Erste Fahrt zum Mond

Titel der Originalausgabe: First Men to the Moon Aus dem Amerikanischen übertragen von Heinz Gartmann und G. Danehl (Anm

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Erste Fahrt zum Mond

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Über dieses Buch

Seit künstliche Satelliten die Erde umkreisen und Rake­ ten in den Weltraum vorstoßen, liegt eine Fahrt des

Menschen zu einem Himmelskörper nicht mehr allzu fern. In den großen Versuchszentren der Welt arbeitet

man an Projekten, die den Menschen von der Erde lösen und ihn nach einer Reise ins Weltall wieder zurückbeför­ dern können. Das erste dieser faszinierenden Abenteuer

wird dann wohl eine Fahrt zum Mond sein. Wernher von Braun erzählt in dem vorliegenden Buch

den Verlauf einer solchen ersten Reise zum Mond. Er wählt die Form des Tatsachenberichts und schildert die Phasen des Fluges vom Start der Rakete bis zur Rück­

kehr auf die Erde. In einem Kommentar erläutert er technische und wissenschaftliche Zusammenhänge und gibt so dem Leser ein Bild von den zahlreichen Proble­

men der Raumfahrt, das über das Maß der gewöhnlichen

Sciencefiction-Darstellung weit hinausreicht.

WERNHER VON BRAUN

ERSTE FAHRT ZUM MOND

FISCHER BÜCHEREI

Titel der Originalausgabe: First Men to the Moon Aus dem Amerikanisdien übertragen von Heinz Gartmann und G. Danehl (Anmerkungen) Bearbeitet von Eridi Dolezal Zeichnungen der amerikanisdien Originalausgabe: Fred Freeman Zeichnungen der deutschen Ausgabe: Harald Bukor

Erstmalig in der Fischer Bücherei März 1961

Umschlagentwurf: Harald Bukor Fischer Bücherei KG, Frankfurt am Main und Hamburg Lizenzausgabe de« S. Fischer Verlages, Frankfurt am Main Copyright © 1958» I9J9» I0o by Dr. Wernher von Braun Gesamtherstelluag: Hanseatische Druckanstalt GmbH, Hamburg-Wandsbek Printed in Germany

INHALT

Vorwort von ErichDolezal

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Einleitung ......................................................

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Erste Fahrt zum Mond..................................

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Anmerkungen...............................................

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VORWORT

Im Zeitalter der Raketentechnik und ihrer Anwen­ dung auf die Weltraumfahrt überstürzen sich die Er­ eignisse. Die Raketentypen, die die ersten künstlichen Satelliten, Sputniks und Explorer, in ihre Kreisbahn um die Erde beförderten, gehören heute bereits zum alten Raketeneisen. Bessere, leistungsfähigere Kon­ struktionen haben sie abgelöst, die Raumsonden sind über die Mondbahn hinaus bereits in den interplane­ tarischen Raum vorgestoßen. Das vorliegende Buch erscheint gerade im richtigen Zeitpunkt, denn es gibt Antwort auf die Frage: was nun? Bisher haben Automaten und Roboter das Weltall erforscht, der Mensch hat selbsttätige Instrumente und Datenspeicher, Funkanlagen und Kraftstationen (Sonnenbatterien) als Spähtrupps in die nähere Um­ gebung des interplanetarischen Raumes geschickt. Eine Raumfahrt wäre aber nicht vollkommen, gelänge es nicht, auch den Menschen von der Erde loszulösen und wieder heil zurückzubefördern. Zweifellos ist jetzt schon der Zeitpunkt gekommen, die ersten Schritte auf die bemannte Weltraumfahrt hin zu un­ ternehmen. Mit Sicherheit wissen wir, daß von west­ licher Seite mit dem Projekt Merkur die Vorbereitun­ gen eines bemannten Satellitenfluges bereits in vollem Gange sind, im Osten werden zweifellos gleiche oder ähnliche Projekte vorbereitet. Wenn einmal das Pro­ blem des Startes und der gesicherten Rückkehr gelöst ist, dann steht weiteren bemannten Expeditionen kein 7

grundsätzliches Hindernis mehr im Wege. Dann erst beginnt das faszinierende Abehteuer, wohl eines der größten in der Geschichte der Menschheit: die erste Landung auf einem anderen Himmelskörper, und dieser wird zweifellos unser Mond sein. Ein Fachmann der Raumfahrt hat den gegenwärtigen Stand der Astronautik mit dem Stand der Flugtechnik im Jahre 1910 verglichen, und wenn wir die Entwick­ lung der Fliegerei von der Rumpler-Taube bis zum Raketenflugzeug X-i 5 überblicken, die fünfzig Jahre, in denen es gelang, die Geschwindigkeit von wenig mehr als 60 Stundenkilometer auf fast 3600 zu stei­ gern, dann dürfen wir Wernher von Braun wohl das Recht einräumen, heute bereits ein Buch über den ersten bemannten Flug zum Mond zu schreiben. Niemand, auch der beste Techniker nicht, kann ein Bild der Zukunft entwerfen, das in allen Einzelheiten in Erfüllung geht. Vielleicht werden sich die ersten Menschen schon in Atomraketen zum Mond begeben, sind doch heute bereits Kernreaktorkonstruktionen in Erprobung, und die amerikanische Atomenergie­ kommission, die diese Versuche in Los Alamos (NeuMexiko) und Nevada durchführt, berichtete, daß die Erwartungen übertroffen wurden und daß frühestens 1965 mit startfertigen Raumraketen mit Atomantrieb gerechnet werden kann. Aber auch die Triebwerke mit konventionellen Treibstoffen können immer grö­ ßere Nutzlasten bei ständig geringer werdendem Treibstoff verbrauch auf die Kreisbahn- und Flieh­ geschwindigkeit beschleunigen. Das Projekt Saturn, 8

an dem in Huntsville, der Wirkungsstätte Wernher von Brauns, gearbeitet wird, würde heute bereits eine »weiche Landung« von einer Tonne Nutzlast auf dem Mond ermöglichen. Wenn gerade ein Pionier und so erfahrener Fachmann der Raketentechnik wie Wernher von Braun sich zum Problem der bemannten Mondrakete äußert, dann hat dies besonderes Gewicht. Wenn ein so bedeuten­ der Vertreter der Raumfahrtwissenschaften die Form einer Erzählung, eines Tatsachenberichtes, wählte, so ist das ein Zeichen für einen gesunden Sinn für Reali­ täten, und dem Leser wird das Verständnis für man­ che schwierigen Probleme leichter gemacht. Besonders dankbar müssen wir dem Verfasser sein, daß er in der Einführung einige heiße Eisen mutig angegriffen hat, Fragen, die im Zusammenhang mit der Weltraum­ fahrt immer wieder aufgeworfen werden, wie die Be­ denken von weltanschaulicher Seite oder die Frage nach den Kosten - was hätte mit dem Geld, das man für Raketen ausgibt, nicht alles geschaffen werden können? - oder nach dem Nutzen der Raumfahrt überhaupt. Wenn eine Persönlichkeit wie Wernher von Braun dazu Stellung nimmt, dann können seine Ant­ worten als weitgehend verbindlich angesehen werden. So kann dieses Buch als ein bedeutsamer Beitrag zu der schon so stark angewachsenen Raumfahrtliteratur betrachtet werden, dessen Wert im harmonischen Zu­ sammenklang streng wissenschaftlicher und technischer Möglichkeiten mit prophetischer Schau liegt. Wien, März 1961 Erich Dolezal 9

EINLEITUNG

Seit dem 4. Oktober 1957, als der erste sowjetische Sputnik der amerikanischen Öffentlichkeit die Augen darüber öffnete, daß die Zeit der Raumfahrt begon­ nen hatte, fing meine Privatpost an, zu einem Pro­ blem zu werden; aber als unser eigener Armee-Satel­ lit >Explorer I< etwas verspätet bewies, daß auch Amerika in der Lage ist, Satelliten zu schaffen, hat die Flut der sich auf meinem Schreibtisch auftürmenden Fragen und Vorschläge, Erfindungen und philosophi­ schen Warnungen ein bestürzendes Ausmaß ange­ nommen. Hier ist ein Versuch, die Fragen, die mir am häufig­ sten gestellt wurden, zu beantworten. Ich glaube, die Antworten werden dazu beitragen, Sie auf den Inhalt dieses Buches, den Flug von einer kleinen Pazifik­ insel nach dem Mond und zurück, vorzubereiten. Des­ halb rate ich, die Fragen und Antworten zuerst zu lesen, obgleich ich als Raketenmann recht gut verstehe, wie sehr Sie darauf brennen, den Start zu erleben. Frage: Die Heimat des Menschen ist die Erde. Drin­ gen wir nicht in Gottes Reich ein, wenn wir uns zum Flug durch den Raum anschicken? Antwort: Ist dieser schöne Planet Erde, unsere Hei­ mat, nicht genauso gut ein Teil von Gottes Reich wie der leere Weltraum und alle anderen Sterne und Pla­ neten im Universum? Gott hat nichts dagegen, daß jemand, der in einer Stadt geboren wurde, in einer anderen Stadt lebt. Warum sollte er dagegen sein, daß 11

wir von einem Planeten seines Reiches nach einem anderen reisen? Er erfüllte unsere Herzen mit Neu­ gier und Wissensdurst, und er befähigte uns, das nö­ tige Wissen und Können zur Befriedigung unserer Neugier zu erwerben. Wollte Gott wirklich, daß der Mensch auf der Erde bleibt, dann hätte er, dessen bin ich sicher, eine unüberwindliche Schranke errichtet und uns den Mut genommen, diese jemals zu über­ schreiten. Aber nichts deutet auf das Vorhandensein einer solchen Schranke hin. Ich weiß wohl, daß man diese Antwort als Meinung eines Laien, vielleicht sogar eines im Hinblick auf die Raumfahrt voreingenommenen Laien, über ein in Wirklichkeit grundlegendes theologisches Problem ansehen wird, doch kann ich eine unbestreitbare Auto­ rität zu diesem Thema zitieren. Im September 1956 empfing Papst Pius XII. eine Delegation des 7. Inter­ nationalen Astronautischen Kongresses in Rom. Vor den versammelten Vertretern der Internationalen Astronautischen Föderation, die Anhänger der Raum­ fahrt aus 74 Nationen umfaßt, erklärte der Papst über Raumfahrt u. a. folgendes: »Der Herrgott, der ins Menschenherz den unersätt­ lichen Wunsch nach Wissen legte, hatte nicht die Ab­ sicht, dem Eroberungsdrang des Menschen eine Grenze zu setzen, als er sagte: »Macht euch die Erde untertan« (Gen. 1,28). Es ist die ganze Schöpfung, die er ihm anvertraut hat und die er dem menschlichen Geist anbietet, damit er darin eindringe und dadurch im­ mer tiefer die unendliche Größe seines Schöpfers ver­ 12

stehen lerne. Während sich der Mensch bisher sozu­ sagen auf die Erde verbannt fühlte und sich mit Bruchteilen von Wissen über das Universum zufrie­ dengeben mußte, scheint nun die Gelegenheit gekom­ men zu sein, die Schranken niederzulegen und neue Wahrheiten und Erkenntnisse zu erlangen, die Gott der Welt im Übermaß gegeben hat. Neugier und Abenteuerlust allein könnten niemals Anstrengungen von solcher Tragweite erklären. Der Mensch muß das Wissen um sich und Gott vertiefen, um die Weite sei­ ner Handlungen besser ermessen zu können. Die ge­ meinsame Anstrengung der ganzen Menschheit zur friedlichen Eroberung des Weltalls muß dazu beitra­ gen, dem Bewußtsein der Menschen das Gefühl der Gemeinsamkeit und der Einigkeit noch stärker einzu­ prägen, so daß alle noch mehr den Eindruck haben, eine große Familie Gottes zu bilden und Kinder des­ selben Vaters zu sein.« Frage: Warum glauben Sie, daß andere Welten be­ wohnt sind? Antwort: Beweise für das Vorhandensein von Leben auf anderen Welten sind noch etwas spärlich. Deshalb beruht die Annahme seiner Existenz entweder auf Glauben oder auf wissenschaftlicher Extrapolation oder auf einer Verbindung von beiden. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten die meisten Physiker eine materialistische Auffassung: sie be­ trachteten das Universum als eine Art gewaltigen Uhrwerks, dessen Mechanismus sie ziemlich gut zu verstehen glaubten. Dem Schöpfer wollten sie als ein­ *3

zige Aufgabe nur noch zugestehen, daß er dieses Uhr­ werk gebaut und aufgezogen haben könnte. In den letzten fünfzig Jahren hat sich die Physik gründlich gewandelt. Manch ehrwürdiges Prinzip blieb auf der Strecke, als die Relativitätstheorie zeigte, daß die Grundlagen unserer physikalischen Vorstellungen, die Maße von Raum und Zeit, keinen absoluten Wert besitzen; als die Quantentheorie nach­ wies, daß die winzigen Bausteine der Welt sich nicht gleichmäßig bewegen, sondern Sprünge vollführen; und als das angeblich unteilbare Atom doch gespalten wurde. Die schönen, allzusehr vereinfachten mecha­ nischen Modelle, die das Uhrwerk des Universums darstellen sollten, wichen allmählich schwerverständ­ lichen mathematischen Erklärungen, deren innere Schönheit nur wenige Bevorzugte verstehen können. Aber die Folge war, daß die zeitgenössischen Physiker das Universum nicht mehr als gigantisches Uhrwerk ansahen, sondern eher als einen großen Gedanken, eine göttliche Idee. Für mich ist Leben das Element des göttlichen Genius in dieser göttlichen Idee. Es ist im weitesten Sinne Gottes Hauptziel im Kosmos. Man findet auf der Erde keinen Tropfen Wasser und keine Krume Bo­ den, die völlig steril wären und keine lebenden Orga­ nismen enthielten. Wenn wir die Möglichkeit von Leben auf anderen Planeten abzuschätzen versuchen, spielen die engen Umweltbedingungen für den menschlichen Körper und selbst die viel weiteren für die verschiedenen For14

men tierischen Lebens auf der Erde keine besondere Rolle. In einem Zeitraum von vielen hunderttausend Jahren kann sich das Leben dort auf ganz anderen Wegen entwickelt haben, und nach einer so langen Kette von Generationen mögen manche Lebensfor­ men es fertigbringen, unter Bedingungen zu existie­ ren und zu gedeihen, die ein irdischer Organismus nicht einmal kurze Zeit ertragen würde. Das heißt jedoch nicht, daß wir überhaupt nicht darüber nach­ denken sollen, welche Lebensformen wir bei unseren bevorstehenden Besuchen auf anderen Himmelskör­ pern antreffen können. Wir haben gute Gründe, an das Vorhandensein gewisser universal gültiger Ge­ setze zu glauben, nach denen sich das Leben ent­ wickelt, sei es auf diesem Planeten oder irgendwo anders. Die Spektroskopie, die Bestimmung der chemischen Zusammensetzung von Sternen durch Analyse des von ihnen ausgestrahlten Lichts, läßt keinen Zweifel daran, daß das gesamte sichtbare Universum - und dazu gehören viele Millionen galaktische Systeme mit jeweils mehreren hundert Millionen Sonnen - aus den gleichen rund hundert Elementen besteht, die wir auch auf der Erde vorgefunden haben. Wir wissen recht gut, wie diese Elemente sich unter verschiedenen Temperatur- und Druckverhältnissen miteinander verbinden, und wir wissen ferner, daß nur ein Ele­ ment, der Kohlenstoff, in der Lage zu sein scheint, die komplizierten Moleküle zu bilden, aus denen lebendige Materie besteht. Sterne wie unsere eigene

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Sonne kommen als Lebensstätten wegen ihrer extrem hohen Temperaturen nicht in Frage. Aber ebenso wie unsere eigene Sonne können auch diese Sonnen wenig­ stens auf einem der sie wahrscheinlich umkreisenden Planeten Leben ermöglichen. Zieht man in Betracht, daß es in unserem Sonnensystem eine große Anzahl von Planeten gibt, die offensichtlich unbelebt sind, und nur zwei oder drei (Erde, Mars und vielleicht Venus), auf denen es Leben gibt, dann regen sich auch noch andere Zweifel. Verträgt sich diese scheinbare Öde mit dem Glauben, daß das Leben das Hauptziel Got­ tes im Kosmos ist? Ich denke, wir sollten den Kosmos nicht mit den Augen eines Rationalisierungsfachmannes betrachten. Verschwenderischer Überfluß gehört seit jeher zum Wesen der Natur. Man braucht sich nur umzusehen und die Millionen ungenutzt herumliegenden Samen­ körner zu betrachten. Alle besitzen die Fähigkeit, zu einer schönen Blume oder einem gewaltigen Baum her­ anzuwachsen, aber nur ein winziger Bruchteil erhält jemals die Gelegenheit, dieses Potential zu nutzen. Leben ist eine göttliche, universale Idee. Ich bin sicher, daß Gott seine Saat über das ganze Weltall verteilt hat. Aber er weiß, daß viel auf unfruchtbaren Boden fällt, und er hat genügend Zeit, auf die Ergebnisse zu warten. Frage·. Warum müssen wir den Weltraum erforschen? Haben wir hier unten nicht genug Probleme? Antwort: Wir haben tatsächlich genug Probleme auf der Erde, nicht anders als Königin Isabella, als sie sich 16

entschloß, das kühne Vorhaben des Christoph Colum­ bus zu unterstützen. Ein Land, von dem der größere Teil der Menschheit dynamische Führerschaft erwartet, hat keine andere Wahl, als entweder die historische Herausforderung des Tages anzunehmen oder die Position, auf die es das Schicksal gehoben hat, zu verlassen. Glücklicher­ weise verfügen die USA über genügend Menschen und Mittel, neben vielen anderen Dingen auch ein ener­ gisches Forschungsprogramm durchzuführen. Die Raketentechnik ist so weit fortgeschritten, daß der Mond und die Planeten erreichbar geworden sind, und wenn wir uns nicht dazu entschließen, diese Her­ ausforderung anzunehmen, werden es andere, unter­ nehmungslustigere Nationen bestimmt tun. Die Situa­ tion entspricht der Herausforderung, der sich seefah­ rende Nationen einst nach der Erfindung des Kompas­ ses gegenübersahen, der kühne Seeleute in die Lage ver­ setzte, die sicheren Küsten zu verlassen und in der Ge­ wißheit einer Rückkehr zu ihren Heimathäfen in die grenzenlosen Weiten des offenen Meeres hinauszu­ segeln. Wir alle wissen, wie sich die Geschichte der Menschheit im Kielwasser ihrer Forschungsreisen ge­ ändert hat. Ich glaube jedoch, daß Raumfahrt sogar noch mehr bedeutet als Forschungsexpeditionen nach Mond, Mars und Venus, so phantastisch solche Unternehmen auch sein mögen. Wir dürfen den gewaltigen Einfluß der Entwicklung moderner Raketen und anderer für die Raumfahrt bestimmter Geräte auf unsere gesam­ 2/382

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ten wissenschaftlichen, technischen und industriellen Vorhaben nicht übersehen. Ich könnte viele Neben­ ergebnisse aus dem Hauptstrom der Flugkörperent­ wicklung aufzählen, die durch bessere industrielle Produktionsverfahren und Ermöglichung neuer nütz­ licher Verbrauchsgüter unseren Lebensstandard ver­ bessert haben. Ein beträchtlicher Teil der Fortschritte in Elektronik, Chemie, Metallurgie, Datenverarbei­ tung, Rechenmaschinenbau und Anwendung der Auto­ mation in der Industrie läßt sich auf den Einfluß der Flugkörper- und Raumfahrtentwicklung zurüdcführen. Man denke auch an neue Konzepte, wie Kommu­ nikations- und Wettersatelliten, die Nachrichtentech­ nik und Wettervorhersage revolutionieren werden, eine Entwicklung, die der ganzen Menschheit zugute kommen wird. Wenn Sie mich fragen, wozu Raumfahrt noch gut sein wird, darf ich Sie daran erinnern, daß die gleiche Frage jedem Erfinder gestellt werden kann und ge­ wöhnlich stets auch gestellt worden ist. Einer unbe­ stätigten Anekdote zufolge soll der englische Premier­ minister zur Zeit Michael Faradays, als dieser ihm die elektrische Induktion vorführte, gesagt haben, das mag ja alles recht interessant sein, wozu soll es aber nützen? Faraday erwiderte, das könne er auch nicht sagen, er glaube aber bestimmt, daß der Premiermini­ ster Mittel und Wege finden werde, eines Tages Steu­ ern darauf zu erheben. Niemand vermag sich vorzu­ stellen, welchen Nutzen die Menschheit aus der Raum­ fahrt ziehen wird, genauso wenig, wie Isabellaund ihre 18

Untertanen sidi zu ihrer Zeit vorzustellen vermoch­ ten, was die Fahrt des Columbus ergeben würde. Frage: Was halten Sie von fliegenden Untertassen? Antwort: Es gibt eine vernünftige und ziemlich ein­ fache Erklärung für die große Mehrzahl der Beobach­ tungen sogenannter fliegender Untertassen, wie die nicht identifizierten fliegenden Objekte (UFO) ge­ wöhnlich genannt werden. In den letzten zehn Jahren haben offizielle amerikanische Beobachter etwa 6000 Sichtungen registriert. Bis auf zwei Prozent fielen sie in folgende Kategorien: hoch fliegende Ballons verschiedener Typen; hoch fliegende, von der Sonne nach Sonnenuntergang noch beleuchtete Flugzeuge; nächtliche Spiegelungen ferner Bodenlichtquellen in der Atmosphäre ähnlich der Fata Morgana; künstliche amerikanische oder sowjetische Satelliten; Meteoriten, Feuerkugeln und Sternschnuppen; Vögel; die Planeten Venus oder Jupiter; das Licht von Scheinwerfern auf Wolkenschichten; Schwindel von Leuten, die sich einen Spaß machen oder von sich reden machen wollten. Selbst diejenigen, die hartnäckig an fliegende Objekte außerirdischen Ursprungs glauben, geben gewöhnlich zu, daß man die meisten gemeldeten Sichtungen auf eine dieser Ursachen zurüdcführen kann. Es sind jene ungeklärten zwei Prozent, welche die Enthusiasten veranlassen, an ihrer Überzeugung beharrlich festzu­ halten. 2·

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Auch ich kann die geheimnisvollen zwei Prozent nicht erklären. Aber ein Leben mit der Erprobung von Flugkörpern hat mich gelehrt, mit Augenzeugenbe­ richten über mißglückte Raketenstarts äußerst vor­ sichtig zu sein. Von drei erfahrenen Beobachtern, die nach einem typischen Versager befragt wurden, be­ schwor einer, daß er deutlich sah, wie ein Teil abbrach, bevor die Rakete vom Kurs abkam; der zweite be­ stritt das entschieden, behauptete aber, der Flugkör­ per habe, bevor er vom Kurse abkam, heftig gewakkelt; der dritte geschulte Beobachter sah zwar weder ein Teil abbrechen noch ein Wackeln noch irgendeine Abweichung vom Kurs, bestand aber darauf, daß die Rakete völlig gleichmäßig flog, bis sie plötzlich durch eine Explosion zerrissen wurde. Derartige Widersprüche in Augenzeugenberichten alter Raketenleute sind keineswegs eine Ausnahme; wir müssen ständig damit rechnen, obgleich es sich hier um erfahrene Beobachter handelt, die nicht nur viele Starts gesehen haben, sondern auch geistig auf den bevorstehenden Versuch vorbereitet zu sein pfle­ gen. Deshalb stehe ich dem objektiven Wert eines jeden Berichts über die Sichtung eines geheimnisvollen schwebenden Objekts am Himmel durch einen ebenso überraschten wie unerfahrenen Beobachter äußerst skeptisch gegenüber. Und jene unerklärten zwei Pro­ zent der UFOs können meinen Blutdruck durchaus nicht erhöhen. Für mich sind 98 Prozent ein sehr guter Erfolgsdurchschnitt. Ich wünschte, wir könnten mit 20

98 Prozent bei Beobachtungen auf vielen anderen Ge­ bieten menschlicher Tätigkeit rechnen! Seit dem Mit­ telalter ist es in der Wissenschaft nicht üblich, sich auf Geister, Hexen oder kleine grüne Männer vom Mars zu berufen, wenn wir uns einem Phänomen gegen­ übersehen, für das wir noch keine befriedigende Ant­ wort gefunden haben. Jenen, die auf Grund persönlicher Beobachtung oder von Berichten anderer Menschen nach wie vor darauf bestehen, daß Objekte außerirdischen Ursprungs durch unsere Atmosphäre schweifen, kann ich nur sagen, daß ich an fliegende Untertassen nicht glauben kann, solange ich selber keine gesehen habe. Frage: Ich bin ein Junge, 14 Jahre alt, und möchte gern Raketeningenieur werden. Was muß ich tun? Antwort: Zunächst möchte ich sagen, daß deine Ab­ sicht großartig ist und ich dir von ganzem Herzen zu­ stimme. In der Zeit der Raumfahrt ist die Raketen­ technik1 nicht nur eine hervorragende Herausforde­ rung für jeden abenteuerlustigen und entschlossenen jungen Mann, sondern die beruflichen Möglichkeiten auf diesem Gebiet sind gegenwärtig sehr gut und wer­ den für viele kommende Jahre ausgezeichnet sein. Aber du solltest es klug anfangen, dich für ein Leben zwischen Raketen und Raumfahrzeugen vorzuberei­ ten. Mein erster Vorschlag: Kaufe dir keine gefähr­ lichen Chemikalien und baue keine »verbessertem Feuerwerksraketen in eurer Garage! Damit würdest i Die hochgestellten Ziffern weisen auf die im Anhang abge­ druckten wissenschaftlichen Erläuterungen hin.

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du weder die Raketentechnik fördern noch deine Kenntnisse verbessern. Ich gebe zu, daß ich das selber getan habe, als ich so alt war wie du, aber ich war, unter uns gesagt, ein Narr. Einige meiner Freunde hatten weniger Glück als ich und zogen sich Verlet­ zungen zu, unter denen sie ihr Leben lang leiden wer­ den. Jede Rakete, die fliegen kann, kann auch explo­ dieren, und wir brauchen lebende, nicht tote Raketen­ ingenieure. Zunächst einmal muß man sehr viel über das Thema lesen und sich als Grundlage ein solides Wissen aneig­ nen. Es gibt heute schon viele gute Bücher über Ra­ keten und Raumflugtechnik, die man auch ohne Kenntnisse der höheren Mathematik gut verstehen kann. Hier mein zweiter Rat für dich: Mach nicht den Feh­ ler, dir einzubilden, daß eine gründliche wissenschaft­ liche und mathematische Ausbildung für die Katz * ist! Wenn du in dem scharfen Konkurrenzkampf auf dem Gebiet der Raketentechnik jemals einen schöpferi­ schen Beitrag leisten willst, mußt du eine fundierte wissenschaftliche und technische Vorbildung haben. Befasse dich schon auf der höheren Schule gründlich mit Mathematik, Physik, Chemie und anderen natur­ wissenschaftlichen Fächern. Anschließend studiere an einer technischen Hochschule oder Universität bis zum Staatsexamen; wenn möglich, versuche auch den Dok­ torgrad zu erwerben. Du wirst feststellen, daß Raketentechnik als Fach nur an wenigen Hochschulen und Universitäten gelehrt 22

wird, so daß du dir aus geeigneten Fächern einen möglichst passenden Studienplan selber zusammen­ stellen mußt. Auch die ersten Pioniere der Luftfahrt konnten Luftfahrttechnik noch nicht studieren, weil dieses neue Gebiet menschlicher Betätigung erst durch ihre eigene Arbeit erschlossen wurde. Sie konnten nichts anderes tun, als verwandte Disziplinen zu stu­ dieren, wie Physik und Mechanik, und dann die er­ worbenen Kenntnisse auf die gewählte Aufgabe an­ zuwenden. Genauso solltest du es machen; eine Verbindung von Luftfahrttechnik und Maschinenbau ist immer noch eine gute Grundlage für einen Raketeningenieur. Denk aber stets daran: eine moderne Fernrakete oder ein künftiges Raumfahrzeug ist mehr als eine schim­ mernde Hülle mit einem feuerspeienden Motor im Heck. In Wahrheit handelt es sich um eine vollauto­ matische Maschine, die buchstäblich mit Gyroskopen, Funkgeräten, elektronischer Ausrüstung, hydrau­ lischen Kontrollen, Wärmeaustauschern, Temperatur­ regulierungen, Meßgeräten und einer Fülle anderer Apparate vollgestopft ist. Die Raketentriebwerke verbrennen exotische Treibstoffe, und die Rakete fliegt mit Geschwindigkeiten durch die Atmosphäre, die von Null bis Mach 20 * und darüber hinaus rei­ chen. Deshalb muß ein junger Raketenmann, der im Leben vorankommen will, auf zahlreichen verschie­ denen technischen Gebieten bewandert sein. Natür* zwanzigfadie Schallgeschwindigkeit

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lieh kann niemand auf allen Gebieten perfekt sein, und es ist tatsächlich für einen jungen Mann besser, auf einem Gebiet Hervorragendes zu leisten, als nur Durchschnittliches auf möglichst vielen. Trotzdem, je breiter die Grundlage, desto besser wirst du später vorwärtskommen. Laß dich nicht entmutigen, wenn der Weg manchmal steinig ist. Ich arbeite seit 1930 aktiv in der Raketen­ entwicklung und habe meinen Teil an niederschmet­ ternden Rückschlägen und Enttäuschungen mitbe­ kommen. Trotzdem würde ich meine Arbeit an Rake­ ten gegen nichts in der Welt tauschen. Frage: Werden Strahlen den Raumflug unmöglich machen? Antwort: Nein, sie werden ihn nicht verhindern, er­ fordern aber sorgfältige Beachtung. Es ist wie auf bei­ nahe jedem Gebiet menschlicher Tätigkeit; sobald ein Problem erst einmal richtig erkannt ist, gibt es ge­ wöhnlich einen Weg, es zu lösen. Es gibt im Weltraum verschiedene Strahlenarten. Sichtbare und ultraviolette Strahlen, hauptsächlich von der Sonne, können durch alles, was nicht durch­ sichtig ist, abgeschirmt werden, sogar durch dunkles Papier. Diese Strahlen stellen also für den Raumflug keine Gefahr dar, obgleich Raumfahrzeugfenster und -Astrodome sowie die Sichtscheiben von Raumanzug­ helmen gefärbt oder mit einstellbaren Filtern zum Schutz der Augen ausgerüstet sein müssen. Die infraroten Strahlen von der Sonne sind für den Raumflug von Nutzen, da sie das Raumfahrzeug hei­ ^4

zen. Es kann sogar zu warm werden, wenn wir es nicht mit einer geeigneten Schicht versehen, die das Verhältnis zwischen absorbierter und in den Raum reflektierter Wärme so regelt, daß wir eine erträgliche Kabinentemperatur erhalten. Die elektronische Aus­ rüstung unserer Explorer-Satelliten hielt nur einem ziemlich begrenzten Temperaturbereich stand, aber der gewählte Schutzanstrich entsprach der Vorhersage so genau, daß die zugelassenen extremen Tempera­ turen niemals erreicht wurden. (In bemannten Rake­ ten würde man natürlich für eine zusätzliche Feinein­ stellung der Kabinentemperaturregelung durch die Klimaanlage sorgen.) Von der Sonne kommen ferner weiche Röntgenstrah­ len, die unsere Atmosphäre nicht durchdringen und daher die Erdoberfläche nicht erreichen. Die gewöhn­ lichen Kabinenwände genügen jedoch für eine aus­ reichende Abschirmung. Dann gibt es noch die geheimnisvollen kosmischen Strahlen. Im Gegensatz zu den bisher genannten Strahlen arten, die elektromagnetische Wellen mit verschiedenen Wellenlängen darstellen, gehören kos­ mische Strahlen zur Familie der Korpuskularstrah­ len, d. h. es handelt sich um Atomteilchen, die durch den Weltraum fliegen. Die genaue Art und Weise der Entstehung dieser ultraschnellen Geschosse ist noch unbekannt, aber es steht fest, daß sie in Sternen und auch in unserer Sonne entstehen, die manchmal grö­ ßere Mengen von ihnen ausstößt. Ihr Geschwindig­ keitsbereich ist groß. Die meisten bestehen aus Pro­ *5

tonen, d. h. aus Kernen des Wasserstoffatoms; ein ge­ ringer Prozentsatz besteht aus Kernen schwererer Atome. Eine Reihe ungünstiger Umstände muß Zusammen­ treffen, um ein Teilchen kosmischer Strahlung für den Insassen eines Raumfahrzeugs gefährlich zu machen. Zunächst einmal muß es nicht ein Proton, sondern ein schwereres Teilchen sein, und deren Zahl ist gering. Zweitens muß seine Geschwindigkeit groß genug sein, um die Kabinenwände durchdringen zu können. Drit­ tens muß das gefährliche Ende der Bremsstrecke des Teilchens in einem besonders empfindlichen Körper­ teil liegen, wie in der Retina, in gewissen Teilen des Gehirns oder in den Fortpflanzungsdrüsen. Alle an­ deren Gefahren können durch geeignete Abschirmung beseitigt werden. Außerdem gibt es noch die Van-Allen-Gürtel. Noch 1958 wußten wir nicht einmal, daß sie existierten. Explorer I, ausgerüstet für die Intensitätsmessung der erwärmten kosmischen Strahlen, lieferte uns die ersten Hinweise, daß es dort oben, etwas völlig Uner­ wartetes gab. Zwei weitere Explorer-Satelliten ent­ hüllten die Tatsache, daß die Erde von zwei konzen­ trischen, autoreifenförmigen Gürteln eingefangener Strahlung umgeben ist. Elektrisch geladene Teilchen, offenbar hauptsächlich Elektronen, wandern ununter­ brochen an den magnetischen Feldlinien entlang, die den magnetischen Nordpol und den magnetischen Südpol miteinander verbinden. Wenn eine Rakete durch diesen Gürtel fliegt, prallen die eingefangenen 26

Elektronen auf ihre Außenwand, so wie Regentrop­ fen ein Flugzeug treffen, das durch Wolken fliegt. So wie die auftreffenden Regentropfen in der Flugzeug­ kabine hörbare Schallwellen hervorrufen, erzeugen die auftreffenden Elektronen im Innern der Raketen­ kabine elektromagnetische Strahlung. Die Physiker nennen sie Bremsstrahlung; sie ist der Röntgenstrah­ lung ziemlich ähnlich. Auf diese Bremsstrahlen müs­ sen wir in den Strahlungsgürteln achten. Auf Grund der verfügbaren Ergebnisse kann man die durch die Van-Allen-Strahlengürtel aufgewor­ fenen biologischen Probleme wie folgt zusammen­ fassen: Alle Satelliten- und andere Raumflüge in Höhen unter etwa 600 Kilometer und zwischen 40 Grad nördlicher und südlicher Breite passieren den Strah­ lengürtel nicht und werden durch ihn nicht beein­ flußt. Infolge der Form des Gürtels ist der Himmel über Nord- und Südpol strahlungsfrei. Man kann zum Beispiel vom Nordpol direkt nach jedem Ziel im Weltraum starten, ohne irgendeinen Teil des Strah­ lengürtels durchstoßen zu müssen? Der innere Gürtel ist gefährlicher als der äußere und sollte bei der Errichtung von Weltraumstationen un­ bedingt gemieden werden. Wegen seiner relativ ge­ ringen Ausdehnung ist das für die Raumfahrt also kein ernstes Hindernis, zumal ständige Weltraum­ stationen in der strahlungsfreien Zone zwischen 300 und 600 Kilometer Höhe operieren können. In dem 27

viel ausgedehnteren äußeren Gürtel erzielt man einen hinreichenden Strahlungsschutz selbst für permanente Satelliten durch einen dünnen Bleischirm. Raketenflüge nach dem Mond und nach den Planeten, die von der Erdoberfläche oder einer niedrigen (300 bis 600 Kilometer hohen) Umlaufbahn ausgehen, er­ fordern eine derart hohe Brennschlußgeschwindigkeit, daß die Flugkörper den ganzen Bereich des VanAllen-Gürtels in etwa sechs Stunden durchstoßen. Wenn keine Vorkehrungen zur Abschirmung getrof­ fen wären, würden die Insassen eines solchen Raum­ flugkörpers in diesen sechs Stunden etwa so viel Strah­ lung aufnehmen, wie die Atomenergie-Kommission als wöchentlich zulässige Dosis bezeichnet. Da die Ex­ ponierung nach sechs Stunden aufhört, wäre diese Dosis unter den gegenwärtigen Bedingungen akzep­ tabel. Mit einem leichten äußeren Berylliumschirm, der die Bildung von Bremsstrahlung beträchtlich ein­ schränkt, könnte man die biologische Gefährdung weiter reduzieren. Zusammenfassend können wir sagen, daß die kos­ mischen Strahlen zwar unsere Aufmerksamkeit erfor­ dern, uns aber nicht aufhalten können.

Diese Fragen, aus denen sich der Hauptteil meiner Post zusammensetzt, haben mir gezeigt, wie groß der Wunsch nach Informationen über das große Aben­ teuer der Weltraumfahrt ist. Da eine Reise nach dem Mond zweifellos zur ersten Landung im Weltraum führen wird, habe ich die Technik und das Erlebnis 28

eines solchen Raketenfluges als Thema der folgenden Erzählung gewählt. Ein großer Teil dieses Materials erschien zuerst in der Zeitschrift This Week. Ich bin Verlag und Redaktion für die Erlaubnis dankbar, es als Grundlage dieses Buches verwenden zu dürfen. Nun können wir mit der Geschichte beginnen. Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf einem fernen Atoll im Pa­ zifik, wo die große Rakete auf ihrem Starttisch be­ reitsteht. John und Larry, Pilot und Kopilot, liegen in der Kabine auf ihren Konturensitzen, die Augen unverwandt auf die Instrumente gerichtet, die das Fortschreiten des Countdown anzeigen. Folgen Sie mir nun in die Kabine, wo wir die beiden Raumflugpioniere während ihres großen Abenteuers beobachten wollen. Redstone Arsenal Huntsville, Alabama Januar 1960

Wernher von Braun

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ERSTE FAHRT ZUM MOND

I

John Mason lehnte sich in seinem Konturensessel zu­ rück, während aus dem Kabinenlautsprecher die letz­ ten fünf Minuten des Countdown dröhnten. Seine Augen überflogen das über ihm angebrachte Arma­ turenbrett. Die Zeiger, Meldeleuchten und Indika­ toren schienen zu bestätigen, daß alles in der gewal­ tigen fünfstufigen Rakete in bester Ordnung war. Hinter dem Labyrinth von Meßgeräten und Schaltern konnte er durch das Kabinenfenster die Myriaden von Sternen über dem Pazifik-Atoll sehen, auf dem das Raumschiff auf seinem Starttisch bereitstand. In wenigen Minuten, sagte er sich, würde er zwischen jenen Sternen und sein Schiff für die Erdbewohner auch ein Stern sein. In dem Sitz unter ihm lag Larry Carter, sein zweiter Pilot, zweiter Ingenieur, zweiter Navigator, zweiter Mann für alles. Es gab nichts, was sich die beiden Männer jetzt noch zu sagen hätten. Johns Gedanken waren bei seiner Frau und seinen beiden Kindern, die er an diesem Morgen auf dem 15 Kilometer entfern­ ten Stützpunkt verlassen hatte. Seine und Larrys Frau wußten, wohin die Reise gehen sollte. Vor einer Woche hatte er Phyllis gesagt, daß er und Larry heute nacht starten würden, falls alles glatt ginge. Die bei­ den Männer hatten sich über ein Jahr lang auf dieses größte Abenteuer ihres Lebens, die erste Reise nach dem Mond, vorbereitet. Schon bei BeginiT der Vorbereitungen hatte sich erJ JS2

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geben, daß man nicht einen Mann, sondern eine Gruppe mit einem solchen Pionierunternehmen be­ auftragen mußte. Es gab zuviel zu tun, zu viele Ein­ zelheiten waren zu beachten, und zu viele Dinge konnten beim geringsten Versehen passieren. Ein Mann allein konnte die Aufgabe nicht erfüllen. Der 384000 Kilometer weite Flug selbst würde etwa je 60 Stunden für Hin- und Rückflug beanspruchen. Das sind zweieinhalb Tage, die ein Mensch nicht gut ohne Schlaf überstehen kann. Die identischen Armaturen­ bretter über den beiden Sitzen erlaubten es einem der beiden Piloten, zu schlafen, während der andere wachte. Die beiden Männer hatten das schärfste Gruppen­ training hinter sich, eine so gründliche Ausbildung, daß jeder für den anderen in jeder Situation einsprin­ gen konnte. Sie waren zahllosen Versuchen in den Startsimulatoren unterworfen worden, einer genauen Nachbildung ihrer Raketenkabine an dem Schleuder­ arm einer gewaltigen Zentrifuge. Auf ihren Kon­ turensitzen festgeschnallt, wurden sie mit mehreren g3 herumgeschleudert, wobei die Zentrifugalkraft die Startbeschleunigung der Rakete simulierte. Ein außer­ halb des Versuchsraumes hinter einem großen Schalt­ pult sitzender Techniker reproduzierte alle Arten von künstlichen Zwischenfällen, die dazu bestimmt waren, ihre Reaktionen zu prüfen und sie darauf zu trainie­ ren, sofort und korrekt auf die geringste Unregel­ mäßigkeit in dem komplizierten Schiffsmechanismus zu reagieren. 34

So ergab sich beispielsweise plötzlich aus der Anzeige eines Meßgerätes in der Kabine, untermalt durch un­ angenehme Geräusche aus dem Lautsprecher, daß eines der Raketentriebwerke der ersten Stufe unregel­ mäßig lief. Oder das Feueralarmsystem spürte als Folge eines Lecks in den Brennstoffleitungen ein ört­ lich begrenztes, aber äußerst gefährliches Feuer im Hede der Rakete auf. In den ersten Wochen war die Ausbildung hart, doch allmählich hatten John und Larry sich an diese Zwischenfälle gewöhnt. Für nahe­ zu jede Situation gab es korrekte und wirksame Ge­ genmaßnahmen, und beide Männer wußten, sie wür­ den schon beim ersten Zeichen einer Unregelmäßig­ keit fast automatisch reagieren. Der Startsimulator war nur eines der vielen Übungs­ geräte, mit denen die Flieger auf den heutigen Höhe­ punkt ihrer Karriere vorbereitet worden waren. Be­ sonders faszinierend hatte John seine Übungsstunden in dem gewaltigen Astronavigations-Trainer4 emp­ funden, einer Art Planetarium, das dem Raumnavi­ gator beibrachte, seine Position durch Bestimmung der Position von Erde und Mond relativ zu dem un­ beweglichen Hintergrund des Fixsternhimmels zu er­ mitteln. Dieses Können war lebenswichtig, wenn der Pilot jemals sein Ziel im Weltraum erreichen wollte. Durch ständiges Üben gingen ihm schließlich die für das Einhalten des berechneten Kurses erforderlichen Korrekturmanöver in Fleisch und Blut über. Auch in den Simulatoren für Landung und Start auf dem Mond hatten John und Larry so lange trainiert, j·

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bis sie die nötigen Handgriffe fast im Schlaf auszu­ führen vermochten. Danach hatten sie etliche Wochen mit den Übungsgeräten für Reparaturen zugebracht, die dazu bestimmt waren, sie mit den kleinsten De­ tails der komplizierten elektrischen Ausrüstung des Schiffes, der hydraulischen Anlagen, der Klimaanlage, des Lufterneuerungssystems, der Wasserrückgewin­ nungsanlage und der Tiefkühlbehälter, wo die Lebens­ mittel aufbewahrt wurden, vertraut zu machen. Schon lange bevor sie das Raketenschiff, das sie nach dem Mond tragen sollte, zu sehen bekamen, vermochten sie jede durchgebrannte Sicherung oder jede schad­ hafte Dichtung in dem ganzen verwickelten Mecha­ nismus aufzuspüren und auszuwechseln. Und sie wußten genau, daß sie jederzeit dazu in der Lage sein mußten. In der feindlichen Umgebung des luftleeren Weltraums konnte der kleinste nicht sofort entdeckte Fehler Unheil bedeuten. Beide Männer verfügten über große Erfahrungen in der Raketenflugtechnik und waren deshalb für den ersten Flug nach dem Mond ausgewählt worden. John betrachtete nun das scheinbare Durcheinander von Anzeigern und Schaltern über ihm mit der inni­ gen Vertrautheit eines Flugkapitäns, der sein Instru­ mentenbrett überblickt. Larry war bei mehreren Flü­ gen von der Erdoberfläche bis zu einer Umlaufbahn * sein zweiter Pilot gewesen. Sie hatten Wochen hinter­ einander in einer kleinen Satellitenstation verbracht, wo sie ständig unter ärztlicher Beobachtung stan­ den. 36

Ausschlaggebend für ihre Wahl als Mondraketen­ mannschaft aber war, daß sie umfangreiche Erfah­ rungen mit der Steuerung der geflügelten Raketen­ stufe in der letzten und kritischsten Phase eines jeden Raumfluges besaßen, dem Wiedereintauchen in die Erdatmosphäre. John hatte diesen Teil seiner Welt­ raumflüge stets mit einer gewissen Scheu betrachtet. Beim Flug durch den luftleeren Raum wurde der Ta­ geslauf zur friedlichen und ruhigen Routine, sobald man sich erst einmal an den atemberaubenden An­ blick des Firmaments mit nichtflimmernden Sternen und der langsam rotierenden gewaltigen und sich ständig ändernden Erdkugel gewöhnt hatte. Aber die Ruhe wurde brutal unterbrochen, sobald das Raumfahrzeug wieder in die Erdatmosphäre ein­ tauchte. Bei einer Geschwindigkeit von 29000 Kilometer in der Stunde begannen Bug und Flügelspitzen des Schiffes aufzuleuchten und sich bis zur Weißglut zu erhitzen. Seine und Larrys ganze Geschicklichkeit und Wachsamkeit waren erforderlich, eine genau berech­ nete Gleitflugbahn einzuhalten, wenn sie das vorge­ sehene Ziel auf dem Boden erreichen wollten, ohne vorher wie ein Meteor zu verbrennen. Selbst bei der bevorstehenden Reise, zu der ein so riskantes Unter­ nehmen wie die erste Landung auf dem Mond ge­ hörte, würde die letzte Phase des erfolgreichen Gleit­ fluges durch die Erdatmosphäre bei der Rückkehr wahrscheinlich das aufregendste und gefährlichste Manöver bleiben. 37

John und Larry kannten den Mond schon so gut wie nur wenige Menschen auf der Erde. Sie waren natür­ lich mit jedem Winkel vertraut, den man auf stark vergrößerten Photographien der pockennarbigen Mondoberfläche ausmachen konnte. Aber sie kannten auch die Rückseite des Mondes, denn sie waren schon dort gewesen! Bei einem ihrer früheren Flüge hatten sie den Mond umkreist, Tausende von Aufnahmen seiner Rückseite gemacht und waren damit zur Erde zurückgekehrt. Doch bei jenem Fluge war keine Lan­ dung auf dem Mond geplant gewesen. John wußte genau, daß diese erste Landung eine ris­ kante Angelegenheit war, selbst mit der dafür ent­ wickelten Spezialausrüstung. Dennoch war er sicher, daß sie es schaffen würden. Eines der Probleme war die Treibstoffversorgung. Die Mondlandung selbst verbrauchte Treibstoffe, und für den Start nach Erledigung ihres Forschungsauf­ trags würden sie noch mehr Treibstoffe verbrauchen. Frühere Raumraketen hatten nicht über das erforder­ liche Antriebsvermögen für die Ausführung eines sol­ chen Flugauftrags verfügt, aber mit den neuen'exoti­ schen Treibstoffen in den oberen Stufen der Rakete reichte es aus, sofern nicht irgendwo durch ein kata­ strophales Leck oder einen Triebwerkschaden mehr Treibstoff verbraucht wurde, als vorgesehen war. Eine Zahl leuchtete magisch über dem Armaturen­ brett in der Kabine auf - »X minus 60 Sekunden« . * Sie dröhnte aus den Lautsprechern überall auf der Insel. John wußte, sie würde gleichzeitig auch an alle 3«

Außenstationen weitergegeben, die den Flug des Schiffes überwachen und seine Meldungen aufnehmen sollten. Wahrscheinlich würde sie jetzt auch aus Mil­ lionen Rundfunk- und Fernsehgeräten in Wohnungen und Büros der ganzen Welt zu hören sein. Überall hatte dieser Flug die Phantasie der Leute erregt. Die Kabinenbeleuchtung wurde abgeblendet. John duckte sich tiefer in seinen Sitz, um den ersten Stoß des Starts abzufangen. Die Startprozedur übernahm nun ein Automat7; die Besatzung im Blo&haus und die Männer in der Kabine konnten sie nur im Notfall unterbrechen. In der Kabine war es so still, daß John über seinem etwas beschleunigten Herzschlag das Summen der Kreisel, das Brummen der Transforma­ toren und das Schwirren der Gebläse der Klima­ anlagen hören konnte. Dann, als die springenden Ziffern auf dem Countdown-Anzeiger Null erreicht hatten, schien plötzlich der Urahn aller Hurrikane losgelassen zu sein. Das ungeheure Dröhnen der Raketentriebwerke erfüllte die winzige Kabine und durchdrang die Körper der beiden einsamen In­ sassen 8. Der Beschleunigungsmesser vor John zeigte 1,5 g an, und John erinnerte sich an die Übungsstunden in der mit der Simulatorkabine herumwirbelnden Zentri­ fuge. In der Pilotensprache stand g für Gravitation, und für jedes angezeigte g wurde ein Mensch mit einer Kraft, die seinem eigenen Gewicht entsprach, nieder­ gedrückt. Da John 80 Kilogramm wog, drückte sein Körper bei einer Beschleunigung von 8 g mit einer 39

Kraft von 640 Kilogramm auf die Unterlage seines Konturensitzes. Schon lange vor der Ausbildung für diesen Flug hatte John die Belastung bei den zahlreichen Flügen, die er und Larry in den Weltraum unternommen hatten, er­ tragen gelernt. Der Kampf um klares Bewußtsein war unter der körperlichen Beanspruchung die Haupt­ sache. Der Verstand mußte Hände und Finger zwin­ gen, ihre Aufgaben zu erfüllen, wenn ein Gerät an­ zeigte, daß eine Korrektur nötig sei. Während die starken Triebwerke * der ersten Stufe des Raumfahrzeugs Tonne um Tonne der Treibstoffe verbrauchten, stieg die Nadel des Beschleunigungs­ anzeigers vor ihm höher und höher, bis sie nach 120 Sekunden Brennzeit zermalmende 8 g erreicht hatte. Er konnte sehen, wie Larry unter ihm mit der Hand fest die Enden seiner mit Druckknöpfen ausgestatte­ ten Armlehnen umklammerte und mit langsamen Fingerbewegungen mühsam die Anzeige eines Instru­ ments korrigierte oder einen Schalter bewegte. John merkte, daß er das gleiche tat. Doch die unsichtbare Kraft von 8 g drückte ihn tief in die Nylonform seines Konturenlagers. Seine Augen starrten gebannt auf das Armaturenbrett über ihm, und wenn eine Korrektur nötig war, konnte er zu seiner Überraschung die blei­ schweren Finger zum Korrekturmanöver instinktiv bewegen. Als er kaum noch unter der quälenden Last, die auf seiner Brust ruhte, zu atmen vermochte, hörte die Be­ schleunigung plötzlich auf. Es war jedoch nur eine 40

vorübergehende Erlösung. Ein paar Sekunden später begannen die Triebwerke der zweiten Stufe mit einem etwas höheren Ton eine weitere Tour mit viel­ fachem g. Es ging mit einem sanften 2 g los, aber 160 Sekunden darauf war die Beschleunigung auf 9 g ge­ stiegen. Die Belastung dieser 9 g vermochte niemand zu ertragen, der sie nicht viele Male bei der Ausbil­ dung und auf praktischen Flügen über sich hatte er­ gehen lassen müssen. Für ein paar Sekunden hatte John sogar 14 g überstanden. Wieder verschwand die zermalmende Last, als die zweite Stufe abgeschaltet und abgetrennt wurde, und abermals kehrte sie wieder, als die Triebwerke der dritten Stufe den Antrieb übernahmen. Wieder klet­ terte der Zeiger auf 8 g. Glücklicherweise zeigten die Geräte, die er unter dem schmerzhaften Drude beob­ achtete, kaum noch nötige Korrekturen an. Die Rakete funktionierte fast perfekt. Bisher hatte es beim Auf­ stieg keinen größeren Zwischenfall gegeben, und John stimmte im stillen schon ein kleines Dankgebet an. Als der Zeiger des Geschwindigkeitsmessers sich dem vorher errechneten Brennschlußwert von 11 Kilo­ meter in der Sekunde näherte, wußte John, daß der Augenblick des Übergangs von hoher Beschleunigung auf Gewichtslosigkeit bevorstand. Diesen Teil des Vorstoßes in den Weltraum hatte er stets am meisten gefürchtet. Er wußte, daß dieser Moment, so oft er ihn auch erlebte, ihn stets in äußerste Verzweiflung stürzte, obgleich er daran dachte, daß danach die Freuden der Gewiditslosigkeit begannen. Die Raum­ 41

flugmediziner hatten diesen sonderbaren Übergangs­ zustand genau erforscht und zu erklären versucht, vermochten ihn aber niemals völlig zu deuten. Dafür hatten sie die Fachliteratur mit einer ganzen Reihe griechischer Begriffe für die Beschreibung der dabei auftretenden Phänomene bereichert. Alle Raumflieger wußten, daß die Gewißheit der Erlösung die Schrekken des Fegefeuers dieses Überganges nicht zu mil­ dern vermochten. Aber sobald alles vorüber war, fühlte man sich wie neugeboren. Als der Beschleunigungsanzeiger auf Null fiel, spürte John, wie die elastische Aufhängung seines Lagers ihn im gleichen Augenblick emporhob, in dem ihn eine plötzliche Welle der Heiterkeit durchbrauste und die schreckliche Depression der letzten Sekunden hinweg­ fegte. Sein Gewicht war weg!10 Sein Körper folgte der gleichen antriebslosen Flugbahn nach dem Mond wie die Rakete, in der er sich befand. Es gab keine unterschiedlichen Kräfte mehr zwischen seinem Kör­ per und den ihn umgebenden Wänden der Kabine. Er löste die Gurte und merkte, daß er frei schwebte, doch nur einen Augenblick lang. Dann zog er sich wie­ der zum Sitz zurück und betrachtete das Armaturen­ brett. »Alles in Ordnung, Larry?« fragte er und merkte, daß das die ersten Worte waren, die einer von ihnen seit dem Start sprach. »Ja. Mit den Instrumenten scheint alles in Ordnung zu sein«, erwiderte Larry, und John sagte: »Los, gib deinen Radio-Bericht, Larry. Ich werde inzwischen 42

die Geräte überwachen. Es sieht so aus, als ob wir uns im richtigen Fahrwasser befinden. Bitte die Erde trotzdem um Nachprüfung.« Ein paar Sekunden später versorgten die Überwa­ chungsstationen auf der Erde das Raumschiff mit In­ formationen, welche besagten, daß es auf Grund der vorliegenden Messungen ein wenig von der vorge­ schriebenen Flugbahn abgekommen war. »Die Abweichung ist zu gering, wir brauchen uns vor­ erst nicht darum zu kümmern«, meinte John. »Nach 24 Stunden werde ich nachmessen. Wir bekommen dann bessere Daten für das Korrekturmanöver. Aber laß sehen, wo ist denn die Erde?« Er schaltete die automatische Lagekontrolle des Schif­ fes ab und drehte es langsam herum.11 Die Sterne glit­ ten vorbei, und dann war da plötzlich ein scheinbar undurchdringlicher dunkler Vorhang. »Keine Erde zu sehen«, sagte Larry. Als sie nachts ge­ startet waren, lag die Erde noch im Dunkeln. »Es ist gut, zu wissen, daß sie auf jeden Fall dort sein muß«, gähnte John. Er lehnte sich in seinem Sitz zu­ rück und machte rasch ein Nickerchen, wie es Raum­ flieger in jeder freien Minute zu tun lernen. Doch nach kaum einer Minute erblickte er aus nur halb geschlos­ senen Augen eine gewaltige Sichel, die sich vor ihm ausdehnte, so weit er nach rechts und links sehen konnte. Die Dämmerung begann auf der Erde, viele tausend Kilometer unter ihnen! Die Sichel wuchs von Sekunde zu Sekunde, als das Mondschiff den Schatten der Erde verließ. Bald er­ 43

schien die flammende Korona der Sonne, gefolgt von der feurigen Kugel selber mit ihrer überwältigenden Helligkeit. In der dämmerigen Zwielichtzone auf der Erde unten konnte er eben noch die Küstenlinie von Ecuador aus­ machen. Bald darauf schwebte das Sdiiff hoch über den grünen Dschungeln Brasiliens, und ein paar Mi­ nuten später glitt die Atlantikküste Südamerikas ins Blickfeld. Die Entfernung des Schiffes von der Erde nahm rasch zu. Nach der scheinbaren Größe der Erd­ kugel beurteilt, war ihre Höhe schon größer alsein Erd­ radius - etwa 6500 Kilometer, obgleich sie den Start­ platz erst vor knapp 25 Minuten verlassen hatten. Tatsächlich, das war keiner jener Routineflüge auf einer Umlaufbahn, wo man die Uhr nach den unten gemächlich vorüberrollenden Kontinenten stellen konnte. Das war etwas ganz anderes. Es war, was die Raumflieger ein Salzwasser-Picknick nannten - ein Vorstoß in das offene Meer des tiefen Weltraumes.12 Zwei Stunden später blickte John noch immer auf die blauen Weiten des Südatlantik hinab. Die rasche Be­ wegung des Schiffes nach Osten schien allmählich zum Stillstand gekommen zu sein. John schätzte ihre Höhe jetzt auf wenigstens 30000 Kilometer oder ungefähr fünf Erdradien. Tief unten zur Linken war das Ge­ biet der alten Handelswege zu sehen, wo spanische Sdiiffe einst Schätzen, Abenteuern und Katastrophen entgegengesegelt waren. Die Gegend war von zahl­ losen kleinen Wölkchen bedeckt, deren Helligkeit mit dem Glanz des tropischen Meeres wetteiferte. 44

Plötzlich sah er, wie die südamerikanische Küste, die hinter ihm im Westen verschwunden war, allmählich wieder ins Blickfeld rückte. Die Mondrakete hatte eine Höhe erreicht, in der sie, obgleich sie auf dem fernen Pazifik-Atoll nach Osten gestartet war, nun so viel von ihrer ursprünglichen Geschwindigkeit nach Osten eingebüßt hatte, daß die rotierende Erde sie wieder überholte. Seine schläfrigen Himmelsbetrachtungen wurden rauh unterbrochen, als Larrys Stimme das Schweigen der Kabine durchschnitt. »John!« rief er erregt, »unser Generator arbeitet nicht. Wir verbrauchen den Batteriestrom!«

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John Mason war nach Larrys Alarmruf sofort hell­ wach. Seine Augen flogen über das Armaturenbrett. »Wo zeigte es sich?« fragte er. Rasch prüfte er im Geiste die Möglichkeiten, die es für ein Versagen des Generators gab. Ein Fehler in der Stromversorgung gehörte zu den ernstesten Zwi­ schenfällen, die einem Raumfahrzeug in den einsamen Weiten des Weltraums zustoßen können. Die Stromversorgung war das Herz des komplizier­ ten Systems von Fernanzeigen, das die Besatzung ständig mit Angaben über den jeweiligen Zustand eines jeden lebenswichtigen Teils des Schiffes ver­ sorgte. Sie hielt Steuerung und Kontrolle in Gang, ohne die kein Antriebsmanöver möglich war. Strom 4$

wurde audi für die Sende- und Empfangsanlagen der Telemetrie- und Kommunikationsverbindung mit der Erde gebraucht. Am wichtigsten aber war für John im Augenblick der Umstand, daß der Strom die Pumpen und Gebläse der Klimaanlage in Gang hielt, mit allen ihren verwickelten Kontrollgeräten für Luftreini­ gung, Temperaturregulierung, SauerstoffVersorgung und Feuchtigkeit. Der Generator wurde durch eine winzige schnelle Dampfturbine angetrieben, die ihre Energie von einem kleinen Kernreaktor im Bug des Schiffes er­ hielt. Wenn sie ihn nicht wieder in Gang bringen konnten, standen sie dem alten tragikomischen Di­ lemma eines Wagenbesitzers gegenüber, dessen Batte­ rie sich entleert, bevor er den Motor in Gang bringen kann. Doch hier gab es keine Reparaturwerkstatt, wo man um Hilfe bitten konnte. Die Situation war durchaus nicht komisch; das Ganze war einfach eine Tragödie. In wenigen Stunden würden die Batterien erschöpft sein und die lebenswichtige Luftzirkulation aufhören. »Wo zeigte es sich?« fragte er noch einmal. Dann merkte er, daß Larry sich nicht in dem Kon­ turensitz unter ihm befand, sondern schwerelos über ihm im Raumfahrzeug schwebte. »Hinten auf dem Haupt-Amperemeter«, erwiderte Larry. »Ich war gerade mit einer Routineüberprü­ fung der Geräte fertig, und das war die letzte.« »Keine der Warnleuchten blinkt?« wollte John wis­ sen. 46

»Sie leuchten gleichmäßig«, sagte Larry. »Und der Spannungsmesser zeigt auch keinen Abfall.« »Sieh noch einmal nach«, forderte John, und Larry schwebte davon. »Tut mir leid«, sagte er nach einer Weile, »die Batte­ rien kriegen offenbar keinen Strom. Das Ampere­ meter steht eisern auf Null.« »Bist du sicher, daß es nicht das Meßgerät ist?« fragte John. »Wann hast du zuletzt mit der Erde gespro­ chen?« »Vor einer halben Stunde«, antwortete Larry. »Sie wollten wissen, ob an Bord alles so gut aussieht wie auf ihren Meßgeräten. Ich sagte, es wäre so. Aber das war, bevor ich das Amperemeter sah.« John dachte angestrengt über das Problem nach, im Vertrauen darauf, daß er bei dem umfangreichen Wissen, das er über das Schiff gesammelt hatte, die Antwort eher finden würde als durch bloßes Anstar­ ren der Meßgeräte. Die Rakete war mit Hunderten von Anzeigegeräten vollgestopft, deren Messungen laufend durch Telemetrie13 an die Bodenstationen übermittelt wurden, unabhängig von jedem Wort der beiden Piloten und ebenso unabhängig von den In­ strumenten in der Kabine. Wenn in dem verwickelten Mechanismus irgend etwas versagte, mußten es die Bodenratten auf ihren eigenen Instrumenten unten im gleichen Augenblick feststellen, in dem es sich auf den Meßtafeln im Raumschiff zeigte. Um die ununterbrochene Verbindung mit dem Schiff aufrechtzuerhalten, waren entlang des Erdäquators 47

Empfangsstationen eingerichtet und mit Gruppen von Beobachtern bemannt worden, die pausenlos die von allen Geräten des Schiffes übertragenen Anzeigen ab­ lasen. Als Raumflieger hatte John sich diesen Bodenraften, wie das fliegende Personal die Techniker zu nennen pflegte, stets überlegen gefühlt, aber er wußte ihren Diensteifer zu schätzen. Nun war er froh, zu wissen, daß sie ihm halfen, den Puls des Schiffes zu fühlen. »Ruf die Erde, Larry«, verlangte er kurz. »Bitte jede Station14, die du erreichen kannst, eine Anfrage an alle anderen Stationen zu richten, ob Anzeichen dafür vorliegen, daß unser Generator keinen Strom liefert.« Er schwebte von seinem Sitz empor, zog sich zu einem Regal hinüber und langte nach einem dicken Band mit dem Titel >Handbuch für Notfällen Wäre es nicht in der technischen Sprache des Raum­ fahrers verfaßt, würde das Handbuch in klarer Um­ gangssprache folgendes sagen: »Bei einem Versagen der Stromversorgung auf dem Hinflug ist ein Landungsversuch auf dem Mond zu unterlassen. Alle unwichtigen Meßgeräte und Appa­ rate einschließlich Gebläse, Lufttrockner, Radiogeräte und Beleuchtung sind abzustellen. Wichtige Strom­ verbraucher sind auf die Notversorgung durch Son­ nenbatteriezellen15 umzuschalten. Diese liefern etwa zehn Prozent des Spitzenstroms aus dem Kernreak­ tor. Benutzen Sie den gesamten überschüssigen Strom der Sonnenbatteriezellen zum Aufladen der chemi­ schen Batterien. Fliegen Sie bis zum Apogäum der 48

Bahnellipse, das hinter dem Mond liegt1·. Lassen Sie dann das Schiff auf dem zweiten Ast seiner ellipti­ schen Flugbahn zur Erde zurückfallen, möglichst ohne stromverbrauchende Korrekturmanöver. Verwenden Sie allen bis dahin während dieser zehn Tage antriebs­ losen Fluges gespeicherten Strom für Steuerung und Kontrolle während der Bremsmanöver in Erdnähe und beim anschließenden Wiedereintauchen in die Atmosphäre .. .< >Leb wohl, alter Monds dachte John. >Ein Jahr har­ ten Trainings für die Katz. Vergiß deine Träume, der erste Mensch zu sein, der seinen Fuß auf einen ande­ ren Himmelskörper setzt. Für das, was nun kommt, hättest du als Unterseebootfahrer und nicht als Flie­ ger ausgebildet werden müssen. Zehn Tage in einer stinkenden, nicht belüfteten Kabine n. Das Fehlen der Temperaturregulierung wird sie zu heiß oder zu kalt sein lassen. KeineFunkverbindung mit derErde.Keine Navigationshilfenund Instrumentenüberwachung von der Erde aus. Und am Ende ein gefährliches Rückkehr­ manöver in die Erdatmosphäre mit ganz geringen Er­ folgschancen. Es muß leichtere Möglichkeiten geben, seinen Lebensunterhalt zu verdienen .. .< Er spürte Larrys Hand auf seiner Schulter. »Immer mit der Ruhe.« Larry lächelte. »Drei Bodenstationen melden uns, daß wir allen Strom, den wir brauchen, vom Generator bekommen. Startbasis teilt mit, sie hätten dauernd Ärger mit diesem Amperemeter wäh­ rend der Überprüfungen gehabt, aber es sei beim Start in Ordnung gewesen. Wir sollten uns nicht weiter 4 .182

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darum kümmern. Notfalls könnten wir stets um Überprüfung durch Bodenstationen bitten. O diese Burschen! Ich könnte ihnen dafür die Zähne einschla­ gen, daß sie mir das nicht vor dem Start gesagt haben.« Audi der übrige Lagebericht, den Larry von der Erde empfangen hatte, klang ebenfalls beruhigend. Trotz­ dem hatte John keine Lust, nadi den eben durchstandenen Minuten der Angst, noch etwas zu riskieren. Er beschloß, jedes Instrument und jedes Meßgerät in der Kabine nachzuprüfen. Er zog sich mühelos von einem Armaturenbrett zum anderen und befaßte sich zunächst mit der Klimaanlage, da diese für die Be­ satzung lebenswichtig war. Die Kabine der Mond­ rakete enthielt eine Atmosphäre, die sich von der ir­ dischen beträchtlich unterschied. In Meereshöhe hat die Erdatmosphäre einen Druck von einem Kilo­ gramm pro Quadratzentimeter und besteht aus 2i Prozent Sauerstoff, 78 Prozent Stickstoff und etwa einem Prozent anderer Gase. Um Gewicht zu sparen, war der Druck in der Kabine der Mondrakete auf o,j5 Kilogramm pro Quadratzentimeter reduziert worden. Als Ausgleich für den verringerten Druck hatte man den Sauerstoffgehalt auf 40 Prozent erhöht und den Stickstoff durch Helium ersetzt, was den Vorzug geringeren Gewichts und erheblich geringerer Gefahr einer Embolie im Blut der Insassen im Falle eines plötzlichen Drucksturzes bot. Temperatur, Druck, Feuchtigkeit und Sauerstoffge­ halt der Kabinenatmosphäre wurden ständig auto­ jo

matisch kontrolliert. Aber John entschloß sich zu einer Analyse, um sicherzugehen, daß die Luft keine gifti­ gen Verunreinigungen enthielt. Während der ver­ brauchte Sauerstoff nur im gleichen Ausmaß ersetzt wie die ausgeatmete Kohlensäure entfernt wurde, durchlief das Helium den Kreislauf immer wieder. Kohlenstoff- und andere Filter im Luftkreislauf ent­ fernten übelriechende und störende Verunreinigun­ gen. Danach begann er die Temperaturen in den verschie­ denen Behältern zu prüfen, während Larry das Arma­ turenbrett über seinem Konturensitz beobachtete. Die gleichbleibende Temperatur war eine weitere lebens­ wichtige Bedingung für ein bemanntes Raumfahr­ zeug. Die Treibstoffe in den geräumigen Behältern durften weder gefrieren noch durch Verdampfung einen gefährlich hohen Druck aufbauen. Sollten die Raketentriebwerke mit einem möglichst guten Treib­ stoffwirkungsgrad laufen, mußten die Temperaturen praktisch in ziemlich engen Grenzen gehalten werden. Das geschah mit Hilfe der durch Thermostaten ge­ regelten Blenden18. Durch die Bullaugen der Kabine versuchte John die Stellung der verschiedenen Blen­ den zu beobachten, die je nach Menge der absorbier­ ten Sonnenstrahlung an den verschiedenen Stellen auf der äußeren Schiffswand verschieden war. Dann schwebte er zur Meßtafel, auf der die Tempe­ raturen der Behälter für flüssigen Sauerstoff, Wasser und für die Tiefkühlbehälter der Lebensmittel ange­ zeigt wurden. Das erforderliche Temperaturniveau 4*

all dieser verschiedenen Teile der Ausrüstung war ganz unterschiedlich und mußte regelmäßig abgelesen und im Logbuch eingetragen werden. Nur So konnte man sicher sein, daß von den für das Leben im luft­ leeren Raum so wichtigen Versorgungsgütern durch Nachlässigkeit oder Versagen des thermostatisch kon­ trollierten Mechanismus nichts verdorben wurde oder verlorenging. Es war 21 Uhr Greenwich-Zeit1#, die alle Raumfahr­ zeuge benutzten, als John zu seinem Konturensitz zurückkehrte und die Ergebnisse seiner Inspektion in das Logbuch eintrug. Bis jetzt waren sie neun Stunden unterwegs. Larry rief eine der Bodenstationen am Äquator an und gab den fälligen stündlichen Lage­ bericht durch. Die Erde meldete, daß einige der Tele­ meter-Signale, die empfangen wurden, ungleichmäßig waren, aber die Erdratten führten das auf Mängel im Übertragungssystem zurück. Abermals machte sich John zu einer gründlichen Prü­ fung der Sendeanlagen auf. Zehn Stunden nach dem Start konnte er zufrieden feststellen, daß sich das Schiff ohne einen größeren und unvorhergesehenen Zwischenfall durchaus als raumtüchtig erwiesen hatte. Schließlich legte er sich in seinem Konturensitz zu­ rück. Er begann sich mit Larry zu unterhalten. Es ging hauptsächlich um die Raumfahrt, weil sie in solchen Augenblicken niemals von ihren Familien sprachen. Ihre Ausdrucksweise war sonderbar, denn sie enthielt weder die Worte >oben< noch >untendort drüben«. Sie bezogen sich stets auf das Schiff, und die Richtungen, von denen sie sprachen, bezeichneten sie mit »nach vorn« und »nach hinten«, wie es alle Raumfahrer zu tun pflegen. Wenn sie »rechts« oder »links« sagten, meinten sie rechts oder links von ihren Plätzen in der Kabine oder rechts und links von den Tragflächen des Schiffes, gleichgültig, auf welche Sterne im Raum die Flügelspitzen gerade zeigten. John blickte auf das Chronometer im Armaturen­ brett und sah, daß es 23 Uhr Greenwich-Zeit war, elf Stunden nach dem Abflug. •Schlafenszeit, Larry«, sagte er. »Ich werde mich bis ein Uhr lang machen. Weck mich dann für die Ab­ lösung.« Doch er konnte nicht sofort einschlafen. Er starrte aus seiner Koje auf die Sterne, die, ohne zu blinken, vor dem völlig schwarzen Hintergrund standen. Die runde, bunte Erde befand sich auf der anderen Seite des Schiffes, doch er wußte, daß sie jetzt zu einer Scheibe von nur etwa dem zehn- bis zwölffachen scheinbaren Durchmesser der Sonne zusammenge­ schrumpft sein mußte. Vor sich konnte er die schmale Sichel des Mondes sehen, der noch nicht merklich grö­ ßer erschien als von der Erde aus. In den nächsten 24 Stunden würde sich das sehr ändern, dachte er, und schlief ein. Ohne daß ihre Wachsamkeit nachließ, wurden die periodischen Inspektionen immer mehr zur Routine, S3

nachdem ihre Furcht vor Zwischenfällen nachgelassed hatte. 24 Stunden nach dem Start schwebte John in den· Astrodom des Schiffes hinaus, um die Sterne für einel astronomische Standortbestimmung20 zu >schießenEnde< sagt, hört der Teilnehmer das sofort, denn Radio­ wellen21 breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit, rund 300000 Kilometer in der Sekunde, aus. Da das Schiff nun über 300000 Kilometer von der Erde entfernt war, brauchte Larrys Frage etwas mehr als eine Se­ kunde für den Weg vom Schiff bis zum Empfänger auf der Erde, und es dauerte eine weitere Sekunde, bis die Antwort von der Erde das Schiff erreichte. Die auffallende Pause von zwei Sekunden erinnerte Larry daran, daß er ziemlich weit von daheim entfernt war. Nach einer verspäteten Mahlzeit aus dem Kühlfach, das auch eine Quetschflasche aus Plastik zum Trinken im Zustand der Gewichtslosigkeit enthielt, ordnete John den Beginn der Vorbereitungen für das Lande­ manöver an. Mit Larry zusammen drehte er das Schiff herum, bis es mit dem Heck voran auf den Mond zuflog. Weil es im Weltraum keine Luft gibt, konnte dieses Herumdrehen nicht mit aerodynami ­ schen Steuerflächen bewerkstelligt werden wie bei einem gewöhnlichen Flugzeug. Die Bewegung wurde durch einen Satz von drei kleinen, elektrisch angetrie­ benen Schwungrädern22 hervorgerufen. In Bewegung gesetzt, gab das Gegendrehmoment der Räder dem Schiff eine langsame entgegengesetzte Rotation. Die Lage des Schiffes im Weltraum wurde durch eine Kreiselplattform ständig automatisch kontrolliert. 5$

Während das Schiff nun mit dem Heck voran auf die rasch größer werdende Mondoberfläche hinabstürzte, schnallten sich die beiden Männer auf ihren Kontu­ rensitzen an. Larry prüfte den hydraulischen Mecha­ nismus des Landewerks, und John schaltete die Druckbelüftung der Treibstoffbehälter ein. Sie waren noch einige hundert Kilometer über der Mondober­ fläche, als in einer vorher genau berechneten Höhe ein Radarhöhenmesser die Raketentriebwerke einschal­ tete, die nun den Sturz zu bremsen begannen. John beobachtete die Punkte auf dem Bildschirm, die der Höhenmesser registrierte. Kurze Radarimpulse wurden nach dem Mondboden gestrahlt, ihr Echo empfangen. Die Zeit, die jene Impulse vom Schiff bis zum Mond und zurück brauchten, gab die Höhe an, und die Geschwindigkeit, mit der sich die Höhe än­ derte, lieferte das Maß für die Absturzgeschwindig­ keit. Mit diesen beiden Angaben vor sich konnte John den Schub der Raketentriebwerke so regeln, daß sowohl Höhe als auch Fallgeschwindigkeit gleichzeitig Null wurden. Bei einigem Geschick mußte das Schiff sanff wie ein Hubschrauber auf dem Mond aufsetzen. Auf der Erde hatte er das gelernt und unzählige Male geübt. In seinem Sitz zurückgelehnt konnte John den Mond nicht sehen, außer einem kleinen Teil im Rückspiegel an der Kabinendecke. Aber eine Schalterdrehung zau­ berte die rasch näherrückende Kraterlandschaft23 auf seinen Fernsehschirm. Ihr Bestimmungsort war ein ebener Krater in der Nähe des Mond-Nordpols, wo 57

die Temperaturen wegen der geringen Höhe der Sonne mäßig sein mußten. Sie sollten dort kurz nach dem lokalen Sonnenaufgang eintreffen. Mit zwei Einstellrädchen hielt er nun ein Paar beweg­ licher, sich kreuzender Linien auf den vorgesehenen Landeplatz auf dem Bildschirm eingestellt. Durch Drehen der beiden Rädchen konnte er die automa­ tische Steuerung des Schiffes ausschalten und selbst übernehmen. So konnte er Felsblöcke oder Spalten auf dem Landeplatz vermeiden, die man auf den photographischen Aufnahmen nicht hatte erkennen können. Außerdem benutzte er die Feinabstimmung zur Eliminierung seitlicher Abweichungen der Schiffs­ bewegung relativ zur Mondoberfläche; eine horizon­ tale Bewegung nach rechts oder links von nur wenigen Metern pro Sekunde konnte beim Aufsetzen das Landewerk des Schiffes glatt abscheren. Einige tausend Meter über dem Boden rief John Larry laut an, und dieser ließ die vier Spinnenbeine hydraulisch ausfahren, gefolgt von einem fünften zentralen Bein, das durch den Feuerstrahl der Trieb­ werke stieß. Dieses zentrale Bein sollte als erstes den Boden berühren. Es glich einem starken, etwa 4,5 Me­ ter langen Stachel mit eingebautem Stoßdämpfer. Mehrere horizontal gelagerte Scheiben waren außen angebracht, die kleinste ganz unten, die größte oben. Kein Gelehrter daheim war in der Lage gewesen, ge­ naue Auskünfte über die Festigkeit des Mondbodens am Landeplatz zu geben. Nach Meinung der Geolo­ gen konnten sie alles vorfinden, von einer mehrere J8

Meter dicken Schicht vulkanischer Asche bis zu einer ziemlich harten Bimssteindecke. Der mit horizontal gelagerten Scheiben versehene Stachel aber war auf der Erde für sichere Heck-Voran-Landungen auf ver­ schiedenen Bodenoberflächen erprobt worden. John konnte in diesen letzten Sekunden nichts weiter tun als den Daumen halten, denn das Bild auf seinem Fernsehschirm war vom Staub, den der Feuerstrahl der Triebwerke auf dem Mondboden aufwirbelte, getrübt. Ein leichtes Zittern ging durch das Schiff, als der Stachel sich bei der Landung in den Boden bohrte. Ein paar Sekunden lang balancierte es unsicher auf seinem zentralen Bein, während Larry die vier Aus­ legerbeine hydraulisch senkte, um das Schiff abzu­ stützen und in vertikaler Stellung zu halten. Das Singen der Kreisel verstummte, und einen Augen­ blick lang genoß John die Erregung des Triumphes. Dann schaltete er die Radioverbindung mit der Erde ein. Als die Verbindung bestätigt wurde, sagte er mit fester Stimme: »Gelandet um 23.58 Uhr GreenwichZeit. Alles in Ordnung. Beginnen mit der Erforschung der Oberfläche.« Er erhob sich und schüttelte Larry schweigend die Hand. Die beiden Männer zogen komplette Raum­ anzüge24 mit Helmen über die Uniform, die sie unter­ wegs getragen hatten. Als John sich zur Luftschleuse2® hinüberzog, merkte er, daß er wieder ein Gewicht besaß, ein geringeres als auf der Erde, aber doch spür­ bares Gewicht. S9

Es gab ein zischendes Geräusch, als Larry ihm half, die Luft aus der Schleuse zu entfernen. Langsam schwenkte die Außentür auf, und die beiden Männer blickten hinaus auf die großartige Berglandschaft des Mondkraters, auf dessen flachem Boden sie gelandet waren. Es war ein grandioser und doch trostloser Anblick. Eine blendend helle Sonne stand niedrig über dem Horizont. An einem samtschwarzen Himmel leuch­ teten Myriaden von Sternen. Die Berggipfel warfen lange schwarze Schatten ohne jegliche Helligkeits­ unterschiede über den Boden. Die ganze Szene war äußerst kontrastreich. Und drüben, ebenfalls niedrig über dem Horizont, stand hinreißend schön die vielfarbige Scheibe der Erde, die sich von allem anderen unterschied und von der sie gekommen waren. Einen Augenblick lang überkam John Mason das Ge­ fühl einer tiefen Einsamkeit. Dann berührte er Larrys Arm. »Gehen wir«, sagte er rauh. »In fünf Tagen fliegen wir zurück.« Dann schwang er sich hinaus und setzte die Füße auf die Leiter2*.

3 Als John von der letzten Sprosse der Leiter des Raum­ schiffs sprang und seine Füße den Mondboden be­ rührten, war er sich der historischen Bedeutung dieses Augenblicks wohl bewußt. Dies war das erstemal, 60

daß ein Mensch die Oberfläche eines anderen Welt­ körpers betrat. Doch ein Raumschiffkapitän ist darauf gedrillt, seine Gefühle zu unterdrücken. John drehte sich um und sah zu, wie sein zweiter Pilot hinter ihm die Leiter her­ abstieg. Als Larry neben ihm stand, machten sie ihre erste Entdeckung. Es gab keinen Staub! Der Boden fühlte sich porös und verkrustet an wie weiche Lava. Zuerst meinte John, es handele sich nur um eine ört­ liche Veränderung unter dem Schiff; als nämlich die Rakete ähnlich wie ein Hubschrauber landete, hatte der Feuerstrahl den Landeplatz zu einem flachen Kra­ ter ausgehöhlt. Er gab Larry einen Wink, und sie ent­ fernten sich einige hundert Schritte von dem Krater. Die Beschaffenheit des Bodens blieb unverändert. Es war, als ob sie auf gefrorenem Schnee über einer dün­ nen Eisschicht gingen. Die Kruste gab mit einem knir­ schenden Geräusch nach, das man in den Druckan­ zügen deutlich vernehmen konnte, obwohl das Va­ kuum draußen keine Geräusche übertrug. Unter der Kruste fanden die schweren Schuhe festen Boden. John stieß die Meßsonde seines Geigerzählers27 in den Grund. Zu seiner großen Erleichterung erwies sich die Radioaktivität als erträglich. Dieses Problem hatte ihnen ernste Sorgen bereitet, da einige Gelehrte er­ klärt hatten, die Exponierung der Mondoberfläche gegen ungeschwächte Sonnen- und kosmische Strah­ lung könnte eine so starke Radioaktivität verursacht haben, daß sie sich höchstens einige Stunden am Tage würden auf dem Mond aufhalten können. 61

Die beiden Männer standen jetzt nicht miteinander in Sprech Verbindung, weil es nicht nötig war. Trotzdem sprach jeder ständig leise in seinem Helm und be­ schrieb die Eindrücke und Gefühle; jedes Wort wurde von dem kleinen eingebauten Tonbandgerät auf ge­ nommen. Nach ihrer Rückkehr zur Erde würden diese Bänder von Gelehrten vieler Fachgebiete intensiv nach Antworten auf Fragen durchforscht werden, die der Mensch gestellt hatte, seit er zum erstenmal seine Augen zum Himmel erhoben hatte. John bückte sich und nahm einen Stein auf. Obgleich dieser fast so groß wie ein Kürbis war, spürte er das Gewicht kaum in der schwachen Mondgravitation, die nur rund einem Sechstel der Gravitation an der Erdoberfläche entsprach. Als er sich vom Schiff ent­ fernte, hatte er den Unterschied kaum bemerkt, weil das Gewicht seines Raumanzugs sozusagen die ge­ ringere Anziehungskraft des Mondes etwas kompen­ sierte. Er war mit Ballast versehen wie ein Taucher­ anzug, um dem Träger das Gefühl zu geben, er wan­ dere mit normalem Erdgewicht über den Mond. John betrachtete den Stein aufmerksam. Zunächst schien es, als hätte die kombinierte Wirkung von Va­ kuum und intensiver Sonnenstrahlung die exponierte Mondoberfläche zu einer harten Kruste verschmolzen. Er konnte jedoch leicht durch die Kruste stoßen und fand darunter einen porösen, brüchigen Kern. Mil­ liarden von Tag- und Nachtwechseln hatten den Stein unaufhörlich bearbeitet; jedesmal zu Beginn der Mond­ nacht hatte der ungeheure Temperatursturz Tausende 61

von winzigen Rissen verursacht, und der folgende Mondtag hatte dann die Spalten immer wieder mit seinem prallen Sonnenlicht zusammengeschweißt. Er warf den Stein fort und staunte über die große Strecke, die er bei der niedrigen Anziehungskraft zu­ rücklegte; er sprach es aus, und was er sagte, wurde vom Tonbandgerät aufgezeichnet. Einen Steinwurf entfernt - so weit eben ein Steinwurf auf dem Monde reicht - befand sich ein kleiner Hügel, der einen guten Überblick über das gesamte Krater­ becken bot, in dem sie mit ihrer Rakete gelandet wa­ ren. Auf den von der Erde aus mit starken Fernroh­ ren gemachten Aufnahmen war dieser Krater als völ­ lig glattes, von einem steilen, zerklüfteten Ringge­ birge umgebenes Plateau erschienen. Sobald John und Larry jedoch den Hügel bestiegen hatten, sah die Ge­ gend ganz anders aus. Der Kraterboden war buchstäblich mit Felstrümmern aller Größen und Formen bedeckt. In dem ganzen weiten Becken gab es nur ein paar ebene Stellen, aber der Kraterrand sah viel weniger eindrucksvoll aus als auf jenen Fernrohrfotos. Er war weder so hoch noch so zerklüftet, wie John ihn sich vorgestellt hatte. Die langen kontrastierenden Schatten durch die tiefste­ hende Sonne hatten die Höhenunterschiede viel kras­ ser erscheinen lassen. Die allgemeine Eintönigkeit der Landschaft wurde durch einen überraschenden Mangel an Farbe *® noch unterstrichen. John fand es schwierig, zu beschreiben, was er durch das gefärbte Glas im Visier seines Helms ^3

sah. Schließlich entschloß er sich für »alle Nuancen von Grau mit einigen vagen Andeutungen von Gelb und Rot« und fragte sich, wie Larry wohl die Farben auf seinem Tonband schildern mochte. Trotz der Eintönigkeit der Mondoberfläche war das Gesamtbild erregend. Über dem von Schotter bedeck­ ten Kraterboden wölbte sich ein samtschwarzer Him­ mel. Tief auf einer Seite dieses schimmernden Pan­ oramas stand ein blendendes Leuchten, die Sonne. Fast auf der gegenüberliegenden Seite hing ebenfalls tief am Horizont eine große abnehmende Scheibe, die Erde mit ihren bläulichen, grünlichen, rötlichen und leuchtend weißen Farbtönen, der einzige sichtbare Flecken wirklicher Farbe. Aus allen Richtungen schie­ nen Myriaden nicht blinkender Sterne. Sie verliehen der wüsten Szenerie Glanz und verbreiteten den Zau­ ber einer Sternennacht in der Wüste. ».. . und so weit ich von diesem Hügel aus sehen kann, zeigt das lunare Terrain an dieser Stelle keine auffal­ lenden Abweichungen«, beschloß John seinen Bericht auf dem Tonband. Dann schaltete er das Sprechgerät ein und sagte: »Alsdann, Larry. Aufklärung erledigt. Nun weiter im Text.« Er blickte zu Larry hinüber und sah ihn hinter dem Visier seines Helms zustimmend lächeln: »War auch höchste Zeit! Ich wußte gar nicht, was ich noch auf Band hätte sprechen sollen.« Lange bevor die Rakete gestartet war, hatten die Ge­ lehrten auf der Erde umfangreiche Listen jener Daten aufgestellt, die sie durch diese erste Expedition nach 64

dem Mond zu gewinnen hofften. Man hatte die Listen geprüft, gesiebt, ausgewertet und von allen zunächst weniger wichtigen Dingen gereinigt. Ein Zeitplan für die fünf Tage, die John und Larry auf dem Mond zu­ bringen sollten, war ausgearbeitet worden. Dem ge­ nauen Stundenplan konnten sie nun entnehmen, was sie jeweils zu tun hatten. Obgleich sich natürlich im Raumschiff eine Niederschrift dieses Plans befand, hatten beide ihn auswendig gelernt. »Zuerst die Bodenproben«, sagte John, aber Larry war schon dabei, das zusammengelegte Gestell aus Metallteilen und Plastikfolie, das sie mitgebracht hat­ ten, zu einer Art Schubkarre aufzuklappen. Sie be­ gannen, sie mit Gesteins- und Bodenproben für die spätere Analyse in irdischen Laboratorien zu füllen. John und Larry waren Raumpiloten, keine Wissen­ schaftler, aber sie waren genau darüber informiert worden, was die Wissenschaftler von ihnen wollten. Die Astronomen und Geologen wünschten sich Stücke von der Mondoberfläche, um deren Ursprung und Zu­ sammensetzung erforschen zu können. Die Astrophy­ siker und Radiologen brauchten Proben, um die Wir­ kungen von Jahrmillionen ungeschwächter Sonnenund kosmischer Strahlung auf sie zu untersuchen. Die Ingenieure, die John und Larry angewiesen hat­ ten, waren praktischer. Ein junger Bursche mit hellen Augen hatte zu John gesagt: »Wir müssen eines Tages dort Wege und Unterkünfte bauen. Ich möchte gern mit den Gesteins- und Bodenproben, die Sie mitbrin­ gen sollen, experimentieren, um herauszubekommen, 5/382

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wie wir sie mit so wenig von der Erde zu importieren­ dem Bindematerial wie möglich zum Bauen benutzen können. Mann, wenn Sie zurückkommen, beginnt der Sturm. Dann müssen wir auf dem Mond Stütz­ punkte, Straßen und bewohnbare Gebäude errich­ ten!« John und Larry hatten sich während ihrer Gespräche mit den Fachleuten endlose Notizen gemacht. Einer wünschte besondere Gesteinsproben aus Spalten, in die niemals ein Sonnenstrahl gedrungen war. »Idi denke«, sagte er aufgeregt zu John, »sie enthalten vielleicht Wasser in kristallisierter Form. Könnte äußerst wichtig werden, mein Junge, wenn wir den Mond eines Tages kolonisieren.« Auch die Leute von der Landwirtschaft hatten ihre besonderen Wünsche und Ideen. Sie verlangten mehr Bodenproben, als die Rakete überhaupt jemals hätte transportieren können, um versuchsweise irdische Pflanzen in Originalmondboden zu züchten. Sie wollten ihr Bestes tun, um alle zufriedenzustellen, dachte John, als er und Larry das Gestein in Watte hüllten, in Plastikbehälter packten, die Behälter kennzeichneten und in die Karre verstauten. Es war nicht leicht, die vollbeladene Karre durch die krustige Lava und um die zahlreichen großen Felsbrocken zur Rakete zu schieben, aber die niedrige Anziehungs­ kraft kam ihnen dabei zugute. Larry stieg die Leiter empor, schwenkte den Arm des Aufzugs aus und ließ ein leichtes Seil hinab. John hängte die Karre daran auf, und Larry zog sie hin­ 66

auf. Dann stieg auch John nach oben, und gemeinsam verstauten sie die Behälter im Frachtraum der Ra­ kete. Die Meldeleuchten der Empfänger waren eingeschal­ tet, ein Zeichen, daß eine Verbindung mit der Erde hergestellt war. Als die Proben untergebracht waren, schaltete John das Bandgerät ein, um die inzwischen von der Erde übermittelten und während ihrer Ab­ wesenheit aufgenommenen Meldungen abzuhören. Doch nach einer knappen Minute stellte er wieder ab. Offensichtlich hatten die Bodenratten für sie keine wirklich interessanten Nachrichten. Alles lief doch darauf hinaus, daß die ganze Welt wissen wollte, wie es auf dem Monde aussah. »Sag ihnen, nicht besonders«, meinte Larry. »Aus grünem Käse ist er jedenfalls nicht.« John schüttelte den Kopf. »Wir haben viel zuviel zu tun, wenn wir unseren Zeitplan einhalten wollen. Mehr als zweimal täglich die vorgesehenen fünfzehn Minuten können wir nicht senden«, sagte er in das Mikrophon. »Sagt der Presse und den Rundfunkleu­ ten, wir stehen jedermann zur Verfügung, wenn wir wieder unten sind. Aber zunächst einmal müssen wir danach trachten, die uns übertragenen For­ schungsaufgaben bis zum Start in vier Tagen zu er­ ledigen.« Die Erde versuchte es noch einmal und sagte etwas über das dringende Interesse an den ersten Menschen auf dem Mond. »Sie können sich nicht vorstellen, John, wie man Washington um Sensationen und aus­ 5·

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führliche Beschreibungen bestürmt. Wir planten sogar eine Sondersendung mit Ihren Familien - wir haben sie sogar schon hier im Studio.« Im selben Augenblick leuchtete der Bildschirm2® auf, und er sah Phyllis und die Kinder, die etwas schüch­ tern lächelten und »Hallo« sagten. »Sag Larry, daß Joan und Susan auch mit ihm spre­ chen möchten«, sagte Phyllis, und Larry rückte eifrig heran. »Tut mir leid«, erklärte er bündig. »Wir müssen hier vorankommen. Unser Stundenplan ist bis auf die Minute ausgeklügelt, in der wir starten müssen, um unseren Stützpunkt im Pazifik zu erreichen. Wenn wir nicht pünktlich sind, kommen wir nicht zum Stützpunkt zurück. Ich würde gern mit allen spre­ chen und einen ausführlichen Bericht liefern. Aber ich kann jetzt höchstens die Bänder abspielen, die wir draußen während des ersten Rundgangs besprochen haben.« »Danke, John«, sagte der Sprecher auf der Erde nach einer Minute. »Das ist alles, was wir heute wissen wollten.« John schaltete auf das Bandgerät um und wandte sich an Larry: »Würden wir diesen Burschen vom Fern­ sehen und von der Presse nachgeben, müßten wir die ganze Zeit über hier herumsitzen und Fragen beant­ worten. Heute müssen wir aber die Gasproben sam­ meln.« »Okay«, erwiderte Larry. »Aber ich halte das glatt für eine Science-Fiction-Übung. Wir werden hier, wo 68

keine Atmosphäre ist, doch bloß einen Haufen Nichts einsacken.« Atmosphäre oder nicht, es gab einige Anzeichen auf den von der Erde aus aufgenommenen Fernrohrbil­ dern dafür, daß sich einige schwere, in Spalten einge­ schlossene Gase während des heißen Mondtags aus­ dehnen, über die Ränder der Spalten quellen und flache Stellen mit einer bodennahen Gasschicht be­ decken. Beim plötzlichen Einbruch der Mondnacht mußten diese Gase, so wurde angenommen, wieder kondensieren und sich gefroren am Boden nieder­ schlagen. John und Larry luden sich die dünnen Plastikbeutel auf, die für diesen Zweck eingepackt worden waren, stiegen wieder die Leiter hinab und gingen zu einer nahen Spalte, die sie von der Höhe der Raumschiff­ kabine ausgemacht hatten. Als John die dünnen Schläuche rund um einen der Beutel unter Druck setzte, entfaltete dieser sich und nahm die Form eines zwei Meter langen Frankfurter Würstchens an, das jedoch wie ein großer Strumpf an einem Ende offen war. Sie ließen den Beutel in den Spalt hinab. »Ich komme mir wie ein Narr vor«, sagte Larry, nach­ dem sie den Beutel in der Schlucht zehn Minuten lang betrachtet hatten. »Alle anderen Arbeiten auf unse­ rem Plan sind sinnvoll. In diesem Falle aber werden wir niemals wissen, ob wir Gas eingefangen haben oder nicht.« John nickte: »Aber die Wissenschaftler meinten, wenn es hier irgendwelche Gase gäbe, wären sie weniger 69

didit als das beste Vakuum, das man mit Pumpen schaffen kann. Na schön, Larry, machen wir mal die Klappe zu und ziehen wir den Beutel hoch!« Sie holten die große Wurst ein, entlüfteten die Stredcschläuche und rollten den zusammengefallenen Beutel so fest zusammen, wie sie konnten. Wenn überhaupt etwas Gas darin war, mußte dadurch der Gasdruck auf das Tausendfache steigen und das Gas so dicht werden, daß man es in eine Stahlflasche pumpen konnte. Larry befestigte die Beutelöffnung an der kleinen, von einer Batterie angetriebenen Pumpe, während John gespannt das Manometer an der Flasche, die durch die Pumpe gefüllt werden sollte, beobachtete. »Etwas Gas ist jetzt drin«, sagte er nach einer Minute. »Nicht viel, aber jedenfalls schon ein bißchen, Larry. Genug, um weiterzumachen. Wir werden also etwas mitzubringen haben, was die Rauschebärte analysie­ ren können.« Es war eine lange, umständliche Arbeit. Sie wander­ ten von Spalt zu Spalt und büßten dabei einige Beutel ein, die von scharfen Gesteinskanten aufgeschlitzt wurden. Zu guter Letzt meinte John, sie hätten nun genug Gas, und sie trugen ihre kostbare Ausbeute von einem Dutzend Flaschen zum Raumschiff. Nachdem sie ein paar belegte Brote verzehrt hatten, schalteten sie die Beleuchtung aus, um zu schlafen. Es wäre jedoch zu riskant gewesen, wenn beide zugleich geschlafen hätten. Eine geringfügige Unregelmäßig­ keit im Ventilationssystem oder in einem anderen 7°

lebenswichtigen Teil der Schiffsanlagen hätte sich katastrophal ausgewirkt. John übernahm die erste Wache, während Larry einschlummerte, und ver­ brachte die beiden folgenden Stunden mit Eintragun­ gen ins Logbuch30 des Schiffes, wobei er zugleich die Skalen der Anzeigegeräte im Auge behielt. Als die zwei Stunden vergangen waren, schob er das Logbuch auf das vor ihm angebrachte Regal und ließ sich von Larry ablösen. Der zweite Pilot war sofort munter. »Irgendwelche Befehle?« fragte er und langte gleich nach dem Log­ buch. »Halte dich einfach an die Routine«, erwiderte John und legte seinen Konturensitz zum Schlafen zurück. Hinter dem Fenster über seinem Kopf leuchteten die Sterne, ohne zu flimmern, in der Mondnacht. Ein Tag vorbei, dachte er und ertappte sich dabei, daß er rast­ los an die bevorstehenden Aufgaben der kommenden vier Tage dachte. Er schaltete seinen Geist so leicht ab, als handele es sich um die Sprechfunkanlage. Raum­ piloten können es sich nicht leisten, zu grübeln ... Nach Ende der künstlichen achtstündigen Nacht be­ reiteten sich John und Larry gemeinsam das Früh­ stück, und die Kabine füllte sich mit dem angenehmen Duft von Kaffee und Schinken, gekocht und gebraten auf dem elektronischen, für die Gewichtslosigkeit eingerichteten Kurzwellenherd der kleinen Schiffs­ küche.31 Es war ein bißchen sonderbar. Die schwache Anzie­ hungskraft des Mondes reichte hin, ein >oben< und 71

>unten< zu schaffen, doch der Herd und alle Küchen­ geräte waren für Verwendung im Zustand völliger Gewichtlosigkeit bestimmt. Deshalb gab es keine offenen Kochtöpfe, weil eine kochende Flüssigkeit im Zustand der Gewichtlosig­ keit wegen der sich am Boden bildenden Dampfblasen auseinanderfliegen würde. Es gab auch keine Tassen, denn Kaffee, der nichts wog, konnte nicht eingegossen werden. Aus diesem Grunde tranken die beiden Män­ ner stets aus Plastikflaschen, aus denen sie sich die Flüssigkeit geschickt in den Mund spritzten. Löffel gehörten ebenfalls nicht zum Inventar, denn gewichtlose Suppen konnte man natürlich nicht löf­ feln. Statt dessen benutzten sie zangenähnliche Eß­ geräte, mit Klammern zum Festhalten der Bissen. Messer und Gabeln unterschieden sich nicht von den üblichen Ausführungen; freilich brauchten sie Messer kaum, weil alle tiefgekühlten Mahlzeiten bereits eß­ fertig zurechtgeschnitten waren. »Schiffskontrolle«, sagte John aufgeräumt, nachdem sie mit dem Frühstück fertig waren. Sie verbrachten eine Stunde damit, den ganzen Mechanismus nach einer detaillierten Prüfliste durchzusehen. Dann kon­ trollierten sie ihre Druckanzüge. Sie erneuerten die Luftfilter und Kohlensäurepatronen und füllten die Sauerstoffbehälter der Anzüge mit flüssigem Sauer­ stoff auf. Nachdem sie schließlich noch die eingebau­ ten Druck- und Temperaturkontrollen nachgesehen hatten, waren sie für den zweiten Tag auf dem Mond bereit. 7»

Zehn Minuten später befanden sie sich abermals auf dem Boden des Mondes. In den nächsten drei Tagen hielten sie sich streng an den vor dem Start aufgestellten Zeitplan. Zweimal täglich verbrachte John fünfzehn Minuten damit, Be­ richte über ihre Eindrücke und Entdeckungen an die irdischen Stationen durchzugeben. Die übrige Zeit waren sie mit ihren Arbeiten vollauf beschäftigt. Wei­ tere Berichte über ihre verschiedenen Unternehmun­ gen sprachen sie pausenlos auf Band. Die Zeit verging mit Versuchen und Tests. Die Arbeit war schwer, selbst bei der niedrigen Mondanziehungs­ kraft, und beide Männer waren für den Schlaf in der achtstündigen Nacht, die sie ebenfalls planmäßig ein­ hielten, dankbar. Am dritten Tage stand auf ihrem Stundenplan die Erforschung von möglicherweise vorhandenen Strah­ lungszonen32 in der Umgebung des Mondes. 1958, als die Raumfahrt noch in den Kinderschuhen steckte, hatten einige einfache amerikanische Explorer-Satel­ liten einen geheimnisvollen Gürtel um die Erde ent­ deckt, in dem Raumfahrzeuge intensiver Bestrahlung ausgesetzt waren. Dieser Bereich, nach seinem Ent­ decker Van-Allen-Gürtel genannt, bestand aus im Magnetfeld der Erde eingefangenen Elektronen und Protonen. Wenn der Mond ebenfalls ein Magnetfeld besaß, konnte er einen ähnlichen schwächeren Gürtel gefährlicher Ausstrahlung haben. Deshalb verbrachten sie den dritten Tag mit dem Ab­ feuern einer Serie kleiner, mit Fernmeßgeräten und 73

Sendern ausgerüsteter Feststoffraketen. Das kurze Startgerüst wurde steil aufgerichtet. Um ein möglichst breites Band des Mondhimmels zu erfassen, variierten sie die Richtung von Start zu Start ein wenig. John und Larry kümmerten sich nicht weiter um das, was die Raketenversuche ergaben, doch die von den Raketen übermittelten und auf Magnetband gespei­ cherten Meßwerte würden reiches Studienmaterial für die Forscher auf der Erde abgeben. Bei der Planung der Expedition war angenommen worden, John und Larry würden sich am letzten Tage ihres Aufenthaltes ein wenig an die Verhältnisse auf dem Mond gewöhnt haben; auf dem Stundenplan für diesen Tag stand daher das Mondbeben-Programm. Es versetzt selbst den skeptischen Larry in Erregung. Sie sollten herauszufinden versuchen, woraus das Mondinnere besteht. Gab es einen Kern geschmolze­ ner Materie wie im Erdinnern? War das Mondinnere durch und durch fest? Oder handelte es sich einfach nur um eine lose Anhäufung von Gesteinen mit ge­ räumigen Höhlen unter der Oberfläche? An jenem vierten Morgen schwenkten John und Larry zunächst den Arm des Aufzugs hinaus und lie­ ßen zwanzig zwei Meter lange Raketen auf den Bo­ den hinab. Einige enthielten als Nutzlast empfind­ liche Radio-Seismographen. 33 Die Raketen trugen kräftige Stangen, die einige Meter tief in den Boden eindringen konnten. Erst nach dem Aufschlag wurde das stoßempfindliche Element des Seismographen automatisch aus dem Lager, in dem es während Start 74

und Aufschlag sicher ruhte, gelöst. Seine Aufzeich­ nungen der inneren Erschütterungen des Mondes wur­ den einem winzigen eingebauten Transistor-Sender übermittelt, der sie an einen zentralen Empfänger weitergab. Nachdem sie ein Dutzend dieser Raketen mit Seismo­ graphen nach allen Richtungen abgefeuert hatten, kletterte Larry auf den Kraterrand und versuchte festzustellen, ob er die Zeichen der Sender empfangen konnte. Jedes Gerät arbeitete mit einer etwas anderen Frequenz, so daß er alle deutlich identifizieren konnte. Nach einer halben Stunde meldete er John, daß er nicht mehr als sieben von den zwölf Sendern hatte aufnehmen können. Aber sieben waren schon genug. Einige Sonden waren wahrscheinlich durch den Sturz auf besonders hartes Gestein zerschmettert worden. Manche mochten in Spalten gefallen sein. Manche ar­ beiteten vielleicht ganz gut, wurden aber durch einen Berg abgeschirmt. Ohne eine reflektierende Iono­ sphäre34 konnten Rundfunkwellen weder Berge über­ winden noch der Krümmung der Mondoberfläche folgen. Unten im Krater ließ John nun die eigentlichen Mondbeben-Raketen ab. Nacheinander erhoben sich die schlanken Flugkörper und trugen jeweils einige hundert Kilogramm Sprengstoff dreißig bis hundert­ zwanzig Kilometer weit. Jeder der weit verstreuten Aufschläge schickte seine Erschütterungswellen durch das Mondinnere bis zu den sieben Radio-Seismogra­ phen, die ihre Signale dann an den von Larry am 75

Kraterrand aufgestellten zentralen Empfänger über­ mittelten. Die Ergebnisse wurden auf Band festge­ halten, reiches Material für die Geologen auf der Erde, die ihre Schlüsse daraus ziehen würden. Larry, von John durch Zeichen vom Abschluß der Versuche unterrichtet, packte die Ausrüstung wieder ein und stieg vom Kraterrand ab. Als er zum Schiff ging und John bereits die Leiter er­ stieg, sah er zu Boden und erblickte zu seinen Füßen etwas, das ihn erstarren ließ. Es war ein kleiner Me­ tallbehälter von etwa der Größe einer Konserven­ dose! Der Behälter war aufgeplatzt, und er konnte darin etwas von einer elektronischen Miniaturanlage er­ kennen. Larry hob die Kapsel auf und hielt sie dicht vor das Visier seines Helmes. Er erkannte das Typen­ schild einer New-Yorker Firma und darunter ein weiteres winziges Schild mit der Inschrift: »Geprüft von der amerikanischen Regierung, Juli 1961.« Es war, als würde an einem einsamen Strand eine Flaschenpost gefunden! Was Larry zwischen den Zangen an den Armgliedern seines Raumanzuges hielt, war der Sender einer jener kleinen unbemannten Mondsonden, die den Weg nach dem Mond, den er nun selber gegangen war, geebnet hatten. Er beschloß, das historische Fundstück mitzu­ nehmen und einem Museum zu schenken. Als er unten am Schiff ankam, befand sich John schon in der Kabine oben in der fünften Stufe. Hundemüde und von seinem kostbaren Fund ein wenig behindert 76

kletterte Larry hinauf. Als er seinen Körper in die Luftschleuse schieben wollte, schnappte eine der her­ ausgezogenen Leitersprossen in den Schiffsrumpf zu­ rück. Er verlor den Halt unter den Füßen. Bei seinem instinktiven Griff nach Halt erwischte die Zangen­ hand an seinem Raumanzug den Rand der Luft­ schleuse, rutschte jedoch ab. Die Schleuse befand sich etwa 30 Meter über dem Bo­ den. Die sechs Sekunden, die sein Fall dauerte, wur­ den ihm zur Ewigkeit. Er hatte sich so an die niedrige Anziehungskraft des Mondes gewöhnt, daß er den Aufprall nicht besonders fürchtete. Doch seine Zuver­ sicht half ihm nicht, denn als er schließlich auf den Boden prallte, verlor er das Gleichgewicht und riß sich den Kopf an einem Vorsprung im Helminnern auf. Durch das blutverschmierte Visier konnte er noch Johns bestürztes Gesicht im Astrodom sehen. Dann verlor er das Bewußtsein. Als Larry zu sich kam, fand er sich in seinem Kon­ turensitz, ohne Raumanzug, aber mit einem Mords­ kopfschmerz und einem Pflaster auf seiner ange­ schwollenen Nase. Ein lautes Geräusch erfüllte die Kabine, aber von John war nichts zu sehen. Die In­ nentür der Luftschleuse war geschlossen. Durch das kleine Bullauge in der Tür sah er, wie John im Raum­ anzug an der Außentür der Schleuse arbeitete. Offenbar hatte Larry die Dichtung der äußeren Tür beschädigt, als er nach einem Halt griff. Nun konnte die Tür nicht mehr geschlossen werden, und mit einer offenen Luftschleuse würden sie nicht starten, ge­ 77

schweige denn mit einer Geschwindigkeit von 41 000 Kilometer in der Stunde in die Erdatmosphäre ein­ tauchen können. John schien mit der Reparatur große Schwierigkeiten zu haben. Nach zwei Stunden schlug Larry über Sprechfunk vor, John abzulösen. »Kommt nicht in Frage«, lautete die kurze Antwort. »Wir würden zu viel Luft verlieren. Um dich herein­ zubringen, mußte ich die ganze Kabine entlüften und dann den Druck wiederherstellen. Wenn wir das ein paarmal machen, haben wir keine Luft mehr zum Atmen.« Sechs Stunden später arbeitete John nochimmer außen in der luftleeren Schleuse. Er schien Fortschritte zu machen, doch seine Stimme verriet unverkennbar seine große Erschöpfung. Bis zum Start waren es kaum noch acht Stunden, und wenn sie sicher heimkehren wollten, durften sie die Abflugzeit nicht verpassen. Vier Stunden waren allein für die zahlreichen vorbereitenden Prüfungen nötig, weitere vier für die tatsächlichen Vorarbeiten für das Abflugmanöver. Ihr Zeitplan sah eine achtstündige Ruhepause vor, damit sie für die kritischen Minuten des Countdown und die hohen Anforderungen an ihre Geistesgegen­ wart während des Abflugmanövers frisch und aus­ geruht waren. Larry fühlte eine Panik in sich aufkommen, be­ herrschte sich aber. Zur Hilfe entschlossen, rief er John abermals an. 78

Wie die Dinge jetzt standen, mußte das Countdown in vier Stunden beginnen, und keiner von ihnen hatte in den letzten 16 Stunden auch nur eine Minute ge­ schlafen. Darüber hinaus war John mit seiner Repa­ ratur immer noch nicht fertig. »Laß mich die Prüfliste für den Countdown gleich durchgehen«, schlug er vor. Es war gegen die alte Raumfliegerregel, jede wichtige Vorbereitung dop­ pelt von zwei Männern unabhängig voneinander vor­ nehmen zu lassen, doch es handelte sich um eine Not­ lage. Das Schicksal des ganzen Unternehmens stand auf dem Spiel! 4

John arbeitete noch immer in der Luftschleuse und wog nachdenklich eine Gefahr gegen die andere ab. Am wichtigsten war, daß sie genau im richtigen Augenblick starteten, denn jede Verzögerung würde eine andere Rückflugbahn ergeben, die sie nicht zu ihrem Stützpunkt zurückführen würde. Selbst wenn es ihnen gelänge, das Schiff sicher durch das kritische Manöver des Wiedereintauchens in die Erdatmo­ sphäre zu bringen, müßten sie sich dann zu einer Lan­ dung irgendwo auf einem der sechs Kontinente oder sogar auf einem der sieben Meere entschließen. Der einfachste Weg, vom Mond nach der Erde zu­ rückzukehren, bestand in einer Flugbahn in der Erd­ äquatorebene.35 Doch eine derartige Rückflugbahn ließ sich nur erzielen, wenn sie den Mond an einem 79

Tage verließen, an dem die Mondbahnebene die Äquatorebene schnitt. Das geschah in jedem Monat nur zweimal. Dagegen stand die von ihnen heraufbeschworene Krise, die Tatsache, daß wegen des beschädigten Luft­ schleusentors diese wichtige Öffnung in der Schiffs­ wand während des Wiedereintauchens in die Erd­ atmosphäre losgerissen werden konnte. Es bestand kein Zweifel, welche Alternative zu wählen war. Sie mußten zunächst einmal starten! »Los, Larry«, sagte John. »Fang also mit dem Count­ down an. Lies aber jedes Detail samt deiner Prüfungs­ ergebnisse laut vor, damit ich in der Sprechfunkan­ lage mithören kann. Kümmere dich nur um deine Liste und laß meine weg. Dann weiß ich wenigstens, was ich nicht selbst geprüft habe.« »In Ordnung, Käptn«, erwiderte Larry. »X minus 470 Minuten. Zeit läuft.« Eine weitere Stunde verstrich. Larry prüfte mit gro­ ßer Sorgfalt Details, wie Treibstoffvorräte, Batterie­ zustand, Funktion der Druckschalter usw., während John angestrengt an der Tür weiterarbeitete. Plötzlich hörte das Hämmern auf, und er rief: »End­ lich! Ich habe die Außentür so weit dicht bekommen, wie es überhaupt zu schaffen war. Ich komme rein.« John packte das Werkzeug mit einer Hand und ver­ suchte, die Innentür mit der anderen zu öffnen. Einen Augenblick zögerte er. Dann schlüpfte er in die Luft­ schleuse, schlug die Außentür zu und dichtete sie ab. Larry starrte gebannt auf die Anzeiger im Armatu­ 80

renbrett, während der Druck in der Luftschleuse stieg. Gleichgültig, wie groß das Leck noch war, der Druck kletterte, bis er dem Kabinendruck entsprach und John die innere Schleusentür öffnen konnte. Er verschwendete keinen Augenblick, als er die Ka­ bine betrat. »Weiter, weiter«, forderte er. »Mach wei­ ter mit dem Countdown. Ich räume inzwischen das Schiff auf.« Das heißt, er überzeugte sich, daß alle Geräte und Teile so untergebracht waren, daß sie beim Start im Schiffsinneren nicht zu Geschossen wer­ den konnten. Danach nahm er auf seinem Konturen­ sitz Platz und schloß sich Larry für den Rest der so oft praktizierten wichtigen Überprüfung an. Zwischen dem Ablesen der Instrumentenskalen und den Eintragungen in die Countdownlisten beobachte­ ten sie aufmerksam die Uhren. Unbarmherzig ver­ rannen die halben Stunden, die Viertelstunden, die Minuten, und die Startsekunde rückte heran. »Wir kürzen unser letztes Gespräch mit der Erde«, sagte John, als sich herausstellte, daß ihnen einige Minuten fehlten. »Teile ihnen nur das unbedingt Notwendige mit. Und sage nichts über die schadhafte Luftschleuse. Sie ist dicht genug und wird halten, hoffe ich.« Sie beeilten sich mit der äußerst wichtigen Aufgabe, die Plattform des Steuermechanismus auszurichten, damit das Schiff nach dem vertikalen Start in die kor­ rekte Richtung zur Erde einschwenken würde. Diese Einstellung war genauso wichtig wie das Einhalten des genauen Abflugzeitpunkts. Ihr Ziel war nicht nur 6 3S2

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der Planet Erde, sondern eine winzige Äquatorinsdl im Pazifik, die alle vierundzwanzig Stunden einmal) um die Erdachse kreiste. Sie mußten dafür sorgen, daß sie am Ende ihres 64 Stunden langen Fluges36 durch den Weltraum und ihres 90 Minuten langen Abstiegs durch die Atmo­ sphäre auf einer Spiralbahn herunter und unfehlbar genau an die Landebahn auf der Insel herankamen. Denn die geringe Treibstoffreserve, die ihr Schiff für das kleine Triebwerk der fünften Stufe enthielt, reichte eben aus, um den Flugplatz nach einem miß­ lungenen Anflug noch einmal zu umkreisen, nicht aber, sie viele tausend Kilometer über den Ozean zu tragen, wenn sie den richtigen Startzeitpunkt ver­ säumten. »Ruhig jetzt«, warnte John scharf. »Wir sind gleich bei X minus 120 Sekunden.« »Prüfung abgeschlossen. Alles soweit in Ordnung«, meldete Larry. »Das automatische Kommandogerät ist fertig.« »Kommandogerät einschalten«, ordnete John an. Auf ihren Konturensitzen angeschnallt, sahen beide Männer, wie die Sekundenzeiger über die Zifferblät­ ter der Uhren glitten, während das Aufblinken eini­ ger Meldeleuchten im Armaturenbrett anzeigte, daß die Treibstoffbehälter unter richtigem Druck standen, der Zündkreislauf eingeschaltet und die Sperre der Kreisel aufgehoben war. Als die Zeiger Null erreichten, begann das Raketen­ triebwerk zu dröhnen. Das Schiff vibrierte einen 82

Augenblick lang und schwankte leicht auf den fünf Stelzen, auf denen es vor fünf Tagen auf dem Mond gelandet war. Dann spürten sie das erregende Gefühl des Abhebens und das Nachlassen der Spannung, als das Schiff em­ porstrebte. Das Raketentriebwerk donnerte sein dumpfes Lied. »Schiff ist gestartet«, sprach Larry leise ins Mikro­ phon. Millionen von 384000 Kilometer entfernten Hörern atmeten in diesem Augenblick auf. In seinem nach hinten gerichteten Fernsehgerät konnte John die Mondoberfläche unter ihnen langsam zu­ rücksinken sehen. Einen Augenblick lang vermochte er einzelne Gesteinsbrocken im Krater auszumachen, doch dann umfaßte das Schirmbild schon das gesamte Ringgebirge, das ihnen so vertraut geworden war. Schon nach einer halben Minute war zu erkennen, wie sich die Flugbahn nach Südwesten krümmte, denn die zerklüfteten Kratergebiete in der Nähe des MondNordpols glitten in das Sichtfeld des Heckbildschirms. Nun war die Krümmung des Mondrandes schon gut zu sehen; der Boden, über den sie noch vor wenigen Stunden geschritten waren, gehörte wieder einem fer­ nen Himmelskörper an. Larrys Stimme klang von unten herauf: »Wir sind unterwegs, John«, sagte er zitternd. »Wir haben es geschafft.« John erwiderte einfach: »Ruf die Erdstationen an und sieh zu, ob nach ihren Messungen an Bord alles in Ordnung ist.« 6’

83

Die vierte Raketenstufe arbeitete etwa zwei Minuten lang. Bei Brennschluß befand sich das Schiff nur etwa Kilometer über der Mondoberfläche, 195 Kilo­ meter vom Startplatz entfernt, und flog nahezu hori­ zontal in südwestlicher Richtung über die Mondober­ fläche dahin. Es hatte eine Geschwindigkeit von 9450 Kilometer in der Stunde erreicht, nicht mehr als die Geschwindigkeit einer ballistischen Mittelstrecken­ rakete auf der Erde. Doch das genügte bereits, zur Erde zurückzukommen. Geschwindigkeit und Flugbahnrichtung des Schiffes waren so gewählt worden, daß sie für den Rückflug drei Grundforderungen erfüllten. Erstens, die Ge­ schwindigkeit mußte groß genug sein, das Schiff aus der Mondgravisphäre hinauszuführen. Zweitens, nach dem Verlassen der Mondgravisphäre mußte die Rest­ geschwindigkeit noch hinreichen, die eigene Umlauf­ geschwindigkeit des Mondes zu kompensieren, die ihn vor dem Absturz auf die Erde bewahrt (da ihr Schiff nun zur Erde zurückfallen sollte, mußte es sich vom Mond in einer Richtung entfernen, die der Umlauf­ bewegung des Mondes ungefähr entgegengesetzt war). Schließlich war die genaue Richtung durch die Forde­ rung bestimmt, daß die antriebslose Rückflugbahn in der Erdäquatorebene liegen mußte, damit sie auf ihrer Insel landen konnten. Zehn Stunden nach Brennschluß passierten sie wieder die neutrale Linie, die Zone, in der die Anziehungs­ kräfte von Erde und Mond gleich groß sind. Bis da­ hin hatte die Anziehungskraft des Mondes die Flug84

geschwindigkeit langsam verringert. Nun begannen sie wieder schneller zu werden, da die zunehmende Anziehungskraft der Erde sie auf der anderen Seite des Hügels herabzuziehen begann. Innerhalb der nächsten 50 Stunden würde ihre Ge­ schwindigkeit ohne Raketenantrieb von bescheidenen 1600 bis auf rasende 41 000 Kilometer in der Stunde ansteigen! Nach diesen 50 Stunden würde dann der große entscheidende Test beginnen: Drosselung der gewaltigen Geschwindigkeit, ohne in der Erdatmo­ sphäre wie ein Meteor zu verbrennen. In der Kabine war nichts von den Geschwindigkeitsänderungen zu bemerken. Für John und Larry kamen die relativ ruhi­ gen Stunden, wenn ein Raumfahrzeug auf Kurs lag. Sie hatten an Bord noch eine Menge zu essen, da sie für mögliche unplanmäßige Verzögerungen ausge­ stattet worden waren. Da sie nun tatsächlich auf dem Heimweg waren, schien nach Larrys Ansicht die Zeit für ein Festessen gekommen zu sein. Während John die routinemäßigen Instrumentenablesungen für das Logbuch erledigte und seinen stündlichen Lagebericht an die Erde durchgab, inspizierte Larry die Delika­ tessen im Kühlfach. Zu seiner Freude bemerkte er, daß jemand auf dem heimatlichen Stützpunkt das Gefühl gehabt haben mußte, daß ein vom Mond zurüdckehrender siegrei­ cher Forscher etwas Besseres verdiene als die getrock­ neten, mit Vitaminen angereicherten wissenschaftlich zusammengestellten Lebensmittel, von denen sie in den letzten Wochen ausschließlich gelebt hatten. 8i

Unter diesen ungewöhnlichen Vorräten fand er einen Zellophanbeutel mit gefrorenem Fisch, genau das, worauf er gerade Appetit hatte. Bald füllte der durch­ dringende Duft von Bratfisch die Kabine. Aber zu seiner Bestürzung schwebte John plötzlich zornig in die kleine Küche und rief: »Stell das ab! Ich kann den Fischgeruch nicht ertragen!« Als Larry Johns Gesicht sah, wußte er, daß es sich nicht um einen Scherz handelte. In der künstlichen Umwelt einer Raumfahrzeugkabine mit Gewicht­ losigkeit und geschlossenem Luftkreislauf, wo die gleiche Atemluft immer wieder ein- und ausgeatmet wurde, mußte man besonders vorsichtig sein. John, der alte Raumhase, war offensichtlich nicht etwa verärgert, weil er Fisch nicht mochte. Es war ihm sichtlich übel, und sein Zustand verschlimmerte sich rasch. Er klammerte sich gewichtlos an ein Kabel­ geschirr. Seinem unsicheren Blick nach zu urteilen war ihm so schlecht, daß er die räumliche Orientierung zu verlieren begann. Larry bugsierte ihn auf seinen Konturensitz und stedcte seinen Kopf unverzüglich in einen Papier­ beutel, der für Fälle von Raumkrankheit vorgesehen war. Die Symptome waren die gleichen wie bei einer schweren Seekrankheit. John mußte sich heftig übergeben, eine ernste und recht unangenehme Sache im Zustand der Gewichts­ losigkeit. Nachdem der Anfall vorüber war, gab Larry ihm eine Pille und stülpte den Raumhelm mit der Sauerstoffmaske über seinen Kopf, damit er den ihm 86

widerlichen Geruch nicht mehr zu ertragen brauchte. Dann schüttete Larry den Fisch, ohne einen Bissen probiert zu haben, in den hermetisch dichten Abfall­ behälter und schaltete die Gebläse auf höhere Touren, um die Kabinenluft rascher durch die alle Gerüche entfernenden Kohlefilter zu treiben. Zwanzig Minu­ ten später lächelte John schwach durch sein Helm­ visier und gab mit den Händen zu verstehen, daß er sich besser fühle. Larry schwebte gerade in die Küche zurück, fest ent­ schlossen, sich fortan eisern an die reizlose, offiziell zugelassene Raumküche zu halten, als das Schift von einer starken Explosion erschüttert wurde. Unmittel­ bar nach dem Stoß folgte ein Zischen, und einen Augenblick später bestätigten ein Summen und etliche rote Blinklichter, was nur allzu klar war: der Luft­ druck in der Kabine fiel rasch ab. Larry begab sich unverzüglich zu seinem Sitz, stülpte den eigenen Sauerstofthelm über den Kopf und setzte seinen Teilraumanzug97 unter Druck. Die Schläuche zogen den Anzugstoff fest über seinen Körper und verhinderten so, daß er bei dem plötzlichen Druck­ sturz buchstäblich explodierte. John, im Sitz vor ihm, sorgte offensichtlich für sich selber. Larry konnte ihn nur durch einen Dunst­ schleier sehen. Er wußte aus vielen Versuchen mit der explosiven Dekompression in der Höhenkammer, daß dieser den Raum füllende Dampf kondensierte Feuchtigkeit der Kabinenluft infolge des Druckstur­ zes war. »7

Er legte den Schalter des Leckdetektors um, und die Kabinenbeleuchtung ging aus. Nach einigen Sekun­ den sah er fluoreszierenden Rauch deutlich auf ein klaffendes Loch in einem der Armaturenbretter zu seiner Linken zuströmen. Der Rauch kam aus einer Spezialpatrone, die er durch das Einschalten des Leck­ detektors geöffnet hatte, und leuchtete im Licht einer Ultraviolettlampe am hinteren Kabinenschott. Das Verfahren beruhte auf dem einfachen Gedanken, daß das Leck genau dort sein mußte, wo der Rauch hin­ zog. Er schaltete die Beleuchtung wieder ein und zog am Armaturenbrett. Es öffnete sich wie eine Schranktür. Tatsächlich - da war die Ursache des Kummers, ein Loch mit etwa fünf Zentimeter Durchmesser in der Wand der Druckkabine! Die Ränder waren nach in­ nen gebogen, woraus zu entnehmen war, daß ein Me­ teorit 30 von etwa Murmelgröße das Schiff getroffen hatte. Larry ergriff einen der scheibenförmigen Meteor­ flicken aus gummiertem Metall, die zur Standardaus­ rüstung aller bemannten Raumfahrzeuge gehören. Aber der Flicken erwies sich als zu klein; er wurde regelrecht in das äußere Vakuum hinausgezogen. Er warf ein Dutzend der zu kleinen Flicken beiseite und fand einen größeren; er hielt ihn prüfend vor das Loch. Die ausströmende Luft ergriff ihn und drückte ihn gegen das Leck. Er hielt ohne Klebstoff durch den Druck der Kabinenluft. Inzwischen hatte John das Loch gefunden, durch das 88

der Meteorit die Kabine wieder verlassen hatte. Es war nur um Armeslänge von seinem Platz entfernt. Er verschloß es sofort mit einer Dichtscheibe. Einige Sekunden darauf wünschten sie sich fast, sie hätten sich mit der Abdichtung nicht so sehr beeilt; die Luftregler hatten nämlich den plötzlichen Drucksturz in der Kabine registriert und automatisch die Re­ serveluftbehälter für den Katastrophenfall geöffnet. Nachdem die Löcher gedichtet waren, stieg der Luft­ druck so rasch auf seinen Normalwert an, daß ihnen fast die Trommelfelle platzten. Als sich die Kabinenatmosphäre wieder geklärt hatte, nahm John seinen Helm ab. »Weißt du auch, daß dein verdammter Fisch mir das Augenlicht gerettet hat?« sagte er. »Der Meteorit flog einen halben Meter vor meinem Gesicht vorbei. Ohne den Helm, den du mir aufgestülpt hast, hätte mir die Schockwelle die Augen verbrannt.« »Es ist noch mehr Fisch im Kühlfach«, schlug Larry vor. »Vielleicht wäre es besser für dich, wenn ich ihn braten würde.« Die Spannung der letzten Minuten löste sich, und beide brachen in ein befreiendes Gelächter aus. Fünfzig Stunden waren vergangen, seit sie den Mond verlassen hatten. Nach dem Abenteuer mit dem Me­ teoriten waren sie wieder zum gewohnten Wechsel von zwei Stunden Wache und zwei Stunden Ruhe zurückgekehrt. Noch zehn Stunden! John stand nun in ständiger Radioverbindung mit den Bodenstationen, die fieber­ »9

haft die Anflugbahn des heimkehrenden Mondsdiiffes auf zeichneten. Auf Grund der vorliegenden Meßwerte sah es so aus, als ob sie ein wenig zu weit draußen hereinkommen würden. Das heißt, der erbarmungslos zunehmende Zug der Erdanziehungskraft würde ihre Anflugbahn schließlich um die Erde herumkrümmen, doch der tiefste Bahnpunkt, das sogenannte Perigäum der An­ flughyperbel, würde weit außerhalb der Erdatmo­ sphäre liegen. Infolgedessen würde das Schiff dann einfach um die Erde herumschwingen, und zwar so weit draußen, daß es wegen des fehlenden Luftwider­ standes nicht an Geschwindigkeit verlieren konnte. Was würde dann geschehen? Sie würden also um die Erde herumfliegen, so wie ein Schlittschuhläufer in voller Fahrt nach einem Pfahl greift, um sich herum­ zuwirbeln und in entgegengesetzter Richtung weiter­ zusausen. Genauso würden sie um den Globus herum­ schwingen und wieder zur Mondbahn hinaustreiben. Doch der Mond wäre inzwischen irgendwo anders, und sie würden nicht zu ihm zurückkehren, sondern statt dessen weiter hinausfliegen, bis sie schließlich die Erdgravisphäre verlassen und zu einem weiteren künstlichen Planeten der Sonne würden. Freilich wäre das dann ein unbelebter Planet, denn seine beiden einzigen Bewohner wären nach etwa einer Woche aus Mangel an Luft und Essen gestorben. Das also stand ihnen bevor, wenn das fällige Korrek­ turmanöver nicht erfolgreich verlief. Sie mußten ihren Kurs so einrichten, daß sie tangential bis etwa 60 Ki90

iometer Höhe über Meeresniveau in die Erdatmo­ sphäre eintauchten. Aber was geschähe, wenn sie bei der Korrektur über das Ziel hinausschössen? Das wäre genauso katastro­ phal. Würden sie zu steil in die Erdatmosphäre ein­ dringen, konnten sie allenfalls damit rechnen, daß ein einsamer Jäger in Zentralafrika oder ein Fischer im Pazifik seinen Stammesgenossen erzählen würde, er habe einen ungewöhnlich hellen Feuerball aufleuch­ ten und hoch oben am nächtlichen Sternenhimmel ver­ glühen sehen. Sie mußten im richtigen Winkel in die Atmosphäre eintauchen, wenn sie weder verbrennen noch die rich­ tige Perigäumhöhe von 60 Kilometer verfehlen woll­ ten. John hatte sich schon früher entschlossen, die vierte Stufe für das bevorstehende Korrekturmanöver zu benutzen. Theoretisch war die vierte Stufe nach dem Start von der Mondoberfläche verbraucht. In Wirk­ lichkeit war sie es jedoch nicht ganz. Sie enthielt noch genügend Treibstoffe, um der fünften Stufe eine Ge­ schwindigkeitsänderung von etwa joo bis 650 Kilo­ meter in der Stunde erteilen zu können. John wollte jeden Tropfen Treibstoff der fünften Stufe für den Anflug zur Landung auf der Insel aufsparen. Drei Stunden vor dem Wiedereintauchen wurden die für das Korrekturmanöver erforderlichen Werte mit hinreichender Genauigkeit ermittelt. Das Lagekon­ trollsystem trat in Aktion, und das Schiff drehte sich, bis seine Nase in die angegebene neue Richtung 91

zeigte. Die Bodenratten hatten ausgerechnet, daß die Fluggeschwindigkeit in dieser Richtung um 206 Kilo­ meter in der Stunde geändert werden mußte, damit das Perigäum der Flugbahn in 60 Kilometer Höhe lag. Das Korrekturmanöver39 würde kurz und hart sein. Da die vierte Stufe fast leer und infolgedessen sehr leicht war (selbst mit der vollbeladenen fünften Stufe in ihrer Spitze), konnte ihr starkes Raketentriebwerk die erforderliche Geschwindigkeitsänderung von 206 Kilometer in der Stunde in weniger als einer Sekunde erzielen. Das Manöver würde also einen kurzen Ver­ zögerungsstoß von über 6 g ergeben. Für ihre nicht mehr an Gewicht gewöhnten Körper war das ein empfindlicher Schlag, doch John war gewillt, diesen Preis zu zahlen, um den kostbaren Treibstoff für spä­ ter zu sparen. »Fertig«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Fertig«, murmelte Larry und schloß die Augen. Der Stoß traf sie hart, war aber so rasch vorbei, wie er gekommen war. Nachdem sie wieder atmen konnten, erfuhren sie, daß die Erdratten mit dem Ergebnis zufrieden waren. Nach wenigen Minuten meldete das Radio, der tiefste Punkt ihrer Anflughyperbel, das Perigäum, würde nun 60 Kilometer über der Erde liegen. Die Zeit für das Abstoßen der vierten Stufe war ge­ kommen. John schaltete den Stromkreis für die Tren­ nung ein und legte schließlich den besonders gesicher­ ten roten Schalter herum. Die Sprengbolzen zünde­ ten, und zwei kleine Feststoffraketen zogen die leere 92

vierte Stufe von der fünften weg, damit die beiden Einheiten während des bevorstehenden Eintauch­ manövers nicht wieder Zusammenstößen konnten. Eingehend befaßte John sich nun mit den Wetterbe­ richten. Sie lauteten nicht günstig. Ihre erste Berüh­ rung mit der Atmosphäre würde zwar mit mehr als 2 5 facher Schallgeschwindigkeit weit über jedem Wet­ ter stattfinden, aber sobald diese Geschwindigkeit auf die eines gewöhnlichen Düsenflugzeugs gesunken war, mußten sie aus ioooo Meter Höhe mit Unterschall­ geschwindigkeit hinunter und schließlich mit dem kleinen schnellen Schiff antriebslos landen - auf einer 1500 Meter langen Landebahn mitten im Pazifik. Ihre Insel meldete eine Wolkendecke in 120 Meter Höhe und nur 600 Meter Sicht! 25 Minuten vor dem Perigäum drehte John das Schiff herum, so daß sie kopfüber flogen40. In dem noch im­ mer herrschenden Zustand der Gewichtlosigkeit än­ derte sich dadurch an Bord überhaupt nichts. Über seinem Kopf machte er, in helles Tageslicht getaucht, doch teilweise von Wolkenfeldern bedeckt, den Indo­ nesischen Archipel aus und einige Minuten später Neuguinea. »Wir müssen gleich auf die Atmosphäre treffen«, sagte Larry, als sie über dem Pazifik dahintrieben. »Dann bekommen wir es wieder mit der Hitzebarriere zu tun.« Der Radarhöhenmesser zeigte 110 Kilometer Höhe an, doch ihre Höhe nahm in jeder Minute um mehr als 3 Kilometer ab. 93

John hatte das an ein Flugzeug erinnernde Steuer vom Instrumentenbrett, wo es eingeklinkt gewesen war, gelöst. »Schnallen wir uns an«, sagte er über Sprechfunk. Während er prüfend das Steuer bewegte, beachtete er unablässig aufmerksam die Temperaturanzeige für die Flügelvorderkanten. Dann spürte er einen fast unmerklichen Widerstand. Einen Augenblick später hörte er draußen ein Zischen. Gleichzeitig begann die Temperaturanzeige zu klettern. Sie spürten eine geringe Verzögerung, wie jemand, der leicht auf die Bremse eines schnellen Wagens tritt. Dieses Gefühl wurde von Sekunde zu Sekunde stär­ ker. Mit zunehmender Kraft wurden John und Larry nach vorn gedrückt, gegen die haltenden Schutzgurte. Als die Galapagos-Inseln ins Blickfeld rückten, zeigte das Tachometer wie erwartet über 40000 Kilometer in der Stunde an, aber der Höhenmesser blieb auf etwa 66 Kilometer Höhe stehen. Das heißt, sie hatten das Perigäum 6 Kilometer höher erreicht, als die Bo­ denratten vorhergesagt hatten. Dodi die Abweichung bedeutete nicht viel. John be­ tätigte das Höhensteuer, um zu verhindern, daß das Schiff wieder hinaustrieb. Er versuchte es in eine zir­ kulare Flugbahn um die Erde zu zwingen; der Be­ schleunigungsmesser zeigte, daß John, um die beab­ sichtigte Höhe einzuhalten, beim Abfangen bis auf 1 g gehen mußte. Als sie kopfunter über Südamerika dahinschossen, kletterte die Temperatur der Tragflächen auf über 94

iooo Grad Celsius. Sie waren jedoch so konstruiert, daß sie es aushielten. Deshalb hielt John das Schiff stur in einer Höhe von 5 5 Kilometer, auf der er es zu­ letzt abgefangen hatte. Diese Höhe hielt er über den ganzen Atlantik hinweg ein. Währenddem verlor das Schiff ständig weiter an Geschwindigkeit41. 17 Minuten nach dem Perigäum erreichten sie Kamerun an der Westküste Afrikas. Die Sönne ging hinter ihnen unter, und erst jetzt merkten sie, daß sie friedlich mit weißglühenden Flügelvorderkanten und kirschroten Tragflächen da­ hinsegelten. Als sie durch die Scheiben auf die ebenfalls leuchtende Schiffsnase blickten, hatten ihre Gesichter vom Wider­ schein die Farbe alten Portweins. Die Wärmeisolie­ rung der Kabine und die leistungsfähige Klimaanlage hielten jedoch die Innentemperatur auf erträglichen 20 Grad Celsius. Während die Verzögerung des Schiffes unverändert blieb, schwand allmählich das Andrudegefühl des Ab­ fangens, woraus zu entnehmen war, daß ihre ur­ sprüngliche hyperbolische Geschwindigkeit nun auf Zirkulargeschwindigkeit zurückgegangen war. Die Zentrifugalkraft ihres rasenden Rundflugs um die Erde war so weit gefallen, daß sie die Anziehungs­ kraft der Erde nicht mehr überstieg. Mithin waren keine weiteren aerodynamischen Kräfte nötig, um das Schiff daran zu hindern, wieder aus der Atmosphäre hinauszuschießen. John drehte es nun herum, und sie setzten den Flug in normaler Lage fort. 9$

Schließlich begann die Temperatur langsam zu fallen. Knapp 30 Minuten, nachdem die Sonne hinter ihnen im Westen untergegangen war, erblickten sie vor sich im Osten eine helle, sichelförmige Fläche, die sich rasch nach beiden Seiten ausdehnte. Sie flogen in die Dämmerung. Und tatsächlich - da war auch wieder, ganz planmäßig, Neuguinea42. Die unaufhörlich redenden Bodenstationen bestätig­ ten, daß Geschwindigkeit, Position und Höhe des Schiffes völlig in Ordnung waren und sie eine hervor­ ragende Chance hätten, ihre Insel zu erreichen. Zehn Minuten vor der planmäßigen Landung, bei einer Geschwindigkeit von nur noch 7300 Kilometer in der Stunde, bekam Larry die Radiostation der In­ sel herein. Das Wetter war ein wenig besser gewor­ den, und die Insel meldete jetzt Wolkendecke in 200 Meter Höhe und immer noch knapp 1500 Meter Sicht. In 10000 Meter Höhe, direkt über dem Stützpunkt, sank ihre Geschwindigkeit unter die Schallgrenze. Von nun an war die Landung eine Routineangelegen­ heit für einen erfahrenen Piloten. Ihr Flugzeug hatte nur begrenzte Treibstoffreserven für einen eventu­ ellen zweiten Anflug. Noch über den Wolken fuhr John Landewerk und Landeklappen aus. In 600 Meter Höhe steuerte er in die Suppe, um nach den Instrumenten zu landen. Als sie aus den Wolken tauchten, waren sie bereits über dem Atoll, und die Landebahn lag in etwa 500 Meter Entfernung genau vor ihnen.

Wenige Augenblicke später kam die Maschine am Ende der Landebahn zum Stehen. Da sich der Raketenmotor kaum zum Rollen auf der Piste eignete, warteten sie auf den Trecker, der sie zur Rampe schleppen sollte. Doch statt des Schleppers sahen sie erschrocken eine ganze Armada von Wagen über den Platz heranbrau­ sen. Nach einer Minute war das kleine Flugzeug von einer lärmenden, jubelnden Menschenmenge umringt. »Die Leute auf diesem Planeten scheinen verrückt zu sein«, sagte Larry. »Laß uns ausreißen und zum Mond zurückfliegen!«

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ANMERKUNGEN

i Die Rakete ist ein Fortbewegungsmittel, das von jedem umgebenden Medium unabhängig ist. Das Treib­ stoffgemisch liefert sowohl die Energie als auch die für den Rückstoß nötige Abstützmasse. Je nach den zur Verwen­ dung gelangenden Treibstoffen unterscheidet man heute zwei Typen: Flüssigkeits- und Feststoffraketen. Flüssigkeitsraketen werden durch den Strahl heißer Ver­ brennungsgase angetrieben, der durch die chemische Ver­ bindung eines flüssigen Treibstoffes (z. B. Alkohol) mit einem Oxydationsmittel (z. B. flüssiger Sauerstoff) ent­ steht. Es gibt zwei Arten von Flüssigkeitsraketen: bei der einen wird der Treibstoff durch Druck in die Verbren-

Abb. i zeigt die schematische Darstellung eines Raketen­ motors, bei dem der flüssige Treibstoff durch komprimierte Gase (z. B. Druckluft) in den Verbrennungsraum geför­ dert wird. Abb. 2 zeigt eine schematische Darstellung der Hauptbe­ standteile eines Raketenmotors mit Pumpenförderung, bei dem sowohl der flüssige Treibstoff als auch der Oxydator durch Pumpen in die Brennkammer gefördert· werden. Flüssigkeitsraketen haben Feststoffraketen gegenüber den Vorteil, daß sie länger brennen und daß der Brennvorgang IOI

Abb. 2

Treibstoff

Raketenmotor mit Pumpenförderung

Abb. 3

Schema einer Feststoffrakete

Brennkammer

Durchbohrte Trennplatte

Elektrische Zündvorrichtung

Abb. 4

Schema einer Atomrakete

Treibmittelpumpe

Reaktorgehäuse

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unterbrochen werden kann, d. h., die Verbrennung kann zum Stillstand gebracht und wieder in Gang gesetzt wer­ den. (Der Rückstoß der Raketen wird auf S. 107 erörtert.) Eine schematische Darstellung der wichtigsten Bestandteile einer Feststoffrakete zeigt Abb. 3. Feststoffraketen (wie z. B. die »Polaris« der US-Marine) sind in Aufbau und Ar­ beitsweise einfach, doch ist ihre Brenndauer kürzer und der Verbrennungsvorgang kann nicht unterbrochen werden. Die Grundbestandteile einer durch Atomkraft angetriebe­ nen Rakete sind schematisch in Abb. 4 dargestellt. Der­ artige Raketen sind zur Zeit noch nicht betriebsfähig.

Abb. 5 Start vom Pol in Richtung der Erdachse zur Vermeidung der Strahlungsgürtel

3 Die Kraft >g< ist eine Maßeinheit für die Beschleuni­ gung (und Verzögerung). Beschleunigung ist der Geschwin­ digkeitszuwachs in der Zeiteinheit. Geschwindigkeit ist der in der Zeiteinheit zurückgelegte Weg. Ein frei fallender Körper fällt in einem Vakuum auf der Erdoberfläche mit einer Beschleunigung von 9,8 Meter pro Sekunde. Diese Maßeinheit für die normale Kraft der Erd­ anziehung wird ein >g< (von lateinisch »gravitatio«) ge­ nannt. 103

Wird die Beschleunigung verdoppelt, dann wird auch die Kraft g verdoppelt. So empfindet ein 75 Kilogramm schwerer Mensch, der mit zwei g beschleunigt wird, ein Gewicht von 150 Kilogramm bzw. das Doppelte seines normalen Gewichtes.

Mit Hilfe einer Zentrifuge kann die gleiche Wirkung wie von Gravitationskräften erzielt werden. Ein Pilot in der Gondel wird am Ende des Zentrifugenarmes herumgewir­ belt. Im Meßstand M sitzen Techniker mit Kontroll- und Beobachtungsinstrumenten (Abb. 6).

4 In der Übungskammer für Astro-Navigation steuert der Pilot von der kleinen innersten Hohlkugel aus, die eine genaue Nachbildung der in der fünften Stufe des Mond­ fahrzeuges befindlichen Beobachtungskuppel (Astrodom) ist. Die innere der beiden dazu konzentrischen Hohlkugeln ist perforiert (Abb. 7), und zwischen den beiden Hohl­ kugeln sind starke Lichtquellen angebracht. Das Licht, das durch die Tausende von kleinen Löchern fällt (die in Über­ einstimmung mit den Sternbildern angeordnet sind), ver­ mittelt dem Navigator den Eindruck, vom sternenbedeck­ ten Himmel umgeben zu sein. Mond, Sonne und Planeten werden mit Hilfe von Projektoren, ähnlich den in den Planetarien verwendeten, auf die innere Kugel geworfen. Ein Abbild der Erde kann von unten auf die Trennwand projiziert werden, die sich zwischen oberer und unterer Hemisphäre befindet. Die Navigationsaufgaben werden über eine Schalttafel gegeben. 104

Abb. 7 AstronavigationsTrainer

$ Bewegt sich ein Fahrzeug horizontal oberhalb der Erdatmosphäre mit einer Geschwindigkeit, bei der Zen­ trifugalkraft und Schwerkraft sich aufheben, dann be­ findet sich dieses Fahrzeug >in der Kreisbahn« und wird die Erde unaufhörlich umrunden. Da die Schwerkraft mit zunehmender Entfernung von der Erde abnimmt, wird für eine höhere Kreisbahn nur eine geringere Gesdiwindigkeit nötig sein. Die Schwerkraft zwingt den kreisenden Körper in gleicher Weise in eine Kreisbahn, wie der Draht am »Hammer« eines Hammerwcrfes mit seiner Festigkeit der Zentrifugalkraft des kreisenden »Hammers« entgegen­ wirkt und ihn am Fortfliegen hindert. 6 »X« oder »X minus Null« wird der Augenblick ge­ nannt, in dem das Raketentriebwerk der ersten Stufe des Raumschiffes gezündet wird. Ihm geht das ermüdende, aber lebensnotwendige »Countdown« (das Herunterzählen) voraus. Das Countdown mag bis zu vier, sogar bis zu acht Stunden dauern und ist ein sorgfältiges, Minute um Minute festgelegtes Verfahren, durch das die zahlreichen Organe des Raumfahrzeuges in ihrer Funktion überprüft werden. Während der letzten Minute vor dem Start drängen sich so viele Tests und Kommandos, sowohl im Raumschiff als auch in der Bodenstation, zusammen, daß das Countdown im Zählen der Sekunden ausläuft.

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Abb. 8

Startbereite Rakete,dahinter der Montageturm (Gantry) mit seinen Arbeitsbühnen

Während dieser umfassenden Vorbereitungen wird die Ausrüstung vervollständigt, der Treibstoff getankt, der gigantische Montageturm (vgl. Abb. 8: er besitzt eine An­ zahl von Plattformen [Arbeitsbühnen], von denen aus die 106

Countdown-Mannschaft Zugang zu sämtlichen Teilen des Raumschiffes hat) wird weggerollt und das Startgelände schließlich von allem Personal geräumt. Stellen sich Schwierigkeiten ein, so kann der CountdownLeiter im geschützten Blockhaus anordnen: »Halt bei X minus 120 Minuten.« Nachdem der Schaden behoben worden ist, wird das Countdown entweder «wieder auf­ genommen« oder etwa auf X minus 150 Minuten zu­ rückgeschaltet, wenn einige der schon früher abgewickel­ ten Vorgänge auf Grund der Verzögerung wiederholt werden müssen. 7 Der «automatische Sequenzer« ist eine vollautoma­ tische Schalttafel, die dafür sorgt, daß der nächste Schritt im Ablauf derStartvorbereitungen nur dann erfolgt, wenn alle vorhergehenden Schritte des gesamten Verfahrens er­ folgreich waren. Falls irgendein Ergebnis in der vorge­ sehenen Zeitspanne nicht erzielt wird, dann bricht der Sequenzer den Startversuch ab und schaltet das Startver­ fahren in ein Stadium gesicherter Ergebnisse zurück. Automatische Sequenzer tragen in hohem Maße zur Sicher­ heit des Startvorganges bei, weil sie helfen, menschliches Versagen in den letzten Sekunden zu verhindern, wenn die Schaltfolge beschleunigt abläuft und die Spannung unter der Bedienungsmannschaft ihren Höhepunkt er­ reicht. 8 Eine Rakete wird durch die hohe Gesdiwindigkeit, mit der Gase rückwärts ausgestoßen werden, angetrieben (diese Gase werden durch die Verbrennung von Treib­ stoffen erzeugt, die in der Rakete mitgeführt werden). Der Antrieb wird nicht dadurch erzielt, daß die ausgestoßenen Gase gegen die Atmosphäre drücken; tatsächlich funktio­ niert eine Rakete wirkungsvoller im luftleeren Raum. Man kann jedes Gasmolekül, das die Düse verläßt, mit einem Geschoß vergleichen, das den Gewehrlauf verläßt. Es erzeugt einen geringen Rückstoß. Die Millionen gerin­ ger Rückstöße erzeugen zusammen die «Schubkraft« der Rakete. 107

Nachdem die Motoren einer Rakete gezündet worden sind, verleihen sie durch ihre Schubkraft dem Fahrzeug schließ­ lich eine bestimmte Geschwindigkeit. Die Geschwindigkeit, die eine Rakete bei Brennschluß erreicht, kann mit jener verglichen werden, welche ein Geschoß in dem Augenblick besitzt, in welchem es die Mündung des Rohres verläßt. Ebenso wie das Geschoß wird die Rakete von da an, wenn kein weiterer Antrieb erfolgt, einen geradlinigen Kurs ein­ schlagen, es sei denn, daß hemmende Kräfte, wie z. B. die Schwerkraft oder der Luftwiderstand oder ein weiteres, mit eigener Kraft ausgeführtes Manöver, ihren Kurs än­ dern. Der Schub eines Raketenmotors wird in Kilogramm oder Tonnen, nicht in Pferdestärken, ausgedrückt. Da un­ ser Raumschiff lotrecht startet, muß die gesamte Schub­ kraft der Raketentriebwerke beim Start größer sein als das Startgewicht des Raumschiffes. Die Anfangsgeschwin­ digkeit, die unser Raumschiff für den Hinflug zum Mond benötigt, beträgt 10,8 Kilometer pro Sekunde (etwa j8 880 Kilometer pro Stunde). Dies kommt der sogenann­ ten »Fluchtgeschwindigkeit (11,2 km/sec) nahe, der Ge­ schwindigkeit, die benötigt wird, um sich dauernd dem Bereich der Erdahziehung zu entziehen. Es ist nicht praktisch, Raketen zu bauen, die mit einem ein­ zigen Schub die Fluchtgeschwindigkeit erreichen. Daher besitzt unser Raumschiff die Form einer mehrstufigen Ra­ kete. Genauer gesagt ist es eine fünfstufige Rakete. Jede Stufe besitzt ihren eigenen Treibstoff, und jede beschleu­ nigt ihrerseits die oberste Stufe, in welcher die beiden Pi­ loten sich befinden. So wird das Gesamtgewicht ständig dadurch verringert, daß die nach Verbrauch ihres Treib­ stoffvorrates leeren Stufen abgeworfen werden. In Abb. 9 sind die fünf Stufen eines Raumschiffes darge­ stellt. Nach dem Start liefern die erste, zweite und dritte Stufe, die nacheinander gezündet werden, die Anfangs­ geschwindigkeit, die benötigt wird, um das Raumschiff dann antriebslos bis zum Mond fliegen zu lassen. Die erste und zweite Stufe fallen nach Brennschluß ab. Der Treib­ stoffvorrat der dritten Stufe wird während des Aufstiegs nicht völlig verbraucht. Deren Triebwerke werden daher 108

5. Stufe

5 Stufe

4. Stufe (zusammen mit der 3. Stufe) Mond

12 Stufe

Stufei

Abb. 9

Schema einer $ stufigen Rakete

in Mondnahe, die Düsen gegen die Mondoberfläche ge­ richtet, neuerlich gezündet, um den Fall abzubremsen. Mit Hilfe der vierten Stufe wird vom Mond gestartet, um zur Erde zurückzukehren. Die fünfte Stufe ist eine mit Trag­ flächen versehene flugzeugähnliche Konstruktion für den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre bei einer anfäng­ lichen Geschwindigkeit von etwa 40000 Kilometer pro Stunde. In einem weit ausholenden gebremsten Gleitflug durch die Atmosphäre erreicht die fünfte Stufe schließlich eine Geschwindigkeit, die unter der des Schalles liegt, wor­ auf sie wie ein Segelflugzeug auf dem Boden aufsetzen kann.

9 Während des Aufstieges von der Erde tragen die Ra­ ketentriebwerke der ersten Stufe das Raumschiff auf eine Höhe von 64 Kilometer. Nach 120 Sekunden — die Flug­ bahn hat inzwischen einen Winkel von etwa 45 Grad an­ genommen — ist die erste Stufe ausgebrannt. Sie wird dann mit Hilfe von Sprengbolzen gelöst und abgeworfen. Die 109

Abb. io Start der Rakete zum Mond

Triebwerke der zweiten Stufe arbeiten 160 Sekunden lang, ehe sie in einer Höhe von 131 Kilometer ausbrennen, von wo die zweite Stufe dann zurückfällt. Die Raketentrieb­ werke der dritten Stufe brennen 100 Sekunden, bis in einer Höhe von etwa 192 Kilometer und in einem sehr flachen Winkel aufsteigend das Raumschiff seine Endgeschwindig­ keit von 10,8 Kilometer pro Sekunde erreicht. Das Fahr­ zeug hat nun eine genügende Geschwindigkeit, um, ohne weiter angetrieben zu werden, bis zum Mond zu »schwe­ ben«. Die dritte Stufe bleibt an die vierte und fünfte ange­ schlossen und enthält noch genug Treibstoff für das Brems­ manöver bei der Landung auf dem Mond (vgl. Abb. 10).

110

10 Das Gefühl der Schwere ist das Ergebnis einer Ner­ venempfindung, die dadurch .hervorgerufen wird, daß Teile des menschlichen Körpers auf ihre Unterlage drücken. Wenn diese Unterlage beseitigt wird, muß das Gefühl der Schwere aufhören. So wird ein Mensch, der sich in einem frei fallenden Aufzug befindet, keine Schwere empfinden, da er der Erdanziehung ebenso folgt wie der Aufzug, der ihn umgibt. Das gleiche gilt für ein Fahrzeug, das antriebslos durch den luftleeren Weltraum schwebt. Ganz gleich, ob dieser freie Flug sich innerhalb des Gravitationsfeldes der Erde, des Mondes oder der Sonne abspielt, werden das Raum­ schiff ebenso wie sein Insasse dem Zug der Gravitation folgen, in deren Feld sie sich gerade befinden. Dies wird als »dynamische Gewichtslosigkeit« bezeichnet.

11 Die Besatzung kann die Lage des Fahrzeuges im Raum willkürlich verändern, während es sich in seiner an­ triebslosen Trägheitsbahn bewegt. So mag das Fahrzeug relativ zur Erde auf dem Kopf stehen, auf der Seite liegen oder ihr die Unterseite zuwenden, ohne die Geschwindig­ keit oder Flugrichtung zu verändern. Im Weltraum wird eine Lageveränderung durch Schwungräder innerhalb des Fahrzeuges bewirkt, deren Achsen in den drei Hauptrich­ tungen aufeinander senkrecht stehen. Die Drehung der Schwungräder (Steuerkreisel) bewirkt eine gleiche, aber entgegengesetzte Bewegung des Raum­ fahrzeuges. Diese Reaktion des Drehmomentes der Steuer­ kreisel bringt also das Raumschiff in jede gewünschte Lage.

12 Der Mond, der einen Durchmesser von 3476 Kilo­ meter hat, bewegt sich in einer mittleren Entfernung von 384403 Kilometer mit einer mittleren Geschwindigkeit von 1,023 Kilometer pro Sekunde (3673 km/h) in rund */s 27 Tagen um die Erde. Er dreht sich in dieser Zeit ein­ mal um seine eigene Achse, so daß wir von der Erde aus seine Rückseite niemals sehen können. Die Erde, deren Durchmesser etwa 12750 Kilometer be­ trägt, bewegt sich mit etwa 107000 Kilometer pro Stunde III

(29,8 km/sec) durch den Weltraum und umkreist in 365’/« Tagen einmal die Sonne. Gleichzeitig rotiert sie einmal innerhalb von 24 Stunden mit einer Geschwindig­ keit (am Aquator) von 46$ Meter pro Sekunde um ihre eigene Achse. Das Mondfahrzeug startet in östlicher Rich­ tung, um die Umlaufgeschwindigkeit des Startplatzes so gut wie möglich auszunutzen. Die Sonne, deren Durchmesser 1 390000 Kilometer be­ trägt und die im Mittel 149 */· Millionen Kilometer von der Erde entfernt ist, dreht sich etwa einmal im Monat um ihre eigene Achse. Das gesamte Sonnensystem bewegt sich bei seinem rasenden Flug durch den Weltraum einmal in etwa 200000 Jahren um das Zentrum unseres Sternsystems, der Galaxis, des Milchstraßensystems. Da das gesamte Univer­ sum sich in Bewegung befindet, wird das Raumschiff von einer sich schnell bewegenden Basis gegen ein sich ebenfalls schnell bewegendes Ziel gestartet. Die Flugbahn und der >Fahrplan< müssen daher genau festgelegt werden. 13 Im Telemetersystem werden physikalische und tech­ nische Meßdaten gewonnen, in elektrische Impulse ver­ wandelt und auf dem Funkwege den Bodenstationen über­ mittelt. Diese verwandeln ihrerseits die so erhaltenen Im­ pulse wiederum in verständliche Angaben. Ein »Transducer«, der entweder an ein Meßinstrument auf der Schalttafel oder an eine parallel geschaltete Kontroll­ einrichtung angeschlossen ist, verwandelt die Meßergeb­ nisse in elektrische Signale. Im »Verschlüsseler« werden die zahlreichen, so erhaltenen Impulse auf eine Reihe von Fre­ quenzen aufmoduliert, und diese werden über die Sende­ anlage der Bodenstation übermittelt. Zur Erzielung einer Richtwirkung und Bündelung dient eine Spiralantenne. Die aufgenommenen Signale werden einem »Entschlüsse­ ler« zugeleitet, der mit Hilfe von Resonanzkreisen die ein­ zelnen Frequenzen aussortiert. Auf diese Weise werden die gesamten Informationen »entwirrt« und die einzelnen im Raumschiff gewonnenen Meßergebnisse identifiziert und dann an die entsprechenden Auswertungs- und Aufzeich­ nungsinstrumente weitergeleitet.

112

Um die Möglichkeit zu schaffen, den Entschlüsselungsvor­ gang zu wiederholen oder um ein Duplikat der verschlüs­ selten Aufzeichnungen zu erhalten, können die ursprüng­ lichen Signale auch auf Tonband gespeichert und dann dem »Entschlüsselgerät« beliebig oft zugespielt werden. 14 Außer über die verhältnismäßig einfachen Tele­ meter-Empfangsanlagen, mit denen das Raumschiff mit der Erde in Verbindung steht, solange es sich noch in mäßiger Entfernung befindet, wird die Verbindung auch über mehrere Bodenstationen hergestellt, die mit riesigen drehbaren parabolischen Antennen ausgerüstet sind (Abb. 11). Diese sorgen für eine verläßliche Verbindung auf große Entfernungen und selbst dann noch, wenn das Raumfahrzeug bereits auf dem Mond gelandet ist, ohne daß größere Scndecnergien nötig sind. Auf Grund der Erdrotation werden für den ununterbrochenen Kontakt mit dem Raumschiff verschiedene derartige Stationen, die sich wie ein Gürtel um die Erde ziehen, benötigt. Diese Abb. 11

Parabolische Antenne

Abb. 12 Sonnenbatterien

weitreichenden Radiostationen können über ihre Antenne senden, empfangen und die Funksprech-, Fcrnschreib- und Fernsehverbindung mit dem Raumfahrzeug aufrechter­ halten. Radarsignale, mit denen das Raumschiff angepeilt wird, ermöglichen der Bodenstation, die Zeit zu bestimmen, die ein Impuls vom Augenblick der Ausstrahlung bis zu seiner Rückkehr braucht. Da Radarimpulse sich mit Lichtge­ schwindigkeit bewegen (jooooo Kilometer pro Sekunde), kann ihre Reisezeit unmittelbar zur Bestimmung der Ent­ fernung des Raumschiffes von der Bodenstation dienen. Der sogenannte Dopplereffekt kann dazu benutzt werden, die Geschwindigkeit festzustellen, mit der sich das Raum­ schiff von der Bodenstation entfernt oder sich ihr nähert. Auf diese Weise können also solche Bodenstationen mit großer Reichweite das Raumschiff verfolgen und wert­ volle Hilfe bei der Navigation leisten. «Μ

i$ Sonnenbatterien (das sind mit zahlreichen Zellen versehene Platten, auf die besonders behandeltes Silizium aufgetragen ist; Silizium ist der Hauptbestandteil ge­ wöhnlichen Sandes) sind an der Außenseite des Raum­ schiffes derart angebracht, daß eine ausreichende Zahl von ihnen jederzeit den Sonnenstrahlen ausgesetzt ist. In diesen Sonnenbatterien wird Licht unmittelbar in Elek­ trizität umgewandelt. Diese wird in Nickel-CadmiumAkkumulatoren gespeichert, die den Vorteil geringen Ge­ wichtes haben. So kann man für eine kurze Zeit erheblich mehr elektrische Energie verbrauchen, als momentan von den Sonnenbatterien geliefert wird (vgl. Abb. 12). 16 Die in der Anweisung für den Notfall vorgeschrie­ bene annähernde Flugbahn ist in Abb. 13 dargestellt. Bei der Hinreise zum Mond würde das Raumschiff (A) den Mond (A1) in geringer Entfernung passieren. Beim Punkt B gelangt das Mondschiff an den erdfernsten Punkt seiner elliptischen Flugbahn, .das Apogäum. Hier erreicht seine Geschwindigkeit ein Minimum, und der freie Fall zurück zur Erde beginnt. Wenn das Raumschiff aber zum Punkt C gelangt ist, befindet sich der Mond bereits bei C1. Bei Punkt D tritt die mit Tragflächen versehene oberste Stufe des Raumschiffes (nachdem einige Stunden vorher ein ge­ naues Einschwenkmanöver vorgenommen worden ist) wie­ der in die Atmosphäre der Erde ein, und zwar zunächst unter einem Winkel von nur wenigen Graden und mit einer Geschwindigkeit von annähernd zehn Kilometer pro Sekunde. Der Luftwiderstand vermindert allmählich diese Geschwindigkeit, bis eine Landung im Gleitflug mög-

Abb.

ij

Annähernde Flugbahn um den Mond

17 Abb. 14 zeigt die bemannte fünfte Stufe. Auf der Skizze nicht beschriftet sind: A die elektronische Rechen­ maschine zur Kontrolle der Steuerung, B und C Notbe­ hälter für flüssigen und unter hohem Drude stehenden Sauerstoff, D und E sind Tiefkühlbehälter. Kombüse und Kochgeräte befinden sich direkt hinter dem Sitz des Navi­ gators. Die Sitze der Piloten sind auf schwenkbaren Rollwagen montiert, die auf Schienen laufen (welche auch als Unter­ stützung dienen). Während das Raumschiff sich auf dem Mond befindet, nimmt es eine vertikale Lage ein, und die Piloten müssen imstande sein, aufrecht zu sitzen. Die Bedienung des komplizierten Steuermechanismus ge­ schieht großenteils automatisch, doch können die Piloten jederzeit die Kontrolle selbst übernehmen. Die genauen Berechnungen der gewünschten Mond-ErdFlugbahn werden im voraus durchgeführt und die Ergeb­ nisse auf einem Band gespeichert. Da die tatsächliche Flug­ bahn des Raumschiffes wahrscheinlich nicht genau der vor­ ausberechneten entspricht, müssen während des freien Flu­ ges Korrekturen in Form kurzer Antriebsmanöver vor­ genommen werden, damit das Raumschiff dem festgeleg­ ten Kurs folgt. Die jeweilige Position des Raumschiffes auf der vorausbe­ rechneten Flugbahn wird durch optische, halbautomatische Himmelsnavigation, durch Radiopeilung von den Boden­ stationen aus und durch die Übermittlung der Peilergeb­ nisse an das Raumschiff festgestellt. Die Übereinstimmung zwischen der tatsächlichen Position des Raumschiffes und der vorausbestimmten Flugbahn wird ständig auf den beiden Bildschirmen des Flugbahnüberwachers festgestellt. Ein Schirm zeigt die Abweichungen nach rechts und links, der andere die nach oben und unten. Die Werte der Abweichungen werden der Speichereinrich­ tung einer elektronischen Rechenmaschine zugeführt und bei der genauen Bestimmung der vorzunehmenden Kor­ rekturmanöver berücksichtigt. Die Tragflächen und aerodynamischen Steuerflächen der fünften Stufe werden nur während des Wiedereintretens

116

in die Atmosphäre und des darauf folgenden Gleitfluges benutzt. Zunächst müssen die Tragflächen negativ (nach unten) wirken, um das Raumschiff daran zu hindern, wie­ der aus der Atmosphäre auszubrechen. Später, nachdem die Bremswirkung die hohe Anfangsgeschwindigkeit ver­ mindert hat, wird positiver (nach oben gerichteter) Auftrieb benötigt, um das Raumschiff daran zu hindern, zu schnell in die dichteren Schichten der Atmosphäre einzudringen, wo die aerodynamische Erhitzung zu stark sein würde. Ein stumpfer Nasenkegel und stumpfe Vorderkanten der Tragflächen und Steuerorgane tragen wirkungsvoll dazu bei, zu starke Erhitzung zu vermeiden.

18 Auf der Erdoberfläche sind wir immer von der Atmosphäre eingehüllt, die uns gleich einer Decke umgibt. Wenn wir sagen, daß es heiß oder kalt ist, dann meinen wir, daß die Luft, die uns umgibt, heiß oder kalt ist. Im luftleeren Raum gibt es keine derartige Decke; es ist daher sinnlos, zu sagen, der Weltraum sei heiß oder kalt. Ein Objekt, das sich im Weltraum bewegt,- wie zum Bei­ spiel unser Raketenschiff, wird eine bestimmte Temperatur annehmen, die sich wiederum stark auf die Temperatur in der Druckkabine des Raumschiffes auswirken wird. Der einzige Faktor, der die Temperatur des Raumschiffes be­ stimmt, ist das Verhältnis zwischen der hauptsächlich von der Sonne stammenden Einstrahlung und dem Wärmever­ lust durch Abstrahlung. Dieses entscheidende Verhältnis wird hauptsächlich durch die Art des Oberflächenanstrichs des Raumschiffes bestimmt. Weiße oder helle Farben reflektieren die Sonnenstrahlung, dunkle absorbieren sie. Auf der Schattenseite halten weiße Oberflächen die eigene Wärme des Raumschiffes zurück, während schwarze Oberflächen sie abstrahlen. Daher kann man in gewissen Grenzen durch thermostatisch gesteuerte bewegliche weiße Jalousien, welche die darunter befind­ liche schwarze Oberfläche bedecken, die Temperatur des Raumschiffes regulieren. Der Satellit »Explorer I< hatte einen mattschwarzen An­ strich, der mit weißen, aus Zirkonoxyd bestehenden Strei”7

Automatischer

|

S,,U,"Z"HoUpld.d· (dorun.., iBehalter)

und

licherbotterien Automatischer Flugbohnüberwocher

Rückspiegel Fernsehbildschirm

Zweites Armaturenbrett Darunter Steuer Vorrichtung für Normalflug

Fernsehbildschirm Kontroll Instrumente am Sitz des Piloten Luftkanäle und Röhren "

Ultraviolette Leuchten, ' Nebeltöpfe

einrichtung

Schienen des Sitzes Lufterneuerungs­ system

Halb­ automatischer Theodolit des Navigators

Wasserregenerierung

des Navigators

18

Stumpfer keramischer · Nosenkegel

·

Atomreoktor

Dampferzeuger

,ΛΪλ, Temperaturregelung durch thermostotisch gesteuerte schwarze und weiße Jalousie (Außenseite)

Fahrgestell für die Landun Thermometer’' Seitenruder

Sonnenzellen

Hauptkabine

Höhenruder

Tragfläche: stumpfe Vorderkante

Abfallbeseitigung

Landekufen

Turbopumpe

Abb. 14

Die bemannte fünfte Stufe des Raumschiffes

119

fen abwechselte. Das Verhältnis zwischen den schwarzen und weißen Flächen war so gewählt, daß es für die emp­ findlichen Instrumente im Inneren des Satelliten eine er­ trägliche Temperatur garantierte. 19 Aus Gründen der Zweckmäßigkeit ist die Erde in 24 Zeitzonen unterteilt. Da die Erde in 24 Stunden eine volle Umdrehung um 360 Grad macht, müssen die Mittel­ punkte zweier benachbarter Zeitzonen (zwischen denen die Zeitdifferenz genau eine Stunde beträgt) um 15 Län­ gengrade auseinander liegen (360 geteilt durch 24). New York (USA) liegt etwa 75 Längengrade westlich von Greenwich (England). So ist es in New York sieben Uhr morgens Ortszeit, wenn es in Greenwich, fünf Zeitzonen weiter östlich, bereits zwölf Uhr mittags ist. Wer von Greenwich nach New York reist, muß seine Uhr nach und nach um fünf Stunden zurückstellen, während er die je­ weiligen Zeitzonen passiert (vgl. Abb. 15).

120

Einem internationalen Abkommen zufolge verläuft der Längengrad Null durch das Königliche Observatorium in Greenwich. Um seine Tätigkeit zu vereinfachen und Miß­ verständnisse auszuschalten, benutzt der auf See, in der Luft oder im Weltraum befindliche Navigator stets die mittlere Zeit von Greenwich, ganz gleich, wo er ist. »ooo j Greenwich-Zeit« bedeutet für den Navigator fünf Minu­ ten nach Mitternacht (die ersten beiden Stellen bedeuten Stunden, die beiden hinteren Stellen bedeuten Minuten). Mitternacht wird als »2400« oder »0000« bezeichnet. Zeit­ angaben in astronomischen Ephemeriden (Planeten- und Sterntafeln) werden ebenfalls in Greenwich-Zeit (Welt­ zeit) gegeben. 20 Zur Festlegung der Flugbahn unserer Mondrakete dienen hauptsächlich Radio und Radar, aber auch der ster­ nenübersäte Himmel, der den Raumreisenden umgibt, bie­ tet ideale Möglichkeiten zur Überprüfung der durch Funk­ peilung erlangten Daten. Verglichen mit der Entfernung der Fixsterne ist die Distanz des Mondes viel zu gering, als daß sich während einer Fahrt zum Mond eine merkbare Verschiebung der Stellung selbst der nächsten Fixsterne gegenüber weiter entfernten Fixsternen ergeben könnte. Die Stellung der Erde und des Mondes gegenüber dem Hintergrund der Sterne, wie sie von der Mondrakete aus erscheint, ändert sich während der Reise erheblich. Da­ durch, daß für einen bestimmten Zeitpunkt der Winkel­ abstand des Mittelpunktes der Mondscheibe von einem bestimmten Fixstern vorausberechnet wird und diese Da­ ten dann mit zur gegebenen Zeit ausgeführten Messungen verglichen werden, kann die Abweichung des Raumschiffes von der vorbestimmten Flugbahn leicht festgestellt wer­ den. Gegen Ende der Reise zum Mond wird der Durch­ messer der Mondscheibe scheinbar schnell größer werden. Die Beobachtung von Fixsternbedeckungen durch den Mondrand und der Vergleich der Meßergebnisse mit den vorausberechneten Daten stellt eine besonders genaue Me­ thode zur Feststellung der Flugbahn dar, auf der das Raum­ schiff den Landepunkt auf dem Mond anfliegt. 121

2i Die Träger von Radiosignalen sind elektromagne­ tische Wellen. Anders als Schallwellen, die für ihre Verbrei­ tung auf Luft angewiesen sind, können sich elektromagne­ tische Wellen auch in einem Vakuum ausbreiten. Die Wel­ len entstehen durch eine besonders schnelle Elektronen­ schwingung im Schwingungskreis des Senders. Wenn dieser Wellenlönge

Frequenz (Anzahl der Schwingungen pro Sekunde)

Abb. 16 Wellenlänge und Frequenz

hochfrequente Wechselstrom in eine Antenne geleitet wird, erzeugt er Schwankungen der elektrischen und magne­ tischen Felder im Raum um die Antenne. Diese Änderun­ gen der Feldstärke breiten sich wellenförmig nach allen Richtungen aus. Mit geeigneten Empfangsgeräten können sie selbst in großen Entfernungen aufgenommen werden.

wwww Unmodulierte Trägerwelle

Modulation

Modulierte Welle

Abb. 17 Unmodulierte und modulierte Welle

Eine Welle, ganz gleich, ob es sich um eine Meereswelle oder um eine elektromagnetische Welle handelt, hat drei Eigenschaften, durch die sie deutlich bestimmt werden kann: 1. »Amplitude« oder Schwingungsweite, 2. »Wellen­ länge« oder Entfernung zwischen zwei aufeinanderfolgen­ den Wellenbergen, 3. »Frequenz« oder Anzahl der Schwin­ gungen (Wellen) pro Sekunde. Eine elektromagnetische Welle für sich genommen ist nur ein Signalträger. Sie übermittelt nur das, was der Sender ausstrahlt. Jedodi können durch »Modulation« der Welle Töne oder Signale übermittelt werden. 122

Zur Übermittlung von Nachrichten wird die Trägerwelle durch Änderung ihrer Amplitude, ihrer Frequenz oder auch der Phase im Sender moduliert. Bei der Übermittlung der Sprache zum Beispiel wird die Trägerwelle im Rhyth­ mus der Schallwellen der menschlichen Sprache moduliert. Abb. 17 zeigt das Prinzip der Amplitudenmodulation (AM). 22 Ein Gyroskop besteht im Prinzip aus einem ausge­ wogenen Rotor, der sich schnell um eine kardanisch auf­ gehängte Achse dreht. Das Drehmoment, das durch die rasche Drehung entsteht, setzt einem Richtungswechsel der Achse einen Widerstand entgegen; im Idealfall behält der kardanisch aufgehängte Rotor seine ursprüngliche Orien­ tierung im Raum für alle Zeiten bei. Die Kreiselsteueranlage ist eine Einrichtung, die automa­ tisch die gewünschte Stellung des Raumschiffes überwacht und einhält. Kleine Steuerdüsen, eventuell auch im Verein mit Steuerkreiseln, treten in Aktion, sobald eine Abwei­

chung der Achse des Raumschiffes von der ursprünglichen Einstellung der Kreiselsteuerung stattfindet. Die ge­ wünschte Stellung kann während der verschiedenen Pha­ sen des Fluges verschieden sein. Zum Beispiel soll sich wäh-

123

rend des Landemanövers auf dem Mond das Schiff verti­ kal zu einer Horizontalen stellen, die durch den vorge­ sehenen Landepunkt gelegt wird. Im allgemeinen besteht die Kreiselsteuerungsanlage (Krei­ selplattform) aus drei Kreiseln. Im Zusammenhang mit dieser Anlage steht ein Satz von »Beschleunigungsmessern«, die so angeordnet sind, daß sie Beschleunigungen in genau bestimmten Richtungen messen können. In »Trägheitssteuerungssystemen« liefern diese Beschleunigungskräfte die wesentlichsten Informationen, die die für die Steuerung verantwortliche elektronische Rechenmaschine braucht, um dem Kontrollsystem mitzuteilen, nach welcher Richtung die Flugbahn korrigiert werden muß. Wenn sich die Richtung des Raketenschiffes (in dem sich die Kreiselsteuerungsanlage befindet) ändert, benutzt man den Neigungswinkel, um die Raumlage des Schiffes zu korrigieren. Die Beschleunigungsmesser lassen die Abwei124

Abb. 23 Mondkrater Cl.txius und Umgebung

chung von der gewünschten Flugbahn erkennen. Auch diese Information wird dem Kontrollsystem zugeführt (vgl. Abb. 19). 23 Auf der sichtbaren Seite des Mondes befinden sich vierzehn sogenannte Meere; das sind in Wirklichkeit dunkle, verhältnismäßig glatte Ebenen, die beinahe die Hälfte des Gebietes einnehmen. Sogenannte Wallebenen haben Durchmesser von 100 bis 240 Kilometer, und flache, von aufgestülpten Rändern eingefaßte Ebenen, sogenannte Ringebenen, haben Durchmesser bis zu 100 Kilometer.

Mehr als 30000 annähernd kreisförmige Krater zerfur­ chen das Gesicht des Mondes; etliche sind sehr flach, andere einige Kilometer tief, und einige haben einen Durchmesser bis zu 280 Kilometer. Helle Streifen oder »Strahlern zwi­ schen acht und sechzehn Kilometer breit erstrecken sich bis über 2400 Kilometer, und Schluchten unbekannter Tiefe, von denen einige bis zu drei Kilometer breit sind, soge­ nannte Mondrillen, durchziehen die Oberfläche. Auf dem Mond gibt es keine Spur von Wasser, und seine geringere Masse (’/hi derjenigen der Erde) bewirkt, daß seine Anziehungskraft viel geringer ist als die der Erde (*/· g auf der Oberfläche des Mondes). Es Endet sich auch keine Spur einer Atmosphäre; die Temperaturen ändern sich von — 130 Grad C im Mondschatten bis zu + 120 Grad C an Stellen, die voll der Sonnenstrahlung ausgesetzt sind. Die Mondaufnahme (Abb. 20) des Palomar-Observatoriums zeigt eine typische Kraterlandschaft. Viele Millionen Jahre hindurch gingen unzählige Meteore, ungehindert durch eine schützende Atmosphäre, wie ein Regen auf die Oberfläche des Mondes nieder. Größeren meteorischen Ein­ schlägen mögen vulkanische Ausbrüche gefolgt sein, die noch weitereNarben auf der rauhen Oberfläche hinterlassen haben. Quer durch die Bildmitte erstreckt sich der von ho­ hen Wällen umgebene Krater Clavius, dessen Durchmesser 240 Kilometer beträgt. Auf der linken Seite vom Wall des Clavius befinden sich zwei kleinere Krater, Rutherford (oben) und Porter. Oben rechts der Krater Blancanus. 24 Der Volldruckanzug (Abb. 21) besteht aus zwei Schichten: die innere aus luftdichtem Gummi, die äußere aus einem dichten, strapazierfähigen nylonähnlichen Fa­ brikat. Der Anzug trägt seine eigene Atmosphäre in sich. Innerhalb des Helmes befinden sich der Atmungsregulator, Kohlendioxydpatronen (zur Absorption der Ausatmung) und Kreislauffilter; eine Sauerstoffmaske wird nicht be­ nötigt. Zum Zweck erhöhter Sicherheit kann ein Teildruckanzug unter dem Volldruckanzug getragen werden. Falls der

126

Radioantenne

Gesichtsmaske (geöffnet) mit getönter Sichtscheibe

Batterien, Rodio und Funksprechgerät^

Telemeter

zur Winde des Raumschiffes

Tonbandgerät Sauerstoff- und Heliumbehölter

Handschuh

Temperoturund

Druckkontroll'

Greifhandschuhe (können kurzfristig abgelegt werden) Haken

Verbindungsglieder (beweglich) Automatisches Meßgerät zur Bestimmung der Strahlungsintensität

zur Befestigung von Haken

Druck Schläuche

Abb. 21

Volldruckanzug

äußere Anzug ein Leck erhält, würden die Druckschläuche des Tcildruckanzuges mit Luft gefüllt werden, um den Körper des Anzugträgers davor zu schützen, sozusagen zu explodieren. Auch der Drude im Helm muß erhalten blei­ ben, damit der Mensch weiter atmen kann.

Kleinste Dimensionierung und leidite Bauweise hat vieles Wirklichkeit werden lassen, was bis vor kurzem noch als Science fiction galt. Zum Beispiel konnten Vakuumröhren durch Transistoren von Pfennigstückgröße ersetzt werden, und Thermistoren (elektrische Thermometer) sind zur Größe einer Mücke zusammengeschrumpft. Es ist also möglich, Tonband- und Radiogeräte, Thermostaten usw. in Spielzeuggröße zu bauen. 25 Die »Luftschleuse«, ein in sich abgeschlossener Raum, kann durch zwei luftdicht schließbare Türen erreicht wer­ den: von der Kabine des Raumschiffes und von außen. Während des Fluges herrscht in der Schleuse der gleiche Drude wie in der Kabine. Von der Kabine aus betreten die Männer die Schleuse und schließen die nach innen führende Tür hinter sich. Dann wird der Schleusenraum evakuiert, entweder indem man die darin befindliche Luft nach außen entweichen läßt oder indem man sie in die Kabine zurückpumpt. Ist dies geschehen, ist der Drude in der Luftschleuse gleich dem Druck außerhalb des Raumschiffes. Nun kann die Außentür geöffnet werden, und die Männer in ihren Raumanzügen können das Raumschiff verlassen. Kehrt man von außen zurück, wird vorerst die äußere Tür verschlossen, dann das Luftventil geöffnet; in der Luft­ schleuse stellt sich der gleiche Druck wie in der Haupt­ kabine ein, und nun kann die Tür nach innen geöffnet werden.

26 Da die Achse des Raumschiffes sich nun im rechten Winkel zur Oberfläche des Mondes befindet, werden die Konturensitze der Piloten auf ihren Schienen herumge­ rollt. Die geringe Anziehungskraft des Mondes (*/· g) er­ laubt es den Männern, ohne übermäßige Anstrengung bis in diese Höhe hinaufzuklettern; sie können sich aber auch mit der Kabelwinde heraufziehen lassen (vgl. Abb. 22). 27 Ein »Geigerzähler« enthält eine »Ionisationskammer« mit einem Micafenster, durch welches die Strahlung ein-

128

Abb. 22 Rakete nach der Landung auf dem Mond

treten kann. Tritt eine energiercichc Strahlung ein, dann wird das in der Kammer befindliche Argongas »ionisiert«, d. h. durch die Einwirkung der Strahlung verlieren die Argonatomc Elektronen, und durch den Verlust der nega­ tiv geladenen Elektronen wird auf diese Weise das bis da­ hin neutrale Argonatom in ein positiv geladenes »Ion« ver­ wandelt. Die Kammer selbst ist ein zylindrischer Behälter, im all­ gemeinen aus Glas, der mit einer dünnen Metallschicht 129

überzogen ist. Ein dünner Draht läuft entlang der Längs­ achse dieses Zylinders, durch den ein hochgespannter elek­ trischer Strom geschickt wird, wobei der Draht und die zu ihm konzentrische Zylinderwand die positive und nega­ tive Elektrode bilden. In dem nun entstehenden elektri­ schen Feld werden die durch die Strahlung freigewordenen negativen Elektronen an den positiv geladenen Draht ge­ drängt, während die positiven Ionen vom negativ gelade­ nen Zylinder angezogen werden. Wenn die Spannung zwischen den beiden Elektroden hoch genug ist, ionisieren die zum Draht strebenden Elektronen weitere Argon­ atome, wodurch sie eine »Ionisationslawine« auslösen. Der dadurch hervorgerufene Stromstoß vermindert für kurze Zeit die statische Spannung zwischen den Elektroden. Die­ ses >Signal< wird dem Detektorkreis zugeleitet und führt dazu, daß der Zähler >einen Treffer registriert«. Die freien Elektronen brauchen etwa eine zehntausendstel Sekunde, um den Raum der Kammer zu verlassen, womit sie den Zähler für die Registrierung des nächsten Treffers bereit­ machen. Um die Dauer dieser »toten Zeit« zu verringern, werden Alkoholdämpfe dem Argongas zugesetzt. Der Al­ kohol hilft, den Entladungsprozeß rasch zu beenden, was als »Löschen« bezeichnet wird. Das »Röntgen« ist die Maßeinheit für die Strahlungsdosie­ rung. Der Name kommt von dem deutschen Physiker Konrad Röntgen, der 1895 die Röntgenstrahlen ent­ deckte. Die Strahlungsintensität wird durch Röntgen pro Sekunde gemessen. Die Strahlungsdosis, die ein Mensch aufnimmt, ist daher das Produkt der Strahlungsintensität und der Zeitdauer, während der er der Strahlung ausgesetzt ist. Setzt man jemanden einer Strahlungsintensität von vier Röntgen pro Sekunde zehn Minuten lang aus, so empfängt er eine Dosis von 240 Röntgen. Der Strahlungseffekt auf den Menschen wird beeinflußt 1. durch die Ausdehnung des betroffenen menschlichen Ge­ webes, 2. durch die Intensität, j. durch die Dosis und 4. durch die Zeit, die zwischen den Dosierungen vergeht und in der eine Erneuerung des Gewebes stattfinden kann. 130

Kleine Partien des Körpers können kurze gelegentliche Dosierungen von erheblicher Stärke ertragen, zum Beispiel kann eine einzige Strahlendosis von $000 Röntgen dazu verwendet werden, eine kleine Krebsgeschwulst der Haut zu behandeln, wobei sie eine Narbe, aber sonst keine dau­ ernden Schädigungen hinterläßt. Wird dagegen die ge­ samte Körperoberfläche einer Dosis von 600 Röntgen eine Minute lang ausgesetzt, so tritt der Tod ein. Bestrahlte man den ganzen Körper eines Mensdien mit einer atomaren Strahlung von 400 Röntgen eine Minute lang, bestünde für ihn nur eine fünfzigprozentige Chance, zu überleben; mit Sicherheit würde er zum Krüppel. Ab­ sorbierte der Körper jedoch die gleiche Dosis über einen Monat verteilt, dann wäre die Wahrscheinlichkeit des To­ des erheblich geringer. 28 Das Sonnenlicht ist weiß, da es eine ausgewogene Mischung aller Farben des sichtbaren Spektrums ist. Er­ reicht es die Erdatmosphäre, dann wird es durch Staub und Dampf beeinflußt. Die kürzeren Wellenlängen (blau) werden in der Atmosphäre stärker gestreut als die Wellen größerer Längen (rot). Deshalb erscheint der Himmel in der Mitte des Tages blau. Bei Sonnenuntergang, wenn die Lichtwellen horizontal die mit Feuchtigkeit gesättigten Schichten der unteren Atmosphäre durchdringen, wird ein großer Teil der kurzen Wellen absorbiert, und der rote Langwellcnanteil des sichtbaren Spektrums herrscht vor. Im Weltraum und auf dem Mond, wo es keine Atmo­ sphäre gibt, werden die Sonnenstrahlen nicht beeinflußt, und der Himmel erscheint schwarz. Die Farbempfindung wird durch Lichtquellen verschiede­ ner Länge, die auf die Netzhaut des Auges einwirken, her­ vorgerufen. Das rote Langwellenende des sichtbaren Spektrums, das sich bis in den Bereich des unsichtbaren erstreckt, grenzt an die Infrarot- oder Wärmewellen. Das andere Ende des sichtbaren Spektrums wird begrenzt durch das kurzwellige Violett und die unsichtbare Ultra­ violettstrahlung. Die Ultraviolettstrahlung ist es, welche 9

Ψ

die Sonnenbräune hervorruft. Sie hat auch eine bemerkens­ werte Wirkung bei der Abtötung von Bakterien und zer­ stört jedes lebende Gewebe, wenn dieses ihr im Übermaß ausgesetzt wird. 29 Beim Fernsehsender werden verschiedene Hellig­ keitsgrade in verschieden starke elektrische Impulse ver­ wandelt. Beim Fernsehempfänger wird dieser Vorgang umgekehrt.

In einer Fernsehkamera (Abb. 23) besteht die Photo­ kathode (PK) aus einer ebenen Platte, die mit einer dün­ nen, lichtempfindlichen Schicht überzogen ist. Dieser Belag bildet ein Mosaik mikroskopisch kleiner Photozellen, auf welche das optische Bild durch eine Linse (L) geworfen wird. Je nachdem, ob das Licht, das auf einen bestimmten Punkt der PK einwirkt, hell oder dunkel ist, werden viele oder wenige Elektronen ausgelöst. Durch ein elektrostati­ sches Feld beschleunigt, fliegen diese Elektronen auf die Speicherplatte (SP), wo jedes der auftreffenden Elektronen eine Anzahl von »Sekundärelektronen« auslöst. Diese wer­ den durch das positiv geladene Gitter (G) angezogen. So entsteht auf der Speicherplatte (SP) ein elektrostatisches Abbild des optischen Bildes, das auf die PK geworfen wurde. Ein von der Kathode Ka (auch Elektronengeschütz ge­ nannt) erzeugter kontinuierlicher Strahl gebündelter Elek­ tronen tastet die Speicherplatte (SP) periodisch ab. Der Vor­ gang ist dem beim Ablesen einer Druckseite ähnlich, der abtastende Strahl ES zerlegt das auf der Speicherplatte festgehaltene Bild in aufeinanderfolgende Zeilen von oben

'32

nach unten. Wo immer auf der Speicherplatte der ab­ tastende Elektronenstrahl ein Defizit an Elektronen fin­ det, gleicht er es aus (er neutralisiert die Speicherplatte und macht sie für das neue Bild aufnahmefähig). Die über­ schüssigen Elektronen, die keine >Löcher< finden, werden zurückgestrahlt. Dieser zurückgeworfene Strahl ist im Rhythmus der Helligkeitsverteilungen des Bildes modu­ liert. Wir können sagen, er transportiert auf elektrischem Wege alle wesentlichen Eindrücke des Bildes. Der reflek­ tierte Strahl trifft dann auf den Elektronenvervielfacher SV, wo er verstärkt wird, und der entstehende Strom moduliert die Trägerwelle des Senders. Eine Fernsehempfangsantenne fängt diese Welle auf und leitet sie an den Empfänger weiter, der sie demoduliert (die Modulation von der Trägerwelle trennt). Die Schwan­ kungen des Empfangssignals steuern die Intensität eines Elektronenstrahls, der über den Fluoreszenzschirm der Fernsehröhre des Empfängers streicht, und dieser Strahl bewegt sich synchron mit dem abtastenden Strahl in der Fernsehkamera der Sendestation. 30 Das Logbuch enthält chronologisch geordnet alle wichtigen Informationen und Beobachtungen, die bei der Reise eines Ozeanschiffes, eines Flugzeuges oder eines Raumschiffes aufgezeichnet wurden. Im Logbuch befinden sich vorgedruckte Spalten und Kolumnen mit der für jede Eintragung vorgeschriebenen Form. Einheitliche Zeichen und Abkürzungen werden für alle Daten benutzt. Der Zeitpunkt einer jeden Eintragung ist besonders widitig, und jedes Ereignis oder die Unregelmäßigkeit eines Instrumentes muß, wenn irgend möglich, unverzüglich ein­ getragen werden. Auf diese Weise kann ein Versagen vor­ hergesagt oder später durch einen Vergleich mit der für die betreffende Apparatur geführten Zeittafel diagnosti­ ziert werden. Alle Eintragungen müssen in der festgelegten Weise er­ folgen, so daß, wenn einer der Piloten die Führung des Logbuches abgibt, ein anderer die Eintragungen überneh­ men kann, ohne daß Mißverständnisse auftreten.

»33

Die Eintragungen ins Logbuch werden während jeder Wache (Ablösung des Piloten) vorgenommen. Meßgeräte und sonstige Anzeigeinstrumente werden abgelesen; Tem­ peraturen, Drudce, Zustand der Atmosphäre in der Kabine und der aller Notapparaturen werden festgehalten. Zu Beginn jeder Wache notiert der wachhabende Pilot die Position des Raumschiffes auf der Flugbahn, die Lage des Schiffes im Raum und jeden weiteren Umstand innerhalb und außerhalb des Schiffes, den er für erwähnenswert hält. Das Logbuch wird sowohl während der eigentlichen Reise als auch während des Aufenthaltes auf der Oberfläche des Mondes geführt. Das spätere Studium von Logbüchern und deren Analyse bildet eine nicht hoch genug einzu­ schätzende Informationsquelle und erhöht die Sicherheit künftiger Unternehmungen ähnlichen Charakters ganz außerordentlich. 31 Lebensmittel werden durch eine Öffnung, die durch einen federnden Deckel geschlossen werden kann, in durch­ sichtige Behälter aus feuerfestem Glas eingeführt. Die Be­ hälter werden dann in das mit Infrarotstrahlen betriebene Kochgerät oder in das von Mikrowellen betriebene elek­ tronische Kochgerät eingelegt, wo sie von federnden Stä­ ben festgehalten werden. Nach der Zubereitung wird der Behälter auf einem Tischchen festgeklemmt, das wie der Klapptisch an einem Flugzeugsitz herausgezogen wird. Der Löffel wird durch eine kleine, mit einem federnden Deckel versehene Öffnung eingeführt (vgl. Abb. 24). 32 Die Erde ist ein Magnet; eine befriedigende Erklä­ rung dafür konnte noch nicht gegeben werden; von einigen Physikern wird angenommen, daß das >Magnetfeld< der Erde durch elektrische Ströme entsteht, die ihrerseits in der Bewegung des geschmolzenen >Magma< im Erdinnern ihre Entstehung finden. Jeder Magnet, mit Ausnahme eines ringförmigen, hat zwei entgegengesetzte Pole, den Nord­ pol und den Südpol, sowie die Eigenschaft anzuziehen und abzustoßen. Ungleiche Pole ziehen einander an, gleiche Pole stoßen einander ab. Zwischen den Polen stellt man

*34

Infrarot- oder Mikrowellenkocher

Abb. 24 Lösung der Küchenund Eßprobleme

Lebensmittelbehälter

Tischklammern

sich Linien vor, die -Kraftlinien« genannt werden und die man sich als magnetischen Strom oder als magnetischen I luß denken kann. Zwischen dem Magnetismus und der Elektrizität gibt es viele Entsprechungen, doch handelt cs sich dabei nicht um das gleiche. Jede Kraftlinie ist in sich geschlossen, und die Kraftlinien überschneiden einander niemals. Je dichter die Kraftlinien zusammengepackt sind, desto stärker ist das -magnetische Feld«. Die magnetischen Pole der Erde befinden sich nahe den geographischen Polen (den Endpunkten der Achse, um die sic sich dreht). Die Kraftlinien des magnetischen Feldes der Erde wölben sich durch die Atmosphäre hindurch in den

Abb. 2$ Magnetischer und geogra­ phischer Pol bzw. Äquator der Erde

Geographischer Pol

Magnetischer Geo-

magnetische Kraftlinien

Schnitt durch den

der Erde

Weltraum und kehren dann wieder zur Erde zurück (vgl. Abb. 25 und 26). Ein magnetisches Feld wirkt nicht nur auf magnetische Körper ein, wie zum Beispiel Eisen, sondern auch auf elek­ trisch geladene Teilchen. Die Flugbahn solcher Teilchen wird, sobald sie in ein magnetisches Feld eindringen, durch dessen Kräfte verändert. Elektrisch geladene Teilchen, die sich vom Weltraum her der Erde nähern (und ihren Ursprung in der Sonne oder außerhalb des Sonnensystems haben), werden vom Ma­ gnetfeld der Erde eingefangen. Andere elektrisch geladene Teilchen stammen aus den oberen Schichten der Erdatmo­ sphäre. Alle diese Teilchen können Elektronen (negativ geladen) oder Protonen (positiv geladen) sein. Treten diese Teilchen mit dem Magnetfeld der Erde in Wechselwirkung, so werden sie dergestalt abgelenkt, daß sie beginnen, um die magnetischen Kraftlinien zu kreisen. Die eingefange­ nen Teilchen können in diesem Wirbelzustand erheblich lange Zeit verbleiben.

136

--------------1-------------- 1---------- -I---------------- 1------------- 1------------- 1------------- 1 50

40

I------------- 1------------- 1-

30 20 10 0 10 20 30 Annähernder Maßstab in Tausenden von Kilometern

40

50

Abb. 27 Im Magnetfeld der Erde eingefangene elektrisch geladene Teilchen

In hohen nördlichen oder südlichen Breitengraden, wo die magnetischen Kraftlinien in die Atmosphäre einmünden, stoßen die eingefangenen, herumwirbelnden Teilchen mit den in der Atmosphäre enthaltenen Atomen zusammen und gehen auf diese Weise verloren, werden aber durch neue Teilchen aus dem Raum sogleich wieder ersetzt. Das Ergebnis dieses Mechanismus des Einfangens und Ver­ lierens sind Zonen >eingefangener Strahlung«, deren Vor­ handensein erst kürzlich durch eine Reihe von ExplorerSatelliten nachgewiesen werden konnte. Nach ihrem Ent­ decker sind diese Zonen >Van-Allen-Zonen< genannt wor­ den. Jene Teilchen, die in hohen südlichen oder nördlichen Brei­ tengraden in die Erdatmosphäre eintreten (also in den arktischen oder antarktischen Regionen), regen die Atome der Luft, mit denen sie Zusammenstößen, zum Leuchten an, und so entsteht sichtbares Licht, ähnlich wie in den Neon­ röhren der Lichtreklamen. Das ist die Entstehungsursache der als Nordlichter oder Südlichter bekannten Erscheinung. 33 Ein Seismograph mißt und zeichnet Erschütterungen im Innern oder an der Oberfläche der Erde auf, ortet ihren Ursprung und liefert Daten, aus denen eine spätere Ana­ lyse auf die Eigenschaft der Schichten schließen läßt, durch

07

Abb. 28 Reflexion von Radiowcllcn in der Ionosphäre

die die Bebenwellen sich fortpflanzten. Seismographen werden auf der Erde hauptsächlich zur Registrierung von Erd- oder Seebeben und Kernexplosionen verwendet.

34 Die Ionosphäre, die dritte große Schicht der Erd­ atmosphäre, beginnt etwa 90 Kilometer oberhalb der Erd­ oberfläche und erstreckt sich bis in eine Höhe von rund 320 Kilometer. Dieser Mantel außerordentlich dünner Luft (der durch die ultravioletten Strahlen der Sonne ionisiert wird) ist elek­ trisch leitend. Er wirft daher Radiowellen bestimmter Länge zur Erde zurück. So spielt die Ionosphäre bei der Radioverbindung über große Entfernungen eine bedeu­ tende Rolle (vgl. Abb. 28). Die elektrischen Eigenschaften der Ionosphäre sind zur Tages- und Nachtzeit sehr voneinander verschieden und werden außerdem von Erscheinungen auf der Sonnenober­ fläche, wie Sonnenflecken, Protuberanzen und Eruptionen, 138

beeinflußt. Die daraus entstehenden »magnetischen Stürme« in der Ionosphäre können die Radioverbindungen außer­ ordentlich beeinträchtigen, doch sind die Auswirkungen gelegentlich auch ganz entgegengesetzte, und Fernsehsen­ dungen und frequenzmodulierte Sendungen können er­ staunliche Reichweiten erzielen. 3? Wenn wir in Gedanken eine dünne ebene Scheibe am Äquator durch die Erde schieben und diese Scheibe beliebig weit in den Raum verlängern, so haben wir vor unserem geistigen Auge die »Ebene des Äquators«; also nichts ande­ res als eine Verlängerung der Äquatorebene in den Welt­ raum. In Abb. 29 haben wir die Äquatorebene bis zur Bahn des Mondes ausgedehnt. Die Mondbahn ist aber gegen die Ebene des Erdäquators geneigt, und so sdineidet der Mond die Äquatorebene der Erde nur zweimal im Monat, also in der Zeit, die er braucht, um die Erde einmal zu um­ kreisen. Zu allen anderen Zeiten steht der Mond oberhalb oder unterhalb (nördlich oder südlich) der Äquatorebene der Erde. (In Wirklichkeit ändert sich die Neigung der Mond­ bahn zeitlich in bezug auf die Äquatorebene; die Skizze stimmt also nur annähernd und ist nicht maßstabgetreu.) Der Mond wandert in seiner Bahn von Westen nach Osten. Die Tatsache, daß der Mond, ebenso wie die Sonne, im Aquotorebene der Erde

Mondbahn

Abb. 29 Mondbahn und Ebene des Erdäquators

*39

Start (00 Stunden)

Neutraler Punkt------------(Schwere Null) zwischen Erde und Mond

10 Stunden noch dem Start/) 600 km/h

20 Stunden nach dem Start

30 Stunden nach dem Start

Osten auf- und im Westen untergeht, wird durdi die Drehung der Erde um ihre eigene Achse bewirkt. Die Erde, die sich einmal in einem Tag um ihre Achse dreht, vollführt 27 voll­ ständige Umdrehungen während der gleichen Zeit, da der Mond einmal seine Bahn um die Erde durch­ läuft. 36

40 Stunden nach dem Start

50 Stunden nach dem Start

55 Stunden nach dem Start

60 Stunden nach dem Start/ 40 000 km/h

Unkorrigierte Hyperbel

Abb. ,o

140

Die Rückflugbahn

Die Rückflugbahn (Abb. jo).

37 Der »Teilrauman­ zug« (Abb. 31) dient dem Piloten in Notfällen als erster Schutz. Mit auf­ blasbaren Luftbehältern (►druckregelnden Schläu­ chen«) wird das Gewebe des Anzuges über den Kör­ per des Piloten gespannt. Dadurch schützt der An­ zug den Piloten davor, bei einem unfallbedingten, in der Kabine eintreten­ den Druckverlust sozusa­ gen zerrissen zu werden. Ist die Gesichtsmaske ge­ schlossen, erhält der Pilot auch einen von der Ka­ bine unabhängigen Vor­ rat an Sauerstoff zum Atmen. Falls die Außenwand des Mondschiftcs von einem

Schiene und Knopf zum Herablassen der Gesichtsmaske Verstellbares Mikrophon für Sprechverkehr außerhalb des Raumschiffes

So uerstoffmaske Mikrophon für Bordsprechverkehr-

Radiostecker zum Anschluß an den Sitz

Weste mit Befestigungsvorrichtung am Schiffskörper und kleinen Notreparaturwerkzeugen in den Taschen Druckausgleichsschläuche •und Verschluß

Verbindungsstück ’ zum Sitz für die Sauerstoffzufuhr und Kontrollregler für Druck, Heizung und Kühlung

■Notbehälter für Sauerstoff

■Druckausgleichsschlöuche

Notizblock Kniepolster

Abb.

ji

Teilraumanzug

Meteor durchstoßen würde, könnte der Drudesturz in der Kabine so schnell erfolgen, daß der Pilot in io bis 20 Se­ kunden das Bewußtsein s'erliercn würde. Der Teildruck­ anzug gewährt ihm temporären Schutz und gibt ihm Ge­ legenheit, das Leck zu dichten. Sind die Luftbehälter nicht 141

aufgepumpt, dann kann der Pilot sich ungehindert be­ wegen und den Anzug bequem während der ganzen Fahrt tragen. Helm und Sauerstoffmaske können abgelegt, müs­ sen aber in greifbarer Nähe gehalten werden, damit man sie jederzeit aufsetzen kann. Auf dem Mond wird ein Volldruckanzug über dem Teil­ druckanzug getragen. 38 Obgleich Myriaden von Meteoren mit riesiger Ge­ schwindigkeit den Weltraum durcheilen, ist doch die Ge­ fahr eines ernstlichen Zusammenstoßes mit einem Raum­ fahrzeug gering, da der Weltraum riesige Ausdehnung besitzt. Die allermeisten Meteore sind kleiner als ein Sandkorn, und man bezeichnet sie gewöhnlich als »Mikrometeoriten« oder »meteoritischen Staub«. Nur wenige sind größer als eine Walnuß oder eine Erbse. Passiert das Raumschiff einen »Meteorschwarm«, dann ist die Wahrscheinlich­ keit eines Meteortreffers etwa 30- bis ;omal größer als außerhalb eines Schwarmes, doch ist das Risiko immer noch tragbar, um so mehr, als die Dauer des Aufenthaltes des Raumschiffes in einem solchen Schwarm niemals sehr lange ist. Mikrometeoriten und meteoritischer Staub werden meist als Materie betrachtet, die bei der Bildung des Universums übriggcblieben ist. Größere Meteore scheinen im allgemei­ nen im Zusammenhang mit Kometen zu stehen, denn die meisten Meteorschwärme haben Bahnen, die jenen von Kometen ähneln. Es ist sogar in verschiedenen Fällen be­ obachtet worden, daß ein bis dahin bekannter Komet sich in einen Meteorschwarm aufgelöst hat. Kometen bewegen sich im allgemeinen in langgestreckten elliptischen Bahnen um die Sonne. Wenn sie in den sonnen­ nächsten Teil ihrer Bahn kommen, werden sie einer unge­ heuren Erwärmung ausgesetzt. Ein Teil der Masse des Kometen verdampft, und der Strahlungsdruck der Sonne bläst die leuchtenden Gase weg: so bildet sich der Schweif des Kometen. Größere feste Bestandteile des Kometen können unter der Einwirkung der von der Sonne aus­

142

gehenden Wärmestrahlung in kleinere Teile zerbrechen. Die geringen Geschwindigkeiten, mit denen sich diese Teile voneinander trennen, genügen, um etwas verschiedene Umlaufzeiten der einzelnen Teile um die Sonne zu bewir­ ken. So sind nach mehreren hundert Jahren die Trümmer des Kometen (Meteore) überall längs seiner Bahn verteilt. Kleinste Meteore, die in die Erdatmosphäre eindringen, werden durch die Reibung an der Luft zur Weißglut er­ hitzt und verglühen als Sternschnuppen«. Tritt ein ganzer Meteorschwarm in die Atmosphäre ein, so sprechen wir von einem »Sternschnuppenschauer«.

40 Das Diagramm (Abb. 33) zeigt die Kräfte, die auf ein Flugzeug bei normalem Flug einwirken. Der aerodyna­ mische Auftrieb gleicht das Gewicht (Schwerkraft) aus und

143

ermöglicht es dem Flugzeug, in der Höhe zu bleiben. An­ triebskraft (Propeller oder Düsenschub) kompensiert den Luftwiderstand und ermöglicht die Beibehaltung der Ge­ schwindigkeit. Abb. 34 zeigt die Kräfte, die auf die oberste Stufe des Mondfahrzeuges wirken, kurz nachdem sie mit einer Ge­ schwindigkeit von rund 10,8 km/sec in die Erdatmosphäre eingetreten ist. Das Raumschiff ist umgedreht worden (Oberseite nach unten), um zu verhindern, daß es nach Passieren der größten Erdnähe auf dem auslaufenden Ast der unkorrigierten Hyperbelbahn wieder in den Weltraum hinausfliegt. Eine abwärtsgerichtete aerodynamische Kraft tritt zur Schwerkraft hinzu, um die 2 g der Fliehkraft auszuglei­ chen, die auftreten, wenn das Raumschiff bei dieser Ge­ schwindigkeit eine kreisförmige Flugbahn von gleichblei­ bender Höhe um die Erde beschreibt. Die Bremswirkung des Luftwiderstandes vermindert nun allmählich die Ge­ schwindigkeit des Raumschiffes auf etwa 7 km/sec (Kreis­ bahngeschwindigkeit), dann ist die Zentrifugalkraft auf 1 g abgesunken und hebt die Schwerkraft genau auf. Der Auftrieb muß nun gleich Null sein, und das Raumschiff kann in normale Stellung zurückgebracht werden und kann dann den Abstieg in einem verlangsamten Gleitflug beenden. Abb. 33 Aerodynamischer Auftrieb hebt die Sdiwerkraft auf

Abb. 34 Abwärts gerichtete aerodynamischeKraff bei der Rückkehr vom Mond

144

Abb. 35 Aerodynamische Schockwelle

A

41 Abb. 35 zeigt die Entstehung einer aerodynamischen Schockwelle (auch Mach-Welle genannt) von einem Fahr­ zeug, das sich mit Überschallgeschwindigkeit v bewegt: eine Sekunde, ehe die Spitze des Raumschiffes den Punkt A er­ reichte, befand sie sich bei Punkt B und drückte die Luft vor sich zusammen. Die zusammengepreßte Luft dehnt sich mit Schallgeschwindigkeit c nach allen Richtungen aus. In der Zeit, die das Raumschiff gebraucht hat, sich von Punkt B nach Punkt A zu bewegen, bewegte sich der Schall in einer Kugelwelle von B nach B1. Eine weitere Sekunde früher war die Spitze des Raumschiffes bei C, aber wäh­ rend dieser beiden Sekunden hat sich eine Kugelwelle von C nach C1 bewegt. Noch eine Sekunde früher war das Raumschiff bei D, aber während der drei verstrichenen Sekunden haben die Schallwellen D1 erreicht. Die Schockwelle ist die Einhüllende aller Orter, welche die zusammengepreßte Luft, die sich mit Schallgeschwindig­ keit ausdehnt, erreicht hat. Es besteht eine große Ähnlichkeit zwischen diesem Phä­ nomen und der Bugwelle eines Schiffes. Man braucht nur v durch die (unter der Schallgeschwindigkeit liegende) Ge­ schwindigkeit des Schiffes und c durch die Gesdiwindigkeit zu ersetzen, mit der sich die Wasserwelle fortpflanzt.

42 Abb. 36 zeigt die letzte Flugstrecke rund um die Erde. Blickt man von oberhalb des Nordpoles auf die Erde, dann fällt der Umriß der Kugel mit dem Äquator Mi

zusammen. Bei einem Flug über dem Äquator benötigte das Raumschiff etwa 72 Minuten von Neu-Guinea bis wie­ der nach Neu-Guinea; in dieser Zeit drehte sich die Erde in der Flugrichtung des Raumschiffes etwa siebzehn Län­ gengrade um ihre Achse, also um etwas mehr als eine Zeit­ zone. Das Schiff überflog die Nachtseite der Erde in etwas mehr als 50 Minuten.

Abb. j6

Letzte Flugstrecke der Rakete