein erreichte und überwand der Kreuzzug und damit auch die ethnohistorische Entwicklung in der jerosolymitanischen Historiographie mit der Belagerung und Kapitulation Nicaeas – des bedrohlich nahe an Konstantinopel gelegenen Machtzentrums der Seldschuken in der Region – im Mai und Juni des Jahres 1097.762 Sehr gut kann dessen besondere Bedeutung für die Jerosolymitaner anhand einer Entscheidung nachvollzogen werden, welche der anonyme Autor der Historia Nicæna im Hinblick auf die Adoption und Adaption seiner Quellentexte traf. Basierten die Schilderungen zum Beginn der Belagerung Nicaeas zunächst auf dem Text Roberts des Mönchs, so wechselt der Anonymus bezeichnenderweise in dem Moment zu Fulcher von Chartres, in dem dieser den Gedanken der Verschmelzung der Heere vorbringt, und formuliert: et unus ex plurimis factus est exercitus.763 In mustergültiger Ausführung kann der Einsatz dieses Motivs auch bei Wilhelm von Tyrus iden758 759 760 761

Vgl. Epp, Fulcher von Chartres, 156f. FvC I.vi.9. WvT II.xxii.51–52. Vgl. BvN VII; FvC I.x.4; I.xiii.4–5; HNvA XV; WvT II.xxiv.15–18. Ähnlich in GF II.viii; Radulf von Caen hingegen nimmt diesen Gedanken nicht auf. 762 Vgl. Asbridge, First Crusade, 118ff. 763 HNvA XV. Vgl. FvC I.x.4; RdM III.ii.

Der erste Kreuzzug bis zur Eroberung Antiochias

187

tifiziert werden, wenn er den Zug der nach der Bosporus-Überquerung vereinten Heere beschreibt: Hic primum ex diversis exercitibus, qui varios et per loca diversa variis quoque temporibus sequuti fuerant principes, unus factus est dei viventis exercitus, ex multiplicitate partium advenientium adinvicem suam recipiens integritatem.764

Wie dieses Beispiel zeigt, wird der Verschmelzungsprozeß zudem nicht einfach als nüchterner Befund festgehalten, sondern er wird mythoreligiös überhöht durch die Bezeichnung der neu entstandenen Einheit als dei viventis exercitus. Auch Fulcher von Chartres veranschaulicht die herausragende Bedeutung der Verschmelzung der Teilkontingente auf ihrer Wanderung in den Osten, indem er diese Entwicklung als eine Erschütterung der gesamten Welt bezeichnet: insulae marium et omnia regna terrarum adeo concussa sunt.765 In dieser Erschütterung will er zudem die Erfüllung einer biblischen Prophezeiung erkennen: sit credendum adimpletam prophetiam Davidis, qui dixit in Psalmo: omnes gentes quascunque fecisti venient et adorabunt coram te, Domine.766

Hier erhebt Fulcher gezielt eine an sich vage und für die Psalmen formelhafte Verheißung der Anbetung Gottes durch die Völker zu einer expliziten Prophezeiung des ersten Kreuzzuges und der durch diesen bedingten Wanderung in den Orient.767 Die konkrete Ausrichtung der Prophezeiung auf Jerusalem, auf die Eroberung der Heiligen Stadt und die Gründung des lateinischen Königreiches wird durch ein zweites Psalmenzitat deutlich, mit dem Fulcher die prophetischen Worte ergänzt, um dann auch die nach dem Kreuzzug in das Königreich eingewanderten Lateiner mit einzubeziehen Diese hätten zurecht gesagt: adorabimus in loco ubi steterunt pedes eius.768 Im Zusammenhang des Verschmelzungsprozesses ist auch die besondere Betonung der Einmütigkeit des Heeres zu sehen. Zeichnete sich der Kreis der Führer des ersten Kreuzzuges zwar tatsächlich vor allem durch widerstreitende Partikularinteressen aus, galt es für die jerosolymitanischen Historiographen, diese Konflikte weitestgehend zu übertünchen und den Zusammenhalt der Pilger hervorzuheben. Nicht zufällig finden sich diese Akzentuierungen der 764 765 766 767

WvT II.24.15–18. FvC I.vi.10; vgl. Ps 85:9. FvC I.vi.10; vgl. Ps 85:9. Die Deutung der Ereignisse des Kreuzzuges als Erfüllung biblischer Prophezeiungen hat auch Riley-Smith untersucht, der jedoch ausgerechnet die jerosolymitanische Überlieferung bei seinen Ausführungen zu diesem Thema vernachlässigt und sich stattdessen auf Baldrich von Dol, Guibert von Nogent und Robert den Mönch stützt. Vgl. Riley-Smith, Idea, 142f. Siehe außerdem: Rubenstein, Jay, Armies of Heaven. The First Crusade and the Quest for Apocalypse, New York 2011. 768 FvC I.vi.10; vgl. Ps 131:7.

188

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Einheit der Kreuzfahrer im Anschluß an die zuvor zitierte Beschreibung des Zusammenwachsens während des Marsches durch Kleinasien und Kilikien.769 Nach dem Übertritt auf den asiatischen Kontinent findet gemäß der Darstellung der Quellen ein Transformationsprozeß statt, aus dem nach jerosolymitanischer Interpretation eine neue geeinte Gruppe hervorgeht.

b.

Wiscardi acta nota sunt orbi – die normannisch-guiscardische Ouvertüre zum ersten Kreuzzug und der personal-dynastische antiochenische Mythomoteur

Bezeichnenderweise ist in den antiochenischen Quellen eines der prägenden Ereignisse in jener frühen Phase des Kreuzzuges angesiedelt, als das Kontingent der süditalienischen Normannen vor der Vereinigung der Heere bei Nicaea gesondert über den Balkan zog, noch bevor also in der Diktion der jerosolymitanischen Historiographie aus den Vielen das Eine wurde. Es handelt sich bei diesem Ereignis um die Beschreibung einer für den Kreuzzug eigentlich nicht 769 Vgl. etwa FvC I.xiii.5. Fulcher von Chartres ergänzt seine Schilderungen des Verschmelzungsprozesses und der Einheit im Heer um eine zwischenmenschliche Ebene, indem er das Verhalten der einfachen Kreuzfahrer untereinander lobt: Wenn jemand im Heer etwas verloren hatte, habe der Finder diesen Gegenstand sorgsam aufbewahrt, bis der Besitzer ermittelt werden konnte, um ihn dann auszuhändigen – hoc enim competit his, qui recte peregrinantur. Solche menschlichen Zeugnisse der Einheit finden sich auch in anderen jerosolymitanischen Quellen. Als Raimund von Toulouse auf dem Marsch durch Kleinasien Anfang August 1097 lebensgefährlich erkrankte, mußte er zurückbleiben, und Bischof Wilhelm von Orange eilte zu ihm, um die Sterbesakramente zu spenden. Wilhelm von Tyrus beschreibt die negativen Auswirkungen dieser Vorkommnisse auf die Moral des als pilgernde Kirche bezeichneten Heeres, das nun zweier solch wichtiger Anführer beraubt gewesen sei, und er vermerkt, daß omnes uno spiritu, fusis lacrimis, ut restituerentur saluti dominum precabantur fiebantque orationes in celebratione divinorum pro eis ab universa illa peregrinante ecclesia (WvT III.xix.9–12). Wilhelms Bericht basiert auf Raimund von Aguilers, der jedoch diesen Anlaß bezeichnenderweise nicht dazu gebraucht, die Einheit des Heeres zu akzentuieren. Vielmehr setzt die Beschreibung der Ereignisse durch den Provenzalen den Schwerpunkt auf einer wundersamen Begegnung mit einem Pilger aus Sachsen, der sich als Bote des heiligen Ägidius – des Patrons Raimunds von Toulouse – zu erkennen gibt und dem Grafen im Auftrag des Heiligen mitteilt, er werde nicht sterben. Insgesamt ist bei Raimund von Aguilers alles auf den Grafen Toulouse bezogen, wohingegen der nicht namentlich benannte Bischof von Orange anders als bei Wilhelm von Tyrus nicht die Rolle eines wichtigen Heerführers spielt. Die Version Raimunds von Aguilers hat der anonyme Autor der Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum übernommen. Vgl. HAI XXX; RvA IV, 241 A. In einem ähnlichen Fall – der Genesung Gottfrieds von Bouillon von schwerer Krankheit während der Belagerung Antiochias – läßt sich dieses Muster ebenfalls verfolgen. Wilhelm übernimmt die Begebenheit aus dem Text Alberts von Aachen, schmückt dessen nüchterne Erwähnung des Ereignisses aber wiederum stark aus, um die Einheit des Heeres und die Verbundenheit der Massen mit den Anführern zu veranschaulichen. Vgl. AvA III.lviii; WvT IV.xxii.30–35.

Der erste Kreuzzug bis zur Eroberung Antiochias

189

besonders folgenreichen770 Auseinandersetzung mit byzantinischen Truppen bei der Überquerung des Flusses Vardar im heutigen Mazedonien.771 Die Normannen hatten auf ihrem Marsch durch byzantinisches Gebiet wiederholt geplündert, doch die Eskorte kaiserlicher Truppen, die ein solches Vorgehen eigentlich verhindern sollte, holte die Kreuzfahrer erst in der Gegend des Flusses Vardar ein und griff jene Truppen an, die noch nicht auf das andere Ufer übergesetzt hatten. Eine Schar unter der Führung Tankreds überquerte den Fluß daraufhin erneut in entgegengesetzter Richtung und kam den Zurückgeblieben zu Hilfe.772 Anhand der Darstellung der Gesta Francorum wird deutlich, welche zentrale Rolle Tankred und Bohemund im antiochenischen Mythomoteur zukommt. Die beiden Normannenführer erscheinen nicht nur als militärische Anführer, sondern als fürsorgliche Vaterfiguren, die ihre gens Christi gegen den perfiden Kaiser beschützen und mit persönlichem Einsatz fortiter […] et prudenter773 verteidigen. Auch dürfte es kein Zufall sein, daß von den vielen Scharmützeln, welche die Normannen beim Zug über den Balkan mit den Byzantinern ausfochten, ausgerechnet ein solches detaillierter geschildert wird, welches mit einer Flußüberquerung in Verbindung steht. Schließlich sind es derartige Momente der Grenzüberschreitung auf der Wanderung, die für Ethnogenesen und die mit ihnen verbundenen Ursprungserzählungen eine zentrale Rolle spielen.774 Die Worte Tancredus rediit retro, et proiectus in flumen natando peruenit ad alios, et duo milia miserunt se in flumen sequendo Tancredum775 verdeutlichen dies anschaulich. Das Scharmützel am Vardar ist zwar ohne Zweifel weniger eindrucksvoll als die Durchquerung des Schilfmeeres durch die Israeliten unter Moses776 oder die Fahrt des Aeneas über das Mittelmeer, aber in diese motivische 770 Daß dieses Gefecht tatsächlich für den Kreuzzug nicht von besonders großer Bedeutung war, zeigt sich auch daran, daß die Tochter des Alexios – Anna Komnena – es in dem Teil ihrer Alexiade, welche die Ereignisse auf dem Balkan im Jahre 1097 behandelt, mit keinem Wort erwähnt. Vgl. Anna Komnena, Anna Komnena, Alexiade, 3 Bde., hg. u. übers. v. Bernard Leib, Paris 1937–1945, 2:X. Zu Anna Komnena siehe Morris, Rosemary, Art. ›Anna Komnene‹, in: CE 1:63. Vgl. auch Russo, ›Tancredi‹, 206. 771 Zur Vardar-Schlacht vgl. Payen, Jean-Charles, ›Une L¦gende Êpique en Gestation: Les Gesta Tancredi de Raoul de Caen‹, in: La Chanson de Geste et le Mythe Carolingien: M¦langes Ren¦ Louis Publi¦s par ses CollÀgues, ses Amis et ses ÊlÀves — l’Occasion des son 75. Anniversaire 2, hg. v. EmmanuÀle Baumgartner u. a., Saint-PÀre-sous-V¦zelay 1982, 1051–1062, 1053f; Russo, ›Tancredi‹, 205–211. 772 Duncalf, Frederic, ›The First Crusade: Clermont to Constantinople‹, in: A History of the Crusades. Volume I. The First Hundred Years, hg. v. Kenneth M. Setton u. Marshall W. Baldwin, Madison 1969, 253–279, 271. 773 GF I.iv. 774 Vgl. Wolfram, ›Einleitung‹, 31. 775 GF I.iv. Vgl. PT 41f. 776 Vgl. Ex 14.

190

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Tradition sollte man die Episode dennoch einordnen. Dies wird auch durch die göttliche Legitimation des normannischen Kontingents unterstrichen, welche erst durch den Begriff gens Christi und dann durch die die Episode abschließende doxologische Formel777 herausgestellt wird, welche all das zuvor Geschehene als Willen Gottes interpretiert: Per omnia benedictus Deus. Amen.778 Bohemund und Tankred als Hauptakteure bei diesem Ereignis werden zu Identifikationsfiguren für das Volk aufgebaut; sie werden hier zum Kern einer schon ansatzweise mythisierten Handlung, welche durchaus Vergleiche mit den primordialen Taten der klassischen Origines Gentium zuläßt. Die Tatsache, daß in diesem Zusammenhang ausgerechnet die Byzantiner unter Alexios als Erbfeinde der Normannen Süditaliens und zukünftige Widersacher in Nordsyrien bezwungen werden, spricht zusätzlich für eine solche partikularistisch antiochenische Interpretation. Während also die jerosolymitanischen Quellen den Moment des Verschmelzens der verschiedenen Kontingente hervorheben, etabliert die antiochenische Überlieferung gezielt noch vor dieser panlateinischen Vereinigung das Leitmotiv der Glorifizierung der Normannen und ihrer Anführer im Konflikt mit den Griechen.779 In den Gesta Tancredi ist die Schlacht am Vardar noch weitaus stärker ausgeschmückt als in den beiden früheren Texten, wird die ethnizistische Komponente noch deutlicher erkennbar. Tali populus ille beatus præsidio [Tancredi] feliciter ad flumen quod Bardal dicitur perducitur,780 beginnt Radulf seinen Bericht über die Flußüberquerung, welche sich über insgesamt vier Kapitel erstreckt. Wieder entsteht das aus den Origines Gentium bekannte Bild des von Gott gesegneten und damit in seinem Streben legitimierten Volkes, welches unter guter Führung in eine bessere Zukunft geleitet wird.781 Den Gefechtsbericht leitet Radulf mit ausführlichen Beschreibungen der Heldentaten Tankreds ein. Der Normanne sei seinen Gefolgsleuten voran in die Schlacht gegangen und habe den Nachfolgenden dabei mit dem Schwert den Weg gebahnt: Tancredus 777 Zu den Doxologien in den Gesta Francorum vgl. Oehler, ›Studien‹, 76–81. 778 GF I.iv. 779 Die Gesta-Version der Schlacht wird übernommen in BvD I.xvii–xviii; GvN III.ii; HAI X; RdM II.xiv. Der anonyme Autor der Historia Nicæna übernimmt von Robert dem Mönch den Hinweis auf die Schlacht, reduziert diesen jedoch auf die bloße Nennung der Fakten. Vgl. HNvA XI. Bei Fulcher findet sich zwar der Hinweis auf eine Vardar-Überquerung. Dieser bezieht sich allerdings auf das Kontingent Balduins von Boulogne, welches einige Wochen nach den Normannen durch Mazedonien zog und den Fluß ohne Widerstand durch die Byzantiner überqueren konnte. Vgl. FvC I.viii.7. Wilhelm von Tyrus schildert auf Grundlage der Gesta-Version ebenfalls eher nüchtern den Hergang der Schlacht. Vgl. WvT II.xiv.22–39. 780 RvC IV. 781 Russo widmet der Vardar-Schlacht größere Aufmerksamkeit, erkennt in Radulfs Bericht aber lediglich ein »coerente modello di leadership imperniato sui valori cardini della strenuitas, velocitas, pietas, largitas«, Russo, ›Tancredi‹, 211.

Der erste Kreuzzug bis zur Eroberung Antiochias

191

viam gladio aperit.782 Hier verwendet Radulf recht eindeutig eine Anspielung auf die stark ethnogenetisch konnotierte Durchquerung des Schilfmeeres durch die Israeliten unter Moses,783 wobei die Gesta Tancredi das Thema normannentypisch784 variieren und nicht von einem passiven Volk auf der Flucht berichten, sondern eine aggressive und kampfstarke Schar beschreiben, die ihren Feinden nicht einfach entkommt, sondern sie blutig besiegt. Tankreds Rolle als Beschützer seines Volkes wird durch ein sehr anschauliches Bild verdeutlicht: Als der Normannenführer – schon auf dem jenseitigen Ufer angelangt – bemerkte, daß seine zurückgebliebenen Kameraden Opfer eines griechischen Angriffes wurden, habe er wie eine Löwin reagiert, deren Junge von Fallenstellern bedroht werden.785 Ähnlich wie in der Beschreibung beim Anonymus und bei Tudebodus stürzt sich auch in Radulfs Version Tankred in den Fluß und durchquert diesen an der Spitze seines Gefolges, als ob es sich nicht um einen reißenden Strom, sondern nur um ein Feld handele – quasi campum.786 Die Griechen seien schließlich allein durch Tankreds Ankunft und das laute Ausrufen seines Namens durch sein Heer in die Flucht geschlagen worden – der Name des Anführers wird zum Schlachtruf und schließlich gar zur siegbringenden Waffe im Kampf gegen den griechischen Erbfeind: Græca phalanx perterrita Tancredi simul adventu et nomine.787 Nach seinem Triumph rastet Tankred nicht, sondern organisiert die Überquerung des Flusses durch alle Zurückgebliebenen. Erst nachdem das gesamte Heer den Vardar überquert hatte, habe sich auch Tankred auf das andere Ufer begeben und sei dort als triumphaler Sieger empfangen worden. Radulf beschreibt seine Ankunft: O quantis excipitur laudibus! Quantus ipse, quum major sese cordibus omnium futurus apparet, quanta simul nobilitatis et plebis veneratione donatur! Una quippe omnium et mens hæc erat et fabula: »O ubi et quando, et quis in filiis hominum par tibi, Tancrede! a 782 RvC IV. 783 Vgl. Ex 14. 784 Payen verweist auf Schlachtenschilderungen mit sehr ähnlichen Motiven in anderen Texten aus normannischer Hand. Vgl. Payen, ›L¦gende‹, Anm. 21. 785 Vgl. RvC V: quasi […] lea. Vgl. dazu auch Russo, ›Tancredi‹, 207. Russo erkennt in diesem Bild allerdings nur den Ausdruck einer »aura di cristiana nobilt—« und übersieht auch hier, daß Tankred ganz offenbar zu einem fürsorgenden Vater seines Heeres/Volkes stilisiert werden soll, daß die Beschreibung durch Radulf also auch ethnisch konnotiert ist. 786 RvC VI. 787 RvC VI. Wiederum fällt das Ziehen antikenbezogener Register auf, durch welches der byzantinische Gegner mit den Griechen der Aeneis gleichgesetzt wird. Vgl. Russo, ›Tancredi‹, 208. Eine solch machtvolle Wirkung wurde auch schon dem Namen des Robert Guiscard von dessen Biographen Wilhelm von Apulien nachgesagt – wiederum im Zusammenhang einer Konfrontation mit den Byzantinern. Vgl. Wilhelm von Apulien, Gesta Roberti Wiscardi, hg. u. übers. v. Marguerite Mathieu (= Istituto Siciliano di Studi Bizantini e Neoellenici, Testi; 4), Palermo 1961, IV, v. 570. Vgl. Russo, ›Tancredi‹, 208.

192

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

quo tam remota segnities? tam disjuncta quies? tam aliena formido? tam elimata superbia? tam eliminata luxuria? Quis vocatus velocior, quis rogatus facilior, quis offensus placabilior? Felices tanto pignore atavi, tanto atavo posteri, tanto alumno Calabri, tanta sobole Normanni! felices illi quibus tu contigisti gloria sua: at nos longe feliciores, quibus est pro muro audacia tua. Tua audacia adversus impugnatores nobis est clypeus, adversus expugnandos arcus et gladius. Si periculum antecedit, illuc præmitteris; item si sequitur, pone cedis. Benedictus Deus qui te reservavit præsidium plebis suæ, et tu benedictus qui eam protegis in brachio virtutis tuæ.788

Hier treten alle Merkmale besonders anschaulich in Erscheinung, die eine ethnohistorische Interpretation des Textes nicht nur nahelegen, sondern diese geradezu aufdrängen. Radulf präsentiert Tankred als den von Gott legitimierten, selbstlosen Beschützer seines ganzen Volkes, welches er – unabhängig von Stand und Vermögen – in seinen von der Tugend gestärkten Armen birgt. Doch nicht nur Tankred selbst wird als von Gott auserwählt dargestellt. Auch die Normannen789 insgesamt bezeichnet Radulf hier als das Volk Gottes. Zudem ist an dieser Stelle in besonderer Deutlichkeit die Berufung auf eine von Robert Guiscard ausgehende Traditionslinie zu beobachten.790 Robert hat nicht nur an dieser Stelle, sondern in Radulfs Werk insgesamt tatsächlich so eine große Bedeutung inne, daß man ihn beinahe als den dritten großen, normannischen Protagonisten der Gesta Tancredi in absentia bezeichnen könnte, der bei allen Taten seines Sohnes Bohemund und insbesondere seines Enkels Tankred immer im Hintergrund steht und als Ausgangspunkt der dynastischen aber für die Gesamtgruppe vereinnahmten Tradition fungiert. Obwohl Roberts Tod zu dem Zeitpunkt, da die Gesta Tancredi entstanden, nur ein knappes Vierteljahrhundert zurücklag, wird er in diesem Text zu einem Mythos aufgebaut, zu einem idealen Bezugspunkt und Identifikationsfaktor – nicht nur für seine direkten Nachkommen, sondern ganz im Sinne der klassischen Origines Gentium für die Normannen auf dem Ersten Kreuzzug und damit letzten Endes auch für die Antiochener. Der Herzog von Apulien und Kalabrien bot sich »als quasi ideale Verkörperung der normannitas«791 für eine solche Funktionalisierung an. So wird er denn in den Gesta Tancredi auch schon in den Berichten zur frühen Phase des Kreuzzuges eingeführt und mit Verweis auf seine Auseinandersetzungen mit beiden Kaisern – Heinrich IV. und Alexios I. – als Krieger vorgestellt, vor dem Græcus Alemannusque imperator tremuerunt,792 788 RvC VII. 789 Daß sich diese Passage – trotz der Verwendung des Begriffes Franci – allein auf die Normannen bezieht, ergibt sich wiederum aus dem Zeitpunkt der Schlacht, da sich diese vor dem Zusammentreffen der unterschiedlichen Kreuzfahrerheere ereignete. 790 Vgl. auch Russo, ›Tancredi‹, 209f. 791 Plassmann, Normannen, 156. 792 RvC I. Hier zeigt sich auch eindrücklich die für die mediterranen Normannen im elften und

Der erste Kreuzzug bis zur Eroberung Antiochias

193

wobei hier nun wiederum die Verbindung von dynastischer Tradition und Graecophobie auffällt. Radulf benennt Bohemund und vor allem Tankred immer wieder und beinahe ritualisiert als Wiscardidæ – als Nachkommen des Guiscard.793 Besonders aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang Tankreds Selbstdefinition beim Zusammentreffen mit einem Einsiedler bei Jerusalem vor der Eroberung der Heiligen Stadt: Als Christianum […], Normannigenam, Wiscardidam794 läßt Radulf den Normannenführer sich da bezeichnen, so daß sich die für den Kreuzzug insgesamt relevante Identifikation als Christ mit der ethnischen Kategorisierung als Normanne und der dynastischen Anknüpfung an sein Haus vereint.795 Doch sollte aus dieser Passage nicht der Eindruck gewonnen werden, daß die Berufung auf Guiscard in den Gesta Tancredi allein dynastischer Natur sei, obgleich hier offensichtlich die Normannitas Tankreds nicht mit seiner Abstammung von Robert gleichgesetzt wird. Daß nämlich bei Radulf Robert Guiscard nicht nur als Vorfahre der beiden Normannenführer präsentiert wird, sondern zu einem legendären Urvater und Bezugspunkt der Normannen insgesamt verklärt werden soll, zeigt sich daran, daß an einer Stelle des Textes Tankred wegen seiner Abstammung von Robert als sobole[s] Normanni796 – als Sproß des Normannen – benannt wird. Hier tritt die ethnische Bezeichnung an die Stelle des eigentlichen Namens, Robert wird schlechthin zu dem Normannen, auf den sich somit nicht nur seine direkten Nachkommen, sondern alle Angehörigen der Ethnie und in letzter Konsequenz die an diesen Traditionsstrang anknüpfenden Antiochener berufen können. Radulf baut damit Robert Guiscard zum zentralen Ausgangspunkt und Träger der ethnischen Tradition auch der Antiochener auf, zu einem Traditionsträger und wichtigen Element ihres Mythomoteurs. Um Männer zu finden, welche dieser übermenschlichen Gestalt ebenbürtig sind, muß Radulf wiederum auf die Geschichte zurückgreifen, da die Gegenwart keine solchen Gestalten zu bieten hat, wobei er auch in diesem Zusammenhang an Beispiele aus der Antike anknüpft: Wiscard[us], secundæ ab Alexandro [Magno] audaciæ […]. Wiscardi acta nota sunt orbi, non est qui possit detrahere, nisi qui semper studuit candidum in nigra, nigrum in candida colorare.797

793 794 795 796 797

frühen 12. Jahrhundert typische antiimperiale und propapale Haltung, die sich nicht nur gegen Byzanz, sondern eben auch gegen den Kaiser im lateinischen Europa richtete. Vgl. dazu Plassmann, Normannen, 118–122. Vgl. etwa RvC III, VIII, XII, XXXVI, LXIII, LXXXV, XCI, CIII, CXIII, RvC CXIII. Zur Begegnung mit dem Einsiedler vgl. auch Elm, ›O beatas idus‹, 173f. RvC VII. RvC CXXXVI.

194

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Nur wer gewohnheitsmäßig Schwarz in Weiß zu verwandeln versuche, könne den legendären und an Alexander den Großen heranreichenden Ruhm des Guiscard verkennen. Durch die wiederholte Betonung der guiscardischen Abstammung Bohemunds und vor allem Tankreds werden diese als Träger und Garanten der Kontinuität dieser dynastisch-ethnischen Tradition etabliert, die ihnen und der von ihnen geführten Ethnie besonderes Prestige verleihen. Tankred tritt in den Gesta Tancredi und insbesondere bei der Schlacht am Vardar als hervorragender Repräsentant dieser Tradition, als fleischgewordener Träger des Mythomoteurs in Erscheinung. Denn er ist es, der sein Volk mit dem Ruhm seines Vorfahren berührt (contigit). Radulf betont ferner, daß man die zuvor zitierte Lobrede des Volkes nach seinen Heldentaten am Vardar noch lange danach während des Kreuzzuges auf dem Marsch und bei der Rast im Feldlager aufgegriffen und vorgetragen habe. Radulf veranschaulicht somit, wie ethnische Mythen entstehen und tradiert werden. Zudem bringt er den Mythos auch mit den nicht zur Elite gehörenden Mitgliedern des Heeres/Volkes in Verbindung – ein Indiz für den nicht allein lateral-aristokratischen Charakter der von Radulf im Entstehen beschriebenen Ethnie. In Radulfs Bericht zur Schlacht an den Ufern des mazedonischen Flusses wirkt zudem nicht nur Tankred auf das Volk ein. Vielmehr habe die Reaktion des Volkes, so Radulf, umgekehrt auch Tankred geprägt. Seit dem Gefecht nämlich sei er offener und unbeschwerter mit den Menschen in seinem Kontingent umgegangen, als ob der gemeinsame Triumph auf dem Balkan Tankred erst richtig in seine Führungsrolle habe hineinwachsen lassen. Das Heer/Volk wurde jedenfalls nach dem Bericht Radulfs von diesem prägenden Ereignis zusammengeschweißt und noch stärker mit seinem Anführer verbunden: sine eo in exercitu esse, quasi in exercitu non esse præ solitudine videbatur.798 Tankred repräsentiert hier den Traditionskern im Sinne der Ethnogenesetheorie nach Wenskus.799 Radulf hebt ferner an dieser Stelle die Jugend von Tankreds Schar besonders hervor, indem er sie als juven[es] bezeichnet. Dadurch erscheinen der Normannenführer und seine Anhänger eben nicht nur als eine in der Tradition verankerte Gemeinschaft, sondern auch als Repräsentanten einer besseren und hoffnungsvollen Zukunft.800 In Radulfs Text läßt sich die Überquerung des Vardar somit klar als die primordiale Tat einer normannisch-antiochenischen Ethnogenese deuten. Alle Elemente sind vorhanden: Das Überschreiten eines 798 RvC VII. 799 RvC VII. 800 Vgl. Russo, ›Tancredi‹, 210. Zum Konzept der juvenes im 12. Jahrhundert vgl. Duby, Georges, ›Dans la France du Nord-Ouest au XIIe SiÀcle: Les Jeunes dans la Soci¦t¦ Aristocratique‹, in: Annales (19; 1964), 835–846.

Der erste Kreuzzug bis zur Eroberung Antiochias

195

Gewässers auf einer Wanderung, der Sieg über den Erbfeind der Ethnie, der mythisierte Anführer, die göttliche Legitimation der Gruppe. Die Tatsache, daß diese aus den Gesta Francorum und der Historia de Hierosolymitana Itinere bekannte Episode nun auch beim mehr als zehn Jahre nach dem Kreuzzug schreibenden Radulf vorkommt und dort noch stärker ausgeschmückt und ethnisch konnotiert ist, spricht dafür, daß die Vardar-Überquerung tatsächlich ein wichtiges Motiv in der ethnischen Tradition der lateinischen Antiochener darstellte. Ein anderes Motiv, welches Radulf hier einführt und anschließend häufig wieder aufgreift,801 ist die zahlenmäßige Unterlegenheit der Normannen gegenüber ihren Feinden. Auch diese Konfrontation des auserwählten, aber nur kleinen Volkes mit einem überlegenen Gegner ist ein Motiv, welches aus den Origines Gentium hinreichend bekannt ist und welches der ethnischen Gruppe/ Gens zusätzliche Würde verleihen sollte – Langobardos paucitas nobilitat,802 schrieb schon Tacitus in seiner Germania. Für den vorliegenden Fall ließe sich ergänzen nobilitatque paucitas Normannos. Vor allem die zahlenmäßige Unterlegenheit der Normannen gegenüber den Griechen hebt Radulf hervor – oft mit Rückgriffen auf die üblichen Register der normannischen Graecophobie. Im Zusammenhang mit dem von Tankred verurteilten Abkommen der Kreuzfahrer mit Alexios schreibt Radulf: hinc vires, inde dolos; hinc audaciam, inde potentiam; hinc milites, inde divitias; hinc paucitatem, inde multitudinem.803 Durch diese Verbindung von Graecophobie und paucitas-Topos ergibt sich ein starkes identitätsstiftendes Element für die ethnischen Prozesse unter den Normannen auf dem Kreuzzug, an welches dann auch die übrigen Lateiner im Fürstentum Antiochia anknüpfen konnten. Die Rolle Bohemunds und Tankreds sowie der guiscardischen Tradition für den antiochenischen Mythomoteur wird aber nicht nur bei der Beschreibung der Vardar-Überquerung deutlich. Zuerst wird sie nämlich schon in jener Passage offenbar, welche Bohemunds Entschluß beschreibt, am Kreuzzug teilzunehmen. Diese Entscheidung habe er Sancto commotus Spiritu804 getroffen. Zwar sind eine solche göttliche Beauftragung und die damit verbundene göttliche Unterstützung wiederum im Kreuzzugskontext nicht außergewöhnlich; allerdings ist Bohemund der einzige unter den Kreuzzugsführern, dessen Entscheidung zur Kreuzzugsteilnahme die antiochenischen Gesta-Texte überhaupt direkt beschreiben, und somit tritt die Beauftragung durch den Heiligen Geist 801 Vgl. z. B. RvC XI, XLIII, XLV, XLVI, LXXXV. 802 Cornelius Tacitus, Cornelii Taciti De origine et situ Germanorum, hg. v. John G. C. Anderson, Oxford 1938, XL.i. Vgl. dazu auch Wolfram, ›Einleitung‹, 31; Ders., ›Origo‹, 35f. 803 RvC XI. 804 GF I.iv. Vgl. PT 40.

196

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

hervor und kann als eine göttliche Befürwortung der ganzen Unternehmung Bohemunds und seines nordsyrischen Projektes gewertet werden. Außerdem wird so auch der Ursprungsmoment der antiochenischen Ethnohistorie der rein historiographischen Ebene entrückt und mythisiert.805 Auch Tankred tritt in ähnlicher Weise wie sein Onkel in Erscheinung. Eindrucksvoll ist dies an einer Stelle zu beobachten, an welcher die letzte Etappe des Zuges über den Balkan vor dem Eintreffen in Konstantinopel beschrieben wird. Das normannische Kontingent war zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit den übrigen Kreuzfahrern zusammengetroffen.806 Bohemund hatte soeben das Heer verlassen, um in Konstantinopel mit dem Kaiser zu verhandeln, und Tankred führte in dieser Situation allein das Kommando.807 Als er sah, daß das Heer Hunger litt und für überteuerte Preise Proviant von den Griechen kaufen mußte, traf er folgenden Entschluß: ait intra se quod exiret extra uiam, et hunc populum conduceret ubi feliciter uiueret. Denique intrauit in uallem quamdam plenam omnibus bonis quæ corporalibus nutrimentis sunt congrua; in qua Pascha Domini deuotissime celebrauimus.808

Die religiöse Konnotation ist eindeutig: Der Normannenführer Tankred erscheint als der gute Hirte, der sein Volk in ein Tal des Überflusses führt.809 Die Anklänge an biblische Geschichten wie die Vermehrung der Brote und Fische durch Jesus810 oder noch stärker an die Speisung der Israeliten auf der Flucht aus Ägypten811 ist offenkundig. Diese religiöse Aufladung wird durch die Datierung auf das Osterfest noch verstärkt.812 805 Bezeichnenderweise ist die direkte göttliche Inspiration Bohemunds durch den Heiligen Geist bei sämtlichen nicht-antiochenischen Bearbeitern des Gesta-Stoffes trotz der Übernahme des Berichts zur Kreuznahme des Normannen entfallen. Vgl. BvD I.xii; GvN III.i–ii; HAI I; HNvA VII; RdM II.iii–v ; WvT I.xvii. 806 Vgl. Duncalf, Frederic, ›The First Crusade: Clermont to Constantinople‹, in: A History of the Crusades. Volume I. The First Hundred Years, hg. v. Kenneth M. Setton u. Marshall W. Baldwin, Madison 1969 253–279, 271f. 807 Vgl. Nicholson, Robert L., Tancred: A Study of his Career and Work in their Relation to the First Crusade and the Establishment of the Latin States in Palestine, Chicago 1940, 27. 808 GF II.v. Vgl. BvD I.xx. 809 In etwas abgeschwächter Form gibt es eine ähnliche Charakterisierung auch mit Bezug auf Bohemund. In einer Passage, welche die Zeit nach der Überquerung des Bosporus schildert, wird betont, daß das Heer Hunger gelitten und Bohemund auf dem Seeweg die lang ersehnte Nahrung gebracht habe, so daß endlich maxima ubertas in tota Christi militia geherrscht habe. GF II.vii. 810 Vgl. Mt 15:32–38; Mc 8:1–8. 811 Vgl. Ex 16. 812 Interessanterweise verwenden die Gesta Francorum an dieser Stelle zur Bezeichnung des Heeres das Wort populus. Diese Bezeichnung gebraucht der Anonymus ansonsten nur sehr selten, wohingegen beispielsweise Baldrich von Dol diese Passage zwar inhaltlich aus den Gesta Francorum übernimmt, dabei jedoch gerade den besonders starken Satz mit dem populus-Bezug wegfallen läßt. Vgl. BvD I.xx.

Der erste Kreuzzug bis zur Eroberung Antiochias

197

Das Ereignis wird im Text nicht geographisch verortet; es bleibt unklar, wo sich dieses Tal des Überflusses befinden soll. Dies ist ein Zeichen dafür, daß einmal mehr die bloß historiographische Berichterstattung zurücktritt und die Ereignisse stattdessen auf eine mythische Erzählebene gehoben werden. Tankred tritt hier als alleiniger Exponent des antiochenischen Mythomoteurs auf, wohingegen Bohemund keine Rolle spielt. In diesem Zusammenhang stellt sich zudem die Frage, inwiefern diese Passage überhaupt tatsächliche Ereignisse auf dem Weg nach Konstantinopel schildert und kommentiert. Bei dem Tal des Überflusses scheint es sich nicht um einen wirklichen Ort an der Via Egnatia zu handeln, sondern um eine Metapher für die neue Heimat in Nordsyrien, eine Vorwegnahme der späteren Staatsgründung in Antiochia. Wie schon die Version der Schlacht am Vardar in den Gesta Tancredi gezeigt hat, fungieren auch für Radulf von Caen die beiden Normannenführer aus dem Hause Robert Guiscards als Stützen des Mythomoteurs. Anders als in den Gesta Francorum spielt Bohemund in den Gesta Tancredi jedoch eine untergeordnete Rolle – Tankred steht hier eindeutig im Mittelpunkt der Erzählung.813 Radulf widmet fast ein ganzes Kapitel der Jugendzeit Tankreds. Schon in jungen Jahren sei er im Umgang mit Waffen geschickter und zudem ernsthafter als viele ältere Männer gewesen. Die Zeichen eines starken Charakters seien schon früh erkennbar gewesen, ebenso wie seine Gottesfurcht und asketische Lebensführung.814 Hier verbinden sich die Tugenden eines weltlichen Kriegers einerseits mit beinahe mönchischen Eigenschaften andererseits. Daher ist in der Charakterisierung Tankreds durch Radulf ein Prototyp der nova militia815 des Bernhard von Clairvaux erkannt worden,816 wofür auch die weitere Beschreibung von Tankreds Leben durch Radulf spricht. Tankred nämlich habe im Laufe seiner Jugend unter dem Eindruck der Bergpredigt eine Konversion erlebt, die ihn dazu veranlaßt habe, sein kriegerisches Dasein in Frage zu stellen und ein Leben nach Gottes Geboten zu führen.817 Erst der Kreuzzugsaufruf Urbans II. habe Tankred schließlich den für ihn bestimmten Weg aufgezeigt, da er nun auf dem Kreuzzug sein Kampfgeschick und seine Religiosität habe verbinden können. Diese Verquickung von Frömmigkeit und Ritterlichkeit, von Religion und Krieg wird aus

813 Vgl. Boehm, ›Gesta Tancredi‹, 68–71; Payen, ›L¦gende‹, bes. 1056. 814 Vgl. RvC I. 815 Zur nova militia vgl. Barber, Malcolm, The New Knighthood. A History of the Order of the Temple, Cambridge 1994, 38–63. 816 Vgl. Glaesener, Henri, ›Raoul de Caen. Historien et Êcrivain‹, in: Revue d’Histoire Eccl¦siastique (46; 1951), 5–21, 7. Vgl. auch Boehm, ›Gesta Tancredi‹, 68. 817 Vgl. RvC I. Dazu auch: Delogu, Paolo, ›La ›militia Christi‹ nelle Fonti Normanne dell’Italia Meridionale‹, in: ›Militia Christi‹ e Crociata nei Secoli XI–XIII. Atti della Undecima Settimana Internazionale di Studio Mendola, 28 agosto – 1 settembre 1989 (= Miscellanea del Centro di Studi Medioevali; 13), Mailand 1992, 145–165, 146f.

198

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

gutem Grund oft als typisch normannisch bezeichnet.818 Tankred eignet sich somit sehr gut als zentrale Leitfigur eines ethnischen Mythos normannischer Prägung.819 Der Verweis auf den päpstlichen Kreuzzugsaufruf dient lediglich dazu, Tankreds schon zuvor eingeschlagene Entwicklung zum Krieger Christi kirchlich zu sanktionieren und in feste Bahnen zu lenken. Die für die Geschichte des ersten Kreuzzuges zentralen Ereignisse von Clermont und mithin die Genese des Kreuzzugsvorhabens Urbans II. werden bei Radulf zur Nebensache. Sie findet nur Eingang in den Text, weil sie für das Verständnis der Motivation Tankreds von Bedeutung ist.820 Die bereits erwähnte Betonung der großen Ernsthaftigkeit und Reife, die Tankred bereits in seiner Jugend zur Schau gestellt habe, greift den hagiographischen Topos des puer-senex auf.821 Auch das Konversionserlebnis im Zusammenhang mit der Bergpredigt ist ein hagiographischer Topos.822 Diese hagiographischen Motive tragen zur mythischen Überhöhung des Normannenführers bei. Die Mythisierung Tankreds ist nicht einfach panegyrisch zu verstehen, sondern muß im Kontext der ethnizistischen Aufladung der Gesta Tancredi betrachtet werden. Radulf stellt den Normannenführer als fürsorgenden Vater der ihm anvertrauten Menschenschar dar. Er beschreibt Tankred zum Beispiel als den einsamen Wächter in der Nacht, der trotz aller Widrigkeiten auf dem Weg nach Epirus in der Frühphase des Kreuzzuges auf seinem Posten verharrt und das Heer nicht im Stich läßt, während andere körperlichen Lüsten frönen: Ceteris vino sepultis et sopore, ipse [Tancredus] pervigil excubare in triviis, nivesque clypeo temperare et grandines.823 Tankred ist bereit, für die Seinen Opfer zu erbringen und trotz Krankheit am Kampf teilzunehmen824 und er erweist sich 818 Vgl. z. B. Brown, Normans, 172; Douglas, David C., The Norman Achievement. 1050–1100, London 1969, 89–109 u. passim; ders., Norman Fate, 156–169 u. passim. Allerdings hat Paolo Delogu gezeigt, daß die militia Christi – zumindest als theologisches Konzept – in der normannischen Historiographie vor dem Ersten Kreuzzug noch nicht angelegt war (Delogu, ›Militia Christi‹). 819 Vgl. Russo, ›Tancredi‹, 201–204. 820 Vgl. Boehm, ›Gesta Tancredi‹, 55. 821 Zum puer-senex-Topos vgl. Curtius, Ernst Robert, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Tübingen 1993 (11. Aufl., 1. Aufl. Bern 1948), 108–112; Herter, Hans, Kleine Schriften, hg. v. Ernst Vogt, München 1975, 600f. Es ist bezeichnend, daß dieser Topos wiederum auch in der Aeneis eine Rolle spielt. Dort ist es Ascanius (auch als Iulus bekannt) – Sohn des Aeneas und legendärer Stammvater der Iulier –, der als puer senex charakterisiert wird (vgl. Vergil, Aeneis, IX.311). Siehe auch: Gnilka, Christian, Aetas spiritalis. Die Überwindung der natürlichen Altersstufen als Ideal frühchristlichen Lebens (= Theophaneia; 24), Bonn 1972. 822 Vgl. etwa Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 1997 (2. Aufl.; 1. Aufl. 1994), 147f. 823 RvC III. 824 Vgl. RvC CXX.

Die Schlacht von Dorylaeum

199

in jeder Lage als großmütiger und kluger Anführer.825 Wenn Radulf Tankred als [i]pse igitur eques, ipse pedes, ipse signifer826 bezeichnet, dann soll das zwar einerseits ausdrücken, daß er für sich allein die Kampfkraft einer ganzen Armee in sich vereinigte.827 Andererseits aber erscheint er somit stellvertretend als Personifikation des ganzen Heeres. In der jerosolymitanischen wie in der antiochenischen Historiographie nimmt also die erste Phase des Kreuzzuges einen wichtigen Platz ein und bildet die entscheidende Grundlage für den weiteren Verlauf der ethnohistorischen Entwicklungen des ersten Kreuzzuges. Während jedoch die Texte des Königreiches Jerusalem das Konzil von Clermont und das Zusammenwachsen der verschiedenen Teilkontingente hervorheben, beschwört die antiochenische Überlieferung gerade die Besonderheit eines einzigen Kontingentes und gebraucht die normannisch-guiscardische Tradition als wesentlichen Anknüpfungspunkt.

4.

Die Schlacht von Dorylaeum – Moment des Zusammenwachsens oder Triumph der Normannitas?

Nachdem die Kreuzfahrer mit der erfolgreichen Belagerung Nicaeas im Juni 1097 einen ersten Triumph über die Seldschuken hatten feiern können, standen sie keine zwei Wochen später bei Dorylaeum828 am Morgen des 1. Juli erneut den Truppen Sultan Qilidsch Arslans I. von Ikonium gegenüber. Im Vorfeld der Schlacht hatte sich das Heer der Kreuzfahrer aufgespalten: Einem ersten Kontingent unter Bohemund, Tankred, Robert von der Normandie sowie Stefan von Blois folgte in einigem Abstand das übrige Heer. Im ersten Verband befand sich auch Fulcher von Chartres. Bevor sich die beiden Teilgruppen wie geplant bei Dorylaeum vereinigen konnten, wurde die erste Abteilung beim Überqueren eines kleinen Flusses durch die Truppen der Seldschuken angegriffen. Die Kreuzfahrer formierten sich zur Verteidigung um den Troß und konnten den wiederholten Angriffen der zahlenmäßig weit überlegenen türkischen berittenen Bogenschützen unter großen Verlusten für etwa fünf Stunden standhalten. Den Wendepunkt brachte erst das gegen Mittag eintreffende zweite Kontingent. 825 Vgl. RvC Præfatio. 826 RvC CXII. 827 Dieses mythisierende Motiv findet sich häufiger in den Gesta Tancredi. Siehe z. B. RvC XVI: is qui unus pro multitudine, miles pro agmine et habebatur et erat. 828 Der Ort der Schlacht ist vermutlich nicht Dorylaeum selbst, das die Kreuzfahrer am 1. Juli noch nicht erreicht hatten. Vgl. France, John, Victory in the East. A Military History of the First Crusade, Cambridge 1994, 170ff. Da das Gefecht am 1. Juli jedoch in der Forschung allgemein als Schlacht von Dorylaeum bezeichnet wird, soll auch hier so verfahren werden.

200

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Ermutigt durch Ansprachen und Gebete des päpstlichen Legaten Adh¦mar von Le Puy konnte schließlich ein großer Sieg erfochten und reiche Beute gemacht werden.829 In der Forschung wird diesem ersten Sieg der vereinten Kreuzfahrer gegen die Seldschuken in offener Feldschlacht in rein militärischer Hinsicht große Bedeutung beigemessen.830 Seine Funktion für den Prozeß der ethnogenetischen Gemeinschaftsbildung ist punktuell ebenfalls bereits erkannt worden,831 allerdings nicht die bedeutenden Unterschiede zwischen den jerosolymitanischen und antiochenischen Texten.

a.

Die grünen Auen von Dorylaeum und die Speisung des wandernden Volkes

In der jerosolymitanischen Historiographie wird der Sieg von Dorylaeum als ein Triumph aller Kreuzfahrer dargestellt.832 Obgleich die Leistung des ersten Kontingentes unter der Führung der Normannen zumeist anerkannt wird, läßt keiner der Chronisten einen Zweifel daran aufkommen, daß die Schlacht erst durch das Eintreffen der zweiten, größeren Abteilung zugunsten der Kreuzfahrer entschieden werden konnte. Ähneln die Berichte aus dem lateinischen Königreich auch in mancherlei Hinsicht jenen der abendländischen Autoren,833 so stechen doch einige für die ethnohistorische Interpretation der Schlacht relevante Elemente hervor, die sich freilich erst im Anschluß an die eigentlichen Gefechtsberichte finden.834 Fulcher von Chartres würdigt den Ausgang der Schlacht gegen Qilidsch Arslan einerseits ganz im Sinne eines Kreuzzugsberichtes als einen von Gott ermöglichten Triumph;835 zugleich verortet er ihn historisch: unde ab Oriente in Occidentem fama personabit perennis.836 Den 829 Zur Schlacht von Dorylaeum vgl. Asbridge, First Crusade, 133–137; France, Victory, 169–185; Rubenstein, Armies, 128–133. 830 Vgl. Asbridge, First Crusade, 133–137; France, Victory, 184f. France weist darauf hin, daß die Bedeutung des Sieges neben dem Ausschalten der seldschukischen Streitmacht auch darin bestanden habe, daß es als Folge der Schlacht zum Ausbruch von Aufständen in von den Türken gehaltenen Städten auf der Route der Kreuzfahrer kam. 831 Vgl. Epp, Fulcher von Chartres, 204f, die sich allerdings allein auf Fulchers Bericht stützt. 832 Vgl. BvN VII–IX; FvC I.xi.-xiii; HNvA XIX; WvT III.xiv–xvi. 833 Vgl. AvA II.xxxviii–xliii; HAI XXVI–XXIX; GvN III.x–xi; RdM III.vii–xvi; WvM IV.ccclvii. Siehe auch RvA IV. 834 Die von Epp im Hinblick auf Fulchers Text postulierte zentrale Stellung Adh¦mars von Le Puy als integrative und identitätsstiftende Figur läßt sich in der Tat nachweisen, findet sich in ähnlicher Form allerdings auch in den übrigen Berichten zur Schlacht. Vgl. Epp, Fulcher von Chartres, 204f. 835 Zu Fulchers Interpretation des Sieges von Dorylaeum als Resultat eines direkten Eingriffs Gottes vgl. Giese, ›Untersuchungen‹, 80f. 836 FvC I.xii.2.

Die Schlacht von Dorylaeum

201

ersten großen Sieg im Verlauf der Wanderung erhebt Fulcher über seine Bedeutung für den Kreuzzug im engeren Sinne. Mit charakteristisch ethnohistorischem Bewußtsein betont er, daß der bei Dorylaeum gewonnene Ruhm auf ewig währen und vom Osten in den Westen erschallen werde. Wilhelm von Tyrus wiederum greift ein schon in den Gesta Francorum vorgebildetes, dort aber exklusiv mit Tankred verbundenes Motiv auf, wenn er die drei Tage beschreibt, die das vereinte Heer im Anschluß an die Schlacht an einem Flußufer ausgeruht habe, wobei man von den Vorräten zehrte, welche die fliehenden Türken zurückgelassen hatten. Diese kurze, auf den ersten Blick unbedeutende Passage ist sehr aufschlußreich in Bezug auf Wilhelms kreativen Umgang mit seinen Quellen wie auch im Hinblick auf die Weiterverarbeitung seines Textes durch den in Europa wirkenden Übersetzer des Chronicon. Zudem enthält sie einen Hinweis auf eine bisher nicht erkannte Inspirationsquelle Wilhelms. Wilhelm übernahm den Informationsgehalt der fraglichen Passage aus dem Bericht Alberts von Aachen.837 Allerdings fügt er seiner Quelle eine religiöse Komponente hinzu. Alberts allein der Lokalisierung des Rastplatzes der Kreuzfahrer dienende Worte – circa flumen quoddam et eius carectum838 – ersetzt Wilhelm durch die Formulierung in locis amenis et pascuis virentibus.839 Mit diesen in der Forschung bislang nicht untersuchten aber nur auf den ersten Blick unscheinbaren Worten präsentiert Wilhelm den Ort der Rast einerseits mit einem Rückgriff auf den antiken Topos des locus amoenus840 als Ideallandschaft.841 Mag diese literarische Komponente in Wilhelms Ortsangabe auch nur von einem gebildeteren, an Isidor von Sevilla oder den antiken Originalen geschulten Publikum gewürdigt worden sein, gilt dies nicht für das zweite Element der Formulierung. So wie die zeitgenössische philosophische Epik den locus 837 Vgl. AvA II.xliii. 838 AvA II.xliii. 839 WvT III.xvi.48–49. In seinem Bericht über den Volkskreuzzug Peters des Einsiedlers durch die Balkanhalbinsel im Sommer 1096 erwähnt Albert von Aachen eine Rast des Heeres an einem Fluß bei der Stadt Nisˇ. Den Rastplatz beschreibt er als pratum uiriditate et amplitudine uoluptuosum (AvA I.viii). Es ist möglich, daß Wilhelm sich von dieser Formulierung inspirieren ließ, das Motiv dann aber gezielt auf die Rast nach der Schlacht von Dorylaeum übertrug. Zudem fehlt in Alberts Historia die ethnoreligiöse Überhöhung durch Verweise auf die Bibel. 840 Zum locus amoenus vgl. Barbiellini Amidei, Beatrice, Il »locus amoenus«: Paesaggi Ideali nel Medioevo, Mailand 2002; Curtius, Literatur, 202ff; Gruentner, Rainer, Studien zu einem topischen Naturbild (locus amoenus) in der deutschen Dichtung des Mittelalters, Berlin 1956; Schlappbach, Karin, ›The Pleasance, Solitude and Literary Production: The Transformation of the »locus amoenus« in Late Antiquity‹, in: Jahrbuch für Antike und Christentum (50; 2007), 34–50. 841 Vgl. Isidor von Sevilla, Isidori Hispalensis episcopi etymologiarvm sive originvm libri XX, hg. v. W. M. Lindsay, Oxford 1911, 2:XIV.viii.33.

202

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

amoenus als irdisches Paradies darstellt,842 so entrückt Wilhelm die Flußauen bei Dorylaeum in das Land der Verheißung. Denn er beschreibt diesen Ort in Kleinasien mit geprägten Worten, die auf den bekannten Psalm vom guten Hirten843 sowie vor allem auf Ezechiel verweisen, der dem Volk Israel prophezeit: in pascuis uberrimis pascam eas et in montibus excelsis Israhel erunt pascuae eorum ibi requiescent in herbis virentibus et in pascuis pinguibus pascentur super montes Israhel.844

Durch diese Anspielung auf die biblische Prophezeiung845 wird an exponierter Stelle am Ende der Beschreibung der Schlacht die Erfüllung der alttestamentlichen Verheißung durch die zukünftigen Jerosolymitaner und neuen Israeliten vorweggenommen. Verstärkt wird die mythoreligiöse Überhöhung von Schlacht und Rast durch Wilhelms Zusatz per triduum846 zur Angabe der Dauer des Verbleibs in den grünen Auen.847 An die erste schwere Prüfung der Kreuzfahrer schließt sich somit eine als Anspielung auf das österliche Triduum zu verstehende dreitägige Phase der Sammlung und Besinnung an, aus welcher das wandernde und werdende Volk – einer Auferstehung gleich – gestärkt hervorgeht.848 Diese Stärkung beschränkt sich nicht auf die Körper der Soldaten, sondern sie betrifft auch die Einheit des Heeres. Aus der Erfahrung der Schlacht zieht man die Lehre, daß man die eigenen Kräfte nicht aufspalten dürfe. Dies ist nicht allein eine militärische Erwägung, sondern zugleich eine Manifestation des gemeinschaftsbezogenen jerosolymitanischen Mythomoteurs:

842 843 844 845

Vgl. hierzu Curtius, Literatur, 204. Ps 22. Ez 34:14. In ganz ähnlicher Weise findet sich dies auch bei Wilhelms Bericht zum Feldlager von Artah im Vorfeld der Belagerung von Antiochia (Oktober 1097 bis Juni 1098). Wiederum übernimmt Wilhelm den Informationsgehalt aus dem Text Alberts von Aachen, der in diesem Falle den Ort des Lagers als in locis uirentibus bezeichnet (AvA III.xxvii). Hier behält Wilhelm das Adjektiv bei, ersetzt jedoch gezielt das in dieser Kombination (also ohne das Attribut amoenis) neutrale locis durch pascuis (WvT IV.vii.9) und verwendet somit wieder in Folge einer bewußten wie kreativen Anpassung seiner Quelle die geprägten Begriffe und erreicht die Anspielung auf Psalm und Prophet. 846 Vgl. Faber, Eva-Maria, Art. ›Triduum‹, in: LThK 7:220. 847 Albert von Aachen datiert den tatsächlichen Aufbruch vier Tage nach Beginn der Rast. Vgl. AvA III.i. 848 In dieser Form wird das Ereignis in keinem der anderen Berichte verarbeitet. Vergleichbar ist allein Robert der Mönch, der die Kreuzfahrer das Loblied des Volkes Israel nach der Durchquerung des Schilfmeeres (Ex 15) anstimmen läßt. Seiner Darstellung fehlen allerdings die Verweise auf die grünen Auen, der locus amoenus sowie die besondere Hervorhebung des Triduum. Vgl. RdM III.xiv.

Die Schlacht von Dorylaeum

203

Ab ea igitur die de communi decretum est consilio quatenus de cetero iunctis agminibus indissolubili copula simul incederent, ut et adversa communicarent et prosperis couterentur.849

Der in Europa wirkende altfranzösische Übersetzer des Chronicon entfernt die mythoreligiösen Elemente weitestgehend, streicht die pascuae virentes, schwächt den Topos des locus amoenus ab, beschränkt sich auf eine schlichte Zeitangabe und reduziert Wilhelms geschliffene Propagierung der Einheit auf den bloßen Informationsgehalt: se resposerent en ces biaux leus, ou leur temtes estoient, trois jorz. […] Lors fu acord¦ entre les barons et cri¦ par l’ost que nus ne chevauchast m¦s par soi sans congi¦ de cheveteinnes.850 In der Version des europäischen Übersetzers wird die Entscheidung zur Einheit nach dem Sieg gegen Qilidsch Arslan auf ihre strategische Komponente reduziert. Zudem wird sie als ein durch die Beratung zwischen den Kreuzzugsführern – eben entre les barons – erreichter Beschluß dargestellt, den Ausrufer dem Heer lediglich verkünden. Die Einheit selbst bezieht sich ebenfalls nicht mehr auf das gesamte Heer, wenn wiederum rein militärisch funktional die bessere Koordination allein der cheveteinnes vereinbart wird. Der Übersetzer, so ließe sich mit einiger Berechtigung vermuten, liegt mit seinen Modifikationen wohl näher an der Realität der Entscheidungsfindungsprozesse im Kreuzfahrerheer. Er beraubt jedoch seine Quelle genau jener Elemente, die den gemeinschaftsbezogenen jerosolymitanischen Mythomoteur ausmachten, wenn aus dem Plädoyer für gemeinsames Leiden und gemeinsames Glück – et adversa communicarent et prosperis couterentur – eine rein militärstrategische Erwägung wird.851 Die altfranzösische Übersetzung rückt wieder näher an die Originalbeschreibung Alberts von Aachen heran. Somit läßt sich nachvollziehen, wie der Stoff im Laufe seiner wiederholten Verarbeitung durch zwei unterschiedliche Prismen strahlte und in diesem Prozeß erst eine spezifisch jerosolymitanische ethnohistorische Färbung erhielt, um sie dann wieder zu verlieren. Die Kombination des locus amoenus mit der Anspielung auf Ezechiel ist keine Innovation Wilhelms. Sie findet sich – was bisher übersehen wurde – im achten Buch der Chronica sive historia de duabus civitatibus des Otto von Freising, nach dem Erscheinen des Antichrist. Otto sinniert über das Dasein der Erretteten in der Gegenwart Gottes und erörtert die Frage, wie die Worte der Heiligen Schrift zu bewerten seien, wonach sich die vom fleischlichen Leib befreiten und mit einem geistigen Leib ausgestatteten Seelen im Jenseits an rebus exterioribus sicut 849 WvT III.xvi.56–59. Albert von Aachen hingegen spricht lediglich von einem Teilen der Vorräte. Vgl. AvA II.xliii. 850 EdE III.xvi. 851 Hier zeigt sich abermals, daß die von Purkis als Gemeingut der Kreuzzugsbewegung identifizierte Hervorhebung der Gemeinschaftlichkeit in der jerosolymitanischen Historiographie eine verstärkte Bedeutung hat. Vgl. Purkis, Spirituality, 47ff.

204

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

in hac vita852 erfreuen könnten. Otto illustriert die Verheißung mit der Formulierung: floridis et virentibus campis, amenis locis.853 Obwohl pascuis durch campis ersetzt ist, hat bereits Hoffmeister die Anspielung auf Ezechiel 34:14 erkannt, wobei er jedoch die Relevanz des locus amoneus übersehen hat.854 Diese Kombination der beiden Elemente scheint Otto von Freising entwickelt zu haben. Sie läßt sich jedenfalls so oder in vergleichbarer Form weder in den zeitgenössischen Kreuzzugschroniken noch in anderen lateinischen Texten der Antike und des Mittelalters finden.855 Wilhelm von Tyrus dürfte entweder im Zuge seines Studiums in Europa mit Ottos Schrift in Kontakt gekommen sein, oder die 1146 fertiggestellten Chronica fanden ihren Weg in das lateinische Königreich – unter Umständen schon im Rahmen des zweiten Kreuzzuges, an dem der Freisinger Bischof teilgenommen hatte.856 Neben der Formulierung und der Übernahme der Motivkombination spricht dafür zudem der Kontext der Entnahmestelle in Ottos Schrift. Denn das Jenseits beschreibt er dort als das Heimatland der geretteten Seelen – ill[a] patri[a].857 Es ist also nachvollziehbar, daß sich Wilhelm gerade hier für die Präfiguration der Inbesitznahme seiner eigenen irdischen patria durch die Kreuzfahrer bediente, wobei er eben die bei Otto noch rein auf die ewige Heimstätte der 852 Otto von Freising, Chronica sive historia de duabus civitatibus, hg. v. Adolf Hoffmeister (= MGH SS rer. Germ.; 45) Hannover 1912 (fortan OvF), VIII.xxxiii.14. 853 OvF VIII.xxxiii.15–16. 854 Vgl. OvF VIII.xxxiii/S. 451, krit. App. 855 Basiert auf Auswertung von dMGH und LLT-A (Zugriffsdatum: 19. März 2013). Einen weiteren dezenten Hinweis auf eine mögliche Beeinflussung Wilhelms durch Otto liefert Hans-Werner Goetz. Ohne eine solche Beeinflussung explizit zu postulieren, verweist Goetz darauf, daß Wilhelm eine ähnliche Formulierung gebrauche wie Otto, wenn er das Wahrheitsprinzip als officium scriptoris bezeichnet. Goetz nennt die entsprechende Stelle bei Wilhelm von Tyrus nicht, dürfte damit aber die historiographietheoretischen Erwägungen des tyrenischen Erzbischofs im Prolog (vgl. WvT Prologus.11–15) meinen. Vgl. Goetz, Hans-Werner, Das Geschichtsbild Ottos von Freising. Ein Beitrag zur historischen Vorstellungswelt und zur Geschichte des 12. Jahrhunderts (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte; 19), Köln 1984, 52 m. Anm. 168. 856 Vgl. Loud, Graham A., Art. ›Otto of Freising‹, in: CE 3:901–902. Es bleibt ungeklärt, ob Otto nach der Niederlage des Heeres Konrads III. in Kleinasien im Herbst 1147 direkt in den Westen zurückgekehrt ist, oder ob er unter jenen Kreuzzugsteilnehmern aus dem Reich war, die ihren Weg nach Jerusalem fanden. Kam Otto tatsächlich nach Jerusalem und hinterließ dort eine Ausgabe seiner Schrift? Begegnete er vielleicht sogar dem damals etwa achtzehnjährigen Wilhelm und beeinflußte dessen Entscheidung, seine Ausbildung im Westen fortzusetzen? Unter Umständen begegnete Wilhelm dem orienterfahrenen Zisterzienser aber auch im Zuge seiner insgesamt etwa zwei Jahrzehnte dauernden Studien in Europa. Doch mindestens ein Kontakt mit der Schrift Ottos darf mit Recht angenommen werden und wäre insbesondere im Hinblick auf die ungefähr sechzehn Jahre vorstellbar, die Wilhelm in Paris verbrachte – also dort, wo Otto etwa zwanzig Jahre zuvor studiert hatte. Zu Jugend und Ausbildung Wilhelms vgl. Huygens, ›Guillaume de Tyr‹; Krey, ›William of Tyre‹, in: Speculum (16; 1941), 149–166, 150; Mayer, ›Guillaume de Tyr‹. 857 OvF VIII.xxxiii.18.

Die Schlacht von Dorylaeum

205

Seelen bezogene Ezechiel-Anspielung auf das religiös überhöhte aber dennoch gegenwärtige Königreich Jerusalem übertrug. Daß er dabei insbesondere die religiöse Dimension betonen möchte, beweist seine Entscheidung für das bei Ezechiel selbst anzutreffende, stärker religiös konnotierte Wort pascuis.858 Wilhelms religiöse Überhöhung dieser Speisungs- und Rastphase mag zudem von der Beschreibung der bereits besprochenen vergleichbaren Episode in den Gesta Francorum859 inspiriert worden sein, die freilich in die Zeit vor der Überquerung des Bosporus fällt und allein auf das normannische Kontingent bezogen ist. Wilhelm präsentiert eine vom Tenor der Version des normannischen Anonymus abweichende, dezidiert jerosolymitanische Variante. Ist es in den Gesta Francorum Tankred als Exponent des personal geprägten Mythomoteurs der Antiochener, der die Speisung des normannischen Kontingentes ermöglicht, so tritt in Wilhelms Version Gott an dessen Stelle. Ähnlich stellt Fulcher von Chartres die Speisung des Heeres dar. Er beschreibt den Marsch der Kreuzfahrer durch die von den Seldschuken verwüstete Romania in Kleinasien mit allen Entbehrungen. Trotz des verheerten Zustandes der Landschaft habe man jedoch immer wieder in den verlassenen Höfen Nahrung gefunden, und so sei stets genug Proviant vorhanden gewesen. Dies führt Fulcher abermals auf die Gnade Gottes zurück und vergleicht sie mit der Speisung der Fünftausend durch Jesus: multotiens tamen videretis tantam gentis multitudinem de raris culturis, quas interdum per loca inveniebamus, bene refocillari supplemento illius Dei, qui de V panibus et IIbus piscibus V milia hominum pavit.860

Der hier deutlich zu erkennende gemeinschaftsbezogene Charakter des jerosolymitanischen Mythomoteurs läßt sich auch daran nachweisen, wie Fulcher eine weitere Information der Gesta, die in diesem Falle direkt das hier beschriebene Ereignis betrifft, umarbeitet. In den Gesta wird davon berichtet, daß wegen des Verendens zahlreicher Pferde Ochsen als Reittiere genutzt werden mußten. Beläßt es der Anonymus bei dieser nicht an einen bestimmten Stand geknüpften Feststellung, amüsiert sich der stets auch bei unerfreulichen Begebenheiten seinen Humor wahrende Fulcher darüber, daß man nun equites etiam boves cum 858 Schwinges, Kreuzzugsideologie, 244 behauptet, daß Wilhelm sein angeblich rein säkulares patria-Verständnis im Zuge seiner Studien in Europa entwickelt habe. Die hier analysierte Passage zeigt einmal mehr, daß Wilhelms patria tatsächlich immer eine irdische und eine religiös überhöhte Komponente aufweist. Wie das Beispiel dieser Inspiration durch Otto von Freising zudem demonstriert, könnte ausgerechnet die Übernahme von Ideen aus Europa ihren Teil an dieser stets auch religiösen patria-Auffassung gehabt haben. 859 Vgl. GF II.v. Auch die – allerdings ihrer religiösen Überhöhung bis auf die Datierung auf das Osterfest beraubte – Verarbeitung dieser Episode durch Baldrich von Dol (vgl. BvD I.xx) stand Wilhelm zur Verfügung. 860 FvC I.xiii.2.

206

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

armis suis861 habe reiten sehen.862 Der Ritter zeigt bei Fulcher – wenn auch unfreiwillig – Demut, und die gemeinsam ertragenen Entbehrungen auf der Wanderung einen das gesamte Volk. Die Kombination aus erstem gemeinsamem Sieg mit ersten harten Entbehrungen und der auf göttliches Einwirken zurückgeführten Erlösung von den Versorgungsproblemen läßt sich als eine erste prägende Erfahrung nach dem Konzil von Clermont und auf dem Marsch selbst deuten, welche die jerosolymitanischen Autoren in besonderer Weise reflektieren und als wichtigen Markstein in den von ihnen beschriebenen ethnohistorischen Prozessen darstellen.

b.

quasi ut unigenæ uno consilio unam patriæ suæ gloriam prærogarent – Dorylaeum und die Normannitas

Stehen in der jerosolymitanischen Überlieferung zur Schlacht von Dorylaeum die Gesamtheit des Kreuzfahrerheeres und dessen Zusammenwachsen im Vordergrund, so setzt die antiochenische Historiographie und setzt insbesondere Radulf von Caen andere Akzente. Schon die Gesta Francorum wie auch Tudebodus betonen erwartungsgemäß stark die Bedeutung der von den Normannen geführten ersten Abteilung, die mehrere Stunden allein gegen die Übermacht der Seldschuken standhalten mußte.863 Zwar kommen in beiden Berichten auch die übrigen Kreuzzugsführer zu ihren Ehren, erscheinen aber im Vergleich zu den Normannen doch in einer nachrangigen Position. Lediglich Bohemund darf das Wort ergreifen, während im Hinblick auf die anderen Anführer allein deren Taten und nicht ihre Worte eingebunden werden.864 Nachdem der Normannenführer sich zu Beginn in einer kurzen und nüchternen Ansprache an das Heer gewendet und taktische Anweisungen erteilt hat,865 läßt er durch einen Boten eine lakonische Nachricht an das zurückliegende zweite Kontingent schicken: Et si hodie luctari uolunt, uiriliter ueniant.866 Den tadelnden Ton dieser Worte findet man noch deutlicher bei Tudebodus, der anstatt von ueniant das Wort agant867 gebraucht. Zudem teilt er mit, daß man in der zweiten Abteilung beim Eintreffen der Botschaft Bohemunds zunächst die Hilfe 861 FvC I.xiii.3. 862 Zur Bedeutung des Begriffes eques bei Fulcher von Chartres vgl. Epp, Fulcher von Chartres, 255; Dies., ›Miles‹. 863 Vgl. GF III.ix; PT 51–55. 864 Zum Übergewicht der direkten Rede Bohemunds in den Gesta Francorum vgl. Oehler, ›Studien‹, 79. 865 Vgl. GF III.ix; PT 52. 866 GF III.ix. 867 PT 51.

Die Schlacht von Dorylaeum

207

verweigert habe und kommentiert dies: Nam nos non credebamus iam illos esse tam prudentes quod amplius auderent sese erigere et preliari nobiscum.868 Diese

868 PT 52f. Hagenmeyer nimmt diese Worte in seiner Edition der Gesta Francorum mit auf, obwohl er verzeichnet, daß sie in keiner der mittelalterlichen Hss. der Gesta (Hss. A, B, C, D, E, H nach seiner Einteilung) auftauchen, sondern lediglich bei Tudebodus sowie in der Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum und bei Baldrich von Dol. Vgl. GF-Hg 201 m. krit. App. u. Anm. 28. An dieser in der neueren Forschung zur Interdependenz der verschiedenen Bearbeiter der Gesta-Familie nicht berücksichtigten Stelle scheint sich bei Tudebodus eine Komponente aus der Urform der Gesta erhalten zu haben, die bei der Umarbeitung zu den Gesta Francorum gestrichen wurde. Der Grund hierfür dürfte das Werben Bohemunds um französische Unterstützung bei seiner Europareise im Jahre 1106 gewesen sein. Hier bewahrheitet sich die These Floris, daß sich im Text des Tudebodus das Material der Ur-Gesta besonders gut erkennen läßt. Vgl. Flori, ›Anonyme Normand‹, 743f. Bislang ist die Passage anders gelesen worden. So wurden mit den illos des zitierten Satzes die zuvor bei Nicaea geschlagenen Seldschuken identifiziert, von denen das zweite Kontingent der Kreuzfahrer beim Eintreffen der Boten Bohemunds nicht geglaubt habe, daß sie nach der Niederlage schon wieder zu einem Kampf mit den Kreuzfahrern bereit gewesen seien. Hagenmeyer bezeichnet es als »unbegreiflich, warum […] hier eine angebliche Hilfeverweigerung sollte erdichtet worden sein«. Vgl. GF-Hg 201f m. Anm. 28–30, Zitat Anm. 28. Für einen Text, der vor allem die Befindlichkeiten des normannischen Kontingentes berücksichtigt, ist eine solche Kritik – unabhängig von der Frage nach ihrer Berechtigung – allerdings nicht ungewöhnlich, zumal genau genommen nicht ein völliges Unterlassen der Hilfe beklagt wird, sondern vielmehr bezweifelt wird, daß das zweite Kontingent – anders als jenes der Normannen – schon wieder zum Kampf in der Lage sei. Die bisherige Lesart setzt zudem voraus, daß der Verfasser hier plötzlich entgegen seiner Gewohnheit nicht – wie noch unmittelbar zuvor bei den Beobachtungen zum Einkreisen der Kreuzfahrer durch die Türken – aus der Sicht des Kontingentes Bohemunds schreibt. Vgl. PT 52: Postquam vero hoc factum est totum, Turci undique circumcingentes nos dimicando, et iaculando, et spiculando, et mirabiliter longe lateque sagittando. Nos itaque, quanquam nequivimus resistere eis, neque suffere pondus tantorum hostium, tamne persistimus illic unanimiter gradum. Schließlich formuliert er in der ersten Person Plural die angebliche Vermutung der Normannen, daß s i e (also die Türken) schon wieder zum Kampf bereit gewesen seien, was aus Sicht der normannischen Abteilung jedoch nicht nachvollziehbar wäre. Hätte der Verfasser hingegen die Position der Kreuzfahrer im zweiten Kontingent wiedergeben wollen, wäre dennoch die Verwendung der dritten Person Plural in Verbindung mit nostri anstatt der durch Subjekt und Prädikat tatsächlich doppelt anzutreffenden Perspektive der ersten Person Plural zu erwarten. Wiederum ist der Vergleich mit den Bearbeitern des Gesta-Stoffes aufschlußreich. Die bisherige Deutung der Passage scheint nämlich von den Versionen Baldrichs von Dol und des Autors der Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum beeinflußt zu sein. Beide verändern die aus Tudebodus oder einer der Vorformen übernommene Stelle und formulieren den mit Nam nos non credebamus beginnenden Schlüsselsatz um: Alius exercitus […] [n]ullam siquidem gentem sperabat esse quæ contra sui [Boamundi] exercitus partem decimam de bello auderet anhelare (BvD II.ii). Nam non credebant iam Turcos esse tam prudentes, quod ulterius auderent sese erigere et preliari cum Christianis. (HAI XXVI). Baldrich, der Anonymus von Montecassino wie auch der anonyme Autor der Gesta Francorum filtern jenen bei Tudebodus anzutreffenden Gedanken der Ur-Gesta heraus, der eine Mißstimmung zwischen den beiden Kontingenten erkennen läßt. In dieser gefilterten Form fand die Passage dann auch Eingang in den Text des Ordericus Vitalis. Vgl. OV IX.viii. Der

208

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

aus Sicht des normannisch dominierten Kontingentes vorgetragene Anschuldigung gegen die zweite Abteilung des Heeres wird zwar durch die anschließende Beschreibung der heldenhaften Taten der anderen Anführer relativiert, unterstreicht aber dennoch den Vorrang der Normannen, die sich dem Kampf stellen, während die übrigen Kreuzfahrer zögernd zurückbleiben. Vor dem Hintergrund dieser Passage erscheint die Schlacht von Dorylaeum als ein in erster Linie den Normannen und ihrem Standhalten vor dem Eintreffen des zögernden zweiten Heeres zu verdankender Triumph. Ebenso ist die Aufzählung der gefallenen Kreuzfahrer in den Gesta Francorum und bei Tudebodus zu verstehen: fuerunt illic mortui duo ex nostris milites honorabiles, scilicet Gosfredus de Monte Scabioso, et Willelmus Marchisi filius frater Tancredi, aliique milites et pedites quorum nomina ignoro.869

Allein die beiden dem normannischen Kontingent zuzurechnenden Ritter Gosfredus und Wilhelm werden unter den Toten namentlich benannt und zur Gruppe der nostri gezählt. Der Sieg von Dorylaeum wird damit trotz der Verweise auf die Leistungen der anderen Kreuzfahrer primär als Verdienst der Normannen dargestellt. Fulcher von Chartres hingegen verschweigt diese Toten, obwohl er sich zu diesem Zeitpunkt im normannischen Kontingent aufhielt. Die Hervorhebung der normannischen Gefallenen findet sich auch in der Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum und muß folglich noch den Ur-Gesta entstammen. Darin ist ein Indiz für die normannisch-antiochenische Perspektive schon des ursprünglichen Textes zu sehen. Während in den Texten der Gesta-Familie die Normannen nicht als solche benannt werden, nutzt Radulf von Caen die Schlacht von Dorylaeum dazu, die Normannitas insgesamt – die Normannen aus der Normandie einbeziehend – zu einem wichtigen Bezugspunkt aufzubauen. So beschreiben die Gesta Tancredi etwa ausführlicher, wie sich vor dem Gefecht das Kreuzzugsheer aufspaltete, so daß sich vorrübergehend wieder ein rein normannisches Kontingent formte: Huc accedebat quod casus idem Normanniæ comitem, Boamundumque Tancredumque seorsum a turba diverterat, quasi ut unigenæ uno consilio unam patriæ suæ gloriam prærogarent.870

Hier bringen die Gesta Tancredi ein pannormannisches Bewußtsein zum Ausdruck, das Normannen aus Nord- und Südeuropa integriert. Der Verweis auf eine gemeinsame patria ist ein starkes Indiz für eine an die Normannitas geauthentischen normannisch-antiochenischen Perspektive entspricht hier also am ehesten die Version des Tudebodus. 869 GF III.ix. Vgl. PT 54f. Übernommen in HAI XXVIII. 870 RvC XX.

Die Schlacht von Dorylaeum

209

knüpfte ethnische Prägung der Gesta Tancredi. Zum Vergleich sei wiederum auf Baldrich von Dol verwiesen, der Bohemund in seiner Ansprache zu Beginn der Schlacht zwar auch die patri[a] beschwören, gleichzeitig jedoch die laus Francorum besingen läßt.871 Die Normannitas bleibt unerwähnt, während die Normannen für die Franci vereinnahmt werden. Hier zeigt sich, wie Radulf den für eine Ethnie so wichtigen Bezug zu einem ursprünglichen, aber nicht mehr von der Gruppe bewohnten Heimatland aufbaut – ein für die Origines Gentium typisches Vorgehen, wie schon der TrojaMythos veranschaulicht. Es ist fraglich, inwieweit dieser Bezug zur Normandie für die aus Süditalien und Sizilien in die Levante gezogenen Normannen und erst recht für die anderen Lateiner in Nordsyrien überhaupt eine Rolle spielen konnte.872 Ein derartiger Heimatbezug konnte eine wichtige Komponente einer ethnischen Tradition sein, selbst wenn gar keine oder nur noch sehr schwache Anbindungen an das Ursprungsterritorium bestanden. Auch Süditalien als unmittelbare Herkunftsregion der Hauteville-la-Guichard weiß der pannormannisch denkende Radulf wirkungsvoll einzubinden, wie eine weitere Szene aus der Schlacht von Dorylaeum zeigt. Als das Gefecht aus Sicht der Kreuzfahrer seinen Tiefpunkt erreicht und sich nach dem Tode von Tankreds Bruder Wilhelm auch die schwere normannische Kavallerie zur Flucht wendet, beweist Herzog Robert von der Normandie Mut und wendet sich an die Normannen und insbesondere an Bohemund: Normanniam exclamat […], his increpat: Eho! Boamunde, quorsum fuga? Longe Apulia, longe Hydruntum,873 longe spes omnis finium Latinorum; hic standum, hic nos gloriosa manet aut pœna victos, aut corona victores. […] Ergo argite, o juvenes, moriamur, et in media arma ruamus.874

Der Schlachtruf, welcher die Fliehenden sammelt und zum Triumph führt, ist die Normandie selbst – Normanniam exclamat. Doch die alte Heimat im Norden wird verbunden mit der Heimat der süditalienischen Normannen. Bei dieser Beschwörung der Tradition propagiert Radulf gleichzeitig den Neubeginn der Normannen im Orient, wenn er Robert die Ferne der europäischen Herkunftsorte herausstellen und die Ansprache explizit wieder an die juvenes, an die neue Generation der Normannen, die Hoffnungsträger des orientalischen Neubeginns adressieren läßt.875 871 BvD II.i. 872 Vgl. Bartlett, Robert, ›Medieval and Modern Concepts of Race and Ethnicity‹, in: Journal of Medieval and Early Modern Studies (31; 2001), 39–56, 45; Plassmann, Origo, 251, 360f; Reynolds, ›Origines‹, 377. 873 Otranto. 874 RvC XXII. 875 Zur Bedeutung der juvenes in den Gesta Tancredi vgl. Russo, ›Tancredi‹. Siehe auch allgemein Duby, ›France‹.

210

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Weshalb hat Radulf diese starke, pannormannische Komponente und ein – zumindest teilweise konstruiertes – auf die Normandie ausgerichtetes Heimatkonzept in die Gesta Tancredi eingebaut, während beide Elemente in den Texten des Gesta-Kreises (beinahe) vollkommen fehlen? Man muß bedenken, daß Radulf etwa ein Jahrzehnt nach dem Anonymus und Tudebodus schrieb. In den ersten zehn bis fünfzehn Jahren des Fürstentums Antiochia herrschten dessen lateinische Einwohner über eine ethnisch und religiös heterogene autochthone Bevölkerung. Zudem war das Fürstentum immer wieder in militärische Auseinandersetzungen mit seinen muslimischen und orientalisch-christlichen Nachbarn verwickelt, in denen sich die Lateiner der Loyalität der Autochthonen in ihrem Territorium häufig nicht sicher sein konnten.876 Diese andauernde Konfrontationssituation führte offenbar zu einer Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln und bot folglich günstige Voraussetzungen für einen verstärkten antiochenischen Ethnizismus.877 Zwischen dem ersten Kreuzzug und dem Entstehen der Gesta Tancredi war ferner eine ganze Generation von schon in der Levante geborenen Lateinern herangewachsen, welche die abendländische Heimat ihrer Eltern nicht aus eigener Erfahrung kannten. Gerade diese zweite Generation dürfte ein besonderes Bedürfnis nach der Anbindung an die prestigeträchtige und somit identitätsstiftende patria der Normandie und an den pannormannischen ethnischen Mythos gehabt haben. Radulf, der in der Normandie aufgewachsen war, eignete sich als idealer Vermittler dieser ethnischen Tradition.878

5.

Antiochia

Nachdem die Kreuzfahrer von Dorylaeum aufgebrochen waren, zogen sie für ein Vierteljahr durch Kleinasien, Kilikien und Nordsyrien. Sie eroberten unter anderem Ikonium, Heraklea und Tarsus. Hier kamen sie in Kontakt mit den Armeniern, die in den Kreuzfahrern Verbündete im Kampf gegen die Seldschuken und in der politischen und religiösen Auseinandersetzung mit den Byzantinern fanden.879 Balduin von Boulogne verließ am 17. Oktober 1097 das Hauptheer in Richtung Edessa, wo er im folgenden Frühjahr an die Stelle des armenischen

876 877 878 879

Vgl. Asbridge, Creation, 47–69; ders., ›Crusader Community‹. Vgl. Smith, Origins, 47–55. Vgl. auch Payen, ›H¦g¦monie‹, bes. 83. Vgl. Forse, James H., ›Armenians and the First Crusade‹, in: Journal of Medieval History (17; 1991), 13–22.

Antiochia

211

Herrschers Toros trat und mit der Grafschaft Edessa den ersten Kreuzfahrerstaat gründete.880 Im Zentrum des Interesses der lateinisch-orientalischen Quellen steht in dieser Zeit allerdings unangefochten die Belagerung von Antiochia. Die zwischen dem Ostufer des Orontes und dem etwa fünfhundert Meter hohen Mons Silpius gelegene, damals circa dreihunderttausend Einwohner zählende Metropole war das letzte große Hindernis, welches zwischen den Kreuzfahrern und Jerusalem stand. Die Stadt war seit dem 7. Jahrhundert zwischen Byzanz und den vordringenden Arabern umkämpft gewesen. Im Jahre 638 eroberten die Muslime Antiochia und hielten es bis ins Jahr 969. Dann gewannen die Byzantiner die Stadt zurück, die sich rasch zur wichtigsten Grenzstadt des Reiches entwickelte. Von hier aus wurden die muslimischen Nachbarn für mehr als ein Jahrhundert in Schach gehalten, bevor die Seldschuken die Metropole im Jahre 1085 einnahmen. Trotz des türkischen Intermezzos am Orontes, trotz der über drei Jahrhunderte arabischer Herrschaft wurde Antiochia von einer mehrheitlich christlichen Bevölkerung bewohnt. Der türkische Statthalter Yagi Siyan wußte um die Gefahr einer Kooperation von orientalischen Christen und Lateinern und verwies daher sicherheitshalber einen Teil der christlichen Männer seiner Stadt. Zurück blieb jedoch jener Armenier Firuz, der es im Sommer des folgenden Jahres einer Gruppe von Kreuzfahrern ermöglichte, die als unüberwindbar geltenden Stadtmauern zu erklimmen und die Stadt zu erobern.881 Diesem Triumph ging eine mehr als siebenmonatige Belagerung unter schwersten Entbehrungen und ständiger Bedrohung durch die Seldschuken voraus, die vom 21. Oktober 1097 bis zum 3. Juni 1098 dauerte. Unmittelbar nach der Eroberung der Stadt wurden die Belagerer zu Belagerten, da ein Entsatzheer unter Kerboga von Mosul herannahte, während sich die Zitadelle noch in der Hand der Türken befand. Erst am 28. Juni kam es zur Entscheidungsschlacht, in welcher die Kreuzfahrer den Sieg errangen und den Weg für die Errichtung des lateinischen Fürstentums sowie für die Weiterreise nach Jerusalem freimachten.882 In den ethnohistorischen Narrativen des lateinischen Orients nimmt diese nordsyrische Phase eine herausragende Position ein – für die Antiochener als unmittelbare Gründungszeit ihres Fürstentums, für die Jerosolymitaner als wichtiger Schritt auf dem Weg zur Errichtung des Königreiches Jerusalem.

880 Zum Zug durch Kleinasien, Kilikien und Nordsyrien, der hier nicht detaillierter behandelt werden kann, vgl. Asbridge, First Crusade, 138–152; Mayer, Kreuzzüge, 67ff. 881 Vgl. Asbridge, First Crusade, 153–157. 882 Vgl. Mayer, Kreuzzüge, 68.

212 a.

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

de uino non loquar – Hungersnöte vor und in Antiochia

Wiederum erwies sich während der Belagerung von Antiochia neben den Seldschuken der Hunger als erbitterter Gegner der Kreuzfahrer. Der Kampf gegen diesen Feind wird ebenso für die lateinisch-orientalischen ethnohistorischen Erzählungen instrumentalisiert wie die Auseinandersetzung mit den Seldschuken. Die Lateiner erreichten die Stadt im Herbst, und zunächst fanden die Kundschafter im Umland reichlich Nahrung.883 Schon bald jedoch führte der anbrechende Winter zu einer deutlich verschlechterten Versorgungslage, und die Belagerer sahen sich immer wieder genötigt, im weiteren Umkreis zu fouragieren.884 Trotz dieser Bemühungen und der Unterstützung durch die Armenier kam es zu Beginn des Jahres 1098 zu einer schweren Hungersnot, die in den lateinisch-orientalischen Texten zu einem identitätsstiftenden Erlebnis aufgebaut und in jeweils charakteristisch antiochenischer beziehungsweise jerosolymitanischer Weise reflektiert wird.885 In den Gesta Francorum und in der Historia des Tudebodus kommt Bohemund abermals die Rolle des eifrigen und fürsorglichen Anführers zu, der sich zusammen mit Robert von Flandern auf einer Fourageexpedition aufopfert. Bei seiner Rückkehr wendet er sich mit flammenden Worten an eine Schar verstreuter Kreuzfahrer, die in kleinen Gruppen und zumeist erfolglos nach Vorräten gesucht und sich dann offenbar zur Flucht entschlossen hatten, und ruft sie zur Einheit auf. Bohemund verwendet in den Texten der Gesta-Familie jenes aus den jerosolymitanischen Quellen so vertraute Motiv vom Zusammenwachsen des Heeres, wenn er die gens dazu auffordert, nicht zu fliehen, usquequo erimus congregati in unum.886 Allerdings geht im Gegensatz zur jerosolymitanischen Historiographie der Sammlungsprozeß nicht vom Heer aus. Vielmehr bedarf es der Ansprache durch Bohemund, um die Sammlungsbewegung zu initiieren: et nolite errare sicut oues non habentes pastorem. Si autem inimici nostri inuenerint uos errantes, occident uos, quia die noctuque uigilant, ut uos sine ductore segregatos siue solos inueniant.887 883 Vgl. Rubenstein, Armies, 147. 884 Vgl. Asbridge, Creation, 27ff; Cardini, Franco, ›Boemondo, Principe d’Antiochia‹, in: Boemondo. Storia di un Principe Normanno. Atti del Convegno di Studio su Boemondo, da Taranto ad Antiochia a Canosa. Storia di un Principe Normanno. Taranto – Canosa, MaggioNovembre 1998, hg. v. Dems., Nunzio Lozito u. Benedetto Vetere (= Universit— di Lecce, Dipartimento dei Beni delle Arti e della Storia. Saggi e Testi. Collana Diretta da Benedetto Vetere; 15), Galatina 2003, 29–65, 33f. 885 Rubenstein widmet der Hungersnot vor Antiochia ebenfalls Aufmerksamkeit, deutet sie allerdings allein im Hinblick auf ihre Relevanz für seine apokalyptische Interpretation des ersten Kreuzzuges. Vgl. Rubenstein, Armies of Heaven, 152ff. 886 GF VI.xiv. Vgl. PT 67. 887 GF VI.xiv. Vgl. PT 67f.

Antiochia

213

Nur unter der Führung des pastor Bohemund ist das als Herde dargestellte Volk überlebensfähig. Ohne Anleitung durch den Hirten muß es führerlos umherirren und untergehen. Daß diesen Worten eine besondere ethnohistorische Bedeutung zukommt, zeigt sich wiederum an den Bearbeitungen des Gesta-Stoffes. Lediglich die eng an den Ur-Gesta stehende Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum übernimmt die Ansprache in dieser Form.888 Dagegen entfällt sie in anderen Texten,889 wird zu einer rein militärstrategischen Erörterung über den Wert des gemeinsamen Handelns degradiert890 oder komplett ihrer ethnohistorischen Komponente beraubt und allein religiös gedeutet.891 Die jerosolymitanische Überlieferung verzichtet auf Bohemunds Ansprache und verschweigt mitunter sogar das vorausgegangene Fouragieren des Normannen.892 Die Gesta Tancredi hingegen setzen den Akzent erwartungsgemäß auf Tankred, der bei der Belagerung die Funktion des identitätsstiftenden Anführers übernimmt, also die Rolle, die sonst Bohemund innehatte. Ist Bohemund im Gesta-Stoff der gute Hirte einer Schafsherde, so reaktiviert Radulf anläßlich eines Ausfalls der belagerten Türken das im Bericht zur Schlacht am Vardar etablierte Löwenbild: Tunc vix Tancredus leones cohibet.893 Doch auch als gütige, beinahe väterliche und zur Selbstverleugnung bereite Gestalt handelt er, wenn er die für seine Verdienste vom päpstlichen Legaten Adh¦mar von Le Puy erhaltene Belohnung sofort unter seinen Männern verteilt und sich zu diesem Zwecke sogar verschuldet: Thesaurus meus sint milites mei; egeam ego dum ipsi abundent: non sollicitor habere, sed habentibus imperare.894 Er habe seine erschöpften Soldaten gepflegt und bisweilen die Wache eines Kranken oder Verwundeten übernommen, so Radulf.895 Die jerosolymitanischen Autoren hingegen instrumentalisieren die Hungersnot des Winters 1097/98 in ganz anderer Weise. Wie bei der Schilderung der Versorgungsnot auf dem Marsch durch Kleinasien nach dem Sieg von Dorylaeum betont Fulcher von Chartres auch anläßlich der Belagerung Antiochias gleich zweifach, daß die Härten des Hungers tam divites quam pauperes896 und 888 889 890 891 892

893 894 895 896

Vgl. HAI LII. Vgl. BvD II.xi; RvA VI. Vgl. GvN IV.v. Vgl. RdM I.xi. Vgl. BvN XII; FvC I.xv–xvi; HNvA XXIV; WvT IV.xviii–xix. Die Expedition verschweigen Bartolf von Nangis und Fulcher von Chartres. Die an dieser Stelle auf Robert dem Mönch basierende Historia Nicæna übergeht diese ihrer ethnohistorischen Komponente beraubte Ansprache. RvC LI. RvC LI. Vgl. RvC LI. FvC I.xv.15.

214

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

tam maiores quam minores897 betroffen hätten.898 Wilhelm von Tyrus hebt die Gefahr für alle Angehörigen des Heeres hervor, wenn er unterstreicht, daß pene populus deperiret universus,899 während der europäische Übersetzer des Chronicon einschränkend erwähnt, daß lediglich les povres gens estoient en grant perill.900 Wie Wilhelm den Hunger als ein von allen getragenes Leid präsentiert, so stellt er die als Reaktion auf diesen Hunger beschlossenen Maßnahmen als den Willen aller Kreuzfahrer dar, wobei selbst die Beschlüsse eine dezidiert gemeinschaftsbezogene Prägung aufweisen. Wilhelm fügt eine in allgemeiner Versammlung getroffene Übereinkunft in den von Albert von Aachen übernommenen901 Bericht ein, gemäß welcher equis portionibus et bona fide cuncta que lucro cederent dividerentur.902 Erst zu dem Zeitpunkt, da sich die Notlage im Laufe des Winters zunehmend verschlimmert, kehrt Wilhelm zu Alberts Version zurück und läßt die Anführer – freilich ohne deren Namen zu nennen903 – zu einer Beratung zusammenkommen. Die deo devoti principes904 beschließen gemeinsam die in der antiochenischen Historiographie als Initiative Bohemunds dargestellte Fourageexpedition, wobei Wilhelm bemüht ist, herauszustellen, daß die Anführer multas diversi generis opiniones905 gehört und berücksichtigt hätten; der französische Übersetzer hingegen läßt diesen Konsensgedanken entfallen.906 Fulcher schildert die Entbehrungen vor Antiochia mit biblischen Worten als einen an das Fegefeuer erinnernden Schmelz- und Läuterungsprozeß, aus welchem die Gruppe geeint, gereinigt und gestärkt hervorgegangen sei: itaque illi quasi aurum ter probatum igni septiesque purgatum, iamdumdum a Domino praeelecti, ut opinor, et in tanta calamitate examinati, a peccatis suis mundati sunt.907

Hungersnot, Seuchen und ständige Bedrohungen durch die Türken stiften Einheit in der Gruppe. Im Laufe dieses Prozesses werden analog zum Bild der 897 FvC I.xvi.1. 898 Zur Überwindung der Grenzen zwischen Arm und Reich im Denken Fulchers von Chartres vgl. Epp, Fulcher von Chartres, 242ff. Epp deutet diese Grenzüberschreitung allerdings als Manifestation der »Spiritualisierung der paupertas« (ibid., 247), die sie Fulcher zuschreibt. 899 WvT IV.xvii.19–20. 900 EdE IV.xviii. 901 Vgl. AvA III.l–lii. 902 WvT IV.xvii.21–22. 903 Damit unterscheidet sich Wilhelm von Tyrus von seinen Vorlagen – Raimund von Aguilers und Albert von Aachen – wie auch von den Texten der Gesta-Familie, die Bohemunds Rolle betonen. Vgl. AvA III.l; GF V.xiii; PT 65f. 904 WvT IV.xviii.6. 905 WvT IV.xviii.6. 906 Vgl. EdE IV.xviii. 907 FvC I.xvi.4. Vgl. Ps 11:7. Interessanterweise ersetzt Fulcher hier das Silber der biblischen Vorlage durch Gold.

Antiochia

215

metallurgischen Läuterung auch Unreinheiten abgeschieden. Diese Komponente der Metapher spielt auf die zahlreichen Desertionen an, unter welchen jene Stefans von Blois besonderes Aufsehen erregte, da er am Vorabend der Eroberung Antiochias das Lager mit etwa 4000 Bewaffneten verließ.908 Zurück bleiben bei Fulcher die körperlich und geistig starken Kreuzfahrer, die sich als würdig erwiesen hatten, der Gruppe anzugehören. In dieser Gruppe stechen fraglos Individuen wie Adh¦mar von Le Puy und die weltlichen Kreuzzugsführer hervor, doch der Prozeß der Gruppenbildung selbst nivelliert interne Unterschiede und als Akteure erscheinen einzig die wandernde, kämpfende und leidende Gemeinschaft und Gott. Diese Motive werden bei den Schilderungen zur zweiten Hungersnot wieder aufgegriffen, welche die Kreuzfahrer heimsuchte, als sie kurz nach der Eroberung Antiochias vom Entsatzheer Kerbogas in der Stadt ein- und von den Versorgungslinien abgeschnitten wurden. Die antiochenischen Texte schildern den Hunger durchaus detailliert. Doch die Gesta Francorum und Tudebodus deuten die Notlage nicht weiter oder überhöhen diese; noch haben sie etwas über die bloße Schilderung der Leiden Hinausgehendes zu diesem Thema beizusteuern, wenn man von der gleichsam lakonischen wie bitteren aber ebenso aufschlußreichen Bemerkung absieht, daß man über die Qualität des zur Verfügung stehenden Weines, der eigentlich keiner sei, besser kein Wort verlieren solle – de uino non loquar.909 Radulf von Caen hingegen vergleicht den Hunger wie Fulcher mit der Läuterung von Gold sowie – dies ist seine eigene Ergänzung – mit dem Dreschen von Getreide.910 Radulf formuliert hier den für ethnogenetische Erzählungen typischen Prozeß der Reinigung und der Auslese. Zwar erwähnt auch Radulf, daß die Not vor den Anführern und Edlen keinen Halt machte. Doch stellt er keinen direkten Bezug zur gemeinsam mit den Großen leidenden, unerwähnten Masse des Heeres her. Radulf hebt nur die ungewohnte Entbehrung der præclara ducum, comitum, regumque propago911 hervor.

908 Stefan war die tragische Gestalt der frühen Kreuzzugsbewegung. Um seine Schande zu tilgen, schloß er sich dem unglücklichen Kreuzzug von 1101 an und starb am 17. Mai 1102 in der zweiten Schlacht von Ramla. Vgl. Brundage, James A., ›An Errant Crusader : Stephen of Blois‹, in: Traditio: Studies in Ancient and Medieval History, Thought and Religion (16; 1960), 380–395, 388–395; Pryor, John, ›Stephen of Blois: Sensitive New Age Crusader or Victim of History?‹, in: Arts: The Journal of the Sydney University Arts Association (20; 1998), 26–74, 44–54; Riley-Smith, First Crusaders, 88f. Pryor hat dafür plädiert, in Stefans Abmarsch aus dem Lager der Kreuzfahrer einen mit den anderen Anführern koordinierten taktischen Schachzug zu sehen, der dann jedoch von der Historiographie zu seinen Ungunsten ausgelegt worden sei. Vgl. Pryor, ›New Age Crusader‹, 57f. 909 GF IX.xxvi; PT 104. Aufgegriffen in BvD III.xi; GvN V.xxiii; HAI LXXV; OV IX.ix; RvA XI. 910 Vgl. RvC LXXX. 911 Vgl. RvC LXXX.

216

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Wilhelm von Tyrus dagegen nutzt die Gelegenheit, die innige und fürsorgliche Beziehung zwischen den Anführern und dem einfachen Volk zu schildern: Nec solum plebeios et medie manus homines huius tam miserabilis inedie calamitas involverat, verum et maioribus nimis importune se ingesserat principibus.912

Für die Großen seien die Entbehrungen sogar noch härter gewesen, da sie anderen zur Hilfe verpflichtet gewesen seien.913 Wilhelm schließt mit den Worten: Vix est quod aliqua contineat Historia tantos principes tantumque exercitum tantas alibi sine defectu et tam pacienter pertulisse molestias.914

b.

Belagerung, Eroberung und Verteidigung Antiochias

Die unterschiedlichen Akzente, welche die antiochenischen und jerosolymitanischen Historiographen setzen, lassen sich nicht nur an den Entbehrungserfahrungen ablesen, sondern an der gesamten nordsyrischen Phase des ersten Kreuzzuges. Wie schon zuvor heben die Autoren der Gesta-Familie Bohemund hervor, Radulf von Caen hingegen Tankred.915 Die Gesta Francorum berichten von einer Operation unter den Mauern Antiochias, bei welcher Bohemund als Identifikations- und Leitfigur seiner Abteilung fungiert. Er spricht zu seinen Anführern und Soldaten, die mit bedingungsloser Unterordnung reagieren: Tu sapiens et prudens, tu magnus et magnificus, tu fortis et uictor, tu bellorum arbiter et certaminum iudex, hoc totum fac; hoc totum super te sit. Omne bonum quod tibi uidetur, nobis et tibi operare et fac.916

Die Aufforderung an den Normannenführer, alle Verantwortung auf sich zu nehmen und alles zum Guten für sich und das Heer/Volk zu richten, kann bereits auf die Zukunft des Fürstentums Antiochia bezogen werden. Der Normannenführer – so lautet der Auftrag – solle sein Heer/Volk in eine glorreiche Zukunft führen.917 Diese Botschaft wird durch eine mythische Komponente verstärkt. Nach seiner Ansprache und als sich das Schlachtenglück zu Ungunsten der Christen zu wenden droht, stürmt Bohemund seiner Abteilung voran in den Kampf: 912 WvT VI.vii.43–46. 913 Ein ganz anderes Bild zeichnet Albert von Aachen, der berichtet, Gottfried von Bouillon habe hohe Preise gezahlt, um für sich selbst Fleisch kaufen zu lassen. Vgl. AvA IV.xxxiv. 914 WvT VI.vii.52–54. 915 Vgl. etwa GF VI.xvii. 916 GF VI.xvii. Übernommen in HAI XLIX. 917 Die Parallelen etwa zu der zuvor beschriebenen Szene an der Via Egnatia fallen dabei ins Auge.

Antiochia

217

Fuit itaque ille [Boamundus], undique signo crucis munitus, qualiter leo perpessus famem per tres aut quatuor dies, qui exiens a suis cauernis, rugiens ac sitiens sanguinem pecudum sicut improuide ruit inter agmina gregum dilanians oues fugientes huc et illuc; ita agebat inter agmina Turcorum.918

Das Löwenbild wird mit typischer Kreuzzugssymbolik mythisch verschmolzen. Hier wird kein gewöhnlicher Mensch geschildert, sondern ein fleischgewordener Mythos. Dabei muß betont werden, daß diese Worte in erster Linie auf das Kontingent der Normannen bezogen werden, obwohl auch die anderen Abteilungen beteiligt gewesen sein dürften.919 Berücksichtigt man zudem, daß sich all dies unter den Mauern Antiochias – der neuen Heimat der Normannen in Nordsyrien – zutrug, so erscheint die Stilisierung Bohemunds als zentrales Element des Mythomoteurs einer normannisch geprägten, lateinisch-antiochenischen Ethnogenese.920 Wie schon zuvor die Episode der Vardar-Überquerung wird in den Gesta Francorum auch die Schlacht vor Antiochia ausgerechnet ans Ende eines Buches der Gesta Francorum und damit an eine prominente Position gestellt. Wieder schließt eine doxologische Formel den Bericht ab und verleiht den Ereignissen somit eine göttliche Legitimation: 918 GF VI.xvii. 919 Direkt benannt werden in diesem Kapitel aber allein die Normannen, unter ihnen Robert Fitz-Gerard, der als Konstabler Bohemunds ein ranghoher Angehöriger seines persönlichen Gefolges war. Vgl. Asbridge, Creation, 183. 920 Diese Stelle wurde zudem erst durch die letzte Bearbeitung zur überlieferten Fassung der Gesta Francorum so umgestellt, daß Bohemund der Akteur ist. In den Ur-Gesta, das zeigt der Vergleich mit Tudebodus und der Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum, ist es Robert Fitz-Gerard, der mit dem Banner Bohemunds den Feinden entgegenreitet (vgl. HAI; PT 72). Tudebodus hat in dieser Passage bewußt Bohemund im Vergleich zu den Ur-Gesta weniger betont, indem er die zuvor besprochene Lobrede des Volkes ebenso wie die Löwenmetapher streicht (vgl. PT 71f). Allerdings ist bei Tudebodus ein in den Gesta Francorum offenbar den Rücksichten auf Bohemunds Werben in Frankreich geopferter Bezug zur Normannitas erhalten geblieben. Da sich dieser auch in der Historia aus Montecassino findet, muß er offenkundig auf die Ur-Gesta zurückgehen. In dieser Fassung ergänzt Bohemund seine Ansprache an Robert Fitz-Gerard um folgende Worte: Recordare prudentiam antiquorum et nostrorum fortium parentum, quales fuerunt et qualia bella fecerunt. Hier findet sich mit der Berufung auf die gemeinsamen normannischen Vorfahren eine Komponente, welche in den Gesta Francorum fast völlig fehlt. Dieser Aspekt ist bislang vernachlässigt worden (vgl. Flori, ›Anonyme Normand‹, 730), obwohl gerade diese Berufung auf die Normannitas ein besonderes Moment ethnisch motivierter, normannischer Geschichtsschreibung darstellt, wie es sich dann später sehr viel deutlicher in den Gesta Tancredi wiederfindet. So läßt sich an dieser Stelle ausgerechnet anhand der Historia des Tudebodus sowie der Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum trotz der Eingriffe der europäischen Bearbeiter die Spur einer in den Ur-Gesta offenbar noch stärkeren Bezugnahme auf die Normannitas insgesamt rekonstruieren, die bei der Bearbeitung zu den Gesta Francorum aufgrund diplomatischer Erwägungen und des Einsatzes der späteren Version des Textes zu Werbezwecken in Frankreich abgeschwächt wurde.

218

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Factum est hoc bellum in die martis ante caput ieiunii, quinto idus Februarii, fauente domino nostro Iesu Christo, qui cum Patre et Spiritu Sancto uiuit et regnat Deus, per immortalia secula seculorum, Amen.921

Daß der Autor der Ur-Gesta in der Lage war, mythisierende Panegyrik mit Humor und gar einer Prise Selbstironie zu verbinden, zeigt ein in den Gesta Francorum wie auch bei Tudebodus zu findender fiktiver Dialog zwischen Kerboga und seiner Mutter :922 [Kerboga:] ›Non sunt igitur Boamundus et Tancredus Francorum dii, et non eos liberant de inimicis suis? et quod ipsi manducant in uno quoque prandio duo milia uaccas et quatuor milia porcos?‹ Respondit mater : ›Fili karissime, Boamundus et Tancredus mortales sunt sicut alii omnes, sed deus eorum ualde diligit eos præ omnibus aliis, et uirtutem preliandi dat eis præ ceteris.923

Trotz der eher humoristischen Note dieser Passage läßt sich eine ethnohistorisch relevante Absicht hinter diesem fiktiven Austausch zwischen Mutter und Sohn ausmachen: Auch die Feinde der Normannen erkennen deren beinahe übermenschliche, mythische Kraft, deuten diese eben aber – als vermeintlich abergläubische Barbaren – falsch und glauben, in Bohemund und Tankred Götter zu erkennen. So weit will der Anonymus nicht gehen, schreibt ihnen aber immerhin den Status des göttlichen Auserwähltseins unter den Christen zu. So spitzt er die göttliche Legitimation der Gruppe auf die beiden Normannenführer zu. Radulf von Caen inszeniert die Belagerung Antiochias in besonderer Offenheit als Triumph der Normannitas. Da er selbst bei diesem Sieg nicht zugegen war, schlägt er in einem Kunstgriff eine pannormannische Brücke zwischen der Normandie und den normannischen Kreuzfahrern im Orient. So berichtet er, daß man in der Nacht auf Aschermittwoch 1098 – nachdem die Kreuzfahrer soeben einen blutigen Kampf gegen den muslimischen Gegner geschlagen hatten – in seiner Heimat Caen eine wundersame Rotfärbung des Himmels habe beobachten können. Daraufhin hätten die Menschen in Radulfs Umgebung die Worte Oriens pugnat924 ausgerufen. Radulf stellt somit eine Verbindung zwischen den Normannen in der Normandie und ihren Verwandten her, die in diesem Moment unter den Mauern Antiochias kämpften. Diese Berufung auf die normannische patria stellt einen starken, gemeinschaftsbezogenen Aspekt des antiochenischen Mythomoteurs dar, der auch in einer Reihe anderer Passagen im Kontext der Belagerung Antiochias wieder921 GF VI.xvii. 922 Zu diesem Dialog vgl. Hodgson, Natasha, ›The Role of Kerbogha’s Mother in the Gesta Francorum and Selected Chronicles of the First Crusade‹, in: Gendering the Crusades, hg. v. Susan B. Edgington u. Sarah Lambert, Cardiff 2001, 163–176. 923 GF IX.xxii. Vgl. PT 96. 924 RvC LVII.

Antiochia

219

zufinden ist. Radulf beschreibt etwa an einer Stelle die Situation im Juni 1098 während der Gegenbelagerung des kurz zuvor von den Lateinern eroberten Antiochias durch das eigentlich zum Entsatz der Muslime ausgesandte Heer Kerbogas.925 Hintergrund ist die Flucht einiger Männer aus den Reihen der nun ihrerseits in Antiochia belagerten Kreuzfahrer, darunter drei Brüder aus der Normandie – Wilhelm, Albert und Ivo Maisnil. Dabei versteht Radulf es, die für die Normannen wenig schmeichelnde Situation zum Anlaß zu nehmen, ein an antike Siegerrhetorik erinnerndes Loblied auf die Normannitas vorzutragen: At fratres, pudet, heu! pudet, heu! Normannia misit illud ubique genus, victoria, gloria mundi, Anglorum victor populus, victor Siculorum, victor Græcorum, Capuanorum, Apulicorum; cui Cenomannensis, Calaber cui servit et Affer, cui Japix, horum patitur de stirpe pudorem.926

Hier wird nicht getrennt zwischen den Normannen in Nord und Süd.927 Die Siege über Angelsachsen, Sizilianer, Einwohner Süditaliens und Griechen werden zusammengefaßt zur ruhmreichen Leistung eines einzigen Volkes, eines triumphierenden populus, dem Menschen in verschiedensten Gegenden des Erdkreises Untertanen sind. Radulf macht an dieser Stelle drei Männern Vorwürfe wegen des Verrats an der Normannitas. Sie sind zwar Normannen, aber ohne engere Verbindungen mit einer der herrschenden normannischen Familien. Er zählt die Maisnil-Brüder grundsätzlich zu den Trägern der Normannitas und betrachtet sie gar als Teil der normannischen stirps – ein weniger ethnisch als mit Bezug auf Blutsverwandtschaft konnotiertes Wort. Dies zeigt, daß Radulfs Normannitas-Konzept nicht allein abstammungs- oder dynastiebezogen war. Vielmehr wird hierdurch – und etwa auch durch den Gebrauch des Wortes populus – offenbar, daß Radulfs Idee von der Normannitas auch ethnisch geprägt war, daß die Gesta Tancredi mehr als Herrscherpanegyrik sind. Traditionskern, Mythomoteur und Ethnie werden in einer gemeinsamen, normannischen Identität verschmolzen. Es sind somit die vergangenen Triumphe einer ethnischen Gruppe und nicht bloß die Siege einer aristokratischen Familie, die hier präsentiert und gefeiert werden. Dieser Ethnie schreibt Radulf eine glorreiche und durch Übersteigerungen mythisierte Vergangenheit zu, eine Tradition, welche nun im Orient unter neuen Traditionsträgern mit dem Kreuzzug und der Eroberung Antiochias weitergeführt wird. Dies fand sich so auch schon in den Gesta Francorum –Radulf aber vertieft und nobilitiert diese ethnische Tradition durch die Rückbindung an die alte Heimat der Normannen an den Gestaden des 925 Vgl. Mayer, Kreuzzüge, 73. 926 RvC LXXIX. 927 Raimund von Aguilers und Wilhelm von Tyrus berichten ebenfalls über diesen Zusammenhang, streichen die Normannitas der Maisnils aber nicht gesondert heraus. Vgl. RvA VII; WvT VI.v.24–26.

220

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Englischen Kanals und durch die Erinnerung an die Taten Wilhelms des Eroberers.928 Bei der Eroberung Antiochias am 3. Juni 1098 sowie bei der Sicherung der Stadt durch den Sieg gegen das seldschukische Entsatzheer am 28. Juni stehen in den antiochenischen Texten wiederum die beiden Normannenführer im Fokus. Die Gesta Francorum und Tudebodus lassen die Berichte zum Triumph über Kerboga mit einem starken symbolischen Akt enden. Nach der Eroberung der Stadt war deren Zitadelle selbst in der Hand ihrer türkischen Garnison geblieben, so daß die Kreuzfahrer sich der doppelten Bedrohung durch das Entsatzheer Kerbogas vor den Toren der Stadt sowie durch die verbliebenen Verteidiger der Festung ausgesetzt sahen. Nach dem Sieg am 28. Juni jedoch ergab sich die nun nicht mehr auf Rettung hoffende Garnison.929 Als Zeichen der Kapitulation habe der türkische Hauptmann zunächst das Banner Raimunds von Toulouse auf der Zitadelle aufpflanzen lassen. Als jedoch die Truppen Bohemunds dies sahen, hätten sie protestiert, woraufhin der Garnisonshauptmann das Feldzeichen an Raimund zurückgesandt habe. Schließlich sei Bohemund zur Zitadelle gekommen und habe dem Hauptmann sein eigenes Banner übergeben: Ille autem illud accepit cum magno gaudio; et iniit pactum cum domino Boamundo, ut pagani qui uellent Christianitatem recipere essent cum eo, et qui uellent abire, sanos et absque ulla laesione abire permitteret. […] Non post multos dies baptizatus est ammiralius, cum illis qui Christum recognoscere maluerunt.930

Mit dieser Szene wird Antiochia noch vor der tatsächlichen Durchsetzung der normannischen Herrschaft am Orontes symbolisch durch Bohemund in Besitz genommen. In dieser Handlung vollzieht sich – trotz der noch lange im Lager der Kreuzfahrer andauernden Streitigkeiten über den Umgang mit Antiochia – die eigentliche Gründung des Fürstentums. An deren Beginn steht in bezeichnender Weise die Überwindung des provenzalischen Rivalen und die Bekehrung des Hauptmannes und zahlreicher Türken. Das Abnehmen des Banners Raimunds von Toulouse ist ein vorweggenommener Vorstoß gegen spätere provenzalische Ausgriffe auf Antiochia und richtet sich indirekt auch gegen die Ansprüche der mit dem tolosanischen Grafen verbündeten Byzantiner. Die Bekehrung wiederum verleiht der normannischen Staatengründung im Kreuzzugskontext Glaubwürdigkeit und Legitimität, obwohl diese das Vorankommen des Unternehmens de facto behinderte. Den Abschluß dieser Passage bildet die erneut mit einer doxologischen Formel verbundene und dadurch mythoreligiös überhöhte Datierung des Sieges: 928 Siehe hierzu auch Boehm, ›Gesta Tancredi‹, 71. 929 Vgl. Asbridge, First Crusade, 238f. 930 GF IX.xxix. Vgl. PT 113f.

Antiochia

221

Hoc bellum factum est in IIII kalendas Iulii, uigilia apostolorum Petri et Pauli; regnante domino nostro Iesu Christo, cui est honor et gloria in sempiterna secula. Amen.931

In der nicht-antiochenischen Überlieferung wurde die Episode in dieser Form allein von Autoren übernommen, die von der Gesta-Familie abhängig sind, wobei sie den normannischen Triumphalismus mitunter entschärften.932 Wilhelm von Tyrus wiederum stellt die Übergabe der Zitadelle in gewohnter Weise als Gemeinschaftsleistung dar und erwähnt weder Bohemund noch die Entfernung des Banners Raimunds von Toulouse: arcem nostris resignant principibus, eorum vexillis in summis turribus collocatis.933 Für die jerosolymitanischen Historiographen wiederum sind die militärischen Triumphe von Antiochia ebenso wie das Überwinden des Hungers in erster Linie wichtige Schritte bei der Ausprägung des gemeinschaftsbezogenen Mythomoteurs. Anläßlich der Eroberung und anschließenden Verteidigung der Stadt Antiochia unterstreicht daher Bartolf von Nangis, daß die Kreuzfahrer quasi vir unus omnes simul ad prosternendos inimicos Christi unanimes facti sunt.934 Ganz ähnlich greift auch Wilhelm von Tyrus dieses Motiv zur gleichen Gelegenheit auf und wiederholt beinahe ritualisiert den Gedanken der Verschmelzung der Kreuzzugsteilnehmer über die Schranken der Stände hinweg. Der Beschluß, die Entscheidungsschlacht mit Kerboga zu suchen, hätten omnes unanimiter a maiore usque ad minimum935 getroffen. Die Hintergründe dieser Entscheidung führt Wilhelm weiter aus: Hic igitur erat et in omnium ore sermo vertebatur, ut extra urbem egredientes cum hostibus decertarent, nec erat ea mens nobilium tantum, sed etiam populares.936

931 GF IX.xxix. Vgl. PT 113. 932 Vgl. BvD III.xviii; GvN VI.ix; HAI LXXXIII; HNvA LVI; RdM VII.xviii. Die Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum wie auch die Historia Nicæna vel Antiochena erwähnen keinen Austausch des provenzalischen durch das normannische Banner ; vielmehr scheinen hier beide Banner gleichrangig nebeneinander auf den Zinnen der Zitadelle zu wehen. Fulcher von Chartres erwähnt die Übergabe der Zitadelle an Bohemund und die Konversion von Teilen der Garnison nicht im eigentlichen Text der Historia Hierosolymitana. Der Sachverhalt findet sich lediglich in dem Brief Bohemunds an Urban II., dessen Text Fulcher in die Historia integriert, wobei er den Konflikt mit Raimund von Toulouse verschweigt. Vgl. FvC I.xxiv.11. 933 WvT VI. xxii.29–30. 934 BvN XVIII. 935 WvT VI.xv.5. 936 WvT VI.xv.11–14. Den Gedanken, daß auch das einfache Volk die Schlacht dem Hunger in der Stadt vorgezogen habe, hat Wilhelm von Albert von Aachen übernommen, hat diesem jedoch dabei stärkeren Ausdruck verliehen und zudem die charakteristische Formulierung omnes unanimiter ergänzt. Vgl. AvA VI.xlvi.

222

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Nach einer erneuten Betonung, daß unanimiter omnes a maiore usque ad minimum paribus937 zur Schlacht entschlossen gewesen seien und diese [a]cclamantibus ergo universis et tam voce quam signis consonantiam et omnium coniventiam significantibus938 für den kommenden Tag geplant hätten, folgt abschließend der Bericht darüber, wie omnes unanimiter quasi vir unus939 in den Kampf mit Kerbogas Truppen gezogen seien. Mitnichten handelt es sich bei dieser Häufung von Bekundungen der alle Kreuzfahrer erfassenden Einmütigkeit lediglich um eine Manifestation von gedanklichem Allgemeingut der Kreuzzugsspiritualität.940 Vielmehr offenbart sich der gemeinschaftsbezogene Charakter des jerosolymitanischen Mythomoteurs, wenn Wilhelm das Motiv mit Vehemenz immer neu variiert, die einvernehmliche Natur der Entscheidungsfindung im Heer herausstreicht und das Verschmelzen der Masse von Individuen zu einem einzelnen, aus einem Willen handelnden Subjekt beschreibt. Zudem idealisiert der Erzbischof von Tyrus gezielt die tatsächliche Situation des Kreuzfahrerheeres. Denn darüber, daß es durchaus Uneinigkeit gab und daß mithin Entscheidungen in der Regel nicht aus einem einvernehmlichen Konsultationsprozeß hervorgingen, war Wilhelm durch seine Quelle Albert von Aachen informiert.941 Das spezifisch jerosolymitanische Bestreben zur Darstellung großer Einheit läßt sich ferner ausgerechnet bei den Berichten zum heftigsten Konflikt innerhalb des Kreuzfahrerlagers nachvollziehen. Direkt im Anschluß an die Abwehr Kerbogas brach zwischen Bohemund und Raimund von Toulouse ein Streit um die Herrschaft über Antiochia aus, der sich – glaubt man den Texten der GestaFamilie – schon bei der Frage der Kapitulation der Zitadelle erstmals eindeutig abzeichnete. Beide Kreuzzugsführer besetzten unterschiedliche Teile der Stadt und der Befestigungsanlagen mit ihren Truppen. Doch letzten Endes konnte sich Bohemund gegen seinen Rivalen durchsetzen, als er dessen Abwesenheit dazu nutzte, die provenzalischen Soldaten aus ihren Stellungen in der Stadt zu vertreiben, womit er die Kreuzzugsführer vor vollendete Tatsachen stellte und sie schließlich dazu veranlaßte, seine Herrschaft anzuerkennen. Obwohl Raimund 937 WvT VI.xvi.19. 938 WvT VI.xvi.22–24. 939 WvT VI.xvii.3. Diese sprachliche Ähnlichkeit zu Bartolf von Nangis wirft die Frage auf, ob Wilhelm von Tyrus vielleicht neben dem Originaltext der Historia Hierosolymitana Fulchers von Chartres auch Bartolfs von diesem abhängige Version zur Verfügung stand. Wilhelms andere wichtige Quelle – die Historia Ierosolimitana Alberts von Aachen – nämlich streicht zwar im hier besprochenen Kontext auch die Einmütigkeit der Kreuzfahrer heraus (AvA IV.xlviii), faßt sich dabei aber sehr viel kürzer und gebraucht vor allem nicht die auffällige Formulierung quasi vir unus. 940 Vgl. zu dieser – allerdings nicht speziell auf Wilhelm von Tyrus oder diese Passage bezogenen – Position Purkis, Crusading Spirituality, 47ff. 941 Vgl. AvA IV.xlvii.

Antiochia

223

sich dem gen Jerusalem weiterziehenden Heer anschloß, sollte er seine Feindschaft gegen Bohemund fortführen und später auf Seiten der Byzantiner in den Krieg um Latakia eingreifen.942 Die antiochenischen Quellen und insbesondere die Gesta Tancredi setzen sich mit dem Streit um Antiochia offensiv auseinander und verwenden ihn zur Legitimation der normannischen Herrschaft in Nordsyrien, während der aus provenzalischer Perspektive schreibende Raimund von Aguilers die Auseinandersetzung ebenfalls behandelt und in entgegengesetzter Weise instrumentalisiert.943 Auch die abendländischen Historiographen lassen an der Tatsache, daß es ein Zerwürfnis zwischen Normannen und Provenzalen in der antiochenischen Frage gab, keine Zweifel aufkommen.944 Können die meisten jerosolymitanischen Autoren den Konflikt auch nicht komplett verschweigen, so bemühen sie sich doch eindeutig, ihn zu verharmlosen. Fulcher und – basierend auf ihm der Autor der Historia Nicæna – beschränkt sich auf eine schlichte, sich jeder Wertung enthaltende Zusammenfassung der Fakten in drei knappen Sätzen, um dann durch die Feststellung, daß Raimund iuncto sibi Tancredo945 den Marsch nach Jerusalem fortgesetzt habe, den falschen Eindruck wiederhergestellter Harmonie im Heer und sogar zwischen Provenzalen und Normannen zu erwecken. Wilhelm von Tyrus wiederum weist zwar auf eine Meinungsverschiedenheit hin, betont aber, daß die Entscheidung zur Übergabe der Stadt an Bohemund wiederum omnes unanimiter946 gefällt hätten. Bartolf von Nangis hingegen unterschlägt die Auseinandersetzung volkommen und greift gar mit Hinweisen auf die siegbringenden Verdienste Bohemunds die Argumentation des neuen Fürsten auf, wenn er formuliert: Tunc de communi assensu et consilio civitas Antiochena et principatus regni Boamundo traditus est et concessus, utpote viro cujus industria et ingenio urbs ipsa capta fuerat.947

Mit der Vertreibung der provenzalischen Truppen aus den Befestigungsanlagen in Antiochia und dem Weiterzug des Heeres nach Süden im Januar 1099 begann eine neue Phase des Kreuzzuges und der ethnogenetischen Prozesse im Orient, der sich – zumindest für die Neuankömmlinge aus dem Westen – allmählich zum lateinischen Orient zu entwickeln begann. Mehr als drei Jahre waren zu diesem Zeitpunkt seit dem Konzil von Clermont vergangen. In dieser Zeit war der Kreuzzug bis ins nördliche Syrien vorgedrungen und hatte bereits zur Errichtung zweier neuer lateinischer Herrschaften in Edessa unter Balduin von Boulogne und nun unter Bohemund in Antiochia geführt. Die Eigenheit der anti942 943 944 945 946 947

Vgl. Asbridge, Creation, 34–42. Vgl. RvA XVIII. Vgl. AvA V.i–ii; BvD III.xxiii; GvN VI. xix. FvC I.xxv.5. Vgl. HNvA LVIII. WvT VI.xxiii.43. BvN XXV.

224

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

ochenischen Historiographie besteht darin, daß sie von Beginn an eine partikularistische Stoßrichtung aufweist, welche trotz der Beachtung von Konventionen der Kreuzzugshistoriographie stets primär auf die Normannen und Antiochia ausgerichtet ist. Mit der erfolgten und erfolgreichen Staatsgründung nimmt daher das Interesse am weiteren Verlauf des Kreuzzuges ab.

c.

Antiochi[a] horribilis oder anhelata Antiochia? – Sehnsuchts- oder Etappenziel

Ein großes Interesse an Antiochia ist gewiß kein Alleinstellungsmerkmal der antiochenischen Historiographie. Wilhelm von Tyrus widmet der Beschreibung der Stadt am Orontes sogar mehr Aufmerksamkeit als die Texte der GestaFamilie oder Radulf von Caen. Ausführlich beschreibt er die Metropole und erläutert ihre prestigeträchtige Geschichte.948 Zweifellos manifestiert sich hier jenes schon in der Analyse der ethnischen Terminologie beobachtete Bewußtsein einer Gemeinsamkeit auch mit den nicht-jerosolymitanischen Orientlateinern. Andererseits muß jedoch betont werden, daß sein Lob auf Antiochia formelhaft bleibt und sein enzyklopädisches Interesse vermutlich stärker spiegelt als eine besondere Beziehung zur nordsyrischen Metropole.949 In der früheren jerosolymitanischen Überlieferung ebenso wie in den abendländischen Texten hingegen erscheint Antiochia trotz gelegentlicher Würdigungen der Stadt in erster Linie in einer anderen Funktion – als ein Hindernis, welches es auf dem Weg nach Jerusalem zu überwinden gilt. Während der den Text Roberts des Mönchs und damit indirekt die Gesta Francorum verarbeitende anonyme Autor der Historia Nicæna die ausführliche Würdigung Antiochias bewahrt,950 beschränkt sich Fulcher von Chartres auf kurze Hinweise zur Geschichte der Stadt.951 Vor allem gilt seine Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit Antiochia den Verteidigungsanlagen sowie der – aus Perspektive der Verteidiger – günstigen strategischen Lage. Die Stadt am Orontes soll vor allem als eigentlich uneinnehmbar dargestellt werden, um somit die spätere Eroberung als besonders großen Triumph erscheinen zu lassen.952 Bartolf von Nangis beschränkt seine positiven Bemerkungen zu Antiochia auf die Feststellung, daß die Stadt in einer fruchtbaren und für den Handel günstigen Position gelegen ist, konzen948 Vgl. WvT IV–ix-x. 949 Zur Formelhaftigkeit von Wilhelms Städtebeschreibungen vgl. Giese, ›Stadt- und Herrscherbeschreibungen‹, 383–396. 950 Vgl. HNvA XXXI; RdM VIII.iii. Die Historia Nicæna jedoch übernehmen nur eine der beiden Preispassagen. 951 Vgl. FvC I.xv.1–3. 952 Vgl. FvC I.xv.5.

Antiochia

225

triert sich aber ebenfalls vor allem auf Beschreibungen der Verteidigungsanlagen der civitas magna, atque murorum ambitu immensa, situ forti et muro valida, et turribus munita.953 Albert von Aachen bezeichnet die Stadt zwar zunächst als mirifica,954 um dann jedoch sogleich die starken Mauern in den Blick zu nehmen und das Attribut mirifica durch horribilis955 zu ersetzen.956 Ganz anders ist der Befund in den antiochenischen Texten. Auf die besondere Hervorhebung der Hauptstadt des Fürstentums in der antiochenischen Historiographie im Hinblick auf den Aufbau der Texte ist schon eingegangen worden. Allerdings genießt Antiochia nicht nur quantitativ einen größeren Stellenwert als Jerusalem – auch qualitativ gibt es große Diskrepanzen zwischen den Positionen, welche den beiden Städten eingeräumt werden.957 Schon die Annäherung der Kreuzfahrer an Antiochia wird als wichtiges Ereignis inszeniert. Nach dem beschwerlichen Marsch durch Kleinasien und Kilikien stellt sich den Kreuzfahrern in Gestalt des Aladag˘lar-Gebirges eine letzte Hürde in den Weg. Die Gesta Francorum und Tudebodus gestalten ihre Berichte zu diesem Abschnitt des Zuges äußerst dramatisch und charakterisieren das Gebirge geradezu als einen anthropomorphisierten Gegner – als diabolic[a] montan[a] und exsecrata montana.958 Nach der Überwindung dieser Prüfung, die bezeichnenderweise von den abendländischen Bearbeitern des Gesta-Stoffes zumeist gestrichen wurde,959 harrt man bei der Stadt Marasch960 aus und zieht zunächst nicht weiter. Erst nach dem Eintreffen Bohemunds, der hier als einziger Anführer namentlich in Erscheinung tritt, setzt man den Weg fort und gelangt schließlich in die Gegend von Antiochia:961 Venerunt itaque nostri milites in uallem, in qua regalis ciuitas Antiochia, quæ est caput totius Syriæ, quamque dominus Iesus Christus tradidit beato Petro apostolorum prin953 954 955 956 957

958 959

960 961

BvN XI. AvA III.xxxii. AvA III.xxxvii. Siehe auch RvA V. Daß die Gesta Francorum einen Schwerpunkt auf Antiochia setzen, ist schon zuvor beobachtet worden. Allerdings hat man hierin bislang vor allem eine Akzentuierung Bohemunds erkannt, die ethnohistorische Bedeutung dieser Gewichtung jedoch vernachlässigt. Vgl. Oehler, ›Studien‹, 91ff. GF IV.xi. Vgl. PT 62. Vgl. BvD II.vii; GvN IV.ii; RvAV. Übernommen hat die Episode der auch sonst nahe an den Ur-Gesta stehende anonyme Autor der Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum (vgl. HAI xxxii), während Robert der Mönch lediglich die Beschreibung der Gefahren im Gebirge beibehält, die Benennung des Berges jedoch entfallen läßt (vgl. RdM III.xxviii). Das heutige Kahramanmaras¸. Vgl. GF IV.xi; PT 62. Wiederum wird das Abwarten des Eintreffens Bohemunds teilweise gestrichen (vgl. BvD II.viii; RdM III.xxviii; RvAV) und lediglich übernommen in GvN IV.ii u. HAI XXXII.

226

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

cipi, quatinus eam ad cultum sanctae fidei reuocaret; qui uiuit et regnat cum Deo Patre in unitate Spiritus Sancti Deus, per omnia secula seculorum. Amen.962

Diese eindrucksvolle Beschreibung des Eintreffens vor Antiochia ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zuerst muß darauf hingewiesen werden, daß sie sich im Text unmittelbar an das Warten auf Bohemund anschließt. Marasch allerdings liegt in Luftlinie 170 Kilometer von Antiochia entfernt. Trotz der beachtlichen Gewaltmärsche, welche die Kreuzfahrer offenbar einlegten, benötigten sie ganze vier Tage bis sie die etwa zwölf Kilometer nordöstlich von Antiochia gelegene Eiserne Brücke über den Orontes erreichten.963 Auch die Tatsache, daß die Kreuzfahrer in Marasch mehrere Tage auf Bohemund warteten, vermittelt der Text nicht. Die resultierende ungewöhnlich starke Komprimierung läßt drei wichtige Ereignisse – die Überwindung des teuflischen Berges, das Aussetzen des Weitermarschs bis zum Eintreffen Bohemunds in Marasch und schließlich die Ankunft vor Antiochia – zu einem einzigen narrativen Element verschmelzen, welches erst durch diese Verbindung seine Wirkung im Text voll entfalten kann. Vor dem Auge des Lesers oder Zuhörers entfaltet sich durch diese komprimierte Präsentation, die beinahe an cineastische Techniken erinnert, ein eindrucksvolles Bild: Das Heer überwindet die diabolischen Berggipfel, wartet nach dem Überschreiten des Scheitelpunktes auf seinen Anführer Bohemund und steigt erst in Begleitung des zukünftigen Staatsgründers – Antiochia schon fest im Blick – in das fruchtbare Tal des Orontes hinab. Erst durch diese manipulierte Darstellung der realen geographischen und zeitlichen Verhältnisse wird eine Zeitspanne von beinahe zwei Wochen Dauer zu einem kompakten liminalen Moment der antiochenischen Ethnogenese erhoben. Das Hinabsteigen Bohemunds in das Tal des Orontes wird als heroischer Moment der Landnahme inszeniert. Am Ende dieses Momentes steht ein erstes Städtelob für das – freilich nur im Hinblick auf seine seleukidische Vergangenheit tatsächlich – königliche964 Antiochia. Wiederum scheint hier die vom Anonymus betriebene göttliche Legitimation der Unternehmung der Normannen auf, wenn die Hauptstadt ihrer neuen Heimat als besonderes Zentrum des frühen Christentums vorgestellt wird, welches Christus selbst dem Apostelfürsten Petrus übergeben habe. Antiochia erscheint somit als das wahre Ziel der Wanderung des normannischen Volkes, als das gelobte Land, in welches es von Bohemund und Tankred geführt wird. Hier wird – einige Jahre nach dem Kreuzzug – die neue Heimat der Normannen und jener, die sich ihnen angeschlossen hatten, gepriesen und über die anderen Kreuzfahrerstaaten und eben sogar über Jerusalem erhoben. Insbe962 GF IV.xi; Vgl. PT 62f. 963 Vgl. Asbridge, First Crusade, 148f. 964 Siehe auch GF IX.xxi.

Antiochia

227

sondere die Rolle Antiochias als frühes und wichtiges Zentrum der Christenheit nutzt der Anonymus, um das besondere Prestige der Metropole am Orontes herauszustellen. Auch sei darauf verwiesen, daß es wohl abermals kein Zufall ist, daß sich auch diese ethnohistorisch äußerst bedeutsame Passage wiederum herausgehoben am Ende eines Buches befindet und mit einer doxologischen Formel abgeschlossen wird, welche das Gewicht der nordsyrischen Metropole zusätzlich unterstreicht.965 Zudem ist dies nicht die einzige und nicht einmal die eindrucksvollste Stelle dieser Art. Im Anschluß an den Streit um die Herrschaft über Nordsyrien zwischen Bohemund und Raimund von Toulouse erfolgt in den Gesta Francorum und in der Historia des Tudebodus eine weitere, längere und euphorischere Beschreibung Antiochias. Auch auf die Geschichte der Stadt am Orontes wird dabei ausführlicher eingegangen: Status Urbis. Haec urbs Antiochia scilicet ualde est pulchra et honorabilis, quia infra muros eius sunt quatuor montaneae maximae et nimis altae. In altiori quoque et castellum aedificatum mirabile, et nimis forte. De deorsum est ciuitas honorabilis et conueniens, omnibusque ornata honoribus, quoniam multae ecclesiae sunt in ea aedificatae. Tercenta et sexaginta monasteria in se continet. Sub suo iugo continet patriarcha centum quinquaginta tres episcopos. Clauditur ciuitas duobus muris. Maior quoque ualde est altus et mirabiliter latus, magnisque lapidibus compositus; in quo sunt ordinatae quater centum et quinquaginta turres; modisque omnibus est ciuitas formosa. Ab oriente, clauditur quatuor magnis montaneis. Ab occidente, secus muros urbis fluit quoddam flumen, cui nomen Farfar. Quae ciuitas magnae auctoritatis est. Nam eam prius septuaginta quinque reges constituerunt, quorum fuit caput Antiochus rex, a quo dicitur Antiochia.966

Hier wird ganz offensichtlich nicht einfach nur ein Etappenziel auf dem Weg nach Jerusalem beschrieben, sondern vielmehr die neue Heimat der lateinischen 965 Daß eine solche sehr weitgehende Würdigung Antiochias nicht selbstverständlich war, läßt sich auch an einer Variation der Passage in einer heute in Cambridge liegenden Handschrift der Gesta nachweisen, die weder Hagenmeyer noch Hill bei ihren Editionen berücksichtigt haben: Vener[un]t itaq[ue] milites n[ost]ri ubi antiochia sita e[st]. Q[uae] d[omi]n[u]s n[oste]r ih[esu]s xr[istu]s tradidit beato petro ap[osto]lorum principi. Q[ua]tin[us] ad cultu[m] s[an]c[t]e fidei eam reuocaret. Q[ui] uiuit [et]. Die stark überhöhte Darstellung Antiochias wird gekürzt, und die Hervorhebung auch der weltlichen Würde der Stadt fällt der Streichung ebenso zum Opfer wie Teile der doxologischen Formel. Vgl. Cambridge Corpus Christi College MS 281, f 142v-143r. Hagenmeyer datiert diese Handschrift fälschlicherweise in das 14. Jahrhundert. Vgl. GF-Hg, 92f. Siehe dagegen die Handschriftenbeschreibung in James, Montague Rhodes, Descriptive Catalogue of the Manuscripts in the Library of Corpus Christi College Cambridge, Cambridge 1912, 2:281. Tatsächlich datiert James jenen Teil der Handschrift, der die Gesta enthält, auf das 12. Jahrhundert. 966 GF X.xxxii. Vgl. PT 119. Übernommen in BvD III.xxiv ; GvN VI.xvi; HAI XXXIV; HNvA XXXI; RdM VIII.iii. Die Passage in der Historia Nicæna ist direkt aus dem Text Roberts des Mönchs entnommen.

228

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Antiochener gepriesen und das besondere Prestige Antiochias herausgestellt. Dies erinnert durchaus an die Beschreibung eines gelobten Landes, welches den Neuantiochenern präsentiert wird. Die Stadt am Orontes erscheint nicht nur als groß, prächtig und stark, sondern als ein Zentrum des Christentums mit einer einflußreichen Metropolitankirche. Die lateinischen Antiochener hatten den griechischen Patriarchen Johannes V. Oxeites 1100 zur Abdankung gezwungen, und in der Folge entwickelte sich das nun lateinische Patriarchat für den Kreuzfahrerstaat und auch für dessen säkulare Administration zu einer Institution von größter Bedeutung.967 In der zitierten Passage wird die Autorität dieser Institution betont und somit die Rolle Antiochias für die Christenheit insgesamt hervorgehoben. Auch die weltliche Autorität Antiochias und die Anciennität des Vormachtsanspruches der Stadt werden herausgestellt. In diesem Zusammenhang wird das Fürstentum zudem in einer längeren historischen Kontinuität verortet; der Anonymus präsentiert eine würdige Tradition, in welcher sich die Neuantiochener und ihr Fürst als neue Herren Nordsyriens einordnen konnten. Die spezifisch antiochenische Bedeutung dieser Passage läßt sich abermals daran ablesen, daß die nicht-antiochenischen Bearbeiter des Gesta-Stoffes das Lob auf Antiochia mitunter gekürzt oder ganz gestrichen haben.968 Guibert von Nogent übernimmt zwar den Grundtenor der Passage, schließt aber sogleich einen Hinweis darauf an, daß das Heer zum Aufbruch nach Jerusalem gedrängt habe, und stellt somit heraus, daß Antiochia nur als Schritt auf dem Weg nach Jerusalem zu betrachten sei.969 In den Ur-Gesta folgte auf dieses Städtelob zudem noch eine in der Historia des Tudebodus erhaltene Liste der fünfundsiebzig legendären Könige, die in der Vergangenheit angeblich über Antiochia geherrscht hätten. Diese Anknüpfung an die ehrwürdige Tradition Antiochias erinnert an klassische Origines Gentium und ihre Bezugnahme auf biblische oder antike Wurzeln wie etwa den Trojamythos.970 Beim Studium der Gesta Tancredi könnte sich zunächst der Eindruck einstellen, daß Jerusalem eine wichtigere Position einnimmt als Antiochia, daß also der Text zwar einerseits von einem hohen Grad an Stolz auf die Normannitas geprägt ist, sich dieser aber nicht mit der neuen Heimat der Normannen in Nordsyrien verbindet. So gibt es in dieser Hinsicht einige gravierende Unterschiede zu den Gesta Francorum. Tatsächlich scheint eine Passage, welche die Situation nach der Eroberung des Ortes Marra im Dezember 1098 beschreibt, auf den ersten Blick jeder Argumentation für ein Interesse Radulfs an einer an 967 968 969 970

Vgl. Asbridge, Creation, 95–207. Vgl. HAI XXXIV. Raimund von Aguilers läßt das Lob ganz entfallen. Vgl. GvN VI.xiv. Vgl. Plassmann, Origo, 360f.

Antiochia

229

Antiochia gebundenen Ethnie den Boden zu entziehen. Radulf schreibt dort über Tankred: At Marchisides, alter Julius, nil actum credens, dum quid superesset agendum; causam itineris Jerusalem esse commemorat, et per Antiochiam fuisse peregrinandum, non pro Antiochia peregrinatum.971

Auch an anderen Stellen wird ein vom Anonymus wie auch von Tudebodus nicht bekannter Fokus auf Jerusalem in den Gesta Tancredi deutlich. Sind also die Gesta Tancredi auf Jerusalem fokussiert und messen Antiochia lediglich die Rolle eines Etappenziels auf dem Kreuzzug bei? Es gibt hinreichend Anzeichen, daß dies nicht der Fall ist. Unterzieht man nämlich jene Stellen einer genaueren Betrachtung, welche sich mit Antiochia befassen, entsteht sehr wohl der Eindruck einer besonderen Beziehung zu Stadt und Fürstentum. Die Stadt am Orontes wird etwa gleich zu Beginn der Belagerung als das lang ersehnte Antiochia begrüßt – anhelat[a] Antiochi[a].972 Die Nobilität der neuen Hauptstadt des Fürstentums hebt Radulf ferner durch einen expliziten Vergleich der Metropole mit Troja anläßlich seiner Ausführungen zu Bohemunds endgültigem Triumph in der Auseinandersetzung mit Raimund von Toulouse um die Herrschaft über Antiochia hervor. Tankred hat laut Radulf in dem Konflikt die Wendung gebracht, indem er dem Provenzalen die Zitadelle entriß:973 melius ipsa ad Wiscardi monet artes recurrere, per quas orbi gloriosus innotuit. […] Ultus itaque qua licuit Raimundum Tancredus, potentiorem astutior, corpori caput abscissum restituit, dum Trojæ suæ Ilium Boamundo reddit. Boamundus enim, dum adhuc expers, suspiceret oppidum, adeo ipse sibi mutibus videbatur, ut semiprincipem se, non principem diceret, Raimundumque collegam suam in principatu Antiochiæ nominaret.974

Zwar ist die Antikenanalogie hier nicht ganz konsequent. Antiochia als neue Heimat der Normannen hatte sein Pendant eher in Rom als in Troja, da letzteres 971 RvC XCVI. 972 RvC XLVIII. 973 Asbridge weist darauf hin, daß alle anderen Belege dagegen sprechen, daß Raimund von Toulouse jemals die Zitadelle gehalten habe. Unkenntnis ist Radulf hier wohl aufgrund seiner Nähe zu Tankred nicht zu unterstellen, so daß er die Abläufe vermutlich bewußt verfälscht, um eine dramatischere Wirkung zu erzielen, Tankred eine wichtige Funktion zuzuweisen und eine deutlichere Analogie zum Trojavergleich herzustellen. Vgl. Asbridge, Creation, 130. 974 RvC XCVIII. Asbridge mißversteht diese Passage, wenn er sie so interpretiert, daß Radulf Bohemund hier angeblich im Hinblick auf seine gesamte Herrschaft als »half-prince but never a prince« (Asbridge, Creation, 130) bezeichne. Radulfs Worte beziehen sich ganz offensichtlich nur auf die Zeit, in der die Herrschaft über Antiochia zwischen Normannen und Provenzalen umstritten war.

230

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

schließlich der Ausgangspunkt der Wanderung des Aeneas war, nicht ihr Ziel. Dennoch spricht die Gleichsetzung von Troja und Antiochia in den Gesta Tancredi für eine besondere Beziehung Radulfs und der Normannen zu Antiochia. Durch den Trojavergleich wird zudem schon die Opposition von Stadt und Fürstentum gegenüber den Byzantinern vorweggenommen. Daß zudem auch in dieser Passage einmal mehr die Berufung auf die guiscardische Tradition eingeflochten wird, spricht zusätzlich für eine ethnohistorische Interpretation dieser Worte. Radulf greift in ähnlicher Weise immer wieder auf seine klassische Bildung zurück, um die Normannen und ihre Staatengründung in Nordsyrien zu würdigen. Diese Antikenverweise sind überwiegend allgemeinerer Natur, bezogen etwa auf Götter wie Bacchus975 oder Neptun.976 Radulf benutzt bei seinem Bericht über die Taten Tankreds und der anderen Kreuzfahrer immer wieder die Antike als Referenzpunkt und kleidet den Kreuzzug und besonders den Beitrag Tankreds und der Normannen »in antikes Gewand«,977 wobei er natürlich diese »Reminiszenzen aus der römischen Mythologie« zumeist im Sinne des Kreuzzuges »mit dem Lobpreis christlicher Tapferkeit […] verschmilzt«.978 Mitunter tritt dann sogar – und das unterscheidet Radulf von anderen Kreuzzugshistoriographen – die christliche Komponente seiner Erzählung in den Hintergrund und wird durch Elemente der Antikenrezeption »überwuchert«.979 Mit diesem kreativen Einsatz antiker Anspielungen verleiht Radulf seinem Helden Tankred und den Normannen auf dem Ersten Kreuzzug eine herausragende Position und eine Legitimität, welche sich aus der besonders prestigeträchtigen Tradition der Antike speist. Ein genauerer Blick auf die Auswahl der Bezugspunkte zur Antike in den Gesta Tancredi zeigt, daß Radulfs Antikenrezeption bevorzugt solche Elemente aufgreift, die sich besonders gut in einen ethnogenetischen Kontext einfügen und eng mit Merkmalen der Origines Gentium verbunden sind. Im Zentrum stehen dabei der große Komplex des Troja-Mythos und dessen Verarbeitung durch Vergil in der Aeneis. Es sind die Figuren der Aeneis und besonders die Helden des trojanischen Krieges, welche Radulf als Referenzpunkte dienen, wenn er die Taten der Kreuzfahrer und besonders der Normannen unter Bohemund und Tankred beschreibt. Immer wieder finden sich inhaltliche Anspielungen auf die Aeneis – etwa durch Verweise auf Helden wie Hektor980 – oder

975 976 977 978 979 980

Vgl. RvC XL. Vgl. RvC XCIII. Boehm, ›Gesta Tancredi‹, 53. Ibid., 54. Ibid., 54. Vgl. RvC CXXVIII.

Antiochia

231

gar durch wortwörtliche Übernahme aus dem Text Vergils.981 Besonders eindrucksvoll sind diese Vergilbezüge immer dann, wenn sie dazu dienen, Normannen auf dem Ersten Kreuzzug direkt als neue Verkörperungen der Helden des trojanischen Krieges darzustellen.982 Auch die Heimat der süditalienischen Normannen wird mit Begriffen aus der Aeneis beschrieben, wenn etwa deren Herrschaft über das Volk Japix983 erwähnt wird. Japix dürfte auf das Volk der Iapygier verweisen, die in der Iapygien benannten Landschaft in Süditalien ansässig waren, die auch schon zu Radulfs Zeit eigentlich eher als Apulien bekannt war.984 Der legendäre Gründer Iapygiens war der aus der Aeneis bekannte Iapis (oder auch Japyx),985 bei dem es sich um einen von Apollo besonders bevorzugten Trojaner handelt, der dem schwer verwundeten Aeneas durch seine Heilkunst das Leben rettete.986 Gewiß war die Vergilrezeption im Mittelalter von großer Bedeutung und auch die Anknüpfung insbesondere an den Troja-Mythos durch Origines Gentium war durchaus üblich. Die Gesta Tancredi sind also in dieser Beziehung sicherlich keine singuläre Erscheinung.987 Radulfs Bezugnahme auf die Aeneis verdeutlicht aber doch, daß er – ähnlich wie etwa sein normannischer Vorgänger Dudo von St. Quentin988 – die Geschichte des Auszuges einer kleinen und göttlich legitimierten Gruppe aus ihrer alten und ihr Seßhaftwerden in einer neuen Heimat in der Erzählung Vergils als idealen Referenzpunkt für die Beschreibung der Taten der Normannen sah. Ferner mußte sich die Anknüpfung an die Trojaner für Radulf noch stärker aufdrängen als für Dudo, da die Normannen sowohl in Süditalien als auch in Nordsyrien direkt mit den Griechen konfrontiert waren. Die häufigen Verweise auf die Aeneis tragen somit zusätzlich zur insgesamt graecophoben Prägung der Gesta Tancredi bei. So läßt sich konstatieren, daß eine solch starke Anknüpfung an die Aeneis eine sehr gute Möglichkeit war, den Kreuzzug und insbesondere die Taten der Normannen zu mythisieren und – wie im zuvor zitierten Beispiel – trotz gewisser Analogiebrüche gleichzeitig Antiochia als neues Troja erscheinen zu lassen. Daß Antiochia nicht einfach ein Ort war, zu dem die Normannen in Nord981 Vgl. RvC LXXI. ostendent terris hunc tantum fata nec ultra, / esse sinent. (Vgl.: Vergil, Aeneis, VI.869f). 982 Vgl. z. B. RvC XXVI, LII. 983 RvC LXXIX. 984 Vgl. Juliis, Ettore M. de, Gli iapigi. Storia e civilt— della Puglia preromana, (= Archeologia; 8), Mailand 1988, passim; Lombardo, Mario, Art. ›Iapyges, Iapygia‹, in: NP 5:862–864. 985 Vgl. Zingg, Reto, Art. ›Iapis‹, in: NP 5:861–862. 986 Vgl. Vergil, Aeneis, XII.391–430. Für den Hinweis auf diesen Hintergrund des bislang mit Bezug auf die Gesta Tancredi nicht identifizierten Japix danke ich Dr. Christian Popp aus Göttingen. 987 Zur Vergilrezeption vgl. Plassmann, Origo, 361. 988 Vgl. Albu, Normans, 12; Plassmann, Origo, 251f.

232

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

syrien eine besondere Beziehung hatten, sondern daß tatsächlich eine an Antiochia gebundene, normannisch geprägte ethnische Gruppe entstand, wird auch an anderen Stellen der Gesta Tancredi deutlich. So stellt Radulf anläßlich der Gefangennahme Bohemunds durch türkische Truppen Malik-Ghazis im August 1100 Antiochia erstmals als eine politische Einheit dar, deren (lateinische) Bevölkerung unter der Abwesenheit ihres Fürsten zu leiden hatte. Dadurch wird auch die Verbundenheit zwischen lateinischen Antiochenern und ihrem normannischen Herrscher deutlich: de cujus [Boamundi] post captione Antiochia misera facta ita manebat, ut non esset qui adjuvaret eam neque consolaretur.989 Die an Antiochia gebundene Identität der Antiochener beruht bei Radulf maßgeblich auf der Feindschaft mit den Griechen und ihren provenzalischen Verbündeten unter Raimund von Toulouse: Antiochia tam huic, quam illi inimica.990 Hier taucht Antiochia als personifizierte Verkörperung seiner lateinischen Einwohner auf, wodurch Assoziationen mit den anthropomorphen Allegorien auf Nationalstaaten wie Britannia oder Germania geweckt werden. Das stärkste Zeichen der Identifikation mit Antiochia findet sich allerdings ganz zum Ende der Gesta Tancredi. Radulf läßt dort zunächst Tankred darüber klagen, daß sein Onkel Bohemund ihn und Antiochia in schwerer Situation im Stich gelassen habe, als er im Herbst 1104 nach Westeuropa zurückkehrte.991 Tankreds endgültige Herrschaftsübernahme wird dagegen euphorisch gefeiert. So berichtet Radulf, daß nach einer schwierigen Zeit von vierzig Tagen, in denen es um Antiochia schlecht bestellt gewesen sei, plötzlich ein großer Vorrat Getreide in die Stadt gekommen sei. Die Herkunft der Lebensmittel bleibt unerklärt, und Radulf nennt sogar ein weiteres wundersameres Ereignis. So sei zur gleichen Zeit ein Regen aus Gold auf die Stadt niedergegangen. Schließlich habe Tankred auf Anraten eines seiner Untertanen eine Steuer auf das Vermögen einiger besonders reicher Einwohner Antiochias erlassen, um die Notlage des Fürstentums zu lindern. Tankred habe nicht gezögert, sondern sogleich das Heer gestärkt, um Antiochia zu verteidigen. Radulf kommentiert dies mit den pathetischen Worten: Exinde prostrata resurgere cœpit Antiochia; et de territa fore terribilis.992 Unüberhörbar sind die starken religiösen Untertöne dieses Kapitels zu vernehmen. Nach symbolischen vierzig Tagen, die auf den Aufenthalt Jesu in der Wüste993 verweisen, beendet das erneut als Verkörperung der lateinischen Antiochener aufzufassende Antiochia seine Leidensphase und erlebt eine von Wundern begleitete Auferstehung. Die Interpretation dieser Leidenszeit als eine Parallele der vierzig Tage Jesu in 989 990 991 992 993

RvC CXLI. RvC CXLV. Vgl. RvC CLIII. RvC CLIV. Vgl. Mt 4:1–11; Mc 1:12–13; Lc 4:1–13.

Antiochia

233

der Wüste bestätigt sich auch in anderer Hinsicht. Im dieser Passage unmittelbar vorangegangenen Kapitel berichtet Radulf, daß Tankred nach der Abreise Bohemunds mit seinem Volk gehungert und gedürstet habe. Als man ihm Wein anbot, habe er erklärt: Sinite me […] cum abstinentibus abstinere: fixum fixi de genimine vitis nolle accipere, donec omnibus sufficiam dare; absit ego crapula distendar, commilitones mei inedia marcescant.994 Sowohl das aus dem biblischen Bericht bekannte Fasten als auch die Versuchung – hier nicht durch den Teufel, sondern nur durch den Wein – findet sich also in Bezug auf Tankred wieder, der damit implizit, aber eindeutig mit Christus verglichen wird. Doch die Gleichsetzung Tankreds mit Christus ist in diesem Zitat auch noch direkter zu verzeichnen. Radulf legt Tankred hier Worte in den Mund, welche jenen sehr ähnlich sind, die von Christus im Matthäusevangelium beim Letzten Abendmahl gesprochen werden, als er den Jüngern verkündet, nicht mehr von der Frucht des Rebstocks trinken zu wollen, bis er wieder mit ihnen im Himmelreich vereint sei.995 Die religiös-mythische Übersteigerung Tankreds erreicht in dieser Apotheose des Normannenführers ihren Höhepunkt. So verbindet sich die herausragende Position Tankreds als religiös-mythisch – im wahrsten Sinne des Wortes – verherrlichte Identifikationsfigur der Antiochener mit der wohl stärksten Äußerung eines antiochenischen Patriotismus in den Gesta Tancredi. Die Stadt Antiochia, ihre lateinischen Einwohner und ihr als christusgleich dargestellter Herrscher werden – immer verbunden mit der Opposition gegen ihre byzantinischen Erbfeinde – gemeinsam in den von der Normannitas geprägten ethnischen Mythos der Antiochener gewoben.

d.

Ein Denkmal für Bohemund und die antiochenische Ethnogenese

In der Stadt Canosa di Puglia steht ein steinernes Zeugnis, das viele Elemente der von den mediterranen Normannen geprägten, antiochenischen Ethnogenese in sich vereinigt. Angeschlossen an das Querhaus der nach dem Vorbild der Apostelkirche von Konstantinopel angelegten Kathedrale San Sabino befindet sich das zwischen 1118 und 1120 erbaute Mausoleum Bohemunds, in dem der Fürst seine letzte Ruhe fand, nachdem er im Jahre 1111 in Europa verstorben war, ohne jemals nach Antiochia zurückgekehrt zu sein. Ebenso wie die Kirche, an der das Mausoleum errichtet wurde, folgt auch das Grab byzantinischen Vorbildern.996 Die Inschrift über den Tympana an der Außenseite lautet: 994 RvC CLIII. 995 Mt 26:29. [D]ico autem vobis non bibam amodo de hoc genimine vitis usque in in diem illum cum illud bibam vobiscum novum in regno Patris mei. 996 Vgl. Delle Donne, Fulvio, ›Le Iscrizioni de Mausoleo de Boemondo d’Altavilla a Canosa‹, in:

234

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Magnanimus Sirie iacet hoc sub tegmine princeps, quo nullus melior nascetur in orbe deinceps. Grecia victa quater, pars maxima Partia mundi ingenium et vires sensere diu Buamundi. Hic acie in dena vicit virtutis abena agmina millena, quod et urbs sapit Anthiocena.997

Bohemund selbst hatte vermutlich nicht beabsichtigt, in Italien beigesetzt zu werden, hatte seine nordsyrischen Ambitionen vermutlich auch nach der Niederlage von Dyrrhachion und dem demütigenden Vertrag von Devol im Jahre 1108 nie aufgegeben.998 Die Ausführung des Grabmals und der Text der Inschrift sind daher wohl nicht direkt auf Bohemund selbst, sondern auf seine Witwe Konstanze oder andere Angehörige seines engeren Umfelds zurückzuführen. Dennoch reflektieren die zitierten Worte zweifellos die Perspektive, aus welcher Bohemund und seine Parteigänger auf dessen Lebensleistung und insbesondere auf seine Beteiligung am ersten Kreuzzug blickten. Bohemund hat in den Worten der Inschrift keine Verbindung mehr zu Europa. Losgelöst von seinen apulischen Wurzeln ist er allein der princeps Sirie. Sein Triumph ist ferner gemäß des Epitaphs nicht darin zu erkennen, daß er am ersten Kreuzzug teilgenommen und den Weg zur Eroberung Jerusalems freigekämpft hatte.999 Vielmehr sind es seine Siege1000 gegen die Byzantiner, die am denkwürdigsten erscheinen. Diese sind verbunden mit seiner gegen eine überwältigende Übermacht erstrittene Staatsgründung in Nordsyrien und der Kapitale des Fürstentums – Antiochia. Wurde letztere Tat auch im Kampf gegen die Türken vollbracht, treten die einstigen muslimischen Herren Antiochias in der in Stein gemeißelten Kurz-

997 998 999

1000

Archivio Normanno-Svevo. Testi e Studi sul Mondo Euromediterraneo dei Secoli XI–XIII. III, hg. v. Centro Europeo di Studi Normanni, Ariano Irpino 2012, 7–18; Epstein, Ann Wharton, ›The Date and Significance of the Cathedral of Canosa in Apulia, South Italy‹, in: Dumbarton Oaks Papers (37; 1983), 79–90; Flori, Boh¦mond d’Antioche, 293–300; Gadolin, Anitra R., ›Prince Bohemond’s Death and Apotheosis in the Church of San Sabino, Canosa di Puglia‹, in: Byzantion (52; 1982), 124–153; McQueen, ›Normans‹, 470–474; Russo, Boemondo, 199–204; Schulz, Heinrich Wilhelm, Denkmaeler der Kunst des Mittelalters in Unteritalien, hg. v. Ferdinand von Quast, Dresden 1860, 59–62. Text der Inschrift aus: Delle Donne, ›Iscrizioni‹, 8. So argumentiert schlüssig McQueen gegen Epstein und Gadolin. Vgl. Epstein, ›Date‹; Gadolin, ›Death‹; McQueen, ›Normans‹, 470–474. Es muß daher verwundern, wenn Flori als eine der »deux id¦aux« (Flori, Boh¦mond, 293) der Anlage in Canosa den Kreuzzug erkennen will und auf die angeblich in den Inschriften betriebene Verherrlichung Bohemunds als »vainqeur des Turcs comme des Grecs« verweist (ibid., 297). Tatsächlich treten die Türken nirgendwo in Erscheinung, und der Kreuzzug wird nur indirekt durch die auf die Bronzetüren der Grabkammer geschriebenen Worte vivens studuit, pro Christo moreretur / […] militet ut celis suus hic adleta filis (Text der Inschrift aus: Delle Donne, ›Iscrizioni‹, 12) bezeichnet. Welche Siege sich genau hinter der Zahlenangabe Grecia victa quater verbergen, ist nicht klar.

Die Heilige Stadt

235

fassung der Ereignisse nicht in Erscheinung. Die Worte auf dem Grabmal stellen eindeutig Bohemund als herausragende Einzelperson in den Mittelpunkt. Nichtsdestotrotz läßt sich in der Inschrift in konzentrierter Form eine Kurzfassung der antiochenischen Ethnogenese mit den typischen Kernelementen einer Origo Gentis erkennen – der Eroberung der neuen Heimat gegen übermächtige Gegner, der Etablierung der Byzantiner als Erzfeind und der Verherrlichung des Kerns des personal-dynastischen Mythomoteurs. Daß Bohemunds Leichnam inmitten byzantinisch inspirierter Prachtarchitektur zur ewigen Ruhe gebettet wurde, setzt auch dem andauernden Spannungsverhältnis zwischen Normannen beziehungsweise Antiochenern und den Byzantinern ein Denkmal, das zwischen bereitwilliger Übernahme zivilisatorischer Errungenschaften einerseits und tiefster Verachtung andererseits changierte.

6.

Die Heilige Stadt

Am 13. Januar 1099 setzte sich ein geschrumpftes Heer von Kreuzfahrern unter Raimund von Toulouse, Tankred und Robert von der Normandie von der etwas über achtzig Kilometer südöstlich Antiochias gelegenen Festung Maarrat anNuman wieder in Bewegung und verließ nach mehr als einem Jahr Nordsyrien. Bohemund hingegen festigte in dieser Zeit seine Herrschaft über Antiochia, während Gottfried von Bouillon und Robert von Flandern ebenfalls zunächst im Norden verblieben und abwarteten. Erst eine vermutlich gezielt durch den Grafen von Toulouse lancierte Falschmeldung von einer herannahenden großen Armee aus Bagdad mobilisierte die Kontingente der Lothringer und Flamen, und Anfang März zogen sie nach Süden, so daß allein Bohemund in Nordsyrien zurückblieb, wo sich der bevorstehende Konflikt mit den Byzantinern um den Besitz des Hafens Latakia abzuzeichnen begann. So erbittert der Widerstand der Seldschuken gegen das Eindringen der Lateiner in Kleinasien und Syrien seit Sommer 1097 ausgefallen war, so wenig ernsthafte Opposition begegnete den Kreuzfahrern allerdings nun auf ihrem Weg in den Süden. Entgegen der Warnungen Raimunds von Toulouse waren die Seldschuken noch nicht wieder zu einem Gegenschlag bereit. Jerusalem selbst hatten die Türken im August 1098 an die Fatimiden verloren. Mit diesen hatten die Kreuzfahrer zuvor auf byzantinische Initiative Verhandlungen über eine Kooperation gegen die Seldschuken geführt, doch nun war der schiitische Fatimidenkalif durch seine Besetzung der Heiligen Stadt zum neuen Hauptgegner avanciert. Allerdings hielten sich die Fatimiden unter dem Wesir al-Afdal Schahanschah zurück und blieben in der Defensive. Die einzige verbliebene muslimische Gefahr zwischen Antiochia und Jerusalem ging von Damaskus aus, und dieser Bedrohung entging man durch den Marsch entlang der Küste, wo zudem italienische Schiffe die Versorgung

236

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

sicherten. Dennoch vergingen bis zum Eintreffen vor Jerusalem beinahe fünf Monate, da zunächst Raimund von Toulouse seine durch Bohemund in Nordsyrien vereitelten Ambitionen zur Errichtung einer eigenen Herrschaft in der Gegend von Tripolis wieder aufgriff, wo er ein Vierteljahr erfolglos die Stadt Arqa belagerte, bevor auf Druck der anderen Anführer und des Heeres am 13. Mai der Marsch nach Jerusalem fortgesetzt wurde.1001 Am Morgen des 7. Juni traf eine Vorhut von einhundert Rittern unter Tankred und Balduin von Bourcq1002 in Bethlehem ein und feierte die Messe in der Geburtskirche. Der größte Teil des noch etwa 1300 Ritter und 12000 Infanteristen zählenden Heeres schlug ein Lager im Norden der Stadt auf, während Raimund von Toulouse im Süden vor dem Zionstor Position bezog, was einerseits mit taktischen Erwägungen zu erklären ist, worin sich andererseits aber auch die allen Einheitsbekundungen – insbesondere der jerosolymitanischen Historiographen – entgegenstehende Realität eines tiefen Zwistes unter den Kreuzfahrern spiegelt. Für eine systematische und langfristige Belagerung wie vor Antiochia fehlte es vor allem an Zeit, da mit dem Eintreffen eines fatimidischen Entsatzheeres gerechnet werden mußte. Somit war die Notwendigkeit einer erwartungsgemäß verlustreichen Erstürmung der Stadt schnell erkannt worden. Ein erster Sturmangriff am 13. Juni scheiterte jedoch, so daß mit Hilfe genuesischer Seeleute Belagerungsmaschinen gebaut wurden. Ende der zweiten Juliwoche waren zwei Belagerungstürme fertiggestellt, mit denen – unterstützt von Steinschleudern und einer Ramme – am 14. Juli nach einer Prozession der Angriff an zwei Fronten begann. Am 15. Juli betrat Ludolf von Tournai an der Spitze der Besatzung des Belagerungsturms Gottfrieds von Bouillon die Nordmauer. Die Verteidiger gerieten in Panik, die Stadt fiel und es folgte ein Massaker an der Bevölkerung.1003 Jerusalem war erobert, die heiligen Orte erreicht, und die blutige Geburt des neuen lateinischen Staates fand eine Woche später ihren Abschluß in der Wahl Gottfrieds von Bouillon zu seinem ersten Herrscher.1004

1001 Vgl. Asbridge, First Crusade, 276–296; Mayer, Kreuzzüge, 75f. 1002 Von Epp fälschlicherweise als Balduin von Boulogne identifiziert. Vgl. Epp, Fulcher von Chartres, 40; FvC, 278, Anm. 50; Runciman, Steven, ›The First Crusade: Antioch to Ascalon‹, A History of the Crusades. Volume I. The First Hundred Years, hg. v. Kenneth M. Setton u. Marshall W. Baldwin, Madison 1969, 308–341, 332. Für die Identifikation des von Fulcher in der Tat nur unspezifisch als Balduinus (FvC I.xxv.14) bezeichneten zweiten Anführers der Expedition nach Bethlehem als Balduin von Bourcq spricht die unmißverständliche Benennung als Balduinus de Burgo durch Bartolf von Nangis (BvN XXIX). 1003 Vgl. Asbridge, First Crusade, 296–98; Elm, Kaspar, ›Die Eroberung Jerusalems im Jahre 1099. Ihre Darstellung, Beurteilung und Deutung in den Quellen zur Geschichte des Ersten Kreuzzuges‹, in: Jerusalem im Hoch- und Spätmittelalter. Konflikte und Konfliktbewältigung – Vorstellungen und Vergegenwärtigungen, hg. v. Dieter Bauer, Klaus Herbers u. Nikolas Jaspert (= Campus Historische Studien; 29), Frankfurt am Main 2002, 31–54. 1004 Vgl. Riley-Smith, Crusades, 42–44.

Die Heilige Stadt

a.

237

Die Belagerung und Eroberung Jerusalems in den nicht-jerosolymitanischen Quellen

Geradezu als eine Nebensache erscheinen Belagerung und Eroberung der Heiligen Stadt in den Gesta Francorum schon durch den äußerst knappen Raum, der diesen Ereignissen zugestanden wird. Ferner zeigt die Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Höhepunkt des ersten Kreuzzuges auch inhaltlich Eigentümlichkeiten, die sich allein durch den Fokus des Textes auf die antiochenische Ethnohistorie erklären lassen. Die besondere Bedeutung Jerusalems für das Christentum sowie speziell für den Kreuzzug geht beinahe in einer detaillierten aber auf militärisch-taktische Punkte beschränkten Schilderung der Ereignisse unter. Im Gegensatz zur sorgfältig arrangierten Annäherung an Antiochia gerät die Ankunft vor Jerusalem zum prosaischen Tatsachenbericht. Allein auf die Einsetzung eines lateinischen Bischofs in der Georgskathedrale von Ramla gehen die Texte näher ein, wohingegen sie ansonsten lediglich listenhaft die einzelnen Stationen von Tripolis bis Jerusalem aufführen. Die Ankunft vor den Mauern Jerusalems selbst wird zwar als durchaus freudiges Ereignis dargestellt – nos autem letantes et exultantes, usque ad ciuitatem Hierusalem peruenimus;1005 eine Beschreibung oder gar Würdigung der Stadt ist allerdings nicht zu verzeichnen, sondern es erfolgt die direkte Überleitung zu den taktischen Details der Belagerung.1006 Jerusalems Stellung als Ort der Verheißung sowie der hieraus resultierende religiöse Hintergrund der Belagerung finden ihren Niederschlag zunächst allein in einem Nebensatz, mit welchem der Grund für die Konstruktion der Belagerungsmaschinen erklärt wird: ut ad adorandum nostri Salvatoris intrarent Sepulchrum.1007 Nach der Eroberung wird diese Absicht dann rasch erfüllt: Venerunt autem omnes nostri gaudentes et prae nimio gaudio plorantes ad nostri Saluatoris Iesu sepulchrum adorandum.1008 In diesen beiden kurzen Passagen sowie in einem knappen Verweis auf die Prozession der Kreuzfahrer vor dem Sturmangriff am 8. Juli erschöpft sich die religiöse Überhöhung der Belagerung durch den anonymen Autor der Gesta Francorum. Es schließt sich ein Bericht zur Schlacht gegen das fatimidische Entsatzheer bei Askalon an. Dieser fällt sehr viel ausführlicher aus als jener zur Belagerung Jerusalems. Vor allem Tankred und Robert von der Normandie finden Beachtung, und zudem erfolgt nun auch wieder eine abschließende Würdigung durch eine doxologische Formel.1009 Vergleicht man diesen Umgang mit Jerusalem in den Gesta Francorum mit 1005 1006 1007 1008 1009

GF X.xxxvii. Vgl. PT 134. Vgl. GF X.xxxvi–xxxvii; PT 133f. GF X.xxxviii. Vgl. PT 138. GF X.xxxviii. Vgl. PT 141. GF X.xxxix.

238

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

anderen Texten aus der Gesta-Familie, so offenbaren sich bedeutsame Unterschiede. So nimmt Petrus Tudebodus hier einen seiner größeren Eingriffe in den Text der Ur-Gesta vor und fügt – vermutlich auf eigener Anschauung beruhende – ausführlichere Angaben zur Prozession am 8. Juli ein.1010 Neben Details zur Prozession selbst wird die Beschreibung ihres Verlaufs dazu genutzt, streiflichtartig die wichtigen Orte der Heilsgeschichte in und um Jerusalem einzuführen und somit nachzuholen, was der aus normannisch-antiochenischer Perspektive schreibende Autor des Quelltextes ausläßt.1011 Obwohl der Poitevin Tudebodus an vielen anderen Stellen diese Sonderperspektive sogar besser konserviert als die überlieferte Version der Gesta Francorum, mochte er offenbar die nachrangige Stellung Jerusalems nicht unkorrigiert bestehen lassen. Bleibt jedoch der Eingriff des Tudebodus vergleichsweise konservativ, so führen die übrigen von den Gesta Francorum abhängigen Texte im Hinblick auf die Präsentation der Heiligen Stadt deutlich stärkere Abwandlungen ihrer Vorlage durch.1012 Sehr deutlich läßt sich dies anhand des Beispiels Roberts des Mönchs nachweisen, der dem Beginn der Belagerung eine an Christus adressierte Ansprache voranstellt: O bone Jesu, ut castra tua viderunt hujus terrenæ Iherusalem muros, quantos exitus aquarum oculi eorum deduxerunt! Et mox terræ procumbentia sonitu oris et nutu inclinati corporis Sanctum Sepulchrum tuum salutaverunt; teque qui in eo jacuisti, ut sedentem in dextera Patris, ut venturum judicem omnium, adoraverunt. […] qui surgentes ab oratione, ad regalem civitatem properarunt.1013

Ist es in den antiochenischen Texten der Gesta-Familie die Metropole am Orontes, welche mit dem Attribut regalis ausgezeichnet wird,1014 so überträgt Robert diese Ehrenbezeichnung gezielt – und im religiösen wie weltlichen Sinne passender – auf die Heilige Stadt. Vor allem jedoch stellt Robert von Beginn an Jerusalems Funktion als Ort der Verheißung ins Zentrum und läßt somit keinen Zweifel daran, worin er den Höhepunkt des Kreuzzuges erkannt haben möchte. Dieses Thema greift er zum Abschluß seines Werkes noch einmal ausführlicher auf, wenn er auf Jerusalems besondere Stellung in Geschichte und Heilsgeschichte eingeht und diese Würdigung durch eine Doxologie abschließt.1015 Ganz ähnlich verfahren auch Baldrich von Dol, Guibert von Nogent und 1010 Daß diese Ergänzungen in der Tat auf Tudebodus zurückgehen und in den Ur-Gesta noch nicht enthalten waren, läßt sich daran ablesen, daß die Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum trotz ihres größeren Interesses an Jerusalem die Details zur Prozession nicht enthält. 1011 Vgl. PT 137f. 1012 Vgl. Oehler, ›Studien‹, 91–96. 1013 RdM IX.i. 1014 Vgl. GF IV.xi, IX.xxi; PT 61. 1015 Vgl. RdM IX.xxv–xxvi. Siehe dazu auch Oehler, ›Studien‹, 95.

Die Heilige Stadt

239

Raimund von Aguilers. Den protokollarischen Verlaufsbericht zum Marsch nach Jerusalem der Gesta Francorum baut Baldrich zu einer gekonnt inszenierten Beschreibung der gleichermaßen geographischen wie spirituellen Annäherung an die Heilige Stadt aus. Er versetzt sich in die Lage der Kreuzfahrer, die in der letzten Nacht vor dem Eintreffen unter den Mauern Jerusalems keine Ruhe gefunden hätten, da sie eine Sehnsucht geplagt habe, die schlimmer gewesen sei als Kälte, Furcht und Krieg – die Sehnsucht nach dem Anbruch jenes Tages, quæ votis suis satisfaceret, quæ desideratam civitatem eis ostenderet.1016 Baldrich läßt eine längere Lobeshymne auf Jerusalem folgen und flicht eine in den Gesta Francorum nicht bezeugte erste Prozession der Pilger um die Stadt in seinen Bericht ein.1017 Ergänzt wird dieses Lob durch weitere Würdigungen Jerusalems und seiner heilsgeschichtlichen Bedeutung.1018 Guibert dehnt den Bericht zum Marsch von Tripolis nach Süden ebenfalls aus und würdigt die Ankunft vor Jerusalem mit einer Reminiszenz auf die Entbehrungen, welche die Pilger auf dem Weg zur Heiligen Stadt auf sich genommen hatten.1019 Die in den Gesta Francorum lediglich benannte, aber nicht gedeutete Prozession vor dem Sturmangriff sieht Guibert eindeutig in der Tradition des Zuges der Israeliten um das belagerte Jericho,1020 und auch sein Bericht zur Eroberung Jerusalems drückt den sehr viel größeren Stellenwert aus, welchen er dem Ereignis einräumt.1021 Daß die abendländischen Bearbeiter des Gesta-Stoffes mit ihrer Akzentuierung Jerusalems die Stellung reflektieren, welche der letzten kurzen Etappe des Kreuzzuges in der Wahrnehmung seiner Teilnehmer vermutlich tatsächlich zukam, läßt sich anhand der unabhängig von den Gesta Francorum entstandenen Historia Ierosolimitana Alberts von Aachen nachvollziehen. Denn ebenso wie die Gesta-Bearbeiter gestaltet auch Albert schon die Annäherung an die Heilige Stadt als wichtiges Ereignis. So berichtet er von einer Expedition, die eine kleine Abteilung der in Bethlehem lagernden Vorhut unter der Führung Gastons von B¦ziers bis vor die Tore Jerusalems führte. Dort machten die Kreuzfahrer reiche Beute, die sie mit ins Lager nahmen. Als Gaston und seine Männer auf Nachfrage, woher denn das Beutegut stamme, kundgetan hätten, daß sie die unmittelbare Umgebung Jerusalems geplündert hätten, habe allein die Nennung der Heiligen Stadt genügt, um eine religiöse Ekstase auszulösen:

1016 1017 1018 1019 1020 1021

BvD IV.ix. In Ansätzen übernommen in OV IX.xiv. Vgl. BvD IV.ix. Vgl. BvD IV.xiii u. xv. Vgl. GvN VII.i–ii. Vgl. GvN VII.vi. Vgl. GvN VII.ix. Ähnlich auch RvA XX.

240

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Ierusalem uero nominari audientes, omnes pre letitia in fletum lacrimarum fluxerunt, eo quod tam uicini adessent loco sancto desiderate urbis, pro qua tot labores, tot pericula, tot genera mortis et famis passi sunt.1022

Die Verklärung Jerusalems erfolgt jedoch auch in den Gesta Tancredi anläßlich der Ankunft vor den Toren der Heiligen Stadt, wobei Radulf von Caen seine Aufmerksamkeit allein der Vorhut schenkt. Diese Vorhut stand unter dem Kommando Tankreds und Balduins von Bourcq, doch Radulf nennt allein den Normannenführer. In einer ergreifenden Szene beschreibt er den Moment, in welchem Tankred vom Ölberg erstmals Jerusalem erblickte. Er sei auf die Knie gesunken und habe ein Loblied auf die Heilige Stadt angestimmt. Diesen Hymnus gibt Radulf in einer längeren Passage wieder. Er wird eröffnet durch die Anrufung Salve Hierusalem, gloria mundi1023 und enthält eine kurze Zusammenfassung all jener Punkte, welche Jerusalem zum wichtigsten Ort des Christentums und der Heilsgeschichte machen. Tankreds Worte auf dem Ölberg sowie eine spätere würdigende Beschreibung der Stadt1024 könnten als Hinweis darauf aufgefaßt werden, daß die Gesta Tancredi im Hinblick auf ihren Jerusalembezug eher in die Gruppe der abendländischen Kreuzzugschroniken einzureihen sind. Allerdings ließe sich dem entgegenhalten, daß die Aufwertung Jerusalems gegenüber den Gesta Francorum auch als ein Element in Radulfs noch eingehender zu analysierender Strategie interpretiert werden kann, dem Legitimationsproblem des Fürstentums Antiochia zu begegnen, welches sich daraus ergab, daß die normannische Staatsgründung in Nordsyrien das Vorankommen des Kreuzzuges verzögerte oder gar behinderte. Indem er Tankreds Rolle beim Erreichen des eigentlichen Kreuzzugsziels besonders hervorhebt, kann Radulf den Eindruck eines solchen Widerspruchs entkräften. Das Niederknien Tankreds auf dem Ölberg muß nicht nur als Ausdruck persönlicher religiöser Ergriffenheit des Ausführenden sondern auch als Reverenzgeste verstanden werden, mit welcher der Normanne die Bedeutung der Befreiung Jerusalems anerkennt und stellvertretend für die im Fürstentum Antiochia verbliebenen Kreuzfahrer das Kreuzzugsgelübde erfüllt. Die schwärmerische Beschreibung Jerusalems durch Tankred muß einem auf Antiochia fixierten, normannisch geprägten ethnischen Bewußtsein also nicht widersprechen. Zudem ist es verständlich, daß der beim Verfassen der Gesta Tancredi wohl in Jerusalem ansässige und in Diensten des Jerusalemer Patriarchen stehende Radulf auch eine enge Beziehung zur Heiligen Stadt hatte und diese in seinem

1022 AvA V.xlv. 1023 RvC CXI. 1024 Vgl. RvC CXV.

Die Heilige Stadt

241

Text zum Ausdruck bringt. Allerdings ist seine Anbindung an Jerusalem allein religiös besetzt.1025 In diesem Punkt unterscheidet sich Tankreds Hymne klar vom unmittelbar anschließenden Kapitel, welches als eine Schlüsselszene der Gesta Tancredi gelten kann und neben der Überquerung des Vardar das zweite wichtige Standbein der von Radulf betriebenen Mythisierung Tankreds bildet. So sei der sinnierende Normannenführer auf dem Ölberg von einem griechischen Einsiedler angesprochen worden: Tune illius sanguis es ducis, quo fulminante totius Græcia tremuit; quo bellante, Alexius fugit; quo obsidente, Dyrachium patuit; cujus imperio tota usque Bardal Bulgaria paruit? Non loqueris ignaro: neque enim me tantus patriæ meæ fefellit populator. Hostis hic, quondam meus, nunc demum, te misso, oblatas mihi injurias delinivit. Vivit in te adhuc, vivit ille formidatus populis, audaciæ avuncularis vigor […]. Jam te deinceps non stupebo, si feceris stupenda.1026

Selbst ein Grieche erkennt die Größe des guiscardischen Geschlechtes und der Normannen jetzt an, da er Tankred – dem neuen Sproß der Linie – gegenübersteht, dessen Glanz ihn selbst die Schändung seines Heimatlandes vergessen läßt. Gleichzeitig identifiziert der Einsiedler Tankred nicht einfach als Nachfahren Guiscards, sondern geradezu als dessen Reinkarnation, der die große Tradition seiner Vorfahren nun weiterträgt.1027 Dies verbindet er mit der beinahe prophetischen und auf seine Übernahme der Führung in Antiochia abzielenden Aussage, daß Tankred in der Zukunft noch Großes vollbringen werde. Es ist eindeutig, daß Radulf hier zu Beginn des letzten Teils seiner Erzählung noch einmal besonders pointiert die Position Tankreds als Traditionsträger der Normannitas und als Hoffnungsträger der Normannen und der Antiochener herauszustellen sucht. Dies geschieht einmal mehr in Verbindung mit dem für den normannisch geprägten antiochenischen Mythomoteur zentralen Motiv der Graecophobie, das hier jedoch invertiert wird, da der Einsiedler stellvertretend für die Griechen die Größe Tankreds und der Normannen anerkennt, sich unterordnet und mit dieser Unterwerfungsgeste gleichzeitig die gegen Byzanz

1025 Die Würdigung der Heiligen Stadt war zudem in der ersten Fassung kürzer als der überlieferte Text, wie d’Angelo herausstellt. Die letzten sechs Verse, die unter anderem auch die Zuweisung des Attributes regalia enthalten, gehören zu den von d’Angelo auf die Initiative Arnulfs von Chocques zurückgeführten Ergänzungen. Vgl. RvC CI (entspricht Abschnitt Nr. 334 gemäß der Neueinteilung durch d’Angelo) u. dazu d’Angelo, Edoardo, ›Introduzione [Radulf von Caen]‹, xxxii. 1026 RvC CXIII. Übernommen in HAI CXI. Vgl. zu dieser Stelle auch Payen, ›L¦gende‹, 1055. 1027 Vgl. Boehm, ›Gesta Tancredi‹, 71; Russo, ›Tancredi‹, 230. Die nicht herkunftsbezogene, sondern auf Antiochia gerichtete ethnohistorische Dimension dieser Passage berücksichtigt Boehm jedoch ebenso wenig wie Russo.

242

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

gerichtete Besitznahme von und dauerhafte Ausübung der Herrschaft in Antiochia durch die Normannen legitimiert. Zur Bekräftigung läßt Radulf den Einsiedler in diesem Zusammenhang auf den für die normannisch-guiscardische Geschichte so bedeutenden Schicksalsort Dyrrhachion sowie auf die ebenfalls identitätsstiftende Schlacht gegen die Truppen des Alexios am Fluß Vardar verweisen. All dies bettet Radulf wiederum in charakteristischer Weise in einen mythoreligiös aufgeladenen Kontext ein, welcher der Episode zusätzliches Gewicht verleiht. Es ist zudem bezeichnend, daß es allein die gegen die Griechen errungenen Siege sind und nicht etwa die Triumphe über die Muslime bei Nicaea oder Dorylaeum, die in der Weissagung auf dem Ölberg erwähnt werden. Das Heer der Kreuzfahrer liegt gerade vor den Mauern der durch die Fatimiden gehaltenen Heiligen Stadt. Dennoch stellt Radulf in dieser zentralen Episode der Gesta Tancredi durch die Auswahl der Referenzpunkte in Wahrheit eine Verbindung zu Antiochia her und antizipiert die dort für die Zukunft zu erwartenden und später im Text ausführlicher beschriebenen Konflikte mit den Byzantinern. Wenn Radulf also den Einsiedler zum Schluß der Prophezeiung ausrufen läßt: Attamen cave, cave, fili, ecce hostis, so treibt er damit ein Doppelspiel. Die Feinde im Sinne des unmittelbaren textlichen Umfeldes sind gewiß die muslimischen Herren Jerusalems und eigentlichen Kreuzzugsgegner ; durch die vorausgegangene Beschwörung der Siege über die Griechen scheint der eigentliche Feind Tankreds und der Antiochener jedoch Byzanz zu sein, und die Gesta Tancredi offenbaren somit ihre charakteristische antiochenische Perspektive.

b.

Kurz vor dem Ziel – die Annäherung an die Heilige Stadt und der Adventus von Bethlehem

Erwartungsgemäß präsentieren vor allem die Autoren des Königreiches von Jerusalems die Belagerung und Eroberung ihrer Hauptstadt als Höhepunkt des Kreuzzuges. Schon der letzte Teil des Marsches nach Jerusalem gerät in den jerosolymitanischen Quellen zu einem Parforceritt durch die antike und vor allem durch die biblische Geschichte des Heiligen Landes. Noch vor der Gründung des lateinischen Königreiches wird durch Kommentare zur Geschichte der benannten Städte auf der Route in geradezu heimatkundlicher Weise die Tradition des Landes erschlossen.1028 Als zentrales ethnohistorisches Element präsentiert sich in der jerosolymitanischen Historiographie in dieser Phase jedoch die schon kurz erwähnte Expedition von einhundert Rittern unter Tankred und Balduin von Bourcq nach 1028 Vgl. BvN XXVII–XXIX; FvC I.xxv ; HNvA LVIII; WvT VII.xxii u. xxiv.

Die Heilige Stadt

243

Bethlehem. Die Geburtsstadt Jesu ist südlich von Jerusalem gelegen und befand sich somit nicht auf der Route des aus westnordwestlicher Richtung von Ramla aus marschierenden Heeres. Den Umweg nach Süden, so weiß Fulcher von Chartres zu berichten, habe man auf Grund eines Hilferufes der dortigen Christen unternommen, die von den Muslimen bedroht worden seien. Dementsprechend schildert Fulcher die begeisterte Begrüßung der Kreuzfahrer in Bethlehem: Graeci videlicet et Syri statim gaudenter crucibus adsumptis et textis,1029 obviam flendo et pie cantando processerunt eis: flendo, quoniam metuebant ne tantillum gentis a multitudine tanta paganorum […] facillime quandoque occiderentur ; cantando, quoniam congratulabantur eis quos diu desideraverant esse venturos, quos Christianismum, a nefandis tamdiu pessumdatum, in honorem debitum et pristinum relevare sentiebant.1030

Einen regelrechten Adventus1031 bereiten den Kreuzfahrern hier die orientalischen Christen, welche die Lateiner als Befreier in Empfang nehmen. An Fulchers Behauptung, daß diese Besetzung Bethlehems auf Bitten der einheimischen Christen erfolgte, wird in der neueren Forschung teilweise immer noch festgehalten,1032 andererseits regten sich aber auch schon früh Zweifel an dieser Version der Ereignisse.1033 So ist immerhin zu konstatieren, daß allein Fulcher von Chartres und Radulf von Caen sowie von ihnen abhängige Texte von einem Hilferuf der orientalischen Christen berichten.1034 Unabhängig von der Frage nach der Historizität muß darauf verwiesen werden, daß es lediglich die jerosolymitanischen Autoren und Albert von Aachen sind,1035 die einen feierlichen

1029 Gemeint sind Fahnen. Vgl. Hagenmeyers diesbezügliche Ausführungen in FvC, 280, Anm. 53. 1030 FvC I.xxv.14–15. Siehe auch Epp, Fulcher von Chartres, 40. 1031 Zum Adventus vgl. Hauck, Karl, ›Von einer spätantiken Randkultur zum karolingischen Europa‹, in: Frühmittelalterliche Studien (1; 1967), 3–93; Kantorowicz, Ernst H., ›The King’s Advent and the Enigmatic Panels in the Doors of Santa Sabina‹, in: The Art Bulletin (26; 1944), 207–231, 207ff; Lampen, Angelika u. Johanek, Peter, ›Adventus. Studien zum herrscherlichen Einzug in die Stadt. Zur Einführung‹, in: Adventus. Studien zum herrscherlichen Einzug in die Stadt, hg. v. Angelika Lampen u. Peter Johanek (= Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster. Reihe A: Darstellungen; 75), Köln 2009, vii–xvi; Liverani, Paolo, ›Dal Trionfo Pagano all’Adventus Cristiano: Percorsi della Roma Imperiale‹, in: Anales de Arqueolog†a Cordobesa (18; 2007), 385–400; Willmes, Peter, Der Herrscher-»Adventus« im Kloster des Frühmittelalters (= Münstersche Mittelalter-Schriften; 22), München 1976, bes. 27f. 1032 Vgl. z. B. Asbridge, First Crusade, 297; Rubenstein, Armies, 276f. 1033 Vgl. dazu Hagenmeyers Erläuterungen in FvC, 279, Anm. 52. 1034 Vgl. AvA V.xliv ; BvN XXIX; HAI CIX; HNvA LVIII; RvC CXI; WvT VII.xxiv. 1035 Die Darstellung der Ereignisse von Bethlehem durch Albert von Aachen weist darauf hin, daß er entgegen der Position Edgingtons womöglich doch Zugriff auf Fulchers Text hatte. Alberts Darstellung des Empfangs der Kreuzfahrer ähnelt im Hinblick auf Aufbau und

244

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Empfang in Bethlehem erwähnen.1036 Was zudem zunächst nur als Schilderung eines tatsächlichen Ereignisses auf dem Marsch nach Jerusalem erscheinen mag, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als eine sehr geschickt komponierte1037 Szene. Es ist kein Zufall, daß sich der explizite Verweis auf Griechen und Syrer auch bei Bartolf von Nangis1038 und in der Historia Nicæna1039 findet, während Albert von Aachen an dieser Stelle die enge Assoziation mit den orientalischen Christen offenbar bewußt zu verwischen sucht, wenn er von einer legatio catholicorum incolarum urbis Bethleem1040 spricht. Wilhelm von Tyrus streicht bei seiner Adaption von Alberts Passage diese Worte und erwähnt einfach nur eine fidelium […] legatio.1041 Die dem Vorgehen der jerosolymitanischen Autoren zugrundeliegende Absicht ist recht eindeutig darin zu erkennen, schon vor dem Beginn der Belagerung noch einmal das im Kreuzzugsaufruf Urbans II. etablierte Motiv der von den orientalischen Christen erbetenen Hilfeleistung im Kampf gegen die Muslime zu reaktivieren, wodurch die Legitimation des Kreuzzuges und mithin der Gründung des lateinischen Königreiches unmißverständlich zum Ausdruck gebracht wird. Dies läßt sich auch anhand einer bislang noch nicht gewürdigten biblischen Anspielung direkt im Anschluß an Fulchers Ausführungen zu den Ereignissen von Bethlehem nachweisen. Nachdem die Kreuzfahrer in der Marienbasilika zu Bethlehem ihre Gebete verrichtet hatten, seien sie – abermals dato Syris osculo pacifico1042 – nach Jerusalem aufgebrochen. Sodann wendet sich Fulcher dem Hauptteil des Heeres zu, der inzwischen auch das direkte Umland der Heiligen Stadt erreicht hatte: ecce subsequens exercitus, relicta in sinistra parte Gabaon, quae ab Iherosolymis L distat stadiis, ubi Josue soli imperavit et lunae, civitati tunc adpropinquavit. et cum prae-

1036 1037

1038 1039 1040 1041 1042

Wortwahl sehr stark Fulchers Version. Vgl. AvA V.xliv ; FvC I.xxv. Zur Frage der intertextuellen Abhängigkeiten s. o. Kapitel II. Wilhelm von Malmesbury übernimmt die Episode von Fulcher, kürzt sie jedoch stark ab. Vgl. WvM IV.ccclxvi.4. Hierauf deutet unter anderem auch die Wendung pie cantando processerunt hin (die Wilhelm von Malmesbury bezeichnenderweise streicht; vgl. WvM IV.ccclxvi.4), zumal das cantando wiederholt wird. Fulcher verwendet hier einen literarischen Topos zur Darstellung von Adventus-Ritualen. Für diesen Hinweis danke ich PD Dr. Dr. Jörg Bölling, Göttingen. Zur Unterscheidung topisch-literarischer Darstellung und rituell-performativer Durchführung des Adventus siehe Bölling, Jörg, ›Musicae Utilitas. Zur Bedeutung der Musik im Adventus-Zeremoniell der Vormoderne‹, in: Adventus. Studien zum herrscherlichen Einzug in die Stadt, hg. v. Peter Johanek u. Angelika Lampen (= Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster. Reihe A: Darstellungen; 75), Köln 2009, 229–266. Vgl. BvN XXIX. Vgl. HNvA LVIII. AvA V.xliv. WvT VII.xiv.21. FvC I.xxv.16.

Die Heilige Stadt

245

cursores signiferi vexilla elevata civibus monstrassent, protinus contra eos interni hostes exierunt. sed qui festini sic exierant, festinantius in urbem mox repulsi sunt.1043

Daß Josua für Fulcher einen Anknüpfungspunkt für das lateinische Königreich darstellte, zeigt sich an späterer Stelle in der Historia, wenn er die Leistungen Balduins I. von Jerusalem anläßlich seines Todes mit jenen des Anführers der Israeliten vergleicht und ihn als consimilis Iosue1044 bezeichnet. Doch an dieser Stelle handelt es sich nicht einfach um eine jener in der Kreuzzugshistoriographie üblichen Vereinnahmungen biblischer Traditionen. Noch ist die Kombination aus der Nennung des Ortes Gibeon einerseits und der Anspielung auf die Episode aus dem Buch Josua andererseits zufällig. Vielmehr liefert Fulcher eine verschlüsselte Form des jerosolymitanischen Verständnisses der eigenen Rolle im Heiligen Land und insbesondere des Verhältnisses zu den orientalischen Christen. Zum Verständnis der Passage muß abermals der genauere biblische Kontext des Verweises untersucht werden. Josua war der Nachfolger des Moses, und das seinen Taten gewidmete Buch der Bibel berichtet über die Landnahme der Israeliten in Kanaan – also über den Abschluß des Exodus. Nach den Triumphen Josuas über Ai und Jericho zog das Volk mit der Bundeslade auf den Berg Ebal in der Nähe von Nablus, wo Josua die Inbesitznahme des Landes förmlich zum Ausdruck brachte, indem er das Gesetz des Moses auf unbehauene Steine schrieb. Die nach dem Ort Gibeon benannte Gruppe der Gibeoniter lebte zu dieser Zeit schon im Umland Jerusalems. Im Buch Josua wird berichtet, daß die Gibeoniter die Vernichtung durch die Israeliten fürchteten, weshalb sie mit einer List die Eroberer dazu brachten, einen Vertrag mit ihnen einzugehen. Die List wurde bemerkt, doch in Übereinstimmung mit dem göttlichen Gesetz hielt sich Josua an die Abmachung, und die Gibeoniter wurden verschont, durften ihr Land behalten, mußten sich aber den Israeliten unterordnen und ihnen als Holzfäller und Wasserträger dienen.1045 Es wird weiter berichtet, daß der kanaanitische Herrscher von Jerusalem, das noch nicht erobert war, daraufhin zusammen mit vier weiteren Kleinkönigen die Gibeoniter wegen ihres Bündnisses mit den Israeliten vernichten wollte. Die Gibeoniter riefen Josua um Hilfe, und die Israeliten folgten dem Aufruf. Sie schlugen die Kanaaniter und festigten ihre Herrschaft. Bei dieser Schlacht soll Josua – darauf verweist Fulcher – Sonne und Mond befohlen haben, über Gibeon und dem Tal von Ajalon stehen zu bleiben, solange die Israeliten an ihren Feinden Rache nahmen.1046 Fulcher nutzt hier gezielt Anspielungen auf Josua, die Allianz mit Gibeon und 1043 1044 1045 1046

FvC I.xxv.17. FvC II.lxiv. Vgl. Ios 9. Vgl. Ios 10.

246

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

den Krieg gegen die Kanaaniter, um implizit eine spezifisch jerosolymitanische Deutung des ersten Kreuzzuges und der Gründung des lateinischen Königreiches vorzulegen, noch bevor Jerusalem selbst erobert ist. Die Jerosolymitaner agieren im Sinne des Kreuzzuges als Schutzmacht der orientalischen Christen gegen die Bedrohung durch die Muslime, wie die Israeliten die Gibeoniter vor der Vernichtung bewahrten. Der – tatsächliche oder erdichtete – Hilferuf der Christen von Bethlehem entspricht dem Hilferuf der Gibeoniter. Gleichzeitig wird eine klare Hierarchie zwischen den Eroberern und den Autochthonen zum Ausdruck gebracht und somit der lateinischen Herrschaft im Heiligen Land die Legitimation verliehen. Es wird offensichtlich, wie Fulcher sehr geschickt die jerosolymitanische Ethnogenese in der biblischen Tradition verortet und gleichzeitig das jerosolymitanische Selbstverständnis reflektiert und legitimiert, wenn er den durchaus als Submissionsgeste der orientalischen Christen zu verstehenden Adventus in Bethlehem mit der Anspielung auf die Landnahme der Israeliten unter Josua in Verbindung bringt. Die Hinführung zur Wiederholung dieser biblischen Landnahme durch die Kreuzfahrer gestaltet Bartolf von Nangis durch eine besonders eindrucksvolle Überleitung: Christianus vero exercitus videns civitatem Dei, quam diu optaverat, locaque sancta in quibus mundi Salvator pro redemptione generis humani mortem pertulerat, lætatus est valde, et procidentes omnes in terram proni, adoraverunt viventem in sæcula sæculorum. Amen.1047

Wiederum liegt hier eine durch Bartolf vorgenommene Ergänzung vor, durch welche die bei Fulcher schon eindeutig zu beobachtende jerosolymitanische Prägung noch verstärkt zutage tritt. In den Gesta Tancredi ist es allein Tankred als Exponent des antiochenischen Mythomoteurs, der stellvertretend für seine Gruppe beim Anblick Jerusalems auf die Knie sinkt, während Bartolf abermals niemanden hervorhebt, sondern die omnes als Akteure und somit als Identifikationspunkt erscheinen läßt. Seine über die Version Fulchers hinausgehende Würdigung des ersten Blickes auf die Heilige Stadt zeigt sich vor allem durch die hinzugefügte doxologische Formel, der ein kurzes Datierungsgedicht zur Einordnung des Ereignisses folgt. Hier scheint Bartolf durch die ihm vorliegenden Gesta Francorum und deren häufigen Einsatz solcher Doxologien inspiriert worden zu sein, wobei der Jerosolymitaner dieses Werkzeug nun jedoch zur Fokussierung der Bedeutung Jerusalems einsetzt.1048 1047 BvN XXIX. 1048 Eine Doxologie fügt auch Robert der Mönch anläßlich des Eintreffens vor Jerusalem in seinen Text ein. Robert jedoch erwähnt den Adventus in Bethlehem nicht. Vgl. RdM VIII.xxi. Siehe hierzu Oehler, ›Studien‹.

Die Heilige Stadt

247

Wilhelm von Tyrus übernimmt seine Schilderung des Empfangs in Bethlehem sowie des Eintreffens vor Jerusalem aus der Historia Ierosolimitana Alberts von Aachen,1049 fügt dieser jedoch eine ethnohistorisch zu deutende, mythoreligiös aufgeladene Passage an. Er kombiniert zwei Jesajaworte1050 zu einem Gruß an Jerusalem, der zugleich ein Versprechen an die neue Heimat ist, ihre Gefangenschaft zu beenden: Videbatur impletum esse quod per prophetam premissum fuerat vaticinium et exhibitum historialiter verbum domini: leva, Ierusalem, oculos et vide potentiam regis: ecce Salvator tuus venit solvere te a vinculo, et illud: elevare, elevare, consurgere Ierusalem, solve vincla colli tui, captiva filia Syon.1051

In den hier analysierten Schilderungen des Eintreffens vor Jerusalem kann man die Pendants der zuvor besprochenen Szene des Abstiegs Bohemunds in das Orontes-Tal erkennen. Die Historiographen des lateinischen Königreiches setzen sich mit einem bedeutenden Moment der jerosolymitanischen Ethnogenese auseinander und verklären diesen durch Rückgriffe auf die biblische Tradition. Begeisterte und beinahe ekstatische Reaktionen auf das Eintreffen vor der Heiligen Stadt schildern die meisten Historiographen des ersten Kreuzzuges und bedienen sich dabei ebenfalls biblischer Anspielungen. Die jerosolymitanischen Autoren jedoch kombinieren gezielt solche Schriftverweise, die neben einer allgemeinen religiösen Bedeutung auch eine besondere ethnohistorische Komponente aufweisen. Zudem sind die hier untersuchten Passagen anders als in den nicht-jerosolymitanischen Texten nicht einfach an passender Stelle in den chronologisch geordneten Text einsortiert, sondern sie werden mit großem Geschick zu kompakten und sehr ausdrucksstarken Szenen komponiert, die keine nebensächlichen Details enthalten,1052 sondern sehr bedacht das Augenmerk auf ethnohistorisch relevante Elemente lenken.

1049 1050 1051 1052

Vgl. AvA V.xlv. Vgl. Is 51:17 u. 52:2. WvT VII.xxv.43–48. Albert von Aachen beispielsweise erweist sich gleichermaßen als gewissenhafter Chronist und wenig geschickter Erzähler, wenn er von seiner durchaus lebendigen Schilderung des Eintreffens vor Jerusalem unvermittelt zu Angaben der zahlenmäßigen Stärke des Heeres und zur Errichtung der Lager übergeht. Vgl. AvA V.xlv–xlvi. Wilhelm von Tyrus übernimmt zwar diese Zahlenangabe, bindet sie aber gezielt erst nach seiner langen Beschreibung Jerusalems und Palästinas ein. Vgl.WvT VIII.v.3–7.

248 c.

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

novum edificium, veteri continuo et inserto – das Jerusalem der Jerosolymitaner

Obgleich sowohl die abendländischen als auch die jerosolymitanischen Historiographen ihre Texte ganz auf die Eroberung Jerusalems ausrichten, deuten sie dieses Ereignis und mit ihm den gesamten Kreuzzug sehr unterschiedlich. Die abendländischen Autoren stellen Jerusalem durch eine einseitige Betonung der religiösen Dimension in erster Linie als Heilige Stadt dar. Dazu bedienen sie sich diverser Verweise auf die Bibel, wobei zwei Leitgedanken der Auswahl dieser Anspielungen zu Grunde liegen: Einerseits wird Jerusalem als Ort des Leidens, des Todes und der Auferstehung Christi verherrlicht, und andererseits wird die Heilige Stadt zum Kristallisationspunkt alttestamentlicher Prophezeiungen überhöht.1053 Die Bezüge zum Alten Testament bestehen dabei primär in einer Identifikation mit den Israeliten. Besonders deutlich läßt sich dies anhand einer längeren Ausführung Guiberts von Nogent nachweisen, in welcher er mittels einer Exegese des Propheten Sacharja seine Interpretation Jerusalems und des Kreuzzuges vorlegt. Dort nimmt Guibert auch eine grundsätzlich für eine ethnohistorische Narrative gut zu instrumentalisierende Gleichsetzung seiner Franci mit dem Stamme Juda vor. Tatsächlich geht es ihm jedoch nicht um die Aneignung biblischer Tradition für eine ethnische Gruppe, sondern um eine rein religiöse Anknüpfung an die Israeliten. Die Eroberung Jerusalems ist für ihn von Bedeutung, weil sich in ihr die vorhergesagte Durchsetzung der wahren Kirche Christi an ihrem Ursprungsort vollziehe, weil sie zur Ausbreitung des Christentums, zur Verherrlichung Gottes und zur Überwindung des Heidentums diene.1054 Der Kreuzzug gerät allein zum endzeitlichen Kampf der Kirche gegen das durch den Islam vertretene Böse, und deshalb bezieht sich Guibert bei seiner Sacharja-Exegese nicht auf jenen Teil des Buches, welches sich mit der Restituierung des irdischen Jerusalem befaßt, sondern er legt ein Kapitel zu Grunde, in dem nach christlichem Verständnis über das endzeitliche Jerusalem und seinen Kampf gegen den Antichrist geweissagt wird.1055 Jerusalem bezeichnet daher weniger die Stadt in Palästina, sondern es fungiert als Metapher für die Kirche.1056 Im Gegensatz zu dieser Darstellung der Heiligen Stadt erscheint Jerusalem in 1053 Vgl. AvAV.xlv, VI.xxiv–xxxviii; BvD IV.ix; GvN VII.ii, xiv u. xxii; RdM IX.i u. xxv ; RvA XX. 1054 Vgl. GvN VII.xxi. Guibert stützt sich hier unter anderem auf Is 43:5 und Za 12:2. 1055 Zu dieser Sacharja-Exegese siehe auch (mit anderen Akzenten) Rubenstein, Guibert of Nogent, 100f. Zu apokalyptischen Vorstellungen bei den Chronisten des ersten Kreuzzuges siehe auch Ders., Armies. 1056 Er bezeichnet die Kirche von Jerusalem als Sturz einer Tür, die als Metapher für den Glauben an Christus stehe. Die beiden Zargen, auf denen dieser Sturz ruhe, seien das Gesetz des Alten Bundes und das Evangelium. Guibert beruft sich auf Gal 2:2.

Die Heilige Stadt

249

der Historiographie des lateinischen Königreiches auf dem Höhepunkt des Kreuzzuges in einer Doppelfunktion – als Ort der Verheißung und als irdische Heimat. Eine religiöse Überhöhung Jerusalems diente der Betonung des besonderen Prestiges von Reich und Volk, eine apokalyptische Verklärung hingegen, wie sie Guibert von Nogent betreibt, hätte die Heilige Stadt der Realität entrückt und der Lebensrealität der Jerosolymitaner widersprochen. In der Beschreibung Jerusalems in der Historia Hierosolymitana Fulchers von Chartres entzündet sich daher auch die religiöse Verzückung gerade an der greifbaren Materialität der Heiligen Stätten. Während etwa die Grabeskirche in den antiochenischen Texten allein als Erfüllungsort des Kreuzzugsgelübdes in Erscheinung tritt und nicht beschrieben, sondern bloß benannt wird,1057 ergeht sich Fulcher von Chartres in der Betrachtung architektonischer Details. Obwohl auch Fulcher als Kanoniker der Kathedrale von Jerusalem deren religiöse und politische Bedeutung nur allzu bewußt gewesen sein muß, erscheint ihm zunächst die kunstvoll gearbeitete runde Dachöffnung bemerkenswert.1058 Erst durch diese profane Beobachtung wird er zur Würdigung der Heiligkeit des Ortes geführt: nec valeo, nec audeo nec sapio multa, quae inibi habentur, quaedam quidem adhuc praesentia, quaedam vero iam praeterita recitare, ne in aliquo vel haec legentes vel haec audientes fallam.1059

Die Heiligkeit erschließt sich für Fulcher nicht durch abstrakt-theologische Überlegungen, sondern durch die konkret faßbaren Heiltümer, die in der Grabeskirche aufbewahrt werden oder dort in der Vergangenheit einmal vorhanden waren. Heiliges Schaudern hält Fulcher davon ab, die Heiltümer zu benennen, aber dennoch kann als sicher gelten, daß er sich hier vor allem auf die noch eingehender zu besprechende Kreuzesreliquie als wichtigstes Symbol des jerosolymitanischen Mythomoteurs bezieht. Die Reliquie scheint für Bartolf von Nangis so wichtig gewesen zu sein, daß er das lignum dominicum1060 auch explizit in seine stark überarbeitete und erweiterte Version der auf Fulchers Historia beruhenden Beschreibung Jerusalems integriert, wobei er schon hier auf die Tradition der Auffindung des Kreuzes durch Konstantins Mutter Helena verweist und damit eine wichtige Tradition des lateinischen Königreiches schon vor dessen Gründung in seine Erzählung

1057 Vgl. etwa GF X.xxxviii; PT 141; RvC CXII. Radulf erwähnt immerhin, daß die Grabeskirche über Kuppeln aus Bronze verfügte. Dafür übergeht er die Kathedrale von Jerusalem bei seiner zweiten Beschreibung der Stadt. Vgl. RvC CXV. 1058 Vgl. FvC I.xxvi.6. 1059 FvC I.xxvi.7. 1060 BvN xxxi.

250

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

einbindet.1061 Wiederum spielt auch für Bartolf neben der religiösen die physische Dimension eine wichtige Rolle und anstatt einer rein theologischen Deutung von Kreuz und Kreuzigung liefert er genaue Positionsangaben des legendären Fundortes, der durch eine Gleichsetzung von Ereignis und Ort als Crucis inventi[o]1062 bezeichnet wird.1063 Ausdrückliche Erwähnung findet das Kreuz auch bei Wilhelm von Tyrus, der die Reliquie und ihre Auffindung in einer längeren Passage thematisiert, die der Grabeskirche gewidmet ist und aufgrund ihrer großen ethnohistorischen Relevanz eingehender zu analysieren ist. Von Fulcher übernimmt Wilhelm die Faszination für die byzantinische Rotunde, ergänzt jedoch den eigentümlichen1064 Vergleich der Dachform mit einer Krone, durch den die Rolle der Grabeskirche als spirituelles Zentrum und regelrechtes Staatsheiligtum des lateinischen Königreiches angedeutet wird. Ebenso kann hierin eine Anspielung darauf gesehen werden, daß nach jerosolymitanischem Verständnis Christus der eigentliche Herrscher des Königreiches war.1065 In direkten Bezug zur Ethnogenese der Jerosolymitaner setzt Wilhelm Grabeskirche und Kreuz durch einen Verweis auf den nostrorum Latinorum introitu[s].1066 Diesen introitus verbindet er mit kurzen Ausführungen zu Umbau, Erweiterung und Ausschmückung des nach der Zerstörung durch den Kalifen al-Hakim im Jahre 1009 von den Byzantinern Mitte des 11. Jahrhunderts nur in Teilen wieder errichteten Kirchenbaus:1067

1061 Siehe dazu detailliert Kapitel VII.4. 1062 BvN xxxii. 1063 Über dem Fundort wurde die sogenannten Helena-Kapelle angelegt, deren Ursprünge nicht mehr genau zurückzuverfolgen sind. Vgl. Krüger, Jürgen, Die Grabeskirche zu Jerusalem. Geschichte – Gestalt – Bedeutung, Regensburg 2000, 91ff. 1064 Der Pilger Theodericus, der ein Zeitgenosse Wilhelms war, beschreibt zwar ausführlich die Grabeskirche und auch die Rotunde, assoziiert deren Dach jedoch nicht mit einer Krone. Vgl. Theodericus, in: Peregrinationes tres. Saewulf, John of Würzburg, Theodericus, hg. v. Robert Burchard Constantyn Huygens (= Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis; 139), Turnhout 1986, 142–197, 150. 1065 Siehe dazu detailliert Kapitel VII.3. 1066 WvT VIII.iii.24. Diese Formel wiederholt Wilhelm bei seinen anschließenden Ausführungen zum Tempel des Herrn. Vgl. WvT VIII.iii.95. 1067 Zur Grabeskirche und ihrer Baugeschichte vgl. Krüger, Jürgen, ›Das Ziel der Kreuzzüge: Die Grabeskirche‹, in: Saladin und die Kreuzfahrer. Begleitband zur Sonderausstellung »Saladin und die Kreuzfahrer« im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale), im Landesmuseum für Natur und Mensch Oldenburg und in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, hg. v. Alfried Wieczorek, Mamoun Fansa u. Harald Meller (= Publikationen der Reiss-Engelhorn-Museen; 17/Schriftenreihe des Landesmuseums für Natur und Mensch, Oldenburg; 37), Mainz 2005, 31–36; Pringle, Denys, The Churches of the Crusader Kingdom of Jerusalem. A Corpus. Volume III. The City of Jerusalem, Cambridge 2007, 3–72.

Die Heilige Stadt

251

postquam nostri opitulante divina clementia urbem obtinuerunt in manu forti, visum est eis predictum nimis angustum edificium et ampliata ex opere solidissimo et sublimi admodum ecclesia priore, infra novum edificium, veteri continuo et inserto, mirabiliter loca comprehenderunt predicta.1068

Die Beschwörung der ethnogenetischen Phase verbindet sich hier mit Wilhelms weitergehender Interpretation dieses Prozesses. Der Hinweis auf den Umbau der Grabeskirche ist nicht allein als Mitteilung eines historischen Ereignisses zu sehen, sondern er muß aufgrund von Kontext und Wortwahl auch als Bild für die ethnogenetischen Prozesse im lateinischen Königreich verstanden werden, mit welchem das jerosolymitanische Selbstverständnis zum Ausdruck gebracht wird. Schon die bereits besprochene biblische, dem Kontext des Exodus entstammende Wendung in manu forti weist darauf hin.1069 Auch das Königreich Jerusalem ist in dieser Darstellung ein novum edificium, das auf alten und ehrwürdigen Traditionsfundamenten ruht und diese in sich aufnimmt, wie auch der Neubau der Grabeskirche aus der Kreuzfahrerzeit die ältere byzantinische Rundbasilika und vor allem die heiligen Plätze der Passion in sich aufgehen läßt.1070 Erst durch den Abschluß des introitus Latinorum wird die wandernde und werdende Gruppe vollendet,1071 und vollendet wird auch die Grabeskirche erst durch den Beitrag der Lateiner.1072 Zum Kontrast sei auf Albert von Aachen verwiesen, der die erste Begegnung 1068 1069 1070 1071

WvT VIII.iii.30–34. S.o. Kapitel V.2.c. Zum Neubau der Grabeskirche durch die Lateiner vgl. Krüger, Grabeskirche, 83–157. Neben dem expliziten Verweis auf den introitus läßt sich die ethnohistorische Relevanz dieser Passage auch an der Verwendung der Formulierung in manu forti ablesen, die schon bei der Untersuchung des Prologes kurz Erwähnung fand. Bei diesen drei sehr gebräuchlichen und daher auf den ersten Blick wenig aussagekräftigen Wörtern handelt es sich tatsächlich um eine in der Vulgata häufiger anzutreffende Formel, welche so oder leicht variiert – etwa durch die Ergänzung et brachio extento – an insgesamt neunzehn Stellen der Bibel zu verzeichnen ist. Eine genauere Begutachtung dieser Passagen allerdings spricht dafür, in der Formel in manu forti mehr als eine belanglose Floskel zu erkennen, die Wilhelm von Tyrus unreflektiert in seinem Text übernahm. Zunächst ist zu vermerken, daß sich alle neunzehn Stellen in Büchern des Alten Testamentes finden, wohingegen das Neue Testament diese Formel nicht kennt. Eine besondere Häufung ist dabei im Pentateuch zu beobachten. Weiterhin offenbart eine inhaltliche Analyse der einzelnen Bibelpassagen, daß diese durch ein gemeinsames Thema verbunden sind: In siebzehn Fällen wird die Wendung im Kontext des Auszuges des Volkes Israel aus Ägypten, seiner Wanderung und seiner Unterwerfung des Gelobten Landes verwendet. Vgl. Ex 13:3, !3:9, 13:14, 13:16, 32:11 (in manu robusta); Nm 20:20; Dt 3:24, 5:15, 6:21, 7:8, 9:26, 26:8; Ios 4:25; Idc 4:24; III Rg 8:41; Is 8:11; Ez 20:33, 20:34 (in manu valida); Dn 9:15. 1072 Wolfgang Giese, der die Städtebeschreibungen Wilhelms von Tyrus eingehender untersucht hat, diagnostiziert in Bezug auf die Schilderung Jerusalems Nüchternheit sowie einen Realismus, der auch vor der Nennung negativer Aspekte nicht zurückschrecke. Die Beschreibung der Grabeskirche beeindruckt Giese ebenfalls nicht. Vgl. Giese, ›Stadt- und Herrscherbeschreibungen‹, 390ff.

252

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

mit der Grabeskirche in ganz anderer Weise gestaltet. Nachdem er die Hauptkirche Jerusalems zunächst nur beiläufig erwähnt,1073 tritt sie dann im Laufe mehrerer Kapitel in Erscheinung. Dabei präsentiert Albert sie jedoch lediglich als das Objekt der Verehrung Gottfrieds von Bouillon. Würdigungen oder Ausdeutungen wie in den jerosolymitanischen Texten sucht man vergebens. Die beinahe exklusive Verbindung der Grabeskirche mit einer Einzelperson steht in scharfem Gegensatz zu deren Vereinnahmung für den gemeinschaftsbezogenen jerosolymitanischen Mythomoteur, wie sie sich in den zuvor analysierten Passagen manifestiert. Albert scheint hier eher den introitus Godefridi als den introitus Latinorum zu zelebrieren. Bemerkenswert ist ferner die Aufmerksamkeit, welche die jerosolymitanischen Autoren dem Umland Jerusalems widmen. Schon bei der ersten Begegnung mit der Hauptstadt des lateinischen Königreiches bemühen sich dessen Historiographen, neben der zukünftigen Kapitale selbst auch deren Umgebung und somit die Gesamtheit des Reiches einzubeziehen. Fulcher von Chartres und der anonyme Autor der Historia Nicæna nutzen hierzu in erster Linie ihre schon erwähnten Schilderungen des Marsches nach Süden.1074 Bartolf von Nangis und vor allem Wilhelm von Tyrus führen den Leser jedoch auf regelrechte Spaziergänge durch das nähere und weitere Umland Jerusalems und erklären dabei die biblische und gelegentlich auch die profane Geschichte der benannten Orte. Bartolf widmet ein ganzes Kapitel der Gegend extra urbem.1075 Ausgehend von den Toren der Stadt nennt er den Verlauf der von diesen ins Land vorstoßenden Straßen und läßt den Blick von der auf einem Hügel gelegenen Paternosterkirche schweifen, da von ihr aus facile cernitur Arabia et vallis Iordanis,1076 und führt schließlich zurück nach Jerusalem, dessen römisch-imperiale Vergangenheit er in Anlehnung an Fulcher1077 erläutert. Biblische und profane Geschichte vermischen sich auch in den ausführlichen Schilderungen Wilhelms, der so detailliert und gebündelt wie kein anderer Chronist Heilige Stadt und Heiliges Land beschreibt.1078 Auffällig ist dabei wiederum, daß er bei der Komposition seiner historisch-biblischen Landeskunde in ganz ähnlicher Weise verfährt wie Bartolf, indem er sich zunächst in Jerusalem positioniert, um sich dann aus dieser Perspektive nacheinander allen vier Himmelsrichtungen zuzuwenden und wichtige Orte und Landschaften vorzustellen.1079 Im letzten Teil dieser Landesbetrachtung rekapituliert Wilhelm 1073 1074 1075 1076 1077 1078 1079

Vgl. AvA VI.xxv. Vgl. FvC I.xxv ; HNvA LVIII. BvN XXXIII. BvN XXXIII. Vgl. FvC I.xxvi.12. Vgl. WvT VIII.i–iv. Vgl. WvT VIII.i.

Die Heilige Stadt

253

noch einmal zugespitzt die vorausgegangenen Beschreibungen und biblischhistorischen Verortungen: quasi in umbilico Terre Promissionis eadem posita est regio, secundum hoc, quod in Iosue Terre Promissionis termini describuntur, in quo ita legitur: a deserto et Libano et flumine magno Eufrate usque ad mare occidentale erunt termini vestri.1080

Wie Fulcher von Chartres bedient sich auch Wilhelm an prominenter Stelle eines Verweises auf Josua, um noch vor dem Abschluß des Kreuzzuges eine wort- wie bildgewaltige Reflexion der jerosolymitanischen Ethnogenese sowie einen Vorgriff auf die Expansion des lateinischen Königreiches in seine ethnohistorische Erzählung einzubinden. Neben die explizite Benennung des Israelitenführers tritt zudem wieder ein Zitat aus dem Buch Josua,1081 welches die durch die Positionierung in umbilico Terre Promissionis eingeleitete Verortung des lateinischen Königreiches als Nachfolgerin des Königreiches Juda noch verstärkt, wobei diese Verortung gleichermaßen geographisch wie traditionell ist. Bezeichnend ist, daß in diesen Fällen zwar eine klare mythoreligiöse Überhöhung Jerusalems zu konstatieren ist, daß dabei aber der Akzent auf dem Neubeginn in Anknüpfung an alte Traditionen gesetzt wird. Nicht die endzeitliche Verklärung Jerusalems, wie sie Guibert von Nogent aus Sacharja übernimmt, steht bei den Jerosolymitanern im Mittelpunkt, nicht das Ende aller Dinge, sondern man ist inspiriert vom neuen Aufbruch der Israeliten unter Josua. Zudem wird stets neben Jerusalem selbst auch das Territorium des lateinischen Königreiches insgesamt in die Betrachtung integriert, schweift der spätere Eroberungen antizipierende Blick ins Umland. Der erste Kreuzzug der Jerosolymitaner hatte zwar seinen Höhepunkt in der Eroberung der Heiligen Stadt, doch er setzte sich in Gestalt der Expansion des Königreiches fort. Zu Wilhelms Zeiten erstreckte sich dieses durchaus vom Libanon bis zur Küste des Mittelmeers. Freilich verlief sein östlicher terminus mitnichten am Euphrat – hier ist Bartolf mit seinem Blick in die mit der Bezeichnung Arabia gemeinte Region am Ostufer des Jordans realistischer. Allerdings ließe sich durchaus postulieren, daß Wilhelms Verwendung dieser Josua-Worte neben der Traditionsanknüpfung auch einen territorialen Anspruch reflektiert – einen Anspruch, den Kreuzzug weiter in den Orient hineinzutragen. Die hier eingehender besprochenen Stadt- und Landschaftsbeschreibungen in den jerosolymitanischen Texten erinnern zudem in ihrer Ausführlichkeit an Pilgerführer.1082 Das Besondere an diesen Abhandlungen ist jedoch, daß sie in 1080 WvT VIII.4.18–24. 1081 Vgl. Ios 1:4. 1082 Vgl. Hill, Joyce, Wilkinson, John u. Ryan, William Francis (Hgg.), Jerusalem Pilgrimage. 1099–1185, Farnham 1988, 1–77; Schein, Sylvia, Gateway to the Heavenly City: Crusader Jerusalem and the Catholic West (1099–1187), Aldershot 2005, 96ff.

254

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

derartiger Ausführlichkeit in historiographische Texte eingebunden und dort wiederum gezielt zum Auftakt der Belagerung Jerusalems platziert werden. Die heilsgeschichtliche Bedeutung Jerusalems wird in allen hier untersuchten Quellen thematisiert. Doch die jerosolymitanischen Autoren gehen gedanklich über den rein heilsgeschichtlichen und religiösen Aspekt ebenso hinaus wie geographisch über die Mauern der Heiligen Stadt.1083 Sie etablieren das lateinische Königreich und seine Hauptstadt als feste Bestandteile des jerosolymitanischen Mythomoteurs.

d.

Liturgisches Gedenken an die primordiale Tat – die Feier des Befreiungsfestes in Jerusalem

Guibert von Nogent geht in seiner endzeitlich verklärten Darstellung Jerusalems so weit, zu behaupten, daß der Zweck des Kreuzzuges nicht in der Befreiung einer – beinahe abfällig als civitas illa terrestris bezeichneten – Stadt bestanden habe, sondern im apokalyptischen Kampf gegen den Antichrist: nequaquam pro unius civitatis liberatione […], sed contra venturi rabiem Antichristi.1084 Eine solche apokalyptische Deutungsweise prägt die jerosolymitanischen Berichte zur Eroberung zwar nicht, einen religiösen Akzent setzen sie aber durchaus. Auf den ersten Blick scheint das Ereignis sogar lediglich in seiner Bedeutung für die Kirche gewürdigt zu werden. Fulcher von Chartres übernimmt mit leichten Anpassungen anläßlich des feierlichen Zuges der erfolgreichen Eroberer zur Grabeskirche den Ausruf Raimunds von Aguilers: o tempus tam desideratum! o tempus inter cetera tempora memorandum! o factum factis omnibus anteferendum! vere desideratum, quoniam ab omnibus fidei catholicae cultoribus interno meatis desiderio semper desideratum fuerat.1085

Die Bezugsgruppe ist hier tatsächlich die lateinische Christenheit insgesamt, und eine Vereinnahmung speziell für die Jerosolymitaner scheint nicht vorzuliegen. Allerdings finden sich Anzeichen dafür, daß Fulcher abermals einen besonderen Wert auf die historische Bedeutung der Eroberung legt, daß sich wie schon zuvor in seinem Prolog erneut die typische Mischung aus Geschichtsbewußtsein und Begeisterung manifestiert. So ersetzt er den dies celebris in omni 1083 Dabei tritt jedoch der religiöse Aspekt mitnichten in den Hintergrund, sondern er verbindet sich abermals mit dem irdischen Heimatbezug. Es handelt sich eben nicht um eine bloße »regionale Identität«, wie sie Schwinges erkennen möchte, sondern um ein ethnoreligiöses Selbstverständnis mit starkem Bezug zur neuen Heimat. Vgl. Schwinges, ›Regionale Identität‹, 244f. Siehe auch Epp, ›Entstehung‹. 1084 GvN VII.xxi. 1085 FvC I.xxix.3. Vgl. RvA XX.

Die Heilige Stadt

255

sæculo1086 seiner Vorlage durch das tempus inter cetera tempora memorandum, wobei durch den Einsatz des Gerundivs memorandum ein expliziter Auftrag zur Erinnerung und Tradierung dieser denkwürdigen Ereignisse erteilt wird. In weniger subtiler Weise variiert Fulcher dieses Thema unmittelbar im Anschluß, wenn er es insistierend als vere memoriale et iure memorandum bezeichnet, daß idem [negotium] Dominus per hunc populum suum tam […] dilectum et alumnum familiaremque, ad hoc negotium praeelectum, expleri voluit, usque in finem saeculi memoriale linguis tribuum universarum personabit et permanebit.1087 Hier setzt Fulcher schon einen stärker ethnohistorisch konnotierten Schwerpunkt. Der auserwählte populus bezeichnet zwar im Hinblick auf diesen Moment die Kreuzfahrer und diese wiederum als Stellvertreter der rechtgläubigen Christenheit insgesamt; doch gerade durch das erneute Herausstreichen der historischen Bedeutung des Ereignisses erzeugt er eine Kontinuität, welche an erster Stelle durch die Jerosolymitaner und nicht von allen Christen fortgesetzt wird.1088 Bartolf von Nangis greift dieses Element auf, verstärkt aber noch den Eindruck der besonderen Feierlichkeit und Denkwürdigkeit, wenn er dem Zug zur Grabeskirche durch die geprägten Worte cum hymnis et canticis psallentes1089 den formalen Charakter einer Prozession verleiht und die Denkwürdigkeit der Eroberung durch zwei doxologische Formeln hervorhebt. Zudem ergänzt er ein weiteres Mal einen Hinweis auf das ihm offenbar ausnehmend wichtige Kreuz und verbindet somit erneut das Symbol des lateinischen Königreiches mit dem Moment seines Entstehens. Die Funktion der Eroberung Jerusalems als wichtigster ethnohistorischer Referenzpunkt in der jerosolymitanischen Historiographie kann auch bei Bartolf von Nangis belegt werden. In einem Abriß zur Eroberung Akkons im Jahre 1104 ordnet Bartolf das Ereignis in den weiteren Kontext der jerosolymitanischen Geschichte ein: Anno itaque dominicæ incarnationis millesimo centesimo quarto, ab urbe vero Iherusalem capta quinto, tradidit Deus hanc civitatem Christianis, atque imperio subdidit Iherosolymitano; et magnificatus est Dominus in populo suo, et dilatatus est hæreditatem suam.1090

Diese Datierung stellt eine der interessantesten Eigenleistungen Bartolfs dar, da sich in ihr ethnohistorisch äußerst wichtige Elemente finden, die er nicht aus Fulchers knappem Bericht1091 übernommen, sondern selbst beigetragen hat. 1086 1087 1088 1089 1090 1091

RvA XX. FvC I.xxix.4. Vgl. Epp, Fulcher von Chartres, 156. BvN XXXVI. BvN LXIII. Vgl. FvC II.xxv.

256

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Zwar läßt Fulcher seine Fassung mit einem der für ihn charakteristischen Datierungen in Versform enden, verweist dabei aber nicht auf die Eroberung Jerusalems oder das Reich Jerusalem. Hierin besteht eine Innovation Bartolfs, die seinem Bemühen Ausdruck verleiht, den Sieg von Akkon in die Kontinuität des Kreuzzuges der Jerosolymitaner und damit in Bezug zur Eroberung Jerusalems als primordiale Tat zu setzen. Auch die Verherrlichung Gottes durch sein auserwähltes Volk ist hier eindeutig exklusiv auf die Jerosolymitaner bezogen und als Triumph für das lateinische Königreich gewertet. Denn wenn Bartolf zunächst die allgemeine Bezeichnung Christiani verwendet, so ist dies allein der Tatsache geschuldet, daß Genuesen und Pisaner zu diesem Sieg wesentlich beigetragen hatten.1092 Es folgt jedoch in Abgrenzung zur Gesamtchristenheit sofort die Hervorhebung der jerosolymitanischen Herrschaft, und schon einige Sätze zuvor trennt Bartolf klar zwischen Okzidentalen und Jerosolymitanern, wenn er Januenses et Pisani kontrastierend von den nostri1093 unterscheidet.1094 Daß sich hinter der Feststellung der besonderen Denkwürdigkeit der Eroberung durch Raimund und dann verstärkt durch Fulcher und Bartolf mehr verbirgt als ein bloßer Aufruf zur Erinnerung, zeigt Baldrich von Dols nüchterne Notiz: Diem autem illam qua civitatem recuperaverunt celebrem instituerunt, quintadecima die Julii, feria sexta.1095 Eindeutig legt Baldrich davon Zeugnis ab, daß der 15. Juli schon unmittelbar nach dem Kreuzzug zu einem regelrechten Gedenktag erhoben wurde.1096 Die Einsetzung dieses Gedenktages erwähnt auch Wilhelm von Tyrus, der aber wiederum in charakteristischer Weise Wert darauf legt, daß es sich bei der Festsetzung des Feiertages um eine gemeinschaftlich getroffene Entscheidung gehandelt habe:

1092 Vgl. Asbridge, Crusades, 124. 1093 BvN LXIII. 1094 Vgl. Kühn, Patriarchen, 21, Anm. 5. Albert von Aachen berichtet neben Bartolf von Nangis als einziger Chronist davon, daß die Italiener das den muslimischen Einwohnern von Akkon zugesicherte freie Geleit mißachtet hätten, worin ein Hinweis darauf erkannt werden kann, daß es sich bei Bartolfs Text unter Umständen um die verlorene schriftliche Quelle Alberts von Aachen gehandelt haben könnte, deren Existenz noch jüngst durch Susan Edgington in ihrer Edition der Historia bezweifelt worden ist. Vgl. Edgington, ›Introduction AvA‹, xxiv. Die Datierungspassage sowie die Unterscheidung von Okzidentalen und Jerosolymitanern hingegen finden sich bei Albert nicht. 1095 BvD IV.xiv. 1096 Die Erforschung des Gedenktages der Befreiung Jerusalems und insbesondere seiner liturgischen Ausgestaltung ist vor allem durch Amnon Linder vorangetrieben worden. Vgl. Linder, ›The Liturgy of the Liberation of Jerusalem‹, in: Mediaeval Studies (52; 1990), 110–131; Ders., ›New Day‹; Ders., ›Gold‹. Zur Liturgie der Grabeskirche, vor allem zur Osterliturgie, siehe auch: Shagrir, Iris, ›The Visitatio Sepulchri at the Latin Church of the Holy Sepulcher in Jerusalem‹, in: Al-Masaq: Islam and the Medieval Mediterranean (22; 2010), 57–77; Dies., ›Adventus in Jerusalem: the Celebration of Palm Sunday in Twelfth Century Jerusalem‹, in: The Journal of Medieval History (41; 2015), 1–20.

Die Heilige Stadt

257

ex communi decreto sancitum et communi omnium voto susceptum et approbatum est, ut hic dies apud omnes sollempnis et inter celebres celebrior perpetuo habeatur.1097

Eine glückliche Überlieferungslage erlaubt es, im Falle dieses dies inter celebres celebrior sehr genau das Entstehen eines ethnohistorischen Gedenktages nachzuvollziehen. Neben den zumeist wenig detaillierten Belegen in historiographischen Quellen nämlich ermöglichen Pilgerberichte und vor allem liturgische Texte1098 eine recht genaue Rekonstruktion dieses als kirchliches und weltliches Fest gefeierten Eroberungsgedenkens. Alljährlich wurden am Abend des 14. Juli die Feierlichkeiten mit einer Vigil eingeleitet und durch die Nacht bis in den Morgen mit Matutin, Laudes und Prim fortgesetzt. Im Anschluß an die Prim zog der Patriarch an der Spitze einer Prozession zum Tempelberg, wo am Templum Domini eine erste Statio gebetet wurde. Von dort aus bewegte sich der Prozessionszug weiter durch die Stadt und berührte dabei Orte, die für die Erinnerung an die Eroberung von besonderer Bedeutung waren. An der Stadtmauer entlangziehend besuchte man die Gräber der beim Sturm auf Jerusalem gefallenen Kreuzfahrer, um schließlich zu jenem Punkt an der Nordmauer zu gelangen, an welchem Gottfried von Bouillon von seinem Belagerungsturm aus die Befestigungen überwunden hatte. Zur Erinnerung an diesen wichtigsten Moment der Belagerung hatte man ein großes goldenes Kreuz an der Stadtmauer errichtet, welches die Prozessionsteilnehmer im Blick hatten, wenn sie die zweite Statio beteten und einer Predigt des Patriarchen lauschten.1099 Schließlich erreichte die Prozession ihren End- und Höhepunkt – die Grabeskirche. Dort wurde am Heiligen Grab die dritte Statio gebetet, worauf die Terz, die Feier der Messe und die verbliebenen Tageshoren folgten. Für alle Horen, für die Stationsgebete sowie für die Messe wurde auf ein eigens für das Befreiungsfest erstelltes liturgisches Proprium zurückgegriffen. Seit der Einweihung der von den Lateinern um- und neugebauten Grabeskirche wurde die Befreiungsliturgie gemeinsam mit dem Kirchweihfest begangen.1100

1097 WvT VIII.xxiv.27–30. 1098 Siehe dazu Linder, ›The Liturgy of the Liberation of Jerusalem‹, in: Mediaeval Studies (52; 1990), 110–131; Ders., ›New Day‹; Ders., ›Gold‹. 1099 Vgl. Ders., ›New Day‹, 51. 1100 Vgl. Ders., ›Liturgy of Liberation‹, 111ff; Ders. ›New Day‹, 49ff; Ders., ›Like Purest Gold‹, 46f; Prawer, Kingdom, 176f; Schönfelder, Albert, ›Die Prozessionen der Lateiner in Jerusalem zur Zeit der Kreuzzüge‹, in: Historisches Jahrbuch (32; 1911), 578–597, 596. Jüngst hat sich Jaroslav Folda aus kunsthistorischer Perspektive mit dem liturgischen Gedenken an die Befreiung Jerusalems beschäftigt, wobei er jedoch erstaunlicherweise weder Linder noch Schönfelder rezipiert. Vgl. Folda, Jaroslav, ›Commemorating the Fall of Jerusalem. Remembering the First Crusade in Text, Liturgy, and Image‹, in: Remembering the Crusades. Myth, Image, and Identity, hg. v. Nicholas Paul u. Suzanne Yeager, Baltimore 2012, 125–145.

258

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Ablauf und Proprium der Befreiungsliturgie1101 weisen das Fest als einen Feiertag aus, der vor allem als ein ethnohistorischer Gedenktag verstanden werden muß. Die Auswahl der Psalmen und Antiphonen ist ganz auf Jerusalem ausgerichtet und setzt die Jerosolymitaner in die Tradition der Israeliten.1102 Freilich konnten sich mit diesen biblischen Anklängen auch die landfremden Pilger identifizieren, die an den Feierlichkeiten ebenso teilnahmen wie Einheimische. Für die Jerosolymitaner jedoch mußten diese Worte eine besondere Relevanz haben. Neben den für die gesamte Christenheit wichtigen Plätzen der Grabeskirche und des Templum Domini zeichnet sich die Prozession vor allem dadurch aus, daß sie rituell Belagerung und Eroberung Jerusalems nachvollzog, daß man in ihr alljährlich die primordiale Tat wiederholte und sich in einem ethnizistischen Akt auf die eigenen Wurzeln besann. Die Gräber der gefallenen Kreuzfahrer und der Punkt, an dem die Mauer überwunden wurde, werden zwar durch die Einbindung in die liturgischen Feierlichkeiten und die Begleitung mit Psalmen und Antiphonen religiös aufgeladen. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich anders als bei den Heiligen Plätzen im Kern um Gedenkorte handelt, die keine allgemein-christliche und heilsgeschichtliche, sondern vor allem eine ethnohistorische Bedeutung für die Jerosolymitaner hatten und für diese identitätsstiftend wirkten. Amnon Linder, der in seinen Untersuchungen zur Liturgie des lateinischen Königreiches vor allem deren Bedeutung für die gesamte lateinische Kirche betont und sich nicht mit einer möglichen ethnohistorischen Komponente der Befreiungsliturgie befaßt, stellt nichtdestotrotz heraus, daß die Befreiungsfeier die von ihm treffend als »Founding Fathers«1103 bezeichneten Eroberer des Jahres 1099 mit ihren Nachkommen und Nachfolgern vereint hätten.1104 Die Befreiungsliturgie stellt in der Tat die feierliche Erinnerung an die Ethnogenese der Jerosolymitaner und an die Gründung des Königreiches Jerusalem dar. Ein regelrechter Volksfeiertag präsentiert sich hier, der freilich durch die Verbindung mit lateinischer Liturgie und Lesungen in lateinischer Sprache die autochthone Bevölkerung ausschloß.1105 Der Befreiung der orientalischen Christen mag im Selbstverständnis der Jerosolymitaner eine 1101 Vgl. die Edition von Linder : ›In festivitate Sancte Hierusalem‹, hg. v. Amnon Linder, in: Ders., ›The Liturgy of the Liberation of Jerusalem‹, in: Mediaeval Studies (52; 1990), 110–131, 113–121. 1102 Vgl. Ders., ›New Day‹, 52ff. 1103 Linder, ›New Day‹, 52. 1104 Jaroslav Folda vergleicht die Einrichtung des Befreiungstages bezeichnenderweise mit jener des gänzlich säkularen Memorial Day in den Vereinigten Staaten, der sich aus dem Besuch von Gräbern der Gefallenen des Bürgerkrieges entwickelt hat. Vgl. Folda, ›Fall‹, 126. 1105 Dies spricht eindeutig gegen die etwa von Schwinges postulierte gesamtorientalische, auch die Autochthonen erfassende Identität. Vgl. Schwinges, ›Regionale Identität‹, 242.

Die Heilige Stadt

259

wichtige Funktion zugekommen sein, doch das ethnohistorische Gedenken wurde durch und für die Befreier und nicht die Befreiten zelebriert. Von besonderem Interesse sind für die ethnohistorische Dimension des Gedenktages jene Elemente der Liturgie, die nicht aus der Bibel entnommen sind. Zuerst ist auf die Lesung zur Matutin hinzuweisen. Bei diesen Lectiones de historia ubi capta fuit Hierusalem1106 handelt es sich um nichts anderes als einen Auszug aus der Historia Hierosolymitana Fulchers von Chartres. Eingebettet zwischen Versikeln und einem Responsorium, welche dem Buch Jesaja entstammen und die Wallfahrt der Völker zum gesegneten Jerusalem thematisieren, sind Fulchers zuvor besprochene Beschreibung Jerusalems und sein Bericht zur Belagerung der Heiligen Stadt platziert.1107 Die Aufnahme dieser Passagen in die Befreiungsliturgie ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. So zeugt sie von der Bedeutung, die Fulcher offenbar schon zu seinen Lebzeiten im Königreich Jerusalem beigemessen wurde. Zudem zeigt sich, daß die Historia eine Breitenwirkung entfalten konnte, welche über die Rezeption durch Lesen oder mündlichen Vortrag im kleinen Kreis weit hinausging.1108 In der jährlich gefeierten Liturgie trat seine Geschichte des Kreuzzuges und des Königreiches als konstanter Bestandteil des Festtagspropriums gleichrangig neben die Psalmen und Antiphonen. Die Historia ging also durch ritualisierten öffentlichen Vortrag in die Erinnerungskultur des Königreiches Jerusalem ein, wurde untrennbar mit dem Gedenken an die ethnogenetische Phase seiner lateinischen Einwohner verwoben. Sie kann geradezu als offizielle Geschichte der Ursprünge und Entwicklung der Jerosolymitaner gelten. Auch in der Sequenz1109 Manu plaudant omnes gentes, die während der Messe in der Grabeskirche vor dem Evangelium erklang und gemeinsam mit dem Hallelujaruf den Triumph der Kreuzfahrer feierte, finden sich mehrere Anknüpfungspunkte an das Gedankengut Fulchers von Chartres. Die für Fulcher charakteristische Interpretation der Ereignisse des Kreuzzuges als ein Wunder1110 greift bereits der erste Vers auf: Manu plaudant omnes gentes ad nova miracula.1111 Auch wird hervorgehoben, daß eine kleine Gruppe den Sieg gegen 1106 ›In festivitate Sancte Hierusalem‹, Nr. 7. 1107 Vgl. ›In festivitate Sancte Hierusalem‹, Nr. 26–28a. Die Versikeln und das Responsorium beruhen auf Is 60:1–3. Vgl. Linder, ›Liturgy‹, 128. 1108 Linder betont die Bedeutung der Analyse liturgischer Überlieferung für das Verständnis von Erinnerungskultur, »for it [liturgy] is specifically designed to function with the community rather than the single individual, to interact with a participating congregation rather than transmit its message from on high to a passive reader, to renew its encounters in regular and perpetual cycles while the historian meets his reader once, or […] on very few occasions.« Linder, ›New Day‹, 48. 1109 Zur Sequenz vgl. Prassl, Franz Karl, Art. ›Sequenz‹, in: LthK 9:476–477. 1110 Vgl. FvC Prologus, III.xxxvii. 1111 ›In festivitate Sancte Hierusalem‹, Nr. 68.

260

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

einen übermächtigen Gegner errungen habe: Paucis multa milia sunt devicta.1112 Der unbekannte Dichter der Sequenz bindet zudem das Kreuz ein und bedient sich dabei eines Jesaja-Wortes, das später auch Wilhelm von Tyrus dazu einsetzte, die jerosolymitanische Ethnohistorie mit der crux Christi zu assoziieren: Ecce signum est levatum ab antiqua presignatum profecia Quisque portat signum crucis dum requirit summi ducis loca pia Redde sancta civitas laudes deo debitas.1113

Die Muslime als Erz- und Erbfeinde der Gruppe werden ebenfalls erwähnt und als grimmige Wölfe bezeichnet. Der Sieg über Seldschuken und Fatimiden wird zu einem Triumph gegen demonum […] imperia1114 überhöht und erhält somit neben der militärischen auch eine spirituelle Bedeutung. Daß dieser Sieg weniger den Akteuren – den Kreuzfahrern – als der Führung durch Christus zugeschrieben wird, ist ein weiteres typisches Motiv der jerosolymitanischen Historiographie, das noch ausführlicher zu untersuchen sein wird. Das Reklamieren einer solchen direkten und immanenten Führung durch den Gottessohn für das Königreich Jerusalem findet seinen stärksten Ausdruck in den letzten Versen der Sequenz: O imperator unice quod incoasti perfice Ut sub tua custodia pax crescat et victoria Fac Christianos crescere et impios tabescere. Ut regna subdat omnia tua omnipotentia amen.1115

In diesen Versen ist ein äußerst diesseitsbezogenes und militarisiertes Christusbild zu konstatieren, welches schon durch die Anrufung als imperator etabliert wird. Nicht in seiner Rolle als Sohn Gottes und Messias erscheint Christus in der Sequenz und vor allem in ihren letzten Versen, sondern er wird als oberster Feldherr dargestellt. Nicht die Erlösung der Menschheit durch den Tod Christi am Kreuz steht im Mittelpunkt des Interesses, sondern die Verherrlichung der direkten göttlich-feldherrlichen Führung der Kreuzfahrer und ihrer Nachfolge und Nachkommen im lateinischen Königreich. Nicht allein Ausdruck einer »frighteningly triumphalist religiosity«,1116 wie Margot Fassler meint, sind diese Verse, sondern sie bezeugen vor allem einen religiös überhöhten und 1112 1113 1114 1115 1116

Ibid. Ibid. Vgl. Is 11:12; WvT I.xvi.54–65. ›In festivitate Sancte Hierusalem‹, Nr. 68. Vgl. Is 11:12; WvT I.xvi.54–65. ›In festivitate Sancte Hierusalem‹, Nr. 68. Fassler, Margot E., The Virgin of Chartres. Making History through Liturgy and the Arts, New Haven 2010, 154.

Die Heilige Stadt

261

legitimierten, aber dabei stets auch weltlichen und ethnizistischen Triumphalismus. Ein landfremder Pilger mochte hinter den Formulierungen der Sequenz wie auch hinter der Auswahl der Psalmen und Antiphonen der Horen durchaus eine allein religiöse Bedeutung vermuten und sie auf den spirituellen Kampf des Guten gegen das Böse und endzeitliche Verheißungen für die gesamte Christenheit beziehen. Gewiß ist auch diese Komponente in der Liturgie vorhanden, wenn etwa von dem iter […] ad regna celestia1117 gesungen wird. Die Jerosolymitaner jedoch mußten die Beschwörung von Frieden und Sieg, vom Aufstieg der Christen und dem Niedergang der Ungläubigen und von der Unterwerfung aller Reiche in erster Linie auf die Situation ihrer orientalischen Heimat beziehen, auf den alltäglichen Kampf gegen die umliegenden muslimischen Reiche und Potentaten. Die an einer der prominentesten variablen Stellen der Meßliturgie feierlich vorgetragene Verheißung von Wachstum und Triumph mußten sie als Ausdruck und göttliche Rechtfertigung des jerosolymitanischen Expansionsdranges verstehen, der sich im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts noch nicht abgeschwächt hatte und auch noch nach der Eroberung Askalons im Jahre 1153 zu einem Ausgreifen auf Ägypten führte.1118 Denn obwohl in der Befreiungsliturgie eigentlich eines vergangenen Ereignisses gedacht werden sollte, handelt es sich bei den letzten Versen der Sequenz nicht um einen würdigenden Rück-, sondern um einen optimistischen wie aggressiven Vorausblick in die Zukunft des lateinischen Königreiches und der Jerosolymitaner. Fulchers Einfluß auf das Erinnern an die Eroberung Jerusalems läßt sich auch anhand einer fragmentarisch überlieferten Predigt nachweisen, welche der Patriarch von Jerusalem bei der zweiten Statio an der Nordmauer hielt.1119 Diese auf das zweite Viertel des 12. Jahrhunderts datierte1120 Predigt ist ein weiteres eindrucksvolles Zeugnis der jerosolymitanischen ethnohistorischen Gedächtniskultur. Die Homilie beginnt mit einem Gedanken, der Fulchers bereits ausführlicher besprochenem zweiten Teil des Prologensembles der Historia entstammt.1121 Fulcher bezeichnet das Heimischwerden der Jerosolymitaner im Heiligen Land als ein Wunder auf Erden und parallelisiert dieses mit dem 1117 ›In festivitate Sancte Hierusalem‹, Nr. 68 1118 Vgl. Asbridge, Crusades, 262–284; Mayer, Kreuzzüge, 140–152; Richard, Kingdom, A:43–57. 1119 ›Un Sermon Comm¦moratif de la Prise de J¦rusalem par les Crois¦s Attribu¦ a Foucher de Chartres‹, hg. v. Charles Kohler, in: Revue de L’Orient Latin (1900–1901; 8), 158–164. Die Predigt wurde vom Schreiber der Handschrift irrtümlicherweise Fulcher selbst zugeschrieben, da ihr Text auf der Historia Hiersolymitana basiert. Vgl. ibid., 160. Soweit nicht anders angegeben, verdanke ich die Identifikation der von mir besprochenen Zitate und Anspielungen der Predigt auf die Bibel und auf Fulchers Historia Kohlers Edition. 1120 Vgl. ›Sermon Comm¦moratif‹, 158. 1121 Vgl. FvC III.xxxvii.

262

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

wundersamen Naturphänomen, das er beobachtet hatte: noli ergo mirari cum signa vides in caelis, quia nihilominus operatur Deus et in terris.1122 Der anonyme Predigtschreiber setzt den Auftakt durch eine Variation dieses Motivs: Man solle Gott loben, cujus opera in celo atque in terra splendent magnifica.1123 Er ergänzt, daß diese Werke Gottes – gemeint sind der erste Kreuzzug und insbesondere die Eroberung Jerusalems und die Gründung des Königreiches – amanda et recolenda1124 seien, wodurch unmittelbar die von Fulcher vertraute Aufforderung zur Erinnerung aufgegriffen wird. Dieser Aufforderung wurde durch die jährliche Feier des Befreiungsgedenkens durch die Jerosolymitaner entsprochen, wie der Autor selbst feststellt: Celebremus ergo solennitatem, anni orbita nobis reductam, de Jerusalem civitate sancta quomodo de manu nefande gentis divina ordinatione est eruta et […] reddita.1125

Nach einer längeren Passage, in welcher unter Zuhilfenahme der Worte Jesajas die Zeit der muslimischen Herrschaft über Jerusalem thematisiert wird, leitet der Prediger zur Feier der Eroberung durch die Kreuzfahrer über und zitiert wörtlich Fulcher – mit kleineren Variationen und um zwei kurze (im Text markierte) Zusätze ergänzt: O tempus tam desideratum, o tempus recordatione dignissimum, o tempus inter cetera tempora commemorandum, o factum factis omnibus anteferendum et inestimabiliter cunctis mortalibus admirandum!1126

Die Ergänzungen fügen sich nahtlos in den Ton der Vorlage ein und verleihen der Notwendigkeit des Erinnerns zusätzliche Vehemenz.1127 In vertrauter Weise und wiederum ähnlich wie in Fulchers Prologensemble wird die Leistung der Kreuzfahrer und der Jerosolymitaner gewürdigt, sich als popellus contra gentem multam1128 durchgesetzt zu haben. Dem Kreuz als Symbol des Kreuzzuges und des lateinischen Königreiches wird ebenfalls Respekt gezollt, wobei der Prediger erneut Passagen aus Fulchers Text verarbeitet. Über den Aufbruch der Kreuzfahrer wird berichtet, daß sie crucibus in pannis suis consutis in den Osten gezogen seien, wobei das Kreuz als signum precipuum et victoriosum1129 bezeichnet wird. Den Aufbruch im Zeichen des Kreuzes 1122 FvC III.xxxvii.2. 1123 ›Sermon Comm¦moratif‹, 160. Die Übernahme dieses Gedankens hat Kohler nicht identifiziert. 1124 ›Sermon Comm¦moratif‹, 160. 1125 ›Sermon Comm¦moratif‹, 160. 1126 ›Sermon Comm¦moratif‹, 161f. Vgl. FvC I.xxix.3. 1127 Zudem zeigt sich hier meiner Ansicht nach, daß Kohler falsch liegt, wenn er formuliert: »Notre pr¦dicateur hi¦rosolymitain ne brille ni par l’originalit¦ des id¦es ni par la qualit¦ de son style.« ›Sermon Comm¦moratif‹, 160. 1128 ›Sermon Comm¦moratif‹, 161. 1129 ›Sermon Comm¦moratif‹, 163. Vgl. FvC I.iv.4.

Die Heilige Stadt

263

überhöht der anonyme Prediger zusätzlich mythoreligiös, indem er die eigentlich profanen Trompeten, welche bei Fulcher erklingen, zu himmlischen Hörnern werden läßt – tuba celitus insonante.1130 Doch auch die Prozessionsteilnehmer werden direkt mit dem Kreuz in Verbindung gebracht: Nos crucis Christi caractere insignimur fronte et mente.1131 Der Autor bedient sich zumeist der dritten Person Plural, um auf die Teilnehmer des Kreuzzuges zu verweisen. Der Gebrauch des nos in diesem Satz ist daher beachtenswert und könnte darauf hinweisen, daß die am 15. Juli feierlich durch die Heilige Stadt ziehenden Jerosolymitaner selbst Kreuzzeichen auf ihre Stirn zeichneten, um sich so nicht nur im Geiste, sondern auch körperlich mit den Gründervätern zu verbinden. Bei der historischen Einordnung des Kreuzzuges greift die Predigt erneut ein Motiv aus Fulchers Prologensemble auf und übernimmt dessen auf Jesaja basierenden Ausruf: Quis audivit unquam tale? Et quis vidit huic simile?1132 Die Authentizität der Berichte über dieses Wunder auf Erden und somit die Glaubwürdigkeit der großen Taten der ersten Jerosolymitaner wiederum bekräftigt der Prediger mit einem expliziten Verweis auf Fulcher : Fulcherius dicit: hec omnia oculis nostris vidimus.1133 Wenn die Jerosolymitaner an jener Stelle, wo Gottfried von Bouillon die Mauer überwand, Fulchers Erzählung der wichtigen Ereignisse der jerosolymitanischen Ethnohistorie lauschen, so scheint der Predigtschreiber sagen zu wollen, dann verfolgen sie das tatsächliche Geschehen durch die Augen Fulchers und vollziehen die primordiale Tat nach. Die partikularistisch jerosolymitanische Perspektive des Predigers läßt sich daran ablesen, daß er sich in seinem Abriß des ersten Kreuzzuges auf Ereignisse beschränkt, die eine besondere Bedeutung für die Jerosolymitaner haben. Die Belagerung von Nicaea interessiert ihn in erster Linie deshalb, weil er zu diesem Anlaß mit Fulcher verkünden kann, daß de innumera gente conglobatus est illic exercitus exercituum.1134 Der Prediger reiht sich nahtlos in die Kontinuität seiner Landsleute ein, die allesamt Nicaea als einen ersten entscheidenden Moment der ethnogenetischen Verschmelzung identifizieren. Antiochia wiederum spielt kaum eine Rolle und wird lediglich als Ort des ethnohistorisch ebenfalls bedeutenden Hungers und der Entbehrungen benannt, erscheint also analog zur jerosolymitanischen Historiographie vor allem als ein zu überwindendes Hindernis, als der Schmelzofen, in welchem das wandernde und werdende Volk geläutert wird. Noch über Fulchers Reflexion der jerosolymitanischen Ethnogenese geht der Autor der Predigt hinaus, wenn er das Datierungsgedicht zur 1130 ›Sermon Comm¦moratif‹, 163. Vgl. FvC I.viii.5. Auch hierin läßt sich die dem Prediger von Kohler abgesprochene schriftstellerische Eigenleistung erkennen. 1131 ›Sermon Comm¦moratif‹, 162. 1132 ›Sermon Comm¦moratif‹, 162. Vgl. FvC Prologus.4; Is 66:8. 1133 ›Sermon Comm¦moratif‹, 163. Vgl. FvC Prologus. 1134 ›Sermon Comm¦moratif‹, 163. Vgl. FvC I.vi.9.

264

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

Einordnung der Eroberung Jerusalems aus der Historia übernimmt, dabei aber den in der Vorlage noch zu findenden historisierenden Verweis auf die Franci streicht.1135 Leider bricht der Text der Predigt in dem Moment ab, in dem die siegreichen Belagerer die Heiligen Stätten aufsuchen, so daß die zu erwartende weitere Einordnung der Ereignisse sowie eine tiefer schürfende Deutung, die vielleicht auch weitere Aufschlüsse zur ethnohistorischen Erinnerungskultur der Jerosolymitaner enthielten, nicht erhalten sind. Keine direkten Zitate aus oder Verweise auf Fulcher, sehr wohl aber einschlägige Motive aus der Historia Hierosolymitana und der übrigen jerosolymitanischen Historiographie finden sich in einer anderen für den Vortrag durch den Patriarchen bei der zweiten Statio bestimmten Predigt, die ebenfalls auf die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts zu datieren ist.1136 In einem ersten Teil wird die Eroberung gewürdigt, wobei sich auch das Werk des anonymen Homiletikers durch die von Fulcher vertraute Betonung der Leistung der einfachen Kreuzzugsteilnehmer auszeichnet und dies gegenüber jener der Privilegierten hervorhebt: Magna igitur fides in divitibus, magna et in indigentibus, qui, quo minus gestant unde alantur per tam longi itineris spacium eo grandiorem spem gerunt in illo [Christo].1137

An anderer Stelle adressiert der Prediger die milites, deren Leistungen bei der Eroberung er lobend erwähnt. Offenbar sind hier direkt Teilnehmer des ersten Kreuzzuges angesprochen, wenn der Prediger auf den als Gnade Gottes bezeichneten Triumph verweist, der vestris temporibus, vestrisque manibus1138 1135 Vgl. ›Sermon Comm¦moratif‹, 163. Vgl. FvC I.xxx.1. 1136 ›Sermon on the Feast of the Liberation of Jerusalem‹, hg. v. Amnon Linder, in: Ders., ›A New Day, New Joy : The Liberation of Jerusalem on 15 July 1099‹, in: L’Idea di Gerusalemme nella Spiritualit— Cristiana del Medioevo. Atti del Convegno Internazionale in Collaborazione con l’Istituto della Görres-Gesellschaft di Gerusalemme; Gerusalemme, Notre Dame of Jerusalem Center, 31 Agosto – 6 Settembre 1999, hg. v. Walter Brandmüller (= Atti e Documenti. Pontificio Comitato di Scienze Storiche; 12), Vatikanstadt 2003, 46–64, Edition: 58–64. John France sieht im Kloster Ripoll den wahrscheinlichen Entstehungsort der Predigt und der vor dieser in der Handschrift (Paris, BN, ms. Lat. 5132) eingefügten kurzen Beschreibung der Belagerung und Eroberung Jerusalems. Die Handschrift ist definitiv dort entstanden. Vgl. France, John, ›An Unknown Account of the Capture of Jerusalem‹, in: The English Historical Review (87; 1972), 771–783, 783. Ich schließe mich hier jedoch der Sicht Linders an, der davon ausgeht, daß die Predigt ursprünglich für die Prozession in Jerusalem selbst verfaßt wurde. Die von France postulierte Bestimmung für den Vortrag im Kloster Ripoll halte ich schon deshalb für unwahrscheinlich, weil sich der anonyme Autor im letzten Teil des Textes recht eindeutig an milites wendet, die in Jerusalem selbst zugegen zu sein scheinen. Vgl. Linder, ›New Day‹, 56. 1137 ›Sermon on the Feast of the Liberation of Jerusalem‹, 60. Linder will in diesem Satz unverständlicherweise ausgerechnet lesen, daß der anonyme Autor die Leistung der Armen weniger schätzte. Vgl. Linder, ›New Day‹, 56. 1138 ›Sermon on the Feast of the Liberation of Jerusalem‹, 61.

Die Heilige Stadt

265

errungen worden sei. Dies gilt ebenso für die Hinweise auf die ertragenen Entbehrungen und den Hunger im Laufe der Wanderung nach Jerusalem: Benedictus labor vester. Benedicta sitis vestra et fames.1139 Geradezu wie die Ansprache anläßlich eines Veteranentreffens wirkt die Predigt des Patriarchen, wenn er den Anwesenden in Sichtweite des Stefanstors die Frucht ihrer Entbehrungen und Mühen vor Augen führt: Ecce portam Iherosolimitanam, nullus custodit hostis, nemo claudit quam per vestrum laborem Christus aperuit.1140 Abermals ist es in diesem Satz – wie in anderen Teilen der Predigt – Christus, der als maßgeblich Handelnder erscheint. Der die Predigt abschließende Hymnus Iherusalem letare1141 greift das Motiv ebenfalls mehrfach auf und verbindet es

1139 ›Sermon on the Feast of the Liberation of Jerusalem‹, 62. 1140 ›Sermon on the Feast of the Liberation of Jerusalem‹, 62. 1141 Edition des Hymnus: ›Ierusalem, laetare‹, hg. v. Goswin Spreckelmeyer, in: Mittellateinische Kreuzzugslieder. Texte und Melodien, hg. v. Dems. (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik; 216), Göppingen 1987, Nr. 2, 4–6. Zu diesem Kreuzzugslied detaillierter : Ders., Das Kreuzzugslied des lateinischen Mittelalters (= Münstersche MittelalterSchriften; 21), München 1974, 204–214. Spreckelmeyer ist sich sicher, daß das Lied anläßlich der »ersten Jahresfeier der Eroberung Jerusalems« gedichtet wurde (ibid., 204f). Die genaue Datierung auf das Jahr 1100 ergibt sich meines Erachtens aus dem Text selbst nicht zwingend. Zumindest ein Entstehen sehr bald nach dem Kreuzzug ist allerdings äußerst wahrscheinlich. Zum Entstehungsort äußert sich Spreckelmeyer nicht, wobei fraglich ist, ob die liturgisch formalisierte Feier der Eroberung schon so früh im Abendland verbreitet war. Die Kanoniker vom Heiligen Grab als entscheidende Multiplikatoren der Heilig-Grab-Frömmigkeit wurden erst 1114 durch Patriarch Arnulf von Chocques reguliert und in das Netzwerk der Reformbewegung eingebunden. Vgl. Elm, Kaspar, ›Kanoniker und Ritter vom Heiligen Grab. Ein Beitrag zur Entstehung und Frühgeschichte der palästinensischen Ritterorden‹, in: Die geistlichen Ritterorden Europas, hg. v. Josef Fleckenstein u. Manfred Hellmann (= Vorträge und Forschungen; 26), Sigmaringen 1980, 141–169, 147f. Im Hymnus wird würdigend aber kurz auf die Heilige Lanze verwiesen, die während der Belagerung von Antiochia aufgefunden und durch Raimund von Toulouse instrumentalisiert wurde, um seinen Einfluß im Heer und besonders gegen die Normannen zu stärken. Aus der kurzen Erwähnung der Lanze durch den anonymen Dichter schließt France auf eine Entstehung des Hymnus im provenzalischen Kontext, da man in Okzitanien ein Interesse an einer Fortsetzung des Lanzen-Kultes gehabt habe (vgl. France, ›Account‹, 782f). Geht man jedoch wie Spreckelmeyer von einer frühen Entstehung des Hymnus aus, so spräche der Verweis auf die Lanze nicht gegen einen Ursprung im Orient, da die Authentizität des Heiltums zwar noch vor der Belagerung Jerusalems durch ein Ordal widerlegt worden war, der Glaube an die Echtheit sich aber noch einige Zeit hielt (vgl. Morris, Colin, ›Policy and Visions: The Case of the Holy Lance at Antioch‹, in: War and Government in the Middle Ages, hg. v. John Gillingham u. J. C. Holt, Cambridge 1984, 33–45; Riley-Smith, Jonathan Simon Christopher, The First Crusade and the Idea of Crusading, London 1986, 95ff). Linder sieht zudem den Hymnus als einen Bestandteil der hier analysierten Predigt und spricht von einer »integral sequence« (Linder, ›New Day‹, 58). Ich schließe mich Linder und Spreckelmeyer an und gehe bei meiner Interpretation von einer frühen Entstehung von Hymnus wie Predigt im Königreich Jerusalem aus.

266

Der erste Kreuzzug – die ethnogenetische Phase

mit dem Gedanken eines auf dem Kreuzzug und im lateinischen Königreich immanent wirkenden Königtums Christi – Rex pugnat et praecedit.1142 Die Untersuchung der liturgischen Überlieferung zeigt in besonderer Deutlichkeit die zentrale Position, welche der Eroberung Jerusalems in der Erinnerungskultur des lateinischen Königreiches und damit im jerosolymitanischen Mythomoteur zuzuschreiben ist. Dieses Ereignis war die primordiale Tat, welche die Erinnerung der Jerosolymitaner bestimmte, aus der sich ihr Selbstverständnis speiste und die immer wieder rituell ins Gedächtnis gerufen wurde, um die Kohäsion der Gruppe zu stärken. Am Mittag des 15. Juli 1099 schlug die Geburtsstunde des lateinischen Königreiches und der Jerosolymitaner, die zum entscheidenden Referenzpunkt der jerosolymitanischen Ethnohistorie wurde. In der zweiten Redaktion der Historia Hierosolymitana verwendet Fulcher von Chartres zur Datierung historischer Ereignisse das Muster anno […] ab Hierusalem capta,1143 und Wilhelm von Tyrus verweist immer wieder auf den introitus Latinorum. Die öffentlich und öffentlichkeitswirksam inszenierte Liturgie leistete zum Zwecke der Verankerung und Reaktivierung der gemeinschaftsstiftenden Erinnerung sicherlich den größten und effektivsten Beitrag, da sie ein großes Publikum erreichte und den im Gedenken beschworenen Ethnizismus automatisch durch die Einbettung in die biblischen Texte der Horen und der Messe sowie durch die Kombination mit der Eucharistie in der Grabeskirche mythoreligiös überhöhte und legitimierte. Doch obwohl man vor diesem Hintergrund wohl von einem Primat der Liturgie in der ethnohistorischen Erinnerungskultur des lateinischen Königreichs ausgehen darf, muß ebenso auf den bemerkenswerten Umstand hingewiesen werden, daß zentrale Motive und teilweise wörtlich übernommene Passagen aus der jerosolymitanischen Historiographie Eingang in den Ritus fanden und diesen offenbar nachhaltig prägten. Fulcher von Chartres und die von ihm abhängigen Autoren schrieben tatsächlich Ursprungserzählungen der Jerosolymitaner, und die Historia Hierosolymitana selbst kann geradezu als die offizielle Geschichte der jerosolymitanischen Ethnogenese angesehen werden, die daher durch alle späteren Historiographen des lateinischen Königreiches konsultiert, adoptiert und adaptiert wurde.

1142 ›Ierusalem, laetare‹, 20. Zur Darstellung Christi als König in diesem Hymnus vgl. Spreckelmeyer, Kreuzzugslied, 212. 1143 FvC II.xl.1. Vgl. Epp, Fulcher von Chartres, 296.

VII. Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

Mit dem ersten Kreuzzug endete die prägende Phase der beiden großen lateinisch-orientalischen Ethnogenesen, endete jene origo, welche die antiochenischen und jerosolymitanischen Historiographen ins Zentrum ihrer ethnohistorischen Entwürfe stellen. Die Akzente, welche in dieser Periode gesetzt wurden, sollten auch die weitere Geschichte des Fürstentums Antiochia und des Königreiches Jerusalem bestimmen. Der jeweils besondere Charakter der beiden Kreuzfahrerstaaten und ihrer lateinischen Bevölkerung läßt sich sehr gut anhand solcher Elemente in der lateinisch-orientalischen Historiographie beobachten, deren Wurzeln schon im Laufe des Kreuzzuges anzusiedeln sind, die ihre volle Bedeutung allerdings erst nach dessen Ende zu entfalten begannen. Einerseits betrifft dies das Problem der Legitimation der neu entstandenen Kreuzfahrerstaaten, ihrer Herrscher und auch der lateinischen Einwohner als ethnische Gruppen. Denn die für das ethnische Selbstverständnis so wichtigen Fragen der Legitimität waren in den beiden Kreuzfahrerstaaten mitnichten durch die Tatsache ausgeräumt, daß sowohl das Fürstentum als auch das lateinische Königreich aus einem als heilig verstandenen Krieg hervorgegangen waren. Tatsächlich ergaben sich gerade aus diesem Aspekt der Genese der beiden Staaten und ethnischen Gruppen gewichtige Herausforderungen. Andererseits ist auf die Rolle zu verweisen, die in Antiochia und Jerusalem die Identifikation mit bestimmten genuin religiösen, aber ethnizistisch instrumentalisierten Symbolen spielte. Im Falle Antiochias ist auf die Anknüpfung an die petrinische Tradition der alten christlichen Metropole am Orontes zu verweisen, während in Jerusalem die nach der Eroberung im Sommer 1099 gefundene Reliquie des Wahres Kreuzes zu nennen ist. Petruskult und Kreuzeskult stehen dabei in enger Verbindung zu den jeweiligen Legitimationsproblemen und den Strategien zu deren Lösung.

268

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

1.

Gegründet gegen den Geist des Kreuzzuges? – Antiochenische Legitimationsprobleme und Lösungsstrategien

a.

nec cohibere flammas potuit fornax succensa – Heiliger Zorn gegen berechtigte byzantinische Ansprüche

Die Antiochener sahen sich in zweifacher Hinsicht mit Legitimationsproblemen konfrontiert. Das politisch relevantere und wirkmächtigere, in der antiochenischen Ethnohistoriographie allerdings leichter zu bewältigende Legitimitätsdefizit ergab sich aus dem Verhältnis zu Konstantinopel und dem byzantinischen Kaiser. Die Byzantiner betrachteten sich mit einiger Berechtigung als die legitimen Herren Antiochias und durften aufgrund von im Jahre 1097 in Konstantinopel getroffenen Abmachungen zwischen den Kreuzzugsführern – einschließlich Bohemunds – und dem Kaiser auch mit gutem Recht die Rückgabe der Stadt erwarten. Schließlich war damals zugesichert worden, ehemalige Besitzungen der Byzantiner, die man den Muslimen entreißen konnte, an das Reich zurückzugeben.1144 Zudem mußte die auch kriegerisch geführte Auseinandersetzung mit Byzanz – trotz aller Streitigkeiten zwischen Griechen und Lateinern – im Hinblick auf die eigentliche Intention Urbans II. wenn nicht als ein schwerwiegender Bruch mit dem Geist des Kreuzzuges, so doch zumindest als fragwürdig erscheinen. Diesem durchaus beachtlichen Legitimationsproblem der lateinischen Herrschaft über Antiochia und der bloßen Existenz eines lateinischen Fürstentums in Nordsyrien begegnen die Texte der Gesta-Familie wie auch Radulf von Caen von Beginn an durch die schon besprochene vehemente Graecophobie und insbesondere durch die Schmähungen gegen Alexios. In diesem Zusammenhang ist auch die Art und Weise zu verstehen, wie die Abmachungen zwischen dem Kaiser und Bohemund dargestellt werden. Es ist offensichtlich, daß man sich hier mit einem Dilemma konfrontiert sah. Es konnte schließlich kein Zweifel daran bestehen, daß sich Bohemund durch seine Eide an Alexios zur Rückgabe Antiochias verpflichtet hatte.1145 Dies ließe sich mit der generellen Stoßrichtung der antiochenischen Historiographie aber nicht vereinbaren, so daß der anonyme Autor der Gesta Francorum und Tudebodus die ungelegenen Details der Abmachungen schlicht unterschlagen und lediglich von einem allgemeinen sacramentum1146 – einem förmlichen Treueeid – spre1144 Wie weit die in diesen Abmachungen zugesicherten Ansprüche reichten, ist nicht klar ; Antiochia aber gehörte mit Sicherheit zu jenen Landstrichen, die dem Kaiser zurückgegeben werden sollten. Vgl. Asbridge, Creation, 92ff; Lilie, Byzanz, 45ff; Pryor, ›Oath‹. 1145 Vgl. Ibid., 47; Mayer, Kreuzzüge, 65. 1146 GF II.vi; PT 48. Siehe auch Pryor, ›Oath‹.

Antiochenische Legitimationsprobleme und Lösungsstrategien

269

chen, welches die Anführer dem Kaiser unter Zwang geleistet hätten. Dafür werden in den Gesta Francorum die Pflichten, die der Kaiser mit diesem Eid eingegangen sei, um so deutlicher beschrieben. Besonders betont der Anonymus, daß sich Alexios verpflichtet habe, an der Spitze einer Land- und Seestreitmacht die Kreuzfahrer zu begleiten und diese in ihren Kämpfen zu unterstützen.1147 Diese Passage bereitet geschickt den Boden für die spätere Beschreibung der Auseinandersetzung unter den Kreuzzugsführern in der Frage, wem Antiochia im Falle einer Eroberung zuzusprechen sei.1148 Bei dem Bericht über die Debatten in dieser Streitfrage wird nämlich auf die Zusicherungen des Kaisers Bezug genommen. Die Anführer hätten sich ohne Ausnahme darauf geeinigt, Antiochia nur dann an Alexios zu übergeben, wenn er seinen Versprechungen nachkommen und mit einem Heer zur Unterstützung der Lateiner vor Antiochia erscheinen sollte. Andernfalls werde man die Stadt Bohemund anvertrauen, sofern dieser einen wesentlichen Beitrag zu ihrem Fall leisten sollte.1149 Mit dem von Bohemund maßgeblich vorbereiteten Verrat durch Firuz hatte er diese Bedingung erfüllt, so daß gemäß der Darstellung der Gesta-Familie die Herrschaft Bohemunds und der Normannen in Antiochia als legitim und der Kaiser gleichzeitig als diskreditiert gelten kann.1150 Zum gleichen Zweck wird die Beschreibung der Verhandlungen in Byzanz um eine zusätzliche Komponente erweitert. Es wird berichtet, der Kaiser habe Bohemund aus Angst vor dem Normannenführer Land mit den Ausmaßen von fünfzehn mal acht Tagesreisen in der Umgebung Antiochias zugesichert. Damit wäre nicht nur die Herrschaft über die Stadt Antiochia selbst, sondern auch über einen beachtlichen Teil jenes Territoriums legitimiert, das später das Staatsgebiet des Fürstentums bilden sollte.1151 Etwas mehr Freiheit zur Wahrheit konnte sich Radulf von Caen bei der Behandlung dieses Themas nehmen, da er Bohemunds Versprechen dem Kaiser gegenüber den um so stärker hervorgehobenen Widerstand Tankreds gegen die Abmachung entgegensetzen und somit den in seiner Darstellung wesentlichen Träger des normannisch-antiochenischen Mythomoteurs unbeschadet erscheinen lassen konnte. Ebenso wie der Anonymus und Tudebodus setzt daher 1147 Vgl. GF II.vi. 1148 Vgl. GF VIII.xx. Vgl. PT 83ff. Siehe auch: Asbridge, Creation, 34–41; Mayer, Kreuzzüge, 74f. 1149 Die Darstellung dieser Verhandlungen fällt bei Raimund von Aguilers ganz anders aus. So habe man – übrigens gegen den Widerstand des Grafen von Toulouse – Bohemund lediglich für fünfzehn Tage die Führung des Heeres anvertraut, aber keine Abmachungen in Bezug auf die Herrschaft über Antiochia getroffen. Vgl. RvA XI. 1150 Vgl. GF VIII.xx; PT 83ff. 1151 Vgl. GF II.vi; PT 47f. Siehe dagegen z. B. AvA II.xviii.

270

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

auch Radulf das Element der Graecophobie als Mittel zur Legitimierung der Herrschaftsübernahme der Normannen in Antiochia ein. Erst baut er die Griechen – im Rahmen des Berichts über die Schlacht am Vardar – als erbitterte und in jeder Beziehung negativ charakterisierte Gegner der Normannen auf, um diese damit als unwürdige Herrscher über Antiochia zu entlarven.1152 Darauf folgen in den Kommentaren zu den Verhandlungen mit Alexios ausführliche Invektiven gegen den Kaiser und schließlich die Rechtfertigung des Abkommens. Radulfs Apologie für Tankreds Zustimmung zum Bruch des Abkommens beruht auf drei Säulen und ist gegen griechische Ansprüche gerichtet. Erstens betont er, daß Bohemund von Alexios geblendet worden und dessen Verführungen erlegen sei, daß Tankred jedoch den Kaiser durchschaut habe. Aus Verdruß über die Nachricht, daß Bohemund sich dem Kaiser unterworfen habe, sei Tankred erkrankt. Zur Beschreibung seines Zornes gebraucht Radulf das Bild eines glühenden Ofens, der die Flammen nicht mehr in sich bändigen kann – nec cohibere flammas potuit fornax succensa.1153 Deshalb habe Tankred beschlossen, den Eid an Alexios zwar zu leisten, diesen aber anschließend zu brechen, weil er ihm unter Zwang abverlangt worden sei.1154 Diesem wichtigen Kapitel verleiht Radulf wiederum einen partikularistisch normannisch-antiochenischen Unterton, wenn er zwei Boten Tankreds, die beim Überbringen ihrer Nachricht von den Griechen entdeckt und vor den Kaiser geführt wurden, deutlich betonen läßt, daß sie Normannen seien – keine Franken!1155 Weiterhin argumentiert Radulf mit der angeblichen Unfähigkeit der Griechen, ihre ehemaligen Besitzungen gegen die Muslime zu verteidigen: urbes et oppida restitui Græcis, id esse restitui Turcis.1156 Gewiß legitimiert Radulf mit diesen Worten generell die Herrschaft der Lateiner über die Kreuzfahrerstaaten. Da jedoch bei Auseinandersetzungen mit den Byzantinern in der Folge des Ersten Kreuzzuges die Kontroverse um Nordsyrien und Kilikien im Vordergrund stand, dürfte diese Passage vor allem auf eine Legitimation des Fürstentums Antiochia abzielen. In dieser Argumentation wird die dem Kreuzzugsgeist eigentlich entgegenstehende Opposition zum christlichen Kaiser von Konstantinopel lediglich als notwendige Folge des Unvermögens der Byzantiner dargestellt, die Türken zu bekämpfen. Durch diesen Winkelzug Radulfs gelingt es, das Vorgehen der Normannen doch als kreuzzugskompatibel erscheinen zu lassen. Schließlich rechtfertigt Radulf den Bruch des Abkommens mit Alexios auch dadurch, daß er Tankred zwar den Eid schwören, dabei aber die Bedingung setzen läßt, der Kaiser selbst solle die Armee der Christen gegen die Muslime ins 1152 1153 1154 1155 1156

Vgl. RvC IV–VII. RvC XIII. Vgl. auch Russo, ›Tancredi‹, 225. Vgl. RvC XIII. RvC XVII.

Antiochenische Legitimationsprobleme und Lösungsstrategien

271

Feld führen.1157 Zu dem Zeitpunkt, als die Gesta Tancredi entstanden, war allgemein bekannt, daß Alexios nicht selbst an den entscheidenden Feldzügen, Schlachten und Belagerungen des Kreuzzuges teilgenommen hatte. Gemäß der Darstellung Radulfs mußten folgerichtig Tankreds Eid an Alexios als nichtig und die normannische Herrschaft über Antiochia als legitim erkannt werden. Weil die normannische Herrschaft über Antiochia aber nicht nur gegen byzantinische, sondern auch gegen die mit diesen verbundenen provenzalischen Ansprüche1158 verteidigt werden mußte, ist auch bei Radulf scharfe Kritik an Bohemunds Widersacher und Alexios’ Verbündetem Raimund von Toulouse zu verzeichnen. Auf diese Weise verfolgt Radulf eine Strategie von Kondemnation durch Assoziation, da alle vermeintlichen und tatsächlichen Verfehlungen der provenzalischen Partei auf ihre byzantinischen Partner zurückfallen. Dadurch erklärt sich der Vorwurf der Gesta Tancredi, daß einige von Raimunds Männern in der Gefangenschaft zum Islam konvertiert seien.1159 Ferner betont Radulf, daß Raimund der bedeutendste Förderer des Kultes um die in Antiochia gefundene, später jedoch in einem Ordal diskreditierte Heilige Lanze gewesen sei.1160 Anders als in den Gesta Francorum und der Historia de Hierosolymitana Itinere wird in den Gesta Tancredi diese Lanze von Anfang an als eine durch die provenzalische Partei betriebene Fälschung bezeichnet, und Raimund erscheint folglich als ein Betrüger, der den Glauben des Volkes für seine eigennützigen Interessen ausbeutete.1161 Bohemund hingegen habe schon zu Beginn den Betrug vermutet und schließlich auch durch seinen Scharfsinn entlarvt und bloßgestellt.1162 In Verbindung mit der Auseinandersetzung um die Echtheit der Lanze zwischen Bohemund und Raimund bringt Radulf eine besonders starke schriftstellerische Waffe zur Legitimation der normannischen Herrschaft über Antiochia in Stellung. So berichtet er von angeblichen Planungen seitens der Provenzalen unter Raimund, einen Anschlag auf Bohemund zu verüben und sich so die Macht über Antiochia zu sichern. Diese Pläne aber hätten Raimund den Zorn Gottes eingebracht, der nicht gewollt habe, daß diese Ungerechtigkeit verschwiegen wird – noluit taceri iniquitatem Deus.1163 Der Herr habe daher (dem Normannen!) Arnulf von Chocques dieses Vorhaben der Provenzalen offenbart, so daß der Anschlag vereitelt werden konnte. Die Herrschaft Bohe1157 1158 1159 1160

Vgl. RvC XVII–XVIII. Vgl. Mayer, Kreuzzüge, 73ff. Vgl. RvC, XCIII. Siehe hierzu detailliert Asbridge, Thomas S., ›The Holy Lance of Antioch: Power, Devotion and Memory on the First Crusade‹, in: Reading Medieval Studies (33; 2007), 3–36; Morris, ›Policy‹; Runciman, Steven, ›The Holy Lance Found at Antioch‹, in: Analecta Bollandiana (68; 1950), 197–209. 1161 Vgl. RvC C–CIII, CVIII–CIX. 1162 Vgl. RvC CII–CIII. 1163 RvC CIII.

272

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

munds über Antiochia wird auf diesem Wege mit der göttlichen und damit höchsten Legitimation versehen. Doch die Legitimation des Fürstentums und der Antiochener gegenüber Byzanz wurde durch das zögernde und bisweilen konträre Vorgehen des Kaisers und die daraus resultierende allgemeine Skepsis oder gar Feindseligkeit gegenüber Konstantinopel nach dem Kreuzzug zumindest erleichtert. Ein zweites Legitimitätsdefizit hingegen berührte den Kern der Kreuzzugsidee und war sehr viel schwieriger auszuräumen.

b.

Pereant male qui volunt habitare Antiochie – die antiochenische Erbsünde

Die Einbettung der Eroberung Antiochias wie auch der Gründung des nordsyrischen Fürstentums in die moderne Kreuzzugsforschung läßt diese Ereignisse und mit ihnen Antiochia als integrale Bestandteile des ersten Kreuzzuges und mithin der gesamten Kreuzzugsbewegung in den Orient und der lateinischen Präsenz in der Levante erscheinen. Aus verständlichen Gründen vollziehen Monographien zur Geschichte der Kreuzzüge insgesamt – die vorliegende Arbeit nicht ausgeschlossen – zumeist das zeitliche wie räumliche Fortschreiten des ersten Kreuzzuges von der Predigt Urbans II. im November 1095 bis zur Wahl Gottfrieds von Bouillon im Juli 1099, von Clermont bis Jerusalem nach und insinuieren somit eine in sich geschlossene und stimmige Kausal- und Progressionskette, deren einzelne Glieder allesamt notwendige Bestandteile des größeren Ganzen sind.1164 Der Aufruf von Clermont veranlaßte europäische Magnaten und ihre Gefolgsleute zum Aufbruch in den Osten. Der Weg in den Osten führte über Konstantinopel und durch Kleinasien und mußte erste Auseinandersetzungen mit den Byzantinern wie auch erste Kämpfe mit den Türken zur Folge haben. Der Konflikt mit den Türken mußte bei Antiochia ausgefochten und die Metropole am Orontes gehalten werden, um den Weitermarsch nach Jerusalem zu ermöglichen und dem Heer den Rücken freizuhalten – »lest the Frankish blood spilled in the name of its conquest be squandered«.1165 Die Eroberung Jerusalems schließlich mußte zu einer dauerhaften lateinischen Präsenz in Palästina führen. Überspitzt gesprochen ließe sich hierin ein geradezu whigistisch1166 oder marxistisch anmutendes Geschichtsbild erkennen, in dessen Deutung der 1164 Verwiesen sei hier exemplarisch auf neuere Monographien aus der englischsprachigen Forschung: Asbridge, First Crusade; Ders., Crusades; Phillips, Holy Warriors; Rubenstein, Armies; Tyerman, Christopher, God’s War. A New History of the Crusades, London 2006. 1165 Asbridge, Crusades, 83. 1166 Vgl. Mayr, Ernst, ›When is History Whiggish?‹, in: Journal of the History of Ideas (51; 1990), 301–309.

Antiochenische Legitimationsprobleme und Lösungsstrategien

273

Kreuzzug von Beginn an einem prädestinierten Ziel entgegenstrebte und auf dem Weg dorthin bestimmte Etappenziele zu bewältigen hatte. Wie die Analyse der narrativen Verarbeitungen des Kreuzzuges im vorangegangenen Kapitel gezeigt hat, vertraten auch die zeitgenössischen Historiographen schon in mancherlei Hinsicht eine solche Sicht. Mindestens ein Glied in dieser Kette jedoch kann zwar als eine strategisch tatsächlich notwendige Maßnahme gelten, wurde jedoch in Teilen der Kreuzzugshistoriographie durchaus kritisch gesehen, und dieses Glied ist zugleich das schwächste in den Legitimationsbestrebungen der antiochenischen Historiographen. All jene Kreuzfahrer, welche nach dem Weiterzug des Heeres gen Jerusalem in Antiochia verblieben und nicht nach Jerusalem reisten, handelten damit entgegen ihrem Kreuzzugsgelübde.1167 Susan Edgington und Carol Sweetenham weisen zugespitzt auf dieses antiochenische Problem hin: »[Bohemond’s] crusade stopped at Antioch, where a spiritual expedition turned into a traditional Norman land grab.«1168 Die Eroberung und Besetzung Antiochias durch freundliche oder zumindest nicht feindliche Kräfte waren in strategischer Hinsicht durchaus sinnvolle Schritte auf dem Weg zur Verwirklichung des eigentlichen Kreuzzugsziels – der Eroberung Jerusalems. Allerdings waren die Kreuzfahrer auf eine Besetzung Nordsyriens durch lateinische Truppen aus rein militärischen Erwägungen nicht angewiesen. Hätte Bohemund Antiochia nämlich wie vereinbart dem Kaiser übergeben, wäre zum einen die nördliche Flanke der Kreuzfahrer gesichert gewesen; zum anderen hätte sich ein sehr viel größeres Heer der Jerusalem-Kampagne widmen können. Zudem bedeutete das Verbleiben Bohemunds und eines wohl nicht unerheblichen Teils der militärischen Macht des Kreuzzuges in Nordsyrien eben auch eine Belastung für den Fortgang der Unternehmung. Schließlich führte dies zu einer Spaltung der Ressourcen zu Lasten der eigentlichen Priorität des Kreuzzuges. Mit diesem Geburtsmakel des Fürstentums mußte sich auf der persönlichen Ebene nach dem Kreuzzug selbstverständlich vor allem Bohemund arrangieren – sein Neffe Tankred immerhin war ja nach Jerusalem weitergezogen. Auf einer übergeordneten, ethnischen Ebene allerdings hatten auch die lateinischen Antiochener insgesamt – zumindest jene, die in Antiochia verblieben waren – mit diesem Manko zu kämpfen. Hierin bestand eine regelrechte Erbsünde des lateinischen Antiochia, mit der sich die antiochenische Ethnohistoriographie auseinandersetzen mußte.1169 Daß die Notwendigkeit zu einer solchen Auseinandersetzung tatsächlich 1167 Vgl. Mayer, Kreuzzüge, 74f. 1168 Edgington, Susan B. u. Sweetenham, Carol, ›Introduction‹, in: The Chanson d’Antioche. An Old French Account of the First Crusade, hg. u. übers. v. Susan B. Edgington u. Carol Sweetenham (= Crusade Texts in Translation; 22), Farnham 2011, 1–97, 45. 1169 Vgl. Dickerhoff, ›Staatsgründung‹, 123 m. Anm. 136.

274

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

bestand, läßt sich anhand der nicht-antiochenischen Parallelüberlieferung nachweisen. Guibert von Nogent beispielsweise übt ätzende Kritik an Bohemund, spielt das Kreuzzugsheer und seine Leistungen gegen die Interessen des Normannen aus und baut schließlich einen klaren Gegensatz zwischen der Gründung des Fürstentums und dem Kreuzzug auf: Boemundus, qui Antiochiae fame, cruoribus ac frigore Francorum obtinuerat principari, apud eam, ceteris proficiscentibus, maluit remorari quam pro Iesu Domini sepulchri liberatione vexari.1170

Raimund von Aguilers scheint auf den ersten Blick die Übergabe Antiochias an Bohemund und somit die Staatsgründung zu befürworten, wenn er formuliert, daß omnes concedant eam Boimundo, quoniam ipse est sapiens et optime servabit eam, et nomen eius magnum est inter paganos.1171 Schon die Behauptung des magnum nomen, welches Bohemund angeblich bei den Heiden gehabt habe, ist jedoch zumindest ambivalent. Zudem schreibt Raimund die hier wiedergegebenen positiven Äußerungen über den Normannen quidam qui castella et reditus in regione Antiochie habebant1172 zu – also den Profiteuren von Bohemunds Aufstieg in Nordsyrien und der anschließenden Staatsgründung. Das Lob ist mithin vergiftet. An anderer Stelle baut Raimund daher sehr klar einen Gegensatz zwischen diesen Profiteuren einerseits und den wahren Kreuzfahrern andererseits auf, denen er diese Worte in den Mund legt: Nos autem Christo pro quo venimus duce, iter nostrum adgrediamur. Pereant male qui volunt habitare Antiochie sicut nuper habitatores eius perierunt. Quod se hec tanta lis diutius propter Antiochiam datur, diruamus muros eius, et pax que ante captam civitatem principes tenuit, destructa civitate eosdem tenebit.1173

Geradezu ein Fluch wird Antiochia und den lateinischen Staatengründern also entgegengeschleudert, da erst die Metropole am Orontes Zwist ins Lager der Kreuzfahrer gebracht habe. Der Wunsch, Antiochias Mauern mögen geschleift und gar die Stadt selbst zerstört werden, sind im Übrigen nicht nur der Loyalität des Autors zu Bohemunds Gegner Raimund von Toulouse geschuldet, sondern drücken die tatsächliche Stimmung aus, welche damals in weiten Teilen des auf Weiterzug sinnenden Heeres herrschte.1174 Wie begegnen die Historiographen Antiochias dieser antiochenischen Erbsünde? Als zwei besonders zentrale Muster der Legitimitätsstiftung in den 1170 1171 1172 1173 1174

GvN VII.xxxvii. RvA XIV. RvA XIV. RvA XIV. Vgl. Dickerhoff, ›Staatsgründung‹, 118; Kostick, Conor, The Social Structure of the First Crusade (= The Medieval Mediterranean. Peoples, Economies and Cultures, 400–1500; 76), Leiden 2008, 136f.

Antiochenische Legitimationsprobleme und Lösungsstrategien

275

Origines Gentium identifiziert Plaßmann einerseits die Funktion der Herrscher als »Kristallisationspunkte der Legitimität« und andererseits die der Eliten als »Stützen der Legitimität«.1175 Nach den bisherigen Ausführungen sollte offensichtlich sein, daß in der antiochenischen Historiographie die Würdigungen Bohemunds und Tankreds dieser Strategie dienen. Ihre Taten und ihre Bedeutung beim Ersten Kreuzzug und insbesondere bei der Eroberung Antiochias legitimieren ihre spätere Herrschaft in Nordsyrien und damit wird auch die Dominanz der neuen, normannisch geprägten, antiochenischen Elite und letztlich aller Lateiner in Antiochia insgesamt gerechtfertigt. Eine weitere wichtige Säule der antiochenischen Legitimationsbemühungen ist abermals die Kritik an Raimund von Toulouse als größtem Widersacher Bohemunds im Lager der Kreuzfahrer. So lassen die antiochenischen Texte der Gesta-Familie keine Zweifel daran aufkommen, wen die Schuld an der Verzögerung des Weiterzuges nach Jerusalem traf – den Provenzalen Raimund von Toulouse: Videns autem Raimundus quod nullus seniorum uoluisset causa eius ire in uiam Sancti Sepulchri, exiuit nudis pedibus de Marra […] et peruenit usque Capharda.1176

Zwar wird Raimund immerhin die Fähigkeit zur Einsicht bescheinigt, und die von ihm zur Schau gestellte Demut ist durchaus eine positive Charaktereigenschaft.1177 Dennoch sollte diese Stelle veranschaulichen, wo der Anonymus im Streit um Antiochia Position bezieht. Eine zusätzliche Komponente in der Legitimationsstrategie der antiochenischen Gesta-Versionen ist die zunehmende Konzentration auf Tankred, der durch seinen Weiterzug nach Jerusalem über jeden Zweifel erhaben war.1178 Insbesondere sein Beitrag zu den Gefechten um Askalon wird hervorgehoben. Zudem tritt Tankred in den wichtigen Passagen zur Überquerung des Vardar und der Speisung des Heeres im Tal des Überflusses an der Via Egnatia in den Vordergrund des Geschehens. Dadurch wird die Aufmerksamkeit von Bohemunds Machtstreben wie auch von seinem Verbleiben in Antiochia abgelenkt, 1175 Plassmann, Origo, 369. 1176 GF X.xxxiv. Vgl. PT 126. 1177 Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang ferner, daß Tudebodus – anders als der Anonymus – einen Grund dafür nennt, warum Bohemund sich nicht wie vereinbart mit den anderen Anführern im November 1098 in Antiochia zum Aufbruch gen Jerusalem einfand. Tudebodus schreibt, daß der Normannenführer gravi infirmitate (PT 117f) davon abgehalten worden sei, zu erscheinen. Die Erwähnung des Fernbleibens Bohemunds durch Tudebodus ist mitunter als Zeichen der Kritik an dem Normannenführer gewertet worden (vgl. Flori, ›Anonyme Normand‹, 740). Ich würde dem entgegenhalten, daß hier vielmehr Bohemunds Zurückbleiben mit einem durch diesen unverschuldeten Sachverhalt plausibel erklärt und entschuldigt werden soll. 1178 Vgl. GF X.xxxviii–xxxix. Vgl. PT 138–149.

276

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

während ein anderer Normanne aus dem Hause Hauteville-la-Guichard zu einer identitätsstiftenden Figur aufgebaut wird. In einer anderen Passage, welche die Expedition Tankreds und Balduins von Boulogne durch Kilikien im Herbst 1097 beschreibt,1179 charakterisiert Radulf zudem die Haltung des Normannenführers zu den orientalischen Christen in bemerkenswerter Weise. Balduin und Tankred hatten soeben die vor allem von christlichen Armeniern bewohnte Stadt Tarsus nahe der Kilikischen Pforte von den Muslimen erobert und sich darauf in der Frage zerstritten, wem der Ort unterstellt werden sollte. Als Balduin Tankred nun vorschlug, die Stadt zu plündern und die Beute zu teilen, um so den Streit zu schlichten, habe der Normanne dies vehement abgelehnt und entgegnet: Ego namque Christianos nolo expoliare.1180 Der Text betont in diesem Zusammenhang außerdem, daß sich danach die Christen von Tarsus, Mamistra und Adana dem Schutz Tankreds unterstellt hätten. Daß Tankred hier so deutlich als Beschützer der armenischen Christen dargestellt wird, ist kein Zufall. Das von christlichen Armeniern bewohnte Kilikien geriet schon früh in den Einfluß- und zu einem beachtlichen Teil auch in den Herrschaftsbereich des Fürstentums Antiochia.1181 Es erscheint hier so, als wollte der Anonymus den Armeniern im Machtbereich Antiochias, mit denen sich die neuen Herrscher arrangieren mußten, eine eigene Position in seiner Erzählung von den Anfängen des Fürstentums einräumen und sie in der normannischantiochenischen Ethnogenese gleichsam verorten. Auch hier paßt der Anonymus die ethnische Tradition der Antiochener so an, daß sie gut mit den politischen Realitäten in Nordsyrien in Einklang zu bringen ist. Durch die Charakterisierung des aufgrund seiner Teilnahme an der Eroberung Jerusalems ohnehin weniger angreifbaren jüngeren Normannenführers als Beschützer orientalischer Christen konnte zudem erneut die Diskrepanz zwischen den antiochenischen Auseinandersetzungen mit Byzanz und dem hehren Ideal des Kreuzzuges überdeckt und eine mit diesem kompatible Episode in die Ursprungserzählung der Antiochener integriert werden.1182 1179 Zur kilikischen Kampagne Tankreds und Balduins ausführliche Informationen bei Asbridge, Creation, 17–24. 1180 GF IV.x. Vgl. PT 59. 1181 Vgl. Asbridge, Creation, 45f. 1182 Daß die Selbstdarstellung als Beschützer der orientalischen Christen im normannischantiochenischen Kontext tatsächlich von großer Bedeutung war, läßt sich auch an der Bronzetür des bereits besprochenen Grabmals Bohemunds in Canosa di Puglia ablesen. Dort ist unter anderem zu lesen: quanti fuerit Boamundus: / Grecia testatur, Syria dinumerat. / Hanc expugnavit, illam protexit ab hoste; / hinc rident Greci, Syria, dampna tua. / Quod Grecus ridet, quod Syrus luget. Text der Inschrift aus: Delle Donne, ›Iscrizioni‹, 11. Erfolgt in der antiochenischen Historiographie die der Legitimation dienende Hervorhebung der Schutzfunktion für orientalische Christen zumindest im Kontext des Kampfes

Antiochenische Legitimationsprobleme und Lösungsstrategien

277

Noch sehr viel eindeutiger als in den antiochenischen Texten der GestaFamilie rückt Tankred erwartungsgemäß in den Gesta Tancredi ins Zentrum der Legitimationsbemühungen. Mit Verweis auf Radulfs Darstellung der für den antiochenischen Mythomoteur so wichtigen Vardar-Überquerung stellt Luigi Russo die Frage in den Raum: »[D]ov’era in quel frangente Boemondo?«1183 – wo war bei diesem turbulenten und wichtigen Ereignis Bohemund? In der Tat wurden Bohemund und seine Männer in der Schlacht am Vardar erst sehr spät aktiv und leisteten selbst dann keinen großen Beitrag zum Sieg.1184 Auch fällt es bei der Lektüre der Gesta Tancredi auf, daß Bohemund nicht nur bei diesem herausragenden Ereignis am Vardar, sondern auch in Radulfs Werk insgesamt eine untergeordnete und bisweilen gar negative Rolle spielt. Bei den Verhandlungen mit Alexios läßt er sich vom Kaiser blenden und schließlich zu dem demütigenden Abkommen und der Unterwerfung im hominagium bewegen1185 – ein Fehlverhalten, das in Verbindung mit dem vehement graecophoben Grundton der Gesta Tancredi besonders schwer wiegt. Der gleiche Vorwurf trifft aber auch die anderen Kreuzzugsführer, und es ist allein Tankred, der sich laut Radulf dem Kaiser widersetzt habe, so daß ein besonders vorteilhafter Kontrast mit den anderen Anführern und eben auch mit seinem eigenen Onkel Bohemund hergestellt wird. Die schärfste Kritik an Bohemund findet sich ganz zum Ende der Gesta Tancredi, als Radulf über die Reise des Fürsten nach Westeuropa im Herbst 1104 berichtet, von welcher er nicht mehr zurückkehren sollte.1186 Diese Abreise stellt Radulf als einen regelrechten Verrat an Antiochia dar, wohingegen er den zurückbleibenden Tankred wiederum eindeutig positiv und gar als Retter des Fürstentums charakterisiert. Freilich sind die Gesta Tancredi nicht durchgängig gegen Bohemund gerichtet, stellen ihn allein schon wegen seiner Abstammung von Guiscard immer

1183 1184 1185 1186

gegen Muslime, so stellt das Epitaph die Verbindung zur Legitimität und Identität stiftenden Abgrenzung von den Byzantinern her. Die Antiochener unter Bohemund werden als Schutzmacht der zur Wahrung der eigenen Interessen angeblich nicht fähigen syrischen Christen gegen ihre Feinde dargestellt. Diese von der Inschrift postulierte Schutzfunktion kann in zweifacher Hinsicht verstanden werden. Einerseits wird sicherlich die Verteidigung der Christen gegen die Türken impliziert, welche in der Zeit vor 1085 durch die Byzantiner nicht gewährleistet worden war. Wenn man jedoch hinter dem stellvertretend für die Syria trauernden Syrus die nicht-melkitischen, vielleicht auch speziell die syrisch-orthodoxen Christen vermutet, kann eine Schutzfunktion der Interessen dieser Gruppe oder Gruppen gegen Ausgriffe der auf byzantinische Macht vertrauenden griechischen Orthodoxie in den zitierten Worten erkannt werden. Zum Verhältnis der Lateiner zu den Angehörigen der syrischen Orthodoxie vgl. Weltecke, ›Syriac Orthodox‹. Russo, ›Tancredi‹ 207. Vgl. RvC V. Vgl. RvC X–XIII. Zu den Verhandlungen mit Byzanz vgl. Lilie, Byzanz, 45–49; Mayer, Kreuzzüge, 64f. Vgl. RvC CLIII.

278

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

wieder sehr positiv dar.1187 Dennoch fallen die kritischen Stellen besonders ins Auge. Es entsteht der Eindruck, daß Radulf bewußt einen Kontrast zwischen Tankred als jungem Helden seines Werkes einerseits und seinem älteren Onkel Bohemund andererseits erzeugen wollte. Die Kritik an Bohemund fällt dabei alles in allem verhalten und subtil genug aus, um nicht den entschieden pronormannischen und pro-guiscardischen Grundton der Gesta Tancredi zu stören. Hierin kann eine bewußte schriftstellerische Entscheidung Radulfs erkannt werden, welche der Legitimation der normannischen Herrschaft über Antiochia und letzten Endes der Legitimation der bloßen Existenz des Fürstentums diente. Diese Legitimation stützt sich bei Radulf ganz auf Tankred, dem nicht der Makel anhaftete, in Antiochia verblieben zu sein und den Marsch nach Jerusalem und damit den Kreuzzug behindert zu haben. Durch bewußte Kontrastierung mit Bohemund wird Tankred zu einer positiven Alternative aufgebaut. In der Tat assoziiert Radulf Tankred viel stärker mit dem jungen Kreuzfahrerstaat als Bohemund. Noch vor der Eroberung Antiochias wird Tankred das erste Mal als Antiochenus […] princ[eps]1188 benannt – ein Titel, den Radulf bezeichnenderweise an keiner Stelle im Bezug auf Bohemund gebraucht. Es drängt sich der Eindruck auf, daß hier tatsächlich aktiv an der Auslöschung der antiochenischen Erbsünde gearbeitet wird. Allerdings ist es eben in den Gesta Tancredi nicht nur die große Bedeutung Tankreds für das Gelingen des ersten Kreuzzuges und somit das Entstehen des lateinischen Fürstentums Antiochia, das ihn zu einem »Kristallisationspunkt der Legitimität«1189 macht. Der schriftstellerisch versierte Radulf schafft es insbesondere durch die schon ausführlich besprochene Verortung Tankreds in der guiscardisch-normannischen Tradition, seiner Strategie der Legitimation der Herrschaft der Normannen und ihres Anführers in Nordsyrien eine wichtige und wirkungsvolle Komponente hinzuzufügen.

2.

super hanc petram – der Apostelfürst und das Fürstentum Antiochia

Im Zusammenhang mit der Belagerung Antiochias und der würdigenden Beschreibungen der Stadt in den Quellen ist bereits kurz auf die petrinische Tradition der Metropole am Orontes eingegangen worden. Antiochia war eines der frühen Zentren des Christentums und der Ort, an welchem die Jünger laut biblischer Überlieferung zuerst als Christen bezeichnet wurden.1190 Zudem war 1187 1188 1189 1190

Vgl. z. B. RvC Præfatio, LXIII, LXVI, CIII. RvC LIII. Plassmann, Origo, 367. Vgl. Act 11:26: et cognominarentur primum Antiochiae discipuli Christiani.

super hanc petram – der Apostelfürst und das Fürstentum Antiochia

279

gemäß der Tradition Petrus dort erster Bischof und Begründer des prestigeträchtigen Patriarchats von Antiochia gewesen.1191 Zahlreiche Quellen aus dem Kreuzzugskontext reflektieren die Verbindung Antiochias mit Petrus. Schließlich handelt es sich bei Petrus um einen Heiligen von gesamtchristlicher Bedeutung, dessen Kult weit verbreitet war und ist. Im 11. Jahrhundert und somit am Vorabend des Kreuzzuges hatte die Berufung auf Petrus durch die Bemühungen des Reformpapsttums zusätzlich große Bedeutung erhalten.1192 Die Assoziation von Papsttum und Petrus wurde in dieser Zeit nicht nur in der Auseinandersetzung zwischen Kirchenreformern und ihren Gegnern instrumentalisiert, sondern sie spielte auch schon beim Entstehen der Idee des heiligen Krieges gegen die Muslime auf der iberischen Halbinsel eine wichtige Rolle. Petrus war zum Patron der Kirche im Kampf gegen ihre christlichen wie auch gegen ihre muslimischen Feinde avanciert. Für diesen Kampf hatte das Papsttum im 11. Jahrhundert mehrfach europäische Herrscher und mit ihnen ihre ritterlichen Gefolgsleute unter expliziter Bezugnahme auf Petrus in den Dienst genommen – in das servitium Sancti Petri. Als Zeichen dieses Dienstes am Papsttum wurde herausragenden Streitern für die Sache Petri ein vexillum Sancti Petri verliehen, und die Schar der Kämpfer wurde als militia Sancti Petri bezeichnet.1193 Der Aneignung der petrinischen Tradition im Fürstentum Antiochia eine spezifisch antiochenische Rolle als ethnisches Symbol zuzuweisen, muß im Hinblick auf die große Verbreitung des Petruskultes und auf dessen Instrumentalisierung gerade im Vorfeld des Kreuzzuges zunächst als schwierig erscheinen. Jonathan Riley-Smith hat jedoch nachweisen können, daß die Berufung auf Petrus ausgerechnet im Rahmen des ersten Kreuzzuges selbst und im Kontext der mit diesem einhergehenden stärker christozentrischen Frömmigkeit an Bedeutung verlor, daß zudem gerade im Bereich der kriegsbezogenen 1191 Vgl. Edgington, Susan B., ›Antioch: Medieval City of Culture‹, in: East and West in the Medieval Eastern Mediterranean I. Antioch from the Byzantine Reconquest until the End of the Crusader Principality. Acta of the Congress held at Hernen Castle in May 2003, hg. v. Krijnie Ciggaar u. D. M. Metcalf (= Orientalia Lovaniensia Analecta; 147), Löwen 2006, 247–259, 248f; Hamilton, Bernard, ›The Growth of the Latin Church of Antioch and the Recruitment of its Clergy‹, in: East and West in the Medieval Eastern Mediterranean I. Antioch from the Byzantine Reconquest until the End of the Crusader Principality. Acta of the Congress held at Hernen Castle in May 2003, hg. v. Krijnie Ciggaar u. D. M. Metcalf (= Orientalia Lovaniensia Analecta; 147), Löwen 2006, 171–183, 171. 1192 Zur Stellung des Apostels Petrus vgl.: Angenendt, Heilige, 225–229; Brakel, Cyriakus Heinrich, ›Die vom Reformpapsttum geförderten Heiligenkulte‹, in: Studi Gregoriani per la Storia della Libertas Ecclesiae (9; 1972), 239–311. 1193 Vgl. Erdmann, Entstehung, 184–209; Riley-Smith, Jonathan Simon Christopher, ›The First Crusade and St. Peter‹, in: Outremer. Studies in the History of the Crusading Kingdom of Jerusalem, hg. v. Benjamin Z. Kedar, Hans Eberhard Mayer u. Raymond Charles Smail, Jerusalem 1982, 41–63, 49f.

280

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

Spiritualität eine »transference […] of military service from Peter to Christ«1194 zu beobachten sei. In der Kreuzzugshistoriographie trete Petrus außerdem kaum als Bischof von Rom in Erscheinung. Stattdessen werde er stärker mit Antiochia assoziiert. Auch diese Verbindung von Petrus und Antiochia im Kontext des ersten Kreuzzuges ist freilich kein normannisches Spezifikum, sondern wird auch von anderen Kreuzzugshistoriographen kommentiert.1195 Doch weder die allgemeine Bedeutung des Apostelfürsten noch dessen im Kreuzzugskontext verbreitete Assoziation mit Antiochia hinderte die antiochenischen Historiographen daran, Petrus und seinen Kult für ihre ethnizistische Strategie zu nutzen. Die Gesta Francorum und Petrus Tudebodus etwa geben die Traumvision eines gewissen Priesters Stephanus wieder, in welcher diesem vor dem Sieg über Kerboga Ende Juni 1098 Christus, Maria und eben auch der Apostel Petrus erschienen seien. In dieser Vision sei Christus insbesondere durch die Fürsprache Petri dazu bewogen worden, den Kreuzfahrern in ihrem Kampf beizustehen. Der Apostelfürst habe dabei folgende Worte zu Christus gesprochen: Domine, per tot tempora tenuit paganorum gens domum meam, in qua multa et ineffabilia mala fecerunt.1196 Die Vision des Stephanus haben aus den Gesta Francorum andere Historiographen übernommen.1197 Raimund von Aguilers jedoch läßt Petrus nicht selbst in der Vision erscheinen, verweist aber immerhin auf dessen Verbindung mit Antiochia, während Fulcher von Chartres die Vision, nicht jedoch den Apostelfürsten erwähnt und Albert von Aachen von dem Ereignis gar nicht berichtet. Vor allem sind es allein die Texte der Gesta-Familie, in denen Petrus bei dieser Vision eine größere Rolle spielt. Ferner steht diese Passage wiederum in Zusammenhang mit der Mythisierung Bohemunds und Tankreds, da diese von der Vision laut den Gesta und laut Tudebodus derart inspiriert worden seien, daß sie sofort geschworen hätten, die Verteidigung Antiochias niemals aufzugeben. Gerade bei dieser starken Verknüpfung Antiochias mit der Erscheinung Petri in der Traumvision1198 tritt bezeichnenderweise einmal mehr Tankred ins Zentrum der Bühne:

1194 1195 1196 1197 1198

Ibid., 63. Vgl. ibid., 50. GF IX.xxiv. Vgl. PT 98. Vgl. BvD III.vii; FvC I.xx.1–3; GvN V.xvii; RdM VII.i; RvA XI. Zur Vision des Stephanus und den Visionen in den Berichten zum Ersten Kreuzzug allgemein vgl. Sigal, Pierre-Andr¦, ›Les Visions dans les R¦cits de la PremiÀre Croisade‹, in: Furent les Merveilles Pruvees et les Aventure Truvees. Hommage — Francis Dubost, hg. v. F. Gingras, F. Laurent, F. Le Nan u. J.-R. Valette (= Colloques, CongrÀs et Conf¦rences sur le Moyen ffge; 6), Paris 2005, 583–598, bes. 590 u. 594.

super hanc petram – der Apostelfürst und das Fürstentum Antiochia

281

Tancredus uero iurauit ac promisit tali modo, quia quamdiu secum quadraginta milites haberet, non solum ex illo bello sed etiam ab Hierosolimitano itinere non esset recessurus.1199

An dieser Stelle ist in besonders klarer Weise die Überlappung der Instrumentalisierung des Apostelfürsten als Komponente des antiochenischen Mythomoteurs mit den zuvor besprochenen Legitimationsbemühungen zu beobachten. Tankred erscheint einerseits als Verteidiger der Hauptstadt des neuen Fürstentums, wobei die symbolische Zahl von vierzig Rittern seinem Schwur zusätzlich mythoreligiöses Gewicht verleiht. Andererseits wird der antiochenischen Erbsünde begegnet, indem der Normanne seinen Schwur nicht nur auf die Verteidigung Antiochias, sondern auch auf die Erfüllung seines Kreuzzugsgelübdes bezieht. Es spricht einiges dafür, daß diese Verknüpfung von Berufung auf Petrus mit der durch Bohemund und Tankred forcierten Eroberung Antiochias als ein wesentliches Element der antiochenischen Ethnogenese und des aus dieser hervorgegangenen Mythomoteurs angesehen werden muß. Bei Radulf von Caen allerdings sind die Zeichen für eine besondere Verehrung des Apostelfürsten eher subtiler Natur. So berichtet er, daß Bohemund vor seiner Rückkehr nach Europa im Jahre 1104 eine Versammlung zusammengerufen habe.1200 Leider äußert sich Radulf nicht dazu, wer an dieser Versammlung beteiligt war,1201 er betont aber deutlich, daß die Zusammenkunft intra beati Petri basilicam1202 stattgefunden habe. Dies legt nahe, daß es sich nicht nur um eine Beratung Bohemunds und Tankreds mit ihren obersten Gefolgsleuten und den in der Administration tätigen Bediensteten handelte, sondern eher um eine Versammlung, an der eine größere Zahl der lateinischen Antiochener beteiligt war. Bei dieser Zusammenkunft wurden Angelegenheiten besprochen, die für die Zukunft des Fürstentums und der Lateiner in Nordsyrien von folgenschwerer Bedeutung waren. Bohemund gab seinen Plan bekannt, nach Europa zurückzukehren, um dort um Unterstützung im Kampf gegen die Byzantiner zu werben, die zu dieser Zeit den jungen Kreuzfahrerstaat einmal mehr bedrohten und diesen – befördert durch die Bedrohung der muslimischen Herren von Aleppo, Mosul und Mardin – in eine schwere Krise gestürzt hatten.1203 Dieses Ereignis markierte zudem die endgültige Herrschaftsübernahme Tankreds. In diesem Kapitel tauchen einmal mehr die zentralen Elemente von Radulfs 1199 GF IX.xxiv. Vgl. PT 100. Übernommen in: BvD III.vii; GvN V.xvii. Baldrich jedoch bespricht zunächst den Schwur der anderen Kreuzzugsteilnehmer detaillierter, Bohemund tritt bei ihm gar nicht in Erscheinung, und Tankreds Äußerung ist lediglich ein kurzer Nachtrag. 1200 Vgl. RvC CLII. 1201 Zur zivilen Verwaltung im Fürstentum vgl. Asbridge, Creation, 192f; Cahen, Syrie, 441ff. 1202 RvC CLII. 1203 Vgl. Asbridge, Creation, 55f; Cahen, Syrie, 239ff.

282

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

ethnizistischer Strategie auf, treten die wichtigsten Komponenten des lateinischantiochenischen Mythomoteurs in Erscheinung. So betont Radulf die Bedrohung des Fürstentums durch die Griechen. In Bohemunds emotionaler Rede läßt Radulf zudem den antiochenischen Herrscher und seinen Neffen Tankred immer wieder in der alle vereinnahmenden ersten Person Plural von der Situation in Nordsyrien sprechen, womit er den Eindruck einer in sich geschlossenen, solidarisierten Gruppe erzeugt, die nun in schwieriger Lage zusammenstehen muß. Sehr eindrucksvoll und in ihrer ethnizistischen Aufladung besonders prägnant sind die Worte Tankreds, mit denen er Bohemunds bevorstehende Abreise kritisiert: Circumdante caulas luporum agmine, præsentia pastoris opus est, non absentia.1204 Das eindrucksvolle Motiv des guten Hirten1205 demonstriert die Bedeutung dieser Passage. Allerdings stellt Radulf trotz der Assoziation mit Bohemund indirekt Tankred als den eigentlichen fürsorglichen Vater seines Volkes dar, da er in Antiochia verblieb, als sein Onkel nach Europa reiste. Wenn also Radulf, der keineswegs dazu neigt, für solche Ereignisse präzise Ortsangaben zu liefern,1206 betont, daß sich diese Versammlung, die er mit Rückgriff auf die stärksten ethnizistischen Motive aus seinem Arsenal beschreibt, am symbolträchtigen Ort der Petersbasilika zugetragen habe, kann man dies durchaus als Zeichen dafür werten, daß der Petruskult als Symbol der lateinischen Antiochener auch für ihn eine Rolle spielte, oder daß er diese Rolle zumindest reflektierte. Daß der heilige Petrus in den Jahren seit der Abfassung der Gesta Francorum im lateinischen Antiochia tatsächlich nicht an Bedeutung einbüßte, daß man also die eher geringe Aufmerksamkeit für den Apostelfürsten in den Gesta Tancredi nicht überbewerten sollte, läßt sich zudem anhand der Bella Antiochena nachweisen. In Walters Text nämlich wird offenbar, daß Petrus in der Tat zu einem zentralen Symbol für die Lateiner in Antiochia avancierte. So berichten die Bella Antiochena etwa von einer acies beati Petri, einer Kampfabteilung des heiligen Petrus, die sich im Kampf gegen die Muslime besonders verdient gemacht und dem übrigen Heer als leuchtendes Vorbild gedient habe.1207 Hierin läßt sich zwar eine Ähnlichkeit mit der bereits erwähnten Würdigung eines militärischen Dienstes für das Papsttum durch die Bezeichnung militia Petri erkennen. Allerdings kann im Hinblick auf die militärischen Aktionen des Fürstentums in Nordsyrien nicht von einem tatsächlichen Dienst im Auftrag des Papstes ausgegangen werden, und die Bezeichnung ist in diesem Fall eindeutig 1204 RvC CLII. 1205 Wiederum ist es bezeichnend, daß dieses Bild hier für das antiochenische Fürstenamt verwendet wird, während in Jerusalem eher Christus als Hirte dargestellt wird. 1206 Vgl. z. B. RvC LXIV, LXV. Hier wird sogar eine ähnliche Versammlung beschrieben, an der auch die Anführer und andere wichtige Mitglieder des Heeres teilnahmen. 1207 Vgl. WdK I.vii.3, II.v.2–3. Vgl. Asbridge, ›Significance‹, 308.

super hanc petram – der Apostelfürst und das Fürstentum Antiochia

283

an die petrinische Tradition Antiochias gebunden. Leider liefert Walter keine detaillierteren Angaben zu dieser Abteilung. Asbridge und Edgington äußern die Vermutung, daß es sich bei der acies beati Petri um eine Kriegerbruderschaft1208 oder gar die Vorform eines geistlichen Ritterordens gehandelt haben könnte.1209 In jedem Falle zeigt sich hier, daß der heilige Petrus insbesondere im Krieg ein wichtiger Identifikationsfaktor für die Antiochener wurde. Eine besondere Stellung kommt in Walters Schrift auch der dem Apostelfürsten geweihten Basilika in Antiochia zu. Die Hauptkirche der Metropole war nicht allein in religiöser Hinsicht das Zentrum des Fürstentums; vielmehr erscheint sie in den Bella Antiochena als der ideelle Fokuspunkt der lateinischen Antiochener überhaupt. Besonders deutlich wird dies bei Walters Beschreibung des triumphalen Empfangs, der Roger von Salerno und seinem Heer nach dem Sieg in der Schlacht von Tell Danith in Antiochia bereitet wurde. Eine Schar von Männern und Frauen, die vom Patriarchen Bernhard von Valence angeführt und von diversen, unbenannten Reliquien begleitet wurde, sei Roger entgegen gekommen. Der vereinigte Zug sei dann durch die Stadt zur Petersbasilika gezogen – dem feierlichen Höhepunkt der Zeremonie.1210 Ganz ähnlich beschreibt Walter den Empfang Balduins II. von Jerusalem – des antiochenischen Regenten – nach dessen Sieg über Ilgazi in der zweiten Schlacht von Tell Danith; auch hier läuft die gesamte Zeremonie auf den Höhepunkt in der Petersbasilika zu.1211 Dies legt nahe, daß diese Adventus-Zeremonie ein festes Ritual im öffentlichen Leben der lateinischen Antiochener war. Daß es sich bei diesem besonderen Bezug zu Petrus trotz der für das Christentum insgesamt großen Bedeutung des Apostelfürsten durchaus um ein antiochenisches Spezifikum handelt, zeigt sich beispielsweise auch daran, daß Petrus bei Walters aus Jerusalemer Sicht schreibendem Zeitgenossen Fulcher von Chartres keine Rolle spielt. Erst der stärker den gesamten lateinischen Orient in den Blick nehmende Wilhelm von Tyrus sollte auch der petrinischen Tradition Antiochias und ihrem Fortwirken im Fürstentum größere Aufmerksamkeit widmen. Somit läßt sich trotz der fehlenden antiochenischen Überlieferung für die Zeit nach der von Walter abgedeckten Periode anhand der jerosolymitanischen Überlieferung die Kontinuität der Einbettung des Petruskultes in das öffentliche Leben der Antiochener auch lange nach dem Ager sanguinis nachvollziehen. Der aus der Normandie stammende Patriarch Radulf von Domfront (1135–1140) bediente sich ausgerechnet des durch Paschalis II. noch als Zeichen 1208 1209 1210 1211

Vgl. Ders., Creation, 212f. Vgl. WdKÜ, Anm. 179. Vgl. WdK I.vii.6–8. Vgl. WdK II.xii.11.

284

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

der Einheit von Rom und Antiochia beschworenen Apostelfürsten,1212 um die Unabhängigkeit seiner Kirche zu betreiben.1213 Wilhelm von Tyrus berichtet über die Vorbehalte, welche die Partei des Papstes gegen den ehrgeizigen Patriarchen gehabt hätte: suspectus enim eis habebatur admodum, eo […] sedem cui preerat, Antiochenam videlicet, Romane subiacere dedignabatur, sed ei eandem in omnibus parificare contendebat, dicens utramque Petri esse cathedram eamque quasi primogenite insignem prerogativa.1214

Durch eine unkanonische Wahl zum Patriarchen erhoben, hatte sich Radulf tatsächlich eigenmächtig das Pallium seines Vorgängers vom Altar der Peterskathedrale in Antiochia genommen, anstatt auf die Übersendung eines neuen Palliums aus Rom zu warten. Innozenz II. intervenierte jedoch zunächst nicht gegen Radulf, da dieser durch die mächtigen Normannen von Sizilien unter Roger II. gedeckt wurde. Erst Raimund von Poitiers, der durch seine Heirat mit der Tochter Bohemunds II. als erster Nichtnormanne seit 1136 über Antiochia herrschte, ging aus politischen Gründen gegen Radulf vor und ließ ihn beim Papst anklagen. Innozenz II. jedoch verlangte lediglich die Unterordnung Radulfs unter römische Autorität, so daß der zwischenzeitlich vertriebene Normanne im Jahre 1139 mit einer Eskorte von Galeeren Rogers II. nach Antiochia zurückkehren konnte, wo ihm laut Wilhelm von Tyrus ein triumphaler Empfang bereitet worden sei:1215 Antiochiam pervenit, ubi occurrens ei universa ecclesia et populus universus, sed et equestris ordinis cum principe maxima multitudo, cum hymnis et canticis, pontificalibus indutus sollempniter in civitatem et in maiorem ecclesiam, dehinc in palatium suum introductus est.1216

In Ermangelung eines normannischen Fürsten wird hier dem normannischen Patriarchen als Nachfolger des Apostelfürsten ein Adventus bereitet, wie ihn Walter der Kanzler im Zusammenhang mit Roger von Salerno und Balduin II. beschreibt, wobei Ziel- und Höhepunkt auch in diesem Fall die Kathedrale Petri ist. Im Hinblick auf die Amtszeit des Patriarchen Aimerich von Limoges (1140–1193) läßt sich sogar verfolgen, wie im Rahmen einer klassischen ethnizistischen Reaktion die Aktivierung der petrinischen Tradition mit zwei an1212 1213 1214 1215

Vgl. RRH Nr. 60. Vgl. Mayer, Kreuzzüge, 104. WvT XV.xiii.4–9. Vgl. Cahen, Syrie, 501ff; Hamilton, Bernard, ›Ralph of Domfront, Patriarch of Antioch (1135–1140)‹, in: Nottingham Medieval Studies (28; 1984), 1–21; Ders., Latin Church, 30–38. 1216 WvT XV.xiv.40–45.

super hanc petram – der Apostelfürst und das Fürstentum Antiochia

285

deren wichtigen Elementen des antiochenischen Mythomoteurs – der Graecophobie und der Beschwörung der alten normannisch-guiscardischen Dynastie – verknüpft werden konnte. Im Zuge der Analyse der Haltung gegenüber den Byzantinern ist schon detaillierter auf die unter Kaiser Johannes II. Komnenos forcierte Interventionspolitik Konstantinopels in Nordsyrien eingegangen worden.1217 Als die Antiochener bei der zweiten Belagerung Antiochias durch byzantinische Truppen dem Kaiser den Zugang zu ihrer Hauptstadt untersagten, hätten sie laut Wilhelm von Tyrus verkündet, ex parte beati Petri, domini quoque patriarche et civium universorum1218 zu handeln. Eine durch Raimund von Poitiers im Jahre 1137 mit Johannes getroffene Abmachung hätte dem Kaiser tatsächlich die Übernahme der Herrschaft in Antiochia erlaubt. Die Rechtmäßigkeit dieser Abmachungen sei laut Wilhelm durch die Antiochener mit dem Argument in Frage gestellt worden, daß Raimund seiner Zeit nicht im Namen seiner Frau als eigentlicher Fürstin gehandelt habe.1219 Wilhelm erkennt im Handeln der antiochenischen Delegation lediglich den moralisch und rechtlich fragwürdigen Versuch Raimunds von Poitiers, durch einen Winkelzug die Herrschaft über Antiochia zu behalten. Ohne Zweifel mußte der Fürst daran ein Interesse haben. Allerdings sollten deshalb die Begründung der Ablehnung des Abkommens von 1137 wie auch die Authentizität der antiochenischen Vorbehalte gegen ignaviam Grecorum1220 nicht in Frage gestellt werden. Vielmehr ist es vor dem Hintergrund der vorausgegangenen Erörterungen zur Rolle der Graecophobie unter den Antiochenern durchaus glaubwürdig, daß man auch in der lateinisch-antiochenischen Bevölkerung einen wachsenden byzantinischen Einfluß im Fürstentum äußerst kritisch sah, daß insbesondere eine Verdrängung des Fürstenpaares nicht befürwortet werden konnte, das immerhin in Gestalt von Konstanze als Tochter Bohemunds II. eine Kontinuität mit der alten normannisch-guiscardischen Dynastie garantierte. Aus diesem Grund ist ferner die Rechtfertigung der Ablehnung des Abkommens von 1137 mit Verweis auf die mangelnde Einbindung Konstanzes in die Entscheidung durchaus ernst zu nehmen. Dies gilt ebenso für die durch Wilhelm von Tyrus erwähnte Berufung der antiochenischen Delegation auf Petrus, den Patriarchen und das gesamte Volk. Drei Kernelemente des antiochenischen Mythomoteurs – Graecophobie sowie die petrinische und die normannisch-guiscardische Tradition – sind hier vereint und werden gemein-

1217 Siehe hierzu Kapitel IV.2. Vgl. Asbridge, Crusades, 171f; Harris, Byzantium, 82–85; Lilie, Byzanz, 74–77; Mayer, Kreuzzüge, 114ff. 1218 WvT XV.xx.20–21. 1219 Vgl. Lilie, Byzanz, 72–81; Mayer, Kreuzzüge, 115–119. 1220 WvT XV.xx.10.

286

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

sam zur ethnizistischen Abwehr einer Bedrohung der Eigenständigkeit durch den alten Erzfeind Byzanz mobilisiert.1221 Petrus und seine Kathedrale erfüllten zudem für Antiochia die Funktion, die im lateinischen Königreich der Grabeskirche zukam. Die Peterskathedrale diente wie die Bischofskirche des Patriarchen von Jerusalem als Grablege der Dynastie, wo die Fürsten ecclesie apostolorum principis inter […] predecessores sollempnibus exequiis1222 begraben wurden. Ein Verständnis für die Parallelität von Grabeskirche und Peterskathedrale, von antiochenischem Petruskult und jerosolymitanisch-christozentrischer Frömmigkeit zeigt – anders als der an Petrus und seiner Assoziation mit Antiochia wenig interessierte Fulcher von Chartres – Bartolf von Nangis. Bei den Verhandlungen Peters des Einsiedlers und Kerboga im Vorfeld der Schlacht am 28. Juni 1098 legt Bartolf dem Kreuzzugsführer folgende Aufforderung an den türkischen Gegner in den Mund: Recede a nobis, et ab hereditate beati Petri apostoli.1223 Die ursprünglich auf das Papsttum bezogene Formulierung des Erbes Petri wird durch Bartolf auf Antiochia übertragen. Das Königreich Jerusalem und insbesondere seine Hauptstadt hingegen wurden häufig als das Erbe Christi bezeichnet,1224 so daß Bartolfs Wortwahl als bewußter Ausdruck der Dualität von Antiochia und Jerusalem, als Zeichen eines auch an die petrinische Tradition gebundenen antiochenischen Partikularismus gewertet werden kann. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, darauf hinzuweisen, daß der Apostelfürst nicht bloß ein Symbol des antiochenischen Patriarchats war, sondern daß er für das Fürstentum insgesamt beansprucht wurde. Dies läßt sich etwa auch anhand antiochenischer Münzen aus dem hier behandelten Zeitraum nachweisen, die bis zum Abbruch der männlichen Linie des normannisch-guiscardischen Fürstenhauses in mehreren Fällen die Büste oder auch den gesamten Körper Petri zeigen.1225 Der heilige Petrus, seine Kathedrale und besonders auch der Patriarch in der Funktion als Stellvertreter des Apostelfürsten – vice beati Petri functus1226 – waren offenbar tatsächlich in den Jahren und Jahrzehnten nach dem ersten Kreuzzug zu zentralen Elementen des Mythomoteurs geworden, auf die sich die Antiochener insbesondere in Kriegs- und Krisenzeiten beriefen, mit welchen die Eigenständigkeit Antiochias begründet und dem Dilemma der antiochenischen Erbsünde begegnet werden konnte. 1221 Hier zeigt sich, daß der bei Walter dem Kanzler beobachtete Bruch mit der normannischguiscardischen Tradition offenbar auch beinahe zwanzig Jahre nach dem Blutfeld noch nicht alle Antiochener erfaßt hatte. 1222 WvT XVII.ix.62–63. Hier bezogen auf das Begräbnis Raimunds von Poitiers im Jahre 1149. 1223 BvN XVIII. 1224 Vgl. Riley-Smith, ›St Peter‹, 50; Schein, Gateway, 36–48. 1225 Vgl. Metcalf, Coinage, 25–28. 1226 WdK II.i.7. Siehe auch WvT XVIII.i.14–17.

Legitimation weltlicher Herrschaft im irdischen regnum Christi

3.

287

Legitimation weltlicher Herrschaft im irdischen regnum Christi

Das wesentliche Legitimitätsdefizit Antiochias bestand in seiner tatsächlichen oder scheinbaren Opposition zum Kreuzzugsziel, zur Vollendung der bewaffneten Pilgerfahrt nach Jerusalem. Hervorgegangen gerade aus dieser Vollendung des Kreuzzuges, mußte sich dennoch auch das lateinische Königreich mit Legitimationsproblemen auseinandersetzen. Diese Probleme erfaßten anders als in Antiochia nicht den gesamten Kreuzfahrerstaat, nicht die gesamte neue ethnische Gruppe, sondern sie betrafen primär die Institution des Königtums. Gerade deshalb jedoch läßt sich anhand des Umgangs mit diesem Legitimationsproblem in der Historiographie des lateinischen Königreiches nachvollziehen, wie die eher vertikal-demotische Natur des jerosolymitanischen Mythomoteurs in der ethnohistorischen Entwicklung der Jerosolymitaner nach der Gründung des Reiches weiter wirkte.

a.

advocatus, princeps, rex – die Titel Gottfrieds von Bouillon und ihre Bedeutung für das jerosolymitanische Selbstverständnis

Bald nach der erfolgreichen Erstürmung Jerusalems durch die Truppen des ersten Kreuzzuges am 15. Juli des Jahres 1099 sahen sich dessen Anführer mit der Aufgabe konfrontiert, über den Umgang mit der eroberten Stadt sowie mit dem sie umgebenden Land zu entscheiden. Obgleich die Geschichte der Kreuzfahrerstaaten die Gründung des lateinischen Königreiches Jerusalem im Rückblick als eine notwendige Folge des Kreuzzuges erscheinen lassen mag, war diese Entwicklung mitnichten vorgezeichnet, als Mitte Juli der Schlachtenlärm in Jerusalem verhallt war. Zwar war das Heilige Grab schon früh das Ziel des Kreuzzuges gewesen, doch detaillierte Planungen für die Zeit nach dem Erreichen dieses Ziels hatte es offenbar nicht gegeben.1227 Allerdings wurden Jerusalem und das – noch nicht klar definierte – der Stadt zugehörige Territorium auch als das regnum Christi1228 angesehen, also ganz im Sinne einer vergegenwärtigten Vorstellung der Herrschaft Christi.1229 Zudem war bei den Zeitge1227 Vgl. Erdmann, Entstehung des Kreuzzugsgedankens, 305f; Jaspert, Nikolas, ›Das Heilige Grab, das Wahre Kreuz, Jerusalem und das Heilige Land. Wirkung, Wandel und Vermittler hochmittelalterlicher Attraktoren‹, in: Konflikt und Bewältigung. Die Zerstörung der Grabeskirche zu Jerusalem im Jahre 1009, hg. v. Thomas Pratsch, Berlin 2011, 67–95, 78f. 1228 EC Nr. XVIII. Vgl. FvC I.iii.3 (regnum Dei); GF XXVIII (terra Dei); GvN II.iv (Dei hæreditas). 1229 Vgl. Murray, Crusader Kingdom, 65f; Rubenstein, Jay, ›Godfrey of Bouillon versus Raymond of Saint-Gilles: How Carolingian Kingship trumped Millenarianism at the End

288

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

nossen die auf verschiedenen Prophezeiungen gründende Vorstellung verbreitet, daß ein König von Jerusalem entweder der Antichrist sein, oder daß es sich um den Kaiser der letzten Tage handeln müsse, dessen Krönung den Beginn der Parusie markieren würde – »l’instauration d’un royaut¦ humaine — J¦rusalem [¦tait] une enterprise — haut risque eschatologique.«1230 Diese religiös überhöhte Deutung des eroberten Landes, seine Interpretation als das irdische Reich Gottes und die aus Legenden und Prophezeiungen gespeisten apokalyptischen Vorstellungen mußten die Organisation der weltlichen Herrschaft über Jerusalem erschweren. Nach gängigem Verständnis agierten christliche Könige im Westen als vicarius Dei in ihrem Herrschaftsbereich,1231 doch die sehr diesseitig und gegenwärtig verstandene Herrschaft Gottes über das als regnum Christi betrachtete Jerusalem ließ die Krönung eines weltlichen Königs in der Heiligen Stadt problematisch erscheinen. Laut Raimund von Aguilers sei daher auch schon vor der Eroberung der Heiligen Stadt im Hinblick auf deren zukünftige Ordnung festgestellt worden: Non debere ibi eligere regem ubi Dominus passus et coronatus est.1232 Insbesondere habe man befürchtet, daß, si [rex] in corde suo diceret: Sedeo super solium David et regnum suo obtineo, degener a fide et virtute David fortassis disperderet eum Dominus, et loco et genti irasceretur.1233 Schon früh war also das Potential zum Konflikt zwischen weltlicher Herrschaft und Königtum Christi in Jerusalem erkannt worden, war ein erhöhter Bedarf zur Legitimation zukünftiger Herrscher im neu entstandenen Kreuzfahrerstaat vorgezeichnet. Da man sich aus Einsicht in die Notwendigkeit schließlich trotzdem darauf einigte, daß für die Sicherung der Heiligen Stadt ein weltlicher Herrscher vonnöten war, trat am 17. Juli eine aus den weltlichen und geistlichen Anführern des Kreuzzuges bestehende Wahlversammlung zusammen, welche darüber zu entscheiden hatte, wem die Aufgabe des Schutzes der Eroberungen anvertraut werden sollte. Es folgten mehrtägige Beratungen, in denen offenbar zunächst Raimund von Toulouse als Favorit galt. Allerdings war Raimund durch seine Parteinahme für den byzantinischen Kaiser Alexios Komnenos, durch seine Konflikte mit anderen Kreuzzugsführern wie auch durch seine offensichtlichen Versuche, sich schon während des Kreuzzuges ein eigenes Herrschaftsgebiet zu sichern, in seinem Ansehen beschädigt worden. Dennoch war offenbar noch vor der Wahl Gottfrieds – entweder öffentlich oder in Form einer diskreten Anfrage

1230 1231 1232 1233

of the First Crusade‹, in: The Legend of Charlemagne in the Middle Ages: Power, Faith, and Crusade, hg. v. Matthew Gabriele, New York 2008, 59–75, 62. Vgl. Ferrier, ›Couronne‹, 258ff, Zitat 265. Vgl. Anton, Hans Hubert, Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit (= Bonner historische Forschungen; 32), Bonn 1968, 373–377. RvA XX. RvA XX.

Legitimation weltlicher Herrschaft im irdischen regnum Christi

289

interessierter Parteien im Kreuzzugsheer – Raimund der Königstitel angetragen worden. Dieser lehnte jedoch aus nicht eindeutig zu klärenden Gründen ab. Die Wahl fiel daher am 22. Juli schließlich auf Gottfried von Bouillon, der im Heer äußerst beliebt war und sich in den Kontroversen innerhalb des Kreuzzugsheeres vergleichsweise zurückgehalten hatte.1234 Während sich jedoch die Wahlversammlung von Jerusalem im Juli 1099 auf den Kandidaten Gottfried einigen konnte, herrscht bis heute in der Forschung kein Konsens darüber, welche Funktion der Lothringer in Jerusalem tatsächlich einnahm, welchen Titel er führte.1235 Diese Debatte konnte ent- und kann fortbestehen, da die zeitgenössischen Quellen ein äußerst uneinheitliches Bild zum Thema der Funktion und des Titels Gottfrieds von Bouillon liefern. Urkunden Gottfrieds aus seiner Zeit in Jerusalem, welche die Frage eindeutig beantworten könnten, sind nicht erhalten, so daß allein auf historiographische Quellen zurückgegriffen werden muß.1236 Auf der einen Seite des Spektrums existiert dort die klare Benennung Gottfrieds als König: Fideles Christi milites in ciuitate Ierusalem securi sederunt […]. De constituendo etiam ibi rege consiliati sunt. et octauo die post captam urbem communi consilio Godefredum ducem in regem elegerunt.1237

Allerdings findet sich eine solche eindeutige Aussage in den frühen Quellen fast ausschließlich in jenen Texten, welche nicht im Orient verfaßt wurden, wie etwa im gewählten Beispiel aus der Historia Ecclesiastica des Anglonormannen Ordericus Vitalis.1238 Die Berichte von Kreuzzugsteilnehmern – wie auch einige im Abendland entstandene Texte – bezeichnen Gottfried hingegen nicht als rex, sondern als princeps, wie sich anhand der Historia Hierosolymitana Fulchers von Chartres nachvollziehen läßt: [Godefridum] in urbe sancta regni principem omnis populus dominici exercitus ad illud conservandum atque regendum ele1234 Vgl. France, John, ›The Election and Title of Godfrey de Bouillon‹, in: Canadian Journal of History/Annales Canadiennes d’Histoire (18; 1983), 321–330, 323f; Mayer, Kreuzzüge, 79; Murray, Crusader Kingdom, 68f; Rubenstein ›Carolingian Kingship‹, 60ff. 1235 Für einen Überblick über die anhaltende Debatte vgl. Murray, Dynastic History, 68–73; Rubenstein, ›Godfrey of Bouillon‹. 1236 Mayer führt insgesamt neunzehn Urkunden zu Gottfried von Bouillon auf, wobei es sich in allen Fällen um Deperdita oder Fälschungen handelt. Vgl. DRLH I:1–18. 1237 OV IX.xvi. 1238 Ähnlich auch in: BvD IV.xv (Consideremus igitur virum qui virtute regali competenter præmineat; qui quantum ad Deum se servum exhibeat, quantum ad homines se regem sentiat; Dei cultum diligat, populum foveat, militiam teneat: neque siquidem, quae Sarracenis adjacet ista monarchia, potest defendi sine militia. […] Et Godefredum ducem eligamus.); GvN VII.xi (Godefridum demum ducem aggrediuntur et ei omnium pariter instantium prece huiusce laboris potius quam honoris fascis imponitur); RdM IX.x (Eliminatis itaque omnibus inimicis ab urbe pacifici nominis, de ordinando rege quæstio debebat agitare. […] Communi igitur decreto omnium, pari voto generalique assensu, dux Godefridus eligitur.).

290

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

git.1239 Während Fulcher dem Herrschaftsbereich des princeps immerhin den Status eines regnum zuweist, bezeichnet die Historia Nicæna Gottfried weiterhin als dux.1240 Die Gesta Francorum und Tudebodus wiederum sehen in ihm ebenfalls lediglich den princeps der Stadt: Octauo autem die quo ciuitas fuit capta, elegerunt ducem Godefridum principem ciuitatis, qui debellaret paganos et custodiret Christianos.1241 Bartolf von Nangis, der als einziger jerosolymitanischer Historiograph den Königstitel verwendet, wählt allerdings eine Kompromißlösung und erklärt Gottfried zu regem ac principem civitatis.1242 Der kleinste gemeinsame Nenner der zeitgenössischen lateinisch-orientalischen Historiographie besteht also in dem Titel princeps und in der diesem zugewiesenen Funktion, die Muslime zu bekämpfen und die Christen zu schützen. Die Kontroverse in der Forschung entzündet sich jedoch nicht primär an der Entscheidung zwischen rex und princeps oder selbst an der Unterscheidung von princeps regni und princeps civitatis, sondern an einem dritten Titel, welcher die Interpretation der Herrschaft Gottfrieds von Bouillon wie auch der Frühzeit Jerusalems unter den Lateinern nachhaltig beeinflußt hat. Im September 1099 kam Erzbischof Daimbert von Pisa als neuer päpstlicher Legat über Latakia nach Nordsyrien, wo er mit Raimund von Toulouse zusammentraf. Zu dieser Zeit verfaßte Daimbert einen Brief, in dem er dem Papst über den Erfolg des Kreuzzuges Bericht erstattete. Obwohl Gottfried von Bouillon zu dieser Zeit in Palästina weilte, wird er in diesem Schreiben neben Daimbert und Raimund als dritter Absender aufgeführt, und ihm wird dort der Titel gratia Dei ecclesiae S. Sepulcri nunc aduocatus1243 zugeschrieben. Diese Bezeichnung ist als Ausdruck einer Unterordnung Gottfrieds unter kirchliche Oberhoheit in Jerusalem interpretiert worden, als Zeichen dafür, daß er nicht dazu erwählt worden war, über Jerusalem als weltlicher Herrscher zu verfügen, sondern daß er lediglich die Heilige Stadt und ihre christlichen Einwohner gegen die Muslime verteidigen sollte.1244 Hier wurden häufig Vergleiche mit dem Amt des advocatus – also des Vogtes – in Frankreich und Deutschland aufgestellt, dem die Aufgabe zukam, als 1239 FvC I.xxx.1. 1240 HNvA LXIII. 1241 GF X.xxxix. Vgl. PT 142 (Octava vero die quod civitas fuit capta, celebraverunt festum per omnem civitatem, eademque die fecerunt concilium, in quo elegerunt ducem Godefredum principem civitatis, qui prœliaretur paganos et custodiret Christianos.). 1242 BvN XXXVII. Vgl. Ferrier, ›Couronne‹, 255. 1243 EC Nr. XVIII. 1244 Vgl. Moeller, Charles, ›Godefroid de Bouillon et l’Avouerie du Saint-S¦pulcre‹, in: M¦langes Godefroid Kurth: Recueil de M¦moires Relatifs — l’Histoire, — la Philologie et — l’Arch¦ologie, 2 Bde., Lüttich 1908, 1:173–183; Richard, Jean, ›The Political and Ecclesiastical Organisation of the Crusader States‹, A History of the Crusades. Volume V. The Impact of the Crusades on the Near East, hg. v. Norman P. Zacour u. Harry W. Hazard, Madison 1985, 193–250, 197.

Legitimation weltlicher Herrschaft im irdischen regnum Christi

291

weltlicher Vertreter einer kirchlichen oder monastischen Institution zu fungieren und für diese etwa in weltlichen Rechtsstreitigkeiten oder ökonomischen Angelegenheiten zu agieren.1245 Der Titel advocatus Sancti Sepulchri ist im größeren Kontext des Investiturstreits und damit der Forschungsdebatte um die These zu sehen, daß es in der Zeit direkt nach dem ersten Kreuzzug in Jerusalem Tendenzen zur Errichtung eines theokratisch verfaßten Territoriums – eines regelrechten »Kirchenstaates«1246 – gegeben habe.1247 Gestützt wurde diese Position durch das aggressive Auftreten des Patriarchen Arnulf von Chocques sowie durch das Bestreben seines Nachfolgers, sich und der Kirche von Jerusalem insbesondere in Jaffa wie auch in der Heiligen Stadt selbst umfangreichen Besitz zu sichern. Daimbert habe den Plan verfolgt, ein neues Bistum mit der Peterskirche in Jaffa als Kathedrale zu errichten, was als ein Vorhaben zur »Kreierung eines Petrusbistums«1248 und damit gar eines »päpstlichen Lehensstaates«1249 gedeutet worden ist.1250 Gegen diese Interpretation erhob schon früh Rowe einen Einspruch, der den heute dominanten Forschungskonsens geprägt hat.1251 Weder Urban II. noch sein Nachfolger Paschalis II. hätten die Absicht verfolgt, in der Levante einen »papal vassal state or an ecclesiastical patrimony«1252 zu errichten, und das häufig als Indiz für genau solche Bestrebungen auf Seiten des Papsttums wie auch im Lager der Kreuzfahrer angeführte offensive Vorgehen der beiden ersten Patriarchen von Jerusalem sei allein auf das individuelle Machtstreben der beiden Kirchenmänner und ihrer Förderer und Gefolgsleute zurückzuführen.1253 Spätere Studien bestritten dann zudem nicht nur die Deutung des Titels advocatus Sancti Sepulchri als Indiz für das Entstehen eines Kirchenstaates, sondern

1245 Vgl. France, ›Election‹, 327ff. 1246 Hansen, Joseph, Das Problem eines Kirchenstaates in Jerusalem. Ein Beitrag zur Kreuzzugsgeschichte, Luxemburg 1928. 1247 Vgl. Asbridge, Crusades, 118f; Hansen, Problem; Richard, ›Organisation‹, 197. 1248 Mayer, Hans Eberhard, Bistümer, Klöster und Stifte im Königreich Jerusalem, (= Monumenta Germaniae Historica Schriften; 26), Stuttgart 1977, 17. 1249 Mayer, Bistümer, 18. 1250 Vgl. Hiestand, Rudolf, Die päpstlichen Legaten auf den Kreuzzügen und in den Kreuzfahrerstaaten. Vom Konzil von Clermont (1095) bis zum vierten Kreuzzug, Kiel 1972, 91ff; Mayer, Bistümer, Klöster und Stifte, 16ff; Prawer, Joshua, Histoire du Royaume Latin de J¦rusalem I, Paris 1969, 264; Ders., Kingdom, 97ff. 1251 Vgl. Rowe, ›Paschal II‹, 470–501. Siehe auch Murray, Alan V., ›Daimbert of Pisa, the Domus Godefridi and the Accession of Baldwin I of Jerusalem‹, in: From Clermont to Jerusalem: The Crusades and Crusader Societies, 1095–1500, hg. v. Dems., Turnhout 1998, 81–102, 82ff. 1252 Rowe, ›Paschal II‹, 471. 1253 Vgl. ibid., 472–478. Dieser Gedanke jüngst wieder bei Barber, Crusader States, 59.

292

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

negierten sogar die von Rowe immerhin noch vorausgesetzte Historizität dieser Amtsbezeichnung.1254 Der weitere Verlauf der Geschichte Outremers scheint diese Position zu bestätigen. Am Weihnachtstag des Jahres 1100 wurde in der Marienbasilika zu Bethlehem Balduin von Boulogne, der Bruder Gottfrieds von Bouillon, zum König von Jerusalem gewählt und gekrönt. Der Titel eines tatsächlichen Königs von Jerusalem sollte dauerhaft fortbestehen und wurde selbst nach dem Fall der Heiligen Stadt an Saladin im Jahre 1187 weiter geführt. Damit bewies er eine größere Kontinuität als der Kern des regnum in Gestalt seiner Hauptstadt. Guibert von Nogent bringt in seinem Bericht über Balduins Krönung eine Auffassung zum Ausdruck, gemäß welcher es sich bei der Errichtung eines tatsächlichen weltlichen Königtums um eine gleichermaßen selbstverständliche wie wünschenswerte Entwicklung handelte.1255 Auch in dieser Hinsicht läßt sich also eine teleologische Deutung der Geschichte des Kreuzzuges aus der Rückschau erkennen. Durch ein offenbar bewußtes Verwischen der zeitlichen Abläufe erweckt Guibert den Eindruck, die Krönung habe nicht am Weihnachtstag, sondern an Ostern stattgefunden. Er bringt die Entscheidung Balduins, die Krone anzunehmen, in einen direkten Zusammenhang mit dem Feuerwunder in der Grabeskirche. Dieses Wunder, welches sich gemäß orthodoxer Tradition auch heute noch in Jerusalem jährlich wiederholt,1256 besteht darin, daß sich angeblich am Samstag vor Ostern am Ort des Heiligen Grabes in Gegenwart des Patriarchen eine Flamme von selbst entfacht. An dieser Flamme entzündet der Patriarch eine 1254 Vgl. Riley-Smith, Jonathan Simon Christopher, ›The Title of Godfrey of Bouillon‹, in: Bulletin of the Institute of Historical Research (52; 1979), 83–86. Riley-Smith begründet seine Zweifel daran, daß Gottfried den Titel eines advocatus Sancti Sepulchri tatsächlich getragen habe, damit, daß dieser allein auf dem zitierten und eben nicht in Anwesenheit des Lothringers verfaßten Brief aus dem Umfeld Daimberts von Pisa basiere (vgl. ibid., 84). Dies widerlegt France, ›Election‹ schlüssig, indem er auf Parallelüberlieferung dieses Titels verweist (vgl. ibid., 327ff). Gegen France wendet sich dann jedoch wieder Murray, Crusader Kingdom, 63–77. Allerdings zeigen auch neueste Beiträge namhafter Historiker, daß die alte Forschungsposition immer noch nachwirkt, daß der Titel des advocatus Sancti Sepulchri immer noch verwendet wird, und daß selbst dessen frühere Deutung im Sinne kirchenstaatlicher Tendenzen noch vertreten wird: Vgl. Asbridge, Crusades, 103; Tyerman, God’s War, 159. Michael Matzke hat zudem berechtigterweise dafür plädiert, im Vorgehen Daimberts von Pisa nicht nur das Machtstreben eines ambitionierten Kirchenpolitikers zu erkennen, sondern die ehrliche Überzeugung, daß Jerusalem ein besonderer Status zukomme, der eine Unterstellung der Heiligen Stadt unter geistliche Autorität erfordere. Vgl. Matzke, Michael, Daibert von Pisa. Zwischen Pisa, Papst und erstem Kreuzzug (= Vorträge und Forschungen; Sonderband 44), Sigmaringen 1998, 165. 1255 Ähnlich bei BvD IV.xx. 1256 Vgl. Morris, Harvey, ›Ripples on the Surface of Easter‹, in: International Herald Tribune, 14. April 2012 (http://rendezvous.blogs.nytimes.com/2012/04/14/ripples-on-the-surfaceof-the-other-easter/), eingesehen am 27. März 2013.

Legitimation weltlicher Herrschaft im irdischen regnum Christi

293

Kerze, mit der er das Heilige Feuer an die Gläubigen weitergibt.1257 Guibert erweckt den Anschein, daß das Eintreten des erhofften, aber einige Zeit ausgebliebenen Wunders Balduin zu dem Entschluß veranlaßt habe, sich trotz seiner Vorbehalte zum König von Jerusalem krönen zu lassen. Guibert kommentiert diese Entscheidung: Dici non potest quibus convaluerit meror ille solatiis, cum eo die, quod numquam presumpserat, intra eandem urbem in Templo Domini coronari rex ipse consenserit ob huius favorem muneris.1258

Es entsteht der Eindruck, daß Gottfrieds ungekrönte Herrschaft als eine zu korrigierende Aberration verstanden wurde. Balduins Krönung stellte gemäß dieser Sicht die natürliche und erstrebenswerte Ordnung der Dinge her.1259 Es besteht jedoch die Gefahr, aus der Entwicklung Jerusalems unter Balduin I. die problematischen Schlußfolgerungen zu ziehen, daß einerseits eben jene Entwicklung schon im Juli 1099 in jeder Hinsicht angelegt und damit unabwendbar gewesen sei; und daß andererseits der Fortgang der Geschichte, wie er sich der Nachwelt darstellt, das Vorhandensein einer signifikanten, gegen diese Entwicklung ausgerichteten Unterströmung in Jerusalem ausschließe. Ein Indiz für das Fortwirken einer solchen Strömung nämlich findet sich in einer langlebigen Tradition, gemäß welcher Gottfried im Anschluß an die Wahl am 22. Juli zwar die Herrschaft angenommen, sich dabei jedoch geweigert habe, die ihm angebotene Krone zu tragen. Der früheste Beleg dieser Tradition von der Ablehnung der Krone durch Gottfried ist in Fulchers Historia Hierosolymitana enthalten, wo als Grund für die Entscheidung lediglich lakonisch vermerkt ist: quoniam noluit.1260 Anschließend rückt Fulcher diese Passage in den Kontext des zuvor erwähnten Gedankens, nach welchem kein Mensch dort eine goldene Krone tragen solle, wo Christus mit Dornen gekrönt und schließlich getötet wurde. Zahlreiche andere Quellen greifen das Motiv von der Ablehnung der Krönung ebenfalls auf.1261 Diese Tradition lebte im lateinischen Orient lange fort 1257 Die frühesten Belege für das Feuerwunder stammen aus dem 9. Jahrhundert. Zu diesem Thema detailliert: Jotischky, Andrew, ›Holy Fire and Holy Sepulchre: Ritual and Space in Jerusalem from the ninth to the fourteenth Century‹, in: Ritual and Space in the Middle Ages: Proceedings of the 2009 Harlaxton Symposium, hg. v. Frances Andrews (= Harlaxton Medieval Studies; 21), Donington 2011, 44–60. 1258 GvN VII.xlii. 1259 Siehe auch Fuchs, Karin, Zeichen und Wunder bei Guibert de Nogent (= Pariser Historische Studien; 84), Paris 2008, 197. 1260 FvC II.vi.1. 1261 Vgl. AvAVI.xxxiii; JvV XX; Lisiard von Tours, ›Secunda Historiae Iherosolimitanae Pars‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 3:549–583 (fortan LvT), VIII; ›De situ urbis Jerusalem et de locis sanctis intra ipsam urbem sive circumjacentibus‹, hg. v. Melchior de Vogüé, in: Ders., Les Êglises de la Terre Sainte, Paris 1860, 412–433, 433; WvT

294

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

und überdauerte auch den Untergang des ersten Königreiches von Jerusalem im Jahre 1187. So wird das Motiv in der nach Hattin verfaßten Chronique d’Ernoul et de Bernard le Tr¦sorier aufgegriffen,1262 und auch noch in den um 1270 auf Zypern kompilierten Lignages d’Outremer wird die Wahl Gottfrieds um die Bemerkung ergänzt, daß der Herrscher zwar zum König erkoren worden sei, daß er jedoch ne se vost coroner ne porter corone, car il dist que en la cit¦ ou Nostre Saveoir porta corone d’espines le jour de Sa passion, ne porteroit corone d’or.1263 Zweifelsohne stellt die Tradition von der Ablehnung der Krone auch eine Komponente der Glorifizierung Gottfrieds von Bouillon dar, welche im Laufe des 12. Jahrhunderts weite Teile der lateinischen Welt ergriff, und durch die der Lothringer – vor allem im Zuge seiner Mythisierung im Rahmen der Legenden um den chevalier de Cygne – längst »from the realms of historical fact to the wonders of romantic literature«1264 erhoben worden war. Das Fortdauern dieser Tradition allein als Folge des Versuchs einer posthumen Verklärung des ersten Herrschers zu interpretieren, greift jedoch zu kurz. So müßte etwa die Frage gestellt werden, warum eine solche Glorifizierung insbesondere in den lateinisch-orientalischen Quellen vermeintlich gerade dadurch vorangetrieben werden konnte, daß man die Tradition von der Ablehnung der Krone weiterführte. Es ließe sich für eine topische Hervorhebung der Frömmigkeit und Demut Gottfrieds argumentieren, wobei dies wiederum die Frage aufwirft, ob man diesen Topos nicht auch in einen Kontext hätte setzen müssen, welcher weniger dazu geeignet gewesen wäre, die Legitimität eines weltlichen Königtums in Jerusalem in Zweifel zu ziehen. Selbst bei einem Aufgreifen des Motivs der Ablehnung der Krone hätte man eine Diskussion der Legitimität weltlicher Königsherrschaft in Jerusalem vermeiden können, wie sich etwa bei Albert von Aachen nachvollziehen läßt, der lediglich beiläufig darauf hinweist, daß Gottfried von Bouillon inuitus ad tenendum urbis principatum promouetur,1265 ohne dabei freilich einen Grund für den Unwillen des Herzogs zu nennen.

1262

1263 1264 1265

IX.ix.20–32. Der Verweis auf Gottfrieds religiöses Motiv findet sich dabei in JvV; LvT; WvT. Eine erstaunliche Variante mit einer Umkehrung der Argumentation liefert Orderic Vitalis, der behauptet, die Krönung Gottfrieds sei ad laudem eius qui spinea gestare serta pro salute hominum dignatus est erfolgt (OV X.xxi.). Zu Lisiard von Tours vgl. Hagenmeyer, ›Einleitung FvC‹, 84. Vgl. Ernoul, Chronique d’Ernoul et de Bernard le Tr¦sorier, hg. v. Louis de Mas Latrie, Paris 1871 I. Zu Ernoul vgl. Edbury, Peter W., ›The Lyon Eracles and the Old French Continuations of William of Tyre‹, in: Montjoie: Studies in Crusade History in Honour of Hans Eberhard Mayer, hg. v. Benjamin Z. Kedar, Jonathan Simon Christopher RileySmith u. Rudolf Hiestand, Aldershot 1997, 139–153; Morgan, Margaret Ruth, The Chronicle of Ernoul and the Continuations of William of Tyre, London 1973. Lignages d’Outremer, hg. v. Marie-Ad¦lade Nielen (= Documents Relatifs — l’Histoire des Croisades; 18), Paris 2003, 84. Hier zitiert nach der Edition des MS Vaticanus Latinus 4789. France, ›Election‹, 323. AvA VI.xxxiii.

Legitimation weltlicher Herrschaft im irdischen regnum Christi

295

Somit drängt sich der Eindruck auf, daß hinter dem Weitertragen der Tradition von der Ablehnung der Krone durch Gottfried, wie auch hinter der religiösen Begründung seines Handelns ein anhaltendes Bewußtsein dafür stand, daß weltliches Königtum in Jerusalem zumindest einer besonderen Rechtfertigung bedurfte, daß vielleicht sogar Zweifel an dessen Legitimation bestanden. Tatsächlich läßt sich anhand der jerosolymitanischen Historiographie das Fortbestehen solcher Zweifel verfolgen. So sah sich wohl nicht ohne Grund Fulcher von Chartres dazu veranlaßt, die Krönung Balduins I. umständlich zu rechtfertigen und den bereits zitierten Verweis1266 auf Gottfrieds Ablehnung einer Krone um eine längere Passage zu erweitern. Fulcher legt der bei der Krönung in der Marienbasilika zu Bethlehem um den Patriarchen Daimbert versammelten Schar die rhetorische Frage in den Mund, was gegen eine Krönung Balduins sprechen könne, si Christus Dominus noster in Iherusalem tamquam scelestus aliquis conviciis dehonestatus et spinis est coronatus, cum etiam ad ultimum mortem pro nobis pertulit volens?1267 Fulcher läßt die Versammlung von Bethlehem sogleich eine bemerkenswerte Antwort nachliefern, die hier in Gänze zitiert werden soll: corona quidem illa quantum ad intellectum eorum non fuit honoris nec regiae dignitatis, immo ignominiae et dedecoris. sed quod illi truces ad improperium ei fecerunt, gratia Dei ad salutem nostram et gloriam versum est. rex etiam contra iussa non praeficitur. nam iure et secundum Deum electus, benedictione authentica sanctificatur et consecratur. qui cum suscepit regimen illud cum corona aurea, suscepit quoque iustitiae obtinendae onus honestum. cui iure, sicut et episcopo de episcopatu, potest decenter obiici: bonum opus desiderat, qui regnum desiderat. quod si iure non regit, nec rex est.1268 1266 Vgl. FvC II.vi.1. 1267 FvC II.vi.2. 1268 FvC II.vi.2–3. Eine ähnliche Begründung findet sich in der Historia Ecclesiastica des Ordericus Vitalis, der damit allerdings nicht die tatsächliche Krönung Balduins I. legitimiert, sondern die angebliche Krönung Gottfrieds von Bouillon, den er als rex ansieht, wobei er immerhin das Motiv von der pflichtbewußten, aber nur widerwilligen Annahme der ihm angetragenen Würde aufgreift: ad laudem eius qui spinea gestare serta pro salute hominum dignatus est, diadema ferre et rex Ierusalem pro terrore gentilium cognominari æcclesiastica electione compulsus est (OV X.xxi). Eine genaue Lektüre der Rechtfertigung der Krönung des Weihnachtstages 1100 gibt ferner Hinweise, daß Fulcher sich und die Jerosolymitaner hier mit einer an theologische und kanonistische Sophisterei grenzenden Geschicklichkeit gegen alle Eventualitäten abzusichern sucht. Das Argument, daß ein König nicht gegen den Willen Gottes König sein könne, daß das Königtum durch ordnungsgemäße Wahl und gültige Einsegnung legitimiert und als von Gott gewollt ausgezeichnet sei, greift einen wichtigen Grundsatz der Sakramentaltheologie auf. Sakramente waren (und sind) nach kirchlicher Lehre unabhängig von der individuellen Disposition der Sakramentsspender und -empfänger gültig und wirksam, solange sie gültig zelebriert wurden. Fulchers Legitimation der Krönung Balduins I. erinnert an diesen aus dem spätantiken Donatistenstreit hervorgegangenen Grundsatz, der einige Jahrzehnte nach

296

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

Gewiß sollte die Absicht, Krönung und Herrschaft Balduins I. zu legitimieren, als ein wichtiger Hintergrund dieser Passage identifiziert werden. Ob hinter diesen Rechtfertigungen jedoch tatsächlich die überzeugte Ablehnung eines (wie auch immer zu verstehenden) »theokratischen Staatsaufbau[s]«1269 zu vermuten ist, läßt sich weder abschließend be- noch widerlegen, zumal Fulcher hier vordergründig nicht seine eigene Meinung präsentiert, sondern lediglich die Argumente der in der Marienbasilika versammelten Schar wiedergibt. In jedem Falle muß wiederum die Frage gestellt werden, wieso Fulcher sich überhaupt auf diese Debatte einläßt, weshalb er diese an so prominenter Stelle aufgreift, und warum die Legitimation der Herrschaft Balduins I. eine Auseinandersetzung mit der Ablehnung der Krone durch seinen Vorgänger anscheinend erforderlich machte, zumal Gottfrieds Entscheidung an keiner Stelle kritisiert wird. Dies weist darauf hin, daß die Herrschaft eines gekrönten weltlichen Königs über das gegenwärtig und diesseitig verstandene regnum Christi, über die haereditas Christi in Palästina zu Fulchers Zeiten mitnichten als eine Selbstverständlichkeit galt. Darauf deutet auch das Zeugnis seines Zeitgenossen Bartolfs von Nangis hin. Dieser führt die Aufschiebung der Krönung auf Weihnachten – Balduin war schon im November in Jerusalem eingetroffen – mit einem vagen, aber doch beachtlichen Verweis auf nicht näher erklärte Differenzen zwischen Daimbert von Pisa und dem zukünftigen König zurück. Zudem erwähnt er suspiciones et populi submurmurationes,1270 womit er einen Hinweis auf Vorbehalte im Volk liefert. In der zuvor zitierten längeren Passage aus Fulchers Historia ist ein Versuch zu sehen, zwei eigentlich schwer zu vereinbarende Positionen miteinander in Einklang zu bringen. Fulcher selbst – wie etwa auch Wilhelm von Tyrus – sah das lateinische Königreich Jerusalem in erster Linie als das Reich Christi, so daß er hier wohl nicht allein auf eine offenbar unter den Jerosolymitanern präsente Meinung reagierte, sondern zumindest Verständnis für diese Vorbehalte hegte, während er gleichzeitig die Herrschaft Balduins I. zu legitimieren suchte. Die hier zitierten Worte sind zudem das Ergebnis einer Überarbeitung des Textes der ersten Redaktion, in deren Zuge Fulcher zahlreiche Veränderungen vordem ersten Kreuzzug bei Petrus Lombardus in der heute bekannten Formel id efficit quod figurat zusammengefaßt wurde. Vgl. Legendre, Pierre, ›Id efficit, quod figurat (It is the Symbol which produces Effects): The Social Constitution of Speech and the Development of the Normative Role of Images‹, übers. v. Peter Goodrich, in: Legal Studies Forum (20; 1996), 247–264, bes. 251ff. So wie eine Taufe nach kirchlichem Verständnis ihre Gnadenwirkung für den Täufling allein durch die ordnungsgemäße Stiftung des Sakraments entfaltet, legitimiert in Fulchers hier zum Ausdruck gebrachten Verständnis eine gültig durchgeführte Krönung das Königtum Balduins I. Niemand könne gegen den Willen Gottes zum König erhoben werden – rex etiam contra iussa non praeficitur. 1269 Epp, Fulcher von Chartres, 306. 1270 BvN XLIV.

Legitimation weltlicher Herrschaft im irdischen regnum Christi

297

nahm. Bei diesen redaktionellen Anpassungen handelt es sich jedoch durchweg um Präzisierungen und stilistische Modifikationen – Sinn und Inhalt bleiben hingegen uneingeschränkt erhalten.1271 Diese redaktionelle Entscheidung Fulchers spricht recht eindeutig dafür, daß es auch gut fünfundzwanzig Jahre nach der Eroberung Jerusalems nicht selbstverständlich erschien, daß ein gekrönter weltlicher König über das Reich herrschte, daß die Legitimation dieser nicht selbstverständlichen Herrschaft immer noch einer Auseinandersetzung mit dem besonderen Charakter Jerusalems bedurfte. Für die Beurteilung der Stellung des Königs im jerosolymitanischen Mythomoteur ist es einmal mehr hilfreich, die lange Perspektive des 12. Jahrhunderts einzunehmen. In diesem Zusammenhang muß die Tatsache, daß in den Forschungsbeiträgen zu diesem Thema ausgerechnet das Zeugnis Wilhelms von Tyrus wenig oder keine Beachtung erfährt,1272 verwundern. Für die fortdauernde Existenz – zumindest substratischer – Vorbehalte gegen ein weltliches Königtum im regnum Christi auch noch im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts spricht nämlich das Resümee des Erzbischofs von Tyrus zur Herrschaft Gottfrieds von Bouillon: Promotus autem [Godefridus], humilitatis causa corona aurea, regum more, in sancta civitate noluit insigniri, ea contentus et illi reverentiam exhibens, quam humani generis Reparator in eodem loco usque ad crucis patibulum pro nostra salute spineam deportavit. Unde quidam in catalogo regum, non distinguentes merita, eum dubitant connumerare, magis attendentes que exterius geruntur in corpore quam que fidelis et deo placens anima mereatur. Nobis autem non solum rex, sed regum optimus, lumen et speculum videtur aliorum: non enim consecrationis munus et ecclesiastica sprevisse credendus est princeps fidelis sacramenta. sed pompam seculi et cui omnis creatura subiecta est vanitatem, et perituram humiliter declinasse coronam, ut inmarcessibilem alibi consequeretur.1273

In diesem Aufgreifen der Tradition von der Ablehnung der Krone allein panegyrische Bestrebungen eines von Gottfried begeisterten Wilhelms von Tyrus zu sehen,1274 wäre unangebracht. Denn obwohl zu Wilhelms Zeiten im Königreich Jerusalem tatsächlich die Herrscher regum more goldene Kronen trugen und 1271 Epp möchte in den Veränderungen zur zweiten Redaktion eine Akzentverschiebung erkennen, in deren Zuge die Ablehnung der Krone »in erster Linie als Ergebnis seines Willens, nicht als Resultat des erfolgreichen Widerstandes der Geistlichkeit« (Epp, Fulcher von Chartres, 305f) dargestellt wurde. Tatsächlich läßt sich eine solche Verschiebung aber aus einer Gegenüberstellung der beiden Versionen nicht ablesen, und das quoniam noluit et tunc laudatum a quibusdam non fuit der zweiten Redaktion ist lediglich eine stilistische Überarbeitung des früheren quoniam a quibusdam tunc laudatum non fuit nec ipse voluit. 1272 Vgl. France, ›Election‹, bes. 322; Murray, ›Title‹; Ders., Crusader Kingdom, 63–77; Rubenstein, ›Godfrey of Bouillon‹. 1273 WvT IX.ix.20–32. 1274 Vgl. Ferrier, ›Couronne‹, 260; Rubenstein, ›Godfrey of Bouillon‹, 65.

298

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

unumstritten Könige genannt wurden, rekurriert schließlich Wilhelm mit seinen Worten explizit auf jene Stimmen, die auch zu seiner Zeit Gottfried nicht als König betrachteten. Wie zuvor bei Fulcher von Chartres und Bartolf von Nangis wäre es auch in diesem Fall widersinnig, eine Front von gegen ein weltliches Königtum ausgerichteten Strohmännern aufzurichten, nur um diese dann sogleich zu dekonstruieren, sofern hinter der durch diese Strohmänner repräsentierten Meinung nicht eine tatsächlich in Jerusalem existierende und nach wie vor einflußreiche Strömung gestanden hätte. Mit dieser Strömung mußte sich Wilhelm von Tyrus trotz seiner nicht zu bezweifelnden Unterstützung des Königtums auseinandersetzen. Dies bewerkstelligt er ebenso geschickter- wie paradoxerweise, indem er den ungekrönten Gottfried zum Spiegel aller Könige erhebt, womit einerseits seine Ablehnung der Krone und damit die Vorbehalte gegen weltliches Königtum in Jerusalem positiv hervorgehoben werden. Andererseits jedoch wird Gottfried eben durch Wilhelm in die Reihe der Könige eingeordnet, steht sogar an deren Anfang als Begründer einer andauernden Linie an der Spitze des Reiches, wobei seine gekrönten Nachfolger durch die Assoziation mit dieser Kontinuitätslinie zugleich legitimiert werden. Es bleibt jedoch der Befund, daß es auch gute sechzig Jahre nach Fulcher von Chartres immer noch solcher legitimatorischer Kunstgriffe bedurfte, daß sich das jerosolymitanische Königtum also im 12. Jahrhundert trotz seiner unbestreitbaren Etablierung immer im Spannungsfeld zwischen weltlicher Herrschaft einerseits und dem regnum Christi andererseits bewegte.

b.

Der abwesende König

Mitunter konnte das Pendel innerhalb dieses Spannungsfeldes auch stark zu Ungunsten des Königs ausschlagen. Dies betrifft insbesondere die Interventionspolitik Balduins II. zugunsten Antiochias, wo er nach dem Tode Rogers von Salerno auf dem Ager sanguinis im Sommer 1119 die Regentschaft übernommen hatte. Diese in Jerusalem offenbar zutiefst unpopuläre antiochenische Regentschaft gerät zum Anlaß für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Herrscher und sogar mit der Institution des Königtums. Wilhelm von Tyrus übt offen und harsch Kritik an Balduin II. und wirft ihm wiederholt die Vernachlässigung Jerusalems vor, während er beinahe eine Dekade lang opes et operam1275 allein im Dienst antiochenischer Interessen eingesetzt habe.1276 Doch immerhin stand für Wilhelm von Tyrus in den 1180er Jahren eindeutig fest, daß die Anwesenheit des Königs im Reich wünschenswert gewesen wäre. Als Balduin II. 1123 für beinahe 1275 WvT XIII.xvi.16. 1276 Vgl. WvT XII.xiv u. XIII.xvi.

Legitimation weltlicher Herrschaft im irdischen regnum Christi

299

zwei Jahre in muslimische Gefangenschaft gerät, interpretiert Wilhelm dies zwar als Konsequenz aus seiner Abwendung vom besonders durch Gott begünstigten lateinischen Königreich,1277 nutzt die Gelegenheit jedoch nicht für eine erneute Auseinandersetzung mit der Institution des weltlichen Königtums in Jerusalem. Für Fulcher von Chartres hingegen bietet die Gefangenschaft des Königs einen Anlaß, die Debatte aus der Gründerzeit des Königreiches erneut aufzugreifen. Obgleich er zunächst noch pflichtbewußt konstatiert, daß nihil paganis iucundius, nihil Christianis horribilius1278 hätte sein können als die Gefangennahme des Herrschers, gestaltet er die folgenden Kapitel zum Nachweis, daß das Königreich ohne weltlichen König nicht nur zum Überleben und Funktionieren, sondern auch zu Triumphen in der Lage war. Trotz der Abwesenheit des Königs nämlich gelang den Jerosolymitanern am 29. Mai 1123 – nur etwas über einen Monat nach der Gefangennahme Balduins – ein wichtiger Sieg gegen ein ägyptisches Heer bei Azotus.1279 Auch ohne den König war es gelungen, die gens nostra aus den verschiedenen Reichsteilen zu sammeln und sie in unum corpus zusammenzuführen.1280 Bei Fulchers Wortwahl schwingt neben der möglichen Bedeutung des corpus als Gesamtheit der verschiedenen Heeresteile eindeutig auch die Körpermetapher mit, die er – basierend auf dem patristischen Verständnis des Staates als Körper1281 – auch an anderer Stelle für die Beschreibung des Zustands des Reiches und des Volkes gebraucht.1282 Im vorliegenden Falle entbehrt allerdings der Körper eigentlich seines Hauptes in Gestalt des Königs und dennoch erscheint der Leib nicht kopflos, sondern er bleibt im Gegenteil handlungs- und durchsetzungsfähig. Dabei erfaßt das unum corpus der Gruppe, wie die anschließenden Sätze verdeutlichen, nicht nur das bei Azotus versammelte Heer, sondern ebenso auch das Volk und den Klerus abseits des Schlachtfeldes. Fulcher, der selbst in Jerusalem verblieben war, beschreibt eindrucksvoll die Anteilnahme des Volkes, das nicht aufgehört habe, pro fratribus 1277 1278 1279 1280 1281

Vgl. WvT XIII.xvi.16–21. FvC III.xvi.1. Heute: Aschdod. FvC III.xviii.1–2. Vgl. Epp, Fulcher von Chartres, 298; Le Goff, Jacques u. Truong, Nicolas, Die Geschichte des Körpers im Mittelalter, a. d. Franz. übers. v. Renate Warttmann, Stuttgart 2007 (Originalausgabe Paris 2003) 181ff; Struve, Tilmann, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters; 16), Stuttgart 1978. Im 12. Jahrhundert gab vor allem Johannes von Salisbury neue Impulse. Vgl. hierzu Base, Allen M., ›The Metaphor of the Human Body in the Political Theory of John of Salisbury : Context and Innovation‹, in: Metaphor and Rational Discourse, hg. v. Bernhard Debatin, Timothy R. Jackson u. Daniel Steuer, Tübingen 1997, 201–213; Swinford, Dean, ›Dream Interpretation and the Organic Metaphor of the State in John of Salisbury’s Policraticus‹, in: Journal of Medieval Religious Cultures (38; 2012), 32–59. 1282 Vgl. FvC III.xxi.1. Siehe auch Epp, Fulcher von Chartres, 298f.

300

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

nostris in tribulatione sic positis orare et eleemosynas egenis impertire et per universas civitatis sanctae ecclesias processiones pie facere.1283 Dieser Satz ist nahtlos in die Schilderung der Schlacht eingebunden, wodurch der Eindruck erzeugt wird, daß das Beten, das Spenden von Almosen und die Prozessionen – gleichsam als Akte spiritueller Kriegführung – zum siegreichen Ausgang des Gefechtes beitrugen. Einmal mehr verschmelzen Volk und Heer in dieser Bedrohungssituation, wodurch Fulcher Erinnerungen an den Kreuzzug und damit die ethnogenetische Phase selbst wachruft. Indem er betont, daß die Prozessionen durch alle Kirchen Jerusalems gezogen seien, vereinnahmt Fulcher auch räumlich die gesamte heilige Stadt für die Sache des Königreiches. Noch verstärkt wird dies durch den Zusatz, daß neben den Lateinern auch Griechen und Syrer an diesen Frömmigkeitsübungen teilgenommen hätten. Die Anteilnahme der Autochthonen legitimiert den Kampf der Lateiner des Königreichs Jerusalem und damit ihre Herrschaft zusätzlich. Tatsächlich dürfte das Ausbleiben einer Katastrophe für das lateinische Königreich wohl eher der vorherigen klugen Führung Balduins II. zu verdanken gewesen sein, der ein vergleichsweise straff geordnetes und handlungsfähiges Reich zurückgelassen hatte,1284 doch in der Historia wird der glückliche Ausgang der Krise allein dem Gottvertrauen der Jerosolymitaner zugeschrieben.1285 Fulcher schließt seinen Bericht über die Schlacht von Azotus mit dem Ausruf Te Deum laudamus cantantes, Omnipotenti de beneficiis universi laudes reddidimus.1286 Das Te Deum wurde häufig bei Siegesfeiern gesungen1287 – auch in Jerusalem, wie auch an anderer Stelle in der Historia deutlich wird.1288 Allerdings steht hinter dem Hinweis auf den ambrosianischen Hymnus in dieser Passage wohl deutlich mehr als das Bestreben, detailreich über ein wichtiges Ereignis zu berichten. Vielmehr öffnet Fulcher mit den namensgebenden ersten Worten des Hymnus – Te Deum laudamus – eine Klammer, welche er zwei Kapitel später mit der an den Schluß des ambrosianischen Lobgesangs angelehnten Coda non confundemur in aeternum1289 wieder schließt. Innerhalb dieser Klammern findet sich neben einem kurzen Bericht zu einem für Jerusalem vorteilhaften Seesieg 1283 FvC III.xviii.2. 1284 Vgl. Mayer, Kreuzzüge, 101. 1285 Zur großen Bedeutung, die Fulcher dem Gottvertrauen beimißt, vgl. auch Giese, ›Untersuchungen‹. 1286 FvC III.xix.1. 1287 Vgl. Gerhards, Albert u. Lurz, Friedrich, Art. ›Te Deum‹, in: LThK 9:1306–1308; Gerhards, Albert, ›Te Deum laudamus – Die Marseillaise der Kirche?‹, in: Liturgisches Jahrbuch (40; 1990), 65–77, 71ff; Zˇak, Sabine, ›Das Te Deum als Huldigungsgesang‹, in: Historisches Jahrbuch (102; 1982), 1–32, 2ff. 1288 Vgl. FvC III.xxxiv.6. 1289 FvC III.xxi.5.

Legitimation weltlicher Herrschaft im irdischen regnum Christi

301

einer venezianischen Flotte gegen die Ägypter vor Askalon im Mai 1123 vor allem ein Kapitel, das geradezu als ethnizistisches Manifest zur Stellung der Jerosolymitaner als auserwähltes Volk gelten kann. Verstärkt durch Zitate aus den Psalmen entwickelt Fulcher dort die erstaunliche Vision eines Volkes, an dessen Spitze weniger ein weltlicher König als Christus selbst steht, der seine Gunst durch die Präsenz des Wahren Kreuzes als Symbol eines besonderen Bundes zum Ausdruck bringt. Die Jerosolymitaner erscheinen explizit als das auserwählte Volk, als die beata gens: O quam bonum et gloriosum hominibus semper Deum habere in adiutorium suum! O quam beata gens cuius est Dominus Deus eius.1290 Doch die Ägypter hätten nicht um diese besondere Gottesgunst gewußt, weshalb sie sich sicher gewesen seien, das nach der Gefangennahme Balduins II. vermeintlich führungslose Volk vom Antlitz der Erde wischen zu können.1291 Dies sei jedoch eine Fehlinterpretation der Situation der Jerosolymitaner gewesen, quia Deum pro rege nos habere non credebant.1292 Hier bringt Fulcher seine Position mit größter Klarheit zum Ausdruck – die Jerosolymitaner benötigen in letzter Konsequenz keinen irdischen König, da sie die durch das Wahre Kreuz vergegenwärtigte Unterstützung des himmlischen Herrschers haben. Balduinum perdideramus, sed regem omnium Deum adsumpsimus.1293 Der Sieg von Ibelin, der ohne Balduin II. aber in Anwesenheit des Kreuzes errungen worden war, gilt Fulcher als Beweis seiner Deutung. An den hier von ihm gewählten Worten läßt sich zudem klar ablesen, daß nicht einfach nur die allen Christen gemeinsame Zuflucht im Glauben propagiert wird, sondern daß es ganz explizit um das Verhältnis der Jerosolymitaner zu Gott geht, um eine regelrechte Ablösung Balduins II. durch den vom Volk angenommenen Christus. Den Rest des Kapitels verwendet Fulcher darauf, im wahrsten Sinne des Wortes das Loblied – das Te Deum eben – auf diesen himmlischen, aber dennoch im Diesseits wirkenden Herrscher zu singen. Er sei seinem Volk Zuflucht und Schutz in der Bedrängnis, er befreie es, und er bringe ihm den Sieg, wenn er angerufen wird: illum in necessitate nostra invocavimus et per illum mirabiliter triumphavimus. […] hic enim praesto est semper et praesens omnibus, qui invocant illum in veritate . viderat enim nos in humilitate nostra valde adflictos, et respiciens pie humilitatem nostram liberavit nos.1294

1290 1291 1292 1293 1294

FvC III.xxi.1. Vgl. Ps 32:12 u. 143:15. Vgl. FvC III.xxi.1. Vgl. FvC III.xxi.1. FvC III.xxi.2. FvC III.xxi.2f. Vgl. Ps 144:18.

302

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

Doch Gott bewirkt bei Fulcher nicht bloß den Sieg seines ihn anrufenden Volkes, er kämpft vielmehr selbst auf dessen Seite: hic pro nobis pugnavit, hic ad nihilum inimicos nostros deduxit. hic semper vincere consuevit, qui nunquam vincitur ; superat nec superatur ; non fallit nec fallitur.1295

Obgleich per nos pugnavit sicher nicht wörtlich zu verstehen ist und von Fulcher wohl auch nicht so gemeint war, ist erstaunlich, welch aktive Rolle er Gott hier zuweist. Tatsächlich kontrastiert Fulcher nämlich direkt die Herrschaft Christi mit jener Balduins II. Mit der knappen aber in ihrer Kürze um so vernichtenderen Feststellung rex equidem est, recte enim regit1296 greift Fulcher nochmals seine scholastischen Erwägungen zur Rechtmäßigkeit der Krönung Balduins I. auf,1297 kommt aber nun anscheinend zu einem anderen Ergebnis und leitet einen ganzen Katalog von Vorwürfen gegen den weltlichen König von Jerusalem ein, die er in rhetorische Fragen kleidet: quomodo ergo rex erit qui semper vitiis vincitur? numquid promeretur dici rex, si semper habeatur exlex? quia legem Dei nec tenet, nec tuetur ; et quia non timet Deum, timebit quidem hominem inimicum suum. adulter est vel periurus sive sacrilegus […] aequus est impiis, quomodo exaudiet illum Deus? si ecclesiarum est dissipator, si pauperum oppressor, tunc non regit sed confundit.1298

Insbesondere das Bild eines von der Sünde besiegten und vor seinen Gegnern zitternden Königs steht in scharfem Gegensatz zur unmittelbar vorangegangenen Huldigung des immer siegreichen und daher furchtlosen Christus in seiner Rolle als Herrscher. Seine Invektive läßt Fulcher daher in der konsequenten Schlußfolgerung kulminieren hic talis nomen regis perdit. mendax et fraudulentus, quis confidet in eo. […] adhaereamus regi superno et spem nostram ponamus in eo,1299 woran sich die bereits erwähnten letzten Worte des Te Deum anschließen. Selbstverständlich sollte aus diesem Kapitel der Historia nicht der Schluß gezogen werden, daß Fulcher sich grundsätzlich gegen die Institution des weltlichen Königtums in Jerusalem ausspreche, daß er gar eine andere Herrschaftsform an die Stelle der Monarchie habe stellen wollen, oder daß es entsprechende Tendenzen unter den Jerosolymitanern insgesamt gegeben hätte. Erneut jedoch beweist dieses Kapitel, daß sich ein weltlicher König in Jerusalem

1295 FvC III.xxi.3. 1296 FvC III.xxi.3. Siehe hierzu auch Epp, Fulcher von Chartres, 308. Epp jedoch interpretiert Fulchers Königskritik allein als Manifestation seines Strebens nach der libertas ecclesiae. 1297 S.o. Kapitel VII.3.a. 1298 FvC III.xxi.4. 1299 FvC III.xxi.4f.

Legitimation weltlicher Herrschaft im irdischen regnum Christi

303

immer auch dem Vergleich mit dem Königtum Christi aussetzen und vor diesem Hintergrund besonders legitimieren mußte.1300 Obgleich das Motiv der Ablösung weltlicher Herrschaft im regnum Christi durch Gott selbst nirgendwo so stark und eindeutig hervortritt wie im zuvor eingehender besprochenen Fall aus Fulchers Historia, scheint es sich dennoch in Jerusalem etabliert zu haben. Eine Passage aus Wilhelms Chronicon zeigt zudem, daß dieser Gedanke nicht nur im Rahmen von Herrscherkritik aktiviert werden konnte. Im Frühjahr 1171 brach König Amalrich I. persönlich zu einer diplomatischen Mission nach Konstantinopel auf, wo er mit Kaiser Manuel I. Komnenos nach vorausgegangenen Mißerfolgen das weitere Vorgehen gegen Ägypten koordinieren wollte.1301 Das Vorhaben des Königs, Jerusalem zu verlassen und selbst nach Konstantinopel zu reisen, habe – so Wilhelm – im Reich Besorgnis erregt. Man habe befürchtet, daß absque regis presentia regnum quasi desolatum1302 zurückgelassen werde. Diesen Bedenken sei jedoch Amalrich entgegengetreten und habe gesagt: Regat dominus regnum suum, cuius minister ego sum.1303 Vordergründig treten hier lediglich zwei alles andere als außergewöhnliche Motive in Erscheinung. Einerseits wird dem eigenen Reich und damit der eigenen Gruppe eine besondere göttliche Begünstigung zugeschrieben – es habe sich eben um das regnum Gottes gehandelt. Andererseits läßt Wilhelm Amalrich sich selbst in Übereinstimmung mit zeitgenössischen Vorstellungen vom Königtum als Sachwalter Gottes bezeichnen. Bemerkenswert und charakteristisch für das lateinische Königreich sowie für die Sonderstellung des weltlichen Königtums in Jerusalem ist jedoch die Verbindung aus diesen beiden Elementen und ist insbesondere der Gedanke, daß Gott in Abwesenheit seines minister selbst konkret über das regnum suum herrschen möge. Eindeutig findet sich hier – wenn auch verkürzt – eben jener Gedanke wieder, den Fulcher von Chartres im Kontext der Gefangenschaft Balduins II. so detailliert ausführt, wobei dieser Gedanke hier nun nicht zum Vehikel von Herrscherkritik oder gar einer Infragestellung des weltlichen Königtums gebraucht wird. Vielmehr läßt Wilhelm von Tyrus den König sich das Motiv von der vergegenwärtigten Herrschaft Christi selbst in einer Form aneignen, welche seine Herrschaft sogar zusätzlich legitimiert. König und Christus werden eben nicht gegeneinander ausgespielt. 1300 Zur Königskritik und der gleichzeitigen Betonung des Vertrauens auf Gott in Fulchers Bericht zur Schlacht von Azotus siehe auch Giese, ›Untersuchungen‹, 96ff. 1301 Vgl. Runciman, Steven, ›The Visit of King Amalric I to Jerusalem in 1171‹, in: Outremer. Studies in the History of the Crusading Kingdom of Jerusalem. Presented to Joshua Prawer, hg. v. Benjamin Z. Kedar, Hans Eberhard Mayer u. Raymond Charles Smail, Jerusalem 1982, 153–158. 1302 WvT XX.xxii.39. 1303 WvT XX.xxii.40–42.

304

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

Die Entwicklung von Fulcher von Chartres zu Wilhelm von Tyrus – von den 1120er zu den 1180er Jahren – zeigt, wie man in Jerusalem erst allmählich lernte, die Notwendigkeit eines weltlichen Herrschers mit der Idee der in die Welt hinein wirkenden Herrschaft Christi in seinem Reich Jerusalem in Einklang zu bringen. Obschon Fulcher mit Sicherheit die Institution des weltlichen Königtums in Jerusalem grundsätzlich befürwortete, veranlaßten ihn die Gefangenschaft Balduins II. und die Erfahrung, daß dem Reich auch in Abwesenheit des Königs Triumphe gelangen, dennoch dazu, die Debatte um die Rechtmäßigkeit weltlicher Herrschaft im regnum Christi aus der Endphase des ersten Kreuzzuges noch einmal aufleben zu lassen und – wenn auch motiviert durch seine speziellen Vorbehalte gegen Balduin II. und beschränkt auf ein Kapitel – sogar die Rechtmäßigkeit der Herrschaft des Königs zu hinterfragen. Für Wilhelm von Tyrus hingegen stellen sich solche Fragen nicht mehr. Auch er übt Kritik an Balduin II. Wo jedoch Fulcher in der Abwesenheit des Königs mit beißendem Zynismus geradezu eine Chance für das Reich erkennen möchte, das nun endlich unter der direkten Herrschaft Gottes gestanden habe, ist für Wilhelm gerade die Abwesenheit Balduins II. der Grund für die Königskritik, da er darin einen Verrat der Interessen seines eigenen Volkes zu Gunsten der Antiochener zu erkennen meint. Wie das Beispiel Amalrichs zeigt, bestand jedoch offenbar weiterhin ein Bedürfnis danach, die unmittelbare Herrschaft Christi über das lateinische Königreich in bedrohlichen Situationen zu beschwören. In diesem Zusammenhang kommt dem Symbol des Kreuzes und insbesondere der bereits mehrfach kurz erwähnten Reliquie des Wahren Kreuzes eine zentrale Bedeutung zu, die im Folgenden ausführlicher analysiert werden soll.

4.

Das Königreich des Kreuzes

a.

Kreuz und Kreuzzug

Für die Christen des Hochmittelalters war das Kreuz das stärkste und wirkmächtigste Symbol ihres Glaubens.1304 Es stellt im christlichen Verständnis »das zentrale Symbol, das Erkennungs- u[nd] Bekenntniszeichen des […] Glaubens« dar und ist »Kriterium aller chr[istlichen] Glaubensaussagen u[nd] chr[istli1304 Vgl. Constable, Giles, ›Jerusalem and the Sign of the Cross (with particular reference to the cross of pilgrimage and crusading in the twelfth century)‹, in: Jerusalem: Its Sanctitiy and Centrality to Judaism, Christianity, and Islam, hg. v. Lee I. Levine, New York 1999, 371–381, 371ff; Constable, Crusaders, 46ff. Zum frühen Gebrauch des Kreuzes als Symbol des Kreuzes vgl. etwa Ladner, Gerhart B., Handbuch der frühchristlichen Symbolik. Gott – Kosmos – Mensch, Wiesbaden 1996, 33ff.

Das Königreich des Kreuzes

305

chen] Lebenspraxis«.1305 Neben dieser religiösen Dimension jedoch kam dem Kreuz in der christlichen Welt des Mittelalters auch als ein politisch-herrschaftliches Symbol große Bedeutung zu, deren Ursprung sich bis zur Überlieferung zum Sieg Konstantins des Großen gegen seinen Rivalen Maxentius an der Milvischen Brücke im Jahre 312 zurückverfolgen läßt.1306 Der Legende nach sei Konstantin am Vorabend der Schlacht ein Kreuz erschienen, verbunden mit der Siegesverheißung in hoc vince – später zur heute bekannten Formel in hoc signo vinces abgewandelt. Ausgehend von dieser Legende wurde das Kreuz in der römischen Reichstheologie seit Konstantin dem Großen auch als Herrschaftszeichen fruchtbar gemacht, und es entwickelte sich zu einem Symbol, das aufs engste mit dem Kaisertum verbunden war.1307 Die ideengeschichtliche Bedeutung des Kreuzes bildet einen ausführlich und häufig bearbeiteten Forschungsgegenstand.1308 Die Rolle dieses Symbols für das Gemeinschaftsbewußtsein der Lateiner im Königreich Jerusalem ist zwar bereits erkannt,1309 bislang jedoch noch nicht ausführlich untersucht worden. Die Bedeutung des Kreuzes für die lateinischen Einwohner des Königreiches Jerusalem hat ihren Ursprung nicht erst in der Auffindung der großen Kreuzesreliquie nach der Eroberung Jerusalems. Tatsächlich muß zur Beurteilung der Stellung des Kreuzes innerhalb des jerosolymitanischen Mythomoteurs auch auf den Umgang mit der Kreuzessymbolik während der Phase der Migration – also beim ersten Kreuzzug – eingegangen werden. Freilich stellt ein Bezug zum Kreuz kein Spezifikum des lateinischen Orients und der Kreuzzüge dar ;1310 vielmehr handelt es sich um ein Gemeingut christlicher Spiritualität, welches die Gläubigen von Beginn ihrer irdischen Existenz an und in allen Lebensphasen be-

1305 Greshake, Gisbert, Art. ›Kreuz‹, in: LThK 6:441. 1306 Vgl. Constable, Crusaders, 52ff. 1307 Vgl. Staubach, Nikolaus, ›In hoc signo vinces. Wundererklärung und Wunderkritik im vormodernen Wissensdiskurs‹, in: Frühmittelalterliche Studien (43; 2009), 1–52, 7. Eine interessante Neuinterpretation der Konstantinslegende findet sich in: Price, Richard, ›In hoc signo vinces: The Original Context of the Vision of Constantine‹, in: Signs, Wonders, Miracles: Representations of Divine Power in the Life of the Church, hg. v. Kate Cooper u. Jeremy Gregory, Woodbridge 2005, 1–10. 1308 Vgl. z. B. Constable, Crusaders, 45ff; Jaspert, Nikolas, ›Das Heilige Grab‹, 86ff. 1309 Vgl. Epp, ›Entstehung‹; Hiestand, ›Siedleridentität‹; Murray, ›Identity‹; Ders., ›Mighty Against the Enemies of Christ: The Relic of the True Cross in the Armies of the Kingdom of Jerusalem‹, in: The Crusades and Their Sources: Essays Presented to Bernard Hamilton, hg. v. John France u. William G. Zajac, Aldershot 1998, 217–238. 1310 Vgl. Bachrach, David S., Religion and the Conduct of War, Woodbridge 2003, 9, 40ff, 92–95; Constable, Crusaders and Crusading, 52–55; Ligato, Giuseppe, ›The Political Meanings of the Relic of the Holy Cross among the Crusaders and in the Latin Kingdom of Jerusalem: an Example of 1185‹, in: Autour de la PremiÀre Croisade: Actes du Colloque de la Society for the Study of the Crusades and the Latin East (Clermont-Ferrand, 22–25 juin 1995), hg. v. Michel Balard (= Byzantina Sorbonensia; 14), Paris 1996, 315–332.

306

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

gleitete.1311 Im Kontext der Kreuzzugsbewegung jedoch wurde dieses Symbol in besonderer Weise revitalisiert und von den Kreuzfahrern neu vereinnahmt. Dies fand auch in der speziellen Terminologie einen Niederschlag, die sich bereits seit dem ersten Kreuzzug für die Bezeichnung der Kreuzfahrer entwickelte. Obgleich sich die Benennung als crucesignati erst in der Zeit des dritten Kreuzzuges durchsetzte,1312 steht das Kreuz doch schon zu Beginn der Bewegung. Auch die Schar der Teilnehmer des ersten Kreuzzuges wird von Urban II. in einem Brief an Alexios Komnenos aus dem Jahr 1096 als cruce signata1313 bezeichnet.1314 Variationen dieser Benennung finden sich auch in anderen frühen Quellen zum ersten Kreuzzug und tatsächlich spielte die Zeichnung mit dem Symbol des Kreuzes auch für die ersten Kreuzfahrer bereits eine wichtige und identitätsstiftende Rolle.1315 So ist das Tragen des Kreuzes als Zeichen der Teilnahme an der bewaffneten Pilgerfahrt gen Jerusalem schon für den ersten Kreuzzug vielfach nachweisbar.1316 Üblicherweise äußerte sich dies durch das Anheften eines Stoffkreuzes an die Kleidung, doch auch eine Zeichnung des Körpers selbst – wohl in Form von Tätowierungen, Brandzeichen oder Hautritzungen – ist belegt.1317 Insbesondere diese zweite, ungleich radikalere Variante verweist dabei eindrucksvoll auf die tiefere spirituelle Bedeutung des Tragens des Kreuzes und damit des Kreuzzuges insgesamt als Nachfolge Christi.1318 Diese Assoziation 1311 Vgl. Constable, Crusaders, 46f. 1312 Vgl. Brundage, James A., Medieval Canon Law and the Crusader, Madison 1969, 31; Markowski, Michael, ›Crucesignatus: Its Origin and Early Usage‹, in: Journal of Medieval History (10; 1984), 157–165, 157, 160; Mayer, Kreuzzüge, 26; Villey, Michel, La Croisade. Essai sur la Formation d’une Th¦orie Juridique, Paris 1942, 252, Anm. 57. 1313 ›Urbani II epistola ad Alexium Constantinopolitanum imperatorem – et de cruce suscipienda‹, in: PL 151:485. 1314 Vgl. Markowski, ›Crucesignatus‹, 158. 1315 Vgl. Constable, Crusaders, 63–70; Markowski, ›Crucesignatus‹, 158f. 1316 Vgl. Constable, Crusaders, 63–66. 1317 Vgl. Alphandéry, Paul, La Chr¦tient¦ et l’Id¦e de Croisade I (= Evolution de I’Humanit¦; 38), Paris 1954, 155; Constable, Crusaders, 67; Dinzelbacher, Peter, ›Diesseits der Metapher. Selbstkreuzigung und -stigmatisation als konkrete Kreuzesnachfolge‹, in: Revue Mabillon (NS 7; 1996), 157–181; Dupront, Alphonse, ›La Spiritualit¦ des Crois¦s et des PÀlerins d’aprÀs les Sources de la PremiÀre Croisade‹, in: Pellegrinaggi e Culto dei Santi in Europa fino alla Prima Crociata: 8–11 Ottobre 1961. Convegno di studio sul Tema Pellegrinaggi e Culto dei Santi in Europa fino alla Ia Crociata, hg. v. Centro di Studi sulla Spiritualit— Medievale (= Convegni di Centro di Studi sulla Spiritualit— Medievale; 4), Todi 1963, 449–483, 479; McGinn, Bernard, ›Iter Sancti Sepulchri: The Piety of the First Crusaders‹, in: Essays in Medieval Civilization, hg v. Bede K. Lackner u. Kenneth R. Philip, Austin 1978, 33–72, 49–56; Purkis, William, ›Stigmata on the First Crusade‹, in: Signs, Wonders, Miracles: Representations of Divine Power in the Life of the Church, hg. v. Kate Cooper u. Jeremy Gregory, Woodbridge 2005, 99–108. 1318 Zum Gedanken des Kreuzzuges als Nachfolge Christi vgl. Constable, Crusaders, 63–66; Purkis, Crusading Spirituality, 30ff.

Das Königreich des Kreuzes

307

etablierte Urban II. selbst, indem er Kreuzzugsteilnahme und Tragen des Kreuzes mit einem der großen Herrenworte in Bezug setzte: Tunc Iesus dixit discipulis suis si quis vult post me venire abneget semet ipsum et tollat crucem suam et sequatur me.1319 Im Kontext des Kreuzzuges erhielten diese eigentlich an alle Christen gerichteten Worte eine besondere Relevanz und finden ihr Echo in den im lateinischen Orient entstandenen Quellen. Dabei zeigt jedoch die vergleichende Untersuchung der jerosolymitanischen und antiochenischen Überlieferung deutliche Unterschiede im Umgang mit dem Kreuz auf.1320

b.

Das Kreuz als Verweis auf Jerusalem

Eine Assoziation von bewaffneter Pilgerfahrt und Kreuzesbezug wie auch selbst die Bezeichnung als crucesignati waren schon seit der Mitte des 12. Jahrhunderts keine Alleinstellungsmerkmale der Heiliglandkreuzzüge mehr, sondern wurden auch für den Kampf gegen Häretiker, Heiden und Muslime im Baltikum, in Frankreich und auf der iberischen Halbinsel reklamiert und schließlich gar im Hinblick auf die sogenannten politischen Kreuzzüge des Papsttums angewandt.1321 Zudem sind Bezüge zum Kreuz auch innerhalb der lateinisch-orientalischen Überlieferung nicht den Texten aus dem jerosolymitanischen Kontext vorbehalten. Gerade in den Gesta Francorum nimmt das Kreuz eine wichtige Stellung ein, vor allem in Form der an der Kleidung der Kreuzfahrer getragenen Abzeichen.1322 Selbst im Orient war das Kreuz mitnichten ein Spezifikum der Lateiner oder gar der Jerosolymitaner, da es auch für die orientalischen Christen das wesentliche Symbol ihres Glaubens war. Allerdings kam dem Kreuz in der islamischen Wahrnehmung nach der Ankunft der Lateiner eine verstärkte Bedeutung zu, welche es in den Jahrhunderten der Koexistenz mit den orientalischen Christen nicht gehabt zu haben scheint. Als Zeichen der Eroberer wurde es plötzlich deutlicher wahrgenommen, und das Zerbrechen von Kreuzen oder deren Entfernung von und aus Sakralbauten entwickelte sich zu einem wichtigen symbolischen Akt, welcher wiederholt die Feldzüge muslimischer Heere begleitete und in der Eroberung des Wahren1323 Kreuzes von Jerusalem in der Schlacht von Hattin gipfelte.1324 1319 1320 1321 1322 1323

Mt 16:24 (mit anderem Wortlaut: Lc 14:27; Mc 8:34); vgl. Riley-Smith, Idea, 24. Vgl. Constable, Crusaders, 63–66, 63; Erdmann, Entstehung, 319. Vgl. Markowski, ›Crucesignatus‹, 161ff. Vgl. z. B. GF I.i, I.iv, II.v. Überzeugend hat jüngst Gia Toussaint herausgestellt, daß die Bezeichnung als vera crux erst im Rahmen der Kreuzzugsbewegung des 12. Jahrhunderts allmählich aufkam, während vorher die auch in den hier untersuchten Quellen anzutreffenden Begriffe lignum Domini oder sancta crux gebräuchlich gewesen seien. Vgl. Toussaint, Gia, ›Die Kreuz-

308

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

Trotz der allgemeinen Bedeutung des Kreuzes läßt sich dessen Hervorhebung im Hinblick auf die Ereignisse des ersten Kreuzzuges durchaus als Manifestation eines ethnischen Symbols des jerosolymitanischen Mythomoteurs interpretieren. Schon der Bericht über das Anbringen der Stoffkreuze an den Gewändern der Kreuzfahrer nutzt Fulcher von Chartres dazu, einige zentrale Elemente seiner ethnohistorischen Narrative einzuführen: o quam dignum erat et amoenum nobis omnibus cruces illas cernentibus, vel sericas vel auro textas aut quolibet genere pallii decoras quas in chlamydibus suis aut birris aut tunicis iussu praedicti papae [Urbani] post votum eundi super humeros consuebant! sane pugnatores Dei merito victoriae signo insigniri et muniri debebant, qui ob honorem eius ad proeliandum se praeparabant.1325

Fulcher greift das verbreitete Motiv vom Kreuz als Siegeszeichen auf.1326 Das auserwählte Heer der pugnatores Dei drückt durch die Annahme dieses Siegeszeichens seinen göttlichen Auftrag und damit seine göttliche Legitimation aus. Von besonderem Interesse ist, daß Fulcher hier genauer die verschiedenen Kleidungstypen benennt, an welchen die Stoffkreuze befestigt wurden. In dieser Dreiteilung ist eine Anspielung auf die drei Stände erkannt worden. So sei die chlamys als der Waffenrock der Ritter, der birrus als das Gewand der Kleriker und die tunica als Kleidung der einfachen Leute zu identifizieren.1327 Durch diese Komponente wird schon zu Beginn des Kreuzzuges eine für Fulcher charakteristische Bezugnahme nicht nur auf die Elite, sondern auf die Gesamtheit des Heeres und damit des Volkes deutlich. Für diese Interpretation spricht auch der Hinweis, daß manche Stoffkreuze aus kostbaren Materialien wie Gold und Seide, andere wiederum aus einfacheren Textilien hergestellt sein konnten. Daß dies gerade in dieser Passage geschieht, ist kein Zufall; handelt es sich doch beim hier eingeführten Zeichen des Kreuzes ebenfalls nicht um ein exklusives Symbol der Elite, sondern um ein Zeichen, unter dem sich Angehörige aller Stände gleichermaßen versammeln können. Das Kreuz erfaßt alle Teile des Volkes und ist damit symptomatisch für den im Vergleich zu Antiochia sehr viel stärker vertikal-demotisch geprägten Mythomoteur der Lateiner im Königreich Jerusalem.

1324 1325 1326 1327

züge und die Erfindung des Wahren Kreuzes‹, in: Hybride Kulturen im mittelalterlichen Europa. Vorträge und Workshops einer internationalen Frühlingsschule/Hybrid Cultures in Medieval Europe. Papers and Workshops of an International Spring School, hg. v. Michael Borgolte u. Bernd Schneidmüller (= Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik; 16), Berlin 2010, 151–170, 153–156. Vgl. Hillenbrand, Islamic Perspectives, 304–307. FvC I.iv.4. Vgl. Holbert, Kelly M., ›Relics and Reliquaries of the True Cross‹, in: Art and Architecture of Late Medieval Pilgrimage in Northern Europe and the British Isles, hg. v. Sarah Blick u. Rita Tekippe, Leiden 2005, 337–363, 337f. Vgl. FvC 140f, Anm. 11.

Das Königreich des Kreuzes

309

Ebenfalls von Interesse ist der an die gerade besprochene Passage anschließende Satz zur Bedeutung des Kreuzes: et quoniam significans sub agnitione fidei circa se sic pinxerunt, denique significatum derivativum verius adepti sunt. speciem insignerunt, ut rem speciei consequerentur.1328

Das von den Stoffkreuzen Bezeichnete, nach dem die Kreuzfahrer strebten, ist einerseits sicherlich im abstrakt-spirituellen Sinne ein Verweis auf die in den bereits zitierten Herrenworten eingeforderte Nachfolge Christi. Gleichermaßen jedoch läßt sich hierin eine vorbereitende Andeutung der Auffindung der großen Kreuzesreliquie in Jerusalem nach der Eroberung im Sommer 1099 erkennen. In den bloßen Stoffkreuzen, die nach der Überlieferung seit Clermont zum Zeichen der Kreuzfahrer wurden, kündigte sich damit bereits die von ihnen präfigurierte Reliquie des lignum Domini an, die zu einem der wichtigsten Symbole des Königreiches werden sollte.1329 Es ist diese Reliquie, auf die für Fulcher der ganze Kreuzzug ausgerichtet ist. Die Kreuzfahrer wandten sich mit ihrer bewaffneten Pilgerfahrt – der Gebetsrichtung der Kirche folgend – gen Osten und damit dem Kreuze zu, welches mit dieser Himmelsrichtung untrennbar verbunden ist.1330 Zwar vollzogen auch die Gründer der übrigen Kreuzfahrerstaaten diese geradezu liturgisch anmutende Migrationsbewegung; doch ihren Höhepunkt fand diese Prozession unter Waffen erst mit der Eroberung der Heiligen Stadt, der Gründung der lateinischen Herrschaft in Jerusalem und der Auffindung des Wahren Kreuzes. Die umfassende Partizipation an diesem Prozeß war in erster Linie jenen Kreuzfahrern vorbehalten, die sich im Königreich Jerusalem und damit in besonderer Nähe zum Wahren Kreuz ansiedelten. Damit werden die vermeintlich einfachen Stoffkreuze über die Funktion als Erkennungszeichen erhoben und bereits früh in der Historia mythoreligiös überhöht. Sie bezeichnen nicht nur die Teilnehmer eines religiös begründeten Waffengangs, sondern verweisen in der Version Fulchers von Beginn an auch auf die Staatsgründung in Jerusalem und eines der wichtigsten Symbole des Königreiches.1331 Den Moment der Kreuznahme und das Symbol des Kreuzes baut auch Wilhelm von Tyrus zu Fixpunkten seiner ethnohistorischen Narrative auf, wobei er an die bei Fulcher etablierten Leitgedanken anknüpft.

1328 FvC I.iv.4. 1329 Vgl. FvC 142, Anm. 14. 1330 Vgl. Constable, Crusaders, 55f; Gamber, Klaus, ›Conversi ad Dominum. Die Hinwendung von Priester und Volk nach Osten bei Messfeier in 4. und 5. Jahrhundert‹, in: Römische Quartalschrift für Christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte (67; 1972), 49–64; Linder, ›Liturgy‹, 130f. 1331 Vgl. Hiestand, ›Siedleridentität‹, 70.

310

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

Convenerat autem apud omnes, et idipsum de mandato domini pape iniunctum fuerat, ut quotquot predicte vie voto se obligarent, vivifice crucis salutare signum vestibus imprimerent et in humeris illius sibi portarent memoriam, cuius passionis locum visitare proposuerant, illum imitantes, cui ad nostram redemptionem properanti factus est principatus eius super humerum eius. De quo etiam non inmerito videtur posse intelligi illud Ysaie: levabit dominus signum in nationibus et congregabit dispersos Israel, sed et illud domini mandatum iuxta litteram plane videbatur impleri: qui vult venire post me, abneget semet ipsum et tollat crucem suam et sequatur me.1332

Es handelt sich hierbei um eine Schlüsselstelle innerhalb des Chronicon. Einerseits enthält diese Passage bekannte Motive wie die Kreuznahme und deren Interpretation im Sinne der Evangelien als Nachfolge Christi. Diese Allgemeinplätze der Kreuzzugshistoriographie kombiniert Wilhelm jedoch zusätzlich zum neutestamentlichen Bezug mit zwei Jesaja-Versen (im lateinischen Text durch Unterstreichung hervorgehoben), die in besonderer Weise nicht nur den Kreuzzug betreffen, sondern vielmehr von Wilhelm so eingesetzt werden, daß sie auf die Errichtung des Königreiches Jerusalem und auf Entstehen und Aufstieg des jerosolymitanischen Volkes verweisen. Das zweite Jesaja-Zitat etwa kommt auch in der Vigil der Liturgie zum Gedächtnis an die Befreiung Jerusalems vor.1333 Die Kreuzzeichen deutet Wilhelm nicht nur im Hinblick auf die radikale Christusnachfolge im Sinne des die Passage abschließenden Gedankens aus dem Matthäus-Evangelium. Vielmehr verwendet er die auf den Schultern der Kreuzfahrer angebrachten Stoffkreuze als Zeichen des in den hier zitierten Jesaja-Worten verheißenen messianischen Reiches. So wie der Messias die Herrschaft auf seinen Schultern trägt, tragen die Kreuzfahrer deren Zeichen auf den ihren. Dabei ist dieser principatus Christi mit einer ambivalenten Bedeutung ausgestattet. Einerseits ist sicherlich der üblichen christlichen Deutung der Jesaja-Worte folgend das endzeitliche Reich Gottes gemeint. Gleichzeitig jedoch muß hierin eine Chiffre für das irdische Königreich Jerusalem gesehen werden. Jerusalem erscheint abermals nicht nur als irdisches Reich mit einem weltlichen Herrscher an seiner Spitze. Vielmehr ist in letzter Konsequenz Christus der Herrscher, und das Kreuzfahrerkönigreich ist sein Reich auf Erden. Diesen Gedanken führt Wilhelm durch das zweite Jesaja-Zitat in der Passage weiter und verstärkt ihn. Das bei Jesaja nicht klar definierte signum, welches Gott den Nationen errichtet, ist in diesem Kontext eindeutig als das Kreuz zu identifizieren; und das verstreute Volk Israel, welches unter diesem Zeichen versammelt werden soll, verweist auf die Kreuzfahrer und in der Konsequenz vor allem auf die Jerosolymitaner. 1332 WvT I.xvi.54–65. Vgl. Is 9:6 u. 11.12; Mt 16:24. 1333 Siehe oben Kapitel VI.6.d.

Das Königreich des Kreuzes

311

Um die ethnohistorische Bedeutung dieser Passage und ihrer Verknüpfung von Kreuzessymbol, neutestamentlich begründeter Nachfolge Christi und alttestamentlichen Prophetenworten richtig einordnen zu können, muß auch der Kontext der Jesaja-Zitate in der Bibel berücksichtigt werden. Beide Verse sind in die Verheißung des durchaus sehr weltlich beschriebenen messianischen Reiches eingebettet. Insbesondere das elfte Kapitel Jesajas, aus dem das zweite Zitat der Chronicon-Passage entnommen ist, zeichnet – nach christlichem Verständnis des Alten Testaments – in sehr konkreten Worten das Bild eines von Christus regierten Königreiches, eines Reiches, in dem Gerechtigkeit und Frieden herrschen. Diese Herrschaft wird von Jesaja klar auf dem Territorium des Königreiches Jerusalem verortet – sie hat ihren Mittelpunkt in […] monte sancto meo.1334 Doch während die Prophezeiung dem Reich einerseits Frieden im Inneren ankündigt, verheißt sie zugleich Kriegszüge und Triumphe gegen seine äußeren Feinde. Tatsächlich leitet der von Wilhelm zitierte Vers zur Errichtung des Zeichens für die Sammlung Israels bei Jesaja eine längere Passage ein, in welcher es um das Ringen des auserwählten Volkes gegen die filios orientis1335 und den vorherbestimmten Sieg gegen diese geht. Eine Übertragung der JesajaWorte auf die Situation des Königreiches Jerusalem zur Zeit Wilhelms mußte für den Erzbischof von Tyrus und seine Zeitgenossen naheliegen. Es dürfte zudem kein Zufall sein, daß Wilhelm hier aus einem Kapitel zitiert, welches mit einem Verweis auf den Prototyp der primordialen Tat schließt – auf die Durchquerung des Schilfmeeres durch das Volk Israel unter Moses: et levabit [Deus] manum suam super Flumen in fortitudine spiritus sui […] et erit via residuo populo meo […] sicut fuit Israhel in die qua ascendit de terra Aegypti.1336

Dem modernen Leser des Chronicon mag die enge Verbindung der hier besprochenen Passage mit dem größeren Zusammenhang innerhalb der Heiligen Schrift allein auf Grundlage zweier zitierter Verse nicht offensichtlich sein. Doch vor der hochmittelalterlichen Kapitel- und frühneuzeitlichen Verseinteilung der Bibel dienten neben wörtlichen Zitaten insbesondere deren gängige Geschichten und Bilder als maßgebliche Referenzpunkte.1337 Die genannte Assoziation muß daher für Wilhelms Zeitgenossen – insbesondere im Königreich Jerusalem selbst – und vor allem für das Publikum seines Textes eindeutig gewesen sein. All dies verknüpft Wilhelm mit dem wichtigsten Symbol des Königreichs Jerusalem – dem Kreuz. So wie Jesaja das messianische Reich verkündet, sieht Wilhelm bereits in der Kreuznahme von Clermont die Verheißung des unter dem 1334 1335 1336 1337

Is 11:9. Is 11:14. Is 11:15–16. Vgl. Moore, G. F., ›The Vulgate Chapters and Numbered Verses in the Hebrew Bible‹, in: Journal of Biblical Literature (12; 1893), 73–78.

312

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

Symbol des Kreuzes stehenden und die Nachfolge Israels antretenden Königreiches Jerusalem. Dieses Königreich ist dabei kein rein säkularer Staat, sondern immer ein Reich unter dem besonderen Schutz durch und in besonderer Verbindung zu Christus; sein Volk ist das auserwählte Volk, welches an den zentralen Schauplätzen der Heilsgeschichte in den Spuren Israels nachfolgt. In besonderer Weise mythoreligiös aufgeladen ist auch ein Kapitel aus Fulchers Historia, in welchem er über die Einschiffung der Heere Roberts von der Normandie und Stefans von Blois in Brindisi Anfang April 1097 berichtet. Eines der Schiffe zerbrach vor der Küste, wobei vierhundert Menschen ertrunken seien. Bei der Bergung der Leichen, so weiß Fulcher zu berichten, repertae sunt in carnibus quorundam super spatulas scilicet cruces insignitae. nam quod in pannis suis vivi gestaverant, competebat, Domino volente, in ipsis servitio suo sic praeoccupatis idem signum victoriosum sub pignore fidei permanere.1338

Verweise auf solch wundersame Kreuzerscheinungen auf den Körpern verstorbener Kreuzfahrer sind auch in anderen Quellen zu verzeichnen,1339 doch wiederum weist der Bericht der Historia Hierosolymitana einige Besonderheiten auf. So wird das Kreuzeswunder hier etwa direkt mit den Stoffkreuzen in Verbindung gesetzt. Wie die Stoffkreuze verweist auch die posthume Zeichnung der ertrunkenen Pilger mit dem signum victoriosum sowohl auf die Idee der Christusnachfolge gemäß dem Evangelium als auch auf die Auffindung der Kreuzesreliquie in Jerusalem. Durch das bei Fulcher zu den Stoffkreuzen in Bezug gesetzte Kreuzeswunder von Brindisi werden die vorzeitig Verstorbenen auch mit dem bedeutendsten Symbol des Mythomoteurs der Jerosolymitaner identifiziert und somit zudem mit dem für sie nicht mehr erreichbaren irdischen Jerusalem und dem lateinischen Königreich assoziiert. Dieses Kreuzeswunder erscheint in der Historia ferner im Kontext der Einschiffung jenes Kontingentes von Kreuzfahrern, mit dem auch Fulcher selbst reiste. Dieses Ereignis bei der Reise gen Osten markiert einen jener liminalen Momente, die für ethnische Narrativen und die Ausbildung eines Mythomoteurs von zentraler Wichtigkeit sind. Mit dem Betreten der Schiffe werden die Bindungen an die alte Heimat gelöst, der Prozeß zur Bildung einer neuen ethnischen Gruppe wird eingeleitet und passiert einen ersten prägenden Markstein. Durch die Kombination mit der wundersamen Kreuzerscheinung und dem ersten, durch die Ertrunkenen entrichteten Blutzoll – hier durch Fulcher zum Martyrium überhöht – wird dieser liminale Moment zusätzlich mythoreligiös aufgeladen. Auch Guibert von Nogent widmet ein ganzes Kapitel seiner Gesta Dei per 1338 FvC I.viii.3. 1339 Vgl. GvN VII.xxxii; HAI II. Hierzu auch: Alphandéry, Chr¦tient¦, 63; Riley-Smith, Idea, 34.

Das Königreich des Kreuzes

313

Francos dem Wunder von Brindisi, wobei er dieses bezeichnenderweise dazu gebraucht, den Bericht Fulchers scharf zu kritisieren und zu diskreditieren.1340 Nach einer grundsätzlichen Anerkennung der Möglichkeit, daß solche Erscheinungen wahrhaftig sein könnten, wendet er sich vehement und in geradezu historisch–kritischer Art gegen den von Fulcher geschilderten Fall. Die lurid[i] inanium scematum colores1341 des Priesters aus Chartres kritisierend führt er die Zeichnung der Leichen mit dem Kreuz nicht auf postmortale göttliche Einwirkung zurück. Vielmehr sei es wahrscheinlicher, daß sich die verstorbenen Kreuzfahrer noch zu Lebzeiten unter dem Einfluß der religiösen Euphorie des Kreuzzuges diese Wunden selbst beigebracht hätten, um eine besondere Bevorzugung durch Gott vorzutäuschen.1342 Daß Fulcher, der an anderer Stelle durchaus kritisch mit vermeintlichen Wundern umgeht,1343 als Augenzeuge auf der Echtheit des Kreuzeswunders beharrt, während der Abendländer Guibert Zweifel anmeldet, spricht zusätzlich für die besondere Bedeutung, welche dem Symbol des Kreuzes innerhalb des jerosolymitanischen Mythomoteurs zukommt. In die Kategorie der wundersamen, auf Jerusalem verweisenden Kreuzeserscheinungen ist schließlich auch eine Passage in Fulchers Bericht zur Belagerung Antiochias einzuordnen. Zur Jahreswende 1097/1098 – der genaue Zeitpunkt ist nicht sicher zu bestimmen – ereignete sich in Nordsyrien ein Erdbeben, und es war zudem ein Himmelszeichen zu beobachten, bei dem es sich vermutlich um einen Kometen handelte.1344 Die Beschreibung dieser Naturereignisse, welche etwa auch bei Raimund von Aguilers überliefert ist,1345 ergänzt Fulcher um seine eigene Deutung: tunc temporis vidimus in caelo unum ruborem mirabilem, insuper sensimus terrae motum magnum, qui nos pavidos reddidit omnes. multi etiam tunc viderunt quoddam signum in modum crucis figuratum, colore alburnum, versus Orientem recto incedens tramite.1346

1340 1341 1342 1343

Vgl. GvN VII.xxxii. Vgl. GvN VII.xxxii. Siehe auch Fuchs, Zeichen, 159f. Vgl. FvC I.xviii. Fulcher bezweifelt hier die Echtheit der Heiligen Lanze von Antiochia. Ausgerechnet Guibert von Nogent hingegen bezeichnet die Lanze als echt und tadelt Fulcher für seine kritische Haltung zu der vermeintlichen Reliquie. Vgl. GvN VII.xxxiv. Zur Thematik der Heiligen Lanze siehe auch: Morris, ›Policy‹; Riley-Smith, Idea, 95–98; Rogers, Randall, ›Peter Bartholomew and the Role of ›The Poor‹ in the First Crusade‹, in: Warriors and Churchmen in the High Middle Ages, hg. v. Timothy Reuter, London 1991, 109–122; Runciman, ›Lance‹, 197–209. 1344 Vgl. FvC 224, Anm. 48. 1345 Vgl. RvA VI. 1346 FvC I.xv.16.

314

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

Entgegen seiner eigenen Aussage in dieser Passage war Fulcher selbst nicht Zeuge dieser Ereignisse, da er zu dieser Zeit nicht vor Antiochia weilte, sondern sich bei Balduin von Boulogne in Edessa befand. Dennoch interpretiert er die Himmelserscheinung als ein rotes, gen Osten weisendes Kreuz. Fulcher nutzt also das Naturereignis für sein ethnohistorisches Programm, indem er das in anderen Quellen nicht näher definierte Naturphänomen als Kreuz identifiziert, um auf diese Weise eine weitere mythoreligiöse Verheißung der bevorstehenden Eroberung Jerusalems, der Gründung des lateinischen Königreiches und der Auffindung der Kreuzesreliquie in die Erzählung einzuweben. Zudem läßt sich in dem als Kreuz interpretierten Himmelszeichen eine Anspielung auf die Kreuzesvision Konstantins und damit bereits in besonders eindrucksvoller Weise ein Vorgriff auf die Funktion der Kreuzesreliquie als Kriegspalladium des Königreiches Jerusalem erkennen. Für die ethnohistorische Relevanz dieser Deutung spricht auch, daß Bartolf von Nangis dieses Motiv direkt von Fulcher übernommen hat.1347 Die Berichte über das Symbol des Kreuzes auf dem ersten Kreuzzug sowie auch zu Kreuzeserscheinungen sind dabei durch eine wichtige Gemeinsamkeit verbunden, die viel über den Charakter des jerosolymitanischen Mythomoteurs preisgibt. Anders als die zentralen, genuin dynastischen Elemente des antiochenischen Mythomoteurs, welche untrennbar mit dem herrschenden Haus der Hauteville-la-Guichard verbunden waren, konnte das auf dem Kreuzzug omnipräsente Kreuz von keinem der Anführer exklusiv für sich oder seine Familie reklamiert werden. Das Kreuz erscheint vielmehr als ein Gemeingut der Gruppe auf der Wanderung, das sogar schon vor der Gründung des Königreiches von der Gesamtheit der Kreuzfahrer vereinnahmt worden war. In keiner der bisher behandelten Passagen wird das Kreuz mit einem der Kreuzzugsführer assoziiert, sondern stets ist es die Gesamtheit des Heeres/Volkes, die in diesem Kontext in Erscheinung tritt. Es sind sogar üblicherweise namenlose Teilnehmer des Kreuzzuges oder die alle vereinnahmende Masse der nos omnes, die in Verbindung mit dem Kreuz auftreten, nicht aber die ansonsten durchaus mit großer Aufmerksamkeit und großem Wohlwollen bedachten Heroen Gottfried von Bouillon oder Balduin von Boulogne.1348 Die einzige Herrscherfigur, die in diesen Passagen auftaucht und mit der das Heer/Volk über das Medium des Kreuzes in eine Beziehung gesetzt wird, ist Christus selbst, neben dem ohnehin kein weltlicher Potentat zu bestehen vermochte. Das Kreuz ist damit nicht alleine ein bestimmendes Symbol eines gemeinschaftsbezogenen – und eben anders als 1347 Vgl. BvN XII. Die HNvA hingegen erwähnt das Himmelszeichen nicht, beruht aber bei den Berichten zu dieser Phase der Belagerung auch auf Robert dem Mönch, der es ebenfalls nicht nennt. 1348 Vgl. FvC I.iv.4, I.viii.3, I.xv.16; WvT I.xvi.

Das Königreich des Kreuzes

315

in Antiochia nicht dynastischen – Mythomoteurs, sondern es drückt gleichzeitig auch die Präferenz eines direkten Bezuges zu einem als Herrscher imaginierten Christus gegenüber einer Anbindung an weltliche Anführer und ihre Dynastien aus. Neben den ausführlicher besprochenen Hervorhebungen des Kreuzes in den Berichten zum ersten Kreuzzug ließe sich noch auf zahlreiche andere Passagen in der jerosolymitanischen Überlieferung verweisen, an denen dieses Motiv auftaucht. In den hier nicht behandelten Fällen allerdings ist nicht eindeutig zu entscheiden, ob das Kreuz tatsächlich eine ethnizistische Funktion im Rahmen des jerosolymitanischen Mythomoteurs erfüllt, oder ob es sich lediglich um Manifestationen eines zentralen Elements christlicher Spiritualität handelt. Ein Spezifikum des lateinischen Königreiches – wenn auch mit gesamtchristlicher Strahlkraft – stellt hingegen eindeutig die große Kreuzesreliquie Jerusalems dar.

c.

Die Auffindung der Kreuzesreliquie in Jerusalem

Die religiöse Verehrung des Kreuzes wie auch dessen Bedeutung als Herrschaftszeichen erfuhren eine nachhaltige Verstärkung durch die Tradition von der Auffindung des Wahren Kreuzes durch Konstantins Mutter Helena (ca. 249–330), welche um die Mitte des 4. Jahrhunderts aufkam, durch Kyrill von Jerusalem (ca. 315–387), Johannes Chrysostomos (ca. 344–407) und Gregor von Nyssa (ca. 338/9-nach 394) aufgegriffen und erstmals in der ambrosianischen Schrift De obitu Theodosii aus dem Jahre 395 detailliert überliefert ist.1349 Die der Tradition nach von Helena gefundene Reliquie ging 614 an die Perser verloren, wurde jedoch durch Kaiser Herakleios sechzehn Jahre später vom persischen König Chosrau II. zurückerobert und wieder nach Jerusalem geführt.1350 Dieses 1349 Vgl. Blaauw, Sible de, ›Jerusalem in Rome and the Cult of the Cross‹, in: Pratum Romanum. Richard Krautheimer zum 100. Geburtstag, hg. v. Renate L. Colella, Meredith J. Gill, Lawrence A. Jenkens u. Petra Lamers, Wiesbaden 1997, 55–72, 63f; Borgehammar, Stephan, How the Holy Cross was Found. From Event to Medieval Legend (= Bibliotheca Theologiae Practicae. Kyrkovetenskapliga Studier ; 47), Stockholm 1991, bes. 139–142; Frolow, Anatole, La Relique de la Vraie Croix. Recherche sur le D¦velopment d’un Culte (= Archives de l’Orient Chr¦tien; 7), Paris 1961, 55f; Drijvers, Jan Willem, Helena Augusta. The Mother of Constantine the Great and the Legend of her Finding of the True Cross (= Brill’s Studies in Intellectual History ; 27), Leiden 1992, 79ff u. passim; Holbert, ›Relics‹, 337ff; Leoni, Bruno, La Croce e il suo Segno: Venerazione del Segno e Culto della Reliquia nell’Antichit— Cristiana, Verona 1968; Straubinger, Johannes, Die Kreuzauffindungslegende. Untersuchungen über ihre altchristlichen Fassungen mit besonderer Berücksichtigung der syrischen Texte (= Forschungen zur christlichen Literatur- und Dogmengeschichte; 11,3), Paderborn 1912. 1350 Vgl. Angenendt, Heilige, 215; Holbert, ›Relics‹, 337ff; Heid, Stefan, Art. ›Kreuz. Historisch-theologisch‹, in: LThK 6:445–446; Jaspert, ›Das Heilige Grab‹, 69f; Tongeren,

316

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

Ereignis stellt für Wilhelm von Tyrus offenbar einen wichtigen Bezugspunkt dar, den er schon zu Beginn des ersten Kapitels seines Chronicon behandelt.1351 Schon wenige Jahre nach der Rückführung durch Herakleios jedoch wurde die Reliquie im Angesicht der Bedrohung durch die vorrückenden Araber nach Konstantinopel verbracht, wobei der jerosolymitanischen Tradition folgend offenbar ein Teil in der Heiligen Stadt verblieb. Die legendarische Auffindung der Reliquie fand Eingang in den liturgischen Kalender der Kirche in Form des am 14. September gefeierten Festes der Kreuzerhöhung. Im Königreich Jerusalem war offenbar – zumindest in gebildeteren Kreisen – das Wissen über die spätantike Tradition des Heiltums durchaus verbreitet und wurde vor allem von den Kanonikern des Heiligen Grabes zur Untermauerung ihres Prestiges eingesetzt, wie etwa ein Brief des Kantors Anselm der Grabeskirche (datiert um 1121) zeigt, der auf eine Nachfrage des Bischofs Gerbert von Paris die Geschichte der Reliquie knapp referiert: Quaesistis qua ratione, qua necessitate portio ista de dominica cruce assumpta fuerit; […] legistis […] quod sancta Helena crucem dominicam per medium secari fecit, et crucem Constantinopolim ad filium detulit, crucemque Hierosolymis reliquit; relictam Chosdroe vastata Hierusalem rapuit, et in Persidem detulit, quam interfecto Chosdroe Heraclius imperator Hierosolymam retulit, et in Calvariae loco ut a populo christiano veneraretur, reposuit.1352

Bald nach der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer am 15. Juli 1099, so berichten mehrere Quellen, sei ein von syrischen Christen vor den Muslimen verborgenes Fragment des Wahren Kreuzes entdeckt worden.1353 Es soll sich der Überlieferung zufolge dabei um einen Teil des von Helena gefundenen Kreuzes handeln, welches in Jerusalem verblieben sei, als der Hauptteil der Reliquie Mitte des 7. Jahrhunderts vor den herannahenden Arabern nach Konstantinopel in Sicherheit gebracht worden war.1354 Aufbewahrt wurde das jerosolymitanische

1351 1352 1353 1354

Louis van, ›Vom Kreuzritus zur Kreuzestheologie: Die Entstehungsgeschichte des Festes der Kreuzerhöhung und seine erste Ausbreitung im Westen‹, in: Ephemerides Liturgicae: Commentarium Bimestrale de Re Liturgica Cura et Studio Presbyterorum Congregationis Missionis (112; 1998), 216–245, 218f; Ders., Exaltation of the Cross: Toward the Origins of the Feast of the Cross and the Meaning of the Cross in Early Medieval Liturgy (= Liturgia Condenda; 11), Löwen 2000, 10–13 u. passim. WvT I.i. Anselm der Kantor, ›Epistola ad ecclesiam parisiensem‹, in: PL 152:729–732. Vgl. Frolow, Relique, 310f. Vgl. AvA VI.xxxviii; FvC I.xxx; HNvA LXII; RvA XXXI; WvT IX.iv. Die genaue Geschichte der Auf- und Verteilung des Wahren Kreuzes nach der legendären Auffindung im 4. Jahrhundert ist umstritten. Vgl. Cecchelli, Carlo, Il trionfo della croce. La croce e i santi segni prima e dopo Costantino, Rom 1954, 171ff; Frolow, Relique, 286f; Krause, Karin, ›Konstantins Kreuze. Legendenbildung und Artefakte im Mittelalter‹, in: Hybride Kulturen im mittelalterlichen Europa. Vorträge und Workshops einer internationalen Frühlingsschule/Hybrid Cultures in Medieval Europe. Papers and Workshops of an

Das Königreich des Kreuzes

317

Kreuz in der Grabeskirche, wo für die Reliquie im Zuge des 1149 abgeschlossenen großen Umbaus eine eigene Kapelle im Norden der Rotunde eingerichtet wurde.1355 Dort befand sie sich in der Obhut der Kanoniker vom Heiligen Grabe und damit in der Verfügungsgewalt der lateinischen Patriarchen, denen gemäß einer Urkunde Balduins I. aus dem Jahr 1114 auch die Spenden von Pilgern zuflossen, welche die Reliquie in der Grabeskirche aufsuchten.1356 Fulcher von Chartres faßt den Reliquienfund des Sommers 1099 folgendermaßen zusammen: placuit tunc Deo, quod inventa est particula una crucis dominicae in loco secreto, iam ab antiquo tempore a viris religiosis occultata, nunc autem a quodam homine Syro, Deo volente, revelata.1357

In ähnlicher Weise wird dieses Ereignis in allen jerosolymitanischen Texten wiedergegeben und zelebriert. Dies trifft sogar auf die stark komprimierten Berichte der Historia Nicæna wie auch der Gesta Francorum Iherusalem expugnantium Bartolfs von Nangis zu.1358 Bartolf behandelt die Entdeckung des Kreuzes trotz der Kürze seines Textes sogar zweimal. Noch vor der chronologisch korrekt positionierten Beschreibung des Fundes nach der Eroberung Jerusalems erwähnt er bei seiner schon kurz besprochenen Beschreibung der Heiligen Stadt1359 die Auffindung des Kreuzes durch Helena und verweist indirekt auch auf die Wiederentdeckung des Jahres 1099, wenn er die in seiner Gegenwart andauernde Verehrung einer pars […] Ligni pretiosi – also der eigentlichen jerosolymitanischen Reliquie – in der Grabeskirche benennt.1360 Aufgrund der vorherrschenden panlateinischen Interpretation der im Zuge des ersten Kreuzzuges einsetzenden ethnogenetischen Prozesse ist bislang nicht untersucht worden, ob das Wahre Kreuz von Jerusalem für die Jerosolymitaner

1355 1356

1357 1358 1359 1360

International Spring School, hg. v. Michael Borgolte u. Bernd Schneidmüller (= Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik; 16), Berlin 2010, 171–193, 172ff; Ligato, ›Meanings‹, 316 m. Anm. 3; Ligato, ›Baldovino I‹, 376; Murray, ›Enemies‹, 220f; Wilken, Robert Louis, The Land Called Holy. Palestine in Christian History and Thought, New Haven 1992, 82ff. Vgl. Schein, Gateway, 84. Vgl. Gerish, ›Cross‹, 138f u. passim; Murray, ›Enemies‹, 222. Die Zusicherung der Spenden von 1114 (vgl. DRLH I:55) wurde wiederholt von den Nachfolgern Balduins I. erneuert, nämlich zweimal durch Balduin III. (vgl. DRLH I:238 u. I:258) und Amalrich (vgl. DRLH II:310). Zur Verehrung von Heiligkreuzreliquien und besonders zu den entsprechenden Reliquiaren im Westen nach dem ersten Kreuzzug vgl. Toussaint, Gia, Kreuz und Knochen: Reliquien zur Zeit der Kreuzzüge, Berlin 2011, bes. 49–68. FvC I.xxx.4. Vgl. BvN XXXVII; HNvA LXII; WvT IX.iv. S.o. Kapitel VI.6.c. Vgl. BvN xxxi. Wie Bartolf verfährt auch Wilhelm von Tyrus, der in seiner Stadtbeschreibung einen Exkurs zur Grabeskirche und zur Auffindung des Kreuzes im August 1099 einbindet. Vgl. WvT VIII.iii.16–34.

318

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

eine andere Bedeutung hatte als für die Lateiner in den anderen Kreuzfahrerstaaten, ob der Reliquie im Königreich Jerusalem also eventuell eine partikularistisch zu deutende Sonderrolle zukam. Ein Vergleich der jerosolymitanischen Quellen mit Texten, die nicht mit dem Königreich Jerusalem und seinen Einwohnern in enger Verbindung stehen, ist in diesem Zusammenhang sehr aufschlußreich. Die Sonderrolle1361 des Wahren Kreuzes für das Königreich Jerusalem wird insbesondere am sehr unterschiedlichen Umgang der verschiedenen Quellen mit dem Fund der Reliquie im Sommer 1099 deutlich. Das plötzliche Auftauchen der Reliquie aus dem geheimnisumwittert obskuren ›verborgenen Ort‹ (loco secreto) – einem Deus ex machina gleich – muß aus heutiger Perspektive zumindest Skepsis hervorrufen. Die Reliquie wurde bald nach ihrer Auffindung und Einarbeitung in ein kostbares Reliquiar integriert und in die Grabeskirche verbracht, wo sie unter der Obhut Arnulfs von Chocques stand – des aus der Normandie stammenden ersten lateinischen Patriarchen von Jerusalem. Arnulfs Wahl zum Haupt der Kirche von Jerusalem nach der Eroberung der Heiligen Stadt war jedoch schon früh zum Ziel heftiger Kritik geworden. Die Wahl war durch die ranghöchsten überlebenden Kleriker des Kreuzzuges durchgeführt worden, unter denen jedoch nur ein einziger Mann in episkopalen Würden war – der Bischof von Martirano. Arnulf selbst hatte hingegen nur niedere Weihen empfangen und war als Sohn eines Priesters mit einem bedeutenden Makel behaftet. Zwar kann in der Zeit vor Wormser Konkordat und der gratianischen Vereinheitlichung des Kirchenrechts nicht von überparteilich eindeutigen, allgemein unanfechtbar kanonischen oder unkanonischen Wahlen gesprochen werden, doch den gerade im Kontext des Kreuzzuges verbreiteten Idealen der Kirchenreform entsprachen sicherlich weder der Kandidat noch die Wahl. Auch der Arnulf gegenüber grundsätzlich positiv eingestellte Urban II., der den Normannen vor dem Kreuzzug sogar noch zum Vizelegaten ernannt hatte, konnte die Wahl nicht mehr bestätigen, da er schon am 29. Juli verstorben war und inzwischen Paschalis II. auf dem Stuhle Petri saß.1362 Die Kreuzesreliquie wurde also im Sommer 1099 zu einem für den bedrängten Arnulf idealen Zeitpunkt aufgefunden und ließ sich vom Patriarchen zur Festigung seiner umstrittenen Position an der Spitze der jungen lateinischen Kirche von Jerusalem

1361 Eine solche möchte Schwinges nicht erkennen, der das Wahre Kreuz zusammen mit den Heiligen Plätzen bestenfalls als prestigestiftende Elemente sieht. Vgl. Schwinges, ›Regionale Identität‹, 244f. 1362 Vgl. Hamilton, Latin Church, 12–16; Richard, Jean, ›Quelques Textes sur les Premiers Temps de l’Êglise Latine de J¦rusalem‹, in: Recueil de Travaux Offerts — M. Clovis Brunel. Bd. 2, (= M¦moires et Documents Publi¦s par la Soci¦t¦ de l’Êcole des Chartes; 12), Paris 1955, 420–430, 422.

Das Königreich des Kreuzes

319

instrumentalisieren, weshalb Murray den bedrängten Prälaten nicht nur als Nutznießer, sondern auch als Initiator des Reliquienfundes sieht.1363 Um so bedeutender ist es daher, daß in der Überlieferung des Königreichs Jerusalem die Echtheit der Reliquie an keiner Stelle in Frage gestellt wird. Auf eine allgemeine Verbreitung von Naivität und allzu großer Wundergläubigkeit unter den Autoren kann man die fehlende Kritik nicht zurückführen, wie etwa die von ihnen mehrheitlich zur Schau gestellte kritische Haltung der vermeintlich heiligen Lanze von Antiochia gegenüber zeigt.1364 Demgegenüber war die Kreuzesreliquie für das Königreich von solcher Bedeutung, daß eine mögliche Verbindung zwischen Arnulfs umstrittener Position und dem plötzlichen Auftauchen der Reliquie in den Texten aus dem jerosolymitanischen Kontext nicht einmal angedeutet wird. Ohne die Echtheit der Reliquie anzuzweifeln, stellt Raimund von Aguilers hingegen immerhin klar heraus, daß die Suche nach dem Kreuz auf Arnulfs Initiative erfolgt sei: Nactus itaque Arnulfus hanc potestatem [patriarchalem], coepit requirere ab incolis civitatis ubi erat crux quam peregrini ante captam Iherusalem adorare consueverant.1365

Fulcher von Chartres hingegen verschleiert schon die Wahl Arnulfs zum Patriarchen: patriarcham autem tunc decreverunt nondum ibi fieri, donec a Romano papa quaesissent.1366 Damit verhindert er, daß die im Kapitel unmittelbar folgende Beschreibung des Reliquienfundes in irgendeinen Zusammenhang mit dem umstrittenen Kirchenmann gestellt wird. Der anonyme Autor der Historia Nicæna übernimmt diese Darstellung,1367 und Bartolf von Nangis reduziert die Funktion Arnulfs auf die eines quasi patriarch[a], dessen Hauptaufgabe in der Leitung der Kanoniker des Heiligen Grabes bestanden habe, donec a Romano pontifice quid agendum foret requisivissent.1368 Dem Eindruck eines möglichen Zusammenhangs wirkt interessanterweise der deutlich später schreibende Wilhelm von Tyrus zusätzlich entgegen, indem er Arnulfs Wahl zwar erwähnt, diese aber mit der Entdeckung des Kreuzes nur durch ein vage Gleichzeitigkeit suggerierendes und die tatsächliche zeitliche Abfolge verwischendes per idem tempus verbindet.1369 1363 Vgl. Murray, ›Enemies‹, 221. 1364 Vgl. z. B. FvC I.xxxviii, WvT VII.xviii. 1365 RvA XXI. Mit den peregrini sind hierbei ausnahmsweise nicht die Kreuzfahrer gemeint, wie auch die hier angesprochene Eroberung nicht auf die Erstürmung durch die Heere des Kreuzzuges bezogen ist. Vielmehr verweist Raimund hier auf die Verehrung der von Helena aufgefundenen Kreuzesreliquie vor der Eroberung Jerusalems durch die Muslime im Jahre 638. 1366 FvC I.xxx. 1367 Vgl. HNvA LXI. 1368 BvN XXXVII. 1369 WvT IX.iv. Das Schweigen der jerosolymitanischen Quellen zu einer möglicherweise

320

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

Ausgerechnet die Texte aus der antiochenischen Überlieferung zeichnen sich hingegen dadurch aus, daß sie die Auffindung des Kreuzes überhaupt nicht thematisieren. Eine offene Kritik an der Reliquie und den Umständen ihrer Auffindung wäre ohne Zweifel nicht im Sinne dieser Autoren gewesen. Indem man die Entdeckung des Kreuzes in Jerusalem aber vollkommen übergeht, bleibt mehr Raum für die Entwicklung eines eigenen, an Antiochia und das Haus der Hauteville-la-Guichard geknüpften Mythomoteurs. In den Gesta Francorum wie auch in den Gesta Tancredi wird die Reliquienauffindung komplett ausgespart,1370 und auch Tudebodus erwähnt das Ereignis nicht direkt, sondern nur in Form einer Andeutung in einem Nebensatz zur Kampagne gegen die Fatimiden unter al-Afdal Schahanschah.1371 Dies steht in starkem Kontrast zur Darstellung des Ereignisses in den jerosolymitanischen Quellen, was als ein Beleg für ein Sonderinteresse der Jerosolymitaner an der Reliquie gelten kann. Diese Deutung stützen ferner die im Abendland entstandenen Quellen. Bezeichnend ist nämlich, daß unter den in den ersten Jahrzehnten nach dem Kreuzzug im Westen schreibenden Kreuzzugschronisten allein Albert von Aachen die Auffindung der Reliquie überhaupt detaillierter behandelt.1372 Zahlreiche andere abendländische Quellen hingegen thematisieren den Reliquienfund überhaupt nicht, darunter die Texte Baldrichs von Dol, Roberts des Mönchs wie auch die anonyme Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum. Auch der Genueser Caffaro, der persönlich mit einer Flotte durch Arnulf fingierten Auffindung des Kreuzes beziehungsweise das Verschleiern der Patriarchenwahl am 1. August 1099 stellen ein Indiz für eine partikularistisch zu interpretierende Sonderstellung der Kreuzes für die Lateiner im Königreich Jerusalem dar. Eine Diskreditierung der Reliquie hätte allerdings nicht nur Königreich und Patriarchat von Jerusalem zum Nachteil gereicht, sondern hätte – viel stärker als im Falle der antiochenischen Lanze – der Kreuzzugsbewegung wie auch der lateinischen Präsenz in der Levante insgesamt schaden können. So läßt sich etwa auch bei Albert von Aachen ein indirektes Indiz dafür finden, daß er sich der potentiellen Schwierigkeiten einer allzu engen Assoziation von Wahrem Kreuz und Arnulf von Chocques bewußt gewesen sein könnte und daß er dieser daher – ähnlich wie die jerosolymitanischen Autoren – entgegenzuwirken suchte. Denn in seiner Historia Ierosolimitana weicht Albert von der üblichen Chronologie ab und geht selbst über den Verschleierungsmechanismus Wilhelms von Tyrus hinaus, indem er die Auffindung der Reliquie klar vor der umstrittenen Patriarchenwahl ansetzt und das Ereignis so dem Schatten des Zweifels entzieht. Neben den jerosolymitanischen Quellen erkennt also auch Albert die Echtheit der Reliquie an und würdigt deren Bedeutung. Vgl. AvA, VI.xxxviii. Hier ließe sich eventuell erneut eine mögliche Abhängigkeit Alberts von Fulchers Historia vermuten. 1370 Laut Frolow lieferten auch die Gesta Francorum einen Bericht über den Reliquienfund. Diese Annahme beruht jedoch auf eine Verwechslung der anonymen Gesta Francorum aus dem antiochenischen Überlieferungskontext mit Bartolfs Gesta Francorum Iherusalem Expugnantium. Vgl. Frolow, Relique, 286f; Hagenmeyer, Heinrich, Chronologie de la PremiÀre Croisade (1094–1100), Paris 1902, 258f. 1371 Vgl. PT 146. 1372 Vgl. AvA VI.xxxviii.

Das Königreich des Kreuzes

321

seiner Heimatstadt 1100 in die Levante reiste, erwähnt die Auffindung des Wahren Kreuzes an keiner Stelle.1373 Dieser Befund muß nicht unbedingt erstaunen. Schließlich waren Reliquien des Kreuzes Christi auch schon lange vor dem ersten Kreuzzug auf unterschiedlichsten Wegen in den Westen gelangt und dort zum Objekt religiöser Verehrung geworden.1374 Dennoch sollte man davon ausgehen, daß der Fund einer Kreuzesreliquie auf dem Höhepunkt des Kreuzzuges immerhin hervorragend in das heilsgeschichtlich unterfütterte Kreuzzugskonzept der Autoren gepaßt und in rein literarischer Hinsicht einen äußerst reizvollen Stoff abgegeben hätte.1375 Für die fehlende Erwähnung des Reliquienfundes spielten ohne Zweifel die Quellen eine gewisse Rolle, welche die abendländischen Chronisten, die sämtlich nicht selbst am Kreuzzug teilgenommen hatten, als Grundlage ihrer Texte verwendeten. Guibert von Nogent und Wilhelm von Malmesbury hatten Zugang zum Bericht Fulchers von Chartres und gebrauchten dessen die Auffindung der Reliquie aus jerosolymitanischer Perspektive feiernde Historia als eine wesentliche Basis für ihre Texte. Albert von Aachen hatte entweder durch zurückgekehrte Pilger Kenntnis von der Reliquie oder beruht hier möglicherweise trotz anderslautender Positionen der jüngeren Forschung ebenfalls auf Fulcher von Chartres.1376 Robert der Mönch, Baldrich von Dol, und der in Montecassino wirkende anonyme Autor der Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum hingegen stützten sich vor allem auf die antiochenische Überlieferung. Es fällt jedoch schwer, das Schweigen Roberts der Mönchs, Baldrichs von Dol und anderer Autoren zur Auffindung der Kreuzesreliquie in Jerusalem allein auf deren Quellen zurückzuführen. Die Kreuzzugschroniken sind mit einigem Ab1373 Vgl. Caffaro, ›Annales Ianuenses‹, in: Annali Genovesi di Caffaro e de‹ suoi Continuatori dal MXCIX al MCCXCIII, 5 Bde., hg. v. Luigi Tommaso Belgrano, Rom 1890–1929, 1:5–75; Caffaro, ›De Liberatione Civitatum Orientis‹, in: Annali Genovesi di Caffaro e de‹ suoi Continuatori dal MXCIX al MCCXCIII, 5 Bde., hg. v. Luigi Tommaso Belgrano, Rom 1890–1929, 1:95–124, 109ff. Zu Caffaro vgl. Arnaldi, Gabriella, ›Memoria e Memorie di un Cavaliere. Caffaro di Genova‹, in: Crusades (2; 2003), 25–39; Bellomo, Elena, A Servizio di Dio e del Santo Sepolcro: Caffaro e l’Oriente Latino (= Medioevo Europeo; 4), Padua 2003; Dotson, John E., ›The Genoese Civic Annals: Caffaro and His Continuators‹, in: Chronicling History. Chroniclers and Historians in Medieval and Renaissance Italy, hg. v. Sharon Dale, Duane Jeffrey Osheim u. Alison Williams Lewin, University Park/PA 2007, 55–86; Petti Balbi, Giovanna, Caffaro e la Cronichista Genovese, Mailand 1982. 1374 Vgl. Jaspert, Nikolas, ›Vergegenwärtigungen Jerusalems in Architektur und Reliquienkult‹, in: Jerusalem im Hoch- und Spätmittelalter. Konflikte und Konfliktbewältigung – Vorstellungen und Vergegenwärtigungen, hg. v. Klaus Herbers, Dieter R. Bauer u. Nikolas Jaspert, 2001, 219–270, 245ff. 1375 Weniger überraschend als das Schweigen der abendländischen Quellen aber dennoch erwähnenswert ist, daß auch Anna Komnena mit keinem Wort auf den Kreuzesfund eingeht. 1376 S.o. Kapitel II.3.

322

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

stand zum ersten Kreuzzug entstanden und neben im Orient entstandenen schriftlichen Berichten hatten in der Zwischenzeit vor allem auch Zeugen aus Fleisch und Blut den Weg zurück in den Westen gefunden. Es ist also davon auszugehen, daß die Auffindung einer Kreuzesreliquie kurz nach der Eroberung Jerusalems durch das Heer des ersten Kreuzzuges durchaus in Europa bekannt geworden sein dürfte. Interessant ist in diesem Zusammenhang das Beispiel Baldrichs von Dol. Dieser erwähnt in seinem Bericht zur Schlacht von Askalon am 12. August 1099 kurz, daß vor dem Gefecht den Kreuzfahrern das signum salutiferæ Crucis reverenter eorum frontibus admotum est.1377 Da jedoch bei Baldrich jedweder Hinweis auf die Auffindung der Partikeln fehlt, kann man die Präsenz einer Reliquie des lignum Domini hier nur mit Kenntnis anderer Quellen vermuten, während die hier beschriebene Handlung nicht eindeutig mit dem Reliquiar von Jerusalem in Verbindung zu bringen ist. Vielmehr legt der Text entweder die Berührung mit einfachen Kreuzen oder gar nur das Schlagen von Kreuzzeichen nahe. Baldrich scheint durchaus aus anderer Quelle von der Präsenz der Reliquie gewußt zu haben, denn nur so läßt sich dieser Satz schlüssig erklären. Die fehlenden Informationen zu deren Auffindung sowie die ambivalente Wortwahl deuten jedoch darauf hin, daß die Reliquie für ihn – wie für andere abendländische Historiographen – nicht von zentraler Bedeutung war. Zudem behandeln die jerosolymitanischen Quellen nicht allein den Reliquienfund selbst, sondern sie berichten anschließend auch eingehender von der Anfertigung des Reliquiars und von dessen Überbringung in die Grabeskirche: quam quidem particulam in modum crucis reformatam, aurea partim et argentea fabrica contectam, ad dominicum Sepulcrum, dehinc etiam ad Templum congratulanter psallendo et gratias Deo agendo, qui per tot dies hunc thesaurum suum et nostrum sibi et nobis servaverat, omnes una in sublime propalatam detulerunt.1378

In dieser frühen Beschreibung Fulchers von Chartres tritt die Reliquie erstmals als das wichtigste Element der für das Königreich Jerusalem charakteristischen und später für andere Anlässe angepaßten Prozessionsliturgie in Erscheinung. Der Fund der Kreuzpartikeln wird hier in erster Linie als ein Beweis besonderen göttlichen Wohlwollens, als Zeichen der Auserwähltheit für jene Gruppe reklamiert, der sich Fulcher selbst zurechnete – für die Gruppe der Kreuzfahrer und vor allem der Jerosolymitaner. Besonders deutlich drückt diese Sonderbedeutung Wilhelm von Tyrus in seiner Umarbeitung der Passage aus Fulchers Historia aus, der in der Reliquie laborum et molestiarum suarum mercedem condignam1379 erkennt, also explizit eine Belohnung für die Teilnehmer des Kreuzzuges. Fulcher geht sogar über die Deutung als Lohn für die Strapazen des 1377 BvD IV.xx. 1378 FvC I.xxx.4. Vgl. BvN XXXVIII; HNvA LXII; WvT IX.iv. 1379 WvT IX.iv.

Das Königreich des Kreuzes

323

Kreuzzuges hinaus, indem er den Reliquienfund als ein Ereignis beschreibt, das Gott schon seit langer Zeit – per tot dies – für die Kreuzfahrer vorherbestimmt hätte. Durch die Interpretation als göttlich prädestiniertes Ereignis wird die Auffindung des Wahren Kreuzes von einem bloß geschichtlichen zu einem mythoreligiös aufgeladenen Vorkommnis im Zentrum der jerosolymitanischen Ethnohistorie überhöht; die Kreuzfahrer und das aus ihnen hervorgegangene Volk der Jerosolymitaner werden einmal mehr als auserwähltes Volk Gottes, als Nachfolger der Israeliten dargestellt. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang ferner die Tatsache, daß in den Quellen aus dem lateinischen Königreich beim Bericht über den Kreuzesfund und die anschließende Prozession erneut keine Beteiligten einzeln genannt und hervorgehoben werden. Es findet keine Zuschreibung des Kreuzesfundes zu einer Einzelperson statt, sondern vielmehr wird das Ereignis als Gnadenerweis und Zeichen der Auserwähltheit für die gesamte Gruppe präsentiert. Wilhelm von Tyrus etwa berichtet auf die Allgemeinheit des Heeres Bezug nehmend, daß das Kreuz von universo clero et populo bei der Prozession begleitet worden sei, und er fügt hinzu: consolationem quasi de celo missam omnes in commune acceperunt.1380 Das Verschweigen der Rolle Arnulfs von Chocques ist hier aus den zuvor besprochenen Gründen nachvollziehbar, doch das Ausbleiben von Verweisen auf andere Mitglieder der Elite – insbesondere etwa auf den allgemein beliebten und ansonsten vielgelobten Gottfried von Bouillon – ist bemerkenswert. Hierin manifestiert sich abermals die Besonderheit der jerosolymitanischen Ursprungserzählungen, in welchen der Beitrag einzelner Herrscher oder sonstiger Leitfiguren zumeist weniger wichtig ist als die Beziehung des gesamten Volkes/Heeres zu Gott als seinem einzig wahren Anführer, der im vorliegenden Fall durch das Kreuz repräsentiert wird. Die Entdeckung der Reliquie bildete den Gipfel- und Schlußpunkt der Wanderungsbewegung, aus dem die Gruppe der Jerosolymitaner hervorging. Hieraus erklärt sich das besondere Interesse der Quellen des lateinischen Königreiches nicht nur an der Reliquie selbst, sondern vor allem auch am Ereignis ihrer Auffindung. Beides – Kreuz und Kreuzesfund – sind wichtige Elemente eines partikularistisch geprägten Mythomoteurs der Jerosolymitaner. Offenbar gab es etwa gleichzeitig zum Fund des Wahren Kreuzes aber auch Gerüchte um das Vorhandensein eines weiteren, noch älteren Heiltums in Jerusalem, das in mancherlei Hinsicht Parallelen zur Kreuzesreliquie aufweist.

1380 FvC I.xxx; WvT IX.iv.

324 d.

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

Wahres Kreuz und Bundeslade

Das Wahre Kreuz ist immer auch in der Tradition anderer religiöser Kriegspalladien1381 zu sehen, unter welchen insbesondere die Bundeslade der Israeliten hervorzuheben ist, die in besonderer und vor allem unmittelbarer Weise für die Erwähltheit des Volkes durch seinen Gott steht. Für das Selbstverständnis der Jerosolymitaner hatte die Anknüpfung an die Tradition des auserwählten Volkes der Israeliten eine wichtige Stellung inne, wobei dieser Rückbezug auf das alte Testament mit der Reliquie des Wahren Kreuzes verknüpft wurde, die daher auch schon als »Bundeslade der Kreuzfahrer«1382 bezeichnet wurde.1383 Tatsächlich wendet sich Fulcher der Bundeslade sogar schon erstmals zu, bevor er sich der durch die zuvor behandelten Passagen aus dem Bericht zum ersten Kreuzzug vorbereiteten Auffindung der großen Kreuzesreliquie von Jerusalem widmet. Innerhalb einer längeren Beschreibung der Heiligen Stadt behandelt er unter anderem den Tempelberg und beschreibt gesondert den Felsendom – templum Domini –, in welchem eine Legende arcam foederis Domini cum urna et tabulis Moysi sigillatim1384 vermute. Dieser Legende zufolge, die sich auf das zweite Buch der Chronik und spätere jüdische Traditionen stützt, habe König Joschija von Juda nach der Ordnung des Reiches und des Tempels und vor seinem Tod in der Schlacht die Bundeslade in einem Versteck im Tempelbereich deponieren lassen, welches schon von Salomon dort angelegt worden sei, da er die Zerstörung des Tempels durch die Babylonier im Jahr 586 vor Christus vorhergesehen habe.1385 Dieser Rezeption der Passage aus dem zweiten Buch der Chronik steht allerdings das zweite Buch der Makkabäer entgegen, welches zu berichten weiß, daß der Prophet Jeremias selbst die Bundeslade in einer Höhle am nordöstlich des Toten Meeres gelegenen Berg Nebo verborgen habe.1386 Die Legende von der Aufbewahrung der gemeinhin verloren geglaubten 1381 Zu einem Vorgänger des Wahren Kreuzes – dem in der Lombardei ab 1039 bezeugten, Carroccio benannten Kriegswagen – vgl. Murray, ›Enemies‹, 219; Voltmer, Ernst, ›Nel Segno della Croce. Il Carroccio come Simbolo del Potere‹, in: Militia Christi e Crociata nei Secoli XI–XIII. Atti della undecima Internazionale di Studio Mendola, 28 Agosto – 1 Settembre 1989 (= Miscellanea del Centro di Studi Medioevali; 13), Mailand 1992, 193–207; Struve, Tilmann, ›Heinrich IV., Bischof Milo von Padua und der Paduaner Fahnenwagen. Zu einem wenig beachteten Bildnis des salischen Kaisers und seiner Gemahlin‹, in: Frühmittelalterliche Studien (30; 1996), 294–314, 304–314. 1382 Epp, ›Entstehung‹, 197. 1383 Zur Funktion der Bundeslade als Kriegspalladium vgl. Schmitt, Rainer, Zelt und Lade als Thema alttestamentlicher Wissenschaft. Eine kritische forschungsgeschichtliche Darstellung, Gütersloh 1972, 139–144. 1384 FvC I.xxvi.7. 1385 Über die Legende berichtet FvC I.xxvi.7, basierend auf 2 Par 35:3. Dazu auch: Steins, Georg, Art. ›Bundeslade‹, in: LThK 2:794–795. 1386 Vgl. 2 Mcc 2:4–7.

Das Königreich des Kreuzes

325

Bundeslade hätte jedoch ohne Frage innerhalb des jerosolymitanischen Mythomoteurs mit seinen Israeliten-Assoziationen ein machtvolles Element einer entstehenden ethnischen Identität sein können. Daher ist in der zweiten Redaktion der Historia Hierosolymitana mitunter eine Stellungnahme zugunsten der Tempelberglegende erkannt worden. Tatsächlich jedoch war Fulcher durchaus nicht »für alle sachlichen Ungereimtheiten blind«,1387 welche die widersprüchliche biblische Überlieferung aufwirft. Zwar ist es richtig, daß Fulcher in der zweiten Redaktion der Historia die in der früheren Version noch die Passage abschließenden Worte non credimus igitur arcam in templo esse1388 streicht. Bezeichnenderweise jedoch bleiben die unmittelbar an die Zusammenfassung der Tempelberglegende anschließenden Sätze bestehen: sed istud obest, quod in descriptionibus Ieremiae legimus in libro Machabaeorum secundo, quod ipse Ieremias eam [foederis arcam] in Arabia occultaverit, dicens nequaquam illam esse inveniendam, donec gentes multae congregarentur. ipse [Ieremias] quidem contemporaneus huius regis Iosiae fuit; tamen vivendi finem fecit rex, antequam Ieremias defungeretur occisus.1389

Offenkundig dekonstruiert Fulcher in geradezu historisch-kritischer Weise die Legende von der im Tempelberg verborgenen Bundeslade, indem er auf eine abweichende Überlieferung hinweist und diese aufgrund des nach dem Ableben Joschijas anzusetzenden Todes des Propheten Jeremia als authentisch darstellt. Demgegenüber wurde wiederholt postuliert, daß Fulcher diese Sätze in der ersten Redaktion zwar noch zur Widerlegung der Legende gebraucht habe, daß sie aber nun in der späteren Fassung das genaue Gegenteil bewirken und das Vorhandensein des israelitischen Palladiums in Jerusalem belegen sollten.1390 Diese Deutung gründet allein auf der zuvor benannten Streichung von non credimus, die jedoch im Zuge einer größeren Umarbeitung dieses Kapitels erfolgt ist und vielleicht eher als eine ästhetische Kürzung interpretiert werden sollte, da die entfallenen Worte im Angesicht der längeren, die Tempelberglegende negierenden Ausführungen direkt im Anschluß eigentlich obsolet sind. Aus den zuvor zitierten Worten hingegen ein Festhalten Fulchers an der Legende ablesen zu wollen, widerspricht schlicht der Evidenz des Textes. 1387 Epp, Fulcher von Chartres, 156. Vgl. auch Murray, ›Enemies‹, 224f. 1388 FvC I.xxvi, S. 289, Variantenapparat. 1389 FvC I.xxvi.8. An dieser Passage wird auch deutlich, daß Epp falsch liegt, wenn sie schreibt, Fulcher habe beim Abfassen der zweiten Redaktion vergessen, daß »nach Jeremias die Lade in Arabien gefunden würde« (Epp, Fulcher von Chartres, 156). Der Verweis auf Arabien und damit ein weiterer Grund gegen die Präsenz der Bundeslade in Jerusalem ist klar vorhanden. 1390 Vgl. die Ausführungen Hagenmeyers in FvC, 288, Anm. 24. Auf Hagenmeyers Aussagen scheint sich Epp ohne genauere Prüfung verlassen zu haben. Vgl. Epp, Fulcher von Chartres, 156.

326

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

Es bleibt jedoch die Frage, warum Fulcher so viel Raum und Mühe – bei der Urfassung und erneut bei der Überarbeitung – auf eine Passage zu einer Legende verwandte, nur um diese dann zu dekonstruieren. Offenkundig war zu Fulchers Zeit die Legende von der Präsenz der Bundeslade in Jerusalem unter den Lateinern bekannt und im Umlauf. Im Hinblick auf vergleichbare Legenden und Wundergeschichten im Rahmen des ersten Kreuzzuges – vor allem die Auffindung der Heiligen Lanze in Antiochia – und deren Attraktivität bei den Kreuzfahrern und besonders bei der Masse des Heeres ist anzunehmen, daß die Tempelberglegende mindestens ebenso euphorisch aufgenommen worden sein dürfte. Auch hätte sie, ebenso wie die Lanze zuvor, leicht instrumentalisiert werden können und genau solche Tendenzen sind auch für Fulcher reklamiert worden. Allerdings brachte gerade das Symbol der Bundeslade auch eine große Gefahr mit sich. Hätte sich nämlich der Glaube an die um das Palladium gesponnene Legende durchgesetzt und in signifikanter Weise für die Jerosolymitaner identitätsstiftend gewirkt, hätte man sich wohl früher oder später auf die Suche einem Objekt gemacht, das Fulcher nicht in Jerusalem vermutete. Es ist also verständlich, daß der Chronist in vollem Bewußtsein der Fragwürdigkeit dieser Tradition gerade wegen seiner Agenda zur Identitätsstärkung der Lateiner im Königreich Jerusalem kein Interesse daran haben konnte, eine zum Scheitern verurteilte Legende als konstitutives Element seiner ethnohistorischen Narrative einzusetzen. Obschon eine Vereinnahmung der Bundeslade tatsächlich sehr attraktiv gewesen wäre, erweist sich Fulcher hier als versierter und realpolitisch denkender Schriftsteller, der Plausibilität und Nachhaltigkeit seines narrativen Schaffens nicht zugunsten des kurzlebigen Effektes opfern mochte. Diese Deutung wird zudem durch Bartolf von Nangis gestützt, der in noch größerer Klarheit als Fulcher die Legende zurückweist, während der Okzidentale Albert von Aachen die Tradition von der Präsenz der Bundeslade im Tempelberg erwähnt, ohne sie zu hinterfragen.1391 Schließlich ist, und damit wird der Kreis wieder geschlossen, auf die Position des Wahren Kreuzes als gewichtiger Grund für Fulchers ablehnenden Umgang mit der Tradition von der im Tempelberg verborgenen Bundeslade einzugehen. Mit der großen Kreuzesreliquie von Jerusalem hatte das Königreich, wie die vorangegangenen Ausführungen gezeigt haben, bereits ein äußerst attraktives, wirkmächtiges, identitätsstiftendes und für Christen im Hinblick auf eine unmittelbare Verbindung zu Gott nicht zu übertreffendes Symbol. Gerade Fulcher, der als Kanoniker der Grabeskirche und einer der Kreuzeshüter des Prestiges der Reliquie selbst teilhaftig wurde und auch spirituell eine besonders enge Verbindung mit ihr hatte, konnte kein Interesse daran haben, mit einer Beförderung 1391 Vgl. AvA VI.xxiv ; BvN XXXII.

Das Königreich des Kreuzes

327

der Tempelberglegende an der Etablierung eines konkurrierenden Symbols mitzuwirken – zumal dieses Symbol leicht von der Kommunität der Kanoniker des Templum Domini und später den Templern hätte instrumentalisiert werden können. Daher ist es nur verständlich, daß die Bundeslade in der übrigen jerosolymitanischen Überlieferung keine Rolle spielt und selbst bei Fulcher nach der Dekonstruktion der Tempelberglegende nur noch an einer anderen Stelle auftaucht. Bei dem Bericht zu einem Feldzug Balduins II. in Nordsyrien im Jahr 1120 bringt er seine Besorgnis um einen möglichen Verlust des Wahren Kreuzes wortstark zum Ausdruck: quid faciemus, si permittente Deo perdiderimus in bello crucem, sicut perdiderunt Israelitae olim foederis arcam?1392 Hier wird die eigentliche Bedeutung der Bundeslade für Fulcher ersichtlich: Sie ist Referenzpunkt der eigenen Identitätsentwürfe und ihres wichtigsten Symbols innerhalb der biblischen Tradition. Den möglichen Verlust des Wahren Kreuzes setzt er mit dem tatsächlichen Verlust der Bundeslade durch die Israeliten gleich.1393 Dabei sagt dieser Satz mehr über die Bedeutung des Wahren Kreuzes aus als über jene der Lade. Als Symbol des alten Bundes hat das israelitische Palladium Relevanz für die eigene, an das Volk Israel anknüpfende Tradition, ist jedoch durch den neuen Bund obsolet geworden und wurde durch das Symbol des Kreuzes und dessen Vergegenwärtigung in der Kreuzesreliquie von Jerusalem abgelöst.

e.

Wem gehört das Wahre Kreuz? – das lignum domini zwischen König, Patriarch und Volk

Die jerosolymitanischen Quellen propagieren zumeist die Einheit der gesamten Gruppe und deren Verbundenheit mit dem Wahren Kreuz. Tatsächlich jedoch war das Beziehungsgefüge zwischen König, Patriarch, Adel, Klerus und Volk in Jerusalem durchaus von Interessenkonflikten und Spannungen bestimmt, und die Position des Wahren Kreuzes innerhalb dieses Spannungsfeldes läßt wichtige Rückschlüsse auf die Bedeutung der Reliquie für die Gruppe der Jerosolymitaner und ihren Mythomoteur zu. So hatte schon die Auffindung der Kreuzesreliquie von Jerusalem im Zeichen eines Versuchs durch Patriarch Arnulf von Chocques gestanden, die Reliquie für seine eigenen Zwecke zu vereinnahmen. Tatsächlich bargen prestigeträchtige Heiltümer immer auch das Potential, für äußerst diesseitige Anliegen von Mitgliedern der weltlichen wie auch kirchlichen Elite instrumentalisiert zu werden. Es gibt Indizien, daß die Könige von Jerusalem tatsächlich die Nähe des Kreuzes suchten, um ihre eigene Herrschaft mit der 1392 FvC III.ix.3. 1393 Vgl. Epp, Fulcher von Chartres, 155.

328

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

Reliquie zu verbinden. Die Krönung Fulks von Anjou und seiner mit ihm herrschenden Gemahlin Melisendis im Jahre 1131 etwa wurde nicht durch Zufall auf den 14. September gelegt, also auf den Festtag der Kreuzerhöhung.1394 Dennoch konnten die Könige von Jerusalem das Wahre Kreuz nie erfolgreich als ihr eigenes Symbol in Anspruch nehmen, konnten es nie als Instrument zur Legitimation ihrer Herrschaft vereinnahmen.1395 Ein Erklärungsversuch für diesen durchaus überraschenden Umstand verweist darauf, daß die Könige von Jerusalem im Angesicht der ständigen Bedrohung angeblich keinen Konflikt mit dem Patriarchat und den Kanonikern der Grabeskirche riskieren wollten, welcher die Stabilität des Reiches gefährdet hätte.1396 Zwar mag eine solche Erwägung seitens der Könige mitunter dazu geführt haben, ein entschlossenes Ausgreifen auf die Reliquie zu verhindern. Allerdings kann dies angesichts der häufigen und mitunter heftigen Auseinandersetzungen zwischen Königtum und Patriarchat im lateinischen Orient – in Jerusalem ebenso wie in Antiochia – nicht als hinreichender Grund dafür angesehen werden, daß offenbar keine nennenswerten Aneignungsversuche seitens der Könige von Jerusalem in Bezug auf die Reliquie des Wahren Kreuzes zu verzeichnen sind. Die Ursache für diesen Umstand ist vielmehr in der bereits behandelten Entwicklung des Kreuzes als Symbol während des ersten Kreuzzuges selbst zu erkennen. Die Analyse der Berichte zum Kreuzzug hat bereits die Stellung des Kreuzes als Element eines gemeinschaftsbezogenen Mythomoteurs erwiesen, und diese Position wurde offenbar direkt auf die Vergegenwärtigung des Symbols in der greifbaren Reliquie übertragen. Dies erklärt, daß das Wahre Kreuz nicht zu einem exklusiven Herrschaftszeichen der weltlichen Könige von Jerusalem werden konnte, sondern sich zum Zeichen der gesamten Gruppe der Jerosolymitaner und ihrer besonderen Verbindung zu Christus entwickelte. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Frage danach, wie darüber entschieden wurde, ob die Reliquie des Wahren Kreuzes auf einem Kriegszug mitgeführt werden sollte oder nicht. Es läßt sich nicht detailliert rekonstruieren, wie die Entscheidung über den Einsatz der Reliquie im Krieg getroffen wurde; der Bericht Fulchers von Chartres zu einer Kampagne des Jahres 1120 gibt allerdings immerhin einen Hinweis: petivit rex a patriarcha et clero humillime victoriosam Domini crucem sibi contradi.1397 Der Patriarch hatte offenbar grundsätzlich die Kontrolle über die Reliquie und entschied – anscheinend in Abstimmung mit dem Kapitel der Grabeskirche (clero) – übli1394 Vgl. Mayer, Hans Eberhard, ›Das Pontifikale von Tyrus und die Krönung der Lateinischen Könige von Jerusalem: Zugleich ein Beitrag zur Forschung über Herrschaftszeichen und Staatssymbolik‹, in: Dumbarton Oaks Papers (21; 1967), 141–232, 154. 1395 Vgl. Gerish, ›Cross‹, 138f.f 1396 Vgl. ibid., 153ff. 1397 FvC III.ix.2.

Das Königreich des Kreuzes

329

cherweise über ihren Einsatz im Krieg. Im hier genannten Fall wurde letzten Endes trotz schwerer Bedenken von Volk und Klerus die Reliquie mit in die Schlacht getragen, worin in der Forschung mitunter ein Zeichen dafür erkannt wurde, daß die Verfügungsgewalt des Patriarchen durch einen entschlossenen König habe ignoriert werden können.1398 Die Darstellung Fulchers jedoch zeichnet ein anderes Bild. So habe zwar in der Frage nach dem Einsatz der Reliquie zwischen Heer und König auf der einen und Patriarch und Volk auf der anderen Seite – euntes ad bellum et remanentes in Hierusalem – durchaus ratio bipertita geherrscht.1399 Den Widerstand habe die Partei des Patriarchen dann aber aus Rücksicht auf die Vernunft aufgegeben: necessitas monuit, ratio edocuit: fecimus quod noluimus, et quod nolebamus voluimus.1400 Selbstverständlich ist es durchaus möglich, daß Fulcher diesen Prozeß idealisierend beschreibt, daß in Wahrheit die erforderliche Zustimmung erst durch den Druck des Königs erwirkt wurde. Ein derartiges Bereinigen der Geschichte paßt zu Fulchers immer wieder zu beobachtendem Bestreben, den Zusammenhalt der Gruppe zu beschwören und über Differenzen hinwegzutäuschen – insbesondere im Hinblick auf die Teilnehmer des ersten Kreuzzuges, die idealisierten Gründerväter des Königreiches Jerusalem. Andererseits jedoch spart Fulcher gerade bei Balduin II. nicht mit Kritik, sondern er prangert das Ausgreifen des Königs auf die Freiräume der Kirche immer wieder an.1401 Daß Fulcher ausgerechnet eine möglicherweise gegen den erbitterten Widerstand von Patriarch und Kapitel erzwungene Herausgabe der Kreuzesreliquie, der er sich selbst als Kanoniker des Heiligen Grabes besonders verbunden und verpflichtet fühlte, ohne eine offene Kritik an Balduin II. behandeln, daß er unter diesen Umständen sogar noch von einer aus Einsicht in die Vernunft freiwillig getroffenen Entscheidung sprechen würde, ist äußerst unwahrscheinlich. An der grundsätzlichen Verfügungsgewalt des Patriarchen und des Kapitels der Grabeskirche über die Reliquie des Wahren Kreuzes kann im Übrigen auf Grundlage der vorhandenen Quellen nicht gezweifelt werden; vielmehr erscheint die Einwilligung von Patriarch und Kapitel – wie auch immer sie in einzelnen Fällen zustande gekommen sein mag – für eine Verwendung des Heiltums in der Schlacht als eine Notwendigkeit, die der König demütigst – 1398 Vgl. Mayer, Hans Eberhard, ›J¦rusalem et Antioche au Temps de Baudouin II‹, in: Comptes-Rendus des S¦ances de l’Ann¦e – Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres (124; 1980), 717–734, 719ff; Murray, ›Enemies‹, 227; Ders., Crusader Kingdom, 133f; etwas abgeschwächt auch bei Gerish, ›Cross‹, 138. 1399 FvC III.ix.3. 1400 FvC III.ix.4. Im Widerwillen von Volk und Klerus möchte Dana Munro ausgerechnet ein Zeichen dafür erkennen, daß man den Glauben an die Macht des Kreuzes verloren habe. Vgl. Munro, Dana Carleton, ›A Crusader‹, in: Speculum (7; 1932), 321–335, 330. 1401 Vgl. Epp, Fulcher von Chartres, 303f.

330

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

humillime – erbitten mußte. Fulcher legt Wert darauf, die Herausgabe des Kreuzes für die Kampagne als das Produkt eines Konsenses darzustellen, in den neben König, Patriarch und Kapitel auch das gesamte Volk eingebunden ist. Diese Einbindung besteht nicht in Form einer tatsächlichen Entscheidungskompetenz, sondern äußert sich in der aktiven Teilnahme des Volkes an der Verabschiedung der Reliquie vor den Mauern Jerusalems: et cum multis lacrimis pie pro ea profusis et canticis in laude illius decantatis, extra urbem nudis pedibus rex et patriarcha, plebs quoque omnis eam [crucem] conviassent, rex cum ea flendo discessit et populus ad urbem sanctam rediit.1402

Die als Einheit dargestellte Trias aus König, Kirche und Volk tritt gemeinsam als Träger der Entscheidung über die Mitführung der Reliquie im Krieg in Erscheinung. Trotz der Furcht um einen möglichen Verlust des Heiltums und trotz der Trauer um ihre Abwesenheit versammeln sich alle Teile der Gruppe der Jerosolymitaner für die feierliche Verabschiedung des Kreuzes, welche die Gestalt eines liturgischen Aktes annimmt, wie er sich sehr häufig im Zusammenhang mit der Reliquie beobachten läßt. Diese Betonung der inneren Einheit der Gruppe und des Konsenses ist charakteristisch für die jerosolymitanischen Texte und insbesondere für Fulcher von Chartres und Wilhelm von Tyrus. Der Abschied, welcher dem Wahren Kreuz in Jerusalem hier bereitet wird, stellt ein Übergangsritual dar, wie es auch bei Reliquientranslationen in Europa häufig zu beobachten ist.1403 Auf die Trennung von der Gemeinschaft – hier vom Volk von Jerusalem gemeinsam mit den Kanonikern der Grabeskirche und dem Patriarchen – folgt der Übergang der Reliquie »in die Gefahrenzone der Liminalität«.1404 Bei Reliquientranslationen bestand diese Liminalität in der unsicheren Situation der Reise und in der Instabilität zwischen Abschied vom alten und Ankunft beim neuen Besitzer. Im vorliegenden Fall ist der Eintritt in den neuen Zustand noch kritischer, da es sich um den Übergang des Kreuzes in den Kriegszustand handelt, der im Folgenden eingehender untersucht werden soll.

1402 FvC III.ix.4. 1403 Vgl. Röckelein, Hedwig, Reliquientranslationen nach Sachsen im 9. Jahrhundert: über Kommunikation, Mobilität und Öffentlichkeit im Frühmittelalter (= Beihefte der Francia; 48), Stuttgart 2002, 325ff. Siehe auch: Geary, Patrick J., Furta Sacra. Thefts of Relics in the Central Middle Ages, Princeton 1990 (überarb. Aufl, 1. Aufl. 1978). Zu Übergangsriten allgemein vgl. Gennep, Arnold van, Les Rites de Passage, Paris 1909. 1404 Röckelein, Reliquientranslationen, 326.

Das Königreich des Kreuzes

f.

331

Das Kreuz im Krieg

Die Rückbesinnung auf den jerosolymitanischen Mythomoteur war immer dann besonders nötig, wenn sich das Königreich Jerusalem in einer Bedrohungssituation befand, was im Laufe seiner Geschichte immer wieder der Fall war. In Zeiten des Krieges sammeln sich Ethnien unter ihren wichtigsten Symbolen, welche die Solidarität innerhalb der Gruppe stärken, ihre Abgrenzung nach außen artikulieren und durch Rückbesinnung auf ihre idealisierte Vergangenheit eine Selbstvergewisserung ihrer Mitglieder ermöglichen.1405 Solche ethnizistischen Reflexe im Angesicht externer Gefährdungen lassen sich in den jerosolymitanischen Texten in einer verstärkten Betonung der Kreuzesreliquie und insbesondere in deren Instrumentalisierung als Kriegspalladium des Königreiches erkennen. Mit einer solchen Umdeutung des Kreuzes zu einem Schlachtheiligtum wurde an eine lange Tradition angeknüpft. In der christlichen Theologie wurde das Kreuz schon früh nicht nur als Zeichen des Leidens und Sterbens Christi interpretiert, sondern auch als Symbol für den Sieg des Gottessohnes über Tod und Sünde betrachtet. Bereits in der Legende der konstantinischen Kreuzeserscheinung und der Verheißung in hoc signo vinces wurde das Zeichen des heilgeschichtlichen Triumphes Christi auch als ein militärisches Siegeszeichen (tqûpaio) gedeutet.1406 Mitunter wurde auch das Kriegsbanner Konstantins selbst – das Labarum – als Repräsentation des Kreuzes angesehen, da es aus einer langen lanzenartigen Stange und einem kürzeren Querschaft bestand,1407 und Prudentius berichtet, daß das Kreuz – aus Edelsteinen oder Gold gefertigt – dieses Feldzeichen geziert habe.1408 Das Kreuz ließ sich fortan als Kriegspalladium einsetzen, das als Standarte des allmächtigen himmlischen Königs auch dem Heer eines weltlichen Herrschers den Sieg verhieß und diesen legitimierte. Die Präsenz der crux überhöhte den Kampf eines Soldaten zum religiösen Akt und gleichzeitig wurden martialische Motive zur lebhaften Beschreibung des spirituellen Streitens der Christen wider Sünde und Teufel gebraucht.1409 Militärischer und spiritueller Kampf konnten über den Angelpunkt des Kreuzes miteinander verbunden werden und diese Verschränkung der beiden Aspekte prägte einerseits die 1405 Vgl. Smith, Origins, 55. 1406 Vgl. Constable, Crusaders, 52f; Staubach, ›In hoc signo‹, 7. 1407 Vgl. Erdmann, Entstehung, 32f; Leeb, Rudolf, Konstantin und Christus. Die Verchristlichung der imperialen Repräsentation unter Konstantin dem Großen als Spiegel seiner Kirchenpolitik und seines Selbstverständnisses als christlicher Kaiser (= Arbeiten zur Kirchengeschichte; 58), Berlin 1992, 43–48. 1408 Vgl. Aurelius Prudentius Clemens, Contra Symmachum, hg. u. übers. v. Hermann Tränkle (= Fontes Christiani. Zweisprachige Neuausgabe christlicher Quellentexte aus Altertum und Mittelalter ; 85), Turnhout 2008, I.465f. 1409 Vgl. Holbert, ›Relics‹, 337f.

332

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

Kreuzzugstheologie und beeinflußte andererseits in besonderer Weise die Ausbildung des Mythomoteurs der Jerosolymitaner. Schließlich mußte man sich im lateinischen Königreich nicht mit einer symbolischen Repräsentation des Kreuzes behelfen, da auf eine wahrhaftige Reliquie des lignum Domini zurückgegriffen werden konnte. In zahlreichen Schlachten, welche das Königreich Jerusalem in den Jahren zwischen 1099 und 1187 gegen seine Feinde schlug, wurde daher das Heer der Jerosolymitaner vom Kreuzreliquiar begleitet.1410 Zumeist trug der Patriarch von Jerusalem selbst das Kreuz. Allerdings wurde das Heiltum nicht bei jeder militärischen Kampagne des Königreichs als Kriegspalladium mitgeführt – es war dafür zu kostbar und zu bedeutend für die Jerosolymitaner. Vielmehr wurde die Reliquie vornehmlich im Rahmen defensiver Feldzüge in die Schlacht getragen, kam vor allem dann zum Einsatz, wenn das Reich mit einer ernsthaften Bedrohung von außen konfrontiert wurde.1411 Die bisherige Forschung zum Wahren Kreuz im Königreich Jerusalem hat die Funktion der Reliquie im Krieg vor allem darin gesehen, die Moral des Heeres in solchen besonderen Bedrohungssituationen zu heben und den Lateinern damit einen taktischen Vorteil im Kampf zu verschaffen.1412 Tatsächlich finden sich zahlreiche Belege für diese Deutung der Reliquie. In der ersten Schlacht von Ramla am 7./8. September 1101 etwa, so berichtet Fulcher, fecit rex portari dominicae crucis lignum, quod nobis praebuit salutare solatium,1413 und Wilhelm von Tyrus führt den Sieg der Jerosolymitaner über eine zahlenmäßig überlegene Schar von Feinden in der zweiten Schlacht von Tell Danith am 14. August 1119 auf die presentia victoriosissime crucis1414 zurück. Damit greift die jerosolymitanische Historiographie ein offenbar verbreitetes Deutungsmuster auf, denn auch König Balduin II. selbst führte, wie ein auf den 30. November 1120 datiertes Privileg für das Johanneshospital zu Jerusalem zeigt, seinen Sieg bei Tell Danith auf die Präsenz des Wahren Kreuzes zurück – deus per signum sancte crucis dedit victoriam.1415 Interessanterweise wird der Umgang mit dem Kreuz in der Schlacht selbst aber zumeist eher knapp behandelt. Selbst die üblicherweise ausführlicher berichtenden Texte Fulchers und besonders Wilhelms gehen oft nur kurz, in Nebensätzen und formelhaft auf die Präsenz des Kreuzes auf dem Schlachtfeld

1410 Murray hat alle dokumentierten Fälle, in denen die Reliquie in der Schlacht das Heer des Königreiches begleitete, gesammelt und kommt bei seiner Zählung auf eine Gesamtzahl von einunddreißig. Vgl. Murray, ›Enemies‹, bes. 232–238. 1411 Vgl. ibid., 227f. 1412 Vgl. Gerish, ›Cross‹, 153; Murray, ›Relic of the True Cross‹, 228. 1413 FvC II.xi.4. 1414 WvT XII.xii 1415 DRLH I:83.

Das Königreich des Kreuzes

333

ein.1416 Trotz der eindeutigen Belege für die Funktion der Reliquie als »moralebooster«1417 im Feld spricht vieles dafür, daß sich die volle Bedeutung der Reliquie für die Gruppe der Lateiner im Königreich Jerusalem eher aus den Berichten zu Ereignissen abseits des eigentlichen Schlachtfeldes und aus den Kommentaren zum Ausgang eines Gefechts erschließen läßt. Mustergültig läßt sich dies anhand der Wertung Fulchers zur Schlacht von Jaffa Ende Mai 1102 nachvollziehen. Nachdem das durch Überlebende des unglücklichen Kreuzzuges von 1101 unterstützte Heer der Jerosolymitaner keine zwei Wochen zuvor in der zweiten Schlacht von Ramla eine blutige Niederlage gegen ägyptische Truppen erlitten hatte, gelang bei Jaffa mit Hilfe eines aus Europa eingetroffenen Pilgerkontingents ein Sieg gegen die Fatimiden.1418 Während das Heer bei Ramla unter Balduin I. noch ohne das Wahre Kreuz ins Feld gezogen war, hatte rechtzeitig für das Gefecht bei Jaffa die Reliquie aus Jerusalem herbeigeholt werden können.1419 Fulchers Kommentar zur Schlacht von Jaffa erhebt diese zu einem Triumph des Kreuzes und des auserwählten Volkes: Vere dignum erat et iustum, ut qui ligno dominicae crucis muniti erant, super inimicos eiusdem crucis victores exsisterent.1420

Dieser Satz beginnt nicht zufällig mit Worten, welche eng an die Präfation des eucharistischen Hochgebetes angelehnt sind. Der Kampf der durch das Symbol ihrer besonderen Verbindung zu Gott geschützten Jerosolymitaner wird zu einem paraliturgischen Akt erhoben, dessen Bedeutung über die rein militärische Dimension hinausreicht. Die Schlacht gegen die Feinde der Jerosolymitaner war zugleich eine Schlacht gegen die inimicos […] crucis. Hier übernimmt Fulcher eine Formulierung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Philipper, die jedoch im Original anders als bei Fulcher nicht auf das materielle Kreuz selbst bezogen ist. Vielmehr bezeichnet Paulus jene als Feinde des Kreuzes, die sich zwar als Anhänger Christi verstehen, die es jedoch ablehnen, ihm durch eigenes Leiden und – im weiteren Sinne – Weltverachtung zu folgen, die also nicht selbst das Kreuz Christi tragen wollen.1421 Fulcher vereinnahmt einerseits 1416 1417 1418 1419 1420 1421

Vgl. Murray, ›Relic of the True Cross‹, 228. Gerish, ›True Cross and the Kings of Jerusalem‹, 153. Vgl. Brett, ›Battles‹; Epp, Fulcher von Chartres, 307. Vgl. Frolow, Relique, 288; Murray, ›Enemies‹, 226. FvC II.xxi.14. Vgl. Garland, David E., ›The Composition and Unity of Philippians: Some Neglected Literary Factors‹, in: Novum Testamentum. An International Quarterly for New Testament and Related Studies (27; 1985), 141–173, 171; Koester, Helmut, ›The Purpose of the Polemic of a Pauline Fragment (Philippians III)‹, in: New Testament Studies (8; 1962), 317–332, 325. Zur frühchristlichen Anwendung der Bezeichnung »Feinde des Kreuzes« vgl. auch Heid, Stefan, ›Die frühkirchliche Beurteilung der Häretiker als »Feindes des

334

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

die paulinischen Worte speziell für den Kontext Outremers, indem er als Feinde des Kreuzes nicht mehr die von Paulus bekämpften Irrlehrer innerhalb der frühen Christenheit, sondern die Muslime identifiziert. Vor allem aber – dies zeigt eindeutig der Kontext – wendet er sich von der üblichen abstrakten Deutung der Paulusworte ab und benennt ganz konkret Gegner der Reliquie des Kreuzes, und die Feinde dieser Reliquie sind die Feinde der Lateiner im Königreich Jerusalem – Volk und Kreuz sind aus dieser Perspektive untrennbar miteinander verbunden. Vor diesem Hintergrund muß ein Sieg ohne das Kreuz als geradezu unmöglich gelten, und tatsächlich konstatiert Fulcher im Hinblick auf die vorausgegangene Niederlage bei Ramla, daß das Heer des Königreiches schon dort über die Muslime hätte triumphieren können, daß populo suo Dominus propitiaretur, wenn in anteriore bello eadem crux alma cum rege deferretur.1422 Nicht der König und sein taktisches Geschick sind es laut Fulcher, die eine Schlacht gewinnen, sondern das Wahre Kreuz und die durch die Reliquie nicht nur symbolisierte, sondern bedingte Gunst Gottes. Der König hingegen gerät zum bloßen Vollstrecker göttlichen Willens. Sollte der weltliche Herrscher – so drückt Fulcher es in einer zwar vage auf undefinierte nonnulli Bezug nehmenden, aber eindeutig Balduin I. meinenden Ergänzung aus – nicht in erster Linie auf Gott vertrauen, sich nicht zum willigen Werkzeug des Allmächtigen machen lassen, sondern sich auf die eigene Stärke und Urteilskraft verlassen, dann drohe großes Unheil.1423 Mit einem Wort aus dem Buch der Sprüche wird Fulchers Interpretation der unterschiedlichen Rollen von König und Kreuz zugespitzt: qui cum stulte inchoat, rei exitum non considerat. equus paratur ad bellum, Dominus autem salutem tribuet.1424 Der Bericht der Historia zur Schlacht von Jaffa belegt nicht allein die Bedeutung der Kreuzesreliquie, sondern er verrät auch vieles über Fulchers Interpretation des Beziehungsdreiecks aus jerosolymitanischem Volk, seinem König und seinem Gott. Einmal mehr wird hier der gemeinschaftsbezogene Charakter des jerosolymitanischen Mythomoteurs deutlich, welcher sich vor allem auf die Gesamtheit der Gruppe bezieht, deren Einmütigkeit ebenso betont wird wie ihr Status als auserwähltes Volk Gottes, während einzelne Führungspersönlichkeiten und eben auch der König in den Hintergrund treten oder gar Kreuzes«‹, in: Hairesis. Festschrift für Karl Hoheisel zum 65. Geburtstag, hg. v. Manfred Hutter, Wassilios Klein u. a., Münster 2002, 107–139. 1422 FvC II.xxi.14. 1423 Vgl. FvC II.xxi.14ff. Zur Rolle des Gottvertrauens bei Fulcher von Chartres vgl. Giese, ›Untersuchungen‹, 75–83. 1424 FvC II.xxi.16. Vgl. Prv 21:31. Epp hingegen möchte in dieser Passage lediglich eine Kritik an der »Verantwortungslosigkeit des vorschnellen Handelns« des Königs erkennen, keine grundsätzlichen Aussagen zur Stellung des Königs in Jerusalem. Epp, Fulcher von Chartres, 307.

Das Königreich des Kreuzes

335

kritisiert werden. Zu beobachten ist diese auf die Gesamtgemeinschaft gerichtete Prägung in besonderer Weise immer wieder im Kontext des Wahren Kreuzes und in Situationen der Bedrohung des Reiches. Als im Jahr 1137 das Heer Zengis von Mosul König Fulk auf der zwischen Hama und Tortosa gelegenen Burg Montferrand belagerte, eilten ihm, wie Wilhelm von Tyrus berichtet, neben den Heeren aus Antiochia und Edessa auch Truppen aus Jerusalem zu Hilfe – salutifere lignum crucis sequentes, unanimiter maturato itinere accelerabant.1425 In Abwesenheit des Königs bleibt das Volk handlungsfähig und stellt in Einmütigkeit ein Heer zum Entsatz des belagerten Königs zusammen. Obgleich nachweislich Patriarch Wilhelm I. die jerosolymitanischen Truppen anführte,1426 tritt in der hier besprochenen Passage kein einzelner Anführer in Erscheinung. Dennoch erscheint das Heer nicht führerlos. Anstatt einem weltlichen Feldherren folgt es dem Zeichen des ewigen Königs, der Vergegenwärtigung seiner Passion und seines Triumphes in Gestalt der Reliquie des Wahren Kreuzes. Dieses Motiv ist charakteristisch für das Königreich Jerusalem und findet sich etwa auch bei Fulcher von Chartres. Dieser beschreibt in seinem dritten Buch eine der zuvor analysierten Passage ähnliche Situation aus dem Jahr 1123. Balduin II. war auf einem Feldzug im Norden Edessas in türkische Gefangenschaft geraten und wurde in Harput festgehalten. Sein Mitgefangener Graf Joscelin I. von Edessa konnte entkommen und zog nach Jerusalem, um Unterstützung zur Befreiung des Königs herbeizuholen: post triduum autem exiit [Ioscelinus] de Hierusalem, dominicam sequens crucem, quae usque Tripolim iam delata erat. iturus enim erat cum ea Hierosolymitanus exercitus usque Cartapeta.1427

Zwar taucht hier mit Joscelin I. immerhin ein weltlicher Anführer auf, doch auch er ist dem Kreuz untergeordnet und folgt der Reliquie ebenso wie das jerosolymitanische Heer. Als Hinweis darauf, daß es sich bei dieser Sicht der Ereignisse um eine jerosolymitanische Besonderheit handelt, kann auch die wohl in den 1150er oder 1160er Jahren in Europa entstandene Bearbeitung von Fulchers Historia durch Lisiard von Tours gelten, die zum gleichen Sachverhalt vermeldet: Contrahitur undecunque Christianorum exercitus, et Tripolim undique convenitur, ut inde Cartapetam, quo rex cum suis tenebatur clausus, coactis omnibus copiis contendatur, Cruce dominica a patriarcha et clero Tripolim jam delata.1428

1425 1426 1427 1428

WvT XIV.xxix.4f. Vgl. WvT XIV.xxvi.48–52. FvC III.xxiv.15. LvT XXXVIII. Zu Lisiard von Tours vgl. Hagenmeyer, ›Einleitung FvC‹, 84.

336

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

Das Kreuz wird erwähnt, erscheint jedoch rein passiv und ist auf den Patriarchen angewiesen, der es trägt, wohingegen die Reliquie in den jerosolymitanischen Texten geradezu anthropomorphisiert erscheint und eine aktive Funktion als Führer des Heeres erfüllt. Ein weiteres Beispiel liefert der Bericht Wilhelms von Tyrus zur Feier der Kapitulation Askalons an die Jerosolymitaner am 19. August 1153. Askalon hatte sich nach dem ersten Kreuzzug mehr als ein halbes Jahrhundert lang als letzte von Muslimen gehaltene Küstenstadt im Bereich der Kreuzfahrerstaaten gegen die Lateiner behaupten können und wurde durch die Fatimiden von Ägypten aus versorgt. Die Eingliederung der Stadt in das Königreich Jerusalem im Sommer 1153 stellte damit einen besonderen Triumph für die Jerosolymitaner dar, die nach dem Scheitern des zweiten Kreuzzuges nun noch einmal einen großen Erfolg feiern konnten.1429 In gewisser Weise kann die Kapitulation Askalons und die durch diesen Sieg bewirkte vollständige Kontrolle der syrischen Küste als eine späte Vollendung des Eroberungswerkes des ersten Kreuzzuges und der ethnogenetischen Phase des Königreiches Jerusalem angesehen werden. Bei der Feier dieses Ereignisses spielte laut Wilhelm das Wahre Kreuz eine besondere Rolle und die Beschreibung dieses Ereignisses enthält zentrale Elemente des jerosolymitanischen Mythomoteurs: Dominus autem rex, dominus quoque patriarcha cum ceteris regni principibus et ecclesiarum prelatis una cum universo clero et populo, previo ligno dominice crucis cum hymnis et canticis spiritualibus urbem ingressi, in precipuo eorum et eximii decoris oratorio, quod postmodum in honore apostoli Pauli consecratum est, crucem dominicam intulerunt. Ubi celebratis sollempniter divinis, post gratiarum actiones in hospicia sibi deputata se recipientes letum et seculis memorabilem egerunt diem.1430

Wilhelm hebt – einmal mehr die Gemeinschaft der gesamten Gruppe der Jerosolymitaner betonend – hervor, daß neben König und Patriarch, Adeligen und Prälaten eben auch die Masse von einfachem Klerus und dem Volk an dieser als Triumphzug inszenierten Besitznahme Askalons partizipiert hätten. Die Spitze dieses jerosolymitanischen Triumphzuges jedoch bildet das Wahre Kreuz, welches die Gesamtgruppe und ihren Status als auserwähltes Volk Gottes versinnbildlicht. Ebenso steht die Reliquie auch im Zentrum der Umwidmung der größten Moschee Askalons in eine dem Apostel Paulus geweihte Kirche. Die Weihe der Kirche und die anschließende Meßfeier bilden den Höhepunkt der Triumphzeremonie. Erst diese sakralen Handlungen vollenden die Inbesitznahme der Stadt und lassen sie durch einen Weiheakt zu einem Teil des Reiches werden. All dies vollzieht sich nicht einfach unter dem Zeichen des Wahren Kreuzes, sondern vielmehr unter dessen Führung. Die Reliquie tritt abermals an 1429 Vgl. Mayer, Kreuzzüge, 141. 1430 WvT XVII.xxx.37–45.

Das Königreich des Kreuzes

337

die Stelle des Königs und wird wie ein menschlicher Herrscher im Triumph in die Stadt getragen. Es entsteht der Eindruck, daß die durch das Heiltum bezeichnete und vergegenwärtigte Führung der ethnischen Gruppe durch Christus selbst einen menschlichen Herrscher beinahe überflüssig macht. Eine solche sehr direkte Interpretation der Idee des principatus Christi und deren Anbindung an das Kreuz war mitnichten ein erst in Outremer entwickeltes Konzept. So fand sich etwa auf einem ehemals in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern ausgestellten und heute verlorenen Kreuz aus Kupfer, welches Papst Stefan II. (752–757) der Kirche gestiftet hatte, die Inschrift Christus j Imperat in saecula. Regnat in aeternum. Dei filius vincit. Iubar regni Romanorum. Diese Worte waren mit einer weiteren Inschrift auf der Rückseite des Kreuzes gepaart: Crux j Romanorum fortitudo, Romanorum salus, Romanorum arma, Romanorum victoria.1431 Dieses Beispiel eines Kreuzes aus dem 8. Jahrhundert stellt einerseits den ersten Beleg für die aus den Laudes regiae bekannte Formel Christus vincit, Christus regnat, Christus imperat dar.1432 Vor allem aber erscheint hier das Kreuz nicht primär als Zeichen des Leidens Christi, sondern es ist vielmehr gleichsam Ausdruck wie Bedingung der Stärke, des Heils und des Sieges der Gruppe der Römer und es wird sogar als deren Waffe bezeichnet. Verbunden wird dieses Kreuzeskonzept mit dem Gedanken der Herrschaft Christi, die hier ebenfalls nicht allein religiös verstanden zu werden scheint, sondern die in sehr konkreter Weise auf die Gruppe der Römer und ihr regnum bezogen wird. Damit bietet dieses Kreuz aus dem Rom des 8. Jahrhunderts erstaunliche Parallelen zu den politisch-religiösen Vorstellungen, welche die Historiographie des Königreiches Jerusalems im 12. Jahrhundert prägten. Das Beispiel des Kreuzes aus Sankt Paul vor den Mauern schlägt zudem eine Brücke von dieser frühen Nennung der Christus-vincit-Trias noch vor den ersten überlieferten Laudes regiae zu der Reaktivierung einer direkt auf das weltliche Jerusalem bezogenen Idee von der Herrschaft Christi, wie sie laut Kantorowicz im Rahmen des ersten Kreuzzuges zu beobachten ist.1433 Tatsächlich taucht die Trias in den lateinisch-orientalischen Berichten zum Kreuzzug und der ethno-

1431 Vgl. Muratori, Ludovico Antonio (Hg.), Novus Thesaurus Veterum Inscriptionum in Praecipuis earumdem Collectionibus hactenus Praetermissarum, Bd. 4, Mailand 1742, mcmxliv ; Mai, Angelo (Hg.), Scriptorum Veterum Nova Collectio e Vaticanis Codicibus Edita, Bd. 5, Rom 1831, 3. Das Kreuz scheint noch im späten 16. Jahrhundert in der Kirche vorhanden gewesen zu sein, wie hervorgeht aus Serranus, Marcus Attilius, De Septem Vrbis Ecclesiis: Vna cum earum Reliquiis, Stationibus, et Indulgentiis, Rom 1575, 38. 1432 Vgl. Kantorowicz, Laudes, 22. Kantorowicz spricht irrtümlich von einer Schenkung des Kreuzes an die »basilica of Ostia«, was auf eine Fehldeutung der für die Basilika Sankt Paul vor den Mauern wegen ihrer Lage an der Via Ostiense gebräuchlichen Bezeichnung als basilica Ostiense zurückzuführen sein dürfte. 1433 Vgl. ibid., 11.

338

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

genetischen Phase explizit in Form von Schlachtrufen auf,1434 wobei der Jerosolymitaner Fulcher von Chartres diese Devise bezeichnenderweise bei seinem Bericht zur dritten Schlacht von Ramla im Jahre 1105 einbindet, in welcher das Heer des lateinischen Königreiches gloriosam crucem dominicam1435 mitführte. Gesondert hervorgehoben wird zudem, daß man die Reliquie in talibus negotiis deferri solebat,1436 womit die Ritualisierung dieser paraliturgischen Praxis verdeutlicht wird. Die beiden zentralen Elemente dieser Episode – die Präsenz des Wahren Kreuzes sowie das Trikolon aus den Laudes regiae – übernimmt hier auch Bartolf von Nangis, welcher die Worte Fulchers ansonsten recht frei neu arrangiert. Bartolf fügt sogar direkt nach dem Verklingen des finalen Christus imperat-Rufes noch einen weiteren, bei Fulcher nicht anzutreffenden Verweis auf das Lignum dominicum1437 sowie die Zusatzinformation ein, daß der Patriarch das Kreuz vom Schlachtruf begleitet dem Heer voran in den Kampf getragen habe.1438 Herrschaft Christi und Kreuz waren, wie das römische Kupferkreuz zeigt, zwei Seiten einer Medaille, die untrennbar miteinander verbunden waren. Die im Kreuz von Sankt Paul manifestierte Verbindung aus dem Motiv des herrschenden Christus mit dem Symbol des Kreuzes ließ sich nicht nur vom Stifter Stefan II. als vicarius Christi zur Legitimation der eigenen weltlichen Herrschaft gebrauchen, denn auch weltlichen Herrschern wurde schon seit dem 4. Jahrhundert die Funktion eines vicarius Dei zugewiesen, auch sie galten als Stellvertreter Gottes in ihrem Herrschaftsbereich.1439 Die jerosolymitanischen Quellen zeigen jedoch, daß eine starke Stellung des Kreuzes und damit eine Betonung der in die Welt der Gegenwart wirkenden Herrschaft Christi, welche über die übliche Herleitung königlicher Macht gratia Dei hinausging, den König auch ins Abseits drängen, daß das lignum Domini so gar zum Medium von Herrscherkritik werden konnte. In einer jüngeren Arbeit zu mittelalterlichen Herrscherakklamationen hat Nancy van Deusen die Laudes regiae in den Kontext des zwei-Körper-Modells Kantorowicz’ und der Vorstellung von der Überzeitlichkeit des Königtums gestellt.1440 Dieser Gedanke sei ein Resultat der Verbindung des weltlichen Königtums mit dem Königtum Christi, da Christus trotz des Todes seines Körpers auferstanden sei und durch die Zeiten herrsche. Das Konzept des aus Christi Herrschaft gespeisten überzeitlichen Königtums beruhe ebenso auf der mittel1434 1435 1436 1437 1438 1439 1440

Vgl. BvN LXX; FvC II.xxxii.5; RvC XL. Vgl. auch FvC I.iii.5 u. BvN I. FvC II.xxxii.2. FvC II.xxxii.2. BvN LXX. Albert von Aachen erwähnt das Kreuz lediglich einmal, das Trikolon hingegen fehlt. Vgl. Anton, Fürstenspiegel, 373–377. Vgl. Deusen, ›Laudes‹.

Das Königreich des Kreuzes

339

alterlichen Interpretation der Herrscheranrufungen in den Psalmen seit Cassiodor und es finde seine Reflexion in den Laudes regiae.1441 Ohne die Anwendbarkeit des auf spätmittelalterlichen Quellen beruhenden Modells Kantorowicz’ auf das Hochmittelalter hier diskutieren zu wollen,1442 läßt sich der Gedanke van Deusens auf das Königreich Jerusalem im 12. Jahrhundert übertragen, bedarf im Hinblick auf die lateinische Levante allerdings einer Modifikation. Mit den Laudes regiae wurde üblicherweise das überzeitliche Königtum Christi dazu instrumentalisiert, zumindest den Widerschein des Lichtes zeitloser göttlicher Herrschaft auf weltliche Könige fallen zu lassen, deren Macht somit zu legitimieren, ihnen aber gleichzeitig den Spiegel vorzuhalten und ein positives Beispiel von »good governance«1443 zu bieten. Die jerosolymitanische Kreuzesverehrung und insbesondere deren bei Fulcher und Bartolf anzutreffende Verbindung mit dem Laudes-regiae-Trikolon hingegen lassen das weltliche Königtum ins Abseits rücken und akzentuieren Christus als den Garanten überzeitlicher Herrschaft, die freilich gleichsam gegenwärtig und irdisch gedacht und in dieser Form exklusiv für das lateinische Königreich reklamiert wird. Hinweise darauf, daß das Wahre Kreuz in den jerosolymitanischen Texten eine Rolle ausfüllt, die eigentlich dem König zukommt, finden sich auch in den Beschreibungen der paraliturgischen Rituale, mit denen die Reliquie in Jerusalem nach einem Einsatz in der Schlacht willkommen geheißen und gefeiert wurde.

g.

Der jerosolymitanische Kreuzes-Adventus

Im Sommer des Jahres 1119 weilte Balduin II. zusammen mit dem Heer des Königreiches in Nordsyrien, um dort gegen die Bedrohung Antiochias durch Ilgazi und Tugtakin vorzugehen. An dem Feldzug des Königs nahm auch Patriarch Warmund von Jerusalem teil, der die Reliquie des Wahren Kreuzes mit sich führte. Das Heer sei daher laut Wilhelm von Tyrus in presentia victoriosissime crucis et in confessione vere fidei spes amplior et indeficiens1444 gewesen. Im Anschluß an die Niederlage der Antiochener auf dem Ager sanguinis am 28. Juni 1119 war der König von Jerusalem für längere Zeit im Norden gebunden, 1441 Insbesondere zu verweisen sei auf Ps 117 (bei Deusen nach hebräischer Numerierung der Psalmen Nr. 118). Vgl. Deusen, ›Laudes regiae‹, 114ff. 1442 Vgl. hierzu jüngst Bölling, Jörg, ›Die zwei Körper des Apostelfürsten. Der heilige Petrus im Rom des Reformpapsttums‹, in: Römische Quartalschrift für Christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte (106; 2011), 155–192. 1443 Deusen, ›Laudes‹, 116. 1444 WvT XII.xii.29ff.

340

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

da er nach dem Tod Fürst Rogers auf dem Schlachtfeld das geschwächte Fürstentum regieren und die Seldschuken an der Eroberung der Hauptstadt hindern mußte.1445 Da es schon zuvor Widerstand gegen eine Mitnahme der Reliquie auf Feldzüge außerhalb der Grenzen des Königreiches gegeben hatte,1446 war sich Balduin II. nun bewußt, daß er das Kreuz nicht während eines längeren Aufenthaltes in Nordsyrien bei sich behalten konnte. Folglich beschloß er Ende August 1119, das Kreuz geschützt durch eine Abteilung Ritter auf den Rückweg nach Jerusalem zu schicken – ut decebat,1447 wie Fulcher von Chartres beinahe trotzig feststellt und damit die exklusive Vereinnahmung der Reliquie durch das lateinische Königreich hervorhebt. Wie der Eintritt des Kreuzes in den Kriegszustand ist auch die Rückkehr der Reliquie stets ein bedeutender Moment. Sie markiert die Vereinigung als drittes Stadium eines Übergangsrituals, wobei es sich im Falle der Kreuzesreliquie um eine Wiedervereinigung handelt. Die virtus der Reliquie wurde durch die überstandene Phase der Mobilität und vor allem durch einen unter ihrer Führung errungenen Sieg gestärkt.1448 Das Wahre Kreuz erreichte am 14. September Jerusalem, wo man es feierlich in Empfang nahm. Damit fand der Einzug der Reliquie in besonders passender Weise am Festtag der Kreuzerhöhung statt, an dem der Auffindung der Reliquie durch Konstantins Mutter Helena gedacht wird. Die Rückkehr des Kreuzes an seinem eigenen Festtag wird durch Fulcher so hoch bewertet, daß er das Ereignis in einer weiteren Anknüpfung an die spätantike Tradition der Reliquie mit dem triumphalen Einzug des Kaisers Herakleios nach Jerusalem im Jahre 629 vergleicht, der nach seinem Sieg gegen die Perser das 614 geraubte Heiltum hatte zurückerobern können. Dieser Vergleich ist insofern erstaunlich, als das Kreuz 1119 – anders als im 7. Jahrhundert – nicht verlorengegangen war, sondern sich ununterbrochen in Begleitung des königlichen Heeres und des Patriarchen befunden hatte. Die bloße Tatsache, daß die Reliquie sich außerhalb der Grenzen des Reiches befunden hatte, kam jedoch für Fulcher offenbar einem Verlust gleich. Obgleich das Kreuz 1119 zum Zwecke der Verteidigung der Antiochener in der schwersten Krise des jungen Fürstentums eingesetzt worden war, dominiert hier der als ethnizistisch und gleichsam partikularistisch zu wertende Wunsch, die Reliquie exklusiv für die eigene Gruppe zu reklamieren.1449 Fulcher berichtet anschließend über die Prozession des Kreuzes durch die 1445 1446 1447 1448 1449

Vgl. Asbridge, Creation, 81ff. Vgl. Murray, ›Enemies‹, 222f. FvC III.vi.1. Vgl. Röckelein, Reliquientranslationen, 326. Albert von Aachen berichtet detailliert über den Feldzug Balduins II. in Nordsyrien, erwähnt das Wahre Kreuz in diesem Zusammenhang jedoch nicht. Vgl. AvA XII.xxxii. Siehe auch Epp, Fulcher von Chartres, 164.

Das Königreich des Kreuzes

341

Heilige Stadt: cum ea [cruce] urbem sanctam laetantes introierunt. et cum gaudio ineffabili cuncti qui inerant susceperunt.1450 Ganz ähnlich beschreibt Wilhelm von Tyrus das Ereignis: Rex vero […] lignum vivifice crucis remisit Ierosolimam, ita ut […] a clero et populo cum hymnis et canticis spiritualibus honorifice sit recepta.1451 Der feierliche Empfang des Kreuzes in Jerusalem erinnert an das Adventus-Ritual, welches – aufbauend auf dem heidnischen römischen Kaiserkult und gleichzeitig auf dem Einzug Jesu in Jerusalem – im Mittelalter üblicherweise Herrschern, Bischöfen und Päpsten beim Einzug in eine Stadt oder bei der Ankunft in einem Kloster bereitet wurde. Vor allem die dem Neuen Testament entstammenden Worte cum hymnis et canticis1452 finden sich – mit leichten Variationen – immer wieder in Berichten zu Adventus-Zeremonien.1453 In den hier besprochenen Passagen aus den jerosolymitanischen Texten ist es jedoch kein weltlicher Herrscher der mit einem solchen Adventus geehrt wird, sondern die Reliquie des Wahren Kreuzes. Die Formulierung cum hymnis et canticis erscheint auch bei dem schon zuvor analysierten Bericht Wilhelms zur feierlichen Inbesitznahme Askalons im August 1153. Bei dieser Gelegenheit ist zwar der König zugegen, an der Spitze des Zuges und damit im Fokus der musikalisch-liturgischen Verehrung steht aber auch in diesem Fall das Wahre Kreuz.1454 Das Heiltum wird – analog zu den zuvor besprochenen Passagen über die Beschreibungen des Wirkens der Reliquie während einer Kampagne – wie ein siegreich heimkehrender Herrscher von Volk und Geistlichen willkommen geheißen und gefeiert. Es steht dabei erneut symbolisch für die in der Welt wirkende Herrschaft Christi im lateinischen Königreich. Daß ein Adventus, wie Fulcher und Wilhelm ihn beschreiben, im lateinischen Orient nicht notwendigerweise einer Reliquie bereitet wurde, läßt sich insbesondere an der Passage aus dem Chronicon zum Adventus des Jahres 11191455 und an einem Vergleich des Textes mit seinen Quellen nachvollziehen. Wilhelm gründet seinen Bericht über die Ereignisse in Nordsyrien im Sommer 1119 auf Fulchers Historia und auf die Bella Antiochena Walters des Kanzlers.1456 In einem der letzten Kapitel seiner Abhandlung zu den antiochenischen Kriegen behandelt Walter die erfolgreiche Kampagne Balduins II. gegen die Seldschuken, wobei auch der antiochenische Kanzler dem Wahren Kreuz einen wichtigen Anteil an den Siegen des Königs zuschreibt. Wilhelms zuvor besprochener Bericht zum 1450 1451 1452 1453 1454 1455 1456

FvC III.vi.1. WvT XII.xii.69–73. Basierend auf Eph 5:19 u. Col 3:16. Vgl. Bölling, ›Musicae Utilitas‹, 251f. Vgl. WvT XVII.30.37–45. Vgl. WvT XII.xii.69–73. Vgl. Edbury u. Rowe, William of Tyre, 46; Schwinges, Kreuzzugsideologie, 39f; Sybel, Geschichte, 110ff; Huygens, ›Introduction WvT‹, 47f.

342

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

Adventus der Reliquie in Jerusalem basiert zwar auf Fulcher von Chartres,1457 doch die Formulierungen, die er hier verwendet, sind direkt den Bella Antiochena entnommen. Walter jedoch erwähnt an keiner Stelle den Empfang der Reliquie in Jerusalem. Vielmehr ist es im Original der Bella Antiochena Balduin II., dem wegen seines beherzten Eingreifens zugunsten des bedrängten Fürstentums ein Adventus bereitet wird und der ab omni populo et clero cum hymnis et canticis spiritualibus uictoriose suscipitur1458 – in Antiochia, nicht in Jerusalem. Der für das Wahre Kreuz gefeierte Adventus ist vor allem in der Historia Fulchers von Chartres immer wieder anzutreffen, wobei in allen Fällen die Reliquie ohne den König nach Jerusalem heimkehrt. Nachdem etwa Balduin II. das Kreuz im Sommer 1120 wieder bei Kämpfen in Nordsyrien mitgeführt hatte, kehrte es im Herbst nach Jerusalem zurück, wo XIII igitur Kalendarum Novembrium suscepimus ipsam gloriosam Domini crucem […] cum gaudio magno.1459 Zwei Jahre später hatte der König wieder einem antiochenischen Hilferuf Folge geleistet und war mit dem Kreuz in den Kampf gezogen, um das Heiltum abermals nach Abschluß der Kampagne nach Jerusalem zurückzusenden und selbst im Norden zu verbleiben. Wieder berichtet Fulcher nach dem nun etablierten Muster über den Adventus, wobei die üblichen Formulierungen noch um den interessanten und die Ritualisierung und Formalisierung dieses Aktes ausdrückenden Zusatz ergänzt werden, daß die Reliquie wieder gewohnheitsmäßig in loco suo gebracht worden sei.1460 Weitere Details zum Ablauf des jerosolymitanischen Kreuzes-Adventus liefert Fulcher beim Bericht zum Ausgang einer Kampagne, die im Jahr 1123 trotz der Gefangenschaft Balduins II. erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Nach dem Sieg über die Ägypter kehrte das Heer nach Jerusalem zurück, wo dem Wahren Kreuz am Davidstor wie üblich ein triumphaler Adventus bereitet worden sei – [crux] cum glorifica processione suscepta et usque in basilicam domini Sepulcri honorifice deducta.1461 Hier wird zudem erstmals erwähnt, daß man das Kreuz extra portam Daviticam cum glorifica processione empfangen und dann – das Te Deum singend – usque in basilicam domini Sepulcri begleitet habe.1462 Weiterhin taucht der Adventus in Fulchers Historia auf, als die Reliquie nach der Einnahme von Tyrus durch die Lateiner im Jahre 1124 nach Jerusalem zurückkehrt, wo crucem Domini sacrosanctam digna cum veneratione suscepit et clerus et populus.1463 1457 1458 1459 1460 1461 1462 1463

Vgl. FvC III.vi. WdK II.xii.11. FvC III.ix.7 FvC III.xi.7. FvC III.xix.1. FvC III.xix.1. FvC III.xxxvi.2.

Das Wahre Kreuz im Fürstentum Antiochia

343

Wie in den bereits zuvor besprochenen Passagen zur Rolle des Kreuzes während der Kriegszüge die Reliquie die Position des Feldherren einnimmt, ist es auch im Falle dieser Adventus-Rituale nach einer überstandenen Kampagne das Heiltum, das an die Stelle des Königs tritt. Der Austausch des Königs durch das Kreuz und die Verlagerung des Adventus von Antiochia nach Jerusalem, die sich anhand der Adaption des Textes der Bella Antiochena durch Wilhelm von Tyrus beobachten lassen, offenbaren den partikularistisch jerosolymitanischen Charakter einer solchen weitgehenden Verehrung der Reliquie. Eine ausführlichere und systematische Kontrastierung des Umgangs mit Kreuzesreliquien zwischen der antiochenischen und jerosolymitanischen Überlieferung kann diesen Befund zusätzlich unterstützen.

5.

Das Wahre Kreuz im Fürstentum Antiochia

Bedingt durch die große Aufmerksamkeit, welche die jerosolymitanische Überlieferung aber auch andere Quellen dem Wahren Kreuz von Jerusalem widmen, kann leicht in Vergessenheit geraten, daß es auch im Fürstentum Antiochia eine Kreuzesreliquie gab. Allerdings ist die Überlieferung zu dieser antiochenischen Reliquie nicht sehr umfangreich und besteht in erster Linie aus einigen Passagen der Bella Antiochena Walters des Kanzlers.1464 Insbesondere der Ursprung dieser Reliquie läßt sich nicht klar rekonstruieren. Nach dem Tode des Kaisers Herakleios seien einer Tradition zufolge, die durch den Grabeskirchenkantor Anselm zusammengefaßt wird, im Zuge einer Reliquienteilung in Jerusalem auch drei Partikeln aus der Heiligen Stadt in die Metropole am Orontes gelangt.1465 Wenn man diese Tradition ernstnimmt,1466 könnte man vermuten, daß es sich bei der antiochenischen Kreuzesreliquie um eines dieser Partikeln handelte, doch Belege liegen nicht vor. So gibt es etwa im Gegensatz zur jerosolymitanischen Überlieferung in den antiochenischen Quellen keinerlei Berichte oder auch nur Anspielungen dazu, wie die Kreuzesreliquie von Antiochia in den Besitz der Lateiner gelangte, ob sie sich also etwa bei der Eroberung 1098 bereits in der Petersbasilika befand, oder ob sie gegebenenfalls wie in Jerusalem zu einem Zeitpunkt nach der Eroberung in einem Versteck gefunden wurde. Thomas Asbridge, der sich im Rahmen seiner Forschung zum Fürstentum Antiochia zumindest beiläufig mit der antiochenischen Reliquie befaßt hat, verweist auf einen anderen möglichen Ursprung. So sei es möglich, daß es sich 1464 Gerish behandelt in ihrem Beitrag zum Wahren Kreuz zwar auch Walter den Kanzler, berücksichtigt aber lediglich dessen Aussagen zur Reliquie aus Jerusalem. Vgl. Gerish, ›Cross‹, 115. 1465 Vgl. Anselm der Kantor, ›Epistola ad ecclesiam parisiensem‹, in: PL 162:729–732. 1466 Dafür spricht sich Frolow aus. Vgl. Frolow, Relique, 310f.

344

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

um ein Partikel handelt, welches nicht schon im 7. Jahrhundert, sondern erst im Jahr 1101 von der Reliquie in Jerusalem abgeteilt wurde. Eine solche Reliquienteilung habe nämlich laut Albert von Aachen Balduin I. Patriarch Daimbert vorgeworfen.1467 Auch diese Erklärung muß jedoch eine bloße Hypothese bleiben, da Albert an keiner Stelle erwähnt, welchen Weg die aus der angeblichen Reliquienteilung hervorgegangenen Partikeln im Jahre 1101 und anschließend eingeschlagen hätten. So ist die erste Erwähnung der antiochenischen Kreuzesreliquie vergleichsweise spät in einem Kapitel der Bella Antiochena zu den Vorbereitungen der ersten Schlacht von Tell Danith im September 1115 zu verzeichnen. Bei dem beschriebenen Ereignis handelt es sich um eine Messe, in der um Erfolg in der Schlacht gegen die Türken unter Bursuq von Hamadan gebetet wird. Diese Messe wird am Kreuzerhöhungsfest gefeiert und die antiochenische Reliquie des Wahren Kreuzes spielt eine prominente Rolle in der Liturgie und ebenso in der folgenden Schlacht, wie Walter der Kanzler sie beschreibt. Von den Kämpfen des Jahres 1115 berichten allerdings noch einige andere Autoren, die antiochenische Kreuzesreliquie wird hingegen allein in den Bella Antiochena erwähnt.1468 Selbst Albert von Aachen, der die Ereignisse in Nordsyrien recht ausführlich wiedergibt, datiert zwar die Schlacht korrekt in die exaltationis sancte crucis, geht jedoch trotz der sich dadurch im Grunde aufdrängenden Verbindung zur antiochenischen Reliquie mit keinem Wort auf diese ein.1469 Der Bericht Walters des Kanzlers hingegen erinnert oberflächlich an den Umgang der jerosolymitanischen Texte mit der Reliquie des lateinischen Königreiches. So ist zu lesen: Mane autem expleto uiuificae crucis missarum officio, cuius exaltationis festiuitas eo die contigit omnes cum summa deuotione eiusdem dominicae crucis lignum sacratissimum, antequam iter adripiant, properant adorare.1470

Anschließend, so berichtet Walter weiter, habe Bischof Wilhelm von Dschabla in spiritu humilitatis crucem dominici ligni uenerabilibus gestans manibus, totum circuit exercitum; quam dum ostentat omnibus, adserit eos in proximo per uirtutem eiusdem uictoriam adepturos.1471 Schließlich hätten die einzelnen Angehörigen des Heeres dem Kreuz die Ehre erwiesen, bevor sie in den Kampf zogen: ter flexis genibus coram ligno dominico procumbunt, et, ipso reueren1467 Vgl. WdKÜ 98, Anm. 132. Basiert auf AvA VII.48: Qui minime de omnibus sibi illatis calumniis ualens hoc tempore excusari, et precipue de sacrilegio ligni sancte crucis, quam partim minuit ac dispersit, suspensus est a diuino officio. 1468 Vgl. FvC II.liv ; LvT XXIX; WvT XI.xxiii. 1469 Vgl. AvA XII.xix–xx, Zitat xx. 1470 WdK I.v.3. 1471 WdK I.v.5.

Das Wahre Kreuz im Fürstentum Antiochia

345

tissime osculato, eidem se commendant. hac consolatione muniti, hoc signo signati iterum atque iterum ipsam crucem salutantes, celeriter equos adscendunt.1472 Ähnlich wie in Jerusalem scheint in Antiochia die Schlacht gegen die Feinde der Gruppe zu einem paraliturgischen Akt erhoben zu werden, der durch die Anbetung der Reliquie des Kreuzes vor dem Gefecht eingeleitet wird. Ganz ähnliche Motive finden sich im Bericht zu der Schlacht auf dem Ager sanguinis. Auch bei dieser Gelegenheit habe sich das Heer vor dem Gefecht coram signo crucis Domini1473 versammelt: ante capellam ubi crux erat, domino praesentati conueniunt. praesul itaque, crucem Domini uenerabilibus gestans manibus, inquit: quid ultra? armis fidei praemuniti, hoc signo salutiferae crucis praecedente, nec ueriti perfidorum sententiam permutaret, prodeamus in medium.1474

Eine weitere Parallele zu der jerosolymitanischen Überlieferung besteht in der Interpretation eines Sieges. So schreibt auch Walter in den Bella Antiochena im Falle der Schlacht von Tell Danith im September 1115 den Triumph der virtus des Heiligen Kreuzes zu. Aus diesem Zwischenbefund könnte der Schluß gezogen werden, daß die Kreuzesreliquie im Fürstentum Antiochia eine Position innehatte, welche der des lignum Domini im lateinischen Königreich sehr ähnlich war, daß also auch für die Antiochener das Wahre Kreuz – ihr Wahres Kreuz – ein wichtiges Element ihres Mythomoteurs war. Zudem ließe sich argumentieren, daß die Ähnlichkeit der Kreuzesverehrung in beiden Kreuzfahrerstaaten gegen eine partikularistische Interpretation der ethnischen Situation im lateinischen Orient in den ersten Jahrzehnten nach dem ersten Kreuzzug spricht, daß also die Kreuzesfrömmigkeit Teil eines panlateinischen Mythomoteurs oder schlicht gesamtchristliches Gemeingut war. Tatsächlich jedoch lassen sich wichtige Unterschiede zwischen der antiochenischen Überlieferung auf der einen und den jerosolymitanischen Texten auf der anderen Seite ausmachen. Zunächst ist darauf zu verweisen, daß die antiochenische Kreuzesreliquie allein in den Bella Antiochena in Erscheinung tritt, wohingegen sie von keiner der anderen Quellen aus dem antiochenischen Kontext auch nur erwähnt wird. Es darf als unwahrscheinlich angesehen werden, daß insbesondere Radulf von Caen das Heiltum in seine Gesta Tancredi nicht erwähnt hätte, wenn es sich bei der Reliquie um ein Symbol gehandelt hätte, das für die Gruppe der Lateiner in Antiochia und für ihr Selbstverständnis von zentraler Bedeutung war. Zudem erfüllt selbst in den Bella Antiochena – trotz aller Ähnlichkeiten – das 1472 WdK I.v.6. 1473 WdK II.iv.3. 1474 WdK II.iv.4.

346

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

Wahre Kreuz eine andere Funktion als in den Texten aus dem Königreich Jerusalem. So fehlt insbesondere jedweder Hinweis darauf, daß man auch in Antiochia das Kreuz mit Attributen eines Herrschers versah, daß die Reliquie an die Stelle des Königs trat. Trotz der unbestreitbar großen Ehrfurcht, die Walter dem Heiltum entgegenbringt und die zweifelsohne auch seine Landsleute ihm zuteilwerden ließen, agiert in den Bella Antiochena das Kreuz nicht als Anführer und wird schon gar nicht zu einem Vehikel für Herrscherkritik. Vielmehr erfüllt es allein die Rolle eines Kriegspalladiums. Die Analyse der Stellung des Wahren Kreuzes in der jerosolymitanischen Überlieferung hat gezeigt, daß die Reliquie dort im Zentrum eines stark gemeinschaftsbezogenen Mythomoteurs stand. In diesem Zusammenhang bietet sich das Kreuz als ein ethnisches Symbol an, da es als Vergegenwärtigung des Königtums Christi den Status der Jerosolymitaner als auserwähltes Volk versinnbildlicht und dabei immer im Bezug zur gesamten Gruppe steht, ohne exklusiv vom König vereinnahmt zu werden. Im Fürstentum Antiochia hingegen ist ein sehr viel stärker an die herrschende Dynastie der gebundener Mythomoteur zu beobachten. In einem solchen Kontext kann zwar die Reliquie des Wahren Kreuzes ihre Funktion als Kriegspalladium durchaus erfüllen, darf aber nicht in eine Konkurrenz zum Herrscher treten, sondern muß diesen legitimieren. Dies läßt sich mustergültig an der Sterbeszene des antiochenischen Fürsten Roger auf dem Ager sanguinis illustrieren: Princeps tamen constanti animo in certamine perseuerans […] ense militis percussus […] in nomine Domini morti tributum persoluendo debitum, coram signo sanctae crucis corpus terrae et animam caelo reddidit.1475

Hier dient das Kreuz als bloße Staffage für die Beschreibung des heroischen Todes des Fürsten; es ist passiv und erfüllt eine rein religiöse Funktion. Danach folgt noch ein kurzer Satz über den Tod des Priesters, der das Reliquiar in der Schlacht getragen hatte, bevor die antiochenische Reliquie aus den Bella Antiochena und damit aus der Geschichte verschwindet. Es darf davon ausgegangen werden, daß das Kreuz – in einer erstaunlichen Parallele zur Niederlage des lateinischen Königreiches bei Hattin achtundsechzig Jahre später – im Zuge der Schlacht verlorenging, doch ein Verweis auf diesen Verlust oder gar eine Klage darüber finden sich bei Walter dem Kanzler nicht. Auch nach dem Tod des Fürsten übernimmt die Reliquie nicht dessen Rolle, wird nicht mit herrscherlichen Attributen ausgestattet, sie verschwindet schlicht. Erstaunlicherweise jedoch wird in den Bella Antiochena in der Folge die antiochenische Reliquie bald durch die jerosolymitanische ersetzt. Denn mit Balduin II. kam im Sommer 1119 auch das Wahre Kreuz von Jerusalem nach 1475 WdK II.v.7–8.

Das Wahre Kreuz im Fürstentum Antiochia

347

Antiochia, und das – obschon nur für einen begrenzten Zeitraum – importierte Heiltum erfüllt in den Bella Antiochena die Funktion, die vor dem Ager sanguinis dem antiochenischen Kreuz zukam. Allerdings sind nun plötzlich Spuren einer verstärkten Kreuzesfrömmigkeit zu erkennen. Ein anschauliches Beispiel für diese Entwicklung findet sich in einem Kapitel der Bella Antiochena, in dem die Ordnung des nach der Schlacht auf dem Blutfeld seines weltlichen Herrschers beraubten Fürstentums durch Balduin II. sowie die Kriegsvorbereitungen gegen Ilgazi im Vorfeld der zweiten Schlacht von Tell Danith Mitte August 1119 behandelt werden. In einer liturgischen Feier in der Peterskathedrale ist die Reliquie aus Jerusalem zugegen, und der Patriarch von Antiochia wendet sich in einer Predigt an das Volk.1476 In der Beschreibung der Feierlichkeiten sind einige Motive auszumachen, die sich in ganz ähnlicher Weise auch in der jerosolymitanischen Überlieferung finden. Dies betrifft insbesondere den Gedanken des geeinten Volkes, dessen verschiedene Teile – König, Klerus und Volk – durch gemeinsame Bittprozessionen und schließlich je nach Aufgabe durch Kämpfen oder Beten zum guten Ausgang des Unterfangens beitragen: rex ad bellum, clerus ad ecclesiam, populus in sua.1477 Auch Walter nutzt das Kreuz dazu, die besondere Stellung seiner Gruppe als Volk Gottes hervorzuheben. Ferner erinnert die Szene an die Verabschiedung des Wahren Kreuzes in Jerusalem. Dabei gleicht die Beschreibung ausgerechnet jenem bereits zuvor analysierten Bericht Fulchers von Chartres, in dem er die abermalige Entsendung der Reliquie aus Jerusalem nach Nordsyrien ein gutes Jahr nach den hier von Walter dem Kanzler beschriebenen Ereignissen beklagt.1478 Daran wird deutlich, daß der Bezug zur Kreuzesreliquie in den Bella Antiochena trotz ähnlicher Motive und ähnlicher Formulierungen unter ganz anderen Vorzeichen steht, als dies in den jerosolymitanischen Quellen der Fall ist. Während Fulcher von Chartres die Reliquie ins Zentrum setzt, sie bisweilen als eigenständigen Akteur charakterisiert und die Versuche des Königs, sie für die eigenen Kampagnen zu vereinnahmen, mit Argwohn beobachtet, ist das Heiltum für den antiochenischen Kanzler ein Instrument, das eine menschliche Führungspersönlichkeit gezielt einsetzt, um sanctae crucis protectionem et auxilium1479 in Anspruch nehmen zu können. Viel wichtiger als dem Jerosolymitaner Fulcher ist dem Antiochener Walter vor allem das Vorhandensein von Führungspersonen. Diese sucht er nach dem Ableben seines Fürsten gleich an zwei Stellen. Der antiochenische Patriarch 1476 1477 1478 1479

WdK II.x.7–8. Dieser Gedanken findet sich ganz ähnlich auch in FvC III.xviii.2. FvC III.ix.4. WdK II.xii.5.

348

Das Fürstentum Petri und das Königreich des Kreuzes

Bernhard von Valence verhält sich, ut decet patrem,1480 womit neben der Funktion als bischöflicher Hirte seiner Herde auch auf sein beherztes Handeln bei der Organisation der Verteidigung des Fürstentums nach dem Ager sanguinis verwiesen wird. Vor allem aber begrüßt Walter das Eingreifen Balduins II., der im zweiten Buch der Bella Antiochena im Mittelpunkt steht und heroisiert wird. Zwar tritt neben Patriarch und König auch Gott als der propitius dux itineris1481 in Erscheinung, aber eben nicht die Reliquie, für die neben dem gefeierten König von Jerusalem eine zwar wichtige aber dabei doch dezidiert passive Rolle bleibt. Dies illustriert der bereits erwähnte Umstand, daß Wilhelm von Tyrus sich zur Beschreibung eines jerosolymitanischen Kreuzes-Adventus zwar der Worte Walters des Kanzlers bedient,1482 aber dabei Formulierungen auf das Kreuz überträgt, die in den Bella Antiochena den Empfang für Balduin II. beschreiben. Einen Adventus feierte man im Fürstentum für einen Herrscher, nicht für eine Reliquie. Gleichwohl muß konstatiert werden, daß die Bella Antiochena den beiden Kreuzesreliquien – zunächst der antiochenischen und nach deren Verlust auf dem Ager sanguinis der jerosolymitanischen – große Bedeutung beimessen, daß ferner im zweiten Buch auch eine Tendenz zur Übernahme von Motiven der jerosolymitanischen Quellen zu beobachten ist. Ob aber dem Wahren Kreuz in Antiochia die Rolle eines Elements in einem Mythomoteur zuzuweisen ist, läßt sich weniger eindeutig bestimmen als im Falle des Königreichs Jerusalem. Das Fehlen jedweder Erwähnungen der antiochenischen Reliquie außerhalb der Bella Antiochena und das Ausbleiben einer Klage über den Verlust des Heiltums selbst bei Walter dem Kanzler müssen als Anzeichen gegen eine große ethnische Relevanz des Kreuzes gelten. Da sich all die hier besprochenen Befunde aber auf die Zeit der ersten zwei Jahrzehnte nach der Gründung des Fürstentums beziehen, wäre es auch möglich, daß die Reliquie vor 1119 im Begriff war, als ethnisches Symbol etabliert zu werden, und daß Walter diesen Prozeß als erster reflektiert hat, wobei sich diese mögliche Entwicklung jedoch in Ermangelung weiterer und vor allem späterer antiochenischer Quellen und bedingt durch das Verschwinden des antiochenischen Kreuzes nicht weiter verfolgen läßt. Von zentraler Bedeutung für die Analyse der ethnischen Prozesse in den Kreuzfahrerstaaten und in besonderer Weise im Fürstentum Antiochia ist jedoch die bereitwillige Übernahme des jerosolymitanischen Kreuzes wie auch bestimmter Motive der jerosolymitanischen Kreuzesverehrung im zweiten Buch der Bella Antiochena. Zusammen mit dem König von Jerusalem wird auch das Wahre Kreuz des lateinischen Königreiches übernommen und füllt damit eine 1480 WdK II.x.7. 1481 WdK II.x.8. 1482 Vgl. WdK II.xii.10; WvT XII.xii.69–73.

Das Wahre Kreuz im Fürstentum Antiochia

349

Leerstelle, welche die Katastrophe des Blutfelds, der Tod des Fürsten und die Auslöschung der ersten Riege der normannisch-antiochenischen Elite im Mythomoteur der Antiochener hatte entstehen lassen. Die Schwächung zweier tragender Säulen dieses Mythomoteurs – der Bindung an die Dynastie der Hauteville-la-Guichard und der Verwurzelung in der normannischen Tradition – und die Rettung des von Ilgazi in seiner Existenz bedrohten Fürstentums durch Balduin II. mußte eine stärkere Anknüpfung an die Gruppe der Jerosolymitaner und ihren Mythomoteur nach dem Sommer 1119 attraktiv erscheinen lassen. Die existentielle Krise des Fürstentums mußte die Unterschiede innerhalb der Kreuzfahrerstaaten – zumindest aus antiochenischer Perspektive und zumindest zeitweise – nivellieren.

Zusammenfassung und Ausblick

Die Untersuchung der im lateinischen Orient im Laufe des 12. Jahrhunderts entstandenen historiographischen Texte als Ursprungserzählungen des Fürstentums Antiochia und des Königreiches Jerusalem hat die eingangs formulierte partikularistische Hypothese bestätigt und wichtige Ergebnisse zum besseren Verständnis der beiden großen Kreuzfahrerstaaten und ihrer lateinischen Einwohner geliefert. Die Analyse der ethnischen Terminologie hat gezeigt, daß im Zuge der Ethnogenesen die zunächst dominante, aber herkunftsbezogene und ambivalente Bezeichnung als Franci rasch durch neue Begriffe ersetzt wurde, die an die neue Heimat im Orient gebunden waren. Franci wurden zu Antiocheni und Hierosolymitani. Für die Gruppe der Lateiner im Königreich Jerusalem liefert zudem die Latini-Bezeichnung einen Hinweis auf ein wachsendes Bewußtsein, auch zu einem größeren Ganzen zu gehören – zur lateinischen Bevölkerung der Kreuzfahrerstaaten. Es ergibt sich vor allem für die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts das Bild einer aus zwei Schichten gebildeten Identität, in welcher eine Assoziation mit dem Königreich Jerusalem beziehungsweise mit dem Fürstentum Antiochia um eine über diese hinausgehende Identifikation mit den Kreuzfahrerstaaten insgesamt ergänzt, aber nicht durch diese verdrängt wurde. Die partikularistische Interpretation der ethnogenetischen Prozesse während des ersten Kreuzzuges und im Laufe der weiteren ethnohistorischen Entwicklung im 12. Jahrhundert konnte durch die Analyse der Fremd- und Feindbilder in der antiochenischen und jerosolymitanischen Historiographie bekräftigt werden. Eine Gemeinsamkeit ließ sich in der identitätsstiftenden Abgrenzung von den Muslimen nachweisen, die in der Historiographie des vermeintlich von größerer Toleranz charakterisierten Königreiches Jerusalem sogar noch wichtiger ist als in den antiochenischen Texten. Gerade zu Beginn der lateinischantiochenischen Geschichte waren es nämlich neben den muslimischen Nachbarmächten vor allem die Byzantiner, die das Fürstentum bedrohten. Die von den mediterranen Normannen ererbte Feindschaft mit den Griechen hatte dabei sogar noch größere Brisanz, da Byzanz berechtigte Ansprüche auf die Herrschaft

352

Zusammenfassung und Ausblick

über Antiochia anmelden konnte, die auch von Teilen des lateinischen Lagers anerkannt wurden. In der aus diesen spezifisch antiochenischen Bedingungen resultierenden Graecophobie läßt sich ein weiteres wichtiges Indiz für eine partikularistische Deutung der ethnischen Situation in den Kreuzfahrerstaaten erkennen. Die detaillierte Interpretation der Prologensembles hat erwiesen, daß sich die lateinisch-orientalischen Texte durch eine besondere Akzentuierung der ethnohistorischen Entwicklungen der eigenen Gruppen auszeichnen. Dies gilt vor allem für jene Autoren, welche die eigentliche ethnogenetische Phase des ersten Kreuzzuges behandeln und deren Texte in der Tat als regelrechte Origines Gentium der Antiochener beziehungsweise der Jerosolymitaner gedeutet werden müssen. Vor allem die genaue Untersuchung der Darstellung des ersten Kreuzzuges hat wichtige Ergebnisse erbracht. Die Unterschiede zwischen antiochenischer und jerosolymitanischer Historiographie konnten hier in besonderer Klarheit demonstriert werden. Die Daseinsberechtigung des lateinischen Königreiches und der Jerosolymitaner gründete sich auf dem Kreuzzugsaufruf Urbans II. und der Aufgabe, für den Schutz des Christentums gegen den Islam zu kämpfen – auch nach der Eroberung der Heiligen Stadt. Die jerosolymitanischen Texte betonen zudem von Beginn an das Zusammenwachsen aller Kreuzzugsteilnehmer über ethnische und soziale Grenzen hinweg – unus ex plurimis. Hier manifestiert sich ein gemeinschaftsbezogener Mythomoteur, der sich weniger aus den Leistungen einzelner herausragender Teilnehmer speist als aus dem gemeinsamen Kämpfen, Leiden und Siegen der Gesamtgruppe. Demgegenüber setzen die antiochenischen Texte den Akzent auf den Taten Bohemunds und Tankreds, die ihnen zur Verherrlichung des Hauses der Hauteville-la-Guichard als Träger eines auf der Normannitas aufbauenden dynastischen Mythomoteurs dienen. Anhand der unterschiedlichen Stellenwerte, die Antiochia und Jerusalem zugewiesen werden, ließ sich das partikularistische Postulat zusätzlich belegen. Die Metropole am Orontes präsentiert sich als ein Kernelement in der ethnischen Tradition der Antiochener und in ihrem Mythomoteur. Die antiochenischen Texte drücken eine besonders enge und emotionale Beziehung zur neuen Heimat in Nordsyrien aus, während Jerusalem im Kontrast zu anhelata Antiochia als neue Hauptstadt und identitätsstiftendes Zentrum der antiochenischen Ethnie verblaßt. Die jerosolymitanischen Autoren wiederum stellen Antiochia vor allem als ein zu überwindendes Hindernis auf dem Weg zum Vollbringen ihrer primordialen Tat dar – der Eroberung Jerusalems. Sie stellen die Hauptstadt des lateinischen Königreiches immer in einer doppelten Funktion dar – als Heilige Stadt der Christen und geliebte irdische Heimat.

Zusammenfassung und Ausblick

353

Die Untersuchung der Legitimationsprobleme und der Strategien zu deren Lösung hat ebenfalls die Eigenheiten der jeweiligen Überlieferung des Fürstentums Antiochia und des Königreiches Jerusalem herausstellen können. Die Antiochener sahen sich von Beginn an mit einer zweifachen Herausforderung konfrontiert, ihre Existenz und Herrschaft in Nordsyrien zu legitimieren. Den berechtigten byzantinischen Ansprüchen auf Antiochia begegnen die antiochenischen Autoren durch die klare Abgrenzung von den Griechen, wobei sie auf die lange Tradition normannischer Graecophobie zurückgreifen. Schwieriger gestaltete sich offenbar der Umgang mit der antiochenischen Erbsünde. Wie der Vergleich mit den abendländischen Kreuzzugschroniken belegen konnte, mußten die Antiochener der Anschuldigung begegnen, Profiteure eines den Kreuzzug behindernden oder gar seinem Geist zuwiderlaufenden Projektes Bohemunds von Tarent zu sein. Um diesem Legitimitätsdefizit entgegenzuwirken, akzentuieren die antiochenischen Texte und insbesondere Radulf von Caen die Rolle Tankreds in der letzten Phase des Kreuzzuges. Zudem bedienen sie sich der frühchristlichen und vor allem petrinischen Tradition Antiochias, um somit die besondere religiöse Würde der Stadt an Orontes hervorzuheben. Der Petruskult erfüllte jedoch auch über diese Legitimität stiftende Funktion hinaus eine wichtige Rolle in Antiochia und wurde in den antiochenischen Mythomoteur integriert, wie insbesondere in den Bella Antiochena deutlich wird. Legitimationsprobleme ganz anderer Art bestanden in Jerusalem. Obgleich ohne Zweifel viele Grundmechanismen des Widerstreits von weltlicher und geistlicher Gewalt, welche aus dem Investiturstreit vertraut sind, sich auch bei den Auseinandersetzungen im lateinischen Königreich beobachten lassen, erschöpfte sich die Aushandlung der Stellung des Königtums in Jerusalem nicht in den aus Europa bekannten Konfliktpunkten. Trotz scheinbarer struktureller Ähnlichkeiten mußte die Auseinandersetzung um Legitimität und Grenzen königlicher Gewalt im Heiligen Land andere Fragen aufwerfen als in Europa. Die Texte der jerosolymitanischen Historiographie vollziehen die Verhandlung dieser spezifischen, an den sakralen Sonderstatus des Reiches geknüpften Fragen selbst nach und weben ihre Antworten in den jerosolymitanischen Mythomoteur ein. Ohne die Rechtmäßigkeit und Notwendigkeit eines weltlichen Königtums grundsätzlich zu negieren, wird die Ausnahmestellung eben dieses Königtums immer wieder hervorgehoben und seine Legitimation durch eine Kontrastierung mit dem Königtum Christi zumindest hinterfragt. Hier spiegelt sich zugleich die gemeinschaftsbezogene Natur des jerosolymitanischen Mythomoteurs. Dessen mächtigstes Zeichen war die nach der Eroberung der Heiligen Stadt im Sommer 1099 aufgefundene Reliquie des Wahren Kreuzes. Das Symbol des Kreuzes auf dem ersten Kreuzzug sowie insbesondere dessen Vergegenwärtigung in den beiden Reliquien des Wahren Kreuzes in Antiochia und vor allem Jerusalem eigneten sich hervorragend für

354

Zusammenfassung und Ausblick

die Integration in den Mythomoteur einer sich im Kontext religiös motivierter Konflikte neu formierenden ethnischen Gruppe. Allerdings hat die Untersuchung gezeigt, daß diese ethnische Aneignung des Kreuzes im Königreich Jerusalem – zumindest bis in das Jahr 1119 – sehr viel ausgeprägter war als im Fürstentum Antiochia. Spätestens mit der Erschließung der Vergegenwärtigung des Kreuzes Christi im sicht- und sogar greifbaren Reliquiar wurde das lignum domini zu einem spezifisch jerosolymitanischen und damit partikularistisch zu deutenden ethnischen Symbol. Dessen Bedeutung erschöpfte sich im Königreich Jerusalem nachweislich nicht in seiner allgemein-christlichen religiösen Relevanz, sondern stand vielmehr im Mittelpunkt eines ethnoreligiösen Kultes, der vor allen in Zeiten der Bedrohung, aber auch in Momenten des Triumphes aktiviert wurde und dann eine starke ethnizistische Wirkung entfaltete. Die Reliquie als Zeichen der Herrschaft Christi konnte sogar an die Stelle des weltlichen Königs von Jerusalem treten. Mit den Worten in novam formam commutatus1483 beschreibt Fulcher von Chartres die Sonnenfinsternis am 11. August 1124 und ebenso die einem Wunder gleiche Umformung der im Orient als Folge des Kreuzzuges seßhaft gewordenen Lateiner. Doch wie das wundersame Himmelszeichen waren auch die lateinischen Staaten in der Levante nur vorübergehende Erscheinungen. Schon der Ager sanguinis scheint für die spezifischen ethnohistorischen Entwicklungen der Antiochener eine entscheidende Zäsur bedeutet zu haben. Mit einer Verzögerung von nicht ganz sieben Jahrzehnten wurde bei den Hörnern von Hattin auch das Ende des ersten lateinischen Königreiches von Jerusalem besiegelt. Die Frage danach, was von den Mythomoteurs der Antiochener und Jerosolymitaner gegebenenfalls auch im 13. Jahrhundert überlebte, was andererseits überwuchert wurde oder verlorenging, wäre noch zu untersuchen.

1483 FvC III.xxxvii.1.

Abkürzungsverzeichnis

AvA

Albert von Aachen, Historia Ierosolimitana. History of the Journey to Jerusalem, hg. u. übs. v. Susan B. Edgington, Oxford 2007 BvD Baldrich von Dol, ›Historia Jerosolimitana‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 4:9–111 BvN Bartolf von Nangis, ›Gesta Francorum Iherusalem expugnantium‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 3:487–543 CE Alan V. Murray (Hg.), The Crusades. An Encyclopedia, 4 Bde., Santa Barbara 2006 dMGH Digitale Monumenta Germaniae Historica, München, http://www.dmgh.de DRLH Diplomata Regum Latinorum Hierosolymitanorum / Die Urkunden der lateinischen Könige von Jerusalem, hg. v. Hans Eberhard Mayer, 4 Bände, Hannover 2010 EC Hagenmeyer, Heinrich (Hg.), Epistvlæ et Chartæ ad Historiam Primi Belli Sacri Spectantes quæ svpersvnt Ævo Æqvales ac Genuinæ. Die Kreuzzugsbriefe aus den Jahren 1088–1100. Eine Quellensammlung zur Geschichte des ersten Kreuzzuges mit Erläuterungen, Innsbruck 1901 EdE Anonymus, ›L’Estoire de Eracles Empereur et la Conqueste de la Terre d’Outremer‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 1:1–1130 u. 2:1–828 FvC Fulcher von Chartres, Historia Hierosolymitana, hg. v. Heinrich Hagenmeyer, Heidelberg 1913 GF Anonymus, Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanorum. The Deeds of the Franks and the other Pilgrims to Jerusalem, hg. u. übs. v. Rosalind Hill, London 1962 GF-Hg Anonymus, Anonymi Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanorum, hg. v. Heinrich Hagenmeyer, Heidelberg 1890 GvN Guibert von Nogent, Guitbertus abbas S. Mariae Nogenti, Dei Gesta per Francos, hg. v. Robert Burchard Constantyn Huygens (= Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis; 127 A), Turnhout 1996

356

Abkürzungsverzeichnis

HAI

Anonymus, Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum (olim Tudebodus imitatus et continuatus). I Normanni d’Italia alla Prima Crociata in una Cronaca Cassinese, hg. v. Edoardo d’Angelo (= Edizione Nazonale dei Testi Mediolatini; 23), Florenz 2009 Anonymus, ›Historia Nicæna vel Antiochena‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 5:136–185 Jakob von Vitry, Histoire Orientale/Historia Orientalis, hg. u. übs. v. Jean Donnadieu, Turnhout 2008 Library of Latin Texts. Series A, Turnhout, http://han.sub.uni-goettingen.de/han/ LibraryofLatintexts/clt.brepolis.net/llta/Default.aspx Angermann, Norbert, Bautier, Robert-Henri, Auty, Robert u. a. (Hgg.), Lexikon des Mittelalters, 9 Bde., München 1980–1999 Kasper, Walter, Baumgartner, Konrad, Bürkle, Horst, Ganzer, Klaus, Kertelge, Karl, Korff, Wilhelm u. Walter, Peter (Hgg.), Lexikon für Theologie und Kirche, hg. v., 11 Bde., Freiburg im Breisgau 2006 (durchges. Ausg. der 3. Aufl. 1993–2001; 1. Aufl. 1930–1938) Lisiard von Tours, ›Secunda Historiae Iherosolimitanae Pars‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 3:549–583 Otto von Freising, Chronica sive historia de duabus civitatibus, hg. v. Adolf Hoffmeister (= MGH SS rer. Germ.; 45) Hannover 1912 Migne, Jacques Paul (Hg.), Patrologiae cursus completus, series Latina, 221 Bde., Paris 1844–1865 Petrus Tudebodus, Historia de Hierosolymitano Itinere, hg. v. John Hugh Hill u. Laurita L. Hill unter Mitarb. v. Philippe Wolff u. Jean Richard (= Documents Relatifs a l’Histoire des Croisades; 12), Paris 1974 Raimund von Aguilers, ›Historia Francorum qui ceperunt Iherusalem‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 3:232–309 Radulf von Caen, ›Gesta Tancredi in expeditione Hierosolymitana‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 3:587–716 Radulf von Caen, The Gesta Tancredi of Ralph of Caen. A History of the Normans on Crusade, hg. u. übs. v. Bernard S. Bachrach u. David S. Bachrach (= Crusade Texts in Translation; 12), Aldershot 2005 Robert der Mönch, ›Historia Iherosolimitana‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 3:717–882 Walter der Kanzler, Bella Antiochena, hg. v. Heinrich Hagenmeyer, Innsbruck 1896 Walter der Kanzler, Walter the Chancellor’s The Antiochene Wars, hg. u. übs. v. Thomas S. Asbridge u. Susan B. Edgington, Ashgate 1999 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum. The History of the English Kings, hg. u. übs. v. Roger A. B. Mynors, Rodney M. Thomson u. Michael Winterbottom, Oxford 1998/9

HNvA

JvV LLT-A LMA LThK

LvT

OvF PL PT

RvA

RvC

RvCÜ

RdM

WdK WdKÜ WvM

Abkürzungsverzeichnis

WvT

357

Wilhelm von Tyrus, Willelmi Tyrensis Archiepiscopi Chronicon, hg. v. Robert Burchard Constantyn Huygens (= Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis; 63/63 A), 2 Bde., Turnhout 1986 WvTÜ Wilhelm von Tyrus, A History of Deeds done beyond the Sea, hg. u. übs. v. Emily Atwater Babcock u. August C. Krey (= Records of Civilization. Sources and Studies; 35), New York 1943

Quellen- und Literaturverzeichnis

Handschriften Brüssel Cambridge Montpellier Paris

BibliothÀque Royale, 5369–5373 Corpus Christi College, MS 281 BibliothÀque de la Facult¦ de M¦decine, 91 BibliothÀque Nationale, lat. 6066

Gedruckte Quellen Albert von Aachen Anna Komnena Anonymus (EdE)

Anonymus (GF)

Anonymus (GF) Anonymus (GF) Anonymus (GF)

Anonymus (HAI)

Anonymus (HAI)

Historia Ierosolimitana. History of the Journey to Jerusalem, hg. u. übs. v. Susan B. Edgington, Oxford 2007 Anna Komnena, Alexiade, 3 Bde., hg. u. übs. v. Bernard Leib, Paris 1937–1945 ›L’Estoire de Eracles Empereur et la Conqueste de la Terre d’Outremer‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 1:1–1130 u. 2:1–828 ›Gesta Francorum et aliorum Hierosolymitanorum‹, in: Gesta Dei per Francos, sive Orientalium expeditionum, et regni Francorum Hierosolimitani Historia, hg. v. Jacques Bongars, Hanau 1611, 1–29 Anonymi Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanorum, hg. v. Heinrich Hagenmeyer, Heidelberg 1890 Histoire Anonyme de la PremiÀre Croisade, hg. u. übs. v. Louis Bréhier, Paris 1924 Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanorum. The Deeds of the Franks and the other Pilgrims to Jerusalem, hg. u. übs. v. Rosalind Hill, London 1962 ›Historia de via Hierusolymis‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 3:166–229 Anonymus, Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque

360

Anonymus (HNvA)

Augustinus Baldrich von Dol

Bartolf von Nangis

Bongars, Jacques (Hg.) Caffaro

Caffaro

Chroust, Anton (Hg.) Einhard Ernoul Fulcher von Chartres Fulcher von Chartres

Fulk IV. von Anjou

Guibert von Nogent

Guibert von Nogent

Quellen- und Literaturverzeichnis

Ierusolymarum (olim Tudebodus imitatus et continuatus). I Normanni d’Italia alla Prima Crociata in una Cronaca Cassinese, hg. v. Edoardo d’Angelo (= Edizione Nazonale dei Testi Mediolatini; 23), Florenz 2009 ›Historia Nicæna vel Antiochena‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 5:136–185 Confessions, hg. v. James Joseph O’Donnell, 3 Bde., Oxford 1992 Historia Jerosolimitana‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 4:9–111 ›Gesta Francorum Iherusalem expugnantium‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 3:487–543 Gesta Dei per Francos, sive Orientalium expeditionum, et regni Francorum Hierosolimitani Historia, Hanau 1611 ›Annales Ianuenses‹, hg. v. Luigi Tommaso Belgrano, in: Annali Genovesi di Caffaro e de’ suoi Continuatori dal MXCIX al MCCXCIII Bd. 1., hg. v. Dems. (= Fonti per la Storia d’Italia pubblicate dall’ Istituto Storico Italiano; 11), 5 Bde., Rom 1890, 5–75 ›De liberatione civitatum Orientis‹, hg. v. Luigi Tommaso Belgrano, in: Annali Genovesi di Caffaro e de’ suoi Continuatori dal MXCIX al MCCXCIII Bd. 1., hg. v. Dems. (= Fonti per la Storia d’Italia pubblicate dall’ Istituto Storico Italiano; 11), 5 Bde., Rom 1890, 95–124 Quellen zur Geschichte des Kreuzzuges Kaiser Friedrichs I. (= MGH SS rer. Germ. N.S.; 5), Berlin 1928 Vita Karoli Magni, hg. v. Oswald Holder-Egger (= MGH SS rer. Germ.; 25) Chronique d’Ernoul et de Bernard le Tr¦sorier, hg. v. Louis de Mas Latrie, Paris 1871 Historia Hierosolymitana, hg. v. Heinrich Hagenmeyer, Heidelberg 1913 A History of the Expedition to Jerusalem. 1095–1127, hg. v. Harold S. Fink, hg. u. übs. v. Frances Rita Ryan, Knoxville 1969 ›Fragmentum historiae Andegavensis‹, in: Chroniques des Comtes d’Anjou et des Seigneurs d’Amboise, hg. v. Louis Halphen u. Ren¦ Poupardin, Paris 1913, 232–238 ›Gesta Dei per Francos‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 4:113–263 Guitbertus abbas S. Mariae Nogenti, Dei Gesta per Francos,

Gedruckte Quellen

Guibert von Nogent

Hagenmeyer, Heinrich (Hg.)

Burchard Constantyn (Hg.) Isidor von Sevilla Jakob von Vitry Johannes von Würzburg Kohler, Charles (Hg.)

Linder, Amnon (Hg.)

Linder, Amnon (Hg.)

Lisiard von Tours

Livius

Mai, Angelo (Hg.)

361 hg. v. Robert Burchard Constantyn Huygens (= Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis; 127 A), Turnhout 1996 Die Autobiographie, hg. u. eingel. v. Walter Berschin, übs. v. Elmar Wilhelm (= Bibliothek der mittellateinischen Literatur ; 10), Stuttgart 2012 Epistvlæ et Chartæ ad Historiam Primi Belli Sacri Spectantes quæ svpersvnt Ævo Æqvales ac Genuinæ. Die Kreuzzugsbreife aus den Jahren 1088–1100. Eine Quellensammlung zur Geschichte des ersten Kreuzzuges mit Erläuterungen, Innsbruck 1901 Huygens, Robert Peregrinationes tres. Saewulf, John of Würzburg, Theodericus (= Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis; 139), Turnhout 1986 Isidori Hispalensis episcopi etymologiarvm sive originvm libri XX, hg. v. W. M. Lindsay, Oxford 1911 Histoire Orientale/Historia Orientalis, hg. u. übs. v. Jean Donnadieu, Turnhout 2008 siehe Huygens (Hg.), Peregrinationes tres ›Un Sermon Comm¦moratif de la Prise de J¦rusalem par les Crois¦s Attribu¦ a Foucher de Chartres‹, in: Revue de L’Orient Latin (1900–1901; 8), 158–164 ›In festivitate Sancte Hierusalem‹, in: Ders., ›The Liturgy of the Liberation of Jerusalem‹, in: Mediaeval Studies (52; 1990), 110–131, Edition: 113–121 ›Sermon on the Feast of the Liberation of Jerusalem‹, in: Ders., ›A New Day, New Joy : The Liberation of Jerusalem on 15 July 1099‹, in: L’Idea di Gerusalemme nella Spiritualit— Cristiana del Medioevo. Atti del Convegno Internazionale in Collaborazione con l’Istituto della Görres-Gesellschaft di Gerusalemme; Gerusalemme, Notre Dame of Jerusalem Center, 31 Agosto – 6 Settembre 1999, hg. v. Walter Brandmüller (= Atti e Documenti. Pontificio Comitato di Scienze Storiche; 12), Vatikanstadt 2003, 46–64, Edition: 58–64 ›Secunda Historiae Iherosolimitanae Pars‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux. Vol. 3, hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1866, 549–583 Titi Livi Ab urbe condita, hg. v. Robert Maxwell Ogilvie, Charles Flamstead Walters, Robert Seymour Conway, Stephen Keymer Johnson, Alexander Hugh McDonald u. Patrick Gerard Walsh, 6 Bde., Oxford 1914–1999 Scriptorum Veterum Nova Collectio e Vaticanis Codicibus Edita, Bd. 5, Rom 1831

362 Mayer, Hans Eberhard (Hg.)

Migne, Jacques Paul (Hg.) Muratori, Ludovico A. (Hg.) Nielen, Marie-Ad¦lade Odo von Deuil Ordericus Vitalis Otto von Freising Petrus Tudebodus Petrus Tudebodus

Petrus Tudebodus

Prudentius

Radulf von Caen

Radulf von Caen

Radulf von Caen

Radulf von Caen

Raimund von Aguilers

Quellen- und Literaturverzeichnis

›Unedierte und wenig bekannte Urkunden der Fürsten von Antiochia‹, in: Ders., Varia Antiochena. Studien zum Kreuzfahrerfürstentum Antiochia im 12. und frühen 13. Jahrhundert, Hannover 1993, 110–122 Patrologiae cursus completus, series Latina, 221 Bde., Paris 1844–1865 Novus Thesaurus Veterum Inscriptionum in Praecipuis earumdem Collectionibus hactenus Praetermissarum, Bd. 4 Mailand 1742 Lignages d’Outremer (= Documents Relatifs — l’Histoire des Croisades; 18), Paris 2003 La Croisade de Louis VII Roi de France, hg. v. Henri Waquet (= Documents Relatifs — la Croisade; 3), Paris 1949, II The Ecclesiastical History of Orderic Vitalis, hg. u. übs. v. Marjorie Chibnall, 6 Bde., Oxford 1969–1980 Chronica sive historia de duabus civitatibus, hg. v. Adolf Hoffmeister (= MGH SS rer. Germ.; 45) Hannover 1912 Petri Tudebodi sacerdotis Sivracensis historia de Hierosolymitano itinere, hg. v. Jean Besly, Paris 1641 ›Petri Tudebodi seu Tudebovis sacerdotis Sivracensis historia de Hierosolymitano itinere‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 3:1–117 Historia de Hierosolymitano Itinere, hg. v. John Hugh Hill u. Laurita L. Hill unter Mitarb. v. Philippe Wolff u. Jean Richard (= Documents Relatifs a l’Histoire des Croisades; 12), Paris 1974 Contra Symmachum, hg. u. übs. v. Hermann Tränkle (= Fontes Christiani. Zweisprachige Neuausgabe christlicher Quellentexte aus Altertum und Mittelalter; 85), Turnhout 2008 ›Gesta Tancredi‹, hg. v. Edmond Marténe, in: Thesaurus novus anecdotorum, 5 Bde., hg. v. Dems., Paris 1717, 3:107–210 ›Gesta Tancredi in expeditione Hierosolymitana‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 3:587–716 The Gesta Tancredi of Ralph of Caen. A History of the Normans on Crusade, hg. u. übs. v. Bernard S. Bachrach u. David S. Bachrach (= Crusade Texts in Translation; 12), Aldershot 2005 Radvlphi Cadomensis Tancredvs, hg. v. Edoardo d’Angelo (= Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis; 231), Turnhout 2011 ›Historia Francorum qui ceperunt Iherusalem‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v.

Gedruckte Quellen

363

Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 3:232–309 Raimund von Aguilers Le »Liber« de Raymond d’Aguilers, hg. v. John Hugh Hill u. Laurita L. Hill, unter Mitarb. v. Philippe Wolff (= Documents Relatifs a l’Histoire des Croisades; 9), Paris 1969 Robert der Mönch ›Historia Iherosolimitana‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v. Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 3:717–882 Robert der Mönch Robert the Monk’s History of the First Crusade. Historia Iherosolimitana, hg. u. übs. v. Carol Sweetenham (= Crusade Texts in Translation; 11), Farnham 2005 Robert der Mönch The Historia Iherosolimitana of Robert the Monk, hg. v. Damien Kempf u. Marcus Bull, Woodbridge 2013 Spreckelmeyer, Goswin ›Ierusalem, laetare‹, in: Mittellateinische Kreuzzugslieder. (Hg.) Texte und Melodien, hg. v. Dems. (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik; 216), Göppingen 1987, Nr. 2, 4–6 Tacitus Cornelii Taciti De origine et situ Germanorum, hg. v. John G. C. Anderson, Oxford 1938 Usamah ibn Munqidh An Arab-Syrian Gentleman & Warrior in the Period of the Crusades. Memoirs of Usa¯mah ibn-Munqidh, hg. u. übs. v. Philip K. Hitti, m. einem Vorw. v. Richard W. Bulliet, New York 2000 Valerius Flaccus Argonautica, hg., übs., u. komm. v. Paul Dräger, Frankfurt am Main 2003 Vergil P. Vergili Maronis Opera, hg. v. Roger A. B. Mynors, Oxford 1969 Vogüé, Melchior de (Hg.) ›De situ urbis Jerusalem et de locis sanctis intra ipsam urbem sive circumjacentibus‹, in: Ders., Les Êglises de la Terre Sainte, Paris 1860, 412–433 Walter der Kanzler Bella Antiochena, hg. v. Heinrich Hagenmeyer, Innsbruck 1896 Walter der Kanzler Walter the Chancellor’s The Antiochene Wars, hg. u. übs. v. Thomas S. Asbridge u. Susan B. Edgington, Ashgate 1999 Wilhelm von Apulien Gesta Roberti Wiscardi, hg. u. übs. v. Marguerite Mathieu (= Istituto Siciliano di Studi Bizantini e Neoellenici, Testi; 4), Palermo 1961 Wilhelm von Malmesbury Gesta Regum Anglorum. The History of the English Kings, hg. u. übs. v. Roger A. B. Mynors, Rodney M. Thomson u. Michael Winterbottom, Oxford 1998/9 Wilhelm von Tripolis ›Tractatus de statu Saracenorum et de Mahomete pseudopropheta et eorum lege et fide‹, hg. v. Hans Prutz, in: Ders., Kulturgeschichte der Kreuzzüge, Berlin 1883, 575–598 Wilhelm von Tyrus ›Historia rerum in partibus transmarinis gestarum edita a venerabili Willermo Tyrensi archiepiscopo‹, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens Occidentaux, 5 Bde., hg. v.

364

Wilhelm von Tyrus

Wilhelm von Tyrus

Quellen- und Literaturverzeichnis

Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1844–1895, 1:1–1130 u. 2:1–828 A History of Deeds done beyond the Sea, hg. u. übs. v. Emily Atwater Babcock u. August C. Krey (= Records of Civilization. Sources and Studies; 35), New York 1943 Willelmi Tyrensis Archiepiscopi Chronicon, hg. v. Robert Burchard Constantyn Huygens (= Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis; 63/63 A), 2 Bde., Turnhout 1986

Digitale Quellensammlungen Digitale Monumenta Germaniae Historica (dMGH), www.dmgh.de Library of Latin Texts. Series A (LLT-A), http://han.sub.uni-goettingen.de/han/Libraryo fLatintexts/clt.brepolis.net/llta/Default.aspx

Forschungsliteratur Albu Hanawalt, Emily, ›Norman Views of Eastern Christendom: From the First Crusade to the Principality of Antioch‹, in: The Meeting of Two Worlds: Cultural Exchange between East and West during the Period of the Crusades, hg. v. Vladimir P. Goss (= Studies in Medieval Culture; 21), Kalamazoo 1986, 115–121 Albu, Emily, The Normans in their Histories: Propaganda, Myth and Subversion, Woodbridge 2001 Albu, Emily, ›Probing the Passions of a Norman on Crusade. The Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanorum‹, in: Anglo-Norman Studies XXVII. Proceedings of the Battle Conference 2004, hg. v. John Gillingham, Woodbridge 2005, 1–15 Alphand¦ry, Paul, La Chr¦tient¦ et l’Id¦e de Croisade I (= Evolution de I’Humanit¦; 38), Paris 1954 Amory, Patrick, People and Identity in Ostrogothic Italy. 489–554, Cambridge 2003 Amouroux-Mourad, Monique, Le Comt¦ d’Edesse, 1098–1150 (= BibliothÀque Arch¦ologique et Historique; 128), Paris 1988 Anderson, Benedict, Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London 1991 (2. Aufl., 1. Aufl. 1983) d’Angelo, Edoardo, ›Introduzione‹, in: Hystoria de Via et Recuperatione Antiochiae atque Ierusolymarum (olim Tudebodus imitatus et continuatus). I Normanni d’Italia alla Prima Crociata in una Cronaca Cassinese, hg. v. Edoardo d’Angelo (= Edizione Nazonale dei Testi Mediolatini; 23), Florenz 2009, xiii–lix d’Angelo, Edoardo, ›Introduzione‹, in: Radulf von Caen, Radvlphi Cadomensis Tancredvs, hg. v. Edoardo d’Angelo (= Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis; 231), Turnhout 2011, v–ci Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 1997 (2. Aufl.; 1. Aufl. 1994),

Forschungsliteratur

365

Angermann, Norbert, Bautier, Robert-Henri, Auty, Robert u. a. (Hgg.), Lexikon des Mittelalters, 9 Bde., München 1980–1999 Angold, Michael, ›The Road to 1204: The Byzantine Background to the Fourth Crusade‹, in: Journal of Medieval History (25; 1999), 257–278 Angold, Michael, The Fourth Crusade: Event and Context, Harlow 2003 Anton, Hans Hubert, Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit (= Bonner historische Forschungen; 32), Bonn 1968, 373–377 Armstrong, John Alexander, Nations before Nationalism, Chapel Hill 1982 Arnaldi, Gabriella, ›Memoria e Memorie di un Cavaliere. Caffaro di Genova‹, in: Crusades (2; 2003), 25–39 Asbridge, Thomas S., ›The Significance and Causes of the Battle of the Field of Blood‹, in: Journal of Medieval History (23; 1997), 301–316 Asbridge, Thomas S., ›The Crusader Community at Antioch: The Impact of Interaction with Byzantium and Islam‹, in: Transactions of the Royal Historical Society (9; 1999), 305–325 Asbridge, Thomas S., The Creation of the Principality of Antioch. 1098–1130, Woodbridge 2000 Asbridge, Thomas S., The First Crusade. A New History, London 2003 Asbridge, Thomas S., ›The Holy Lance of Antioch: Power, Devotion and Memory on the First Crusade‹, in: Reading Medieval Studies (33; 2007), 3–36 Asbridge, Thomas S., The Crusades. The War for the Holy Land, London 2010 Asbridge, Thomas S. u. Edgington, Susan B., ›Introduction‹, in: Walter der Kanzler, Walter the Chancellor’s The Antiochene Wars. A Translation and Commentary, hg. u. übs. v. Thomas S. Asbridge u. Susan B. Edgington, Aldershot 1999, 1–76 Aub¦, Pierre, Les Empires Normands d’Orient: XIe–XIIIe SiÀcle, Paris 1999 Bachrach, David S., Religion and the Conduct of War, Woodbridge 2003 Bachrach, Bernard S. u. Bachrach, David S., ›Introduction‹, in: Radulf von Caen, The Gesta Tancredi of Ralph of Caen. A History of the Normans on Crusade, hg. u. übs. v. Bernard S. Bachrach u. David S. Bachrach (= Crusade Texts in Translation; 12), Aldershot 2005, 1–17 Balard, Michel, ›Gesta Dei per Francos: L’Usage du Mot Francs dans les Chroniques de la PremiÀre Croisade‹, in: Clovis. Histoire & Memoire. Le BaptÞme de Clovis, son Êcho — travers l’Histoire, hg. v. Michel Rouche, Paris 1997, 473–483 Barber, Malcolm, The New Knighthood. A History of the Order of the Temple, Cambridge 1994 Barber, Malcolm, The Crusader States, New Haven 2012 Barbiellini Amidei, Beatrice, Il »locus amoenus«: Paesaggi Ideali nel Medioevo, Mailand 2002 Barth, Fredrik, ›Introduction‹, in: Ethnic Groups and Boundaries. The Social Organization of Culture Difference. Essays presented at a Symposium held at Bergen, Norway, 23rd to 26th February 1967, hg. v. Dems., Boston 1969, 9–38 Bartlett, Robert, ›Medieval and Modern Concepts of Race and Ethnicity‹, in: Journal of Medieval and Early Modern Studies (31; 2001), 39–56 Base, Allen M., ›The Metaphor of the Human Body in the Political Theory of John of Salisbury : Context and Innovation‹, in: Metaphor and Rational Discourse, hg. v. Bernhard Debatin, Timothy R. Jackson u. Daniel Steuer, Tübingen 1997, 201–213

366

Quellen- und Literaturverzeichnis

Bauer, Dominique u. Lesaffer, Randall, ›Ivo of Chartres, the Gregorian Reform and the Formation of the Just War Doctrine‹, in: Journal of the History of International Law (7; 2005), 43–54 Baxter-Wolf, Kenneth, ›Crusade and Narrative: Bohemond and the Gesta Francorum‹, in: Journal of Medieval History (17; 1991), 207–216 Beck, Heinrich, Geuenich, Dieter, Steuer, Heiko u. Hakelberg, Dietrich (Hgg.), Zur Geschichte der Gleichung »germanisch—deutsch« Sprache und Namen, Geschichte und Institutionen (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde; 34), Berlin 2004 Bellomo, Elena, A Servizio di Dio e del Santo Sepolcro: Caffaro e l’Oriente Latino (= Medioevo Europeo; 4), Padua 2003 Bennett, Matthew, ›The Normans in the Mediterranean‹, in: A Companion to the AngloNorman World, hg. v. Christopher Harper-Bill u. Elisabeth van Houts, Woodbridge 2003, 87–102 Bertau, Karl, ›Das Recht des Andern. Über den Ursprung der Vorstellung von der Schonung der Irrgläubigen bei Wolfram von Eschenbach‹, in: Das Heilige Land im Mittelalter: Begegnungsraum zwischen Orient und Okzident; Referate des 5. interdisziplinären Colloquiums des Zentralinstituts für fränkische Landeskunde und allgemeine Regionalforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg, hg. v. Wolfdietrich Fischer u. Jürgen Schneider (= Schriften des Zentralinstituts für fränkische Landeskunde und allgemeine Regionalforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg; 22), Neustadt an der Aisch 1982, 127–149 Beumann, Helmut, ›Die Bedeutung des Kaisertums für die Entstehung der deutschen Nation im Spiegel der Bezeichnungen von Reich und Herrscher‹, in: Aspekte der Nationenbildung im Mittelalter. Ergebnisse der Marburger Rundgespräche 1972–1975, hg. v. Dems. u. Werner Schröder (= Nationes. Historische und philologische Untersuchungen zur Entstehung der europäischen Nationen im Mittelalter ; 1), Sigmaringen 1978, 317–365 Blaauw, Sible de, ›Jerusalem in Rome and the Cult of the Cross‹, in: Pratum Romanum. Richard Krautheimer zum 100. Geburtstag, hg. v. Renate L. Colella, Meredith J. Gill, Lawrence A. Jenkens u. Petra Lamers, Wiesbaden 1997, 55–72 Blake, Ernest O. u. Morris, Colin, ›A Hermit goes to War : Peter and the Origins of the First Crusade‹, in: Monks, Hermits and the Ascetic Tradition. Papers Read at the 1984 Summer Meeting and the 1985 Winter Meeting of the Ecclesiastical History Society, hg. v. William J. Sheils (= Studies in Church History ; 22), Oxford 1985, 79–107 Boase, Thomas S. R., ›Recent Developments in Crusading Historiography‹, in: History. The Journal of the Historical Association (22; 1937), 110–125 Boehm, Laetitia, ›Die Gesta Tancredi des Radulf von Caen. Ein Beitrag zur Geschichtsschreibung der Normannen um 1100‹, in: Historisches Jahrbuch (75; 1956), 47–72 Bölling, Jörg, ›Musicae Utilitas. Zur Bedeutung der Musik im Adventus-Zeremoniell der Vormoderne‹, in: Adventus. Studien zum herrscherlichen Einzug in die Stadt, hg. v. Peter Johanek u. Angelika Lampen (= Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster. Reihe A: Darstellungen; 75), Köln 2009, 229–266 Bölling, Jörg, ›Die zwei Körper des Apostelfürsten. Der heilige Petrus im Rom des Re-

Forschungsliteratur

367

formpapsttums‹, in: Römische Quartalschrift für Christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte (106; 2011), 155–192 Borgehammar, Stephan, How the Holy Cross was Found. From Event to Medieval Legend (= Bibliotheca Theologiae Practicae. Kyrkovetenskapliga Studier ; 47), Stockholm 1991 Borgolte, Michael, Der Gesandtenaustausch der Karolinger mit den Abbasiden und mit den Patriarchen von Jerusalem (= Münchener Beiträge zur Mediävistik und RenaissanceForschung; 25), München 1976, 46–58 Bottiglieri, Corinna, ›Die Normannen in der süditalieinischen Literatur des 11. Jahrhunderts. Einige Beispiele aus Montecassino und Salerno‹, in: Hybride Kulturen im mittelalterlichen Europa. Vorträge und Workshops einer internationalen Frühlingsschule/ Hybrid Cultures in Medieval Europe. Papers and Workshops of an International Spring School, hg. v. Michael Borgolte u. Bernd Schneidmüller (= Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik; 16), Berlin 2010, 89–104 Bowlus, Charles M., ›Ethnogenesis: The Tyranny of a Concept‹, in: On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, hg. v. Andrew Gillett, Turnhout 2002, 241–256 Brakel, Cyriakus Heinrich, ›Die vom Reformpapsttum geförderten Heiligenkulte‹, in: Studi Gregoriani per la Storia della Libertas Ecclesiae (9; 1972), 239–311 Brett, Michael, ›The Battles of Ramla, 1099–1105‹, in: Egypt and Syria in the Fatimid, Ayyubid and Mamluk Eras. Proceedings of the 1st, 2nd and 3rd International Colloquium organized at the Katholieke Universiteit Leuven in May 1992, 1993 and 1994, hg. v. Daniel De Smet u. Urbain Vermeulen (= Orientalia Lovaniensia Analecta; 73), Löwen 1995, 17–37 Brinkmann, Henning, ›Der Prolog im Mittelalter als literarische Erscheinung: Bau und Aussage‹, in: Wirkendes Wort (14; 1964), 1–21 Brown, Reginald Allen, The Normans, Woodbridge 1994 (2. Aufl., 1. Aufl. 1984) Brühl, Carlrichard, Die Geburt zweier Völker. Deutsche und Franzosen (9.–11. Jahrhundert), a. d. Franz. übs. v. Marie-Therese Pitner, m. e. Vorw. v. Theo Kölzer, Köln 2001 Brundage, James A., ›An Errant Crusader : Stephen of Blois‹, in: Traditio: Studies in Ancient and Medieval History, Thought and Religion (16; 1960), 380–395 Brundage, James A., Medieval Canon Law and the Crusader, Madison 1969 Bull, Marcus, ›Overlapping and Competing Identities in the Frankish First Crusade‹, in: Le Concile de Clermont de 1095 et l’Appel — la Croisade. Actes du Colloque Universitaire International de Clermont-Ferrand (23–25 Juin 1995) Organis¦ et Publi¦ avec le Concours du Conseil R¦gional d’Auvergne, hg. v. Êcole FranÅaise de Rome (= Collection de l’Êcole FranÅaise de Rome; 236), Rom 1997, 195–211 Bull, Marcus, u. Damien Kempf (Hgg.), Writing the Early Crusades. Text, Transmission and Memory, Woodbridge 2014 Burnett, Charles, ›Antioch as a Link between Arabic and Latin Culture in the Twelfth and Thirteenth Centuries‹, in: Occident et Proche-Orient: Contacts Scientifiques au Temps des Croisades. Actes du Colloque de Louvain-la-Neuve, 24 et 25 Mars 1997, hg. v. Isabelle Draelants, Anne Tihon, Baudouin van den Abeele, Turnhout 2000, 1–78 Cahen, Claude, La Syrie du Nord a l’Êpoque des Croisades et la Principatu¦ Franque d’Antioche (= Institut FranÅais de Damas. BibliothÀque Orientale; 1), Paris 1940 Canard, Marius, ›La Destruction de l’Eglise de la R¦surrection par le Calife Hakim‹, in: Byzantion (35; 1965), 16–43

368

Quellen- und Literaturverzeichnis

Cancik, Hubert u. Schneider, Helmut (Hgg.), Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, 16 Bde., Stuttgart 1996–2003 Cardini, Franco, ›Boemondo, Principe d’Antiochia‹, in: Boemondo. Storia di un Principe Normanno. Atti del Convegno di Studio su Boemondo, da Taranto ad Antiochia a Canosa. Storia di un Principe Normanno. Taranto – Canosa, Maggio-Novembre 1998, hg. v. Dems., Nunzio Lozito u. Benedetto Vetere (= Universit— di Lecce, Dipartimento dei Beni delle Arti e della Storia. Saggi e Testi. Collana Diretta da Benedetto Vetere; 15), Galatina 2003, 29–65 Carlyle, Thomas, On Heroes, Hero-Worship, & the Heroic in History. Six Lectures, London 1841 Cecchelli, Carlo, Il trionfo della croce. La croce e i santi segni prima e dopo Costantino, Rom 1954 Charanis, Peter, ›The Byzantine Empire in the Eleventh Century‹, in: A History of the Crusades. Volume I. The First Hundred Years, hg. v. Kenneth M. Setton u. Marshall W. Baldwin, Madison 1969, 177–220 Charaud, Jacques, ›La Conception de l’Histoire de Guibert de Nogent‹, in: Cahiers de Civilisation M¦di¦vale (8; 1965), 381–395 Chibnall, Marjorie, The Normans, Oxford 2000 Ciggaar, Krijnie N. u. Metcalf, D. M., East and West in the Medieval Eastern Mediterranean I. Antioch from the Byzantine Reconquest until the End of the Crusader Principality. Acta of the Congress Held at Hernen Castle in May 2003 (= Orientalia Lovaniensia Analecta; 147), Löwen 2006 Cole, Penny J., The Preaching of the Crusades to the Holy Land: 1095–1270 (= Medieval Academy Books; 98), Cambridge/MA 1991 Constable, Giles, ›Jerusalem and the Sign of the Cross (with particular reference to the cross of pilgrimage and crusading in the twelfth century)‹, in: Jerusalem: Its Sanctitiy and Centrality to Judaism, Christianity, and Islam, hg. v. Lee I. Levine, New York 1999, 371–381 Constable, Giles, ›The Historiography of the Crusades‹, in: The Crusades. Critical Concepts in Historical Studies. Volume I. The West and the Mediterranean World in the Eleventh Century, hg. v. Andrew Jotischky, London 2001, 63–89 Constable, Giles, Crusaders and Crusading in the Twelfth Century, Farnham 2008 Conversi, Daniele, ›Mapping the Field: Theories of Nationalism and the Ethnosymbolic Approach‹, in: Nationalism and Ethnosymbolism. History, Culture and Ethnicity in the Formation of Nations, hg. v. Athena S. Leoussi u. Steven Grosby, Edinburgh 2007, 15–30 Coumert, Magali, ›Les R¦cits d’Origine des Peuples dans le Haut Moyen ffge Occidental, du Milieu du VIe SiÀcle au Milieu du IXe SiÀcle‹, in: Bulletin d’Information de la Mission Historique FranÅaise en Allemagne (42; 2006), 153–159 Coumert, Magali, Origines des Peuples. Les R¦cits du Haut Moyen ffge Occidental (550–850) (= Collection des Êtudes Augustiniennes. S¦rie Moyen ffge et Temps Modernes; 42), Paris/Turnhout 2007 Cowdrey, Herbert Edward John, ›Pope Urban II’s Preaching of the First Crusade‹, in: History. The Journal of the Historical Association (55; 1970), 177–188 Cowdrey, Herbert Edward John, ›The Anglo-Norman Laudes regiae‹, in: Viator (12; 1981), 38–78

Forschungsliteratur

369

Curtius, Ernst Robert, ›Mittelalter-Studien XVIII. Prologe und Epiloge‹, in: Zeitschrift für romanische Philologie (63; 1943), 245–255 Curtius, Ernst Robert, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Tübingen 1993 (11. Aufl., 1. Aufl. Bern 1948) D‚genais, John u. Rich Greer, Margaret, ›Decolonizing the Middle Ages: Introduction‹, in: The Journal of Medieval and Early Modern Studies (30; 2000), 431–448 Daim, Falko, ›Gedanken zum Ethnosbegriff‹, in: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien (112; 1982), 58–71 Davis, Ralph H. C., ›William of Tyre‹, in: Relations between East and West in the Middle Ages, hg. v. Derek Baker, Edinburgh 1973, 64–76 D¦dÀyan, G¦rard u. Rizik, Karam (Hgg.), Le Comt¦ de Tripoli: Êtat Multiculturel et Multiconfessionnel (1102–1289). Actes des Journ¦es d’Êtudes, Universit¦ Saint-Esprit, Kaslik, Liban, D¦cembre 2002, Paris 2010 Delle Donne, Fulvio, ›Le Iscrizioni de Mausoleo de Boemondo d’Altavilla a Canosa‹, in: Archivio Normanno-Svevo. Testi e Studi sul Mondo Euromediterraneo dei Secoli XI–XIII. III, hg. v. Centro Europeo di Studi Normanni, Ariano Irpino 2012, 7–18 Delogu, Paolo, ›La ›militia Christi‹ nelle Fonti Normanne dell’Italia Meridionale‹, in: ›Militia Christi‹ e Crociata nei Secoli XI–XIII. Atti della Undecima Settimana Internazionale di Studio Mendola, 28 agosto – 1 settembre 1989 (= Miscellanea del Centro di Studi Medioevali; 13), Mailand 1992, 145–165 Deusen, Nancy van, ›Laudes regiae: In Praise of Kings. Medieval Acclamations, Liturgy, and the Ritualization of Power‹, in: Procession, Performance, Liturgy, and Ritual: Essays in Honor of Bryan R. Gillingham, hg. v. Ders. (= Wissenschaftliche Abhandlungen / Institute of Medieval Music Ottawa, Canada; 62,8), Ottawa 2007, 83–118 Dickerhoff, Harald, ›Über die Staatsgründung des ersten Kreuzzuges‹, in: Historisches Jahrbuch (100; 1980), 95–130 Dinzelbacher, Peter, ›Diesseits der Metapher. Selbstkreuzigung und -stigmatisation als konkrete Kreuzesnachfolge‹, in: Revue Mabillon (NS 7; 1996), 157–181 Dinzelbacher, Peter, ›Kritische Bemerkungen zur Geschichte der religiösen Toleranz und zur Tradition der Lessing’schen Ringparabel‹, in: Numen (55; 2008), 1–26 Dotson, John E., › The Genoese Civic Annals: Caffaro and His Continuators‹, in: Chronicling History. Chroniclers and Historians in Medieval and Renaissance Italy, hg. v. Sharon Dale, Duane Jeffrey Osheim u. Alison Williams Lewin, University Park/PA 2007, 55–86 Douglas, David C., The Norman Achievement. 1050–1100, London 1969 Douglas, David C., The Norman Fate. 1100–1154, London 1976 Drijvers, Jan Willem, Helena Augusta. The Mother of Constantine the Great and the Legend of her Finding of the True Cross (= Brill’s Studies in Intellectual History ; 27), Leiden 1992 Duby, Georges, ›Dans la France du Nord-Ouest au XIIe SiÀcle: Les Jeunes dans la Soci¦t¦ Aristocratique‹, in: Annales (19; 1964), 835–864 Duncalf, Frederic, ›The First Crusade: Clermont to Constantinople‹, in: A History of the Crusades. Volume I. The First Hundred Years, hg. v. Kenneth M. Setton u. Marshall W. Baldwin, Madison 1969 253–279 Dupront, Alphonse, ›La Spiritualit¦ des Crois¦s et des PÀlerins d’aprÀs les Sources de la PremiÀre Croisade‹, in: Pellegrinaggi e Culto dei Santi in Europa fino alla Prima

370

Quellen- und Literaturverzeichnis

Crociata: 8–11 Ottobre 1961. Convegno di studio sul Tema Pellegrinaggi e Culto dei Santi in Europa fino alla Ia Crociata, hg. v. Centro di Studi sulla Spiritualit— Medievale (= Convegni di Centro di Studi sulla Spiritualit— Medievale; 4), Todi 1963, 449–483 Ebels-Hoving, Bunna, ›William of Tyre and his patria‹ in: Media Latinitas. A Collection of Essays to Mark the Occasion of the Retirement of L.J. Engels, hg. v. R.I.A. Nip, E.M.C. van Houts, C.H. Kneepkens u. G.A.A. Kortekaas (= Instrumenta Patristica; 28), Turnhout 1996, 211–216 Edbury, Peter W. u. Rowe, John Gordon, William of Tyre. Historian of the Latin East, Cambridge 1988 Edbury, Peter W., ›The Lyon Eracles and the Old French Continuations of William of Tyre‹, in: Montjoie: Studies in Crusade History in Honour of Hans Eberhard Mayer, hg. v. Benjamin Z. Kedar, Jonathan Simon Christopher Riley-Smith u. Rudolf Hiestand, Aldershot 1997, 139–153 Edgington, Susan B., ›Albert of Aachen and the Chansons de Geste‹, in: The Crusades and Their Sources: Essays Presented to Bernard Hamilton, hg. v. John France u. William G. Zajac, Aldershot 1998, 23–37 Edgington, Susan B., ›Albert of Aachen Reappraised‹, From Clermont to Jerusalem: The Crusades and Crusader Societies, 1095–1500, hg. v. Alan V. Murray, Turnhout 1998, 55–67 Edgington, Susan B., ›Antioch: Medieval City of Culture‹, in: East and West in the Medieval Eastern Mediterranean I. Antioch from the Byzantine Reconquest until the End of the Crusader Principality. Acta of the Congress held at Hernen Castle in May 2003, hg. v. Krijnie Ciggaar u. D. M. Metcalf (= Orientalia Lovaniensia Analecta; 147), Löwen 2006, 247–259 Edgington, Susan B., ›Introduction‹, in: Albert von Aachen, Historia Ierosolimitana. History of the Journey to Jerusalem, hg. u. übs. v. Ders., Oxford 2007, xxi–lx Edgington, Susan B. u. Sweetenham, Carol, ›Introduction‹, in: The Chanson d’Antioche. An Old French Account of the First Crusade, hg. u. übs. v. Susan B. Edgington u. Carol Sweetenham (= Crusade Texts in Translation; 22), Farnham 2011, 1–97 Edgington, Susan B. u. Nicholson, Helen J. (Hgg.), Deeds Done beyond the Sea. Essays on William of Tyre, Cyprus and the Military Orders presented to Peter Edbury (= Crusades/ Subsidia; 6), Aldershot 2014 Ellenblum, Ronnie, Frankish Rural Settlement in the Latin Kingdom of Jerusalem, Cambridge 1998 Ellenblum, Ronnie, Crusader Castles and Modern Histories, Cambridge 2007 Elm, Kaspar, ›Kanoniker und Ritter vom Heiligen Grab. Ein Beitrag zur Entstehung und Frühgeschichte der palästinensischen Ritterorden‹, in: Die geistlichen Ritterorden Europas, hg. v. Josef Fleckenstein u. Manfred Hellmann (= Vorträge und Forschungen; 26), Sigmaringen 1980, 141–169 Elm, Kaspar, ›O beatas idus ac prae ceteris gloriosas! Die Eroberung Jerusalems 1099 und der Erste Kreuzzug in der Geschichtsschreibung Raouls von Caen‹, in: Es hat sich viel ereignet, Gutes wie Böses: Lateinische Geschichtsschreibung der Spät- und Nachantike, hg. v. Jens Holzhausen u. Gabriele Thome, München 2001, 152–178 Elm, Kaspar, ›Die Eroberung Jerusalems im Jahre 1099. Ihre Darstellung, Beurteilung und Deutung in den Quellen zur Geschichte des Ersten Kreuzzuges‹, in: Jerusalem im Hochund Spätmittelalter. Konflikte und Konfliktbewältigung – Vorstellungen und Verge-

Forschungsliteratur

371

genwärtigungen, hg. v. Dieter Bauer, Klaus Herbers u. Nikolas Jaspert (= Campus Historische Studien; 29), Frankfurt am Main 2002, 31–54 Emil, Wilhelm, ›Ethnogonie und Ethnogenese. Theoretisch-ethnologische und ideologiekritische Studie‹, in: Studien zur Ethnogenese (= Abhandlungen der RheinischWestfälischen Akademie der Wissenschaften; 72), Opladen 1985, 9–27 Epp, Verena, ›Die Entstehung eines »Nationalbewußtseins« in den Kreuzfahrerstaaten‹, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters (45; 1989), 596–604 Epp, Verena, Fulcher von Chartres. Studien zur Geschichtsschreibung des ersten Kreuzzuges (= Studia Humaniora; 15), Düsseldorf 1990 Epp, Verena, ›Miles und militia bei Fulcher von Chartres und seinen Bearbeitern‹, in: Militia Christi e Crociata nei Secoli XI–XIII. Atti della Undecima Internazionale di Studio Mendola, 28 Agosto – 1 Settembre 1989, (= Miscellanea del Centro di Studi Medioevali; 13), Mailand 1992, 769–784 Epstein, Ann Wharton, ›The Date and Significance of the Cathedral of Canosa in Apulia, South Italy‹, in: Dumbarton Oaks Papers (37; 1983), 79–90 Erdmann, Carl, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens (= Forschungen zur Kirchenund Geistesgeschichte; 6), Stuttgart 1935 Fassler, Margot E., The Virgin of Chartres. Making History through Liturgy and the Arts, New Haven 2010 Favreau, Marie-Luise, Rezension zu: Rainer Christoph Schwinges, Kreuzzugsideologie und Toleranz. Studien zu Wilhelm von Tyrus (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters; 15), Stuttgart 1977, in: Historische Zeitschrift (228; 1979), 686–688 Ferrier, Luc, ›La Couronne Refus¦e de Godefroy de Bouillon: Eschatologie et Humiliation de la Majest¦ aux Premiers Temps du Royaume Latin de J¦rusalem‹, in: Le Concile de Clermont de 1095 et l’Appel — la Croisade, Rom 1997, 245–265 Flori, Jean, Pierre l’Ermite et la PremiÀre Croisade, Paris 1999 Flori, Jean, Boh¦mond d’Antioche. Chevalier d’Aventure, Paris 2007 Flori, Jean, ›De l’Anonyme Normand — Tudebode et aux Gesta Francorum. L’Impact de la Propagande de Boh¦mond sur la Critique Textuelle des Sources de la PremiÀre Croisade‹, in: Revue d’Histoire Eccl¦siastique (102; 2007), 717–746 Flori, Jean, Chroniqueurs et Propagandistes. Introduction Critique aux Sources de la PremiÀre Croisade (= Hautes Êtudes M¦di¦vales et Modernes; 98), Genf 2010 Folda, Jaroslav, ›Crusader Art in the Twelfth Century : Reflections on Christian Multiculturalism in the Levant‹, in: Intercultural Contacts in the Medieval Mediterranean: Studies in Honour of David Jacoby, hg. v. Binya¯min Arbel, London 1996, 80–91 Folda, Jaroslav, ›Commemorating the Fall of Jerusalem. Remembering the First Crusade in Text, Liturgy, and Image‹, in: Remembering the Crusades. Myth, Image, and Identity, hg. v. Nicholas Paul u. Suzanne Yeager, Baltimore 2012, 125–145 Forse, James H., ›Armenians and the First Crusade‹, in: Journal of Medieval History (17; 1991), 13–22 France, John, ›An Unknown Account of the Capture of Jerusalem‹, in: The English Historical Review (87; 1972), 771–783 France, John, ›The Election and Title of Godfrey de Bouillon‹, in: Canadian Journal of History/Annales Canadiennes d’Histoire (18; 1983), 321–330 France, John, Victory in the East. A Military History of the First Crusade, Cambridge 1994 France, John, ›The Anonymous Gesta Francorum and the Historia Francorum qui ceperunt

372

Quellen- und Literaturverzeichnis

Iherusalem of Raymond of Aguilers and the Historia de Hierosolymitano Itinere of Peter Tudebode: An Analysis of the Textual Relationship between Primary Sources of the First Crusade‹, in: The Crusades and their Sources. Essays presented to Bernard Hamilton, hg. v. Dems. u. W. G. Zajac, Aldershot 1998, 39–69 France, John, ›The Use of the Anonymous Gesta Francorum in the Early Twelfth-Century Sources for the First Crusade‹, in: From Clermont to Jerusalem: The Crusades and Crusader Societies, 1095–1500, hg. v. Alan V. Murray, Turnhout 1998, 29–42 France, John, ›The Normans and Crusading‹, in: The Normans and their Adversaries at War. Essays in Memory of C. Warren Hollister hg. v. Richard P. Abels u. Bernard S. Bachrach, Woodbridge 2001, 87–101 Frankopan, Peter, The First Crusade. The Call from the East, London 2012 Frolow, Anatole, La Relique de la Vraie Croix. Recherche sur le D¦velopment d’un Culte (= Archives de l’Orient Chr¦tien; 7), Paris 1961 Fuchs, Karin, Zeichen und Wunder bei Guibert de Nogent (= Pariser Historische Studien; 84), Paris 2008 Fuller, Thomas, The Historie of the Holy Warre, Cambridge 1639 Funk, Philipp, Jakob von Vitry : Leben und Werke (= Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance; 3), Leipzig 1909 Gadolin, Anitra R., ›Prince Bohemond’s Death and Apotheosis in the Church of San Sabino, Canosa di Puglia‹, in: Byzantion (52; 1982), 124–153 Gamber, Klaus, ›Conversi ad Dominum. Die Hinwendung von Priester und Volk nach Osten bei Messfeier in 4. und 5. Jahrhundert‹, in: Römische Quartalschrift für Christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte (67; 1972), 49–64 Ganshof, F. L., ›Recherche sur le Lien Juridique qui unissait les Chefs de la PremiÀre Croisade — l’Empereur Byzantin‹, in: M¦langes Offerts — M. Paul-E. Martin, Genf 1961, 49–63 Garland, David E., ›The Composition and Unity of Philippians: Some Neglected Literary Factors‹, in: Novum Testamentum. An International Quarterly for New Testament and Related Studies (27; 1985), 141–173 Geary, Patrick J., Furta Sacra. Thefts of Relics in the Central Middle Ages, Princeton 1990 (überarb. Aufl, 1. Aufl. 1978) Geertz, Clifford, ›The Integrative Revolution: Primordial Sentiments and Civil Politics in the New States‹, in: The Interpretation of Cultures. Selected Essays, hg. v. Dems., London 1973, 255–310 Geertz, Sunjee Kim, ›Metarhetorical Texturing in Medieval Prologues‹, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte (64; 1990), 591–603 Gellner, Ernst, Nations and Nationalism, Oxford 1983 Gennep, Arnold van, Les Rites de Passage, Paris 1909 Gerhards, Albert, ›Te Deum laudamus – Die Marseillaise der Kirche?‹, in: Liturgisches Jahrbuch (40; 1990), 65–77 Gerish, Deborah, ›The True Cross and the Kings of Jerusalem‹, in: The Haskins Society Journal. Studies in Medieval History (8; 1996), 137–155 Gerish, Deborah, ›Remembering Kings in Jerusalem: The Historia Nicaena vel Antiochena and Royal Identity around the Time of the Second Crusade‹, in Vorbereitung

Forschungsliteratur

373

Giese, Wolfgang, ›Stadt- und Herrscherbeschreibungen bei Wilhelm von Tyrus‹, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters (34; 1978), 381–409 Giese, Wolfgang, ›Untersuchungen zur Historia Hierosolymitana des Fulcher von Chartres‹, in: Archiv für Kulturgeschichte (69; 1987), 62–115 Gillett, Andrew (Hg.), On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, Turnhout 2002 Gillett, Andrew, ›Introduction: Ethnicity, History and Methodology‹, in: On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, hg. v. Dems., Turnhout 2002, 1–18 Gillingham, John, Richard the Lionheart, London 1978 Glaesener, Henri, ›Raoul de Caen. Historien et Êcrivain‹, in: Revue d’Histoire Eccl¦siastique (46; 1951), 5–21 Ginzel, Friedrich Karl, ›Astronomische Untersuchungen über Finsternisse. Grundlagen aus historischen Sonnenfinsternissen zur Ableitung empirischer Correctionen der Mondbahn‹, in: Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Mathematisch-Naturwissenschaftliche Classe (88; 1883), 629–755 Gnilka, Christian, Aetas spiritalis. Die Überwindung der natürlichen Altersstufen als Ideal frühchristlichen Lebens (= Theophaneia; 24), Bonn 1972 Goetz, Hans-Werner, Das Geschichtsbild Ottos von Freising. Ein Beitrag zur historischen Vorstellungswelt und zur Geschichte des 12. Jahrhunderts (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte; 19), Köln 1984 Goetz, Hans-Werner, Die Wahrnehmung anderer Religionen und christlich-abendländisches Selbstverständnis im frühen und hohen Mittelalter (5.–12. Jahrhundert), Berlin 2013 Goffart, Walter, The Narrators of Barbarian History (A.D. 550–800). Jordanes, Gregory of Tours, Bede and Paul the Deacon, Princeton 1988 Grousset, Ren¦, Histoire des Croisades et du Royaume Franc de J¦rusalem. I. L’Anarchie Musulmane et la Monarchie Franque, Paris 1934 Gruentner, Rainer, Studien zu einem topischen Naturbild (locus amoenus) in der deutschen Dichtung des Mittelalters, Berlin 1956 Gurewitsch, J., ›Zur Kritik der Geschichtsschreiber des ersten Kreuzzugs‹, in: Forschungen zur deutschen Geschichte (14; 1874), 155–174 Hagenmeyer, Heinrich, ›Einleitung‹, in: Anonymus, Anonymi Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanorum, hg. v. Dems., Heidelberg 1890, 1–98 Hagenmeyer, Heinrich, ›Einleitung‹, in: Walter der Kanzler, Bella Antiochena, hg. v. Dems., Heinrich, Innsbruck 1896, 1–57 Hagenmeyer, Heinrich, Chronologie de la PremiÀre Croisade (1094–1100), Paris 1902 Hagenmeyer, Heinrich, ›Einleitung‹, in: Fulcher von Chartres, Historia Hierosolymitana, hg. v. Dems., Heidelberg 1913, 1–112 Halm, Heinz, ›Die Fatimiden‹, in: Geschichte der arabischen Welt, hg. v. Dems., München 2004 (4. Aufl., 1. Aufl. 1987), 166–199 Hamilton, Bernard, The Latin Church in the Crusader States. The Secular Church, London 1980 Hamilton, Bernard, ›Ralph of Domfront, Patriarch of Antioch (1135–1140)‹, in: Nottingham Medieval Studies (28; 1984), 1–21 Hamilton, Bernard, ›The Old French William of Tyre as an Historical Source‹, in: The

374

Quellen- und Literaturverzeichnis

Experience of Crusading. Volume Two. Defining the Crusader Kingdom, hg. v. Peter Edbury u. Jonathan Phillips, Cambridge 2003, 93–112 Hamilton, Bernard, ›William of Tyre and the Byzantine Empire‹, in: Porphyrogenita: Essays on the History and Literature of Byzantium and the Latin East in Honour of Julian Chrysostomides hg. v. Charalambos Dendrinos, Aldershot 2003, 219–234 Hamilton, Bernard, ›God Wills It: Signs of Divine Approval in the Crusade‹, in: Signs, Wonders, Miracles: Representations of Divine Power in the Life of the Church, hg. v. Kate Cooper u. Jeremy Gregory, Woodbridge 2005, 88–98 Hamilton, Bernard, ›The Growth of the Latin Church of Antioch and the Recruitment of its Clergy‹, in: East and West in the Medieval Eastern Mediterranean I. Antioch from the Byzantine Reconquest until the End of the Crusader Principality. Acta of the Congress held at Hernen Castle in May 2003, hg. v. Krijnie Ciggaar u. D. M. Metcalf (= Orientalia Lovaniensia Analecta; 147), Löwen 2006, 171–183 Hansen, Joseph, Das Problem eines Kirchenstaates in Jerusalem. Ein Beitrag zur Kreuzzugsgeschichte, Luxemburg 1928 Harris, Jonathan, Byzantium and the Crusades, London 2003 Haskins, Charles Homer, The Normans in European History, London 1916 Hauck, Karl, ›Von einer spätantiken Randkultur zum karolingischen Europa‹, in: Frühmittelalterliche Studien (1; 1967), 3–93 Heid, Stefan, ›Die frühkirchliche Beurteilung der Häretiker als »Feindes des Kreuzes«‹, in: Hairesis. Festschrift für Karl Hoheisel zum 65. Geburtstag, hg. v. Manfred Hutter, Wassilios Klein u. a., Münster 2002, 107–139. Herter, Hans, Kleine Schriften, hg. v. Ernst Vogt, München 1975 Hiestand, Rudolf, Die päpstlichen Legaten auf den Kreuzzügen und in den Kreuzfahrerstaaten : vom Konzil von Clermont (1095) bis zum vierten Kreuzzug, Kiel 1972 Hiestand, Rudolf, ›Zum Leben und zur Laufbahn Wilhelms von Tyrus‹, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters (34; 1978), 345–380 Hiestand, Rudolf, ›Nam qui fuimus Occidentales, nunc facti sumus Orientales. Siedlung und Siedleridentität in den Kreuzfahrerstaaten‹, in: Siedler-Identität. Neun Fallstudien von der Antike bis zur Gegenwart, hg. v. Christof Dipper u. Rudolf Hiestand, Frankfurt am Main 1995, 61–80 Hill, Rosalind, ›Introduction‹, in: Anonymus, Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanorum, hg. u. übs. v. Ders., London 1962, x–xlv, x–xvi Hill, John Hugh u. Hill, Laurita L., ›Introduction‹, in: Raimund von Aguilers, Le »Liber« de Raymond d’Aguilers, hg. v. John Hugh Hill u. Laurita L. Hill, unter Mitarb. v. Philippe Wolff (= Documents Relatifs a l’Histoire des Croisades; 9), Paris 1969, 9–30 Hill, John Hugh u. Hill, Laurita L., ›Introduction‹, in: Petrus Tudebodus, Historia de Hierosolymitano Itinere, hg. u. übs. v. John Hugh Hill u. Laurita L. Hill, Philadelphia 1974, 1–12 Hill, Joyce, Wilkinson, John u. Ryan, William Francis (Hgg.), Jerusalem Pilgrimage. 1099–1185, Farnham 1988 Hillenbrand, Carole, The Crusades. Islamic Perspectives, Edinburgh 1999 Hobsbawm, Eric u. Ranger, Terence (Hgg.), The Invention of Tradition, Cambridge 1983 Hoch, Martin, Jerusalem, Damaskus und der Zweite Kreuzzug: Konstitutionelle Krise und äußere Sicherheit des Kreuzfahrerkönigreiches Jerusalem, A.D. 1126–1154 (= Euro-

Forschungsliteratur

375

päische Hochschulschriften. Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften; 560), Frankfurt am Main 1993 Hodgson, Natasha, ›The Role of Kerbogha’s Mother in the Gesta Francorum and Selected Chronicles of the First Crusade‹, in: Gendering the Crusades, hg. v. Susan B. Edgington u. Sarah Lambert, Cardiff 2001, 163–176 Hodgson, Natasha, ›Rreinventing Normans as Crusaders? Ralph of Caen’s Gesta Tancredi‹, in: Anglo Norman Studies XXX. Proceedings of the Battle Conference, hg. v. C. P. Lewis, Woodbridge 2007, 118–132 Holbert, Kelly M., ›Relics and Reliquaries of the True Cross‹, in: Art and Architecture of Late Medieval Pilgrimage in Northern Europe and the British Isles, hg. v. Sarah Blick u. Rita Tekippe, Leiden 2005, 337–363 Housley, Norman, Contesting the Crusades, Malden/MA 2006 Huntington, Samuel P., The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order, London 1997 Huygens, Robert Burchard Constantyn, ›Guillaume de Tyr Êtudiant. Un Chapitre (XIX, 12) de son Histoire Retrouv¦‹, in: Latomus (21; 1962), 811–829 Huygens, Robert Burchard Constantyn, ›Editing William of Tyre‹, in: Sacris Erudiri (27; 1984), 461–473 Huygens, Robert Burchard Constantyn, ›Introduction‹, in: Wilhelm von Tyrus, Willelmi Tyrensis Archiepiscopi Chronicon, hg. v. Dems. (= Corpus Christianorum Contionuatio Mediaevalis; 63/63 A), Turnhout 1986, 1–95 Hylland Eriksen, Thomas, Ethnicity and Nationalism. Anthropological Perspectives, London 2002 (2. Aufl., 1. Aufl. 1993) Irwin, Robert, ›Orientalism and the Early Development of Crusader Studies‹, in: The Experience of Crusading. Volume Two. Defining the Crusader Kingdom, hg. v. Peter Edbury u. Jonathan Phillips, Cambridge 2003, 214–230 Issa, Mireille, La Version Latine et l’Adaption FranÅaise de L’Historia rerum in partibus transmarinis gestarum (= The Medieval Translator/Traduire au Moyen ffge; 13), Turnhout 2010 Jaffe, Samuel, ›Gottfried von Straßburg and the Rhetoric of History‹, in: Medieval Eloquence: Studies in the Theory and Practice of Medieval Rhetoric, hg. v. James J. Murphy, Berkeley 1978, 288–318 Jamison, Evelyn, ›Some Notes on the Anonymi Gesta Francorum, with Special Reference to the Norman Contingent from South Italy and Sicily in the First Crusade‹, in: Studies in French Language and Medieval Literature. Presented to Professor Mildred K. Pope, Manchester 1939, 183–208 Janson, Tore, Latin Prose Prefaces. Studies in Literary Conventions (= Acta Universitatis Stockholmiensis. Studia Latina Stockholmiensia; 13), Stockholm 1964 Jaspert, Nikolas, ›Vergegenwärtigungen Jerusalems in Architektur und Reliquienkult‹, in: Jerusalem im Hoch- und Spätmittelalter. Konflikte und Konfliktbewältigung – Vorstellungen und Vergegenwärtigungen, hg. v. Klaus Herbers, Dieter R. Bauer u. Nikolas Jaspert, 2001, 219–270 Jaspert, Nikolas, ›Das Heilige Grab, das Wahre Kreuz, Jerusalem und das Heilige Land. Wirkung, Wandel und Vermittler hochmittelalterlicher Attraktoren‹, in: Konflikt und Bewältigung. Die Zerstörung der Grabeskirche zu Jerusalem im Jahre 1009, hg. v. Thomas Pratsch, Berlin 2011, 67–95

376

Quellen- und Literaturverzeichnis

Jenal, Anton, ›Der Kampf um Durazzo 1107–1108 mit dem Gedicht des Tortarius‹, in: Historisches Jahrbuch (37; 1916), 285–352 Jotischky, Andrew, ›Ethnographic Attitudes in the Crusader States. The Franks and the Indigenous Orthodox People‹, in: East and West in the Crusader States. Context – Contacts – Confrontations III. Acts of the Congress held at Hernen Castle in September 2000, hg. v. Krijnie Ciggaar u. Herman Teule (= Orientalia Lovaniensia Analecta; 125), Löwen 2003, 2–19 Jotischky, Andrew, ›Holy Fire and Holy Sepulchre: Ritual and Space in Jerusalem from the ninth to the fourteenth Century‹, in: Ritual and Space in the Middle Ages: Proceedings of the 2009 Harlaxton Symposium, hg. v. Frances # (= Harlaxton Medieval Studies; 21), Donington 2011, 44–60 Juliis, Ettore M. de, Gli iapigi. Storia e civilt— della Puglia preromana, (= Archeologia; 8), Mailand 1988 Kahl, Hans-Dietrich, ›Compellere intrare. Die Wendenpolitik Bruns von Querfurt im Lichte hochmittelalterlichen Missions- und Völkerrechts‹, in: Zeitschrift für Ostforschung (4; 1955), 161–193 u. 360–401 Kantorowicz, Ernst H., ›The King’s Advent and the Enigmatic Panels in the Doors of Santa Sabina‹, in: The Art Bulletin (26; 1944), 207–231 Kantorowicz, Ernst H., Laudes regiae. A Study in Liturgical Acclamations and Mediaeval Ruler Worship (= University of California Publications in History ; 33), Berkeley 1946 Kasper, Walter, Baumgartner, Konrad, Bürkle, Horst, Ganzer, Klaus, Kertelge, Karl, Korff, Wilhelm u. Walter, Peter (Hgg.), Lexikon für Theologie und Kirche, hg. v., 11 Bde., Freiburg im Breisgau 2006 (durchges. Ausg. der 3. Aufl. 1993–2001; 1. Aufl. 1930–1938) Kedar, Benjamin Z., ›The Subjected Muslims of the Frankish Levant‹, in: Muslims under Latin Rule, 1100–1300, hg. v. James M. Powell, Princeton 1990, 135–174 Kellas, James G., The Politics of Nationalism and Ethnicity, Basingstoke 1998 (2. Aufl., 1. Aufl. 1991) Kindlimann, Sibyll, Die Eroberung von Konstantinopel als politische Forderung des Westens im Hochmittelalter. Studien zur Entwicklung der Idee eines lateinischen Kaiserreichs in Byzanz, Zürich 1969 Kirstein, Klaus-Peter, Die lateinischen Patriarchen von Jerusalem. Von der Eroberung der Heiligen Stadt durch die Kreuzfahrer 1099 bis zum Ende der Kreuzfahrerstaaten 1291 (= Berliner historische Studien; 35), Berlin 2002 Klein, Clemens, Raimund von Aguilers: Quellenstudie zur Geschichte des ersten Kreuzzuges, Berlin 1892 Kletler, Paul, ›Die Gestaltung des geographischen Weltbildes unter dem Einfluß der Kreuzzüge‹, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (70; 1962), 294–322 Knoch, Peter, Studien zu Albert von Aachen. Der erste Kreuzzug in der deutschen Chronistik (= Stuttgarter Beiträge zur Geschichte und Politik; 1), Stuttgart 1966 Koch, Manuel, Ethnische Identität im Entstehungsprozess des spanischen Westgotenreiches, Berlin 2012 Koester, Helmut, ›The Purpose of the Polemic of a Pauline Fragment (Philippians III)‹, in: New Testament Studies (8; 1962), 317–332 Krause, Karin, ›Konstantins Kreuze. Legendenbildung und Artefakte im Mittelalter‹, in: Hybride Kulturen im mittelalterlichen Europa. Vorträge und Workshops einer inter-

Forschungsliteratur

377

nationalen Frühlingsschule/Hybrid Cultures in Medieval Europe. Papers and Workshops of an International Spring School, hg. v. Michael Borgolte u. Bernd Schneidmüller (= Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik; 16), Berlin 2010, 171–193 Krey, August C., ›William of Tyre: The Making of an Historian in the Middle Ages‹, in: Speculum (16; 1941), 149–166 Krey, August C., ›Urban’s Crusade. Success or Failure?‹, in: American Historical Review (53; 1948), 235–250 Krop‚cˇek, Lubosˇ, ›Les Ifrandj dans les Sources Arabes‹, in: Clovis. Histoire & Memoire. Le BaptÞme de Clovis, son Êcho — Travers l’Histoire, hg. v. Michel Rouche, Paris 1997, 461–472 Krüger, Jürgen, Die Grabeskirche zu Jerusalem. Geschichte – Gestalt – Bedeutung, Regensburg 2000 Krüger, Jürgen, ›Das Ziel der Kreuzzüge: Die Grabeskirche‹, in: Saladin und die Kreuzfahrer. Begleitband zur Sonderausstellung »Saladin und die Kreuzfahrer« im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale), im Landesmuseum für Natur und Mensch Oldenburg und in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, hg. v. Alfried Wieczorek, Mamoun Fansa u. Harald Meller (= Publikationen der Reiss-Engelhorn-Museen; 17/ Schriftenreihe des Landesmuseums für Natur und Mensch, Oldenburg; 37), Mainz 2005, 31–36 Kühn, Fritz, Geschichte der ersten lateinischen Patriarchen von Jerusalem, Leipzig 1886 Kümper, Hiram, ›Bartolf of Nangis‹, in: Encyclopedia of the Medieval Chronicle, hg. v. Raymond Graeme Dunphy, http://referenceworks.brillonline.com/entries/encyclope dia-of-the-medieval-chronicle/bartolf-of-nangis-SIM_00277, Turnhout, eingesehen am 19. Februar 2013 Kugler, Bernhard, Albert von Aachen, Stuttgart 1885 Ladner, Gerhart B., Handbuch der frühchristlichen Symbolik. Gott – Kosmos – Mensch, Wiesbaden 1996 La Monte, John L., ›Some Problems in Crusading Historiography‹, in: Speculum (15; 1940), 57–75 Lampen, Angelika u. Johanek, Peter, ›Adventus. Studien zum herrscherlichen Einzug in die Stadt. Zur Einführung‹, in: Adventus. Studien zum herrscherlichen Einzug in die Stadt, hg. v. Angelika Lampen u. Peter Johanek (= Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster. Reihe A: Darstellungen; 75), Köln 2009, vii–xvi Latowsky, Anne, ›Foreign Embassies and Roman Universality in Einhard’s Life of Charlemagne‹, in: Florilegium (22; 2005), 25–57 Leeb, Rudolf, Konstantin und Christus. Die Verchristlichung der imperialen Repräsentation unter Konstantin dem Großen als Spiegel seiner Kirchenpolitik und seines Selbstverständnisses als christlicher Kaiser (= Arbeiten zur Kirchengeschichte; 58), Berlin 1992 Legendre, Pierre, ›Id efficit, quod figurat (It is the Symbol which produces Effects): The Social Constitution of Speech and the Development of the Normative Role of Images‹, übs. v. Peter Goodrich, in: Legal Studies Forum (20; 1996), 247–264 Le Goff, Jacques u. Truong, Nicolas, Die Geschichte des Körpers im Mittelalter, a. d. Franz. übs. v. Renate Warttmann, Stuttgart 2007 (Originalausgabe Paris 2003) Lehtonen, Tuomas M. S., ›By the Help of God, because of our Sins, and by Chance. William

378

Quellen- und Literaturverzeichnis

of Tyre explains the Crusades‹, in: Medieval History Writing and Crusading Ideology, hg. v. Dems. u. Kurt Villads Jensen (= Studia Fennica. Historica; 9), Helsinki 2005, 71–84 Le HuÚrou, Armelle, ›Baudri de Bourgueil et la Normandie: la Contribution Stratifi¦e d’un ArchevÞque de Dol au Prestige de Grands Êtablissements Monastiques Normands (Mont-Saint-Michel, JumiÀges, F¦camp)‹, in: Bretons et Normands au Moyen ffge: Rivalit¦s, Malentendus, Convergences; Colloque International de Cerisy-la-Salle; 5–9 Octobre 2005, hg. v. JoÚlle Quaghebeur u. Bernard Merdrignac, Rennes 2008, 201–214 Leoni, Bruno, La Croce e il suo Segno: Venerazione del Segno e Culto della Reliquia nell’Antichit— Cristiana, Verona 1968 Leoussi, Athena S. u. Grosby, Steven (Hgg.), Nationalism and Ethnosymbolism. History, Culture and Ethnicity in the Formation of Nations, Edinburgh 2007 Ligato, Giuseppe, ›The Political Meanings of the Relic of the Holy Cross among the Crusaders and in the Latin Kingdom of Jerusalem: an Example of 1185‹, in: Autour de la PremiÀre Croisade: Actes du Colloque de la Society for the Study of the Crusades and the Latin East (Clermont-Ferrand, 22–25 juin 1995), hg. v. Michel Balard (= Byzantina Sorbonensia; 14), Paris 1996, 315–332 Lilie, Ralph-Johannes, Byzanz und die Kreuzzüge, Stuttgart 2004 Lilie, Ralph-Johannes, Einführung in die byzantinische Geschichte, Stuttgart 2007 Linder, Amnon, ›A New Day, New Joy : The Liberation of Jerusalem on 15 July 1099‹, in: L’Idea di Gerusalemme nella Spiritualit— Cristiana del Medioevo. Atti del Convegno Internazionale in Collaborazione con l’Istituto della Görres-Gesellschaft di Gerusalemme; Gerusalemme, Notre Dame of Jerusalem Center, 31 Agosto – 6 Settembre 1999, hg. v. Walter Brandmüller (= Atti e Documenti. Pontificio Comitato di Scienze Storiche; 12), Vatikanstadt 2003, 46–64 Linder, Amnon, ›Like Purest Gold Resplendent: The Fiftieth Anniversary of the Liberation of Jerusalem‹, in: Crusades (8; 2009), 31–51 Liverani, Paolo, ›Dal Trionfo Pagano all’Adventus Cristiano: Percorsi della Roma Imperiale‹, in: Anales de Arqueolog†a Cordobesa (18; 2007), 385–400 Luchitskaia, Svetlana, ›L’Individu parmi les Autres: Les Contacts Culturels Chr¦tiensMusulmans. Le Cas du Royaume Latin de J¦rusalem‹, in: Das Individuum und die Seinen: Individualität in der okzidentalen und in der russischen Kultur in Mittelalter und früher Neuzeit, hg. v. Yuri L. Bessmertny u. Otto Gerhard Oexle (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; 163), Göttingen 2001, 77–92 Luchitskaya, Svetlana, ›Christian-Muslim Perceptions in the Epoch of the Crusades (Narrative and Visual Sources)‹, in: Hybride Kulturen im mittelalterlichen Europa. Vorträge und Workshops einer internationalen Frühlingsschule/Hybrid Cultures in Medieval Europe. Papers and Workshops of an International Spring School, hg. v. Michael Borgolte u. Bernd Schneidmüller (= Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik; 16), Berlin 2010, 79–88 Lugge, Margret, »Gallia« und »Francia« im Mittelalter. Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen geographisch-historischer Terminologie und politischem Denken vom 6.–15. Jahrhundert (= Bonner Historische Forschungen; 15), Bonn 1960 Lutz, Eckart Conrad, Schreiben, Bildung und Gespräch. Mediale Absichten bei Baudri de Bourgueil, Gervasius von Tilbury und Ulrich von Liechtenstein (= Scrinium Friburgense; 31), Berlin 2013

Forschungsliteratur

379

MacEvitt, Christopher, The Crusades and the Christian World of the East. Rough Tolerance, Philadelphia 2008 Madden, Thomas F., ›Outside and inside the Fourth Crusade‹, in: International History Review (17; 1995), 726–743 Madelin, Louis, ›La Syrie Franque‹, in: Revue des deux Mondes (87; 1917), 314–358 Madelin, Louis, L’Expansion FranÅaise. De la Syrie au Rhin, Paris 1918 Maimbourg, Louis, Histoire des Croisades pour la Delivrance de la Terre Sainte, Paris 1675 Markowski, Michael, ›Crucesignatus: Its Origin and Early Usage‹, in: Journal of Medieval History (10; 1984), 157–165 Marquardt, Georg, Die Historia Hierosolymitana des Robertus Monachus: Ein quellenkritischer Beitrag zur Geschichte des ersten Kreuzzugs, Königsberg 1892 Matzke, Michael, Daibert von Pisa. Zwischen Pisa, Papst und erstem Kreuzzug (= Vorträge und Forschungen; Sonderband 44), Sigmaringen 1998 Mayer, Hans Eberhard, Geschichte der Kreuzzüge, Stuttgart 2005 (10. Aufl., 1. Aufl. 1965) Mayer, Hans Eberhard, ›Das Pontifikale von Tyrus und die Krönung der Lateinischen Könige von Jerusalem: Zugleich ein Beitrag zur Forschung über Herrschaftszeichen und Staatssymbolik‹, in: Dumbarton Oaks Papers (21; 1967), 141–232 Mayer, Hans Eberhard, Bistümer, Klöster und Stifte im Königreich Jerusalem (= Monumenta Germaniae Historica Schriften; 26), Stuttgart 1977 Mayer, Hans Eberhard, Rezension zu: Rainer Christoph Schwinges, Kreuzzugsideologie und Toleranz. Studien zu Wilhelm von Tyrus (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters; 15), Stuttgart 1977, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters (34; 1978), 255–257 Mayer, Hans Eberhard, ›J¦rusalem et Antioche au Temps de Baudouin II‹, in: ComptesRendus des S¦ances de l’Ann¦e – Acad¦mie des Inscriptions et Belles-Lettres (124; 1980), 717–734 Mayer, Hans Eberhard, ›America and the Crusades‹, in: Proceedings of the American Philosophical Society (125; 1981), 38–45 Mayer, Hans Eberhard, ›Guillaume de Tyr — l’Êcole‹, in: M¦moires de l’Acad¦mie des Sciences (127; 1985), 257–265 Mayer, Hans Eberhard, Varia Antiochena. Studien zum Kreuzfahrerfürstentum Antiochia im 12. und frühen 13. Jahrhundert (= Monumenta Germaniae Historica. Studien und Texte; 6), Hannover 1993 Mayer, Hans Eberhard, Herrschaft und Verwaltung im Kreuzfahrerkönigreich Jerusalem (= Schriften des Historischen Kollegs: Vorträge; 43), München 1996 Mayer, Hans Eberhard, Die Kanzlei der lateinischen Könige von Jerusalem (= Monumenta Germaniae Historica Schriften; 40), 2 Bde., Hannover 1996 Mayr, Ernst, ›When is History Whiggish?‹, in: Journal of the History of Ideas (51; 1990), 301–309 McGinn, Bernard, ›Iter Sancti Sepulchri: The Piety of the First Crusaders‹, in: Essays in Medieval Civilization, hg v. Bede K. Lackner u. Kenneth R. Philip, Austin 1978, 33–72 McQueen, William B., ›Relations between the Normans and Byzantium 1071–1112‹, in: Byzantion (56; 1986), 427–476 Metcalf, David Michael, Coinage of the Crusades and the Latin East in the Ashmolean Museum Oxford (= Royal Numismatic Society Special Publications; 28), Oxford 1995 (2. Aufl., 1. Aufl. London 1983)

380

Quellen- und Literaturverzeichnis

Möhring, Hannes, ›Heiliger Krieg und politische Pragmatik: Salahadinus Tyrannus‹, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters (39; 1983), 417–466 Moeller, Charles, ›Godefroid de Bouillon et l’Avouerie du Saint-S¦pulcre‹, in: M¦langes Godefroid Kurth: Recueil de M¦moires Relatifs — l’Histoire, — la Philologie et — l’Arch¦ologie, 2 Bde., Lüttich 1908 Möhring, Hannes, ›Zu der Geschichte der orientalischen Herrscher des Wilhelm von Tyrus: Die Frage der Quellenabhängigkeiten‹, in: Mittellateinisches Jahrbuch (19; 1984), 170–183 Moore, G. F., ›The Vulgate Chapters and Numbered Verses in the Hebrew Bible‹, in: Journal of Biblical Literature (12; 1893), 73–78 Morgan, Margaret Ruth, The Chronicle of Ernoul and the Continuations of William of Tyre, London 1973 Morris, Colin, ›Policy and Visions: The Case of the Holy Lance at Antioch‹, in: War and Government in the Middle Ages, hg. v. John Gillingham u. J. C. Holt, Cambridge 1984, 33–45 Morris, Colin, ›The Gesta Francorum as Narrative History‹, in: Reading Medieval Studies (19; 1993), 55–71 Mühlmann, Wilhelm Emil, Methodik der Völkerkunde, Stuttgart 1938 Mulinder, Alec, ›Albert of Aachen and the Crusade of 1101‹, From Clermont to Jerusalem: The Crusades and Crusader Societies, 1095–1500, hg. v. Alan V. Murray, Turnhout 1998, 69–77 Munro, Dana Carleton, ›The Speech of Pope Urban II at Clermont, 1095‹, in: The American Historical Review (11; 1906), 231–242 Munro, Dana Carleton, ›A Crusader‹, in: Speculum (7; 1932), 321–335 Murray, Alan V., ›Questions of Nationality in the First Crusade‹, in: Medieval History (1; 1991), 61–73 Murray, Alan V., ›The Army of Godfrey of Bouillon, 1096–1099: Structure and Dynamics of a Contingent on the First Crusade‹, in: Revue Belge de Philologie et d’Histoire (70; 1992), 301–329 Murray, Alan V., ›Ethnic Identity in the Crusader States: The Frankish Race and the Settlement of Outremer‹, in: Concepts of National Identity in the Middle Ages, hg. v. Simon Forde, Lesley Johnson u. Alan V. Murray (= Leeds Texts and Monographs. New Series; 14), Leeds 1995, 59–73 Murray, Alan V., ›How Norman was the Principality of Antioch? Prolegomena to a Study of the Origins of the Nobility of a Crusader State‹, in: Family Trees and the Roots of Politics. The Prosopography of Britain and France from the Tenth to the Twelfth Century, hg. v. Katharine Stephanie Benedicta Keats-Rohan, Woodbridge 1997, 349–359 Murray, Alan V., ›Daimbert of Pisa, the Domus Godefridi and the Accession of Baldwin I of Jerusalem‹, in: From Clermont to Jerusalem: The Crusades and Crusader Societies, 1095–1500, hg. v. Dems., Turnhout 1998, 81–102 Murray, Alan V., ›Mighty Against the Enemies of Christ: The Relic of the True Cross in the Armies of the Kingdom of Jerusalem‹, in: The Crusades and Their Sources: Essays Presented to Bernard Hamilton, hg. v. John France u. William G. Zajac, Aldershot 1998, 217–238 Murray, Alan V., The Crusader Kingdom of Jerusalem. A Dynastic History. 1099–1125

Forschungsliteratur

381

(= Occasional Publications of the Linacre Unit for Prosopographical Research; 4), Oxford 2000 Murray, Alan V., ›William of Tyre and the Origin of the Turks: on the Sources of the Gesta Orientalium Principum‹, in: Dei gesta per Francos: Êtudes sur les Croisades D¦di¦es — Jean Richard, hg. v. Michel Balard, Benjamin Z. Kedar u. Jonathan Riley-Smith, Aldershot 2001, 217–229 Murray, Alan V. (Hg.), The Crusades. An Encyclopedia, 4 Bde., Santa Barbara 2006 Murray, Alan V., ›National Identity, Language and Conflict in the Crusades to the Holy Land, 1096–1192‹, in: The Crusades and the Near East, hg. v. Conor Kostick, 2011, 107–130 Murray, Alexander Callander, ›Reinhard Wenskus on »Ethnogenesis«, Ethnicity, and the Origin of the Franks‹, in: On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, hg. v. Andrew Gillett, Turnhout 2002, 41–68 N† Chl¦irigh, L¦an, ›The Impact of the First Crusade on Western Opinion towards the Byzantine Empire. The Dei Gesta per Francos of Guibert of Nogent and the Historia Hierosolymitana of Fulcher of Chartres‹, in: The Crusades and the Near East, hg. v. Conor Kostick, 2011, 161–189 Nicholson, Robert L., Tancred: A Study of his Career and Work in their Relation to the First Crusade and the Establishment of the Latin States in Palestine, Chicago 1940 Nuß, Daniel, Die hagiographischen Werke Hildeberts von Lavardin, Baudris von Bourgueil und Marbods von Rennes: Heiligkeit im Zeichen der Kirchenreform und der R¦¦criture (= Beiträge zur Hagiographie; 12), Stuttgart 2013 Oehler, Hans, ›Studien zu den Gesta Francorum‹, in: Mittellateinisches Jahrbuch (6; 1970), 58–97 Ogilvie, Robert Maxwell, A Commentary on Livy. Books 1–5, Oxford 1965 Pabst, Bernhard, Prosimetrum. Tradition und Wandel einer Literaturform zwischen Spätantike und Spätmittelalter 2, (= Ordo. Studien zur Literatur und Gesellschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit; 4/2), Köln 1994 Payen, Jean-Charles, ›L’Image du Grec dans la Chronique Normande: Sur un Passage de Raoul de Caen‹ in: Images et signes de l’Orient dans l’Occident m¦di¦val (Litt¦rature et Civilisation), hg. v. Jean Arrouye (= S¦n¦fiance; 11), Aix-en-Provence 1982, 268–280 Payen, Jean-Charles, ›Une L¦gende Êpique en Gestation: Les Gesta Tancredi de Raoul de Caen‹, in: La Chanson de Geste et le Mythe Carolingien: M¦langes Ren¦ Louis Publi¦s par ses CollÀgues, ses Amis et ses ÊlÀves — l’Occasion des son 75. Anniversaire 2, hg. v. EmmanuÀle Baumgartner u. a., Saint-PÀre-sous-V¦zelay 1982, 1051–1062 Payen, Jean-Charles, ›L’H¦g¦monie Normande dans la Chanson de Roland et les Gesta Tancredi: De la Neustrie — la Chr¦tient¦, ou Turold est-il nationaliste?‹, in: Romance Epic. Essays on a Medieval Literary Genre, hg. v. Hans-Erich Keller (= Studies in Medieval Culture; 24), Kalamazoo 1987, 73–90 Petti Balbi, Giovanna, Caffaro e la Cronichista Genovese, Mailand 1982 Phillips, Jonathan, The Fourth Crusade and the Sack of Constantinople, New York 2004 Phillips, Jonathan, The Second Crusade: Extending the Borders of Christianity, New Haven 2007 Phillips, Jonathan, Holy Warriors. A Modern History of the Crusades, London 2009 Plassmann, Alheydis, Origo gentis. Identitäts- und Legitimitätsstiftung in früh- und

382

Quellen- und Literaturverzeichnis

hochmittelalterlichen Herkunftserzählungen (= Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters; 7), Berlin 2006 Plassmann, Alheydis, Die Normannen. Erobern – Herrschen – Integrieren, Stuttgart 2008 Pohl, Walter, ›Tradition, Ethnogenese und literarische Gestaltung: eine Zwischenbilanz‹ in: Ethnogenese und Überlieferung. Angewandte Methoden der Frühmittelalterforschung, hg. v. Karl Brunner u. Brigitte Merta (= Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; 31), Wien 1994, 9–26 Pohl, Walter, ›Conceptions of Ethnicity in Early Medieval Studies‹, Debating the Middle Ages: Issues and Readings, hg. v. Lester K. Little u. Barbara H. Rosenwein, Malden, MA/ Oxford 1998, 15–24 Pohl, Walter, ›Telling the Difference: Signs of Ethnic Identity‹ in: Strategies of Distinction. The Construction of Ethnic Communities, 300–800, hg. v. Dems. u. Helmut Reimitz (= The Transformation of the Roman World. A Scientific Programme of the European Science Foundation; 2), Leiden 1998, 19–69 Pohl, Walter, Die Germanen (= Enzyklopädie Deutscher Geschichte; 57), München 2004 (2. Aufl., 1. Aufl. 2000) Pohl, Walter, ›Ethnicity, Theory, and Tradition: A Response‹, in: On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, hg. v. Andrew Gillett, Turnhout 2002, 221–239, 221 Pohl, Walter, ›Identität und Widerspruch: Gedanken zu einer Sinngeschichte des Frühmittelalters‹, in: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters, hg. v. Dems. (= Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse. Denkschriften; 322/Forschungen zur Geschichte des Mittelalters; 8), Wien 2004, 23–35 Pratsch, Thomas (Hg.), Konflikt und Bewältigung. Die Zerstörung der Grabeskirche zu Jerusalem im Jahre 1009, Berlin 2011 (= Millennium-Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends; 32) Prawer, Joshua, Histoire du Royaume Latin de J¦rusalem I, Paris 1969 Prawer, Joshua, The Latin Kingdom of Jerusalem. European Colonialism in the Middle Ages, London 1972 Price, Richard, ›In hoc signo vinces: The Original Context of the Vision of Constantine‹, in: Signs, Wonders, Miracles: Representations of Divine Power in the Life of the Church, hg. v. Kate Cooper u. Jeremy Gregory, Woodbridge 2005 Pringle, Denys, The Churches of the Crusader Kingdom of Jerusalem. A Corpus. Volume III. The City of Jerusalem, Cambridge 2007 Prutz, Hans, Kulturgeschichte der Kreuzzüge, Berlin 1883 Prutz, Hans, ›Studien über Wilhelm von Tyrus‹, in: Neues Archiv der Gesellschaft für Ältere Deutsche Geschichtskunde zur Beförderung einer Gesamtausgabe der Quellenschriften deutscher Geschichten des Mittelalters (8; 1883), 91–132 Pryor, John H., ›The Oath of the Leaders of the First Crusade to the Emperor Alexius: Fealty, Homage‹, in: Parergon (2; 1984), 111–141 Pryor, John, ›Stephen of Blois: Sensitive New Age Crusader or Victim of History?‹, in: Arts: The Journal of the Sydney University Arts Association (20; 1998), 26–74 Purkis, William, ›Stigmata on the First Crusade‹, in: Signs, Wonders, Miracles: Representations of Divine Power in the Life of the Church, hg. v. Kate Cooper u. Jeremy Gregory, Woodbridge 2005, 99–108

Forschungsliteratur

383

Purkis, William Crusading Spirituality in the Holy Land and Iberia c.1095-c.1187, Woodbridge 2008 Rexroth, Frank, ›Meistererzählungen und die Praxis der Geschichtsschreibung. Eine Skizze zur Einführung‹, in: Meistererzählungen vom Mittelalter. Epochenimaginationen und Verlaufsmuster in der Praxis mediävistischer Disziplinen, hg. v. Dems. (= Beiheft der Historischen Zeitschrift; 46), München 2007, 1–22 Reynolds, Susan, ›Medieval Origines Gentium and the Community of the Realm‹, in: History. The Journal of the Historical Association (68; 1983), 375–390 Richard, Jean, Le Comt¦ de Tripoli sous la Dynastie Toulousaine (1102–1187) (= BibliothÀque Arch¦ologique et Historique; 39), Paris 1945 Richard, Jean, Le Royaume Latin de J¦rusalem, Paris 1953 Richard, Jean, ›Quelques Textes sur les Premiers Temps de l’Êglise Latine de J¦rusalem‹, in: Recueil de Travaux Offerts — M. Clovis Brunel (= M¦moires et Documents Publi¦s par la Soci¦t¦ de l’Êcole des Chartes; 12), 2 Bde., Paris 1955, 2:420–430 Richard, Jean, The Latin Kingdom of Jerusalem (= Europe in the Middle Ages. Selected Studies; 11), Amsterdam 1979 Richard, Jean, ›The Political and Ecclesiastical Organisation of the Crusader States‹, A History of the Crusades. Volume V. The Impact of the Crusades on the Near East, hg. v. Norman P. Zacour u. Harry W. Hazard, Madison 1985, 193–250 Riley-Smith, Jonathan Simon Christopher, ›The Title of Godfrey of Bouillon‹, in: Bulletin of the Institute of Historical Research (52; 1979), 83–86 Riley-Smith, Jonathan Simon Christopher, ›The First Crusade and St. Peter‹, in: Outremer. Studies in the History of the Crusading Kingdom of Jerusalem, hg. v. Benjamin Z. Kedar, Hans Eberhard Mayer u. Raymond Charles Smail, Jerusalem 1982, 41–63 Riley-Smith, Jonathan Simon Christopher, The First Crusade and the Idea of Crusading, London 1986 Riley-Smith, Jonathan Simon Christopher, The Crusades. A History, London 2005 (2. Aufl., 1. Aufl. 1987) Riley-Smith, Jonathan Simon Christopher, The First Crusaders. 1095–1131, Cambridge 1997 Röckelein, Hedwig, ›Hochmittelalterliche Autobiographien als Zeugnisse des Lebenslaufs und der Reflexion über Erziehung. Das Beispiel Otlohs von St. Emmeram und Guiberts von Nogent‹, in: Vormoderne Lebensläufe – erziehungshistorisch betrachtet, hg. v. Rudolf W. Keck (= Beiträge zur historischen Bildungsforschung; 12), Köln 1994, 151–186 Röckelein, Hedwig, Reliquientranslationen nach Sachsen im 9. Jahrhundert: über Kommunikation, Mobilität und Öffentlichkeit im Frühmittelalter (= Beihefte der Francia; 48), Stuttgart 2002 Rödig, Thomas, Zur politischen Ideenwelt Wilhelms von Tyrus (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften; 429), Frankfurt am Main 1990 Rösch, Gerhard, ›Der »Kreuzzug« Bohemunds gegen Dyrrhachium 1107/1108 in der lateinischen Tradition des 12. Jahrhunderts‹, in: Römische historische Mitteilungen (26; 1984), 181–190 Rogers, Randall, ›Peter Bartholomew and the Role of ›The Poor‹ in the First Crusade‹, in: Warriors and Churchmen in the High Middle Ages, hg. v. Timothy Reuter, London 1991, 109–122

384

Quellen- und Literaturverzeichnis

Rowe, John Gordon, ›Paschal II and the Relation between the Spiritual and Temporal Powers in the Kingdom of Jerusalem‹, in: Speculum (32.3; 1957), 470–501 Rubenstein, Jay, Guibert of Nogent: Portrait of a Medieval Mind, New York 2002 Rubenstein, Jay, ›What is the Gesta Francorum, and who was Peter Tudebode?‹, in: Revue Mabillon N.S. (16; 2005), 179–204 Rubenstein, Jay, ›Godfrey of Bouillon versus Raymond of Saint-Gilles: How Carolingian Kingship trumped Millenarianism at the End of the First Crusade‹, in: The Legend of Charlemagne in the Middle Ages: Power, Faith, and Crusade, hg. v. Matthew Gabriele, New York 2008, 59–75 Rubenstein, Jay, Armies of Heaven. The First Crusade and the Quest for Apocalypse, New York 2011 Runciman, Steven, ›Charlemagne and Palestine‹, in: The English Historical Review (50; 1935), 606–619 Runciman, Steven, ›The Holy Lance Found at Antioch‹, in: Analecta Bollandiana (68; 1950), 197–209 Runciman, Steven, A History of the Crusades. II. The Kingdom of Jerusalem and the Frankish East 1100–1187, Cambridge 1952 Runciman, Steven, A History of the Crusades. III. The Kingdom of Acre and the Later Crusades, Cambridge 1954 Runciman, Steven, The Eastern Schism: A Study of the Papacy and the Eastern Churches during the XIth and XIIth Centuries, Oxford 1955 Runciman, Steven, ›The First Crusade: Constantinople to Antioch‹, A History of the Crusades. Volume I. The First Hundred Years, hg. v. Kenneth M. Setton u. Marshall W. Baldwin, Madison 1969, 280–307 Runciman, Steven, ›The Visit of King Amalric I to Jerusalem in 1171‹, in: Outremer. Studies in the History of the Crusading Kingdom of Jerusalem. Presented to Joshua Prawer, hg. v. Benjamin Z. Kedar, Hans Eberhard Mayer u. Raymond Charles Smail, Jerusalem 1982, 153–158 Russo, Luigi, ›Ricerche sull’ Historia Iherosolimitana di Roberto di Reims‹, in: Studi Medievali (ser. 3, 43; 2002), 651–691 Russo, Luigi, ›Tancredi e i Bizantini. Sui Gesta Tancredi in expeditione Hierosolymitana di Rodolfo di Caen‹, in: Medio Evo Greco (2; 2002), 193–230 Russo, Luigi, Boemondo. Figlio di Guiscardo e Principe di Antiochia, Ariano Irpino 2009 Said, Edward, Orientalism, London 2003 (Neudruck d. 1. Aufl v. 1978 m. neuem Vorw. u. neuem Anhang) Savvides, Alexios G. C., ›Taticius the Turcopole‹, in: Journal of Oriental and African Studies (3/4; 1991/1992), 235–238 Schlappbach, Karin, ›The Pleasance, Solitude and Literary Production: The Transformation of the »locus amoenus« in Late Antiquity‹, in: Jahrbuch für Antike und Christentum (50; 2007), 34–50 Schlesinger, Walter, ›Die Entstehung der Nationen. Gedanken zu einem Forschungsprogramm‹, in: Aspekte der Nationenbildung im Mittelalter. Ergebnisse der Marburger Rundgespräche 1972–1975, hg. v. Helmut Beumann u. Werner Schröder (= Nationes. Historische und philologische Untersuchungen zur Entstehung der europäischen Nationen im Mittelalter; 1), Sigmaringen 1978, 11–62

Forschungsliteratur

385

Schmitt, Rainer, Zelt und Lade als Thema alttestamentlicher Wissenschaft. Eine kritische forschungsgeschichtliche Darstellung, Gütersloh 1972 Schönfelder, Albert, ›Die Prozessionen der Lateiner in Jerusalem zur Zeit der Kreuzzüge‹, in: Historisches Jahrbuch (32; 1911), 578–597 Schulz, Heinrich Wilhelm, Denkmaeler der Kunst des Mittelalters in Unteritalien, hg. v. Ferdinand von Quast, Dresden 1860 Schuster, Beate, ›Die Stimme des falschen pauper. Der Kreuzzugsbericht des Raimund von Aguilers und die Armenfrage, in: Armut im Mittelalter, hg. v. Otto Gerhard Oexle, Ostfildern 2004, 79–126 Schwinges, Rainer Christoph, Kreuzzugsideologie und Toleranz. Studien zu Wilhelm von Tyrus (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters; 15), Stuttgart 1977 Schwinges, Rainer Christoph, ›Die Wahrnehmung des Anderen durch Geschichtsschreibung. Muslime und Christen im Spiegel der Werke Wilhelms von Tyrus († 1186) und Rodrigo Xim¦nez’ de Rada († 1247)‹, in: Toleranz im Mittelalter, hg. v. Alexander Patschovsky u. Harald Zimmermann, Sigmaringen 1998, 101–127 Schwinges, Rainer Christoph, ›Regionale Identität und Begegnung der Kulturen in Stadt und ›Kreuzfahrerkönigreich‹ Jerusalem‹, in: Päpste, Pilger, Pönitentiarie. Festschrift für Ludwig Schmugge zum 65. Geburtstag, hg. v. Andreas Meyer, Constanze Rendtel u. Maria Widmer-Butsch, Tübingen 2004, 237–251 Schwinges, Rainer Christoph, ›Die andere Seite und sich selbst im Blick. Wahrnehmung und Identität zur Zeit der Kreuzzüge‹, in: Konfrontation der Kulturen? Saladin und die Kreuzfahrer. Begleitband zur Sonderausstellung »Saladin und die Kreuzfahrer« in Halle, Oldenburg und Mannheim, hg. v. Heinz Gaube, Bernd Schneidmüller u. Stefan Weinfurter, Mainz 2005, 107–120 Serranus, Marcus Attilius, De Septem Vrbis Ecclesiis: Vna cum earum Reliquiis, Stationibus, et Indulgentiis, Rom 1575 Sigal, Pierre-Andr¦, ›Les Visions dans les R¦cits de la PremiÀre Croisade‹, in: Furent les Merveilles Pruvees et les Aventure Truvees. Hommage — Francis Dubost, hg. v. F. Gingras, F. Laurent, F. Le Nan u. J.-R. Valette (= Colloques, CongrÀs et Conf¦rences sur le Moyen ffge; 6), Paris 2005, 583–598 Shagrir, Iris, ›The Visitatio Sepulchri at the Latin Church of the Holy Sepulcher in Jerusalem‹, in: Al-Masaq: Islam and the Medieval Mediterranean (22; 2010), 57–77 Shagrir, Iris, ›Adventus in Jerusalem: the Celebration of Palm Sunday in Twelfth Century Jerusalem‹, in: The Journal of Medieval History (41; 2015), 1–20 Simon, Gertrud, ›Untersuchungen zur Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber bis zum Ende des 12. Jahrhunderts‹, in: Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde (4; 1958), 52–119 Skottki, Kristin, ›Medieval Western Perceptions of Islam and the Scholars: What went Wrong?‹, in: Cultural Transfers in Dispute. Representations in Asia, Europe and the Arab World since the Middle Ages, hg. v. Jörg Feuchter, Friedhelm Hoffmann u. Bee Yun (= Eigene und fremde Welten; 23), Frankfurt am Main 2011, 107–134 Skottki, Kristin. ›The Other at Home? On the Entanglement of Medievalism, Orientalism and Occidentalism in Modern Crusade Historiography‹, in: European Receptions of the Crusades in the Nineteenth Century. Franco-German Perspectives International Workshop – Research Group ›Myths of the Crusades‹ (= Eckert.Dossiers; 4), http://

386

Quellen- und Literaturverzeichnis

www.edumeres.net/urn/urn:nbn:de:0220–2011–0022–0087, Braunschweig 2011, eingesehen am 12. August 2013 Skottki, Kristin, ›Vom »Schrecken Gottes« zur Bluttaufe. Gewalt und Visionen auf dem Ersten Kreuzzug nach dem Zeugnis des Raimund d’Aguilers‹, in: Gewalterfahrung und Prophetie, hg. v. Peter Burschel u. Christoph Marx (= Veröffentlichungen des Instituts fu¨ r Historische Anthropologie e.V.; 13), Wien 2013, 445–490 Skottki, Kristin, Christen, Muslime und der Erste Kreuzzug. Die Macht der Beschreibung in der mittelalterlichen und modernen Historiographie (= Cultural Encounters and the Discourses of Scholarship; 7), Münster 2015 Smail, Raymond Charles, Crusading Warfare, 1097–1193, Cambridge 1995 (2. Aufl., 1. Aufl. 1956) Smail, Raymond Charles, The Crusaders in Syria and the Holy Land (= Ancient Peoples and Places; 82), New York 1973 Smith, Anthony D., The Ethnic Origins of Nations, Oxford 1986 Smith, Anthony D., ›National Identities: Modern and Medieval?‹, in: Concepts of National Identity in the Middle Ages, hg. v. Simon Forde, Lesley Johnson u. Alan V. Murray (= Leeds Texts and Monographs. New Series; 14), Leeds 1995, 21–46 Smith, Anthony D., Nationalism and Modernism. A Critical Survey of Recent Theories of Nations and Nationalism, London 1998 Smith, Anthony D., Nationalism. Theory, Ideology, History, Cambridge 2001 Smith, Anthony D., The Antiquity of Nations, Cambridge 2004 Sprandel, Rolf, Ivo von Chartres und seine Stellung in der Kirchengeschichte (= Pariser historische Studien; 1), Paris 1962, 116–169 Spreckelmeyer, Goswin, Das Kreuzzugslied des lateinischen Mittelalters (= Münstersche Mittelalter-Schriften; 21), München 1974, 204–214 Staubach, Nikolaus, ›In hoc signo vinces. Wundererklärung und Wunderkritik im vormodernen Wissensdiskurs‹, in: Frühmittelalterliche Studien (43; 2009), 1–52 Strack, Georg, ›The Sermon of Urban II in Clermont and the Tradition of Papal Oratory‹, in: Medieval Sermon Studies (56; 2012), 30–45 Straubinger, Johannes, Die Kreuzauffindungslegende. Untersuchungen über ihre altchristlichen Fassungen mit besonderer Berücksichtigung der syrischen Texte (= Forschungen zur christlichen Literatur- und Dogmengeschichte; 11,3), Paderborn 1912 Struve, Tilmann, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters; 16), Stuttgart 1978 Struve, Tilmann, ›Heinrich IV., Bischof Milo von Padua und der Paduaner Fahnenwagen. Zu einem wenig beachteten Bildnis des salischen Kaisers und seiner Gemahlin‹, in: Frühmittelalterliche Studien (30; 1996), 294–314 Sweetenham, Carol, ›Introduction‹, in: Robert der Mönch, Robert the Monk’s History of the First Crusade. Historia Iherosolimitana, hg. u. übs. v. Ders. (= Crusade Texts in Translation; 11), Farnham 2005, 1–71 Swinford, Dean, ›Dream Interpretation and the Organic Metaphor of the State in John of Salisbury’s Policraticus‹, in: Journal of Medieval Religious Cultures (38; 2012), 32–59 Sybel, Heinrich von, Geschichte des ersten Kreuzzuges, Düsseldorf 1841 Thomson, Rodney Malcolm, William of Malmesbury, Woodbridge 2003 Thorau, Peter, ›Die fremden Franken – al-farang˘ al-guruba¯. Kreuzfahrer und Kreuzzüge aus arabischer Sicht‹, in: Saladin und die Kreuzfahrer. Begleitband zur Sonderaus-

Forschungsliteratur

387

stellung Saladin und die Kreuzfahrer im Landesmuseum für Vorgeschichte, Halle (Saale), im Landesmuseum für Natur und Mensch, Oldenburg, und in den Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim, hg. v. Mamoun Fansa, Harald Meller u. Alfried Wieczorek, Zabern 2005, 115–125 Tongeren, Louis van, ›Vom Kreuzritus zur Kreuzestheologie: Die Entstehungsgeschichte des Festes der Kreuzerhöhung und seine erste Ausbreitung im Westen‹, in: Ephemerides Liturgicae: Commentarium Bimestrale de Re Liturgica Cura et Studio Presbyterorum Congregationis Missionis (112; 1998), 216–245 Tongeren, Louis van, Exaltation of the Cross: Toward the Origins of the Feast of the Cross and the Meaning of the Cross in Early Medieval Liturgy (= Liturgia Condenda; 11), Löwen 2000 Toussaint, Gia, ›Die Kreuzzüge und die Erfindung des Wahren Kreuzes‹, in: Hybride Kulturen im mittelalterlichen Europa. Vorträge und Workshops einer internationalen Frühlingsschule/Hybrid Cultures in Medieval Europe. Papers and Workshops of an International Spring School, hg. v. Michael Borgolte u. Bernd Schneidmüller (= Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik; 16), Berlin 2010, 151–170 Toussaint, Gia, Kreuz und Knochen: Reliquien zur Zeit der Kreuzzüge, Berlin 2011 Tyerman, Christopher, God’s War. A New History of the Crusades, London 2006 Tyerman, Christopher, The Debate on the Crusades, Manchester 2011 Vessey, David W. T. C., ›William of Tyre and the Art of Historiography‹, in: Mediaeval Studies (35; 1973), 433–455 Villey, Michel, La Croisade. Essai sur la Formation d’une Th¦orie Juridique, Paris 1942 Voltmer, Ernst, ›Nel Segno della Croce. Il Carroccio come Simbolo del Potere‹, in: Militia Christi e Crociata nei Secoli XI–XIII. Atti della undecima Internazionale di Studio Mendola, 28 Agosto – 1 Settembre 1989 (= Miscellanea del Centro di Studi Medioevali; 13), Mailand 1992, 193–207 Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1972 (5. Aufl., 1. Aufl. 1921/22) Webber, Nick, The Evolution of Norman Identity. 911–1154, Woodbridge 2005 Wenskus, Reinhard, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes, Köln 1961 Weltecke, Dorothea, ›The Syriac Orthodox in the Principality of Antioch during the Crusader Period‹, in: East and West in the Medieval Eastern Mediterranean I. Antioch from the Byzantine Reconquest until the End of the Crusader Principality. Acta of the Congress held at Hernen Castle in May 2003, hg. v. Krijnie Ciggaar u. M. Metcalf (= Orientalia Lovaniensia Analecta; 147), Löwen 2006, 95–124 Weltecke, Dorothea, ›Multireligiöse Loca Sancta und die mächtigen Heiligen der Christen‹, in: Der Islam. Zeitschrift für Geschichte und Kultur des islamischen Orients (88; 2012), 73–95 White, Hayden, The Content of the Form: Narrative Discourse and Historical Representation, Baltimore 1987 Wilken, Robert Louis, The Land Called Holy. Palestine in Christian History and Thought, New Haven 1992 Willmes, Peter, Der Herrscher-»Adventus« im Kloster des Frühmittelalters (= Münstersche Mittelalter-Schriften; 22), München 1976 Wolfram, Herwig, ›Einleitung oder Überlegungen zur Origo Gentis‹, in: Typen der Eth-

388

Quellen- und Literaturverzeichnis

nogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern. 1: Berichte des Symposiums der Kommission für Frühmittelalterforschung, 27. bis 30. Oktober 1986, Stift Zwettl, Niederösterreich, hg. v. Dems. u. Walter Pohl (= Österreichische Akademie der Wissenschaften/Philosophisch-Historische Klasse/Denkschriften; 201), Wien 1990, 19–33 Wolfram, Herwig, ›Origo et religio. Ethnic Traditions and Literature in Early Medieval Texts‹, in: Early Medieval Studies (3; 1994), 19–38 Zˇak, Sabine, ›Das Te Deum als Huldigungsgesang‹, in: Historisches Jahrbuch (102; 1982), 1–32, 2ff.

Personen-, Orts- und Sachregister

1. Weltkrieg 2. Weltkrieg

36f 37

Aachen 73 Abbasiden 109 Abelard von Hauteville (ca. 1044–1081), Neffe des Robert Guiscard 125 Acad¦mie des Inscriptions et Belles Lettres 32, 36 Adana 276 Adela von Blois (1067/68–1137), Ehefrau Stefans von Blois 121 Adh¦mar von Le Puy (ca. 1045–1098), päpstlicher Legat auf dem 1. Kreuzzug 184, 200, 213, 215 Adria 124f, 184 Adventus 242ff, 246, 283f, 339–343, 348 Ägäis 75 Ägidius, Heiliger 188 Ägypten 28, 75, 112, 196, 251, 261, 301, 303, 311, 336 Aeneas 189, 198, 230f ager sanguinis, Schlacht (1119) 25f, 54, 58, 65, 86f, 116f, 133, 144ff, 148, 283, 286, 298, 339, 345–349, 354 Ai 245 Aimerich von Limoges (ca. 1110–1196), lateinischer Patriarch von Antiochia (1140–1193) 100, 284 Ajalon 245 Akkon 54, 119, 255f – Bistum 31, 177 – Kathedrale 69

al-Afdal Schahanschah (gest. 1122), fatimidischer Wesir 235, 320 Aladag˘lar-Gebirge 225 Albanien 125 Albert – von Aachen († vermutl. nach 1119), Chronist 70, 73f, 79, 90, 171, 177, 188, 201ff, 214, 216, 221f, 225, 239, 243f, 247, 251f, 256, 280, 294, 320, 326, 338, 344 – Maisnil, normannischer Teilnehmer des 1. Kreuzzuges 219 al-Hakim (985–1021), Fatimidenkalif (996–1021) 109f, 250 Aleppo 65, 137, 281 Alexander der Große 193f Alexios I. Komnenos (1057–1118), byzantinischer Kaiser (1081–1118) 13f, 46, 118, 120f, 123, 125f, 128–136, 147, 184, 189f, 192f, 195f, 241f, 268–273, 277, 288, 306 Algerienkrieg (1954–1962) 37 Alice, Tochter Balduins II. und Gemahlin Bohemunds II. 101 Amalfi 178 Amalrich (1136–1174), König von Jerusalem (1163–1174) 70, 100f, 303f, 317 Ambrosianischer Hymnus siehe Te Deum Amerikanischer Bürgerkrieg (1861–1865) 258 Angelsachsen 219 Anjou 159 Anna Komnena (1083–1153/54), Tochter

390 Alexios’ I. Komnenos, Chronistin 189, 321 Anselm, Kantor der Grabeskirche († nach ca. 1121) 316, 343 Antikenrezeption 64, 82, 120, 131, 139, 193, 228ff, 242 Antiochener passim Antiochia (Fürstentum) passim – acies beati Petri 282f – Adel 25, 90, 144f – griechisch-orthodoxes Patriarchat 228, 279 – lateinische Bevölkerung siehe Antiochener – lateinisches Patriarchat 100, 228, 285f, 347 – Münzwesen 127, 286 – Normannen in Antiochia 25f, 64f, 73, 269ff, 275, 278, 349 Antiochia (Stadt) passim – Belagerung und Eroberung (1097– 1098) 14f, 25, 27, 94, 111, 116, 120, 128, 134, 143, 175f, 178, 184, 186, 188, 202, 211–216, 218ff, 229, 232, 236, 265, 272, 275, 278, 281, 283f, 313f – Kathedrale St. Petrus 281–284, 286, 343, 347 – Zitadelle 137, 211, 220ff, 229 Anti-Taurus siehe Aladag˘lar-Gebirge Apollon 231 Apulien 124, 192, 209, 219, 231 Araber 124, 211, 316 arabische Sprache 70 Armenier 152, 210, 212, 276 armenische Kirche 116, 134, 147, 276 Arnulf von Chocques († 1118), Patriarch von Jerusalem (1099 u. 1112–1118) 63f, 81, 107, 241, 265, 271, 291, 318ff, 323, 327 Arqa 236 Artah 132, 202 Ascanius, Sohn des Aeneas 198 Aschdod siehe Azotus Askalon 36, 74, 112ff, 162, 176, 237, 261, 275, 301, 322, 336, 340 – Kirche St. Paulus 336

Personen-, Orts- und Sachregister

Azotus

299f, 303

Babylon 82 babylonisches Reich 324 Bacchus 230 Bagdad 109, 235 Baldrich von Dol (1046–1136), Chronist 70ff und passim Balduin – I. († 1118), von Boulogne, König von Jerusalem (1100–1118), Graf von Edessa (1097–1100) 14f, 66, 84, 86, 88, 91, 95f, 100f, 113, 156, 158, 184, 190, 210, 223, 236, 245, 276, 292f, 295f, 302, 314, 317, 333f, 344 – II. († 1131), von Bourcq, König von Jerusalem (1118–1131), Graf von Edessa (1100–1118) 15, 26, 64f, 86, 90, 93, 96, 101, 111, 145f, 159, 184, 236, 240, 242, 283f, 298–304, 327, 329, 332, 335, 339–342, 346–349 – III. (1130–1163), König von Jerusalem (1145–1163) 68, 85, 100f, 159, 162, 317 – IV. (1161–1185), König von Jerusalem (1174–1185) 100f – V. (1177/78–1186), König von Jerusalem (1185–1186) 101 – von Boulogne siehe Balduin I. – von Bourcq siehe Balduin II. Balkan 81, 125f, 129f, 137, 184, 188f, 196, 201 Baltikum 307 Bari 184 Bartolf von Nangis († nach 1109), Chronist 67f und passim Baudri siehe Baldrich Benediktiner 71f Bernhard – von Clairvaux (1090–1153), Theologe, Kreuzzugsprediger 197 – von Valence († 1135), Patriarch von Antiochia (1100–1135) 283, 347f Besly, Jean (1572–1644), früher Herausgeber der Gesta Francorum 59 Bethlehem 15, 74, 157, 236, 239, 242ff, 246f, 295

Personen-, Orts- und Sachregister

– Geburtskirche 236, 244, 292, 295f Bibel 64, 149, 167ff, 173, 181ff, 187, 196, 201ff, 214, 228, 233, 242, 245–248, 251ff, 258f, 266, 311, 327 Bohemund – I. († 1111), von Tarent, Fürst von Antiochia (1098–1111) 15, 23, 25f, 60–64, 82, 85, 93–96, 125f, 129–134, 137, 140–143, 178, 184, 189f, 192–197, 199, 206ff, 209, 212ff, 216ff, 220–223, 225ff, 229, 232–236, 247, 268–271, 273–278, 280ff, 352f – II. (1108–1130), Fürst von Antiochia (1126–1130) 26, 97, 137, 284f – III. († 1201), Fürst von Antiochia (1163–1201), 99f Bologna – Universität 69 Bongars, Jacques (1554–1612), Herausgeber von Kreuzzugschroniken 34, 59 Bosporus 46, 184f, 187, 196, 205 Boulogne 184 Brindisi 312f Brunner, Otto (1898–1982), Historiker 42 Bulgarien 241 Bundeslade 245, 324–327 Bursuq von Hamadan, seldschukischer Feldherr 83, 144, 344 Byzantinisches Reich 13f, 33, 46, 61, 63, 76, 116, 118–138, 143, 146f, 189ff, 193, 195f, 210f, 219f, 223, 230–235, 241f, 250, 268, 270ff, 276f, 281f, 285f, 351, 353 Caen 63, 218 – Kathedralschule 63 Cäsar, Gaius Julius (100?–44 v. Chr.) 82, 229 Cambridge 227 Canosa di Puglia 233f, 276 – Kathedrale San Sabino 233 Capharda 275 Capua 219 Carlyle, Thomas (1795–1881), britischer Historiker 49

391 Cassiodor (490–ca, 585), Geschichtsschreiber 164, 339 castrum Sancti Abrahae 157 Cato der Ältere (234–149 v. Chr.) 119 Chalcedon, Konzil (451) 115f Chanson d’Antioche 22 Chartres – Kathedralschule 66 Chastel-Rouge, Kreuzfahrerburg in Nordwestsyrien 96 Chosrau (gest. 628), König von Persien 315f Christologie 115f Cicero (106–43 v. Chr.) 170 Clermont – Konzil (1195) 13, 20, 54, 66, 72, 110, 118, 121, 124, 178f, 183f, 198f, 206, 223, 272, 309, 311 Daimbert von Pisa († 1105), Patriarch von Jerusalem (1099–1102/05) 156, 290f, 292, 295f, 344 Damaskus 39, 113, 235 David, König der Israeliten 187, 288 Deutschland 37f, 79, 290 Devol, Vertrag von (1108) 126, 137, 234 Dol, Bistum 71 Dominikanerorden 108 Donatistenstreit 295 Dorylaeum 199, 202, 210 – Schlacht (Juni 1097) 14, 199ff, 206, 208f, 213, 242 Dudo von Saint-Quentin (ca. 960–1026), normannischer Geschichtsschreiber 231 Durazzo siehe Dyrrhachion Dyrrhachion 63, 125f, 129, 131, 142f, 234, 241f Ebal, Berg bei Nablus 245 Edessa 160, 210, 314 – Grafschaft 14f, 22f, 37, 54f, 66, 75, 85, 95, 142f, 157, 211, 223, 335 – Heer 335 Einhard (ca. 770–840), fränkischer Gelehrter und Geschichtsschreiber 109

392 Eiserne Brücke 226 England 24, 26f, 35f, 38, 98, 156 englischer Kanal 81, 124, 220 Epirus 198 Eschatologie 72 Essentialismus siehe Primordialismus Ethnizismus 51f, 113f, 127, 130, 144, 150f, 153, 158, 165f, 169, 190, 198, 210, 258, 261, 266f, 280, 282, 284, 286, 301, 315, 331, 340, 354 Ethnizität 17, 27, 40f, 46, 50 Ethnogenese passim Ethnologie 43 Ethnosoziologie 43 Ethnosymbolismus 50, 52f Euphrat 253 Eurozentrismus 32ff, 154, 173 Eurydike 131 Euterpius († 1119), antiochenischer Ritter 117 Exodus 167, 202, 245, 251 Ezechiel 202–205 Famagusta 75 Fatimiden 109, 112ff, 162, 176, 235ff, 242, 260, 320, 333 Fegefeuer 214 Firuz, antiochenischer Armenier 211, 269 Flandern 75, 83, 118, 184, 235 Flavius Josephus (37/38–100), jüdischer Geschichtsschreiber 163f, 167 Föderatenwesen 46 Franci, ambivalente Gruppenbezeichnung 75–90, 94–98, 100, 102f, 141, 156, 158f, 181, 190, 209, 218, 248, 264, 274, 313, 351 Franken, Region in Deutschland 78 Frankenreich 75, 77f, 110, 181 franko-syrische Nation 32, 37f Frankreich 14, 24, 28, 32, 34, 36ff, 61ff, 68, 77, 79, 82ff, 87, 110, 156, 181, 207, 217, 290, 307 französische Krone 36, 77, 85, 87f, 126 französische Revolution 36 französische Sprache 20, 32, 36f, 75, 82

Personen-, Orts- und Sachregister

Friedrich II. (1194–1250), Kaiser (1220–1250) 37 Fulcher von Chartres (ca. 1059–ca. 1127), Chronist 66–72 und passim Fulk – IV. (1043–1109), Graf von Anjou (1068–1109) 122 – von Anjou (ca. 1090–1143), König von Jerusalem (1131–1143) 100f, 159, 162, 328, 335 Fuller, Thomas (1607/08–1661), anglikanischer Geistlicher und Historiker 22, 34 Galland, Antoine (1656–1715), Orientalist 35 Gallia 81f, 98 Gaston von B¦ziers, Teilnehmer des 1. Kreuzzuges 239 Genua 236, 256, 320 Georgios Maniakes († 1043), byzantinischer General 124 Gerbert († nach 1121), Bischof von Paris 316 Germanische Altertumskunde 42 Gibeon 244f Gibeoniter 245f Gosfredus de Monte Scabioso, normannischer Ritter auf dem 1. Kreuzzug 208 Gottfried von Bouillon († 1100), erster Herrscher des Königreiches Jerusalem (1099–1100) 14f, 66, 78, 83, 100, 158, 184, 188, 216, 235f, 252, 257, 263, 272, 287–290, 292–298, 314, 323 Graecophobie 61, 120, 123, 127–131, 133–136, 143, 193, 195, 231, 241, 268, 270, 277, 285, 352f Gregor – VII. (ca. 1025–1085), Papst (1073– 1085), Heiliger 118 – X. (ca. 1210–1276), Papst (1271–1276), Seliger 108 – von Nyssa (ca. 338/9–394), Theologe, Heiliger 315 griechisch-orthodoxe Kirche 116, 120, 122, 134, 147, 243f

Personen-, Orts- und Sachregister

griechische Sprache 164 Großbritannien siehe Vereinigtes Königreich Guibert von Nogent (1055–ca. 1125), Chronist 71f und passim Guido von Lusignan († 1194), König von Jerusalem (1186–1190/1192) 101, 165 Hades 131 Hagenmeyer, Heinrich (1834–1915), Historiker 58, 66ff, 73f, 83f, 207, 227, 325 Haifa 156 Hama 335 Harput 335 Harran 133 Harun al-Raschid (766–809), Abbasidenkalif (786–809) 109 Hattin, Schlacht (1187) 54, 109, 162, 294, 307, 346, 354 Hauran, Landschaft in Südsyrien 99 Hauteville-la-Guichard, normannische Dynastie 26, 125, 141, 144, 146, 209, 276, 314, 320, 349, 352 Heilige Lanze 265, 271, 313, 319f, 326 Heiligenkult 66 Heiliges Römisches Reich 37, 156 Heinrich IV. (1050–1106), Kaiser (1084–1105) 192 Hektor 230 Helena (ca. 249–330), Mutter Konstantins des Großen, Heilige 249, 315ff, 319 Heraklea 210 Herakleios (ca. 575–641), byzantinischer Kaiser (610–641) 106, 108, 315f, 343 Herodes 131f Hethoumiden, armenische Herrscherdynastie in Kilikien 136 Höfler, Otto (1901–1987), Germanist 42 Iapygier 219, 231 Ibelin 162 Iberische Halbinsel 279, 307 Ikonium 129, 210 Ilgazi (gest. 1122), türkischer Herrscher von Aleppo (1117/18–1122) 65, 86, 116f, 144f, 283, 339, 347, 349

393 Innozenz II. († 1143), Papst (1130–1143) 284 Instrumentalismus 49 introitus Latinorum 15, 98ff, 166f, 175, 250ff, 266 Irland 27 Isabella II. (1211/1212–1228), Königin von Jerusalem (1225–1228) 37 Isidor von Sevilla (ca. 560–636), Erzbischof von Sevilla (ca. 600–636), Kirchenlehrer, Heiliger 201 Islam 34, 38, 104, 106–110, 112, 115f, 119, 121, 153, 248, 271, 352 Israel 31, 168f Israeliten 149f, 167, 170, 189, 191, 196, 202, 239, 245f, 248, 251, 253, 258, 310ff, 323ff, 327 Italien 82f, 125, 156, 234f, 256 Iulier 198 Iulus siehe Ascanius Ivo – von Chartres (ca. 1040–1116), Bischof von Chartres (1090–1116), Kanonist, Heiliger 66 – Maisnil, normannischer Teilnehmer des 1. Kreuzzuges 219 Jaffa 111, 156f, 291, 333f – Kirche St. Petrus 291 Jakob von Vitry († 1240), Chronist 31, 108, 177 Jeremias, Prophet 324f Jericho 239, 245 Jerosolymitaner passim Jerusalem (Königreich) passim – Adel 37, 90, 327 – Heer 96, 145, 323, 329, 332, 335f, 338f, 342, 344 – Hof 69, 160 – Königtum 287–304, 327–330, 339, 346, 353 – Lateinische Bevölkerung siehe Jerosolymitaner – nicht-lateinische Bevölkerung 92, 236, 300 Jerusalem (Stadt) passim

394 – al-Aqsa-Moschee 103, 114f – Belagerung und Eroberung durch die Araber (638) 106 – Belagerung und Eroberung durch die Kreuzfahrer (1099) 14f, 66, 74, 78, 83ff, 88, 98f, 112–115, 143, 148ff, 156f, 160, 165, 171, 175–178, 182, 187, 193, 234, 236f, 239f, 242, 248, 253–259, 262, 264f, 272f, 276, 287, 290, 297, 309, 314, 316, 319, 322, 352f – Gedenktag (15. Juli) 254–266, 310 – Davidstor 342 – Felsendom 324 – Grabeskirche 20, 109, 158, 237f, 249–252, 254–259, 266, 274, 286f, 290ff, 316ff, 322, 326, 342 – Feuerwunder zu Ostern 292f – Helena-Kapelle 250 – Kapitel 64, 66, 249, 265, 316f, 319, 326, 328ff – Kathedralschule 69 – Heiliges Grab siehe Grabeskirche – Johanneshospital 332 – lateinisches Patriarchat 63, 91f, 98, 107, 153, 156, 240, 257, 261, 264f, 291f, 317f, 320, 327–330, 332, 337f – Ölberg 240ff – Paternosterkirche 252 – Stefanstor 265 – Tempel 324 – Tempelberg 257, 324–327 – Templum Domini 250, 257f, 293, 322, 324 – Kanoniker 327 – Zionstor 236 Jesaja 150, 183 Jesuiten 35 Johannes – II. Komnenos (1087–1143), byzantinischer Kaiser (1118–1143) 136ff, 285 – V. Oxeites, griechisch-orthodoxer Patriarch von Antiochia (1089–1118) 228 – Chrysostomos (ca. 344–407), Kirchenlehrer, Heiliger 315

Personen-, Orts- und Sachregister

– von Salisbury (1115/20–1180), anglonormannischer Gelehrter 299 – von Würzburg († nach 1170), Verfasser eines Pilgerberichtes 78 Jordan 252f Joscelin II. (1113/19–1159), Graf von Edessa (1131–1159) 335 Joschija (ca. 648–609 v. Chr.), König von Juda (ca. 640–609 v. Chr.) 324f Josua 244ff, 253 Juda 168f, 248, 253, 324 Judentum 38, 47, 106, 163f, 169 Kahramanmaras¸ siehe Marasch Kalabrien 124, 192, 219 Kanaan 245f Karl der Große (747–814), Kaiser (800–814), Heiliger 77, 98, 109f, 181 Karolinger 77, 110 Karthago 119 Kelten 76 Kerboga (gest. 1102), Herr von Mosul (1095–1102) 115, 120, 211, 215, 218–222, 280, 286 Kiew 124 Kilikien 15, 116, 126, 137, 188, 210f, 225, 270, 276 Kleinasien 177, 185f, 188, 202, 204f, 210f, 213, 225, 235, 272 Kolonialismus 28f, 31ff, 36ff, 49, 104, 155 konfessionelles Zeitalter 34f Konrad – II. und IV. (1228–1254), König von Jerusalem (1228–1254) und König des Heiligen Römischen Reiches (1237–1254) 37 – III. (1093–1152), römisch-deutscher König (1138–1152) 204 Konstantin der Große (nach 280–337), römischer Kaiser (324–337), Heiliger 249, 305, 314f, 331 Konstantinopel 13f, 116, 118f, 122, 127, 129f, 133, 135, 147, 184, 186, 196f, 268f, 272, 285, 303, 316 – Apostelkirche 233 Konstanze

Personen-, Orts- und Sachregister

– Tochter Bohemunds II. und Ehefrau Raimunds von Poitiers 137, 285 – Tochter Philipps I. von Frankreich und Ehefrau Bohemunds I. von Antiochia 126, 234 Konstruktivismus 49ff Kreuz 20, 260, 262f, 304–315, 327f, 331ff, 337f, 353f – Kreuzreliquien 317, 321, 343 – Kreuzreliquie von Antiochia 343–348, 353f – Kreuzreliquie von Jerusalem 20, 54, 106, 108f, 153, 249f, 267, 301, 304f, 307ff, 312, 314–324, 326–348, 353f Kreuzzüge 17, 28f, 32–38, 40, 155 – 1. Kreuzzug (1095–1099) passim – 2. Kreuzzug (1147–1149) 99, 204, 336 – 3. Kreuzzug (1189–1192) 35, 306 – 4. Kreuzzug (1202–1204) 119 – Kreuzzug der Armen (1096) 128, 201 – sogenannter Kreuzzug von 1101 85, 215, 333 – Volkskreuzzug siehe Kreuzzug der Armen Kreuzzugsdichtung 73, 265 Kreuzzugspropaganda 34, 116 Kreuzzugsspiritualität 185, 222 Kyrill von Jerusalem (ca. 315–387), Bischof von Jerusalem (ca. 350–387), Kirchenlehrer, Heiliger 315 Labarum 331 Langobarden 195 Larissa 131 Latakia 126, 132f, 223, 235, 290 lateinische Sprache 32 Laterankonzilien – 3. Laterankonzil (1179) 69f Laudes regiae 180, 337ff Lessing, Gotthold Ephraim (1729–1781) 38 Libanon 253 libertas Ecclesiae 66 Linn¦, Carl von (1707–1778), schwedischer Botaniker 45

395 Lisiard von Tours, Chronist 335 Livius (59/64 v. Chr.–17 n. Chr.), römischer Geschichtsschreiber 163f, 167–170 Locus amoenus, Topos 201–204 London 35 – Houses of Parliament 35 – Times 35 Lot 131 Lothringen 184, 235, 289 Lucca 83 Ludolf von Tournai, Ritter im Gefolge Gottfrieds von Bouillon 236 Ludwig der Fromme (778–840), Kaiser (814–840) 110 Lüttich 108 Maarrat an-Numan 235 Maimbourg, Louis (1610–1686) 35 Makkabäer 149f, 167, 172f, 182 Mamistra 276 Manuel I. Komnenos (1118–1180), byzantinischer Kaiser (1143–1180) 136, 303 Marasch 225f Mardin 281 Marra 228, 275 Martirano, Bistum in Kalabrien 318 Maudud (gest. 1113), Atabeg von Mosul (1109–1113) 114 Mauriner siehe Saint-Maur Maxentius (gest. 312), römischer Kaiser (306–312) 305 Mazedonien 130, 189f, 194 Meistererzählung 24 Melisendis (ca. 1109–1161), Königin von Jerusalem (1131–1152) 68, 101, 328 Melkiten siehe griechisch-orthodoxe Kirche Memorial Day 258 Memphis 82 Mendikanten 108 Messina, Straße von 124 Miaphysitismus 116 Migration 151, 155ff, 184f, 187, 189, 202, 226, 265, 305, 309, 314 Milvische Brücke, Schlacht (312) 305

396 Mohammed (570–632), Religionsstifter des Islam 106–109, 114f Mond 153 Monophysitismus siehe Miaphysitismus Mons Silpius, Berg bei Antiochia 211 Mont Gisard 162 Montecassino 59ff, 71, 173, 217, 321 Montferrand, Kreuzfahrerburg zwischen Hama und Tortosa 335 Montpellier 30 morgenländisches Schisma (1054) 118, 120 Moses 189, 191, 245, 311, 324 Mosul 114, 281 Multikonfessionalismus 39 Multikulturalität 39 Muslime passim Mythomoteur 51ff und passim Nablus 245 Nation 18, 32, 35, 40f, 43, 47 Nationalbewußtsein 19f, 39ff Nationalismus 35–42 Nebo, Berg nordöstlich des Toten Meeres 324 Neptun 230 Nicaea 111, 134f, 160, 185, 188, 207 – Belagerung 1097 14, 85, 120f, 129, 131, 158f, 186, 199, 242, 263 Nisˇ 201 Nogent-sous-Coucy, Benediktinerabtei 72 Nordafrika 36 Nordamerika 29f Nordfrankreich 26, 184 Nordsyrien passim Normandie 24, 26, 37, 64, 82, 208ff, 218f, 283, 317 Normannen 14f, 23–27, 54, 60–65, 80–83, 93, 107, 115, 124–132, 140–146, 171, 178f, 184, 188–200, 205–210, 213, 216–221, 223f, 226, 228–233, 235, 240ff, 265, 269f, 273f, 276, 280f, 284, 349, 351f Nowgorod 124 Nur-ad-Din (1118–1174), muslimischer

Personen-, Orts- und Sachregister

Herrscher von Aleppo, Damaskus, Mosul und Mesopotamien 99 Okzitanien 265 okzitanische Sprache siehe provenzalische Sprache Orange, Bistum 188 Ordericus Vitalis (1075–ca. 1142), anglonormannischer Geschichtsschreiber 177, 207, 289, 294f orientalisches Christentum 13f, 18, 47, 75, 97, 109, 115, 118f, 121ff, 135, 146ff, 152, 178f, 181, 210f, 243–246, 276f, 300, 307, 316 Orientalisierung 151f Orientalismus 27f, 31, 35 Origo Gentis 21, 44f, 47ff, 57, 61f, 65, 148f, 157, 190, 192, 195, 209, 228, 230f, 235, 267, 275, 352 Orl¦ans 69 Orontes, Fluß in Nordsyrien 96, 127, 137, 141, 146, 175f, 211, 220, 224, 226–229, 238, 247, 267, 272, 274, 278, 343, 352f Orpheus 131 Osmanisches Reich 36 Otranto 209 Otto von Freising (ca. 1112–1158), Bischof von Freising (1138–1158), Geschichtsschreiber 203ff Ozeanien 30 Palästina 20, 88, 106, 143, 151, 182f, 248, 272, 290, 296 – britisches Mandatsgebiet 28 Panlatinismus 23, 27, 33, 52, 57, 76, 87, 97–102, 137, 146, 160, 177, 190, 317, 345 Paris 30, 153 – Abtei Saint-Germain-des-Pr¦s 35f – Universität 69, 204 Partikularismus 23, 40, 52, 57, 64, 76, 79, 99–102, 136, 138, 142, 146, 157, 159f, 190, 224, 263, 270, 286, 317, 323, 343, 345, 351f, 354 Paschalis II. (ca. 1050–1118), Papst (1099–1118) 126, 283, 290f, 318 Patriotismus 20, 33, 107, 163

Personen-, Orts- und Sachregister

Paulus, Apostel, Heiliger 39, 117, 221, 333f Pentateuch 251 Perserreich 106ff, 315f Persien 114, 133 Peter der Einsiedler († ca. 1113), Anführer des Kreuzzuges der Armen 128, 201, 286 Petrus – Apostel, Heiliger 66, 221, 225ff, 267, 278–286, 353 – Lombardus (ca. 1100–1160), Theologe 296 – von Maillezais († nach ca. 1070), Abt des Benediktinerklosters Maillezais 173 – Tudebodus, Chronist 59–62 und passim Philipp I. (1052–1108), König von Frankreich (1059–1108) 80, 82, 126, 153 Pisa 256 Poitou 59, 61 Polytheismus 115 Primordiale Tat 44f, 88, 167, 175, 178, 190, 194, 254, 256, 258, 263, 266, 311, 352 Primordialismus 49ff, 78, 124 Proserpina 131 Provenzalen 37, 61, 74, 130f, 133, 184, 220–223, 229, 232, 265, 271, 275 provenzalische Sprache 37 Prudentius (348–ca. 405), römisch-christlicher Dichter 331 puer senex, Topos 198 Qilidsch Arslan I. (gest. 1107), Sultan von Ikonium 199f, 203 Radulf – von Caen († nach 1130), Chronist 62–65 und passim – von Domfront († 1140), Patriarch von Antiochia (1135–1140) 283f Raimund – I. von Saint-Gilles (ca. 1041–1105), Graf von Tripolis (1102–1105) 15, 74, 130,

397 133, 135, 184, 188, 220ff, 227, 229, 232, 235f, 265, 269, 271, 274f, 288ff – III. († 1187), Graf von Tripolis (1152–1187) 165 – von Aguilers († nach 1100), Chronist, Kreuzfahrer 67 und passim – von Poitiers († 1149), Fürst von Antiochia (1136–1149) 26, 137f, 284f – von Toulouse siehe Raimund I. von Saint-Gilles Rama 157 Ramla 156, 162, 243, 334 – lateinisches Bistum 237 – Kathedrale St. Georg 237 – Schlachten – 1. Schlacht von (1101) 332 – 2. Schlacht von (1102) 215, 333 – 3. Schlacht von (1105) 112f, 338 Rassismus 131 Recueil des Historiens des Croisades 30, 32, 35, 62f, 67, 71 Reformpapsttum 185, 279 Reims 110, 135 – Benediktinerabtei St-Remi 72 Reliquienkult 72 Rheinland 73, 75, 184 Richard I. (1157–1199), Löwenherz, König von England (1189–1199) 35f Ridwan von Aleppo (1081–1113), Herrscher von Aleppo (1095–1113) 89, 132 Ripoll, Benediktinerabtei 264 Ritterorden 31, 54, 103, 283 Rittertum 132, 197 Robert – II. († 1111), Graf von Flandern (1093–1111), Kreuzfahrer 82, 184, 212, 235 – Curthose (ca. 1154–1134), Herzog von der Normandie (1087–1106), Kreuzfahrer 82, 184, 199, 209, 235, 237, 312 – Fitz-Gerard, Konstabler Bohemunds I. 217 – Guiscard (ca. 1015–1085), Herzog von Apulien (1059–1085) 125, 131, 188, 191–194, 229, 241, 277 – der Mönch, Chronist 68, 71f, 85, 110,

398 122, 135, 171, 177, 179, 181, 183, 186f, 190, 213, 224f, 227, 238, 246, 314, 320f – von Reims siehe Robert der Mönch römisches Reich 46, 163f, 167, 169f Roger – I. († 1101), Graf von Sizilien (1061–1101) 125 – II. (1095–1154), König von Sizilien (1130–1154) 284 – von Salerno († 1119), Herrscher des Fürstentums Antiochia (1113–1119) 25f, 54, 65, 83, 86, 94, 144, 146, 283f, 298, 346, 349 Rom 229, 280, 284 – Basilika St. Paul vor den Mauern 337f – Via Ostiense 337 Romantik 35 Roupeniden armenische Herrscherdyastie in Kilikien 136f Rus 124 Sachsen 188 Säkularismus 39 Said, Edward (1935–2003) 27f Saint-Germain-des-Pr¦s siehe Paris Saint-Maur, Benediktinerkongregation 36 Sakramentaltheologie 295f Saladin (1137/38–1193), ayyubidischer Sultan 54, 70, 98, 162, 169, 292 Samarien 157 Satan 106ff, 117, 203, 331 Schiiten 235 Schottland 27 Scott, Walter (1771–1832), Schriftsteller 35 See Genezareth 157 Segregation 31 Seldschuken 54, 123, 137f, 146f, 185f, 199f, 205ff, 210ff, 220, 235, 260, 340 Seleukiden 226 Siedleridentität 20, 22 Sizilien 24ff, 37, 124f, 128, 131, 209, 219, 284 Sodom 131f Sonnenfinsternis 13, 151–154, 354

Personen-, Orts- und Sachregister

Spanien 110 Stamm 17, 40–43, 45, 47 Staufer 31, 37 Stefan – II. († 757), Papst (752–757) 337f – von Blois (ca. 1045–1102), Graf von Blois und der Champagne (1089–1102), Kreuzfahrer 66, 82, 121, 134, 199, 215, 312 Stephanus, Priester, Teilnehmer des 1. Kreuzzuges 280 Südfrankreich 110, 179 Süditalien 24–27, 37, 124f, 127–131, 172, 178, 188, 190, 209, 231 Sunniten 113 St-Pierre-de-Bourgueil, Benediktinerabtei 71 Sybel, Heinrich von (1817–1895), Historiker 60 Syrien 36, 114, 147, 151, 166, 225, 234f – französisches Mandatsgebiet 36 syrisch-orthodoxe Kirche 116, 134, 147, 243f, 277 syrische Sprache 116 Tacitus (56–ca. 120), römischer Geschichtsschreiber 44, 195 Tankred, Regent des Fürstentums Antiochia (1101–1103 u. 1104–1112) 23, 25f, 63f, 81, 89, 93, 96, 114, 123, 126, 129–132, 140–143, 179, 184, 189–199, 201, 205, 209, 213, 216, 218, 226, 229f, 232f, 235ff, 240ff, 246, 269ff, 273, 275–278, 280ff, 452, 353 Tarsus 210, 276 Tatikios († nach 1103), byzantinischer General 129 Tausenduneine Nacht 35 Te Deum 300f, 342 Tell-Danith – erste Schlacht von (1115) 144, 148, 283, 344f – zweite Schlacht von (1119) 145, 283, 332, 347 Templer 103, 106, 327 Thealdus siehe Gregor X.

399

Personen-, Orts- und Sachregister

Theodericus, Vefasser eines Pilgerberichtes 250 Theodora, Ehefrau Bohemunds III. von Antiochia 100f Toleranz 19, 38, 40, 103–107, 135 Toros († 1098), armenischer Herrscher von Edessa 211 Tortosa 335 Totes Meer 324 Toulouse 188 Traditionsgemeinschaft 42 Traditionskern 42, 45, 49, 51, 62, 194, 219 Tripolis 236f, 239, 335 – Grafschaft 15, 22f, 37, 54f, 74 Troja 133, 209, 228–231 Tudebodus siehe Petrus Tudebodus Türken passim Tugtakin (gest. 1128), Atabeg von Damaskus (1105–1128) 39, 113, 339 Tyrus 69, 112, 153, 342 – lateinisches Erzbistum 105, 107, 182, 222 Urban II. (ca. 1035–1099), Papst (1088–1099), Heiliger 13f, 20, 46, 83, 110, 117f, 121ff, 133f, 178–184, 186, 197f, 221, 244, 268, 272, 291, 306ff, 318, 352 USA 29f, 258 Usamah ibn Munqidh (1095–1188), muslimischer Schriftsteller 103, 105f Vardar, Fluß in Mazedonien 130, 132, 189ff, 194f, 197, 213, 217, 241f, 270, 275, 277 Venedig 90, 156, 301 Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland 30 Vergil (70–19 v. Chr.), römischer Dichter 82, 133, 230f Versailles 36 Via Egnatia, Römerstraße auf dem Balkan 197, 216, 275 Völkerbund 36 Völkerwanderung 46ff Volk 17, 40f, 43, 45

Wales 26 Wallfahrt siehe Pilgerfahrten Walter der Kanzler († nach 1122), antiochenischer Kanzler (ca. 1114– ca. 1122), Chronist 65 und passim Warmund von Picquigny († 1128), Patriarch von Jerusalem (1118–1128) 339 Weber, Max (1864–1920), Soziologe 49 Wenskus, Reinhard (1916–2002), Historiker 21, 41–43, 47f, 194 Wiener Schule 41, 43, 47f Wilhelm – I. (1027/28–1087), der Eroberer, König von England (1066–1087) 26, 98, 220 – I., Patriarch von Jerusalem (1130– 1145) 335 – von Apulien († nach 1099), Chronist 191 – Bischof von Orange, Teilnehmer des 1. Kreuzzuges 188 – Bruder Tankreds 129, 208f – Maisnil, normannischer Teilnehmer des 1. Kreuzzuges 219 – von Malmesbury (ca. 1090–ca. 1142), Chronist 70, 177, 244, 321 – von Tripolis (ca. 1220–nach 1273), Dominikaner, Missionar 108 – von Tyrus († 1186), lat. Erzbischof von Tyrus (1175–1186), Kanzler des Königreichs Jerusalem (1174–1185), Chronist 69ff und passim Wormser Konkordat 318 Würzburg 78 Wunder 72, 150, 154, 157, 167, 173, 232, 259, 263, 312ff, 319, 354 Yagi Siyan (gest. 1098), türkischer Statthalter von Antiochia 211 Zengi (ca. 1084–1146), muslimischer Herrscher von Mosul und Aleppo 137, 335 Zisterzienser 204 Zypern 75, 294

98,