Erste, zweite und dritte Berathung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs im Reichstage: Stenographische Berichte [Reprint 2018 ed.] 9783111524344, 9783111155937

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Erste, zweite und dritte Berathung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs im Reichstage: Stenographische Berichte [Reprint 2018 ed.]
 9783111524344, 9783111155937

Table of contents :
Erste Berathung
30. Sitzung am Montag den 3. Februar 1896
31 Sitzung am Dienstag den 4. Februar 1896
32. Sitzung am Mittwoch den 5. Februar 1896
33. Sitzung am Donnerstag den 6. Februar 1896
Zweite Berathung
109. Sitzung am Freitag den 19. Juni 1896
110. Sitzung am Sonnabend den 20. Juni 1896
111. Sitzung am Montag den 22. Juni 1896
112. Sitzung am Dienstag den 23. Juni 1896
113. Sitzung am Mittwoch den 24. Juni 1896
114. Sitzung am Donnerstag den 25. Juni 1896
115. Sitzung am Freitag den 26. Juni 1896
116. Sitzung am Sonnabend den 27. Juni 1896
Dritte Berathung
117. Sitzung am Dienstag den 30. Juni 1896
118. Sitzung am Mittwoch den 1. Juli 1896

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ßrjtf, Mette ml Mit Versthiilg de»

Entwurfs eines

Bürgerlichen Gesetzbuchs im Reichstage.

Stenographische Berichte.

Berlin. I. «uttentag, Berlag-b«chha»dl«»g. 1896.

Krste WeratHung.

30. Sitzung am Montag den 3. Februar J8%. Seite Reu eingegangene Vorlage............................................. Personalveränderungen in Kommissionen .... Beurlaubungen................................................................. Anmeldung von Kommissaren des Bundesraths Erste Berathung bei bürgerlichen Gesetzbuchs nebst EinsührungSgesetz (Nr. 87, ad 87, 87», ad 87» der Anlagen)............................................................................ 4 Staatssekretär deS ReichSjustizamtS, Wirklicher Geheimer Rath Nieberding ....

Gelte Dr. Rintelen................................................................. 18 Dr. von Cuny............................................................98 Dr. von Buchka............................................................ 29 Schröder...................................................................... 87 Leuschner...................................................................... 42 Die Berathung wird abgebrochen und vertagt 48 Feststellung der Tagesordnung sür die nächste Sitzung............................................................................ 48

Die Sitzung wird um 1 Uhr 18 Minuten durch den Präsidenten Freiherrn von Buol-Berenberg eröffnet. Präsident: Die Sitzung ist eröffnet. Das Protokoll der vorigen Sitzung liegt auf dem Bureau zur Einsicht offen. Als Bor läge ist eingegangen: der Entwurf eines Gesetzes, betreffend Abänderung des Zuckersteuergesetzes, nebst Begründung. Ich habe die Drucklegung verfügt. An Stelle der aus der Budgetkommission beziehungsweise der IX. und X. Kommission geschiedenen Herren Abgeordneten Freiherr Saurma von der Jeltsch, Graf von Kanitz-Podangen, Graf von Holstein, Steppuhn sind durch die vollzogenen Ersatzwahlen gewählt worden die Herren Abgeordneten: Graf von Carmer in die Budgetkommission; Graf zu Stolberg-Wernigerode in die IX. Kommission; von Dallwitz, Baron von Gustedt-Lablacken in die X. Kommission. Ich habe Urlaub ertheilt den Herren Abgeordneten: Dr. Böhme für 2 Tage, Dr. Lingens sür 4 Tage, Ritter (Wirsip), Dr. von Bennigsen für 8 Tage. Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach die Herren Abgeordneten: von Winterfeldt-Menkin für 11 Tage wegen dringender Geschäfte; von der Gröben-Arenstein für 14 Tage wegen dringender Amtsgeschäfte. Deil Urlaubsgesuchen wird nicht widersprochen ; dieselben sind bewilligt.

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Erste Berathung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs.

Als Kommissare des Bundesraths sind folgende Herren angemeldet: Schriftführer Abgeordneter von Normauu: der Kaiserliche Geheime Ober-Regierungsrath Herr Struckmann, der Königlich preußische Geheime Justizrath Herr Professor Dr. Planck, der Königlich bayerische Ministerialrath Herr Jacubezky, der Königlich sächsische Geheime Hofrath Herr Dr. Sohm, der Königlich sächsische Geheime Justizrath Herr Boerner, der Königlich Württembergische ordentliche Professor Dr. von Mandry, der Großherzoglich badische Geheime Rath Herr Professor Dr. Gebhard; ferner: 1. für die erste Berathung des bürgerlichen Gesetzbuchs : der Königlich preußische Wirkliche Geheime Ober-Justizrath Herr Dr. Küntzel; 2. für die erste Berathung eines Einführungsgesetzes: der Königlich preußische Geheime Ober-Regierungsrath Herr Dr. Hermes. Präsident: Wir treten in die Tagesordnung ein. Den Gegenstand derselben bildet die erste Berathung des bürgerlichen Gesetzbuchs (Nr. 87, ad 87 der Druck­ sachen), in Verbindung mit der ersten Berathung eines Einführungsgesetzes zum bürgerlichen Gesetzbuch (Nr. 87a und ad 87a der Drucksachen). Ich eröffne die erste Berathung und ertheile das Wort dem Herrn Bevollmächtigten zum Bundesrath, Staatssekretär des Reichsjustizamts, Wirklichen Geheimen Rath Nieberding. Bevollmächtigter zum Bundesrath, Staatssekretär des Reichsjustizamts, Wirklicher Geheimer Rath Nieberding: Meine Herren, das Gesetzbuch, welches Ihnen im Entwurf heute vorliegt, und das bestimmt ist, auf dem Gebiete des Vermögens- und des Familien­ rechts für unser Vaterland die so oft ersehnte und doch nie errungene Rechtseinheit herbei­ zuführen, ist die Frucht einer Arbeit von mehr als 20 Jahren. Drei Kommissionen haben ihm chre Thätigkeit gewidmet: eine Vorkommission, berufen, die Grundlagen und den Umfang des Gesetzentwurfs so festzustellen, wie dies int wesentlichen auch für den gegen­ wärtigen Entwurf maßgebend gewesen ist, eine erste Hauptkommission, bestehend aus hervor­ ragenden Kennern des Rechts in den verschiedenen Rechtsgebieten Deutschlands, mit dem Aufträge, aus dem gewaltigen Rechtsstoffe, der sich int Laufe der Jahrhunderte in Deutschland aufgethürmt hatte, den Entwurf eines Gesetzbuchs herauszubauen, und, als dieser Auftrag nicht int Sinne der öffentlichen Meinung und auch nicht zur vollen Be­ friedigung der verbündeten Regierungen ausgefallen war, eine zweite Hauptkommission, welche berufen war, die Arbeit der ersten Kommission zu revidiren, und der wir im wesentlichen das Gesetzgebungswerk verdanken, das heute vor Ihnen liegt. Während die erste Kommission nur aus rechtsgelehrten Mitgliedern bestand, ge­ hörten der zweiten auch Vertrauensmänner an aus großen Parteien des Reichstags und fachkundige Vertreter der sogenannten produktiven Stände: der Land- und Forstwirthschaft, des Bergbaues, des Gewerbefleißes und des Handels. Während die erste Kommission in der Stille der Studierstube und unter dem Geheimniß des amtlichen Bureaus, fern von dem Pulsschlag des Lebens, lange Jahre hindurch ihrer Attfgabe sich gewidmet hat, hat die zweite Kommission gearbeitet, wenn ich so sagen darf, aus dem Markt des öffentlichen Lebens, in Fühlung mit den Parteien des Hauses, in Beziehung zu den großen Interessen­ gruppen, die unser wirthschaftliches Leben beherrschen. Ihre Aufgabe war es, den ge­ waltigen Stoff an Kritik, an Wünschen und Bedenken, welche die Veröffentlichung des ersten Entwurfs hervorgerufen hatte, zu sichten und darauf zu prüfen, inwieweit die daran zum Ausdruck gebrachten Erinnerungen mit den Interessen des Landes im Einklang waren. Sie veröffentlichte gleich, nachdem ihre Entschlüsse gefaßt waren, den Inhalt derselben, um der öffentlichen Meinung unverweilt Gelegenheit zur Beurtheilung zu geben. Diese Kritik wieder wurde von der Kommission dankbar aufgenommen und in weiteren Lesungen

Erste Berathung bc6 Entwurf» eint» Bürgerlichen Gesetzbuch».

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des Entwurfs verwerthet. Ueber alle Sitzungen wurde durch die öffentlichen Blätter der Bevölkerung Rechenschaft abgelegt. Diese Mittheilungen regten in weiten Kreisen, nicht bloß unter den Juristen, nicht bloß in den gelehrten Ständen, nein, auch darüber hinaus, neue Wünsche und Anträge an, die gleichfalls von der Kommission mit Aufmerlsamkett hingenommen und verwerchet worden sind. Weit über die Grenze unseres Vaterlandes hinaus, von drüben, jenseits des Ozeans, her sind in dieser Weise Erinnerungen und Verbesserungsvorschläge an die Kommission gekommen, Zeugnisse des warmen Jntereffes, welches unsere Volksgenossen auch außerhalb unserer Grenzen an dem nattonalen Werk nahmen. Und so, meine Herren, glaube ich, darf man sagen, daß der vorliegende Ent­ wurf, wenn er naturgemäß auch nicht alle Kreise des Volks befriedigt, nicht mehr der Ausdruck der Meinungen einer auf eine kleine Mitgliederzahl beschränkten Kommission ist, sondern der Ausdruck der Auffassung in weiten, ja, in den weit überwiegenden Kreisen des deutschen Volks. Aber, meine Herren, damit habe ich den geistigen Inhalt des Ent­ wurfs noch nicht erschöpft. Der Entwurf reicht in seinen Anfängen und Quellen über unsere Generation in die Vergangenheit hinein. Indem er jetzt an der Neige dieseJahrhunderts an die Oeffentlichkeit tritt, an der Neige eines Jahrhunderts, welches den modernen Staat geboren hat, darf man sagen, daß er gewissermaßen den Niederschlag bildet derjenigen rechtlichen, sittlichen und polittschm Anschauungen, die unter den Strömungen und Gegenströmungen der vergangenen Jahrzehnte seit den Freiheitskriegen allmählich in den festen Besitz des Gewissens des deutschen Volk» übergegangen find. Denn, wie gesagt, an diesem Entwurf hat nicht bloß unsere Generatton gearbeitet; an ihn hat das deutsche Volk vor uns gedacht, und die geistige Kraft der Natton lange vor unserer Zeit hat an ihm gearbeitet. Seitdem bald nach den Freiheitskriegen zuerst daS Machtwort von GoerreS die politische Welt für die Schaffung eines einheitlichen Rechts im Vaterland zu gewinnen suchte, seitdem dann der Heidelberger Rechtslehrer Thibaut auftrat, um in jenem denk­ würdigen Streite mit dem Berliner Savigny die Juristenwelt für ein einheitliche- deutschebürgerliches Recht zu begeistern, als weiterhin die preußische Regierung in der Erkenntniß, daß das allgemeine Landrecht des vorigen Jahrhunderts für die anderen Zeiten und für die erweiterten Verhältnisse deS preußischen Staats nicht mehr genüge, die Jnittative er­ griff, um eine neue Kodifikatton des bürgerlichen Recht- in.Preußen herbeizuführen, als diesem Vorgehen die bayerische und die hessische Regierung folgten, vorläufig hoffnungslos, was die Aussichten auf ein gemeinsame- deutsche- Recht bedarf, zunächst darauf bedacht, für ihr eigenes Land die RechtSeinheit zu schaffen, als dem gleichen Vorgehen die sächsische Regierung folgte und, glücklicher als die anderen Regierungen, dahin gelangte, in dyt 60 er Jahren ein einheitliches bürgerliches Recht für Sachsen festzustellen, als selbst der deutsche Bundestag seine partikularistischen Neigungen so weit überwinden mußte, daß eine Kommission eingesetzt wurde zur Berathung eine- gemeinsamen deutschen Obligationen» rechts: in allen diesen Phasen war der Gedanke maßgebend und durchschlagend, daß der gegenwärttge Rechtszustand Deutschlands ungenügend, unhaltbar sei, daß eS nothwendig sei, zu einer Kodifikatton des deutschen Rechts zu gelangen, sei es unmittelbar durch ein deutsches Gesetzbuch, sei es mittelbar auf dem Wege zunächst einer parttkulareinheitlichen Gestaltung des Rechts. Dieser Gedanke hat die deutsche Welt auch weiter bewegt. Er schrieb in die Reichs­ verfassung von 1849 die Forderung eines einheitlichen bürgerlichen Rechts hinein, er ließ den Deutschen Juristentag, nicht nur die Vertretung der deutschen gelehrten Juristen, sondern vor allem derjenigen, die mitten im Leben des Volks stehen, nach seiner Bildung als erste Forderung in sein Programm ein einheitliches bürgerliches Recht aufnehmen. Er brachte uns das deutsche Handelsgesetzbuch. Nachdem der Reichstag des Norddeutschen Bundes zusammengetreten war, war er kaum konstituirt, als er schon die Forderung stellte nach einem einheitlichen deutschen Recht, und der Reich-tag des Deutschen Reichs folgte

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Erste Berathung deS Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs.

ihm, indem er, eben zusammengetreten, diese Forderung wiederholte. Diesem Drängen, meine Herren, verdanken wir das Gesetz vom 20. Dezember 1873, das heute unsere Legitimation bildet, wenn wir die Frage eines gemeinsamen Gesetzbuchs praktisch diskutiren. Damals freilich, meine Herren, unter dem Drang der nationalen Begeisterung, war man sich der großen Schwierigkeiten, die gerade in Deutschland der Schaffung eines ein­ heitlichen Rechts entgegenstehen, doch nicht ganz bewußt, und schwerlich hat man gedacht, daß fast ein Menschenalter vorübergehen würde, bevor die verbündeten Regierungen in die Lage kommen würden, dem Reichstage eine Vorlage zu machen, die dem Gedanken des Gesetzes von 1873 entspreche. Aber, meine Herren, ich glaube, ein Blick auf den Rechtszustand, wie er war und leider gegenwärtig noch ist, wird diese lange Zögerung nicht als eine Säumniß der verbündeten Regierungen erscheinen lassen. Vergegenwärtigen wir uns den derzeitigen Rechtszustand, wie ihn wohl niemals in der Welt ein großes Kulturland so lange in solcher Zerrissenheit, Verworrenheit und Unklarheit ertragen hat! Die, wenn ich so sagen darj, geographische Rechtslage in Deutschland ist etwa folgende : mitten durch unser Vaterland hindurch, von den Alpen bis an die Nord-Ostsee, im Süden zwischen dem Schwarzwald und dem Böhmer Wald, im Norden zwischen der Weser und dem Elbstrom, zieht sich ein breites Landgebiet, das den Westen und beit Osten Deutschlands auseinander reißt und vom gemeinen Recht be­ herrscht ist, d. h. von dem gemeinen römischen Recht, das vor fast 11/2 tausend Jahren in Byzanz geschaffen wurde und in lateinischer Sprache geschrieben ist. Also dieses Recht herrscht in dem Herzen Deutschlands, aber nicht allein. In buntem Durcheinander sind neben ihm Trümmer alter Volksrechte, alter Landrechte, alterthümliche Kodifikationen veralteter Stadtrechte, Privilegien und Statuten oft von wunderlicher Gestalt in Geltung, so daß das mitteldeutsche Gebiet in weit über 100 Gebiete mit verschiedenen Rechts­ normen zerfällt. Im Osten unseres Vaterlandes herrscht sodann neben einem Stück ge­ meinen Rechts an der Lstseeküste und neben dem kleinen Gebiet, welches vom sächsischen Gesetzbuch beherrscht wird, das preußische allgemeine Landrecht, aber bei Leibe nicht ein­ heitlich, gleichmäßig und allein; theilweise ist es Prinzipales Recht und hat alles andere Recht verdrängt, theilweise gelten vor ihm neue modifizirte Provinzialrechte, theilweise gelten mit ihm Rechte alterthümlicher Art aus vergangenen Jahrhunderten. Im Westen unseres Vaterlandes endlich herrscht, nördlich ebenfalls, noch in gewissen Gebietsinseln, wenn ich so sagen darf, das gemeine Recht oder das preußische Recht, allgemeines Land­ recht. Den übrigen ganzen Westen beherrscht das französische Recht. Von dem Punkte an, wo der Rhein in unser Land eintritt, bis dahin, wo er wieder über unsere Grenzen geht, herrscht in unseren westlichen Gebieten das Recht Frankreichs, unseres Nachbars jen­ seits der westlichen Grenzen. In Zahlen ausgedrückt, meine Herren, kann man sagen, stehen von den 50 Millionen Einwohnern, die, rund gerechnet, das Deutsche Reich enthält, etwa 7 Prozent unter dem Recht des Königreichs Sachsen, etwa 17 Prozent unter französischem Recht; das gemeine römische Recht mit alten deutschen Partikularrechtsresten gilt für etwa 33 Prozent der Bevölkerung; das Landrecht herrscht in den übrigen Theilen des Landes, rund 43 Prozent der Bevölkerung. Nach diesen Zahlen würde man annehmen dürsen, daß das Landrecht und nächst ihm das gemeine Recht die überwältigende Geltung in Deutschland behaupte; aber hier tritt die Thatsache hinzu, daß neben und vor diesen Rechten noch andere partikulare Rechte in Geltung sind. Wenn wir diesen Umstand mit in Rechnung ziehen, dann müssen wir — ich muß wohl sagen : leider — gestehen, daß dasjenige Gebiet, in welchem ein ein­ heitliches Recht am mächtigsten, am geschlossensten für einen verhältnißmäßig großen Theil des deutschen Volks herrscht, das Gebiet des französischen Rechts ist. Nach der inneren Kraft gerechnet, hat int Deutschen Reich das französische Recht die Oberhand. Das, meine Herren, giebt zu denken. Auch nach einer anderen Richtung hin, läßt sich der gegenwärtige Rechtszttstand

Erste Berathung de» Entwurf» eine» Bürgerlich« Gesetzbuch».

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Deutschlands in einer für uns nicht gerade schmeichelhaften Weise charafterisiren; ich darf das nicht unterdrücken, wenn der Wahrheit die Ehre gegeben und die Unhaltbarkeit unseres jetzig« RcchtszustandeS vollständig dargelegt werden soll. Wenn ich frage, in welcher Sprache die Rechtsquellen geschrieben sind, nach denen das deutsche Bolk sein Recht nimmt, so ist die Antwort die: im Ost« unseres Vaterlands gilt deutschsprachiges Recht, das sächsische Gesetzbuch, daS preußische Landrecht; in den mittleren Theilen unseres Vater­ lands gilt das Recht Justinians, in lateinischer Sprache, zum Theil sogar griechisch geschrieben — 33 Prozent unserer Bevölkerung sind in der Lage, ihr Recht zu nehm« aus diesen Rechtsquellen abgestorbener Sprach«. Im Westen unseres Vaterlands, im Großherzogthum Baden, gilt französisches Recht in deutscher Uebersetzung, aptirt für die besonderen Verhältnisse des Staats; in allen übrigen westlich« Theil« des Reichs gilt dagegen der Code in seiner ursprünglichen Gestalt in französischer Sprache — das sind etwa 14 Prozent des deutschen Volks. 14 Prozent des deutschen Volks sind in der Lage, ihr Recht zu nehmen aus einem Gesetzbuch französischer Sprache, das nur die Gebildeten verstehen! 46 Prozent des deutschen Volke», d. h. fast die Hälfte Deutschlands, haben ihr Recht zu suchen in Quellen, denen ihre eigene Sprache verschlossen ist. Da ist es begreiflich, meine Herren, daß, als die Freiheitskriege vorüber war«, das deutsche Bolk in seinem aufflammenden Nationalgefühl dies« Zustand schwer empfand, und es ist auch verständlich, wenn unsere Zeit die Verantwortlichkeit empfindet, diesem Zustand endlich ein Ende zu machen. (Bravo!) Nun, meine Herren, auf jenem Trümmerfeld« deutscher Recht-einrichtungen, wie ich es eben geschildert habe, mußten die Männer, die berufen waren, daS Gesetzbuch herzustellen, die Bausteine suchen, aus denen der neue RechtSbau hergestellt werden sollte. Das war eine schwierige, eine verantwortungsvolle Aufgabe, schwierig, weil ihnen sofort die Frage entgegentrat: auS welchem dieser verschiedenen RechtSgebiete soll vorwiegend das Material für den Neubau genomm« werden? — verantwortungsvoll, weil natürlich die Bevölkerung jedes RechtSgebiets, das sich mit seinen Anschauungen und Einrichtung« bei diesem Neubau vernachlässigt glaubte, Rechenschaft von jenen Männern verlangte, die den Bau zu schaffen hatten. Jndeffen konnte es für die Kommission schließlich kein Zweisel sein, daß weder die bestehmden Rechtskodifikationen, noch auch daS alte gemeine römisch-deutsche Recht zur maßgebenden Grundlage für unser neue- bürgerliche- Rechj genommen werden durft«. Die Kommission hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß sie das Recht ausbauen wolle nach Gründen der Zweckmäßigkeit, im Anschluß an die Tradition«, die im deutschen Volke vorwiegend walteten, ohne Bruch mit der Vergangen­ heit, aber auch ohne Liebhaberei für abgestorbme Dinge. So gelangte sie zu der Über­ zeugung, daß trotz allen Rufens, daS in neuerer Zeit ein überspanntes nationale- Gefühl dahin laut werden ließ, da- deutsche Recht müsse wahrhaft deutsch und nur aus teutschen Quellen geschöpft sein, — bei der Errichtung deS neuen RechtSbaues das römische Recht, wie es einmal in Deutschland besteht, nicht übergangen werden durfte. Denn daS römische Recht, wie es bei uns besteht, ist nicht römisches Recht mehr in dem streng« nationalen Sinn; eS ist gemodelt und theilweise deutsch geworden in der geistigen Arbeit Deutsch­ lands von vier Jahrhunderten. Es muß als deutsches Recht gelten, weil auf vielen Gebieten, die der entwickelte Verkehr- in der Neuzeit geschaffen hat, die alt« Rechtssätze und Rechtsanschauungen des deutschen Lebens nicht mehr genügten, ja vielfach geradezu fehlten. Es muß als modernes Recht gelten, gerade so wie römisches Recht in fast allen Kulturländern Europas seine wichtigsten Grundsätze zu den bestehenden geltenden Rechten hergeliehen hat. Diese von der deutschen Kultur aufgenommenen, von der europäischen Kultur mitgetragenen Rechtssätze aus dem neuen Rechtsbuch auszuscheiden, wäre unmöglich, wäre eine Thorheit gewesen; denn wenn es sich auch nur um Deutschland allein gehandelt hätte, so hätte darin ein Bruch mit der Vergangenheit gelegen, den das deutsche Bolk

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Erste Berathung de- Entwurf- eine- Bürgerlichen Gesetzbuch-.

und seine Interessen nicht ertragen könnten; es wäre auch unbegreiflich gewesen in einer Zeit, wie der unsrigen, wenn wir, da der Verkehr die Nationen täglich nähert, uns mit unserem Recht wieder zurückversetzen wollten auf vergangene Zeiten, um unser Rechts­ leben von den anderen Nationen zu trennen. Aber, meine Herren, mit der Erkenntniß, daß wir gezwungen und berechtigt waren, den römischrechtlichen Anschauungen einen Platz in dem bürgerlichen Gesetzbuch zu geben, war es verträglich, ja es war die Pflicht der Kommission, dafür zu sorgen, daß das, was an deutschrechtlichen Anschauungen in den Gemüthern unseres Volks noch lebt, in dem Recht unseres Volks noch nicht vollständig abgestorben ist, erhalten, neu befruchtet und weiter entwickelt werde. So weit, wie das deutsche alte Recht im Stande gewesen ist, der Macht des modernen Lebens Widerstand zu leisten und sich den Verhältnissen dieses Lebens anzuschließen, so weit hat es auch Anspruch darauf, in unserem Gesetzbuch weiter zu leben, insoweit wird es vielleicht sogar der fruchtbarste Keim für die künftige Entwicklung unseres Rechts werden. Nach diesen Gesichtspunkten hat die Kommission die Auswahl der auf deutschem Boden ursprünglich gewachsenen Rechtssätze getroffen, die in das neue Gesetzbuch zu über­ nehmen waren: es hat erhalten, was noch am Leben war, aufgefrischt, was im Verwelken begriffen, neu hervorgezogen, was das römische Recht zurückgedrängt, doch nicht erstickt hat, aber die Todten hat es nicht in das Leben zurückrufen wollen. Germanistische Lieb­ haberei hat die Kommission nicht treiben dürfen, die praktischen Interessen der deutschen Nation standen dafür zu hoch. Meine Herren, wo die Grenze hier zu ziehen war, das ist ja eine schwierige Frage, und so wird man auch verschiedener Meinung darüber sein können, ob so, wie die Aus­ wahl von der Kommission getroffen worden ist, die richtige Linie eingehalten wurde. Für die Kommission waren aber zwei sichere Leitpunkte bei dieser Auswahl vorhanden, einmal die großen Kodifikationen der neuen Zeit. Soweit das allgemeine Landrecht, der französische code, das sächsische Gesetzbuch Rechtssätze und Rechtsanschauungen gemeinsam vertreten, so weit durfte die Kommission mit einiger Sicherheit annehmen, daß diese Dinge auch dem Rechtssinn und den Anschauungen des deutschen Volks entsprechen; wenn man zweifelhaft war, wie die Wahl getroffen werden sollte, so konnte die Uebereinstimmung dieser drei großen Kodifikationen eine verhältnißmäßig sichere Leitung bieten. Soweit aber in diesen Kodifikationen verschiedene Sätze herrschen, so weit mußte im Interesse der Einheit des Ganzen das Kleinere und Schwächere zurücktreten. Die Kommission hat demgemäß in solchen Fällen sich denjenigen Anschauungen und Rechtssätzen zugewendet, die verhältnißmäßig die größte Herrschaft behaupteten. So hat sie gehandelt beispiels­ weise auf dem Gebiete des Hypothekenrechts, des ehelichen Güterrechts, auf dem Gebiet des Bormundschaftsrechts, wie auch in anderen Fragen. Und ich glaube, eine nähere Prüfung wird auch dem hohen Haus die Ueberzeugung verschaffen, daß, wenn natürlich hierbei unvermeidlich die Anschauungen einzelner Bevölkerungskreise Deutschlands empfindlich berührt worden sind, anders doch nicht vorgegangen werden konnte, wollten wir überhaupt zu einer Rechtseinheit gelangen. Meine Herren, es giebt ja Männer, die das Recht der Zukunft schon fertig zu haben glauben und die auch hier verlangt haben, unsere Kodifikation solle mehr sein als nur eine Vereinheitlichung des geltenden Rechts, die diesem Gesetz­ gebungswerk, das in mühseliger Arbeit geschaffen worden ist, leichthin den Vorwurf machen, es sei nur eine Kompilation. Das Wort, meine Herren, nehme ich hin; denn es ist nach meiner Meinung eine Anerkennung, eine Anerkennung, daß die Kommission den größten Fehler vermieden hat, den Idealisten wahrscheinlich gemacht haben würden, den Fehler, mit dem bestehenden Rechtszustande des Volts 511 brechen. Das will unser deutsches Volk nicht; es will im wesentlichen das behalten, was es hat; es will nur ein Ende machen dem unleidlichen Zustande der Zerrissenheit. Diesen Borwurf, meine Herren, daß wir nur kompilirt hätten, können Sie jeder

Erste Berathung bei Entwurfs eisei Bürgerlichen Gesetzbuchs.

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Kodifikation machen, die jemals an daS Tageslicht getreten ist. Kein Recht hat ihn wohl mehr verdient als die Kodifikation Justinians, die doch mehr als irgend eine andere über ein Jahrtausend hindurch mit ihren geistigen Einflüsien die Kulturwelt Europas beherrscht hat. Und selbst der französische Code, dieses Kind der Revolution, besteht im wesentlichen aus altem Recht, wie eS in Frankreich galt, auS dem römischen Recht, wie es die fran­ zösische Nation sich angeeignet hatte, auS dem fränkischen Recht, wie es in dem Norden Frankreichs sich erhalten hatte. Und wenn wir von Tadlern des Entwurfs in diesem Punkt verwiesen werden auf das Beispiel des Code, so sage ich: dieser Hinweis ist unricktig, der Code spricht gerade für uns. Der Code ist zwar mit Begeisterung, darf man wohl sagen, aufgenommen im deutschen Volke, aber nicht deshalb, weil er viel neues Recht geschaffen hätte, sondern einmal, weil ihn der Schimmer der politischen Errungen­ schaften umgab, an denen das damalige Europa sich begeisterte, aber auch deshalb, weil der Westen unseres Vaterlandes an die Stelle der jammervollen Zerriffenheit seines Rechts endlich ein einfaches einheitliches Recht in ihm begrüßen konnte. Meine Herren, wenn Sie im Stande find, die prinzipielle» Gesichtspunkte, die ich die Ehre hatte Ihnen kurz anzudeuten, sich anzueignen, dann, glaube ich, werden wir im großen und ganzen darüber nicht zweifelhaft unter einander sein können, daß der Entwurf wie er hier vorliegt, im allgemeinen gelungen ist; dann werden wir unS nur noch streiten können in Einzelheiten, und das wird ja später unsere Sorge sein; ich möchte auch glauben, daß, was dasGanze des.Werks betrifft, hier im Hause erhebliche Bedenken nicht laut werden können. Nur ein- darf ich vielleicht gleich Eingangs der Diskussion kurz hervor­ heben: es betrifft das Kleid des Entwurfs, die Sprache, die Seite, mit der das Werk zunächst unser deutsche- Volk berührt. Meine Herren, der Sprache des Gesetzentwurfs ist der Borwurf gemacht worden, daß sie künstlich, nicht einfach, für die weiten Kreise unverständlich, eigentlich nur Juristen­ deutsch sei. Ich will offen gestehen, daß auch nach meinem Gefühl das Gesetzbuch in dieser Formfrage nicht frei von Mängeln ist. Aber ich bin nicht der Meinung, daß die Bor­ würfe, die nach dieser Richtung hin erhoben werden, in ihrem ganzen Umfange berechtigt sind, und ich glaube nicht, daß es einen Mann in Deutschland giebt, oder daß eine Kommission geschaffen werden könnte, die im Stande wäre, ein Gesetzbuch zu schaffen, das in diesem Punkte freier von Mängeln und vollkommener wäre als diese-, (Sehr richtig!) Meine Herren, man hat unS mit einem für den Deutschen nach meiner Meinung nicht berechtigten Stolz auf den Code hingewiesen und ihn als Muster sprachlicher Form uns hingestellt. Diesen Hinweis halte ich nicht fiir gerechtfertigt. Ich leugne nicht, daß der Code sich durch eine elegante äußere Prägnanz auszeichnet, die vor allem für uns Deutsche mit unserer schwerfälligerm Sprache etwas bestrickmdes hat; ich leugne aber entschieden, daß der Code deshalb klarer und verständlicher sei alS unser Gesetzbuch. Im Gegentheil, meine Herrm, roenn Sie Ihren Blick auf die zahllosen Bände der Ent­ scheidungen de- höchstm französischen Gerichtshofes, des Pariser Kafsationshofes, werfm, auf alle die Urtheile, durch welche das französische Volk sich erst die Klarstellung seines Rechts hat erkaufen müssen, wenn Sie bedenken, welche Mühe, welche Kosten damit dem Volk erwachsen sind, dann werden Sie, glaube ich, anerkennen müssen, daß der Vortheil äußerer Eleganz mit einem solchen Aufwande zu theuer erkauft ist. (Sehr richtig!) Man hat uns dann auf das allgemeine Landrecht verwiesen und hat uns gemahnt, dessen Spuren zu folgen. Meine Herren, der Vorzug unseres neuen Gesetzbuchs vor dem allgemeinen Landrecht besteht doch zweifellos darin, daß unser Gesetzbuch bei weitem kleiner an Umfang ist und deshalb dem Volke zugänglicher. Was dem allgemeinen Landrecht nachgerühmt werden kann, ist eine gewiffe scheinbare Gemeinverständlichkeit der Sprache. Aber diese Gemeinverständlichkeit ist in der That nur eine scheinbare; denn auch hier hat die umfang-

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Erste Berathung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs.

reiche Judikatur, die sich seit dem Anfang dieses Jahrhunderts an die Praxis des Landrechts geknüpft hat, uns gelehrt, wie wenig gemeinverständlich in Wirklichkeit das Gesetzbuch ist. Meine Herren, mag hier die Sache aber auch liegen, wie sie will: vergegenwärtigen wir uns doch vor allem, was wir mit diesem Gesetzbuch und seiner deutschen Sprache erwerben gegenüber dem, was wir besitzen. Wenn wir zugestehen muffen, daß fast die Hälfte unseres Volks unter fremdsprachigem Rechte lebt, — wie können wir da noch wagen, aus der nicht vollendeten. Form der Sprache des neuen Entwurfs, der doch immerhin deutsch spricht, einen Einwand gegen ihn herzuleiten? (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Das Dritttheil unseres Volks, das jetzt darauf angewiesen ist, falls überhaupt der Versuch gemacht werden sollte, die Quellen seines Rechts in den lateinischen und griechischen Sammlungen zu suchen, das wird sich glücklich schätzen, dieses Gesetzbuch zu erhalten. Und, meine Herren, die anderen 14 Prozent unseres Volks im Westen werden, glaube ich, Nationalbewußtsein genug besitzen, um sich zu sagen: dieses deutsche Buch mit seiner nicht gerade eleganten Sprache ist uns lieber als das fremde Rechtsbuch, französisch geschrieben. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Meine Herren, von diesem Standpunkt aus, glaube ich, werden wir auch über jedes Bedenken, das in der Form der Sprache liegt, hinwegkommen. Was die Erinnerungen gegen Einzelheiten des Entwurfs betrifft, so wird diese gesetzgebende Körperschaft sich der weiten Tragweite bewußt sein, die bei der Beschluß­ fassung über den Entwurf an sie herantritt, und nicht geneigt sein, ihre Ausgabe in kleinen Bedenken 511 verzetteln. Da möchte ich — die Herren werden mir das gestatten — auf ein Ereigniß in unserer deutschen Rechtsentwicklung verweisen, das nach der einen Seite eine Warnung, nach der anderen Seite aber auch eine Ermuthigung sein kann : das ist die Entstehung unseres Handelsgesetzbuchs. Unser Handelsgesetzbuch ist das Werk einer größeren Zahl ganz hervorragender Juristen und Kaufleute, die um die Mitte des Jahrhunderts das Vertrauen ganz Deutsch­ lands besaßen. Es war in einer zweimaligen mühseligen Lesung zu Stande gebracht; und im letzten Augenblick, als die Frage entstand, ob annehmen oder ablehnen, da erhob sich die Opposition und namentlich die gelehrte Opposition, und eine große Reihe von mehr als hundert Erinnerungen wurden gegen das Gesetzbuch geltend gemacht mit dem Verlangen, eine nochmalige Revision und Umarbeitung eintreten zu lassen. Meine Herren, der politischen Klugheit der deutschen Regierungen, der Einsicht der Stände in den einzelnen Staaten, haben wir es zu verdanken, daß dieses Begehren abgewiesen wurde, — zum Glück für unser Land! Denn wohin wäre es gekommen, wenn nach den Wünschen, die damals laut wurden, nochmals eine umfassende Revision des Entwurfs vorgenommen worden wäre? Jene große Katastrophe, die die Umgestaltung der politischen Verhältnisse unseres Vaterlands herbeiführte, stand vor der Thür, und die ganze Arbeit, die aus das Handelsgesetzbuch verwandt war, würde, wenn es zu einer neuen Lesung gekommen wäre, in den Strudel der politischen Umwälzungen hineingezogen worden sein, und wer weiß, wann wir dann dieses Gesetzbuch erhalten hätten. Nun, meine Herren, trotz der Hunderte von Bedenken, die damals eine leidenschaft­ liche Opposition gegen das Gesetzbuch geltend machte, ist es der Stolz unseres Rechtslebens und unseres Volks. Wer spricht jetzt noch von jenen Bedenken? Und unser Handels­ stand hat nie darunter gelitten, daß ihnen keine Rechnung getragen war. Wäre diesen Bedenken Rechnung getragen worden, so wäre es auf die Gefahr hin geschehen, daß das ganze Gesetzbuch nicht zu Stande kam. Nein, meine Herren, ich glaube, auf solche Art der Diskussion, wie sie damals den deutschen Regierungen und den deutschen Landtagen angesonnen wurde, wird diese politische Körperschaft sich nicht einlassen. Ich glaube, sie wird sich auf den Standpunkt stellen, zu fragen: was bietet, im großen und ganzen genommen, diese Vorlage unserem Volk?

Erste Berathung de» Entwurf» eine» Bürgerlichen Gesetzbuch».

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ist eS ein Gewinn für daS Volk gegenüber dem, waS besteht? sind die Vorzüge so groß, daß wir unbedenklich die zweifellos großen Unbequemlichkeiten in den Kauf nehmen dürfen, die mit der gewaltigen RechtsumwLlzung, wie sie hier ja bevorsteht, verbunden sind? sind die Vorzüge derart, daß auch der Bevölkerung derjenigen LandeStheile, die jetzt mit ihrem Recht verhältnißmäßig zufrieden sind, angesonnen werden darf, ihren RechtSzustand im Jntereffe der Einheit zu vertauschen mit einem neuen ? Das, meine Herren, ist für Sie, wie ich glaube, die entscheidende Frage. Es ist auch die entscheidende Frage gewesen für die verbündeten Regierungen. Die verbündeten Regierungen haben sie sich gestellt und haben sie beantwortet, einstimmig dahin beantwortet, daß gar kein Zweifel darüber sein könne, daß dieses Gesetzbuch mit allen Unvollkommenheiten, die ihm, auch nach der Meinung der verbündeten Regierungen, anhaften, doch ein so gewaltiger nationaler und politischer Fortschritt ist, um alle Bedenken, die vom Standpunkt der Einzelstaaten dagegen erhoben werden können, zurückzudrängen. (Bravo! links und rechts.) Und so schwer es auch einzelnen Regierungen geworden ist, ihre Zustimmung zu dem Entwurf zu geben, und so sehr sie besorgen, daß die Rechtsumgestaltung, die damit in ihren Landen eingeführt wird, zu manchen empfindlichen Nachwirkungen führen werde, so haben sie kein Bedenken getragen, zu erklären: diese Besorgnisie treten für unS zurück, wir stimmen für das Gesetzbuch. (Bravo! links und rechts.) Meine Herren, in der That auch für Sie, auch für jeden einzelnen unter Ihnen, auch für jeden einzelnen draußen im Lande kann, wenn man die Frage einfach stellt, die Antwort nicht zweifelhaft sein. Denn waS liegt nicht alles darin, daß die RechtSeinheit eingeführt werden soll auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts für jeden Einzelnen? Wie vereinfacht sich der Rechtsverkehr! Welche Beschleunigung für daS ganze Geschästsleben wird dadurch geschaffen! Wieviel Mühe, Zeit, Sorgen, Prozeffe werden erspart, wenn im ganzen Reiche statt der wirren Vielgestaltigkeit der Normen nur ein einheitliche- Recht herrscht! Das, meine Herren, ist ein gewaltiger materieller Vortheil für das ganze Land und für den einzelnen Bürger. Auch in Zukunft werden wir ja Prozeffe haben, und zweifellos wird sich eine reichhaltige Judikatur an dieses Gesetzbuch anknüpfen; aber, meine Herren, gegenüber demjenigen, waS wir haben, gegenüber der Noth und Mühe, die unser Volk anwenden muß, um sich durch daS geltende Recht durchzuschlagen, wird der Zustand, dem wir mit Hülfe dieses Rechtsbnchs entgegengehen, ein unvergleichlich besserer sein. (Bravo! links und rechts.) Und, meine Herren, weiter: nicht nur für den Einzelnen ist der Gewinn erheblich, nein, ich möchte einen anderen Vortheil des neuen Rechts noch höher stellen, daS ist die Hebung der Autorität des Rechts als solche. WaS soll der gemeine Menschenverstand des einfachen Mannes, wenn ihm einmal vorgerückt wird, wie gegenwärtig daS Recht im Lande liegt, wenn ihm das im einzelnen Fall nahe gebracht wird und gewiffermaßen an seinem eigenen Leibe klar wird, — was soll der noch denken von der Autorität, von dem höheren Zweck des Rechts, wenn es so liegt, wie es bei uns ja vielfach leider der Fall ist, daß in dem einen Ort das Erbrecht absolut verschieden ist, von dem in einem nahen Nachbarorte, daß hier die Ehefrau Erbin ist, daß dort ein Erbrecht für sie überhaupt nicht besteht, daß hier Vollgeschwister und Halbgeschwister gleichgestellt sind, daß dort, nicht weit davon, ein erheblicher Unterschied zwischen ihnen gemacht wird, daß in einer einzelnen, nicht einmal großen, Stadt ein verschiedenes Recht herrscht im innern und in den Außentheilen. Weshalb? — weil die Stadt in ihren alten Mauern einst besonderes Stadtrecht verliehen erhalten hatte, während sie nun längst über diese Mauer hinaus­ gewachsen ist, über Gebietstheile hin, in denen gemeines Landrecht die Herrschaft hatte. AuS längst vergeffener, historischer Vergangenheit hervor haben sich die verschiedenen Rechte

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erhalten für dieselben Bürger, für dieselben Familien, sür dieselben Rechtsverhältnisse, in einer, wie gesagt, dem gemeinen Menschenverstand unbegreiflichen Art. (Sehr gut!) Es ist klar, daß es mit der Autorität des Rechts, deren wir doch für unsere Zeit vor allem anderen bedürfen, anders wird, wenn wir ein Fünfzigmillionenrecht vor uns haben, bei dem jeder Einzelne fühlt, es steht hinter ihm die Macht des nationalen Willens und der höchste Zweck einer Einheitlichkeit des Rechts für alle Einwohner des Landes und damit die höhere, sittliche Ordnung. Und nun, meine Herren, wie ist es in den einzelnen Theilen unseres Landes, wenn das neue Recht ins Leben tritt? wo beruht da der Gewinn? Nehmen Sie doch den Zu­ stand, wie er jetzt in Mitteldeutschland ist! Der Bürger hat einen Prozeß zu führen, die Rechtsquellen kennt er hier nicht, niemals hat er den Kodex gesehen, aus dem ihm Recht gesprochen werden soll. Würde der Kodex ihm vorgelegt, er würde ihn fremdartig anmuthen. Der Richter nimmt ihn vielleicht zur Hand, um danach das Recht zu finden, oder nein, er nimmt ihn auch nicht zur Hand, sondern ein ihm geläufiges Pandektenlehrbuch ohne legale Autorität, und daraus muß der Bürger sein Recht empfangen. Das ist kein Borwurf für den Richter, sondern das ist die Noth der Zeit, der wir abhelfen wolle;!. Und nun im französischen Recht, gegen dessen Inhalt ich hier mit keinem Wort Einspruch erheben will — aber es ist doch nicht ein Recht des deutschen Volks, es ist jenseits unserer Grenzen geboren, jenseits unserer Grenzen hat es seine naturgemäße Entwicklung. Dort empfängt es die Berechtigung, dort empfängt es die Befruchtung, die jedes Recht aus der fortschreitenden Entwicklung der Kultur empfangen muß, wenn es überhaupt lebens­ fähig bleiben und nicht absterben soll. Bei uns vegetirt es wie eine Pflanze, die dem natürlichen Boden entrückt ist. Unser Richter sieht deshalb mit einem Auge, wenn er dies Recht anwendet, nach den Entscheidungen des Kassationshofs in Paris, mit dem anderen Auge nach den Entscheidungen unseres Reichsgerichts in Leipzig. Meine Herren, das ist national beschämend und nachtheilig für die Rechtspflege. Und, meine Herren, unser preußisches allgemeines Landrecht! Sein Urtheil wurde ihm gesprochen, als in den zwanziger Jahren die preußische Regierung selbst, in einer Zeit, als die Regierung gewiß von den konservativsten Anschauungen beherrscht war, zu der Erkenntniß kam, das Landrecht sei nicht mehr haltbar. Seitdem sind 70 Jahre ver­ gangen. Die Autorität des Landrechts ist noch mehr geschwächt, nachdem der preußische Staat neue Landestheile in sich aufgenommen hat und die Landesregierung nicht gewagt hat, dieses alte Landrecht in die neuen Landestheile einzuführen; sein Bau ist zerstückelt und morsch geworden unter dem Einfluß der Gesetzgebung der neueren Zeit in Preußen wie im Reich. Unter solchen Zuständen ist kein Recht haltbar, kein Recht kann unter solchen Verhältnissen das Ansehen des Volks behaupten. Wie anders wird es werden, wenn das neue Recht, in sich geschlossen, mit unbedingter Geltung an seine Stelle tritt! So, meine Herren, glaube ich, von allen diesen politischen Gesichtspunkten erwogen, die, wie mir scheint, voll maßgebend sein müssen für die Würdigung in diesem Hause, wird man sagen dürfen, daß, wie im übrigen auch das Werk beschaffen sein möge, in ihm doch eingeschlossen ist ein unermeßlicher wirthschaftlicher, politischer und sittlicher Vor­ theil für unsere Nation! (Bravo!) Aber, meine Herren, bevor ich schließe, möchte ich doch mit einem Worte Ihre Blicke noch etwas weiter lenken; denn die Wirkungen des neuen Gesetzbuchs werden sich nicht auf diesen Einfluß in unseren Grenzen selbst beschränken. Die Wirkungen unseres neuen, einheitlichen Rechts werden viel weiter reichen, über die Grenzen unseres Landes hinaus. Wer dem zweifelnd gegenüberstehen sollte, den brauche ich nur an die Thatsache

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zu erinnern, welchen gewaltigen Einfluß zu Gunsten Frankreich» die Thatsache gehabt hat, daß diese Nation so bald in den Besitz eines einheitlichen Rechts getreten ist. (Sehr richtig!) Wie hat dieses einheitliche Recht zur Verbreitung französischer Anschauungen beigetragen und auch französischer Sympathien, zur Hebung des Ansehens der Nation, des Respektvor der Energie der Volksseele zu Gunsten alle- dessen beigetragen, waS man im inter­ nationalen Leben das Prestige einer Nation nennt. Meine Herren, die Völker stehen sich auch in einem geistigen Kamps gegenüber, und in diesem geistigen Kampf ist dieser unsicht­ bare, aber täglich wirkende Einfluß der inneren geistigen Macht einer Nation nicht zu unterschätzen. (Sehr richtig!) Was hat Deutschland auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts an Autorität gegenüber anderen Landen einzusetzen? Bisher haben wir nichts, eigentlich so gut wie nicht»! Denn das Handelsgesetzbuch, das ja denselben Ideen wie diese Vorlage entsprungen ist, bewegt sich doch auf einem so beschränkten Gebiet, daß der Gnfluß, den es in internationaler Beziehung ausgeübt hat, bei weitem doch nicht verglichen werden kann mit dem Einfluß, mit dem Gewicht, , das der französische Code hat in die Wagschale werfen können zu Gunsten Frankreichs. Meine Herren, das wird alles anders werden mit dem Augenblick, wo da» deutsche Einheitsrecht Wahrheit geworden. Mit dem Augenblick, wo wir ein einheitliches Gesetzbuch bekommen, wird daS deutsche Recht gleichfalls ein internationales Kulturelement. Gewähr dafür ist die Thatsache, wie schon jetzt die politischen und juristischen Kreise des Auslands mit steigendem Interesse dem allmählichen Wachsen und Werden dieses deutschen Rechts entgegensehen, wie die politische Presse des Auslands mit richtigem Gefühl die große Bedeutung deS Augenblicks erkannt hat, in welchem daS Werk der Kommission an die gesetzgebenden Faktoren deS Reichs gebracht wurde; Gewähr dafür ist die Thatsache, wie bereit» jetzt helle Köpfe jenseits unserer Grenzen die Zeit gekommen glauben, um sich die Frage vorzulegen: welchen Einfluß wird die Thatsache deS einheit­ lichen deutschen Rechts ausüben auf daS Recht, auf die Anschauungen, auf die Interessen des eigenen Heimatlandes? Darin, meine Herren, liegen doch Erwägungen, die da» innerste Leben, die geistige Kraft der Nation berühren, und die, wie ich meine, bei der Entscheidung, die Sie zu fällen haben werden, nicht außer Betracht bleiben können. An Ihnen wird es fein, ob die Hoffnungen, die, wie ich überzeugt bin, das deutsche Bolk an dieses Gesetzgebungswerk knüpft, der Erfüllung entgegensehen sollen, ob die Er­ wartungen berechtigt sind, die man auch im Ausland damit verbindet. Me verbündeten Regierungen haben das Werk vertrauensvoll in Ihre Hände gelegt, überzeugt, daß Sie erlernten werden, welcher Entschluß gewaltiger politischer Tragweite damit Ihnen anheim­ fällt. An Ihnen ist es, daS Werk zum glücklichen Abschluß zu bringen. (Bravo! bei den Rationalliberalen.) Gelingt eS Ihnen, meine Herren, des Dankes der deutschen Nation sind Sie sicher, nicht nur für jetzt, sondern auch in ferne Zeit hinein. (Lebhaftes Bravo.) Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rintelen. Abgeordneter Dr. Rintelen: Meine Herren, dem Herrn Staatssekretär deS Reichs­ justizamts können wir nur dankbar sein, daß er uns die grundlegenden Gedanken für das große Gesetzgebungswerk auseinandergesetzt hat. Ich glaube auch, daß die großen Vortheile, welche der Herr Staatssekretär uns geschildert hat von der Herstellung eines einheitlichen Rechts, von uns allen anerkannt werden. Deshalb glaube ich, daß die Prinzipien, die Hauptprinzipien, welche der Herr Staatssekretär dargelegt hat, welche zu Grunde gelegen haben bei den Arbeiten der Kommission, im großen und ganzen von uns als richtig anerkannt werden im ganzen Hause. Wir, meine politischen Freunde und ich, erkennen diese» Werk als ein großes, bedeutsames nationales Werk an. In den weitesten

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Kreisen, gebe ich dem Herrn Staatssekretär zu, hat sich das Verlangen nach Herstellung eines einheitlichen Rechts geltend gemacht. Es sind das nicht nur die Verkehrsverhältnisie gewesen, welche im allgemeinen erleichtert sind gegen früher, und welche die Bevölkerung mehr durcheinander geworfen haben, die Geschäftsverbindungen von dem einen Ende Deutschlands bis zum anderen geknüpft haben, nein, man geht auch weiter und sagt: wir wollen ein einiges deutsches Recht auf bürgerlich rechtlichem Gebiet haben. Die Schaffung eines einheitlichen deutschen Rechts ist eine Aufgabe, welche uns gestellt ist, und der wir hoffentlich werden Genüge leisten. Es ist eine große und schwierige Aufgabe, welche uns gestellt ist; vielerlei Wünsche nach der einen oder anderen Richtung hin bestehen, ein großer Theil dieser Wünsche muß unterdrückt werden, und es handelt sich im wesentlichen meiner Ansicht nach darum, die Grundprinzipien, die materiellen Prinzipien, auf denen das Gesetzbuch beruht, klarzustellen und darüber eine Einigung herbeizuführen. Es kommt ja außerdem hinzu, daß in sämmtlichen politischen Parteien die Juristen selbst nicht unter einander einig sind. Nach dem alten Satz: wenn zwei Juristen zusammenstehen, sind drei Meinungen vertreten — geht es auch mit diesem Gesetz in einzelnen Paragraphen. (Sehr richtig! links.) Meine Herren, wenn wir bedenken, mit welcher Sorgfalt und Mühe der Gesetz­ entwurf zu Stande gekommen ist, wenn wir bedenken, daß 20 Jahre daran gearbeitet ist, welche Summe von Fleiß und Scharfsinn darauf verwendet worden ist, um schließlich den Entwurf zu Stande zu bringen, so können wir nur sagen: es ist bereits etwas großes geleistet worden. Der zweite Entwurf unterscheidet sich von dem ersten, obgleich viel kürzere Zeit daran gearbeitet ist, wesentlich durch klarere und deutlichere Sprache, er trägt auch den Forderungen des Lebens mehr Rechnung. Es hat dies seinen Grund darin, daß zu den Berathungen des zweiten Entwurfs nicht nur die gelehrtesten und praktisch tüchtigsten Juristen herangezogen worden sind, sondern auch hervorragende Laien, welche im Berkehrs­ leben gestanden haben. Meine Herren, ich kann mir nicht versagen, hier öffentlich für mich und, ich glaube, auch im Namen des Hauses allen diesen Herren, die am Entwurf mitgearbeitet haben, unseren Dank auszusprechen. (Bravo! aus der Mitte und links.) Sie werden aus diesen Worten schon entnommen haben, daß meine politischen Freunde und ich gewillt sind, zur Herstellung dieses großen Werks, bamit es Gesetzeskraft erlangt, mit allen Kräften mitzuwirken, und zwar in möglichst kurzer Zeit. (Bravo! bei den Nationalliberalen.) Wir sind uns der Gefahren sehr wohl bewußt, die dadurch entstehen, wenn zur Herstellung dieses Gesetzes eine Reihe von mehreren Jahren erforderlich sein würde. Andererseits sind wir uns auch nur der Gefahren bewußt, daß, wenn dieser Gesetz­ entwurf nicht dennoch wenigstens in den Hauptprinzipienfragen eingehend erörtert wird, dadurch ein Schaden entstehen könnte, welcher nach unseren gegenwärtigen Anschauungen nicht abzusehen ist. Ich komme hiermit gleich auf die Frage der geschäftlichen Behandlung, um sie, für mich wenigstens, vorher zu erledigen. Es sind in der Presse und auch anderwärts Ansichten laut geworden, daß der Reichstag den Gesetzentwurf, wie er sei, en bloc annehmen müsse. Nun, meine Herren, ich kann nicht verhehlen: ich halte dies für eine ganz ungeheuerliche Zumuthung. (Sehr richtig! aus der Mitte und links.) Eine derartig wichtige Vorlage, ein Gesetz, welches für mehrere Generationen seine Geltung haben soll, soll der Reichstag en bloc, unbesehen, annehmen und nicht mitsprechen, um, wo er seine Bedenken hat, sie geltend zu machen und ihnen womöglich Erfolg zu ver­ schaffen?! Also, meine Herren, ich freue mich, daß in offiziellen Kreisen, soviel ich weiß, der Wunsch auf eine Enblocannahme, welcher vielleicht einmal bestanden hat, nicht mehr

Erste Berathung deS Entwurf« eine« Bürgerlichen Gesetzbuch«.

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besteht. Aus den Aeußerungen des Herrn Staatssekretärs entnehme ich, daß auch er selbst und die Kreise, die ihm amnächsten stehen, nicht darauf rechnen, daß der Entwurf en bloc angenommen wird. Die zweite Möglichkeit der Behandlung ist — abgesehen von einer Durchberathung in pleno, welche ebenfalls kaum in Frage kommen kann, weil derartig ineinander greifende juristische Bestimmungen, von denen die eine auf der anderen beruht u. s. w. sich nicht zur Berathung in pleno eignen, sondern nur zur Berathung in einer Kommission, — die Verweisung in eine solche, und es fragt sich nur, ob der ganze Gesetzentwurf in eine Kommission gebracht werden soll oder nicht. Meine politischen Freunde sind bisher der Ansicht gewesen, daß dies nicht thunlich sei, weil es in der That die Gefahr in sich birgt, daß der Gesetzentwurf in naher Zeit nicht zu Stande kommen würde. Ich bin auch der Ansicht, daß, wenn der Entwurf einmal in eine Kommission zur vollständigen Durchberathung hineinkommt, derartige Aenderungen in dem Entwurf vorgenommen werden können, welche das ganze System in Unordnung bringen können. Und daß eine Kommission jetzt noch im Stande wäre, auf Grundlage einer anderen Systematik und auf Grundlage anderer Prinzipien einen anderweiten Gesetzentwurf herzustellen, wird wohl niemand im Hause annehmen. (Sehr richtig! aus der Mitte und links.) Dagegen meine ich — und das ist die Ansicht meiner politischen Freunde bisher gewesen, und ich vertrete sie noch jetzt —, daß es im Entwürfe eine Reihe von Paragraphen und Materien giebt, welche einerseits an sich bedenklich sind, und welche andererseiS von so besonderer Bedeutung und Wichtigkeit für unser soziales, politisches und religiöses Leben sind, daß diese Bestimmungen, ganze Materien und Einzelparagraphen, an eine Kommission verwiesen werden. (Sehr gut! in der Mitte.) Wir sind der Ansicht, daß eine Kommission von 21 Mitgliedern genügen würde. Wenn auch dieser Entwurf einer der wichtigsten ist, der dem Reichstag je vorgelegen hat, so sind wir doch der Ansicht, daß eine Kommission von 21 Mitgliedern ebenso viel und schneller schafft, als eine Kommission von 28 Mitgliedern. Gewiffe Erfahrungen zeige« uns, wie schnell es geht mit 28 Mitgliedern und mit 21 Mitgliedern; ich will aber auf anterior» nicht zurückgreifen. Meine politischen Freunde haben eine Reihe von Paragraphen aufgestellt, von denen sie wünschen, daß sie in die Kommission verwiese« werden. Ich erlaube mir, daS Berzeichniß dieser Paragraphen, deflen Verlesung Sie mir erlaffen werden, dem Herrn Präsidenten zu überreichen; vielleicht kann eS zu einem demnächst zu stellenden Antrag benutzt werden. Die Kommission würde nach unserem Vorschlag zugleich die Vollmacht erhalten müssen, daß, wenn sie Aenderungen vornimmt, auch solche Paragraphen, welche unmittelbar oder mittelbar von Aenderungen betroffen werden, ebenfalls zur Berathung gestellt werden dürfen. Ich bemerke dabei, daß einzelne Paragraphen angeführt sind bei Materien, welche bestimmend sind für die ganze Gestaltung der betreffenden Materie. Es sind in solchen Fällen nicht die ganzen Materim, die ganzen Paragraphen bezeichnet, sondern nur einzelne Paragraphen, bei denm die Diskussion in der Kommission ergeben wird, ob noch andere Bestimmungen in die Diskussion hineingezogen werden sollen. Ich erlaube mir nun, meine Ansicht darüber auszusprechen, wie es zweckmäßig märe, die Sache demnächst weiter zu behandeln, wenn das hohe Haus die Verweisung an eine Kommission in diesem Sinne beschließen sollte. Es könnte zunächst die Kommission alle ihr überwiesenm Bestimmungen durchberathen und könnte demnächst die Kommissions­ arbeit des Gesetzes ins Plenum gebracht werden. Meiner persönlichen Meinung nach würde es sich aber mehr empfehlen, wenn die Plenarsitzungen angesetzt werden, nachdem bestimmte Theile von der Kommission erledigt sind und in pleno diese bereits von der Kommission berathenen Sachen fortschreitend nach und nach erledigt werden. Ich glaube,

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das würde wesentlich zur Beschleunigung des Verfahrens beitragen. Indeß, bemerke icich, ist das meine persönliche Meinung, und ich will auch in dieser Beziehung keinerlei AÜnträge stellen. Nun wende ich mich zum Entwurf selbst. Sie werden es mir erlassen, und i ich will Sie auch nicht damit behelligen, in alle Einzelheiten einzugehen, sondern ich glaubbe, dem Wunsche des Hauses zu entsprechen, wenn ich mich lediglich an die groß een Gesichtspunkte halte, welche für die Berathungen und die späteren Entschließunggen maßgebend sein werden. Vorab bemerke ich, daß meine politischen Freunde und i ich wünschen, daß das Einführungsgesetz ganz in der Kommission berathen werde. Abgesehchen von den allgemeinen Vorschriften, welche hier und da einer Ergänzung und Erläuteruung bedürfen, handelt es sich in dem Einführungsgesetz hauptsächlich um die Vorbehalte dder Landesgesetzgebungen, und diese sind so, daß man, wenn man das Einführungsgesetz lieiest, — ich muß gestehen — einen gewissen Schreck bekommt. (Sehr richtig! links.) Man glaubt, daß eine zu große Menge von Sachen, welche gemeinschaftlich für das gannze Reich hätten geordnet werden können, noch der Landesgesetzgebung überlassen bleibt. (Sehr richtig! links.) Deshalb, meine Herren, ist es ganz wesentlich, daß das Einführungsgesetz ganz in ddie Kommission hineinkommt, um festzustellen, welche Materien eventuell allgemein geregelt werdlden sollen, und welche etwa noch in der Kommission berathen werden sollen, welche speziell der Landesgesetzgebung vorbehalten sind. Meine Meinung führt mich dahin, zu sagten, daß in der That eine ganze Reihe von Materien, welche in dem bürgerlichen Gesetzbumch selbst nicht behandelt sind, zur Zeit noch nicht spruchreif sind. Ich rechne dazu einzelklne Sachen, welche, meiner Ansicht nach, sehr zweckmäßig im bürgerlichen Gesetzbuch hätttten behandelt werden können, unter anderem ein gemeinschaftliches Wasserrecht. IJch brauche Ihnen wohl nicht auseinanderzusetzen: bei den. verschiedenen Stromgebieten uiund Flüssen, welche oft durch mehrere Staaten hindurchziehen, herrschen oft die verschiedenstqten gesetzlichen Verhältnisse, und es wäre durchaus zweckmäßig, wenn da ein gemeinschaftlichches deutsches Wasserrecht geschaffen würde uiib zwar im bürgerlichen Gesetzbuch. Allein i ich bemerke gleich, ich erachte dies noch nicht für spruchreif. Es werden in verschiedenmen Staaten Erhebungen getroffen, und wenn die Kommission sich veranlaßt sehen sollillte, derartige Sachen mit in das bürgerliche Gesetzbuch hineinzubringen, würde ich allerdinmgs darin eine große Gefahr für das baldige Zustandekommen des Gesetzbuchs erblicken. Nun, meine Herren, es sind ja noch einige andere Sachen, die ich nennen könnmte, z. B. das Verlagsrecht — es ist ja viel die Rede davon gewesen, das Verlagsrecht eiein­ heitlich zu regeln — und noch einige andere Gegenstände, über die ich aber hinweggehehen will. Ich habe nur diese bestimmten Punkte angeben wollen. Meine Herren, nun gestatte ich mir, einige Mängel, die ich in dem Gesetzbrbuch gefunden habe, und deren mögliches Vorhandensein der Herr Staatssekretär gar nicht t in Abrede stellt, kurz zu beleuchten. Sie müssen dabei bedenken, meine Herren: ich bin e ein Jurist von der alten Schule, und in dem Gesetzentwurf steht viel, was mir gar ninicht recht in den Sinn will. Ich bin der modernen Entwicklung des Rechtslebens allerdinjngs vollständig lebendig gefolgt; ich bin aber der Meinung, daß einige Dinge, wie sie bishsher im Rechtsleben bestanden, besser waren, als sie in der modernen Entwicklung sich gestalaltet haben. Es sind nur ein paar Punkte, die ich berühren will. Ich will von vornhererein bemerken: die Mängel, welche ich jetzt kurz erörtern will, sind nicht solche, auf deveren Beseitigung ich rechne; ich halte mich nur für verpflichtet, da der Entwurf jetzt in d der ersten Berathung das Haus beschäftigt, darauf kurz hinzuweisen, damit diese Punkte ninicht als übersehen gelten können. Was mir zunächst aufftieß beim Lesen des Entwurfs, ist, daß in ganz frühühen Paragraphen verwiesen ist auf weit später folgende Paragraphen. Ich habe bei einzelnlnen

Erste Berathung de» Entwurf« eine« Bürgeckicheu Gesetzbuch«.

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Berweisungen gefunden, daß auch in solchen Paragraphen, auf welch« verwiesen worden ist, wieder auf andere Paragraphen verwiesen worden ist. ES schien mir gleich von HauS aus, daß die Systematik eine bessert hätte sein können, es hätten allgemeine Grundsätze ausgestellt werden können. Ich weiß, auch in der Kommission ist darüber vielfach verhandelt worden. Ich will nur ein paar Sachen nennen: die Frage der Wirkungen des bösen Glaubens, der Fahrlässigkeit oder groben Fahrlässigkeit, die Frage des „KennenmüffenS" u. f. w. An mehreren Stellen ist „Kennenmüssen" und „Kennen" gleichgestellt; in anderen Paragraphen heißt es: „ohne grobe Fahrlässigkeit" hätte „kennen müssen", — in anderen Paragraphen heißt es einfach: hätte „kennen muffen". Ich glaube, eine Reihe von Verweisungen hätte sich vermeiden lassen, wenn man allgemeine Grundsätze hätte aufstellen können. Nun, meine Herren, auch das ist ein Uebelstand, der sich meiner Ansicht nach nicht mehr beseitigen läßt. Es ist diese Art und Weise, wie das Gesetzbuch abgefaßt ist, meines Erachtens auch einer der Gründe, welche der Klage zu Grunde liegen, daß das Gesetzbuch dem Laien sehr schwer verständlich sei. ES sind ja auch in der Sprechweise hier und da Unklarheiten, Mangel an Kürze und Präzision enthalten. Der gegenwärtige Entwurf ist ja in dieser Beziehung erheblich besser als der erste, und der Herr Staatssekretär hat ja auch zugegeben, daß deryrtige Mängel vorhanden sind. Nun, ich glaube, an den Paragraphen, welche in der Kommission zur Berathung gelangen, wird sich vielleicht in dieser Beziehung etwas ändern lassen; im großen und ganzen aber wird wenig zu ändern sein. Nun kommt z. B. auch der Ausdruck sehr häufig vor: der Paragraph so und so findet „entsprechende Anwendung". Ja, was hat man darunter zu verstehen? ES ist das ein Ausdruck, der in der modernen Gesetzgebung leider vielfach vorkommt, und man hat sich allerdings allgemein daran gewöhnt, namentlich kommt er in der Prozeßgesetzgebung vor. Er ist aber nicht schön und nicht genügend bestimmt. Ich kann Ihnen ein Beispiel anführen, eS ist etwa« scherzhaft, aber in einem Kollegium von 5 Richtern legte einer da- Wort „entsprechende Anwendung" so aus: der Paragraph findet nur Anwendung, wenn er mir entspricht. (Zuruf.) — Ja, meine Herren, daS ist eine Auffaffung, die in einer Sitzung de- Kammergerichts von einem KammergerichtSrath gefallen ist. (Hört! hört! Zuruf.) — Der Betreffende ist längst todt. Dann finde ich einen weiteren Fehler, der sich aber im wesentlichen auf die moderne Entwicklung deS Recht- stützt; daS ist ein Fehler, der meiner Meinung nach ebenfalls nicht auS dem Gesetzbuch entfernt werden kann, wir müssen diesen Fehler mit in den Kauf nehmen. DaS ist eine zu weite Ausdehnung der Möglichkeit, daß der Richter seine subjektive Auffassung der Anwendung deS Recht- zu Grunde legt, und zwar eine subjektive Auffaffung d«S einzelnen Falle-. Sie bringen damit den Richter öfters in die größte Schwierigkeit und Verlegenheit. Eine weitere Folge ist aber die, daß das rechtsuchende Publikum nicht weiß und nicht wiffen kann, wie der jedesmalige Richter die- oder jenes auffassen wird. Es hätte mir viel mehr gefallen, wenn gewiffe Regeln aufgestellt worden wären, sodaß auch der Laie wüßte, wenn eine Sache streitig wird, der Richter müsse so oder so erkennen. Ich will nur einige von den Ausdrücken, die hier gewählt sind, anführen: „die Umstände des Falles" sollen entscheiden, wenn etwas „unthunlich" ist, wenn etwas „geringe Bedeutung" hat, wenn etwas „von Interesse" ist, „eS ist anzunehmen", daß etwas „wesentlich" ist, ob das etwas „erheblich" ist, ob ein „wichtiger Grund" vorliegt, ob ein „ausreichender Grund" vorliegt, ob „die Partei etwas für erforderlich halte" u. s. w. Ja, meine Herren, gerade das vielfache: „ob ein wichtiger Grund vorliegt" — veranlaßt mich, zu fragen: bei wem kommt eS darauf an, daß ein „wichtiger Grund" vorliegt? Doch zunächst bei der Partei. Die Partei pmß sich fragen: habe ich an der Hand eines Paragraphen einen wichtigen Grund,

etemegwHt|vie der zweiten Kommission. Wir haben Gegenentwürfe von verschiedenen Meistern der Rechtswissenschaft, ich nenne da vor allem den Gegenenttvurf eines hochverehrten, verewigten Freunde-, einealten Parteigenosien von mir, des verewigten Bähr-Kassel, eine- Mannes, der eine Leucht« der Rechtswissenschaft wie der praktischen Gesetzgebung war. Dieser Entwurf, der übrigenbei den Arbeiten der Kommission vielfach aufs eingehendste berücksichtigt worden ist, und auS dem mancher Gedanke in die Borlage übergegangen ist, ist überall durchzogen von römischen Rechtsanschauungen. Es ist mir sehr wohl bewußt, daß diesem Meister auch deutsche Rechtsauschauungen nicht fremd gewesen sind, auch sie hat er mannigfaltig in seine Arbeit ausgenommen; allein ein großer Theil — ich möchte sagen: die Grundlage — seines Entwurfs sind auS dem römischen Recht zu un- übergegangene Anschauungen. Wenn das der Fall ist bei der Kritik, dann kann ein ernstlicher Borwurs betn Gesetzbuch auch nicht daraus gemacht werden, daß auch dieses seinerseits nicht im Stande gewesen ist, römische Anschauungen vollständig aus dem Werk zu beseitigen. Bon den Gegnern des Entwurfs, die gerade diesen Borwurf erhoben haben, ist keiner im Stande ge­ wesen, einen Gegenentwurf auf der Grundlage eines reinen deutschen Rechts, eines Systems rein germanischen Ursprungs abzufassen; es wird auch in Zukunft keiner dazu im Stande sein. Meine Herren, es wird weiter behauptet, das Gesetzbuch habe durchaus zu wenig die großen Ideen berücksichtigt unserer sozialen Gesetzgebung, unserer wirthschaftlichen Reform. Meine Herren, in der Ausdehnung, wie dieser Borwurs gemacht wird, ist er, wenigstens tvas die gegenwärtige Vorlage betrifft, wesentlich übertrieben. Aus die wirthschaftlichen Verhältnisse, aus den Schutz des Schwachen nimmt auch die Vorlage in einer großen Zahl ihrer Bestimmungen Bedacht; wenn man aber verlangt, der Entwurf soll überhaupt eine soziale Reform bewirken, so verkennt man vollständig die Aufgabe eines bürgerlichen Gesetzbuchs. (Sehr richtig!)

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Erste Berathung de- Entwurfs eine- Bürgerlichen Gesetzbuchs.

Ein bürgerliches Gesetzbuch kann nur abschließen, es kann auf eine Entwicklung, die sich bereits vollzogen hat, das Siegel drücken, ihr die plastische Gestalt geben, in welcher das Gesetz erscheinen muß; allein sozialreformatorisch schaffen, das kann kein bürgerliches Ge­ setzbuch, und das hat nie eins gethan, auch der Code Civil nicht. Wer den Code Civil nicht bloß vom Hörensagen kennt, sondern studirt hat, weiß, daß er nicht wesentlich schöpferisch gewesen ist, sondern das, was in der französischen Revolution bereits Gesetz geworden war, das hat er formulirt und in ein System gebracht; die eigentliche Um­ gestaltung, sie war dem Code Civil schon vorhergegangen. Nun, meine Herren, wir sind noch nicht so weit, daß wir für die großen Sozialreformen eine abschließende Gestalt ge­ funden hätten, selbst in den wenigen Fragen nicht, die uns am allernächsten stehen. Ein Beispiel: wenige Tage sind vergangen, da hat hier eine lange Debatte stattgefunden über die beste Art und Weise der Versicherung und die Mängel, die darin hervorgetreten seien, und sie sind aufs schärffte von verschiedenen Seiten kritisirt worden. Ja, wenn wir hier bei der Spezialgesetzgebung noch so weit von abschließenden Ergebnissen entfernt sind, dann ist es doch nicht möglich, die Resultate einer sozialpolitischen Entwicklung als festes Gesetz auf lange Zeit, auf viele Jahrzehnte, aus ein Jahrhundert, will ich sagen — denn hoffentlich wird das die Dauer unseres künftigen deutschen Gesetzbuchs sein — festzulegen. Meine Herren, man hat dem Gesetzbuch auch vorgeworfen, seine Sprache sei nicht populär, sei schwer verständlich. Eine gewisse Schwerfälligkeit haftet den Bestimmungen — das leugne ich nicht — an; sie ist großenteils übergegangen aus dem ersten Ent­ wurf, der mit außerordentlicher Sorgfalt gearbeitet war, aber allerdings eine abstrakte Richtung der Gesetzgebung verfolgte, die auch in der Sprache des Entwurfs zu ihrem Ausdruck gelangte. Aber selbst die Gegner der jetzigen Vorlage haben zugegeben, daß es der zweiten Kommission gelungen ist, in weiterem Umfang diesen Fehler zu beseitigen, und daß in der großen Mehrzahl seiner Bestimmungen der jetzige Entwurf wohl ver­ ständlich ist. Leicht verständlich nicht; aber, meine Herren, es handelt sich auch großen­ theils um Materien von äußerster sachlicher Schwierigkeit. Die Schwere der Verständ­ lichkeit entspricht eben der Schwere des Gegenstandes. Es ist gelungen, in der Mehrzahl der Bestimmungen eine Verständlichkeit, die dem ersten Entwurf allerdings zum Theil fehlte, herbeizuführen. Sie werden mir verzeihen, meine Herren, wenn ich nicht als Ab­ geordneter, sondern als Mitglied der Kommission hier den Dank ausspreche denjenigen Männern, welche speziell innerhalb der zweiten Komnlission dieses Werk vollbracht haben, der Sprache eine bessere, verständlichere Gestalt zu geben. Es sind das wesentlich die­ jenigen Herren, die aus dem Schoße der Kommission zu einer besonderen Redaktions­ kommission gewählt wurden, und denen wir es verdanken, daß im großen und ganzen die Sprache der jetzigen Vorlage eine verständliche, eine deutliche, eine klare geworden ist. Meine Herren, ich darf vielleicht noch schließen als rheinischer Jurist. Soviel ich aus der Rednerliste entnehmen kann, bin ich wohl der einzige rheinische Jurist, der an dieser Stelle zum Wort kommt. Ich hänge, wie wir Rheinländer in der großen Mehr­ zahl, an unserem bisherigen, an dem französischen Rechte, dessen Vorzüge wir in langen Jghren erprobt haben; und manche Aeußerungen des verehrten Herrn Staatssekretärs des Reichsjustizamts würde ich nicht ganz unwidersprochen lassen, wenn überhaupt hier der Platz wäre, sich darüber zu ergehen. An anderer Stelle würde ich vielleicht Wider­ spruch gegen ihn erheben; in einem Punkt aber kann ich ihm nur in vollem Umfang Recht geben. Wenn er gesprochen hat von der Stärkung, die das französische „Prestige", die die Kraft der Nation und des Staats durch den Code Civil erlangt haben, so hat er im vollsten Umfange Recht. Jeder, der sich mit dem französischen Recht, mit den französischen Verhältnissen eingehend beschäftigt hat, wird das durchaus nur bestätigen können. Da fällt mir nur eines ein. Als im Anfange dieses Jahrhunderts der Code Civil abgefaßt, berathen und beschlossen wurde, da waren die Stimmen über seinen Werth

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doch getheilt. Insbesondere sind in Deutschland Bücher geschrieben worden — ich hebe namentlich hervor die Schriften unsere» berühmten, heute- schon mit Ehren genannten Heidelberger Rechtslehrers Thibaut — es find Bücher geschrieben worden, die den Code Civil scharf kritifirt haben; und in dieser Kritik steht so manches, was ich, obwohl fran­ zösischer Jurist und Anhänger des französischen Rechts, als keineswegs unbegründet, als durchaus nicht grundlos anerkenne, also manches Treffende, was mit Recht dem Code Civil vorgeworfen wird. Nun denken Sie, meine Herren: wenn die Franzosen solchen Kritiken Folge gegeben und den Code Civil abgelehnt hätten, welches Mittel nationaler Stärkung, nationaler Macht und nationaler Größe würden sie damit aus der Hand ge­ geben haben! Meine Herren, auf Grund der Erfahrungen, die gerade wir französischen Juristen gemacht haben mit dem unendlichen Werth der Rechtseinheit, eines einheitlichen bürgerlichen Gesetzbuchs, mit dem unendlichen Werth von Kodifikationen, wie eine solche hier in einer immer überwiegend guten Gestalt Ihnen vorliegt — auf Grund dieser Er­ fahrungen möchte ich gerade als Rheinländer und als rheinischer Jurist Sie dringend bitten, auch dem deutschen Volke diesen Segen nicht vorzuenthalten. (Bravo!) Meine Herren, die Berweisung in eine Kommission wird ja wohl als die Meinung einer großen Mehrzahl dieses Hauses anzusehen sein. Wenn aber diese Kommission daGesetzbuch nicht zu Stande bringt, wenn sie durch juristische Liebhabereien, denen wir Juristen ja alle in hohem Grade bei vorkommender Gelegenheit Folge zu geben lieben, — wenn Sie durch zu große juristische Liebhabereien einzelner Mitglieder, durch vor­ wiegende Rücksichtnahme auf dieses oder jenes einzelne Rechtsgebiet und sein System eS dahin brächte, daß daS Gesetzbuch nicht zu Stande käme, so wäre da- nach meiner Meinung ein großer, nicht wieder gut zu machender Schaden für das deutsche Volk und für das Deutsche Reich. (Sehr richtig!) Im Interesse des Deutschen Reichs bitte ich Sie dringend: machen Sie, daß der Entwurf noch in dieser Session Gesetz werde! (Lebhafter Beifall.) Vizepräsident Schmidt (Elberfeld): DaS Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Buchka. Abgeordneter Dr. von Buchka: Meine Herren, wenn im Jahre 1866 jemand prophezeit hätte, daß nach Ablauf von 30 Jahren in dem Deutschen Reichstag ein Gesetz berathen werden würde, welche- die Modifikation des gesammt« deutsch« Privatrecht» für das gesammte Deutschland zum Gegenstand haben werde, so würde er als ein phantastischer Träumer verlacht worden sein. Derartige Dinge würden damals für eine Unmöglichkeit gegolten haben. Und dennoch ist dasjenige, waS damals für unmöglich gehalt« wäre, jetzt zur Thatsache geworden. Dem jetzt lebenden Geschlechte ist eS vergönnt gewesen, an einem monumentalen Werke zu schaffen und dasselbe zu vollend«, welche- auf lange Zeiten hinaus der Entwicklung unseres Privatrechts die einheitliche und feste Grundlage geben wird. Und wir, meine Herren, die gegenwärtigen Vertreter des deutschen Volks sind dazu berufen, diesem Gesetze unsere verfassungsmäßige Zustimmung zu geb« und dadurch auch an unserem Theile an der Vollendung dieses Werkes mitzuarbeiten. Meine Herren, es ist eine der gewaltigsten und größten Aufgaben, welche dem Deutschen Reichstag, so lange er besteht, je gestellt sind, eine der größten Aufgaben, welche an Bedeutung heranreicht an diejenigen, vor welchen unsere Väter stand« zur Zeit der Gründung des Reichs. Möchten wir der Bedeutung und der Größe dieser Aufgabe aizch gewachsen sein, möcht« wir durch die That beweis«, daß der Geist der großen Gründer des Reichs auch noch in uns lebendig ist, und möchten wir unser«

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Vätern an Patriotismus und Hingabe an unser gemeinsames deutsches Vaterland nichts nachgeben. (Bravo!) Meine Herren, die Geschichte der Bestrebungen, dem deutschen Volk auch ein gemein­ sames deutsches Recht zu geben, reicht zurück bis in die Anfänge unseres Jahrhunderts. Als es dem deutschen Volk gelungen war, die Napoleonische Zwingherrschaft abzuwerfen und sich die Fortdauer der nationalen Existenz zu sichern, da trat ein Mann auf, welcher als Patriot sowohl wie als Jurist gleich ausgezeichnet war, der Heidelberger Professor Thibaut, und stellte das Verlangen, daß dem sich selbst wiedergegebenen deutschen Volk auch ein gemeinsames deutsches Recht gegeben werden möge. Aber, meine Herren, die Zeit war damals nicht danach, um ein derartiges Verlangen zu erfüllen. Ter größte Rechtslehrer unseres Jahrhunderts, Friedrich Karl von Savigny, schrieb eine Gegenschrist gegen Thibaut, in welcher er seiner Zeit den Beruf zur Gesetzgebung aberkannte, und der Wiener Kongreß zögerte nicht, die Konsequenz aus dieser Anschauung zu ziehen. Deutschland ging hervor aus dem Wiener Kongreß getheilt in eine Zahl souveräner Staaten, welche nur in der losesten Form mit einander verbunden waren. Für die Schafftmg eines gemeinsamen deutschen Rechts war damals kein Raum, und sehr langsam kam die Zeit heran, welche für das deutsche Volk eine bessere Zukunft herausführte. Tie wirthschaftliche Einigung des Kerns des deutschen Gebiets in dem Zollverein unter Preußens Leitung und die Neujahrsnacht des Jahres 1834, in welcher die Zollschranken zwischen Preußen und einer Reihe von deutschen Staaten fielen, erschienen als das Morgengrauen einer besseren Zeit. Diese wirthschaftliche Einigung zeitigte nun zunächst das Bedürfniß eines einheit­ lichen Rechts für unseren Handelsstand, und im Jahre 1848 wurde in überraschend schneller Weise die Wechselordnung geschaffen, welche noch jetzt als ein mustergültiges Werk einer Einzelgesetzgebung unter uns hochgehalten wird. Der Wechselordnung folgte im Jahre 1861 das Handelsgesetzbuch, und es ist charakteristisch für jene Zeit dasjenige Vergehen, welches der Herr Staatssekretär des Reichsjustizamts angedeutet hat, indem das Zustandekommen des Handelsgesetzbuchs nur dadurch gesichert wurde, daß die drei größten Staaten: Oesterreich, Preußen und Bayern für die dritte Berathung eine Reihe von Bedenken ausschieden, deren Gesammterörterung das Zustandekommen dieses Gesetz­ buchs mit Bestimmtheit verhindert haben würde. Dieser Vorgang ist ja damals vielfach besprochen worden. Formell ist er gewiß sehr ansechtbar und er erregte vor allen Dingen den gewaltigen Zorn des Professors Thöl in Göttingen, des Altmeisters unseres Handels­ rechts. Aber er wies uns doch den Weg, auf welchem wir fortzuschreiten hatten, und zeigte, daß das Zustandekommen derartiger Gesetze für ganz Deutschland nur erreicht werden würde durch das einträchtige Zusammengehen der größeren deutschen Staaten. Als nun das Deutsche Reich nach den Ereignissen der Jahre 1866 und 1870 wieder errichtet war, so hatte dies zur unmittelbaren Folge, daß die Bestrebungen, dem jetzt geeinigten deutschen Volke auch ein einheitliches Recht zu geben, in verstärktem Maße sich geltend machten. In der Reichsverfassung Art. 4, Nr. 13 wurde bestimmt, daß der Gesetzgebung des Reichs unterliegen sollte die gemeinsame Gesetzgebung über das Obligationenrecht, das Strafrecht, das Handelsrecht und das gerichtliche Verfahren. Schon im konstituirenden Reichstag im Jahre 1867 beantragte der damalige Abgeordnete Dr. Miquel die Ausdehnung der Zuständigkeit des Bundes auf die gemeinsame Gesetz­ gebung des gesummten bürgerlichen Rechts. Der damalige Abgeordnete Dr. Miquel ist daher der Mann, welchem die Priorität gebührt, zuerst den Gedanken eines gemeinsamen bürgerlichen Rechts für ganz Deutschland angeregt zu haben. Wenn dieser Gedanke zunächst noch nicht verwirklicht wurde, so gelang dies doch später in dem Reichsgesetz vom 30. Dezember 1873, welches die gesetzliche Grundlage der Vorlage bildet, die uns heute beschäftigt. Inzwischen waren ohne Schwierigkeiten

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die Wechselordnung und das Handelsgesetzbuch zu Reichsgesetzen erklärt durch daS Reichs­ gesetz vom 5. Juni 1869, und es wurde ferner die RechtSeinheit auf den wichtigsten Gebieten deS öffentlichen Rechts durchgeführt. Das Jahr 1870 brachte uns daS Straf­ gesetzbuch, daS Jahr 1879 die großen Reichsjustizgesetze. Nur daS Privatrecht blieb stiefmütterlich behandelt. Allerdings wurde eine Reihe von Einzelgesetzen «klaffen; auch in den größeren Reichsgesetzen finden sich verschiedene Bestimmungen, die das materielle bürgerliche Recht berühren, und die in ihrer Gesammtheit doch eine solche Bedeutung haben, daß Herr Proseffor von Mandry ein großes Buch darüber schreiben konnte. Dennoch aber betrafen diese Bestimmungen immer nur einzelne Punkte; die große Masse des bürgerlichen Rechts blieb von der Reichsgesetzgebung unberührt, und es bedurfte 20 Jahre angestrengtester Arbeit, um das größte Gesetzeswerk herzustellen, das je deutsche Arbeit hervorgebracht, hat, und das uns jetzt zur verfaffungsmäßigen Beschlußfaffung vorliegt. Meine Herren, es ist kein Wunder, da es sich in diesem Gesetz auch nur um ein Menschenwerk handelt, daß es diesem Menschenwerl auch nicht an Gegnern gefehlt hat. Man hat es zu verdächtigen gesucht, indem man sagte, die Idee zur Berfaffung desselben stamme von dem verstorbenen Abgeordneten LaSker her und athme den kapitalistischliberalen Geist dieses Abgeordneten. Ich habe schon hervorgehoben: es ist nicht richtig, daß der verstorbene Abgeordnete Lasker der Bater der Idee war, ein gemeinsame- bürger­ liches Gesetzbuch für Deutschland zu schaffen, sondern dieselbe ist auf den jetzigen Königlich preußischen Finanzminister Dr. Miquel zurückzuführen. Aber ganz abgesehen davon, ich bin vorurtheilSfrei genug; wenn die Idee auch von LaSker herrühren sollte, so würde mich daS doch nicht hindern, dieselbe für gut zu halten, wenn sie zu einem guten Resultat geführt -hat; und das ist doch hier der Fall. Denn ich bestreite, daß das bürgerliche Gesetzbuch in der Gestalt, in der es uns vorliegt, rein kapitalistische und liberale Ten­ denzen verfolge. (Sehr richtig! rechts.) Meine Herren, eS ist dann bestritten worden daS Bedürfniß, ein derartiges Gesetz­ buch zu erlaffen; man hat gesagt, der Rechtszustand in Bezug auf unser Privatrecht sei in den deutschen Landen völlig befriedigend, eS seien viel wichtigere Probleme zu lösen, und man solle in dieser Beziehung alles so laffen, wie eS ist. Diese Behauptung ist in gewisser Weise richtig, wenn man sich auf den Standpunkt der Kirchthurmspoliük für ein einzelnes kleinere- Gebiet stellt. DaS gestimmte deutsche Land zerfällt im wesentlichen in drei große RechtSgebiete, da- RechtSgebiet des preußischen Landrecht-, da- des franzö­ sischen und daS des gemeinen Recht-. ES gab eine Zeit, wo man in den Ländern des gemeinen Rechts mit souveräner Verachtung herabsah auf daS preußische Landrecht und meinte, es wäre ein Recht, welches wissenschaftlich keinen Werth hätte; für wiffenschastliche Studien sei nur das gemeine Recht von Werth. Meine Herren, von dieser Auffassung ist man mehr und mehr zurückgekommen. Es wird anerkannt, daß daS preußische Land­ recht trotz seiner vielen unverkennbaren Schwächen doch ein Gesetzeswerk ist, welche- wiffenschaftlichen Gehalt hat und sich auch in der Praxis bewährt hat. Auf der anderen Seite ist ja bekannt die Anhänglichkeit der Rheinländer an ihren Code, trotzdem derselbe ihnen von der Napoleonischen Zwingherrschaft oktroyirt worden ist, und auch im Gebiet des unkodisizirten gemeinen Rechts hat man für die Rechtsanwendung sich zurecht gefunden. Die Grundsätze, welche zur Anwendung kommen, stehen im großen und ganzen fest, und das Reichsgericht hat seit dem Jahre 1879 eine segens­ reiche Thätigkeit auch nach der Richtung hin entfaltet, daß es für eine große Anzahl von Kontroversen, welche im Gebiet des gemeinen Rechts an der einen Stelle so, an der anderen Stelle entgegengesetzt entschieden wurden, eine gemeinsame Rechtsanwendung geschaffen hat. Aber wenn hierbei zugegeben ist, daß für jedes einzelne Rechtsgebiet die Berhältniffe nicht unerträglich sein mögen, so ist doch der Standpunkt des BestreitenS deS

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Bedürfnisses für den Erlaß eines gemeinsamen bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, wenn man das große Ganze ins Auge faßt, ein grundfalscher. Meine Herren, wenn Savigny seinerzeit uns den Beruf zur Gesetzgebung ab­ gesprochen hat, weil das Recht nicht gemacht werde, sondern weil es in und mit dem Bolle herauswachse, so hat er nicht berücksichtigt, daß es für die Entwicklung des Rechts eines großen Volks nothwendig ist, die leitenden Grundsätze gesetzgeberisch zusammen­ zufassen, wenn nicht alles in partikulärer Zersplitterung auseinandergehen soll. Das römische Recht, wie es bei uns zur Anwendung kommt, ist lange kein römisches Recht mehr. Es ist von den Glossatoren umgestaltet, und sodann von den großen holländischen und französischen, schließlich von den deutschen Juristen; es hat sich ein usus modernu* pandectarum herausgebildet, und in unserem Jahrhundert hat die von Hugo und Savigny begründete historische Schule sich bedeutende Verdienste um die richtige Erkenntniß des römischen Rechts erworben. Aber so lange wir unser gemeines Recht nicht kodifizirt haben, kommen wir über das römische Recht doch immer nur bis zu einem gewissen Punkte hinaus; dann versagt es, die Kontroversen bleiben bestehen; es stehen sich in vielen Punkten die Ansichten diametral gegenüber, und weder das römische Recht noch das aus demselben herausgebildete gemeine Recht vermag eine abschließende Entscheidung über diese Kontroversen zu geben. An diesen Punkten, auf welche schon so viel Mühe und Arbeit vergeudet wurde, muß die Gesetzgebung eingreifen, und es ist endlich einmal an der Zeit, daß wir zum Abschlüsse kommen, und diesen erwünschten Abschluß bringt uns jetzt das bürgerliche Gesetzbuch. Bor allem ist aber der Auffassung von Savigny entgegenzuhalten die politische Bedeutung einer derartigen Legislation, welche von ihm völlig verkannt worden ist. Die richtige Antwort auf die Frage, ob unsere Zeit den Beruf zur Gesetzgebung hat, hat Herr Profesior Sohm in seiner Schrift über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich gegeben, wo er sagt: Wir haben den Beruf, und zwar heute mehr denn je, nicht als ob unsere Geisteskraft eine größere wäre, und unsere Wissenschaft zu dem nothwendigen Abschluß gelangt wäre, — nein, wir haben den Beruf zur Kodifikation aus praktischen Gründen: weil wir um der deutschen Rechtseinheit und um des deutschen Rechtslebens willen kodifiziren müssen. Die Pflicht giebt uns das Amt, und das Amt muß uns den Verstand geben. Meine Herren, unsere Zeit ist ja eine außerordentlich schwierige; die politische Luft ist mit sozialem Zündstoff geschwängert, die schwierigsten wirthschaftlichen Probleme sind ungelöst, und die tiefgehenden Riffe unter den deutschen Stammesgenoffen werden von Tag zu Tag klaffender, und wir verstehen uns schließlich gegenseitig gar nicht mehr. In einer solchen Zeit ist es meiner Ansicht nach eine doppelte und dreifache Noth­ wendigkeit, uns diejenigen Güter und Errungenschaften zu bewahren, welche gemeinsames und unveräußerliches Eigenthum aller nationalgesinnten Parteien sind, leider ja mit Aus­ nahme der internationalen Sozialdemokratie. Der Herr Abgeordnete Auer pflegt mtd) ja von Zeit zu Zeit einen Erzreaktionär zu nennen. Herr Auer mag recht haben; aber so viel muß ich hervorheben: mein Herz ist stets da gewesen, wo die deutsche Fahne weht, und zwar nicht die schwarz-roth-goldene der Demokratie von 1848, sondern die schwarz-weiß-rothe Fahne des unter Führung unseres Kaisers geeinten Deutschen Reichs. (Bravo! rechts.) Es pflegen die Herren mit Vorliebe auf meinem Vaterland Mecklenburg herumzureiten und sich an demselben zu reiben. Ich habe mit großer Beftiedigung in diesen Tagen in einem Blatt gelesen, daß die Mecklenburger reichstreu bis auf die Knochen seien. Das ist vollständig richtig, und aus diesem Grunde sind wir bereit, wenn wir auch Mängel im Gesetzbuch erkennenund wenn wir auch zugeben müssen, daß manches im Gesetzbuch unS nicht gefällt, daß manches in unserem gegenwärtigen Rechtszustand bester ist, als

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dasjenige ist, was uns daS Gesetzbuch bietet, dennoch zu Gunsten der Allgemeinheit unsere Wünsche aufzugeben oder wenigstens auf das allernothwendigste einzuschränken. (Bravo! rechts.) Meine Herren, von diesem Standpunkt auS begrüße ich jedes Mittel mit Freuden, das geeignet ist, daS nationale Band, das unS alle umschlingt, zu befestigen, und die­ jenigen Dinge, in denen wir alle einig sind, mehr hervorzuheben und in den Vorder­ grund zu stellen als diejenigen Fragen, welche unS trennen, und über welche schon mehr als genug geredet ist. Meine Herren, das Gesetzbuch hat eine hohe Bedeutung zunächst für unser wirthschaftliches Leben. Es ist den Bedürfnissen des Handelsstandes schon in erheblichem Maße Genüge geschehen durch den Erlaß der Wechselordnung und des Handelsgesetzbuchs; aber beide Gesetze setzen doch das allgemeine Privatrecht als subsidiär anwendbares Recht voraus, und diese Lücke mußte bisher ausgefüllt werden durch die mannigfaltigen Partikular­ rechte, sie wird demnächst ausgefüllt werden durch das bürgerliche Gesetzbuch. Dann, meine Herren, wird daS Gesetzbuch eine große Bedeutung haben, für die deutsche Rechtswissenschaft. Wie viel Kraft, Mühe und Arbeit ist verschwendet worden auf die Bearbeitung der einzelnen Partikularrechte, um sie für den Gebrauch handlich zu machen. Viele der kleinen und kleinsten Partikularrechte waren überhaupt nicht wissen­ schaftlich bearbeitet. Me diese Arbeit wird konzentrirt werden können auf daS bürgerliche Gesetzbuch, und die bis dahin zersplitterten Kräfte werden für die wissenschaftliche Be­ arbeitung dieses einen Gesetzes zur Verfügung stehen. Aber, meine Herren , weit größer als nach diesen beiden Richtungen hin ist die politische Bedeutung des bürgerlichen Gesetzbuchs. Jedes Partikulargesetz verbindet ja den Kreis derjenigen Menschen, für welche es erlassen ist, fester mit einander, es trennt aber die­ selben von allen übrigen Stammesgenossen ab, während auf der anderen Seite jedes Reichs­ gesetz eine verbindende Mrkung ausübt, und diese ist um so größer, je bedeutender und umfassender die Gesetzgebung ist. ES muß daher die politische Bedeutung einer Gesetz­ gebung, die das ganze Privatrecht umfaßt, eine ganz hervorragende sein, zumal wenn man den gegenwärtigen Zustand der bisherigen Rechtszersplitterung damit vergleicht. DaS bürgerliche Gesetzbuch wird die partikulare Zerrissenheit nicht ganz beseitigen; daS würde mit einem Schlage eine Unmöglichkeit sein, es wird sie aber wesentlich einschränken, und besonders in Bezug auf die leitenden Grundsätze wird ein einheitliches Recht geschaffen werden. Damit wird daS Nationalbewußtsein gekräftigt werden, und eS wird dem stolzen Bau des Deutschen Reichs ein wichtiger, neuer Eckstein, hinzugefügt werden, welcher die deutschen Stämme immer fester und imauflöSbarer mit einander verbindet, und auS diesem Grunde begrüße ich mit Freude daS bürgerliche Gesetzbuch als eine nationale That, selbst wenn es auch viel schlechter sein sollte, als es in der That ist. Meine Herren, ich beziehe mich auch hier wieder auf ein Wort des Professors Sohm, der mit Recht hervorgehoben hat: es entspreche das bürgerliche Gesetzbuch dem innerhalb des deutschen Juristen­ standes herausgearbeiteten und zur Klarheit geförderten Gesammtbewußtsein der Gegenwart. Meine Herren, das ist vollständig richtig, was da gesagt ist, der jetzige Entwurf ist so gut ausgefallen, wie wir nur in der Lage sind, ihn machen zu können, und es ist interessant, zu vergleichen, wie er von der ersten Lesung bis zum Entwurf, der jetzt dem Reichstag zur Beschlußfassung vorgelegt ist, immer besser geworden ist. Meine Herren, man hat gesagt, der Entwurf sei zu römischrechtlich. Ja, wir können doch das römische Recht nicht aus der Welt schaffen; wir müssen mit der That­ sache rechnen, daß vor mehr als 400 Jahren das römische Recht in Deutschland auf­ genommen wurde und daß dasselbe auch heute noch die Grundlage unsere- Rechts bilbet; es muß jeder Gesetzgeber mit demselben rechnen, wie die- auch daS preußische Landrecht Stenographische Berichte. B.G.B.

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und der französische Code civil gethan hat. Ein Gesetzbuch, was nicht auf römisch­ rechtlicher Grundlage beruht, würde ein Unding sein, und es ist dies von sachverständiger Seite bisher kaum ernstlich bestritten worden. Dann wird behauptet, der Entwurf sei nicht agrarisch genug. In dieser Beziehung ist aber doch ein großer Theil der Hauptforderungen der Agrarier berücksichtigt. Es ist neben der Hypothekenschuld und der Grundschuld doch die Rentenschuld eingeführt; es sind sehr wichtige Vorbehalte in Art. 60 bis 62 des Einführungsgesetzes gemacht, nach welchen die landesgesetzlichen Vorschriften über die Rentengüter unberührt bleiben sollen; ferner die landesgesetzlichen Vorschriften über das Erbpachtgesetz mit Einschluß des Büdnerund Häuslerrechts in denjenigen Bundesstaaten, in denen solche Rechte bestehen ; ferner die landesgesetzlichen Vorschriften über das Anerbenrecht in Ansehung der landwirthschaftlichen und forstwirthschaftlichen Grundstücke nebst deren Zubehör. Auch daß der Entwurf auf die Wünsche bezüglich der Heimstätten keine Rücksicht genommen hat, wird man nicht tadeln dürfen, denn die gesetzgeberische Aktion in Bezug auf das Heimstättenwesen ist doch noch zu sehr im Fluß. Dann ist von Seiten des Herrn Abgeordneten Dr. Rintelen, welcher eine große Menge Einzelheiten angeführt hat, in denen ihm der Entwurf nicht paßt, geltend gemacht, daß der Entwurf zu sehr die Mobilisirung des Grundeigenthums begünstige; und er ist insbesondere gegen die Eintragung auf den eigenen Namen zu Felde gezogen. Ich möchte hiergegen nur hervorheben, daß es nach meiner Ansicht sehr seine zwei Seiten hat, nach dieser Richtung die Besitzer landwirthschaftlicher Grundstücke zu sehr einzuengen. Wenn man sie beschränkt in der Verschuldbarkeit ihrer Grundstücke, wenn man die Eintragung auf eigenen Namen, die sich in meinem Vaterlande sehr gut bewährt hat (sehr richtig! links), beseitigen will, dann ruinirt man auf der anderen Seite den Kredit dieser Leute, (sehr richtig!) den sie in diesen schwierigen Zeiten doch so nothwendig brauchen. Man muß in allen diesen Dingen außerordentlich vorsichtig vorgehen, bis man derartige Beschränkungen in ein solches Gesetz hineinführt, aus dem sie nicht so leicht wieder herauszubringen sind. Dann ist hervorgehoben worden, das Gesetz wäre nicht sozial genug. In dieser Beziehung hebe ich hervor: es ist von einem der Schriftsteller, welche über den Entwurf geschrieben haben — ich weiß augenblicklich nicht, von welchem —, vollständig zutreffend gesagt, daß sich wie ein rother Faden hindurchziehe durch das Gesetzbuch der Schutz des wirthschastlich Schwachen gegenüber dem wirtschaftlich Stärkeren; und die einzelnen Aus­ stellungen, die der Herr Kollege Rintelen in der Beziehung gemacht hat, haben niich eines anderen nicht belehren können. Im übrigen ist von dem Herrn Vorredner von Cuny vollständig zutreffend bemerkt, daß wir doch keine soziale Gesetzgebung machen, sondern daß wir das bürgerliche Recht kodifiziren wollen. Da muß man sich in hohen: Grade vorsehen, Dinge juristisch zu fixiren, welche noch im Fluffe sind, (sehr richtig!) und muß sich begnügen, die allgemeinen Grundlagen festzustellen und das weitere ab­ zuwarten. Wenn die Dinge sich weiter entwickeln, wird es möglicherweise bald einmal dahin kommen, daß wir den juristischen Niederschlag dieser Bestrebungen fixiren können. Zur Zeit aber in derartigen sozialen Dingen bei einer solchen Gesetzgebung legislatorisch vorzugehen, halte ich nicht für richtig. Es ist dann von Seiten des Herrn Abgeordneten Dr. Rintelen das Eherecht berührt worden, und er hat im Namen seiner politischen Freunde eine Erklärung abgegeben, nach welcher der Entwurf für sie unannehmbar sein würde, wenn hier ihre Wünsche nicht erfüllt würden. Ich glaube, das ist auch eine Suppe, die nicht so heiß gegessen wird,

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wie sie gekocht ist. ständigen können.

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Wir glauben, wir werden uns mit den Herren doch noch ver­

(Sehr richtig!) Ich möchte meinen Standpunkt kurz dahin präzisiren, daß ich es nicht für wohl­ gethan halte, an der Zivilehe, welche der Entwurf aus dem Personenstandsgesetz von 1875 übernommen hat, zu rütteln. (Sehr richtig! links.) Es sind damals von Seiten meiner politischen Freunde schwere Bedenken geltend gemacht worden gegen diese Gesetzgebung. Diese Bedenken haben aber, nachdem das Gesetz 20 Jahre lang bestanden hat, eine ganz andere Bedeutung als damals, als es sich um Einführung dieser Gesetzgebung handelte. (Sehr richtig! links.) Ich glaube, das können Sie nicht leugnen: sowohl die katholische Kirche wie die evangelische Kirche haben es sehr wohl verstanden, sich mit diesem Gesetz abzufinden; sie haben den § 82 des Personenstandgesetzes, welcher nachträglich in das Gesetz und, wie ich zugebe, mit vollem Recht hineingebracht ist, sehr wohl zu benutzen verstanden; und man kann im großen und ganzen nicht sagen, daß das Zivilstandsgesetz verderbliche Wirkungen gezeitigt habe. (Sehr richtig! links.) Sie haben sich mit demselben abgefunden und es verstanden, mit demselben zu leben. 9hm soll in unserer jetzigen, wie ich wiederholt hervorhebe, von sozialen Problemen und von sozialen Gegensätzen jeder Art geschwängerten Zeit mit einem Mal dieser alte Streit wieder aufs neue aufgerührt und hineingeworfen werden. (Sehr gut! links.) Nein, das thun wir nicht, wir sind damit zufrieden, wenn die Verhältnisse so bleiben, wie sie jetzt sind, und wir werden jedem Versuch, an der Zivilehe im bürgerlichen Gesetzbuch zu rütteln, uns entschieden widersetzen. (Bravo! links.) Auf der anderen Seite, waS die Entscheidung betrifft, will ich zugeben, daß da einzelne Punkte sind, die auch nach unserer Ansicht heraus müssen. Ich bin nicht ein­ verstanden mit dem Ehehinderniß deS Betrugs neben dem EhehinderniS des Irrthums. Ich glaube, eS ist aus dem christlichen Gefühl heraus nicht zu ertragen, wenn jemand heiratet, nachdem ihm fein Schwiegervater erzählt hat, daß er ein sehr erhebliches, größereVermögen besitzt, und nach der Heirath stellt sich heraus, daß er gar nichts hat, — wenn in einem solchen Falle die Ehe wegen Betrugs für nichtig erklärt werden soll. Meiner Ansicht nach reicht die Anfechtbarkeit der Ehe wegen Irrthums über gewisse wahl­ entscheidende Eigenschaften für das Bedürfniß völlig aus; daneben brauchen wir ein besonderes Ehehinderniß des Betrugs nicht. Ferner ist zu unserem Bedauern in den zweiten Entwurf hineingekommen der Ehe­ scheidungsgrund der Geisteskrankheit, und derselbe ist auch in der Vorlage, wie sie unS von den verbündeten Regierungen zugegangen ist, wieder enthalten. Zunächst ist es eine Prinzipwidrigkeit. Der Entwurf steht unserer Auffassung nach im übrigen auf dem voll­ ständig richtigen Prinzip, daß eine Ehescheidung nur zulässig ist wegen schweren, einseitigen, sittlichen Verschuldens eines der Ehegatten. Dieses Prinzip ist im übrigen konsequent durchgeführt worden, es ist aber in eklatanter Weise verletzt in dem Paragraphen, welcher die Ehescheidung wegen unverschuldeter Geisteskrankheit eines der Ehegatten zuläßt, und die Kautelen, mit welchen man diesen Paragraphen umgeben hat, können uns auch nicht dafür begeistern, ihn aufrecht zu erhalten. Ich meine, dieser Scheidungsgrund muß wieder fallen. Sodann möchte ich die Trennung von Tisch und Bett auf Zeit wieder einführen. Dieselbe hat sich bei uns durchaus bewährt in solchen Fällen, in welchen ernste Zer3*

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roürfntffc zwischen den Ehegatten vorhanden waren, ohne daß ein Scheidungsgrund vorlag; sie hat sich ferner bewährt in denjenigen Fallen, in welchen zwar ein Scheidungs­ grund vorlag, in welchen aber die Aussicht auf Wiederherstellung des ehelichen Lebens nicht ausgeschlossen war. Der erste Entwurf hatte die Trennung von Tisch und Bett aus Zeit schon abgeschwächt, der zweite Entwurs, wie er uns jetzt vorgelegt ist, hat sie ganz und gar herausgeworfen aus dem materiellen Recht und als Ersatz die prozessualische Vorschrift aufgenommen, daß die Gerichte befugt sein sollen, das Bersahren längstens bis zu 2 Jahren auszusetzen. Das genügt uns nicht, wir wollen in dieser Beziehung die materielle Trennung von Tisch und Bett für die von mir soeben bezeichneten Fälle wiederherstellen. Und endlich ist für uns unannehmbar die Art und Weise, wie der Ehescheidungs­ grund der böswilligen Verlassung gestaltet ist, nämlich nach der Richtung, daß der Scheidungsgrund schon als vorhanden angesehen werden soll, wenn ein Ehegatte den andern ohne ©runb verlassen hat, darauf gerichtlich zur Wiederherstellung des ehelichen Lebens rechtskräftig verurtheilt ist und sodann ein Jahr lang diesen gerichtlichen Rückkehrbefehl unbeachtet gelassen hat. Hierdurch soll nach dem Entwurf die Ehe als gebrochen angesehen und auf Ehescheidung geklagt werden können, es soll nur die Einrede der Ver­ zeihung zulässig sein, aber nicht die Einrede, daß der beklagte Ehegatte bereit sei, jetzt noch das Eheleben wiederherzustellen, während in dem Fall, in welchem der beklagte Ehegatte sich heimlich entfernt und dem richterlichen Arm sich entzogen hat, die Scheidung nur stattfinden soll, wenn die Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung auch noch zur Zeit der Erlassung des Urtheils vorhanden sind. Es ist nicht einzusehen, warum nicht beide Fälle gleich behandelt werden sollen. Es ist dann hervorgehoben worden, daß das Einführungsgesetz sehr weitgehende Vorbehalte enthält, und ich muß zugeben, daß diese Behauptung ja nicht unrichtig ist. Aber auch in dieser Beziehung glaube ich und möchte Ihnen empfehlen, daß wir gut thun, uns mit dem zu begnügen, was uns hier geboten wird. Das Gesetzbuch hat doch vor allem den Zweck, die Grundlagen unseres Privatrechts festzulegen. Es wird nun schon ohnehin in das jetzt geltende Recht in Bezug auf das eine mehr, in Bezug auf das andere weniger tief eingreifen, ganz ohne Eingriffe wird es nirgends abgehen, und da, meine ich, ist es wünschenswerth, so schonend als möglich vorzugehen und bewährte partikuläre Rechtsinstitute, als sich solche vorfinden, thunlichst zu erhalten. Ich möchte mich also im großen ganzen mit den Vorbehalten, die das Einführungsgesetz enthält, ein­ verstanden erklären. Dann, meine Herren, will ich zum Schluß noch über die Behandlung der Vorlage im Reichstag sprechen. Es ist ja sehr schön, daß so sehr viele Juristen im Reichstag und, je mehr man in die Mitte kommt, desto dichter sitzen. Es ist das aber, glaube ich, nur ein glücklicher Zufall, daß wir so viel Juristen haben, und es kann unsere Aufgabe nicht sein, die Elite der deutschen Juristen, die diesen Entwurf gemacht haben, die Meister dieser Arbeit in technischer Beziehung, verbessern zu wollen. Meiner Ansicht nach müssen wir uns hier im Reichstag darauf bescheiden, die Gesetzesvorlage nur in denjenigen Punkten einer näheren Prüfung zu unterziehen, wo politische, religiöse, oder wirthschastliche Gesichtspunkte dies erfordern. Solche Gesichtspunkte liegen aber vor, und aus dem Grunde würde ich mich gegen eine Annahme des Gesetzes en bloc erklären müssen. Indessen daß es eine ungeheuerliche Zumuthung an den Reichstag wäre, wie der HerrAbgeordnete Rintelen sagt: die Enblocannahme des Gesetzbuchs kann ich keineswegs zugeben; ich weise darauf hin, daß das deutsche Handelsgesetzbuch von den preußischen Kammern seiner Zeit en bloc angenommen worden ist, und daß das bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen von den Ständen des Königreichs Sachsen seiner Zeit eben­ falls en bloc angenommen worden ist. Also meiner Meinung nach würden wir das thun können, ohne unserer Ehre etwas zu vergeben. Aber aus den von mir hervor-

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gehobenen Gesichtspunkten ist es doch unthunlich, und ich muß mich daher entgegen erklären, daß wir so verfahren. Nun widerspreche ich aber dem Antrag des Herrn Abgeordneten Rintelen auf daS entschiedenste, daß nur einzelne Theile an die Kommission überwiesen werden sollen. Ich glaube auch nicht, daß sich Herr Rintelen in Uebereinstimmung mit seinen politischen Freunden befindet. Soviel ich weiß, sind die Herren mit mir einverstanden, daß unS nichts anderes übrig bleibt, als die ganze Vorlage der Kommission zu überweisen, und zwar aus dem Grunde, weil die Versuche, einzelne Theile auszuscheiden, eben mißlungen sind. Es wurden die weitgehendsten Wünsche geäußert darüber, welche Theile der Kommission überwiesen werden sollten, und man ging schließlich so weit hierin, daß ich mir sagen mußte: wenn das alles an die Kommission gewiesen wird, dann bleibt schließlich so gut wie nichts übrig. Also es wird nichts übrig bleiben, als der Kommission das Ganze zu überweisen, und ich möchte mich im Namen meiner politischen Freunde dafür aussprechen, jedoch mit der Modifikation, daß die Kommission ermächtigt werden möge, einzelne Theile nach ihrem ©messen ohne Diskussion ©n bloc anzunehmen. (Sehr richtig!) Dann, meine Herren, möchte ich noch folgendes hervorheben: meine politischen Freunde sind nicht, wie das vor einiger Zeit durch die Presse gegangen ist, prinzipMe Gegner der Vorlage. Im Gegentheil, sie wünschen dringend, daß die Vorlage Gesetz werde, sie wünschen dringend, daß die Vorlage baldmöglichst und in möglichst unver­ änderter Gestalt Gesetz werde, und sie wünschen endlich, daß dies noch im Lauf der gegen­ wärtigen Session geschehe. Wir werden daher, auch wenn wir jetzt beantragen, daS ganze Gesetz einer Kommission zu überweisen, dennoch unsererseits alles thun, was in unseren Kräften steht, um die Vorlage zu fördern, und wir würden auf das äußerste bedauern, wenn unsere Versuche nach dieser Richtung hin mißlingen sollten. Wir würden die historische Verantwortung für das Scheitern des bürgerlichen Gesetzbuchs nicht auf uns nehmen, sondern denen zuschieben, die schuld daran sind. Ich schließe damit, daß ich namens meiner politischen Freunde beantrage, das ganze Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz an eine Kommission von 21 Mitgliedern zu verweisen. (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.) Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schröder. Abgeordneter Schröder: Meine Herren, den Antrag des Herrn Kollegen von Buchka möchte ich nur bitten, dahin zn ergänzen, daß in demselben noch die ausdrückliche Er­ mächtigung aufgenommen wird, wenn er es selbst als wünschenswerth bezeichnete, für die Kommission (Zuruf rechts) — ja ich möchte beantragen, daß dieser Antrag Buchka dahin ergänzt werde, daß der Reichstag ausdrücklich durch Beschluß die Ermächtigung giebt, Theile des Gesetzbuchs en bloc anzunehmen. Ich möchte geschäftliche Schwierigkeiten dadurch vemeiden. Es könnte, wenn der Reichstag die Ermächtigung nicht ausspricht, der Einwand erhoben werden, daß die Kommission zu einem solchen Verfahren überhaupt nicht ermächtigt sei. Ich persönlich habe ja keinen Zweifel in dieser Beziehung; im Gegentheil! Aber ich lege Gewicht darauf, daß angesichts der zu behandelnden Materie die Kommission in die Lage komme, daß sie bei gewissen Abschnitten in eine spezielle Berathung gar nicht einzutreten brauche, sondern gleich die Enblocannahme beschließen kann. Es ist gut, daß jeder geschäftsordnungsmäßige Zweifel in dieser Beziehung ausgeschlossen werde: ich überreiche daher dem Herrn Präsidenten diesen Zusatz. Nun, meine Herren, ich bin parlamentarisch doch zu sehr abgebrüht, um unter dem Eindruck der großen Zahl von Bedenken, welche Herr Kollege Rintelen hier vorgebracht hat, gleich Besorgnisse für das Schicksal des Gesetzentwurfs zu fassen. Ich hoffe auch, daß die feierliche Erklärung, welche Herr Kollege Rintelen namens seiner Partei verlesen

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hat, nicht so verhängnisvoll wirken wird, wie es auf den ersten Blick scheinen möchte: denn es handelt sich, wie Herr Abgeordneter von Buchka schon hervorgehoben hat, nur darum, daß bestehendes Recht erhalten bleiben soll. Der Hoffnung wird sich aber doch niemand ernstlich hingeben können, daß es jetzt noch möglich sein wird, unser bürgerliches Recht auf den Standpunkt zurückzuschrauben, den Herr Abgeordneter Rintelen als den wünschenswerthen erklären will. Meine Herren, das Recht, auch auf dem Gebiet des ehelichen Rechts zu bestimmen, hat der Staat sich schon lange selbst genommen, sodaß es in dieser Beziehung ihm doch nicht mehr verkümmert werden kann. Ich möchte an die Bemerkung des Herrn Abgeordneten Rintelen auch noch die Erinnerung knüpfen, daß wir in Deutschland zur Zivilehe nicht durch die französische Revolution gelangt sind, sondern daß eine andere politische Konstellation es war, welche den gesetzlichen Faktoren in Deutschland die Notwendigkeit auferlegt hat, zur Zivilehe überzugehen, teilweise wider deren Willen. Diese Notwendigkeit dauert noch fort, sodaß, Gott Lob! keine Aussicht besteht, daß wir diesen Zustand jetzt zurückschrauben können. Meine Herren, mir will es als kein ganz ungünstiger Umstand erscheinen, daß gerade der gegenwärtige Reichstag in seiner zeitigen Zusammensetzung, wo er in so viel Gruppen zerfällt, und so scharfe Gegensätze so hart miteinander ringen, vor die Aufgabe gestellt ist, die letzte Hand an die Schaffung eines einheitlichen bürgerlichen Rechts zu legen. Für meine Auffassung liegt darin etwas wirklich Versöhnendes und Erhebendes, indem darin zum Ausdruck kommt, daß trotz allem, was uns trennt, doch diejenige Kraft nach wie vor lebendig im deutschen Volke geblieben ist, die niemals aufgehört hat das Einheits- und Gemeinschaftsgefühl in demselben aufrecht zu erhalten, zu beleben und zu kräftigen, und die über alle Hindernisse unserer geschichtlichen Entwicklung uns doch zu Kaiser und Reich zurückgeführt hat. (Bravo!) Ich meine, da sollten doch alle Parteien ohne Unterschied — ich nehme keine einzige aus — mit Befriedigung die Gelegenheit ergreifen, in der bereitesten Mitwirkung ju einem so großen Werk sich über die Gegensätze, die sie trennen, zu erheben und damit den berechtigten Kern derselben zu adeln; denn, meine Herren, alle Parteien hier in diesem Hause können doch wirklich nicht glauben, dem berechtigten Inhalt ihrer Ziele näher zu kommen, wenn es ihnen nicht gelingt und sie nicht die Krast beweisen, das Gemeinschafts­ gefühl in der Nation dafür zu erfüllen, — und dazu, behaupte ich, giebt es kein geeigneteres Mittel als die Herstellung eines einheitlichen bürgerlichen Rechts! Nun ist schon von allen Seiten hervorgehoben worden, daß die Erfüllung einer solchen Aufgabe natürlich einer großen Resignation allerseits bedarf. Hat doch die Ent­ wicklung in Deutschland gerade auf dem Gebiet des Rechts einen Verlauf genommen, daß hier die Zurückführung auf die Einheit nur mittelst großer Kompromisse möglich ist. Es läßt sich ja nicht leugnen, daß der Natur der Sache nach die Ueberwindung dieser Schwierigkeit ohne ein starkes Maß juristischer Vorbildung und Schulung überhaupt un­ möglich ist; wenn die Juristen zur Erfüllung dieser Aufgabe hier ein gewisses Uebergewicht gewinnen, so will ich einräumen, daß dadurch die Stellung der nichtjuristischen Mitglieder dieses Hauses vielleicht einige Unbequemlichkeit erfährt. Ich meine aber, die Herren können sich damit trösten, daß der überwiegenden — wenn ich so sagen soll — Berechtigung der juristischen Mitglieder dieses Hauses doch eine um so schwerere Ver­ pflichtung gegenübersteht, und daß auch die Juristen die Verpflichtung haben, sich außer­ ordentlich zu resigniren. (Sehr richtig! links.) Wir sind in dieser Beziehung, meine Herren, alle, Juristen und Nichtjuristen, eigentlich in der ganz gleichen Lage: wir müssen uns vor der Thatsache bescheiden, daß, wie auch schon der Herr Vorredner ausgesprochen hat, wir in dem Entwurf des bürger­ lichen Gesetzbuchs einer Arbeit des besten juristischen Könnens und Wissens, das Deutsch-

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land überhaupt zur Verfügung hat, gegenüberstehen. Dieses legt uns in dem vorliegenden Entwurf die Resultate einer mit unübertrefflichem Fleiß und ganz außerordentlicher Sorg­ falt ausgeführten mehr als zwanzigjährigen Arbeit vor. Da wäre es doch wirklich auch von den Juristen dieses HauseS eine ganz außerordentliche Anmaßung, wenn sie glauben wollten, mit vermeintlichem juristischem Besserwisien diesen so mühsam gewonnenen Resul­ taten gegenübertreten zu können. Ich muß sagen, ich gebe mich gerade in der KommissionSberathung der Erwartung hin, daß die Juristen in dieser Beziehung sich mit dem Aus­ tausch ihrer Zweifel werden bescheiden müssen, wie das ja auch in den Justizkommissionen der Fall gewesen ist. Wir werden uns im wesentlichen dabei bescheiden müssen, und ich lebe auch der Hoffnung, wir werden uns auf der Linie der Kompromisse ebenfalls zurecht zu finden haben, auf die sich die Justizkommission schließlich geeinigt hat. Der Reichstag hat sich — das ist von den Herren Vorrednern betont worden, und das ist auch meine Ueberzeugung — zu bescheiden, den Entwurf wesentlich unter den großen politischen und sozialpolitischen Gesichtspunkten zu prüfen; die religiösen möchte ich eigentlich ausscheiden, weil ich glaube, wenn man in dieser Beziehung sich zu sehr in die Erörterung der Dinge vertieft, möchte man aus Gegensätze stoßen, die hier nnausgleichbar sind. Man hat nun allerdings, wie auch schon hervorgehoben worden ist, gemeint, daß der vorliegende Gesetzentwurf den spezifisch nationalen Gesichtspunkten nicht überall ent­ spreche, die man gedacht hat durch ein solches Gesetzbuch erfüllt zu sehen. Meine Herren, insoweit damit gesagt sein soll, daß die im deutschen Volk lebendigen Rechtsanschauungen in das bürgerliche Gesetzbuch haben Eingang finden müssen, so ist das ganz etwaS selbst­ verständliches; aber eben darum haben in dieser Beziehung doch auch die Verfasser deS Gesetzbuchs ihre Aufgabe gar nicht unerfüllt lassen können. Meine Herren, die hervor­ ragenden Männer, die daran gearbeitet haben, stehen doch mitten im Leben, und nehmen am Leben und Empfinden der Nation hervorragenden Antheil. Es verbinden sich mit der Forderung eines spezifisch nationalen Gesetzbuchs nun aber auch die anderen, daß aus unserem lebenden Recht kräftige Elemente bloß darum wieder ausgeschieden werden sollen, weil sie aus fremdem Nationalitätsgebiete, insbesondere dem deS römischen Rechts, ihre ursprüngliche Begriffsbestimmung und sachliche Ausgestaltung gesunden haben und von daher übernommen sind. Ganz abgesehen davon, daß diese Aufnahme sich vor Jahrhunderten vollzogen hat, so liegt es doch, mag die ursprüngliche Uebernahme immerhin auch hier und da etwaS gewaltsam geschehen sein, nicht in der Natur unseres Volks, sich solche Dinge mechanisch gefallen zu lassen. Meine Herren, unser Volk hat seit Jahrhunderten an diesen Dingen mit seiner Eigenart gearbeitet, hat sie sich assimilirt, theilweise um­ gearbeitet, und nun sind sie zu unlöslichen Bestandteilen unseres gegenwärtigen Rechts geworden. Sie auszuscheiden ist auch darum ganz unmöglich, weil, wie hier schon vom Herrn Vorredner hervorgehoben ist, die Germanisten, die mit solchen Ansprüchen kommen, unter sich uneinig sind über daS, was an die Stelle gesetzt werden soll. Da werden theils theoretische Liebhabereien verfolgt, theils verlangt man die Repristination von Ein­ richtungen, die von unserem Volk in bewußter Arbeit überwunden sind. Es gilt dies namentlich von dem Verlangen nach Wiederherstellung von solchen Gemeinschafts- und Gebundenheitsverhältnissen, die, weil die politischen und wirthschaftlichen Voraussetzungen, von denen sie dermaleinst in unserem deutschen Volk getragen worden sind, hinfällig ge­ worden, ja theilweise ganz verschwunden sind, heute mittelst ihrer Wiederherstellung nur die erbittertsten Jntereffengegensätze und heftige Kämpfe entfesseln würden. Ich stehe nach ernster Prüfung des Gesetzentwurfs auf dem Boden, daß ich behaupte: in demselben ist von den in unserem Volk lebendigen Rechtsanschauungen voll und ganz alles insoweit aufgenommen worden, als unser Volk in der Berührung und Wechselwirkung mit dem Recht und den Jnstitutionm fremder Völker den Willen und die Kraft erwiesen hat, sein eigenes Wesen zu behaupten. Damit ist doch aber auch erwiesen, daß unser Volk die

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aufgenommenen fremden Rechtselemente als bessere erkannt, jedenfalls in feinem Inter­ esse als nützlich erachtet hat. Ich glaube deshalb, daß unter dem Gesichtspunkt der Er­ haltung deutsch-nationaler Rechtselemente das bürgerliche Gesetzbuch leistet, was man von ihm verlangen kann. Es hat nicht, das ist meine Ueberzeugung, weitergehen können unter dem Gesichtspunkt, ein einheitliches Recht für ganz Deutschland zu schaffen. Wo wirklich in deutschen Landen noch weitere Rechte deutscher Rechtselemente im Bewußtsein deS Volks sich lebendig erhalten haben, nun, da eröffnet ja das Einführungsgesetz die Möglichkeit zur Konservirung nicht nur, sondern auch zur weiteren Ausgestaltung der­ selben in solchem Umfang, daß nur die Frage dem gegenüber am Platz ist, ob da des Guten nicht wirklich zu viel gethan ist. Was in dieser Beziehung hat geschehen können, ist, wie ich behaupten muß, durch das bürgerliche Gesetzbuch geschehen. Schwieriger liegt ja, das will ich einräumen, die Sache unter dem sogenannten sozialpolitischen Gesichtspunkt. Aber, meine Herren, hier wird doch auch festzuhalten sein, daß ein Werk wie das bürgerliche Gesetzbuch gegenüber den mannigfachen gährenden, durchaus nicht abgeklärten und ausgereiften sozialpolitischen Strömungen, die unser Volk heute durchwogen, sich mit äußerster Reserve zu verhalten hat. Gerade das bürgerliche Gesetzbuch würde seinen Zweck, einheitlich festes, dauerndes Recht zu schaffen, verfehlen, wenn es sich unter dem Eindruck unabgeklärter Zeitströmungen zu gesetzgeberischen Experimentirversuchen Herbeilaffen wollte. Unter diesen Gesichtspunkten wird man doch auch dazu kommen müssen, daß der Entwurf, wie er vorliegt, im wesentlichen die richtige Grenzlinie gefunden hat. Sie wissen, meine Herren, Frauenkreise haben uns angetreten mit der beweglichen Vorstellung, daß die Frau im bürgerlichen Gesetzbuch nicht die ihr gebührende Stellung bekommen habe. Nun, es kann unmöglich geleugnet werden, daß die Rechtsstellung der Frau in dem vorliegenden Entwurf ganz erheblich verbessert worden ist. Es ist das einmal in der Einführung des Elternverhältnisses an Stelle der väterlichen Gewalt ge­ schehen, wodurch die Frau in der Familie eine dem Manne ebenbürtige Stellung bekommt. In der Schlüsselgewalt ist für die Frau ein selbstständiger Wirthschaftskreis in viel besserer Weise abgegrenzt, als es jetzt der Fall ist. In dem ehelichen Güterrecht ist die Stellung der Frau ganz besonders dadurch verbessert worden, daß aller Erwerb der Frau, den sie in selbstständiger Arbeit außerhalb des Hausstandes hat, der Verfügungsgewalt des Mannes entzogen werden soll; das Erbrecht der Frau in dem Nachlaß des Mannes ist auch wesentlich verbessert. Ich muß danach doch sagen, daß die Stellung, die das bürger­ liche Gesetzbuch der Frau giebt, meiner Ansicht nach dem jetzigen Stande der Rechtsanschauung in Deutschland entspricht; wenn noch weitergehende Forderungen, die ja in der Zeit liegen, erhoben werden, so behaupte ich, das sind Minderheitsforderungen, die einstweilen das Recht haben, zu verlangen, daß die Gesetzgebung sie der großen Mehrheit des Volks wider deren Verständniß und wider ihren Willen auferlegt. Und ähnlich liegt die Sache — was ja Petitionen uns nahe gebracht haben — in Bezug auf das Recht der unehelichen Kinder und deren Mütter. Auch hier hat der vorliegende Entwurs wesentliche Verbesserungen uns unterbreitet, und ich behaupte auch hier, daß Weitergehendes in unserem Volke nicht verstanden werden würde. Mir ist es sogar zweifelhaft, ob die vom bürgerlichen Gesetzbuch gebotene volle Aufnahme der unehelichen Kinder in die Familie der Frau nicht hie und da noch Kopfschütteln hervor­ rufen wird. Ich für meine Person bin durchaus bereit, diesen Vorschlag anzunehmen. Von ganz besonderer sozialpolitischer Bedeutung erkenne ich den Zug in dem Ge­ setzbuch, der das ganze Werk in allen Theilen durchzieht, in welchen in Bezug auf die Bestimmung des Inhalts fast aller Rechtsverhältnisse auf der von den Betheiligten selbst denselben gegebenen Grundlage dem richterlichen Ermessen, der bona fides, der freien Beurtheilung der Sache ein weitgehender Spielraum eröffnet wird. Das ist ein Zug, der durch das ganze bürgerliche Gesetzbuch hindurch geht. Es ist mir auffallend gewesen.

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daß der Herr Kollege Haüßmann bei der Streife, in der er bei der Generaldebatte bei dem Budget das bürgerliche Gesetzbuch krittsirt hat, daran Anstoß genommen hat. Es ist das ja allerdings, insoweit nicht das Rechtsgebiet des französischen Rechts in Frage kommt, in Deutschland etwas neues; aber gerade in dieser Beziehung bedurfte und be­ darf unser bestehender Rechtszustaud einer ganz entschiedenen Berbesierung. Wenn so vielfach bei uns die öffentliche Rechtsauffasiung sich mit dem Inhalt von Richtersprüchen nicht in Einklang zu setzen vermocht hat, so hat das nach meiner Wahrnehmung seinen Grund darin, daß der bisherige formalistische Charatter unseres Rechts vielfach in der That die Richter verhindert hat, der gesunden Vernunft und der Natur der Dinge die gebührende Geltung bei der Rechtsanwendung zu sichern. Der Herr Kollege Haüßmann hat allerdings gemeint: ein gutes Recht muß auch dadurch gut sein, daß es überall klare Normen und Entscheidungen in sich selbst birgt und nicht an das (Ermessen einer einzelnen Person, des Richters, appelliren muß, weil dann die Parteien und das Volk das Recht erst schöpfen müssen auf dem Wege des Prozesses und des Gerichtsverfahrens. Ja, das ist sehr schön gesagt, aber keine Gesetzeskasuistik kann den Inhalt der Rechtsverhältnisse erschöpfen, und da ist es eben Aufgabe des Gericht- und des richterlichen Ermeffens, hier ergänzend einzutreten. Meine Herren, ich glaube doch, wir haben gar keinen An­ laß, unseren Richtern in dieser Beziehung ein Mißtrauen entgegenzubringen; ich bin vielmehr der Meinung, daß im Gegentheil die Judikatur einen ganz außerordentlichen Vortheil davon haben wird, wenn ihr mehr gesundes soziales Blut auf diesem Wege zu­ geführt werden wird. Meine Herren, es wird auch Ihnen die Schrift des sächsischen Ober - LandeSgerichtsraths von Sommerlatt zugegangen sein; ich glaube, angesichts des langen Berzeichniffes der sozialpolitischen Berbesserungsvorschläge des Gesetzbuchs, welch? in dieser Schrift aufgeführt sind, kann niemand bestreiten, daß gerade in sozialpolitischer Beziehung der vorliegende Entwurf des Gesetzes sehr Wesentliches geleistet hat, und daß gerade auch daS Bestreben, die wirthschaftlich Schwachen zu schützen, vielfach den Verfassern die Feder geführt hat. In Bezug auf die Sprache deS Entwurfs sind ja wohl Wünsche übrig geblieben; indessen ist doch anerkannt, daß der zweite Entwurf gegenüber dem ersten ganz außer­ ordentliche Verbefferungen bietet, und wenn nun noch Wünsche übrig geblieben sind, meine ich, werden dieselben verstummen müssen vor der Wahrnehmung, die wir täglich zu machen in der Lage sind, daß, so vieler ausgezeichneten Ngenschaften sich die Parla­ mente auch verühmen mögen, die geringste jedenfalls ihre Begabung für eine präzise und gute Gesetzesredaktton ist. Ich resümire mich demnach in Uebereinstimmung mit den Herren Vorrednern dahin, daß der vorliegende Gesetzentwurf nicht bloß eine gute Grundlage für die Fest­ stellung eines gemeinsamen bürgerlichen Rechts für ganz Deutschland ist, sondern daß ich auch meine, die Kommissionsberathung wird dazu führen müssen, daß wir unS im wesentlichen auf derselben Linie wiederfinden werden, auf welcher sich die Mitglieder der Juristenkommission schließlich zusammengefunden haben. Meine politischen Freunde würden daher das Bedürfniß einer Kommissionsberathung nicht empfunden haben, da sie der Meinung sind, daß diejenigen Verbesserungen, die aller­ dings auch sie dringend wünschen müssen, im Plenum hätten gesunden werden können. Dahin gehört namentlich — und das ist ein Anstoß, der, glaube ich, auf allen Seiten empfunden wird — die Begrenzung, die das Körperschastsrecht in dem Entwurf gefunden hat. Ich glaube, darin ist eine solche Uebereinstimmung im Hause, daß es wohl auch im Plenum hätte gelingen können, eine Aenderung herbeizuführen. Denn da hat in höchst bedauerlicher Weise der Polizeigeist, der in Deutschland jetzt seine Schwingen wieder besonders lebhaft regt, nicht diejenige Resignation bewiesen, die doch alle Faktoren zum Zustandekommen des bürgerlichen Gesetzbuchs ausüben müssen. Daß hier der Bundes-

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rath gar noch hinter die Wünsche der Juristenkommission zurückgegangen ist, ist ganz besonders schmerzlich. Deswegen gebe ich mich aber auch der Hoffnung hin, daß in diesem Punkt von den verbündeten Regierungen doch noch nicht das letzte Wort gesprochen sein wird. Wenn meine näheren politischen Freunde nicht eine Kommissionsberathung für unbedingt erforderlich erachten, so widersetzen sie sich selbstverständlich nicht dem Wunsch, der von den Parteien so lebhaft ausgesprochen wird, in einer Kommission noch weitere Verständigungsversuche zu unternehmen. Wir werden allen denjenigen Verbesserungen zustimmen, über welche es in der Kommission gelingen wird, eine Ver­ ständigung unter den Parteien und mit den verbündeten Regierungen herbeizuführen; wir gehen in die Kommission aber mit der Erwartung, daß, wo solche Verstän­ digung nicht zu finden sein wird, die Kommission den Entschluß finden wird, den Ent­ wurf in der vorliegenden Form uns 511 empfehlen. Denn, meine Herren, die günstige Gelegenheit, jetzt hier einen ungemeinen Fortschritt in der Entwicklung der deutschen Nation und des Deutschen Reichs sicher zu stellen, wie sie uns hier gegeben ist, darf der Reichstag nicht versäumen. Die Verantwortung dafür könnte er weder vor der Gegenwart noch vor der Nachwelt tragen. Und andererseits meine ich, was ich schon im Anfang dieser meiner Ausführung gesagt habe: gerade inmitten unserer Gegensätze müssen wir von der außerordentlichen Gunst der Verhältnisse auf alle Fälle zu profitiren uns angelegen sein lassen, daß wir im Stande sind, so wie wir hier zusammengesetzt sind, doch unserem Volk ein großes Gut von bleibendem Werth zu bringen. Ich schließe mit dem Wunsch, daß der große Moment kein kleines Geschlecht gefunden haben werde. (Lebhafter Beifall.) Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Leuschner. Abgeordneter Leuschner: Meine Herren, ich glaube, daß darüber wohl kein Zweifel ist, daß überhaupt der Erlaß eines derartigen Gesetzentwurfs, wie er hier vorliegt, so­ wohl im allgemein nationalen Interesse liegt als auch in den speziellen Interessen der erwerbenden Stände. Ich brauche Ihnen hier nicht die Geschichte auseinanderzusetzen, die dieser Entwurf bis jetzt hatte; Sie kennen sie. Der erste Entwurf, der überhaupt zu Stande kam, erforderte eine Zeit von 13 Jahren; demselben machte man die ver­ schiedensten Vorwürfe, theilweise, weil vt nicht praktisch wäre, theilweise, weil er eine unverständliche Sprache hätte, doktrinär sei und dergleichen. Der Bundesrath beschloß deshalb, eine zweite Kommission zu wählen, welche einen neuen Entwurf ausarbeiten sollte. Diese Kommission hat getagt und den uns jetzt vorliegenden Entwurf zu Stande gebracht. Ich für meine Person — ich hatte nämlich auch die Ehre, der Kommission an­ zugehören — meine, daß dieser Entwurf im großen und ganzen allen denjenigen An­ forderungen entspricht, die wir überhaupt zur Geltung bringen können. Es ist ja nicht möglich, mit einem derartigen Entwurf allen Wünschen Genüge zu thun; das ist über­ haupt a priori ausgeschlossen. Es handelt sich nur darum, daß derselbe wenigstens im großen und ganzen den nationalen Wünschen und den Bedürfnissen des deutschen Volks Genüge leistet; und ich glaube, das ist in vollem Maße der Fall. Eine spezielle Berathung eines Gesetzentwurfs, der mehrere tausend Paragraphen enthält, im Reichstag ist nach meiner Auffassung völlig ausgeschlossen. Ich glaube auch, daß wohl niemand ernstlich daran denken wird. Der Reichstag würde sich dann gewiffermaßen selbst als Kommission konstituiren. Auch die Verweisung des Entwurfs an eine besonders zu wählende Kommission nach § 26 der Geschäftsordnung würde nach meiner Auffassung eine Maßregel sein, die mehr oder weniger das Zustandekommen des Gesetzes in Frage stellt. Es würde eine solche Kommission mit ihrer Berathung so bald nicht fertig werden, wie wir das ja schon öfter erlebt haben. Dagegen sind meine politischen Freunde mit mir der Meinung, daß ein größerer Erfolg zu erwarten sein

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dürste, das Gesetz zu Stande zu bringen, wenn einer freien Kommission überlaffen wird, sich der Berathung dieses Gesetzentwurf- zu unterziehen, und wenn gleichzeitig ein weiterer Termin für die zweite Lesung seitens des hohen Hauses gestellt wird, bis wann die ein­ zelnen Fraktionen Zeit gewonnen haben werden, sich zu verständigen, respektive definitive Beschlüffe zu soffen. Ich enthalte mich, jetzt irgendwie aus die Spezialen des Gesetzentwurfs einzugehen. Die Meinungen sind ja sehr verschieden, und auch bei unS sind abweichende Auf­ fassungen zur Geltung gekommen, die schließlich dahin geführt haben, daß die Reichs­ partei sich verständigt hat auf eine Resolution, die ich mit Erlaubniß des Herrn Präsi­ denten vorlesen werde: Die deutsche Reichspartei verkennt nicht die große nationale Bedeutung eines gemeinsamen bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich und würde angesichts dieser Bedeutung gern ihre Bedenken gegen einzelne Theile dieses Gesetzbuchs zurückstellen und für seine Enblocannahme eintreten, wenn für diese überhaupt eine Aussicht im Reichstage bestände. Nachdem große Parteien deS Hauses ihrerseits die Zustimmung zu dem Gesetzbuch von der Abänderung einzelner Theile desselben abhängig gemacht haben, glauben wir unsererseits auch unsere Wünsche bezüglich einer Umarbeitung nicht zurückhalten zu dürfen. Diese Wünsche beziehen sich vorzugsweise auf die unseres Erachtens nicht zur Genüge berücksichtigten, aber wahlberechtigten Ansprüche der Frauen auf Verminderung ihrer Abhängigkeit und Erweiterung ihrer Rechte auf vermögensrechtlichem Gebiet. Im Jntereffe des Zustandekommens des Gesetzes beschränken wir unsere Wünsche auf ein Mindestmaß, glauben aber gleichzeitig beantragen zu sollen, daß daS Gesetzbuch nicht in eine Kommission verwiesen wird, weil wir fürchten, daß in dieses ein positiver Erfolg schwer zu erzielen sein würde, sondern daß die zweite Lesung im Plenum erst nach Verlauf eines längeren Zeitraum» in Aussicht genommen wird, um während dieses Zeitraums den Parteien Zeit zu lassen, über die weitere geschäftliche Behandlung beziehungsweise über zu ver­ einbarende Beschlüffe zu einer Verständigung zu gelangen. Pkäfideut: Ich möchte den Herren vorschlagen, nunmehr die Berathung ab­ zubrechen und deren Fortsetzung für die nächste Sitzung vorzubehalten. Ich schlage Ihnen vor, — indem ich Ihr Einverständniß unterstelle, — die nächste Sitzung zu halten DienStag, den 4. Februar, Nachmittags 1 Uhr mit der Tagesordnung: Fortsetzung der heutigen Berathung. Ich stelle fest, daß ein Widerspruch gegen die Vertagung und die Tagesordnung nicht laut wird, und daß die Tagesordnung mit der vorgeschlagenen SitzungSzeit an­ genommen werden. Die Herren Abgeordneten Rothbarth, von Ploetz, Graf zu Stolberg-Wernigerode und von PodbielSki wünschen aus der X., bezw. IX. und VII. Kommission zu scheiden. — Widerspruch erfolgt nicht. Ich veranlasse deshalb die 1. und 6. Ab­ theilung, unmittelbar nach der Sitzung die erforderlichen Ersatzwahlen vorzunehmen. Ich schließe die Sitzung. (Schluß der Sitzung 5 Uhr.)

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31 Sitzung am Dienstag den

9teu eingetretenes Mitglied . . Mittheilung über geprüfte Wahlen Personalveränderungen in Kommissionen .... Fortsetzung der ersten Berathung deS bürgerlichen Gesetzbuchs nebst Einführungsgesetz (Nr. 87, ad 87, 87», ad 87 a der Anlagen.............................................

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Februar (896.

Seite Kauffmann.............................................................. 47 Königlich Preußischer Geheimer Iustizrath, Pro­ fessor Dr. Planck.............................................. ci Stadthagen............................................................. 71 Feststellung der Tagesordnung für die nächste Sitzung: Singer . . . ........................................................

Die Sitzung wird um 1 Uhr 20 Minuten durch den Präsidenten Freiherrn von Buol-Berenberg eröffnet.

Präsident: Die Sitzung ist eröffnet. Das Protokoll der vorigen Sitzung liegt auf dem Bureau zur Einsicht offen. Seit der letzten Plenarsitzung ist eingetreten der Herr Abgeordnete Colbus. Vor der 1. Abtheilung sind die Wahlen der Herren Abgeordneten Quentin, gewählt für den 2. Mindener Wahlkreis, und Radwanski, gewählt für den 7. OppelnerWahlkreis, geprüft und für giltig befunden worden. An Stelle der aus der VII. resp. IX. und X. Kommission geschiedenen Herren Abgeordneten von Podbielski, Graf zu Stolberg-Wernigerode, Rothbarth und von Ploetz sind durch die vollzogenen Ersatzwahlen gewählt worden die Herren Ab­ geordneten : von Werdeck-Schorbus für die VII. Kommission, Gras von Kanitz-Podangen für die IX. Kommission, Krüger und Mentz für die X. Kommission. Wir treten in die Tagesordnung ein. Den Gegenstand derselben bildet die Fortsetzung der ersten Berathung des bürgerlichen Gesetzbuchs (9h\ 87, ad 87 der Drucksachen), in Verbindung mit der ersten Berathung eines Einsührungsgesetzes zum bürgerlichen Gesetzbuch (Nr. 87 a und ad 87 a der Drucksachen). In der wiedereröffneten ersten Berathung ertheile ich das Wort dem Herrn Ab­ geordneten Dr. von Dziembvwski-Pomian. Abgeordneter Dr. von Dziembowski-Pomian: Meine Herren, es ist eine überaus schwierige Ausgabe, den Entwurf zu kritisiren mit Rücksicht auf die Bedeutung seines Inhalts und die Größe der hierauf verwendeten Arbeit. Will man an diese Kritik herantreten, so wird man vor allem wohl zu fragen haben, ob denn die Kommission die ihr gestellte Aufgabe richtig gelöst hat. Die Kommission hatte vor allem die Auf­ gabe, etwas Neues zu schaffen; und wenn etwas Neues zu schaffen war, so hatte sie die Aufgabe, sich von den partikularrechtlichen Strömungen fern zu halten. Ich glaube, es wird als Vorzug des Gesetzes vor allem gepriesen werden, wenn man sagen kann, daß die Vorlage weder zu romanistisch noch zu germanistisch, weder zu französisch noch zu preußisch ist. Es entsteht aber dadurch die weitere Frage, ob denn durch die Ein­ führung eines neuen Privatrechts in Deutschland nicht die wirtschaftlichen und ideellen Interessen der Nation berührt werden. Ich glaube, daß die Nachtheile auf diesem Gebiet

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doch in der ersten Zeit fühlbarer werden. Es wird durch ein neues Recht ein neueS Rechtsleben veranlaßt werden, und ich glaube, daß in der ersten Zeit eine gewiffe Rechts­ unsicherheit platzgreifen wird, und zwar nicht nur in der großen Maffe des Volks, sondern auch bei den Juristen. Aber alle diese Erwägungen, daß vielfach Schäden der wirtschaftlichen Jnteresien in der Anfangszeit, namentlich im Uebergangsstadium, eintreten werden, zu erörtern, empfiehlt es sich nicht, nachdem im Jahre 1873 der Reichstag sich für Annahme eines gemeinsamen Rechts erklärt hat; es könnte mich da als Juristen die exceptio rei judicatae treffen. Ich gehe nun zu einer näheren Betrachtung der Mängel, die bereits in der gestrigen Verhandlung von mehreren Herren Rednern gerügt worden sind, und ich muß das Gesetzbuch einer, wenn auch nur kurzen, Prüfung nach der Richtung hin unterziehen, ob es auch in politischer, juristisch-technischer und religiöser Beziehung den Anforderungen, die an ein so großes Gesetz gegenwärtig gestellt werden, entspricht. Ich glaube, mit Recht hat gestern schon der Herr Kollege Schröder hervorgehoben, daß als Anforderung an eine so große Privatrechtskodifikation vor allen die gestellt werden muß, daß daS Gesetzbuch sich von den gesetzlichen Experimentirversuchen und auch von den zeitigen Strömungen fern halten muß, und ich glaube, daß leider das Gesetzbuch in einem Punkt es nicht verstanden hat, sich von diesen Einflüssen fern zu halten, — ich meine den Art. 60 des Einführungsgesetzes. Da wird die Bestimmung des Bundesstaats Preußen bezüglich der Rentengutsgesetzgebung, sowie auch — und darauf lege ich das Haupt­ gewicht — das Gesetz vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher An­ siedlungen in den Provinzen Posen und Westpreußen, ausdrücklich aufrecht erhalten. Meine Herren, die Aufrechterhaltung der privatrechtlichen Vorschriften auf diesem Gebiet bedeutet nichts anderes, als den Ausschluß des polnischen Bauers von der un­ eingeschränkten Möglichkeit des Erwerbs von Liegenschaften; es bedeutet die stärkste Ein­ schränkung des einer Person wichtigsten Privatrechts, nämlich deS Eigenthumsrechts. Zur Begründung einer derartigen Vorschrift müssen, nach meinem Dafürhalten, erhebliche Thatsachen vorgebracht werden. Ich- habe aber in den. Motiven vergeben- nach solchen Thatsachen gesucht. Die Motive bringen nur eine nichtssagende Begründung, die mit kurzen Worten dahin zusammengefaßt werden kann, daß die Wirkung dieser Gesetze doch von so kurzer Zeitdauer sei, daß ein definitives Urtheil über diese Gesetzgebung noch nicht abgegeben werden könne. Ja, meine Herren, für die Aufnahme einer solchen Aus­ nahmebestimmung in dem großen künftigen gemeinsamen deutschen Privatrecht müßten doch ganz andere Gründe vorgebracht werden. (Sehr richtig! bei den Polen.) Da müßten Gründe vorhanden sein, wo man sagen kann: das Reich schwebt in Gdfähr, — videant consules ne quid detrimenti capiat respublica. Solche Gründe müßten dargelegt werden und darthun, daß der Staat gefährdet sei. So z. B. bei Bedrohung durch Jnfasion einer höheren Kultur, oder wenn der Staat sich wirthschastlich und politisch so schwach fühlte, daß die Frage, wer den Besitz und namentlich den Grundbesitz in der Hand hat, von einer staatsgefährdenden Bedeutung sein könnte. Meine Herren, das testimonium paupertatis kann man unmöglich dem Deutschen Reich ausstellen; man würde es aber thun, wenn man derartige Bestimmungen aufnehmen wollte. Ich verweise auf die zutreffenden Worte des Vertreters der verbündeten Regierungen gestern int Reichstage: das Werk soll ein eminentes internationales Kulturwerk bilden; und mit Recht wurde auch gestern daraus hingewiesen, daß das Prestige des Code Napoleon weit über die Grenzen des Franzosenreichs hinausreiche. Ich meine, das deutsche bürgerliche Gesetzbuch dürfte nur dann eine derartige eminente Bedeutung gewinnen und einen eminenten kulturhistorischen Schritt thun, wenn es diese Ausnahmebestimmungen streichen wird; sonst würde es ein Gesetz sein, welches Nachahmung finden möchte, nur in den nichteuropäischen Ländern.

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Erste Berathung des Entwurf- eines Bürgerlichen Gesetzbuchs.

Meine Herren, die Mängel, die sich auf politischem Gebiet zeigen, kommen am eminentesten zum Vorschein in der Gestaltung der Lage der juristischen Personen. Der Rechtszustand, der namentlich im preußischen Bundesstaat begründet war, war meiner Ansicht nach viel besser als der des bürgerlichen Gesetzbuchs, welches die Rechtspersönlichkeit allen Vereinen abspricht, die sich mit Politik und Sozialpolitik, Erziehung, Unterricht und Religion beschäftigen. Wenn diese Vorschriften nun auf unsere Verhältnisse über­ tragen werden, so sind sie gleichbedeutend mit folgendem Satz: was polnisch ist, ist auch politisch. Demnach werden auch wohl manche unserer Vereine, die sich mit Politik nicht beschäftigen, unter den Begriff der politischen Vereine fallen, denen eine juristische Persön­ lichkeit nicht zugestanden wird. Und nun komme ich zu der weiteren Frage: wie wird die Rechtsstellung dieser erlaubten politischen Vereine sein, wenn ihnen keine Rechtspersön­ lichkeit zugestanden wird. Die Judikatur hat nach dieser Richtung in Preußen abgeholfen und hat den Vereinen, die nach Maßgabe des öffentlichen Vereinsrechts erlaubt waren, Rechtspersönlichkeit zugestanden, insofern als man sie für befugt erachtete, Verträge ab­ zuschließen, Rechtshandlungen vorzunehmen, klagen und verklagt zu werden. Alle diese Attributionen sollen jetzt beschränkt werden auf das für die Vereine recht zweifelhafte Recht, verklagt werden zu können; alle anderen Rechte werden ihnen aberkannt, und sie werden unter die Grundsätze des Gesellschaftsrechts gestellt, die doch aus die Vereine absolut nicht passen. Ich verweise nur auf die Vorschrift des Gesellschaftsrechts, wo gesagt wird, daß beim Tod eines Mitglieds die Erben die Verpflichtung haben, allen anderen Mitgliedern davon Anzeige zu machen. Meine Herren, bei einem großen Verein, der mehrere Tausende von Mitgliedern zählt, wird die Sache geradezu unausführbar sein. Ich glaube daher, daß diese Konstruktion eine sachwidrige ist; ich fürchte, daß, wenn die Kommission in diesem Fall nicht die bessernde Hand anlegt, dann vielleicht dem Entwurf der Vorwurf gemacht wird, daß er bestimmt wäre für einen Polizeistaat, aber nicht für einen Rechtsstaat. Was nun die Frage der juristischen Technik anlangt, so muß ich mich den Bedenken anschließen, welche der Herr Kollege Rintelen vorgebracht hat, daß dem arbitrium judicis ein zu weit gehender Spielraum gelassen ist. Ein Gesetzbuch hat doch unzweifelhaft die Pflicht, Streitigkeiten zu schlichten und Normen zu geben für den einzelnen Fall, um Streitigkeiten zu vermeiden. Wenn man gewisse Feststellungen, gewisse Entscheidungen in die Hand des Richters legt, dann wird die Praxis (bevor Judikatur und Wissenschaft gehörig vorgearbeitet haben) in eine sehr mißliche Lagekommen. Vom theoretischen Standpunkt aus ist es ja nicht ohne Berechtigung, wenn man dem Landrecht den Vorwurf einer zu großen Kasuistik gemacht hat; aber ich glaube, daß das bürgerliche Gesetzbuch den entgegengesetzten Fehler gemacht hat: es hat zu wenig Entscheidungen getroffen für den bestimmten Fall, und vom Standpunkt des Praktikers aus muß man nach dieser Richtung die Behauptung aufstellen, daß diese Vorschriften von eminentem Nachtheile sein werden für die Bevölkerung, für die Rechtssuchenden, die erst durch Aufwendung von Kosten für drei Instanzen einen werthvollen Beitrag für die künftige Gestaltung des Rechts liefern werden. Unter diesen Umständen glaube ich, daß, wenn in der Kommission nicht zu erzielen sein sollte eine gewisse Klarstellung dieser Vorschriften, man vielleicht auf den Gedanken wird kommen müssen, wenigstens für die Uebergangszeit dem Gericht die Ermächtigung zu ertheilen, Gerichtskosten niederschlagen zu können, in denjenigen Fällen, wo eine Verurtheilung oder Abweisung erfolgt ist lediglich aus dem Grunde, weil das bürgerliche Gesetzbuch zu wenig genaue und präzise Rechtsnormen geschaffen hat. Mit Recht ist auch ferner eingewandt worden, daß zu viel Spielraum dem Parti­ kularrecht gegeben sei; die große Aufgabe solle doch in dem Sinne gelöst werden, daß ein gemeinsames großes Privatrecht in Deutschland zum Zweck der Bildung der Rechts­ einheit eingeführt werde. Wird dasselbe aber in so viel Punkten durchlöchert, wie es

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das Einführungsgesetz im zweiten Abschnitt thut, dann muß ich wirklich zu der Ueber­ zeugung kommen, daß auch künftighin Deutschland kein gemeinsame- Privatrecht haben wird, sondern nur ein theilweiseS Privatrecht mit großer Berücksichtigung der Parti­ kularrechte. Dieser Rechtszustand ist nach meiner Meinung kein ersprießlicher; denn ich glaube, daß die Partikularrechte nur insofern Geltung werden haben können und sollen, als lokale und sonstige Verhältnisse eine Zulassung der Partikularrechte gegenüber dem Reichsrecht erfordern. Vom religiösen Standpunkt, meine Herren, kann ich mich mit wenigen Ausnahmen den Ausführungen anschließen, die gestern Herr Kollege Rintelen gemacht hat. Ich meine, daß ein Gesetzbuch, wenn es populär roirfen soll, wenn es mit Freuden von der Be­ völkerung aufgenommen werden soll, unmöglich einen GewisienSzwang statuiren kann. Zur Ergänzung der Ausführung des Herrn Rintelen über die Eheschließung erlaube ich mir nur auf folgenden Gesichtspunkt hinzuweisen. Es scheint doch wünschenswerth, daß das bürgerliche Gesetzbuch ein Prestige übe auch bezüglich der Nachbarstaaten, und daS würde doch zweifellos nicht eintreten, wenn die Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuchs über die Eheschließung in Kraft bleiben sollten. Rußland hat z. B., wie aus einer An­ weisung des preußischen Herrn Justizministers hervorgeht, die Eheschließung vor dem Standesbeamten in Deutschland nicht als eine bürgerliche Ehe anerkannt (hört! hört! in der Mitte), und in Folge dessen hat der preußische Justizminister sich veranlaßt gesehen, eine Ver­ fügung zu erlassen und sämmtliche Standesämter anzuweisen, die Trauungen einer deutschen Reich-angehörigen mit einem Rüsten nicht eher zu vollziehen, bis die ministerielle DiSpensatton gegeben ist. Und weiter heißt es in der Anweisung: der Justizminister stellt nur eine DiSpensatton in Aussicht, insofern die Brautleute in glaubwürdiger Form be­ scheinigen können, daß sie die ernste Absicht haben, sich demnächst auch kirchlich trauen zu lasten. ES müßte also der Justizminister die Brautleute zur kirchlichen Trauung veranlassen, sonst würden sie auf dem Standesamt nicht getraut. Das ist ein Zustand, der das Ansehen deS bürgerlichen Gesetzbuchs gegenüber dem Auslande herabmindern würde. Ich würde also hier ernstlich empfehlen, die Worte, die der Herr Kollege Rintelen an daS Haus gerichtet hat, in wohlwollende, aber auch in ernstliche Erwägung zu nehmen. Im übrigen werden wir für die Kommission von 21 Mitgliedern stimmen. (Bravo!) Präsident: DaS Wort hat der Herr Abgeordnete Kauffmann. Abgeordneter Kanffmanu: Meine Herren, ich kann namens meiner Freunde die Erklärung abgeben, daß wir anerkennen, daß der zweite Entwurf deS bürgerlichen Gesetz­ buchs eine erhebliche und entscheidende Berbefferung deS ganzen Werks gegenüber dem ersten Entwurf bedeutet. Wir sind jedoch der Meinung, daß der Reichstag sich einer Nachprüfung einzelner großen Materien, insbesondere des BereinSrechts nicht entziehen kann, daß wir aber hoffen, daß die KommissionSberathungen zu einem baldigen und gedeihlichen Abschuß gelangen. Meine Herren, um zu einer gerechten Würdigung des Entwurfs zu gelangen, hat der Herr Staatssekretär gestern mit Recht die Zersplitterung und Berworrenhett unseres Rechtszustands hervorgehoben. Ich möchte im Anschluß daran noch hervorheben, daß die eigentliche Basis eines bürgerlichen Gesetzbuchs, eine einheitliche Rechtswistenschaft, in Deutschland bisher gefehlt hat. Unsere ganze Rechtswissenschaft krankt bis auf den heutigen Tag an dem Grundsatz zwischen Romanismus und Germanismus. Es hat das nach der geschichtlichen Entwicklung nicht anders kommen können. Als durch die Rezeptton des römischen und der sonstigen fremden Rechte ein fremdes Recht in Deutschland ein­ drang, herrschte zunächst das römische Recht in der Gerichtspraxis und Rechtswistenschaft. Erst im Laufe deS vorigen Jahrhunderts und im Anfang des jetzigen Jahrhunderts find

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die Bestrebungen der sogenannten Germanisten weiter vorgedrungen, welche gegenüber dem römischen Recht das deutsche Recht zur Geltung gebracht haben. Diesem Zustand entsprach der Lehrplan der deutschen Universitäten: der Student lernte zunächst das römische Recht, es wurde mit den ältesten Alterthümern des römischen Rechts angefangen, dann kamen die Pandektenvorlesungen, die ihm das römische Recht als gegenwärtig geltendes Recht vortrugen, und dann kamen die Vorlesungen der Germanisten, die gleich­ falls wieder mit den ältesten Alterthümern des deutschen Rechts anfingen. So ist dieser Zwiespalt fortgegangen, und es ist nicht zu einer Ueberbrückung dieser Kluft gekommen. Im Anfang dieses Jahrhunderts hat in seiner berühmten Schrift Savigny der da­ maligen Zeit den Beruf zur Gesetzgebung abgesprochen, er erwartete das Heil von einer organisch fortschreitenden Rechtswissenschaft, die der ganzen Nation heilsam sein könnte. Diese Hoffnung Savignys ist nicht in Erfüllung gegangen. Die Kluft zwischen Germanisten und Romanisten ist nicht von selbst überbrückt worden; diese Arbeit zu leisten, bedarf es der Gesetzgebung, und das ist jetzt die Aufgabe des Deutschen Reichstags. Meine Herren, dieser Spaltung der Rechtswissenschaft in zwei Lager entsprach nun auch der verworrene und verwickelte Rechtszustand, wie er uns gestern geschildert worden ist. Man braucht dabei nicht an einzelne kleine Privatrechte zu denken; das wäre ja noch zu ertragen. Wenn in irgend einem kleinen Städtchen oder Ländchen, die von dem Kulturfortschritt nicht berührt worden sind, sich ein besonderes Recht erhalten hat — und wir haben in den Motiven gelesen, daß sich z. B. in Katzenellenbogen ein besonderes Recht erhalten hätte —, so wäre das zu ertragen. Aber es ist nicht zu ertragen, wenn z. B. in den größten Städten unseres Vaterlandes verschiedene Rechte gelten aus Rechts­ gebieten, die allen gemeinsam sind. Nehmen sie einmal ein ganz naheliegendes Beispiel: welches Recht herrscht in Berlin für den Fall des Todes eines Gatten? Die meisten werden denken: selbstverständlich gilt in Berlin, der Hauptstadt des preußischen Staats, preußisches Landrecht. Weit gefehlt! Es gilt die alte constitutio Joachimica, eine Verordnung des Kurfürsten Joachim 1. vom Jahre 1527. Diese Verordnung ist mit ihren späteren Erweiterungen noch heute geltendes Recht, und jeder Berliner Jurist muß dieselbe kennen. Von dem damaligen Berlin ist kein Stein mehr auf dem anderen, aber die Verordnung des Kurfürsten für das eheliche Recht gilt noch bis auf den heutigen Tag. In Breslau gilt preußisches Landrecht, obwohl Breslau viel später der preußischen Monarchie eingefügt ist. Bis 1845 gab es in Schlesien sechzig verschiedene Rechte auf dem Gebiet des ehelichen Güterrechts. In Frankfurt a. M. gilt wieder ein anderes System, das System der Errungenschaftsgemeinschaft. In Hamburg gilt das allgemeine Gütergemeinschaftsrecht aus dem Hamburger Stadtrecht vom Jahre 1603. Was in Bayern für eheliche Güterrechte, z. B. in München, gelten, wage ich gar nicht zu entscheiden. Die Zustände müssen dort besonders unerträglich sein. Schon im Jahre 1872 hat der Abgeordnete Herz in der Sitzung vom 29. Mai wörtlich über die Rechts­ zustände in Bayern Folgendes gesagt: In keinem Staate Europas ist die Buntscheckigkeit im Bereich der bürgerlichen Gesetzgebung eine größere als im Königreich Bayern. Wir haben in Bayern so viele Rechte, daß wir kaum mehr wissen, was eigentlich Rechtens ist. Es ist eine Thatsache, daß wir in Bayern eine Sammlung des authentischen Textes aller der 70 oder 80 geltenden Rechte nicht einmal besitzen. So sieht es in Bayern aus. In einzelnen kleineren Ländern unseres Vaterlandes, die ich nicht besonders bezeichnen will, um keine Nervosität herbeizuführen, ist der Rechtszustand so verworren, daß nur ganz besonders hoch veranlagte, geniale Naturen dort Obergerichts­ räthe werden können. Nun, meine Herren, mit diesen Zuständen muß ein Ende gemacht werden. Es kommt hinzu, daß die Kenntniß aller dieser Privatrechte häufig dort, wo sie angewendet werden sollen, — ich möchte sagen — nur auf zwei Augen ruht. Es hüben sich da

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vielfach geradezu patriarchalische Verhältnisse entwickelt. In der Regel ist eS bei den kleineren Gerichten so, daß irgend ein älterer Herr in dem Rufe steht, daS Provinzial­ recht oder Statutarrecht, daS für seinen Kreis oder feine Stadt gilt, zu kennen, und er wendet es auch an. Me nun aber, wenn er krank wird und stirbt, oder wenn er versetzt wird? Dann kommt plötzlich ein jüngerer Richter, der von allen diesen Observanzen nichts kennt, der angewiesen ist auf ein altes Aktenstück, wenn zufällig der alte Kenner dieser Observanzen seine Erfahrungen darin niedergelegt hat, und nöthigenfallS wird der jüngere Jurist erst durch eine gewaltige Nase von oben herab belehrt, welches Recht er anzuwenden hat. Ich führe das an, um einen gerechten Standpunkt zur Würdigung des vorliegenden Entwurfs zu gewinnen. Ich komme nun zu der Arbeit der ersten Kommission. Ich hätte gewünscht, daß diese erste Kommission, die 14 Jahre gearbeitet hat, von Anfang an mit einem gesunden Radikalismus gearbeitet hätte. Allerdings liegt der verfehlte Mg, den sie eingeschlagen hat, daß sie sich nämlich unendlich lange mit der Sichtung der einzelnen Partikularrechte aufgeholten hat, an der verfehlten Marschroute, die der ersten Kommission von Anfang an gegeben war. Sie hatte den Auftrag, den Gesammtbestand der Rechtsnormen, die in Deutschland existiren, zu untersuchen auf deren Zweckmäßigkeit, innere Wahrheit, folge­ richtige Durchfühnmg u. s. w. Sie mußte also zunächst den Gesammtbestand der einzelnen Rechte feststellen, und diese ungeheure Arbeit, in der ja «in anerkennenswerther Fleiß steckt, hat eS hauptsächlich verschuldet, daß die Arbeiten der Kommission so langsam vorgeschritten sind. Meine Herren, der Recht-stoff, den wir in Deutschland haben, war längst bekannt; er ist niedergelegt in mustergiltigen Werken sowohl über daS römische Recht — es hat ja fast jeder namhafte Pandektenlehrer ein römische- Recht, ein Pandektenlehrbuch, geschrieben — und in den bekannten Werken von Beseler, Gierte und Anderen über das deutsche Recht. Und hinsichtlich dieser Parttkularrechte hat die erste Kommission — ich möchte sagen — mit der Sorgfalt des Archäologen jedes alte Recht-institut, selbst wenn eS noch so abgestorben war, aus dem Schutt der Jahrhunderte wieder hervorgeholt, und wir finden die Resultate alles dieses Fleißes in den Motiven des ersten Gesetzentwurfs, der im Jahre 1888 veröffentlicht worden ist. ES find daS 4400 Druckseiten, ein ungeheuer umfangreiche- Bert. Aber, meine Herren, trotz dieseFleißes war die Krittk sich darüber einig, daß der erste Entwurf nicht eine geeignete Basis für daS bürgerliche Gesetzbuch bieten könne. ES ist anzuerkennen, daß die Krittk sich hier große Verdienste erworben hat, und daß dem ersten Entwurf gegenüber.die umfangreiche Krittk deS Germanisten Gierke durchaus berechtigt war. Wie stellen wir unS nun zu dem zweiten Entwurf? Ich muß sagen, daß die Borwürfe, die dem zweiten Entwurf gegenüber erhoben wurden, im allgemeinen unbe­ gründet find. MS zunächst die Sprache betrifft, — es ist ja von mehreren Herren Rednern darauf hingewiesen, ob wirklich der Entwurf in seiner jetzigen Faffung eine geeignete deutsche Rechtssprache enthält — nun, meine Herren, bei der Rechtssprache handelt eS sich um Formulirung von Rechtssätzen, die an sich ihrem materiellen Inhalt nach nicht zu bestreiten sind. Ich glaube nicht, daß es Aufgabe des ReichStagS ist, sich mit der tech­ nischen Formulirung anerkannter und allgemein feststehender Rechtssätze aufzuhalten. Nehmen wir dafür einige Beispiele. Es ist z. B. im § 235 der Begriff des Schuld­ verhältnisses gegeben. Dort ist gesagt: Krast des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen. Nun, meine Herren, ich gebe zu, das kann man anders ausdrücken, eS wird mir aber jeder von Ihnen zugeben, daß es schwer ist, eine Faffung zu finden, die alle Wünsche befriedigt; eS ist auch vollkommen gleichgiltig, ob man eine feststehende Sache so oder so Stenographische Bericht«. D.4M9.

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ausdrückt. Es kommt nun aber gleich der folgende 8 236, der in der That in der Fassung und Sprache einen großen Fortschritt bedeutet. Der Paragraph tautet: Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die VertehrSsitte es erfordern. Das stimmt überein mit § 153: Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Berkehrssitte es erfordern. Meine Herren, es erscheint hier zum ersten Mal in einem deutschen Gesetzbuch die Berück­ sichtigung der Berkehrssitte, und es ist schon von anderer Seite darauf hingewiesen worden, daß gerade diese Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuchs außerordentlich entwicklungssähig sind, daß sich daran eine weitere gedeihliche Ausgestaltung des Rechts schließen kann. Es ist dann weiter getadelt die Definition der Hypothek. Die Hypothek ist im bürgerlichen Gesetzbuch defiuirt in dem Satz des § 1096: Ein Grundstück kann in der Weise belastet werden, daß au denjenigen, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, eine bestimmte Geldsumme zur Befriedigung wegen einer ihm zustehenden Forderung aus dem Grundstück zu zahlen ist. Man hätte kürzer gesagt: „eine Hypothek ist die Verpfändung eines Grundstücks wegen einer Forderung". Es handelt sich hier eben überall darum, selbstverständliche Rechtsbegriffe so oder so, mehr oder weniger gut auszudrücken. Meine Herren, wir würden die Zeit unnütz verschwenden, wenn wir uns damit in der Commission uunöthig aufhalten wollten, und wir würden vor allem etwas ganz Einwandfreies doch nicht schaffen. Machen wir einmal die Probe! geben wir hundert Juristen irgend einen Paragraphen, irgend eine Definition auf, und setzen wir sie in die Klausur! Sie können zehn gegen eins wetten: jeder Jurist wird mit einer anderen Definition aus der Klausur herauskommen. (Sehr richtig!) Also, meine Herren, so fasse ich die Aufgabe der Kommission nicht auf, daß wir uns mit der Formulirung der technischen Rechtssätze zu befassen hätten. Wie steht es nun mit dem materiellen Recht? In dieser Beziehung ist vor allem der Borwurf gegen den Entwurf erhoben, er enthalte materiell kein deutsches Recht; und ich halte diesen Vorwurf für wichtig genug, um ausführlich darauf einzugehen, weil es vor allem darauf ankommt, daß auch die deutsche Nation nicht mit der Empfin­ dung die Berathung begleite, daß dieser Entwurf nicht wesentlich deutsches Recht enthalte. Ich muß sagen: selten ist ein Vorwurf unbegründeter gewesen —, und ich werde Ihnen an der Hand der Hauptmaterien des Gesetzentwurfs diesen Beweis führen. Fangen wir einmal an mit dem Sachenrecht! Das Sachenrecht ist von A bis Z durchaus deutsches Recht. Das Wichtigste ist, daß, während nach römischem Recht der Grundbesitz gleich behandelt wurde mit den beweglichen Sachen, durch das deutsche Recht eine Trennung der Grundstücke und beweglichen Sachen hindurchgeht. Grundstücke werden anders behandelt als bewegliche Sachen, und dieser Grundsatz ist im Entwurf vollständig durchgeführt. Auf dem Gebiet des Grundstücksrechts ist das alte deutsche Rechtsinstitut der Auf­ lassung aufgenommen d. h., Eigenthum und Grundstück kann nur übergehen durch einen gerichtlichen Akt. Das ist von jeher in den alten deutschen Volksrechten so gewesen. Es gehört dazu eine öffentliche Gerichtssitzung, im echten Thing erfolgte die Investitur des Erwerbers eines Grundstücks. Daran schloffen sich dann in den weiteren Entwicklungen die Beurkundungen dieses öffentlichen Gerichtsakts, daraus sind dann die Grundbücher entstanden. Von allen diesen Dingen hat das römische Recht keine Ahnung gehabt, vor allem hat das römische Pfandrecht von der durch das jetzige Recht gegebenen Leffentlichkeit und Sicherheit des Pfandrechts keine Ahnung gehabt. Was den Begriff der Hypothek betrifft, so ist auch da im Entwurf durchaus

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deutsches Recht gegeben. Ich kann rS nicht verstehen, daß von verschiedenen Seiten die Formulirung des Hypothekenrechts des Entwurfs angefochten ist. Ich glaube, daß der Entwurf allen berechtigten Wünschen dadurch entgegenkommt, daß er verschiedene Formen für den Realkredit hergestellt hat. Die Hypothek ist das Pfandrecht im Anschluß an eine Forderung. Bon einer Hypothek haben Sie wieder die Unterart der Brief Hypothek, — das ist die Hypothek, für die ein Hypothekenbrief gebildet ist,— der Buch Hypothek, bei der auf einen Hypothekenbrief verzichtet ist, und der Kaution-- oder Sicherungs­ hypothek, wie sie im Entwurf heißt. Sie finden die Grundschuld und auch die Rentenschuld im Entwurf vertreten. Alle diese Rechtsgebilde sind in den einzelnen Staaten schon vorhanden. Hier und da hat man eine große Abneigung gegen die Grund­ schuld. So hat sich in Preußen die Erwartung nicht bestätigt, daß wir immer mehr von der Hypothekenschuld zur Grundschuld übergehen würden. Bekanntlich hat daS 1869 bis 1872, als die preußische Grundbuchordnung berathen wurde, zu großen Kämpfen geführt. Die Erfahrung hat aber denjenigen Recht gegeben, welche von der persönlichen Verpflichtung des Konstituenten der Hypothek nicht abstrahiren können. Man will außer der Haftung des Grundstücks auch die persönliche Haftung des Schuldners haben, und zu dem reinen Grundschuldsystem haben wir uns nicht entschließen können. Wo es aber besteht, z. B. in Mecklenburg, ist eS dem Interessenten ganz überlaffen, nach wie vor von den Hypotheken Abstand zu nehmen und nur Grundschulden eintragen zu taffen. Ich glaube, daß hier allen gerechten Bedürfnissen des Verkehrs und der Parsikularrechte durchaus zweckmäßig entgegengekommen ist. Was dann daS Recht an Mobilien betrifft, so muß ich sagen: im ganzen Mobiliarrecht des Entwurfs ist kein Wort römisch. Der Entwurf fängt an mit dem alten deutschen Grundsatz, daß, wenn jemand eine Sache erwirbt von einem Richteigenthümer in gutem Glauben, er trotzdem das Eigenthum erwirbt. Meine Herren, jeder römische Jurist würde sich entsetzen über diesen Satz, daß jemand Eigenthum erwerben kann von einem anderen, der Eigenthum an der betreffenden Sache nicht hat. DaS wider­ spricht dem alten römischen Grundsatz: nemo plus iuris transferre potest quam ipso habet — und auch dem anderen: ubi invenio, ibi vindico. Dieser Grundsatz ist im Entwurf gleichfalls vollständig beseitigt. Was dann den Begriff deS Besitzes betrifft, — meine Herren, von der ganzen römischen Befitztheorie ist im Entwurf nichts übrig geblieben. Der Entwurf hat von der römischen Theorie, daß für den Besitz der animns domini erforderlich ist, der Wille, die Sache wie ein Eigenthümer zu beherrschen, nicht-; der Entwurf kennt nur die Jnnehabung und schützt diese als solche. Sie sehen hiernach: daS Grundbuchrecht, daS Mobiliarsachenrecht, daS Besitzrecht ist materiell durchaus deutschen Ursprung-, Der allgemeine Theil deS Obligationenrechts ist natürlich römischen Ursprungs; er ist aber im wesentlichen längst Gemeingut aller Juristen geworden, und eS entspricht der Natur der Sache, daß, da die Deutschen kein ausgebildetes Obligationenrecht wegen ihrer mangelhaft ausgebildeten Vertehrsverhältnisse hatten, in Folge deffen das römische Obligationenrecht zur Ausfüllung dieser Lücke genommen wurde. Kommen wir aber zu den einzelnen speziellen Rechtsgeschäften, so treffen wir auch da sofort wieder deutsches Recht, vor allem, waS den Miethsvertrag betrifft. Mit Recht hat man dem ersten Entwurf den Borwurf gemacht, daß dort der Grundsatz auf­ gestellt war: Kauf bricht Miethe. DaS hätte in der That unsere modernen Miethsverhältnisse vollständig auf den Kopf gestellt, wenn nach Veräußerung eines HauseS der Erwerber das Recht gehabt hätte, allen Miethern schlankweg zu kündigen. Mit diesem Grundsatz hat der zweite Entwurf gleichfalls gebrochen, er steht auf dem Standpunkt, daß Kauf nicht Miethe bricht. Ferner ist das Recht-institut der Gesellschaft »so ausgebildet, wie es dem

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germanistischen System entspricht. Das Gesellschastsvermögen ist als ein Sondervermögen hingestellt. Der deutschrechtliche Begriff des Eigenthums zur gesummten Hand ist zur Anerkennung gekommen. Ferner sind ganz deutsch die Verträge zu Gunsten Dritter, die Lehre von den Werthpapieren und unendlich vieles mehr, worauf ich natürlich im einzelnen nicht eingehen kann. Auch das Familienrecht des Entwurfs ist durchaus deutschrechtlich. Ich will vor allem aus das eheliche Güterrecht kurz eingehen. Wir haben nach dem Entwurf das System der Gütertrennung mit der Verwaltungsgemeinschaft. Das ist ein uraltes deutsches Recht, es ist das Recht des deutschen Sachsenspiegels, der ältesten deutschen RechtSquelle, die wir haben. Es ist ganz falsch, wenn einzelne glauben, daß nur das System der Gütergemeinschaft deutschrechtlichen Ursprungs wäre. Wenn es sich darum handelt, zu fragen, welches von diesen beiden Systemen für die moderne Welt anwendbar ist, dann kann es nur das System der Gütertrennung mit der Verwaltungsgemeinschaft sein. Es ist nicht möglich, von der Gütertrennung zur Gütergemeinschaft überzugehen: wohl aber ist der umgekehrte Schritt möglich, und einzelne Gesetzgebungen neuerer Zeit haben das bereits gethan. Sie finden ganz deutsches Recht hinsichtlich der Ausgestaltung der Rechte der Mutter, der Hausfrau. Da ist vor allem § 1660, in welchem die neue Bestimmung enthalten ist, daß nach dem Tode des Vaters die Mutter nicht mehr bloß die Vormünderin des Kindes werden kann, sondern die elterliche Gewalt ebenso hat wie der Vater. Dann das Erbrecht. Das ganze Erbrecht ist durch und durch deutschrechtlichen Ursprungs; höchstens könnte man sagen: das Testamentsrecht ist römischrechtlichen Ursprungs. Bekanntlich hatte man im alten deutschen Recht überhaupt kein Testament. Aber auch das Testamentsrecht ist so umgestaltet, daß das strenge altrömische Testament mit seinen zahllosen Formalitäten überhaupt nicht wiederzuerkennen ist. Deutsch ist im Entwurf die sogenannte Parentelenordnung, das Pflicht­ theilsrecht, die Lehre vom Erwerb der Erbschaft, daß es dabei nicht eines besonderen Willensatts bedarf, sondern der deutschrechtliche Grundsatz „der Todte erbt den Lebendigen", d. h. er macht ihn zum Erben, ohne daß es eines besonderen Willensakts bedarf, anerkannt ist. Wir haben das deutschrechtliche Institut des Erbvertrags, des Erbscheins, des Testamentsvollstreckers u. s. w., sodaß ich in der That sagen muß: der Borwurf, daß der Entwurf kein deutsches Recht enthalte, ist hinfällig. Liest man die Kritik des Herrn Professors Gierte weiter, so kommt man eigentlich erst auf den Kern seiner Beklemmungen. Das ist der Umstand, daß gewisse längst ver­ altete, rückständig gewordene Institute des Agrarrechts nicht in dem Entwurf auf­ genommen sind. Er sagt in seiner Kritik: die Prüfung des Entwurfs auf sein Verhältniß zum Agrarrecht wird eine Hauptaufgabe sein, die zu lösen sein wird; und da könnte man mit allen mittelalterlichen Belastungen des bäuerlichen Besitzes, den Zehnten, Frohnden u. s. w. kommen, die alle glücklicherweise die Stein-Hardenbergsche Gesetzgebung in Preußen zum größten Theil fortgeräumt hat. Diese abgestorbenen Rechtsinstitute sollen jetzt den Bauernstand beglücken. Es ist interessant, zu sehen, wie unter dem Bärenfell des Germanisten plötzlich der agrarische Fuchspelz hervorguckt. (Heiterkeit.) Meine Herren, die deutschen Bauern werden sich dafür bedanken, wenn man ein ver­ altetes Agrarrecht, wie es den mittelalterlichen Verhältnissen entsprach, ihnen wieder auf­ zwingen wollte. Das könnte in der That den Herren Agrariern so passen, wenn wir durch das bügerliche Gesetzbuch wieder zurückgeschleudert würden in jene Verhältnisse, wo der Bauer hörig war, wo er dem Grundherrn den Zehnten, die Frohn- und Spann­ dienste u. s. w. zu leisten hatte.' Alles daS sind allerdings germanische Institute, aber auS der Zeit, als die Grundherren das Uebergewicht über den freien Bauernstand bereits

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erlangt hatten. Und wenn der Herr Abgeordnete Statteten gestern sagte, man solle doch dem Bauern seine gemeine Mark und seinen Wald wiedergeben, — ja, wer find denn die Herren, die dem Bauern seine gemeine Mark und seinen Wald genommen haben? (Sehr richtig! links.) Wer hat das Legen der Bauerngüter betrieben? (Sehr wahr! links. Zurus.) Wir sind ganz damit einverstanden. Möge der Herr Abgeordnete Dr. Statteten uns ein Verzeichniß derjenigen Herren seiner Partei bringen, die auf diese Wünsche hin nun auf ihren Wald und auf die gemeine Mark zu Gunsten der Bauer» verzichten! Dann würden wir sehr dankbar sein; ich glaube aber, daß er bei vielen Mitgliedern in seiner Partei und noch mehr auf der rechten Seite des Hauses da einen sehr entschiedenen Widerspruch finden würde. Also davon wird keine Rede sein; und ich glaube, daß die Herren Agrarier sehr mit der Rückgabe zufrieden sein können, daß das Einführungsgesetz zum bürgerlichen Gesetzbuch aus dem Gebiet des Agrarrechts überall zu Gunsten der Einzel­ staaten weitgehende Vorbehalte gemacht hat. Wir hätten gewünscht, daß noch gründlicher mit diesen rückständigen Rechtsgebilden deS Agrarrechts aufgeräumt worden wäre. DaS Einführungsgesetz hat ja eine lange Liste derjenigen Recht-gebiete aufgestellt, in denen die Landesgesetze in Kraft bleiben sollen. Man kann diese lange Liste von Art. 53 biS 150 in der That nur mit Bedauern lesen; und ich muß sagen: wenn diese zahlreichen Vorbehalte für die Landesgesetze der Preis für die Rechtseinheit sind, dann ist die RechtSeinheit wahrlich theuer genug bezahlt. Ich möchte diese hundert Paragraphen, in denen die Gebiete aufgeführt sind, die der Landesgesetzgebung vorbehalten bleiben, als eine Verlustliste deS deutschen EinheitSgedankenS bezeichnen. (Sehr wahr! links.) Nun ist ja allerdings bei dem Umfang der Arbeit, die unser harrt, nicht daran zu denken, daß wir große Gebiete, die der Gesetzgeber so wie so ausgeschlossen hat, noch hineinarbeiten. Der Herr Abgeordnete Dr. Stintelen erwähnte z. B. das Wasserrecht. Ja, die Ausarbeitung eines solchen Entwurfs würde- schon allein eine ganze Session in Anspruch nehmen. Mir würde besonders am Herzen liegen eine Resorm des GesinderechtS; und es wäre zu erwägen, ob nicht neben dem bürgerlichen Gesetzbuch eine ReichSgesindeordnung ausgearbeitet werden und in Kraft treten müßte. Es wird dann ferner bei vielen Materien zu prüfen sein, ob nicht doch daS Einführungsgesetz einigermaßen zu verbeffern wäre, ob nicht z. B. zu bestimmen wäre, daß Fideikommisse wenigstens nicht neu gebildet werden können. Hinsichtlich deS Anerbenrechts scheint mir der Vor­ behalt deS Einführungsgesetzes doch ungenügend zu sein; eS ist dort vorbehalten, daß die Landesgesetze daS Recht deS Erblassers, über daS dem Anerbenrecht unterliegende Grund­ stück von TodeSwegen zu verfügen, nicht beschränken können. DaS ist der einzige Vor­ behalt, der im Einführungsgesetz gemacht ist. Es wird im einzelnen Sache der Kommission sein, diese Details zu verbesiern. Besonders zu beklagen ist, daß nicht einmal auf dem Gebiet deS Enteignungs­ rechts ein einheitligeS Recht zu Stande gekommen ist. ES hätte doch nicht allzu schwer sein können, unter weiterer Entwicklung und Ergänzung deS preußischen Enteignungsrechts auch ein Enteignungsrecht für das Deutsche Reich dem Entwurf einzufügen. Ich komme nun zu jenen Materien, die meinen Freunden besonders am Herzen liegen, bet denen wir von den Berathungen der Kommission eine Verbesserung des Ent­ wurfs erhoffen; und das ist vor allem das Kapitel von der juristischen Person. Der erste Entwurf hatte die Vorschrift, daß Personen-Bereine die Fähigkeit, selbstständig ein Vermögensrecht zu haben, erwerben können, daß ober die juristische Persönlichkeit sich nach den Landesgesetzen des betreffenden OrtS bestimmt. Das war in der That eine Abdankung der Reichsgesetzgebung in die Hände der Landesgesetzgebung! (Sehr wahr! links.)

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Der zweite Entwurf hat das Verdienst, daß er diese Materie einer eingehenden Regelung unterworfen hat; allerdings hat dann nun wieder der Bundesrath den zweiten Entwurf in einem ganz erheblichen Punkt in unserem Sinn verschlechtert. Meine Herren, wie steht es überhaupt mit der Theorie der Verleihung der juristischen Persönlichkeit? Wir haben hier auf diesem Gebiete vor allem die Ausgabe, einen alten juristischen Zopf vollständig abzuschneiden (sehr wahr! links); denn die ganze Lehre von der Verleihung der juristischen Persönlichkeit durch einen Akt der Staatsgewalt ist ja weiter gar nichts als ein alter Zopf. (Sehr richtig! links.) Er ist entstanden aus der Fiktion des römischen Rechts, datz, da die juristischen Personen, die Vereine keine physische Persönlichkeit haben, die Universität, die Gesammtheit, an Stelle der Person steht. Der Satz der Pandekten lautet: uoivorsitas personae vice fongitur; und daraus leitete man nun den Satz ab, daß die Rechtspersönlichkeit durch einen besonderen Akt der Staatsgewalt einem solchen Verein erst verliehen werden müßte. Nun, alle Regierungen, namentlich alle absoluten Gewalthaber, haben sich diese Theorie zu allen Zeiten zu Nutze gemacht. Schon die Gesetzgebung der römischen Kaiser, dann der Code P6nal, das preußische Landrecht u. s. w., alle diese kennen nur eine Verleihung der Rechtsfähigkeit an die Vereine durch einen Akt der Staatsgewalt. Es ist ein Ber dienst der deutschen Rechtsentwicklung in diesem Jahrhundert gewesen, ein Verdienst der Germanisten, welches ich gern anerkenne, daß sie eine freie Bahn für die freiheitliche Ausgestaltung des Bereinsrechts geschaffen haben. Meine Herren, es stehen sich nun folgende Systeme gegenüber: das radikalste System ist das System der freien Körperschaftsbildung, welches darin besteht, daß ein Verein, wenn er eine Organisation, wenn er einen Vorstand und eine getrennte Vermögensverwaltung hat, von selbst rechtsfähig ist. Das Gegentheil davon ist die Ver­ leihung der Rechtsfähigkeit durch einen Akt der Staatsgewalt. In der Mitte zwischen beiden Systemen steht das System der Normativbestimmungen. Ich möchte, da dieses System in dem zweiten Entwurf angenommen ist, mich auch auf dieses System beschränken und werde zufrieden sein, wenn das System der Normativbestimmungen für alle Vereine ohne Ausnahme, soweit sie nicht gesetzwidrig sind, im Gesetzbuch zur Ver­ wirklichung gelangt. Das System der Normativbestimmungen hat den Vorzug der erleichterten Verkehrssicherheit. Es kann jeder Verein dann durch einen Auszug aus dem Vereinsregister des Amtsgerichts sofort seine Rechtspersönlichkeit beweisen, man kann sofort feststellen : wer ist der Vorstand? — und man kann auch die Bestimmungen des Statuts mit Leichtigkeit feststellen. Es würde immer ein schwieriges Ermittelungs­ verfahren sein, wenn wir nicht vorschreiben wollen, daß erst durch Anmeldung beim Amts­ gericht der Verein Rechtsfähigkeit erlangt. Allein, meine Herren, der Entwurf ist hier sich selbst nicht konsequent geblieben. Der Entwurf sagt in § 22: Vereine zu gemein­ nützigen u. s. w. Zwecken erlangen die Rechtsfähigkeit durch Eintrag ins Handelsregister oder durch staatliche Verleihung. Es sind hier beide Systeme mit der größten .Harm­ losigkeit neben einander gestellt, als ob das so ohne weiteres ginge; und es sind dann die Rechte, die in § 22 gegeben werden, vor allem durch das Einspruchsrecht und die Auflösungsbesugniß der Polizeibehörde wieder genommen. Ter Entwurf behandelt besonders ungünstig diejenigen Vereine, die nach ihren Satzungen einen, dem Gebiet der Politik, der Sozialpolitik, der Religion, der Erziehung oder dem Unterricht angehörenden Zweck verfolgen. Meine Herren, in der That sind diese Vereine nach dem Entwurf geradezu dem willkürlichen Belieben der Polizeibehörde anheimgegeben. (Sehr richtig!) Der § 58 des Entwurfs bestimmt, daß die Verwaltungsbehörde gegen die Anmeldung

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eine» Vereins Einspruch erheben kann; und der Einspruch muß nicht etwa motivirt werden, z. B. damit, daß der Verein unerlaubt sei, sondern es genügt, wenn die Ver­ waltungsbehörde sagt: der Verein verfolgt einen der Politik oder der Sozialpolitik u. s. w. angehörenden Zweck. Ja, meine Herren, da möchte ich doch fragen: welcher Verein kommt nicht heut immer einmal in die Lage, sich mit einem dieser Gebiete zu beschäftigen? Welcher gemeinnützige Verein z. B. kann seine Aufgabe lösen, wenn er nicht gelegentlich auch sozialpolitische oder sonstige politische Fragen in den Bereich seiner Erörterungen und seiner Handlungen zieht? Meine Herren, es ist heutzutage gar nicht möglich, irgend ein Gebiet des öffentlichen Lebens zu erörtern, ohne daß die Sozialpolitik hineinspielt. Und was würde da- für einen Zustand geben, wenn in einem solchen Verein zufälliger­ weise einmal ein sozialpolitisches Kapitel erörtert wird, oder wenn etwas geschieht, waS in daS Gebiet der Sozialpolitik hineingreift, wenn dann das Auflösungsrecht der Ver­ waltungsbehörde platzgreifen könnte! Man kann sagen: wenn der Verein glücklich die Scylla des Einspruchrechts umschifft hat, dann droht ihm noch die EharybdiS der Auf­ lösung durch polizeiliches Belieben. (Sehr richtig! links.) Meine Herren, einen solchen Rechtszustand können wir nicht sanktioniren, wir können daS bürgerliche Gesetzbuch nicht mit solchen polizeilichen Berschnörkelungen zu Stande bringen. Mir ist da besonder- interessant die Kritik des VereinSrechtS de- Ent­ wurfs, welche gerade von einem der Hauptvertreter de- Entwurfs des bürgerlichen Gesetzbuchs ausgeht. Wir sind hier in der glücklichen Lage, den Herren RegierungSkommiflaren ihre eigenen Argumente vorführen zu können. Herr Profeffor Sohm sagt in seiner Schrift über den Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs hierüber Folgendes: Ob das Gleiche bezüglich der sozialpolitischen Vereine zugegeben »erben kann, — also dieses Einspruchsrecht — ist mindestens sehr fraglich. Hier hat die Furcht vor der sozialdemokratischen Bewegung dem Gesetzgeber die Feder geführt, und die Furcht ist immer ein schlechter Rathgeber. (Sehr wahr! links.) Man denkt etwa, mit der Versagung der juristischen Persönlichkeit den sozial­ politischen Vereinen der Arbeiter daS Leben sauer zu machen. Als ob die Macht der Arbeiterbewegung durch Vorenthalten der juristischen Persönlichkeit vermindert oder überhaupt beeinflußt werden könnte! Ein großer Irrthum! In Wahrheit ist Gerechtigkeit stete die größte Klugheit, und die gleichmäßig Sonne und Wind den Gesellschaftsklasien zutheilende Gesetzgebung ist die beste Grund­ lage für die Erhaltung der bestehenden Ordnung. (Sehr gut! links und ans der Mitte.) Das führe ich den Herren vor; und da werden Sie mir zugeben, meine Herren, daß wir diese Bestimmung de- Entwurfs nicht so lassen können. Es wird die Aufgabe der Kommission sein, hier die beffernde Hand anzulegen. Ich bin geneigt, allen Vereinen, deren Zweck nicht auf einen bestimmten einzelnen wirthschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, die Rechtsfähigkeit zu gewähren, allein mit der Ausnahme, daß die Eintragung zu versagen ist, wenn der Zweck des Vereins gegen ein Strafgesetz verstößt. Die ewige Angst des Polizeimenschen, daß in den Vereinen unlautere Zwecke verfolgt werden könnten, daß die Vereine schließlich der Staatsgewalt über den Kopf wachsen würden, alle diese Befürchtungen sind gänzlich unbegründet. Wir haben vor allem den Wunsch, meine Herren, daß unsere wiederholten Bemühungen, den Berufsvereinen eine gesetzliche Basis zu geben, endlich verwirklicht werden. Die Freisinnige Partei geht ja da Hand in Hand mit der Partei des Zentrums. Es sind wiederholt Entwürfe ausgearbeitet worden, die leider vom Plenum nicht verabschiedet worden sind; die Erklärungen der Regierungen diesen Gesetzentwürfen gegenüber lauteten unbestimmt.

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Meine Herren, das ist das Minimum, was wir verlangen müssen, daß für die Berufsvereine, für die Fachvereine, für alle gewerblichen Vereine in weitester Ausdehnung, für alle Handwerkervereine, für alle landwirthfchaftlichen Verbände eine gesicherte RechtsbasiS durch Gewährung der Rechtsfähigkeit gegeben werde. Wenn das geschieht, dann werden alle diese Vereine ihre große soziale Aufgabe ganz anders lösen können, als dies bisher der Fall war, wo sie gar keine Rechtsfähigkeit hatten. Meine Herren, hier können wir in der That vom freiheitlichen Standpunkt aus, gerade ohne sozialistischen Theorien zu huldigen, ein ganz gutes Stück praktischer und wirklicher Sozialpolitik treiben. (Sehr richtig! links.) Es harren sehr große Aufgaben der Lösung durch das freie Vereinsrecht, und ich rufe das freie Vereinsrecht, wie es durch dies Gesetz gestaltet werden soll, als einen Bundes­ genossen in dem Kampf für die sozialen Aufgaben der Gegenwart herbei. Es eröffnet sich da für die freie Thätigkeit der einzelnen Vereine eine gewaltige, großartige Perspektive, während bis jetzt das Vereinsrecht unter der polizeilichen Aufsicht verkümmern mußte. (Sehr richtig! links.) Meine Herren, so viel über das Bereinsrecht. Ich komme nun zu den Ausstellungen, welche der Herr Abgeordnete Rintelen gestern an dem Gesetz gemacht hat, und komme damit auf das Kapitel des Ehe- und Familienrechts. Die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Rintelen zerfielen in zwei Theile: im Anfang seiner Rede überschüttete er den Entwurf und seine Verfasser mit Lobsprüchen und votirte den Verfassern des Entwurfs ausdrücklich den Dank der Nation. Mir kam das aber gleich etwas verdächtig vor (Heiterkeit), und ich sagte sofort, wenn nur nicht der hinkende Bote nachkommt. Und ich habe Recht behalten: im zweiten Theil seiner Ausführungen sah der Herr Abgeordnete Rintelen den Entwurf mit ganz anderen Augen an und er gefiel sich fast in der Rolle der moderneil Kassandra. Er sagte, daß der Entwurf die Grundlage der Familie, der Ehe, der Ge­ meinde und sogar der Monarchie durch seine Bestimmungen zerstören würde, und er schalt dann vor allem auf den bösen Liberalismus, der das alles angerichtet habe. Mit dieser eleganten Wendung wurde dann der Entwurf mit einem Mal den Liberalen in die Schuhe gegossen. Nun, meine Herren, ich nehme diese Ausführungen des Herrn Ab­ geordneten Rintelen, der die alte Sturmfahne des Zentrums gegen die Zivilehe hier wieder entfaltete, nicht allzu tragisch; ich hoffe, es wird ihm genügen, daß er sie hier wieder einmal gezeigt hat. (Heiterkeit links.) Ich hoffe, daß er — um einen juristischen Ausdruck zu gebrauchen — sie nur demonstrandi causa, ut aliquid fecisse videatur, hier entrollt hat, und appellire von dem zweiten Theil seiner Rede an den ersten Theil (sehr gut! links); ich hoffe, daß er alsdann diese Fahne wieder sorglich zusammenrollen und aus den Akten­ wagen packen wird und sich dann mit uns in gemeinschaftlicher Arbeit um das Zustande­ kommen des Elltwurfs bemühen werde. (Bravo! links.) Sollte es wirklich ernst damit sein, sollten in der Kommission noch Nachklänge des Kultur­ kampfes weiter eine Rolle spielen, nun, dann mag Herr Abgeordneter Rintelen überzeugt sein, daß er dann eine geschlossene Phalanx von sämmtlichen übrigen Parteien des Hauses gegen sich haben wird. Es hat mich gefreut, daß der Herr Abgeordnete von Buchka in dieser Beziehung mit einer schlanken und glatten Erklärung die Situation sofort geklärt hat. Er hat erklärt, daß auch die Konservativen an ein Rütteln an der Zivilehe nicht denken- und dann könnte das Zentrum doch zu der Empfindung kommen, das es im Hause nicht allmächtig ist, sondern in dieser Frage vollständig allein stehen wird. Die

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einzige Hilfe, die von konservativer Seite ans diesem Gebiete kommen könnte, wären Herr Stöcker und Herr von Hammerstein gewesen; beide sind aber glücklicherweise verfloflen. Dann, meine Herren, hat der Herr Abgeordnete Rintelen sehr beweglich darüber geklagt, daß der Entwurf die patria potestaa untergrabe, daß er da- Recht der väter­ lichen Zucht anfechte. Ich bin in der That gespannt, zu erfahren, auS welchen Be­ stimmungen deS Entwurfs diese bewegliche Klage hergeleitet wird. Ich finde, daß alles, was über die väterliche Gewalt gegeben werden kann, im Entwurf gesagt ist. Es ist ge­ sagt, daß das Kind nach seinen Kräften und seiner Lebensstellung den Eltern im Haus­ wesen und Geschäft Dienste zu leisten hat, daß der Vater für die Person des Kinde- zu sorgen, eS zu erziehen, zu beaufsichtigen hat; es ist auch gesagt, daß der Vater kraft des ErziehungSrechts angemeffene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden kann u. s. w. ES ist eine ganze Reihe von Bestimmungen dafür im Entwurf enthalten. Der Herr Abgeordnete Rintelen klagte nun sehr lebhaft darüber, daß durch den Liberalismus und diese Bestimmungen deS Entwurfs deS Gesetzes die gute alte Zucht der Jugend untergraben werde. Nun, meine Herren, wenn dies alte Thema hier angeschlagen werden soll, daß die moderne liberale Gesetzgebung Religion, Sitte und Ordnung unter­ grabe, dann möchte ich den Herrn Abgeordneten Rintelen fragen, wann denn eigentlich die gute alte Zeit, die ihm vorschwebt, gewesen sein soll, zu der der Vater noch die väter­ liche Gewalt gehabt hat, und in der Religiosität u. s. w. noch bei den Menschen vor­ handen war. Vielleicht stellt sich der Herr Kollege Rintelen da seine Jugendzeit vor. Da finde ich eine Erklärung vom Jahre 1835 in den Theologischen Studien und Kritiken» die genau schon dieselben Klagen über die Jugend vorgebracht haben, die er gestern zum Gegenstand seiner Erörterungen gemacht. Schon damals hat man gesagt: GemüthloseS, unfrommes, verweichlichtes Herausdrängen der Jugend, die ihre Emanzipation gar nicht erwarten kann. DaS ist anno 1835, also vielleicht gerade zur Jugendzeit deS Herrn Abgeordneten Rintelen, der Fall gewesen. Ja, meine Herren, mit diesen Klagen kann man noch weiter zurück­ gehen. Es wurde im Jahre 909 von einem Erzbischof erklärt: Alle Scheu vor göttlichen und menschlichen Gesetzen ist geschwunden, die bischöf­ lichen Verordnungen werben verachtet, jeder thut, waS ihm beliebt. Wir sehäi überall Unterdrückung der Armen, Beraubung der Kirche. Alle Ordnung ist dahin, der Zustand der Kirche verwirrt. DaS ist vom Jahre 909 nach Christo. Auch schon vor Christi Geburt finden wir ganz dieselben Klagen über die Zuchtlosigkeit der Jugend. JsokrateS klagt im vierten Jahr­ hundert : Die Zucht der Jünglinge sei verfallen, die Anschauungen so wirr geworden, daß man Zügellosigkeit sür Demokratie halte, Gesetzlosigkeit für Freiheit, Frech­ heit für Gleichheit, Alles thun zu dürfen für Glück. Also, meine Herren, diese Klagen haben ein sehr hohe- und ehrwürdiges Alter, und Herr Kollege Rintelen ist mit denselben in sehr guter, aber in sehr alter Gesellschaft. Nun, meine Herren, kann denn in der That ein Gesetzbuch wie das vorliegende einen Einfluß haben auf die Ausgestaltung von Sitte, Religion und Ordnung und kann es überhaupt für die Heiligkeit der Ehe von Bedeutung sein? Ich bestreite, daß irgend ein Gesetz im Stande ist, der Ehe irgendwelche Heiligkeit zu verleihen, wenn die Ehe­ gatten diese ihr nicht selbst verleihen. (Sehr gut! links.) Meine Herren, vor der inneren Sittlichkeit und Heiligkeit der Ehe soll überhaupt jedes Gesetz Halt machen. Denken sich die Herren denn das so, daß ettva die Ehegatten, wenn sie mit einander leben sollen, zunächst die Vorschriften deS bürgerlichen Gesetzbuchs nach-

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schlagen, daß sie etwa jeden Morgen einige Kapitel des bürgerlichen Rechts durchlesen und danach nun ihre häuslichen Geschäfte und den Verkehr mit einander einrichten? (Heiterkeit.) Nein, meine Herren, wenn die Gatten erst anfangen, das Gesetzbuch zu lesen, dann ist auch die Sittlichkeit und Heiligkeit der Ehe vorüber. (Sehr gut! links.) Man pflegt zu sagen, daß die Ehe erst dann für den Juristen interessant zu werden an­ sängt, wenn sie für die Ehegatten schon längst aufgehört hat, interessant zu sein. (Heiterkeit.) Also da kann im Gesetz stehen, was da wolle, das hat mit der Sittlichkeit und Heiligkeit der Ehe absolut gar nichts zu thun; und wenn Sie das durch das bürgerliche Gesetzbuch erreichen wollen, streben Sie einem Ziel nach, das ein bürgerliches Gesetz niemals er­ reichen kann. Was das Ehescheidungsrecht betrifft, so werden wir uns ja darauf gefaßt machen müssen, daß das Zentrum das Ehescheidungsrecht noch weiter einschränken will, als der Entwurf es gethan hat. Dann allerdings werden wir auch den Standpunkt der landrechtlichen preußischen Juristen geltend machen, die in der Beschränkung des Ehe­ scheidungsrechts einen ganz erheblichen Rückschritt empfinden. Meine Herren, es ist eine Illusion, zu glauben, daß man durch ein starres Ehescheidungsrecht die Heiligkeit der Ehe aufrecht erhalten könne. Dafür sollten uns doch vor allen Dingen gerade die Frauen, die an der Spitze der Frauenbewegung stehen, glaubwürdige Zeugen sein; diese sagen in der Petition, die uns zugegangen ist: Wir halten die Erschwerungen der Ehescheidung vom Standpunkt der Moral aus entschieden für verwerflich; denn wo die innere Harmonie fehlt, wohl gar unüberwindliche Abneigung die Ehegatten beherrscht, ist der Untreue Thür und Thor geöffnet. Das gezwungene Zusammenleben zweier sich abgeneigter Ehe­ gatten gefährdet beide physisch und psychisch. Die seelische Depression bei solch traurigen häuslichen Verhältnissen, verbunden mit den meist unvermeidlichen auf­ reibenden Zwistigkeiten und der oft bis zum tödtlichsten Haß sich steigernden Abneigung muß schließlich zerrüttend auf Körper und Geist wirken und zur Demoralisirung führen, unter der alsdann auch die Kinder — nicht am wenigsten — zu leiden haben. Die Heiligkeit der Ehe wird durch leichtere Lösbarkeit geschützt und nicht gefährdet. Das schreiben die Frauen, meine Herren, die seit Jahren bemüht sind, ihren Stand aus der Unwissenheit und theilweisen Verdummung, aus dem Leichtsinn und aus dem Laster herauszuziehen! Und das Urtheil dieser Frauen sollte doch auch für uns ins Gewicht fallen. Meine Herren, mir scheint ant angreifbarsten aus dem Ehescheidungsrecht der § 1551, die sogenannte geueralis clausula. Dort ist gesagt, daß ein Gatte auf Scheidung klagen kann, wenn der andere Ehegatte durch schwere Verletzung der durch die Ehe begrüttdeten Pflichten oder dttrch ehrloses oder unsittliches Verhalten eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet hat, daß dem Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemuthet werden kann. Als schwere Verletzung der Pflichten gilt auch grobe Mißhandlung. Ja, meine Herren, wer soll nun darüber urtheilen, ob wirklich ein so ehrloses und un­ sittliches Verhalten vorliege, daß dem anderen Theil die Fortsetzung der Ehe nicht zu­ gemuthet werden kann? Darüber soll der Richter urtheilen. Ich glaube, meine Herren, daß Sie da eine übermenschliche Aufgabe dem richterlichen Urtheil stellen. Niemals kann der Richter die Verhältnisse der Gatten so durchschauen, daß er in die intimsten Geheimniffe des Ehelebens eindringen unb ein sicheres Urtheil abgeben kann, ob die Ehe

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wirklich zerrüttet ist oder nicht. Wenn der Richter glaubt, die» thun zu können, so scheint mir das denn doch eine zu weite Ausdehnung des diskretionären Ermessens zu sein. Wie werden denn die Ehescheidungen behandelt? Biele Ehescheidungskammern haben an einem Tage 20 bis 30 Sachen zu erledigen. ES ist gar nicht ander- möglich als daß da die geschäftsmäßige Routine plapgreift, und da werden die Auffassungen der Richter bei An­ wendung des § 1551 sehr verschieden sein. Ein Richter, der reiche Lebenserfahrungen gemacht hat, namentlich ältere Richter, die vielleicht auch die Empfindung haben, daß in der Ehe nicht alle romantischen Blüthenträume reifen, — diese Herren werden sehr ent­ gegenkommend sein und zu den Leuten, die sich scheiden lassen wollen, sagen: schön, trennt euch, gehet hin in Frieden und versucht, anderwärts die Scherben eures Glücks wieder zusammenzulesen! Andere Richter aber, und namentlich jüngere — ich habe da immer gefunden, daß unverheirathete jüngere Richter und Assessoren gerade außerordentlich strenge Ehescheidungsrichter sind; es kommt ja vor, daß Ehescheidungskammern bei unS manchmal von zwei Assefloren und von einem Richter besetzt sind, die die Ehe noch gar nicht kennen — solche jüngeren Herren handhaben diese Vorschriften mit größter Strenge. (Heiterkeit.) ES scheint mir doch unrichtig, meine Herren, daß der Entwurf hier mit der An­ wendung des richterlichen ErmeflenS zu weit gegangen ist; und wir werden den § 1551 redaktionell ändern und in seine Bestandtheile auflösen müssen. Wir verlangen ein klares Ehescheidungsrecht, wir verlangen, daß vor allen Dingen der Gesetzgeber klar auSspricht, wann z. B. die Mißhandlungen einen EhescheidungSgrund bilden. Wir haben im Straf­ gesetzbuch Kategorien von Mißhandlungen, z. B. die sogenannten gefährlichen.Mißhand­ lungen. Ich sehe nicht ein, warum man nicht bestimmen soll, daß, wenn ein Ehegatte eine gefährliche Mißhandlung, die dem anderen Ehegatten an Leib und Gesundheit schadet, begeht, dann eine Scheidung stattfinden soll. Das wird gleichfalls Sache der Prüfung in der Kommission sein. Meine Herren, diese beiden Gebiete werden für meine Freunde diejenigen sein, bei denen wir eine Berbeflerung in der Kommission erwarten. WaS dann die geschäftliche Behandlung deS Ggnzen betrifft, so scheint eS ja jetzt schon festzustehen, daß der ganze Entwurf an die Kommission verwiesen wird. Wäre es möglich gewesen — und wir haben unS da redlich bemüht, eine Verständigung herbei­ zuführen —, nur einzelne ganze Materien der Kommission zu überweisen, so würde ich mich dafür erklärt haben. Aber als diese Liste, zusammen mit der von sozialdemokratischer Seite aufgestellten Liste zusammengestellt wurde, da ergab sich, daß das eine lauge Speise­ karte war, die beinahe 1000 Paragraphen umfaßte, und daß man dann nicht einzelne Materien deS Entwurfs, sondern einen zerstückelten Entwurf der Kommission überwiesen hätte. D»S hatte nun wieder den Nachtheil: was soll nun auS den übriggebliebenen Resten werden und was soll aus dem Einführungsgesetz werden, welches wir doch ganz der Kommission überweisen müffen? Es wird doch nichts übrig bleiben, alS daß wir frisch und fröhlich in die Kommissionsarbeit eintreten; und ich bin auch ganz damit einverstanden, daß die Kommission ermächtigt wird, die sogenannten neutralen Paragraphen, bei denen gar kein Streit besteht, einfach eu bloc anzunehmen — das hätte sich allerdings in der Kommission von selbst ergeben. Ich hätte dann persönlich noch den Wunsch, daß die Kommission angeregt wird, eine beschleunigte Berichterstattung vorzunehmen, wenn einzelne Bücher des Entwurfs abgeschlossen sind. Ich sehe nicht ein, warum, wenn z. B. das Sachenrecht in der Kommission fertig ist, darüber nicht sofort an das Plenum berichtet werden kann, damit das Plenum das Sachenrecht fertigstellen kann. Es würde das die gedeihliche Rück­ wirkung haben, daß die Mitglieder der Kommission, die sich einer langen und andauernden Arbeit zu unterziehen haben, von dem fröhlichen Geist t>& Gelingens beseelt werden, und wir könnten bann in lebendiger Wechselwirkung mit dem Plenum bleiben. Mir würde

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diese Art des Verfahrens den Vorzug zu verdienen scheinen, als wenn nun am Schluß der Session, wenn der Reichstag schon den Hut in der Hand hat, der ganze Entwurf an das Plenum gelangt. Im übrigen aber, meine Herren, verspreche ich mir von dem Zustandekommen des Entwurfs mit den Verbesserungen, die ich auf dem Gebiete des Bereinsrechts vorgeschlagen habe, eine segensreiche Wirkung in umfassender Weise. Wir werden eine lebendige Rückwirkung davon haben auf die Gerichtspraxis und vor allen Dingen auch auf die Praxis des höchsten Gerichts, des Reichsgerichts. Erst dann, wenn wir ein einheitliches bürgerliches Recht haben, wird das Reichsgericht ganz seine große Aufgabe erfüllen können, daß es auf dem Gebiet der Rechtsbildung der Nation vorangeht. Jetzt, meine Herren, macht sich der von mir anfangs meiner Aus­ führungen geschilderte Dualismus der Rechtswissenschaft, die Zerfahrenheit der verschiedenen Rechtsgebiete auch bei der Rechtsprechung des Reichsgerichts in schädlicher Weise geltend. Wir müssen immer fragen: ist Tue Entscheidung ergangen nach preußischem, französischem oder gemeinem Recht? Es wird daher eine segensreiche Einwirkung aus die Gestaltung der Rechtsprechung nicht ausbleiben. Es wird vor allen Dingen endlich die Kluft zwischen Romanismus und Germanismus überbrückt werden; wir werden dann auch zu einer besseren Studienordnung gelangen. Es kann in Zukunft nicht so weiter gehen, daß die Studien beginnen mit den Alterthümern des Rechts, mit den archäologischen Gegenständen, denen der Jurist später genugsam nachgehen kann. Ich denke mir die spätere Gestaltung des juristischen Studiums so, daß zunächst mit der Lehre von den einzelnen Rechts­ geschäften, nicht etwa mit dem allgemeinen Theil, sondern mit den konkreten Rechtsgebilden begonnen werden muß, und ich habe nichts dagegen, daß dann in den späteren Semestern auch die Rechtsgeschichte in ihre Rechte tritt. Damit wird auch der historischen Rechts­ forschung wieder der richtige Platz zugewiesen. Gegenwärtig ist es das mißlichste Ding, daß das römische Recht als ein geltendes Recht gelehrt wird. Auch unser modernes Recht wird in neuer Beleuchtung erscheinen, wenn das römische Recht als ein historisch entstandenes, als ein sich ewig entwickelndes dargestellt wird, welches, wie unser Recht, hervorging aus den sozialen Bedürfnissen der jedesmaligen Zeit. Es wird endlich an der Zeit sein, dann auch bei der Prüfungsordnung der Rechtsbeflissenen darauf Rücksicht zu nehmen, daß man nicht mehr den ganzen Wust der Kontroversen, von dem wir jetzt erdrückt werden, namentlich im gemeinen Recht, vorgebracht wird. Es ist viel wichtiger, daß die Juristen die praktischen Bedürfnisse des Lebens, die wirklichen Rechtsgeschäfte in moderner Gestalt kennen lernen, und daß aus diesen das geltende Recht hergeleitet wird, und sie werden sehr bald sehen, wie auf diesem praktischen Wege das Rechtsstudium neues Interesse gewinnen kann. Jetzt aber wird der ganze Brei der Kontroversenlehre um einen Ausdruck von Lessing zu gebrauchen —, dieser tausendmal beleckte und beschnüffelte Brei den jungen Studenten vorgesetzt, und sie sollen daraus ein Ragout machen — das nennt mein dann Prüfungsarbeit. Ich fasse den Entwurf nicht auf als ein monumentum aere perennius und ich glaube, daß der selige Horaz hier falsch zitirt ist. Nicht unabänderlich soll das bürger­ liche Gesetzbuch sein, sondern ich wünsche, daß gerade mit dem Inkrafttreten des bürger­ lichen Gesetzbuchs bei uns erst der Beginn der neuen Rechtsentwicklung eintrete. Wir werden aber dann erst eine freie Bahn für unsere Rechtsentwicklung haben, wenn wir den Schutt der Jahrtausende weggeräumt und das bürgerliche Gesetzbuch zu Stande gebracht haben. Ich will dann noch eine weitere Perspektive entrollen, die der Herr Staatssekretär auch bereits angedeutet hat. Wir haben auch auf dem Gebiet des Rechts hinsichtlich der Beziehungen zu anderen Nationen große Aufgaben als deutsche Nation; wir haben die Aufgabe, die Führerschaft der Völker bei der Entwicklung des internationalen Rechts zu übernehmen. Es ist schon auf anderen großen Gebieten gelungen, die verschiedenen Völker der ganzen Erde durch ein friedliches Band zusammenzubringen; ich will nur

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erinnern an die großen Verdienste, die der Weltpostverein sich um den Verkehr erworben hat. Auch auf dem Gebiet des Rechts sind solche Bestrebungen anzubahnen; zum Theil sind die Keime dafür schon vorhanden in dem internationalen Völkerrecht, im Handels­ recht, im EismbahnverkehrSrecht u. s. w. ES wird in nicht allzu ferner Zeit die Auf­ gabe des Deutschen Reiths sein, auf diesem Gebiet einer friedlichen Anbahnung der RechtSeinheit unter allen Nationen die Führerschaft zu übernehmen. Das können wir aber in Deutschland nicht, solange uns die Bleigewichte der Partikularrechte an den Seinen hängen. Deshalb, meine Herren, will ich mit dem Wunsch schließen, daß der Entwurf mit den Serbefferungen, die ich vorgeschlagen habe, zu Stande kommen möge, daß auf dem Schutt der Jahrtausende ein großer und stolzer Bau entstehen möge; und wir können dann unseren Kindern und Enkeln überlasten, ihn wohnlicher auszubauen, als wir es in diesem Augen­ blick vermögen. (Lebhafter Beifall links.) Vizepräsident Schmidt (Elberfeld): Das Wort hat der Herr Kommiffar des Bundes­ raths, Königlich preußische Geheime Justizrath Professor Dr. Planck. Kommissar des Bundesraths, Königlich preußischer Geheimer Justizrath Profestor Dr. Planck: Um die Einwendungen und Bedenken richtig zu würdigen, welche gegen den Entwurf geltend gemacht sind, wird man sich immer zu vergegenwärtigen haben, daß es sich nicht darum handelt, ein neues Recht für Deutschland von oben herab zu machen. Das würde eine Vermessenheit sein. Das Recht des Volks muß au8 seinem innersten Leben herauswachsen. Woraus es beim bürgerlichen Gesetzbuch in erster Linie ankommt, ist also nicht, neue» Recht zu machen, sondern daS im Volk gewachsene Recht zu finden und in feste Form zu bringen. Zu dem Zwecke war es zunächst nöthig, aus den in Deutschland bestehenden verschiedenen Rechten die gemeinsamen RechtSgedanken — und solche liegen in der That allen diesen Rechten zu Grunde — herauszufinden und da, wo eine verschiedene Entwickelung stattgefunden hatte, diejenigen RechtSsätze auszuwählen, welche dem Gesammtbewußtsein des deutschen Volks am meisten entsprechen. Aber dabei durfte allerdings der Entwurf nicht stehen bleiben. DaS Recht ist in einer beständig« Entwicklung begriff«; Rechtsinstitute und RechtSsätze sterben ab und bilden sich neu. ES war also zu prüfen, ob von den bisher vorhanden« Rechtssätzen einzelne bereits abgestorben sind, und es war weiter zu prüfen, ob neue RechtSmtwicklungm im Leben hervorgetreten waren. Es war also insoweit auch daS werdende Recht — wenn ich mich so auSdrückm darf — zu berücksichtigen und, so weit dasselbe bereftS reif, zum Abschluß zu bringen. Endlich mußte da, wo noch keine neue Recht-entwicklung eingesetzt hatte, aber bereit- praktische Bedürfniffe im Leben hervorgetret« waren, auf diese Rücksicht genommen werd«. Aber — und hier unterscheidet sich die Austastung deS Entwurfs von Verschiedenem, waS geltend gemacht Word« ist — eS kam nicht darauf an, vom theoretischen Standpunkt aus eine neue Reformgesetzgebung zu machen, fonbem nur so weit, als im Leben praktische Bedürfniste sich geltend gemacht haben, diese zu berück­ sichtigen. Ich meine, wenn dies der richtige Standpunkt ist, wenn es also darauf ankam, das bestehende Recht, so weit es noch lebmSkräftig ist, zu kodifiziren, das werdende Recht und die praktischen Bedürfniste zu berücksichtigen, bann hat der Entwurf diese Aufgab« erfüllt. Um das nachzuweisen, müßte ich dm ganzen Entwurf. durchgehen; denn auf jedem Blatt finden Sie das Streben — und wie ich meine, das erfolgreiche Streb« —, diesen Aufgaben gerecht zu werden. Es würde das für dm Rahmen dieser Debatte zu weit gehen, und ich muß mich daher darauf beschränken, von diesem Standpunkt au8 die­ jenigen Einwendungen zu beleuchten, die hier geltend gemacht sind. Es ist zunächst ein allgemeines Bedenken erhoben, daß zu viel dem richterlichen ©messen überlasten sei. Dieser Einwurf — gegen den ersten Entwurf war daS Gegmtheil eingewendet — ist durchaus unbegründet. Der Entwurf bemüht sich auf» äußerste,

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nicht bloß allgemeine Rechtsgedanken hinzustellen, wie von einer Stelle verlangt ist, sondern bestimmte klare, präzise Rechtssätze aufzustellen und zu einem geschlossenen System so zu verbinden, daß für jeden Fall des Lebens auch die Entscheidung aus dem Gesetz­ buch zu entnehmen ist. Es giebt aber allerdings Rechtsverhältnisse, die je nach der Ver­ schiedenheit der Umstände so gestaltet sind, daß sich eine allgemein zutreffende Rechtsregel dafür nicht geben läßt, ohne in unbillige Härten zu verfallen, wenn man nicht dem Richter ein gewisses Ermessen läßt. Die Herren, die den Einwand erhoben haben, haben einzelne Beispiele nicht angeführt : wenn sie angeführt wären, würde ich im Stande sein, sie zu widerlegen. Ich möchte auf zwei Punkte von allgemeinerer Bedeutung aufmerksam machen, wo der Entwurf dem richterlichen Ermessen allerdings einen weiten Spielraum gestattet und gestatten muß. Durch das ganze Lbligationenrecht zieht sich der Gedanke: Treu und Glauben und Verkehrssitte sind zu berücksichtigen. Ta hat das richterliche Ermessen einen gewissen Spielraum und muß ihn haben. Wenn ferner bei einem Schaden ein Ver­ schulden des Beschädigten am Entstehen des Schadens mitwirkt, soll nach Umständen ermessen werden, ob und inwieweit der Beschädigte noch einen Schadensersatzanspruch hat. Ist es nun möglich, die Voraussetzungen zu bestimmen, unter welchen und bis 51t welchen Grenzen der Schadensersatzanspruch wegfallen muß? Hier kann man, glaube ich, nur eine derartige allgemeine Regel geben. Ich komme nun zu den einzelnen Einwänden. Zunächst sind von verschiedeneil Seiten bemängelt die Vorschriften über das Vereinsrecht. Ja, daß ist allerdings eine der schwierigsten und zweifelhaftesten Materien. Es sind hierbei insbesondere Einwendungen erhoben worden gegen die Vorschriften des Entwurfs über die politischen, religiösen und sozialpolitischen Vereine. Ich hätte auch gewünscht, daß diese Bestimmungen im Entwurf nicht nöthig gewesen wären; aber ich glaube — über die Fassung will ich mich hier nicht äußern; Bestimmungen dieser Art werden nicht zu entbehren sein — ich glaube, bei den Einwendungen, die gegen diese Vorschriften erhoben sind, ist man doch in einer Beziehung von einer unrichtigen Voraussetzung ausgegangen. Man deduzirt regelmäßig so, als wenn es natürlich und selbstverständlich wäre, daß, wenn Mehrere sich zu einem Vereili zusammenthun, sie dann, wenn sie beschließen: wir wollen eine juristische Person sein, — daß dieser Beschluß auch ohne weiteres maßgebend ist. So liegt die Sache aber nicht. Selbstverständlich und natürlich ist allerdings, daß Mehrere sich zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks vereinigen können; aber aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen folgt in solchen Fällen, daß, wenn diese mehreren so vereinigten Personen nun Rechtsgeschäste vornehmen, entweder gemeinschaftlich oder durch ihre Vertreter, dann auch die sämmtlichen Personen aus diesem Rechtsgeschäft berechtigt und verpflichtet sind. Aus allgemeinen Grundsätzen folgt, daß wenn diese Mehreren durch ein Rechtsgeschäft der bezeichneten Art etwas erwerben, das Erworbene ihr persönliches Vermögen wird 1111b insbesondere auch ihren Gläubigern hastet. Das alles soll nun anders werden dadurch, daß der Verein juristische Persönlich­ keit erlangt. Nicht die einzelnen Mitglieder sollen hasten, nicht sie sollen das Vermögen erwerben, sondern der Zweck, den sie erreichen wollen, wird personifizirt, und dieser personifizirte Zweck wird künstlich zu einem Rechtssubjekt gemacht, und dieses allein wird verpflichtet und berechtigt. Meine Herren, das ist nicht eine natürliche, sondern eine künstliche Schöpfung der Rechtsordnung. Die Rechtsordnung hat allerdings, um die Erreichung derartiger gemein­ schaftlicher Zwecke zu fördern, guten Grund, hier diese besondere Gestaltung eintreten zu lassen. In dem bisherigen Recht war außerordentlich viel Zweifel und Streit über die Frage, wie weit eine solche juristische Persönlichkeit anzuerkennen sei. Die ältere Ansicht ging dahin: nur die Ertheilung von Seiten des Staats kann die juristische Persönlichkeit verschaffen, und das ist als Grundsatz auch jetzt noch in der Praxis festgehalten, obgleich

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diese, um den praktischen Bedürfnissen zu genügen, in einzelnen Beziehungen den Vereinen die Parteifähigkeit eingeräumt hat. ES ist daS aber ein Zustand voll Zweifel und Un­ gewißheit, und es ist deshalb wünschenSwerth, daß das bürgerliche Gesetzbuch hier Gewiß­ heit und Klarheit schaffe. Meine Herren, Sie werden doch anerkennen muffen, daß, wenn die Rechtsordnung den zur Erreichung gemeinschaftlicher Zwecke vereinigten Personen diese besondere Gestaltung gestattet, wenn sie ihnen dieses Mittel giebt, ihre Zwecke leichter zu erreichen, wenn sie ihnen dadurch einen außerordentlichen Machtzuwachs — denn darum handelt es sich — zukommen läßt, die Rechtsordnung dann auch das Recht und die Pflicht hat, dafür zu sorgen, daß diese Gestaltung nicht Dritten schädlich wird, daß sie auch das öffentliche Leben nicht gefährdet. Der Gefährdung Dritter wird im wesentlichen durch die Vorschriften des Entwurfs über die Statuten, die jeder solche Verein haben muß, über die Nothwendigkeit der Eintragung, entgegengewirkt. Aber auch daS öffentliche Interesse durste und mußte berücksichtigt werden, und dazu dienen die Bestimmungen über das Einspruchsrecht der Verwaltungsbehörden gegen Vereine, die politische, religiöse und sozialpolitische Zwecke verfolgen. Es wäre vielleicht nicht nothwendig gewesen, diese Bestimmungen aufzunehmen, wenn wir ein allgemeines Reichsgesetz über daS Vereinsrecht hätten, ein Gesetz, das zu­ gleich die nöthige Garantie gegen den Mißbrauch deS BereinSrechtS, gegen gcmeinschädliche und -gefährliche Vereine giebt. Ein solches Vereinsrecht giebt es aber in Deutsch­ land nicht. In den einzelnen Staaten sind die BereinSgesetze durchaus verschieden; und wenn bisher im allgemeinen die Rechtsfähigkeit von der Genehmigung abhängig gemacht worden ist, so hing damit eben zusammen, daß daS öffentliche Vereinsrecht in vielen Staaten keine genügende Garantie gewährt gegen gemeinschädliche oder -gefährliche Ver­ eine. Run meine ich: wenn daS bürgerliche Gesetzbuch auf dem Boden des bürgerlichen Rechts diese Gestaltung zuläßt, dann ist eS keine Einmischung der Polizeiwillkür, sondern eine nothwendige Konsequenz dieser bürgerlichen Rechtsordnung, daß sie auch zu gleicher Zeit die Garantien hinzufügt, welche gegen die Gefährdung deS öffentlichen WohlS durch diese Vereine nothwendig sind. Auf die Einzelheiten, auf die Faffung will ich hier nicht eingehen; ich meine aber, daß Bestimmungen dieser Art absolut nicht werden entbehrt werden können. Ich gehe dann weiter über auf daS Recht der Schuldverhältniffe. Hier ist dem Entwurf der Borwurf gemacht, daß er die wirthschastlich Schwachen nicht genügend schütze gegen die wirthschastlich Starken. Ja, es ist vielfach — nicht im Hanse, sondern außerhalb, in der Presse — dem Entwurf der Borwurf deS Kapitalismus gemacht. Das ist eins eop jenen Schlagworten, die so unbestimmt sind, daß man eigentlich nichts damit sagt, bei denen aber gerade wegen der Unbestimmtheit der Unkundige sich alles mögliche Schreckliche denkt. (Sehr richtig!) Will man mit der Behauptung deS Kapitalismus sagen, daß der Entwurf an dem Grundsätze festhält, daß jeder seine Schulden bezahlen muß, dann ist der Einwurf zutreffend. (Heiterkeit.) Will man aber damit behaupten, daß eine Bevorzugung deS Gläubigers vor dem Schuldner stattfinde, daß der wirthschastlich Schwache nicht gegen den wirthschastlich Starken ge­ schützt werde, so ist das absolut unrecht. Auf jeder Zeile des Obligationenrechts finden Sie die Spur, daß der Entwurf sucht gerecht zu sein und, soweit es mit der Gerechtig­ keit und Billigkeit vereinbar ist, den sozial Schwachen, den wirthschastlich Schwachen zu Hilfe zu kommen. (Bravo!) Es ist dann vom Herrn Abgeordneten Rintelen besonders hingewiesen auf zwei Materien, auf den MiethSvertrag und den Dienstvertrag, und die Frage gestellt, ob hier genügend der wirthschastlich Schwächere berücksichtigt sei. Ich glaube, daß, wenn Sie die

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Bestimmungen dieser Abschnitte durchlesen, Sie das Zeugniß geben müssen, daß hier gerade eine Reihe ganz besonderer Bestimmungen, die von den allgemeinen Grundsätzen abweichen, zu Gunsten des wirthschaftlich Schwachen gegeben sind. In der That ist beim Miethsvertrag der Miether, beim Dienstvertrag der zu Diensten Verpflichtete der wirth­ schaftlich Schwächere. Deshalb ist es gerechtfertigt, für ihn Sorge zu tragen. Zu seinen Gunsten aber stellt zunächst, worauf schon von dem Herrn Vorredner hingewiesen ist, der Abschnitt über die Miethe den Grundsatz auf: Kauf bricht nicht Miethe. Es macht also von dem allgemeinen Grundsatz, daß der Eigenthümer an die Obligationsverpflichtungen seines Vorbesitzers nicht gebunden ist, hier zu Gunsten des Miethers eine Ausnahme. Weiter: das im bisherigen Recht bestehende ausgedehnte Pfandrecht des Bermiethers an den eingebrachten Sachen des Miethers wird vom Entwurf sowohl in Ansehung der Forderung als der Gegenstände erheblich beschränkt. In letzterer Beziehung weise ich besonders darauf hin, daß fortan nur die Sachen, die dem Miether selbst gehören, nicht die Sachen der Ehefrau und der Kinder dem Pfandrecht unterliegen; und davon gänzlich ausgenommen sind die Sachen, die nach der Zivilprozeßordnung der Pfändung nicht unter­ liegen. Der Entwurf hat dann noch besondere Bestimmungen zum Schutze hauptsächlich der ärmeren Klassen. Er giebt die Vorschrift, daß, wenn beim Miethen einer Wohnung sich herausstellt, daß die Benutzung mit erheblicher Gefahr für die Gesundheit verbunden ist, der Miether berechtigt ist, ohne Kündigungsfrist die Wohnung zu verlassen, und dies selbst dann, wenn der Miether die Mängel bei Eingehung des Miethsvertrags gekannt und auf deren Geltendmachung verzichtet hat. Durch diese Vorschrift geht der Entwurf bis an die äußerste Grenze dessen, was ohne Ungerechtigkeit gegen den Vermiether zu Gunsten des Miethers geschehen kann. Und wie liegt es mit dem Dienstvertrage? Beachten Sie zunächst die Bestimmung, daß, wenn die Vergütung für die Dienste nach Zeitabschnitten bemessen ist, der Umstand, daß in der Person des Dienstverpflichteten eine Behinderung eingetreten ist, durch welche er eine nicht erhebliche Zeit an dem Dienst verhindert ist, einen Abzug an der Ver­ gütung nicht zur Folge hat. Weiter beachten Sie die Bestimmung, die den Schutz gegen den übermäßig langen Dienstvertrag betrifft. Wenn der Dienstvcrtrag auf länger als 5 Jahre oder auf Lebens­ zeit geschloffen ist, ist der Dienstverpflichtete nach Ablauf von 5 Jahren zur Kündigung berechtigt. Die Bestimmung, die hinzugefügt ist, „sofern die Dienste nicht durch Andere geleistet werden dürfen", ist vielleicht nicht nothwendig; ihr liegt der Gedanke zu Grunde, daß solche Dienste regelmäßig Waare sind. Jedenfalls wird durch diese Bestimmung über das Kündigungsrecht verhindert, daß das Dienstverhältniß nicht zu lange die natürliche Freiheit beschränken darf. Sodann noch eine ganz spezielle Bestimmung wieder zu Gunsten des Dienst­ verpflichteten. Derselbe muß Räume, Geräthschaften und Vorrichtungen, die er zu stellen hat, so einrichten und unterhalten und die Dienstleistungen so regeln, daß der Dienst­ verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit so weit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet. Das ist meines Erachtens vom sozialpolitischen Stand­ punkt eine außerordentlich wichtige, durchgreifende Bestimmung. (Sehr richtig!) Und auch hier wird wieder hinzugesetzt: „diese Verpflichtung kann nicht ausgeschlossen werden durch Vertrag". Ich könnte noch eine Reihe von Bestimmungen aus dem Obligationenrecht an­ führen, die beweisen, wie sorgfältig der Entwurf bedacht gewesen ist, für den wirthschaftlich Schwächeren zu sorgen. Ich will nur noch die Bestimmung in Betreff der Konventional­ strafe anführen, nach welcher der Richter bei übermäßiger Höhe der Konventionalstrafe berechtigt ist, sie herabzusetzen. Es ist das auch wieder einer der Fälle, wo dem Richter ein gewiffeS Ermeffen gestattet sein muß, waS den Anforderungen der Billigkeit durchaus

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entspricht und zum Schutze des wirthschaftlich Schwächeren nothwendig ist. Ein bestimmte» Maß kann man nicht angeben und insofern keine absolut feste Grenze ziehen. Ich übergehe die Einwendungen gegen die bindende Kraft des Anerkenntnisses und die Formverträge. Das sind so spezielle Fragen, daß sie meines Erachten- zu einer ein­ gehenden Behandlung in dieser allgemeinen Berathung nicht geeignet sind. Ich gehe über zu den Einwendungen gegen das Sachenrecht. Hier hat der Herr Abgeordnete Rintelen zunächst polemisirt gegen die Definition des Eigenthum- im Ent­ wurf. Er bestreitet, daß es richtig sei, das Eigenthum dahin zu definiren, daß der Eigenthümer berechtigt ist, über die Sache nach seinem Belieben zu verfügen und die Einwirkung jedes Dritten auszuschließen. Ja, meine Herren, daS ist keine römische Er­ findung, wie der Herr Abgeordnete Dr. Rintelen meinte, sondern das ist der Begriff des Eigenthums, der allen Rechten zu Grunde liegt. Ja, ich behaupte, es ist gar kein anderer Begriff des Eigenthums möglich. (Sehr richtig!) Es ist nur die Frage, ob diese an sich in dem Eigenthum liegende Herrschaft durch be­ sondere Bestimmungen beschränkt werden soll und in welchem Maße. Hierin unter­ scheidet sich allerdings das deutsche Recht, namentlich in Bezug auf Grundstücke, von dem römischen Recht. In dieser Beziehung hat aber der Entwurf der allgemeinen von ihm gegebenen Borschrift erhebliche Beschränkungen hinzugefügt; ich weise zunächst auf die für alle Sachen geltende Bestimmung hin, daß der Eigenthümer sein Eigenthum nicht lediglich zu dem Zweck gebrauchen darf, um anderen Schaden zuzufügen. Das gilt für bewegliche wie für unbewegliche Sachen. Weiter kommt hier in Betracht die Bestimmung über den Nothstand. Der Eigenthümer darf der Einwirkung auf seine Sachen nicht widersprechen, wenn diese Einwirkung zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr nothwendig ist, und der drohende Schaden unverhältnißmäßig größer ist als der Werth der beeinträchtigten Sache. Auch daS gilt sowohl für bewegliche wie für unbewegliche Sachen. Für un­ bewegliche Sachen aber enthält der Abschnitt über den Inhalt deS Eigenthums noch eine ganze Reihe besonderer Bestimmungen, die den Eigenthümer theil- im öffentlichen Inter­ esse- theils im Jnteresie der Nachbarn verhindern, sein Eigenthum zu mißbrauchen. Ob in dieser Beziehung vielleicht die eine oder die andere Ergänzung möglich ist, z. B. ob es zweckmäßig ist, in Bezug auf die Waldgrundstücke noch besondere Vorschriften zu geben, daS ist eine spezielle Frage. Ich muß nur wiederholen: es ist eine völlig unbegründete Einwendung, daß der Entwurf hier daS Eigenthum im römisch-rechtlichen und nicht in deutsch-rechtlichem Sinne behandelt habe. (Bravo!) Zu den Vorschriften, die die Beschränkung deS Eigenthums betreffen, gehört auch eine Bestimmung, die der Herr Abgeordnete Dr. Rintelen auS einem anderen Gesichts­ punkt bemängelt hat: es ist das die Vorschrift, daß der Eigenthümer, auf dessen Grund­ stück eine fremde bewegliche Sache gekommen ist, verpflichtet ist, dem Besitzer der Sache die Aufsuchung derselben zu gestatten. Der Herr Abgeordnete Dr. Rintelen hat, wenn ich ihn recht verstanden habe, diese Bestimmung bemängelt und gemeint, es müsse doch jeder in seinem Eigenthum geschützt sein. Er hat auf der anderen Seite daS Beispiel mit dem Kanarienvogel angeführt, der weggeflogen ist. Ich meine aber, diese Bestimmung entspricht so der natürlichen Auffassung, daß eine andere gar nicht denkbar ist. Wenn mein Hut mir fortfliegt und auf das Grundstück eines Anderen fällt, so muß ich doch das Recht haben, den Hut von diesem Grundstück wieder wegzuholen. Es ist allerdings ja möglich, daß der Eigenthümer dem sich widersetzt, dann bleibt nichts anderes übrig als der Weg der Klage: aber glücklicherweise sind die gesetzlichen Bestimmungen nicht nur dann wirksam, wenn sie gerichtlich erzwungen werden, sondern die meisten Mensihen Stenographische Berichte.

BSB.

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fügen sich doch den gesetzlichen Vorschriften ohne diesen Zwang, und deshalb erreicht eine derartige Bestimmung doch regelmäßig ihren Zweck. (Sehr wahr!) Ich komme dann mit einigen Worten auf das so außerordentlich wichtige Hypotheken­ recht. Es ist von dem Abgeordneten Dr. Rintelen die Besorgniß ausgesprochen, daß durch die Zulaflung der Grundschuld das Grundeigenthum mobilisirt wird. Meine Herren, die Grundschuld ist ein Institut, was auS einer wirthschastlichen Entwicklung hervor­ gegangen ist, die mir ganz unabwendbar scheint. (Sehr richtig! rechts.) Es ist lediglich der weitere Ausbau der Ggenthümerhypothek, die sich im preußischen Landrecht zunächst ohne bestimmten gesetzlichen Anhalt aus der inneren Nothwendigkeit der wirthschastlichen Verhältniße heraus entwickelt hat. (Sehr richtig!) In der Grundschuld wird hieraus lediglich die Konsequenz gezogen. Ich meine, es ist doch ein wirthschaftlich durchaus gesunder Gedanke, daß dem Eigenthümer eines Grund­ stücks ermöglicht wird, Kapital aufzunehmen, lediglich unter der Verhaftung seines Grund­ stücks. Es wird dadurch erreicht, daß sein persönlicher Kredit völlig frei bleibt. Das, meine ich, ist ein wirtschaftlicher Fortschritt, der nicht gering anzuschlagen ist, (sehr wahr!) insbesondere wenn hinzukommt, daß der Entwurf zu der Kapitalgrundschuld hinzufügt das besondere Institut der Rentengrundschuld. Dadurch ist gerade einem Verlangen entgegengekommen, das, glaube ich, mit Recht von agrarischer Seite erhoben wurde. Das Bedenken, daß durch die Grundschuld die Gefahr entstände, daß das Grundeigenthum mobilisirt würde, hat sich in denjenigen Ländern, in welchen die Grundschuld thatsächlich bereits existirt, insbesondere in Mecklenburg, durchaus nicht bewahrheitet, (sehr richtig!) sondern umgekehrt, sie ist ein Segen für den Realkredit geworden; eher ließen sich in anderer Beziehung Einwendungen gegen das Hypotheken recht des Entwurfs erheben, die Einwendung, daß zu viel Formen des Realkredits nebeneinander vorhanden sind. Aber ich meine, in dieser Beziehung hat die Kommission doch mit der richtigen Vorsicht gehandelt; sie hat nicht gewagt, einzugreifen in diejenigen Rechtsformen, an die sich der Verkehr theils in Preußen theils in Süddeutschland gewöhnt hat: das ist die Form der Brief­ hypothek und der Buchhypothek. Ich glaube, hier hat der Entwurf doch recht gethan, obgleich das System dadurch komplizirter wurde, neben der Grundschuld und der Sicherungshypothek auch jene andere Form der Hypothek beizubehalten. Ich komme nun zu den wichtigen Einwendungen, die gegen das Familienrecht, insbesondere gegen das Eherecht, des Entwurfs erhoben worden sind. Meine Herren, ich muß hier zunächst darauf hinweisen, daß das bürgerliche Gesetzbuch nicht die Ausgabe hat, die Ehe überhaupt zu regeln, sondern nur die rechtliche Seite derselben. Ich ver­ kenne nicht — und der Entwurf ist weit entfernt davon, das zu verkennen —, daß die Hauptbedeutung der Ehe nicht auf rechtlichem Gebiet, sondern auf dem sittlichreligiösen Gebiet liegt. Aber diese Seite der Ehe gehört nicht vor das Forum des bürgerlichen Rechts. (Sehr wahr!) Das bürgerliche Recht kann, das bürgerliche Recht darf hier nicht eingreifen. Die Ehe hat aber auch eine rechtliche Seite; das zeigt sich in den überaus wichtigen Folgen, die sich an die Ehe knüpfen, deshalb meine ich: das bürgerliche Gesetzbuch ist berechtigt und ver­ pflichtet, diese rechtliche Seite, aber auch nur diese zu ordnen; deshalb hat es auch die Voraussetzungen zu bestimmen, unter welchen der Staat eine Ehe rechtlich als existirend annimmt, und unter welchen Umständen er sie als aufgelöst ansieht. Daß bei diesen Vorschriften, welche über die rechtliche Seite der Ehe gegeben werden, darauf zu achten

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ist, daß die Hauptsache bei der Ehe, die sittliche und religiöse Bedeutung, nicht leidet, ist allerdings ein Postulat, welches an daS bürgerliche Recht zu stellen ist; aber ich glaube der Entwurf hat im allerweitesten Umfang sich dieses Postulat immer vergegenwärtigt, es ist grundlegend für alle seine rechtlichen Bestimmungen gewesen, daß sie nie daS sittliche Wesen der Ehe gefährden. Sollte nachgewiesen werden, daß wirklich im bürgerlich«! Gesetzbuch eine Bestimmung existirt, die dem sittlichen Wesen der Ehe, die dem Gewissen zu nahe tritt — es ist das eine Behauptung, die der Herr Abgeordnete Rintelen auf­ gestellt, aber nicht bewiesen hat —, so würde ich der Erste sein, der damit einverstanden wäre, diese Bestimmung zu ändern. Aber ich bezweifle, daß dieser Nachweis geführt werden kann; im Gegentheil, ich glaube, er wird nicht geführt werden können! • Bei dem Recht der Eheschließung hält sich der Entwurf, seiner Aufgabe entsprechend, lediglich an das bestehende Recht; es sind hier die Grundsätze, die das Zivilstandsgesetz bereits auf­ gestellt hat, zusammengestellt, einzelne Zweifel und einzelne Härten, die sich auS über­ triebener Formalität ergaben, beseitigt; und es sind sodann die Lücken ausgefüllt, die in Betreff der Mrkung der Ehehindernisie vorhanden waren. Es ist von Herrn Abgeordneten von Buchka die Bestimmung über Betrug und Irrthum bemängelt. Das ist eine schwierige Frage. Ich will hier nicht daraus speziell eingehen, möchte aber doch hervorheben, daß daS Beispiel, welche» der Herr Abgeordnete von Buchka angeführt hat, nicht paßt. Ich glaube, er hat doch die Bedeutung der Be­ stimmung, daß die Ehe wegen Betrugs anfechtbar ist, nicht richtig gewürdigt. Die Vor­ aussetzung trifft nur dann zu, wenn der eine Theil in der Absicht, den Anderen zur Eheschließung zu bewegen, ihm falsche Vorspiegelungen macht und lediglich durch diese falschen Vorspiegelungen der Andere zur Einziehung der Ehe bewogen wird. Ist von Anfang an mit der Ehe ein solcher sittlicher Krebsschaden verbunden, so kann man doch fragen, ob man hier nicht die Anfechtung der Ehe zulasten kann. Das ist eine der Fragen, die einer eingehenden Würdigung in der Kommission bedürfen. WaS dann das Ehescheidung-recht anlangt, so ist von der einen Seite dem Entwurf vorgeworfen, daß die Scheidung zu sehr erleichtert, von der anderen Seite dagegen, daß er sie zu sehr erschwert. Ich meine, da» spricht dafür, daß der Entwurf die richttge Mitte getroffen hat. Bon rein theorettsch-prinzipiellem Standpunkt sind allerdings nach meiner Ansicht nur zwei Lösungen möglich. ‘ Die wahre Ehe soll auf der wahren, daS ganze Leben durchdringenden Liebe be­ ruhen. Daraus kann man nun folgern — und von der einen Seite wird daraus ge­ folgert —: wenn diese wahre Liebe fehlt, ist keine wahre Ehe vorhanden; wenn also ein Ehegatte erklärt: ich liebe nicht mehr, — so muß die Ehe aufgelöst werden. Die ander« Austastung geht davon auS, daß die Ehe eine sittliche, über der Willkür der einzelnen stehende Ordnung ist; sie soll nur eingegangen werden, wo wahre Liebe vorhanden ist; die wahre Liebe stirbt aber nie, und deshalb ist die Ehe unauflösbar. Keine dieser beiden Austastungen kann meines Erachtens dem bürgerlichen Recht zu Grunde gelegt roerben. Die erstere würde zur vollständigen Zerstörung des WesenS der Ehe führen; die Ehe würde dadurch unfähig werden, wie bisher die Grundlage de» ganzen staatlichen und gesellschaftlichen Lebens zu bilden. (Sehr richtig!) Die zweite Austastung aber, meine Herren, für die prinzipiell sich ja vieles sogen läßt, verkennt meines Erachtens die Unvollkommenheiten und Schwächen des Menschen. Die Menschen sind nicht ideal; sie handeln bei der Eingehung der Ehe nicht immer, wie sie sollten, und sind dabei nicht immer von der wahren Liebe durchdrungen; sie sind nicht frei von Sünde und Verfehlung. Mit Rücksicht hierauf muß ein bürgerliches Recht die Möglichkeit der Scheidung dann geben, wenn durch das Verschulden deS einen Theils die Ehe in solchem Maße zerrüttet ist, daß dem Anderen nicht mehr zugemuthet werden kann, in der Ehe zu bleiben. Das ist der Standpunkt deS Entwurfs, und ich glaube,

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das ist derjenige, der dem praktischen Bedürniß ebenso wie den prinzipiellen sittlichen Forderungen am meisten entspricht. Von dem Herrn Vorredner ist zwar der Paragraph, der neben den speziellen Ehescheidungsgründen, dem Ehebruch, der böslichen Verlassung, jenen allgemeinen Grundsatz aufstellt, bemängelt worden. Ich meine, daß hier in dieser allgemeinen Fassung des Entwurfs gerade ein erheblicher Vorzug vor den kasuistischen Bestimmungen des preußischen Landrechts liegt. (Sehr richtig! links.) Ich möchte doch glauben, daß auch der Kommission nicht möglich sein wird, kasuistisch die einzelnen Gründe zu bestimmen, aus welchen die Scheidung zulässig ist. Wie steht es z. B. mit Mißhandlungen! Das gemeine Recht sagt, es müssen Sävitien vorliegen, d. h. solche Mißhandlungen, die mit Gefahr für Leben und Gesundheit verbunden sind. Da muß in jedem einzelnen Fall untersucht werden: ist diese Gefahr damit verbunden? Die Mißhandlungen können aber auch derartige sein, daß sie nicht mit Gefahr verbunden sind und doch nach den Umständen des Falles so tief das eheliche Leben zerrütten und so tief eingreifen, daß die Scheidung der Ehe gerechtfertigt ist. Es ist absolut unmöglich, die Mißhandlungen, welche zur Scheidung berechtigen, nach äußerlichen Merkmalen zu bestimmen und etwa die Paragraphen des Strafgesetzbuchs über schwere oder nicht schwere Mißhandlungen zu Grunde zu legen; es sind lediglich die besonderen Umstände des ein­ zelnen Falles maßgebend, und dieselbe Mißhandlung kann in einem Fall einen Ehe­ scheidungsgrund bilden, während sie in anderen Fällen ein alltägliches Borkommniß ist, ohne daß dadurch das eheliche Leben zerrüttet wird. (Heiterkeit.) Es ist dann gegen den Entwurf eingewendet worden, daß er in einem Fall von dem Prinzip des schweren Verschuldens abweicht; das ist der Fall der unheilbaren Geistes­ krankheit. Ich habe keinen Grund, zu verschweigen, daß ich persönlich auf dem Standpunkt des Herrn von Buchka stehe und den ersten Entwurf vertreten habe, der diesen Ehe­ scheidungsgrund nicht kannte. Aber ich glaube doch, meine Herren, daß sehr zu erwägen sein wird, ob nicht vom Standpunkt des praktischen Bedürfnisses aus dieser Ehescheidungs­ grund beizubehalten ist. Der Gesichtspunkt, der bei diesem Ehescheidungsgrund zutrifft, ist ein ganz anderer als bei den anderen: es kommt hier in Frage, ob in Fällen, in welchen wirklich eine unheilbare Geisteskrankheit vorliegt, in welchen sie bereits längere Jahre gedauert hat, in welchen diese unheilbare Geisteskrankheit zu beschaffen ist, daß sie auch jede geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten ausschließt, also z. B. in den Fällen des absoluten Blödsinns, nicht dieser Zustand dem Tode gleichzustellen, und aus diesem Gesichtspunkt eine Scheidung zuzulassen ist, die in einer Reihe von Fällen, ins­ besondere wenn man die arbeitende Klasse, wenn man die Fälle ins Auge faßt, wo der eine Ehegatte mit einer Reihe von Kindern zurückbleibt, dazu führen wird, den schwersten, nicht nur wirthschastlichen, sondern auch sittlichen Gefahren für den zurückgebliebenen Gatten vorzubeugen. (Sehr richtig! links.) Es wird dies ein Punkt sein, der einer sorgfältigen gerechten Abwägung beider Seiten in der Kommission bedürfen wird. Ich komme dann auf die Einwendungen, welche gegen die Gestaltung der elter­ lichen Gewalt in dem Entwurf erhoben worden sind. Meine Herren, der Herr Ab­ geordnete Rintelen hat gesagt: die ehrwürdige patria potestas des römischen Rechts wird abgeschafft. Nun gebe ich ihm darin Recht: die Auffassung, die der patria potestas des römischen Rechts zu Grunde liegt, liegt dem Entwurf nicht 51t Grunde, weil diese Auffassung dem deutschen Recht, dem modernen Rechtsbewußtsein nicht entspricht. (Sehr wahr! links.)

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Das römische Recht betonte in erster Reihe das Herrschaftsrecht, das eigennützige Herr­ schaftsrecht des Vaters, allerdings auch im Jnteresie des Kindes; aber die Seite des Interesses des Vaters wird in erster Linie betont. Unser deutsches Recht dagegen giebt dem Vater zwar als Haupt der Familie das Recht, fiir seine Kinder zu sorgen, sie zu beherrschen und zu leiten; aber es faßt dieses Recht des Vaters als eine Schutzgewalt im Interesse des Kindes aus. Nach diesen Gesichtspunkten sind die Bestimmungen des Entwurfs geordnet. Er gesteht dem Vater das ihm von Gottes Gnaden zustehende Recht als Haupt der Familie in vollem Maße zu; aber er ordnet es so, daß er es nicht in seinem eigennützigen Jnteresie, sondern im Interesse des Kindes auszuüben hat. Daraus folgt, daß, wenn das Kind nicht mehr schutzbedürftig ist, auch die väterliche Gewalt fortfallen muß. DaS Kind, das volljährig geworden ist, das keines Schutzes mehr bedarf, — weshalb soll es, wenn es noch das Glück hat, Eltern zu haben, in der Geschäftsfähigkeit beschränkt sein, während das unter Vormundschaft stehende Kind, wenn es volljährig ist, nicht in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist? Es fällt hier der Grund der väterlichen Gewalt weg, und deshalb muß auch diese selbst wegfallen. Die Hausgemeinschaft, die möglicherweise übrig bleibt, meine Herren, ist ein sittliches Verhältniß, und davon soll das bürgerliche Recht die Hand lassen; es soll nicht in das sittliche Familienleben weiter eindringen, als die Rechtsordnung es durchaus nothwendig macht. Uebrigens hat der Entwurf durch zwei Bestimmungen, die sich der natürlichen Auffassung deS Lebens anschließen, auch hier dafür gesorgt, daß dem praktischen Bedürfniß Genüge geschieht. Für den Fall, daß das volljährige Kind in dem elterlichen Hause bleibt und dem Vater die Verwaltung seines Vermögens beläßt, wird bestimmt, daß der Vater berechtigt ist, die Einkünfte frei zu verwenden; wenn ferner das Kind aus seinem Vermögen für den gemeinschaftlichen Haushalt etwas Verwender hat, so ist es einen Ersatz zu fordern im Zweifel nicht berechtigt. Nun weiter. Wenn der Vater gestorben ist, so war nach bisherigem Recht die Mutter nicht berechtigt, an seine Stelle zu treten, sondern es mußte ein Vormund bestellt werden, wozu allerdings die Mutter auch bestimmt werden konnte. Hier ist ein Punkt, wo der Entwurf im Anschluß an die in einzelnen deutschen Staaten bereits bestehenden Rechte geglaubt hat, eine weite Fortentwicklung deS Rechts im Sinne und Geiste der deutschen Auffassung vornehmen zu sollen. Er ist davon ausgegangen, daß es unrecht sei, hier der Frau, der Mutter, eine andere Stellung als dem Vater zu geben, daß ebenso gut, wie dem Vater, auch der Mutter, roenit ich so sagen soll, von Gottes Gnaden das Recht zusteht und nicht erst durch das Vormundschaftsgericht ertheilt zu werden braucht, für die Kinder zu sorgen. (Sehr richtig!) Deshalb hat der Entwurf bestimmt: wenn der Vater stirbt oder verhindert ist, so tritt an seine Stelle kraft Rechtens, nicht durch die Bestimmung des Vormundschaftsgerichts, die Mutter. Ich meine, daß hier der Entwurf einen Fortschritt gemacht hat gegenüber dem im größten Theil Deutschlands bestehenden Recht, der dem Rechtsbewußtsein und dem sittlichen Bedürfniß des deutschen Volkes entspricht. (Lebhafte Zustimmung.) Meine Herren, es würde mich zu weit führen, wenn ich auf eine Reihe von Einzelheiten, die von verschiedenen Rednern geltend gemacht sind, hier eingehen wollte. Es wird zweckmäßig sein, sie bis zur Berathung der Kommission, eventuell bis zur zweiten Berathung hier im Hause, aufzusparen. Gewiß ist der Entwurf nicht von Mängeln frei. Es wird in ganz Deutschland keinen Juristen geben, wie es ja auch in der Kommission kein einziges Mitglied gegeben hat, welches nicht an dem Entwurf das eine oder andere auszusetzen hätte, nicht die eine oder andere Bestimmung ander- gefaßt haben möchte. Wenn wir abwarten wollten.

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bis wir einen Entwurf bekämen, der fehlerfrei wäre, so würde ein bürgerliches Gesetzbuch überhaupt nie zu Stande kommen. (Lebhafte Zustimmung.) Es ist zu meiner Freude von verschiedenen Seiten die Absicht ausgesprochen, zu resigniren und auf solche Einwendungen zu verzichten, die nicht von entscheidender Be­ deutung sind. Das ist das einzige Mittel, um den Entwurf zu Stande zu bringen, und ich glaube in der That, der Entwurf ist einer solchen Resignation werth. Das bürger­ liche Gesetzbuch bildet, wenn es zu Stande kommt, nicht nur die unentbehrliche Grund­ lage, von der aus jede weitere größere reformatorische Umgestaltung unseres Rechts in weit leichterer Weise erfolgen kann als bisher. Es führt nicht nur eine neue Epoche der Rechtswissenschaft herbei, sondern es ist nach meiner Ueberzeugung auch in seinem jetzigen Bestand ein ungeheurer Fortschritt, es giebt dem deutschen Volk wirklich ein gutes, ein deutsches und im besten Sinne auch ein soziales Recht. Ein deutsches Recht freilich nicht in dem Sinne, daß an die mittelalterlichen deutschen Rechtsgewohnheiten und Rechtssätze angeknüpft würde; man kann sich nicht davor verschließen, daß das deutsche Volk seitdem eine weitere Entwicklung durchgemacht hat (sehr richtig! links), aber in dem Sinne deutsch, daß es alle noch lebendigen deutschen Rechtsgedanken aus­ genommen und zu festen Rechtssätzen verkörpert hat. Es ist auch sozial, — freilich nicht sozialdemokratisch; im Gegentheil, indem der Entwurf die Grundlage unserer Gesellschafts­ ordnung, Eigenthum, Erwerbsrecht, Ehe, Familie, auf die breite und feste Basis eines gemeinen deutschen Rechts stellt, stützt und stärkt er die bestehende Gesellschaftsordnung in einem Maße, wie dies durch kein anderes Mittel meiner Ueberzeugung nach ge­ schehen kann. (Lebhafte Zustimmung.) Aber sozial ist der Entwurf in dem Sinne durchaus, daß er, soweit es auf der Grund­ lage der jetzigen Gesellschaftsordnung durch Mittel des bürgerlichen Rechts möglich ist, den Bedürfnissen der wirthschaftlich Schwächeren abzuhelfen, dies in dem weitesten Um­ fange thut. Nun, meine Herren, lassen Sie mich zum Schluß mit ein paar Worten noch einmal auf die ungeheure nationale Bedeutung des Gesetzgebungswerks, um das es sich hier handelt, hinweisen. Es handelt sich nicht bloß um die Einlösung des Versprechens, welches der Bundesrath und der Deutsche Reichstag vor mehr als zwanzig Jahren dem deutschen Volk gegeben hat, als sie die Erweiterung der Kompetenz des Reichs aus das Zivilrecht annahmen, sondern es handelt sich um den Abschluß einer mehr als tausend­ jährigen Entwicklung. Das deutsche Volk hat bis jetzt nie ein gemeinsames bürgerliches Recht gehabt. In dem deutschen Charakter sind zwei Elemente mit einander verbunden, die für die gesammte deutsche Geschichte maßgebend gewesen sind: das ist aus der einen Seite ein starker nationaler Geist, auf der anderen Seite aber, noch stärker ausgeprägt, Individualismus und Partikularismus. (Heiterkeit.) Wo diese beiden Seiten des deutschen Charakters im richtigen Gleichgewicht standen, da sind die Glanzzeiten der deutschen Geschichte: wo Individualismus und Partikularismus überwogen, da sind die Zeiten des Verfalls. Ter nationale Sinn ist noch nie stark genug gewesen, ein gemeinsames bürgerliches Recht herzustellen. Das älteste Recht der Deutschen zerfiel in Stammesrechte und nachher traten an dessen Stelle die Territorialrechte. Als im Mittelalter das Bedürfniß eines einheitlichen, den neuentwickelten wirtschaftlichen Ver­ hältnissen entsprechenden Rechts sich geltend machte, da mußte, um diesem nationalen Bedürfniß zu entsprechen — es klingt das paradox, es ist aber so —, ein fremdes Recht, das römische Recht rezipirt werden. Die deutsche RechtSentwicklung hat unter dieser Rezeption schwer gelitten, — freilich auch große Vortheile daraus gehabt; gelitten, indem

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viele gesund« deutschrechtliche Keime erdrückt sind, aber gewonnen hat es dadurch aller­ dings das eine, daß die deutsche Rechtswissenschaft von dem Geist der römischen Juristen durchdrungen ist und die unübertroffene Methode der technisch-juristischen Behandlung der römischen Juristen sich angeeignet hat. Wir wollen diesen Bortheil auch nicht zu gering anschlagen. In dem dreißigjährigen Kriege und nach demselben war daS Streben nach einem gemeinsamen deutschen Recht ganz erloschen; es ging unter in den unglücklichen Zuständen jener Zeit, und nur in den Einzelstaaten — es ist hier das preußische Landrecht zu erwähnen, welches ein unsterbliches Verdienst deS preußischen Staats ist — fing wieder die neue Recht-entwicklung und Rechtsbildung an. Rach den Freiheitskriegen ertönte dann wieder der allgemeine Ruf nach einem einheitlichen Recht. Aber ich glaube, daß in dem Streit, der damals zwischen Thibaut und Savigny bestand, der letztere recht hatte, daß Deutschland damals noch nicht reif war für ein einheitliches bürgerliches Gesetzbuch. Es fehlten zwei Faktoren: auf der einen Seite die Ausbildung der Rechtswissenschaft, die Versöhnung zwischen der germanistischen und romanistischen Richtung, die nöthig war, um die allgemeinen RechtSsätze so weit herauszuarbeiten, daß sie fähig sind, in ein Ge­ setzbuch eingefügt zu werden, und da- zweite noch wichtigere Element: eS fehlte die gemein­ same polstische Einheit. Diese beiden Faktoren sind jetzt vorhanden. Jetzt ist eS Zeit, endlich daS Verlangen, das gute Recht des deutschen BolkS auf ein einheiüiches Recht zu befriedigen. Meine Herren, nächst der gemeinsamen Sprache ist nach meiner Meinung das gemeinsame Recht die edelste und köstlichste Frucht des nationalen Geistes, (lebhafter Beifall), zugleich aber auch das stärkste und festeste Band der nationalen Einheit. (Wiederholter lebhafter Beifall.) Jetzt ist die Zeit gekommen, jetzt ist die kostbare Frucht reif, an Ihnen ist eS jetzt, sie zu pflücken; an Ihnen ist eS jetzt, daS eherne Band der deutschen Einheit zu schmieden. Geben Sie dem deutschen Volk in dem bürgerlichen Gesetzbuch, ohne an Einzelheiten zu mäkeln, sein gutes, sein deutsche-, sein einheitliches Recht, und das deutsche Volk wird Ihnen diese That danken in aller Zeit. (Lebhafter Beifall.) Vizepräsident Schmidt (Elberfeld): Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stadthage«. Abgeordneter Stadthageu: Meine Herr«, trotz der ausführlicheren Darlegung«, die der letzte Herr Regierungskommiffar gab und die tat übrigen gegenüber den Dar­ legungen vom gestrigen Tage sich Vortheilhaft auSnahmen, darf ich Sie vor der An­ nahme warnen, zu der Sie mit Rücksicht auf den Appell, daß eine Schutzwehr geg« die Sozialdemokratie durch das bürgerliche Gesetzbuch errichtet werd« soll, vielleicht g«eigt sind. Wenn auS diesem Appell geschloffen werden sollte, daß ich vielleicht wegen dieses Appell- gegen den Entwurf sein könnte» so möchte ich nur vorausschick«, daß ich diese Behauptung des Herrn Vorredners für eine total irrige halte. Wird da- bürgerliche Gesetzbuch, so wie es vorliegt, Gesetz, so würde es mit die schärffte Waffe sein, die unS gegeben werden kann. Ich darf aber auch vor allen Dingen nicht verschweigen, daß die­ jenigen, die begeistert ein einheitliches Recht wünschen, nicht die Verfechter der bestehend« Gesellschaftsordnung, sondern fast ausschließlich die Sozialdemokraten sind. Ich kann natürlich nur von mir persönlich aus die Einzelheiten, die ich sagen werde, vertreten; denn über die Einzelheiten haben meine politischen Freunde naturgemäß noch nicht berath« sönnen. Ich glaube aber, behaupten zu dürfen, die Ansicht aller meiner Fraktionsgenoff« geht dahin: es giebt in Deutschland nur eine Klaffe und zwar nur die Arbeiterklaffe, die mal hier mal da ihr Brod zu such« hat, die ein einheitliches Recht zu haben wünscht und die es sich erkämpf« wird. Allerdings einheüliche- Recht nmne ich nicht dm Schein -einer Einheit; einheitliches Recht nmne ich nicht daS kodifizirte Unrecht der Ausbeutung.

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So wenig ich verlangen kann als Sozialdemokrat, daß hier in diesem Reichstag die Möglichkeit vorhanden sei, die soziale Rechtsordnung im Sinn des sozialdemokratischen Endziels jetzt durch Gcsetzesparagraphen festzusetzen, — so kindisch ein derartiges Vorgehen wäre — so bin ich bereit, die Arbeit fördern zu helfen, ein wirklich einheitliches Recht zu schaffen, zu diesem Zweck die besonderen ausnahmerechtlichen Bestimmungen, mit denen sich der Gesetzentwurf gegen die Arbester wendet, zu bekämpfen, zu versuchen, aus dem Gesetzbuch das zu machen, was ein Gesetzbuch sein soll und heute bereits sein kann. Ein Gesetz ist und soll sein — zu meiner Verwunderung hörte ich aus der letzten Rede, daß im großen und ganzen dies auch die Ansicht des Herrn Vorredners sein zu sollen scheint — der idiologische Niederschlag der ökonomischen Verhältnisse, der idiologische Niederschlag der erkämpften Rechtssätze der wirthschaftlichen Entwicklung. Es soll das Spiegelbild sein der wirthschaftlichen Entwicklung. Und wenn ich zugeben muß, daß die unterdrückte Klaffe nicht sofort ihr Recht umsetzen kann in Gesetzesparagraphen, wenn es naturgemäß ist, daß das Gesetz, das den wirthschaftlichen und politischen Kämpfen sein Siegel erst auf­ druckt, stets reaktionär ist, so würde ich doch mit aller Entschiedenheit gegen ein Gesetz kämpfen müssen, das einmal nur eine Scheineinheit giebt und ferner lediglich ausschließlich von vornherein die Tendenz hat, die Sonderrechte der Unternehmer, die Sonderrechte der Großgrundbesitzer, die Sonderrechte der Kapitalisten gegenüber dem wirthschaftlich Schwachen zu verstärken und festzulegen. Ich werde darauf im einzelnen eingehen, inwieweit dieser Borwurf dem Entwurf gegenüber zutrifft, und freue mich, daß der Herr Vorredner mir Gelegenheit gegeben hat, gerade an einigen der Punkte, die er zur Widerlegung der gegen den Entwurf gerichteten Ansicht, daß dieser nicht sozial sei, anführte, ihm zu zeigen, daß er im Unrecht ist, wenn er annimmt, daß irgendwo im Gesetzbuch für die wirthschaftlich Schwachen gesorgt ist. Ich werde nicht zu viel verlangen von der Kommission, ich werde nicht zu viel verlangen im Plenum, weil bei dieser Gelegenheit nicht mehr verlangt werben kann, als nach Lage der wirthschaftlichen Verhältnisse nothwendig und möglich ist durch­ zuführen. Ich werde verlangen müssen — und gehe da allerdings über den Rahmen der meisten Redner in dieser Debatte hinaus, daß eingeführt wird in das Gesetzbuch eine Regelung dessen, was als Recht der arbeitenden Klasse innerhalb der heutigen ökono­ mischen Entwicklung unbedingt verlangt werden muß. Es war für mich angenehm überraschend, daß der Herr Vorredner erklärte, daß das Rechtsbewußtsein herauswachsen müsse aus dem Volksbewußtsein, daß der Gesetzgeber das Recht aus den wirthschaftlichen Bedürfnissen des Volks und aus seinem Rechtsbewußtsein heraus erkennen solle. Mehr oder minder klar hat der Herr Vorredner ja den Satz zugegeben, daß die wirthschaftlichen Bedürfnisse die Träger der Rechtssätze sein müssen, daß der Gesetzgeber die Ausgabe hat, den wirthschaftlichen Bedürfnissen, dem Zug und Ziel der Zeit nachzuforschen und das nach dem Ergebniß seiner Forschung erforderliche in Gesetzesform zu bringen, also zu berücksichtigen den Kamps der Klassen und die Be­ dürfnisse insbesondere der kämpfenden, der arbeitenden Klassen. Gestern haben wir von dem Herrn Staatssekretär das direkte Gegentheil gehört, gestern haben wir das volle Anerkenntniß gehört, daß hier durch den Entwurf ein Ausnahmerecht, ein Klassenrecht geschaffen wird. Der Herr Staatssekretär behauptete gestern, es wäre ja bei der zweiten Lesung in der Kommission von allen politischen Parteien und aus allen Klassen der Be­ völkerung, die maßgebend sind, Vertreter hinzugezogen worden. Nun, meine Herren, die 98 Prozent werkthätiger Bevölkerung ist nicht hinzugezogen gewesen. Also sind deren Interessen als berechtigt nicht anerkannt. Wer ist denn zugezogen gewesen? Zwei von den Herren, die der konservativen Partei und dem Großgrundbesitz angehören, zwei von jener Partei, die nach unserer Ansicht — verzeihen Sie das Wort, ich will keinen persönlich treffen — die Interessen der Schlotbarone am allerbesten wahrnimmt; einer der Herren aus dem Zentrum, einer der Herren, die das Großkapital repräsentiren, ein Herr, der

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direkt mit der Börse zu thun hat, und auch ein Herr, der früher auf der freisinnigen Seite in diesem Hause gesessen hat; dann natürlich ein Herr aus der nationalliberalen Partei, also jemand, der jeweilig dasjenige wünscht, was die Regierung für angemessen hält. Wie kann man da behaupten, daß alle Interessen des Volks vertreten gewesen seien! Großgrundbesitzer, Großkapitalisten und allerdings ja auch noch zwei im politischen Leben nicht hervortretende Bolkswirthschaftler, Nationalökonomieprofessoren, die wohl ver­ suchen sollten, den Juristen klar zu machen, was sie bis jetzt aus der Volkswirthschaft noch nicht erkannt haben. Aber nirgend in einem Stadium der Borberathung ist von dem organisirten Proletariat, von der organisirten werkthätigen Bevölkerung einschließlich der Mittelstände auch nur ein einziges Mitglied hinzugezogen, auch nur einer gehört worden! Ja, nirgend ist ihnen klar gemacht, was man ihnen durch das Gesetz geben wolle, sondern im ersten Entwurf ist in einem so unverständlichen Deutsch, einem so kauder­ welschen Juristendeutsch die Sache vorgetragen, daß selbst der Herr Staatssekretär zugeben mußte: im ersten Entwurf war die Sprache nichts werth, jetzt ist sie auch nicht viel werth. Auf die Sprachschönheit lege ich aber nicht so viel Gewicht. Ich bin allerdings nicht der Ansicht des Herrn Staatssekretärs, daß der Code vermöge der französischen Sprache eine viel angenehmere, gefälligere Sprache habe und deshalb Beliebtheit genossen habe. Ich meine, eine bessere Form als den Entwurf, vermag auch die deutsche Sprache zu bieten. Meiner Ansicht nach zeichnet die deutsche Üebersetzung des Code, daS badische, Württembergische Landrecht, das schweizerische Obligationenrecht, das alte österreichische Recht, ja selbst das preußische Landrecht sich an Güte der Sprache bei weitem auS vor der Sprache des jetzigen Entwurfs. Es ist jetzt aus Juristenkreisen und zwar von einem sächsischen Juristen, von dem Landgerichtsrath Loenholm, der durchaus verständige Versuch gemacht worden, die Sprache des Entwurfs in eine allgemein verständliche Sprache um­ zuwandeln. Sollte in der Kommission derselbe Versuch gemacht werden, so habe ich nichts dagegen; aber meine Zeit damit zu vergeuden, fällt mir gar nicht ein. Glauben die Herren, sie können es nicht anders machen, so lassen sie auch die schlechte Sprache. Ich würde mich wenig kümmern um die Form, mir liegt wesentlich am Inhalt. Da mache ich zunächst den einen Borwurf dem Gesetzbuch: es ist eine Unwahrheit, wenn behauptet wird, es würde eine Einheit durch den Entwurf geschaffen. Es find aus der Einheit nicht bloß ausgeschlossen, sondern sollen auch ausgeschlossen bleiben alle jene Rechtsverhältnisse, die überkommene mittelalterliche Machtverhältniffe betreffen, und eS sind Bestimmungen getroffen, deren Folge ein Ausnahmerecht der arbeitenden Klassen, ein Ausschluß derselben von der Einheit sein würde. Ich darf Ihnen nur einige derselben aufführen. Diejenigen Herren, die objektiv zu urtheilen gewöhnt sind, werden dann sehen, daß ich mit meiner Behauptung recht habe. Ich muß erklären: ist eS zur Zeit zu schwer, die meisten dieser der einfachen Tilgung durchaus werthen veralteten Rechtsinstitute, die das Einführungsgesetz konservirt, bereits in der Kommission zu tilgen und demgemäß daS Gesetz zu ändern, erfordert dies zu lange Zeit, so kann man doch nicht die Bestimmungen im Einführungsgesetz stehen lassen, nach der ausdrücklich der Landesgesetzgebung die Fort­ setzung dieser veralteten Rechtsinstitute anheimgegeben wird. Ich meine: man wird nicht anders können, als wenn man glaubt, eine große Anzahl jener veralteten Rechtsinstitute nicht schleunigst regeln zu können, mindestens in dies Einführungsgesetz hineinzuschreiben, daß den Landesgesetzen untersagt wird, aufs neue bezüglich dieser absterbenswerthen Institute Vorschriften zu machen. Ich rechne dahin die Familienfidei­ kommisse — welcher wirtschaftliche Grund liegt vor, die Familienfideikommisse noch weiter beizubehalten oder gar auszudehnen? — Die Lehen, allodifizirten Lehen, Stammgüter, Rentengüter, das Erbpachtrecht, das Büdnerrecht, das Häuslerrecht, das Anerbenrecht gehören überwiegend in dieselben Kategorien. Andere Rechtsverhältnisse bedürfen dringend einheitlicher Regelung, so das Wasserrecht, das Flußrecht, das Flößereirecht — das ganze Wafferrecht ist eins von denjenigen, von denen ich wünschte, sie würden einheitlich geregelt.

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Aber je mehr Sie den Landesgesetzgebungen überlassen, auf diesen Gebieten besondere Quacksalbereien selbstständig zu machen, desto schwieriger wird es später sein, ein einheit­ liche- Recht zu Stande zu bringen. Wer ist nun mehr für die Einheit, ich oder jene von den Herren, die sagen: „nur schnell fertig, damit es so scheint, als ob wir eine Einheitlichkeit haben!?" — Das obengenannte.Wasserrecht, das Jagdrecht, das Fischerei­ recht ist in den meisten Partikularstaaten nichts weiter als ein besonderes Raubrecht, ein besonders scharfes accentuirtes Eigenthumsrecht, das dem Großgrundbesitzer, dem Jagdund Fischereiberechtigten zusteht. Ich habe es lebhaft bedauert, daß die Geltendmachung von Wildschäden, daß Regalien, daß die Zwangs- und Baurechte und die Realberechti­ gungen dem Partikularrecht vorbehalten bleiben. Es wird in den Motiven nicht zugegeben; aber offensichtlich verdankt diese Aufrechterhaltung veralteter Institute und ihre Ueberweisung an die Partikularstaaten, die Möglichkeit ihres weiteren Ausbaues in demselben dem Gedanken seine Entstehung: es soll den Partikularstaaten gestattet sein, diese über­ lebten Institute weiter auszubauen, um so noch unmöglicher zu machen eine wirkliche Einheit des Rechts durch Beseitigung dieser in eine moderne Entwicklung nicht hinein­ passenden Vorrechte. Daß das Versicherungsrecht und Verlagsrecht nicht in den einheitlichen Entwurf aufgenommen ist, beruht nicht auf dem Gedanken, wie ich annehme, daß die Regierungen hier nicht glauben, ein einheitliches Recht nicht schaffen zu sollen, sondern daß sic glauben, daß es besser bei Gelegenheit des Handelsrechts erledigt werden kann. Diesbezüglich habe ich keine besonderen Gravamina, meine aber, es darf nicht gesagt werden, daß der landes­ gesetzlichen Regelung das Bersicherungs- und das Verlagsrecht vorbehalten sei, also auch «ine Neuregelung den Einzelstaaten zustehe. Für ganz verfehlt halte ich die Bestimmung, wonach die Verpflichtung des Staats für den Schaden, den ein Beamter in Ausübung seines Amts anrichtet, so, wie sie augen­ blicklich partikularrechtlich geregelt ist, geregelt bleiben soll. Diese Frage läßt sich, meine ich, sehr leicht generell regeln, bei dem Theile, der über den Schadensersatz ans un­ erlaubten Handlungen sich ausspricht. Dort wird überhaupt die Haftpflicht der Beamten in gründlicherer Weise, als augenblicklich vorgeschlagen wird, eingeführt werden müssen: dann würden ohne weiteres Art. 75 und 76 des Einführungsgesetzes fallen. Ein direktes Unrecht, das deutlich zeigt, daß die arbeitenden Klassen die Einheitlichkeit nicht bekommen sollen, haben Sie im Einführungsgesetz bezüglich zweier Zweige von Arbeitern: bei den' Bergarbeitern und beim Gesinderecht. Bei beiden Kategorien ist es möglich, heute schon die Einheitlichkeit durchzuführen; bei beiden schließen Sie sie ober durch das Einführungsgesetz aus. Also der Bergarbeiter soll sein Blut vergossen haben, damit er nicht ein einheitliches Recht bekommt, während gestern so schön von Patriotismus im entgegengesetzten Sinne gesprochen wurde. Das Gesinderecht, das Recht der ländlichen Arbeiter, das Bergrecht kann einheitlich geregelt werden. Es kann nicht geleugnet werden, daß auf diesem Gebiete die wirthschaftlichen Verhältnisse im wesentlichen dieselben sind, eine rechtliche Einheit, eine Regelung in einheitlicher Weise also möglich ist. Genau so steht es mit dem Gesinderecht. Doch von dem Gesindeunrecht, das heute noch durch weit über 60 verschiedene, im Grunde ebenso einheitlich gedachte Ge­ sindeordnungen in Deutschland Reste der veralteten Verhältnisse der Feudalzeit, der Gewaltsherrschaft konservirt — daß Rudimente dieser Gewaltsverhältnisse, wie sie uns im heutigen Gesinderecht entgegentreten, daß also ein Stück Hörigkeit nach dem Entwurf noch konservirt bleiben soll, ist kennzeichnend für den Entwurf. Die Motive sagen, eine einheitliche Regelung sei nicht durchführbar. Ach Gott! meine Herren, als ob wir nicht andere Gesetze kennen, die es mit Glück für ausführbar gehalten haben. Es ist gestern sehr gescholten worden auf das französische Recht und gleichzeitig die Verwunderung aus­ gesprochen, daß der Code civil seinerzeit diesen außerordentlichen Einfluß geübt habe. Er

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hat diesen Einfluß geübt, weil er den politischen und wirthschaftlichen Strömungen theilweise Recht zu geben sich verpflichtet fühlte. So beseitigte er mit einem Federstrich die alten Gesindeordnungen, die etwa im 16. Jahrhundert aufgekommen sind. Er hat die Gesindeordnung einfach in den ArbeitSvertrog hineingezogen. Solche Gestaltung allein entspricht den politischen und wirthschaftlichen Berhältniffen. Sie wiffen, daß von allen Seiten seiten» des-Gesindes, seitens der Arbeiter immer wieder und wieder mit Recht das Verlangen gestellt wird, die Ausnahmestellung, unter der heute da» Gesinde seufzt, das besondere Recht, daß es gar geprügelt werden darf, zu beseitigen. ES besteht in weiten deutschen Landen, nicht überall, z. B. nicht in Mecklenburg auf dem platten Lande seit 1894, wohl aber in Altpreußen, insbesondere Ost- und Westpreußen und in der Mark ja dies Prügelrecht. Wenn in der Kommission nur zwei Großgrundbesitzer sitzen, kann ich mir denken, daß die sagen: nee, wir wollen uns dos Prügelrecht nicht nehmen lassen. Haben wir doch zu Beginn des Jahrhundert» in Preußen dieselbe Erscheinung gehabt! Da ist eine allgemeine Gesindeordnung in Preußen für völlig überflüssig, für unvereinbar mit der Aufhebung der Hörigkeit seitens der Regierung erachtet. Die Gewalt der Junker brachte eS jedoch zu Stande, daß für das freie Gesinde die Bestimmungen eingeführt wurden, die früher Wort für Wort für da» Unterthanengesind« galten. E» wurde nun als Gesinde fortan auch betrachtet, wer nicht nur häusliche, sondern auch wer wirthschastliche Dienste verrichtete. Meine Herren, eS schwand auch damals das aus­ drückliche Prügelrecht, wie eS daS Landrecht den Unterthanen gegenüber noch hatte. Suarez erklärte den Großgrundbesitzern, die ein ausdrückliches Züchtigungsrecht eingeführt wissen wollten: ein ausdrückliches ZüchtigungSrecht brauchen wir nicht hineinzuschreiben; eS genügen die §§ 77 und 78 der heute bestehenden Gesindeordnung; denn da» arbitriom iudicis — also die Ansicht deS Richter» — wird sich ohnedies immer mehr auf die Seite der Herrschaft stellen. Die Rechtsprechung hat Suarez leider Recht gegeben. Ja, meine Herren, dasselbe arbitrinm indicis, mit dem damals Suarez die in der Macht befindlichen Klassen, die die wirthschastliche Entwicklung zurückschrauben wollten, vertröstete, genau dasselbe Prinzip haben Sie in dem jetzigen Gesetzbuch: überall Verweisung auf daS Ermessen des Richter». Run, «eine Herren, hat der Herr Vorredner ja nicht dm Versuch gemacht, dm Arbeitern gegmüber zu erUärm, sie könnm verträum auf die Richter; sie gerade müßten Spielraum geben dem Ermeffen de» Richter». Tr hat sich ausdrücklich nur an die anderen Parteien gewendet. Und wie wäre eS auch anders möglich, nachdem wir neulich von dem Leiter d«S Justizministerium» deS größtm Partikularstaate», Preußens, gehört habm, daß er als RechtSsatz bereits in seiner früheren Zeit gelernt habe: ei duo faciunt idem, non est idem, d. h., daß er als Rechtssatz das gelernt habe, was der Dichter Terenz zur Verspottung einer schlechten Rechtspflege gebraucht hat, was er in seiner spöttischen Art als einen Grundsatz hinstellte, dem sich nimmer eine verständige Rechtspflege hingeben darf. Wir habm bislang gemeint, und die Arbeiterklaffe meint noch heute, sie hat das Recht auf Gleichberechtigung, sie hat ein Recht, ebenso behandelt zu werden in der Justiz wie jeder andere. Ich weiß es Dank dem Herm Minister von Preußen, daß er uns neulich so blendend klar gelegt hat: diese Ansicht ist falsch. Der Herr Minister ist nach seiner Behauptung ja in eine Schule gegangen, wo etwas anderes gelehrt wird als sonstwo; da ist gelehrt worden: ei dao faciunt idem, nou cst idem. Dieser Grundsatz ist also für die preußische Rechtsprechung als solcher proklamirt. Nun zeigt sich hier selbst im Zivilrecht überall das Ermessen des Richters, der hier und da allenfalls die Jntereffen der Besitzenden kennen kann, nie und nimmer die Berhältniffe der Besitzlosen. Da soll daS Ermeffen des Richters von Erheblichkeit sein. Wie kann eS anders wirkm als gegen die Jntereffen des arbeitenden Volk»? Der Herr RegieruugSkommiffar sagte gegenüber dem Borwurf, daß ein zu großer Spielraum dem Ermeffm

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des Richters eingeräumt sei, man möge ihm einzelne Fälle anführen, die schädlich wirken könnten. Ich will ihm sofort einen Fall anführen — ich kann schon deshalb nicht alle Fälle anführen, da das den Vortrag gar zu weit ausdehnen würde. Bei den Kündigungs­ fristen bezüglich des Dienstvertrags — Arbeitsvertrag giebt cs ja nicht im Gesetzbuch: daß Arbeit überhaupt existirt, kann man aus dem Gesetzbuch nicht ersehen; daß Arbeits­ produkte zu existiren scheinen, sieht man aus dem Sachenrecht; aber daß Arbeit existirt — i, nein! Dienstverhältniß, Gewaltsverhältniß, der altrömische Dienstvertrag, der aus dem Gewaltverhältniß zwischen Herrn und Sklaven jener Zeit bestand. Der besteht aller­ dings: den Arbeitsvertrag suchen Sie vergeblich in dem Gesetzbuch — nun bei diesem Dienstvertrag — ich nehme an, daß darunter der Arbeitsvertrag auch mit einbegriffen werden soll — ist neu eingeführt worden, daß man auch bei vereinbarter kurzer Kündigungsfrist von etwa 14 Tagen aus wichtigen Gründen aus der Arbeit austreten und umgekehrt auch aus einem wichtigen Grunde entlassen werden könnte. Hier haben Sie dem Ermessen des Richters weiten Spielraum eingeräumt. Welcher Richter wird bei irgend einem Gesindeverhältniß, bei irgend einem Arbeitsverhältniß, bei irgend welcher anderen Arbeit im Stande sein, eine andere Stellung einzunehmen als die des sogenannten Arbeitgebers, wenn er entscheiden soll, ob ein wichtiger, ein erheblicher Grund für eine Kündigung vorliege. Also dies Ermessen des Richters — es ist nicht nur an dieser einen Stelle; ich könnte es vervielfältigen — löst sich auf in das arbitrium iodicis, das Suarez den Junkern verhieß. Daß dieses arbitrium iudicis zu Ungunsten der arbeitenden Klasse vorhanden sein wird in Preußen, hat mit deut­ licher Klarheit der preußische Herr Justizminister durch seine bekannte Rede zu erkennen gegeben. Meine Herren, ich habe mir vorhin gestattet, darauf hinzuweisen, daß durchaus nicht alle Interessentenkreise zu der Vorberathung des Entwurfs hinzugezogen seien. Id) habe mir ferner erlaubt, darauf hinzuweisen, daß eine Einheit des Rechts durch den Entwurf nicht geschaffen wird, sondern daß in ganz wesentlichen Punkten, und zwar gerade da, wo die wirthschaftlichen Verhältnisse so liegen, daß nothwendig eine einheitliche Regelung herbeigeführt werden muß, und wo sie auch leicht herbeigeführt werden kann, eine einheitliche Regelung iiid)t besteht und auch nicht eingeführt werden soll. Nun liegt es mir fern, so nahe die Bersud)ung ist, zu verlangen, daß in den innerhalb der politischen Parteien noch strittigen Theilen, wo man nicht behaupten kann, daß die wirthschaftliä)e Entwicklung den bestimmten Grad bereits erreicht habe, daß das allgemeine Rechtsbewußtsein weit genug vorgeschritten ist, — daß auch da eine einheit­ liche Regelung stattfinden solle. Ich verlange aber — und da komme ich aus die Frage, ob der vorliegende Entwurf sozial oder nicht sozial sei, — daß überall da, wo ein Recht des wirthschastlich Schwachen von allen Kreisen, mindestens von weiten Volkskreisen, bereits anerkannt wird, und wo also die wirthschastliche Entwicklung ein gemeinsames Rechtsbewußtsein bereits gezeitigt hat, der wirthschastlich Schwache geschützt werden solle, und nicht einer neuen Ausbeutungsordnung unter dem patriotischen Schein eines einheit­ lichen bürgerlichen Gesetzbuchs unterworfen wird. Ich habe mich da über eine Bemerkung des Herrn Vorredners gefreut, eine neben­ sächliche Bemerkung, von der ich glaube, daß ick) aus ihr nicht mit Unrecht herausdeduzire: es wird nicht ganz unmöglich sein, wenigstens bei den Herren, die die Auffassung des Herrn Vorredners haben, die meisten der Punkte, die ich mir gestatten werde, vorzubringen, zu beseitigen. Die politische Knechtung des Volkes ist darin gefunden, daß der Einzelne nicht selbstständig, auch nicht politisch selbstständig sein kann. Es sind aber die Gewalts­ verhältnisse, die Sklavenverhältnisse, wenn ich aus die menschlick)e Entwicklung zurücksehe, von dem Augenblick an aufgehoben worden, wo diesen Institutionen der ökonomische Unter­ grund fehlte. Von dem Augenblick an, wo unsere jetzige Wirthschaftsordnung besteht, ist kein Zweifel darüber, kann kein Zweifel über den Satz mehr bestehen: der Arbeiter muß

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frei fein, muß über feine Persönlichkeit verfügen können, wenn er über die Arbeitskraft, die er beim Arbeitsvertrag anbietet, soll verfügen können. Beim Sklaventhum ist daS Prinzip der persönlichen Freiheit undenkbar, ebenso bei uns die Einführung des Sklaven­ thums undenkbar gegenüber der wirthschastlichen Entwicklung. Würde das von einigen Mächten zeitweise versucht werden, dann würde die wirthschaftliche Entwicklung dem be­ treffenden Gewalthaber genügend zu erkennen geben, daß sie sich nicht durch juristische Zwirnsfäden in ihrem Lauf unterbinden läßt. Nun sind im Entwurf aber Bestimmungen enthalten, die die persönliche Freiheit des Arbeiters unter Umständen vollständig in einem Maße, wie es nirgend ein Kultur­ volk hat, beeinträchtigen. Deren Beseitigung muß verlangt werden. Es ist im Abschnitt Selbsthilfe in den fünf davon handelnden Paragraphen eine wunderbare Neuerung gegen­ über dem bestehenden Zustand getroffen. Der moderne Staat meint — Sachsen, Preußen, Württemberg, Oesterreich haben deshalb in ihren Gesetzen ausdrücklich Selbsthilfe ver­ boten —, daß es der modernen Entwicklung und dem Kulturfortschritt nicht entspricht, daß es hochreaktionär und staatsfeindlich sei, wenn man in einem geordneten StaatSwesen die Selbsthilfe zulaffe. Die Selbsthilfe ist zulässig und muß zulässig sein, wo noch kein geordnetes Staatswesen vorhanden ist; in dem Augenblick aber, wo ein geordnetes Staats­ wesen beginnt, kann die Selbsthilfe nicht bestehen, sie ist unvereinbar mit dem Begriff eines geordneten Gesellschaftswesens. Sie haben daher das ausdrückliche Verbot der Selbsthilfe in den meisten der bestehenden Gesetzgebungen. Der Entwurf schlägt das Gegentheil vor. Die Motive heben hier hervor, es habe einmal das preußische Ober­ tribunal jemanden, der einen Schuldner, der die Leistung, die der Gläubiger haben wollte, nicht entrichtete, einsperrte, wegen Freiheitsberaubung bestraft; dieser Zustand sei aber unerträglich; es sei juristisch konsequenter, die Selbsthilfe solchen Schuldnern gegenüber zuzulassen und die Möglichkeit einer Bestrafung des Gläubigers zu beseitigen. Im Entwurf ist nun die Selbsthilfe in einem Umfange zugelassen, daß die persönliche Freiheit des Arbeiters hierdurch geradezu ausgeschlosien wird. Es ist in § 223 wörtlich Folgendes gesagt: Wer zum Zweck der Selbsthilfe eine Sache wegnimmt, zerstört ober beschädigt oder wer zum Zweck der Selbsthilfe den Verpflichteten fest­ nimmt oder den Widerstand des Verpflichteten gegen eine Handlung, die dieser zu dulden verpflichtet ist, beseitigt, handelt nicht widerrechtlich, wenn obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne sofortige- Eingreifen die Gefahr besteht, daß die Verwirklichung des Anspruchs vereitelt ober wesentlich er­ schwert werde. Meine Herren, danach würde der Arbeitgeber, der glaubt, er habe einen Anspruch auf die Arbeitsleistung, berechtigt sein, mit Gewalt Die Freiheit deS Arbeiters zu nehmen, ihn einzusperren, ihn bei sich einzusperren. Danach würde ein Arbeitgeber die Möglichkeit haben, insbesondere wenn es für die Arbeiter nothwendig ist, einen Streik in Szene zu setzen, um ein bischen bessere Lohn- ober Arbeitsbedingungen zu erreichen, seine Fabrik zu schließen, keinen der Arbeitnehmer herauszulassen, wenn seiner Ansicht nach ein Recht auf Leistung der Arbeit besteht. Meine Herren, Sie haben hier ein Gewaltverhältniß seitens des Arbeitgebers gegenüber den Arbeitern — zufälligerweise, nehme ich an — mit hineinfließen lassen, das starrer gar nicht gedacht werden kann. Ich will meine persönliche Ueberzeugung nicht verschweigen. Die Konsequenz dieses Paragraphen ist, glaube ich, den juristischen Verfassern des Entwurfs kaum klar geworden. Ich bezweifle aber, daß den sogenannten Jnteressenvertretern, die darin waren, hat entgehen können, wie ein durch jahrhundertelangen Kampf errungenes und jetzt bereits bestehendes Recht hier ohne weiteres durch juristische Bestimmungen den Arbeiterklassen soll genommen werden können. Wie steht es denn mit der Selbsthilfe der Arbeiter? Die Selbst­ hilfe ist eingeführt scheinbar nach dem Grundsatz: gleiche- Recht für Alle. Ach ja,

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theoretisch Hingt das ja sehr nett: „gleiches Recht". Wie steht es denn aber in der Praxis? Wir haben eine Entscheidung des Reichsgerichts, die sich klar genug darüber ausläßt. Ein Arbeiter hatte an Lohn von einem Arbeitgeber 20 Mark weniger 73 Pfennig zu erhalten: der Arbeitgeber zählt den Lohn auf und sagt: hier ist das Lohn, aber ich verlange erst Herbeiholung der Krankenkassen- und Jnvaliditätskarte u. s. w. und halt seine Hand über dem Geld, das als Lohn abgezählt war. Der betreffende Arbeiter erklärt: nein, das fällt mir gar nicht ein, ich will meinen Lohn —, nimmt vom Tisch ein Zwanzigmarkstück weg, wechselt es und bringt 73 Pfennig zurück, den Rest behält er für sich als Lohn. Er nahm also eine Selbsthilfe vor, wie sie nach der An­ nahme des Entwurfs durchaus berechtigt sein müßte und die überdies die persönliche Freiheit irgend jemandes oder überhaupt das Recht irgend jemandes nicht lädirte, er schädigte keinen, er behielt sich ja nur die 20 Mark weniger 73 Pfennig zurück und so viel stand ihm an Lohn zu. Was geschah mit dem Arbeiter ? Er wurde wegen Dieb­ stahls zu 6 Monaten Gefängniß verurtheilt! (Hört! hört! links.) Und was geschieht nach der Annahme des Entwurfs mit dem Arbeiter? — genau das­ selbe; denn genau so, wie das Reichsgericht jetzt gesagt hat : er hat ja nicht aus die 20 Mark ein Recht gehabt, sondern nur auf 20 Mark weniger 73 Pfennig, also er hat kein Recht gehabt, die 20 Mark wegzunehmen und für sich umzuwechseln — und eine gewinnsüchtige Absicht ist nicht nothwendig zum Diebstahl — genau so würde nachher deduzirt werden müssen. Der Arbeiter, der glaubt, das Recht zu haben, sich wenigstens seinen Lohn zu nehmen, würde nach wie vor mit harter Gefängnißstrafe belegt werden, und der Arbeitgeber, der den Arbeiter einsperrt, einsperrt, wie man Sklaven, wie man Bieh einsperren kann, (Rufe: oh!) müßte straflos bleiben. 9?ein, meine Herren, wenn diese Folge wirklich beabsichtigt worden ist — mir soll es recht fein; dann hoffe ich auch, daß seitens der Regierung auch er­ klärt wird, daß diese Konsequenz beabsichtigt war. Wir haben aber in dem Entwurf noch weitere erhebliche Angriffe gegen die per­ sönliche Freiheit des Arbeiters. Ich darf vorausschicken, daß die persönliche Freiheit des Arbeiters für diesen unumgänglich nothwendig ist. Ich glaube, niemandem, der sich mit der Wirthschaftsgeschichte, mit Nationalökonomie oder mit dem Rechtsleben in der Art beschäftigt, daß er die Punkte betrachtet, die wirthschaftlicher Natur sind, und über deren Voraussetzungen und Folgen nachdenkt, ist dies heute unbekannt. Die persönliche Frei­ heit deS Arbeiters ist in unseren wirtschaftlichen Produktionsverhältnissen absolut noth­ wendig — das kann heute nicht mehr streitig sein. Ich will aber darauf verweisen — gerade weil vorhin vom deutschen Recht so vielerlei die Rede war —, daß das deutsche Recht längst diesen Grundsatz und als Folge der wirthschastlichen Entwicklung anerkannt hat. Das deutsche Recht hat bereits im Sachsenspiegel ausdrücklich auf die Frage, ob es möglich sein könne, daß jemand sich lebenslänglich verdinge, die klare Antwort zum zweiten Buch Kap. 33 durch die Glosse gegeben: nein, denn wenn einer sich lebens­ länglich verdingen könne, so wäre er eben nicht frei; „wenn so dies wäre, so wäre einem seine Freiheit unnütz", heißt es da. Meine Herren, es ist allgemeines Prinzip, daß zu lebenslänglichem Dienst sich niemand verpflichten dürfe, seitdem die Hörigkeit, die Leib­ eigenschaft, aufgehoben ist, seitdem es nothwendig ist, daß über die Waare „Arbeitskraft" der Arbeiter verfügen und zu diesem Zweck frei sein müsse in der Verfügung über diese seine Waare — das Charakteristische der heutigen Produktionsweise ist ja, daß der Arbeiter seine Waare „Arbeitskraft" für das Gewerbe eines anderen verkauft. Man nimmt in der jetzt bestehenden Rechtsprechung ja auch allgemein an: lebenslängliche Ver­ träge sind ungiltig, denn sie verstoßen gegen die öffentliche Ordnung. Nun, meine Herren, ich bitte Sie als Sozialdemokrat, diese öffentliche Ord-

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nung nicht umzustoßen, sondern sich energisch zu wehren gegen die Zumuthung, die der jetzige Entwurf enthält, unter Umständen lebensläng­ liche Verträge zuzulassen und dadurch ein KnechtschaftS- und HörigkeitSverhätniß zu Gunsten der Großgrundbesitzer zu schaffen, das noch schlimmer ist als das Gesinderecht. Es ist nämlich vorher von dem Herrn RegierungSkommiffar schon erwähnt, es sei ja besonders sozial hoch anzuschlagen, daß bei dem Titel Dienst­ vertrag eine Bestimmung getroffen ist, die die LebenSlänglichkeit solcher Verträge nicht zulaffe, er gebe aber zu, der Schlußsatz sei allerdings etwas anders lautend. So­ weit ich habe verstehen können, will der Herr auch besonderen Werth auf diesen Schluß­ satz nicht legen — darüber wäre ich erfreut. Nun, meine Herren, die Sache ist so, daß in dem uns jetzt vorliegenden Gesetzentwurf nicht ausgeschloffen ist die LebenSlänglichkeit für den Fall, daß nach dem Vertrag die Dienstleistungen durch einen anderen vorgenommen werden dürfen. Praktisch würde sich die Sache also z. B. so gestalten: jemand, ein Gutsbesitzer z. B., will die Arbeitskraft eines Arbeiters für sich arbeiten laffen, er will sich billige Arbeitskräfte z. B. durch Ansiedlung verschaffen; dann schließt er einen AnsiedlungSvertrag mit dem Arbeiter, in dem Vertrag übernimmt der Arbeiter die lebenslängliche Verpflichtung zu persönlichen Diensten, zu Arbeitsdiensten. Dieser Vertrag wäre gütig nach dem Entwurf, sobald die Bestimmung im Vertrag aufgenommen wird: es steht dem Arbeiter frei, seine Dienstleistungen durch einen anderen verrichten zu lasten. So würde nach diesem als sozialpolitisch geschilderten Zusatze der Ansiedler, der Arbeiter, Zeit seines Lebens an ben Vertrag, an die Scholle gebunden sein und dem Gutsbesitzer billige Arbeitskraft gewährleistet sein. Denn ei sagt unS ausdrücklich das Gesetz: daS ist zugelaffen, diese Art lebenslänglicher Verträge will ich gestatten. Es würde auch nichts daran geändert werden, wenn eS mit Aenderung der Klausel hieße, daß Verträge gütig sein sollen, die die LebenSlänglichkeit gestatten, wenn solche Dienste durch andere geleistet werden können — statt „dürfen", wie eS jetzt heißt. Im Gegentheil, daS wäre noch eine Verschärfung. Und, meine Herren, wiederum: kein Ge­ setzbuch der bestehenden Kulturstaaten enthält eine ähnliche ungeheuerliche Bestimmung. Nein, meine Herren, weitergehend: der Kongostaat hat im Jahre 1888 im Interesse der Abschaffung der Sklaverei eine derartige Klausel nicht für zulässig erklärt, sondern lebens­ längliche Verträge unter allen Umständen für ungütig erklärt. Und Sie wundern sich, wenn ich Ihnen entgegenruft: Sie schaffen ein besonderes Klaffenrecht, ein Sklavenrecht gegen die Arbeiter. In dem einen Fall, wo plötzlich LebenSlänglichkeit von Dienstverträgm zugelaffen wird, liegt eS doch aber auf der Hand. Will man daS Sozial­ politik nennen? Wenn, wie vorhin geschehen, zur Entkräftung des BorwursS eines Mangels an Sozialpolitik auf diese Bestimmung hingewiesen werden darf, meine Herren, dann hieße Sozialpolitik treiben: den Starken stärken, die Ausbeutung noch mehr be­ fördern und dem Schwachen die Rechte nehmen, ihn politisch und rechtlich möglichst rechtlos machen. Nein, meine Herren, ich hoffe, daß solche Bestimmungen in der Kom­ mission herausfliegen werden, daß diese ganze Bestimmung herausfliegen wird, die als ganz besonders gegen die guten Sitten verstoßend, gegen daS persönliche Recht des Ar­ beiters, gegen die öffentliche Ordnung verstoßend zu erachten ist. Die erste Lesung hatte 10 Jahre als Maximalftnst eines Dienstvertrags angenommen. Sie hatte aber den bösen Zusatz der zweiten Lesung nicht, der lebenslängliche Verträge zuläßt. Der Zusatz ist in der zweiten Lesung hineingekommen; und der Herr Staatssekretär mag sich fragen, ob es möglich gewesen wäre, solch einen, die Arbeiterklasse geradezu verhöhnenden Zusatz in ein Gesetz hineinzubringen, wenn auch nur einer der organisirten Arbeiterschaft zu der Berathung mindestens über den sogenannten Dienstvertrag zugezogen wäre. Meine Herren, daS Selbsthilferecht ist in besonders starker Weise gesichert der be­ sitzenden Bevölkerung, soweit ihr Besitz sich aus Grundstücke oder auf Häuser bezieht. Auch bezüglich des MiethS- und Pachtvertrags hat ja der Herr Regierungsvertreter eben

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erwähnt, daß gerade in Mieth- und Pachtverhältnissen die Spur sozialer Wirkungen außerordentlich sich zeige. Er hat da auch die Beschränkung des Pfandrechts hervor­ gehoben. Ich gebe dem Herrn zu, daß, wenn er preußische Verhältnisse, abgesehen von Hannover, im Auge hatte, ein Fortschritt bezüglich des Pfandrechts gegenüber der jetzigen Gestaltung des Pfand- und Retentionsrechts in Preußen im Entwurf enthalten ist. Ich will auch nicht auf die Einzelheiten des Pfand- und Retentionsrechts Bezug nehmen. Aber ich hebe hervor, daß Württemberg und Hannover heute kein Pfand- und Retentions­ recht, mindestens nach ihrer Hauptjudikatur, kennen. Und ich frage weiter: wie kommt der Vermiether, wie kommt der Verpächter dazu, daß sie überhaupt diese besondere Art der Selbsthilfe, die ohne jeden wissenschaftlichen Grund hier doch im Prinzip im Entwurf beibehalten ist, — wie kommt es, daß der Vermiether und Verpächter das Recht des Pfandes, der Retention, einen Vorzug vor anderen Gläubigern haben soll, daß ihm diese schwere Benachtheiligung des wirthschaftlich Schwächeren, des Miethers, bleiben soll ? Meine Herren, es ist das ein Recht, das bereits in römischer Zeit entstanden ist, das aber nur gegeben ist zu Gunsten der Großgrundbesitzerklasse, das nachher aus Rom »bei­ tragen wurde, hier und da auch verschwand, das wir int Mittelalter nicht vorfinden — ich glaube, ausschließlich in Paris und in einigen Städten findet es sich im 16. Jahr­ hundert —, das wunderbare Pfandrecht des Bermiethers und Verpächters sehen wir wieder aufblühen etwa im 18. Jahrhundert. Man ist allerdings bestrebt, zu sagen: das Pfandrecht des Verpächters ist ja uralt, das kommt im alten Deutschland schon vor. O nein, meine Herren, das ist nicht wahr! Im alten Deutschland mußte sich der Hinter­ sasse, der Lehnsmann, allerdings gefallen lassen, daß alles das, was er eingebracht hatte, selbst seine Person, dem Lehnsherrn unterworfen war; aber sobald die Gewaltverhältverhältnisse aufgehört hatten, sobald die Gerichtsbarkeit des Lehnsherrn, des Gewalthabers fiel, sobald wir eine andere politische Ordnung vorfanden, liegt nicht der geringste wirthschaftliche Grund vor, weshalb der Vermiether und der Pächter das Pfandrecht weiter behalten sollen. Und in Deutschland hat das Pfandrecht auch bis zur Aufnahme des römischen Rechts, wie gesagt, nicht als Ausfluß des Eigenthumsrechts, des Bertrags­ rechts, sondern lediglich als Folge des Unterthänigkeitsverhältnisses bestanden. Ich würde in der Kommission darauf dringen, daß das Pfandrecht überhaupt beseitigt wird. Allein dies entspräche den berechtigten Forderungen. Nun meint der Herr Regierungsvertreter, es sei jetzt nach dem Reichsgesetzentwurs nur auszudehnen auf die nicht pfändbaren Gegenstände. Ich erkenne gern an, daß dies im Gesetzbuch bezüglich der Hausbesitzer steht, nicht aber bezüglich der Verpächter. Ich will nicht auf die juristische Kontroverse eingehen, ob heute nach bestehendem Reichs­ recht in Folge der Bestimmungen des 8 715 der Zivilprozeßordnung das Pfand- und Retentionsrecht des Bermiethers sich weiter erstreckt als auf die der Pfändung unterliegenden Sachen; aber hervorheben darf ich, daß ziemlich alle Staaten mit Ausnahme Preußens — Preußen ist erst zur Beschränkung des Retentionsrechts durch die Ver­ handlungen im Reichstag vor 2 Jahren allmählich gedrängt worden — die Beschränkung auch gegenüber dem Verpächter haben. Gerade von unserer Seite ist auch anerkannt worden, daß es eigentlich ein Wuchervorrecht schlimmster Art sei, daS irgend einem Gläubiger gestattet, dem Schuldner unentbehrliche Gegenstände zu entziehen, während er sie selbst thatsächlich kaum gebrauchen kann. Dem Verpächter wahrt die preußische Recht­ sprechung, auch der vorliegende Gesetzentwurf, das Wuchervorrecht, auch das Unentbehr­ lichste, das Letzte zu nehmen, wenn der kleine Mann, den das Gesetz angeblich schützen will, die Miethe nicht vollständig zahlen kann. Ich bin für eine Erweiterung der Wuchergesetzgebung, die auch theilweise in das bürgerliche Gesetzbuch hineingezogen ist : aber in allererster Linie bin ich dafür, daß dies Sondervorrecht auf dem Gebiet des Wuchers, das die Agrarier für sich in Anspruch nehmen, dem Armen seiner Miethsschulden wegen das wenige Unentbehrliche, was § 715 der Zivilprozeßordnung als solches

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bezeichnet, zu nehmen, gestrichen werden soll. ES erscheint geradezu unglaublich, daß im Reichstag auf diese Bestimmung hingewiesen werden darf, um darzulegen, daß sozial­ politische Gesichtspunkte nicht ferngelegen haben! (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Nein, meine Herren, Sozialpolitik ist es nicht, das Wucherrecht, das Ausbeutungsrecht des wirthschaftlich Starken zu stärken! Nein, Sozialpolitik ist es im Gegentheil, dem wirthschaftlich Aermeren entgegenzukommen und eine Anwendung von Rechten, die un­ menschlich ist, die sozusagen gegen die gute Sitte geht, zu untersagen und nicht zuzulassen. Wenn Sie in sozialpolitischer Hinsicht im Gesetzentwurf auch nur auf der Hälfte der Bahn stehen würden, die in der Encyklika des Papstes von 1891, die in den Februarerlafsen des Kaisers von 1890, die in der Botschaft von 1881 des verstorbenen Kaisers vor­ gezeichnet ist, so wäre es gar nicht denkbar, daß in Gegenwart von zwei Großgrund­ besitzern eine derartige Bestimmung Aufnahme gefunden hätte. Die Räthe der Scham hätte ihnen ins Gesicht steigen sollen, als ihrer Klasse durch diese Bestimmung gesagt wurde: das Wuchervorrecht wollen wir euch weiter geben. Das sind keine BerbefferungSvorschläge, sondern das sind die denkbar schlimmsten Bestimmungen, die getroffen werden können, wenn ein Zustand aufrecht erhalten wird, den alle, die nur ein klein BiSchen sozialpolitisches Verständniß haben, für einen verderblichen, für einen ungerechtfertigten, für einen abscheulichen halten müssen. Meine Herren, bezüglich des Miethsrechts verlange ich ferner, daß mehr Be­ stimmungen zwingender Natur hineinkommen, daß die wirthschaftlich Schwachen durch zwingende Rechtsnormen, durch solche, die nicht durch Bertragsvereinbarungen geändert werden können, mehr geschützt werden, als es durch den Entwurf geschieht. Ich danke dem Herrn Regierungskommiffar, daß er auf eine Verbesserung hingewiesen hat, die der jetzige Entwurf gegenüber dem ersten enthält, insoweit er sich mit der Frage der Be­ schaffenheit der Wohnungen beschäftigt und dort ausdrücklich sagt, daß unter Umständen — aber nur unter Umständen — daS Recht des Miethers nicht ausgeschloffen werden darf, wegen ungesunder, wegen unbrauchbarer Wohnung fortzuziehen. Ich habe an fich solche Bestimmungen nicht für nöthig erachtet gegenüber der ganz allgemeinen RechtSanschauung, daß, wenn ich etwas zum Wohnen miethe, es nach Treu und Glauben eben bewohnbar sein muß. Ich danke aber dafür, daß diese Bestimmung in daS Gesetzbuch hineingekommen ist, weil ich nie wissen kann, wie, wenn nicht ausdrücklich diese Be­ stimmung gegeben wäre, der Richter urtheilt, der nach dem Terenzschen Spottgedicht: „si duo fociunt idem, non est idem“ zu entscheiden hat. Meine Herren, nun ist aber von dem Herrn Regierungskommiffar vorhin ver­ schwiegen worden — nicht verschwiegen, aber nicht angeführt worden —, daß eS heißt in dem Paragraph, der die zwingende Natur des Ausschlusses solcher Vereinbarungen aufstellt, im § 533, — und da bitte ich, auf den Nachsatz zu achten —: Eine Vereinbarung, durch welche die Verpflichtung des Bermiethers £tir Ver­ tretung von Mängeln der vermietheten Sache erlaffen oder beschränkt wird, ist nichtig, wenn der Vermiether den Mangel arglistig verschweigt. Ich meine, das geht nicht weit genug; ich will nicht nur den arglistigen Vermiether treffen, ich will jeden Vermiether treffen. Ich meine, aus Treu und Glauben, aus der Bertragsregel, daß Treu und Glauben gemäß zu interpretiren ist, folgt ohne weiteres, daß, wenn ich eine Wohnung genommen habe, sie auch bewohnbar sein muß. Ich glaube, daß ich hier bei der Kommission oder bei den Regierungen auf viel Widerstand stoßen werde, wenn ich versuchen werde, das etwas weiter auszudehnen und klarzustellen, so klarzustellen, daß man nicht auf diese Kontroverse kommen kann, die entstanden ist, und die ich mir eben gestattet habe in einer sozialpolitisch ungünstigen Weise zu entscheiden. Ich gebe aber gern zu, es läßt sich schon auS dem bestehenden Gesetzbuch, wie ich mir vorhin bereit- gestattete anzuführen, möglicherweise daS Gegentheil herausdeduziren, es Stenographische Berichte. B.®JB.

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ließe sich daraus deduziren, daß alle Fälle getroffen sind; klarer aber sollte das Gesetz darin sein. Ich verlange weiter, daß zwingende Bestimmungen vor allem beim Miethsvertrag aufgenommen werden, auch eine Bestimmung, welche eine Kontrole der Bewohnbarkeit sichert, ferner eine Bestimmung, welche ganz allgemein die kaffatorische Klausel ausschließt, die heute seitens der Bermiether in großen Städten, und auch schon in den kleineren Städten, getroffen wird. Während hier im Gesetzbuch mit Recht angenommen wird: der Miether hat nachher den Zins zu zahlen —, ebenso: der Bermiether hat noch nicht das Recht der Exmission, wenn einmal ein Zins noch nicht bezahlt ist —, giebt es in Berlin kaum einen Hausbesitzer, der andere Verträge abschließt als die vereinbaren: es muß im voraus bezahlt werden, und wenn nicht ganz pünktlich bezahlt ist, kann sofort exmittirt werden —, und ferner, daß für die ganze Zeit der Miethsdauer der Schuldner dem Gläubiger verhaftet bleibt. Meine Herren, das ist eine wucherliche Ausbeutung der Lage des Wohnungs­ miethers. Ich meine, es sollte nach dieser Richtung hin sich das Gesetzbuch nicht damit begnügen, daß es zeigt, es steht nicht auf diesem Standpunkt an sich, da es ja für die Fälle, wo Vertragsverabredungen nicht beschlossen sind, andere Bestimmungen haben will als diese Ungeheuerlichkeiten, die so weit gehen, daß jemand exmittirt werden kann, schon allein deswegen, weil ein Kind einmal laut geschrieen hat. Ich glaube, die Herren, die in großen Städten als Richter fungirt haben, die derartige Prozesse zu entscheiden gehabt haben, werden mir beistimmen, daß eine ganze Anzahl — nicht alle — Haus­ besitzer geradezu brutal bezüglich der Einführung und Ausnutzung solcher Vertrags­ bestimmungen vorgeht. Ich meine, man muß hier schützen dadurch, daß man zwingend die Normen macht, die sich auf die Räumungs- und Zahlungsmodalitäten beziehen, Normen also, die nicht durch Verträge geändert werden können. Nun lassen sich ja in einer Plenarrede selbstverständlich nicht alle einzelnen Rechtsverhältniffe durchgehen. Ich habe Ihnen diese Punkte angeführt, um zu zeigen, wie nothwendig eine Kommissionsberathung ist, und daß es möglich ist, diesen kleinen Wünschen Rechnung zu tragen. Die größten gravamina habe ich natürlich bezüglich des Arbeitsvertrags. Den Ausdruck „Arbeitsvertrag" kennt der Entwurf nicht, er spricht tmii einem „Dienstvertrag" und von einem „Werkvertrag". Mit einer Aenderung des Namens würde mir ja wenig gedient sein. Denn es ist ein Dienstvertrag, wenn seine Bestimmungen so sind, daß der Inhalt ein unterwürfiges, ein Dienstverhältniß aufweist, und es wird dadurch noch kein Arbeitsvertrag, wenn man dem Kind einen anderen Namen giebt, dem Inhalt aber die Dienstnatur läßt. Aber es ist bezeichnend, daß man auch nicht den Versuch einer Definition im Entwurf gemacht hat. Gerade auf dem Gebiet, wo die wirthschaftliche Entwicklung vorwärts gegangen ist, wo römisch- oder deutschrechtliche Grundsätze über­ haupt nicht mehr zur Anwendung kommen können, hätte der Entwurf zeigen sollen, ob er etwas leisten kann. Es ist bezeichnend, daß hier im Entwurf der Mensch, der seine Arbeit hingiebt, genau so behandelt wird wie ein Stück Waare, das man kauft und verkauft. Der Träger der Arbeitskraft wird ebenso behandelt als irgend ein anderes Stück Waare, und es wird absolut nicht hinreichende Rücksicht darauf genommen, daß derjenige, der seine Arbeitskraft verkauft von allen anderen Waarensorten sich doch dadurch unterscheidet, daß er seine Waare „Arbeitskraft" von seinem Körper nicht lösen kann. Das ist der schärfste Vorwurf, den ich dem Entwurf zu machen habe. Ich zweifle keinen Augen­ blick, daß die Herren von der Regierung zugeben werden: wenn die wirthschaftliche Entwicklung jetzt so weit gegangen ist, daß wir klar unterscheiden können den Arbeitsvertrag von den Merkmalen, die das frühere Sklaventhum hatte, so ist es auch möglich hier ins Gesetzbuch den Arbeitsvertrag der modernen Entwicklung entsprechend aufzunehmen. Das ist unter­ blieben; aber es ist auch hier dem Partikularismus wiederum sperrangelweit Thür und

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Thor geöffnet. Es ist in dem Einführungsgesetz darauf verwiesen, daß die Gewerbe­ ordnung, daß das Handelsgesetzbuch bezüglich der Gehilfen und der Lehrlinge, daß die JeemannSordnung bezüglich der Seeleute, daß da- neulich verabschiedete BiunmschifffohrtSgefetz bezüglich der Binneufchifffahrer die einzelnen reichsgesetzlichen Bestimmungen enthält und diese aufrecht erhalten werden sollen, und aus dem Ganzen eine Einheitlichkeit sich ergeben würde. Meine Herren, je mehr Sie Gesetze machen, an je verschiedeneren Stellen die Gesetze stehen, desto schwieriger ist die Uebersicht. Die Gewerbeordnung nimmt z. B. in § 123 in dem letzten Absatz Bezug auf die Bestimmung der LandeSgefetze für den Fall, daß in Folge einer Arbeitsunfähigkeit die Kündigung des ArbeitSverhältnisieS eintritt. Es heißt ausdrücklich: ob Schadenersatzansprüche daraus folgen oder nicht, das bestimmt sich nach den allgemeinen Landesgesetzen. Es ist mir nicht klar, wie sich die Herren das eigentlich gedacht haben. Das jetzige Verhältniß wird im Einführungsgesetz ausdrücklich aufrecht erhalten. Die betreffende Bestimmung der Gewerbe­ ordnung, die den Landesgesetzen die Regelung überweist, ist doch, wenn in dem bürger­ lichen Gesetzbuch für soche Fälle eine Regelung getroffen wird, ein Lapsus, der nicht vorkommen kann, und der vermieden wird, wenn Sie ein einheitliches Arbeiterrecht hinein­ bringen. Also, meine Herren, wenn Sie ein einheitliches Arbeitervertragsrecht in das bürgerliche Gesetzbuch hineinschaffen wollen, so halte ich es nicht für so schwierig, auf einem Gebiet, wo wirthschaftlich alles so klar liegt, auch klar die Rechte der Arbeiter auszusprechen. Wenn Sie die Rechte und Pflichten, wie sie augenblicklich bestehen, voll hineinnehmen in das Gesetzbuch, dann könnte man von einer Einheit, durch die auch die Arbeiter getroffen sind, vielleicht reden. Ich meine also, daß alle Verträge, Lohn-, Dienst- oder Arbeitsverträge, durch welche jemand feine Arbeitskraft, mag sie geistige, mag sie körperliche fein, für eine bestimmte Zeit einem anderen gegen eine bestimmte Zahlung oder Vergütung überläßt, — daß Sie diese ganze Reihe der Arbeitsverträge hier vollständig regeln müssen, wenn Sie den Anspruch erheben wollen, sozialpolitisches Del in die Paragraphen dieses Gesetzes hineingegossen zu haben. (Zuruf links.) — Das ist nicht geschehen, Herr Abgeordneter Dr. Enneccerus, sondern es sind aus­ drücklich hier die Bestimmungen der Gewerbeordnung aufrecht erhalten, und Sie werden mir weiter gestatt«, darzulegen, daß es von Paragraph zu Paragraph für einen Arbeits­ vertrag an einheitlich« Bestimmungen fehlt. Wenn der Arbeitsvertrag einheitlich ge­ regelt wäre — das konnte der Herr Abgeordnete Dr. Enneccerus als Jurist sich selber sagen —, so wäre der Vorbehalt — das werden Sie auch im Einführungsgesetz ge­ sund« hab« —, daß das Gesinderecht aufrecht erhalten bleiben soll, abgesehen von einig« ganz gleichgiltig« Bestimmungen, nicht denkbar der Vorbehalt, der bezüglich der Bergwerksarbeiter gemacht ist. Sie hab« den Di«stvertrag geregelt, ohne zu sag«, was als solcher behandelt werden soll. In dem Augenblick, wo Sie an die Regelung dieser Berhältniffe herangehen, müssen Sie dem Arbeiter diese- Recht einheitlich geb«. Der allgemeine Theil des Gesetzbuchs, der auch von den Verstoßen gegen die gute Sitte, die öffentliche Crbnung u. s. w. spricht, müßte mit größerer D«tlichkeit imb Klarheit hervorgehen, daß er auch aus alle anderen Arbeitsverhältniffe paßt und nicht nur gemeint ist in beschränktem Umfang für das Gesinde, zumal man ja nicht weiß, was Gesinde ist. Und dann, meine Herren, in den Motiven wird erläutert : was Gesinde ist — also die Definition dessen, was Gesinde — soll überlassen bleiben den LandeSgesetzcn. Nun, meine Herren, wenn ein Gesetzgeber sagt: was ich unter Dienstvertrag verstehe, schreibe ich nicht in das Reichsgesetz hinein —, wenn in den Mottven aber steht: was unter Gesinde verstand« werden soll, kann jedes Partikularrecht bestimmen —, so würde der Partikularstaat das Recht haben, eine Reihe gewerblicher Arbeiter hineinzuziehm in das Gesindeverhältniß; und daS ist meines Erachtens der offmbare Zweck gewes«, den die Herr«, die die erste Ausarbeitung gemacht hab«, verfolgt haben.

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Erste Berathung de- Entwurf- eine- Bürgerlichen Gesetzbuchs.

Wie steht es heute? Sie haben beim Unfallversicherungsgesetze ganz ähnlichen Anschauungen Raum gegeben, als Sie in Ihrem Kommissionsbericht gesprochen haben von den gewerblichen Arbeitern und dem „sonstigen Gesinde". Es giebt Leute, die als Arbeitgeber fungiren, zum übergroßen Theil auf dem Lande als solche fungiren, die jeden Arbeiter als Gesinde erachten, die die sämmtlichen ländlichen Arbeiter als Gesinde erachten wollen. Dieser Theil der Arbeiterschaft also ist der Regelung durch Reichsgesetz nicht theilhaftig geworden. Wir bekommen durch die Unfallversicherungs­ gesetzgebung, durch die Krankenkassengesetzgebung täglich gälte zu sehen, in denen die wirthschaftliche Entwicklung dahin gedrängt hat, daß gewisie Kreise aus dem Gesindeverhältniß ausscheiden und ihnen trotzdem die vollen Rechte der gewerblichen Arbeiter in Folge unserer Rechtsprechung nicht gegeben werden. Ich erinnere an den Fall: es wird in der Frankfurt n. M. Gesindeordnung, in verschiedenen mecklenburgischen und anderen norddeutschen Gesindeordnungen der Kellner bis in das 7. Jahrzehnt dieses Jahr­ hunderts hinein unter dem Gesinde ausgezählt; heute gehört er zweifellos zu den gewerb­ lichen Arbeitern. Es gehört aber auch die Magd, die als Magd angenommen worden ist, aber hie und da den Gästen Speisen zuträgt, soweit sie die letztere Verrichtung besorgt, zu den gewerblichen Gehilfen und nicht zum Gesinde, ist versicherungspflichtig — und dennoch, meine Herren, untersteht sie der Gesindeordnung und nicht der Gewerbe­ ordnung. Ich will auf diese Materie nicht zu weit eingehen; wir werden uns in der Kommission darüber auszusprechen haben. Es ist zweifellos, daß das Gesinderecht ver­ altet ist, daß es das Rudiment ist einer veralteten Rechtsanschauung, die auf einem Gewaltverhältniß beruht: und es wird sich zeigen, ob Sie jenen, die versuchen, neue Gewaltherrlichkeiten sich zu erobern, die sich die Möglichkeit geben lassen wollen, in ihren reaktionären Partikularstaaten Gesetze über das Gesinde hieraus gegen den gewerblichen Arbeiter, gegen alle Klassen der Arbeiter zu schmieden, — ob Sie diesen zustimmen wollen oder nicht. Ich muß dabei allerdings zugeben, daß jener Satz aus den Motiven, nachdem Sie die Definition, was Gesinde sein soll, den Partikularstaaten überlassen wollen, nicht in das Gesetz aufgenommen worden ist, aber nach der Kunst der Inter­ pretationen, die wir kennen, in das Gesetz hineingebracht werden würde. Es sind eine Menge von Fragen auf dem Gebiet des Arbeitervertragsrechts, die streitig geworden sind, wo die Gewerbegerichte mit den Gelehrtengerichten im Widerspruch stehen. Rach allen diesen Richtungen, die ich im Plenum nicht vortragen will, wird es nothwendig sein, eine definitive Klärung zu schaffen und das Arbeiterrecht auszugestalten, das Recht des Arbeitsvertrags voll und ganz zu regeln, nicht so, wie man in Rom unter dem Sklaven­ thum es that, sondern wie das der wirthschaftlichen Produktion und den wirthschaftlichen Verhältnissen, die freie Arbeiter verlangen, entspricht. Ich will nur darauf hinweisen, daß beim Schadensersatz mir nicht richtig geregelt scheint die Frage der Verantwortlichkeit der Beamten; z. B. ist nirgend ausgesprochen im Gesetz, daß die Rechtsansprüche, die aus dem bürgerlichen Gesetzbuch folgen, unter allen Umständen lediglich vor die ordentlichen Gerichte gehören. Das wäre gerade bei Beamten von großer Wichtigkeit, von wem sie abgeurtheilt werden. Man wird den Grundsatz aussprechen müssen, daß der Beamte dasselbe Verantwortlichkeitsgefühl auch bezüglich seines Geldbeutels haben muß, wie ein Kutscher, der seine Berufspflicht auch nur fahrlässig vernachlässigt. Es wird nöthig sein, daß dieser Rechtsgrundsatz vom Schadensersatz allen Menschen gegenüber gelten soll, daß, wer auch nur fahrlässig einem andern einen Schaden zufügt, wer z. B. einen andern fahrlässig überfahren hat, — daß dieser Rechtsgrundsatz auch endlich den Arbeitern wiedergegeben werde. In § 95 des Unfallversicherungsgesetzes ist dieser Rechtsgrundsatz dem Arbeiter genommen. Er hat heute kein Recht auf Schadensersatz, außer, wenn er absichtlich in eine Gefahr gekommen ist. Ich meine, Sie müssen den alten Rechtsgrundsatz bei dieser Gelegenheit wieder ein-

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führen, daß der Arbeiter das Recht haben soll, auch da, wo chm aus Fahrlässigkeit ein Schade zugefügt ist seitens des Arbeitgeber-, denselben Schadensersatzanspruch zu erheben, wie jeder andere Bürger in allen anderen Verhältnissen. Der § 95 des Unfallversicherungsgesetzes ist, soweit ich das Einführungsgesetz habe verstehen können, aufrecht erhalten. Ist das richtig, so würde damit ein weiteres AuSnahmerecht gegeben sein, in dem steht, daß der deutsche gewerbliche Arbeiter gegenüber allen anderen Rechtssystemen irgend eines Kulturstaats als Ausnahme dasteht. Dieses Ausnahmerecht würde dann weiter sanktionirt werden, und es würde eine Unmöglichkeit sein, dem Entwurf zuzustimmen, wenn er derartige Ungleichheiten enthielte. Bezüglich der sozialen Natur mache ich auf einen Punkt, der sich beim Darlehen findet, aufmerksam. Ich gehe nicht ein auf die Fragedes Zinsmaximums — ich bin anderer Ansicht als Herr Rintelen —, aber ich meine: es muß weite Kreise verstimmen, wenn sie das Wuchergesetz sehen, das ja zu erweitern sein wird, und wenn sie gleichzeitig aufrechterhalten finden, daß bei Darlehen von kleineren Beträgen öffentliche Leihhäuser so viel fordern können, als sie wollen, sogar bis zu 24 Prozent. So nehmen die öffentlichen Leihhäuser in Hamburg, Breslau, München, Frankfurt a. M., Danzig, Straßburg, Chemnitz, Dortmund, Posen, Mainz, Görlitz, Würzburg 12 Prozent, Nürnberg und Augs­ burg 10, Altona 24, Halle 24, Köln 15 bis 24 Prozent. Preußengestattet ja durch Sonder­ gesetz Anstalten bis 24 Prozent Zinsen zu nehmen. Das ist die Ausbeutung des Armen, wie sie nicht aufrecht erhalten werden darf, wenn Sie nicht den Wucher direkt begünstigen wollen. Ich meine: es ist deswegen an der Zeit, diese Bestimmungen der Einzelstaaten, die erlauben, daß einem Armen gegenüber, der kein Darlehen von 30 000 Mark, sondern nur von 30 Mark aufnehmen kann, bis 24 Prozent genommen werden darf, aufzuheben. Auf das Familien- und Eherecht werde ich nicht weiter eingehen; ich denke, da­ wird mein Freund Frohme thun. Ich will nur kurz darauf Hinweisen, daß die Stellung der Frau im bürgerlichen Gesetzbuch nach mehrfacher Rücksicht hin eine unterdrückte ist, einmal als wirthschaftlich Schwache, und dann, daß der Herr der Schöpfung ihr gegen­ über sich erlaubt hat, sie besonders zu benachtheiligen, rechtlich schlecht hinzustellen. Ich habe übrigens nicht gehört, welche Frau oder welches Fräulein der Kommission, in der ja alle Jntereffen vertreten sein sollten, angehört hat. Ich meine, man sollte nicht darüber lachen, daß wir gerade gegenüber der Menschenhälfte, die hier noch keine Ver­ tretung hat, mindestens verlangen daS gleiche Recht, welches der Mann hat. Ich will mir noch gestatten, bezüglich der unehelichen Kinder auf einige Punkte aufmerksam zu machen, die meine- Erachtens wiederum zeigen, welche sozialpolitische Fürsicht die Herren, die den jetzigen reaktionären Entwurf uns vorgelegt haben, geleitet hat, die da glaubten, man könnte hier das Ansinnen stellen, Holter die Polter einem solchen Entwurf zuzustimmen. Ich bedaure lebhaft, daß der Ungerechtigkeitsgedanke, der Machtgedanke den, der sich als Herr der Schöpfung weiß, bestimmt haben mag, die voll­ kommen unzulängliche Gesetzgebung bezüglich der unehelichen Kinder uns hier darzureichen. Ich gebe zu, die zweite Lesung hat ja etwas besseres geschaffen als die erste. Bei der ersten haben die Motive ausdrücklich dargelegt, daß sie messen die Frage, was der Erzeuger eines unehelichen KindeS zu leisten habe, lediglich vom Standpunkt des Erzeugers aus. So weist jener Motivenverfasser zurück die Forderung, daß nach dem Stand des Mannes der Unterhalt des unehelichen Kindes bemessen werden soll, etwa mit der Erwägung: das könnte ja den Mann zu sehr belasten. Ich meine, wir haben auf die Belastung des Mannes, der Erzeuger geworden, keinerlei Rücksicht zu nehmen; wir haben lediglich dem Kinde das zu geben, was ihm gebührt aus der Thatsache heraus, daß der Erzeuger Erzeuger gewesen ist oder es hätte sein können. „Es hätte sein können", — in den Fällen giebt ja das sächsische Recht und einige andere die volle Unter­ haltungspflicht dem unehelichen fitnbe mit dem Recht, unter denjenigen, die möglicherweise hätten Erzeuger sein können, zu springen. Dieses vernünftige Recht zu Gunsten der

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Erste Berathung de» Entwurf» eine- Bürgerlichen Gesetzbuch».

Schwachen verläßt der Entwurf. Er nimmt es nicht aus, weil er behauptet, er kann keinen juristischen Grund finden, warum der Betreffende haften soll. Wir werden in der Kommission uns über andere Gründe, warum er hastet, uns speziell unterhalten, und ich meine, wenn ein Rechtsgrundsatz moralisch war, so war es der: due et dota, oder mindestens dota. Wenn Sie in Verlegenheit sind wegen der juristischen Konstruktion — nun, den Herren von der Regierung kann geholfen werden. Sie könnten hier ja ben dolos eventoalis im Zivilrecht so schön sich zurecht konstruiren, viel besser als Sie ihn beim Strafrecht konstruiren, wenn Sie zu dem Ergebniß kommen wollen: jeder mögliche Erzeuger haftet. Ich erkenne an, daß auf diesem Gebiet im Entwurf neu das Recht der Mutter gegeben ist, vor ihrer Entbindung klagen zu können, ferner, daß die Alimentationspflicht von 14 Jahren — das Alter variirt ja jetzt zwischen 14 und 18 Jahren — wenigstens auf 16 Jahre hinaufgegangen ist. Wir werden diesen Punkt noch genauer berathen müssen. Ferner können wir mit Recht verlangen, daß nicht nach Nothdurft, sondern nach den Erwerbsverhältnissen des Mannes die angemessene Alimentation bemessen werde. Wir müssen ferner verlangen, daß die Verwandtschaft anerkannt wird zwischen dem un­ ehelichen Kind und seinem Erzeuger. Wir müssen anerkennen aus demselben Grunde heraus das Erbrecht des unehelichen Kindes, — und ich meine, bei der Gelegenheit wird auch zu regeln sein die Frage, die ja von der rechten Seite wiederholt angeschnitten worden ist, namentlich von dem Herrn Grafen von Holstein, ob wegen der Alimente für uneheliche Kinder der Lohn gepfändet werden kann oder nicht. Im Anschluß hieran könnten wir auch über das Exekutionsrecht sprechen und erwögen, ob wir nicht nach Art des Heim­ stättengesetzes, so weit es in Amerika bezüglich beweglicher Sachen besteht, dafür sorgen, daß dem Schuldner unter keinen Umständen das Allernothwendigste genommen werden kann. Die jetzige Regelung durch § 715 der Zivilprozeßordnung entspricht dem vor­ handenen Bedürfniß nicht: sie ist vor allem zu gering und zu unbestimmt. Meine Herren, alles dies sind Punkte, die in der Kommission erörtert werden muffen, deren Regelung mir nothwendig erscheint. Wenn nun die Regierung uns fort­ während ans Herz legt, wir sollten doch nicht so viel auf die kleinen Verschlechterungell, die möglicherweise in diesem Entwurf sich vorfänden, sehen, sondern selbst die Verschlech­ terungen zu Gunsten der Einheitlichkeit annehmen, so gestatte ich mir den Appell an die Regierungen, sie sollen im Interesse der Kultur, im Interesse der Arbeiterklasse, im Interesse des werkthätigen Volkes nicht widerstreben der Einführung der Einheit des Rechts auf die Arbeiter. Sie sollen nicht widerstreben den Verbesserungen, die durch­ führbar, die möglich sind, wie ich es im großen und ganzen mir gestattet habe kurz 511 skizziren. Wenn Sie sich aber von vornherein auf den Standpunkt stellen: wer dieses Werk anrührt, stört die Einheit, macht das Gelingen unmöglich, — dann brauchen wir kein Parlament, dann brauchen wir überhaupt keine Politiker, dann sönnen wir Juristen, das heißt diejenigen, die mit den wirklichen Bedürfnissen am wenigsten vertraut sind, uns zu Gesetzgebern machen, dann brauchen wir überhaupt keine parlamentarische Ver­ tretung, dann sollten wir klipp und klar sagen: wir wollen den Absolutismus uub nur so thun, als ob eine Volksvertretung da sei. Nun, es wird eine eingehende Erörterung nöthig sein. Damit ist nicht gesagt, daß sie lang zu sein braucht. (Heiterkeit.) Je weniger die Regierung sold)en Anträgen widerstrebt, die ja längst schon hie und da erörtert sind, je mehr sie sich geneigt zeigt, sie zuzugeben, je mehr sie den Grundsatz beherzigt, den sie uns gegenüber predigen will: nun, wenn es wirklich etwas sä)lechtes ist, es ist wenigstens etwas einheitliches, — desto schneller wird die Berathung sein: dann, glaube ich, wird es sogar möglich sein, den Gesetzentwurf schon in dieser Session zur Verabschiedung gelangen zu taffen. Mit aller Entschiedenheit aber würde ich mtd) in der zweiten Berathung — und ich glaube, auch meine politischen Freunde — dagegen

Erste Berathung bei Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs.

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verwahren, daß wir eine Scheineinheit schaffen und unter dem Deckmantel der Einheit neue Rechte gegen die arbeitenden Klassen einführen lassen. Also, meine Herren, wir werden zusammen arbeiten wollen. Wie Sie gesehen haben, versuche ich gar nicht, irgend etwas besonderes sozialdemokratisches zu verlangen. Ich verlange nur daS, was möglich ist innerhalb deS Rahmens der heutigen Wirthschafts­ ordnung zu Gunsten der wirthschaftlich Schwachen, der Hilfslosen. Aber davon werde ich mir auch nichts nehmen lasten, und ich bitte Sie, entsprechend uns in der Kommission und nachher im Plenum bei den Anträgen mehr Wohlwollen zu bezeugen, als auS den Aussührungen deS Herrn Staatssekretärs klang, der gestern behauptete, alle Jnterestenkreise seien vertreten geioesen, also damit ausdrücklich ausgeschlosten hat, daß die 98 Prozent der werkthätigen Bevölkerung, die nicht vertreten waren in der Kommission, einen An­ spruch haben auf Vertretung, auf Berücksichtigung bei der Gestaltung der Gesetzgebung. (Bravo! links. Zischen rechts.) Präsident: Die Herren Abgeordneten Dr. Lieber (Montabaur) und Freiherr von Stumm-Halberg haben die Vertagung beantragt. Der Antrag bedarf der Unter­ stützung. Ich ersuche diejenigen Mitglieder, welche den Antrag unterstützen wollen, sich zu erheben. (Geschieht.) Die Unterstützung genügt. Ich ersuche diejenigen, tvelche die Vertagung beschließen wollen, sich zu erheben beziehungsweise stehen zu bleiben. (Geschieht.) Das ist die Mehrheit; die Vertagung ist beschlosten. Ich mache den Herren den folgenden Vorschlag: die nächste Sitzung zu halten Mittwoch den 5. Februar, Nachmittags 1 Uhr, mit folgender Tagesordnung: 1. Fortsetzung der heutigen Berathung, 2. Interpellation der Abgeordneten Graf von Schwerin-Löwitz, Szmula und von Ploetz, betreffend die Aufhebung der gemischten Privattransitlager und de» den­ selben sowie den Inhabern von Mühlen gewährten Zollkredits (Nr. 79 der Drucksachen). Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Abgeordnete Singer. Abgeordneter Singer: Herr Präsident, ich habe nicht die Absicht, der Tages­ ordnung zu widersprechen; aber ich darf voraussetzen, daß auS dem Umstande, daß morgen keine Initiativanträge verhandelt werden, nicht geschloffen werden soll, daß diese Woche überhaupt kein SchwerinStag stattfindet. Präsident: Ich habe auch nicht in dieser Absicht diese Tagesordnung vorgeschlagen. Ich werde im Gegentheil, sobald diese Gegenstände erledigt sind, einen SchwerinStag in Vorschlag bringen. Aber die Interpellation mußte nach den bindenden Vorschriften der Geschäftsordnung, da die Herren Interpellanten jetzt die Verhandlung derselben verlangt haben, vorgehen. Widerspruch erhebt sich nicht; die Tagesordmmg steht fest. Ich schließe die Sitzung. (Schluß der Sitzung 4 Uhr 55 Minuten.)

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Erste Berathung des Entwurf» eine» Bürgerlichen Gesetzbuchs.

32. Sitzung am Mittwoch den 5. Februar 1896. Seite Beurlaubungen........................................................................ 88 51 uBtritt von Mitgliedern aus Kommissionen . . 88 Fortsetzung der ersten Berathung deS bürgerlichen Gesetzbuchs nebst Einführungsgesetz (Nr. 87, ad 87, 87 a, ad 87 a der Anläget»)...............................................88 Freiherr von Hodenberg..........................................88 Königlich sächsischer Geheimer Hofrath Profesior Dr. Lohn»....................................................94

Seite Freiherr von Stumm-Halberg..............................103 Dr. Förster (Neustettin)........................................109 ColbuS......................................................................122 Spahn ...................................................................... 124 Dr. von Buchka ie Verfügung und die Verwaltung. Es kann zwar dieses Verfügung-recht, wie das in einzelnen Rechten geschehen ist, beschränkt werden, es kann die Zustimmung der Frau unter Umständen gefordert werden; aber es kann nie so weit beschränkt werden, daß daS Gesammtgut nicht für die Schulden des Mannes haftete. Dadurch ist unter allen Umständen da« Gesammtvermögen der Gefahr des Leichtsinns, der Mißverwaltung und der Verschwendung de« Mannes ausgesetzt. Dasselbe gilt bei der Mobiliargemeinschast in Bezug auf da- bewegliche Gut.

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Zwecke Berathung de- Entwurf- eine- Bürgerlichen Gesetzbuch-.

Dabei ist das Verhältniß in dieser Beziehung genau dasselbe. Es kommt hier aber hinzu, daß der Zufall darüber entscheidet, was in die Gemeinschaft fällt. Je nachdem die Ehe­ gatten bewegliches oder unbewegliches Vermögen haben, fällt viel oder wenig in die Gemeinschaft, und der eine Ehegatte, der nur unbewegliches Vermögen hat, trägt nichts zu der Gemeinschaft bei, während der andere Ehegatte, der nur bewegliches Vermögen hat, sein ganzes Vermögen in die Gemeinschaft werfen muß. Auch bei der Errungenschafts­ gemeinschaft wird die Gefahr für die Frau nicht ausgeschlossen. Hier bleibt das Ver­ mögen, welches die Ehegatten in die Ehe bringen oder während derselben durch Erbschaft oder Schenkung erwerben, gesondert, und nur das, was während der Ehe auf andere Weise erworben wird, wird Gesammtgut. Diesem fällt zunächst der eheliche Aufwand zur Last, aber die Eheschulden liegen nicht blos auf dem Gesammtgut. Wenn eine Einbuße eintritt, so hat für diese Einbuße, wenn man das Prinzip der Errungenschaftsgemeinschaft zu Grunde legt, auch die Frau mitzuhaften, mit) dadurch wird mittelbar die Frau gefährdet. Diese Haftung und Gefährdung der Frau ist in den Rechten der Errungenschaftsgemeinschaft, besonders in Württemberg, so schwer gefühlt, daß sich hier ein Gewohnheitsrecht gegen das bestehende Gesetz, das sogenannte Institut der weiblichen Freiheiten, ausgebildet hat, in Folge deren die Frau, unter Verzicht auf die Errungenschaft, sich von dem Haften für Eheschulden frei machen kann. Das wird also hier durch das Rechtsbewußtsein, durch das praktische Bedürfniß, gefordert. Wenn man aber zu diesem Resultat kommt, dann tritt die Ungerechtigkeit hervor, daß der Mann zwar, wenn etwas aus der ehelichen Errungenschaft übrig ist, dies mit der Frau theilen muß, wenn aber eine Einbuße da ist, er diese allein zu tragen hat. Ich meine also, daß auch bei dem System der Errungenschastsgemeinschaft, wenn man die Konsequenzen zieht, die Frau gefährdet ist. Nur bei dem System der Berwaltungsgemeinschast ist das Stammvermögen der Frau völlig gesichert; der Mann hat darüber keine Verfügung. Die Frau haftet in keiner Weise für die Eheschulden. Der Mann muß, mögen die Früchte des Frauenguts, die er bezieht, groß oder klein sein, allein die ehelichen Lasten tragen und dafür nöthigenfalls den gesummten Stamm seines Vermögens opsern, ehe auch nur die subsidiäre Unterhaltspflicht der Frau in Anspruch genommen werden kann. Run aber das ganz Entscheidende: nur bei dem System der Verwaltungsgemeinschaft ist es möglich, den Ertrag der Arbeit und eines von der Frau selbstständig betriebenen Erwerbsgeschäfts der Frau als Vorbehaltsgut zu sichern. Das ist absolut unmöglich bei dem System der allgemeinen Gütergemeinschaft, bei dem System der Mobiliargemeinschast und bei dem System der Errungenschastsgemeinschaft. Bei der Berwaltungsgemeinschaft aber hat der Entwurf, allerdings abweichend von dem bisherigen Recht, den Grundsatz aufgestellt: alles, was die Frau durch ihre Arbeit und durch den Betrieb eines selbst­ ständigen Erwerbsgeschästs erwirbt, ist ihr Vorbehaltsgut — daran hat der Mann gar kein Recht. Ich meine, die Bedeutung dieses Grundsatzes ist von allen Seiten so vollständig und allgemein annerkannt, daß ich darüber kein weiteres Wort zu verlieren brauche. In der Art und Weise, in welcher nun der Entwurf die Berwaltungsgemeinschaft geordnet hat, zeigt sich meines Erachtens auch wieder evident, wie er auf die Interessen der Frau Rücksicht genommen hat. Abweichend von den meisten bisherigen Rechten hat er hier das Verfügungsrecht des Mannes außerordentlich beschränkt. Rach den meisten bisherigen Rechten hatte der Mann das Recht, über die beweglichen Sachen der Frau frei zu verfügen, auch über die Forderungen. Das hat der Entwurf ihm entzogen: er kann nicht mehr frei verfügen, sondern nur unter Zustimmung der Frau. Ferner sind die Vorschriften, welche das Recht der Frau zu sichern geeignet sind, so ausgebildet, daß eine Gefährdung der Frau in Betreff des Stammes ihres Vermögens kaum eintreten kann. In den §§ 1364 und 1365 werden noch besondere Bestimmungen gegeben, welche

Zweite Berathung 6e» CnJmuff einet Btagrrih6en Gesetzbuchs.

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das Recht der Frau in Betreff ihrer eingebrachten beweglichen Sachen sichern sollen. Ich glaube nicht, daß es hier zweckmäßig ist, auf Einzelheiten einzugehen; aber wenn Sie das ganze System der Berwaltungsgemeinschaft durchgehen, so werden Sie bei jedem Paragraphen finden, wie der Entwurf Sorge getragen hat, dem Jntereffe der Frau, soweit es unter Festhaltung dieses Systems möglich ist, gerecht zu werden. Nun, meine Herren, die Sache steht so: kann die Gesetzgebung es wagen, das Experiment zu machen, im Gegensatz zu der ganzen bisherigen Rechtsentwicklung in Deutschland, im Gegensatz zu dem jetzt bestehenden Recht, zu einem System überzugehen, welches bisher in Deutschland noch nirgend gegolten hat? — denn auch das Dotalrecht ist wieder etwas anderes als das System, welches Herr Freiherr von Stumm vorschlägt, und gilt nur in einem kleinen Theil von Deutschland. Ist es recht, ist es zweckmäßig, ein solches Wagniß zu unternehmen? Nach meiner Ansicht ist das allein richtig, daß der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs zwar bestrebt sein muß, den Anschauungen und dem Interesse der Frauen nach jeder Richtung gerecht zu werden, daß er aber nicht um ihretwillen daS Wagniß unternehmen darf, in solcher Weise mit dem bestehenden Recht zu brechen. (Lebhafter Beifall.) Präsident : Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rickert. Abgeordneter Rickert: Meine Herren, so gern ich sonst der Autorität des Herrn Vorredners, die für mich unbestritten ist auf dem Gebiet des Rechts, folge, so muß ich zu meinem Bedauern sagen: diesmal kann ich es nicht. Seine Ausführungen haben für mich die vortrefflichen Ausführungen des Freiherrn von Stumm, denen ich in jedem Punkt beitrete, nach keiner Richtung hin erschüttern können. Meine Herren, der Herr Geheimrath Planck beruft sich auf die historische Ent­ wicklung des deutschen Rechts. In demselben Athemzug giebt er aber zu, daß auch der Entwurf Fortschritte nach der Richtung enthalte, welche wir eingeschlagen wiffen wollen. Also auch er verläßt den historischen Boden, und ich meine, daß aus der Entwicklung der Dinge in anderen Kulturländern, aus der Bewegung, die wir in diesen Tagen sehen, die verbündeten Regierungen hätten entnehmen sollen, daß ein Schritt weiter gegangen werden müsie. Sie werden dazu kommen, wenn nicht heute, so morgen. Wenn Sie auch diese Bestimmung in daS Gesetz jetzt hineinbringen, verlasien Sie sich darauf, an dem Tage, an dem dieses Gesetz in die Gesetzessammlung kommt, wird die Bewegung der Frauen, weil sie eine berechtigte, eine natürliche ist, wieder aufgenommen werden, und wir werden sie unterstützen und nicht eher ruhen, als bis das Ziel erreicht ist. Meine Herren, weil die Dinge heute so sind und gewesen sind, sind sie noch nicht gut, und wenn der Herr Regierungskommiffar sagt, daß eine Gefährdung der Fraueninteressen in den Bestimmungen deS Gesetzentwurfs nicht liegt, so bin ich anderer Meinung. Er selbst ist auf Einzelheiten nicht eingegangen. Ich will es auch nicht. Ich sehe ja aus der Unruhe des Hauses, daß man glaubt, es sei genug diskutirt. (Sehr richtig!) Unsere Gegner halten es ja auch gar nicht einmal der Mühe für werth, das Wort zu ergreifen. Auch daraus entnehme ich, daß Sie entschlossen sind, per majora die Be­ stimmung der Kommission anzunehmen. Deshalb werde auch ich darauf verzichten, weiter darauf einzugehen, inwiefern eine Schädigung der Fraueninteresscn durch diese Bestimmungen entstehen kann. Meine Herren, ich schließe damit, daß ich sage: die Bestimmungen des Entwurfs sind weder gerecht, noch klug, noch sind sie zweckmäßig. Sie handeln nicht richtig, wenn Sie derartige Bestimmungen, die die Frau in ihren natürlichen Rechten zurückdrängen, annehmen; denn Sie werden genau das Gegentheil damit erreichen von dem, was Sie

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wollen. Die Bewegung wird fortgesetzt werden; ich wiederhole, sie wird nicht eher ruhen, als bis das, was der Antrag des Freiherrn von Stumm will, erreicht ist. (Bravo! links und rechts.) Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Prinz zu Schönaich-Carolath. Abgeordneter Prinz zu Schönaich^arolath: Meine Herren, die große Verehrung, die ich für den Herrn Geheimrath Planck habe, dessen verdienstliche Wirksamkeit um das Zustandekommen dieses großen nationalen Werkes, an dem wir mit Freuden mitarbeiten, mir wohl bekannt ist, kann mich doch nicht verhindern, seinen Ausführungen einige Be­ merkungen entgegenzusetzen, die aus dem praktischen Leben stammen. Denn ich bin der Ansicht: wenn wir uns in Deutschland so vielfach über eine mangehafte Gesetzgebung zu beklagen haben, so hat das darin seinen Grund, daß wir — die Herren Juristen mögen es mir verzeihen — den Herren Juristen das Feld zu frei gelassen haben und uns ge­ scheut haben, unsere eigene bescheidene Laienansicht auszusprechen. (Sehr richtig!) Wäre in weiten Kreisen das Bedürfniß, welches besieht, zum Ausdruck gekommen, auch den Herren Juristen gegenüber die wunden Punkte zu zeigen welche unsere Gesetzgebung aufweist, dann würde manches im Deutschen Reich besser stehen. (Sehr wahr!) Der verehrte Herr Geheimrath Planck sagt: wer ist denn unzufrieden mit der jetzigen Ordnung der Dinge? Wenn der Herr Geheimrath ins Land kommen würde und durch langjährigen Verkehr mit dem kleinen Bürgerthum in Stadt und Land, mit unserer Bauernschaft u. s. w. in Verkehr treten würde, dann würde er sehen, welch unendliche Schäden gerade die gegenwärtige Ordnung der Dinge aufweist, und wie schutzlos und rechtlos die Frau gerade denjenigen gegenüber ist, die sie heut auszubeuten verstehen. Und nicht für die Anständigen, nicht für die Wohlhabenden, nicht für die Gesitteten und edel Gesinnten machen wir diese Bestimmungen: nein, wir rpollen eben die schutzlose und wehrlose Frau dann schützen, wenn sie des Schutzes und der Wehr bedarf. Und da möchte ich mir erlauben, alle Nichtjuristen gleich aus einen Punkt auf­ merksam zu machen, den ich absolut nicht verstehe. Das, was die Frau sich durch ihrer Hände Arbeit verdient und erworben hat, soll geschützt sein; da soll der Mann nicht herantreten dürfen. Wie denn nun aber, wenn die Frau die Ehe schließt mit einem Mann und ihm zubringt das, was sie durch ihren Fleiß, durch ihre Geschicklichkeit durch lange Jahre erworben hat? Das darf der Mann unbedingt durchbringen; nur das darf er nicht durchbringen, was sie in der Ehe nachher durch ihren Fleiß und durch ihre Geschicklichkeit eworben hat. (Zuruf.) — Ja, nur dann nicht, wenn sie einen Ehevcrtrag abschließt. Aber wann schließt sie denn einen Ehevertrag ab? Meine Herren, wir machen das Gesetz nicht für diejenigen, die in der Lage sind, sich einen Rechtsanwalt kommen zu lassen, und nicht für diejenigen, die Eheverträge abschließen, — wir machen das Gesetz zum weitaus größten Theil für diejenigen, die gar nicht in der Lage sind, zum Rechtsanwalt zu gehen, die nicht in der Lage sind, in sein Büreau zu kommen und sich Rath und Hilfe zu erbitten ; da wollen wir die Frauen schützen. Wir machen das Gesetz nicht für diejenigen Frauen, die vielleicht den Herren in diesem Falle vorschweben und die unseres Schutzes nicht bedürfen; nein, wie eben vorhin in diesem Hause mit vollem Recht angeführt worden ist: wenn der Mann ein Spieler, ein Trunkenbold, ein Wüstling ist und das Geld seiner Frau und ihr kleines Besitzthum, ihre Möbel ihre Betten durchbringt — was soll dann aus der Frau werden? Ich möchte den Herren, die mit diesen Ausführungen nicht einverstanden sind, sagen, daß hundertfach in meinem praktischen Leben die Frau an mich herangetreten ist und gesagt hat: hilf mir oder forge, daß mir geholfen wird. Und was mußte ich antworten? Kein Mensch kann dir helfen, der Mann ist Herr über dein Eigenthum,

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über deine Betten, über die Möbel, über dein geringes Befitzthum, was du ihm zugebracht hast; er hat es durchgebracht, und bn kannst nichts dagegen machen. Meine Herren, eS ist das von wesentlicher Bedeutung für unsere heutige soziale Entwicklung. Gehen Sie in die Kellerwohnungen, gehen Sie in die Dachwohnungen in den 4. und 5. Stock hinaus, und sehen Sie, wie es dort zugeht! Sehen Sie die vielen armen Frauen an, die ausgebeutet werden, deren geringes Besitzthum verpraßt wird, lind die nachher vielfach auf die Staße geworfen wurden, oftmals mit kleinen Kindern, und denen dann gesagt wird: hilf dir selbst! Wie sollen sie sich helfen? Dieser Armen, Elenden, Unbemittelten müssen wir uns annehmen, und die müssen wir im Auge haben und nicht nur die bevorzugten gesellschaftlichen Klassen, aus denen allerdings solche Klagen, wie ich sie hier eben vorbringe, wohl niemals ertönen werden. Meine Herren, ich möchte nun noch auf die Bemerkungen des hochverehrten Herrn Geheimraths Dr. Planck zurückkommen, die die Petitionen anlangen, die zu dieser Sache eingegangen sind. Der Herr Geheimrath meinte: woher kommen diese Petitionen? Die Petitionen kommen wohl nur aus einzelnen großen Städten, und daran sind wohl auch nur einzelne Personen betheiligt. Nun, meine Herren, ich glaube, wenn man hier hätte eine Agitation eintreten laffen, wie sie oftmals von jeder Partei bei politischen Fragen beliebt wird; die Petitionen wären in ganz anderem Maße eingetroffen, und sie wären mit ganz anderen Unterschriften versehen eingegangen, als es jetzt der Fall gewesen ist. Man hat von einer Agitation Abstand genommen; die Petitionen sind von selbst gekommen, sie sind nicht nur unterschrieben von denjenigen Frauen, die sich im Geistes­ leben ihrer Nation einen Namen gemacht haben, sie sind nicht unterschrieben von Personen, die sich sonst irgendwie bekannt gemacht haben; nein, sie sind auch, wie vorher bereit- mit Recht angedeutet ist, unterschrieben von Männern, deren Namen im Deutschen Reich Wohlklang haben: „Nennt man die besten Namen, so werden die ihren genannt." Ich meine: über solche Petitionen kann und darf man nicht in der Weise aburtheilen und hinweggehen, denn die Petitionen wür-en in ganz anderer Form und mit vielen tausend anderen Unterschriften bedeckt an dieses Haus gelangt sein, hätte man überhaupt Agitation treiben wollen. Wir brauchen keine Agitation; unser gutes Recht ist die beste Agitation, denn die guten und gerechten Ansprüche, die wir maßvoll erheben, werden zum Siege führen, wenn nicht heute, so morgen — das vertrauen wir gewiß! Meine Herren, ich bin selten in der glücklichen Lage, mich mit Uebereinstimmung mit den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Freiherrn von Stumm zu befinden. Um so lebhafter weiß ich ihm Dank dafür, daß er heute in dieser überaus geschickten und überzeugenden Weise gesprochen hat. Und dieser mein Dank wird bei denjenigen, für die er eintritt, außerhalb dieses Hauses, vollen Wiederklang finden. Ich hätte eigentlich den Ausführungen des Herrn Freiherrn von Stumm nichts hinzuzufügen, weil ich wohl wörtlich das unterschreiben kann, waS er gesagt hat. Bei jeder Gelegenheit berufen wir uns auf unsere Dichter und Klassiker: „Ehret die Frauen" u. s. w. ES vergeht kein Fest, wo wir nicht einen Toast ausbringen auf die Frauen — ist das nicht außerhalb dieses Hauses Heuchelei, wenn wir dieselben Frauen so hoch schätzen, sie anjubeln, sie als Muster aller Frauen hinstellen, wenn wir bei derartigen Gelegenheiten die deutsche Frau als besser als alle anderen Frauen bezeichnen und dann hier ihr die geringsten Rechte versagen, — ist das nicht außerhalb des Hauses mindestens Heuchelei? Wozu der ganze außerhalb dieses Hauses geübte Unfug? (Heiterkeit). Mit vollem Recht ist seitens des Herrn Freiherrn von Stumm auf England hingewiesen worden, und ich freue mich, daß Herr Freiherr von Stumm so unbefangen war, zu sagen, so wenig sympathisch ihm sonst englische Einrichtungen seien, — er hier die englische Einrichtung, die englische Ehe, im Hause gelobt hat. Das beweist eine unbefangene Beurcheilung der Sache. Welche Fortschritte hat die Frauenbewegung auf materiellem und geistigem Gebiet Sieuographische Berichte. V.B.V. 37

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in England gemacht, von der Frau, die mit dem Strick auf den Markt geschleppt wurde bis jetzt, welche Fortschritte macht die Frauenbewegung allüberall! Ich würde wünschen, daß wir Gelegenheit hätten, noch in dieser Session die Petitionen zu berathen, die nicht allein die materielle Seite dieser Frage behandeln, sondern auch ihre ideele, ihr geistige. Da würde ich den Herren nachweisen können, wie in allen Ländern eine Freiheit der Frau gewährt wird, die ich nicht mit Zügellosigkeit verwechselt sehen möchte, — niemand kann schärfer gegen die Emanzipation der Frauen auftreten als ich — aber gerade weil ich diesen unberechtigten Forderungen entgegentrete, desh a lb trete ich fürdie berechtigten ein. Das ist einfach ein Gebot der Klugheit und Nothwendigkeit, wenn es nicht einfach das der Gerechtigkeit ist. Ich meine, daß es sich in der That darum handelt, den berechtigten Forderungen zu entsprechen, und ich versage es mir, so gern ich es auch möchte, im einzelnen noch auf die Materie einzugehen, aber ich hoste, das Haus wird es mir Dank wissen, wenn ich mich auf diese wenigen Worte beschränke. Ich hoffe, daß diejenigen Herren aus der rechten Seite des Hauses, auf welcher, wie ich mit Freuden konftatire, die Frauenbewegung je länger je mehr Verständniß ge­ sunden hat, uns unterstützen werden. Ich erinnere mich noch ganz genau, als ich hier zum erstenmal aufstand und für die Frauenbewegung plädirte, mit wie geringem Interesse und Zustimmung das auf der rechten Seite ausgenommen ward. Ich hoffe, daß auf der rechten Seite sich auch Wohlwollen und Verständniß kundgeben wird, wenn es sich um die geistige Bildung der Frau handeln wird und um die Erleichterungen und Förderungen, die ihr nach dieser Hinsicht hin gewährt werden müssen, und ich würde es sehr dankbar aufnehmen, wenn die Herren auch im preußischen Landtag, wo wir uns in einer so ungünstigen Lage dem Kultusministerium gegenüber befinden, ihre Bemühungen mit den meinigen vereinigten und uns Ihre Unterstützung würden angedeihen lassen. Denn es ist außerordentlich ungewöhnlich, um mich dieses Ausdrucks zu bedienen, die Erfahrung zu machen, daß in allen, auch Nichtkulturstaaten, Europas nach und nach Zustände her­ beigeführt sind, wie sie einzig und allein leider in Preußen nicht bestehen. Das nenne ich nicht moralische Eroberungen machen, das nenne ich nicht an der Spitze der Zivilisation marschiren, und ich betone es ausdrücklich — ich halte mich für berechtigt, das auszu­ sprechen, weil ich gerade zu denjenigen gehöre, die stets die unberechtigten von den be­ rechtigten Forderungen in dieser Frage getrennt haben —: in denselben Topf werfen wir das nicht, den Gefallen thun wir keinem : im Gegentheil, wir unterscheiden. Wir sind aber auch ganz gewiß, daß unsere Sache zum Sieg und zum Erfolg führen wird. Ich darf mich heute auf diese wenigen Worte beschränken und Sie bitten, die An­ träge des Herrn Freiherrn von Stumm anzunehmen. tBravo!) Präsident: Das Wort hat der Herr Kommissar des Bundesraths, Königlich preußische Geheime Justizrath, Professor Dr. Planck. Kommissar des Bundesraths, Königlich preußischer Geheimer Justizrath, Professor Dr. Planck: Ich möchte nur ein Mißverständniß berichtigen, das den Aussührungen des Herrn Vorredners zu Grunde zu liegen scheint. Ich meine, er hat den Entwurf nicht richtig verstanden, wenn er behauptet, daß dasjenige, was die Frau sich etwa vor der Ehe erspart hat von ihrer Arbeit und nun dem Manne einbringt, von dem Manne durchgebracht werden könne. (Widerspruch.) — Es ist das nicht richtig; im Gegentheil, das eingebrachte Vermögen der Frau ist gegen die Verfügungen des Mannes ganz genau so gesichert, wie das vorbehaltene Ver­ mögen und wie dasjenige Vermögen gesichert sein würde, das die Frau bei der Güter­ trennung hat. Es ist nur noch etwas mehr gesichert nach dem Entwurf. Wenn z. B. die Frau Mobilien dem Manne einbringt, und Gütertrennung wäre, so würde, wenn

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diese Mobilien nachher zu Grunde gehen oder werthlos durch die Abnutzung werden, und der Mann neue Mobilien anschafft, diese neuen Mobilien dem Manne gehören, die Frau aber »ichts haben. Rach den Vorschriften des Entwurfs, § 1365, treten aber in solchen Fällen, wenn Berwaltungsgemeinschaft gilt, die an Stelle werthlos und un­ brauchbar gewordener Mobilien von dem Manne aus seinen Mitteln angeschafften neuen Stücke in das Eigenthum der Frau. TZas Verfügungsrecht des Mannes über das Ver­ mögen der Frau ist, wie gesagt, in keiner Beziehung größer, mag Gütertrennung gelten oder Berwaltungsgemeinschaft. Aber das eingebrachte Vermögen ist bester gesichert als dasjenige Vermögen, das bei der Gütertrennung in die Verwaltung des Mannes kommt. (Bravo!) Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Freiherr von Stumm-Halberg. Abgeordneter Freiherr von Stumm-Halberg: Meine Herren, ich glaube, daß die Ausführungen des Herrn Regierungskommissars beweisen, daß man ein eminenter Jurist sein und trotzdem in einer Weise in theoretischen Ideen befangen sein kann, daß man die Erforderniste des praktischen Lebens nicht mehr würdigt. (Sehr richtig! rechts.) Ich meine, daß der Prinz Carolath in seinen Ausführungen vollkommen recht hatte und damit »dasjenige bestätigte, was ich vorhin ausgeführt habe. Theoretisch hat der Herr Regierungskommissar vollständig recht: das vor der Ehe erworbene Vermögen bleibt Eigenthum der Frau. Praktisch ist aber der Mann durch das Recht der Verwaltung unb Nutznießung in der Lage, es jederzeit durchzubringen, wenn ihm das paßt (sehr richtig! rechts); uitb die Frau ist thatsächlich nicht in der Lage, das zu hindern. (Sehr richtig! rechts.) Das ist vom praktischen Standpunkt durchaus unantastbar; juristisch mag es anders sein. Dann muß ich dem Herrn RegierungSkommisiar noch auf seine früheren Aeuße­ rungen erwidern, daß in unserem Antrage bereits gesagt ist, daß für den Fall der An­ nahme des zunächst von uns formell gestellten Antrags zu § 1346 daS Uedrige redaktionell eingefügt werden soll. Ich habe dem Hause nicht zumuthen wollen, hier 24 Paragraphen, die wir in der Kommission formulirt hatten, schon jetzt gedruckt vorzulegen, ehe man, nicht weiß, ob Sie unseren Prinzipalantrag annehmen. Es versteht sich aber von selbst, daß die Anträge, die wir in der Kommission gestellt haben, jeden Moment vollständig redigirt eingebracht werden können. Ich stimme mit dem Herrn RegierungSkommisiar darin überein, daß wir allerdings das Güterrecht, welches im Entwurf in der Güter­ trennung liegt, auch für uns mit wenigen Modifikationen adoptirt haben. Wenn der Herr RegierungSkommisiar aber meint, unser Antrag sei deswegen so schwierig oder un­ annehmbar, weil durch die Bestimmung in der Nr. 5 unsere» Kommissionsantrages, der der Regierungsvorlage entspricht, nun ein Streit zwischen den Eheleuten darüber ent­ stehen könnte, welchen Betrag die Ehefrau von ihren Einkünften in die gemeinschaftliche Haushaltung einbringen und dem Manne überantworten muß, und daß da der Richter entscheiden müsse, so ist das in der Regierungsvorlage doch ebenso. Und bei der Ber­ waltungsgemeinschaft wird der Richter noch viel bedenklicher in Anspruch genommen; denn er soll in Anspruch genommen werden, um zu verhindern, daß der Mann Miß­ brauch mit seinem Rechte treibt. Wo es sich aber nur um die Quote des Zuschusses zur Haushaltung handelt, wird in den seltensten Fällen die Frau den Mann dazu nöthigen, den Richter anzurufen. Das wird sich in der Praxis von selbst ergeben. Ich kenne Hunderte von Fällen, wo Gütertrennung existirt; ich habe aber noch nie gehört, daß auf diesem Gebiete der Richter angerufen worden wäre. Ich halte das für gänzlich ausgeschlossen. (Sehr richtig!)

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Wenn der Herr Regierungskommissar ferner sagte, bei der Berwaltungsgemeinschaft, wie die Regierung sie hier vorschlägt, werde eine Gefährdung des Vermögens der Frau kaum eintreten, so meine ich, dann müßte er uns zunächst nachweisen, daß unsere Behauptung falsch ist, daß nicht bloß theoretisch, sondern auch praktisch der leicht­ sinnige Spieler, Spekulant das Vermögen der Frau durchbringen kann, und wenn die Frau die Regreßpflicht geltend macht, nachdem das Vermögen von Mann und Frau durch­ gebracht ist — wo bleibt dann das Recht der Frau? wo bleibt die Garantie gegen die Gefährdung? (Sehr gut!) Wenn dann der Herr Regierungskommissar äußerte, er müsse zurückweisen, wenn ich von einer Leibeigenschaft der Frau durch die Berwaltungsgemeinschaft gesprochen habe, so glaube ich, der Herr Regierungskommissar hat nichts gesagt, was meinen Ausdruck als unberechtigt nachgewiesen hätte. Ich wiederhole: wenn die Nutznießung des Ver­ mögens der Frau, also der gesammten Mittel, von denen die Frau leben kann, Eigen­ thum des Mannes wird, so wird der Mann, abgesehen von möglichen gerichtlichen Ent­ scheidungen, die die Frau theoretisch anrusen kann — wenn sie das nicht thut, ist der Mann vollkommen Herr ihres Vermögens, er kann ihr den Brodkorb jederzeit höher hängen und sie 511 alle dem zwingen, wozu er sie haben will. Das nenne ich Sklaverei, Knechtschaft, Leibeigenschaft — auf den Ausdruck kommt es mir nicht an; aber die Sache selbst ist gänzlich inkontestabel. (Sehr richtig!) Weiter sagte der Herr Regierungskommissar: wir können das Wagnitz nicht machen, hier ein ganz neues Recht einzuführen; das englische Beispiel beweist gar nichts, die Sache ist dort nicht lange genug eingeführt. Nun, ich denke, 15 Jahre ist doch eine Zeit, welche Beweiskraft hat. Wenn man unwiderleglich konstatirt, datz von keiner Seite eine Beschwerde gegen die Gütertrennung vorliegt — und es sind 15 Jahre seit Erlaß des Gesetzes und 13 seit seiner Einführung verstrichen —, so hat das doch einige Beweiskraft. Wenn endlich der Herr Regierungskommissar sagte: für Deutschland ist das ein ganz neues Recht, weil das Dotalrecht, welches in Hannover u. s. w. gilt, nicht identisch ist mit dem hier vorgeschlagenen —, so ist daS doch ein Unterschied, der so wenig be­ deutend ist, daß ich glaube: aus das Risiko hin können wir die Sache ruhig machen. Denn im Prinzip ist das Dotalrecht weiter nichts als dasjenige, was wir wollen. Wenn Sie eine andere Form dafür wünschen, so sind wir sehr gern bereit, unsere Form zu opfern und die Sache nach dem Dotalrecht zu ändern. Jedenfalls wird mir niemand bestreiten können, daß das Dotalrecht des gemeinen Rechts sich sehr viel weniger unterscheidet von unseren Anträgen hier, als das englische common law sich unterscheidet von den Viktoria­ statuten, welche heute in England für die Güterverhältnisse der Ehe rechtens sind. Also, was dies Wagniß anlangt, so gehe ich mit ganz gutem Gewissen daran. Ich bin ein ganz vorsichtiger Mann und wahrhaftig nicht geneigt, leichtsinnig Experimente zu machen. Hier aber bin ich überzeugt, daß wir uns um die deutsche Nation verdient machen werden, wenn wir unseren Antrag zum Gesetz erheben. (Bravo!) Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Conrad. Abgeordneter Dr. Conrad: Meine verehrten Herren, ich will Sie nicht lange be­ lästigen oder Ihnen mit Theorien langweilig werden. Es handelt sich hier nicht mehr darum, durch Belehrungen oder sonstige Darlegungen auf Annahme der Vorlage ein­ wirken zu können. Ich komme aus den Kreisen der modernen Literatur und der Kunst, und auch sonst ist alles, was sich auf die Frauenbewegung bezieht, mir nichts Fremdes. Es hat ein beobachtungs- und thatenreiches Leben in mir die Anschauung festgewurzelt, daß in der vorliegenden Rechtsfrage nur der radikalste Standpunkt zugleich der kon­ servativste ist. Wenn Sie wirklich in unser deutsches Rechtsleben gutes neues Recht

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einfügen oder alte» Unrecht sühnen wollen, so müssen Sie hier den großen Schritt vor­ wärts thun, daß wir uns in sittlicher und moralischer Beziehung thatsächlich heben und wir wieder tonangebend und mustergiltig in moderner Kultur werden. (Große Heiterkeit in der Mitte.) Sie können darüber lachen, meine Herren, mit dem Lachen allein ist nichts bewiesen. Sie haben schon über ganz andere Sachen gelacht und haben sich dann zu einer anderen Miene entschließen müssen. Es kann Ihnen sehr gut blühen, daß auch in dem vor­ liegenden Falle Sie noch eine ganz andere Miene aufstecken werden, als wie Sie sie heute aufstecken. Ich möchte nun noch sagen, daß ich in der vorliegenden Frage mich von meinen speziellen Parteigenossen trennen muß, daß ich nicht mit der Bolkspartei stimmen werde, sondern mit den Sozialdemokraten, weil ich mir sage: man kann in der vorliegenden Materie nicht weit genug gehen, — weil ich sage, daß hier das schwerste sittliche und wirthschastliche Unrecht zu sühnen ist, das an der größeren Hälfte der Menschheit zum Schaden der deutschen Kultur seit einem Jahrtausend begangen worden ist. (Heiterkeit.) Präsident: Die Diskussion ist geschloffen. Das Wort hat der Herr Berichterstatter. Berichterstatter Abgeordneter Dr. Bachem: Meine Herren, einige wenige Schluß­ worte vom Standpunkt der Kommission auS werden Sie mir in dieser überaus wichttgen Frage gestatten müssen. Diese Frage hat auch in der Kommission zu einer außer­ ordentlich eingehenden Debatte geführt ; ich fühle mich veranlaßt, auS dieser Debatte noch einen Gesichtspunkt hier vorzubringen, weil er heute noch nicht berührt worden ist. Meine Herren, die Anträge des Herrn Freiherrn von Stumm und des Herrn von Bebel (große Heiterkeit) — und des Herrn Kollegen Bebel empfehlen sich, oder bester gesagt, wollen sich empfehlen durch einen idealen Zug, indem sie sagen: wenn man die Gleichjverthigkeit von Mann und Frau anerkennt, die man vom Standpunkt deS Naturrechts anerkennen muß, so ist das einzig zulässige und natürliche System des Güterrechts die Güter­ trennung. Meine Herren, in der Kommission ist mit großer Wirksamkeit ausgeführt, daß, wenn man einen wirklich idealen Standpunkt einnehmen will, man nicht zur Gütertrennung kommen kann, sondern gerade umgekehrt zu dem am meisten ent­ gegengesetzten System. Die Ehe soll eine allgemeine Gemeinschaft d«S Lebens zwischen Mann und Frau sein. (Sehr richtig! auS der Mitte.) Könstruirt man von diesem Charakter der Ehe aus das Güterrecht, so ist daS einzige prinzipiell zulässige Güterrecht die allgemeine Gütergemeinschaft. (Sehr richtig! aus der Mitte.) Daran ist nicht zu rütteln. Ich führe das aber nur an, um darzuthun, daß man ein Güterrecht nicht konstruiren kann nach rein ideellen Voraussetzungen. DaS war ja der Fehler des Natnrrechts, daß es a priori einen Menschen nahm und aus der Natur deS Menschen ein Recht konstruirte. Wollen wir in diesen Fehler jetzt wieder verfallen? Neüi, meine Herren, wir müffen ein Güterrecht konstruiren, das ausgeht von den that­ sächlichen Verhältnissen, ein Güterrecht, das unserem Volk, so wie es heute ist, möglichst bequem auf den Leib geschnitten ist, nicht aber ein Güterrecht, daS einen großen Riß in die Rechtsentwicklung bringt und das für den weitaus größten Theil des Deutschen Reichs gewaltige Unbequemlichkeiten bringen würde. Kein Güterrecht, zwangsweise durchgeführt als gesetzliches Güterrecht, würde einen solchen Riß in die Entwicklung des Rechts und die heuttgen thatsächlichen Verhältnisse bringen, wie die Gütertrennung — da kann gar kein Zweifel sein.

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9hm, meine Herren, möchte ich noch einige Bemerkungen machen, in Bezug daraus, daß gesagt worden ist: bei dem System des Entwurfs kann der Mann ohne alles weitere das Gut der Frau durchbringen. Das ist nicht richtig: das Gut der Frau ist bei dem System des Entwurfs nahezu ebenso gut geschützt wie bei dem der Güter­ trennung, — das ist zweifellos. Wenn es richtig wäre, daß bei dem System des Ent­ wurfs der Mann unbesehen das Gut der Frau durchbringen kann, so ist das gerade so richtig bei dem System der Gütertrennung. Bei dem einen wie dem anderen kann nur dann der Mann das Gut der Frau durchbringen, wenn die Frau es duldet, es dem Mann gestattet und sich nicht wehrt. Aber bei dem einen wie dem anderen System ist die Frau in der Lage, den Mann an dem Turchbringen des Vermögens zu hindern. Halten Sie fest, meine Herren: wenn das System des Entwurfs sich auch mit einem populären Ausdruck „Berwaltungsgemeiuschaft" nennt, so ist der Grundcharakter des­ selben doch die Gütertrennung, was den Stock des Vermögens angeht: in Gemeinschaft ist nichts als die Verwaltung des Vermögens in der Hand des Mannes und die Nutznießung durch den Mann. Ueber die Verwaltung hinaus geht die Gemeinschaftlichkeit nicht, und sie dehnt sich nicht darauf aus, daß der Mann das Recht hat, selbstständig über das Vermögen der Frau, mag es von der Frau eingebracht oder von der grau nachher erworben sein, zu verfugen. Also die Sicherheit des Vermögens der Frau ist vollständig gewährleistet. Meine Herren, nun noch eins! Auch nach dem System des Entwurfs kann die Gütertrennung vertragsmäßig eingeführt werden; das ist derselbe Zustand, wie er heute in sehr vielen deutschen Rechten ist: vertragsmäßig kann man heute schon die Güter­ trennung einführen. 9?un frage ich Sie, meine Herren: in wie vielen Fällen ist denn von dieser vertragsmäßigen Möglichkeit Gebrauch gemacht worden? — nur in einer ganz verschwindenden Anzahl von Fällen im Verhältniß zu denjenigen, in denen man einfach das gesetzliche Güterrecht adoptirt hat, obschon es int Verhältniß zur Güter­ trennung oft das gerade Gegentheil ist. Zum Schluß, meine Herren, gestatten Sie mir noch ein Wort pro domo. Es ist in dieser Debatte so etwas wegwerfend — Sie wollen den Ausdruck verzeihen — von den Juristen geredet worden : die von den praktischen Verhältnissen nichts ver­ ständen. Ja, meine Herren, da ntuß ich doch die Frage stellen: glauben Sie denn, daß die Juristen gerade durch ihren Berttf davor bewahrt sind, von solchen Verhältnissen etwas zu erfahren? (Sehr richtig! aus der Mitte.) Ist es nicht vielmehr richtig, daß gerade die Juristen besonders viel von diesen Dingen erfahren? Es kommen doch unendlich viel Schwierigkeiten und Streitigkeiten auf deut Gebiet des ehelichen Güterrechts vor, und da kommen doch die Leute zu allererst ztl den Juristen. Ich meine also, gerade hier ist ein Gebiet, wo der Jurist weit mehr Er­ fahrungen hat als gewisse Redner, die glauben, unbeeinflußt von allen Detailkenntnissett über solche Tinge reden zu können. (Heiterkeit und Zustimmung in der Mitte.) Meine Herren, damit will ich schließen. Nach den Berathungen in der Kom­ mission hat eine große Mehrheit derselben sich dahin schlüssig gemacht, daß das System des Entwurfs in der That, so wie die Verhältnisse sind, das praktischste, das für unser gesammtes Volk werthvollste System ist und an innerem Werth und praktischer Be­ quemlichkeit, an Handlichkeit und Anpassung an die thatsächlichen Verhältnisse das System der Gütertrennung weitaus überragt. Ich bitte Sie also, alle Anträge abzulehnen und einfach die Beschlüsse der Kommission gutheißen ztt wollen. i Bravo! in der Mitte und bei den Nationalliberalen.) Präsident: Wir kommen zur Abstimmung. Ich schlage Ihnen vor, zunächst über den Antrag des Freiherrn von Stumm abzustimmen, der die Anciennetät für sich

Koette Beralhmig bei Entwurf» eie«* Bürgerlichen Bese-buch».

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hat, und sodann, wenn er abgelehnt werden sollte, über den Antrag Auer und Ge­ nossen; wenn auch der abgelehnt werden sollte, über den Antrag der Kommission. Wenn eS nicht verlangt wird, so nehme ich an, daß Sie mir die Verlesung der Anträge von Stumm und Auer und Genoffen erlaffen. Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Abgeordnete Bebel. Abgeordneter Bebel: Meine Herren, es scheint mir doch, daß eigentlich zunächst über unseren Antrag abgestimmt werden müßte; denn wenn über den Antrag von Stumm zunächst abgestimmt ivird, dann sind wir ja gar nicht mehr in der Lage, für unseren Antrag stimmen zu können. (Sehr richtig! links.) Präsident: Wenn es gewünscht wird, dann kann ich auch zuerst über den An­ trag Auer abstimmen lasten. Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Abgeordnete Freiherr von StummHalberg. Abgeordneter Freiherr von Stumm-Halberg: Ich möchte mich dem anschließen; ich glaube auch, daß über den Antrag Auer zuerst abgestimmt werden muß. Präsident: Ich werde also über den Antrag Auer zunächst abstimmen taffen. Im übrigen ist das Haus einverstanden mit meinem Vorschlag. Ich ersuche diejenigen Herren, welche dem Antrag Auer und Genossen, Nr. 471 ad 55, hinsichtlich des § 1346 zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. (Geschieht.) Das ist die Minderheit; der Antrag ist abgelehnt. Ich ersuche diejenigen Herren, welche dem Antrag des Herrn Abgeordneten Freiherrn von Stumm, Nr. 446 ad 2, hinsichtlich des § 1346 zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. (Geschieht.) Das ist die Minderheit; der Antrag ist abgelehnt. Ich ersuche nunmehr diejenigen Herren, welche dem Antrag der Kommission zu­ stimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. (Geschieht.) Das ist die Mehrheit; der Antrag der Kommission ist angenommen. §§ 1347 bis 1350. — Sind angenommen. § 1351. Hierzu liegt ein Antrag de- Herrn Abgeordneten Freiherrn von StummHalberg Nr. 446 ad 3 vor, folgenden Zusatz zu machen: Erbschaften oder Zuwendungen von Vermögen, an welchen die Frau keine Pflichttheilsberechtigung hat, sind BorbehaltSgut, auch wenn der Erblasser oder Schenkgeber eine diesbezügliche Bestimmung nicht getroffen hat. Ich eröffne die Diskussion. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Freiherr von Stumm-Halberg. Abgeordneter Freiherr von Stumm-Halberg: Meine Herren, wenn ich der Ansid)t wäre, daß der Herr Referent mit seiner Behauptung recht hätte — darf ich die Herren einen Angenblick um Ruhe bitten, Sie halten mich nur auf in meinen Ausführungen — (Glocke des Präsidenten.) Präsident: Ich bitte um Ruhe, meine Herren! Abgeordneter Freiherr von Stumm-Halberg: Wenn ich also der Ansicht wäre, daß der Herr Referent mit seiner Behauptung von vorhin recht hätte, daß es für die Sicherheit des Vermögens der Frau ganz gleichgiltig sei, ob es der Gütertrennung oder der Berwaltungsgemeinschaft unterliegt, dann würde ich keinen so großen Werth darauf

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legen, daß Sie unseren Antrag zu § 1351 annehmen. Die Sache ist aber nicht io, und ich kann das durch ein ganz einfaches Beispiel nachweisen. Bei der Berwaltungsgemeinschaft nimmt der Mann das Vermögen seiner Frau, das beispielsweise aus 100 000 Mark Staatspapieren besteht, in seine Verwaltung; er spekulirt, macht Schulden, verjubelt die 100000 Mark, und wenn sie weg sind, hat die Frau, wenn er selbst nichts besitzt, überhaupt nichts mehr von dem Geld, während bei der Gütertrennung, bei dem Borbehaltsgut die Frau das Recht hat, diese 100 000 Mark in ihre Schub­ lade zu verschließen, unter Verschluß zu halten, sodaß der Mann gar nicht heran­ kommt. (Sehr richtig!) Der Herr Referent wird jetzt einsehen, welcher Unterschied in der Sicherheit des Ver­ mögens der Frau besteht bei der Verwaltungsgemeinschast und bei der Gütertrennung. Ich war leider nicht im Stande, da er das Schlußwort hatte, ihm vorhin daraus zu erwidern. Meine Herren, Sie haben unseren Prinzipalantrag abgelehnt, Sie haben sich damit auf den Standpunkt der Regierungsvorlage gestellt, daß Vertragsfreiheit herrscheil soll, daß die Nupturienten berechtigt sein sollen, unter den vier Systemen des Entwurfs auszuwählen und dies in dem Ehevertrag zu bestimmen. Sobald Sie nun den g 1351 ohne unseren Antrag annehmen, durchbrechen Sie den Grundsatz der Vertragsfreiheit auf das allerschärfste. Wenn die beiden Nupturienten ohne Vermögen sind, haben sie nicht die mindeste Veranlassung, einen Ehevertrag abzuschließen: sie werden ohne einen solchen in die Ehe gehen und die Verwaltungsgemeinschaft antreten. Wenn aber durch Erbschaft später die Frau plötzlich in den Besitz eines großen Vermögens kommt, dann sind die Verhältnisse vollständig geändert. Es werben dadurch Zustände geschaffen, unter denen unzweifelhaft ein Ehevertrag abgeschlossen worden wäre, wenn derartiges voraus­ zusehen gewesen wäre. Wenn diese Erbschaft nur dann Vorbehaltsgut sein soll, wenn der Erblasser es angeordnet hat, so wird in allen Fällen, wo es nicht geschieht, die Frau in eine Lage versetzt werden, die selbst den Grundsätzen des Entwurfs wider­ spricht. In der Kommission hatte ich zuerst beantragt, daß dieser Grundsatz auf alle Erbschaften Anwendung finden soll, sämmtliche Erbschaften also als Vorbehaltungsgut der Frau betrachtet werden müssen. Dem wurde mit Recht entgegengehalten, daß dadurch der Grundsatz des Entwurfs durchbrochen werde, weil ja in den meisten Fällen die Frau nicht mit ihrem eigentlichen Vermögen in die Ehe tritt, sondern dieses Ver­ mögen ihr erst als Erbschaft vom Vater oder Großvater zufällt. In Folge dessen schlage ich Ihnen jetzt vor, daß für die Erbschaften, die von direkten Aszendenten stammen, also mit dem Pflichttheil verbunden sind, der Vorbehalt der Regierungs­ vorlage bestehen bleiben soll, daß der Erblasser ausdrücklich diese Erbschaft als Vor­ behaltsgut bezeichnen muß. Wo aber unerwartet eine Erbschaft eintritt — nehmen Sie das Beispiel eines Lnkels aus Amerika, der die deutschen Gesetze gar nicht kennt, viel­ leicht nicht einmal ein Testament gemacht hat, oder ein Testament, das nach deutschem Recht nicht berücksichtigt wird, und dessen Vermögen einer Nichte zu gute kommt, die vielleicht einen leichtsinnigen Mann hat, dessen Verwaltung der Lnkel niemals das Ver­ mögen überantwortet haben würde — in diesen Fällen müssen Sie doch der Frau die Bertragsfreiheit wiedergeben, müssen Sie es an ihre Zustimmung knüpfen, ob nun dieses Gut der Frau als Vorbehaltsgut gehört oder in die Verwaltungsgemeinschast herein­ kommt. Thun Sie das nicht, so durchbrechen Sie die Vertragsfreiheit und Tie sind geradezu verpflichtet, wenn Sie konsequent sein wollen, wenigstens dann die Frau davor zu schützen, daß sie ihre Erbschaft in die Nutznießung des Mannes hineinfallen lassen muß, wenn sie ihr zu einer Zeit zufällt, wo die Voraussetzungen nicht mehr zutreffen, unter denen sie sich ursprünglich verheirathet hat. Ich bemerke noch eins. Nachdem Sie unseren Prinzipalantrag gegen eine recht

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erhebliche Minorität abgelehnt haben, hätten Sie alle Veranlassung, un8 wenigstens diese kleine Konzession zu machen. (Sehr richtig! rechts.) Ich gestehe für meinen Theil, ich würde darin einen erheblichen Trost dafür erblicken, daß wir in der großen Frage durchgefallen sind. Vizepräsident Schmidt (Elberfeld): Das Wort Bundesraths, Professor Dr. von Mandry.

hat der Herr Kommissar des

Kommissar des Bundesraths, Professor Dr. von Mandry: Herr Abgeordneter Freiherr von Stumm hat selbst gesagt, daß der Antrag, den er früher iit der Kom­ mission in derselben Richtung gestellt hatte, von ihm zurückgezogen worden sei, weil er erkannt habe, daß das abgelehnte' Gütrrrecht der Gütertrennung durch denselben in weitem Umsange wieder eingeführt würde. Ich meine, das müssen wir auch von dem jetzt gestellten Antrag behaupten; denn für alle Erbschaften und dergleichen Erwerbungen, die nach Eingehung der Ehe gemacht werden, außer von pflichttheilsberechtigten Personen, soll die Gütertrennung festgehalten werden. Das wird in vielen Fällen zu­ treffen, und es wird nicht selten ein erheblicher Theil, vielleicht das ganze Vermögen sein, das an die Ehefrau fällt. Der Herr Abgeordnete von Stumm nimmt nun an, daß daS Prinzip der Bertragsfreiheit dazu führe, und daß das Prinzip der Bertragsfreiheit verletzt sei, wenn man seinen Antrag nicht annähme? Ich will zunächst das bei Seite lassen und auf die materiellen Grundlagen seine- Antrags zu sprechen kommen. Er geht davon aus, daß die Ehegatten bei der Schließung der Ehe an Erwerb von Dritten, die nicht Aszendenten und Deszendenten sind, nicht denken, und daß deswegen davon ausgegangen werden müsse, sie hätten, wenn sie daran gedacht hätten, über diesen Erwerb eine Bestimmung getroffen, die sie jetzt nicht getroffen haben, sodaß eS zum ge­ setzlichen Güterrecht gekommen sei. Es ist allerdings möglich, daß einmal ein Oheim in Amerika ist, und daß an diesen Oheim in Amerika nicht gedacht wird, und daß des­ wegen die Berücksichtigung einer Erbschaft von diesem Oheim nicht eintritt; aber im all­ gemeinen sind die Seitenverwandten eben auch nicht so weit entfernt, daß man an die Möglichkeit einer Erbschaft nicht denken könnte; man wird also nicht gerade Erbschaften von solchen entfernten Verwandten, an die man gar nicht denkt, inS Auge zu soffen haben. Die weitere Argumentation deS Herrn Abgeordneten von Stumm geht dahin: wen» an die Möglichkeit einer solchen Erbschaft gedacht worden wäre, wenn solche für Borbehaltsgut erklärt, d. h. für solche die Gütertrennung vereinbart werde, dann nur, wenn er darauf sich stützt, kann er annehmen, daß, trotzdem eS sich um gesetzliches und nicht um vertragsmäßiges Güterrecht handelt, eine solche Erbschaft Borbehaltsgut sein soll. Auch daS ist möglich, daß die Sache einmal so liegt, daß, wenn die Rupturienten an die Erbschaft gedacht hätten, die ihnen später zufällt, sie für diese Gütertrennung bestimmt haben würden. Aber das ist auch nur möglich und durchaus nicht mehr als möglich, nicht einmal wahrscheinlich. In dieser Beziehung möchte ich noch einmal auf das zurückkommen, was der Herr Berichterstatter vorhin kurz angeführt hat. Es kommen Eheverträge, worin Gütertrennung bestimmt wird, so außerordentlich selten in Deutschland vor, daß es kaum angeht, unter irgend welchen Voraussetzungen den Abschluß gerade solcher Eheverträge zu vermuthen. Ich will einiges aus den statistischen Notizen mittheilen. In Rhein - Bayern lvurden in den Jahren 1871 bis 75 8349 Eheverträge abgeschlossen, davon 6744, durch tvelche Errungenschaftsgemeinschaft eingeführt worden ist, in 4 Fällen Verwaltungsgemeinschast, in 49 Fällen Separation des biens, in einem Falle Dotalrecht. In Bodm wurden in den Jahren 1870 bis 74 28322 Eheverträgc geschloffen; davon entfallen zwei Drittel auf die Errungenschaftsgemeinschast, auf BermögenSabsonderung

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kommt nur etwa 1 Prozent der Gesammtzahl; von dem Dotalsystem wird so gut wie kein Gebrauch gemacht. (Hört! hört! links.) Dann in Rhein-Hessen wurden in den Jahren 1871 bis 75 2673 Eheverträge ab­ geschlossen ; auf die Errungenschaftsgemeinschaft kommen 2519, auf die Klausel „sans communaute44 7, auf die Klausel Separation des biens 36 und auf das Dotalrecht 1. In Elsaß - Lothringen endlich wurden 1870 bis 74 16879 Eheverträge geschlossen. tmvon entfallen auf die Errungenschaftsgemeinschaft 14 745, auf die Klausel „sans communaut6u 23, auf die Klausel Separation de biens 90, auf das Dotalsystem 15. Also überall nur eine verschwindende Anzahl von Verträgen, durch die Gütergemeinschaft beredet wird. Sind wir nun berechtigt, auch nur für besonders geartete Fälle anzunehmen, daß die Ehegatten, wenn sie bei der Eheschließung den Sachverhalt gekannt hätten, gerade Gütertrennung beredet hätten? Ich glaube nicht. Dann möchte ich noch hervorheben: bei der ganzen Frage handelt es sich nicht um Auslegung, — es ist eben nicht ein Ehevertrag geschlossen, vielmehr die Schließung eines solchen unterlassen worden, und es treten in Folge dessen die Folgen ein, die das Gesetz feststellt. Es ist mißlich in einem solchen Fall zu operiren mit den Grundsätzen, die nur für die Auslegung der Verträge gelten können. Und wiederum im Zusammen­ hang hiermit kann man, glaube ich, auch nicht mit Recht sagen, das Prinzip der Ver­ tragsfreiheit werde verletzt. Wenn man von Vertragsfreiheit der Ehegatten spricht, so soll nur damit gesagt werden, cs kann vor wie nach der Ehe durch Vertrag der Nupturienten das Güterrecht bestimmt werden. Das ist aber nicht ausgeschlossen, wenn die Erbschaft anfällt, nachdem das gesetzliche Güterrecht eingetreten ist. Wenn Mann und Frau einig sind, können sie jeden Augenblick durch Ehevertrag die Gütertrennung be­ stimmen, beziehungsweise bestimmen, daß die Erbschaft vorbehaltenes Gut sein soll. Nur in der Richtung ist durch den Eintritt Hes gesetzlichen Güterrechts die Freiheit ein­ geengt, daß es der Braut nicht mehr möglich ist, die Eheschließung zu unterlassen, wenn nicht auf die von ihr gewünschte Gestaltung des Güterrechts eingegangen wird. Das -aber ist die nothwendige Folge davon, daß eine Ehe geschlossen würde, ohne daß ein Vertrag mit dem gewünschten Inhalt vorlag. Präsident: Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Abgeordnete Spahn. Abgeordneter Spahn: Meine Herren, verzeihen Sie, wenn ich die Verhandlung -auf eine Sekunde unterbreche. Es besteht die Absicht, heute Abend eine Zusammenstellung derjenigen Beschlüsse, die in zweiter Lesung abweichend von der Vorlage der Regierung gemacht sind, den Mitgliedern des hohen Hauses zugänglich zu nmd)cn. Um das zu ermöglichen, muß ich spätestens jetzt folgendes zur Sprache bringen. Bei der Revision der Vorlage und der Beschlüsse hat sick) ergeben, daß an zwei Stellen der Vorlage Aenderungen redaktioneller Art vorzunehmen sind, über welche ein Beschluß nicht gesüßt worden ist. Um nun den Truck definitiv feststellen zu können, muß ich um die Erlaubniß bitten, diese beiden und vielleicht noch diese oder jene andere redaktionelle Aenderung vornehmen zu dürfen. Die beiden Aenderungen, um die es sich handelt, sind folgende: In 8 257 ist gesagt: Der Schuldner kann sich jedoch, so lange der Gläubiger die gewählte Leistung weder ganz noch zum Theil empfangen hat, durck) eine der übrigen Leistungen von seiner ®erbtnblid)feit befreien. Der Entwurf hält durch seine ganze Fassung hindurch an der Absicht fest, burd) die Wortstellung zugleich anzudeuten, wer, d. h. Kläger oder Beklagter, für seine Behauptung den Beweis zu erbringen hat. Um die Beweislast auch für diesen Paragraphen zu regeln, wäre eine Korrektur in der Weise vorzunehmen, daß in Uebereinstimmung mit der sonstigen Fassung des Entwurfs der zweite Halbsatz des Absatz 1 folgenden Wortlaut erhielte:

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Der Schuldner kann sich jedoch, so lange nicht der Gläubiger die gewählte Leistung ganz oder zum Theil empfangen hat, durch eine der übrigen Leistungen von seiner Verbindlichkeit befreien. — sodaß also statt „weder — noch" „nicht" zu sagen ist. Dann ist an einer Stelle, in § 542, das Wort Untermiether eingefügt, um einen kurzen Ausdruck für die vorhergehenden Worte zu haben. Der Entwurf hält daran fest, daß ein solcher technischer Ausdruck nur dann einzufügen sei, wenn der Begriff wiederholt in anderen Bestimmungen des Enttvurfs gebraucht wird. Nun wiederholt sich das Wort nicht. In Folge deffen kann das Wort Untermiether auch an dieser Stelle gestrichen werden. Ich glaube. Sie können mir unbedenklich die Befugniß ertheilen, diese beiden Aenderungen vorzunehmen, und ich glaube, Sie gehen auch nicht zu weit, wenn Sie mir außerdem erlauben, hier und da kleine Aenderungen redaktioneller Natur vorzunehmen, die sich bei der wiederholten Durchsicht des Entwurfs ergeben. Präsident: Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. von Cuny. Abgeordneter Dr. von Cuny: Ich möchte bitten, unserem Herrn Kollegen Spahn vertrauensvoll die gewünschte Ermächtigung zu geben. (Bravo!) Präsident: Die Herren haben den Antrag zur Geschäftsordnung gehört, zwei Berichttgungen vorzunehmen und die Ermächtigung dazu dem Herrn Abgeordneten Spahn zu ertheilen. Ich glaube. Sie können diese Ermächttgung um so ruhiger abgeben, als diese Berichtigungen in der Zusammenstellung der Beschlüffe zweiter Lesung Ihnen bei der dritten Lesung mit unterbreitet werden. Ich ersuche diejenigen Herren, welche dem Antrag zur Geschäftsordnung, den Sie soeben gehört haben, zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. (Geschieht.) Das ist die Mehrheit; der Antrag ist angenommen. Das Wort zur Sache hat der Herr Berichterstatter. Berichterstatter Abgeordneter Dr. Bachem: Meine Herren, ich lege Werth darauf, den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Freiherrn von Stumm nicht erst im Schluß­ wort zu antworten, damit es nicht scheint, als ob ich die Diskussion abschneiden wollte, — waS mir auch vorhin ganz fern gelegen hat. Der Herr Abgeordnete Freiherr von Stumm hat ausgeführt, daß doch die Lage der Frauen in Bezug aus Konservirung und Schutz ihres Vermögens bei der Güter­ trennung eine andere sei als bei dem System des Entwurfs. Ich glaube, der Herr Abgeordnete Freiherr von Stumm übersieht, daß nach dem Entwurf, so bald die Frau Besorgnisie hat, daß ihr Mann mit ihrem Vermögen nicht sorgfältig umgeht, sie Sicherheits­ leistung verlangen kann, und zwar nach § 1374, und daß nach § 1401, wenn der Mann irgendwie etwas peccirt bei der Verwaltung des Vermögen» der Frau, die Frau sofort das Aufhören der Benvaltungsgemeinschaft, vollständige Gütertrennung verlangen kann. Ich muß zugeben, daß damit in formaler Beziehung die Frau etwas schlechter gestellt ist; materiell ist sie aber nicht schlechter gestellt. Denn wenn sie diese beiden einschneidende^ Mittel nicht benutzt, um ihr Vermögen zu sichern, so kommt das materiell auf dasselbe hinaus, als wenn sie bei der Gütertrennung es dem Mann gestattet, ihr Vermögen zu verwalten und auch zu verjubeln. Auch bei der Gütertrennung ist thatsächlich nach der Erfahrung die Sache so, daß meist der Mann zwar nicht aus eigenem Recht, wohl aber als Spezialbeaustragter der Frau deren Vermögen verwaltet, und in diesem Fall ist die Frau genau in derselben Lage, auch thatsächlich, abgesehen von dem formalen Unterschied, wie bei dem System des Entwurfs. Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Freiherr von Stumm-Halberg. Abgeordneter Freiherr von Stumm-Halberg: Meine Herren, ich will dem Herrn Referenten nicht in das Detail folgen; ich glaube aber, er hat durch seine letzten Aus-

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führungen selbst bewiesen, daß seine erste Behauptung, daß es völlig gleich sei hinsichtlich der Sicherheit des Vermögens der Frau in dem einen wie in dem anderen Falle, nicht zutrifft. Und was den Leichtsinn des Mannes anlangt, den die Frau durch gerichtliche Klage einschränken kann, so nehmen Sie einfach einen Mann, der das Vermögen der Frau verwaltet und unter Verschluß hat, der gar nicht von Natur leichtsinnig ist, er kommt aber in leichtsinnige Gesellschaft, er sängt an zu spielen — man weiß ja, wie das geht! —, er verliert, er glaubt, das Verlorene durch dubliren wieder gewinnen zu können, und verliert das Vermögen der Frau in einer Nacht. Wenn aber Herr Bachem meint, daß die Frau, wenn sie ihrem Mann Vertrauen schenkt, ihm auch immer das Vermögen unter Verschluß geben wird, so ist das nicht der Fall: bei großem Vermögen kann die Frau noch so viel Vertrauen haben, das Vermögen wird meist, sei es von einem Buchführer, sei es von einem Kassirer, verwaltet, und wenn dann der Fall eintritt, daß der Mann das (einige verspielt hat, so kann die Frau bei Zeiten das ihrige schützen. Damit ist die Sache wohl erledigt. Meine Herren, ich muß auch dem Herrn Regierungskommissar ganz kurz erwidern. Meiner Auffassung nach beweist die von ihm ausgemachte Statistik genau das Gegentheil von dem Gewollten: sie beweist, daß die Eheverträge im allgemeinen nicht üblich sind, daß sie nur in den selteneren Fällen geschlossen werden, wo ein erhebliches Vermögen vorhanden ist, oder wo beispielsweise der Fall mit dem Onkel in Amerika vorgesehen werden konnte. Wenn aber die Statistik im Sinn des Herrn Regierungskommissars ver­ wendet werden soll, dann müßte er nachweisen, daß auch bei g r ö ß e r e m Vermögen nur ein geringer Prozentsatz von Eheverträgen geschlossen wird. Kann dies nicht behauptet werden, so wiederhole ich, daß die Vertragssreiheit gerade dadurch unterbrochen wird, daß die unvermögende Frau in der Regel keinen Ehevertrag abschließt, ihn aber abgeschlossen hätte, wenn sie vorher hätte wissen können, daß sie in Besitz eines größeren Vermögens kommen würde. Nun sagt der Herr Regierungskommissar: das ist keine Vertragsfreiheit, wenn die Frau allein davon Gebrauch machen sann, sondern die Vertragssreiheit ist hier vollständig gewährt, indem durch Uebereinstimmung beider Ehegatten die Sache jederzeit geändert werden kann. Das mag juristisch Vertragsfreiheit sein; praktisch ist das keine Bertrags­ freiheit. Ich verstehe unter Vertragsfreiheit den Zustand, daß zwei Leute einzeln über­ einstimmen müssen, wenn irgend eine Last dem andern zugefügt wird. Das findet bei dem Ehevertrag statt, da muß jeder von beiden einverstanden sein. Wenn nun aber ein Ehevertrag nicht abgeschlossen ist und nach der Auffassung des einen Theils die Nothwendigkeit eintritt, daß durch diese Erbschaft ein Ehevertrag hätte abgeschlossen werden müssen, dann ist eben diese eine Persoll nicht mehr in der Lage, das allein zu erreichen, sondern der andere Ehegatte muß seinerseits zustimmen. Das ist eben keine Vertragssreiheit mehr, wenn die Frau hier von der Zustimmung des Mannes abhängig ist. Meine Herren, ich darf das eine noch hinzufügen, daß in der Kommission der gleichlautende Antrag, den ich damals gestellt hatte, nicht etwa mit Stimmenmehrheit, sondern mit Stimmengleichheit abgelehnt wurde, und daß dieser Antrag im Gegen­ satz zu unserem Prinzipalantrag Unterstützung aus allen Fraktionen gefunden hatte. Präsident: Die Diskussion ist geschlossen. Der Herr Berichterstatter verzichtet. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Freiherr von Stumm, Nr. 446 ad 3, dessen Verlesung Sie mir erlassen. Ich ersuche diejenigen Herren, welche diesem Antrage des Herrn Abgeordneterl Freiherr von Stumm gemäß den Zusatz zu £ 1351 annehmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. (Geschieht.) Das ist die Minderheit; der Antrag ist abgelehnt.

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Ich ersuche diejenigen Herren, welche dem § 1351 der Vorlage nach dem Antrag der Kommission zustimmen wollen, sich zu erheben. (Geschieht.) Das ist die Mehrheit. §§ 1352 bis 1550. — Sind angenommen. Zu § 1551 liegen vor die Anträge Auer Nr. 471 zu 56 und Lenzmann Nr. 472 zu 1, welche beide andere Fassungen wünschen. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Munckel. Abgeordneter Mnuckel: Meine Herren, aus der langen Debatte von heute wird jedem, dem es noch nicht klar war, klar geworden sein, daß es unter Umständen ein ganz gefährliches Ding ist, eine Ehe einzugehen. (Heiterkeit.) Alle die Gefahren, die ich zum Theil noch gar nicht einmal gekannt habe aus der eigenen Praxis, die man möglicherweise bei der Eheschließung läuft und die eigentlich als Gewissensbedenken schon beginnen, wenn man nicht genau weiß, wo man sie schließen soll, müßten eigentlich den Gedanken nahelegen, daß man wenigstens die Möglichkeit, aus einem so gefahrdrohenden Zustande wieder herauszukommen, nicht allzuschwer macht, und deshalb stehen die Vorschriften über die Ehescheidung mit denen über die Eheschließung, wie ich meine, in genauem Zusammenhang. Der Entwurf bescheidet sich — und die Kommission hat in diesem Falle noch nachgeholfen —, daß er die in einem großen Theil Deutschlands bestehenden Ehescheidungsgründe vermindert und die Ehescheidung erschweren will. Man sagt — und das gilt auch speziell für uns, die wir im Gebiet des preußischen Landrechts leben —, daß man dieses vom friedericianischen Geiste durchwehte Gesetz, so weit wie es die Ehescheidung zum Gegenstand hat, nicht mehr anwenden dürfe, weil, wie ich glaube, bei der Behandlung des Eherechts der sittliche Ernst, sowie ihn die Gegenwart versteht, nicht vorhanden gewesen sei. Meine Herren, ich weiß nicht ganz, ob der Vor­ wurf gerechtfertigt ist oder nicht. Zunächst haben wir in diesem Gesetz, was das Landrecht nicht thut, sehr scharf unterschieden zwischen den verschiedenen Seiten, die die Ehe hat, der religiösen, der rechtlichen und, was nicht speziell zum Ausdruck gekommm ist, der sittlichen. Die Herren haben ausdrücklich eine Ueberschrist beantragt, wonach da» Gesetz nicht von der Ehe, wie der Entwurf wollte, handelt, sondern von der „bürgerlichen" Ehe. Meiner Meinung versteht sich das zwar eigentlich von selber, aber ich bin doch nicht der Meinung, daß die Aenderung, die die Herrn vom Zentrum wohlüberlegt vor­ geschlagen haben, so ganz gleichgiltig ist. Bor der Hand ist es nur ein Name, der etwas Selbstverständliches betont, aber indem man etwas Selbstverständliches noch ausdrücklich betont, hat man die Idee, in diese Betonung hinterher etwas hineinzulegen, und vor dem, was man hineinlegen könnte, habe ich einen gewissen Respekt. Ich werde für den Zusatz „bürgerliche", wenn ich überhaupt dafür stimmen sollte, zwar nicht mit dem bekannten schweren Herzen stimmen (Heiterkeit), mit dem früher immer die Herren Nationalliberalen stimmten, und mit dem heutzutage die Herren vom Zentrum zu stimmen beginnen mit großem Erfolg. Aber, meine Herren, für harmlos erkläre ich dieses Bedenken nicht. Nun sage ich also: wir haben ausdrücklich uns beschieden und »vollen es mit ausdrücklichen Worten noch sagen, daß wir uns von der religiösen Seite der Ehe in diesem Gesetzbuch ganz abwenden, daß wir in diesem Gesetzbuch nur bestimmen wollen die Formen des Rechtsaktes, den die Ehe auch enthält. Ja, meine Herren, wenn dos der Fall ist, dann verstehe ich nicht, weshalb wir nach der anderen Seite hin — eö gehört das zur Ehescheidung im Allgemeinen mit hinzu und ich muß es erivähnen — die Ehescheidung erschweren. Ich verstehe namentlich nicht, »vas das Zentrum mit seinem in der Kommission hineingebrachten Antrag auf Zulassung der bloßen Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft will. Mit dem Sakrament

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der Ehe, welches Ihnen heilig ist, hat das Gesetz nichts zu thun. Der durch das Sakrament gebundene Katholik weiß ganz von selbst, daß, wenn er die Behörde des Staats z«r Scheidung seiner Ehe anruft, für ihn damit nicht mehr herbeigeführt wird, als die Scheidung der äußeren ehelichen Gemeinschaft. Wenn er das aber weiß — wozu die Organe des Staats ihm noch zu dem Zweck dienstbar machen, daß er das ausdrücklich coram pablico erklären? Dazu ist mir die Gesetzgebung des Staats zu schade, denn es ist nicht richtig, daß derjenige, der gezwungen wird, den Antrag auf Scheidung der bürgerlichen Ehe zu stellen, dadurch in seinem Gewissen bedrängt wird, als könnte man es so aufsassen, er wolle auch das Sakrament geschieden haben. Aber, meine Herren, das ist es nicht, worüber ich eigentlich namentlich zu £ 1551 sprechen wollte. Ich weiß nicht, Herr Präsident, ob die Diskussion schon mit über den ganzen Antrag Lenzmann zu § 1552 eröffnet ist. Präsident. Nein, nur über den Antrag Lenzmann zu § 1551. Abgeordneter Munckel. Also nicht zu £ 1552 ; ich muß mich also aus die Gefahr hin, mich nachher zu wiederholen, aus den £ 1551 beschränken. Der 8 1551 enthält die sogenannten nicht absoluten, sondern konkreten oder relativen Scheidungsgründe. Er ist der an die Stelle der weitergehenden Gesetzgebung des Landrechts getretene Paragraph; er enthält ein Prinzip, mit dem wir uns befreunden können insoweit, als er nicht manche der Gründe, die das Landrecht als absolute Ehescheidungsgründe hinstellt, jetzt noch als absolut trennende ausführt, sondern als er verlangt, daß im Einzelsall der Richter konkret prüfen solle, ob eine Ehe durch schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten so tief in ihren Verhältnissen zerrüttet ist, daß darum dem anderen un­ schuldigen Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemuthet werden kann. Meine Herren, gegen dies Prinzip ist an und für sich nichts zu erinnern. 9tun folgt aber ein Schlußsatz im Entwurf und im Äommissionsentwurf; als schwere Ver­ letzung der Pflichten gilt auch grobe Mißhandlung —, und dem wendet sich unser An­ trag entgegen, indem er verlangt, daß das Wort „grobe" fehlen soll, daß also nur „Mißhandlung" dasteht, und daß der Mißhandlung gleichgestellt werden solle Be­ schimpfung, Verleumdung und rechtswidrige Bedrohung. Meine Herren, wenn der letzte Satz im Entwurf nicht stünde, dann wäre vielleicht der Antrag entbehrlich, dann könnte man sagen, daß alle diese Fälle, wie wir ausdrücklich hervorheben wollen, als eine schwere Verletzung der ehelichen Pflichten, als ein ehrloses und unsittliches Verhalten angesehen und unter eine dieser Kategorien subsumirt werden könnte. Wenn aber das Gesetz ausdrücklich grobe Mißhandlung als ein Beispiel her­ vorhebt, so ist damit jedenfalls die einfache Mißhandlung unter allen Umständen aus­ geschlossen, und die einfache Beleidigung und die Verleumdung als das Minus auch, und das, meine Herren, halte ich nicht für gerechtfertigt. Ich will nicht, daß um jedes leicht hingesprochene Wort, was man als Beleidigung ansehen könnte, nicht um jede leichtfertig geführte Rede, die man als Verleumdung aufsassen könnte, eine Ehe gelöst werden soll. Nein, das wird auch unser Antrag, wenn er Gesetz werden sollte, nicht herbeiführen. Tenn es bleibt immer stehen, daß die von uns gerügte Thatsache aufgefaßt werden muß vom Richter als eine schwere Verletzung der Pflicht, als ein ehrloses oder unsitt­ liches Verhalten, und daß die Folge dieser Handlungen eine so tiefe Zerrüttung der Ehe sein muß, daß nach der Meinung des Richters dem unschuldigen Theil die Fortsetzung nicht zugemuthet werden kann. Ich meine, mit diesem Verlangen gehen wir in der That nicht zu weit, und wir dürfen uns namentlich den Vorwurf nicht gefallen lassen, daß wir das Verhältniß der Ehe zu wenig vom streng sittlichen Standpunkt auffassen. Meine Herren, ich sagte Ihnen schon im Eingang, in der sriedericianischen Zeit, der unser Landrecht seine Entstehung verdankt, war man der Meinung, daß es nicht gut sei, eine Ehe, die innerlich nicht mehr besteht, bei der die geistige Gemeinschaft der

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Ehegatten aufgehört hat, bei der die gegenseitige Steigung und Achtung erloschen ist, noch weiter formell bestehen zu lasten. Man nahm damals an, daß die Sittlichkeit ohne Freiheit überhaupt nicht denkbar ist, und daß die Aufrechterhaltung eines Bandes der Oeffentlichkeit und der Aeußerlichkeit gegenüber, welches innerlich zerrissen ist, eine sittlich schöne Wirkung nicht äußern kann. DaS ist nichts wesentlich anderes alS eine Heuchelei nach außen hin. Man verdeckt einen Schaden, den man nicht zeigen mag, während es bester wäre nach unserer Auffassung, den Schaden auSzuschneiden. Auf die religiösen Wirkungen einer solchen Scheidung kommt es ja hier nicht an; die religiöse Seite der Sache wird bei diesem Gegenstand ausdrücklich ausgeschieden. Was die rechtlichen Wirkungen betrifft, so wird man sagen können als juristischen Satz, daß, wenn diejenigen natürlichen und sittlichen Voraussetzungen, auf denen ein Ehebnnd beruht, durch die Schuld des einen Ehegatten völlig beseitigt sind, das Recht erfordere, daß der andere nunmehr an diesem — jetzt will ich es einmal so nennen — Kontrakt auch seinerseits nicht mehr gebunden ist. Vom sittlichen Standpunkt aus wird man sagen dürfen, daß das Festhalten eines Menschen bei einem anderen, bei dem man ihm eigentlich nicht zumuthen kann, noch ferner festgehalten zu werden, daß das weder ein sittliches Motiv ist, noch daß es sittlich-gute Wirkungen haben kann. Also, meine Herren, indem wir für unS in Anspruch nehmen, daß wir die Sitt­ lichkeit der Ehe hochstellen, sind wir der Ansicht, daß der § 1551 so wie er im Gesetz vorliegt, nicht vollständig genug ist und daß er mindestens durch die von uns hinzu­ gefügten anderen Fälle, in welchen ebenfalls eine völlige Zerrüttung des ehelichen Bandes begründet sein kann, völlig ergänzt werden muß. Meine Herren, daß auch eine leichte Thätlichkeit unter Umständen, einer Frau gegenüber verübt, eine so tiefe Mißstimmung verursachen kann, daß die Frau, die dergleichen von ihrem für gebildet und anständig geachteten Gemahl nicht erwartet, fortan einen tiefen Widerwillen gegen ihn empfindet, das werden Sie mir unter allen Umständen für möglich erklären müssen. Und daß, wenn jemand hingeht und seinen Gatten ober die Gattin bei aller Welt verleumdet, um ihm die Ehre abzuschneiden, was daS Landrecht für einen EhescheidungSgrund mit Recht erklärt, — daß daS eine solche Zerrüttung der Ehe herbeiführen kann, daß man dem anderen Ehegatten nicht mehr zumuchen kann, mit dem verleumderischen Theil zusammenzuleben, — auch daS, glaube ich, wird keiner Darlegung bedürfen. Wenn man es ihm also nicht zumuthen kann, ihm dann zu sagen: eS befördert aber die Heiligkeit der Ehe und den hohen sittlichen Begriff, daß du wenigstenS so thust, alS wenn du eS noch aushalten könntest, daß du wenigstens nach außen hin dich gerirst, als bestände noch das eheliche Einvernehmen, daS die Sittlichkeit erfordert, daß man nach außen hin heuchelt, — daS will sich mit meiner Anschauung der Sitt­ lichkeit nicht vertragen. Ich glaube, wo die sittliche Grundlage der Ehe fehlt, wo sie durch Verschuldung eines Theils weggenommen ist, müssen wir die Ehetrennung gestatten und wollen dem Richter nicht einen kleinen, sondern weiten Spielraum lassen. In diesem Sinne bitte ich Sie um Annahme unseres Antrags zu § 1551. (Beifall links.) Präsident. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bebel. Abgeordneter Bebel: Meine Herren, ich bedaure sehr, daß eine so wichtige Frage, toie die augenblicklich zur Berathung stehende, in so später Stunde zur Berathung kommt. Es mag sein, daß bei der Majorität dieses Hauses, die entschlossen ist, abgesehen von kleinen Abänderungen, die Vorlage so anzunehmen, wie sie aus der KommisfionSberathung hervorging, keine Steigung besteht, in größere Debatten sich einzulassen. (Zustimmung in der Mitte.) Aber ich glaube, daß man draußen im Lande in weiten Kreisen einen solchen Standpunkt nicht billigen und nicht verstehen wird. Die Frage, die uns hier beschäftigt, betrifft durchschnittlich nur einen kleinen Theil

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der Bevölkerung, aber sie trifft doch jedes Jahr viele Taufende von Männer und Frauen. Ich meine, daß es da wohl der Mühe werth fei, etwas gründlicher, als es bei der vor­ gerückten Zeit möglich ist, über dieselben zu sprechen. Tie Herren von der Majorität sind entschlossen, die Ehescheidung nach Möglichkeit zu erschweren. Sie haben in Folge desien Bestimmungen im § 1551 aufgenommen, die in wesentlichen Punkten hinter dem Recht zurückbleiben, das bis jetzt im größten Theil Deutschlands volle hundert Jahre maßgebendes Recht war. Der vorliegende Entwurf bedeutet eine erhebliche Ver­ schlechterung nach unserer Auffassung gegenüber den Bestimmungen des preußischen Landrechts über Ehescheidung. Daß es so gekommen ist, darüber darf man sich nicht wundern, wenn man die Motive gelesen hat. Ich kann mich nicht entsinnen, daß bei einer Berathung hier seitens der Parteien, die als Hauptstützen der bestehenden Staats­ ordnung gelten, in so scharfen, heftigen und ausfallenden Ausdrücken über ein be­ stehendes Gesetz abgeurtheilt worden ist, wie in den Motiven des Entwurfs über das preußische Landrecht. (Hört! hört! links.) Wer diese Ausführung liest und das preußische Landrecht nicht kennt, muß glauben, daß das preußische Landrecht ein so erbärmliches mangelhaftes Gesetz wäre (Zurufe), daß man eigentlich nicht versteht, wie dasselbe 100 Jahre bestehen konnte. (Sehr wahr! links.) Der Herr Abgeordnete Gröber rüst: sehr richtig! Er ist Württemberger; sonst würde er wahrscheinlich schon früher Veranlassung genommen haben, die Bestimmungen des preußischen Landrechts über die Ehescheidung abzuändern, ohne auf das gegenwärtige bürgerliche Gesetzbuch zu warten. Aber ich möchte doch Herrn Gröber gegenüber be­ merken: Ich habe bisher nicht gehört — und ich bin begierig, ob mich jemand eines Besseren belehren kann —, daß, sei es aus Juristen-, sei es aus Laienkreisen, sich gegen die Bestimmungen des preußischen Landrechts über die Ehescheidung eine Opposition er­ hoben hätte, welche die in den Motiven gefällten Urtheile rechtfertigte. (Sehr richtig! links.) Es mögen hier und da einzelne Personen gewesen sein, die mit demselben unzufrieden waren, aber größere Votkskreise wurden davon nicht ergriffen. So kann nicht gesagt werden, daß die Bestimmungen des preußischen Landrechts über Ehescheidungen sich nicht voll bewährt hätten. Gegenüber diesen Angriffen halte ich mich doch moralisch verpflichtet, die mir ge­ schichtlich gänzlich unbekannten Versasser — der Haupturheber des Gesetzes war wohl Friedrich der Große — in Schutz zu nehmen. Ob das bürgerliche Gesetzbuch ebenfalls 100 Jahre bleiben wird, ohne daß seine Grundlagen angetastet zu werden brauchen, er­ scheint mir sehr zweifelhaft. (Sehr richtig! links.) Ich glaube, es vergeht kein Jahrzehnt und Sie müssen bereits sehr bedeutende Aenderungen daran vornehmen. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Daß ein Gesetz aus dem letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts die großartige soziale und wirthschaftliche Entwicklung im Lause dieses Jahrhunderts aus allen Gebieten des öffentlichen Lebens nicht nur ausgehalten hat, sondern auch Bestimmungen enthält, aus denen jetzt noch hervorgeht, daß sie sogar noch einem großen Theil der Volksvertretung gegenwärtig zu liberal sind, das gereicht diesem Gesetz und seinem Urheber zur aller­ größten Ehre. (Lebhaftes sehr wahr!)

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bezweifle, daß die Urheber dieses Gesetzbuch- da- Gleiche nach hundert Jahren

gesagt bekommen werden. (Heiterkeit und sehr richtig!) Da wird gesagt, die Ehe des preußischen LandrechtS sei rationalistisch, nüchtern, geschäftsmäßig, praktisch; daraus erkläre sich auch die Zulassung der freiwilligen Scheidung. Dieser Standpunkt sei aber jetzt nicht mehr akzeptabel. Ja, wollen Sie denn etwas anderes von einem Gesetzbuch verlangen, als daß es rationalistisch, nüchtern, geschäfts­ mäßig, praktisch ist? (Sehr richtig! links.) Können Sie in einem Gesetze Phantasien irgend einer Art niederlegen, sich in demselben mit irgend welchen Ideologien beschäftigen? (Sehr wahr! links.) Wenn ein Gesetz dem praktischen Bedürfniß nicht nur der Zeit, in welcher es entsteht, sondern ein volles Jahrhundert hernach zu entsprechen geeignet ist, dann gebührt ihm die größte Anerkennung. (Sehr wahr! links.) Es heißt weiter in den Motiven: Die friderizianische Gesetzgebung sei davon ausgegangen, daß die Ehe daS Institut für Erzeugung von Kindern sei, daß die Beförderung der Erzeugung von Kindern im staatlichen Interesse gelegen sei, und daß diesem Interesse die Gestaltung der Ehescheidung sich unterzuordnen habe. Aus diesem Grunde sei sogar die Ehescheidung auf Grund „gegenseitiger Einwilligung" bei kinderloser Ehe und aus unüberwindlicher Abneigung aufgenommen. Diese Auffassung sei jedoch begründet gewesen in einer sehr gelockerten Anschauung über die sittliche Bedeutung der Ehe, welche in der damaligen Zeit Platz gegriffen habe. Run, daß am Ende des letzten Jahrhunderts in Preußen in Bezug auf die sittliche Auffassung der Ehe eine lockerere Anschauung bestanden haben sollte, alS sie heute in denselben Kreisen, die damals für das Gesetz maßgebend gewesen sind, bestehen, da- möchte ich auf das entschiedenste bezweifeln. (Sehr richtig! links.) Ich begreife ja den Standpunkt der Herren, die dazu gekommen sind, die jetzige Borlage im Vergleich zum preußischen Landrecht zu verschlechtern, d. h. die Ehescheidung nach Möglichkeit zu erschweren. Ich habe schon heute bei einer anderen Debatte darauf hin­ gewiesen, daß an einer Stelle der Motive zu meiner eigenen Ueberraschung ausgesprochen worden sei, daß wir unS gegenwärtig in eine r Zeit fortschreitender Auflösung der Familie befänden, daß diesen Zuständen dadurch entgegengearbeitet werden muß, daß man die Familie neu befestigte. Ja, meine Herren, Sie machen sich die Arbeit sehr leicht, indem Sie weiter sagen: das beweist, daß wir unS in einem moralischen Bersall befinden, wenn die Familie verfällt, wenn Ehescheidungen häufiger vorkommen, als das früher der Fall war, und, wie ich zugebe, sogar relativ häufiger wie früher. Das spricht scheinbar für Ihren Standpunkt, daß man nunmehr die Ehescheidung er­ schweren müsse. In Wahrheit ist dieser Ihr Standpunkt ein durchaus verkehrter. Sie betrachten die Dinge leider nur immer an der Oberfläche und gehen nicht auf den Grund. (Unruhe in der Mitte.) — Ja, erlauben Sie, daß ich Ihnen das hier nicht bloß sage, sondern auch-beweise. Meine Herren, der Moralzustand einer Gesellschaft ist die Widerspiegelung der that­ sächlichen materiellen und sozialen Zustände, in denen sie sich befindet. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Die Ideen, die in unseren Köpfen entstehen, entstehen aus den Wahrnehmungen und Er­ scheinungen, die sich in unserer Umgebung offenbaren und Eindruck auf und machen, und Ste»o-raphische verlchte. v.».v.

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dadurch erst kommen wir zu bestimmten Jdeenafloziationen. Wenn nun also die Wahr­ nehmung vorhanden ist, daß in der That heute mehr wie in jedem früheren Zeitalter die Ehescheidungen zunehmen, und Sie behaupten wollen, das sei ausschließlich die Ur­ sache des Moralzustands der Gesellschaft — nein, meine Herren, dann sage ich: wohl zugegeben, daß der Moralzustand eine Ursache für diese Erscheinung ist: aber der Moralzustand ist selbst erst wieder die Widerspiegelung thatsächlicher sozialer Ursachen, die diese moralischen Erscheinungen erzeugt haben. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, wer unser soziales Leben beobachtet, die ungeheure Schwere des ganzen Eristenskampfs, die zahllosen Erscheinungen der verschiedensten Art, um die alle anzu­ führen man ja allein stundenlange Darlegungen brauchte, die heute im sozialen Leben wirksam sind und auch aus das Eheleben einwirken, bald bei dem Mann, bald bei der Frau, bald bei beiden und auf die Zerrüttung und Auflösung der Ehe hinarbeiten, dann werden Sie mir doch, wenn Sie richtig schließen, zugeben müssen, daß die Erscheinungen aus der Welt zu schaffen, während Sie die Ursachen nicht aus der Welt schaffen können, das denkbar verkehrteste ist, was Sie zu thun vermögen. (Sehr wahr! sehr richtig! links.) Meine Herren, es giebt zahllose Ursachen sozialer Art, die aus die heutige Ehe zerrüttend einwirken. Ich will nur eine der vornehmsten hervorheben, die heute mehr als in jedem früheren Zeitalter zur Geltung kommt, weil eben heute mehr als je zuvor der Kampf um die Existenz schwieriger geworden ist. Geldehen, Bermögensehen hat es zweifellos gegeben, so lange Privateigenthum existirten (sehr richtig! links), aber daß die Geld- und Vermögensehen so häufig wurden, ich möchte sagen: zu einer allgemeinen sozialen Erscheinung, wie in unserem gegenwärtigen Zeitalter, das werden Sie aus keinem früheren Zeitalter mir nachzuweisen im Stande sein. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Diese Thatsache allein enthält aber eine ungezählte Zahl von Ursachen, die dann ihrerseits wieder in ihrer Komplikation darauf hinwirken, daß die Ehen in einen zer­ rütteten Zustand kommen, daß bald auf der einen, bald auf der anderen Seite ein Zustand entsteht, der daraus drängt, die vollkommen unhaltbar gewordenen Ehen zu lösen. lSehr richtig! links.) Zu den Erscheinungen, daß Geldehen außerordentlich häufig sind, kann man auch in hervorragendem Maße diejenigen zählen, die Sie ja zweifellos allesammt bedauern, aber nicht zu ändern im Stande sind, daß z. B. heute die Ehen — zur Schande unserer Gesellschaft sei es gesagt — bereits aus offenem Markt zum Schachergeschäft gemacht werden.

Diese üble Folge bliebe sich gleich, auch wenn der von dem Herrn Kollegen Stadthagen eventuell in Aussicht gestellte, abgeschwächte Antrag angenommen würde, nämlich der Antrag, daß die uneheliche Mutter unter den verschieden jolidarisch haftenden nur einen mit.den Alimenten in Anspruch nehmen dürfte ; denn auch hier wäre die praktische Folge die, daß mail den heraussuchen würde, welcher am potentesten im Zahlen ist. (Sehr richtig!) Tie Ausführung, daß die Frauenspersonen stets der angeg risse ne Theil seien, daß man das „schwache" Geschlecht zu schützen habe, geht viel zu weit. Das ist eine Behauptung, die nicht der Wirklichkeit entspricht. Jeder, der hier in Berlin Nachts durch eine Straße geht, kann es erfahren, daß die Frauenzimmer auch der angreifende Theil sein können. Wenn man endlich die „E hrist enPflicht" betont, für die armen, unehelichen Kinder zu sorgen, so glaube ich, der Christenpflicht wird am besten dadurch gedient, daß man die Widerstandsfähigkeit des Mädchens kräftigt, indem man ihm vor Augen stellt: du haft nicht die Möglichkeit, deine und deines Kindes Lage dadurch zu verbessern, daß du dich mit mehreren Männern verfehlst; du darfst nicht einen Mann heraussuchen, sondern kannst dich nur an denjenigen halten, der der Vater deines un­ ehelichen Kindes auch wirklich ist. Es ist nach meiner Ueberzeugung der Christenpflicht

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viel entsprechender, wenn man so die Widerstandskraft des Mädchens stärkt, als wenn man ihr einen Freibrief giebt, der dazu führen muß, sie sittlich immer tiefer sinken zu machen. (Bravo!) Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Strombeck. Abgeordneter von Strombeck: Hätte ich den Antrag Auer so aufgefaßt, daß nicht bloß einer der Betheiligten zum Vater erklärt werden könnte, sondern mehrere, so mürbe ich den Antrag bemängelt haben. Ich habe aber den Antrag, wie ich nachher aus dem Munde des Herrn Stadthagen interpretiren gehört habe, richtig aufgefaßt: es kann nur einer als Vater verurtheilt werden, nicht aber gleichzeitig mehrere, auch nicht sukzessive mehrere. (Sehr richtig!) Nun muß ich mir gegenüber den Ausführungen meines verehrten Freundes und Kollegen Gröber eine kurze Bemerkung erlauben. Er sagte: ja, im Zivilrecht muß die Grundlage der Berurtheilung der Beweis der Vaterschaft sein, und es ist ein Unding, wenn ohne diesen strickten Beweis die Berurtheilung zur Vaterschaft erfolgt. Meiner Auffasiung nach liegt die Sache gar nicht so schlimm. Ich habe hier den § 814 des bürgerlichen Gesetzbuchs vor mir, den ich, da er nur kurz ist, verlese: Haben mehrere durch eine gemeinschaftlich begangene unerlaubte Handlung einen Schaden verursacht, so ist jeder für den Schaden verantwortlich. Dasselbe gilt, wenn sich nicht ermitteln läßt, wer von mehreren Betheiligten den Schaden durch seine Handlung verursacht hat." (Sehr gut!) Also wenn mehrere vorhanden sind, die einen Schaden verursacht haben, wird der eine oder der andere von ihnen verurtheilt ohne den strickten Nachweis der Thäterschaft. — Mein Freund sagt mir eben leise : hier handelt es sich um ein Delikt. Gewiß, da hat er vollständig recht. Der uneheliche Beischlaf ist aber, wenn auch nicht juristisch, doch moralisch unerlaubt. Ich sage ferner: bei unehelichen Kindern handelt es sich um die Pflicht des Staat-, Vorsorge zu treffen für die armen Wesen. (Sehr richtig!) Wir haben die nämliche Pflicht und das nämliche Recht, die unehelichen Kinder zu schützen wie nothleidende Arbeiter zu schützen. Ich bitte also nochmals um Annahme deS Antrags. Nun noch eine kurze Geschäftsordnungsbemerkung gegenüber Herrn Dr. Rintelen. Ich war erstaunt über seine Bemerkung mir gegenüber. Mit keinem Wort sagte ich, ich spräche im Namen meiner Fraktion; im Gegentheil, durch die paar Worte, die ich im Anschluß an das sagte, waS Herr Stadthagen über die katholiche Kirche behauptete, gab ich zu erkennen, ich sei der Annahme, es wären unter meinen politischen Freunden auch solche vorhanden, die meine Ansicht nicht theilten. Wenn Herr Dr. Rintelen nun sagt, ich stände ganz allein, so weiß ich nicht, woher er das weiß. Das erinnert mich etwas an juristische Unfehlbarkeit. Ich glaube zu wissen, daß in der Kommission zwei Mitglieder des Zentrums in meinem Sinne stimmten. (Sehr richtig!) Die Abstimmung wird ja zeigen, ob noch mehrere Mitglieder meiner Fraktion meine Ansicht theilen und nicht die des Herrn Rintelen. Präsident: Die Diskussion ist geschlossen. Der Herr Berichterstatter verzichtet. Wir treten in die Abstimmung ein. Ich mache Ihnen folgenden Vorschlag: zuerst über den Prinzipalantrag Auer und Genoffen, der eine vollständig andere Faffung vorschlägt, abzustimmen; sodann.

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wenn derselbe abgelehnt werden sollte, über den Eventualantrag Stadthagen, der die Worte „es sei denn u. s. w." streichen will; dann erst über den Paragraphen, wie ihn die Kommission vorschlägt, je nach der Fassung, die er erhalten haben wird. — Das Haus ist damit einverstanden. Ich ersuche diejenigen, welche dem Antrag Auer gemäß den 8 1693 fassen wollen, sich zu erheben. (Geschieht.) Das ist die Minderheit; der Antrag ist abgelehnt. Ich lasse nunmehr über den handschriftlichen Eventualantrag Stadthagen abstimmen, aber in der Form der Aufrechterhaltung der Worte „es sei denn, daß auch ein anderer ihr innerhalb dieser Zeit beigewohnt hat", die der Antrag gestrichen haben will. Ich ersuche diejenigen, welche in der Kommissionsfassung die Worte „es sei denn u. s. w." aufrecht erhalten wollen, sich zu erheben. (Geschieht.) Das ist die Mehrheit: der Antrag ist abgelehnt, und die Worte sind aufrecht erhalten. Ich ersuche nunmehr diejenigen, welche den 8 1693 in der Fassung der Kommission annehmen wollen, sich zu erheben. (Geschieht.) Das ist die Mehrheit; 8 1693 ist angenommen. 8 1694. — Angenommen. Siebenter Titel, Legitimation unehelicher Kinder, 88 1695 bis 1716. — An­ genommen. Achter Titel, Annahme an Kiildesstatt, §§ 1717 bis 1748. — Angenommen. Dritter Abschnitt, Vormundschaft: §8 1779 bis 1782. — An­ genommen. 8 1783. Hier liegen vor der Antrag Gamp, Dr. Lieber, Freiherr von Manteuffel auf Nr. 498 der Drucksachen und der Antrag Freiherr von Manteuffel, Himburg, von Staudy aus Nr. 470 ad 3. In der eröffneten Diskussion hat das Wort der Herr Abgeordnete von Staudy. Abgeordneter von Staudy: Zu unserem Antrag zu 9Zr. 470 ad 3 der Druck­ sachen muß ich zunächst daraus aufmerksam machen, vor allem den Herrn Präsidenten, daß sich ein Schreib- resp. Druckfehler eingeschlichen hat. Es sollen für den Fall der Annahme des Antrags in Ziffer 5 deS 8 1783 nicht die Worte „insbesondere Pfand­ briefen" gestrichen werden, sondern die Worte „solchen Pfandbriefeil oder". Ferner will ich gleich daraus aufmerksam machen, daß nicht mir für den Fall, daß unser Eventualantrag zu 8 135 des EinsührungsgesetzeS noch zur Verhandlung kommen und angenommen werden sollte, Art. 211 deS Einführungsgesetzes zu streichen ist, sondern auch für den Fall der Annahme unseres Antrags, den wir zu 8 1783 Nr. 3 gestellt haben. Wenn ich nun zur Sache selbst übergehe, so muß ich mir leider sagen, daß, nachdem der Antrag aus 9Zr. 498 der Drucksachen von den Herren Abgeordneten Gamp, Dr. Lieber und von Manteuffel gestellt ist, für die Erreichung des Zwecks, den mein Antrag aus 9ti. 470 beabsichtigt, wenig Aussicht vorhanden ist. Ich kann aber nicht umhin, den von mir gestellten Antrag zu vertreten, einmal, weil ick) weiß, daß die beiden eben genannten Herren Mitantragsteller des Herrn Dr. Lieber den Antrag auf 9Zr. 498 nur als einen Eventualantrag gestellt haben, daß prinzipiell die Herren Gamp und von Manteuffel auf meinem Standpunkt stehen, und außerdem will ich mit den mir zu Gebote stehenden Mitteln versuchen, Gerechtigkeit zu errcidicn für eine Institution, die seit mehr als 100 Jahren mit dem Wesen des preußischen Staats aufs innigste verknüpft ist.

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Meine Herren, die Landschaften und Ritterschaften sind eine der genialen Ein­ richtungen Friedrich» de» Großen, und zwar eine solche, die sich auf das glänzendste bewährt hat: bis heute gelten die Landschaften im wirtschaftlichen Leben Preußens als eine über jeden Zweifel erhabene Grundlage. Die Sicherheit ihrer Pfandbriefe wird als eine absolute angesehen. Meine Herren, ich habe ausdrücklich gesagt „bis heute" trotz des sehr bedauerlichen Gegensatzes, in den in der Debatte vom 18. Juni diese» Jahres die Pfandbriefe zu den Staatspapieren gebracht sind. Meine Herren, ich bin sicher, daß die dahingehenden Ausführungen keinen Anklang im Volk finden, ja nicht einmal in maßgebenden finanziellen Kreisen. Diese Kreise sind dazu viel zu gut orientirt. Die entgegenstehenden Artikel einiger Blätter, welche stets hetzen, wenn es sich um ein Jntereffe der Landwirthschaft, selbst um das berechtigtste handelt, haben in keiner Weise verfangen und werden es niemals thun. Aber einige Artikel, welche bereits gebracht sind, haben etwas anderes erreicht. Sie haben nämlich den Herrn Reichsbankpräsidenten in einen schroffen Gegensatz zum Herrn Reichskanzler gebracht. Jene Artikel behaupteten, daß mit Genehmigung des Reichskanzlers der Reichs­ bankpräsident gesprochen habe von der Minderwerthigkeit der landschaftlichen Pfandbriefe gegenüber den Staatspapieren. Das konnte der Herr Bankpräsident nicht thun. Er hat allerdings im Eingang der Debatte vom 18. Juni gesagt, daß er informirt sei über die Ansichten und Absichten des Herrn Reichskanzler-. Aber auf den Theil seiner Rede, der auf die Minderwerthigkeit der Pfandbriefe gegenüber den Staatspapieren sich bezieht, konnte der Herr Reichsbankpräsident diese Information nicht beziehen, wollte es gewiß auch nicht, denn kein preußischer Minister würde dazu die Genehmigung gegeben haben, also auch der Herr Reichskanzler als Ministerpräsident in Preußen nicht. (Sehr gut!) Außerdem liegt — und das wußte der Herr Reichsbankpräsident gewiß genau — eine maßgebende Aeußerung deS Herrn Reichskanzlers nach dieser Richtung hin vor. Bor mir liegt eine eigenhändig gezeichnete Verfügung deS Herrn Reichskanzlers, datirt aus Alt-Auffee den 12. August 1895, in welcher der Herr Reichskanzler die Frage des Zinsfußes bei der Lombardirung von Staatspapieren und Pfandbriefen ganz eingehend behandelt, und zwar, wie er selbst sagt, nachdem dieselbe im Anschluß an die im Königlich preußischen landwirtschaftlichen Ministerium stattgehabte Besprechung mit Vertreten: der östlichen Landschaften von den betheiligten ReffortS, insbesondere den obersten Finanz­ behörden des Reichs und von Preußen einer eingehenden Prüfung unterzogen worden ist. Der Herr Reichskanzler sagt in seinem Reskript, es ginge nicht an, dem Petitum der Landschaften nachzukommen; er macht geltend- daß es deshalb nicht anginge, weil die Reichsbank zu sehr in Anspruch genommen werden könnte durch die eventuell zu zahlreich stattfindenden Lombardirungen. Er meint ferner, es sei Rücksicht zu nehmen auf andere, besonders süddeutsche Bankinstitute, welche mit ähnlichen Anträgen kommen könnten. Diesen letzteren Grund erkenne ich, wie ich gleich bemerke, nicht alS stichhaltig an. Aber auch nicht mit einem Wort ist vom Herrn Reichskanzler angedeutet, daß die preußischen landschaftlichen und ritterschaftlichen Pfandbriefe nicht gleichwerthig seien mit den Staatspapieren. Meine Herren, ich glaube, der Herr Präsident der Reichsbank dürste wesentlich an diesem Bescheide mitgearbeitet haben; er kannte also die Ansicht des Herrn Reichskanzlers, und seine Information konnte niemals dahin gehen, die land- und ritterschaftlichen Pfandbriefe als minderwerthig den Staatspapieren gegenüber zu bezeichnen. Nun, meine Herren, in Preußen sind die landschaftlichen Pfandbriefe mündelsichere Papiere. Welche Stellung wird ihnen aber im bürgerlichen Gesetzbuch eingeräumt? Der 8 1783 regelt die Frage, in welchen Werthen Mündelgelder angelegt werden dürfen; die Landschaften sind dort nicht genannt, nur ergänzend wird im tz 211 des Einführungsgesetzes gesagt, daß die landesgesetzlichen Bestimmungen in Kraft bleiben

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sollen, nach welchen gewisse Werthpapiere zur Anlegung von Mündelgeldern geeignet sind. In dieser Art und Weise der Regelung liegt eine schwere Schädigung. In Preußen ist die Mündelsicherheit der land- und ritterschaftlichen Pfandbriefe im Gesetz selbst aus­ gesprochen; diese Bestimmung gilt selbstverständlich für den ganzen Geltungsbereich des Gesetzes. Nach den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuchs würde aber nur für einen Theil des Geltungsbereichs, nämlich nur für Preußen, diese Mündelsicherheit weiter bestehen, und schon darin liegt eine zweifellose Benachtheiligung. Es kommt aber noch hinzu, daß auch durch die Stellung, welche die einschläglichen Bestimmungen im Gesetzbuch haben, die Pfandbriefe deklassirt werden. Es ist nicht ohne weiteres zu ersehen — unter den mündelsicheren Papieren sind, wie gesagt, die Pfandbriefe nicht angegeben —, daß sie wenigstens in einem Theil des Deutschen Reichs mündelsicher bleiben sollten; das Publikum wird a priori gar nicht in der Lage sein, sich zu informiren, und selbst für die Juristen wird es nicht in allen Fällen leicht sein. Meine Herren, unser Antrag geht nun dahin, diese landschaftlichen und ritter­ schaftlichen Pfandbriefe in Preußen ohne weiteres unter die mündelsicheren Papiere auf­ zunehmen, und ich kann in keiner Weise zugeben, daß darin eine besonders große For­ derung liege. Nach dem, was ich Ihnen ausgeführt habe, und was die Herren, die sich dafür interessiren, alle wissen, bezweckt unser Antrag lediglich Anerkennung und Schutz einer für uns überaus wichtigen Einrichtung, und wir meinen auch, daß weder in materieller noch in formeller Beziehung Bedenken nach dieser Richtung obwalten können. Ich habe schon ausgeführt, daß trotz der Debatte vom 18. Juni und trotz gewisser An­ griffe doch in ganz Deutschland die Sicherheit der preußischen landschaftlichen Pfandbriefe eine ganz allgemein anerkannte ist und bleiben wird. Meine Herren, wenn aber wirk­ lich einmal Zweifel darüber aufkommen sollten bei einem Vormund oder Vormundschafts­ gericht, dann ist doch niemand im ganzen Reich, insbesondere kein Vormund, kein Vor­ mundschaftsgericht irgendwie gezwungen, gerade diese Papiere zu kaufen. Und wenn Sie nun glauben, daß darin eine ungerechtfertigte Bevorzugung der preußischen Pfandbrief­ institute vorliegen könne — der Herr Abgeordnete von Marquardsen stimmt mir eben bei —, so kann ich auch das nicht zugeben. Diese Bevorzugung vor anderen Kredit­ instituten existirt in Preußen und zwar mit gutem Recht; außerhalb des preußischen Staats aber giebt es keine Landschaften. Warum wollen Sie nun den preußischen Land­ schaften die Stellung nicht lassen, die sie von Alters her überkommen haben? Ich muß Sie dringend bitten, eine alte preußische Einrichtung zu respektiren, an welcher viele Kreise das allerlebhafteste Interesse haben. (Sehr richtig! rechts.) Ich täusche mich darin nicht. Vielleicht erinnern sich noch manche Herren einiger Worte von denen, die ich am 18. Juni hier gesagt habe. Die Landschaften sind nicht bloß eine Einrichtung für die Großgrundbesitzer. Sämmtliche preußische Landschaften haben heute auch schon den bäuerlichen Besitz in sich aufgenommen. Ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich behaupte, daß schon Tausende von Bauern in jede preußische Landschaft mitausgenommen sind: von der, an deren Spitze ich stehe, kann ich das bestimmt sagen, und bei jeder anderen ist es wohl ebenso. Ich habe Ihnen damals auch vorgeführt, daß die preußische Regierung alles aufbietet, um den landschaftlichen soliden sicheren Kredit dem kleinen Grundbesitzer so weit zugänglich zu machen, als es nur irgend möglich ist. Ich muß nun noch darauf eingehen, wie sich der Antrag Gamp zu dem unserigen verhält. Wenn der Antrag Gamp Gesetz wird, so giebt es Effekten, welche nach dem Gesetz im Reich mündelsicher sind, und solche, welche als mündelsicher erklärt werden können. Zu letzteren gehören die Pfandbriefe. Daß darin eine Teklassirung der Pfandbriefe liegt, brauche ich nicht weiter anzuführen. Ich möchte Sie aber auch

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darauf aufmerksam machen, daß der Antrag Gamp es offen läßt, daß nach der Richtung hin verschiedene Zustände herrschen können; es kann der Bundesrath zu einer Zeit die Pfandbriefe für mündelsicher erklären, zu einer anderen Zeit eine andere Auffassung haben und eine andere Bestimmung erlassen. Ist überhaupt Logik darin, wenn man im Reichstag sagt: wir können diese Bevorzugung der Landschaften durch Reichsgesetz nicht fixiren, der Bundesrath aber soll eine dahin gehende Bestimmung erlassen können? Wollte der Bundesrath logisch ebenso verfahren, wie wir es wahrscheinlich hier thun werden, dann dürfte er eine solche Bestimmung nicht erlassen, und es könnten auch gar leicht innerhalb des Bundesraths Zustände eintreten, wo eine solche Ansicht durchgreift. Logisch wäre es ja, wie gesagt, vielleicht, wenn man zu der Ansicht käme. Sie haben einfach kein Recht, eine bewährte preußische Institution in dieser Weise in Frage zu stellen; Sie können von uns in Preußen ein solches Opfer nicht verlangen, und thun Sie es doch, dann werden Sie weite Kreise gegen das bürgerliche Gesetz ver­ bittern, was, glaube ich, nicht im Interesse des Gesetzgebers wie des bürgerlichen Gesetz­ buch- selber liegt. Ich möchte Sie dringend bitten, meinen Antrag anzunehmen. (Lebhaftes Bravo rechts.) Präsident: Das Wort hat der Herr Bevollmächtigte zum Bundesrath, Königlich preußische Staatsminister und Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten, Freiherr von Hammerstein-Loxten. Bevollmächtigter zum Bundesrath für das Königreich Preußen, Staatsminister und Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten, Freiherr von Hammerstein-Loxte»: Meine Herren, nicht bezüglich der hier vorliegenden Anträge ist eS meine Absicht, daS Wort zu ergreifen, sondern in Anknüpfung an die Verhandlung, welche am 18. Juni 1896 über den Antrag der Mitglieder des Reichstags von Arnim und Genossen betreffs Lombardirung der Pfandbriefe bei der Reichsbank stattgefunden haben. Ich will vorab erklären, daß ich aus eine Reihe unrichtiger oder bedenklicher Aeußerungen, welche in Anlaß dieser Verhandlung gefallen sind, mich hier zu äußern nicht beabsichtige, weil ich die Absicht habe, eine Berichtigung dießer Aeußerungen durch eine Erklärung im „Reichsanzeiger" eintreten zu lassen. Ich thue das aus dem Grund, weil ich glaube, daß es verkehrt sein würde, mit der Erörterung über diese Einzelfragen diese Verhandlungen über das bürgerliche Gesetzbuch zu belasten. Mit Erlaubniß deS Herrn Präsidenten gestatte ich mir folgende Erklärung zu ver­ lesen, weil ich Werth darauf lege, daß jedes Wort richtig im stenographischen Bericht Aufnahme findet. Die Landschaften unterstehen einer ständigen und eingehenden staatlichen Be­ aufsichtigung, es bedürfen nicht bloß die Statuten und die Taxgrundsätze der staatlichen Genehmigung, sondern es wird auch der ganze Geschäftsbetrieb dauernd kontrolirt, bei sämmtlichen Landschaften, außer der schlesischen und der hannoverschen, sind besondere Staat-kommissare für die erstinstanzliche AuffichtSführung eingesetzt. Die landschaftlichen Behörden sind mittelbare Staatsbehörden, gesetzlich auch mit Funktionen anderer Art betraut (Ausstellung von Unschädlich­ keitsattesten und Bestätigung von Lehnstaxen u. s. w.). ihre Mitglieder werden staatlich bestätigt. Auf Grund der ihr so zu Gebote stehenden vollen Kenntniß der Personen und Verhältnisse nimmt die preußische landwirthschaftliche Ver­ waltung keinen Anstand, ihrer bestimmten Ueberzeugung Ausdruck zu geben, daß die preußischen Pfandbriefe und zwar sämmtliche Gruppen und Systeme von ihnen als erstklassige beste Werthpapiere anzusehen sind, deren voll­ kommene Sicherheit außer Zweifel steht. Die landwirthschaftliche Verwaltung befindet sich in dieser Hinsicht auch in keinerlei Meinungsverschiedenheit mit der Reichsbankverwaltung. Die neulichen

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Aeußerungen des Herrn Präsidenten des Reichsbankdirektoriums sind, obwohl ihr Sinn doch nicht zweifelhaft sein konnte, bei der Oeffentlichkeit theilweise Mißdeutungen und Mißverständnissen begegnet. Der Herr Reichsbankpräsident hat mich demgegenüber ersucht, nochmals hervorzuheben, daß er die sämmtlichen Pfandbriefe ebenfalls als vollkommen sichere erstklassige Werthpapiere anerkennt, und daß auch die Reichsbank dementsprechend verfährt und unter ihrem erheb­ lichen Lombardbestand von 30 Millionen Mark Pfandbriefen solche der verschieden­ sten Systeme im Besitz hat und hierbei zwischen den einzelnen Gruppen keinen Unterschied macht. (Lebhafter Beifall rechts.) Ich beschränke mich auf diese Erklärung und glaube, daß damit Mißdeutungen, welche namentlich in der Presse aufgetreten sind, beseitigt werden, daß damit auch Be­ denken, welche aus den Erklärungen des Herrn Reichsbankpräsidenten gegen die Pfand­ briefe entnommen werden könnten, der sachliche Boden entzogen ist. Noch einmal wieder­ hole ich, daß eine Reihe von Unrichtigkeiten in den Verhandlungen am 18. Juni d. I. vorgekommen sind. Darauf näher einzugehen beabsichtige ich heute nicht, es wird in den nächsten Tagen eine Richtigstellung im „Reichs- und Staats-Anzeiger" erfolgen. (Bravo! Sehr gut! rechts.) Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gamp. Abgeordneter Gamp: Ich möchte zunächst meinen Dank dem verehrten Kollegen Dr. Lieber dafür aussprechen, daß er unseren Antrag unterstützt hat. Ich werde mich sehr kurz fassen und auf eine eingehende Erörterung dieser die landwirthschaftlichen Interessen in hohem Maße berührenden Fragen nicht weiter eingehen. Persönlich stehe ich auf dem Standpunkt, den Herr von Staudy schon näher ausgeführt hat, und nach den Erklärungen des Herrn Landwirthschaftsministers kann es wohl nicht dem mindesten Zweifel unterliegen, daß die Pfandbriefe der Landschaften erstklassige, vollwerthige, den Staatspapieren völlig gleichstehende Effekten sind. Man kann ja im Zweifel sein, ob es überhaupt nothwendig war, hier diesen Gegensatz in dieses Gesetz hineinzutragen. Wir haben bisher nur 1 a n d e s mündelsichere Papiere, und das hätte im Allgemeinen auch ausgereicht. Wenn man weiter gehen wollte — und ich erkenne an, daß für einzelne Ausnahmefälle wohl ein Bedürfniß dazu vorliegt —, so hätte man sich darauf beschränken können, die Reichs- und Staatspapiere für reichssichere Papiere zu erklären. Ein weiteres Bedürfniß liegt nicht vor; wenn man sich hierauf beschränkt hätte, so wäre überhaupt dieser Gegensatz, der unter Um­ ständen noch recht scharf hervortreten kann und vielleicht auch noch hervortritt, wenn unser Antrag abgelehnt werden sollte, vermieden. Ich betrachte es also nicht als ein glückliches Vorgehen der verbündeten Regierungen, daß sie diesen Gegensatz ohne zwingende Veranlassung in das Gesetz hineingetragen und sich nicht darauf beschränkt haben, die ersten drei Nummern aufzunehmen; das hätte wirklich dem Bedürfniß genügt. Mer dagegen muß jedes Gerechtigkeitsgefühl sich sträuben, daß man die landschaftlichen Pfand­ briefe schlechter stellen will wie Schuldverschreibungen irgend einer Kommune, deren Leistungsfähigkeit unter Umständen durch den Wegzug von drei oder vier reichen Leuten vollständig alterirt werden kann. Also, meine Herren, dem, was wir verlangten in dem Antrag auf Nr. 498 der Drucksachen, wird niemand widersprechen können. Wir ver­ langen eine paritätische Behandlung, wir verlangen, daß nicht Werthpapiere, die unter Umständen schlechter sind wie die landschaftlichen Pfandbriefe, im Gesetz privilegirt werden, indem ihnen ex lege die Reichs mündelsicherheit beigelegt wird, den Pfandbriefen da­ gegen nur nach Bestimmung des Bundesraths. Aber ich glaube, wir haben keine Ver­ anlassung, über diese Sache uns noch weiter zu unterhalten. Wird unser Antrag an­ genommen, dann wird wenigstens das Unrecht beseitigt, daß absolut sichere Papiere, die, wie wir eben von dem Herrn Minister gehört haben, erstklassige Papiere sind, durch

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daS Gesetz schlechter behandelt werden wie solche, bereit Sicherheit sehr wohl durch irgend welche Veränderungen in den Steuerverhältnissen einzelner Kommunen alterirt werden könnte. Ich will auf diese Sache nicht weiter eingehen. Ich bitte Sie dringend, den An­ trag auf Nr. 498 der Drucksachen als das Minimum unserer berechtigten Forderungen anzusehen und ihn anzunehmen. N Präsident: Das Wort hat der Herr Bevollmächtigte zum Bundesrath, Staats­ sekretär des Reichsjustizamts, Wirkliche Geheime Rath Nieberding. Bevollmächtigter zum Bundesrath, Staatssekretär des Reichsjustizamts, Wirklicher Geheimer Rath Nieberding: Meine Herren, ich würde es in hohem Maße bedauern, wenn die Besorgniß des Herrn Abgeordneten von Staudy zutreffen sollte, daß in den landwirthschaftlichen Kreisen Preußens die Meinung Verbreitung finden könnte, als ob durch die Fassung des bürgerlichen Gesetzbuchs bezüglich der mündelsicheren Papiere den preußischen Interessen irgend ein Opfer zugemuthet würde, und ich würde nicht minder bedauern, wenn aus diesem Anlaß in den landwirthschaftlichen- Kreisen sich eine Er­ bitterung gegen das bürgerliche Gesetzbuch überhaupt entwickeln sollte. Einen Gegensatz gegen die Jnteresien der alten preußischen Kreditinstitute hervorzurufen, hat bei der Auf­ fassung des Entwurfs vollständig ferngelegen, und ich glaube, durch eine kurze Darlegung feststellen zu können, daß durch die Art und Weise, wie der Entwurf die Klassifizirung der mündelsicheren Anlagen vorgenommen hat, irgend ein Nachtheil gegenüber dem der­ zeitigen-Besitzstand der landschaftlichen Papiere in Preußen und in denjenigen anderen Bundesstaaten, in denen solche Papiere ausgegeben sind, nicht erzeugt werden kann. Meine Herren, der Rechtszustand, wie er gegenwärtig ist, geht dahin, daß die in Preußen ausgegebenen landschaftlichen Papiere als mündelsichere Anlagen gelten im Bereich des preußischen Staats, und der Rechtszustand auf Grund deS bürgerlichen Gesetzbuchs, nachdem besten Bestimmungen in Kraft getreten sind, wird der sein, daß auch dann die in Preußen ausgegebenen landschaftlichen Werthpapiere ihren Charakter als mündelsichere Anlagen in dem alten Umfang behalten werden. Das folgt allerdings nicht aus den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuchs selbst; es ist aber in ganz zweifelloser Weise festgestellt durch das Einführungsgesetz und zwar durch Art. 211, in welchem ausdrücklich gesagt wird, daß diejenigen landesgesetzlichen Vorschriften auch nach dem Inkrafttreten des bürgerlichen Gesetzbuchs ihre Geltung behalten, welche über den Kreis der durch daS bürgerliche Gesetzbuch selbst bezeichneten Papiere hinaus gewiste Werthpapiere als mündelsicher anerkennen. Zu diesen lände-gesetzlichen Vorschriften, meine Herren, gehört auch die preußische Bormundschaftsordnung vom Jahre 1875. In der preußischen Vormundschaftsordnung ist ausdrücklich ausgesprochen, daß die Papiere der preußischen Landschaften — sie sind dort etwas ander» bezeichnet, aber eS ist dasselbe damit gemeint —, sofern die Institute den in der BormundschaftSordnung vorgesehenen Maßgaben entsprechen, gleich den Hypotheken als mündelsichere Anlagen zu gelten haben. Alle Papiere, die zur Zeit den Vorschriften der preußischen Vormund­ schaftsordnung entsprechen, alle landschaftlichen Papiere, die in Zukunft ausgegeben werden und die diesen Vorschriften entsprechen, werden nach wie vor in Preußen ihre Geltung als mündelsichere Papiere behalten. Es wird also in der Stellung dieser Papiere nichts geändert. Ich glaube, kein Jurist würde darüber im Zweifel sein, wenn er zur An­ wendung des Gesetzes zu schreiten hat; und ich glaube, wenn in den nichtjuristischen Kreisen irgend ein Zweifel darüber entstehen sollte, der übrigens durch die ausdrücklichen Feststellungen im Bericht der Kommission mir beseitigt zu sein scheint, dann müßte er durch die Erklärung beseitigt werden, die ich eben die Ehre habe, hier int Hause ab­ zugeben. Nun, meine Herren, möchte ich weiter zur Beruhigung der hier betheiligten Jnteresien das sagen: aus dem Umstande, daß die landschaftlichen Pfandbriefe im bürger-

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lichen Gesetzbuch selbst nicht ausgeführt sind, ist irgend ein Moment gegen die Sicherheit, insbesondere gegen die Mündelsicherheit der Papiere, nicht herzuleiten. In Bezug auf die Auswahl derjenigen Werthe, welche in dem zur Diskussion stehenden Paragraphen des Gesetzbuchs als solche Anlagen ausdrücklich aufgeführt sind, welche ohne besonderen Beschluß des Bundesraths vermöge der Bestimmungen des Gesetzes selbst als mündel­ sichere gelten sollen, hat die Frage der größeren oder geringeren Sicherheit der Werthe eine entscheidende Rolle überhaupt nicht gespielt. Für diese Auswahl ist entscheidend gewesen, daß man nur solche Papiere hier ausdrücklich ausführen wollte, die in ganz Deutschland bei mündelsicheren Anlagen gebräuchlich sind. Diese Anlagewerthe, meine Herren, sind die Hypotheken, sind die Reichs- und Staatspapiere, sind die Kommunalpapiere, und sind endlich die Anlagen in den öffent­ lichen Sparkassen, die in ihrer Einrichtung den Ansprüchen der Landesverwaltung Genüge leisten. Indem der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs sich auf diese Kategorien be­ schränkte, hat er sich im Rahmen desjenigen gehalten, was auch andere Reichsgesetze be­ stimmen, wenn die Vorschriften über die Anlage disponibler Gelder in Papieren geben. In gleicher Weise, wie im bürgerlichen Gesetzbuch ist die Klassifikation in dem Gesetz, betreffend die Verwaltung des Reichsinvalidenfonds, vorgenommen, in gleicher Weise ist sie in dem Gesetz, betreffend die Verwaltung des Festungsbausonds, erfolgt, ebenso ist sie in den sozialpolitischen Gesetzen bezüglich der in der Krankenkassenverwaltung und in der Unfallversicherung disponiblen Gelder erfolgt, überall sind diejenigen Kategorien von Papieren aufgeführt, die auch in dem Entwurf dieses Gesetzes ausgeführt sind. Es giebt zweifellos nicht bloß auf dem Gebiet der Landschaften, sondern auch über dieses Gebiet hinaus Anlagewerthe, welche die gleiche Sicherheit in Anspruch nehmen können wie die­ jenigen, die in dem hier zur Diskussion stehenden Paragraphen ausdrücklich aufgeführt sind, und ich wiederhole: wenn diese Anlagewerthe hier nicht ausgeführt sind, so ist daraus irgend ein Schluß gegen ihre Sicherheit nicht herzuleiten. Nun, meine Herren, hat der Herr Abgeordnete von Staudy gemeint, gleichwohl würde es möglich gewesen sein, die landschaftlichen Papiere, denen ja soeben der König­ lich preußische Herr Minister für Landwirthschaft noch das Zeugniß gegeben hat, daß sie absolut sichere erstklassige Papiere seien, unter den Papieren aufzuführen, die als voll­ kommen mündelsichere Anlagen in erster Reihe gelten. Aber wir haben das nicht ge­ tonnt mit Rücksicht auf die Lage in den übrigen deutschen Staaten, in denen landschaft­ liche Papiere nicht als mündelsicher zugelassen sind, und zwar nicht deshalb nicht zugelassen sind, tveit man etwa an ihrer Sicherheit zweifle, sondern deshalb nicht, weil sie dort ein marktgängiges Papier nicht darstellen. Würden wir nun gleichwohl von den übrigen deutschen Staaten verlangen wollen, daß sie ihrerseits im Wege der Reichs­ gesetzgebung die landschaftlichen Papiere Preußens zur Anlage von Mündelgeldern zu­ lassen, sodaß diese in erster Reihe für die Anlage von Mündelgeldern in Betracht kommen, so würden wir diese Regierungen vor ein sehr unbequemes Dilemma stellen; denn die Anerkennung der landschaftlichen Pfandbriefe in ihrem Lande als mündelsichere Papiere vermöge Reichsgesetzes könnte leicht zur Folge haben, daß diejenigen Papiere, die bei ihnen bis dahin an Stelle der landschaftlichen Pfandbriefe als mündelsichere Werthanlagen kraft unmittelbarer gesetzlicher Vorschrift benutzt wurden, nicht mehr als erstklassige Papiere angesehen, sondern hinter die landschaftlichen Pfandbriefe zurück­ gestellt würden. Nun könnte man mit Recht an die Regierungen die Frage stellen: wie sollen wir diese Sachlage verstehen, wenn ihr nicht darauf gedrungen habt, daß auch die bisher bei uns als mündelsichere Anlagewerthe angesehenen Papiere in dem bürgerlichen Gesetz­ buch als solche anerkannt werden, wenn mit eurer Zustimmung an ihre Stelle die land­ schaftlichen Pfandbriefe getreten sind, dann giebt es doch nur zwei Möglichkeiten: entweder sind die Papiere, die bei uns als vormundschaftliche Anlagewerthe bisher

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galten, in der That nicht so sicher, daß sie in dem bürgerlichen Gesetzbuch alS mündelsichere Anlagewerthe anerkannt werden konnten, und dann trifft die vormundschaftliche Verwaltung und Gesetzgebung deshalb ein schwerer Borwurf, weil diese Werthe bisher zugelasien gewesen find, oder aber dieser Borwurf ist nicht begründet, die Papiere können in der That Anspruch darauf machen, als volle sichere Mündelanlagen zu gelten, — dann ist es nicht zu verstehen, weshalb ihr nicht darauf gedrungen habt, daß die fraglichen Werthe neben den landschaftlichen Pfandbriefen gleichfalls im bürgerlichen Gesetz­ buch mit aufgeführt werden. Dieses Dilemma, meine Herren, war nicht anders zu erledigen als auf dem Wege, den wir gewählt haben. Er führt zu dem Resultat, daß in jedem Lande die partikular­ rechtlich als mündelsicher anerkannten Papiere vollständig in ihrem alten Besitzstand und bei ihrem alten Privilegium bleiben. Deshalb, meine Herren, kann ich Sie nur bitten, den Antrag der Herren Abgeordneten von Staudy und Genossen in Uebereinstimmung mit demjenigen, was Ihre Kommission nach zweimaliger Berathung beschloffen hat, ab­ zulehnen. Anders liegt die Sache mit demjenigen Antrag, den der Herr Abgeordnete Gamp unb Genossen Ihnen vorgelegt haben. Dieser Antrag, meine Herren, stellt in gewiffem Sinn einen Bermittlungsvorschlag dar zwischen demjenigen, was die Regierungsvorlage und Ihre Kommission Ihnen vorschlagen, und demjenigen, was die Herren auf der rechten Seite in Anspruch genommen haben. Der Antrag Gamp will in der Weise die Sache regeln, daß die Kommunalpapiere, die nach dem Entwurf des bürgerlichen Gesetz­ buchs ex lege für daS ganze Reich als mündelsicher gelten, statt dessen in gleicher Behandlung mit den landschaftlichen und den sonstigen Werthpapieren unter diejenigen Anlagen gebracht werden, die erst vermöge eines ausdrücklichen Beschlusies des BundeSrathS mit dem für das ganze Reich wirkenden Privilegium bedacht werden können. Ich glaube, meine Herren, dieser Vorschlag kann sowohl vom Standpunkt d^r Herren Abgeordneten von Staudy und Genoffen als auch vom Standpunkt der an den Kom­ munalwerthen betheiligten Jntereffenkreise angenommen werden, einerseits deshalb, weil die Anlagepapiere, die gegenwärtig auf Grund der Landesgesetzgebung als mündelficher anerkannt sind, in diesem bevorrechteten Besitzstand verbleiben werden auch dann, wenn der Antrag Gamp angenommen wird; denn diese Papiere fallen unter die Bestim­ mungen des Artikel 211 deS Einführungsgesetzes, von dem ich vorher gesprochen habe. Sie werden also, soweit sie gegenwärtig durch die Landesgesetzgebung gedeckt sind, nicht erst auf Grund eines besonderen Beschluffes des BundeSrathS zum Privilegium ver­ stattet zu werden brauchen, sondern sie behaltendieses Privilegium ohne weitere», wenngleich allerdings nur in dem Bereich des einzelnen Partikularstaates. Für sie be­ darf es danach eines BeschlufleS deS Bundesraths erst bann, wenn es darauf ankommt, die Geltung dieser Werthe als mündelsichere Anlagen über den Kreis ihrer bisherigen staatlichen Berechtigung hinaus zu erstrecken. Daß nach dieser Richtung hin im BundeSrath keine Schwierigkeiten nnb Bedenken sich ergeben werden, sobald der BundeSrath in die Lage kommen wird, die bezüglichen Ausführungsvorschriften zu dem bürgerlichen Gesetzbuch zu erlassen, ergiebt sich daraus, daß die Regierungen auch keine Bedenken getragen haben, die Kommunalwerthe in dem Entwurf des Gesetzbuchs aufzuführen. Also, meine Herren, die Interessen der Kommunen sind vollständig gewahrt. Nach der anderen Seite, glaube ich, wird dadurch, daß man die Werthpapiere der Kommune unter ein und dieselbe Kategorie bringt mit den Papieren der Landschaften, dem Mißverständniß vorgebeugt, daß nach den Aeußerungen von der rechten Seite des Hauses in landwirthschaftlichen Kreisen Platz ergriffen hat, als wenn es die Absicht oder doch die Wirkung des Entwurfs, wie er jetzt liegt, sein könnte, die landschaftlichen Papiere in der öffentlichen Schätzung schlechter zu stellen. Wenn wir, meine Herren, solchen Miß­ verständnissen vorbeugen können auf dem Wege, den Ihnen der Herr Abgeordnete Gamp

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vorschlägt, so liegt dies, glaube ich, im Interesse des bürgerlichen Gesetzbuchs ; denn wir müssen wünschen, daß derartige Irrungen nicht in das Volk hineingetragen werden, damit die Sympathien für das bürgerliche Gesetzbuch, auf die doch stark gehofft werden muß, wenn das Gesetzbuch ohne Schwierigkeiten in das Leben eingeführt werden soll, nicht erschüttert werden. Und deshalb, meine Herren, wenn ich Sie gebeten habe, den Antrag von Staudy und Genossen abzulehnen, so darf ich auf der anderen Seite Ihnen anheimgeben, den Antrag Gamp und Genossen anzunehmen. Wie ich glaube, wird er auch auf Seiten der verbündeten Regierungen keinem Bedenken begegnen. Vizepräsident Spahn: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Freiherr von Manteuffel. (Bewegung.) Abgeordneter Freiherr von Manteuffel: Meine Herren, ganz kurz (Bravo!), — Sie können sich daraus verlassen, ich spreche nicht lange — (Bravo!) möchte ich dem Herrn Landwirthschaftsminister meinen Tank aussprechen für die (Er­ klärung, die er abgegeben hat, und die uns, die wir mit den Verhältnissen der landwirthschaftlichen Papiere vertrant sind, ungemein wohl gethan hat. Ich freue mich auch, daß der Herr Reichsbankpräsident gerade durch das landwirthschaftliche Ressort die ihn betreffende Erklärung hat abgeben lassen, weil man daraus annehmen kann, daß auch beim Herrn Reichsbankpräsidenten das Herz ansängt, agrarisch zu schlagen. (Heiterkeit.) Nun, meine Herren, ich wäre ja versucht, auf die Ausführungen des Herrn Staatssekretärs des Reichsjustizamts noch näher einzugehen; ich unterlasse das aber, weil ich fürchte: wenn ich eine lange Rede hielte, würde das höchstens unserem An­ trage schaden. (Sehr richtig!) Aber das eine kann ich doch nicht verschweigen; der Zustand, der eintritt, wenn Sie die Fassung, wie sie in der Borlage enthalten ist, annehmen, enthält unter allen Umständen eine Deklassirung der landschaftlichen Pfandbriefe Preußens. Das können Sie nicht aus der Welt schaffen; und auch durch die Erklärungen des preußischen Herrn Landwirthschaftsministers wird die Deklassirung nicht beseitigt. Meine Herren, Sie nehmen den preußischen Pfandbriefen die Reichssicherheit und schaffen ihnen nur eine Partikularsicherheit. (Sehr richtig!) Für unverbesserliche Partikularisten mag das ja sehr angenehm sein, aber für Freunde des Reichs, des Reichsgedankens und der Reichseinheit ist dieser Zustand nicht hübsch. Also diese Deklassirung ist unter allen Umständen vorhanden. Nun würde ich ja bereit sein, meine Herren, unseren Antrag zurückzuziehen; ich thue es aber nicht, weil es mir darauf ankommt, daß wir hier deutlich Stellung nehmen zu dem Antrag und zu unserer Auffassung über die Angelegenheit der land­ schaftlichen Pfandbriefe. Sollten wir unseren Antrag durchsetzen, so würden wir für die Pfandbriefe wirklich das erreichen, was ihnen zukommt. Dadurch, daß wir schließlich dem Antrag Gamp zustimmen und die .Kommunalpapiere und was sonst in der Nr. 4 steht, ebenso schlecht stellen wie die Pfandbriefe, erreichen wir weiter nichts, als daß wir sagen können: solamen miseris, socios habuisse malorum! (Heiterkeit.) Vizepräsident Spahn: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Bennigsen. Abgeordneter Dr. von Bennigsen: Ich will nur kurz erklären, daß wir uns den ausführlich dargelegten Gründen für den Antrag Staudy nicht anschließen können. Dagegen bin ich der Meinung, daß der Antrag Lieber-Gamp-Freiherr von Manteuffel

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ferne wesentliche praktische Bedeutung hat in der Unterscheidung von betn KommisfionSantrage. ES ist mehr eine Geschmacks-, Doktor- und Ehrenfrage. Wenn die Herren also wünschen, die Sache in der Weise geregelt zu sehen, habe ich nicht- dagegen und bitte meine Freunde, dafür zu stimmen. Präsident: Die Diskussion über § 1783 ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Meine Herren, ich mache Ihnen den Vorschlag, in folgender Weise abzustimmen: erstens über die Anträge zu Ziffer 4 der Äommissionsbeschlüsse, und zwar zunächst über den Antrag der Herren Abgeordneten Gamp - Dr. Lieber - Freiherr von Manteuffel, auf Nr. 498 der Drucksachen; sollte derselbe abgelehnt werden, so kommen wir zu dem Antrag zu Ziffer 4 der Abgeordneten Freiherr von Manteuffel - Himburg - von Staudy, auf Nr. 470 der Drucksachen, welcher nur eine Einschaltung in die Kommissions­ fassung machen will; sodann kommen wir zur Abstimmung über die Anträge zu Ziffer 5, die nach dem Antrag Gamp - Dr. Lieber - Freiherr von Manteuffel ganz gestrichen werden soll. Wenn dem auch nicht entsprochen werden sollte, käme noch der letzte Theil des Antrags, auf 9Zr. 470, welcher nur einen theilweisen Strich der Ziffer 5, nämlich der Worte: „in solche Pfandbriefe", verlangt, zur Geltung; schließlich werden wir abstimmen über die Fassung der Kommission so, wie sie sich dann nach Maß­ gabe der Vorabstimmungen gestaltet haben wird. — Die Herren sind damit ein­ verstanden. Ich ersuche diejenigen Herren, welche dem Antrag der Herren Abgeordneten Gamp, Dr. Lieber und Freiherr von Manteuffel zu Ziffer 4 der. Beschlüffe, nach dem Antrag 9ir. 498 zu 2, zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. (Geschieht.) Das ist die große Mehrheit; der Antrag ist angenommen. Hiernach ist der Antrag auf Nr. 470 beseitigt. Wir kommen nunmehr zu dem Antrag Gamp, Dr. Lieber, die Ziffer 5 der Be­ schlüsse zu streichen. (Zurufe.) — Der Antrag ist zurückgezogen. Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Gamp. Abgeordneter Gamp: Die Nr. 1 ist nicht zurückgezogen, Herr Präsident, sondern unser Antrag ist ein einheitliches Ganze-, über den zusammen abzustimmen sein möchte. Präsident: Also werden wir so abstimmen, wie ich von vornherein vorgeschlagen habe, über die Ziffer 5, und zwar zunächst über den Antrag Gamp-Dr. Lieber-Freiherr von Manteuffel, die Ziffer ganz zu streichen. Ich werde aber die Frage nach der Auf­ rechterhaltung stellen. — Hiermit sind die Herren einverstanden. Ich ersuche diejenigen Herren, welche, entgegen dem Antrag Gamp - Dr. LieberFreiherr von Manteuffel Nr. 498, die Ziffer 5 der Beschlüsse aufrecht erhalten wollen, sich zu erheben. (Geschieht.) Das ist die Minderheit; der Antrag ist angenommen und damit der Strich beschloffen. Nunmehr kommen wir zur Abstimmung über den ganzen Paragraphen. Ich er­ suche diejenigen Herren, welche 8 1783 in der Gestalt, die er jetzt nach Annahme der Anträge Gamp und Genossen, Nr. 1 und 2 der Nr. 498 der Drucksachen, bekommen hat, im übrigen aber nach dem Vorschlage der Kommission annehmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. (Geschieht.) Stenographische Berichte. 46

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Da- ist die große Mehrheit; 8 1783 ist angenommen mit der selbstverständlichen Redaktion, daß die Nr. 6 des 8 1783 Nr. 5 geworden ist. 88 1 784 bi- 1897. — Angenommen. Damit ist da- vierte Buch erledigt. Wir kommen zum fünften Buch: Erbrecht. Erster Abschnitt: Erbfolge. 88 1898 und 1899. — Angenommen. Zu 8 1900 liegt der Antrag Auer und Genoffen vor Nr. 471 ad 76, anstatt „Abkömmlinge" zu fetzen: „die ehelichen oder unehelichen Abkömmlinge". (Zuruf.) — Der Antrag wird, wie ich eben höre, zurückgezogen. Hiernach ist 8 1900 nicht be­ anstandet. Ich konstatire die Annahme. 88 1901 bis 1906. — Angenommen. 8 1907. Zu diesem Paragraphen liegt vor folgender Antrag der Abgeordneten Freiherr von Stumm und Pauli Nr. 446 zu 5, den 8 1907 so zu fassen: Der überlebende Ehegatte des Erblassers ist neben Verwandten der ersten Ordnung zu einem Viertheil, neben Verwandten der zweiten und dritten Ordnung zur Hälfte der Erbschaft als gesetzlicher Erbe berufen. Sind keine Verwandten der ersten und dritten Ordnung vorhanden, so erhält der überlebende Ehegatte die ganze Erbschaft. In der eröffneten Diskussion hat das Wort der Herr Abgeordnete Freiherr von Stumm. Abgeordneter Freiherr von Stuunn-Halberg: Meine Herren, ich halte die An­ nahme unseres Antrags hier für eine nothwendige Konsequenz der Beschlüsse, die Sie bereits bei 8 1905 gefaßt haben. Nach der Regierungsvorlage sollte im 8 1905 aus­ gesprochen werden, daß nur Voreltern das Erbrecht haben sollten, die Abkömmlinge der Voreltern bis zum fünften Grad aber nicht. Das hat die Kommission beseitigt, und das Haus ist dem soeben beigetreten. Ich halte es also für eine einfache Konsequenz dieses Grundsatzes, daß in 8 1907 die Abkömmlinge der Großeltern diesen gleichgestellt werden. Ich halte den Grundsatz aber auch an sich für richtig. Denn das Erbrecht der Voreltern wird doch nicht in Anspruch genommen und geübt im Interesse der Voreltern selbst — das find stets alte, meist sehr alte Leute, die für ihre Person von dem Erbrecht kaum mehr Gebrauch machen können, — sondern das Recht, welches sie damit bekommen, setzt sich fort auf ihre Nachkommen. Ob diese Nachkommen das Recht direkt ausüben oder durch das Medium der Voreltern, halte ich für vollkommen gleichgiltig: und es ist doch ein Widersinn sondergleichen, wenn der Zufall, ob ein Großvater oder eine Großmutter 8 Tage früher oder später stirbt, entscheidend fein soll für das Erbrecht der übrigen Erben. Dieser formelle Gesichtspunkt ist übrigens nicht maßgebend gewesen für uns, diesen Antrag einzubringen; es waren vielmehr eminent praktische Gründe, die uns dazu be­ stimmt haben, unb zwar im Interesse der thunlichsten Erhaltung des Familienvermögens. Sie wissen, daß wir am Rhein und im französischen Rechtsgebiet ein Erbrecht der Ehe­ gatten nicht kennen; und die Folge davon ist unzweifelhaft gewesen, daß die Verschuldung des Grundbesitzes am Rhein lange nicht diejenige Ausdehnung genommen hat wie in den östlichen Provinzen, weil die vielen Fälle, wo hier ganz fremde Personen entweder direkt in den Mitbesitz des Gutes oder in den Besitz der darauf lastenden Pfandbriefe oder sonstigen Hypothekenbriefe kommen, — daß die am Rheine wegfallen, und dort sehr häufig umgekehrt das Vermögen, das in verschiedene Zweige zersplittert war, in Folge des Erb­ rechts wieder durch die natürlichen Kanäle zusammenfließt, und in Folge dessen das Familienvermögen erhalten bleibt. Meine Herren, ich bin weit entfernt davon, Ihnen vorzuschlagen, daß dieses rheinische Recht deutsches Erbrecht werden soll, weil ich zugebe, daß diesem eben von mir geschilderten Vorzüge der Nachtheil gegenübersteht, daß unter Umständen doch die überlebenden Ehe­ gatten entschieden zu kurz kommen, allerdings nicht in dem Maße, wie mnn das gewöhn-

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lich glaubt; beim eS wird fast immer durch Ehevertrag ober testamentarische Bestimmung dem überlebenden Ehegatten ein Theil der Revenüen, gewöhnlich die Hälfte der Revenüen des Vermögens hinterlassen, und, ich msine, es ist daS eigentlich das richtigste AuskunftsMittel, um die Rechte der Ehegatten und der Familie mit einander zu versöhnen. Die Substanz bleibt der Familie erhalten; der überlebende Ehegatte bekommt nur zu Lebzeiten die halben oder ganzen Revenüen. Indeß auch das habe ich Ihnen nicht vorgeschlagen, weil ich zugebe, daß die Trennung von Vermögen und Revenüen unter Umständen zu schwierigen Berhältniffen führt, sondern ich akzeptire den Grundsatz der Regierungsvorlage auch gegenüber dem rheinischen Recht: daß, wenn SKnber vorhanden sind, der überlebende Ehegatte ein Viertel bekommt, — sind keine Kinder, aber nahe Verwandte vorhanden, die Hälfte, — sind keine nahen Verwandten vorhanden, das Ganze. Den Grundsatz akzeptire ich; es fragt sich nur: was sind nahe Verwandte? Die Regierung sagt: nahe Verwandte sind Geschwister des Erblassers und deren Abkömmlinge und die Großeltern; und ich sage: die Groß­ eltern und deren Abkömmlinge. Das ist der ganze Unterschied, aber ein Unterschied, der doch ganz erheblich ist. Meine Herren, ick glaube, daß ein Großvater, der ein Ver­ mögen erwirbt oder hinterläßt, wohl berechtigt ist, zu verlangen, daß nicht schon in seinen Enkeln ein ganzes Erbtheil der Familie vollkommen verloren geht. Nehmen Sie einfach ein Beispiel. Ein Großvater hat einen einzigen Sohn gehabt, der gestorben ist; dieser Sohn hinterläßt zwei Kinder, also zwei Enkel des Großvaters; beide Söhne heirathen; der eine hat Mnder, der andere hat keine Sinber; der zweite, der keine Kinder hat, stirbt nach einigen Monaten seiner Ehe. Da erbt nicht der Vater, sondern seine Wittwe den vollen Erbtheil, den er vom Vater bekommen hat, mit anderen Worten, die Hälfte des ganzen Vermögens deS Großvaters. Nun heirathet die Wittwe zum zweiten Mal, bekommt Kinder, und so bekommt eine ganz fremde Familie die Hälfte des ganzen großväterlichen Vermögens. Wenn eS rein mobiles Vermögen ist, könnte man vielleicht darüber hinwegkommen; aber in sehr vielen Fällen besteht das Vermögen in einem Gut, in Grundbesitz, in einer Fabrik. Die beiden Enkel, welche den Grundbesitz, die Fabrik gemeinschastlick geerbt haben, und wovon der eine vielleicht seine Hälfte in Hypotheken umgewandelt hat, werden in der Regel ganz gut miteinander auskommen; jedenfalls liegt das im Sinne des Großvaters, wenn die beiden an dem Gut, an der Fabrik betheiligt sind. Dagegen ist eS ganz entschieden gegen die Tendenz deS Groß­ vaters — der natürlich nicht mehr interveniren kann, wenn er todt ist —, wenn statt dessen eine ganz fremde Familie hineinkommt, entweder durch Theilhaberschaft oder durch Verschuldung und schließlich die Familie zwingt, das Gut zu veräußern, bloß deswegen, iveil dem überlebenden Ehegatten ein volles Erbrecht zugewiesen ist. Nun sagt man: das kann alles durch Testament geändert werden, oder der Erb­ lasser kann Fideikommisse einrichten. Ich meine, meine Herren, Fideikommisse sind doch nicht in allen Berhältniffen möglich; und gerade diejenigen Herren, die prinzipiell auf dem Standpunkt stehen, daß Fideikommiffe nicht begünstigt werden sollen, sollten am aller­ wenigsten den Großvater zwingen, auf jede mögliche Weise, auch durch Fideikommiffe, die Interessen seiner Familie zu sichern. Was das Testament anbelangt, so will ich ganz gewiß den Ehegatten in dem eben bezeichneten Fall nicht daran verhindern, seiner Frau sein eigenes ganzes Vermögen zu hinterlassen — ich verlange ja nicht, daß die Abkömmlinge der Großeltern ein Pflichttheil bekommen —, ebenso wenig wie allerdings auch die erst verstorbene Frau oder Mann verhindert ist, dem Ueberlebenden das Vermögen zu entziehen: — sie kann es ihm ja bis zur Hälfte entziehen, um eS den Verwandten, die vielleicht in dürftiger Lage sind, zu vermachen. Aber, meine Iperreit, beherzigen Sie doch den bedeutenden Unterschied, der darin liegt, daß ein Ehegatte seinem überlebenden Ehegatten dasjenige entzieht, waS ihm von Rechtswegen zukommt, oder umgekehrt, ob er es den Verwandten entzieht zu 46*

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Gunsten des Ehegatten. Das letztere wird ihm ganz gewiß nicht schwer fallen, während das erstere unter Umständen ein recht schwerer Entschluß ist, gerade bei normalen Ehen, wo der Gatte ohne weiteres die Neigung har, dem Ueberlebenden alles das zuzuweisen, was irgend wie möglich ist. Meine Herren, ich behaupte, daß unser Antrag in durchaus mäßigen Grenzen sich bewegt — ich habe in der Kommission viel weitergehende Anträge gestellt —, und daß er geeignet ist, die vollberechtigten Interessen des überlebenden Ehegatten mit den ebenso berechtigten Interessen der Familie zu vereinigen. Ich bitte Sie, meine Herren, nehmen Sie unseren Antrag an! Präsident: Das Wort hat der Herr Kommissar des Bundesraths, Königlich sächsische Geheime Justizrath und vortragende Rath im Ministerium der Justiz Boerner. Kommissar des Bundesraths, Königlich sächsischer Geheimer Justizrath und vor­ tragender Rath im Ministerium der Justiz Boerner: Meine Herren, der Herr Freiherr von Stumm hat sich für seinen Antrag auf die Konsequenz berufen. Ich glaube kaum: mit Recht. Die Anerkennung des gesetzlichen Erbrechts des überlebenden Ehegatten beruht auf dem durch die Ehe begründeten innigen Verhältniß der Ehegatten zu einander. Mit der Würdigung dieses Verhältnisses steht im engsten Zusammenhang die Bemessung der Höhe des gesetzlichen Erbtheils. Der Intensität des Verhältnisses des Erblassers zu dem Ehegatten wird abgewogen gegenüber dem Verhältniß des Erblassers zu den konkurrirenden Verwandten. Je entfernter die Verwandten dem Erblasser stehen, um so höher stellt sich das Erbtheil des Ehegatten. Darauf beruht die Vorschrift des 8 1907. Der Herr Antragsteller ist auch int allgemeinen mit der Berechtigung dieses Stand­ punkts einverstanden; er bestreitet aber, daß eine verschiedene Würdigung des Derhältnisses des Erblassers zu den verschiedenen Verwandten der dritten Erbordnung am Platze sei. Die entscheidende Frage ist hierbei die: stehen der Lnkel, die Tante, der Vetter, die Base beziehungsweise deren Abkömmlinge — um diese handelt es sich — dem Erblasser ebenso nahe wie sein Ehegatte, oder, konkreter ausgedrückt, würde der Erblasser, wenn er an die Regelung seiner Beerbung gedacht hätte und gegangen wäre, die eben genannten Personen ebenso bedacht haben wie seinen Ehegatten ? Wenn man auf die Erfahrungen des täglichen Lebens sieht, so wird man nicht irre gehen, wenn man annimmt, daß in den weitaus meisten Fällen der Erblasser unbedingt den Ehegatten diesen entferntst Verwandten vor­ gezogen hätte. Sind dies aber die Regelfälle, so samt sich auch der Gesetzgeber bei Auf­ stellung einer Regel nur an diese Fälle halten. Liegen die Verhältnisse anders — und sie liegen fast sämmtlich anders in den Fällen, die Herr Freiherr von Stumm anführte —, so muß der Gesetzgeber es dem Erblasser überlassen, das Geeignete durch Verfügung von Todeswegen vorzusehen. Der Herr Antragsteller hat sodann bemerkt: wenn Großeltern vorhanden seien, erhielten sie neben dem Ehegatten die Hälfte des Nachlasses, in den Großeltern erhielten aber auch deren Abkömmlinge die Hälfte, warum also sollten sie diese Hälfte nicht auch dann erhalten, wenn die Großeltern vorher weggefallen wären? Ja, meine Herren, diese Ausführung hat zunächst etwas ansprechendes, aber das Argument dürfte doch nicht zu­ treffen. Ich will Ihnen einen anderen Fall vorsühren: es setzt jemand seinen Freund zum Erben ein; stirbt dieser Freund einen Tag nach dem Erblasser, so ist er Erbe und vererbt die Erbschaft aus seine Kinder, stirbt er aber einen Tag vor dem Erblasser, so wird das Testament unwirksam, und die Kinder erhalten nichts. Nach der Auffassung des Herrn Freiherrn von Stumm würde, wenn ich recht verstanden habe, man an der Hand der Konsequenz auch hier dazu kommen, zu sagen, weil die Kinder das Vermögen des Freundes erhalten haben würden, wenn er später stirbt, so müssen die Kinder es auch bekommen, wenn er vorher stirbt. Die Zeitsolge der Thatsachen, oder wenn Sie wollen, der Zufall, spielt bei der Vererbung eine große Rolle. Die Zeitfolge der That-

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sachen ist aber auch eine Thatsache; sie ist nicht aus der Welt zu schaffen, und ihr muß der Gesetzgeber sich auch fügen. Gegen den Antrag spricht des weiteren, daß er den überlebenden Ehegatten in einzelnen Theilen Deutschlands ungünstiger als bisher stellt. In dem Berichte Ihrer Kommission ist in dieser Hinsicht bereits auf das Gebiet des sächsischen Gesetzbuchs und auf Oldenburg hingewiesen; es haben noch hinzuzutreten die an Zahl nicht geringen Gebiete der allgemeinen Gütergemeinschaft, in denen bei unbeerbter Ehe, d. h. bei Nichtvorhandensein von Kindern, der überlebende Theil alles erhält. In anderen, ja großen Theilen Deutsch­ lands ist allerdings der überlebende Ehegatte nicht so günstig gestellt, zum Theil sogar erheblich schlechter. Aber gerade diese Stellung des überlebenden Ehegatten ist als ein Mißstand empfunden worden, dessen Beseitigung von dem bürgerlichen Gesetzbuch erhofft wird. Es ist nicht zu verkennen, daß der Zug der heutigen Zeit dahin geht, den über­ lebenden Ehegatten, besonders die Wittwe, so günstig wie möglich zu stellen. Folgen Sie diesem Zuge der Zeit und nehmen Sie den Entwurf an. Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Cuny. Abgeordneter Dr. von Euny: Der Antrag des Herrn Abgeordneten Freiherrn von Stumm ist schon in der Kommission gestellt und dort abgelehnt worden. Ich bitte Sie, ihn auch jetzt abzulehnen. Ich kann nicht anerkennen, daß er eine Verbesserung des Gesetzbuchs bilden würde. Die Bezugnahme auf das rheinische Recht, besten großer Ver­ ehrer ich ja persönlich bin, ist für mich gerade in diesem Fall nicht überzeugend. Denn nach meiner Ansicht gehört eben die Erbfolgeordnung zu dem schwächeren Theil des rheinischen Rechts. Insbesondere leidet die rheinische Erbfolgeordnung an dem Nachtheil, daß der überlebende Ehegatte, abgesehen von der Gütergemeinschaft, sehr schlecht fährt; darin steht hier das Gesetzbuch weit höher. Nun weiß ich nicht, ob die Relegung, welche das vorliegende Gesetzbuch eintreten läßt, in allen Fällen die zweckmäßigste ist. Persönlich bin ich der Ansicht, man hätte für die Fälle, wo Kinder den Erblasser überleben, auch für die Fälle, wo er Geschwister hinterläßt, dem überlebenden Ehegatten statt des Eigen­ thums an einer Quote des Nachlasses lieber ein dann allerdings weiter gefaßtes Nießbrauchsrecht an einer Quote des Nachlasses geben können ebenso, wie das ein vor einigen Fahren ergangenes französisches Gesetz gethan hat. Allein diese Fälle berührt der Antrag des Herrn Freiherrn von Stumm gar nicht. In der Beziehung steht er auf dem Stand­ punkt der Vorlage. Er handelt nur von einem Hall, in dem eben keine Kinder da sind, auch keine Geschwister, sondern nur Seitenverwandte. Da, muß ich doch sagen, ist eS nicht angebracht, daß, wenn nur Tanten und Onkel oder nur Better und Kousinen da find, daß da der überlebende Ehegatte mit diesen halb und halb theilen muß. Für diesen Fall, glaube ich, entspricht es t*r vorherrschenden Ansicht, daß dann füglich der über­ lebende Ehegatte, wenn der Erblasser nicht anderweitig verfügt hat, daS ganze erhält. Eine Verbesserung der Vorlage erblicke ich also in dem Antrag Stumm nicht und bitte, den Antrag abzulehnen. Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Enneccerus. — Derselbe verzichtet; damit ist die Diskussion geschlossen. Der Herr Berichterstatter verzichtet. Wir kommen zur Abstimmung. Ich werde zuerst abstimmen lassen über den An­ trag Freiherr von Stumm und Pauli und dann über den Kommissionsantrag. Ich ersuche diejenigen Herren, welche dem § 1907 die Fassung geben wollen, wie sie die Herren Abgeordneten Freiherr von Stumm und Pauli beantragen, sich von den Plätzen zu erheben. (Geschieht.) Das ist die Minderheit: der Antrag ist abgelehnt.

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Ich ersuche diejenigen Herren, welche dem Antrag der Kommission entsprechend den 8 1907 annehmen wollen, sich von den Plätzen *11 erheben. (Geschieht.) Das ist die Mehrheit; 8 1907 ist angenommen. Die 88 1908 bis 2204 — sind angenommen. 8 2205. Hier liegen Anträge vor von den Herren Abgeordneten Lenzmann (Nr. 487) und Dr. von Buchka (Nr. 483 ad 1). In der eröffneten Diskussion gebe ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. von Buchka. Abgeordneter Dr. von Buchka: Meine Herren, der 8 2205 sJii\ 2 hat, wie er in der Kommission angenommen ist, das sogenannte holographische Testament eingeführt. Ich beantrage, die Beschlüsse der Kommission wieder aufzuheben und das holographische Testament wieder aus dem bürgerlichett Gesetzbuch zu entfernen. Meine Herren, das holographische Testament ist dem gemeinen wie dem preußischen Necht fremd; es besteht nur auf dem linken Rheinufer und in Baden, also in einem verhältnißmäßig kleinen Theil des Reichsgebiets. Es ist uns gesagt worden von Zeiten des Herrn Bundesbevollmächtigten für Baden, daß das holographische Testament sich in Baden bewährt habe, und daß die Bevölkerung an diesem Institut zähe hänge. Ja, meine Herren, es giebt eine Reihe anderer Institute, an denen wir auch zähe hängen: besonders glaube ich, daß die Bevölkerung in Mecklenburg sich sehr schwer daran ge­ wöhnen wird, neben der Grundschuld die Hypotheken zu übernehmen. Wir werden uns auch hiermit abfinden müssen, lmb ich möchte bitten, daß die Herren auf dem linken Rheinnfer und in Baden auf dieses Institut des holographischen Testaments verzichten möchten. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß ich das holographische Testament für ein schweres Unglück halte. Meiner Auffassung nach ist die Einrichtung des letzten Willens ein Akt, welcher mit einer gewissen Feierlichkeit vorgenommen werden muß, so daß der Testirende in dem Moment, wo er seinen letzten Willen zur Rechtsbeständigkeit erhebt, sich der Wichtigkeit dieses Moments bewußt wird, und diesem Ersorderniß entspricht nur die Errichtung des Testaments vor dem Richter oder vor dem Notar, demselben entspricht es aber nicht, wenn es zulässig ist, daß jemand seinen letzten Willen in rechtsgiltiger Weise errichten kann auch schon dadurch, daß er denselben eigenhändig niederschreibt in seiner Arbeitsstube, an seinem Schreibtisch, meint er ihn nur mit seinem Namen unter­ schreibt und datirt. Es kommt dann hinzu, daß meiner Auffassung nach auch die Rechts­ sicherheit in hohem Grade hierdurch gefährdet wird. Es ist meiner Auffassung nach Thor und Thür geöffnet den Testamentsunterschiebungen und dem Diebstahl von Testamenten, und es sind keinerlei Borkehrungen getroffen in den Bestintmungen über dieses holo­ graphische Testament, es vor Fälschung oder Nachahmung oder Diebstahl zu bewahren. Also ich glaube, daß die Errichtung des Testaments in dieser Form die Rechts­ sicherheit in hohem Grade erschiveren wird. Auf das fiskalische Moment, was hierbei auch in Frage kommen könnte, lege ich keinen Werth. Es ist ja richtig, daß die Errichtung eines Testaments vor Gericht Geld kostet und in eigenhändiger privater Niederschrift nicht. Aber ich werde kein Gewicht darauf legen, wenn der Staat dadurch einen Ausfall in seinen Einnahmen hätte. Aber ich meine, es wäre gut, wenn die Errichtung von Testamenten nicht gar zu leicht gemacht würde, meint den Personen, welche die Neigung haben, öfter ihr Testament zu ändern, die Sache etwas erschivert würde dadurch, daß sie eine entsprechende Summe Geldes be­ zahlen müssen. Nun sagen die Herren: es werden nur zwei Formen zur Auswahl gestellt: man kann in den Gegenden, in welchen das holographische Testament eingebürgert ist, künftig auch sein Testament errichten vor dem Gericht und dem Notar, und ebenso umgekehrt.

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liegen Kauffmann, der meines Wissens demselben Rechtsgebiet angehört, einige Bemerkungen erlauben, um nachzuweisen, daß die Bedenken des Herrn Kollegen auch jetzt schon im Geltungsbereich des preußischen

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LandrechtS bestehen. Meine Herren, vergessen Sie namentlich da» nicht, daß im Gebiet deS preußischen Landrechts es durchaus üblich ist, in den Testamenten sich den Vorbehalt zu machen, das Testament hinterher durch Nachzettel zu ergänzen; diese Nachzettel haben dieselbe Wirkung wie daS Testament, abgesehen von der Erbeseinsetzung. Ich kann also im Wege des Nachzettels über das ganze Vermögen verfügen; denn es besteht im preußischen Recht in dieser Beziehung keine Beschränkung. Ich kann daher im Wege des Vermächtnisses jetzt schon, indem ich Nachzettel mache, über meinen ganzen Nachlaß thatsächlich verfügen, wenn ich auch nicht durch ein bloßes Kodizill einen Erben ein­ setzen darf. Nun, meine Herren, hat der Herr Kollege Kauffmaun gesagt, es könnte ein solches holographisches Testament leicht gefälscht werden. Ja, es kann ein solcher Nachzettel im Gebiete des preußischen Landrechts ebenso gefälscht werden. Herr Kollege Kauffmann hat gesagt, ein solches Testament könne bei Seite gebracht werden; genau dasselbe Be­ denken besteht bezüglich des Nachzettels im preußischen Landrechtsgebiet. Also die erhobenen Bedenken sind doch nicht so durchgreifend, um die Bortheile aufzuwiegen, die die Einführung des eigenhändigen Testaments mit sich bringt. Ich wollte aber noch auf einen Satz zurückgreifen. Der Herr Kollege Kauffmann hat gesagt, es sei 511 befürchten, daß vielfach in diesen eigenhändigen Testamenten un­ sachgemäße Bestimmungen getroffen werden. Ja, meine Herren, dasselbe Bedenken — darauf hat schon Herr von Cuny hingewiesen — besteht auch nach den Bestimmungen deS vorliegenden Gesetzentwurfs; denn da ist ja in § 2210 vorgesehen, daß man seinen letzten Willen dem Richter überreichen kann in einer geschloffenen Urkunde. ES hat also da der Richter auch nicht die Möglichkeit, mit dem betreffenden Rechtsuchenden etwa den Inhalt des Testaments zu besprechen. Hiernach ist die Möglichkeit unsachgemäßer An­ ordnungen auch vorhanden. Auch die Frage, wie weit die Befürchtung zutrifft, daß häufig daS eigenhändige Testament gefälscht oder bei Seite geschafft werden wird, will ich nicht näher eingehen, da sich darüber schon mehrere der Herren Vorredner verbreitet haben. Ich selbst theile diese Befürchtung — was die Fälschung anbetrifft — durchaus nicht. Ich halte eS für sehr schwierig, ein ganzes Testament zu fälschen. Die Befürchtung der Beiseiteschaffung liegt ja etwas näher. Es läßt sich nicht in Abrede stellen, daß ein Erbe oder eine dritte Person, welche ein Jntereffe dabei hat, ein solches holographisches Testament nimmt und inS Feuer wirft. Aber, wie gesagt, besteht diese Befürchtung auch jetzt schon bezüglich der Nachzettel, die jetzt nach preußischem Recht im Testament vorbehalten werden können. Ich wollte mich nur noch mit einigen Worten zu den Vortheilen wenden, die an­ der Einführung des eigenhändigen Testaments sich ergeben. Nach meiner Ueberzeugung mirb der Wille des Erblassers viel mehr zur Geltung kommen, wenn wir die eigenhändigen Testamente einführen, als dies jetzt der Fall ist, wo wir in den meisten Gebieten deS Deutschen Reichs die gerichtlichen Testamente haben. Meine Herren, wenn die Möglich­ keit besteht, daß man in aller Ruhe zu Hause, von niemanden gestört, von niemanden beeinflußt, sein Testament macht, so kommt nach meiner Ueberzeugung der Wille deS Testators klarer und zuverlässiger zur Geltung, als wenn erst gewartet wird, bis der Testator in den letzten Zügen liegt und die Gerichtskommission geholt wird. (Sehr richtig!) Gerade in solchen Fällen wird der Testator häufig gewissermaßen überrumpelt, durch seine Frau, durch seine Kinder im Hause u. s. w. Also bei Einführung des holo­ graphischen Testaments besteht der Vortheil, daß der Testator völlig unabhängig testiren kann. Er braucht ja nicht einmal seiner Ehefrau zu sagen, daß er testirt; oder wenn sie ihn beeinflußt hat, so kann er das Testament zerreißen, vernichten und ein neues machen, ohne sich erst anS Gericht, an einen Notar zu wenden.

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Aus allen diesen Gründen bitte ich Sie, die Bedenken gegen das holographische Testament zurückzustellen. (Lebhafter Beifall.) Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Freiherr von Stumm-Halberg. Abgeordneter Freiherr von Stumm-Halberg: Ich glaube, daß sich nirgend der Gegensatz zwischen Theorie und Praxis so scharf abscheidet wie hier. Während von den Gegnern der Kommissionsbeschlüsse alle möglichen theoretischen Möglichkeiten aufgestellt rverden, ohne daß auch nur in einem einzigen Fall der Nachweis geliefert wird, daß ein handschriftliches Testament Nachtheile gehabt hat, erinnerte Herr von Cuny unter voller Uebereinstimmung mit sämmtlichen Abgeordneten aus denjenigen Gegenden, die dieses handschriftliche Testament bereits haben, daran, daß wir alle damit zufrieden sind, daß mir es geradezu als ein Unglück betrachten würden, wenn wir das handschriftliche Testament verlieren sollten. (Sehr richtig!) Also hier steht nicht bloß Theorie gegen Praxis, sondern die Praxis ist sogar verbündet mit dem Theil der Theorie, welcher in den Landestheilen repräsentirt ist, von denen ich soeben gesprochen habe. Denn unsere rheinischen Juristen, die badischen, die pfälzischen Juristen stehen ganz genau auf demselben Standpunkt. (Sehr richtig!) Wenn ich aber sage: es hat diese Einrichtung noch niemals eine nennenswerthe nachtheilige Wirkung gehabt, so behaupte ich andererseits, daß ich eine ganze Anzahl von Fällen kenne, in denen das gerichtliche Testament in den alten Provinzen die schwersten Uebelstände hervorgerufen hat. Ich habe ein Beispiel in meiner eigenen Familie, wo bei dem Tode des Ehegatten sich ein Testanient vorfand, welches im übrigen vollkommen rechtsgiltig abgeschlosien war: es war von einem Rechtsanwalt aufgestellt, beide Ehegatten hatten das Testament unterschrieben, und es wäre absolut perfekt gewesen — jedenfalls entsprach es ganz dem Sinne der Ehegatten —, wenn es gerichtlich deponirt gewesen wäre. Da aber beide Ehegatten so vorsichtig waren, daß sie sich sagten: es können möglicherweise Verhältnisse eintreten, die uns nöthigen, am Testament etwas zu ändern, und wir dann Scheerereien haben, wenn wir das Testament vom Gericht wiederhaben wollen —, so haben sie es ruhig bei sich liegen lassen — liegen lassen nicht, mei( sie einen Zweifel hatten, ob das Testament so nicht richtig wäre, wie sie es gemacht hatten, sondern, weil sie glaubten, daß später andere Umstände eintreten könnten. Plötzlich wird der Ehe­ gatte krank und stirbt, und es war versäumt, das Testament aufs Gericht zu bringen. In Folge dessen war es ungiltig; es fanden komplizirte Verhandlungen mit den Ver­ wandten statt, und es hat schließlich im Wege des Erbschaftsrezesses allerdings eine billige Regulirung stattgefunden. Wenn Sie nun berücksichtigen, in welchem Seelenzustand eine Frau sich befindet unmittelbar, nachdem der Mann gestorben ist, und daß sie in diesem Zustande genöthigt ist, alle möglichen Rechtsgeschäfte zu machen, Vergleiche zu schließen und Streitigkeiten zu schlichten, so werden Sie mir zugeben : das ist ein ganz heilloser Uebelstand. Alles das wäre hier weggefallen, wenn ein handschriftliches Testament genügt hätte. Und für diejenigen, für die es nicht genügt, — ja, wer will ihnen denn ihr Recht nehmen? Die mögen ja ein gerichtliches oder notarielles Testament machen; das will niemand ändern; im Gegentheil, es giebt auch bei uns am Rhein eine ganze Menge Leute, die machen ein notarielles Testament, wenn sie sehr vorsichtig sind, oder wenn sie daS Mißtrauen haben, daß ihre Erben oder einzelne derselben das Testament bei Seite schaffen könnten u. s. w. Also, meine Herren, Uebelstände bestehen hier in in der That nicht. Endlich möchte ich einen Appell speziell an die Herren richten, die sich mit mir für die Frauenfrage interessiren. Ich glaube, daß diese eine ganz besondere Veranlassung haben, dem Kommissionsvorschlag zuzustimmen. Nachdem Sie unseren Antrag zu 8 1907

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eben abgelehnt haben, nachdem Sie der Frau eine ganze Anzahl von Rechten nicht ge­ währt haben, die wir für nothwendig halten, muffen Sie es doch wenigstens der Frau erleichtern, ihren letzten Willen in der möglichst einfachen Weise kundzugeben. Dem Mann ist es vielleicht gleichgiltig, ob er zum Notar oder auf das Gericht gehen muß; er kann das thun, ohne daß die Frau etwas davon erfährt. Die Frau ist aber kaum in der Lage, das thun zu können; ohne Borwiffen des Mannes wird sie meist kein Testament machen können, das den Mann benachtheiligt und ihre eigenen Verwandten begünstigt, wenn sie dazu auf das Gericht gehen muß. Und doch ist dies dringend erwünscht, wo die Verwandten der Frau besonders bedürftig sind und der überlebende Mann wohl­ habend ist. Ich glaube also, gerade weil Sie meinen Antrag vorher abgelehnt haben, müssen Sie die Verwandten der Frau wenigstens nach der Richtung schützen, daß es der Frau erleichtert wird, ohne Zustimmung des Mannes zu ihren Gunsten zu testiren. Ich empfehle Ihnen also dringend die Annahme des Kommissionsantrags. (Bravo!) Präsident DaS Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Görtz. Abgeordneter Dr. Görtz: Ich bebaute zunächst, daß der Herr Abgeordnete Dr. von Cuny politische Gesichtspunkte in die Debatte hineingeworfen hat und denjenigen von unS auf der linken Seite des Hauses, die wir auf dem Standpunkt stehen, daß für uns die Kommissionsvorschläge unannehmbar sind, vorgeworfen hat, daS wir unsere politischen Prinzipien in dieser Frage verleugneten. Meine Herren, diese Frage hat mit der politischen Stellung des Einzelnen gar nicht- thun; sie ist eine Frage, die lediglich vom praktischen und juristischen Standpunkt aus geprüft werden muß. Wenn ein Herr auS dem Rheinland hier heute gesagt hat; eS hat Jubel in der Bevölkerung erregt, daß die Kommission das holographische Testament zugelassen hat, so kann ich dem gegenüber sagen, daß in Norddeutschland genau daS Entgegengesetzte geschehen ist. (Sehr richtig! Widerspruch.) Aus allen Schichten und Klaffen der Bevölkerung heraus habe ich das größte Bedauern gehört, daß eine solche Bestimmung in daS Gesetz aufgenommen sei. Ich glaube also, mit einem derartigen Argument wie der BolkSstimmung wird man nicht operiren können. Ich verkenne im übrigen keineswegs das Gewicht der Gründe, die die Herren audem Rheinland und Elsaß-Lothringen zu Gunsten des Kommissionsvorschlags geltend gemacht haben. Für sie spricht eine fast hundertjährige Erfahrung. Aber trotzdem möchte ich Ihren Argumenten eine ausschlaggebende Bedeutung nicht Rimessen, und zwar auS folgenden Gründen. Zunächst, meine Herren, müßte mir nachgewiesen werden, in welchem Prozentsatz die Zahl der holographischen Testamente zu der Zahl der vor Notar oder Gericht in den Rheinlanden, Baden, Elsaß-Lothringen errichteten Testamente steht, um daraus zu ermessen, wie beliebt jene Testamente sind. Und dann frage ich ferner: handelt eS sich vielleicht in der Mehrzahl der Fälle, in denen im Rheinland derartige Testamente er­ richtet sind, lediglich um solche Testamente, bei denen der Erblasser nichts weiter wollte, als Vermächtnisse anzuordnen? Ja, meine Herren, für den letzteren Fäll haben wir ja in dem Entwurf eine Bestimmung in dem § 2224, wonach eine eigenhändig von dem Erblasser geschriebene und unterschriebene Urkunde genügt, um Vermächtnisse aus­ zuwerfen. Aber selbst wenn es richtig sein sollte, was Sie sagen, daß diese Form der Privat­ testamente auch für die Fälle in der Bevölkerung des Rheinlandes in Uebung sind, in denen es sich darum handelt, eine einschneidende Abänderung von der gesetzlichen Erbfolge vorzunehmen, eignet sich dieses holographische Testament jedenfalls für den grüßten Xljett von Deutschland nicht. ES mag richtig sein, daß der Rheinländer und Elsaß-Lothringer Stenographische Berichte. BBL 47

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dahin inflinht, zur rechten Zeit sein Testament zu machen; es mag richtig sein, daß er bei Abfassung des Privattestaments vorsichtig und gewissenhaft ist, und daß zu der Zeit, wo er seinen letzten Willen aufsetzt und seine eigenhändige Unterschrift abgiebt, äußere Eindrücke und Stimmungen auf ihn wenig Gnfluß haben: — aber ich behaupte, wer unsere nord­ deutsche Bevölkerung kennt, wird wissen, daß sie überhaupt sehr schwer zugänglich ist für eine Testamentserrichtung; vielleicht um deswillen, weil bei Bielen im Volke der Glaube herrscht, daß, wenn ein Testament errichtet ist, bald ein Todesfall in der Familie des Testators eintritt. (Widerspruch und Zurufe aus der Mitte.) — Bitte sehr, ich spreche da aus Erfahrung. — Nun bedenken Sie: wann wird dem­ nach in Norddeutschland in den meisten Fällen das Testament errichtet? Erst in dem Augenblick, wo der Testator sich schwach suhlt und fürchtet, daß sein letztes Stündchen gekommen sei. In einem solchen Augenblick ist der Mann in seinem Urtheil weniger klar, sicher und überlegt, da ist er leicht von Stimmungen abhängig, denen er sonst nicht zugänglich sein würde, und in einem solchen Augenblick, glaube ich, kann man im öffent­ lichen Interesse wie im Interesse des Einzelnen verlangen, daß irgend eine Urkunds­ person, sei es der Richter oder der Notar, die dafür bürgt, daß das, was testirt wird, auch dem eigenen wirklichen Willen des Testators entspringt, der Testamentserrichtung in irgend einer Form assistirt. Ich will ferner eine Urkundsperson dabei haben, damit kein unerlaubter Einfluß von dritter Seite eintritt, und damit endlich verhindert wird, daß das Testament nach dem Tode des Erblassers plötzlich verschwindet. Meine Herren, wenn Sie von diesem Gesichtspunkt die Sache ansehen, dann werden Sie unseren Widerspruch gegen den Kvmmissionsvorschlag begreifen, und Sie werden es ferner begreifen, wenn ich die Herren aus dem französischen Rechtsgebiet bitte: bestehen Sie zu Gunsten des größten Theils der deutschen Bevölkerung nicht auf Ihrer Auffaffung! Es liegt doch auch darin keine zu große Härte, wenn der Einzelne in Zukunft gezwungen wird, dasjenige, was er als seinen letzten Willen aufgesetzt hat, dem Richteroder Notar zu übergeben, oder er veranlaßt wird, ihm seinen letzten Willen in die Feder zu diktiren. Damit wird durchaus nicht irgend etwas — und hier weirde ich mich gegen den badischen Herrn Vertreter der verbündeten Regierungen — aus dem Testament ver­ lautbart, wenn beispielsweise das Testament dem Richter geschlossen übergeben wird. Wenn die Gebührenftagen Bedenken auskommen lassen, so ließe sich leicht eine Aenderung treffen dadurch, daß die 2andesgesetzgebungen veranlaßt werden, den ganzen Akt in Zukunft gebührenftei zu lassen. Ich darf aber dabei meiner persönlichen Auf­ fassung so weit noch Ausdruck verleihen, daß ich freilich auf dem Standpunkt stehe, die Testamcntsfreiheit nicht auszudehnen, sondern sie möglichst einzuschränken; der Gesetzgeber hat keinen Grund, dazu hilfreiche Hand zu reichen, daß der Einzelne im Gegensatz zur gesetzlichen Ordnung des Rechts nach seinem Belieben die Erbfrage regelt. Nur in einem konkreten Falle, wo aus berechtigten Gründen eine Ausnahme in der Regel der Erbfrage sich rechtfertigt, da soll die Testamentserrichtung eintreten, da ist sie gerechtfertigt. Handelt es sich dagegen lediglich um die Auswerfung von Vermächtnissen, so bietet der § 2224 des Entwurfs vollauf Gelegenheit, diesem Wunsche in gesetzlicher Form zu entsprechen, ohne erst den Richter oder Notar herbeizurufen. Ich bitte Tie daher, stimmen Sie dem Antrag des Herrn Kollegen Dr. von Buchka im vorliegenden Fall zu. (Bravo! links.) Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Simonis. Abgeordneter Dr. Simonis: Ich glaube, meine Herren, daß der Herr Vorredner, Herr Dr. Görtz, mit seinem Vorschlage sein Ziel aufs allerbeste erreicht. Er will die Testirfreiheit einschränken: er schränkt sie aber so ein, daß sie in den meisten Fällen gar nicht mehr existirt. Die Aufstellung eines Testaments wird entweder in gesunden oder

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in tranken Tagen erfolgen. ES ist eben bemerkt worden, daß man in gesunden Tagen in den meisten Fällen gar nicht daran denkt, ein Testament zu errichten. Wollte man aber in gesunden Tagen eins errichten, dann befindet man sich fast immer in der Schwierigkeit, welche soeben Herr von Stumm für die trauernde Wittwe angeführt hat: die Frau wird sich immer großartig genirt finden, zum Richter oder Notar zu gehen, um zu erklären, daß sie für ihre Person ein Testament machen will. Moralisch ist sie dazu in den meisten Fällen nicht in der Lage. Es würde die- also ungemeine Schwierig­ keiten in den Familien hervorrufen. Aber auch für den Mann ist diese Schwieri^eit nicht gering. Wird aber das Testament in kranken Tagen errichtet, und soll es vor dem Richter oder vor dem Notar formulirt werden, dann wird die Sache geradezu zur Unmöglich­ keit. Sie wollen, Herr Dr. Görtz, die größtmöglichste Freiheit des Testator- herbeischaffen; diese Freiheit des Testators wird aber durch Sie gründlich aus dem Weg« geschafft; denn wenn ich krank bin, hänge ich furchtbar von meiner ganzen Umgebung ab, und wenn ich sage: nun soll der Notar kommen, oder der Richter, um daS Testament zu er­ richten, — dann wird man alles Mögliche thun, um mir das unmöglich zu machai, wenn man ein Interesse daran hat, daß ich kein Testament mache. Hat man aber ein Interesse, daß ich eins mache, dann wird man mir das Leben auf meinem Todtenbett er­ schweren bis zur letzten Stunde, auf daß ich den Notar oder den Richter kommen taffe; man wird mir ihn aufdrängen. Meine Herren, bei unS ist das holographische Testament eingeführt. Ich war dem Herrn Vertreter von Baden ungemein dankbar für seine herrliche Darlegung und hatte mir vorgenommen, nachdem er gesprochen, aufs Wort zu verzichten; denn er hat die Sache derart gründlich ausgeführt, daß wenn man, wie wir, hundert Jahre unter dieser Gesetz­ gebung gelebt hat, man an gar nichts anderes denken kann. Auch hat der Herr Ab­ geordnete von Cuny ganz richtig gesagt, für seine Landsleute — und das gilt auch von Elsaß-Lothringen — sei das geradenwegs in Fleisch und Blut übergegangen. Ei» all­ gemeines Entsetzen hat eS gegeben in Elsaß-Lothringen, alS die Kunde ruchbar wurde, daß das eigenhändige Testament abgeschafft werden sollte. Dieses Entsetzen habe ich aufs tiefste empfunden mit allen meinen Landsleuten. Roch größer war aber daS Entsetzen» daS ich empfand, als ich soeben erfuhr, daß die verbündeten Regierungen sich nicht damit einverstanden erklären könnten. Bei unS sieht man die Sache nicht nur als gesetzlich» sondern als absolut naturberechtigt an. Es war eine Art Jubel, alS mau hörte» daß die Kommission von der Gesetzesvorlage Abstand genommen hatte und daß das holo­ graphische Testament wiederhergestellt worden sei. Für mich liegt in der Nothwendigkeit der Form, in welcher der Herr Abgeordnete Kauffmann gesprochen, eine Depossedirung beim Leben. Habe ich ein Testament gemacht und alles vorgesehen, waS nach meinem Tode geregelt werden soll, und kommt dann ein Ereigniß, welches mich moralisch nöthigt, das Testament abzuändern, dann hänge ich von der Umgebung ab, und diese kann eS mir absolut unmöglich machen, den Notar oder Richter kommen zu lassen. Wenn ich aber mein Testament selbst machen kann, so ist es etwas ganz anderes. Obendrein ist sehr richtig von dem Herrn Vertreter der badischen Regierung ge­ sagt worden, daß die Leute ihr Testament in ihrer eigenen Sprache niederlegen. Vom Richter wird es in die Juristensprache übersetzt. Wenn man aber vor dem Richter erscheinen soll, so kann in vielen Fällen nicht einmal gesagt werden, in welcher Sprache sich der Testirende ausspricht. Er spricht allerdings in seiner Sprache, er kann sie aber unmöglich nach der Auffassung des Richters einrichten. Er spricht sich so aus, wie er es im gewöhnlichen Leben nicht thun würde, und dann kann die Sache ganz anders aus­ fallen, als es der Fall gewesen wäre, wenn er eS niedergeschrieben hätte. Ich will nach den vortrefflichen Reden, die darüber gehalten worden sind, nicht 47*

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noch weiter auf die Sache eingehen. Als Vertreter von Elsaß-Lothringen kann ich nur dringend die Herren ersuchen, bei der Bestimmung der Kommission stehen zu bleiben. (Bravo!) Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Enneccerus. Abgeordneter Dr. ©mtccccrnS: Meine Herren, wenn das eigenhändige Testament im Deutschen Reich nirgends gälte, würde es für mich ganz unzweifelhaft sein, daß wir es auch nicht einführen dürsten. Ich verkenne freilich die Vortheile des eigenhändigen Testaments keineswegs, die Schnelligkeit, mit welcher es errichtet werden kann, namentlich kurz vor dem Tode, während die notarielle oder gerichtliche Form nicht selten die er­ wünschte Testamentserrichtung verhindert; ferner die Kostenlosigkeit, welche für die minderwohlhabende Bevölkerung sehr ins Gewicht fällt. (Sehr richtig!) Gleichwohl würde ich glauben, daß die Nachtheile dieses Testaments die Vortheile doch überwiegen. Freilich, daß das eigenhändige Testament die Erbschleicherei sehr er­ leichtere, diese Behauptung wird man, glaube ich, doch fallen lassen müssen; denn es wird mit seltener Einmüthigkeit von allen Juristen und Nichtjuristen der Gegenden, in denen es gilt, bezeugt, daß da, wo eine gewisse autoritative Einwirkung oder Erbschleicherei im Spiel ist, stets der Notar oder das Gericht zugezogen wird. (Sehr richtig!) Wohl aber halte ich für bedenklich beim eigenhändigen Testament die Gesahr der Enttvendung und Vernichtung und auch die Gefahr der Fälschung, namentlich in Bezug aus das Datum, von dessen Zahlen beim Vorhandensein mehrerer Testamente die Giltigkeit oder Ungiltigteit des einen oder anderen abhängt. Aus diesen Gründen habe ich in der Kommission gegen das eigenhändige Testament gestimmt. Ich habe mich aber inzwischen überzeugen müssen, daß das eigenhändige Testament in den Gegenden, in denen es gilt, so eingewurzelt ist, so vollständig von der Ueberzeugung der Bevölkerung, daß es noth­ wendig und unentbehrlich sei, getragen ist, daß ich anerkennen muß: wir können es diesen Ländern nicht wieder nehmen. (Lebhafter Beifall.) Wir können ein Institut, das so hoch geschäht wird, das nach bent Urtheil der links­ rheinischen und badischen Juristen wie Laien um keinen Preis preisgegeben werden soll, ihnen nicht mit Gewalt nehmen und deshalb stimme ich, wenn auch nicht gern, dem eigenhändigen Testament jetzt zu. Ich hoffe, daß dadurch das bürgerliche Gesetzbuch auch in den linksrheinischen Landen und in Baden die volle Popularität erhalten wird, die e» verdient. (Beifall.) Präsident: Die Diskussion ist geschlossen. Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Der Herr Berichterstatter verzichtet. Wir kommen zur Abstimmung. Ich schlage Ihnen vor, zunächst über bcii Antrag Lenzmann und darnach, wenn derselbe abgelehnt werden sollte, über die Anträge des Herrn Abgeordneten Dr. von Buchka abzustimmen, obgleich nur eine formelle Verschiedenheit vorliegt. — Das Haus ist damit einverstanden. Ich bitte diejenigen Herren, welche dem Antrag Lenzmann — Nr. 487 — zu­ stimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. (Geschieht.) Das ist die Minderheit: der Antrag ist abgelehnt. Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. von Buchka. Abgeordneter Dr. von Buchka: Ich ziehe jetzt meinen Antrag zurück. (Bravo!)

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Präfideut. Ich ersuche -diejenigen Herren, welche dem § 2205 nach den Bor» schlägen der Kommission annehmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. (Geschieht.) Das ist die große Mehrheit; der Kommissionsantrag ist angenommen. 88 2206 bis 2218. — Angenommen. 2218 b und 2218 b verlangt der Antrag Buchka gestrichen. Abgeordneter Dr. von Buchka: Ich zieh« auch diesen Antrag zurück. Präfideut: Auch dieser Antrag ist zurückgezogen; es bedarf deshalb der Ab­ stimmung nicht. Der Herr Abgeordnete Dr. von Buchka hat beantragt, die 88 2219 bis 2225 nach dem Entwurf wiederherzustellen. Abgeordneter Dr. von Buchka Ich ziehe auch diese Anträge zurück. Präfideut: Auch diese Anträge sind zurückgezogen; ich kann deshalb die aufgerufenen 88 2219 biS 2225 für angenommen erklären, ebenso 2226 und 2227. Ist auch hier der Antrag zurückgezogen? (Wird bejaht.) — Auch hier ist der Antrag zurückgezogen; die Paragraphen sind angenommen. Desgleichen 8$ 2228 und 2229. — Hier darf ich ebenfalls den Antrag von Buchka als zurückgezogen betrachten und die Annahme feststelle». — 88 2230 bis 2239. — Angenommen. 8 2240. — Auch hier betrachte ich den Antrag als zurückgezogen und stelle die Annahme fest. 88 2241 biS 2275. — Sind gleichfalls angenommen 88 2276 biS 2311. — Ebenfalls angenommen. Als 8 2311a einzuschieben beantragt der Herr Abgeordnete Graf von Mirbach — Nr. 490 — einen Paragraphen. Zu 8 2311a hat das Wort der Herr Abgeordnete Graf von Mirbach. Abgeordneter Gras von Mirbach: Ich habe ben Antrag, der ja gedruckt in Ihren Händen ist, gestellt und der dahin geht, daß daS Pflichttheilsrecht sich nicht erstrecken soll auf denjenigen Theil des NachlasieS, der in land- oder forstwirthschastlichen .... (Glocke deS Präsidenten.) Präfideut: Ich muß dem Herrn Redner bemerken, daß wir über den § 2276 längst hinüber sind und bereits die Annahme festgestellt ist. Wir sind bei § 2311s, den der Herr Abgeordnete Graf von Mirbach unter Nr. 490 der Drucksachen dahin beantragt hat: Soweit der Nachlaß deS ErblasierS aus Grundstücken im land- oder forstwirthschaftlichen Betriebe besteht, finden die Bestimmungen der 88 2276 biS 2311 keine Anwendung. Abgeordneter Graf von Mirbach: Ich spreche vollkommen zur Sache. — Ich habe vorhin den Versuch gemacht, auszuführen, daß nach meiner Ansicht eS richtiger wäre, auf den Theil deS Nachlasses daS Pflichttheil nicht zu beziehen, der in Grundstücken besteht, die dem land- oder forstwirthschastlichen Betriebe unterliegen. Das ist eine alte agrarische Forderung, wenn ich mich so ausdrücken darf; und ich bin erstaunt darüber, daß in einer Zeit, wo man eine Menge von Enqueten eingesetzt hat, die sich auch mit der Frage beschäftigt haben, der Ueberschuldung des Grundbesitzers vorzubeugen, eine Berschuldungsgrenze zu ziehen, das bürgerliche Gesetzbuch gar keine Notiz von diesen doch berechtigten Bestrebungen genommen hat. Auch im preußischen Staatsrath ist die Frage eingehend geprüft und erörtert worden. Es sind zahlreiche Männer aller Parteien übereinstimmend der Ansicht gewesen, daß das PflichttheilSrecht den Grundbesitz zu einer Zersplitterung oder einer stetig steigenden Verschuldung zwinge. Meine Herren, man wird mir einwenden, vielleicht vom Regierungstische: eS ist

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ja das Anerbenrecht, das Höferecht, das Recht, einen gebundenen Besitz zu konstruiren, den einzelnen Staaten überlasten, — damit ist eine Remedur möglich. Dem muß aber doch entgegengestellt werden: einmal sind nicht alle Leute in der Lage, ihren Besitz in einen gebundenen Besitz überzuführen. Was das Höferecht, das Anerbenrecht u. s. w. anlangt, so sind diese Einrichtungen nicht überall populär und rezipirt: deshalb ist im größten Theile unseres deutschen Vaterlandes das Pflichttheil etwas, was zu einer Zer­ splitterung oder Verschuldung des Grundbesitzes zwingt. Man kann den Grundbesitz nicht einfach zerschneiden, man kann ihn in der Regel nicht, wenn man ihn mehreren Erben hinterläßt, naturaliter theilen. Die Regel ist deshalb die Verschuldung; und das Ueber­ maß der heutigen Verschuldung beruht wesentlich auf den eingetragenen Erbportionen bei jedem Erbgange. Wenn Sie meinem Antrag beistimmen, und derselbe Gesetzeskraft erlangt, was wäre da die Folge? Es würde in den meisten Fällen sich gar nichts ändern. Jeder Erblasser könnte testiren, wie er wollte, aber er würde nicht gezwungen sein, in solchen Fällen, wo das Pflichttheil die Erhaltung des Grundbesitzes in der Familie erschwert, das Pflichttheilsrecht zu berücksichtigen. Wenn Sie also den Grundbesitz in der Familie erhalten wollen, wenn Sie einer Zersplitterung oder Verschuldung vorbeugen wollen, so müßten Sie meinem Antrag Folge geben. Ich darf vielleicht noch mit wenigen Worten auf die Entstehung des Pflichttheils­ rechts zurückkommen. Das Pflichttheilsrecht ist aus dem römischen Recht rezipirt worden; es verdankt seine Entstehung dem römischen Recht, und zwar zur Zeit des Verfalls des römischen Kaiserstaates. Erft zu einer Zeit, wo vielfach testirt wurde unter Ausschluß der legitimen Kinder zu Gunsten der Konkubinen, führte man dieses Recht ein zum Schutze der legitimen Kinder des Erblassers. Solche Zustände existiren ja bei uns er­ freulicherweise nicht; für uns ist danach das Pflichttheilsrecht nicht eine Nothwendigkeit. Ich will das Pflichttheilsrecht, da es seit langer Zeit besteht, nicht ganz eliminiren, möchte aber allerdings bitten, hier den Versuch zu machen, es für denjenigen Theil des Nach­ lasses, der, wie gesagt, in landwirthschaftlichen oder sorstwirthschaftlichen Grundstücken besteht, zu beseitigen, d. h. dem Erblasser zu gestatten, hierüber frei testiren zu können. (Bravo! rechtst Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Enneecerus. Abgeordneter Dr. Enneccerus: Meine Herren, ich bitte Sic dringend, den Antrag abzulehnen. Für das gesammte Grundeigenthum soll nach diesem Antrag das Pflicht­ theilsrecht vollständig ausgeschlossen werden, d. h. also : der Vater oder die Mutter, deren Vermögen lediglich in Grundbesitz besteht, soll ein einziges Kind mit dem ganzen Vermögen bebciifeii können, ohne daß auch nur das Geringste fiir die anderen Kinder abfiele. Meine Herren, eine so schwerwiegende, das Gerechtigkeitsgefühl so tief verletzende Vorschrift mit einem Schlage durch Plenarbeschluß des Reichstags einzuführen, nachdem dieselbe nicht einmal in der Kommission vorberathen ist, das wäre ein Schritt — ge­ statten Sie mir, das zu sagen — ein Schritt des Leichtsinns, wie der Reichstag noch keinen begangen hat! Nun behaupte ich aber, daß der Antrag auch weit über dasjenige hinausreicht, was der Herr Antragsteller selbst wünschen kann. Die Bedeutung deS Pflichttheilsrechts ist nicht nur die, daß es die Eltern von allzu liebloseil Bevorzugungen zurückhält, son­ dern es hat auch noch eine andere Bedeutung: es bewirkt eine Korrektur in den Fällen, wo die Eltern die verschiedenen Stücke des Vermögens unter die Kinder vertheilt haben, diese verschiedenell Verniögensstücke jedoch nicht richtig geschätzt haben, oder wo, nachdem sie ihr Testament gemacht haben, erhebliche Veränderungen in ihrem Vermögensstand eingetreten sind. Diese wohlthätige Korrektur, welche der Herr Antragsteller selbst un­ zweifelhaft gar nicht beseitigen will, einet) nicht beseitigen wollen kann, wird ebenfalls durch feinen Antrag ausgeschlossen. Nun behaupte ich aber auch weiter, daß zu dem Antrag kein Bedürftliß vorliegt.

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Wir haben eine ganze Reihe von Provinzial- und Landesgesetzen, welche die Möglichleit geben, den Grund- und den Forstbesitz unter andere Regeln als die deS gemeinen PflichttheilSrechtS zu stellen. Die verschiedenen Landgüterordnungen geben dem Testirenden ober demjenigen, der in anderer Form verfüg» will, nachdem er daS Gut in die Rolle hat eintragen lassen, eine über das gewöhnliche Pflichttheilsrecht hinausgehende Berechtigung zu freier Verfügung. Run, dann mögen diejenigen, welche eine über das bürgerliche gemeine Recht hinausgehende Befreiung vom Pflichttheilsrecht wünschen, von der ihnen gegebenen Möglichkeit der Eintragung der Güter in die Landgüterrolle Gebrauch mach»; aber sie mögen nicht verlangen, daß eine so tief gehende Verschlechterung des gemeinen Rechts hier eingeführt werde. Ich bitte Sie dringend, den Antrag abzulehnen. (Bravo! links und aus der Mitte.) Präsident: DaS Wort hat der Herr Bevollmächtigte zum Bundesrath, Königlich sächsische Geheime Justizrath Boerner. Kommissar des BundeSraths, Königlich sächsischer Geheimer Justizrath Boerner: Meine Herren, die Frage, ob das PflichttheilSrecht zu beseitigen und unbeschränkte Testirfreiheit einzuführen sei, hat in den letzten Jahrzehnten in Deutschland so manchen be­ schäftigt, ist auch in weiteren Kreisen viel erörtert worden und hat namentlich auf einem der deutschen Juristentage auf Grund sehr interessanter Gutachten eine eingehende Prü­ fung erfahren. Diese Frage hat aber doch noch nicht diejenige Durchbildung und Klärung erfahren, welche für ein gesetzgeberisches Vorgehen auf diesem Gebiet erforderlich ist. Selbst die Vertreter der unbeschränkt» Testirfreiheit, die rechtsphilosophischen wie die sozialpolitischen, sind über das Vorgehen im einzelnen noch nicht einig, namentlich darüber nicht, ob man die unbeschränkte Testirfreiheit allgemein einführen soll oder ob nur — wie der Herr Abgeordnete Graf von Mirbach beantragt hat — in Bezug auf die Grund­ stücke: ferner darüber nicht, ob die unbeschränkte Testirfreiheit auch zu Gunsten dritter, nicht zur Familie, beziehungsweise zur engeren Familie, gehöriger Person» platzgreisen soll; sodann darüber nicht, ob die Kinder, die Elte», der Ehegatte, wenn sie von der Erbschaft ausgeschlossen sind, ein Recht auf Unterhalt bekommen sollen, beziehungsweise wie diese- Recht auf Unterhalt zu gestalten ist. Dazu tritt, meine Herren, die Rücksicht auf das bestehende Recht. So bunt die Musterkarte der in Deutschland geltenden Rechte sich gestaltet, allen Recht» gemeinsam, wmn auch verschieden ausgestaltet, ist der Gedanke des Pflichttheils, und dieser Gedanke wird — darüber kann man wohl kaum einen Zweifel hegen — wenigstens zur Zeit vom VolkSbewußtsein getragen. Nur in einer Hinsicht hat sich eine Abschwächung deS PflichttheilrechtS bei den Erbauseinandersetzungen, bei den Gutsübertragungen u. s. w. herausgebildet und ist in die neuere Gesetzgebung übergegangen: das ist die Abschwächung, daß, wenn einer der nächsten Erben ein Gut zu einem Preise übernimmt, bei dem er als ordentlicher Wirth bestehen kann, dieser Preis der Berechnung deS Pflichttheils zu G»nde gelegt wird, und nicht der Verkaufswerth. Dieser Auffassung kommt der Ent­ wurf im § 2285 vollkommen entgegen. Sodann ist bereits hervorgehoben worden, daß durch den Vorbehalt zu Gunsten des Anerbenrechts die Anerbengüter auszuscheiden haben dürsten. Aber, meine Herren, weiter zu gehen und mit einem Strich, wenn auch nur für das Gebiet des Grundbesitzes, das Pflichttheilsrecht für ganz Deutschland zu beseitigen, dürfte bedenklich sein. Präfideut: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf von Mirbach. Abgeordneter Graf von Mirbach: Ich will mich nur auf eine Bemerkung gegen­ über dem Herrn Abgeordnet» Enneccerus beschränken. Er behauptete, es wäre ein Leicht­ sinn, wenn der Reichstag einen solch» Beschluß faßte. Ja, meine Herren, gegen eine derartige Auffassung muß ich doch protestirm und sagen: ich beklage eS auf daS leb-

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Hasteste, daß die Herren der Kommission, welche das bürgerliche Gesetzbuch cntroorfcn haben, diesem so vielfach ventilirten Gedanken überhaupt nicht näher getreten sind. Auf die Sache selbst will ich nicht nochmals eingehen, ich behaupte aber mit aller Entschiedenheit, daß ein Pflichttheilsrecht mit der Natur des Grundbesitzes ganz unver­ einbar ist. Schon seine Geburtsstätte, seine Genesis macht das vollkommen klar. Es ist mir durchaus nicht zweifelhaft gewesen, daß der Reichstag meinen Vorschlag ablehnen würde; aber meine Herren, ich wollte ihn doch unbedingt hier zur Sprache bringen, weil man es wohl nicht begreifen würde, wenn ich in meiner Stellung zu den Agrarfragen eine derartige Gelegenheit vorübergehen ließe, ohne den Gegenstand wenigstens zu erörtern. Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Kardorft. Abgeordneter von Kardorff: Meine Herren, ich werde Sie nicht lange aushalten; ich möchte nur bezüglich des Vorschlags des Herrn Abgeordneten Grafen von Mirbach folgendes bemerken: ich muß vollständig anerkennen, daß die gegenwärtigen Pflichttheil­ verhältnisse, wie sie in den östlichen Provinzen namentlich beim Kleinbesitz existiren, ruinirend auf den Grundbesitz wirken, sobald solche Zeiten eintreten, wie wir sie gegen­ wärtig erleben beim Rückgang aller Preise für landwirthschastliche Produkte. Ich gebe aber die Hoffnung noch nicht auf, daß, wenn wir das bürgerliche Gesetzbuch so verab­ schieden, wie es die Kommission vorschlägt, doch das Recht auch später vorwärts schreitet: es ist lebendig und wird immer wieder anderer Normirungen unterliegen, und wir werden doch wieder dahin kommen, für diese Provinzen nicht bloß in dem Anerbenrecht oder im Erbrecht einen Schutz des Grundbesitzes herzustellen, sondern auch in den Be­ stimmungen über das Pflichttheil beim Grundbesitz. Meine Herren, wir kommen darüber nicht hinaus, wenn wir den Grundbesitz, namentlich den kleinen Grundbesitz in den öst­ lichen Provinzen, erhalten wollen. Präsident: Die Diskussion ist geschlossen. — Ter Herr Berichterstatter hat das Wort. Berichterstatter Abgeordneter Schröder: Meine Herren, wie mitgetheilt, ist der Antrag in der Kommission nicht zur Sprache gekommen, deshalb bin ich auch außer Stande, als Referent dazu Stellung zu nehmen. Wenn nur Herr Graf Mirbach sich darüber gewundert hat, daß eine so bedeutsame Frage in der Kommission nicht zur Er­ örterung gekommen ist, so möchte ich bitten, diesen Vorwurf in erster Linie an diejenigen Mitglieder der Kommission zu richten, welche aus seinem Standpunkt stehen und seiner Partei angehören. «Sehr wahr!) Ich bin, wie gesagt, nicht in der Lage, da die Kommission den Antrag nicht erörtert hat, für die Kommission Stellung zu nehmen, ich mache nur darauf aufmerksam, daß der Reichstag sich durch seine bisher gefaßten Beschlüsse schon auf den entgegengesetzten Boden gestellt hat, indem er das Pflichttheilsrecht ans der Grundlage des Entwurfs in den allgemeinen Prinzipien anerkannt hat, und daß er dabei auch den Fall nicht außer Acht gelassen hat, daß sich im Nachlaß ein bei der Pslichttheilsregulirung in Betracht kommen­ des land- oder sorstwirthschastliches Grundstück befinde. Der 8 2285 handelt von einem solchen Falle. Die Kommission würde sich danach schwerlich auf den Standpunkt des Antrags des Herrn Grafen Mirbach gestellt haben. Präsident: Wir kommen zur Abstimmung. Ich ersuche diejenigen Herren, welche, dem Antrag des Gwfen Mirbach entsprechend, einen 8 2311 u des Inhalts, wie ich ihn vorgelesen habe, annehmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. ^Geschieht.) Das ist die Minderheit; der Antrag ist abgelehnt. Ich rufe auf die 2312 bis 2359, — Einleitung zum Gesetz, — die Über­ schrift, — sowie die Überschriften der einzelnen Theile. — Dieselben sind angenommen, und damit ist auch dies Buch erledigt.

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Wir gehen über zum EinführnngSgesetz. Hier haben die Herren Abgeordneten Auer und Genoffen drei Artikel vorgeschlagen auf Nr. 471 zu 91, 92 und 93 der Drucksachen, die zu keinem bestimmten Artikel de» EinführungSgesetzeS, sondern al» be­ liebige Artikel de» Gesetze» gestellt sind. Ich ertheile zunächst, indem ich die Diskussion über den ersten Abschnitt „Allge­ meine Borschriften" eröffne, da» Wort zur Begründung dem Herrn Abgeordneten Frohme. Abgeordneter Krohme: Meine Herren, unser Antrag wünscht, daß im Art. 3 oder an einer anderen Stelle des Einführungsgesetzes diejenigen privatrechtlichen Bestimmungen der Landesgesetzgebung ausdrücklich aufgeführt werden — (Glocke deS Präsidenten.) Präfident: Entschuldigen Sie, Herr Redner, die Diskussion ist nicht zum Art. 3 des Einführungsgesetzes eröffnet, wozu allerdings auch ein Antrag von Ihren Genoffen gestellt ist, sondern es ist von Ihnen rin Antrag gestellt zum Beginn des Einführungs­ gesetzes, nicht zu einem bestimmten Artikel desselben, drei Bestimmungen aufzunehmen und hierüber bitte ich sich zuerst auSzusprechen. ES heißt im Antrag: „als Artikel x des Einführungsgesetzes festzusetzen", und nun kommt: erstens, zweitens, drittens; wir treten nun in die Diskussion über den ersten der drei beantragten Artikel ein. DaS Wort hat der Herr Abgeordnete Stadthagen. Abgeordneter Stadthagev: Meine Herren, der unter Nr. 91 unserer Anträge ein­ geführte Artikel soll zur Diskussion gestellt werden. Wir bitten darin, bezüglich der RechtSanwaltsordnung eine ganz kleine Aenderung vorzunehmen. Das Zurückbehaltungs­ recht ist hier im Entwurf geregelt. Danach hat an sich derjenige, der den Auftrag zu einer Klage erhalten hat, das Zurückbehaltungsrecht bezüglich der Akten; auch noch der bestehenden RechtSanwaltsordnung besteht zweifellos ein Zurückbehaltungsrecht. ES ist im Gesetzbuch ausdrücklich bestimmt. Das will unser Antrag auch aufrecht erhalten. Aber wie steht es nun, wenn jemand nicht einen Auftrag ertheilt hat, sondern im Genuß des Armenrechts ist? ES ist offenbar ungerecht und wider den Gedanken, von dem au» man jemand daS Armenrecht giebt, daß der ihm beigeordnete Anwalt daS Recht haben soll, nachdem er den Prozeß gewonnen hat, die Akten zurückzubehalten. Dem armen Mandanten wäre e» dann unter Umständen unmöglich, seine Rechte geltend zu machen. In der Kommission wurde unserem Antrag gegenüber, der sich hieraus bezieht, der also im übrigen da» Zurückbehaltungsrecht des Rechtsanwalt» durchaus aufrecht erhält und nur dasjenige deS Armenanwalts ausschließt, geltend gemacht» es sei durchaus richtig, es gebe kaum einen loyalen Rechtsanwalt, der thatsächlich Gebrauch macht von seinem Zurückbehaltungsrecht gegenüber einer armen Partei, eS fei aber doch nicht zweckmäßig, die» gerade hier jetzt auszudrücken; es wurde immer zugestanden, daß allerding» in der Praxis der neueren Zeit mehrere Fälle des Gegentheils loyaler Ausübung des Zurück­ behaltungsrechts vorgekommen sein mögen. Meine Herren, so kleinlicher Natur dieser Punkt zu sein scheint, müssen wir Sie doch bitten, jetzt, wo wir überhaupt bei der Regelung des ZurückbehaltsrechtS sind, diesem Antrag zuzustimmen. Es ist eine Konsequenz, eine Art Ausgleichung dessen, waS Sie beim Zurückbehaltungsrecht dem direkten Auftraggeber gegenüber bestimmt haben, hier anders zu bestimmen dem gegenüber, der um das Armenrecht hat nachsuchen müssen, also Auftraggeber eigentlich nicht ist. Präfident: Ich habe bei der Unruhe zivar nicht alles verstanden, was der Herr Redner gesprochen hat: aber er hat sich zu dem Antrag bezüglich der Rechtsanwaltsordnung geäußert. Das Wort ist ihm zugleich ertheilt zu 92 und 93, betreffend daS Jnverbindungtreten von Vereinen und über den 8 95 des Unfallversicherungsgesetzes. Abgeordneter Stadthagen: Unter Nr. 92 beantragen wir einen Satz, bezüglich deffen erster Nummer die materielle Uebereinstimmung hier im Reichstag erst kürzlich

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konstatirt worden ist. Es ist dies das sogenannte Nothvereinsgesetz. Wir beantragen festzustellen als einen Artikel des Einführungsgesetzes: Die landesgesetzlichen Vorschriften, welche das Jnverbindungtreten von Ver­ einen, welche politische Zwecke verfolgen, verbieten, werden aufgehoben. Bereinigungen von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern, welche zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen sich gebildet haben, unter­ liegen keiner landesgesetzlichen Vorschrift. Bezüglich des ersten Absatzes, der das Verbot des Jnverbindungtretens von politischen Vereinen aufhebt, hat sich die commuuis opinio neulich im Reichstag für denselben erklärt. Nun liegt die Sache augenblicklich im Schoße des Bundesraths, und wir haben ein so volles, so berechtigtes Mißtrauen dagegen, daß die königlich preußische Regierung von einem unrichtigen Gesetz, von einem reaktionären Gesetz, von einem Gesetz, das erst durch eine falsche Rechtsprechung zu einem eigentlich reaktionären geworden ist, ablassen wird, — wir haben so wenig Vertrauen zu der Königlich preußischen Regierung, daß wir meinen, wir sollten jetzt eine Art Kompelle, eine Art Anreiz geben und die Königlich preußische Regierung vor die Frage stellen: will sie dieses für jeden gebildeten, für jeden politisch reifen Mann sich klar überlebt habende Gesetz aufrecht erhalten, oder will sie das bürgerliche Gesetzbuch fallen lassen? Wir wollen sie in diese Zwangslage stellen; denn, meine Herren, es liegt hier eine politische Nothwendigkeit vor, eine politische Nothwendigkeit, die größer ist als die Nothwendigkeit, daß ein schlechtes bürgerliches Gesetzbuch Gesetz wird, die größer ist, als daß selbst dieses Gesetzbuch von Ihrem Stand­ punkt aus Gesetz wird. Sind wir einig über diese Nothwendigkeit, gut, dann kann uns der Schönheitsfehler, den man fürchtet, indem man sagt: das sieht ja ganz wunderbar aus, wenn in das bürgerliche Gesetzbuch ein Nothstandsgesetz hineinkommt, — nicht be­ irren. Ja, meine Herren, in diesen Nothstand bringt uns die Regierung. In ihrer Hand ist es ja, zwischen der zweiten und dritten Lesung die Zustimmung des Bundes­ raths zu dem neulich beschlossenen Gesetzentwurf zu ertheilen. Will sie ernstlich der Aufhebung dieser reaktionären Bestimmungen zustimmen, die im Widerspruch stehen mit der öffentlichen Lrdnung, im Widerspruch stehen mit der Thatsache, daß wir das allgemeine Wahlrecht haben, ja, die von weiterschallenden Richtern als nicht mehr zu Recht bestehend längst hätten interpretirt werden müssen, — meine Herren, will sie wirklich diese Be­ stimmungen beseitigen, so hat sie Zeit genug dazu zwischen der zweiten und dritten Lesung. Wir haben eben das Beispiel gegeben, in wie kurzer Zeit so viele Köpfe über 2500 Para­ graphen sich einigen können — und der hohe Bundcsrath sollte sich über ein solch kleinliches Gesetz nicht einigen können in ein paar Stunden? Nein, meine Herren, das kann er sehr wohl! Und kommt ein Schönheitsfehler hinein in das Gesetz, die Verant­ wortlichkeit für diesen — vom Standpunkte der Schönheit aus — Schmutzfleck trifft dann den Bundesrath, nicht uns. Der Bundesrath mag eben in der Zwischenzeit seine Entscheidung treffen, eventuell zwingen wir ihn dazu, das Gesetzbuch abzulehnen oder mit dem Fleckchen anzunehmen. Meine Herren, ich bitte Sie auch dem zweiten Absatz unseres Antrags zuzustimmen, wiewohl ja hier im Reichstag noch nicht eine ausdrückliche Uebereinstimmung nach der Richtung hin sich offenbart hat. Wir meinen, nachdem wir das Arbeitsverhältniß in verschiedenen Beziehungen hier im bürgerlichen Gesetzbuch geregelt haben, nachdem allseitig anerkannt ist: Vereinigungen sind nothwendig zur Erlangung günstigerer Lohn- und Arbeitsbedingungen, — da, meinen wir, kann es keinen! Zweifel unterliegen, diesen Theil des Bereinsrechts auch dem Reichsrecht zu unterwerfen, damit den reaktionären Spinnen in den einzelnen Partikularstaaten, den reaktionären Eulen in den einzelnen Landtagen nicht das Recht gegeben lverde, das zu zerstören, was hier mühsam zusammengewirkt ist. Deshalb bitte ich Sie, diesem Antrag zuzustimmen. Ich habe noch die Pflicht, die 9fr. 93 unseres Antrags zu begründen. Wir wollen

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auch durch diesen Antrag ein Ausnahmerecht beseitigen. § 95 des llnfallversicherungsgesetzes stellt den Unternehmer in die günstige Ausnahmestellung, daß er für einen Schaden, den er durch vertragswidriges Handeln an dem Körper oder Gesundheit eines in seinem Betriebe beschäftigten Menschen verursacht hat, nur dann zu haften habe, wenn eine strafbare Handlung seinerseits vorliegt, und wenn er deswegen wirklich bestraft worden ist. Durch die Bestimmung des § 95 wird das gesammte Schadenersatzrecht, so weit es sich um den Körper und die Gesundheit des Arbeiter- handelt, in ganz eminentem Maße gefährdet zu Ungunsten des Arbeiters und im Widerspruch mit den Prinzipien deS bürgerlichen Gesetzbuchs über Schadensersatz. Ich will nicht auf die Einzelheiten eingehen, da ich schon bei der ersten Berathung und auch bei anderen Gelegenheiten darauf eingegangen bin. Ueber die Beseitigung dieses Ausnahmerechts kann für diejenigen, die dem Arbeiter in demselben Maße Schadenersatz zubilligen wollen wie jedem anderen Bürger, kein Zweifel sein. Nehmen Sie unseren Antrag nicht an, so wird dem Arbeiter das ganz schmale Schadensersatzrecht noch weiter gekürzt. Er leidet jetzt schon in be­ stimmten Fällen, wie ich ftüher ausgeführt habe, einen Schaden von tausend Mark, ja manchmal dreitausend Mark durch das Unfallgesetz. Er ist leider durch die Unfall­ versicherungsgesetzgebung in die Lage versetzt, daß er entgegen den Prinzipien dieses bürgerlichen Gesetzbuchs Schadenersatz für Schäden an seinem Körper oder Gesundheit nicht erlangen kann, sondern als Unfallrente höchstens nur zwei Drittel des Schadens. DaS ist eine Benachtheiligung, ein AuSnahmerecht; darüber kann kein Zweifel sein. Wir wollen nicht warten auf die uns so häufig versprochene Novelle zum Unfallversicherungs­ gesetz. DaS kann wer weiß wie lange dauern. Wir haben nur das eine herausgegriffen, was hierher gehört; das zivilrechtliche Schadensersatzrecht des Arbeiters soll mit dem Schadensersatzrecht, daS alle anderen Gnwohner des Staats haben, konform sein. Meine Herren, ich bitte Sie also, den gestellten Anträgen, insbesondere aber dem letzten und dem Nothvereinsparagraphen, zustimmen zu wollen. (Bravo! links.) Präsident: Das Wort hat der Herr Reichskanzler. Reichskanzler Fürst zu Hoheulohe-SchillmgSfürst: Meine Herren, zu dem so­ genannten Nothvereinsgesetzparagraphen, von dem soeben der Herr Borredner gesprochen hat, muß ich erklären, daß der BundeSrath darüber Beschluß noch nicht gefaßt hat. Ich glaube, es ist auch gar nicht nothwendig. Ich möchte Ihnen rathen, die Einfügung einet Bestimmung in das bürgerliche Gesetzbuch, wie sie der Antrag deS Abgeordneten Auer in Aussicht nimmt, nicht zu beschließen. Die Annahme deS Antrags empfiehlt sich zunächst aus der Erwägung nicht, daß die vorgeschlagene Bestimmung einen öffentlich-rechtlichen Charakter hat, während sich die Vorschriften deS bürgerlichen Gesetzbuchs auf dem Gebiete des PrivatrechtS bewegen. UeberdieS aber ist die Aufnahme einer Bestimmung, welche den politischen Ver­ einen gestattet, mit einander in Verbindung zu treten, in dieses Gesetz entbehrlich. Wie bereits bei der dritten Berathung des sogenannten NothvereinSgesetzes vom BundesrathStisch aus erklärt worden ist, besteht die begründete Zuversicht, daß das in den verschiedenen Bundesstaaten für politische Vereine erlassene Verbot, mit anderen Vereinen in Verbindung zu treten, außer Wirksamkeit werde gesetzt werden. Ich kann auf Grund der inzwischen unter den betheiligten Regierungen gepflogenen Erörterungen diese Erklärung dahin ergänzen, daß es in der Absicht dieser Regierungen liegt, die Beseitigung des durch das Verbot geschaffenen Rechtszustandes herbeizuführen. Geschieht dies aber — und ich zweifle nicht daran, daß es geschehen wird —, so wird es in Zukunft auch in den gegenwärtig noch unter dem Verbot stehenden Staaten zulässig sein, daß die politischen Vereine unter einander in Verbindung treten, und zwar wird dieser Erfolg unter allen Umständen früher eintreten, al» dies durch eine Aufnahme de»

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Antrags Auer in das bürgerliche Gesetzbuch der Fall sein würde, weil das letztere erst mit dem Beginn des nächsten Jahrhunderts in Geltung gesetzt werden soll. (Bravo!) Präsident: DaS Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lieber (Montabaur). Abgeordneter Dr. Lieber (Montabaur): Meine Herren, nach den Erklärungen be£ Herrn Reichskanzlers ist wohl kaum noch ein Zweifel möglich, daß es nicht angebracht ist, die Bestimmung, welche die Herren Auer und Genossen hinsichtlich der Verbindung politischer Vereine beantragen, in das Einführungsgesetz zum bürgerlichen Gesetzbuch auf­ zunehmen. Zutreffend hat der Herr Reichskanzler zunächst darauf hingewiesen, daß es sich hier um eine Frage des öffentlichen Rechts handelt, während wir uns im Augen­ blick überall nur mit Fragen des privaten Rechts beschäftigen. Der Herr Reichskanzler hat aber sodann auch darauf aufmerksam gemacht, daß, wenn wir dem Antrag mit Hintansetzung der aus dem öffentlich-rechtlichen Charakter desselben hergeleiteten Bedenken auch stattgeben könnten oder wollten, wir doch zur Aufhebung des Verbots der Verbindung politischer Vereine frühestens erst nach mehr denn drei Jahren kommen können, während, wenn die Zusicherungen, die uns eben gegeben worden sind, sich — tii Preußen wenigstens — schon im nächsten Winter verwirklichen lassen, wir dann sofort in die Wohlthat der Beseitigung dieses Verbots eintreten und überall da, wo dasselbe sonst in Deutschland noch besteht, jedenfalls früher dazu kommen. Ich möchte Sie also dringend ersuchen, dem Antrag Auer nicht stattzugeben. Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haußmann. Abgeordneter Haußmann: Meine Herren, gegen den vorliegenden Antrag sind zwei Einwendungen erhoben worden von dem letzten Herrn Redner und vom Herrn Reichskanzler. Ein Einwand war, daß es sich nicht empfehle, öffentliches Recht hier in dem Rahmen eines privatrechtlichen Gesetzes zu regeln. Die Kommission und der Reichstag ist aber diesem Prinzip selbst an anderer Stelle nicht treu geblieben. In Art. 86 ist in öffentliches Recht eingegriffen, indem bestimmt wurde, daß unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, welche den Erwerb von Rechten durch juristische Personen beschränken oder von staatlicher Genehmigung abhängig machen, soweit diese Vorschriften Gegenstände im Werth von mehr als 3000 Mark betreffen. Hier ist zu Gunsten der todten Hand in öffentliches Recht eingegriffen und bestimmt, daß die landesgesetzlichen öffentlich-rechtlichen Bestimmungen aufgehoben sein sollen, soweit sie bestimmen, daß Genehmigung nöthig ist auch bei Beträgen unter 3000 Mark. Wenn man hier das Prinzip verläßt und in öffentliches Recht eingreift, warum dann nicht bei dem mindestens ebenso wichtigen, nach meiner Meinung viel wichtigeren Vereinsrecht ? Dann aber liegt nach der Erklärung des Herrn Reichskanzlers um so weniger Grund vor, nicht einen materiellen Beschluß in der Sache herbeizuführen. Rach dieser Erklärung ist jetzt, wie es scheint, auch die Regierung der Ansicht, daß materiell dies Verbot des Jnverbindungtretens der Vereine aufzuheben, nichf aufrechtzuerhalten ist. Der Reichs­ tag hat sich neulich in seiner großen Mehrheit aus denselben Standpunkt gestellt. Run scheint es mir aber durchaus nicht überflüssig, jetzt im bürgerlichen Gesetzbuch diesen Grundsatz bereits festzustellen. Denn das, was der Herr Reichskanzler in Aussicht stellte, konnte doch nicht mehr sein als eine allgemeine Revision der landesgesetzlichen Vorschriften über unser Vereinswesen. (Sehr richtig!) Was nun bei den Gesetzen, die da vorgelegt werden, für Resultate sich ergeben, mit welchen Bedingungen das bepackt sein kann, und ob diese Gesetze überhaupt zu stände kommen, wissen wir alle nicht. Ueberhaupt scheint es mir nicht richtig, eine so allgemein wichtige Rechts- und Reichsfrage von allen Einzellandtagen abhängig zu machen.

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Deshalb, glaube ich, ist eS richtig, den Antrag Auer in seinem ersten Theil an­ zunehmen. Es scheint mir aber klüger, ihn nicht auch mit dem zweiten Absatz zu bepacken. Wenn eine Mehrheit Absatz 1 beschließen würde, so habe ich die feste Ueberzeugung, gerade auf Grund der Mittheilungen deS Herrn Reichskanzlers, daß der BundeSrath diesen Beschluß nicht zum Gegenstand der Ablehnung deS Gesetzes machen kann und will. (Sehr gut! links.) Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Frohme. Abgeordneter Krohme: Die Erklärungen des Herrn Reichskanzlers können uns unmöglich befriedigen. Zu den Gründen des Herrn Vorredners füge ich noch folgende hinzu. Man treibt hier ein seltsames Spiel mit den Begriffen öffentliches und Privat recht. Wenn es einem bestimmten Zweck entsprechend scheint, scheut man sich nicht, öffentliches Recht ins private hineinzubringen, während man es hier nicht thun will. • Der zweite Theil unseres Antrags lautet: Vereinigungen von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern, welche zum Behuf der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen sich gebildet haben, unter­ liegen keiner landesgesetzlichen Vorschrift. Das hat ausgeprägt privatrechtlichen Charakter; mit dieser Ansicht stehen wir nicht allein, wir können unS dabei auf die Judikatur des höchsten Gerichts, des Reichs­ gerichts, berufen, welches wiederholt in Prozeffen, wo eS sich um die Entscheidung dieser Frage handelte, dahin entschied, daß derartige Bereinigungen privatrecht­ lichen Charakter haben, daß es sich dabei lediglich um Ausübung privatrechtlicher Befugnisse handelt, die auf einen wirthschastlichen, privatrechtlichen Zweck, die Besserstellung der Lage der Arbeiter, gerichtet sind. Wie man hier nun dazu kommt, so ohne weiteres rücksichtlich dieses Punktes zu erklären, derselbe habe mit dem Privatrecht nichts gemein, ist mir unverständlich. Der bestehende Zustand ist unhaltbar, gehässig, gefährlich. Die Arbeiterkoalitionen, die sich auf Grund deS § 153 der Reichs­ gewerbeordnung gebildet haben, um beffere Lohn- und Arbeitsbedingungen zu erzielen, werden in einer Art und Weise behördlich chikanirt, daß von einem Koalition-recht für sie in der That nicht mehr die Rede sein kann. Der Gesetzgeber hat diese- Recht aus wirthschastlichen, aus privatrechtlichen Rücksichten gegeben, politische haben dabei von vornherein keine Rolle gespielt, die hat erst eine falsche Judikatur, eine PolizeipraxiS in die Rechtsprechung hineingetragen, und dagegen wenden wir unS selbst­ verständlich ganz entschieden. Es kommt uns darauf an, diese privatrechtlichen Ber­ einigungen vor behördlichen, polizeilichen und richterlichen Eingriffen sicherzustellen; und ganz zweifellos gehört daS in das bürgerliche Gesetzbuch hinein. Diese Materie können die Landesgesetzgebungen nicht regeln, werden sie nicht regeln. Also wenigsten- an diesem Punkte müssen wir unter allen Umständen festhalten, obwohl ja ganz selbst« verständlich ist und für uns auch kein Grund dafür besteht, den Versicherungen des Herrn Reichskanzlers Folge gebend zu meinen, daß nun unsere erste Forderung keine Bedeutung mehr habe. Wir bitten Sie, dafür zu stimmen. Sie treten damit den berechtigten Interessen des arbeitenden Volks näher, Sie würdigen diese Interessen damit. Präsident: Das Wort hat der Herr Bevollmächtigte zum Bundesrath, Staats­ sekretär des Innern, Staatsminister und Vizepräsident des Königlich preußischen Staats­ ministeriums Dr. von Boetticher. Bevollmächtigter zum Bundesrath, Staatssekretär des Innern, Staatsminister und Vizepräsident des Königlich preußsschen Staatsministeriums Dr. von Boetticher: Meine Herren, ich bitte Sie, entgegen der Aufforderung des Herrn Vorredners, dem Antrag

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Auer keine Folge zu geben. Ich bin der Meinung, daß die von dem Herrn Reichs­ kanzler abgegebene Erklärung eine rechtlich und politisch unanfechtbare ist. Der Herr Abgeordnete Haußmann hat zwar gemeint, daß die einzig würdige Art, um dem auf dem Gebiet des Vereinswesens augenblicklich bestehenden und anerkannten Mißstande ab­ zuhelfen, die Beschreitung des Weges der Reichsgesetzgebnng sei. Ich weiß nicht, ob der Herr Abgeordnete meine Ausführungen, die ich bei der dritten Lesung des Antrags auf Annahme eines Reichsvereinsgesetzes vorgebracht habe, angehört hat. Wenn er an­ wesend gewesen wäre, würde er gehört haben, daß, nachdem die Rechtslage in Deutsch­ land sich so entwickelt hat, daß das Bereinsrecht auf der Partitulargesetzgebung beruht, und nachdem eine Uebereinstimmung der verbündeten Regierungen dahin, daß der Weg der Reichsgesetzgebung, der ja an sich nach dem Art. 4 der Verfassung zulässig wäre, gegenwärtig beschritten werden soll, zur Zeit nicht herbeigeführt worden ist, nichts übrig bleibt, als die nothwendige Korrektur aus dem Gebiet der Landesgesetzgebung vor­ zunehmen. Und, meine Herren, nach dem Meinungsaustausch, der unter den ver­ bündeten Regierungen vorgenommen ist, sehe ich auch vom Standpunkt der Herren, die eine schleunige Beseitigung des Verbots, wie es im £ 8 des preußischen Vereinsgesetzes enthalten ist, wünschen, durchaus keinen Grund zur Besorgniß. Die Regierungen aller Bundesstaaten, für welche solche Verbote — sie sind nicht alle übereinstimmend — be­ stehen, haben sich sämmtlich anheischig gemacht, das Verbot außer Wirksamkeit zu setzen: also sie werden die erforderlichen Schritte dazu thun, daß ein Zustand herbeigeführt wird, wonach künftig die Vereine unter einander in Verbindung treten können. Nun liegt die Sache ja nicht so, wie der Herr Abgeordnete Haußmann an­ zunehmen scheint, daß es sich hier um sämmtliche Regierungen handelt und um die Sorge, daß auch rücksichtlich der Verbindung der Vereine unter einander nun von neuem ein verschiedenartiger Rechtszustand in Deutschland eintreten möchte. Einmal handelt es sich nur um zwölf deutsche Staaten, in denen ein solches Verbot besteht; sodann aber haben sich gerade die Regierungen dieser zwölf Einzelstaaten bereit erklärt, auf die Be­ seitigung des Verbots hinzuwirken. Wenn schließlich erwogen wird, daß das Verbot nach dieser Bereitschaft der Regierungen, sofort an die Arbeit zu gehen und es zu beseitigen, doch in absehbarer Zeit außer Wirksamkeit gesetzt werden wird, wenn andererseits die Aufnahme des An­ trags Auer in das bürgerliche Gesetzbuch es herbeiführen würde, daß die Aufhebung des Verbots erst mit dem Jahre 1900 eintritt, so kann auch vom Standpunkt des Herrn Abgeordneten Haußmann meines Erachtens gar kein Zweifel darüber sein, daß es vor­ zuziehen ist, den Weg zu gehen, den der Herr Reichskanzler in seiner Erklärung an­ gedeutet hat. Was den zweiten Antrag des Herrn Abgeordneten Auer anlangt, von dem ich übrigens nicht annehme, daß er einen großen Beifall in dieser Versammlung findet, so irrt der Herr Abgeordnete Frohme, wenn er meint, daß es sich hier um privatrechtliche Verhältnisse handelt. Es handelt sich um die Abänderung einer Vorschrift der Gewerbe­ ordnung, um die Abänderung gewerbepolizeilicher Bestimmungen, und überdies ist dabei zu berücksichtigen, daß Vereine, die auf die Herbeiführung besserer Lohn- und Arbeits­ bedingungen gerichtet sind, bisher als öffentliche Vereine und nicht als Privatvereine angesehen sind. Es ergiebt sich dies zweifellos aus ihrem Charakter, und ich würde es ebenso für unrichtig halten, den Absatz 2 des Antrags Auer in das bürgerliche Gesetzbuch hineinzubringen, welches eben lediglich das Privatrecht regelt, wie ich es für unrichtig halte, den Absatz 1 in das Gesetzbuch aufzunehmen. Ich kann also nur dringend bitten, meine Herren, daß Sie den Antrag Auer ablehnen. Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Freiherr von StummHalberg.

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