Ernst Moritz Arndt: Anstöße und Wirkungen 9783412207632, 3412207632

Ernst Moritz Arndt (1769-1860) war einer der wirkmächtigen politischen Publizisten im Kontext der antinapoleonischen Kri

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Ernst Moritz Arndt: Anstöße und Wirkungen
 9783412207632, 3412207632

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V E RÖ FFE N T L I C HU N G E N D E R H I S TO R I S C H E N KO M M I S S I O N F Ü R P O M M E R N herausgegeben von Martin Schoebel R E I H E V: F O R S C H U N G E N ZU R P O M M E R S C H E N G E S C H I C H T E Ban d 4 6

E rnst M oritz A rndt AnstöSSe und Wirkungen

herausgegeben von Dirk A lvermann und Irmfried G arbe

2011 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch die Historische Kommission für Pommern

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Das E.M. Arndt-Denkmal in Bonn. Foto: Michael Sondermann © 2011 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20763-2

Inhaltsverzeichnis Martin Schoebel Vorwort .....................................................................................................

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Dirk Alvermann/Irmfried Garbe Arndt und seine Erinnerung nach 150 Jahren .............................................

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I. Anstöße Reiner Preul Die Bildungslehre Ernst Moritz Arndts ......................................................

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Dirk Alvermann Die Verrückung der Welt. Schwedische Einflüsse im Denken Ernst Moritz Arndts ..............................

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Reinhard Bach Arndt und die zeitgenössische politische Theorie in Frankreich...................

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II. Wirkungen Ralf Klausnitzer Leib, Geist, Seele. Ernst Moritz Arndts Verbindungen mit geschichtsphilosophischen und völkerpsychologischen Spekulationen der Romantik und ihre Rezeption in der NS-Zeit .......................................

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Reinhart Staats Ernst Moritz Arndt in politischer Propaganda des 20. Jahrhunderts ............

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Irmfried Garbe „Arndt ist tot“. Sein Bild in den Nachrufen von 1860 ................................

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III. Dokumentation Nachrufe auf Arndts Tod 1860...................................................................

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Christian Peplow Zur jüngsten Diskussion um Ernst Moritz Arndt als Greifswalder Universitätspatron .................................................................

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Personenregister ........................................................................................

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Vorwort Ernst Moritz Arndt gehört fraglos zu den Publizisten des 19. Jahrhunderts, deren Werk nicht nur zu Lebzeiten einen großen Leserkreis fand, sondern auch nach seinem Tod eine breite und durchaus widersprüchliche Rezeption erfahren hat. Während älteren Generationen der Name Ernst Moritz Arndt ein fester Begriff war, dürfte er heute trotz zahlreicher nach ihm benannter Einrichtungen nur noch Wenigen bekannt sein. Wie kaum eine zweite hat seine literarische und publizistische Hinterlassenschaft den unterschiedlichsten politischen Systemen, Ideologien und Interessen als Steinbruch gedient; im 19. Jahrhundert als deutscher Patriot gefeiert, sahen die Nationalsozialisten in ihm einen ihrer Vordenker, und die DDR feierte ihn als Streiter gegen den Feudalismus. Die moderne Gesellschaft wirft Arndt dagegen Kriegstreiberei, Fremdenhass und Antisemitismus vor. Hierfür bedient man sich einzelner Zitate aus dem umfangreiche Oeuvre, doch wird man Arndts Werk in seinen zahlreichen Facetten dadurch gerecht? Die Geschichte Arndts ist heute zu großen Teilen eng verwoben mit der Rezeptionsgeschichte seines Werkes. In den letzten Jahren wurde in Greifswald heftig über Arndt gestritten und Vertreter der Ernst-Moritz-Arndt-Universität forderten die Universitätsleitung auf, den Namen Arndts abzulegen. An dieser Diskussion haben sich Mitglieder der Historischen Kommission beteiligt, die Kommission selbst hat hierzu jedoch keine Stellung bezogen, da die Diskussion weniger dem wissenschaftlichen Disput als dem universitätspolitischen Schlagabtausch verpflichtet schien. Eine unaufgeforderte Einmischung in eine letztlich universitätsinterne Frage verbot sich von selbst. Doch die Debatte um Ernst Moritz Arndt an der Greifswalder Universität hat gezeigt, dass der streitbare Pommer ein lohnendes Forschungsfeld bietet, und dass Greifswald für eine solche Forschung der geeignete Ort ist. Aus Anlass der einhundert und fünfzigsten Wiederkehr seines Todestages richtete die Historische Kommission für Pommern im Mai 2010 eine wissenschaftliche Tagung zu Ernst Moritz Arndt aus. Unter dem Thema „Anstöße und Wirkungen“ fragte sie nach den Einflüssen, die Arndts Denken und sein Werk beeinflusst haben, und stellte diesen die Rezeption Arndts in den unterschiedlichen Epochen gegenüber. Für die Tagung zeichneten die Kommissionsmitglieder Dr. Dirk Alvermann und Dr. Irmfried Garbe verantwortlich, die nun die Vorträge der Tagung in einem um weitere Beiträge erweiterten Aufsatzband vorlegen. Hierfür gilt ihnen der Dank der Historischen Kommission. Mit der Tagung zu Ernst Moritz Arndt knüpft die Historische Kommission für Pommern an eine ältere Tradition an, die in den letzten Jahren ein wenig verloren ging. Künftig wird sie ihre Mitgliederversammlungen wieder mit wissenschaftlichen Tagungen verbinden. Einen ersten Schritt in diese Richtung unternahm sie bereits 2009 mit einem Workshop zu der von ihr in Kooperationen mit den beiden Landesuniversitäten und dem Landesarchiv Greifswald herausgegebenen Internetedition der Schwedischen Landesaufnahme von Pommern. Wie auch deren Beiträge sollen künftig die Tagungen veröffentlicht werden. Hierfür bietet sich die Reihe der Forschungen zur pommerschen Geschichte an, die mit Band 45 in neuem Gewand an Stelle der ein-

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Martin Schoebel

stigen Reihe V der Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern: Forschungen zur pommerschen Geschichte getreten ist. Die Reihenzählung wird fortgesetzt. Mit Band 46 liegt nun der zweite Band in dieser neuen Reihe vor, deren verlegerische Betreuung in Händen des Böhlau-Verlages bleibt. Für das Lektorat und die verlegerische Betreuung gilt mein Dank Herrn Liehr und seinen Mitarbeitern vom Böhlau-Verlag. Ermöglicht wurde die Drucklegung durch finanzielle Zuwendungen des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern, des Herder-Instituts Marburg und der Sparkasse Vorpommern. Ohne Geldgeber wäre die Kommission nicht in der Lage, ihre Aufgaben zu erfüllen; ihnen gilt daher ebenfalls unser Dank. Dr. Martin Schoebel Vorsitzender der Historischen Kommission für Pommern e.V.

Arndt und seine Erinnerung nach 150 Jahren Die Zeit der Arndt-Ehrungen ist wohl unwiederbringlich vorbei. Die Zeit der ArndtErinnerungen wird sich auch im 21. Jahrhundert fortsetzen. Wie auch immer man sich heute über Arndt selbst und über seine nachträglichen Deutungen und Inanspruchnahmen äußert: die Tatsache, dass Ernst Moritz Arndt seit mehr als 150 Jahren einen Erinnerungsort der deutschen Geschichte darstellt, leidet keinen Zweifel. Sein Name war und ist vielfältig im öffentlichen Raum verankert in den Bezeichnungen von Straßen, Plätzen, Schulen, Schiffen, Kirchen, Museen, Kasernen und Gemeindezentren. Arndt als Erinnerungsort übergreift alle politischen Systeme und Wandlungen der deutschen Nation seit ihrer Nationalstaatsgründung. Auch die Greifswalder Universität trägt seinen Namen. Sie hat diese Namensträgerschaft 2010 im Anschluss an eine breit geführte Debatte um den Namenspatron neu und demokratisch bestätigt, jedoch zur Erinnerung an Arndt anlässlich seines 150. Todestages keine besonderen Mühen unternommen, wie noch 1969 zum 200. oder 1984 zum 225. Geburtstag. Die Zurückhaltung der Hochschule war angesichts der vorausgegangenen medialen Angriffe gegen den Namen Arndts in ihrem Universitätstitel verständlich. Sie war aber zugleich das sprechende Symptom dafür, dass ein Name als solcher die notwendige Erinnerungsarbeit weder ersetzen noch verbürgen kann. Tatsächlich wird heutzutage unter der Mehrheit der gymnasial und akademisch Gebildeten keine Kenntnis Arndts mehr vorausgesetzt werden können – auch nicht unter den Angehörigen der Ernst-Moritz-Arndt-Universität. Das mag durch die Debatte um den Greifswalder Universitätsnamen 2009/10 gebessert worden sein. Zugleich hat diese die Notwendigkeit einer vertieften Erinnerung und Vergegenwärtigung Arndts und seiner Gebrauchsgeschichte deutlich gemacht. Dieser Herausforderung hat sich die Historische Kommission für Pommern gestellt, als sie am 28./29. Mai 2010 eine wissenschaftliche Tagung anlässlich des 150. Todestages Ernst Moritz Arndts veranstaltete. Zu den reizvollen Seiten des Erinnerungsortes Ernst Moritz Arndt gehört seine schillernde Multiperspektivität. Das unausgesprochene Thema der Vorträge, die hier publiziert werden, ist – mit einem Worte – die Erinnerung. Und es ist auch wenig verwunderlich, daß eine Tagung, die anlässlich des 150. Todestages eines Menschen stattfindet, sich zuerst dem zuwendet, was wir an ihm erinnern. Erinnerungen sind fragil, sie können nur Annäherungen an wahre Geschehnisse, Gegenstände und Personen sein. Erinnerungen werden im Lichte aktueller Ereignisse neu bewertet, uminterpretiert. Manchmal können wir uns nicht einmal sicher sein, ob eine scheinbare Erinnerung nicht eher eine impulsive Erfindung ist. Unsere Erinnerungen sind selektiv und subjektiv. Wir schneiden sie auf einzelne Momente, Botschaften oder Bilder zurecht. Und das hat Folgen. Denn aus unseren Erinnerungen formiert sich die Erzählung der Geschichte. Das heißt aber auch, dass, was wir erinnern und die Art und Weise, wie wir das tun, mehr über uns selbst verrät, als über die Geschichte oder die Person, die Gegenstand des Erinnerns ist. Genau das macht Prozesse der Erinnerns und Gedenkens, aber auch des Vergessens, für Historiker so interessant.

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Dirk Alvermann/Irmfried Garbe

Die verengte Wahrnehmung des breiten publizistischen Werkes Arndts, die schon zu seinen Lebzeiten zu beobachten war und sich später fortsetzt, ist Ausdruck dieses Phänomens. Zu den in Vergessenheit geratenen Aspekten des Arndtschen Werkes gehören seine Überlegungen zu Erziehung und Bildung, die er vor allem in der Trilogie „Fragmente über Menschenbildung“ niederschrieb. Darin hat er, wie vielleicht an keinem anderen Ort sein Menschenbild formuliert und dem heutigen Leser so auch einen Schlüssel zum Gesamtwerk hinterlassen. Die ideenvermittelnden Bezüge dieser Bildungslehre gestatten es noch immer, kritische Fragen an das zeitgenössische Menschenbild zu stellen. Arndts Bildungslehre hat so gut wie keine konkrete Wirkung entfaltet, aber sie ist natürlich selbst Teil der Wirkungsgeschichte eines ganzen Bündels geistesgeschichtlicher Linien, deren Spuren sich im Frühwerk Arndts finden. Dazu gehören auch die dem jungen Arndt in Greifswald vermittelten Anschauungen des schwedischen Philosophen Thomas Thorild über die ideale Gesellschaft, ihren Staat und dessen ewige, natürliche Grundgesetze. Ebenso prägend hat dessen Landsmann Carl August Ehrensvärd im Hinblick auf Arndts Vorstellungen von den Einflüssen des Klimas und des Volkscharakters auf dieselben gewirkt. Ihnen verdankt er spezifische Momente seiner Wahrnehmung einer nach 1789 aus den Fugen geratenen „verrückten“ Welt und eines von der Entmenschung bedrohten Menschen. Diese Verrückung ist auch Ergebnis der Erschütterung, die die Konfusion der Sprache, Verwirrung und Umdeutung der Begriffe für das Vertrauen in den politischen Diskurs der Französischen Revolution bedeutete und die Arndt nicht müde wurde zu kritisieren. All dies sind „Anstöße“ im Denken Arndts, denen Reiner Preul, Dirk Alvermann und Reinhard Bach in ihren Beiträgen im ersten Teil dieses Bandes nachgehen. In die Geschichte der „Wirkungen“, der Arndt-Rezeption, die Ralf Klausnitzer, Reinhardt Staats und Irmfried Garbe nachzeichnen, führt der zweite Teil. Hierher gehören auch die in der Romatik wurzelnden geschichtsphilosophischen und völkerpsychologischen Spekulationen Arndts. Sie haben, wie viele mit den romantischen Projekten verbundene Gedankenlinien in der „Wiedergeburt der Romantik“ während der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts eine vielschichtige Rezeption und später eine anders geartete und besondere Aufmerksamkeit der Nationalsozialisten erfahren. Zwischen der Arndt-Rezeption des 19. und des 20. Jahrhunderts gibt es zahlreiche Verbindungslinien, aber auch ebenso viele Abweichungen und Abbrüche. Arndts Gebrauchsgeschichte hat sich mit den staatlichen Systemen, politischen Brüchen und sozialen Bewegungen verändert. Wirkungen und Nachwirkungen der Arndt-Bilder des 20. Jahrhunderts sind uns näher als die Wirkungsmomente des 19. Jahrhunderts. Die sich politisch-konfessionell scheidenden Rezeptionswege Arndts und das differenzierte ArndtBild der historischen Lesergemeinden im Kaiserreich, der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und der Bundesrepublik sowie der DDR waren nicht nur von ArndtLektüren, sondern auch von Arndt-Bildern, von Zuschreibungsphänomenen, geprägt, die sich der historischen Person in wachsendem Maße angeheftet haben. Einige dieser Bilder begannen sich unmittelbar nach Arndts Tod zu verdichten. So verdeutlichen die Nachrufe bereits Ursprungsorte und Inhalte der posthumen Arndt-Bilder, deren Entwicklung von dort aus im Laufe der letzten 150 Jahre unterschiedliche Wege nahm.

Arndt und seine Erinnerung nach 150 Jahren

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Diese Arndt-Nekrologe werden hier erstmals in repräsentativer Auswahl gesammelt und in einer bündigen Edition als Quelle der Rezeptionsgeschichte vorgestellt. Sie gestatten, was selten möglich ist: eine Momentaufnahme, eine zu einem bestimmten Zeitpunkt geronnene Erinnerung – zu dicht am Leben, um sich der Verklärung ganz hinzugeben, und zu nahe am Tod, um respektlos oder kaltblütig abzurechnen. Für den Historiker sind sie gerade darum reizvoll – und weil sie vielfältige Muster und Interpretationen eines Lebens vorbilden, die prägend für spätere Zeiten werden können. Mit Nachrufen beginnt in aller Regel die Geschichte der Deutung von Leben und Werk bedeutender Persönlichkeiten. Diese Texte führen uns also an den Ursprung moderner Arndt-Bilder, die für die spätere Rezeptionsgeschichte wirksam werden sollten. Heute, wie zu jeder Zeit, stehen sich kontroverse Arndt-Bilder gegenüber. Die Erinnerungstagung zum 150. Todestag Arndts war unsere Antwort auf eine hitzig geführte Debatte. Die 2001 und 2010 gescheiterten Kampagnen gegen den Greifswalder Universitätsnamen hätten auch Gegenstand dieser Einleitung sein können: als ein Beitrag zur aktuellen Rezeptionsgeschichte Arndts. In den räumlichen Grenzen dieser Einführung wäre indessen eine umfassende Analyse der auf meheren Ebenen geführten Debatte nicht zu leisten gewesen. Nichtsdestotrotz sind viele der hier veröffentlichten Beiträge im Spannungsfeld und unter den Eindrücken der im 150. Todesjahr Arndts aufbrandenden Diskussion entstanden. Diesem Umstand trägt am Schluß des Anhangs ein Zeitdokument zur jüngsten Debatte um den Greifswalder Universitätsnamen Rechnung. In Christian Peplows reflektierten Echo auf die Greifswalder Auseinandersetzung ist leitmotivisch eingefangen, was im studentischen Disput des Jahres 2009 und 2010 wichtig war. Wir danken allen Beiträgern für die zügige Fertigstellung der Manuskripte. Herrn Michael Czolkoß gilt unser besonderer Dank für die Erstellung des Personenregisters. Die Herausgeber

Die Bildungslehre Ernst Moritz Arndts Reiner Preul Wenn ein Schriftsteller, der viel und über viele Dinge schreibt, wie es bei Ernst Moritz Arndt der Fall ist, sich auch zur Erziehung und Bildung äußert, dann verdient das besondere Aufmerksamkeit. Man geht in der Regel nicht fehl in der Annahme, dass man in diesen Ausführungen so etwas wie den Schlüssel zum ganzen Werk und zur Person seines Autors in die Hand bekommt. Denn wer sich zur Bildung des Menschen äußert, der gibt preis, was seine innerste Überzeugung ist, der veröffentlicht seine Weltanschauung, sein Wirklichkeitsverständnis im Zusammenhang mit seinem Menschenbild. Wer das Wort „Bildung“ nicht nur in dem formalen und bürokratischen Sinne gebrauchen will, in welchem man von Bildungsanstalten, Bildungschancen, Bildungsabschlüssen usw. spricht, sondern wirklich über „Menschenbildung“ reden will, der muss sagen, worin nach seiner Meinung die Bestimmung des Menschen besteht, wie sie erreicht und wie sie verfehlt werden kann. Er muss sagen, was für ein Wesen der Mensch ist und in welchen Zusammenhängen mit der Welt und auch mit Gott dieses Wesen zu sehen ist; er muss dann z. B. auch sagen, ob es dem Menschen frei steht, seine Bestimmung selbst zu setzen, oder ob er sie als ihm vorgegebene Bestimmung findet und ob dann diese Vorgabe ihm schon eingestiftet ist in seiner Natur oder ob sie ihm auf kontingente Weise, insbesondere durch Offenbarung, kund gemacht wird. Vielleicht wird er sich auch noch zum Verhältnis von Allgemeinbildung, die jedem Menschen zugedacht ist, und Spezialbildung, die auf besondere Aufgaben bezogen ist, äußern. Wie immer sich ein Schriftsteller in diesen Fragen positioniert, Bildung in der hohen Bedeutung des Wortes ist immer und grundsätzlich die Realisierung der Bestimmung des Menschen am Ort des Individuums.1 Die Einschränkung „am Ort des Individuums“ ist erforderlich, da der Mensch seine Bestimmung auch in den Institutionen und Gemeinschaftsformen verwirklicht, die er in gemeinschaftlicher Praxis schafft und gestaltet und in denen er lebt und handelt, wie es u. a. und auf ganz verschiedene Weise schon Aristoteles und in neuerer Zeit Schleiermacher vorgeführt haben. Bildungstheorie bzw. Bildungslehre als hermeneutischer Schlüssel zum Gesamtwerk eines Autors: das dürfte sich auch bei Arndt bewähren. Es sei denn, man hielte die „Fragmente über Menschenbildung“ nur für den Ausdruck einer vorübergehenden, vom Einfluss Rousseaus beherrschten Phase in Arndts geistiger Entwicklung, wofür es aber keine starken Argumente gibt.2 Jedenfalls hat Arndt seine Ideen zur Menschenbil1

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Vgl. zu dieser Definition und ihrer Vervollständigung durch die Bestimmung „Bildung als gesteigerte und über sich aufgeklärte Handlungsfähigkeit“ Reiner Preul, Art. Bildung IV, in: RGG4, Bd. 1 (1998), Sp. 1582–1584. Zu Arndts schon zur Zeit der Abfassung der „Fragmente über Menschenbildung“ nicht unkritischem Verhältnis zu Rousseau vgl. Irmfried Garbe, Arndt als Menschenerzieher, in: Carola Häntsch / Joachim Krüger / Jens E. Olesen (Hg.), Thomas Thorild (1759–1808). Ein schwedischer Philosoph in Greifswald (Publikationen des Lehrstuhls für nordische Geschichte, Bd. 10), Greifswald 2008, 155–175, bes. 158ff.

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Reiner Preul

dung später nicht widerrufen. Die beiden ersten und für Arndts Bildungsverständnis maßgeblichen Bände der „Fragmente“ erschienen 1805, ein Jahr vor dem ersten Band über den „Geist der Zeit“.3 Sie fallen also in die frühe Phase von Arndts Schriftstellerei. Auch das spricht noch einmal dafür, ihnen eine fundierende Bedeutung zuzuerkennen. Man muss diesen Zugang zum Werke Arndts gegenüber Historikern geltend machen, welche, wie es bei einem politisch so engagierten Menschen wie Ernst Moritz Arndt nahe liegt, zunächst einmal nach anderem fragen: welche Partei eine Person, in unserem Fall also Arndt, in den verschiedenen Auseinandersetzungen seiner Zeit ergriff, wie sie auf die großen geschichtlichen Ereignisse reagierte, in welche geistes-, kultur- und sozialgeschichtlichen Bewegungen sie einzuordnen ist. Oder sie nehmen sie in Schutz gegen missbräuchliche Verwendung und Instrumentalisierung, indem sie die für spätere Ohren anstößigen Äußerungen mit anders lautenden und unmissverständlichen Aussagen ausbalancieren. Übrigens findet sich keiner der besonders anstößigen Sätze Arndts in seiner Bildungslehre. Das Fundament, das hier sichtbar wird, kann uns zwar in mancher Hinsicht als merkwürdig erscheinen, aber es gibt keinen Anlass zu irgendwelchen Protesten. Trotz ihres hohen werkimmanenten Stellenwertes ist die Bildungslehre Arndts fast völlig in Vergessenheit geraten. Auch der große publizistische Gesamterfolg Arndts konnte daran nichts ändern. In Werken zur Geschichte der Pädagogik wird Arndt allenfalls beiläufig erwähnt.4 Die Artikel über Arndt in den letzten beiden Auflagen der „Religion in Geschichte und Gegenwart“ übergehen die Bildungslehre vollkommen. Die Linien von Arndts Gedanken zur Bildung in das Gesamtwerk, also insbesondere zu den historischen und politischen Schriften, kann ich im Folgenden nicht ausziehen. Ich begnüge mich mit dem Fundament als solchem. Im ersten Abschnitt skizziere ich kurz den äußeren Zuschnitt der „Fragmente über Menschenbildung“, im 3

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Ernst Moritz Arndt, Fragmente über Menschenbildung, Erster Theil Altona 1805, bei J. F. Hammerich, Zweiter Theil ebd. 1805. Als eine Art Appendix ließ Arndt erst 1819 die 1810/11 entstandenen „Briefe an Psychidion oder Ueber weibliche Erziehung“ als dritten Teil im gleichen Verlag und in gleicher Aufmachung folgen. Vielleicht besser zugänglich ist die um etwa 35–40 Prozent verkürzte, an moderne Schreibweise angepasste und mit Zwischüberschriften versehene Neuausgabe von Wilhelm Münch / Heinrich Meisner (Hg.), Ernst Moritz Arndts Fragmente über Menschenbildung (Bibliothek Pädagogischer Klassiker), Langensalza 1904. Da Arndts Ausführungen reichlich redundant sind, entgeht dem Benutzer dieser Ausgabe in der Sache nicht allzu viel. Fritz Blättners ganz an Personen orientierte Geschichte der Pädagogik, Heidelberg 196612, bedenkt Arndt mit folgenden klein gedruckten Zeilen: „Ernst Moritz Arndt steht in den ‚Fragmenten für [sic!] Menschenbildung‘ noch stark unter dem Einfluß Rousseaus und der Griechenbegeisterung. Erst in den späteren politischen Schriften, vor allem im ‚Geist der Zeit‘, spricht er mit tiefer Ergriffenheit vom Volk, aus dem die edelsten Geister stammen, und er wird als Begleiter des Reichsfreiherrn vom Stein, dann als Professor in Bonn und noch als Mitglied des Parlaments der Paulskirche zum weithin gehörten und geehrten Wortführer eines Volkes und insbesondere einer Jugend, die einen deutschen Staat wollte, weil sie mit Fichte und Arndt deutsch und menschheitlich, deutsch und christlich, deutsch und frei empfand.“ AaO. 167. Auf der folgenden Seite wird noch erwähnt, dass die „Fragmente“ eine Zeit lang für Fröbel „eine Bibel der Erziehung“ waren.

Die Bildungslehre Ernst Moritz Arndts

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zweiten referiere und kommentiere ich den Inhalt. Abschließend versuche ich Arndts Bildungslehre unter Bezugnahme auf aktuelle Gesichtspunkte zum Thema der Bildung zu würdigen.

I. Die äußere Anlage der Fragmente über Menschenbildung 1. Als Gerüst seiner Darstellung wählt Arndt den menschlichen Lebenslauf, und zwar bis zum Eintritt in das bürgerliche Leben. So war auch Rousseau in seinem Erziehungsroman „Émile“ verfahren. Es war allgemein üblich, auch in Schleiermachers Vorlesungen über Erziehung ist es so, die eigentliche Erziehung bzw. Bildung in dem Moment enden zu lassen, in dem der Erzogene selbst in die Rolle des Erziehers wechselt oder wechseln kann. Erwachsenenbildung mit organisiertem Lernen gibt es bei Arndt nicht, was freilich nicht ausschließt, dass auch die Eltern durch Erfahrung mit ihren Kindern noch Einsichten gewinnen können. „So ihr nicht werdet wie die Kinder...“ – dieser Spruch hat in pädagogischen Zusammenhängen schon immer eine Rolle gespielt5 und wird auch von Arndt zitiert. (I, 251; 73)6 Die eigentlich bildungsrelevante Periode teilt Arndt, wieder üblichen Vorgaben folgend, ein in (eigentliche) Kindheit (bis etwa 5 Jahre), Knabenalter und (von etwa 13/14 bis 20 Jahre) Jünglingsalter. Dieses Darstellungsschema gibt der Bildungslehre eine gewisse Systematik anhand der menschlichen Entwicklung. Es gibt zugleich Gelegenheit zu ausgreifenden Beschreibungen psychologischer Art. Im Zusammenhang mit diesen Beschreibungen entwickelt Arndt dann allgemeine Gesichtspunkte zum Wesen der Bildung und zur Erziehungspraxis. 2. Hervorzuheben ist die idealtypische Betrachtungs- und Konstruktionsart der „Fragmente“. Das gilt in dreifacher Hinsicht. Einmal: Arndt konzentriert sich auf die Erziehung der männlichen Jugend. Über die Erziehung der Mädchen macht er sich erst ein gutes halbes Jahrzehnt später Gedanken, wobei es in den „Briefen an Psychidion“ auch weniger um bildungs- als um kulturtheoretische Betrachtungen geht. Dass die Erziehung der Mädchen abgespalten wird wie auch schon bei Rousseau – sie wird dann auch nicht mehr nach Perioden gegliedert vorgetragen – hat freilich zur Folge, dass der Sachverhalt, dass es Menschen weiblichen Geschlechts gibt, in Arndts Erziehungslehre so gut wie keine Rolle spielt, abgesehen freilich davon, dass Arndt über die Bedeutung der Mutter für den Knaben sehr viel zu sagen weiß. Erst am Ende des Jünglingsalters tritt „das Weib“ dann in das Leben des jungen Mannes ein.7

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Schon Luther machte von ihm Gebrauch, so etwa in den Tischreden (WATR) unter der Nummer 1631. Ziffern mit vorangestellter römischer Zahl I oder II beziehen sich auf den ersten oder zweiten Band der Originalausgabe von 1805; nach dem Semikolon wird, sofern möglich, die Seitenzahl bei Münch/Meisner angegeben, auch Seitenzahlen ohne römische Ziffer beziehen sich auf diese Ausgabe. Da Arndt in diesem Zusammenhang schon im zweiten Teil der „Fragmente“ Ausführungen über die weibliche Natur im Verhältnis zur männlichen macht, ist zu vermuten, dass er an eine Fortführung zunächst nicht gedacht hat.

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Reiner Preul

Zum anderen stellt sich Arndt von vornherein Knaben aus einem optimalen Elternhaus vor, d. h. mit Eltern, die ihren Aufgaben gerecht werden und die auch über die erforderlichen Mittel verfügen: gehobener Mittelstand und nach Möglichkeit auf dem Lande. Arndts eigene glückliche Kindheit auf Rügen bestimmt seine Wahl. Dass Arndt im Unterschied zu den Philanthropisten und zu Pestalozzi – man denke nur an „Lienhard und Gertrud“ – sich über die Bildung der niederen Volksschichten keine Gedanken macht, bedeutet freilich nicht, dass ihm die Bildung der sozial Schwachen gleichgültig wäre, das wäre ein voreiliger Schluss. Die Konzentration allein auf Bildung unter günstigen Voraussetzungen folgt vielmehr aus dem Bestreben, darzustellen, was optimal möglich ist, um zu zeigen, zu welcher Größe und inneren Schönheit der Mensch gelangen kann. Dass die günstigen Voraussetzungen nicht überall gegeben sind, fordert dann grundsätzlich auch zu einer sozialkritischen Verwendung der Arndt’schen Bildungslehre heraus. Arndt will jedenfalls ein Ideal aufstellen. Dass Arndt dieses Ideal aber nicht zugleich auch auf die realen sozialen Gegebenheiten bezieht, um zu zeigen, was auch unter einschränkenden Bedingungen noch möglich ist, wird man dann doch wohl als Versäumnis und Schwäche seiner Konzeption bewerten müssen. Ferner zeigt sich hier, dass Arndt das Thema der Bildung überhaupt nicht unter dem Gesichtspunkt der durch Bildung ermöglichten sozialen Mobilität reflektiert, ein Gedanke, den seinerzeit schon Luther mit Nachdruck ausgesprochen hatte.8 Das dritte idealtypische Konstruktionselement ist die Beschränkung auf bildungsgünstige klimatische Zonen. Arndt teilt mit etlichen seiner Zeitgenossen, so z. B. mit dem gleichzeitig in Greifswald lehrenden schwedischen Philosophen Thomas Thorild, die Auffassung, dass das Klima in Verbindung mit lokalen landschaftlichen Gegebenheiten einen prägenden Einfluss auf den Charakter und die Fähigkeiten des Menschen hat. In polarer Kälte, „wo alles Leben erstirbt, wo ein ewiges Bild des Todes und der Zerstörung offen liegt, kann der Mensch nur wenige Stufen über die unterworfenen Thiere steigen. Gehe ich zu den Ländern, denen die Sonne im Scheitelpunkt steht, so ist das etwas Ähnliches, jedoch umgekehrt, nur mit Ausnahmen in den Gegenden, wo hohe Gebirge und Waldinseln mit Sturmbergen in ihrem Innern selbst unter der Linie ein kühleres Klima machen können.“ (I, 30f; 6) Eine vier- bis fünftausendjährige Geschichte lehre, dass „die thätigsten, gebildetsten und glücklichsten Menschen von jeher zwischen dem fünfundzwanzigsten bis sechzigsten Grad nördlicher und südlicher Breite gewohnt“ haben. (I, 35; 7)9 3. Arndts Bildungs- und Erziehungslehre ist nicht die Folgerung aus einem geschlossenen gedanklichen System, so wie beispielsweise Kant und Fichte ihre Erziehungsgrundsätze abgeleitet haben. Sicher sind etliche Einflüsse direkter und indirekter Art auf Arndt nachzuweisen oder zu vermuten, betreffend Rousseau, Leibniz, Herder, Wilhelm von Humboldt und den Neuhumanismus, die Frühromantiker, nicht zu vergessen: Platon. Aber man muss seine Konzeption nicht von diesen Denkern her mühsam erschlie-

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So besonders in der zweiten der so genannten Schulschriften: Eine Predigt, dass man Kinder zur Schulen halten solle (1530), WA 30/II, 517–588, dort 567, 575ff. Greifswald, wo Arndt die „Fragmente verfasste, liegt auf dem vierundfünfzigsten Breitengrad, also noch einigermaßen in der optimalen Zone.

Die Bildungslehre Ernst Moritz Arndts

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ßen und zusammensetzen. Ingrid Hruby behauptet in ihrer Dissertation10 eine besondere Abhängigkeit von Leibniz und Herder, von denen Arndt seine Vorstellungen von Mikrokosmos und Makrokosmos sowie von Individualität und Geschichte habe. Mag gut sein, dass es so ist; aber Arndt beruft sich nicht darauf, leitet seine Gedanken zur Bildung nicht expressis verbis daraus ab, und ich wage zu behaupten, dass er sich in der Sache wenig anders ausgedrückt hätte, wenn er die Monadologie und die einschlägigen Schriften Herders nicht gekannt hätte. Wenn man z. B. liest, wie einfühlsam er die frühe Mutter-Kind-Beziehung beschreibt, möchte man auch meinen, er sei bei der Tiefenpsychologie, speziell bei René Spitz und Heinz Kohut, in die Schule gegangen. Arndt ist ein in hohem Maße selbständiger, eigenwilliger und origineller Geist. Selbst die Vorurteile, die man ihm rückblickend vorhält – etwa zum Verhältnis von Mann und Frau –, hat er sich nicht einfach aufschwatzen lassen, wiewohl er sie mit vielen Zeitgenossen teilte, er hat sie selber produziert oder reproduziert, sonst hätte er sie nicht so nachdrücklich vertreten. Worauf fußt dann Arndt in den „Fragmenten über Menschenbildung“? Aufgrund meines Leseeindrucks möchte ich sagen: Er fußt, unbeschadet gedanklicher Anregung durch andere, auf eigener Lebensgeschichte und Erfahrung mit der in Rede stehenden Sache, auf scharfer Beobachtung und psychologischer Menschenkenntnis, auf sehr genauer Wahrnehmung der Dinge, besonders der Naturerscheinungen in ihrer äußeren Gestalt, Farbe, Dichte, Veränderlichkeit, und dazu kommt ein dichterisch-bildhaftes Assoziationsvermögen und ein beweglicher rascher Ausdruck, der die „Verfertigung der Gedanken beim Reden“ (Kleist) befördert. 4. Jede Interpretation der „Fragmente“ muss die besondere Sprache, in der sie abgefasst sind, beachten. Arndt stellt seinem Werk ein langes Gedicht voran, in welchem er seine Anschauungen zusammenfasst. (I, 5–22) Was dann folgt, ist eine Art poetischer Prosa, voller Metaphern und Vergleiche, oft aus dem Bereich der Natur, voller rhetorischer Fragen, Einwürfe von Opponenten und temperamentvoller Ausbrüche.11 Dieser Stil, der auf Kosten begrifflicher Schärfe geht, macht dem Leser gelegentlich Mühe. Er entspricht aber in besonderem Maße dem Gegenstand der „Fragmente“. So wie nach Arndts Meinung der zergliedernde Verstand der größte Verderber einer natürlichen Bildung ist – die Polemik gegen begriffliche Analytik durchzieht wie ein Cantus firmus das ganze Werk –, so finden sich auch in Arndts Darstellung keinerlei methodisch kontrollierte Beweisgänge. Nirgends werden Hypothesen aufgestellt und überprüft. Arndt spricht aus, was er am Phänomen der Bildung und an dem Umgang der Zeitgenossen mit diesem Sachverhalt wahrnimmt, und tut sogleich seine Meinung dazu kund, und zwar immer im Brustton der Überzeugung. Arndt ist kein Wissenschaftler, sondern 10 Ingrid Hruby, Imago Mundi. Eine Studie zur Bildungslehre Ernst Moritz Arndts, Frankfurt a. M. 1981. 11 Eine Kostprobe: „Sie ist einem freudigen Strom gleich, der durch lustige Auen dahin fließt; seine Wellen fliehen wie Pfeile fort, in aller Beweglichkeit zum großen Ziel, zum Ozean, gerichtet, hoch scheint seine sich hebende Mitte über die Ufer schlagen und den Wanderer mit fortspülen zu wollen, doch wird sie gehalten, ruhig dringt das Aug durch die unendliche Tiefe bis an den klaren Boden.“ (II, 169; 151) Arndt spricht von der Schönheit und Feinheit der griechischen Sprache.

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Reiner Preul

Redner, Prediger, Schriftsteller, der seine Leser unmittelbar beeinflussen, begeistern oder auch entrüsten will ob des Unverstandes, den Arndt überall am Werke sieht. Das ganze Werk ist ein ununterbrochener Redefluss, ohne äußere Gliederung und ohne Kapitelüberschriften. Die Ausdrücke „Bildungslehre“ oder gar „Bildungstheorie“ müssten daher in Anwendung auf Arndt immer in Anführungszeichen gesetzt werden.12

II. Inhaltliche Darstellung Wir fragen zunächst nach Grundsätzlichem, das für den gesamten Bildungsprozess gilt, und gehen dann an den Bildungs- und Entwicklungsperioden entlang. 1. Grundsätzliches a) Arndts Weltanschauung. Im „All der Dinge“ (I, 3; 3), also in der Natur, deren Teil wir sind, hängt alles mit allem in einem sinnvollen Gefüge zusammen, und zwar so, dass in jedem einzelnen Ding sich das Ganze spiegelt. Dieses Ganze ist durchwirkt von einem göttlichen Geist und von göttlicher Schaffenskraft; Arndt kann auch den Ausdruck „Weltgeist“ oder „Weltseele“ verwenden. Die Harmonie und die Entsprechungen, die Arndt in der Natur wahrnimmt, motivieren ihn wohl auch dazu, hier von „Liebe“ als einer Art Weltprinzip zu sprechen: „Alles also durch Liebe und alles um Liebe. So, Lieber, steht und geht meine Welt, keine andre hab’ ich gefunden und keine andere mögt’ ich finden. In Liebe sah ich die Welt entstehen, in inbrünstiger Liebe seh ich sie wandeln, ein heißes Herz, alles ausströmend und alles versammelnd, fühle ich in ihrem Innersten schlagen und mich zu sich ziehen. Durch Liebe, wie ich gebildet bin, durch die Nothwendigkeit, welche durch diese Liebe nur verständlich wird, [...] mögte ich die Menschheit bilden sehen, da ich sie dadurch so leicht und so herrlich bildbar sehe.“ (I, 4; 3f ) Liebe und – wie das Zitat zeigt – Notwendigkeit sind grundlegende kosmologische Kategorien, die dann auch bestimmend für den Prozess der Bildung werden sollen. Die religiöse Terminologie, die Arndt immer wieder einfließen lässt, ist schwankend; schon in den „Briefen an Psychidion“ wird sie deutlicher christlich sein. Statt vom Weltgeist kann Arndt auch vom Schöpfergott reden. Den Begriff des Heiligen kann er unbefangen auf weltliche Gegebenheiten anwenden, obwohl damit, theologisch geurteilt, immer die Gefahr des Götzendienstes gegeben ist. Für seine uneinheitliche Ausdrucksweise hätte Arndt sich wohl damit gerechtfertigt, dass das Göttliche ohnehin mit Worten nicht zu fassen sei; es wird gefühlt, geahnt, verehrt, und nichts zu „wähnen und zu glauben“ gilt ihm als „der schlimmste Wahn und der tollste Aberglaube“. (I, 247; 71)13 Man weiß nicht recht, ob Arndt in den „Fragmenten“ von 1805 12 Im Blick auf die essayistische Art von Arndts Darstellung halte ich mit Ingrid Hruby „Bildungslehre“ für den zutreffenderen Ausdruck. 13 Man beachte auch folgende aufschlussreiche Passage: „Ich sage euch hier, euch, die ihr alles wissen und verstehen, alles zur Klarheit von Begriffen bringen könnt, daß ihr eben durch dieses Allwissen und Verstehen nichts mehr wisset, durch diese Klarheit der Begriffe nichts

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mehr Pantheist oder mehr Christ ist, vielleicht kann man ihn als einen christlichen Pantheisten bezeichnen. Vergleiche mit Goethes Naturfrömmigkeit, mit romantischer Religiosität und besonders mit Schleiermachers „Reden über die Religion“ liegen auf der Hand, nur dass bei Schleiermacher das Gefühl für das Unendliche und Göttliche mehr durch die Anschauung der Menschheit in ihrer Gesamtheit als durch die der Natur angeregt wird, während bei Arndt die Anschauung der Natur im Vordergrund steht. Die Hinwendung zur Reformation und zum Luthertum erfolgte ja erst in der schwedischen Zeit in Arndts Lebenslauf, später dann wohl auch unter dem Einfluss seines Schwagers Schleiermacher. In den „Fragmenten“ von 1805 finden sich noch recht kritische Bemerkungen über das Christentum, z. B. dass es den Satan und die gar nicht in Arndts Konzept passende Erbsünde eingeführt habe (II, 40; 96) oder dass es durch die Setzung Gottes außerhalb der Welt diese zur Maschine gemacht habe (II, 193; 162). Vielmehr gelte es, „in allen Dingen einen göttlich wirkenden, geheim verbindenden, lebendigen Geist“ zu sehen bzw. sehen zu lassen, wenn es um das Lehren von Religion geht. (II, 49; 101) Theologisch kommt in Arndts Welt- und Menschenbild allenfalls die Lehre von der Schöpfung zum Tragen, nicht die Erlösungslehre. b) Der Mensch und seine Bildung. „Ein Mikrokosmos ist der Mensch, ein Bild aller Bilder, eine Gestalt aller Gestalten, ein großer Spiegel, der den Inhalt vieler kleinen Spiegel in sich versammeln soll.“ (I, 24; 5)14 Damit sind Sein und Bestimmung des Menschen angegeben. Die Würde, der Adel, der Wert des Menschen ist schon in seinem Sein als diesem Mikrokosmos begründet, nicht erst in dem, was man aus ihm machen kann (I, 71; 14) – eine Einsicht, die nun doch recht protestantisch anmutet.15 Bezüglich seiner Entwicklung, in der der Mensch den Inhalt der vielen kleinen Spiegel in sich versammelt, indem er den Dingen in der Welt begegnet und mit ihnen umgeht, gilt es, der im Zusammenhang der Welt gegebenen Menschennatur zu vertrauen. Die Natur des Menschen ist mit einem Naturtrieb oder Instinkt – dieser Begriff erscheint immer wieder – ausgestattet, der ihn bei der Suche nach dem ihm Gemäßen leitet. Dabei kommt es darauf an, die Dinge, durch deren Begegnung der Mensch gebildet wird, seine Kräfte entfaltet und stärkt, so auf sich wirken zu lassen, wie sie sich der unmittelbaren Wahrnehmung darbieten, auch wie sie sich zum Gebrauch anbieten, womit sie dann zum Bestandteil des menschlichen Lebens und Handelns werden. Jede

mehr sehet. Denn alle Klarheit durch Begriffe, wenn ihr kein tieferes und höheres Seyn unterlegt, welches man glauben muß, ist die Anzündung einer unendlichen Menge künstlicher Lichter über einer Wüste, und zwar ein so dickes Anzünden, daß alle Schatten fehlen. Durch Lichter und Schatten zusammen aber sieht der endliche Sterbliche nur etwas. Wir setzen eben darum mit allen einfältigen Sprachen und Menschen den ersten Träger aller Dinge im reinsten Lichte, weil wir ihn nicht begreifen. Für uns ist Licht und Schatten zugleich gegeben, und bescheiden sollen wir vieles nur glauben, wähnen und ahnden wollen, weil wir es nicht wissen können.“ (I, 246 f ) 14 Es ist das Verdienst und die Stärke der Dissertation von Ingrid Hruby, diese Perspektive in Arndts Bildungslehre systematisch ausgearbeitet zu haben. 15 Entsprechend kritisiert Arndt seine Zeit, „wo dem Besitzergreifen niemand ein Maaß setzt, wo alles Leben im Haben steht, fast keines im Seyn. Wer noch nichts hat, hat alles.“ (I, 177; 45)

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mutwillige Störung des naturgemäßen Entwicklungsganges nennt Arndt Sünde. (z. B. I, 236; 68) Sünde ist Verletzung der Natur des Menschen und der Gesamtnatur, des „Gesamtlebens“. (I, 176; 44) Immer wieder verwendet Arndt für die naturgemäße Entwicklung bzw. Bildung des Menschen Vergleiche aus dem Pflanzenreich. So wie der Mensch aus der Hand der Natur oder Gottes hervorgeht, ist er gut und gelungen, ganz wie schon bei Rousseau.16 Arndt weiß nichts von zerstörerischen Kräften oder Dämonien, die in ihm angelegt wären, um dann irgendwann auszubrechen. Andernfalls könnte er auch nicht kühn formulieren: „Jede Natur hat ein Recht zu seyn, was sie will.“ (I, 253; 73) Die hier zu stellende Frage, wie denn das Verderben in die Welt und in den Menschen und dann auch in die Erziehungspraxis hineingekommen sei, wird von Arndt allzu dürftig beantwortet, wenn er auf die Klügelei und Vielwisserei verweist (I, 23; 4); die Menschen seien „aus dem Weltleben des Seyns in das Gedankenleben des Scheins hineingeführt“ worden (ebd.). Während in herkömmlicher Anthropologie, sei es unter dem Einfluss der Kirchen, sei es aber auch unter dem der Aufklärung, das Bedrohliche im Menschen oft in seiner Triebstruktur, die man für roh erklärt, gesehen wird und dagegen dann das Denken zu Hilfe gerufen wird, ist es bei Arndt umgekehrt. Dass es bezüglich der anthropologischen Basis, mit der Arndt operiert, einiges zu hinterfragen gibt, liegt auf der Hand. Wir kommen darauf noch zurück. Der Vorgang der Bildung, in welchem der Mensch „zum Bilde der Welt“ gemacht wird (I, 45; 11), besteht im Wesentlichen in einem Geschehenlassen. „Sich bilden lassen soll man den jungen Menschen, alle Züge der schönen Welt sich frisch in die weiche Tafel einzeichnen lassen; so soll das lustige Reich der Bilder, so das Bild der Bilder, das Leben, in ihm und vor ihm auf und unter gehen. Dies wollen wir Bildung nennen und die Nichtstörung dieses einfältigen Naturverfahrens heißt uns Menschenbildung im höchsten Sinn.“ (I, 46; 11) c) Für die Erziehung folgt aus dem Gesagten, dass sie prinzipiell „negative“ Erziehung ist (220), wie Arndt wieder in Übereinstimmung mit Rousseau sagt; sie darf kein „Ziehen und Zerren“ sein. (I, 42; 10) Infolgedessen konzentriert sich Arndt besonders auf die Fehler, die zu unterlassen sind. Arndt ist ein eingeschworener Gegner aller planmäßigen Menschenbildnerei. Der so genannten pädagogischen Hybris „Hier sitze ich, forme Menschen nach meinem Bilde“ ist Arndt am allerwenigsten verdächtig. Nicht einmal zur Selbständigkeit ist der Mensch zu erziehen, er ist von sich aus selbständig. „Wir werfen zuerst alle Absicht, allen bestimmten Zweck aus der Erziehung heraus und sagen, sie soll seyn ein Erhalten des Menschlichen, ein Bewahren des Kindlichnatürlichen.“ (I, 43; 10) 16 Anders Friedrich Gundolf, Hutten – Klopstock – Arndt. Drei Reden, Heidelberg 1923: „Arndt geht nicht wie Rousseau von der ursprünglich vernünftigen und guten Menschennatur aus [...] Mehr als die Aufklärer sah er das Dunkle und Gefährliche schon im Kinde angelegt – die Gewalt der Leidenschaften, die durch keine bloßen Lehren zu regeln sind.“ (AaO. 52) Diese Auffassung hat keinen Anhalt am Text. Zwar entspricht es Arndts Meinung, dass die Leidenschaften durch keine bloßen Lehren zu regeln sind, aber er weigert sich gerade, in den Leidenschaften des Kindes und ihrer ungestümen Äußerung den Keim späteren Übels zu sehen.

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Welches sind die Hauptfehler, die auf jeden Fall zu vermeiden sind? Einmal das „Ziehen und Zerren“, die pädagogische Ungeduld und die daraus resultierende Verfrühung in allen Phasen des Entwicklungsprozesses. Arndts ganzer Zorn richtet sich gegen eine Erziehung, die den Menschen zurechtstutzt, die ihm die Gegenwart raubt, die Freude an dem, was ihm begegnet, und an seinem eigenen Können, den glücklichen Augenblick. „Man soll dem Menschen Zeit lassen zu leben und alles Lebendige an sich bilden zu lassen.“ (I, 232; 66) Das ist Arndts pädagogischer Grundsatz. Weiter ist zu nennen: das Vermittelnwollen von Lerngegenständen und Kenntnissen, die nichts mit dem jeweiligen Lebenskreis und Erfahrungsbereich zu tun haben. Arndt sieht deutlich die Gefahr einer funktionslosen Vielwisserei, die dann nur zu einem albernen Bildungsdünkel führen kann. Ferner gehört zu den Kardinalfehlern in Arndts Sicht: die Zerlegung von Lerngegenständen in seine Bestandteile, so wie es in der wissenschaftlichen Behandlung üblich ist. Vor allen wissenschaftlichen Zugängen, die als solche immer mit einer Isolierung von Sachverhalten und Aspekten sowie mit einer Zerstückelung von Erfahrungswirklichkeit verbunden sind, geht es um den jeweiligen lebendigen Gesamteindruck eines Gegenstandes, und sofern Details betrachtet werden sollen, geht der Weg immer vom Ganzen zum Teil. Schließlich wird Arndt nicht müde, eine einseitige, vorwiegend auf die Verstandeskräfte konzentrierte Erziehung und Ausbildung zu verurteilen. Vom Gemüt ist bei ihm immer wieder die Rede, vom Charakter und von Seelenbildung. Er macht sich Pestalozzis Formel „Kopf, Herz und Hand“ zu eigen. Alles Wissen soll auch ein Können sein, und auch die Kräftigung des Körpers darf nicht vernachlässigt werden. Arndt propagiert also eine ganzheitliche Bildung, wie wir das heute nennen würden. Auch den fächerübergreifenden Unterricht hat er schon auf seine Weise konzipiert. d) Das Ziel der negativen Erziehung, das aber nicht planvoll hergestellt werden kann, sondern sich von selbst ergibt, weil es der natürlichen Anlage des Menschen entspricht, ist der an Leib und Seele gesunde, seines Daseins frohe, seines inneren Adels bewusste, tatkräftige, herzliche und mannhafte Mensch, der mit der Welt, mit Gott, auch mit sich selbst und mit seinem Volk im Einklang steht. So kann man im Blick auf das ganze Werk zusammenfassend formulieren; eine einheitliche Definition des Bildungsideals, die man zitieren könnte, findet sich aber nicht. Auch wäre hier nach Mann und Frau zu differenzieren. Negativ grenzt Arndt sein Bildungsziel nach zwei Seiten ab: einerseits – im Gefolge der Romantik – gegen den kahlen Verstandesmenschen, gegen den Rationalismus also, andererseits gegen den welt- und lebensfremden Phantasten und Schwärmer, gegen die „Empfindelei“, Weichlichkeit und Künstelei, man könnte sagen: gegen einen lebensuntüchtigen Ästhetizismus, wie Arndt ihn offenbar auch bei manchen Romantikern wahrnimmt. Mit dieser doppelten Abgrenzung nimmt er einen Teil der späteren Kritik am Bildungsbürgertum und „Bildungsphilistertum“, wie wir sie besonders bei Nietzsche finden,17 vorweg. Auch im Erfinden von despektierlichen Ausdrücken für die entsprechenden Pädagogen und Schulmänner steht er Nietzsche

17 Einschlägig ist vor allem die zweite der „Unzeitgemäßen Betrachtungen“: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, in: Friedrich Nietzsche. Werke in drei Bänden, hg. von Karl Schlechta, Darmstadt 1966, Bd. 1, 209–285.

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nicht nach: „Kauzen- und Dohlengeschlecht“ (I, 256; 74), „krächzende Geier“, „Flagellantenschaar der faulen Rückenbläuer“ (I, 6) und dergleichen mehr. e) Wie steht es mit dem Dual von Allgemeinbildung und Spezialbildung, der an sich und unter welchen Bezeichnungen auch immer in keinem bildungstheoretischen Konzept fehlen darf? Alles, was Arndt in den „Fragmenten“ vorträgt, betrifft ausschließlich die Allgemeinbildung unter dem programmatischen Titel der „Menschenbildung“. Er fragt überhaupt nicht, was man denn derzeit alles braucht an Kenntnissen und Fertigkeiten in den einzelnen Berufen, im Gewerbe oder in der Landwirtschaft, im Heer und in der Beamtenschaft, um von daher Folgerungen für die Bildung zu ziehen. Von der Art, wie wir heute Bildung planen und organisieren, wo z. B. schon einzelne Bildungseinrichtungen Patenschaften mit Betrieben abschließen, um den reibungslosen Übergang in das Erwerbsleben zu ermöglichen, würde Arndt sich mit Grausen abwenden und fragen, wo denn die eigentliche Menschenbildung geblieben sei. Die moderne Terminologie Allgemeinbildung / Spezialbildung ist Arndt natürlich noch nicht geläufig. An deren Stelle verwendet er eine ähnliche, aber nicht ganz deckungsgleiche Formel, die er von Rousseau übernimmt: Bildung zum Menschen / Bildung zum Bürger. Mit der Formel übernimmt er auch das Programm Rousseaus: Den Menschen gilt es zu bilden, nicht den Bürger; oder auch, in abgeschwächter Form: erst sei der Mensch zu bilden, dann der Bürger. „Ich will den Menschen vor dem Bürger und über dem Bürger“. (II, 254; 186) Dabei ergibt sich das Letztere, die Bildung des Bürgers, fast von selbst. Der in seiner Menschlichkeit gebildete Mensch wird sich leicht und mit eigenem Urteil und Stil in die Bürgerpflichten finden. Außerdem befinde man sich ja in einer „Revolutionszeit“ (I, 256), in der die Gestalt des Bürgerlichen sich wandelt. Das Menschliche steht auch über dem Vaterländischen; das muss angesichts der Vorurteile, mit denen das Arndt-Bild belastet ist, eigens betont werden. „Es ist schön, sein Vaterland lieben und alles für dasselbe thun, aber schöner doch, unendlich schöner, ein Mensch seyn und alles Menschliche höher achten, als das Vaterländische.“ (II, 202; 166)18 In diesem Zusammenhang weist Arndt auch jede politische Erziehung der Jugend expressis verbis zurück: sie tauge nichts und mache „halbe Barbaren“ (II, 201; 166). Und falls jemand argwöhnt, dass hinter Arndts Eintreten für Leibeserziehung durch Schwimmen, Laufen, Springen, Reiten, Fechten und Schießen der Gedanke an Wehrertüchtigung stehe, so irrt er sich gründlich. Es geht um Lebensgefühl und Lebensfreude, wie auch die Hinzufügung des Tanzes zu den genannten sportlichen Betätigungen zeigt. Natürlich ist die Bildung zum Menschen keine gleichförmige Angelegenheit; denn der Mensch ist einerseits von seiner Natur her, andererseits durch seine Volkszugehörigkeit Individualität. „Je mehr der Mensch ausgebildete Individualität hat, desto mehr Humanität wird er haben,“ (I, 113; 19) Der erste und entscheidende Lehrmeister der Menschenbildung ist immer die Natur; erst dann kommt die Erziehung durch Erzieher. Arndt ist sich auch der Grenzen der Erziehung durch Erzieher bewusst: Religiosität und Tugend können streng genommen nicht gelehrt werden.

18 Arndt fährt fort: „Der edelste Bürger kann auch der edelste und unbefangenste Mensch seyn; aber um dieß seyn zu können, muß man keinen zum Bürger machen, ehe denn er Mann ist.“

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2. Zu den Phasen im Bildungsprozess Eine vollständige Nachzeichnung des Bildungsprozesses, wie Arndt ihn entwirft, ist hier weder möglich noch nötig. Wir begnügen uns mit der Hervorhebung des Auffälligen und Charakteristischen. a) Kindheit. „Weil ich aus dem, was ich sehe, glaube, dieses erste Leben des Säuglings, seine freundliche oder unfreundliche Aufnahme sei für die ganze Folgezeit bestimmend und entscheidend, so will ich, daß man alles vermeide, was diese erste Knospenzeit auf der Welt verderben könne.“ (I, 83; 15) Positiv heißt das, dass das Kleinkind ganz der Mutter und ihrem Instinkt zu überlassen ist, denn die „Natur hat sie wunderbar zu der Melodie ihres Kindes gestimmt, ohne daß sie sich erst zu stimmen brauchte.“ (I, 80; 15) Arndt untermalt das mit ausführlichen Schilderungen aus dem Tierleben, besonders dem Brut- und Pflegeverhalten der Vögel. (I, 71–75 u.ö.) Was die vermeintlichen Untugenden der folgenden Kinderjahre betrifft, den Eigensinn (I, 113ff ), die Gierigkeit (I, 121ff ) und Gefühllosigkeit (I, 127ff ) des Kindes – wir würden von der „Trotzphase“ reden –, so warnt Arndt davor, darin den Keim späteren sittlichen Verderbens zu sehen und maßregeld dreinzufahren. Unbeherrscht ist hier nicht das Kind, sondern der Erwachsene, welcher meint, gegensteuern zu müssen. b) Dem entsprechen die äußerst feinfühligen Ausführungen Arndts zum Thema der Strafe im Kindesalter und im Knabenalter, das er für die glücklichste Periode im Lebenslauf hält.19 Körperliche Strafen verwirft er ganz, das geht an die Würde und innere Scham des Menschen, zerstört sein Selbstgefühl und züchtet Sklavenseelen oder tyrannische Charaktere. (II, 66–96) „Bei Leichtsinnigen wirkt endlich diese Strafe nicht, sie sei denn barbarisch, Heftige verdirbt sie, Gefühllose macht sie gefühlloser. Immer aber bei allen und jeden ist Gefahr da, da sie das tiefste Gefühl menschlicher Würde, das viel höher ist, als alles, was wir mit Ehrgefühl meinen, daß sie die heilige Scham verletze, wodurch der Mann herrlich seyn soll.“ (I, 91) Auch die im Militär noch übliche Bastonade verurteilt Arndt in diesem Zusammenhang. Liebe und Notwendigkeit sind die beiden Prinzipien, nach denen zu erziehen ist. Die Erfahrung dessen, was notwendig und unabänderlich ist, die gegebenenfalls auch durch die Eltern geltend zu machen ist, schränkt die Willkür des Kindes auf natürliche Weise ein, lehrt es, dass auch der Wille und die Rechte anderer zu achten sind. Zu dieser Notwendigkeit gehört freilich auch die Erfahrung, dass wer schlägt, wieder geschlagen wird, aber nicht als berechnete Strafaktion, sondern als natürliche Reaktion. Als Theologe kann ich nur bedauern, dass Arndt sich in den Fragmenten nicht schon deutlicher als evangelischer Christ zu erkennen gibt; ich könnte dann seine freie und einfühlsame, die Subjektivität des Heranwachsenden von vornherein in Rechnung stellende Art der Erziehung als ein leuchtendes Beispiel dafür verwenden, dass eine religiöse Erziehung – und auch Arndts damalige Bildungslehre beruht ja auf religiösen Überzeugungen – keineswegs jenen gesetzlichen, strengen und unfrohen Charakter annehmen muss, wie oft unterstellt wird.20 19 Vgl. auch I, 173: „Ich habe dieses Knabenalter das leichteste, gefahrloseste und dem Verderben am wenigsten ausgesetzte Alter genannt.“ 20 Diese Unterstellung kann freilich ihrerseits auf bestimmte, am Begriff des Gesetzes orientierte Konzeptionen evangelischer Erziehung verweisen; so besonders Magdalene von Tiling,

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Jedenfalls hat Arndt auch nach seiner späteren entschiedenen Hinwendung zum Protestantismus an seinen Erziehungsgrundsätzen festgehalten, und insofern darf man sich hier doch wohl auf ihn berufen. Die Eltern, insbesondere die Mütter, müssen in dieser Phase lernen, das Kind los zu lassen, „den kleinen Wilden fahren“ zu lassen. (I, 179; 45) „Seine Weltherrschaft ist größer, als die ihrige, denn er hat alles, will wenig und fürchtet nichts.“ (Ebd.) Auch das Beibringen von „Konvenienz“, also dessen, was sich angeblich schickt, ist in Arndts Augen hochproblematisch. „Die alte Erziehung“, gemeint ist die der vorigen Generationen, „machte mehr Pedanten, die jetzige mehr Figuranten.“ (I, 204; 55f ) In Summa: „Also wie die Natur mir das Knabenalter hinstellt mit seinen flüggen Trieben, so soll ich es hinfahren und durchfahren lassen, ohne es alle Augenblicke aufzuhalten und zu durchkreuzen, wenn dies nicht durchaus nothwendig ist.“ (I, 2o5; 56) Was tatsächlich notwendig ist, dafür soll, so empfiehlt Arndt, ein „Pädagoge“ sorgen, der von mehreren Familien engagiert werden könne und der weniger ein Gelehrter als ein „Knabenführer“ sein solle. (I, 207ff ) Bildungsmittel in der Kindheit und im Knabenalter sind Märchen, Fabeln, Sagen und das Spiel. Den im Knabenalter, und zwar erst spät, beginnenden Unterricht, der ganz auf unmittelbare Begegnung in Erfahrungsnähe und ganzheitliches Erschließen abgestellt ist, schildere ich nicht im Einzelnen, sondern nehme das Thema mit hinüber in den dritten und letzten Abschnitt: c) Das Jünglingsalter. Denn hier skizziert Arndt seinen Bildungskanon, sein Gesamtcurriculum. „Wohl ist das viele Wissen etwas Herrliches, wenn der Mensch sein Gemüth dabei rettet, die Kraft und Lust des Könnens, und nicht, wie es leider so häufig geschieht, durch dieses Wissen aus der Welt hinausgeführt wird.“ (I, 264; 77) Es geht dabei um das Suchen und Finden „eines lebendigen und hellen Centrums“ als dem „Alleinwissenswürdigen“. (Ebd.) Dieses Suchen und Finden aber verläuft auch über den Lehrstoff, der durchaus vielfältig und reichhaltig sein soll. „Naturgeschichte, Geographie und geographische Menschengeschichte, Geschichte, wie sie ein Herodot erzählt, Mathematik nach den ersten Maaß- und Zahlenverhältnissen, Sprachen“ (II, 3), das soll schon im Knabenalter vermittelt werden. Für das Jünglingsalter gilt der Kanon: „die griechische und lateinische Sprache (in dieser Reihenfolge! R. P.), die alte Geschichte und Geographie im weitesten Umfange, die großen Grundlehren der mathematischen Wissenschaften, der Geometrie, Astronomie, Physik, die großen Umrisse der neueren Geschichte.“ (II, 160; 147) Bei den modernen Sprachen ist mit dem Verwandten und daher Leichteren anzufangen: mit dem Schwedischen, Dänischen und Englischen, von Letzterem aus ergebe sich ein Zugang auch zu den romanischen Sprachen. Man beachte: Das Französische als Konversationssprache der gebildeten Schichten im Adel und im Bürgertum wird ins zweite oder dritte Glied gerückt, was wohl mit Grundlagen pädagogischen Denkens, Stuttgart 1932; dies., Bildungs- und Erziehungsziele unserer Schulen, in: Schule und Evangelium VI (1931/1932), 71–79; sowie Martin Doerne, Die Bildungslehre evangelischer Religion, München 1932. Zu diesen Positionen und ihrer alsbald erfolgten theologischen und pädagogischen Kritik durch Wilhelm Koepp, Oskar Hammelsbeck u. a. vgl. Reiner Preul, Religion – Bildung – Sozialisation. Studien zur Grundlegung einer religionspädagogischen Bildungstheorie, Gütersloh 1980, 60–87.

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Arndts Abneigung gegen die hochgezüchtete, manierierte und der Gefühlstiefe angeblich ermangelnde französische Kultur zusammenhängen dürfte, eine Abneigung schon vor Austerlitz, Jena und Auerstedt, die Arndt mit etlichen Geistern seiner Zeit wie Fichte, Schelling und Schleiermacher teilt. Bemerkenswert ist die Gesamteinteilung des Bildungskanons, die Arndt von Platon übernimmt, nämlich in Musik und Gymnastik. Dabei ist „Musik“ nicht nur die Tonkunst, über die man auch relativ wenig erfährt, sondern Inbegriff aller Bildung, die nicht zur Gymnastik, also zur leiblichen Bildung, gehört. Man darf wohl an die Musen denken, die, wie Athene, auch für bestimmte Wissenschaften zuständig waren. Und hier sind es dann vor allem die klassischen Sprachen, besonders die griechische, und die entsprechende Geschichte und Kultur, die die Musik in der Bildung machen. Arndt ordnet schwerpunktmäßig Hellas und die griechische Sprache dem Menschen in uns, Rom und das Lateinische dem Bürger zu. (II, 163; 148) Die Griechen sind ihm Inbegriff des Menschentums in seiner Blüte. Hier gewinnt man den Sinn für das Schöne, das Rechte und das Maß. Das Bild vom Griechentum ähnelt dem Humboldts, nur dass dieser auch schon einige Schattenseiten und nicht in die moderne Zeit Übertragbares bei den Griechen sieht.21 Es ist ein völlig idealisiertes Bild, es ist – mit Nietzsche zu sprechen – ganz das apollinische Griechentum, nicht das dionysische, das uns in Arndts begeisterter Schilderung entgegentritt. In dieser gerafften, nur einzelne Tupfer setzenden Wiedergabe wurde vieles ausgelassen. So etwa Arndts Bemerkungen über die Freundschaft (187) oder die Ehre (182f ) sowie die schönen Passagen zur Kunst, die wir dann insbesondere im späteren dritten Band finden. Übergangen wurden auch die Ausführungen zur weiblichen Erziehung im gleichen Band. Man muss froh sein, dass sie nicht den Feministinnen in die Hände gefallen sind. „Der Mann ist der Demiurg, das Weib der Stoff“, das Weib sei „einem Kinde gleich“ (210) – es wimmelt von Sprüchen dieser Art. Dabei geht es Arndt aber nicht um eine Abwertung der Frau. Das Gegenteil ist der Fall. Die Frau wird geradezu unmäßig idealisiert: sie sei von Natur aus dem Göttlichen näher, sie sei des Mannes „irdischer Gott“ (210), und der Mann ist von ihr nicht weniger abhängig als sie von ihm. Arndt geht es um die Polarität der Geschlechter; daher dürfen sie nicht durch Bildung einander angeglichen werden. Wir stoßen bei Arndt auf das gleiche, wenn auch in ungleich schrilleren Tönen vorgetragene, Frauenbild, wie wir es etwa in Schleiermachers Schrift „Die Weihnachtsfeier“ (1806) finden, und daran hat damals kein Rezensent dieser Schrift Anstoß genommen. Das ist nun unwiederbringlich überholt. Angesichts der derzeitigen gendermäßigen Annäherung der Geschlechter sollte man allerdings unter dem Gesichtspunkt der Erotik – und nur unter diesem Gesichtspunkt – doch wenigstens einen Augenblick nachdenken, wenn Arndt von dem „Reiz der entgegengesetzten Elektrizität“ (218) spricht.

21 Vgl. die im zweiten Band der von Andreas Flitner und Klaus Giel in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt herausgegebenen Werke Wilhelm von Humboldts zusammengestellten Schriften, bes. „Über den Charakter der Griechen, die idealische und historische Ansicht desselben“ sowie „Geschichte des Verfalls und Unterganges der griechischen Freistaaten“.

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III. Zur Bedeutung von Arndts Bildungslehre. Kritische Würdigung Von einer nennenswerten Wirkungsgeschichte der Bildungslehre Arndts kann nicht die Rede sein.22 Gewiss, Diesterweg äußert sich vorsichtig anerkennend: „Kann man auch nicht jeden Satz der Fragmente als absolute Wahrheit unterschreiben, findet man doch der goldenen Sprüche und der edlen Gedanken eine große Menge.“23 Die Jugendbewegung hätte Arndt entdecken können, auch die Reformpädagogik hätte hier und da an Arndt’sche Gedanken anknüpfen können; es geschah aber m.W. nicht. Seine Bildungslehre zu würdigen, heißt dann die Frage zu beantworten, welchen Nutzen uns heute, sofern wir an „Bildung“ interessiert sind, die Lektüre der „Fragmente über Menschenbildung“ bringt. Fragt man nach einer Bildungslehre, die den derzeit gängigen Vorstellungen und Diskursen über Bildung völlig entgegengesetzt ist, dann ist es die von Ernst Moritz Arndt. Sie ist so weit davon entfernt, dass heutige Bildungsplaner und -politiker wohl rein gar nichts damit anfangen könnten.24 Das aber spricht zunächst einmal nicht gegen, sondern für Arndt. Von ihm her sind kritische Fragen zu stellen, die dringend notwendig sind. Arndt würde vor allem fragen, wo denn bei uns die eigentliche Menschenbildung geblieben sei. Er würde kritisieren, dass unsere Bildungspolitik in hohem Maße fremdbestimmt ist. Die Bildung bzw. die Bildungspolitik ist total verzweckt worden: Sie soll der gesellschaftlichen Integration dienen, sie soll Leistung und Kompetenzen fördern für die Wirtschaft und den Standort Deutschland, sie soll für den inneren Frieden in der kulturell pluralistischen Gesellschaft sorgen, sie soll soziale Benachteiligung ausgleichen, Defizite familiärer Sozialisation kompensieren, soziale und berufliche Mobilität ermöglichen, einen Beitrag zur Einigung Europas leisten und bei all dem auch noch möglichst wenig kosten – alles Aufgaben, die zwar nicht übergangen werden dürfen,25 die aber ihren primären Sitz in den Ministerien für Wirtschaft, Soziales, Inneres, Familie, Außenpolitik und Finanzen haben. Es geht in den entsprechenden Diskursen und Programmen nicht oder kaum einmal darum, dass der Mensch reifen können soll, dass er seine Kräfte entfaltet und Freude daran hat, dass er von innen her stark werden muss, dass er seines Lebens und Zusammenlebens froh werden soll, mit sich,

22 Zu den spärlichen Reaktionen schon der Zeitgenossen Arndts vgl. Irmfried Garbe, Wie bildet man Menschen? Arndt und Kosegarten auf Rousseaus Fährten, in: „Rudere vorsichtig, es gibt der Klippen und Sandbänke viele“. Festgabe zum 70jährigen Bestehen des Ernst-MoritzArndt-Museums Garz / Rügen, hg. von Sylvia Knöpfel, 2007, 71–113, dort 102f. Garbes Studie setzt sich auch mit der einschlägigen, wenn auch nicht besonders breit gestreuten pädagogischen Forschung zu Arndts Bildungsdenken auseinander, wovon ich mich hier entlasten darf. 23 Zitiert nach Garbe, aaO. 102. 24 Vgl. hierzu Reiner Preul, Aufgaben der Bildungspolitik aus christlicher Sicht, in: Verantwortete Zukunft. Christliche Perspektiven für politische Ethik und politisches Handeln, hg. von Christian Löw u. Christoph Seibert, Neukirchen-Vluyn 2010, 103–120. 25 Dass Arndt sich so gut wie gar nicht um damals vergleichbare Fragen kümmert, ist sicher eine Schwäche in seinem Bildungskonzept.

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mit der Natur, mit der Welt und mit Gott im Einklang. Falls das doch einmal in den Blick tritt, verweist man auf den Religions- und den Ethikunterricht, die für die Wertevermittlung zuständig seien, vielleicht auch noch auf den Kunst- und Musikunterricht, aber in den öffentlichen Debatten zum Thema Bildung spielen diese Fächer keine nennenswerte Rolle.26 In dem Maße, wie das Bildungswesen in der beschriebenen Weise verzweckt und instrumentalisiert wird, schwindet auch die Motivation, sich mit den klassischen Hervorbringungen des menschlichen Geistes zu beschäftigen.27 Arndt würde weiter monieren, dass man der Familie offenbar kaum noch etwas zutraut, weshalb die Kinder möglichst schnell unter professionelle Betreuung zu bringen sind. Die gezielte Förderung, die gar nicht früh genug ansetzen könne, damit Leistungsfähigkeit erzielt wird, würde Arndt wohl als Knospenfrevel brandmarken. Es mag durchaus so sein, dass manche Fähigkeiten durch ganz frühe gezielte Fördermaßnahmen tatsächlich zu optimaler Leistungskraft zu bringen sind, aber die Gegenfrage, was dadurch möglicherweise verdrängt wird und was stattdessen hätte wachsen können als Fundus für das Leben, wird nicht gestellt. Zugegeben, diese Kritik im Namen Arndts ist vielleicht etwas überzogen, aber es kann hier nicht um Ausnahmen und Nuancen gehen. Arndt würde jedenfalls den Stress, von dem unser Bildungswesen befallen ist, das „Ziehen und Zerren“, den Mangel an Gelassenheit und Ruhe in der Erziehung und die Vertrauensschwäche bezüglich der Natur des Menschen kritisieren. Wir können aber auch nicht über die Schwächen in Arndts Konzept hinwegsehen, auch das gehört zur Würdigung. Dabei übergehen wir Irrtümer in Einzelfragen. Arndts auf den Naturbegriff gegründete anthropologische Basis ist ohne Zweifel unzureichend und brüchig. Arndt ist sich auch der Zeitbedingtheit dessen, was er im Blick auf den Menschen für natürlich hält und der Ideologieanfälligkeit seines Naturbegriffs nicht bewusst, wie zum Beispiel seine Vorstellungen von der weiblichen Natur offenkundig machen. Die göttliche Liebe und die entsprechende Ethik sind aus der Betrachtung der Natur auch nicht ohne weiteres zu erheben, man kann daraus auch das Recht des Stärkeren und einen rüden Sozialdarwinismus ableiten, Einstellungen, die ein „christliches Gemüt“ (213), zu dem Arndt sich in den „Briefen an Psychidion“ bekennt, zutiefst verletzen. Die Prinzipien der Verbindung von Welterfahrung und Gotteserkenntnis bleiben in den „Fragmenten“ unklar. Ferner unterschätzt Arndt die Bedeutung der Reflexion, des begrifflichen und analytischen Denkens. Hinter seiner Polemik gegen die Worte und Begriffe steckt wohl die richtige Einsicht, dass es immer auf die Begegnung mit der jeweils in Rede stehenden Sache selber ankommt und dass diese Sache im Zusammenhang mit der Lebenspraxis 26 Sie werden auch in den Pisa-Studien regelmäßig übergangen. 27 In der Erziehungswissenschaft – und natürlich auch in der Religionspädagogik – ist das Thema der Menschenbildung natürlich nicht in gleicher Weise verlorengegangen. Exemplarisch sei verwiesen auf Hartmut von Hentig, Bildung. Ein Essay, München / Wien 1996. Aber dieses Buch, das ganz der Bildung der menschlichen Person gewidmet ist, ist auf der Bühne der Bildungspolitik ohne Resonanz geblieben. Auch die so genannte geisteswissenschaftliche Pädagogik – von Spranger und Kerschensteiner über Nohl und Litt bis zu Weniger – hattte sich der eigentlichen Bildungsfrage ausführlich gewidmet. Vgl. die Darstellung und Würdigung der geisteswissenschaftlichen Bildungstheorien bei Preul (wie Anm. 20), 16–48.

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sowie mit einer Vorstellung von Welt im Ganzen und damit auch mit religiösen Gefühlen wahrzunehmen ist. Aber hat der Mensch, schon das Kind, nicht auch Fragen, etwa in Bezug auf Gott? Wie darauf zu antworten wäre und wie wichtig da die richtigen begrifflichen Unterscheidungen sind, dazu sagt Arndt nichts. Er liefert nur Beispiele misslungener Gesprächskultur in der Familie, etwa in Gestalt eitler Schwätzer, die sich beim Kinde einschmeicheln wollen. Schließlich ist festzustellen, dass Arndt eine richtige Bildungstheorie, die den Namen einer Theorie verdient, weil sie deren Dimensionen ausschöpft, nicht vorgelegt hat. Wie Bildungstheorie als Theorie für die Bildungspraxis zu seiner Zeit auch aussehen konnte, ließe sich an Schleiermachers „Vorlesungen über Erziehung“ demonstrieren.28 Wenn der Mensch, wie eingangs bemerkt, seine Bestimmung nicht nur durch die Ausbildung seiner Individualität, sondern auch durch die Schaffung, Umgestaltung und Pflege von Institutionen realisiert, dann hat das natürlich auch Konsequenzen für die Bildung, die in einer systematisch angelegten Bildungstheorie nicht ausgespart werden dürfen. Diese ganze Seite der Institutionen kommt bei Arndt entschieden zu kurz. So ist auch von der Rolle der Kirche in Sachen Bildung – oder wenigstens religiöser Bildung – bei ihm keine Rede. Dass Bildung auch zustandebringen muss, dass junge Menschen in die bestehenden Institutionen eintreten können, aber so, dass sie zugleich zu deren Fortentwicklung beitragen können, diesen pädagogischen Grundsatz Schleiermachers29 sucht man bei Arndt vergeblich. Mit der geläufigen Alternative Bildung oder Ausbildung ist Arndt nicht zu rechtfertigen, denn diese Disjunktion ist als solche verfehlt. Ausbildung muss in den Bildungsbegriff integriert werden, ohne das Ganze von Bildung auszumachen. Bei Arndt kommt auch das damalige, freilich uneinheitliche, Schulsystem nicht in Sicht. Stattdessen konstruiert er ein so genanntes „Pädagogium“ als eine besondere private Bildungsanstalt. Ein entsprechender Versuch Arndts einige Jahre später ließ sich nicht realisieren. Ich habe den Eindruck, dass, auch im Sinne Arndts, der ja gar keine „Methodik der Erziehung“ liefern wollte (I, 215), die „Fragmente über Menschenbildung“ weniger als eine in Praxis umzusetzende Konzeption, sondern mehr als eine kritische ideenvermittelnde Utopie gelesen werden sollten. Und so verstanden ist Arndts Bildungslehre gerade auch in ihrer Einseitigkeit hoch zu schätzen.

28 Am leichtesten zugänglich in: Schleiermacher. Pädagogische Schriften, unter Mitwirkung von Theodor Schulze hg. v. Erich Weniger, Bd. 1, Die Vorlesungen aus dem Jahre 1826, Düsseldorf / München 1957 (fußend auf dem von Carl Platz aus dem Nachlass erarbeiteten und 1849 als 9. Band der Berliner Gesamtausgabe erschienenen Text). 29 Ebd., 31.

Die Verrückung der Welt Schwedische Einflüsse im Denken Ernst Moritz Arndts Dirk Alvermann Um 1800 dachten viele Menschen, dass die Welt verrückt wäre. Sie waren in den Jahren nach 1789 einem beinahe ins Unermessliche wachsenden Tempo des gesellschaftlichen Wandels, oder doch wenigstens der Werte, ausgesetzt. Die Französische Revolution bewirkte bei ihnen einen intellektuellen Schwindel, ein Gefühl der Falschheit aller zivilisatorischen Erfahrungen (oder was sie dafür hielten) und der aus ihnen behaupteten grundlegenden Entwicklungsgesetze menschlicher Gesellschaften mit ihren Staaten und Verfassungen. Angesichts der Aufrichtung eines neuen – dem Anspruch nach ganz Europa, ja die Menschheit umfassenden – Gesellschaftsmodells nach den Idealen der Französischen Revolution, haben nur wenige diese Verrückung so beinahe ausschließlich zu ihrem Thema gemacht wie Thomas Thorild. 1 1759 in Schweden geboren, wird er bis heute als Schriftsteller und kritischer Publizist, ebenso wie als Sprachreformer und Philosoph in seiner Heimat verehrt. In der Aula der Universität von Uppsala prangt ein Sinnspruch, den man wie keinen anderen mit Thorilds Werk in Zusammenhang bringt – „Tänka fritt, är Stort; Men tänka rätt, är Större“ (Frei denken ist groß; aber recht denken, ist größer). Er stammt ausgerechnet aus der Zeit seiner Landesflucht nach der Ermordung König Gustafs III., in dessen Folge er wegen seines Eintretens für die Pressefreiheit im absolutistischen Schweden seine Heimat verlassen musste. Der Satz ist als Motto Thorilds 1794 erschienenem Werk Rätt eller alla samhällens eviga lag vorangestellt. Er hat ihn in Anlehnung an Albrecht von Haller formuliert, der 1734 dichtete: Der alten Schweizer tapfre Hand Hat noch ein rauher Muth geführet, Ihr Sinn war stark und ungezieret, Und all ihr Witz war nur Verstand. 1

Auf die Erkenntnislehre und Philosophie Thorilds, auch auf die Dichtungen kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. dazu Stellan Arvidson, Passionernas diktare. Thorild I, Stockholm 1989 und Ders., Harmens diktare. Thorild II, Stockholm 1993; Ernst Cassirer, Thorilds Stellung in der Geistesgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts (Kungl. vitterhets Historie och antikvitets Akademiens handlingar, de. 51.1), Stockholm 1941; Karin Hoff, Die Entdeckung der Zwischenräume. Litarische Projekte der Spätaufklärung zwischen Skandinavien und Deutschland, Göttingen 2003, S. 57–138 und zuletzt den Überblick bei Carola Häntsch, Thorild und die Philosophie in Deutschland, in: Carola Häntsch / Joachim Krüger / Jens E. Olesen (Hg.), Thomas Thorild (1759–1808). Ein schwedischer Philosoph in Greifswald, Greifswald 2008, S. 183–205.

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Nicht, daß man uns verachten soll: Der Freiheit Sitz und Reich auf Erden Kann nicht an Geist unfruchtbar werden; Wer frei darf denken, denket wohl! Diese Anlehnung ist durch einen Brief Thorilds belegt, in welchem er noch hinzufügt: „Men att tänka fritt just öfver Frihet, det är bäst.“2 Thorilds Buch ist weniger eine wissenschaftliche Abhandlung, als eine politische Bekenntnisschrift und eine Absage an die Republik, die sich ihm nur dem Namen und der Form nach von den Monarchien unterscheidet, die unter dem „ägyptischen Krokodil“ Robespierre in der Guillotine ihr neues Götterbild gefunden und die Freiheit selbst, der so viele grausame Revolutionen zuvor nichts anhaben konnten, zum Schweigen gebracht hat. „Ja, ich kämpfe nun gegen Freiheit und Republiken! Aber für ewiges Recht!“ Freiheit, Gleichheit und allgemeiner Wille, so meint er, ergeben nicht Recht für alle, sondern Herrschaft der unverständigen Mehrheit über eine wertvolle Minderheit. „Wann wurde jemals“, so fragt er provozierend, „ein kluger Gedanke aus Freiheit, Gleichheit, Vertrag und Allgemeinwillen geboren und nicht umgekehrt aus der Notwendigkeit und klaren Wirklichkeit der Dinge, die Wahrheit ist?“3 Recht Denken ist für Thorild die Opposition zum bloßen Fantasieren in falscher Geistigkeit, die „alles in der Menschheit“ wie er schreibt „zu großen Worten ohne rechten Sinn verwandelt, und ewig etwas erdichtetes mit erdichtetem beweist, solange bis man endlich alles mit diesen großen Wortungeheuern machen kann, die bald entzückender, bald entsetzender Hexerei gleichen“.4 Thorild fordert von seinen Mitmenschen eine Rückkehr zur einfachen Tugend, zu festen und nicht disponiblen Werten, auf denen eine Gesellschaft ruhen und aus denen sie sich kraftvoll und bewusst entwickeln kann. Die Suche nach einem solchen festen Punkt, einem ewigen Gesetz, von dem aus Begriffe wie Recht und Freiheit ein zuverlässiges Maß erhalten, durchzieht fortan sein Schaffen wie ein roter Faden. Nicht umsonst behandelt das zentrale Kapitel seines philosophischen Hauptwerkes Maximum seu Archimetria (1799) unter dem Titel Sapientia, „wie in jedem Staate eine mathematisch einfache Vernunftregierung gegen allen Unsinn der Lehre und der Ehre, zu errichten sey“.5 2

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Albrecht von Haller, Versuch schweizerischer Gedichte, Bern 1777, S. 143. Belegt ist die Abhängigkeit durch einen Brief Thorilds selbst, vgl. Biographiskt Lexicon öfver Namnkunnige svenska män 18, Upsala 1850, S. 218. „När bildades någonsin en klok tanke enligt Frihet, Jemnilikhet, Contract och Allmän Vilje; och icke tvärtom, enligt den Nödvändiga och klara Tingens Verklighet, so mär Sanningen?“, vgl. Thomas Thorild, Rätt eller alla samhällens eviga lag, in: Samlade Skrifter av Thomas Thorild, Bd. 4, hg. v. Stellan Arvidson und Casimir Fontane (Svenska Förefattare XV), Stockholm 1965, S. 1–111, hier S. 10. Zitiert nach Richard Wolfram, Ernst Moritz Arndt und Schweden. Zur Geschichte der deutschen Nordsehnsucht (Forschungen zur neueren Literaturgeschichte LXV), Weimar 1933, S. 47. Thomas Thorild, Ankündigung. Maximum seu Archimetria, in: Samlade Skrifter (wie Anm. 3), Bd. 5, S. 3–7, hier S. 5. Hier – wie in allen folgenden Zitaten Thorilds – sind die charakteristischen typographischen Hervorhebungen Thorilds für den Druck unterblieben.

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Dazu müsse aber der „Allkrieg verrückter Ideen wider einander“ beendet werden. Je mehr man ihnen Glauben gibt, „so viel bedachter kriechet man dort auf dem Bauche heran vor den Thron, und trägt hier jede Halfter der Wort-Impostur, jeden Saumsattel der Autorität, und schleppet jede Karre der Consequenzen, woran die Räder ihr Ergo Ergo Ergo fortknirrschen, ausgedachtest einstimmig zum Stöhnen des dummstolzen Thiers.“6 Der Mensch ist zu ideeisiert, kein Animal rationale sondern ein Animal phantasticum, das alles denkt und nichts weiß, ein „tugendhaftes Thier ohne Vernunft“. 7 Das Chaos der Begriffe, die Bildung von Begriffsoppositionen, die Abgründe schaffen, hat Ursachen und Folgen, die Thorild benennt: „Denn die Wildheit blickt nur hin und her: sieht das eine ohne das andere: und alles daher, in endloser Abstraction, verrückt […] Dadurch ward in allem die Welt nur eine Kluft von Nichts zwischen freyen Phantomen von Etwas […] Denn, statt der göttlichen Natur oder lebendigen Allmacht, sah man, tiefer im Kosmos, doch immer nichts als jenen Abgrund der Möglichkeit, genannt Freyheit […] Hier fängt auch der Urstreit aller Politik an.“8 Und hier, an der Verrückung von Wohl und Recht ebenso wie der von Zwang und Freiheit, hat die „Kosmopolitik oder Weltstaatslehre“ anzusetzen. „Recht ist Bedingung des Wohls in allem. Thier-Wohl: Thier-Recht. Menschen-Helden-Götter-Wohl fordert MenschenHelden-Götter-Recht als nothwendig. Denn das Nöthige bestimmt auf ein klares Verhältniss ist das Nothwendige. Das Wohl aller fordert also das Recht aller, oder, das Nothwenidge zum Wohl eines jeden.“9 Hier hat die Natur ein ewiges Gesetz aller Staaten gegeben, „eine Constitution aller Constitutionen, ein Recht aller Rechte. Welches? das Wesen des Staates selbst: der Wohlstand Aller.“10 Alle Gesetzgeberei, die darüber hinausgehe, sei Albernheit. „Denn dies ist doch klar: Staatsverbrechen kann jedes Wort Gottes heissen, aber Verbrechen gegen den Staat ist alles, was seine wahre Kraft bricht: und Crimen laesae gegen einen Menschen kann jeder edlere Blick heissen, aber Crimen laesae gegen die Menschheit ist jedes, jedes Leiden, das man durch die vereinte Weisheit und Macht aller hätte verhüten können. Und in dieser einzigen Wahrheit liegt alle Staatskritik und alle Staatsvernunft.“11 Das Wohl Aller ist das Medium, welches die „unaufhörliche Verrückung“, die aus dem „Urwahn der Freyheit und der Nothwendigkeit entsprang“ beseitigen kann.12 „Allein, zwischen Freyheit und Nothwendigkeit als Medium verborgen liegt das Göttliche der Natur, das lebendig Allmächtige, das Wohl. O dies, nur dies will ich! ruft die Freyheit: und nur das, nur das kannst du wollen! ruft die Nothwendigkeit. Nichts also 6 Thomas Thorild, Allblick oder die Wichtigkeit von Allem erkannt durch die Gradation als Real-Philosophie und Universalmethode der Natur und des Lebens, in: Samlade Skrifter (wie Anm. 3), Bd. 5, S. 347–400, hier S. 378f. 7 Thorild, Allblick (wie Anm. 6), S. 379, 381. 8 Thomas Thorild, Die Theokratie oder Kosmopolitik, in: Samlade Skrifter (wie Anm. 3), Bd. 5, S. 449–459, hier S. 453f. 9 Thomas Thorild, Die Verrückung, in: Samlade Skrifter (wie Anm. 3), S. 48–64, hier S. 51. 10 Thomas Thorild, Grundriss des Staates, in: Samlade Skrifter (wie Anm. 3), S. 89–105, hier S. 89. 11 Thorild, Grundriss (wie Anm. 10), S. 99. 12 Thorild, Theokratie (wie Anm. 8), S. 455.

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wählt man freyer: und nichts nöthigt gewaltiger. Hier werden daher Soll und Muss ganz Eins: in demselben Wollen des Wohls.“13 Jeder Mensch hat in dieser idealen Gesellschaft seinen „Stand nach Werth und Würde: aber nur da, wo jeder sein Bestes thun kann. Dies kann nicht der unter sich selbst erniedrigte: und nicht der über sich selbst erhobene. Der Stand jedermanns, nach Werth und Würde, oder nach dem Wohl im Thun, ist also der einzige Stand der Wahrheit und der Natur: sonst aber ist alles nur Unbestand der Wildheit.“14 Frei zu sein, heißt also seiner Natur zu folgen und so Tugend, Würde und Tauglichkeit zu erwerben, die die Grundlage jeder Gesellschaft in einem System gegenseitiger Verantwortung bilden. Die Art der Ausübung dieser „natürlichen Regierungsform“, in einem „für das Wohl Aller ehrlich geordneten Zusammenleben der menschlichen Menschheit“ fordert drei Prinzipien: „frey die Klage, nothwendig die Hülfe, heilig die Offenbarheit“.15 Gerade auf letztere, die Öffentlichkeit, legt Thorild größten Wert, „denn in jedem Dunkel kann schon eine Hölle anfangen“.16 Ist all dies gegeben, überall, so ist „das Aufsteigen des höheren Patriotisms, durch Hass vor Kriegerverwüstung, zum Staatenverein und Weltbürgerlichkeit allgewiss“.17 Der Dichotomie von Hass und Liebe ist er sich dabei, in Anlehnung an Swedenborg, ganz sicher. Hass sei nichts als zerstörende Liebe, „denn wirklich wüthet man nicht wider das Gehasste, sondern für das Geliebte“.18 Man darf annehmen, dass Arndt mit den hier skizzierten Gedankengängen Thorilds und dessen „Gesellschaftstheorie“ früh in Berührung gekommen ist. Thorilds Landesverweisung führte ihn 1795 über Umwege nach Greifswald, wo er das Bibliothekariat an der Universität und eine außerordentliche Professur erhielt.19 Hier hat Thorild sein philosophisches Hauptwerk Maximum seu Archimetria geschaffen, dessen „Betonung der »Gradation« – der Relationalität, Vernetztheit und Perspektivität – der Wirklichkeit und des Denkens der Wirklichkeit und des Denkens“ einen bleibenden Beitrag zur europäischen Philosphie darstellt.20 Thorilds Ankunft in Greifswald fällt in etwa mit der Zeit zusammen, in der Arndt, der 1794 Jena den Rücken gekehrt hatte, sich auf sein theologisches Examen in Greifswald vorbereitete. Thorild und Arndt dürften sich in der Ablehnung Kants ebenso getroffen haben, wie in manchen anderen

Thorild, Theokratie (wie Anm. 8), S. 455. Thorild, Grundriss (wie Anm. 10), S. 90. Thorild, Allblick (wie Anm. 6), S. 396. Thorild, Allblick (wie Anm. 6), S. 397. Thorild, Allblick (wie Anm. 6), S. 397. Thorild, Grundriss (wie Anm. 10), S. 95. Zur Berufung Dirk Alvermann, Bibliosophus und die Verirrung der Gelehrten. Thorilds Archimetrie als Exkurs zur Reform der deutschen Universitäten, in: Häntsch / Krüger / Olesen (wie Anm. 1), S. 93–125, bes. 97–102; zum Bibliothekariat vgl. Ernst Zunker, Thomas Thorild als Bibliothekar in Greifswald, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 67 (1953), S. 1–14 und Wilhelm Braun, Aus Thomas Thorilds Greifswalder Zeit (1795–1808). Ms. Greifswald 1963. 20 Häntsch (wie Anm. 1), S. 183, S. 198. 13 14 15 16 17 18 19

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Fragen. Die Biografen des einen wie des anderen sind sich einig, dass Thorild einen gewissen Einfluss auf Arndts Gedankenwelt ausgeübt haben muss. Während Stellan Arvidson etwas allgemein formulierte, dass insbesondere Thorilds Rätt eller alla samhällens eviga lag Wirkung auf Arndts gesellschaftspolitisches Denken hatte,21 ging Günter Ott sogar soweit anzunehmen, dass Thorild Arndt „die grundsätzliche Verachtung des französischen Wesens“ lehrte, ihm „einen aus Antike und Germanentum gewonnenen Rechts- und Volksbegriff, das Bild einer neuen politischen Ordnung, in der »Ehre« die Grundkraft des Staates sein soll und der Bauer zum Landesvater, der Soldat zum Landessohn und der Arbeiter zum Blutsfreund des Staates erhoben werden soll“ vermittelte, ja sogar „die Missachtung demokratischer Formen und der modernen Freiheitsbestrebungen“ zeigte.22 Diese jeweils en passant und aus mangelnder Kenntnis der Werke des jeweiligen Gegenüber des Biografierten abgegebenen Urteile bleiben hinter den früheren Ergebnissen von Richard Wolfram zurück, der zwar keine tiefschürfende Auseinandersetzung bot, wohl aber auf die richtigen Spuren deutete, indem er konkrete Werkbezüge herstellte.23 Biografische Berührungspunkte zwischen beiden lassen sich nur selten belegen. Daran, dass sie einander mehr als flüchtig kannten und auch schätzten, kann aber kein Zweifel bestehen. Thorild hat Arndt anlässlich dessen großer Schwedenreise 1803 an Carl Christoffer Gjörwell, der in der schwedischen Gelehrtenkommunikation der Zeit eine überragende Rolle spielte, empfohlen und ihn bei dieser Gelegenheit als „Pommerns bästa och ett af Tysklands ypperliga snillen“24 – Pommerns besten und einen der vortrefflichsten Geister Deutschlands – bezeichnet. Und auch Arndt hatte Thorild zumindest im Sinn, als er kurz darauf Bohuslän besuchte.25 Weit aussagekräftiger ist aber ein Gedicht, welches Arndt erstmals 1811 in seine Gedichtsammlung aufnahm und als Entstehungszeit das Jahr 1801 angab:26 Sei Mann! An Thorild. 1801. Wie zügelt der Bildner das Element? Wie bannt er die flatternden Geister? Wie wird er des Feuers, das ihn verbrennt, 21 Stellan Arvidson, Thorild in Greifswald, in: Nordeuropa 15 (1982) (=Sonderheft der Wissenschaftlichen Zeitschrift der Ernst-Moritz-Arndt-Universität), S. 75–84. 22 Günther Ott, Ernst Moritz Arndt. Religion, Christentum und Kirche in der Entwicklung des deutschen Publizisten und Patrioten, Düsseldorf 1966, S. 125f. 23 Wolfram (wie Anm. 4), S. 31–57. 24 Lars Ejnar Dalgren, Ernst Moritz Arndt och Sverige, Västervik 1920, S. 22; Uno Willers, Ernst Moritz Arndt och hans svenska förbindelser, Uppsala 1945, S. 125. 25 Bei der Schilderung der Bewohner merkt er an „Hiebei fällt mir ein daß die Haltung und Gestalt unseres Professors Thorild (Thors Flamme) in Greifswald eine ächte Bohuslänische Blondheit und Schlankheit ist und auch das schon halb trotzige, halb schwärmerische Auge dieses Küstenlandes hat. Ich habe in Upsala erst erfahren, daß er der Sohn eines armen Bohusischen Bauern ist.“ Erich Gülzow (Hg.), Ernst Moritz Arndts Briefe aus Schweden an einen Stralsunder Freund (Das Arndt-Museum 2), Stralsund 1926, S. 39f. 26 Gedichte von Ernst Moritz Arndt, Greifswald 1811, S. 46–48.

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Des zitternden Feuers Meister? Im ruhigen Ernste liegt27 Heldenkraft Und Muth des Mannes, der kämpfend schafft. Die flackernde Lohe zischt kalt dahin – O schau archimedische Flammen! Es mag der gesammelte Mannessinn Den Teufel zur Hölle verdammen; Ergreif ’ ich das Wilde, ergreif ’ ich mich selbst, Bin dir ich nicht gleich, der Himmel wölbst? Im Bündnis ist Stärke, im Zügel Sieg, Der Bogen hat Flügel des Strebens, Es zeuget das Chaos nach langem Krieg Durch Eintracht die Samen des Lebens: Der Funke wird Sonne, Gebirg der Atom; Und Flüchtlinge gründen das mächtige Rom. Der Worte zu klingenden Liedern band, Er band auch zu Mauern die Steine; Es schenket Begeist’rung dieselbige Hand Und Wahnsinn im sprudelnden Weine. O Heil ihm dreimal, wer los und fest Sich weder zerreißen noch ketten läßt! Kommt, freundliche Grazien, kommt, ihr Drei! Und lehrt uns die Wildheit bezähmen! Kommt, Musen, und laßt uns im Einerlei Des Lebens nicht peinlich vergrämen! Kommt, herrliche Töchter des Zeus, herbei! Und macht uns zu Menschen! so sind wir frei. Es ist die Freiheit an keinen Ort Durch Schicksal noch Satzung gebunden. Ist aus den Herzen die Tugend fort, Ist sie auch auf Erden verschwunden. Wo Kraft und Güte die Zügel hält, Da blühet die beste freieste Welt. Es rinnet das Wasser, der Adler fleucht, Das Roß es schüttelt die Mähnen, Der Sturmwind wehet, die Fichte weicht,

27 1818 wohnt.

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Den Menschen verkünden die Thränen: O heilige Liebe, du Abgrund der Lust, Versiege nimmer in Menschenbrust! Unter dem Titel „Männerkraft“ und gleicher Widmung hat Arndt dieses Gedicht auch in seine 1818 erschienene neue Sammlung der Gedichte aufgenommen.28 Ursprünglich hatte er diese Verse aber bereits 1800 als unbetitelten Epilog zu seiner kleinen Schrift Ein menschliches Wort über die Freiheit der alten Republiken, seinem publizistischen Erstlingswerk, verwendet.29 Man muss die „archimedischen Flammen“ der zweiten Strophe nicht in „archimetrische“ umdeuten – wie es der bedeutende Thorild-Kenner Stellan Arvidson vorschlug – um sich hier an Thorild erinnert zu fühlen.30 Die zahlreichen Anklänge an dessen Gedankenwelt und die spätere Umwidmung dieses Epilogs wecken ohnedies die Neugier an dem Büchlein, dem er ursprünglich zugedacht war. Und tatsächlich kann ein Blick in Arndts Erstlingswerk wichtigen Antworten auf die Frage, welche Rolle Thorild im Denken Arndts spielte, den Weg ebnen. Schon der Titel zeigt, dass Arndt sich am gleichen Thema abarbeitet, wie Thorild in Rätt eller alla samhällens eviga lag. Die Frage nach der Freiheit der alten Republiken impliziert die nach dem Wert der republikanischen Versprechungen der eigenen Zeit.31 Und diese Frage wird ebenso grundsätzlich gestellt: „Wo ist der feste Punkt, wo man sagen kann: hier ist eine Welt und ein Mensch? wo ist die schöne Linie, über welche man nicht hinausgehen darf, ohne zu straucheln, oder zu irren? schöne Worte sind wohlfeil und allgemeine Sätze leicht, während die Erfahrung, wie ein taumelnder und lachender Trunkenbold in einen melodischen Tanz, in die herrlichen Gewebe der Philosophen hineinspringt, und ihre Fäden so zerreißt und verwirrt, daß sie die penelopeische Arbeit immer wieder von vorne anfangen müssen. Wann und seit wann hat man nicht geschrieen und posaunt: seht hier den Stein der Weisen! seht hier das Recht der Menschheit! seht hier das

28 Gedichte von Ernst Moritz Arndt. Ersther Theil, Frankfurt a. Main 1818, S. 50–51. 29 Auf diese Verbindungen hat zuerst Wolfram (wie Anm. 4), S.42ff. hingewiesen, zuletzt auch Carola Häntsch, Nachbemerkungen, in: Häntsch / Krüger / Olesen (wie Anm. 1), S. 179f. 30 Stellan Arvidson, Thomas Thorild – der Dichter als Wissenschaftler, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Gesellschaftswissenschaftliche Reihe 34, 3/4 (1985), S. 17–20, hier S. 19. Anders als Arvidson meint, macht der Verweis auf die Energie und Kraft bündelnden legendären archimedischen Brennspiegel durchaus Sinn im metaphorischen Gefüge der Strophe. 31 Angerissen hat Arndt die Frage schon in seiner Dissertation von 1800, als er meinte „wenn man darauf begierig wäre, zum Ursprung aller Gesetze hinabzusteigen, würde man ihn bei den Menschen finden, die durch sie glücklich oder unglücklich leben, und von denen sie für ihre Zwecke erfunden und geschaffen worden sind.“ Diese Arabeske in der Dissertation wird nur verständlich, wenn man sie im Zusammenhang mit der ein Jahr später erschienenen Schrift über die Freiheit der alten Republiken sieht. Vgl. Ernst Moritz Arndt, Dissertatio historico-philosophica sistens momenta quaedam, quibus status civilis contra Russovii et aliorum commenta defendi posse videtur, in: Albrecht Dühr, Erich Gülzow (Hg.), Gerettete Arndt-Schriften, Arolsen 1953, S. 1–51, hier S. 12–13.

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Glück der Staaten und Völker!?“32 Arndt fordert wie Thorild, und beinahe mit seinen Worten eine neue, relationale Sicht der Welt: „Es ist alles beziehlich in der Reihe der Dinge, und nichts wird groß, oder klein, als durch das Maaß, das man anlegt.“33 Auch Arndt ehrt die Notwendigkeit als die „erste und strengste Göttin des Menschen“34 und die wird durch die Natur gesetzt, denn der Mensch „wird nur ein wollendes Wesen kraft seiner eigenen Natur“.35 Auch wenn sein Vortrag bei weitem nicht so selbstbewusst daher kommt wie Thorilds, auch wenn er noch in der Einleitung bestreitet, „den Begriff der politischen Freiheit zu erörtern und die feinen Unterschiede aufzustellen, die zwischen Republiken sind und den Staaten, die man mit anderen Namen zu benennen pflegt“36 – so legt er mit der kleinen Schrift doch den Grund dazu und weiß es auch, wenn er dem Leser noch zuzwinkert: „Nur die Götter können in einer Demokratie leben, sagt Rousseau. Sollte er als Mensch nicht Recht haben?“37 Man mag – gerade beim letzten Verweis auf Rousseau – einwenden, dass die Französische Revolution die Idee der Gestaltbarkeit von Gesellschaft für eine ganze Generation zum Leitmotiv des Denkens gemacht habe und Arndts späteres und lebenslanges Interesse für Gesellschaftsutopien – wie sie sich auch in Thorilds Suche nach dem „ewigen Gesetz“ ausdrücken – insofern nichts Besonderes wären. Der Zusammenhang aber, in dem er dieses Interesse an der idealen Gesellschaft erstmals formuliert, lässt aufhorchen. Sicher sind viele der bei Arndt skizzierten Gedanken nicht nur von Thorild gedacht worden, sondern in der Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts allgegenwärtig. Doch scheint durch die spätere Zueignung des Epilogs am Ende des Büchleins ein Bewusstsein der Übereinstimmung mit Thorild in seiner Weltsicht ausgesprochen zu sein.38 Im Grunde begibt Arndt sich mit den „alten Republiken“ ganz ähnlich wie Thorild auf die Suche nach den „ewigen Gesetzen“ der menschlichen Gesellschaft, nur ohne Thorilds Verstiegenheiten in scholastischen Wortspielereien. Arndts – man möchte beinahe sagen lebenslange – Themen werden hier gesetzt: Die Frage nach dem Wert und dem Charakter der Freiheit und wie sie verfasst sein müsste, danach was die Gesellschaften im Inneren zusammenhält und was ihren Aufstieg oder Niedergang einleitet. In noch stärkerem Maße werden Thorilds Gedankengänge und die sie durchziehenden Begrifflichkeiten von Arndt in Germanien und Europa, das nur drei Jahre später erscheint, und dessen „Kern und Gipfel“ ein politisches Glaubensbekenntnis darstellt,39 wieder aufgegriffen. Ganz genau wie Thorild gibt sich Arndt als einer zu erkennen, dem die Welt aus den Fugen und aus dem Gefüge geraten ist: „Ich muß zeigen“, schreibt er 32 Ernst Moritz Arndt, Ein menschliches Wort über die Freiheit der alten Republiken, Greifswald 1800, S. 3f. 33 Arndt, Republiken (wie Anm. 32), S. 4. 34 Arndt, Republiken (wie Anm. 32), S. 5. 35 Arndt, Republiken (wie Anm. 32), S. 6. 36 Arndt, Republiken (wie Anm. 32), S. 9. 37 Arndt, Republiken (wie Anm. 32), S. 13. 38 Wolfram (wie Anm. 4), S. 43f. 39 Paul Herrmann Ruth, Ernst Moritz Arndt und die Geschichte. Ein Beitrag zur Arndtforschung und zur Problemgeschichte des Historismus, vornehmlich bis zum Ende der Befreiungskriege (Historische Zeitschrift, Beiheft 18), München 1930, S. 113.

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einleitend, „wie ich es fühle an meiner Welt und an mir, daß sie und ich verrückt sind, d. h. aus unsern Angeln geworfen. Ich muß diese Verrücktheit erklären, wie der Mensch überall nur ein Ding erklären kann, d. h. ich muß ihre Nothwendikeit zeigen, damit nicht der Glaube an die Gottheit untergehe und die Liebe. Ich muß endlich zeigen, welche die Sünder sind, daß diese Verrücktheit noch fortdauert, damit man sich vor ihnen hüten, und durch den Haß und die Liebe und die Kraft finden könne, sich und seine Welt wieder einangeln und einrücken zu können.“40 Aus der „Verrücktheit durch Geistigkeit“ entspringt die „Entgötterung der Natur“ und der „Menschen Entmenschung“.41 Um seine Auffassungen vom Staat darzulegen, unternimmt Arndt es in Germanien und Europa – das in vielem wie ein Kommentar zum später erschienenen Geist der Zeit gelesen werden sollte – die geistige Bildung Europas bis zur Französischen Revolution und deren Wirkungen darauf zu erklären, die politischen Wirkungen der Zeitereignisse von Friedrich II. über Kaiser Joseph und die nordamerikanische Revolution zu skizzieren und schließlich in Erwartung einer napoleonischen „Universaldespotie“ „Ideen über Staat und Verfassung, wie sie werden und worauf sie ruhen“ zu entwerfen – und zwar in einer überraschenden Einheitlichkeit.42 Grund, Mittelpunkt und Motivaton seiner Staatstheorie ist der Mensch. „Der Staat ist ja nichts, als viele Menschen; wenn also, was man von Menschen sagen und lehren kann, nicht auf den Staat passt, so ist das ein schlimmes Zeichen, nemlich das Zeichen der Entmenschung; wenn sich vollends die Leute verwundern über das Zusammenfassen des Staats und des Menschen, als einer Einerleiheit, so ist das ein noch schlimmeres Zeichen, nemlich das der Unbewußtheit der Entmenschung. Ewig soll der Mensch, dessen Kräfte der Staat nicht alle binden darf, höher stehen als der Staat; es ist also das schlimmste Zeichen, wennn man den Staat immer höher stellt als den Menschen. Der Mensch war von je her mehr als der Staat, nicht bloß im Bilde, sondern auch in der That.“43 Das Zeitalter jedoch, welches alles in Begriffe zerlegte, das in Geistigkeit Vereinzelte nicht mehr zusammenzuführen, miteinander zu vermitteln verstand, hat auch „alle Kräfte im Staate und im Menschen immer mehr geschieden und vereinzelt, damit der Geist sie de40 Ernst Moritz Arndt, Germanien und Europa, Altona 1803, S. 5. Auch die Dichothomie von Hass und Liebe, wie sie oben im Zusammenhang mit Thorild angedeutet wurde, ist hier – als buchstäblich erste Worte des Buches – aufgegriffen und muss als solche auch bei der Interpretation der politischen Flugschriften der Befreiungskriege mitgedacht werden. Arndt, ebenda, S. 1. Die Komplexität des Begriffspaars bei Arndt wird oft übersehen, insbesondere bei der Anführung seiner Schrift über den „Volkshass“. Ausnahmen davon stellen die klugen Beobachtungen von Ingrid Hruby, Imago mundi. Eine Studie zur Bildungslehre Ernst Moritz Arndts, Frankfurt/M. 1981, S. 243f. und Wolfgang Kaschuba, Ernst Moritz Arndt: (M)Ein Volksfreund?, in: Bernd Jürgen Warneken (Hg.), Volksfreunde. Historische Varianten sozialen Engagements (Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen 103), Tübingen 2007, S. 33–41, dar. 41 Arndt, Germanien (wie Anm. 40), S. 259. 42 Der hier interessierende Teil findet sich in Arndt, Germanien und Europa, S. 252–364. Der Autor selbst hat die Gliederung des Werkes später wertend dargestellt in: Ernst Moritz Arndt, Nothgedrungener Bericht aus seinem Leben und aus und mit Urkunden der demagogischen und antidemagogischen Umtriebe, Bd. 1, Leipzig 1847, S. 172ff. 43 Arndt, Germanien (wie Anm. 40), S. 3f.

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sto herrischer beherrschen möge“.44 Das Höchste, was der Geist auf diesem einsamen Weg fand, war Zweckmäßigkeit und Ordnung.45 Dabei ging die „älteste und natürlichste Ansicht des Lebens und des Staates, die der Nothwendigkeit, verloren“.46 Die Notwendigkeit – schon bei Thorild der zentrale Begriff der Gesellschaftslehre – dient auch Arndt dazu, den Weg „aus dem politischen Labyrinthe der Systeme und Verfassungen zu finden, in deren Künstlichkeit, die mit jedem Jahrhunderte zunimmt, wir uns immer mehr verirren und verwirren“.47 „Wie, wenn wir wenige Gesetze fänden“, fragt er, „welche die Notwendigkeit für alle Staaten gemacht hätte, weil sie alle Staaten durch sie machte? Wie, wenn wir fänden, daß nur Verkehrtheit des Wahns, Transzendenz der Klügelei, Hinterlist der Klügelei die Menschen davon abgeführt, auf diese ersten bündigen Gesetze mit unverrückbarem Blick zu sehen?“ Und weiter: „Wie, wenn diese irdischen Gesetze die ewigen wären, zur Gestaltung und Erhaltung der Welt und der Staaten hinreichend? wenn aus diesem festen Boden alles Himmlische, Göttliche, kurz, alles Höhere, wenn nicht gerade entspränge, doch aus ihm sich entwickelte...?“48 Ähnlich wie Thorild sieht Arndt die Gesetzgebung in diesem Idealstaat nicht als demokratische Mehrheitsentscheidung sondern als gegenseitige Anerkennung der Verpflichtung an. „Die Weisesten geben die Gesetze durch das Volk. […] »durch das Volk« heißt mir »durch die Idee des Volks«, indem sie nicht vergessen, was diese größere Menschenmasse eigentlich wollte, als sie mit mancher Aufopferung in den Staat trat. Dem Volke werden diese Gesetze vorgehalten, indem die Gesetzgeber sie ihm an dem Zweck des Staates beleuchtet zeigen. Erkennt das Volk sie an als diesen Zweck sichernd und befördernd, so sind sie durch und für das Volk gegeben; dann kennt und erkennt es sie; anders soll das Volk als Masse nie gesetzgebend seyn; aber nicht gesetzgebend soll ein Volk nie seyn; d. h. du darfst keine Gesetze geben, die nicht die Masse des Volks kennen und erkennen könne noch dürfe; alle Gesetze, bei denen das nicht ist, sind Sünden an Einem Volke oder an vielen.“49 Was Arndt hier in Germanien und Europa formuliert, ist noch immer vielfältig mit Ideen verbunden, wie wir sie von Thorild kennen – bis hin zur Wortwahl. Aber es gibt auch Abweichungen. Thorilds ewiges Gesetz – das Wohl Aller – heißt bei Arndt „Sicherheit des Lebens und des Besitzes“.50 Das deckt sich nicht mit dem von Thorild formulierten Bedürfnis nach „Bestånd och Säkerheit“, wie er das erste Kapitel von Rätt eller alla samhällens eviga lag überschrieben hatte, auch wenn es dem nahe kommt. Und doch bewegen sich Arndts Überlegungen eben grundsätzlich in der gleichen Richtung. Mit großer Klarheit lässt sich das selbst noch in Arndts 1811 geschriebenen Briefen an Psychidion ablesen: „Wann Eitel44 45 46 47 48 49 50

Arndt, Germanien (wie Anm. 40), S. 153. Arndt, Germanien (wie Anm. 40), S. 79. Arndt, Germanien (wie Anm. 40), S. 153. Arndt, Germanien (wie Anm. 40), S. 260f. Arndt, Germanien (wie Anm. 40), S. 261, S. 263 Arndt, Germanien (wie Anm. 40), S. 275. Arndt, Germanien (wie Anm. 40), S. 303. Er wird das später mit geringen Abweichungen nochmals ausführlich wiederholen in: Grundgesetz der Natur von Diderot [Morelly] nebst einer Zugabe von E. M. Arndt, Leipzig 1846.

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keit, Verdorbenheit, und Ohnmacht der lebendigen Triebe eingetreten ist, so strebt alles nach Herrschaft und Gewalt, und eine ächt aristokratische Schätzung entwürdigt den Sinn und das Leben der Menschen, überspringt alle ewigen Gesetze der Nothwendigkeit und Zucht, und macht auch blind für das Gefühl und Verständnis der allgemeinen Natur und für die Großheit und Milde, womit sie alle ihre Kinder behandelt. Denn das ist das stille Gesetz der Welt, das ist die stille Nothwendigkeit, woraus die glückliche Freiheit erwächst, daß in der großen Naturgemeinschaft alle Dinge indifferent, d. h. gleich geschätzt sind.“51 Arndts Überzeugung, „daß die Natur den Menschen nirgends verläßt, wenn der Mensch seine Natur nicht verläßt“,52 steht in Zusammenhang mit dieser Auffassung und hat weitreichende Folgen. Schon in der Dissertatio hatte Arndt – mit Bezug auf Montesquieu – der Klimatheorie einen beherrschenden Einfluss auf die menschliche Natur, auf den Menschen als „Naturding“ eingeräumt.53 In Germanien und Europa ordnet er schließlich die geografischen Umweltbedingungen als Notwendigkeit erzeugendes Merkmal der historischen Entwicklung von Völkern und Staaten zu einer Art naturhistorischer Völkergeschichte unter Herderschem Einfluss, die bald bestimmend – nicht nur für seine Geschichtsschreibung – wird. Diese auf seinen Reisen durch eigene Anschauung vertiefte Art der Weltbetrachtung „wurde getragen von der Freude an der wunderbaren und einzigartigen Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit“54 des geschichtlichen Lebens und „hatte als Ziel die Einordnung der eigenen Individualität in die Gesetze der Welt, in Land und Volk und Zeit.“55 Die Auswirkungen auf Arndts „staatspolitisches“ Denken können hier nicht ausgelotet werden, aber in die Voraussetzungen dieser Weltsicht lässt sich einiges Licht bringen. Thorild kommt hier als Anreger primär nicht in Frage. In seinem Denken haben die Klimatheorie oder völkerpsychologische Spekulationen keine, bestenfalls eine untergeordnete Rolle gespielt – mit einer Ausnahme. Seine Gedanken über Kunst und ihr Verhältnis zur Gesellschaft in ihrem historischen Entwicklungsstand sind in hohem Maße abhängig von Carl August Ehrensvärds 1786 erschienener Philosphie der freien Künste, deren Axiom geradezu die Abhängigkeit jeden Kunstgeschmacks und -sinns von den klimatischen Umweltbedingungen und den durch diese erzeugten Bedürfnissen und Notwendigkeiten der Menschen ist. Karl August Ehrensvärd (1745–1800) gehört eigentlich zu den Seekriegshelden Schwedens. Er hatte aber neben seiner militärischen Karriere als Flottenkommandeur seit früher Jugend eine besondere Neigungen zur antiken Kunst gepflegt.56 Nach der Rückkehr von einer 1780 begonnenen Italienreise hatte Ehrensvärd 1782 seine ästhetischen Ansichten in einer kleinen Schrift – De fria konsternas filosofia – niedergeschrieben, die er aber erst 1786 in wenigen Exemplaren drucken und unter Freunden verteilen ließ. Nicht einmal sein Name stand auf dem Titelblatt. Im eigenen Lande blieb die Schrift denn auch 51 52 53 54 55 56

Ernst Moritz Arndt, Briefe an Psychidion oder über weibliche Erziehung, Altona 1819, S. 91 Ernst Moritz Arndt, Einleitung zu historischen Karakterschilderungen, Berlin 1810, S. 161. Arndt, Dissertatio (wie Anm. 31), S. 12–21. Arndt, Dissertatio (wie Anm. 31), S. 13. Ruth (wie Anm. 39), S. 29. Die ausführlichste biografische Würdigung noch immer Karl Warburg, Karl August Ehrensvärd. En lefnadsbild från gustavianska tiden, Stockholm 1893.

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fast unbekannt, geriet in Vergessenheit und erlebte erst nach seinem Tod ihre Wiederentdeckung. Die Philosophie der freien Künste war alles andere als ein entwickeltes ästhetisches System, eher eine locker verknüpfte Ansammlung von Aphorismen. Immerhin aber ist Ehrensvärd im 19. Jahrhundert als der „schwedische Winckelmann“ gefeiert worden.57 Der Inhalt der Schrift hat nichtsdestotrotz auch auf spätere Leser den Eindruck einer Ansammlung von Paradoxien gemacht, die noch dazu in einem dunklen und sonderbaren kathechismusartigen Stil verfasst waren. Auf den ersten Blick wirken seine Ausführungen häufig naiv und zusammenhanglos. Stilistisch ähnelt er gewiss Thorild – einem verwandten Charakter –, der das Buch als erster lobend rezensierte und noch 1800 einen Aufsatz mit dem Titel „Ehrensvärd: der Weltblicker“ plante.58 Nirgends in Deutschland ist Ehrensvärds Werk so intensiv – oder überhaupt – rezipiert worden, wie in Schwedisch-Pommern und man darf diesen Umstand wohl – mangels anderer naheliegender Erklärungen – auf die Vermittlung durch Thorild zurückführen. Es ist sicher kein Zufall, dass ausgerechnet die zwei Greifswalder Akademiker, denen ein engeres Verhältnis zu Thorild nachgesagt wird, nämlich Carl Schildener und Ernst Moritz Arndt, beinahe zeitgleich 1805 an die Übersetzung und Popularisierung von Ehrensvärds Schriften gingen. Carl Schildeners Übersetzung von De fria konsternas filosofia erschien 1806 anonym und hat einen bleibenden Einfluss auf dessen Kunstauffassung ausgeübt.59 1835 veröffentlichte er abermals eine auszugsweise Übersetzung Ehrensvärds mit einleitender Würdigung.60 Ernst Moritz Arndt schloss 1808 ein Manuskript unter dem Titel Der Mensch und die Kunst – von Ehrensvärd und Ernst Moritz Arndt ab, das als Ganzes bis heute unveröffentlicht blieb.61 Es enthält Arndts Übersetzung von Ehrensvärds Philosophie der freien Künste – die von der bekannten Schildnerschen Übersetzung abweicht – sowie von dessen Reise nach Italien mit späteren Zusätzen und Kommentaren Arndts. Angehängt sind diesen Übersetzungen Arndts eigene Fragmente über Leben und Kunst, die erstmals 1898 in Aus-

57 Rudolf Haym, Karl August Ehrensvärd, Schwedens Winckelmann, in: Preußische Jahrbücher 10 (1862), S. 19–47. 58 Thomas Thorild, Öfver Ehrensvärds De fria konsternas filosofia, in: Samlade Skrifter (wie Anm. 3), Bd. 3, hg. v. Stellan Arvidson, Stockholm 1944, S. 400–403 und Ders. Die Welt der Eleganz. An den Ordner der Zeitung für die elegante Welt, in: Samlade Skrifter (wie Anm. 3), Bd. 5, S. 39–43. 59 Die Philosophie der freien Künste. Aus dem Schwedischen übersetzt und mit einem Anhange herausgegeben [von Carl Schildener], o.O. 1805. Zur Identifikation des Herausgebers, vgl. Erich Gülzow, Eine vergessene Schrift Karl Schildeners, in: Monatsblätter der Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde 53 (1939), S. 204–212. Zu Schildeners Kunstauffassung zuletzt Dirk Alvermann, Kunstfreunde in Vorpommern und Rügen um 1800, in: Uwe Schröder (Hg.), Die Geburt der Romantik. Friedrich. Runge. Klinkowström, Greifswald 2010, S. 43–62, hier S. 57ff. 60 Carl Schildener, Erinnerung an den Grafen C. A. Ehrenswaerd, in: Museum, Blätter für bildende Kunst III (1835), S. 9–12, S. 29–31, S. 39–40, S. 62–63, S. 85–86. 61 Die Handschrift befindet sich (nicht ganz vollständig erhalten) im Arndt-Nachlass im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften unter der Signatur Nr. 31.

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zügen veröffentlicht wurden.62 Eine spätere vollständige Edition durch Birgit Dahlenburg ist leider nicht im Druck erschienen.63 Allein diese Quellenlage mag erklären, warum – mit Ausnahme Wolframs – die Verbindungen Arndts und Ehrensvärds bislang in der deutschen Forschung nicht thematisiert wurden.64 Ein anderer Grund mag in der Verfügbarkeit der Übersetzungen Ehrensvärds zu suchen sein. Schildeners Übersetzung der Philosophie der freien Künste ist bis heute die einzige geblieben und kaum verfügbar, während die 1782 geschriebene Resa till Italien, die bis heute in Schweden zahlreiche Auflagen erfahren hat, nie in deutscher Sprache erschien. Da beide Werke Themen, Sichtweisen und Begrifflichkeiten Arndts in den Jahren 1804 bis 1810 und darüber hinaus stark geprägt haben, werden der besseren Anschaulichkeit dieser Ausführungen halber Auszüge der Arndtschen Übersetzungen im Anhang zu diesem Beitrag erstmals veröffentlicht. Bei Ehrensvärd fand Arndt den Zusammenhang von Volkscharakter und Notwendigkeit (oder Bedürfnis) vorgebildet und hat ihn ungebrochen und mit gleicher Motivation wie Ehrensvärd übernommen. 1806 schreibt er über ihn in der Einleitung zu historischen Karakterschilderungen: „Er suchte in allem das erste Nothwendige, das Nützliche und das Rechte: und er fand nicht nur das, sondern er fand das Schöne und Wahre obenein. [...] Er ist der Mann von allen Neueren, die ich kenne, der mit der innigsten Sehnsucht und der gläubigsten Treue die Wahrheit gesucht hat, der, bei welchem alles Eitle, sowohl das nationale als das persönliche, völlig schweigt, welcher nicht ein Wörtchen spricht über die Sache, nicht ein Pünktchen scheinen will über dass Bedürfniß hinaus.“65 Hier findet sich zugleich die längste und wärmste Würdigung Ehrensvärds – des „Sonderlings“ – im Werk Arndts, der ja nur selten auf Vorbilder zu sprechen kommt – nur Hamann, Herder, Goethe nennt er öfter. Bei Ehrensvärd ist das anders. Wir finden ihn als ausdrückliche Referenz bei Arndt bis in das Alterswerk hinein.66 Der Zeitpunkt der ersten Begegnung mit Ehrensvärds Werk lässt sich bei Arndt nicht genau bestimmen, dürfte aber um 1803 anzusetzen sein. Bezeichnend ist hier, dass Arndt dem zweiten Band der überarbeiteten Neuauflage seiner Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 und 1799, der große Teile der italienischen Reise enthält, einen Abschnitt grundlegender Art über den Charakter der Italiener und den Unterschied zwischen „Nord- und Südländern“ einfügt, der beinahe aus jeder Zeile Ehrensvärds Grundgedanken wiedergibt: „Nur noch einige Fragen und Zweifel, die man sich bei der Beurtheilung der Nationen und Schilderung ihres Karakters wohl nicht immer aufgeworfen und hingestellt hat, sonst würde man schonender gegen 62 Eine stark gekürzte Fassung derselben bei Heinrich Meisner, Ernst Moritz Arndts ungedruckte Fragmente über Leben und Kunst, in: Deutsche Revue 23, IV (1898), S. 203–221. 63 Die Edition ist Teil einer Dissertation: Birgit Dahlenburg, Die Kunstanschauungen von Ernst Moritz Arndt zwischen 1800 und 1815/16, Greifswald 1986 (Ms.), Bd. II. 64 Wolfram (wie Anm. 4), S. 170ff. 65 Arndt, Karakterschilderungen (wie Anm. 52), S. 161. 66 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit hier die ausführlicheren Einlassungen: Arndt, Karakterschilderungen (wie Anm. 52), S. 161ff. und Ders., Psychidion (wie Anm. 51), S. 53ff., sowie Ders., Die Persönlichkeit oder das Gepräge des Volks, was man wohl Charakter zu nennen pflegt, Vorzüglich in Beziehung auf das deutsche Volk. 1847, in: E. M. Arndts Schriften für und an seine lieben Deutschen, Berlin 1845, S. 79.

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Fremde im Tadel und bei dem Lobe des Eigenen bedächtiger gewesen seyn. Wagt ihr das Klimatische aus dem Urtheile auszuschließen? die ungeheuren Einflüsse und Vor- und Rückwirkungen, die die Naturdinge auf das Naturding Mensch haben? Ist der Mensch, das hellste und bedeutendste der lebendigen Wesen, eine Naturmannigfaltigkeit, die alle Stufen und Varietäten der übrigen Naturwesen in sich hat, ist der Mensch nicht ein Spiegel der Dinge, unter welchen er entstand und wuchs? [...] Warum ist der Nordländer so sentimental? warum entzücken ihn schöne Gegenden, Haine, Thäler, Meeresufer so? und warum kennt der Italiäner, Franzose, Grieche nur den ewigen Reiz des Menschen? Warum ist der Nordländer so weich, so mitleidig und wieder so starr? der Südländer so streng, so schrecklich grausam und wieder so besonnen human? Starrsinn und Festsinn, Schloßheit und Grausamkeit, Reizbarkeit und Kunstsinn – ich spreche von den Klimaten, wo Menschen zur Humanität gelangen können – wie wunderbar und in der Maße wirklich wie schneidend einander gegenüber!“67 Im Norden „unsere angestrengtere Arbeit mit der Nothwendigkeit; unsere Erweckung des Gedankens fast immer vor dem Gefühl des vollen Lebens“ – im Süden „das Leben nicht so unter der Noth, in fantasiereicher, üppiger Vegetation aufblühend und oft untergehend, seine Götter in sich habend, nicht außer sich suchend [...] – Hier könnte eine göttliche Humanität stehen, und noch, wo sie sich nur ein wenig richtet, steht sie schon besser, als bei uns –“.68 Darüber hinaus teilt Arndt Ehrensvärds Italienenthusiasmus und hält die Italiener „für das talentvollste und tapferste Volk Europens“ und wünschte, er „könnte eine Abhandlung schreiben als Ehrenrettung der Italiäner gegen die Jenseits der Berge, (Ultramontani) wie sie uns nennen“.69 Wie bei Ehrensvärd sind es bei Arndt die vom Klima erzeugten Bedürfnisse und Notwendigkeiten, und zwar in genau derselben Weise, die die Entwicklung der Menschen lenken, ohne dass damit eine Wertung verbunden wäre. Diese Betonung der Bedürfnisse unterscheidet sich von Arndts Schriften vor 1804. Er folgt Ehrensvärd selbst in der Herausstellung der Unterschiede zwischen Berg- und Ebenenbewohnern70 und solche Abhängigkeiten ließen sich noch mehr aufzeigen. Arndt übernimmt die klimatische Einteilung der Menschheit von Ehrensvärd vollkommen, indem er beispielsweise auch die Franzosen noch dem Norden zurechnet. Am wichtigsten aber ist Ehrensvärds Einfluss auf Arndts Schilderung der echten Nordländer. Sie geschieht quasi vollständig mit Ehrensvärds Worten. Das bedeutet aber auch, dass sie den resignativen Zug trägt, der Ehrensvärd eigen ist und damit im Gegensatz zu der Denkrichtung steht, die aus klimatischen Bedingtheiten eine Überlegenheit des Nordens gegenüber dem Süden ableitet. Eher das Gegenteil ist der Fall. Hier steht noch das „haltlose Schwanken, und die Sprunghaftigkeit, die Unbeständigkeit der Gefühle“ der Nordländer, gegen die „ruhige Festigkeit“ des Südländers, der so ein „haltloses Schwanken“ nicht kennt.71 Noch in den Briefen an Psychidion stellt Arndt den „kühneren Ernst“ und

67 Ernst Moritz Arndt, Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 und 1799, Zweyter Theil, Leipzig 1804, S. 202f. 68 Arndt, Reisen (wie Anm. 67), S. 203. 69 Arndt, Reisen (wie Anm. 67), S. 200f. 70 Vgl. dazu Arndt, Karakterschilderungen (wie Anm. 52), S. 111. 71 Wolfram (wie Anm. 4), S. 175f.

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„festeren Willen“ der Südländer dem „in unseliger Mitte Fortschwanken“ der Nordländer gegenüber, die nicht wissen, ja nicht einmal wissen wollen, was sie wollen und sollen.72 Den Auswirkungen Ehrensvärds auf Arndts Kunstauffassung kann hier nicht ausführlich nachgegangen werden, auch wenn sie mit dem Thema in engem Zusammenhang stehen. Sicher ist aber, dass Arndts Gedanken über die Kunst erst seit seiner Begegnung mit Ehrensvärd ihre volle Ausprägung erfuhren.73 Ehrensvärd hat seine Spekulationen über die Entwicklungsbedingungen und -möglichkeiten von Kunst stark von einer angenommenen „klimatischen Gebundenheit“ der Menschen abhängig gemacht und war zu dem Ergebnis gelangt, dass im Norden – wozu alle Länder nördlich der Alpen zählten – die Erweckung einer wahren Kunst ausgeschlossen sei: „Man kann keine wahre Kunst und keinen wahren Geschmack im nordischen Klima begehren“, sagt er. Dieser Mangel könne lediglich durch eine hohe Ordnung der Sitten vermindert, nicht jedoch ausgeglichen werden. Arndt hat seine üblicherweise auf 1808 datierte, vielleicht aber schon früher niedergeschriebenen Übersetzungen Ehrensvärds und seine eigenen Fragmente über Leben und Kunst nie veröffentlicht. Viele der dort ausgeführten Gedanken sind aber – unter klarer Bezugnahme auf Ehrensvärd – in den dritten Teil seiner Fragmente über Menschenbildung, die 1811 geschriebenen und 1819 veröffentlichten Briefe an Psychidion eingeflossen.74 Mehr noch verdeutlichen die um 1806 verfassten und 1810 veröffentlichten Briefe an Freunde, und zwar der Teil, der sich an Friedrich Albert Muhrbeck richtet, in welchem Maße Arndt sich von Ehrensvärd angeregt fühlte. Sie enthalten eine beinahe vollständige inhaltliche Wiedergabe von Ehrensvärds Philosophie der freien Künste, die in der Struktur der Argumente dem schwedischen Vorbild folgt, aber deren Reihenfolge umkehrt und so aus dem apodiktischen Gedankenwirrwar Ehrensvärds eine verständliche Darstellung macht.75 Die Forschung hat diesem Büchlein, wie mehr oder weniger allen Werken Arndts (mit Ausnahme des Geist der Zeit), die nach Germanien und Europa und vor den Propagandaschriften der Befreiungskriege entstanden, wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Für unsere Fragestellung ist es aber zentral. Was Arndt in seiner oben zitierten Reisebeschreibung von 1804 noch als Frage formulierte, findet sich hier über Ehrensvärd hinausgehend beantwortet: „So viel steht fest, der südliche Mensch, der Grieche, Italier, Kleinasiat, Spanier hat mehr Haltung und Gleichheit des Gemüthes, mehr Maaß in der Bewegung, als der nördliche, so wie seine äußere Natur eine schon festere und bleibendere Gestalt zeigt, als die des Nordländers. Aber der Nordländer – ich meine nicht den bei den Rennthieren und Eisbären – kann durch geistige Würdigung der Dinge – eine göttliche, aber wie alles Göttliche gefährliche Gabe, die er wirklich mehr hat, als der Südländer – das Gesetz seines Klimas sich finden, und wie weit seine Herrschaft über die Natur und sein Gehorsam gegen sie geht; er kann 72 Arndt, Psychidion (wie Anm. 51), S. 67. 73 So auch Wolfram (wie Anm. 4), S. 174. 74 Arndt, Psychidion (wie Anm. 51), S. 53ff. In den Auszügen aus dem Werk, die der Neuausgabe der „Fragmente“ beigegeben sind, ist dieser Aspekt fast ausschließlich berücksichtigt worden. Vgl. Ernst Moritz Arndts Fragmente über Menschenbildung, hg. v. Wilhelm Münch und Heinrich Meisner, Langensalza 1904, S. 200–234. 75 Ernst Moritz Arndt, Briefe an Freunde, Altona 1810, besonders S. 97–142.

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durch ruhige Anerkennung dessen, was er soll, sein Leben auch ins Gleichgewicht bringen. Das leugne ich gar nicht, daß er es schwerer hat, als der glücklicher organisirte Südländer, weil er in vielem erst durch Kunst werden soll, was jener schon von Natur ist. Sein Wesen ist überall nicht so gehalten und geht leicht in Ungestalt und Nebel über, wie eine unstäte Natur ihn in ewigen Wechseln umbraust. Er ist der Unbeständigkeit der Gefühle und den Stürmen der Leidenschaften mehr unterworfen, und thut alles leicht mit Unmaaß und Uebertreibung; im häufigen Wanken zwischen Begier und Genuß, zwischen Faulheit und Mühseligkeit, wird er sich seltener jener stillen, in sich selbst seligen, Fülle bewußt, woraus die Kunst als die zarteste Blume des Lebens hervorblüht. Darum ergötzt der Nordländer sich mehr an der Empfindung, der Südländer mehr an der Gestalt.“76 In diesem Sinne handelt es sich auf über beinahe 50 Druckseiten nicht nur um eine Wiedergabe von Ehrensvärds Gedanken, sondern beinahe um eine Art Dialog mit dessen Werk, in den auch Arndts frühere, von Thorild beeinflusste Gedanken über Notwendigkeit und Freiheit einfließen.77 In der Begegnung mit Ehrensvärd darf man den eigentlichen Beginn von Arndts intensiveren völkerpsychologischen Spekulationen erblicken, die natürlich schon in Germanien und Europa begannen und in die er später in ein Bezugssystem aus Klima, Recht, Geschichte und Religion stellte. Wenn man das ganz zugespitzt formulieren würde, könnte man behaupten, dass Arndt sein Leben lang an der Begegnung mit Ehrensvärds nordischer Resignation und der durch ihn verursachten Störung der romantischen Überzeugung von der unverdorbenen Kraft der Germanen laboriert. Die beunruhigende Frage nach der Bedeutung des eigenen Volkes im Vergleich zu den historischen Kulturvölkern, nach den eigenen Entwicklungsmöglichkeiten, die an den Leistungen der Antike gemessen werden sollen, führt Ehrensvärd wie Arndt zu der ernüchternden Feststellung eigener Unzulänglichkeit, die eine Erklärung fordert. In den folgenden Jahren arbeitete Arndt an einem entsprechenden Idealbild, welches sich aus eigenen Erfahrungen – er war ja ein äußerst scharfer Beobachter auf seinen Reisen – und Spekulationen zusammensetzte. Die klassische Überlieferung, insbesondere die bewundernden Worte des römischen Geschichtsschreibers Tacitus über die angebliche Unvermischtheit und die daraus erwachsende Sittlichkeit und Tugendhaftigkeit der alten Germanen, lieferten ihm dazu eine historische Folie. Was dort nicht hineinpasste, wurde auf die Wirkung fremder Kulturstörungen, später vor allem des französischen Einflusses geschoben. Das führte dann während der Befreiungskriege und darüber hinaus zu der bekannten Verteufelung alles „Welschen“. Von der Einleitung zu historischen Karakterschilderungen, die 1806 entstanden, über die Schwedischen Geschichten unter Gustav dem Dritten vorzüglich aber unter Gustaf dem Vierten Adolf, die 1809/10 geschrieben wurden, bis hin zum Versuch über vergleichende Völkergeschichte von 1842 und dem Werk über Persönlichkeit oder Gepräge des Volkes von 1847 bleibt Ehrensvärd die wichtigste, wenn auch widersprüchliche, Referenz Arndts. Denn – wie gesagt – mit einer igendwie gearteten Überlegenheit der nördlichen Völker, 76 Arndt, Briefe (wie Anm. 75), S. 140f. 77 Die Forschung hat die wichtige Stellung der „Briefe an Freunde“ in Arndts Werk bislang kaum berücksichtigt. Eine Ausnahme ist hier wieder Wolfram (wie Anm. 4), S. 174f.

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gegenüber den südlichen hätte Ehrensvärd nichts anzufangen gewusst. Seine Skepsis gegenüber dem angeblich unverfälschten „nordischen Volkscharakter“ hat sich in Arndts Spätwerk, in welchem er sich von früher vertretenen germanischen Reinheitsideen explizit abwandte, dann auch wieder durchgesetzt.78 Die gesellschafts- und kunsttheoretischen Gedanken Thorilds und Ehrensvärds sind im Frühwerk Arndts in einer Art präsent, die sie zum einen als offensichtlich vorbildhaft und prägend für Arndts grundlegende Art der Weltbetrachtung in den Jahren bis 1810 qualifizieren und zum anderen ein zähes Nachleben in demselben vermuten lassen. Die hier vorgestellten schwedischen Einflüsse haben Arndt – auf jeweils andere Weise – einen festen Stand in der „Verrückung“ der Welt finden lassen. Insbesondere auf sein Menschenbild, auf seinen Freiheitsbegriff und die damit verbundenen entwicklungsgeschichtlichen Vorstellungen, haben sie – neben und parallel zu den französischen Aufklärungsdiskursen – in einem Maße gewirkt, das hier in vielem nur angedeutet werden konnte. Es muss späterer Forschung vorbehalten bleiben, die Vernetzung Arndts mit den politischen und philosophischen Diskursen seiner Zeit gerade hinsichtlich des Frühwerkes bis zu den Befreiungskriegen, umfassender als bisher nachzugehen. Die schwedischen Verbindungen Arndts sind dabei mehr als nur folkloristisches Beiwerk einer intellektuellen Ursprungslegende. Sie sind ernst zu nehmen als Teil der intellektuellen Prägung eines deutschen Publizisten, der selbst nicht müde wurde, auf sie hinzuweisen.

78 Vgl. jüngst Brian Vick, Arndt and German Ideas of Race: Between Kant and Social Darwinism, in: Walter Erhart /Arne Koch (Hg.), Ernst Moritz Arndt (1769–1860). Deutscher Nationalismus – Europa – Transatlantische Perspektiven, Tübingen 2007, S. 65–76, der Arndts „Versuch über vergleichende Völkergeschichte“ in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. In anderem Zusammenhang thematisiert das Problem Jens Rybak, Ernst Moritz Arndts Judenbilder. Ein unbekanntes Kapitel, in: Hefte der Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft 5 (1997), S. 102–138, v. a. S. 104–107. Er fußt teilweise auf Ernst Weymar, Ernst Moritz Arndt, in: Politik und Zeitgeschichte v. 18.05.1960, S. 317–324. Umfassend und mit ausgewogenem Urteil behandelt Friedrich Hertz, Das Problem des Nationalcharakters bei E. M. Arndt, in: Völkerpsychologische Charakterstudien 3 (1927), S. 46–72 dieses Thema. Er verfolgt auch die Abwendung Arndts von den früher vertretenen Auffassungen in den 1840er Jahren. Aus dem gleichen Jahr stammt die Kieler Dissertation von Emmy Cremer, Ernst Moritz Arndt als Geschichtsschreiber, Kiel 1927, die Aspekte der historischen Charakterbilder bei Arndt beleuchtet. Enger am Thema des Volkscharakters bei Arndt bewegt sich die Leipziger Dissertation von Rudolf Krügel, Der Begriff des Volksgeistes in Ernst Moritz Arndts Geschichtsanschauung, Langensalza 1914.

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Anhang Die im folgenden wiedergegebenen Texte stammen aus dem Manuskript „Der Mensch und die Kunst“ im Nachlass Ernst Moritz Arndts, Sign. Nr. 31 im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Der Umfang des Manuskriptes beträgt 123 Blatt. Es handelt sich dabei um die Druckvorlage für die Arndtsche Übersetzung von Carl August Ehrensvärds „Philosophie der freien Künste“ und von dessen „Reise nach Italien …“ daran schließt sich Arndts eigene Schrift „Fragmente über Leben und Kunst“ an. Der hier wiedergegebene Text stellt eine litterale Abschrift dar, wobei lediglich die Verwendung von „ß“ und „ss“ reguliert, offensichtliche Schreibfehler stillschweigend korrigiert, die Interpunktion an die heutigen Gewohnheiten angepasst und Streichungen und Verbesserungen im Manuskript, auch die Zusätze von späteren Händen, nicht mitgeführt wurden. Eine Kommentierung erfolgte nur, wo es für das Verständnis unabdingbar war. Die kritische Edtion muss einer hoffentlich bald erfolgenden, zusammenhängenden Ausgabe der drei Texte nach dem Manuskript vorbehalten bleiben.

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Carl August Ehrensvärd

Die Philosophie der freien Künste (Auszug)

Von dem Menschen Was bringt Bewegung in das lebende Ding, den Menschen? Seine Bedürfnisse Nichts mehr? Nicht ein Sonnenstäubchen. Es sind also die Bedürfnisse, die ihn geschickt, erfinderisch, gebildet machen? Ja. Auf welche Weise? Die Bedürfnisse entwickeln erst die wichtigsten Organe und dann die feineren. Was nennst Du die wichtigsten Organe? Ich nenne dies die fünf Sinne und des Leibes Dauerhaftigkeit. Was nennst Du die feineren Organe? Die Organe, welche die Einbildungskraft und das Nachdenken ausmachen. Wie nennt man das Volk, das nur das Erste bedarf, oder das nur die Entwickelung der wichtigeren Organe bedarf? Die Wilden. Wie nennt man die Völker, welche die Ausbildung der feineren Organe bedürfen? Die civilisierten. Wovon kommen wilde und gebildete? Dadurch, daß die Erde rund ist, mehrere Klimate hat und das Menschengeschlecht stark genug ist, sie alle ertragen und bewohnen zu können. Was entspringt daraus? Daß es zwei Arten Völker in der Welt giebt, nemlich die, welche in dem besten Himmelsstrich leben und als Mensch nur sich selbst bedürfen, und die, welche in schlechteren Klimaten leben, wo alle einander bedürfen. Die welche einander bedürfen, sind civilisiert? Ja. Woher kömmt das? Das kömmt daher, da ein hartes Klima viele Bedürfnisse giebt, so müssen alle Dinge bedacht werden und der Mensch einander helfen, und es entspringen aus dieser Quelle Wissenschaften und Gesellschaftstugenden. Je schlechteres Klima, desto mehr civilisirte Völker folglich? Nein. Dazu wird eine gewisse Bequemlichkeit erfordert; denn eine gewisse Noth im Klima benimmt durchaus alle geistige Thätigkeit und Gedankenfülle, eben sowie ein gewisses Glück im Klima dasselbe thut aus Mangel an Bedürfnis. Wie soll man dies verstehen?

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Die civilisiertesten Völker, sieht man, haben die gemäßigten Klimate bewohnt. Der Neger hat aus der Hand der Natur alles erhalten und seine Bedürfnisse sind leicht befriedigt; der Grönländer muß für die Gewinnung einer rohen Nahrung unglaublich arbeiten; Beide haben die äußersten Enden der Natur erhalten. Der Neger wegen seiner Hitze und der Grönländer wegen seiner Arbeit haben keine Zeit mehr übrig, als die, sich auszuruhen. Aber die Völker, welche gemäßigte Klimate bewohnen, wo etwas Arbeit viel Gewinst giebt und etwas Mühe viel Stärke übrig behält, die ruhen sich weniger [aus] und haben Zeit und Gelegenheit zur Entdeckung fröhlicher Bedürfnisse in der Natur. Aber sind nicht alle Bedürfnisse, die befriedigt werden können und befriedigt werden, fröhliche Bedürfnisse? Ja, aber diese eben genannten Bedürfnisse können allein den Namen fröhlicher Bedürfnisse bekommen, da sie fest von den nothwendigen verschieden sind; die nothwenidgen Bedürfnisse können ihre Klasse unter den Mühen bekommen, und ihre Befriedigung hat ein größeres Gefühl als Freude. Aber da die sogenannten fröhlichen Bedürfnisse sich in der Natur finden, so sind sie gleichwohl nothwendig? Sie sind nothwendig für einige Völker; denn eine gelinde Mühe giebt eine gelinde Ruhe, und da müssen bei dieser Ruhe noch Arbeiten gethan werden, um der Langeweile zu entgehen. Wovon kömmt das Glück? Von den Bedürfnissen. Auf welche Weise? Das Bedürfnis an sich selbst ist eine Noth und das befriedigte Bedürfnis ist ein Glück. Des Menschen Glück ist also wohl überall dasselbe, sobald alle seine Bedürfnisse befriedigt werden; und sollte micht bei dem von seinen wichtigen Bedürfnissen stark erregten Menschen das Gefühl in Befriedigung des Bedürfnisses eben so stark seyn als die Gefühlssumme aller gelind befriedigten Bedürfnisse bei einem andern? Allerdings. Aber da die Naturkraft und das Leben eine Gränze haben, kann ein Mensch so stark seyn, daß er dann mit einem einzigen Gefühl so viel sollte fühlen können, als ein anderer mit vielen und verschiedenen Gefühlen nacheinander? Nein. Aber kann das Gedächtnis wohl so weitreichend seyn, daß ein Mensch, der gelind und besonders fühlt, das will so viel sagen, der seine Gefühlsmomente mit vieler Zeit belauschen könnte, sich durch die Sammlung früherer Gefühle in Gleichheit mit dem ansehen könnte, der die kräftigen Gefühle auf einmal hätte? Nein. Woher kömmt das? Das kömmt daher, daß Leben und Naturkraft eine Gränze haben. Durch die eine Fähigkeit geht die andere verloren und das Vermissen der einen Fähigkeit verdoppelt die, welche man noch hat; sonst würde man Menschen zu Göttern umschaffen. Aber man sagt, daß die Gewohnheit alles thut? Sie thut viel, aber sie hat das Leben und die Naturkraft zur Gränze. Was der Mensch von der Natur hat ist also eine gewisse Summe?

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Ja. Also sind alle Menschen gleich? Nein, obgleich alle eine gleiche Summe bekommen haben, so ist die Summe bei ihnen nicht auf gleiche Weise vertheilt. Auf welche Weise wird diese Summe vertheilt? Diese Summe ist in gleichem Verhältnis zu ihren Klimaten vertheilt. Welchen Schluß machst Du aus allem diesen? Daß nichts so nöthig ist, als mit übereingekommener Ordnung die Ordnung zu ersetzen, die man durch Klimate verliert.

Von dem Klima Was wirkt das Klima auf das Menschengemüht in Ansehung der Künste? Das Klima wirkt vorzüglich auf Geschmack! Auf welche Weise wirkt das Klima auf Geschmack? Da Geschmack das feinste Menschenwerk ist, der unverlierbarste Trieb des Menschen, der ihn hat, und da das Klima des Menschen Fähigkeiten innerhalb seiner gegebenen Summe vertheilt; so kann es sich treffen, daß grade das, was Geschmack ausmacht, geschwächt ist, um einige andere wichtigere Fähigkeiten zu verdoppeln, jenem Menschen zum Nutzen in dem gegebenen Klima. Wirkt nicht das Klima etwas auf das Handwerk in den Künsten? Es wirkt in allen Dingen, aber auf das Handwerk aller Dinge wirkt vorzüglich die Gesetzgebung. Was ist Gesetzgebung? Sie ist, durch übereingekommene Ordnung die Ordnung zu ersetzen, die man durch Klimate verliert. Was ist das Erste der Gesetzgebung? Die Sitten. Haben die Sitten einige Wirkung auf die Künste? Eine sehr große Wirkung. Auf welche Weise? Dadurch daß die Sitten die erste Erziehung in die Jugend bringen, haben sie den Menschen entweder an Ordnung oder Unordnung gewöhnt, an Ernst oder an Prunk. Was thut Ernst in Sitten zum Handwerk? Er thut, daß alles gut und dauerhaft gemacht wird. Was thut Prunk in Sitten? Er thut, daß alles unachtsam und nachlässig gemacht wird. Welchen Schlußsatz machst Du aus allem diesen? Daß Künste und Geschmack sich nach Sitte und Klima richten.

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Carl August Ehrensvärd

Reise nach Italien 1780, 1781, 1782 geschrieben 1782 in Stralsund (Auszug)

Die Religionen In keinem Lande eine so wahre Religion als in Europa, und in keinem Lande als Europa, wo die Leute so verdorben sind auf der Erdkugel. Der Fehler liegt denn bei denen, die eine wahre Religion verwalten. Jedesmal, da Priester die Lebensfreude aus dem Weltlichen holen, wird die Religion, welche sie immer sei, schlecht verwaltet. Wenn die Priester ihre Lebensfreude aus dem Göttlichen holen, so tritt bei ihnen immer eine Aufgebung des Weltlichen ein, und welche Religion es seyn mag wird wohl verwaltet.

Von Regierungen In ganz Europa sah man einen Herrscher über alle Herrscher und dieser allmächtige Herrscher war eine Sammlung von lebendigen Wesen, die alle ihre Lust in der Herrschaft hatten. Solches mußte nothwendig den Gesetzgeber von seiner Arbeit und das Volk von Ordnung zurückhalten; das Volk mußte nach verbotnen Freuden greifen, die reinen verschwanden: die Ordnung und alles, ja sogar das Schöne litt eine merkwürdige Sache in der Zerstörung.

Über Ordnung In den Ländern, worin ich in Europa gewesen, sah ich einerlei Ordnung und das war eine natürliche Sache. Die meiste Sorge war, Strafen zu schaffen, in Ermangelung von Mitteln, das Volk zu Fehlern außer Stand zu setzen. Diese Sorge ruhte in den Händen von Unbehörigen. Keine wahre bürgerliche Ordnung, keine wahre Erziehung; der Herrscher konnte nicht mehr als berichtigen, aber nicht erschaffen; alles war im Schiffbruch fortbewegt; der Zweck war beständig, nicht in Glück zu kommen, sondern aus Noth zu kommen. Dies zerstörte die natürliche Freude und brachte eine große Nachlässigkeit in das Ganze, dadurch ward Überfluß, Kriegsvolk, unter Gewehr verbreitet, und es setzte des Menschen Vergnügen an Neuheiten. Ich sah niemands Nachdenken die Menge leiten, schädliches Metall zu Hausgeräth, schlecht geartete Nahrung, beschleunigte Arbeiten, Ungesundheit und Handwerk.

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Über den Handel Er führte alles in der Gesellschaft mit blassen Ausrechnungen, und in welchen Ausrechnungen die Sittlichkeit nicht inbegriffen war. Er legte den Grund zur Ungerechtigkeit und weckte Begierden für Sachen ohne Nutzen. Er ging seine eigenen Schritte, ohne in die Gesetzgebung eingefaßt zu seyn, er machte jeden Tag Aufruhr gegen den Gesetzgeber und nahm eine Herrschaft ohne Namen. Es war der Handel, der die Priestergewalt stürzte; er stürzt mit der Zeit die Königsgewalt; er duldet keine sittliche Freude; alle Gemüthsordnung wird auseinander gehen, wenn der Handel nicht gestaltet wird.

Was die Ursache der Verschiedenheit zu seyn scheint, die sich zwischen unserm und dem früheren Zeitalter zeigt 1. Der Römer hatte eine Zeit über Europa geherrscht, auf eine andre Weise, als er vormals herrschte, vormals mit dem Schwerdte, nun mit dem Buche. Und immer hat er im Großen über Europa geherrscht. 2. Die nordischen Völker mischten mit dem Süden ihre eignen Sitten. Darunter war die Weiberfreiheit das Hauptsächliche. 3. Der Kompaß lehrte einen jeden an andern Orten als in seinem Vaterlande leben. Dies sind die Hauptsachen, die Europa dahin gestellt, wo es nun steht: andre Sitten, andre Denkarten, andre Zwecke. Vorher herrschte eine Stärke und man bekam in seinen Freuden eine Ordnung und Dauerhaftigkeit; die Nerven haben einen Stoß bekommen und man kann nicht aushalten, was auf eine ernsthafte Art geschieht. Man hat bei dem Tausch verloren; vormals waren die Unglücksfälle von einer groben Art, aber nun von einer empfindsamen Art; vormals waren die Glücksfälle auf eine starke Art, sie sind nun auf eine ungewisse Art.

Auf welche Weise Italien in seiner Lage vom Norden getrennt und auf welche Weise Frankreich zum Norden zu gehören scheint Es scheint, daß nördlich über den friaulischen, alpischen und pyrenäischen Bergen ein einziges Volk wohnt, das sich zum Nordpol erstreckt. Südlich von diesen Bergen hab’ ich das italiänische Volk gesehen: Eine Familie aber in sich verschieden; südlich von den Apenninen ist ein anderer Schlag jenes Volks; südlich von dieser Bergstrecke, die sich bei Terracina schliesst, wieder ein anderer Schlag; schräg über dem Meer nach Osten wohnen die Griechen. Die großen Bergstrecken scheinen in den Alpen zusammenzulaufen; diese werfen ihre Äste durch Europa und umfassen Frankreich nördlich, ein Stück von Calais: die

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andre Strecke geht südlich um jenes Land, und wo das Meer zurücktritt, beginnen die Pyrenäen; dies setzt Frankreich in einen Kasten. Man kann glauben, daß Bergrücken durch ihre Spitzen und langen Striche in Hinsicht der Weltelektricität, Länder in Klimate theilen können, so wie Polzirkel die Erde in Klimate theilen: das nur aus dieser Ursache, das andere aus einer andern Ursache. Italien scheint für sich selbst zu seyn. Der Norden und Frankreich zusammen eine Klasse, worin Frankreich ein besonderer Theil ist.

Über das Physische der Nationen Einem guten Auge erscheint es am Fleische, daß das Physische mehr fest und reif seyn muß bei denen, die nach Süden hin wohnen, als nach Norden hinauf. Das zeigt sich auch an ihrem Wuchs. Das Verhältnis zwischen den Gliedern, eine Wohlgestalt zu machen, und die Bewegung in ihren Stellungen, einen Ausdruck zu machen. Das Haar Das schwarze Haar ist überall unter den südlichen Völkern, das lichte gehört dem Norden; im Süden kraus, im Norden schlicht. Die Augen Die braunen Augen sind südlich von den Alpen und Friaulen so allgemein, daß man in Italien niemals die blauen sieht; im Norden sieht man blaue Augen in Menge, zuweilen die braunen. Die Farbe Man sieht die Genueser und Provenzalen brauner, als die übrigen in Italien. Bei den Weibern ist der Farbenton in der Haut grün und pionenroth. Im Norden celadon und rosenroth. Die Haut Die Hände des Baurenvolks sind nicht mit einer groben und scharfen Haut bekleidet, und die feine Haut bekömmt keine Sommersprossen jenseits der Apenninen. Zähne Die Alten behalten Zähne. Das Aussehen So magre und so fette Menschen findet man nicht in Italien als im Norden.

Über Physiognomien Es muß nicht Einbildung seyn, daß jedes Volk seine eignen Physiognomien hat. Die italiänische würde ich beschreiben, wenn es anginge, Physiognomien zu beschreiben.

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Ich will bloß sagen, daß jenseits der Apenninen die Gesichter mit einer Art Festigkeit und im Norden mit einer gewissen Schlaffheit gezeichnet sind; um als Künstler zu sprechen: es liegt in ihren Gesichtern ein besserer Stil, als im Norden; um mit der Menge zu sprechen: ihre Gesichter haben eine bessere Art. Der Unterschied in der Zeichnung der nordischen und südlichen Gesichter ist, daß die Striche in Kontur der südlichen in diesem Ton [hier folgt eine geschwungene Linie in Form eines liegenden großen „S“] und die in den nordischen in diesem [es folgt eine Linie in Form eines sehr langgezogenen flachen liegenden „S“] gehen. Das eine ist in einem mehr festen Ton, das andere in einem mehr schlaffen Ton. [Blatt 36 fehlt in der Handschrift]

Einige Gebräuche Die Weiber und Männer in Italien tragen nicht auf dem Rücken, sondern auf der Schulter und dem Kopf. In Teutschland und Frankreich tragen die Weiber auf dem Rücken und bekommen eine vorn überhängende Stellung, oder sie gehen auch hintenüber geneigt und tragen auf dem Bauche. Dies beweist eine Art Unvollkommenheit im Benehmen gegen das Italiänische.

Züge und Ähnlichkeit der Gebräuche Die Teutschin und Französin tragen Mützen zum Kopfkleide. Sie tragen auf gleiche Art ihre Bärte. Die Fuhrwerke sind gleichartig. Der Franzose und Italiäner gleichen einander in der Sprache, in der Stärke der Stimme, in der allgemeinen Farbe des Haars, in Betten. Der Franzose und Deutsche gleichen einander in Gesichtszügen. Der Italiäner ist dem Franzosen und Teutschen in Gesichtszügen unähnlich.

Ungleichheit und Gleichheit in der Lebensweise Der Franzos gleicht dem Teutschen und gleicht nicht dem Italiäner. Der Franzos und der Teutsche essen in Gesellschaft. Der Italeäner genießt diese groben Bedürfnisse der Natur allein, ohne Prunk. Alle Nationen nördlich über den Alpen begehren das Weib vor ihren Augen. Die Gesellschaft der Geschlechter miteinander bei diesen Nationen ist nöthig. Der Italiäner hat diese Gesellschaftsfreiheit durch Nachahmung nordischer Völker, oder von einiger gemeinschaftlicher Religion; Denn alle südländischen Nationen setzen eine strenge Ordnung zwischen den Geschlechtern, da sie der Natur folgen. Dies haben auch Gesetzgeber gethan, wenn sie das Geschlecht mit in die Gesetze begreiffen.

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Das Weib ist nicht verbrecherisch von sich selbst; aber der Mann reitzt und fällt in Nachlässigkeit, Leichtsinn, Unordnung und verliert eine gewisse Männlichkeit in der Ordnungsart, er bringt eine Art Naturleben in den Staat, das sich nicht mit der Übereinkunft in einem Staat fügt. Diese Unordnung ist im Norden nicht so gefährlich; im Süden wäre sie gefährlich. Im Norden hilft man sich so durch, im Süden ist man entweder groß oder verloren.

Über der Nationen Gemüthsart in einer aufgeregten Lage Der Italiäner ist nicht leicht aufgereitzt, grimmig zu werden. Er wird Mörder, wenn er grimmig wird. Der Nordländer wird nie mehr als bös. Der Italiäner ist also nicht jähzornig. Der Franzos ist jähzornig. Der Nordländer ist jähzornig. Der Italiäner hat den Zweikampf seiner Natur im allgemeinen Leben nicht zugelegt. Er ist natürlich bei allen Nordländern. Der Italiäner ist also unempfindlich für Unhöflichkeit, für kleine Klatschereien, für kleine Verleumdungen, und für kleine Beleidigungen in Sitten. Der Franzos und der Nordländer ist durchaus nicht unempfindlich gegen kleine Beleidigungen in Sitten. Der Italiäner rächt nichts andres als Wirklichkeiten, und alle Nordländer rächen Eitelkeit mit mehr Begier, als Wirklichkeiten: eine besondere Sache; um die Ostsee, wenn die Rache für eine wirkliche Sache vorgenommen wird, wird sie so angegriffen, daß sie nie dahin gelangt, einmal auf das Tapet zu kommen, sondern stirbt. Aus allen diesem rührt die Wankelhaftigkeit her bei nordischen Nationen und die Stärke von Tugend, die man in Italien gesehen.

Von den Lastern der Nationen, die aus Gemühtsart und Unordnung entspringen Der Italiäner, wann er raubt, mordet nicht. Der Franzose thut meistentheils beide Theile auf einmal. Im Norden hat man so mit gethan. Im eigenmächtigen Leben ist der Italiäner friedlich, der Nordländer prahlt.

Von des Volks Tugenden und Unsitten im Zusammenleben Der Italiäner hat keine Übertreibungen in der Lebensweise. Nicht lächerlich, nicht plump, nicht hart, er ist ernsthaft in Neigungen, feurig im Spiel und stark in Rache. Völlerei, Prahlerei, Schlagkämpferei ist ihm unbekannt.

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Des Italiäners Ernst in Neigungen und natürliche Leichtigkeit, zu finden, zu sehen und begreifen, zusammen mit einer nachlässigen Regierung, zeugt Schelmstücke. Dasselbe Volk mit Erziehung und Aufsicht wendete seine Stärke auf eine andere Art an. Des Italiäners Haupttugenden kömmen von einer Art Stärke. Des Italiäners Hauptuntugenden kömmen von einer Art Stärke. Die nordischen Völker sind mit einer Art Übertreibung in der Lebensweise behaftet, sie leben ihre Stärke mit Sprüngen aus. Diese Art giebt keine Kraft, aber macht eine Hitzigkeit; hievon kommen keine Großwerke, sondern die gewöhnlichen Hastwerke. Sie zechen, sie prahlen, sie schlagen sich, sie üben Eitelkeit, und haben als das erste Schmeichelei in ihren Zwecken; zuweilen träumen sie so in Betäubung hin und in einer Art Gemüthsruhe genießen sie einer großen Lässigkeit Das Klima giebt ihnen eine Art Noth, eine kurze Arbeitzeit und lange Ruhezeit, und gebietet ihnen also, diese Stimmung zu haben. Es ist natürlich, daß die Nordländer im Unglück Neid, es ist natürlich, daß die Nordländer im Glück Übertreibung haben werden. Ihre Haupttugend ist Gewalt und ihre Hauptuntugend Neid. Die Quelle hierzu ist Übertreibung. Der Franzos ist weniger schwer, also hastiger; hat mehr Gedankenallerlei in seiner Übertreibung, also härter. Seine Hastigkeit und sein Gedankenallerlei macht ihn lebhaft; seine Lebhaftigkeit und seine Übertreibung macht ihn unbeständig. Es ist schwer zu sagen, was der Franzos ist. Seine Hauptuntugend ist Leichtsinn, seine Haupttugend ist Leichtsinn.

Von der Nationen Art, Gemüth, Gehalt Das gemeine Volk weist die Art, das bessere die Bildung aus, aber die Bildung bei den Besseren behält eine Art der Art selbst in dem Volke als solchen. Der Italiäner setzt das Wahre nicht in die Klasse des Eitlen, und setzt die Eitelkeit nicht in die Klasse des Wahren; er isset in Stille und im Bauen und Hofhalten thut er es den Augen der Leute zu Willen, mit aller der Pracht, die ein Zeitalter verlangt. Der Italiäner hat eine Art Ordnung. Die Leute im Norden verwechseln die Sache; in ihre natürliche Bedürfnisse bringen sie Pracht, und wo Pracht eine Wirkung thäte, da bringen sie Sparsamkeit: sie gehen grade wider den Strom. Dies kömmt davon, daß ihre natürliche Übertreibung und Leichtsinn ihnen jeden Augenblick befiehlt, des Überflussglückes zu gedenken, das sie haben können; davon kömmt eine Armuth, die ihnen verbietet, was sie haben sollten. Wenn man im Norden nicht vom Essen gelockt würde, mögte man einander mit den edlen und dauernden Früchten der Freuden erfreuen können. Aber der Norden ist nicht für das Dauernde geschaffen. Der Norden ist geschaffen, zu zerstören, zu hassen und zu genießen statt zu schaffen und zu unterhalten; der erste Trieb, zurück gehalten von dem Verderben anderer, macht das Verderben, daß man sich selbst zerstört: ein gegebener Trieb erträgt keine Hindernisse; die Natur hat befohlen und die Sache wird ausgeführt.

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Der Franzos ist eine muntre Nation voll Hitzigkeiten, der Norden ist eine schwere Nation voll Hitzigkeiten, der Italiäner ist reif und voll Feuer. Dieser sucht Maß und erhält Wohllust; die vorigen suchen Wohllust und erhalten Übertreibung. Der Italiäner sucht ein Großes in der Natur und erhält ein Großes. Der Nordländer sucht ein Großes und erhält ein Zuviel. Der eine ist gemacht, stark und lange zu genießen, die andern sind gemacht, hastig und oft zu genießen. Der eine ist gemacht zu schaffen, der andre zu zerstören.

Über Bildung Der Nationen Bildung in höherem oder niederen Grade kömmt auf ihre Priester an, welche gewisse Sachen verbieten oder erlauben. In welchen Sachen man sie gebildet findet, kömmt auf ihre Regierungsarten an, welche gewisse Dinge bedürfen oder nicht bedürfen. Welche Fortschritte eine Nation macht, beruht auf dem Gemüth und das Gemüth auf dem Klima. Das beste Klima im Norden ist in Frankreich; da findet man auch von den Nordländern das geschickteste Volk. Aber nahe dabei findet sich ein anderes Land, das sein Volk in einer größeren Ordnung im gemeinen Leben hat und solchergestalt mit einem gleichsam schlechteren Volke den Franzosen übertrifft. In allem, wo man dem Italiäner das Denken erlaubt, gelangt er weiter als die Nordländer. Freie Künste, Musik, Gaukelspiel, die Reitbahn, die Fechtkunst, die Luftspringerkunst. Er kann also in einem philosophischen und politischen Zeitalter nicht glänzen; alles ist bei ihm geistlich und im Hause Freuden.

Arndt und die zeitgenössische politische Theorie in Frankreich Reinhard Bach Aufklärung und Romantik, die ihre wesentlichen Prägungen als kulturgeschichtliche Epochen alternativ in Frankreich bzw. Deutschland erfuhren, werden in aller Regel, und dies im Grunde vollkommen zu Recht, aus ihrer tief greifenden Gegensätzlichkeit verstanden. Tatsächlich erhebt sich die Kritik an der französischen Aufklärung, insbesondere an den Zuspitzungen einer sensualistisch begründeten Ethik und einer abstrakt verallgemeinernden Historiographie, vor allem in Deutschland bereits lange vor der Französischen Revolution.1 Sie verbindet sich den geistigen Strömungen des Deutschen Idealismus, des Sturm und Drang und den Anfängen des so genannten Historismus.2 Ihre Kontinuität ist schließlich Bestandteil einer seit Heinrich v. Treitschke3 durchaus fragwürdigen deutsch-nationalen Geschichtsschreibung, der Ernst Cassirer noch 1932 mit seiner berühmt gewordenen Monographie zur „Philosophie der Aufklärung“4 den Versuch einer Ehrenrettung der Aufklärung entgegensetzt. Sein Buch widmet Cassirer der „Revision jenes großen Prozesses, den die Romantik gegen die Aufklärung angestrengt hat. Das Urteil, das sie in diesem Prozeß gefällt hat, wird noch heute von Vielen kritiklos übernommen: und die Rede von der ,flachen Aufklärung‘ ist noch immer im Schwange. Ein wesentliches Ziel der vorliegenden Darstellung wäre erreicht, wenn es ihr gelänge, diese Rede endlich zum Schweigen zu bringen.“5 Das Anliegen Cassirers wurde, wie wir wissen, in vollem Umfang erfüllt. Jahrzehnte der Aufklärungsforschung haben die unvergleichliche Bedeutung dieses geistigen Aufbruchs für die moderne Welt, nicht zuletzt für republikanisches Denken, religiöse Toleranz, politischen Liberalismus und die Universalität der Menschenrechte fest im Bewusstsein der Menschheit verankert. Vor diesem Hintergrund werden nun umgekehrt bestimmte Defizite moderner Romantikforschung spürbar, die durchaus auch etwas mit der widersprüchlichen Wahrnehmung Ernst Moritz Arndts in unserer Gegenwart zu tun haben bzw. auch dort zutage treten. Diese Defizite ermöglichen offenbar auch den geistigen Spielraum für einen ebenso umstrittenen wie prominenten historiographischen Ansatz, der in einem neuartigen Verständnis der so genannten Gegenaufklärung die Wurzeln der Entgleisungen deutscher Politik im 20. Jahrhundert verortet.6

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Vgl. u. a. Johann Gottfried Herder, Journal meiner Reise im Jahr 1769, Leipzig 1972; Ders., Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit, (Riga 1774), Stuttgart 1990; Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, (Riga 1785), Stuttgart 1961. Vgl. Friedrich Meinecke, Die Entstehung des Historismus, 2. Auflage, München 1946. Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Leipzig 1879–1894. Ernst Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung, Tübingen 1932. Ebd., S. XV. Zeev Sternhell, Les anti-Lumières. Du XVIIIe siècle à la guerre froide, Paris 2006.

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Folgt man diesem Ansatz, so beginnt die Geschichte des Unheils mit Herder, dessen Aufklärungskritik zum Ausgangspunkt des kulturellen und politischen Nationalismus, des Antirationalismus und Antikosmopolitismus erhoben wird. Unterstellt wird dabei allerdings – gemäß einem verbreiteten Topos der modernen Aufklärungsforschung und übrigens im Einklang mit Cassirer –, es handele sich bei der Aufklärung um eine im großen und ganzen einheitliche philosophische Strömung, die letztlich nur einer definierbaren Ethik, nämlich der Ethik des Liberalismus, des Kosmopolitismus und des Rationalismus verpflichtet sei.7 Ansätze zeitgenössischer Aufklärungskritik geraten vor diesem Hintergrund gewissermaßen automatisch in einen Kontext der Irrationalität und als „politische Romantik“ in den Geruch eines reaktionären Konservatismus, wenn nicht gar eines an Mittelalterverklärung leidenden ideengeschichtlichen Anachronismus. So bleibt auch hier letztlich der eingangs erwähnte Gegensatz von Aufklärung und Romantik als Dreh- und Angelpunkt der Geschichtsbetrachtung dominierend. Ernst Moritz Arndt mag uns – ganz im Unterschied zu seiner verbreiteten Stigmatisierung als Gegner der Aufklärung und Feind der Franzosen – die Gelegenheit geben, eine andere Sichtweise zu illustrieren. Eine Sichtweise, in deren Mittelpunkt einige der geistigen Verbindungslinien zwischen Aufklärung und Romantik stehen und die damit vor allem auf den Aspekt der Komplexität und der inneren Widersprüchlichkeit dieses Epochenumbruchs verweisen soll. Einer Widersprüchlichkeit, dies sei bereits an dieser Stelle vermerkt, die in Wahrheit tief im Innern der Aufklärung selbst ihre Wurzeln hat und von hier aus – jenseits aller historischen Zäsur – ein besonderes Moment ideengeschichtlicher Kontinuität hin zur Romantik begründet. Arndt selbst reflektiert sehr bewusst die eigene geistige Prägung durch die Aufklärung als eine widerspruchsvolle Erfahrung, wenn er im Jahre 1802 bekennt: „So sehe ich Dich, 18tes Sekulum, das ich das meine nenne, weil ich 30 Jahre darin gelebt habe, sein Wohl und Weh, seine Bildung und Verbildung sich tief in mir eingesiedelt hat.“8 Es ist jene Zeit, in der sich ein Kernbereich romantischen Gedankenguts zu einer sozialen, politischen und künstlerischen Protestbewegung formiert, deren gemeinsame ethische Plattform vor allem und in erster Linie in der Zurückweisung des wissenschaftlich propagierten und praktisch erfahrenen Utilitarismus,9 im Ringen um Wahrhaftigkeit und um die Zurückgewinnung der Menschenwürde besteht. Sie folgt insbesondere den Anregungen Rousseaus, Kants und Herders, wird aber auch inspiriert und

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Vgl. Jacques Domenech, L’Éthique des Lumières. Les fondements de la morale dans la philosophie française du XVIIIe siècle, Paris 1989. Vgl. dazu auch Reinhard Bach, Divergente Ansätze säkularisierter Ethik in der französischen Aufklärung, in: Reinhard Bach / Roland Desné / Gerda Hassler, Formen der Aufklärung und ihrer Rezeption. Expressions des lumières et de leur réception. Festschrift zum 70. Geburtstag von Ulrich Ricken, Tübingen 1999, S. 453–469. Ernst Moritz Arndt, Germanien und Europa, Altona 1803, S. 71. Vgl. Jeremy Bentham, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, (1789), Oxford 1970. Destutt de Tracy, Traité de la volonté et de ses effets, Paris 1818, und in der amerikanische Übersetzung: A Treatise of political Economy (...) an introduction on the faculty of the Will, Georgetown 1817; D’Holbach, La politique naturelle, Londres MDCCLXXIII.

Zeitgenössische politische Theorie in Frankreich

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weiter getragen durch so unterschiedliche Geister wie Burke und Fichte, Chateaubriand und Mme de Staël, Schiller und die Gebrüder Schlegel. Genau hier werden wir auch den ethischen Mittelpunkt jenes „politischen Glaubensbekenntnisses“ entdecken, wie es Ernst Moritz Arndt in seiner Schrift „Germanien und Europa“ formuliert und begründet und wie es bestimmend wurde für sein gesamtes weiteres Schaffen und für sein politisches Engagement. Um diesen Ansatz zu verstehen ist es nun in der Tat notwendig, etwas ausführlicher auf einige Aspekte der politischen und philosophischen Ideengeschichte der Spätaufklärung in Frankreich und damit zusammenhängende Phänomene des Epochenumbruchs einzugehen, die erst in jüngerer Zeit von der Forschung wahrgenommen wurden, aber noch längst nicht den Weg in die Lehrbücher der Geschichte gefunden haben.10 Lässt man den modernen Republikanismus der Einfachheit halber mit Rousseau beginnen, so wird doch oft übersehen, dass die republikanischen Prinzipien Rousseaus – je nach ihrer philosophischen Untersetzung – zumindest in zwei völlig konträre Modelle einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung münden konnten. Folgte man der im „Contrat social“ dargelegten Auffassung einer aliénation totale, letztlich also dem Konzept einer staatsbürgerlichen Erziehung, die Rousseau selbst als den eigentlichen Schlüssel einer politischen und moralischen Regeneration der Gesellschaft bezeichnet hatte, so würde eine hierarchiefreie Solidargemeinschaft freier Staatsbürger entstehen, die den Einzelnen gleichwohl dem Gesetz der Gemeinschaft unterwerfen würde. Freiheit und Gleichheit würden sich durch eine Art Menschwerdung des Bourgeois ohne Widerspruch miteinander verbinden und ein patriotisches Tugendideal der Solidarität und Opferbereitschaft hervorbringen. Gänzlich anders dagegen die physiokratische Lesart des „Contrat social“, besser bekannt unter dem Namen des modernen Liberalismus.11 Hier konnte das bürgerliche Gemeinwohl auf marktwirtschaftlicher Grundlage als Summe der Partikularinteressen verstanden werden. Dieser Lesart entsprach die ihrem Wesen nach materialistische Doktrin vom „wohlverstandenen Interesse“ als Triebfeder moralischen Handelns. Die gesellschaftlichen Beziehungen werden hier als ein permanenter Austausch gegenseitiger Nützlichkeiten gefasst, angetrieben vom „Allgemeininteresse“ größtmöglicher Bereicherung und Genussbefriedigung. Aus dem Staatsbürger wird auf diese Weise der Konsument (oder auf Neudeutsch: der Verbraucher) als politischer, oder besser entpolitisierter Ansprechpartner des Staates.

10 Vgl. u. a. Le romantisme révolutionnaire, Études et textes de Michael Löwy, Max Blechmann, Jacques Rancière, Rita Bischof, Fernand Cambon und anderen, in: Europe. Revue littéraire mensuelle, Nr. 900/Avril 2004; Reinhard Bach, Les physiocrates et la science politique de leur temps, in: Revue française des Idées Politiques, Nr. 20–2e sem. 2004, S. 229–259. 11 Als Schlüsseltexte der Philosophie eines politischen Liberalismus marktwirtschaftlicher Prägung (in der Begrifflichkeit des modernen Republikanismus nach Rousseau) müssen hier u. a. genannt werden: Le Mercier de la Rivière, L’Ordre naturel et essentiel des sociétés politiques, Paris et Londres 1767, und Emmanuel Joseph Sieyès, Was ist der Dritte Stand, (Paris 1789) Essen 1988.

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Fatalerweise handelt es sich bei dieser Projektion einer interessengesteuerten Menschennatur, deren soziale Bindungen ausschließlich dem gegenseitigen Nutzen folgen, gleichzeitig um das letzte Wort jener von Teilen der französischen Aufklärung gefeierten „Naturwissenschaft vom Menschen“. Als science politique et morale wurde sie seit dem Aufkommen der physiokratischen Bewegung artikuliert.12 Ihre ausdrückliche Verbindung zur sensualistischen Erkenntnistheorie Condillacs erfolgt in einem geschlossenen Lehrgebäude, nämlich der so genannten „Idéologie“ um die Jahrhundertwende durch die Gruppe der Idéologues um Cabanis, Condorcet, Volney, Roederer und Destutt de Tracy. In unzähligen so genannten „Katechismen der Bürgermoral“,13 die Frankreich seit den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts überschwemmen, wird diese utilitaristische Ethik verbreitet mit dem erklärten Ziel, den inzwischen ebenfalls populär gewordenen Vorstellungen einer egalitären Bürgerordnung, wie sie durch Mably, Morelly und andere angeregt wurden, entgegen zu treten. Dabei wird selbst der Begriff der égalité, der als gefährliche oder mißverständliche Forderung neben den Begriff der liberté getreten ist, umgedeutet. Gleichheit steht im marktwirtschaftlich orientierten Konzept des Liberalismus für einen ausgewogenen Wechselkurs des gesellschaftlichen Tauschhandels von Leistung und Gegenleistung. Valeur égale pour valeur égale ist die Formel, die Condillac hierfür verwendet und die lediglich jene andere Form der Gleichheit ausdrückt, wonach alle Bürger einander ,gleichermaßen‘ ihre Dienste entlohnen: Tous les citoyens sont salariés les uns à l’égard des autres […] et chacun se fait payer de son travail.14 Diese begriffliche Umdeutung erlaubt es den physiokratischen Autoren Le Mercier, Dupont de Nemours, Baudeau, Mirabeau, selbst d’Holbach und Condillac, am „Naturgesetz“ der sozialen Ungleichheit festzuhalten und sich dennoch verbal der populären Gleichheitsforderung anzuschließen. Es ist die originäre und wichtigste Aufgabe der bereits erwähnten „Katechismen der Bürgermoral“ eben diese Lesart der Gleichheitsforderung als Ausdruck einer am rechenbaren Nutzen orientierten Moral zu verbreiten und die empirisch überprüfbare Natur des Menschen – frei nach Helvétius – auf sein Interesse, genauer gesagt, den Trieb nach sinnlicher Befriedigung zurückzuführen. Auf diese Weise glaubte man, das Newtonsche Naturgesetz einer auf Tauschhandel gründenden Gesellschaft entdeckt zu haben. Die ausschließlich dem Gewissen verpflichtete freie Willensentscheidung, wie sie Rousseau zur Grundlage allen moralischen Handelns erhoben hatte und wie sie auch Kant und Fichte als Ausdruck des Sittengesetztes forderten, bleibt in der politischen Terminologie, damit auch in der propagandistischen Freiheitsforderung erhalten, verändert aber ihren begrifflichen und damit vor allem ihren moralischen Gehalt: Im Menschenbild des so genannten Liberalismus ist der 12 Vgl. die seit 1767 erscheinende Monatsschrift Ephemerides du citoyen, ou Bibliothèque raisonnée des Sciences Morales et Politiques; Reinhard Bach, Sieyès et les origines de la science naturelle de l’état social, in: Schriftenreihe für Philosophie und Kulturtheorie der Technischen Universität Berlin, Bd. 1, Berlin 2001, S. 165–191. 13 Vgl. u. a.: Constantin-François Volney, La Loi Naturelle ou Catéchisme du Citoyen Français, Paris 1793; Joseph Saige, Catéchisme du Citoyen, ou Elémens du droit public français. Genève 1787; Jean Abbé Saury, La Morale du citoyen du monde, Paris 1777. 14 Etienne Bonnot de Condillac, Le commerce et le gouvernement, Paris 1776, S. 49.

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Wille grundsätzlich ein Instrument des intérêt (des Interesses). Zwar hatte Kant diese Ambivalenz erkannt und in seiner „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ von 1785 die Idee der Freiheit und damit alle Sittlichkeit auf die Autonomie des Verstandes und des Willens zur Pflichterfüllung gegründet und diese Ebene klar vom sinnlich bedingten „Prinzip der Glückseligkeit“ unterschieden. Doch die beschriebene Verfälschung der politischen Philosophie Rousseaus bleibt in der revolutionären Rhetorik des Liberalismus erhalten und so kommt es während der Französischen Revolution anlässlich der politischen Auslegung der eilig verfassten Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte zum offenen Konflikt sowie zu einer nie da gewesenen Konfusion der politischen Sprache. Denn im Grunde sind die politischen Forderungen der Fraktionen des Dritten Standes nach Freiheit, Gleichheit und sogar Brüderlichkeit terminologisch identisch. Doch auf der begrifflichen Ebene, d. h. auf der Ebene dessen, was eigentlich gemeint ist, klafft der unüberbrückbare Gegensatz zweier Konzepte der politischen Ethik, die alternativ das Partikularinteresse oder aber dessen Unterordnung unter das nationale Interesse mit all den sich ergebenden Folgen zur Handlungsmaxime erheben. Bedenkt man die ethische Dimension dieses Grundkonfliktes, dann wird diese Auseinandersetzung m. E. nur sehr unzureichend als Gegensatz von „Proprietaristen“ und „Egalitaristen“ beschrieben. Diese begriffliche Widersprüchlichkeit der berühmten Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 schreibt sich fort in den verschiedenen anderen, in der Geschichtsschreibung ausgeblendeten Menschenund Bürgerrechtserklärungen der Französischen Revolution ebenso wie in allen politischen Reden und Verlautbarungen, kurzum im gesamten politischen Diskurs dieser Revolution. Der damit einhergehenden Entwertung der politischen Bekenntnisse folgt eine Entwertung der moralischen Glaubwürdigkeit aller couleur und damit schließlich eine Entwertung der sozialen Orientierungsfunktion der Sprache. Von allen Zeitgenossen wird dieses Phänomen einer akuten Sprachverwirrung auf das Eindringlichste beschrieben. Germaine de Staël, die sich als kritische und mitunter prophetische Zeitzeugin erweist, spricht in unzähligen Zusammenhängen vom Phänomen des „Missbrauchs, den man seit der Revolution mit der Sprache getrieben hat“.15 In einem „Dictionnaire néologique des Hommes et des Choses“, das im Jahre 1800 erscheint, lesen wir unter dem Stichwort abus des mots, dass „seit dem Anbeginn der Welt der Missbrauch der Wörter niemals so weit fortgeschritten sei, wie gegenwärtig“. Um die neue Sprache zu verstehen, bedürfe man nur noch eines Wörterbuches, dass etwa Freiheit mit Sklaverei übersetze, Menschlichkeit mit Barbarei und Tugend mit Verbrechen. Schließlich sei der Terminus Wortmissbrauch selbst am meisten missbraucht worden.16 Beliebig viele Bei15 Germaine de Staël, De la littérature (1800), Ausgabe Paris 1991, S. 403/404. Vgl. auch: „Manche Reden, die in unterschiedlichen Phasen unserer Revolution gehalten wurden, waren angefüllt von den erschütterndsten Sophismen.“ Ebd., S. 395. „Welches Talent sollte so viele absurde, unbedeutende, übertriebene oder falsche, hochtrabende oder ungehobelte Worte durchdringen? Wie sollte man eine Seele erreichen, die sich wegen all der verlogenen Ausdrücke den Worten verschlossen hatte?“ Ebenda. „Diese unglückliche Nation, erlebte sie nicht die verbale Verteidigung aller Verbrechen mit einer Flut von Namen, die alle Tugenden bezeichnen? Wird sie jemals den Akzent der Wahrheit wieder erkennen?“ Ebd., S. 400. 16 Louis-Abel Befroy de Reigny, Dictionnaire néologique des hommes et des choses, Paris 1800.

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spiele für die bewusste und kritische Wahrnehmung dieser allgemeinen Sprachverwirrung lassen sich auch bei Ernst Moritz Arndt finden, der nicht müde wird, „das unendliche Spiel mit Worten und Namen“, das „leere Wortgeklingel“ zu kritisieren und übrigens schon 1802 – ganz in demselben Sinn wie später Friedrich Engels – über Täuschung und Selbsttäuschung des französischen Volkes reflektiert, wenn er u. a. schreibt: „das Volk meinte aber doch immer noch die Sache der Freiheit und Gleichheit in allen diesen Auftritten zu sehen“.17 Engels wird im gleichen Zusammenhang später von einer Maskerade der Sprache sprechen.18 August Wilhelm Schlegel beobachtet dieses Phänomen mit großer Klarsicht in seinen Vorlesungen zu Literatur, Kunst und Geist des Zeitalters im Wintersemester 1801/1802, wenn er u. a. ausführt: „Es sind Rousseaus Lehren, ausgewässert und gut oder übel mit den ökonomischen Maximen zusammengeknetet. Denn die Sittlichkeit, worauf alles scheinbar abzielt, ist doch nichts anders als ökonomische Brauchbarkeit.“19 Und zugespitzt auf den Kern des Problems betont Schlegel, „dass man echten Patriotismus aus dem Eigennutz hervorzulocken gedachte, wobei man sich so sehr verrechnete […], dass unter der Maske von jenem dieser nur um so ungehinderter sein Spiel treiben konnte.“20 Bedenkt man die zentrale Rolle, die der Sprache als dem Instrument und Träger der menschlichen Vernunft, ja geradezu als deren Inbegriff im Zuge der Aufklärung beigemessen wurde, so lässt sich die Tragweite einer derartigen Glaubwürdigkeitskrise der Sprache erahnen. Ihre Entwertung bringt den auf die konstitutive Rolle des sprachlichen Zeichens fixierten Rationalismus der Aufklärung selbst in Verruf, mithin ebenso alle daraus abgeleiteten Verheißungen einer liberalen Politik und einer atheistischen Moral. Mit beißender Ironie spricht Chateaubriand in seinem „Génie du Christianisme“ von dem schönen Jahrhundert der Diderot und d’Alembert als einem Jahrhundert, in welchem die Dokumente der menschlichen Weisheit alphabetisch geordnet wurden in der Enzyklopädie, diesem Babel der Wissenschaften und der Vernunft.21 Der Vergleich mit dem Turmbau zu Babel scheint nicht übertrieben für das Desaster einer Kultur des Wortes, deren Fortschrittseuphorie soeben noch den Sieg der Vernunft verkündet und – im wörtlichen Sinn – die Thronbesteigung der Philosophie nach einem Jahrhundert der Aufklärung – übrigens auch in den Ausdrucksformen einer klassizistischen, nicht selten monumentalen Kunst – gefeiert hatte. Vor diesem Hintergrund ist die Auseinandersetzung mit dem Thema Sprache gerade auch unter dem Blickwinkel der Wahrhaftigkeit, wie wir wissen, auch für Ernst Moritz Arndt ein ständiges und zentrales Problem. Als „Bildungsorgan des Gemüthes“ und „Ausdruck unserer inneren Gestalt“ prägt die Sprache, nach Arndts Überzeugung,

17 Arndt, Germanien und Europa, (1802/1803), Ausgabe Stuttgart-Berlin 1940, S. 176/177. 18 Friedrich Engels, MEW Bd. 37, S. 155 – Brief an Karl Kautsky, 20. Feb. 1889. 19 August Wilhelm Schlegel, Über Literatur, Kunst und Geist des Zeitalters (1802/1803), Ausgabe Stuttgart 1964, S. 59 20 Ebd. 21 François-René de Chateaubriand, Génie du Christianisme, (1802), Ausgabe Paris 1936 (Extraits), S. 25.

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die er übrigens mit Humboldt teilt, den Charakter der Nation.22 Hierzu fügt sich auch der Umstand, dass Arndt sehr bewusst eine volkstümliche Ausdrucksweise praktiziert und nicht selten, für propagandistische und poetische Aussagen, Diktion und Syntax der Lutherischen Bibel imitiert. Darüber hinaus bilden seine sprachtheoretischen Ansichten, denen er mehrere Veröffentlichungen widmet, nachweisbar – wie übrigens auch bei Rousseau – einen wichtigen Teil seines Demokratiediskurses. Denn dessen Besonderheiten, angefangen von der Einforderung „unbeschränkter Pressfreiheit ohne welche auch die bürgerliche Freiheit nicht bestehen kann“23 über die Forderung nach freier, öffentlicher Rede, z. B. auch nach Öffentlichkeit der Reichstagsverhandlungen, um den Verwirrungen der politischen Begriffe „den großen Sinn und die Kraft und Klarheit der politischen Dinge“ entgegenzusetzen, und vieles andere mehr, bis hin zur Proklamation dessen, was er Volkshaß nennt, sind aus dieser Verbindung sprachtheoretischer Ansichten mit dem Demokratiediskurs zu erklären. Die Sprache selbst nennt Arndt, der hier bereits den Spuren des auf Herder zurückgehenden Historismus folgt, das „heiligste Heiligtum“ eines Volkes, das auch dessen „früheste Geschichte“ enthält, das den „hellsten Spiegel seines Gemütes und seines geistigen Lebens“ darstellt und das deswegen geehrt, bewahrt und beschützt werden müsse.24 „Wer seine Sprache nicht achtet und liebt“, schreibt er, „kann auch sein Volk nicht achten und lieben; wer seine Sprache nicht versteht, versteht auch sein Volk nicht.“25 Und an anderer Stelle: „Was (also) die Sprache verwirrt und verrückt […] das hat auch den Einfluß der Verwirrung, Verrückung, Hemmung und Trübung des ganzen Volkes.“26 Von dieser Position aus definiert Arndt auch seine Distanz zur Sprache der Gelehrsamkeit und der Fürsten, die er als „Hochgeboren und Edelgeboren und Hochedelgeboren“ verspottet, wenn er u. a. schreibt: „Wer nicht in dem Volke lebt, wer nicht täglich von dem Volke empfängt und annimmt, wird immer dümmer und enger, wie klug und weit er sich auch dünken mag.“27 Er selbst, sagt Arndt voller Stolz, „sei geboren aus dem kleinen Volk […] und wenn ich etwas weiß, so weiß ich es durch das Volk.“28 Dass Arndt der Sprache eine zentrale politisch-moralische Funktion beimisst und dabei, nach dem Vorbild Rousseaus, eine die ganze Gesellschaft erfassende Regeneration, die Entstehung eines demokratischen Nationalbewusstseins, auf die moralische Integrität der Sprache des Volkes gründet, lässt sich also sehr einfach zeigen. Arndt

22 Arndt (wie Anm. 8), S. 357–359. 23 Ernst Moritz Arndt, Über künftige ständische Verfassungen, in: Ernst Müsebeck (Hg.), Ernst Moritz Arndt, Staat und Vaterland. Eine Auswahl, München 1921, S. 22. 24 „Das Volk selbst aber muß seine Sprache als seine älteste Überlieferung und als sein heiligstes Heiligtum ehren und bewahren.“ in: Ernst Moritz Arndt, Über Volkshaß (1813), in: Ders., Schriften für und an seine lieben Deutschen, Teil I, Leipzig 1845, S. 383; ders., Ansichten und Aussichten der teutschen Geschichte, Leipzig 1814, S. 461. 25 Ernst Moritz Arndt, Entwurf einer teutschen Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1814, S. 33. 26 Arndt, Über Volkshaß (wie Anm. 24), S. 383. 27 Ernst Moritz Arndt, Über Volkshaß und den Gebrauch einer fremden Sprache, Berlin 1813, S. 77. 28 Ernst Moritz Arndt, Von dem Wort und dem Kirchenlied, Bonn 1819, S. 47.

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steht damit sowohl in der Tradition der Aufklärung, was die Überzeugung von der das Bewusstsein steuernden Funktion der Sprache im Allgemeinen angeht, als auch in der spezifischen Tradition Rousseaus, was die Werte vermittelnde Funktion der Sprache betrifft. Die eigene publizistische Erfahrung mochte ihn dabei in jeder Hinsicht bestärkt haben und sein immer währendes Eintreten für Meinungs- und Pressefreiheit bringt diese Überzeugung ebenfalls zum Ausdruck. Verständlich, dies sei hier am Rande erwähnt, erscheint übrigens – angesichts der feudalen Kleinstaaterei, die Deutschland lähmt – die besondere national-integrative Funktion, die Arndt der Sprache zuweist. Noch über Jahrzehnte wird indessen die Erschütterung nachklingen, die die angedeutete Inflation der Worte, die Entwertung politischer Bekenntnisse und die Verdrehung aller Begriffe von Moral und Anstand ausgelöst hatte. Die Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit ebenso wie eine neue Form der Erkenntnissuche, die der Buchstabengelehrtheit zugunsten eines neuen Symbolismus der poetischen Formen den Rücken kehrt, werden so zu wichtigen Impulsen romantischer Kunst und Literatur.29 Dabei ist der Symbolismus der Romantik bisweilen mystischer Natur und doch wahrhaftiger als das Wort. Mit der Sprache der Sinnbilder – denken wir an Caspar David Friedrich und Philipp Otto Runge – setzt er auf Innerlichkeit, auf das geheime, aller Täuschung überhobene Miteinander von Autor und Leser, Maler und Betrachter und erreicht eben damit eine Glaubwürdigkeit, die der Sprache der Vernunft und ihrer Zweideutigkeit verwehrt bleiben muss. Die Kritik am rationalistischen Sprachverschleiß, ebenso wie die Kritik an der Herabsetzung des Menschen durch den verkündeten und gelebten Utilitarismus, sind ständige Begleiter dieser Diskussion und Teil der romantischen Selbstfindung, die Arndt mit großer Breitenwirkung in Deutschland mitgestaltet. Dies gilt auch für das Bekenntnis zur christlichen Religion, deren Gebot der Nächstenliebe, der Mäßigkeit und der Opferbereitschaft sich ohne Dissonanz der säkularisierten Moral eines transzendenten Sittengesetzes verbinden, wie es Kant und Fichte vertreten. Beide Reflexionsebenen widersprechen der hedonistischen Ethik und werden daher zu einer Zuflucht für die Menschenwürde. Die christliche Symbolik ist darüber hinaus unerschöpflicher Quell einer Poesie, die sich im exegetischen Sinnbild der transzendentalen Philosophie verbindet. Zutiefst symbolhaft in diesem ebenso mystischen, wie moralisierenden und ästhetischen Sinn ist Schlegels zeitgenössische Assoziation von Philosophie, Poesie, Religion und Sittlichkeit als den „vier Weltgegenden des menschlichen Geistes“ oder den „vier Elementen“ der Erde, der Luft, des Feuers und des Wassers.30 Von der „hohen Bedeutung göttlicher ewiger Ur-Bilder“, in denen „Denken und Anschauung eins ist“, so Schlegels lange nachhallende Kritik an den Hintergründen der Sprachentwertung, sei das Wort „zu einer durch sinnliche Eindrücke erregten Vorstellung, einer Sensation, selbst in der 29 Vgl. u. a. Bengt Algot Sørensen, Symbol und Symbolismus in den ästhetischen Theorien des 18. Jahrhunderts und der deutschen Romantik, Kopenhagen 1963; Reinhard Bach, Sinnbildliche Botschaften, in: Volker Fuchs (Hrsg.) Von der Unklarheit des Wortes in die Klarheit des Bildes, Tübingen 1998, S. 43–53; Ders., Stilkonzepte im Epochenumbruch: Zwischen Sprachphilosophie der Aufklärung und Kunstverständnis der Romantik, in: Volker Fuchs / Kerstin Störl (Hg.), Stil ist überall, Frankfurt a.M. 2008, S. 21–31. 30 Schlegel (wie Anm. 19), S. 40.

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Sprache seinwollender Philosophen herabgesunken, […] So hat man Kunst und Poesie zur bloßen Verstandesprosa gemacht […], so hat man die Sittlichkeit aus dem Hange zum Vergnügen, dem Eigennutz erklärt und sie damit gänzlich vernichtet.“31 „Echte Poesie“, schreibt Schlegel, „wird von selbst zugleich philosophisch, moralisch und religiös sein: gleichsam eine sinnbildliche Philosophie, eine losgesprochene freie Sittlichkeit und eine weltlich gewordene Mystik.“32 Was würde wohl besser, als diese Worte Schlegels, auch die poetischen Schöpfungen Ernst Moritz Arndts, seine Märchenliteratur wie seine Lyrik, oder auch nur seine häufig zu bewundernde sinnbildliche Ausdrucksweise charakterisieren? Denn mit den oben zitierten Worten Schlegels sind wir inmitten jener geistigen Welt angekommen, die uns auch bei Ernt Moritz Arndt auf Schritt und Tritt begegnet und die eigentlich zu bewahren sucht, was die Zuspitzungen eines hedonistischen Menschenbildes im Sinne eines schrankenlos gewordenen Utilitarismus zu verschütten drohten. Menschenwürde und wahrhaftige Kunst als Ausdruck der Freiheit im Schillerschen Sinn, bilden daher auch im ästhetischen Diskurs Ernst Moritz Arndts einen gemeinsamen Wert, der sich jener Geisteshaltung entgegenstellt, die „Nützlichkeit und Brauchbarkeit ihr äußerstes Ziel, Legalität ihre höchste Tugend“ nennt.33 „Das Höchste, was der Geist auf diesem einsamen Weg finden konnte, war Zweckmäßigkeit und Ordnung.“34 An ihrer Stelle, so Arndt, bedürfe man der „Begeisterung des Volkes, worin sich allein die große Kunst sicher und ehrenvoll behaupten kann“.35 Solch große Kunst gilt Arndt aber ganz im romantischen Geist als göttlich und kindlich zugleich. Er sieht sie in Goethes Dichtung verkörpert, den er daher auch als den „Führer eines neuen Musenzeitalters“ verehrt. „Und wahrlich“, so lesen wir bei ihm, „es bedurfte eines göttlichen Genius, um eine so kindliche und hohe Dichtkunst in einem Zeitalter zu erzeugen, welches alle Schönheit aus der Welt herausgepeitscht und weggeschwatzt hat, und dessen höchste Begeisterung Ordnung und Nützlichkeit ist.“36 Wie wir an anderer Stelle u. a. am Beispiel Fichtes zeigen konnten,37 sind es letztlich auch bei Arndt die in der Aufklärung geborenen Ideale einer moralischen Erneuerung der Gesellschaft, der Befreiung des Menschen aus feudaler Knechtschaft und Bevormundung, die ihn umtreiben, wenn er deren Verfälschung durch eine ganz anders geartete politische Entwicklung angreift. So lässt Arndt niemals einen Zweifel aufkommen an seiner Verachtung der „Schmach der abscheulichen Leibeigenschaft“38 und in diesem Sinne an der tiefen moralischen Berechtigung ihrer Abschaffung durch die Französische Revolution. Und im selben Atemzug fordert er – dies ist allgemein be31 32 33 34 35 36 37

Ebd., S. 42/43. Ebd., S. 39. Arndt (wie Anm. 8), S. 79. Ebd. Ebd., S. 146. Ebd., S. 142. Reinhard Bach, Zwischen Aufklärung und Romantik. Deutsch-französische Begegnungen im Epochenumbruch. Vortrag im Krupp Wissenschaftskolleg, Greifswald, 17. 12. 2007; Ders., Rousseau interprété par J. G. Fichte. Vortrag an der Sorbonne, Paris, 24. 5. 2008. 38 Arndt (wie Anm. 8), S. 111.

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kannt – für alle Völker die Abschaffung jenes „ungeheuren Kabeltaus der Knechtschaft, welches alle edlere Kraft erdrückt“.39 Auch bewundert er den Enthusiasmus und den „höheren Geist der französischen Heere“, der „die Franzosen in dem ersten schönern Taumel ihres jugendlichen Freiheitsgefühls“40 unbesiegbar machte, und es ist kein Geheimnis, dass Arndt – ganz analog zu Fichte – eben genau dieses Vorbild vor Augen hatte, als er die Deutschen zur nationalen Erhebung gegen die französische Besatzungsmacht aufrief. Denn im Geiste Fichtes und seiner „Reden an die deutsche Nation“,41 damit auch im Sinne Rousseaus und der antifeudalen Intention der französischen Revolution, spricht Arndt, angesichts der hereinbrechenden napoleonischen Unterdrückung, ebenfalls dem deutschen Feudaladel, den „Fürsten- und Herrenseelen“ das moralische Recht ab, die Nation zu führen. „Dieses ausgelebte, verkümmerte und alberne Geschlecht soll das Volk durch solch gefährliche Zeiten tragen?“42 Wie ein Menetekel gegenüber dieser späteren politischen Entwicklung mutet es an, wenn Arndt im Jahre 1802 formuliert: „Ich bekenne, wie ich nicht sehe, wie mein Vaterland je zur Einheit eines Volkes gelangen könne, als durch ungeheure Revolutionen, durch Überschwemmung von Fremden, die die Nation unterjochen würde.“43 Arndts spätere politische Forderung, stehende Heere, die er mit „bezahlten Söldnern“ vergleicht, zugunsten allgemeiner Volksbewaffnung abzuschaffen, setzt unter Bezugnahme auf die französischen Erfahrungen der Revolutionsheere und andererseits der inzwischen erfolgreichen Überwindung der französischen Besatzung ebenfalls auf die Kraft des Idealismus: „wie fürchterlich und unüberwindlich Heere sein können, die von einer Idee oder nur einem dunklen gemeinsamen Triebe beseelt sind“.44 Dabei klingen all jene Positionen nach, die vor allem seit Rousseau, Herder und Kant den Horizont der Aufklärung erweitert haben, ohne deren humanistisches Anliegen zu verlassen. Auch Arndt verwirft ausdrücklich und in vielen Zusammenhängen eine Bürgermoral, die bloßen Eigennutz an die Stelle höherer sittlicher Ideale stellt. Auch Arndt glaubt an die gesellschaftsverändernde Kraft einer staatsbürgerlichen Erziehung zu Selbstlosigkeit und Wahrhaftigkeit. Politische Freiheit, davon ist auch Arndt überzeugt, lässt allein „ein tieferes Gefühl für die Würde des Menschen entstehen“ und „(a)us der ganzen freien Bildung solches Staates werden sich die Sitten mit jedem Fortschritt der Gesellschaft mitschreitend entwickeln.(…) Wo auch hier größere Freiheit ist, wird größere Tüchtigkeit oder Tugend kommen zu stehen auf eigenen Füßen.“45 Es ist hinlänglich bekannt, wie in diesem Sinn gerade Rousseau auf Arndt gewirkt hat und hier bietet sich auch am ehesten die Gelegenheit, die geistige Verwurzelung Arndts in der Aufklärung nachzuweisen, im unmittelbaren Einklang übrigens mit sei39 Ebd., S. 306. 40 Ebd., S. 235. 41 Johann Gottlieb Fichte, Reden an die deutsche Nation. Vorlesungen 1807/1808. Hamburg 1978. 42 Ernst Moritz Arndt, Briefe aus Schweden, Stralsund 1926, S. 209. 43 Arndt (wie Anm. 8), S. 420. 44 Ernst Moritz Arndt, Die deutsche Wehrmannschaft, in: Ders., Geist der Zeit IV, Berlin 1818, S. 142/143. 45 Arndt (wie Anm. 8), S. 308/309.

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nem eigenen Bekenntnis. Denn unmittelbar nach seiner „Dissertatio wider Rousseau“ relativiert Arndt seine missverständliche Kritik, wenn er über Johann Jakob Rousseau u. a. schreibt: „Bei all seiner Exzentrizität, liegen in seinen politischen Ideen unendliche Saamen einer schönern Ordnung der Gesellschaften, die einmal die Ordnung der Welt werden muß. Aber er sah die Möglichkeit einer bessern Einrichtung des Ganzen nur in der menschlicheren und natürlicheren Bildung des Einzelnen; So entstand sein Buch über die Erziehung.[…] Kein Volk ergriff seine Ideen wohl mit größerer Empfänglichkeit und Liebe, als das meinige, weil es die Tiefe und den hohen Ernst, selbst seiner Paradoxien zu verstehen wusste; aber keines war in einer so ungünstigen Lage, als grade dieses, jene Ideen auszuüben, denn keines war weniger ein Volk. Aber wo die Teutschen sich rühren konnten, da griffen sie rüstig in ihn ein, und dies war in seinen Erziehungsgrundsätzen.“46 Die politischen und ethischen Grundprinzipien Rousseaus, denn nur von „Prinzipien“, nicht aber von praktischer Politik handelt z. B. der „Contrat Social“, übernimmt Ernst Moritz Arndt in pragmatischem Geist und der für ihn typischen bodenständigen Sprache. So spiegelt es das Wesen der demokratischen Inspiration Rousseaus, wenn Arndt von Vaterlandsliebe und Freiheit als den „zwei Seelen jedes Staates“ spricht, wenn er Vaterlandsliebe als „Aufopferung aller Art“ beschreibt, die „den Menschen stolzer auf sich selbst und edler“ macht, wenn er „ritterliches Eintreten für den Staat“ einfordert, wenn er andererseits extremen Reichtum, Geld und Bestechung – u. a. am Beispiel des britischen Imperiums – mit der „Untergrabung der Säulen der Freiheit“ verbindet und wenn er den „größten Gehorsam gegen das Gesetz, eine unverletztliche Subordination“47 fordert. Auch Rousseaus Formulierung für den Begriff der ,moralischen Freiheit‘ als ,freiwillige Unterordnung unter das selbst gegebene Gesetz‘ klingt hindurch, wenn Arndt bekennt: „Wer am meisten frei seyn will, muß den größten Gehorsam haben.“48 Doch auch hier lässt Arndt schließlich seinen Pragmatismus erkennen, wenn er schreibt: „Man sagt, ein Volk sey frei, das sich seine Gesetze selbst giebt und keine Herrschaft erkennt über diese Gesetze hinaus. Ich mögte, dass es sie nur kennen und anerkennen solle und dass vor diesen Gesetzen kein Unterschied der Person, keine Ausnahme sey […].“49 Was die von Arndt so hoch geschätzte und propagierte Idee des Patriotismus angeht, so steht auch sie weniger als häufig angenommen für den Gegensatz einer romantisch-nationalen zur aufklärerisch-kosmopolitischen Haltung. Denn in Wirklichkeit liegt auch dieser Konflikt mitten in der Aufklärung selbst, es sei denn, man würde Rousseau und den modernen Republikanismus aus der Aufklärung verbannen. Patriotismus als Bekenntnis des Staatsbürgers zu seinem Vaterland, dessen mündiger Teil er ist, beschreibt den Kernbereich der politischen Theorie von der Volkssouveränität. Demokratie und glühender Patriotismus sind daher auch in Rousseaus Philosophie untrennbar verbunden und ohne ihre Verschmelzung in der praktischen Politik hätte es keine Französische Revolution und später nie ein demokratisches Deutschland gege46 47 48 49

Ebd., S. 122/123. Ebd., S. 316–319 und 348. Ebd., S. 318. Ebd.

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ben. Der heute viel beschworene Kosmopolitismus der Aufklärung widerspricht dem Gedanken des Patriotismus in Wirklichkeit nicht, wenn es sich dabei um die von Kant formulierte „Idee eines Weltbürgerrechts“ handelt, das aus dem „öffentlichen Menschenrecht“ folgt.50 Es mag sich anders verhalten mit jenem Kosmopolitismus, der auf einen 1758 formulierten Grundsatz der französischen Physiokraten zurückgeht, wonach „das Kapital ein geheimer Reichtum ist, der weder König noch Vaterland kennt“.51 Als Leitmotiv eines Staaten übergreifenden marktwirtschaftlichen Liberalismus gedacht, steht dieser Grundsatz seit der Mitte des 18. Jahrhunderts für die Idee einer république commerçante universelle.52 Dabei handelt es sich um eine, im Vergleich zu Rousseaus Auffassungen, alternative Auslegung des modernen Republikanismus, die soziale Bindungen ausschließlich auf eine ökonomische Interessenbalance zurückführt. Es war dieser, der politischen Ideengeschichte der Aufklärung innewohnende Reibungspunkt, ein schwerwiegender Richtungsstreit zwischen einer Moralphilosophie des freien Willens und einer Ethik der Zweckbindungen, die Kant 1785 in seiner berühmten „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ zu lösen trachtete. Sein kategorischer Imperativ ist eine Absage an die von Hutcheson53 zuerst begründete Moralphilosophie der „Glückseligkeit“ im Namen einer Sittlichkeit des freien Willens und eines unabhängigen Gewissens. Dieser Position folgen Fichte und Schiller, Schlegel, Germaine de Staël und viele andere. Es ist die Grundhaltung der Romantik und der Philosophie des deutschen Idealismus. Ernst Moritz Arndt teilt diese Gedankenwelt und diese Haltung und zählt insofern zu jener Generation, die auf ihre Weise das humanistische Erbe der Aufklärung zu bewahren half.

50 Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden (1795), Leipzig 1954, S. 56–60. 51 François Quesnay, Maximes générales du gouvernement économique d’un royaume agricole. (1758), in : Oeuvres (Hrsg. A. Oncken), Franfurt a. M. 1888, S. 337. 52 Ebd., S. 326. 53 Francis Hutcheson, Philosophiae Moralis Institutio Compendiaria, London 1747.

Leib, Geist, Seele. Ernst Moritz Arndts Verbindungen mit geschichtsphilosophischen und völkerpsychologischen Spekulationen der Romantik und ihre Rezeption in der NS-Zeit Ralf Klausnitzer 1803 erscheint bei Johann Friedrich Hammerich in Altona ein merkwürdiges Buch. Das 434 Druckseiten starke und ohne Kapiteleinteilung veröffentlichte Werk – dessen Manuskript am 22. November 1802 und also nur 18 Tage nach Absendung der Aufsehen erregenden Schrift Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen an den Verleger Georg Reimer abgeschlossen wurde – exponiert im ersten Satz „Liebe und Haß“ als „Elemente der Welt und des Menschen, woraus alles gezeugt ward und wird“, um anschließend ein großangelegtes Panorama der europäischen und der deutschen Kultur- und Geistesgeschichte zu entrollen. Es endet mit genauen Angaben zur Fertigstellung sowie zur Adressierung des Textes und einer irritierenden Selbstbestimmung, die den Text als „Traum“ und „nicht bloß Traum“ deklariert.1 Germanien und Europa, das Resultat von historischen Vorlesungen des 1801 zum Adjunkt der Philosophischen Fakultät an der damals schwedischen Universität Greifswald erhobenen Privatdozenten für Geschichte und Philosophie, ist aber nicht nur aufgrund dieser Anlage ein bemerkenswertes Werk. Es ist auch nicht allein die „etwas wilde und bruchstückige Aussprudelung meiner Ansicht der Weltlage von 1802“, als die sie Arndts 1840 veröffentlichte Erinnerungen aus dem äußeren Leben einstufen.2 Der Text ist vielmehr ein aufschlussreicher und weitreichender Versuch zur Beschreibung und Deutung historischer Entwicklungslinien und ihrer (kollektiven) irdischen Akteure – und doch keineswegs singulär. Denn er erscheint zeitgleich bzw. in enger temporaler Nachbarschaft mit anderen Texten, die angesichts tiefgreifender Erschütterungen und Krisenerfahrungen nach Beschreibungs- und Erklärungskonzepten sowie nach neuen Bestimmungen deutscher wie europäischer Identität suchen und dazu auch auf großangelegte geschichtsphilosophische Konstruktionen zurückgreifen. Kein geringerer als Friedrich Schiller – der im Dezember 1788 als Professor für Geschichte an die auch von Arndt besuchte Jenaer Universität berufen worden war und dort im Mai 1789 seine berühmt gewordene Antrittsvorlesung Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? gehalten hatte – reflektiert in einem 1797 bzw. 1801 entstandenen Text Deutsche Größe die Frage nach der Eigentümlichkeit der eigenen Nation. Schiller 1

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Ernst Moritz Arndt, Germanien und Europa, Altona 1803, S. 434: „Diesen Traum habe ich vollendet am 22. November 1802, er ist mir aber nicht bloß Traum. Ich habe Germanien darüber geschrieben, daß man mein Urtheil verstehe und richte aus meinem Volke und nach meinem Volke; ich habe Europa darüber geschrieben, nicht prahlerisch, sondern weil die Haupttheile Europens mit in die Fläche meines politischen Spiegels fielen.“ Ernst Moritz Arndt, Erinnerungen aus dem äußeren Leben, hg. von Robert Geerds, Leipzig o. J., S. 92.

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entkoppelt Kultur als Bildungsmedium des Menschen von der Sphäre politischer Institutionen und ermöglicht so die Rede von einer „deutschen Kulturnation“, die zu einem charakteristischen Element im Selbstverständigungsdiskurs der deutschen Eliten avancieren wird.3 Zuvor hatte schon Goethe spezifische Züge einer „allgemeinen Nationalkultur“ erläutert, um in einer vom Zentralorgan der Berliner Aufklärung initiierten Debatte zu intervenieren und deren Fehlen zu konstatieren.4 – Ein Jahr vor der Veröffentlichung von Arndts Schrift hatte August Wilhelm Schlegel im ersten seiner vielbeachteten Berliner Vorlesungszyklen von 1802 eine Allgemeine Übersicht des gegenwärtigen Zustandes der deutschen Literatur entworfen und „vier Weltgegenden des menschlichen Geistes“ identifiziert, in denen Religion, Sittlichkeit, Poesie und Wissenschaft mit Osten, Westen, Süden und Norden verknüpft wurden und der Norden als Heimat der Wissenschaft figurierte.5 Er lieferte damit nicht nur die ideellen Grundlage für den 3

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Die genaue Entstehungszeit der in Schillers Nachlass aufgefundenen drei Folioblätter mit dem Textfragment Deutsche Größe ist unsicher; sie werden auf 1797 oder auf 1801 datiert. Das erste Datum würde auf den Friedensschluss von Campoformio, das zweite auf den Frieden von Lunéville verweisen, in denen Österreich, dessen Herrscher die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation trug, der Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich zustimmen mußte. Mit diesen militärisch erzwungenen Verträgen demonstrierte das napoleonische Frankreich den Deutschen und ihrem mittelalterlichen Reich ihre politische Ohnmacht und profitierte von einer Situation, die – wie Schiller wusste – ein Ergebnis des Dreißigjährigen Krieges war, in dessen Folge die Flankenmächte ein Kontrollrecht über Deutschland beanspruchten und seine Zersplitterung in Duodezstaaten nach Kräften förderten. Die von Schiller gezogene Konsequenz aus den politischen, ökonomischen und militärischen Defiziten des verhinderten Nationalstaates ist bemerkenswert: Sein Text postuliert die Irrelevanz staatlich-politischer Macht, denn „abgesondert von dem politischen hat der Deutsche sich einen eigenen Wert gegründet, und wenn das Imperium auch unterginge, so bliebe die deutsche Würde unangefochten. Sie ist eine sittliche Größe, sie wohnt in der Kultur und im Charakter der Nation, der von ihrem politischen Schicksal unabhängig ist.“ Friedrich Schiller, Deutsche Größe, in: Schillers Werke. Nationalausgabe, Bd. 2/1, hg. von Norbert Oellers, Weimar 1983, S. 431–436, hier S. 436. Vgl. dazu Bernhard Giesen / Kay Junge, Vom Patriotismus zum Nationalismus. Zur Evolution der „Deutschen Kulturnation“, in: Bernhard Giesen (Hg.), Nationale und kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewusstseins in der Neuzeit, Frankfurt/M. 1991, S. 255–303. Johann Wolfgang Goethe, Literarischer Sansculottismus [1795], in: J. W. von Goethe: Werke, hg. von Siegfried Seidel, Berlin 1960ff, Bd. 17: Kunsttheoretische Schriften und Übersetzungen, S. 324. – Ausgelöst wurde diese Debatte durch den von Daniel Jenisch im Archiv der Zeit und ihres Geschmacks veröffentlichten Aufsatz Über Prosa und Beredsamkeit der Deutschen, der die Frage nach einer gemeinsamen Hauptstadt stellte; dazu Regine Otto, Die Auseinandersetzung um Schillers Horen, in: Hans-Dietrich Dahnke / Bernd Leistner (Hg.), Debatten und Kontroversen. Literarische Auseinandersetzungen in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts, Bd. 1, Berlin/Weimar 1989, S. 385–450, hier S. 427. Inspiriert waren Schlegels Separationen auch von der Schrift von Franz Baader, Ueber das pythagoräische Quadrat in der Natur oder die vier Weltgegenden, Tübingen 1798, die gegen die „Ueberbleibsel der atomistischen Hypothesen“ polemisierend, eine spekulativ-naturphilosophische Unterteilung der „einen großen Welt“ unternahm: „Da nun die Naturphilosophie einmal den Dualismus der Natur (ihren inneren Zwiespalt) richtig aufgefasst hat, und

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„Nordsternbund“, der sich um Karl Varnhagen von Ense und Adalbert von Chamisso, Julius Eduard Hitzig und Johann Ferdinand Koreff in den Wachstuben am Brandenburger und Potsdamer Tor in Berlin sammelte und den frühromantischen Enthusiasmus weiterzutragen suchte;6 die kulturgeographische Separation mit ihrer besonderen Auszeichnung des Nordens inspirierte auch einen der großen Bucherfolge der damaligen Zeit, in dem die Himmelsrichtungen des europäischen Geistes figurale Repräsentanten finden sollten.7 Auf diese Varianten deutscher Identitätssuche um 1800 nimmt Arndts umfängliche Monographie scheinbar keinen Bezug. Im Gegenteil: Der Greifswalder Hochschullehrer dementiert vielmehr explizit jegliche Verbindungen mit den intellektuellen Diskursen seiner Zeit, um zugleich die eigene „Teutschheit“ zu einer besonderen epistemischen Qualität und Grundlage der nachfolgenden Überlegungen zu erheben.8 Ebenso direkt benennt er Anlass und Intention seiner Schrift: „Ich muß zeigen, wie ich es fühle an meiner Welt und an mir, daß sie und ich verrückt sind, d. h. aus unsern Angeln geworfen. Ich muß diese Verrücktheit erklären, [...] d. h. ich muß ihre Nothwendigkeit zeigen, damit nicht der Glaube an die Gottheit untergehe und die Liebe. Ich muß endlich zeigen, welche die Sünder sind, daß diese Verrücktheit noch fortdauert,

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also bereits zwei Gegenden in der einen grossen Welt sowohl in jeder einzelnen kleinen (deren Polarität) anerkennt, (nemlich Mittag und Mitternacht), so hat sie nur noch einen Schritt zu thun, um nach der Auffindung und Anerkennung der beiden übrigen Weltgegenden (des Aufgangs und des Niedergangs) sich vollkommen orientiren zu können.“ Franz Xaver von Baader, Sämtliche Werke, hg. von Franz Hoffmann et al., Bd. 3: Gesammelte Schriften zur Naturphilosophie. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1852, Aalen 1963, S. 249. Vgl. dazu Karl Varnhagen von Ense, Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens, Bd. 1: 1795– 1810, hg. von Konrad Feilchenfeld, Frankfurt/M. 1987, S. 282: „Ein Geheimnisbild von August Wilhelm Schlegel, welches dieser aus Franz Baaders pythagoräischem Quadrat entlehnt hatte, und worin Religion, Sittlichkeit, Poesie und Wissenschaft mit den vier Himmelsgegenden verknüpft werden, die Wissenschaft aber dem Norden entsprechen soll, hatte uns den Nordstern wählen lassen, als welcher auch die anderen Richtungen zu bestimmen helfe.“ Der Nordsternbund begann sich aber schon 1804 aufzulösen; die Jahrgänge 1804 und 1805 seines von Chamisso, Koreff und Varnhagen von Ense herausgegebenen „grünen“ Musenalmanachs blieben ohne größere Resonanz und Varnhagen von Ense begann in den Nordischen Miszellen journalistische Arbeiten zu veröffentlichen. Der Ritterroman Der Zauberring (3 Bde., Nürnbürg 1813; Neuausgabe München 1984) des mit den skandinavischen Sprachen und Literaturen gut vertrauten Friedrich de la Motte Fouqué (1777–1843) entwirft eine großangelegte Familienzusammenführung zur Zeit des dritten Kreuzzugs: Aus Arabien, Italien, Frankreich und dem germanischen Norden stammen vier der fünf Kinder des Ritters Hugh von Trautwangen, die er auf seinen Heldenzügen in diese Weltteile gezeugt hat. Sie alle treffen – die deutsche Superiorität anerkennend – auf der väterlichen Burg in Schwaben zusammen, erlösen den Vater und finden die Mutter wieder, die im Norden als eine Magierin gelebt hatte. Vgl. Arndt (wie Anm. 1), S. 7, Hervorhebungen im Original: „Dies Buch kömmt allein aus dem Gemüth des Verfassers und gehört ihm an [...]. Ich habe diese Teutschheit, worauf ich mir gar nichts einbilden kann, weder verläugnen können noch wollen; denn zu dem Künstlermenschen kann und will ich nicht kommen, der ganz außer einer bestimmten Nation steht.“

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damit man sich vor ihnen hüten, und durch den Haß die Liebe und die Kraft finden könne, sich und seine Welt wieder einangeln und einrücken zu können.“9 So vorbereitet, entwirft Arndt eine auf anthropologischen Voraussetzungen (Mensch als Einheit von „Leib“, „Geist“, „Seele“) basierende Geschichtsauffassung, die religiöse Heilsvorstellungen verabschiedet und ein auf naturhistorischen Beobachtungen bzw. „Erfahrungen“ basierendes Szenario der Menschheitsentwicklung präsentiert. Dieses Szenario aber hat es in sich. Denn Arndt führt die Krise seiner Zeit und die aus den Fugen geratene Welt auf tiefgehende Fehlentwicklungen in der europäischen Geschichte zurück, die seit der Christianisierung des germanischen Nordens zu Verkümmerung und Verkrümmung von „Leib“, „Seele“ und „Geist“ geführt hätten. Er behauptet – zwar nicht als erster, doch mit besonderer rhetorischer Vehemenz – eine Fundamentalopposition zwischen oberflächlichem französischem „esprit“ und „tieferem“ deutschen Geist; und er diagnostiziert neben der ungehemmten Ausbreitung einer lebensfeindlichen Rationalität auch die Vermischung von Völkern und ethnischen Gruppen als Ursache für einen kulturellen Niedergang, der durch Rückkehr zu „organischen Gesetzen“ aufgehalten bzw. korrigiert werden soll. Mit seinen Diagnosen einer krisenhaft erfahrenen Neuzeit und seiner Suche nach einer (neuen) germanisch-deutschen Identität steht Arndt in einem widerspruchsreichen, keineswegs einfach zu entwirrenden Diskursfeld. Während etwa auch August Wilhelm Schlegel in seinen bereits bei den Zeitgenossen berühmten Berliner Vorlesungen von 1802 die „Deutschheit“ wieder in ihre Rechte einzusetzen sucht, als „die Wahre Deutsche Eigenthümlichkeit“ jedoch „Universalität“ und „Kosmopolitismus“ reklamiert,10 strebt Arndt nach dezessionistischer Abgrenzung einer germanisch-nordischen Volkseinheit, die sowohl dem deutschen Partikularismus als auch dem napoleonischen Herrschaftsstreben entgegen gesetzt wird. Während frühromantische Projekte eine (kulturelle) Einheit des Kontinents projektieren, die „etwas höheres ist als die Trennung und Entgegensetzung“,11 verkündet Arndt seine Überzeugung von der Schädlichkeit der Völkervermischung, habe doch schon die „übermäßige Verbindung mit fremden Völkern“ die Errungenschaften der griechischen Kultur vernichtet.12 Und während Friedrich Schlegel 1803 in Paris die Zeitschrift Europa begründet, die bis 1805 erscheint, formiert der unter schwedischer Flagge aufgewachsene Arndt ein Sonderbewusstsein, dass ihn schon im Sommer 1807 von Deutschland als dem „Nabel der europäischen Erde“ sprechen lassen wird.13 Mit dieser Metaphernprägung und ihren Begründungsfiguren wird Arndt zu einem Vorläufer von Fichtes Reden an die deutsche 9 Ebd., S. 5. 10 August Wilhelm Schlegel, Kritische Ausgabe der Vorlesungen, begründet von Ernst Behler, hg. von Georg Braungart, Paderborn u. a. 1989ff, hier Bd. III, S. 336. 11 Ebd., S. 337. Dazu umfassend Silvio Vietta / Dirk Kemper / Eugenio Spedicato (Hg.), Das Europa-Projekt der Romantik und die Moderne, Tübingen 2005. 12 Arndt (wie Anm. 1), S. 17. 13 Ernst Moritz Arndt, Friedensrede eines Deutschen (gesprochen am 13.7.1807), in: Geist der Zeit II (Stockholm 1808), hier zitiert nach Heinrich Meisner / Robert Geerds (Hg.), Ernst Moritz Arndts ausgewählte Werke in sechzehn Bänden, Bd. 10, Leipzig 1908, S. 85–118, hier S. 87f.

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Nation, die ebenfalls Topoi eines Mittelpunktbewusstseins aufnehmen und entfalten – und damit eine Traditionslinie stiften, die bis zu Beschwörungen einer „Synthese des Nationalen und des Universalen“ in der NS-Zeit reicht.14 Doch sind es nicht nur die ideengeschichtlichen Voraussetzungen und Konsequenzen, die Arndts frühe Schriften wie Germanien und Europa zu Gegenständen des Interesses machen. Aufschlussreich und fragwürdig sind diese Texte zur nationalen Identitätsstiftung vor allem auch wegen ihrer geschichtsphilosophischen und völkerpsychologischen Spekulationen auf der Basis naturhistorisch-anthropologischer Überlegungen, die den vielseitigen Publizisten zu einem wesentlichen Lieferanten von Ideen machen, die z. T. subkutan bis ins 20. Jahrhundert vermittelt wurden und im Kontext dezidiert antimoderner Bewegungen eine aufschlussreiche Renaissance finden sollten. Ihre Wirkungsgeschichte reicht von emphatischer Aufnahme bei den Anhängern einer „biozentrischen Lebenswissenschaft“, die sich seit den 1920er Jahren um den rationalitätskritischen Philosophen Ludwig Klages sammelten und Arndt als Vorkämpfer eines dezidiert geist- und religionsfeindlichen Weltbildes instrumentalisierten, bis zur heroengeschichtlichen Stilisierung des von Arndt mitgestalteten Männerbundes zum „Träger der deutschen Erhebung zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts“15 durch den George-Kreis-Angehörigen Rudolf Fahrner, der 1937 eine hymnische Monographie vorlegte und später zum Widerstandskreis um Berthold und Claus von Stauffenberg gehörte; sie versandet in den 1950er Jahren in Akklamationen Arndts zum „Vorkämpfer für Einheit und Demokratie“,16 wie sie der ehemalige Ministerialbeamte im NSReichsministerium für Erziehung und Wissenschaft Herbert Scurla vorführt, der nach 14 Ein prägnanter Kulminationspunkt dieser Rhetorik ist der Aufsatz von Paul Kluckhohn, Der europäische Gedanke in der deutschen Romantik, in: Europäischer Wissenschafts-Dienst 3 (1943), H. 12, S. 7–9, der Arndts Begriffsprägung ohne bibliographischen Nachweis aufnimmt, um zeitgemäße Aktualisierungen vorzunehmen. Der Romantik zugeschriebene Entdeckungen („Belebung von germanisch-deutscher Vergangenheit“, „Synthese von Persönlichkeit und Gemeinschaft“, „Synthese des Nationalen und des Universalen“) und ein von ihr angeblich erweckter „Glaube an die deutsche Europa-Aufgabe“ begründen für die Gegenwart die „Aufgabe der Vermittlung und der Führung, im Geistigen zunächst und dann auch als politische Vormachtstellung“. Gleichzeitig betont Kluckhohn mehrfach die romantische „Achtung vor fremdem Volkstum“ und erklärt, daß die deutsche Führungsrolle in Europa „keine Unterdrückung anderer Völker bedeuten dürfe und keine Gleichmacherei, vielmehr nur eine Befreiung der unterdrückten Völker und allen eine Hilfe zur Entfaltung ihrer Eigentümlichkeit“. Der Erscheinungsort des Textes aber dementiert die Postulate von der „Befreiung der unterdrückten Völker“: Die vom Beauftragten des Reicherziehungsministeriums für den „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“, Paul Ritterbusch, herausgegebene und vom Reichspropagandaministerium unterstützte Zeitschrift Europäischer Wissenschafts-Dienst soll der „zwischenvölkischen Aussprache“ zwischen Forschern dienen und dabei die nationalsozialistischen Hegemoniebestrebungen in Europa auch wissenschaftspolitisch durchsetzen. Verbreitet wird das Periodikum nicht durch den Buchhandel, sondern durch Propagandakompanien der Wehrmacht. 15 Rudolf Fahrner, Arndt. Geistiges und politisches Verhalten, Stuttgart 1937, S. 1. 16 Herbert Scurla, Ernst Moritz Arndt. Der Vorkämpfer für Einheit und Demokratie. Berlin 1952.

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seiner Karriere im „Dritten Reich“ zu einem fleißig publizierenden Autor in der DDR wurde. Um diese keineswegs einfachen Verhältnissen zu ordnen, ist ein segmentierendes Vorgehen notwendig. In einem ersten Abschnitt sind wesentliche Parameter von Arndts Bildungserlebnissen zu konturieren und in Verbindung mit den ideengeschichtlichen Prägekräften seiner Zeit zu skizzieren – ist es doch unverkennbar, dass sich Arndts Überlegungen in übergreifende Bewegungen einordnen, die in retrospektiver Rückschau mit Begriffen wie „Romantik“ oder „Nationalismus“ belegt wurden, obwohl sich die Verhältnisse bei genauerer Beobachtung als weitaus komplexer und komplizierter darstellen. In einem darauffolgenden Schritt sind zentrale Parameter seiner geschichtsphilosophischen und völkerpsychologischen Spekulationen zu rekonstruieren, die auf der Basis einer Beobachtungspraxis entstanden, die Arndts selbst als seinen „naturhistorische[n] Trieb“ bezeichnete.17 Ein abschließender Teil soll ausgewählte Einsatzpunkte der Rezeption dieser Überlegungen in der Zeit zwischen 1933 und 1945 konturieren, um die Widersprüchlichkeit dieser Wirkungsgeschichte im Spannungsfeld weltanschaulicher Instrumentalisierungen und politischer Lenkungsansprüche zu dokumentieren.

1. Bedingungen Das Geburtsjahr 1769 und formative Sozialisationserfahrungen machten Ernst Moritz Arndt zu einem Angehörigen jener Generation, deren repräsentative Vertreter sich selbst als Pioniere eines neuen Zeit- und Epochenbewusstseins verstanden und entsprechend inszenierten: Er gehört zur Altersgemeinschaft der im Jahrzehnt zwischen 1765 und 1775 geborenen Autoren und Wissenschaftler, die zwischen 1795 und 1805 in das literarisch-publizistische bzw. wissenschaftliche Feld eintraten und (mit ihren Nachfolgern) bis in die 1820er Jahre prägten.18 Auch seine Bildungserlebnisse scheinen ihn mit 17 Arndt (wie Anm. 2), S. 80. 18 Zur ersten Generation der Romantik gehören u. a. August Wilhelm Schlegel (*1767), Zacharias Werner (*1768), Friedrich Schlegel (*1772), Friedrich von Hardenberg bzw. Novalis (*1772), Ludwig Tieck (*1773) und Wilhelm Heinrich Wackenroder (*1773). Zur zweiten Generation gehörten u. a. E.T.A. Hoffmann (*1776), Clemens Brentano (*1778), Achim von Arnim (*1781), Bettina von Arnim (*1785) und Joseph von Eichendorff (*1788). Den gegenwärtig vor allem in den Kulturwissenschaften vieldiskutierten Generationen-Begriff fixiert in der auch hier verwendeten Weise erstmals Karl Mannheim, Das Problem der Generationen [1928], in: Ders., Wissenssoziologie, Berlin/Neuwied 1964, S. 509–565. Zur Bestimmung von Kohorten im literarisch-kulturellen Feld vgl. noch immer Julius Petersen, Die literarischen Generationen, in: Emil Ermatinger (Hg.), Philosophie der Literaturwissenschaft, Berlin 1930, S. 130–187; Walter Schmitz, Literaturrevolten: Zur Typologie von Generationsgruppen in der deutschen Literaturgeschichte, in: Rudolf Walter Leonardt (Hg.), Das Lebensalter in einer neuen Kultur? Zum Verhältnis von Jugend, Erwerbsleben und Alter, Köln 1984, S. 144–165. Die generationsspezifischen Parameter der Romantik konturiert Walter Schmitz, „Die Welt muss romantisiert werden...“ Zur Inszenierung einer Epochenschwelle durch die Gruppe der ‚Romantiker’ in Deutschland, in: Henrik Birus (Hg.), Germanistik und Komparatistik, Stutt-

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der Romantik zu verbinden – obwohl bereits frühzeitig charakteristische Abweichungen festzustellen sind. So erfährt der in Schoritz auf Rügen geborene Sohn eines früheren Leibeigenen, der sich zum Pächter und Gutsinspektor empor gearbeitet hatte, zwar Privatunterricht durch einen Hauslehrer und kann später die Gelehrtenschule in Stralsund besuchen, doch vergaß er das Wissen um die eigene Herkunft nicht und bewahrte ein besonderes Naturverhältnis (das andere Generationsgenossen erst geistig konstruieren und also gedanklich erarbeiten mussten). Zu Ostern 1791 beginnt Arndt – relativ spät für sein Alter – im damals schwedischen Greifswald das Studium der Theologie, Geschichte, Erd- und Völkerkunde. Hier lernt er durch den Philosophen Johann Christoph Muhrbeck – „ein scharfer Denker und eifriger Wolffianer“19 – die Kategorien einer rationalen Weltbetrachtung durch deutliche Begriffe und gründliche Beweise sowie die Argumente der Kant-Gegner kennen (während für zahlreiche Generationsgenossen die kritische Philosophie zur zentralen Inspirationsquelle wird).20 Sein Studium setzt er zwischen Ostern 1793 und Herbst 1794 in Jena fort. Dabei nimmt er weniger die hier präsenten literarisch-kulturellen Bewegungen und philosophischen Innovatoren mit ihren Lehren als vielmehr die „tapfre Persönlichkeit“ Fichtes wahr.21 Hier erlebt Arndt auch die „Jenischen Revolutionen“, die die Gleichberechtigung aller Studierenden sowie ein Ende der Vorrechte für Studentenorden forderten;22 und möglicherweise erfuhr er auch von der „Gesellschaft freier Männer“, die sich aus den Generationsgenossen Kasimir Ullrich Boehlendorff, Johann Friedrich Gries, Johann Friedrich Herbart und August Ludwig Hülsen formierte und wie andere Studentenverbindungen und Korporationen spezifische Gemeinschaftsformen pflegte und vorlebte. Seit Sommer 1796 – Arndt hatte Jena verlassen und war zu seiner Familie nach Löbnitz zurückgekehrt, um 1796 das theologische Examen in Greifswald abzulegen und danach

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gart/Weimar 1995, S. 290–308; vgl. dazu auch Ralf Klausnitzer, Poesie und Konspiration. Beziehungssinn und Zeichenökonomie von Verschwörungsszenarien in Publizistik, Literatur und Wissenschaft 1750–1850, Berlin/ New York 2007, S. 518–544. Arndt (wie Anm. 2), S. 78. Zum Studium an der (zu Arndts Zeit nur mittelmäßigen) Universität Greifswald vgl. Ernst Müsebeck, Ernst Moritz Arndt. Ein Lebensbild, 1. Buch: Der junge Arndt, Gotha 1914, S. 34–36; aufschlussreich und wichtig auch der Vergleich mit dem elf Jahre alten Ludwig Gotthard Kosegarten durch den instruktiven Beitrag von Dirk Alvermann, Arndt und Kosegarten – zwei rügische Dichter zwischen Gott, Napoleon und Nation, in: Walter Erhart /Arne Koch (Hg.), Ernst Moritz Arndt (1769–1860). Deutscher Nationalismus – Europa – Transatlantische Perspektiven, Tübingen 2007, S. 77–95. Arndt (wie Anm. 2), S. 78f.: „Aus der Philosophie, welche alles begeisterte und auch unter meinen Genossen manchen trocknen Kopf verrückt machte, habe ich wenig Scharfes und Spitzes ziehen und gewinnen können, doch hat mich Fichtes tapfre Persönlichkeit begeistert [...].“ Über seine historischen Studien heißt es hier S. 79 ebenso knapp: „Für Geschichte war hier, außer Griesbach nichts: der alte Heinrich war trocken und einförmig wie die Wüste Sela, und der eben auftretende Woltmann bedeckte seine vornehme Oberflächlichkeit mit schön klingenden Worten; er schillerte damals durchweg ohne Schillers edle Seele.“ Vgl. dazu Arndts Brief an den Freund Benjamin Bergmann aus Livland, in: Heinrich Meisner / Robert Geerds (Hg.), Ernst Moritz Arndt. Ein Lebensbild in Briefen, nach ungedruckten und gedruckten Originalen, Berlin 1898. S. 20f.

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Hauslehrer bei Ludwig Gotthard Kosegarten in Altenkirchen zu werden – leben auch August Wilhelm und Friedrich Schlegel in Jena; sie machen die thüringische Kleinstadt zu einem Zentrum der sich um die Zeitschrift Athenaeum sammelnden frühromantischen Bewegung, deren Vertreter in zunehmender Abgrenzung von klassizistischer Normativität und ihrer Orientierung an antiken Mustern nun programmatisch ästhetische Erfahrungen im Zeichen der Entgrenzung und Verschmelzung der Künste sammeln und ein (neues) deutsches Nationalbewusstsein entdecken. Mit diesen Angehörigen der literarisch-kulturellen Oppositionsbewegung teilt Arndt gewisse Formations- und Bildungserlebnisse. Zugleich weist seine Entwicklung spezifische Aspekte auf, die ihn von seinen Generationsgenossen unterscheiden. Hatten die um 1770 geborenen Kohortenmitglieder die kritische Philosophie Kants und die nachfolgenden transzendentalphilosophischen Entwürfe als wichtige Sozialisationserlebnisse erfahren, lernt Arndt aufgrund der mentalen „Verspätung“ der Greifswalder Universität noch die Lehren von Christian Wolff kennen. Erst später gewinnen philosophische Spekulationen des jungen Schelling für ihn an Bedeutung.23 Auch die Weichenstellungen auf literarisch-weltanschaulichem Gebiet werden von ihm auf eigene Weise verarbeitet. Zwar stimmt er mit der bei nahezu allen Romantikern anzutreffenden Wertschätzung Goethes überein, dessen Werk er 1810 als deutschen Einspruch gegen „französische Albernheiten“ überschwänglich loben wird.24 In durchaus eigener Weise positioniert er sich jedoch zu den Ideen des Genfer Uhrmacher-Sohnes Jean Jacques Rousseau, dessen Schriften nach eigener Aussage „außerordentlich“25 auf ihn wirken: Während er seine Erziehungsauffassungen zumindest anfänglich toleriert, weist er dessen Zivilisationstheorie – über die er im Winter 1800 eine Dissertation vorlegt – als ahistorische Konstruktion dezidiert zurück.26 23 Vgl. Rudolf Krügel, Der Begriff des Volksgeistes in Ernst Moritz Arndts Geschichtsauffassung. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, Langensalza 1914, S. 32 und 116. 24 Eine frühe Bilanz seiner Bildungserfahrungen zieht Ernst Moritz Arndt, Briefe an Freunde. Altona 1810. Hier wird an die während der Studienzeit einsetzende Goethe-Verehrung erinnert: „Du priesest ihn endlich als den ersten größten Deutschen dieses Jahrhunderts, wo so manche durch französische Albernheiten uns verdorben und sich berühmt gemacht haben, wo so viel durch Flittern der Täuscherei, durch den Pegasischen Paßgängertritt hochgeschrobener Sentenzerei auf unsre Kosten etwas geworden sind.“ Ebd., S. 8f. Eine Differenzierung zwischen seinen Schaffensperioden diskutiert er S. 9: „der Göthe seit 1785 sei nicht mehr der von 1775 und 1780; er gehöre nicht mehr Einer Nation, sondern allen europäischen Nationen an“, um den Dichter schließlich zu einem universal wirkenden Repräsentanten deutschen Wesens zu erklären: „Ein großer Mensch steht nicht allein in den Schranken seines Volkes und seiner Zeit, das Größte und Höchste aller Zeiten und Völker nennt er durch Geburtsrecht sein, weil er der Hochgebohrne ist. Göthens Allgemeinheit ist doch deutsch, weil sein Sinn seines Volkes ist.“ Ebd., S. 18. 25 Vgl. ebd., S. 167: „Rousseau, den ich in einer schlechten Übersetzung las, wirkte außerordentlich auf mich; und ich weiß noch, wie er mich durch seine Paradoxen erschreckte.“ 26 Die Dissertatio historico-philosophica, sistens momenta quaedam, quibus status civilis contra Russouii et aliorum commenta defendi posse videtur aus dem Jahr 1800 ist abgedruckt in: Albrecht Dühr / Erich Gülzow (Hg.), Gerettete Arndt-Schriften, Arolsen/Kassel 1953.

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Zentrales Bildungserlebnis der um 1770 geborenen Altersgemeinschaft und auch Arndts bleibt ein Ereignis, das außerhalb der deutschen Länder und Schwedisch-Pommerns stattgefunden hatte und in der 1803 veröffentlichten Schrift Germanien und Europa als „wichtigste“ und „merkwürdigste Begebenheit des verflossenen und beginnenden Jahrhunderts“27 bezeichnet wird: die Revolution in Frankreich. Diese Umwälzung verwirklichte den Gedanken von der Veränderbarkeit der Welt radikal. Ohne sie sind weder die sich um 1800 häufenden Proklamationen einer Epochenschwelle noch die vielstimmung beschworenen Krisenerfahrungen denkbar. Der Wandel von Arndts Erklärungen und Bewertungen ist deshalb überaus aufschlußreich. Denn während er anfänglich das Recht zur Revolution bejaht und sich gegen Versuche wendet, die gesellschaftliche Erhebung auf das untergründige Wirken von Freimaurern und Illuminaten zurückzuführen,28 bestimmt er die revolutionären Ereignisse seit 1789 später als notwendige Folge von rationalistischer Aufklärung und schließlich als „schreckliches Feuer [...], welches seitdem mit Mord, Blut, Raub, und Tyrannei gewüthet hat, und bis auf den heutigen Tag immer noch fortwüthet“.29 In seiner Erklärung für die Ursachen dieser langfristig wirksamen Erschütterung aller Verhältnisse schließt er sich 1813 sogar der gegenrevolutionären Propaganda mit ihrer These von einer philosophisch vorbereiteten Verschwörung gegen Thron und Altar an und erweitert dieses Szenario durch die Idee eines göttlichen Strafgerichts.30 Im Alter modifizierte er diese Einstellung und er27 Arndt (wie Anm. 1), S. 146. 28 Prägnant in Ernst Moritz Arndt, Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 und 1799. Dritter Theil. Zweite verbesserte und vermehrte Auflage, Leipzig 1804, S. 48, wo es über „allerlei Revolutionsgespräche mit meinem Kourier, der Maurer, Protestant, Demokrat und Gott weiß, was noch alles ... war“, heißt: „Er behauptete mit vielen teutschen Journalisten und Almanachisten, die Freimaurer und Illuminaten hätten die Revolution gemacht. Als wenn eine Revolution sich so leicht machte.“ 29 Ernst Moritz Arndt, Kurze und wahrhaftige Erzählung von Napoleon Bonapartens verderblichen Anschlägen, von seinen Kriegen in Spanien und Russland, von der Zerstörung seiner Heeresmacht, und von der Bedeutung des gegenwärtigen teutschen Krieges: ein Büchlein dem teutschen Volke zum Trost und zur Ermahnung gestellt, Germanien 1813, S. 1: „Vor etwa fünf und zwanzig Jahren, in den Jahren 1788 und 1789 ging in Frankreich ein schreckliches Feuer auf, welches seitdem mit Mord, Blut, Raub, und Tyrannei gewüthet hat, und bis auf den heutigen Tag immer noch fortwüthet.“ 30 Ebd., S. 2f.: „Seit ungefähr hundert Jahren hatte sich in Frankreich eine verruchte Rotte von Wollüstlingen und Spöttern erhoben, welche über alles lachten, was den Menschen je heilig und verehrlich war, welche alle Religion und allen Gottesdienst für einen leeren Wahn erklärten, alle Geschichte und alle Offenbarung Gottes leugneten [...] Das Gift dieser verruchten Menschen ergoß sich über alle Länder, und kam auch nach unserm Vaterlande, nach Teutschland. [...] Gott strafte die Menschen durch ein leeres und wildes Geschrei von Freiheit und Gleichheit, durch eine gaukelische Bethörung und Verblendung aller Herzen und Köpfe, und durch einen blutdürstigen und unersättlichen Tyrannen, den er als ein Ebenbild des Teufels und teuflischer Hinterlist und Gewalt aufstehen ließ.“ – Zur These von der Verschwörung der Philosophen vgl. schon Amos Hofmann, Anatomy of conspiracy. The origins of the theory of the philosophe conspiracy 1750–1789, Ann Arbor 1986; ders., The origins of the theory of the „philosophe“ conspiracy, in: French History 2 (1988), No. 2, S. 152-172; zum größeren Kontext siehe Johannes Rogalla von Bieberstein, Die These von der Verschwörung

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kannte als Ursache für utopisch projektierte „kommunistische und socialistische Reiche“ auch die korrupten Strukturen in der Oberschicht an.31 Keineswegs singulär, doch im Kontext der romantischen Bildungserlebnisse von nachhaltiger Wirkung sind schließlich die Erfahrungsgewinne, die Arndt während seiner 1798/99 unternommenen Wanderungen in den Ländern Mitteleuropas machte und unter dem Titel Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 und 1799 öffentlich darstellte. Von Bedeutung für die späteren geschichtsphilosophischen und völkerpsychologischen Überlegungen sind dabei vor allem empirische Einsichten, die Arndt in direktem Kontakt mit den unterschiedlichen Einwohnern der europäischen Länder gewann und die nach einer intellektuellen Inkubationszeit weiter verarbeitet wurden. Auch hier haben kleine Differenzen nicht zu unterschätzende Konsequenzen. Während etwa die Freunde Ludwig Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder auf ihren wohl vorbereiteten „Kunstwanderungen“ primär ästhetische Erlebnisse sammeln (und sich während ihrer später zum Vorbild romantischer Kunstreisen avancierenden Exkursionen nach Bamberg und Nürnberg im April 1793 mit altdeutscher Baukunst und Dürer-Werken beschäftigen), macht Arndt sich ohne Richtung und Ziel „fast wie Bruder Sorgenlos“ auf den Weg und gewinnt dabei ein Wissen, dessen Qualitäten sich erst nach längerer Zeit zeigen: Es sind „die Dinge, Menschen und Völker dieser Welt“, die er „sehen und erkennen gelernt“ hat.32 Während des Aufenthaltes in Sankt Petersburg 1812 wird er diese auf anschaulichen Erfahrungen gegründeten Beobachtungen fortsetzen und gemeinsam mit dem Reichsfreiherrn von Stein gewisse Ratespiele veranstalten, bei dem Individuen durch bloße Ansicht zu Volk und Stamm zuzuordnen sind. Diese von ihm als „naturhistorische Belustigung“33 bezeichneten Rubrizierungsspiele werden in der NS-Zeit dann zum „Rassenraten“ erklärt und Arndt als deren Experte deklariert: „Er brachte es bald zu einer Art Meisterschaft in dieser Menschenkunde und im Erkennen der Volksarten und Typen schon von weitem an Bau, Formen und Bewegungen. [...] In der Tat hat Arndt diese Lebenskunst und Lebensübung, zu der er von Natur sehr befähigt war, hier am Polpunkt seiner Fahrten zur größten Entfaltung gebracht. Asiaten, Slawen, Romanen und Germanen und die häufigeren Mischtypen lernt er sowohl in den einzelnen Exemplaren wie in den allgemeinen Zügen aufs treffendste bezeichnen, und das Wichtigste:

1776–1945. Philosophen, Freimaurer, Juden, Liberale und Sozialisten als Verschwörer gegen die Sozialordnung, Frankfurt/M. u. a. 21978; Klausnitzer (wie Anm. 18), S. 425–487. 31 Grundgesetz der Natur von Diderot nebst einer Zugabe von E. M. Arndt, Leipzig 1846, in der Arndt zuerst prägnant die ideengeschichtlichen Ableger der Französischen Revolution benennt („so viele Utopien, Platosrepubliken und kommunistische und socialistische Reiche sind seitdem aufgebaut worden und werden tagtäglich neu aufgebaut“; S. 191), um danach die seit 1515 regierenden „erzliederlichen“ bzw. „allerliederlichsten“ Monarchen für den „bösen Riß durch die französischen Sitten“ verantwortlich zu machen, S. 192. 32 Arndt (wie Anm. 2), S. 83: „Indessen ich bin später gewahr geworden, daß in mir ein dunkles Ziel lag, das ich damals nicht gewahrte. Ich habe die Dinge, Menschen und Völker dieser Welt doch sehen und erkennen gelernt.“ 33 Ebd., S. 163.

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er verfällt dabei keinen törichten Doktrinen und plumpen Schätzungen, sondern behält den Blick frei für die rechte Art und den Sinn solcher Beschauungen.“34 Wenn also Arndt als „Romantiker“ bezeichnet werden kann, dann nur mit Einschränkungen bzw. differenzierenden Spezifikationen. Er ist, wie schon Dirk Alvermann betont, „buchstäblich von der Erdscholle zum romantischen Geist gekommen“ und geistig nicht in der „musischen“, sondern in der „politischen Romantik“ zu Hause – und zwar in jener noch von Peter Hacks misstrauisch beobachteten „gegenbonapartistischen Fronde“, die man „als zugleich konservative und ultralinke Negativkoalition gegen Napoleon bezeichnen könnte“.35 Plastizität gewinnen diese ambivalenten Verhältnisse durch Arndts eigene Stellungnahmen. Die 1810 erschienenen Briefe an Freunde, die eine aufschlussreiche Bilanz seiner Bildungserlebnisse ziehen, markieren ein distinktes Verhältnis zu den nach 1800 virulenten Konditionen des romantischen Geistes: „Ich habe Menschen gekannt, deren Jugend schön und hoffnungsvoll war, die als Jünglinge die goldenen Keime herrlicher Früchte und Thaten so still und mächtig in sich trugen, und durch Leib und Geist blühende Geschlechter zu versprechen schienen. Sie geriethen durch Unglück, mehr als Männern recht ist, in die Gesellschaft von Weibern, deren Eitelkeit ihre Kraft in Kleinigkeiten und Spielereien aufrieb: sie lernten schwätzeln; Politik und Unruhe trieb sie auf Kaffeehäuser und Theater, unter Schauspieler und Kunstkenner: sie lernten schön sprechen [...]. Solche Menschen habe ich gekannt. Sie hatten die arme Sprache bis in ihre letzten Geheimnisse durchgeplappert und durchrhetorisirt. Wenn die Begeisterung, welche die Natur ihnen umsonst gegeben hatte, sie zuweilen noch ergriff, so konnten sie wohl noch in einzelnen Fragmenten göttlich schön sprechen [...] Sollte es aber etwas werden, was Arbeit und Stille verlangte und nur durch Sammlung der Kräfte werden kann, so ward es frostig, maniretirt und kümmerlich; und selbst das für den Augenblick Gesprochene ward endlich eitel leeres Geschwätz.“36 Auch wenn die personalen Träger der romantischen Bewegung hier nicht namentlich identifiziert werden, ist die Stoßrichtung von Arndts Polemik unverkennbar: Zu den „Jünglingen“, welche „die goldenen Keime herrlicher Früchte und Thaten so still und mächtig in sich trugen“ und in die „Gesellschaft von Weibern“ gerieten, gehören wohl jene Frühromantiker, die in den Salons von Henriette Herz und Rahel Varnhagen in Berlin verkehrten. Zu ihnen zählen neben dem Theologen Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher vor allem auch August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel, der hier seine spätere Ehefrau Dorothea Veit kennenlernte, sich intensiv mit Rhetorik beschäftigte und provokative Fragmente verfaßte – doch vor allem in seinen Anfangsjahren nur schwer zu systematischer Arbeit fand.37 34 35 36 37

Fahrner (wie 15), S. 54f. Alvermann (wie Anm. 14), S. 84f. Arndt (wie Anm. 24), S. 77f. Hervorhebungen im Original. Dagegen richtete sich auch Hegels Kritik an der romantischen Bewegung und namentlich an Friedrich Schlegel, der sich in Jena für Philosophie habilitiert hatte und dort eine Vorlesung zur Transzendentalphilosophie anbot, diese aber nach nur sechs Wochen aus Stoffmangel beenden musste. Die 1805/06 in Jena entstandene Phänomenologie des Geistes chiffriert Friedrich von Hardenberg als unglückliche „schöne Seele“, während Friedrich Schlegel als Über-

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Noch deutlicher wird Arndts kritisches Verhältnis zur Romantik in seinen Stellungnahmen zu Begriff und Verfahren der „inneren Anschauung“ – wobei er sich einer Kritik anschließt, die tiefgehende und überaus aufschlussreiche Wurzeln hat. Bei Arndt heißt es in einer explizit gegen intellektuelle Protagonisten seiner Gegenwart gerichteten Passage: „Ohne Arbeit und Studium, ohne durchwachte Nächte und fleißige Tage kömmt diesen durch bloßes Ideenspiel, durch die Klarheit und Reinheit innerer Anschauung alle Weisheit und Kunst, alle Wissenschaft und Erfahrung aus ihnen selbst. So werden sie durch einen großen Schlag, durch eine aufblitzende Wetterleuchtung des inneren Gemüthes in wenigen Stunden Aerzte und Naturkundige, Metaphysiker und Philosophen, Poeten und Seher, und können, wenn das perpetuum mobile dieses ästhetische und poetische Spiel einmal in Bewegung gesetzt hat, alle Götter und Geister damit bannen und lösen, wie sie wollen. Deswegen appellieren sie immer an diese innere Anschauung und Offenbarung, und schelten und zürnen, wenn man sie etwas genauer nach ihrem Wunderwesen fragt [...]“.38 Die Bedingungen und Konsequenzen dieser rhetorischen Ausfälle sind komplexer, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Denn sie verweisen auf eine Auseinandersetzung, die bereits im Mai 1796 eröffnet worden war, als Immanuel Kant in der Berlinischen Monatsschrift seine Schrift Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie veröffentlicht hatte. Der Königsberger Philosoph polemisierte hier gegen eine (vor allem von Johann Georg Schlosser und Friedrich Leopold Graf zu Stolberg präsentierte) Überzeugung, dass man nicht gedanklich arbeiten müsse, „sondern nur das Orakel in sich selbst anhören und genießen darf, um die ganze Weisheit, auf die es mit der Philosophie angesehen ist, von Grunde aus in seinen Besitz zu bringen“.39 Statt „von der Kritik ihres Erkenntnißvermögens zum dogmatischen Erkenntniß langsam und bedächtig fortzuschreiten“, beanspruchten die im „vornehmen Ton“ sprechenden „Schwärmer“ laut Kant „geniemäßig durch einen einzigen Scharfblick auf ihr Inneres alles das, was Fleiß nur immer verschaffen kann, und wohl noch mehr [...]“.40 Als historischen Anfang dieser gefährlichen Bewegung identifizierte Kant niemand geringeren als den „Akademiker“ Platon, der (ohne eigenes Verschulden) zum „Vater der Schwärmerei mit der Philosophie“ geworden sei und durch Abgrenzung von esoterischer und exoterischer Lehre zugleich einen exklusiven Zirkel von Eingeweihten gestiftet habe: „Wer sieht hier nicht den Mystagogen, der nicht bloß für sich selbst schwärmt, sondern zugleich Klubbist ist und, indem er zu seinen Adepten im Gegensatz von dem Volke (worunter alle Nichteingeweihte verstanden werden) spricht, mit seiner vorgeblichen

gang des Gewissens in das Böse und Vollendung des Bösen figuriert; siehe dazu noch immer Emmanuel Hirsch, Die Beisetzung der Romantik in Hegels Phänomenologie, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 2 (1924), S. 510–532. 38 Arndt (wie Anm. 25), S. 89f. 39 Immanuel Kant, Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie [1796], in: Kant’s gesammelte Schriften, hg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Abt. 1: Werke, Bd. VIII: Abhandlungen nach 1781, Berlin/Leipzig 1923, S. 387–406, hier S. 390. 40 Ebd., S. 390.

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Philosophie vornehm tut!“41 – Während Kants Warnungen vor einer schwärmerischen, durch „Klubbisten“ propagierten Philosophie sich gegen eine Praxis richtete, die den Zugang zu Wissensansprüchen einzuschränken bzw. an Dispositionen ihrer personalen Träger zu binden suchte, gingen andere Beobachter der zeitgenössischen Kultur weiter. Mit ähnlichen Argumenten wie später Arndt kritisierte auch der in Berlin wirkende Publizist Garlieb Helvig Merkel eine Kommunikationspraxis, die einen kollektiven Autorenzusammenhang zu schaffen sowie koordinierte Durchsetzungsstrategien zur Beherrschung des literarischen Marktes zu nutzen suchte.42 Vor dem Hintergrund der hier angedeuteten Konfliktlinien wird der vielbeschworene „Konservativismus“ des norddeutschen Publizisten deutlicher. Wie noch zu zeigen sein wird, teilte insbesondere der junge Arndt aufklärungs- und rationalitätskritische Vorstellungen der Romantik. In Bezug auf deren entgrenzende Konsequenzen aber blieb er einer intellektuellen Demarkationspolitik verhaftet, die klare Grenzen setzte und behauptete.43 Logik und Figuration von Demarkationslinien prägen auch seine Reiseberichte mit ihren topisch wiederkehrenden Inszenierungen von „Männlichkeit“, die Grenzziehungen (wieder) herstellen und behaupten.44 Diese bilden einen wesentlichen Grundstein für Arndts ambivalente Beziehung zum Generationsereignis „Romantik“ und zugleich für seine geschichtsphilosophischen und völkerpsychologischen Ideen. Ausgelöst und vorangetrieben werden sie durch kollektiv erfahrene Krisen der 41 Ebd., S. 398; Hervorhebungen im Original. Der Begriff „Klubbist“ weist Konnotationen auf, deren Reichweite an dieser Stelle nicht einmal angedeutet werden kann. Hier soll der Hinweis genügen, dass „Klubbs und Klubbisten“ insbesondere nach Ausbruch der Französischen Revolution als Zentren der koordinierten Rebellion galten; sie erschienen vor allem in den Artikeln und Pamphleten der gegenrevolutionären Propaganda als „Verschwörungsspelunken“, die die Eruption von 1789 vorbereitet hätten; so vor allem [Johann August Starck,] Der Triumph der Philosophie im Achtzehnten Jahrhunderte, Bd. II, Germantown [=Frankfurt/M.] 1803, hier S. 361. 42 Vgl. Garlieb Helvig Merkel, Briefe an ein Frauenzimmer über die neuesten Produkte der schönen Literatur in Teutschland, Berlin 1800, S. 114f.: „Der Geist des Zeitalters, dessen Hauptcharakterzug das Auflehnen gegen jedes Herkommen und jede Autorität ist, ging bei uns Deutschen aus der Philosophie in die schöne Literatur über. Ja, es bildete sich sogar ein Klub ästhetischer Maratisten, der alles Vorzüglich herabwürdigen, alles, seinen Schutzpatron ausgenommen, erniedrigen wollte, um dann allein zu glänzen, als erhabener Schöpfer des – Chaos. Er verfuhr so systematisch dabei, dass ihm seine Absicht ohne Zweifel gelungen seyn müßte, wenn das wahrhaft Schöne nicht unzerstörbar wäre – und das Publikum das fatale Lachen hätte lassen können. Es brach aus und wurde fast tödtlich, nicht dem Lachenden, sondern dem Belachten […].“ 43 Deutlich auch in den Einwänden gegen das romantische Projekt entgrenzter Subjektivität in Arndt (wie Anm. 25), S. 91f.: „Es liegt eine dumme Hoffart darin, zu meinen, daß jeder einzelne Mensch gleichsam die Allheit seines ganzen Geschlechts sein und darstellen könne; daß er zu gleicher Zeit Richter und Poet, Metaphysiker und Kontorist, ein tüchtiger Pflüger und ein großer Astronom sein könne, wenn er sich zu der Höhe der Idee aufzuschwingen wage, die aller Dinge Meisterin, Königin und Schöpferin werde.“ 44 Dazu prägnant Walter Erhart, Reisen durch das alte Europa – Ernst Moritz Arndts Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs und die Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts, in: Erhart / Koch (wie Anm. 20), S. 149–184.

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Ambivalenz, die auf je unterschiedliche Weise verarbeitet werden: Die „Unbestimmtheit“ einer Epoche, die nach Arndts Worten vor sich selbst „auf der Flucht ist“,45 setzt einerseits Beschleunigungs- und Entgrenzungsphantasien frei; sie ruft andererseits Bedürfnisse nach Grenzziehungen auf den Plan. Arndts Strategien der Demarkation sind mehrfach dimensioniert: Zum einen finden sich virilisierende Abgrenzungen von einem als „schwächlich“ und „weibisch“ disqualifizierten Zeitalter, dem Behauptungen von „Männlichkeit“ gegenübergestellt werden und die vor allem in der Zeit der antinapoleonischen Befreiungskriege identitätsstiftende Funktionen übernehmen.46 Zum anderen werden kulturhistorische und ideengeschichtliche Traditionen (auch ex negativo) konstruiert, die sich geschichtsphilosophisch begründen und völkerpsychologisch ausdeuten lassen – was im nachfolgenden Abschnitt zu beobachten ist.

2. Ideen Eine umfassende Rekonstruktion der geschichtsphilosophischen Überlegungen und völkerpsychologischen Spekulationen Arndts ist an dieser Stelle ebenso unmöglich wie eine Kartierung der zeitgenössischen Ansätze in Anthropologie und Historiographie, die als kontextuelle Rahmungen stets mitzubedenken sind.47 Deshalb empfiehlt sich ein Vorgehen, dass ausgewählte Problemstellungen und Texte thematisiert und sich vorrangig jenen Werken Arndts zuwendet, die im Jahrzehnt zwischen 1800 und 1810 entstanden und signifikante Berührungspunkte mit romantischen Projekten aufweisen. Einschlägig in diesem Zusammenhang ist ohne Zweifel neben seiner Dissertation aus dem Jahr 1800 – die Rousseaus Staatsvorstellungen kritisiert und die Annahme eines unverdorbenen Naturzustandes ebenso zurückweist wie abstrakte Gleichheitsideen – vor allem die bereits erwähnte Monographie Germanien und Europa, die eine Frucht von Arndts Lektüre- und Reiseerfahrungen darstellt und zugleich als eine der ersten ideellen Reaktionen auf den beginnenden Zerfall der alten Feudalordnung in Mitteleu45 Ernst Moritz Arndt, Geist der Zeit (1. Theil, Berlin 1806), hier zitiert nach: Meisner / Geerds (wie Anm. 13), Bd. 9, S. 49. 46 Dazu Karen Hagemann, „Mannlicher Muth und teutsche Ehre.“ Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der antinapoleonischen Kriege Preußens, Paderborn u. a. 2002. 47 Zu den geschichtsphilosophischen und staatstheoretischen Vorstellungen der Romantik vgl. noch immer Paul Kluckhohn, Persönlichkeit und Gemeinschaft. Studien zur Staatsauffassung der deutschen Romantik, Halle/S. 1925; Richard Samuel, Die poetische Staats- und Geschichtsauffassung des Friedrich von Hardenberg, Frankfurt/M. 1925; Jakob Baxa, Einführung in die romantische Staatswissenschaft, 2., erw. Auflage. Jena 1931. – An neueren Forschungen sind zu nennen Hermann Kurzke, Romantik und Konservatismus. Das ‚politische‘ Werk Friedrich von Hardenbergs (Novalis) im Horizont seiner Wirkungsgeschichte, München 1983; Ernst Behler, Unendliche Perfektibilität. Europäische Romantik und Französische Revolution, Paderborn u. a. 1989; Ethel Matala de Mazza, Der verfaßte Körper. Zum Projekt einer organischen Gemeinschaft in der Politischen Romantik, Freiburg i. Br. 1999. Zu den anthoropologischen Grundlagen jetzt umfassend Stefan Schweizer, Anthropologie der Romantik. Körper, Seele und Geist. Anthropologische Gottes-, Welt- und Menschenbilder der wissenschaftlichen Romantik, Paderborn u. a. 2008.

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ropa verbucht werden kann. Denn auch wenn das Heilige Römische Reich deutscher Nation im völkerrechtlichen Sinne noch existierte, war mit dem Frieden von Lunéville die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich besiegelt. Die geplante Verteilung der Entschädigungen unter Regie der auswärtigen Großmächte Frankreich und Russland demonstrierte den Verlust der Souveränität in einer Weise, die Arndt nachhaltig empörte.48 An dieser Stelle sollen weniger Arndts Versuche zur Bestimmung der „Naturgränzen“ Deutschlands nachgezeichnet werden, die aus der Verbindung von physischer Geographie und Sprachräumen ein von der „Nordecke des adriatischen Meeres“ bis zu „Nordmeer“ und Ostsee reichendes „Vaterland“ konstruieren.49 Auch die hier vorgenommenen Bestimmungen der später zentralen Begriffe „Volk“ und „Nation“ können nur gestreift werden.50 Von Interesse sind vielmehr die konstruktiven Verfahren und rhetorischen Figurationen seiner geschichtsphilosophischen und völkerpsychologischen Überlegungen, deren Wirkungen bis ins 20. Jahrhundert reichen und noch die Rezeption Arndts in der NS-Zeit bestimmen sollten – denn es war kein Zufall, dass Germanien und Europa zu einem zentralen Bezugstext der „biozentrischen Lebenswissenschaft deutscher Art“ avancierte sowie als Bestandteil einer „Kulturpolitischen Schriftenreihe“ 1940 durch Ernst Anrich wieder veröffentlicht wurde. Die Zielstellungen der 1803 in Altona publizierten Monographie Germanien und Europa wurden bereits genannt: Durch die kultur- und ideengeschichtliche Rekonstruktion der europäischen Entwicklung will Arndt die Konditionen aufzeigen, die mit Notwendigkeit zur Krisis seiner Gegenwart führten. Er will den jetzigen Zustand charakterisieren, der als historischer Wendepunkt aufgefasst wird. Und er will Mittel finden, die seine Zeitgenossen und ihre Zeit wieder in Übereinstimmung bringen sollen. Den Ausgangspunkt des so direkt in die aktuelle Lage eingreifenden Werkes bildet die Feststellung einer anthropologischen Grundlage, die auf heilsgeschichtliche Vorstellungen verzichtet und den Menschen als Einheit von „Leib“, „Geist“ und „Seele“ modelliert, um auf dieser Basis eine bilderreiche Verbindung von Fortschritts- und Verfallsgeschichte zu entfalten. Diese beginnt mit der Unterteilung von orientalischen und europäischen Entwicklungen: Einer von den Bedürfnissen des „Leibes“ diktierten Phase des bloßen Vegetierens sei die „Despotie“ gefolgt, die in den „ältesten Staaten, von denen wir nur etwas wissen, bei den Aegyptern, Hebräern, Phöniciern, Assyrern und Babyloniern“ zu „großen und rohen Werken“ geführt habe.51 Der hier erscheinende Geist „auf seiner untersten Stufe“ (S. 11) sei „grimmig und erbarmungslos“ gewesen; seine Götterschöpfungen „grausam und tückisch, auch bei Gelegenheit noch kindisch, wie er selbst“ (12). Mit der griechischen Kultur habe eine neue, „herrliche“ Epoche begonnen, die noch die Gegenwart bestimme: Hier erfahre nicht nur „Leib“ und „Geist“ eine Blüte, sondern auch die „Seele“ beginne, „in dem Menschen mit ihrem geheimen Feuerkessel zu sprudeln“ (S. 13). Diese erste Blütezeit der Menschheits48 Arndt (wie Anm. 1), S. 417. 49 Ebd., S. 410f. 50 Vgl. dazu nur knapp Thomas Stamm-Kuhlmann, Ernst Moritz Arndts Beitrag zur Definition der „Nation“, in: Erhart / Koch (wie Anm. 20), S. 17–30, hier S. 21–23. 51 Arndt (wie Anm. 1), S. 10. Nachfolgende Seitenangaben beziehen sich auf diese Ausgabe.

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geschichte habe freilich nur eine begrenzte Zeit angehalten, denn die Griechen hätten ihre Einsichten nicht in der „Mitte des ganzen Volkes zur bleibenden Erkenntniß hinabgerettet“ und ihre kulturellen Errungenschaften durch politische Differenzen sowie durch „übermäßige Verbindung mit fremden Völkern“ vernichtet (S. 15, 17). Nachdem die Römer die Ideen der Griechen zu einem „militärischen Despotismus“ (S. 20) pervertierten und zu „Eroberern“ geworden wären, habe die Anarchie der Völkerwanderungszeit zu „Gährung“ und „Verwesung“ geführt. Ergebnis sei ein folgeschweres Auseinandertreten von „Geist“ und „Seele“, deren Folgen noch die Gegenwart prägten: Unter der seelenlosen Herrschaft des Geistes wurde „der Mensch eine Maschine, bloß zum Nutzen brauchbar“; „schwer und kümmerlich“ gingen die Menschen unter der Herrschaft der Rationalität „durch ihr entgöttertes Leben“ (S. 24). Die isolierte „Seele“ habe sich in Melancholie und Schwermut oder in Rausch und Verzückung geflüchtet – mit pathologischen Folgen. In der Zeit zwischen dem zweiten und dem fünften nachchristlichen Jahrhundert entdeckt Arndt die tiefgreifendsten und folgenreichsten Verwerfungen der Menschheitsgeschichte und schildert sie in einer Weise, die ihm im 20. Jahrhundert den Beifall vor allem jener dezidiert rationalitätsfeindlichen Philosophen eintragen wird, die den „Geist“ als Widersacher der „Seele“ begreifen. Mit dem Satz „Denn nie sind die Menschen behexter gewesen als zu dieser Zeit; nie hat die menschliche Narrheit einen freieren Schwung gehabt, als damals“ (S. 26), steckt er die Eckpunkte eines Szenarios ab, das die Entstehung und Verbreitung des Christentums schildert und dessen zerstörerische Dimensionen freilegt. Im religiösen Synkretismus des östlichen Mittelmeerraumes entstanden, habe die christliche Religion das Erbe der hebräischen und orientalischen Kulturen angetreten. Es sei im spätrömischen Reich von „Fanatikern und Enthusiasten“ aufgenommen, durch Institutionalisierung aber in „Klügelei und Wortklauberei“ verkommen und schließlich mit fatalen Konsequenzen in den germanischen Norden exportiert worden: „So empfingen wir Germanier mit dem Christenthume den Orientalismus; den Hellenismus hätten wir haben sollen: der war der Bildungssame des Abendlandes, wenn es einen fremden haben mußte; aber er lag mit seinen Denkmalen und Pergamentrollen schon in Schutt und Staube, und hatte auch da, wo man noch mit ihm spielte, das Leben verloren. Der Orientalismus hat unsern Sprachen und Sitten vielen Schaden gethan; dunklere Gemüther und unbändigere Leidenschaften der heisseren Länder müssen vielleicht so eine Sprache und solche Sitte behalten, weil sie mehr Druck ertragen können und mehr Elasticität haben; unsre Sprödigkeit kann nur durch Klarheit und Freiheit in beiden zur Humanität gemildert werden.“ (S. 31; Hervorhebung im Original.) Historische Belege für die verhängnisvollen Folgen eines so behaupteten Kulturund Religionstransfers, der die „Ceremonien und Mysterien Aegyptens, seine hirnverbrannten Einsiedler und Höhlenbewohner“ in „unsere Schnee- und Sturmlande“ überführt habe, erbringt Arndt nicht. Vielmehr will er seine Behauptungen „menschlich und klimatisch beweisen“ (S. 32) und führt dazu eine Fülle von Hinweisen auf die fatalen Konsequenzen der Christianisierung des germanischen Nordens an. Sie münden in die Formulierung einer Priestertrug-Theorie, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt: „Priesterthum“ und römisch-katholische „Hierarchie“ hätten es geschafft, „eine fast allgemeine Herrschaft über Europa und einen großen Theil Asiens zu erringen, und zwar eine Herrschaft des bloßen Wahns, die bleibender zu werden drohte,

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als noch je eine gewesen war“ (S. 37). Mittel dazu sei eine Usurpation des „Geistes“ und der „Seele“, deren „Deutung und Gestalt“ die „abendländischen Priester erst unschuldig im Glauben, nachher schuldig im Klügeln für ihren bestimmten Zweck, nemlich für das Herrschen“ übernommen hätten (S. 38). Die Resultate dieser Instrumentalisierung geistiger und seelischer Gehalte benennt Arndt ebenso prägnant: Die Scholastik, „Geburt des durch das Christenthum eingeschüchterten und eingeschulten Geistes“, habe in den mehr als sechs Jahrhunderten ihrer Herrschaft als die „schlimmste Unterdrückerin und Auslöscherin aller menschlichen Kraft“ gewütet (S. 41); die Mystik („das Schönste und Höchste der menschlichen Natur, die Kraft und das Feuer der menschlichen Natur“) sei „mit allem Häßlichen ihrer Verdrehung und der Priesterschlauheit eng verflochten“; auch die Reformation als Befreiung von den Ketten der römischen Kirche sei „in Grimm und Haß“ aufgegangen (S. 52). Verbunden und gesteigert werden diese Ausfälle gegen das institutionalisierte Christentum mit Oppositionskonstruktionen, die Anteil und Beschaffenheit von „Geist“ und „Seele“ in verschiedenen Völkern bestimmen und den „oberflächlichen“ romanischen Völkern das Kollektivsubjekt der „Teutschen“ und „Nordländer“ gegenüberstellt, das „wie die schwarzen Tiefen und Höhen seiner Seen und Wälder, so auch das Dunkele und Tiefe des Gemüths liebt“ (S. 59).52 Ihren Kulminationspunkt finden diese Polaritätskonstruktionen in wortreichen Angriffen gegen den aus Frankreich kommenden „esprit“, der vom „Graden, „Knapp-fortschreitenden“ und „Ungeflochtenen“ des deutschen Geistes abgegrenzt und mit einer Fülle von pejorativen Bestimmungen bedacht wird. Beschränkt sich „esprit“ auf oberflächliche Wirkungen – „denn nur die Schale zu schmücken und den Schein liebenswürdig zu machen, ist sein Werk“ (S. 70)53 – will der „Geist“ beschränkende Rahmen überschreiten: „Fliegen und Sausen ist sein Element“ (S. 70).54 Doch seine Verabsolutierung in der Aufklärung habe zum 52 Vgl. dazu bezeichnend S. 60: „Obgleich z. B. die Teutschen mit dem Geist allein, wie die andern Völker, die Felder des Grübelns und Wissens auszumessen gemeint hatten, und in Manchem, was bloßes Wissen betrifft, nicht weit hinter ihren Nachbarn zurückgeblieben waren, so zeigte sich doch auch jetzt schon die Richtung, die dieses Volk mit den anderen Nordländern mehr zu der Tiefe hat; sie konnten es doch nie ganz vergessen, daß sie außer dem Geist eine Seele hatten, und daß diese Seele, so verrückt und verwahrloset sie auch war, doch ihre eigenen Bedürfnisse hatte, die auch sie nicht ganz vergessen konnte.“ 53 Fortgeführt werden diese Zuschreibungen in der Analogisierung von Sprache und „Volkscharakter“ S. 359f.: „Die französische Sprache, die zu einer ausserordentlichen Glätte und Volubilität verarbeitet ist, hat auch keinen anderen Vorzug, als diese beiden: sie ist gleichsam ein Fortgleiten über die Oberfläche des Lebens, und verkündigt auch nichts Tieferes, als ein leichtes Berühren und Hin- und Herspringen [...]. Trägt sie nicht den Karakter eines tändelnden Volks, den Karakter des Unsteten und Rastlosen, das ohne Pein keinen Augenblick auf Einer Stelle bleiben mag? Wenn man nach der Sprache richten kann, so ist kein Volk weniger ruhig, keins so leidenschaftlich, keins also für eine ruhige, männliche Verfassung weniger gemacht als die Franzosen.“ 54 Zugleich erkennt Arndt durchaus auch die analytischen Funktionen eines rationalen Weltverhaltens: Der im 18. Jahrhundert zur höchsten Entfaltung gelangte „Geist“ habe „die Ordnung, die Absonderung, die Zurechtstellung der Dinge“ so durchgehend wie nur möglich betrieben: „Ohne Mitleid riß der Geist die Welt in allen ihren Gliedern auseinander, und

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Verlust von Kunst und Religion geführt: Die anatomische und zerstückelnde Arbeit der Kritik zerstörte vormalige Ganzheiten und unterjochte mit den Prinzip der Nützlichkeit auch Wissenschaft und Kunst; seine Imperative Zweckmäßigkeit und Ordnung beherrschen nun die Menschen und Völker. Zu einer sichtbaren und besonders verwerflichen Form der Verbindung von zersetzender Aufklärung und romanischem „esprit“ kam es durch die Ausbildung schnell wechselnder Sitten und Moden. Sie ergriffen nicht nur den einzelnen Bürger, sondern auch Staaten und Regierungen. Damit war das Gefühl der Zusammengehörigkeit zu einem Volksganzen endgültig verloren. Subordination wurde zum einzigen Bindungselement zwischen den Menschen. Arndt benennt aber nicht nur die Folgen einer einseitigen Herrschaft des „Geistes“ in der Aufklärung und spart dabei nicht an harten Worten gegen die davon geleiteten Regenten wie Friedrich II. in Preußen und Joseph II. in Österreich. Ebenso direkt geht er mit den Versuchen zur Restitution der „Seele“ ins Gericht und erkennt in der katholischen Reformbewegung um Cornelius Jansen sowie in Schwärmern wie Jakob Böhme und Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, Emmanuel Swedenborg und Johann Kaspar Lavater einseitige Reaktionen auf einen Rationalismus, der in der Philosophie Kants und dem zwischen 1777 und 1790 dominierenden „schlimmsten Atheismus“ seinen Gipfel gefunden hatte.55 Als ebenso fehlgehende Folge der Aufklärung bestimmt er die bereits in der Dissertation kritisierten Ideen von Jean Jacques Rousseau, die das deutsche Volk deshalb so heftig ergriffen, weil es die tiefen und gegensätzlichen Strömungen seiner Gedankenwelt an und in sich erlebt hatten. Da aber kein einheitlicher „Volkskörper“ vorhanden gewesen sei, blieben die Vorstellungen des Genfers ohne politische Folgen; dagegen versuchte man seine Erziehungsgrundsätze zu verwirklichen – freilich durch eine rationalistische Pädagogik, die in Philantropinen und Erziehungsanstalten alle Anstrengungen darauf richtete, „Kindern früh die Vernunft aufzuklären; Aufklärung, Aufklärung waren die ewigen Klänge jener Epoche“ (S. 126). Den fatalen Höhe- und Endpunkt der bisherigen Verstandesherrschaft erkennt Arndt schließlich in der Französischen Revolution. Seit 1791 hätten die intellektuellen Initiatoren des Umschwungs die staatliche Wirklichkeit nach den abstrakten philosophischen Ideen Montesquieus und Rousseaus modellieren und dabei den Begriff des anatomirte in der Freude des Wissens und Klügelns diese blutigen und zuckenden Glieder.“ (S. 74) Ebenso treffend erkennt er die Disziplinierungsmaßnahmen im Jahrhundert der Aufklärung: „Hohe Rechtlichkeit, aber Erbitterung bei den Individuen, die das Beßte wollten, Klarheit in der Ergreifung und Begreifung des Einzelnen, und treffliche Anordnung und Disciplinierung dieses Einzelnen, ist ihr Karakter, Nützlichkeit und Brauchbarkeit ihr äußerstes Ziel, Legalität ihre höchste Tugend.“ (S. 79) 55 Dazu die drastischen Formulierungen und das persönliche Bekenntnis S. 130f.: „Nie ist wohl mehr Atheismus in der Welt gewesen, als von 1777 bis 1790, von dem ersten Palast und der ersten Hure der Weltbeherrscherin Paris bis zur ärmlichsten Hütte und zum schmutzigsten Kohlengräber in Teutschland; denn die Träumerei, als habe man Gott allein im Begriffe, war ja auch Atheismus, und zwar der schlimmste, denn er konnte nie ins Leben und in das Schicksal übergehen; dieser geistige Gott konnte nicht als Gestalt mit dem Menschen im Glück und Unglück stehen und des Herzens Größe bewähren, sondern flog gefühllos und selig dort oben, während jener unten ächzte und unterging. Auch diese Epoche war die meinige. Ich betete als Knabe mit Inbrunst und spottete als Jüngling mit Frechheit.“

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„vollkommensten Staates“ gegen die physischen und rechtlichen Grundlagen eines historisch gewachsenen Gemeinwesens durchsetzen wollen.56 Die Konsequenzen der augenblicklichen und erzwungenen Realisierung philosophischer Ideen waren verheerend: „Die jetzt schon den vollkommensten Staat der Idee wollten, bauten für sich und ganz Frankreich ein blutiges Schafot.“ (sic, S. 216). Kennzeichnend für die „Teufelei des transcendirenden Geistes“ sei das Auseinandertreten von postulierten Idealen und mörderischen Taten: Während man öffentlich die Phrasen einer allumfassenden Humanität proklamierte, herrschte der fanatische Geist der brutalen Unterdrückung von Andersdenkenden. Unter pathetischen Predigten einer religionslosen Moral mit den Zentralideen „Freiheit“ und „Vaterland“ wurden die Blutbäder von Lyon, Nantes, Bordeaux veranstaltet. Der Despotismus des seit 1799 regierenden Napoleon Bonaparte demonstrierte schließlich endgültig die Herrschaft egoistisch-rationaler Interessen und nationaler Ruhmsucht, die in den Bestrebungen nach Herstellung vermeintlicher „Naturgrenzen“ (Rhein, Jura, Alpen) ihren imperialen Ausdruck gefunden habe.57 – Gegen eine solche Verwirklichung vormaliger Gleichheitsideale postuliert Arndt das Ideal einer auf „organischen“ Gesetzen gegründeten Staatsidee, die allerdings noch einer souveränen Basis bedürfe. In dezidierter Opposition zu einer (von französischen Publizisten verbreiteten und auch von Klassikern und Romantikern geteilten) Ansicht über Deutschlands vermeintlich kosmopolitische Bestimmung, die eine Zusammenfassung zu staatlicher Einheit nicht benötige, setzt Arndt sein Bekenntnis zu einem organischen Staatsaufbau im Zeichen politischer Vereinigung: „Nur wenn wir ein Vaterland, wenn wir die hochmenschlichen und hochpolitischen Ideen eines eigenen, einigen, kräftigen Volkes hätten, würden wir stehende Sitten, festen Charakter und Kunstgestalt gewinnen; dann nur könnte das Höchste und Herrlichste der Menschheit aus solchen irdischen Wurzeln zu schimmernden Sonnenwipfeln emporsteigen.“ (S. 429) Begründet wird dieses hier nur knapp nachgezeichnete Panorama der europäischen Geistes- und Kulturentwicklung von geschichtsphilosophischen Fundamenten, die Arndts Schrift Germanien und Europa schließlich auch explizit („kurz und bündig und jedem Menschen verständlich“, S. 252) formuliert. Danach steht eine harmonisch gegliederte „Natur“ dem „Chaos“ gegenüber; sie bildet eine Schöpfung mit Maß und Ordnung. Diesen Zustand der natürlichen Ordnung erlebt der Mensch zunächst ohne Erfahrung von Negativität und Mangel; doch hat er – im Gegensatz zu anderen Lebewesen, die ihre Stellung im Weltganzen gleichsam unbewusst einnehmen – seine Position und sein Maß selbst zu bestimmen. Damit ist eine wesentliche Differenz zu Rous56 Vgl. ebd., S. 216: „Die Franzosen wollten alle Grundsätze eines Rousseau, Hume, Montesquieu, die einst gegolten hatten, oder hätten gelten können, auch in ihrer neuen Republik anbringen, und meinten, aus ihnen müsse sogleich der freieste und glücklichste Staat auf Erden herauskommen; so wenig wussten sie, wie Staaten gebildet und gehalten werden. Dies war eben die Teufelei des transcendirenden Geistes, der den Leib der Erde überfliegt, und alles aus Begriffen machen will, worin er zuerst alles zerschneidet. Denn das Gute wollen, was in der Zeit, worin man lebt, stehen kann, das ist Weisheit und Patriotismus.“ 57 Während die Alpen eine von Arndt akzeptierte Grenze Frankreichs bilden, sei der Anspruch auf den Rhein nicht gerechtfertigt: „Das Land, was jetzt Teutschland heißt, muß den Rhein allein besitzen, und das Meer zu beiden Seiten des Rheins als seine Naturgrenze.“

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seaus Idee des „natürlichen Menschen“ gezogen: Gegen dessen Modell einer harm- und gedankenlosen Kreatur, die das Leben und den Tod nur fühlt und nicht kennt, bestimmt Arndt die permanente Veränderung auf der Grundlage suchender Reflexion als zentrales Prinzip. Ständige Veränderung und Streben nach Vervollkommnung dirigieren das Individuum, das „Besitz“ als Mittel und Ziel des Lebensgenusses auffasst und sich mit anderen Individuen verbindet, um diesen Besitz zu schützen. „Besitz“ und „Staat“ sind nach Arndt also gleichursprüngliche Institutionen gesellschaftlicher Ordnung, die zugleich die Einschränkung persönlichen Willens garantieren: Denn der Mensch bedarf der Schonung und muß also schonen; der Staat gibt die Bestimmungen des „Schonungsmaßes“ – die Gesetze – und schafft gleichzeitig den Zwang, sie einzuhalten in Form von Gewalten. So entstehen Gesetze für die Abwehr äußerer und innerer Feinde. Diese werden durch die „Weisesten“ des Volkes gemacht – doch nicht durch das gesamte Volk in allen seinen Gliederungen, sondern durch eine repräsentative „Idee“ des Volkes: indem die Gesetzgeber im Gedächtnis bewahren, „was diese größere Menschenmasse eigentlich wollte, als sie mit mancher Aufopferung in den Staat trat“ (S. 275). Die organologischen Grundlagen und Konsequenzen dieser Vorstellungen gewinnen im Fortgang der Argumentation an Klarheit. Nach Arndt gibt es in den ersten Staatsgründungen keine anderen Gesetze als solche, „die die Sicherheit des Lebens und des Besitzes eines jeden Bürgers angehen“ (S. 276) und kein anderes Recht der ausübenden Gewalt „als die Bürger zu bewaffnen gegen fremde Gewalt, sie durch das Gesetz zu schützen gegen einheimische“ (S. 277). Diese von ihm als „organisch“ bezeichneten, auf dem Grund gleichsam natürlicher Verhältnisse errichteten Ordnungsprinzipien des sozialen Lebens bilden noch in der Gegenwart das Fundament gesellschaftlichen Zusammenlebens; sämtliche weiteren Versuche zur Stiftung staatlicher Grundlagen seien künstliche Gebilde und verdunkelten nur die klaren und einfachen Bestimmungen der ursprünglichen Gemeinschaft und ihrer „organischen Gesetze“. Damit aber verfallen die angeblich göttlichen Rechte von Priestern und Regenten ebenso der Kritik wie die durch fortschreitende Arbeitsteilung und rechtliche Normen erreichten Differenzierungsgewinne: Alle über das ursprüngliche Prinzip der Selbsterhaltung hinausgehenden Regeln und Gesetze sind nach Arndt nur Mittel und Suggestionen, um die durch „Geist“ und Verstand unterminierten Fundamente von Sozietät zu ersetzen. Gesetze und Verordnungen erscheinen fälschlich als überzeitlich gültige Normen, obwohl sie doch eigentlich temporär und situationsabhängig entstanden.58 Die Folge der sich beständig vermehrenden Regulierungen sei ein fortschreitender Freiheitsverlust: Während die Einzelindividuen auf einen Teil ihrer Unabhängigkeit und Willkür (notwendigerweise) verzichten, um – wie schon von Thomas Hobbes im Leviathan erläutert – dafür eine größere Sicherheit für die Gesamtheit einzutauschen, for58 Vgl. ebd., S. 284: „Man musste, als das Maaß einmal verloren war, tausend Stützen zur Seite anbringen, weil die Grundbalken und Tragepfeiler dahin waren. Gesetze für die Religion, für die Sitten, für das Hauswesen, ja für Kleider und Schuh, wurden mit jenen ersten Grundgesetzen für gleich geachtet; Polizeieinrichtungen, Anordnungen, die bloß zeitlich seyn sollten, für einen bestimmten Fall, der aufhören konnte, wurden zu ersten Gesetzen für einen Staat, den man ewig denken muß bei seiner Organisation.“

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dern Staaten und Regierungen wachsende Opfer von ihren Bürgern bzw. ihren Untertanen. Die bedrohlichen Prozesse einer so fortschreitenden Entfremdung des Menschen von „Leib“ und „Erde“ erkennt Arndt nicht nur in den Theokratien der frühen Hochkulturen, die auf angeblich gottgegebenen Gesetzen beruhte, sondern auch in den weltabgewandten Doktrinen von Christentum und Aufklärung. Schlusspunkt sei eine in der Gegenwart und auch von ihm selbst erfahrene Dissoziation, die den revolutionären Terror in Frankreich erst möglich gemacht hatte: „Ich habe gesehen und an mir selbst erfahren, wie die meisten Menschen, selbst die, welche regieren und Gesetze geben sollten und wollten, allen Erdenverstand verloren haben, und wie die meisten zwischen Himmel und Erde schwebend, weder in dem einen noch auf der anderen fest stehen. Ich habe gesehen, wie die geistigen Ideen vom Staat zusammen mit der geistigen Körperlosigkeit und Schwäche der Menschen in Frankreich Narrheiten und Abscheulichkeiten erzeugt haben.“ (S. 300f.) Gegen die Aufhebung der Wirklichkeit in bodenlose Spekulationen fordert Arndt die Rückkehr zu den ursprünglichen Gesetzen der Selbsterhaltung. Wenn Bildung und Verstand, Staat und Gesetz wieder an die ursprünglichen „organischen“ Zusammenhänge gebunden werden, ist eine Einheit möglich, die sowohl „Geist“ als auch „Erde“ in ihre ursprünglichen und fruchtbaren Wechselbeziehungen einsetzen: „Der Geist wird sich dann der wieder erneuerten Weltgestalt freuen; er wird dann einen festen Punkt auf Erden haben, wogegen er seine ätherischen Schöpfungen treiben kann; er wird diese Erde lieb gewinnen, die er nach einer nothwendigen Menschenbildung hat entgöttern helfen müssen. Zur Einsicht bringen wird er das, was die Menschen auf Erden am festesten halten sollen, und durch das Orakelfragen des Geistes werden sie es nicht mehr verlieren können; so wird einst die irdische Nothwendigkeit nach ihren festen Gesetzen, die man dann nicht mehr unheilig oder kleinlich halten kann, auf Erden regieren, und aus solchem Keim wird sich dem Menschen auch über der Erde sein schönerer Himmel bilden.“ (S. 303) Fragt man nach den Beweggründen und Motivationen dieses geschichtsphilosophischen Entwurfs und seiner Heilsversprechen, sind zuerst einmal die Momente herauszuheben, die an intellektuellen und wissenschaftlichen Bildungselementen der Zeit partizipieren und sie auf eigenständige Art verknüpfen. Der Greifswalder Privatdozent entwickelt ein dezidiert diesseitiges Panorama der Menschheitsentwicklung, das ohne Vorstellungen von providentieller Lenkung und göttlichem Heilsplan auskommt. Es verbindet ein von der Aufklärung und ihrem Perfektibilitätskonzept geprägtes Entwicklungs- und Fortschrittsszenario mit zentralen Topoi der romantischen Rationalitätskritik und Elementen einer Krisen- und Verfallsgeschichte, um die aus den Fugen geratene (moderne) Welt zu erklären und restaurative Therapievorschläge zu unterbreiten. Die Verbindungen zu romantischen Diagnosen liegen auf der Hand: Wie Friedrich von Hardenberg und Friedrich Schlegel erkennt auch Ernst Moritz Arndt in einer verabsolutierten und zur Mode verflachten Aufklärung den Endpunkt einer Entwicklung des „Geistes“, dessen Prinzip der fortschreitenden Differenzierung sowohl die Beziehungen zwischen Mensch und Natur als auch zwischen Individuum und Gemeinschaft aufgelöst habe. Und wie die romantischen Entwürfe zur Restitution der in der Moderne verloren gegangenen Ganzheit zielen auch Arndts Überlegungen auf eine Rückkehr zu gleichsam natürlichen, „organischen“ Formen – letztlich also auf Komplexität

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reduzierende Operationen der Demarkation, die den Prozessen der Ausdifferenzierung und Spezialisierung von Wertsphären vermeintlich natürliche und verständliche Grenzen entgegen setzen. Seine Gedankengänge gewinnen freilich besondere Qualitäten. Zum einen unterscheiden sich Arndts Überlegungen schon in Anlage und Argumentation von den oftmals fragmentarischen und ästhetisch modellierten Interventionen namentlich der frühen Romantiker, die ihre Kritik an Aufklärung und zersetzender Rationalität nicht ausschließlich, aber doch auffallend häufig in der Form von Märchen und Parabeln vortragen (wie beispielsweise Friedrich von Hardenberg im „ächtsinnbildlichen Naturroman“ Die Lehrlinge zu Sais und im Klingsohr-Märchen des unvollendet gebliebenen „Anti-Meisters“ Heinrich von Ofterdingen). In diesem Zusammenhang verdient die von Arndt begrifflich entfaltete Trias „Leib“, „Geist“, „Seele“ besondere Aufmerksamkeit: Sie schlägt begriffliche Brücken zu anthropologischen Entwürfen des 18. Jahrhunderts und stiftet zugleich die Grundlagen für Argumentationen, die in den wechselnden Verhältnissen zwischen den Gliedern dieser Trias die determinierenden Vektoren eines kulturhistorischen Prozesses entdecken. Zum anderen fallen die Konsequenzen seiner Überlegungen anders aus. Arndts Deutungen des Geschichtsprozesses münden nicht nur in vehement vorgetragene Angriffe auf die christliche Religion, deren katholische Variante für verschiedene Frühromantiker gerade attraktiv geworden war und in Hardenbergs (auf Goethes Ratschlag erst einmal ungedruckt bleibender) Rede Die Christenheit oder Europa eine gleichfalls geschichtsphilosophisch begründete Renaissance erlebt hatte. Arndts Szenario motiviert auch scharf gezogene Trennungen zwischen romanisch-französischem „esprit“ und germanisch-deutschem „Geist“ – und damit Separationen, die im 20. Jahrhundert eine noch zu bezeichnende Karriere machen wird. Im Verbund mit expliziten Verlautbarungen über die Schädlichkeit der Völkervermischung und Zuschreibungen an die Adresse der eigenen Nation grundieren sie Vorstellungen von einer nordischen Superiorität, an die später gleichfalls in fataler Weise angeschlossen werden kann. Sie erfahren ihre Fortführung und Steigerung in jenen Aussagen, die das staatlich nicht existente Deutschland nur wenige Jahre nach der Veröffentlichung von Germanien und Europa zum „Nabel der europäischen Erde“59 erklären und seine Einwohner mit besonderen Attributen ausstatten: Als „unsterbliches Volk in der Geschichte“ würden die Deutschen das Erbe der von Tacitus beschriebenen Stämme antreten; sie verkörpertem mit Treue, Sittsamkeit, Enthaltsamkeit, Tapferkeit, Bescheidenheit alle jene positiven Eigenschaften, die das Nachbarvolk im Westen nicht besitzen würde.60 Auf Logik und Rhetorik dieser Projektionen – die voraussetzungsreicher sind als ihre Wendungen es vermuten lassen – kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Hier soll allein der Hinweis genügen, dass die Konstruktionen eines deutschen Nationalcharakters auf homogenisierenden und evaluierenden Zuschreibungen beruhen, die ihre vermeintliche Überzeugungskraft durch Abgrenzung von anderen Natio-

59 Arndt, Geist der Zeit II (wie Anm. 13), S. 88. 60 Ebd., S. 93.

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nen und den ihnen attestierten Qualitäten gewinnen.61 Die auffällige Vehemenz der Angriffe Arndts bleibt dennoch erklärungsbedürftig. Möglicherweise waren es die während seiner Wanderungen erlebten Begegnungen, die im Verbund mit den Erfahrungen nach den militärischen Niederlagen zu nachhaltiger emotionaler Bewertung und rhetorisch maximierter Stigmatisierung eines vermeintlichen Kollektivsubjektes führen. Hatte der Beobachter des französischen Volkes anfänglich noch „sein Liebenswürdiges und Leichtes wie sein Trügerisches und Lügenhaftes“ registriert (und ihm die „zertretenen und geschändeten Trümmer der alten deutschen Herrlichkeit“ gegenübergestellt),62 überkommt ihn angesichts der „herrischen Gestalt“ Napoleons nach der Schlacht von Marengo ein „unbewußtes Grauen“,63 das schließlich in einen über den individuellen Repräsentanten hinausgehenden Hass gegen das ganze Volk mündet: „Es war nicht allein Napoleon, nicht der listige, geschlossene, höhnische, in dem Lande, wo Honig Gift ist, geborne Korse, auf welchen die Lügenhaften später, als auf ihren großen Sündenbock allen Zorn Europas hinzuhetzen gesucht haben, den ich zornig haßte, den ich am meisten haßte – sie waren es, die Franzosen, die Trügerischen, Übermütigen, Habsüchtigen, die hinterlistigen und treulosen Reichsfeinde seit Jahrhunderten – sie haßte ich im ganzen Zorn, mein Vaterland erkannte und liebte ich nun im ganzen Zorn und in ganzer Liebe.“64 Die Überzeugung von einer stammesspezifischen Differenz zwischen germanischdeutschem Charakter und romanischem Wesen wird Arndt behalten und weiter ausgestalten. Noch in der 1846 in Leipzig veröffentlichten Edition Grundgesetz der Natur von Diderot nebst einer Zugabe von E. M. Arndt heißt es explizit: „Der galische oder wälsche Stamm wird nun von dem ernsten und schweren Nordländer, von dem Germanen und Gothen, von jeher als das Volk des Leichtsinns und der Üppigkeit gezeichnet. Mag diese Zeichnung in dem allgemeinen Umriß nur den Gegensatz des Leichten, 61 Zu den um 1800 neucodierten Nationalstereotypen vgl. jetzt Ruth Florack, Tiefsinnige Deutsche, frivole Franzosen. Nationale Stereotypen in deutscher und französischer Literatur. Stuttgart, Weimar 2001. 62 Arndt (wie Anm. 2), S. 90 „Ich hatte endlich das Volk selbst gesehen, und sein Liebenswürdiges und Leichtes wie sein Trügerisches und Lügenhaftes war mir kein Geheimnis geblieben. Ich war durch Belgien und längs dem Rhein langsam ins Vaterland zurückgezogen, hatte mich in Brüssel, Aachen, Köln, Koblenz und Mainz aufgehalten und allenthalben die von jenem übermütigen Volke zertretenen und geschändeten Trümmer der alten deutschen Herrlichkeit gesehen.“ 63 Ebd., S. 91: „Napoleon war einige Tage nach meiner Abreise von Paris aus Agypten zurückgekommen. Ich sah die herrische Gestalt der Zeit sich schwingen und fortschwingen, folgte seinen Listen, seinen Schlachten, seinen Weltklängen und Faustgriffen. Begriff ich ihn schon klar? Ich weiß nicht; aber nach der Schlacht von Marengo wandelte mich ein Grauen an vor dieser Gestalt, vor dieser von so vielen und von so hohen Menschen vergötterten Gestalt: es schien ein unbewußtes Grauen vor dem Jammer der nächsten zehn Jahre zu sein. Der Zorn aber, ein Zorn, der bei der deutschen und europäischen Schmach oft ein Grimm ward, kam mit dem Frieden von Luneville und mit den schimpflichen Verhandlungen und Vermäkelungen, worin Talleyrand und Maret des Vaterlandes Los und Lose ausschnitten und ausfeilschten.“ 64 Ebd., S. 92.

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Lustigen und Anmuthigen gegen den schweren und trüben Norden bedeuten und ausdrücken sollen, der Deutsche hat von jeher von wälscher Liederlichkeit zu erzählen gewußt, und in jenem achtzehnten Jahrhundert, wo sie angefangen hatte, sich fester bei ihm einzunisten, hatte er davon nicht nur zu erzählen sondern darüber zu klagen.“65 Es wäre jedoch vorschnell und kurzschlüssig, wollte man Arndts geschichtsphilosophische Überlegungen und seine Polaritätskonstruktionen von deutsch-germanischer „Tiefe“ und romanischer „Frivolität“ allein als eine extreme Reaktion auf die politischen Ereignisse nach dem Friedensschluss von Lunéville erklären.66 Neben den bereits erwähnten ideengeschichtlichen Einflüssen ist es vor allem auch das in seinen Lebenserinnerungen thematisierte persönliche Beharrungsvermögen, das Arndt an frühzeitig erworbenen Überzeugungen und Werten festhalten ließ.67 Wesentliches Kennzeichen der nicht nur von ihm entwickelten Vorstellungen einer erneuerten Einheit von „Leib“, „Geist“, „Seele“ in einer monarchischen Staatsform bleibt das – später als quietistisch disqualifizierte – Beharren auf organischen und also gleichsam naturhaft gewachsenen Qualitäten, was sich in spezifischen Gedankenfiguren und Metaphernprägungen niederschlägt: Schon Friedrich von Hardenberg hatte in seiner Fragmentsammlung Glauben und Liebe oder der König und die Königin, die 1798 in den Jahrbüchern der preußischen Monarchie erschien, den Staat als „Familie“ umschrieben. Arndts Projektionen eines wieder an die „Erde“ gebundenen „Geistes“ beschwören in fortgesetzter Rede die Rückkehr zu ursprünglichen „organischen Gesetzen“ als „Keim“ einer restituierten Harmonie; der Begründer der historischen Rechtsschule Friedrich Carl von Savigny entwickelt schließlich ein „System letzter Werthaltungen des Lebendigen und Eigentümlichen, des Organischen und Mannigfaltigen, Naturgemäßen und Echten, Ursprünglichen und Sittlich-Beharrlichen, des Altertümlichen und Ehrwürdigen, Freigewachsenen und Historisch-Gewordenen, Volkstümlichen, Nationalen, Sinnlich 65 Grundgesetz (wie Anm. 31), S. 193. 66 So etwa Rolf Weber in seiner Einleitung zu Ernst Moritz Arndt: Erinnerungen 1769–1851, Berlin 1988, S. 19: „Im Endstadium des Zerfalls des alten Deutschen Reiches fand Arndt zu seinem Selbstverständnis als Deutscher. Diese Wandlung vom kosmopolitisch eingestellten, schwedisch gesinnten Staatsbürger zum deutschen Patrioten vollzog sich, als nach der militärischen Ausschaltung Österreichs und Rußlands im dritten Koalitionskrieg abzusehen war, daß alle deutschen Staaten das Schicksal ereilen würde, Opfer der französischen Hegemonialpolitik zu werden.“ 67 Arndt (wie Anm. 2), S. 86f.: „Mit Recht betrachtet man den Anfang der französischen Umwälzung als den Punkt des Übergangs der sinnlich sentimentalen und ästhetischen Epoche zu der überschwänglich philosophischen und politischen, und als den Beginn des Erlöschens oder doch Untertauchens aller andern Gefühle und Ansichten. Aber in einem gewissen Sinn hatten sich bei mir doch schon viel früher, schon im Knabenalter manche eigentümliche und einseitige Ansichten festgesetzt, welche noch jetzt bei meinem schneeweißen Kopf oft besserer Warnung und Einsicht nicht weichen wollen. Ich hatte als kleiner Junge, als Zeitungsvorleser und Chronikenleser zwischen meinem neunten und zwölften Jahre schon gewisse politische Verhärtungen und Versteifungen. Ich brauche diese Worte absichtlich, weil ich die Sache als Fehler in mir erkannt habe. Ich bin von jeher vielleicht ein übertriebener Königischer (Royalist) gewesen. Ich glaube, ich bin es geworden, wie die meisten Menschen ganz unbewußt etwas werden durch die ersten Gewöhnungen des frühen Alters.“

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Kräftigen und Anschaulichen, Besonnenen und Unwirren, eine Harmonie der Teile mit dem Ganzen, des Gehaltes mit der Form“.68 Zugleich – und das macht eine weitere Wurzel von Arndts geschichtsphilosophischen Interventionen aus – partizipiert der von der Insel Rügen stammende Historiker und Publizist Arndt von jenen bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzenden Bewegungen, die gegen wort- und geistreiche Behauptungen des Allgemeinen und Universalen den Wert des Partikularen und Besonderen verteidigen. Wie schon Ernst August von Göchhausen – der 1786 eine heftig diskutierte Enthüllung des Systems der Weltbürgerrepublik vorlegt und damit zu einem Stammvater des deutschen konservativen Denkens wird – sowie Edmund Burke und sein Übersetzer Friedrich von Gentz wendet sich auch Arndt vehement gegen einen „Kosmopolitismus“, der als rationalistisch propagierte „Liebe des Allgemeinen“ das „alte Zusammenhalten Eines Landes, Einer Stadt, Eines Dorfes, Einer Familie“ aufgelöst habe: „Aber du Narr, worin willst du deine Liebe des Allgemeinen bewähren, woran willst du sie warm und frisch erhalten, als am Besonderen? Sey an deinem Platze hülfreich, menschlich, gerecht, und deine Liebe zum Einzelnen geht in die Unendlichkeit hinein, als Wechselwirkung auf das Allgemeine über – du bist ein rechter Weltbürger.“ (S. 72f., Hervorhebungen im Original.) Verteidigung des Partikularen im Zeichen nationalen Bewusstseins, dezidierte Rationalitätskritik und antithetische Gegenüberstellung von deutschem Geist und französischem „esprit“ machen das Werk Arndts seit Beginn des 20. Jahrhunderts und in der Zeit der NS-Diktatur zu einer vielfach genutzten und in unterschiedlichen Optionen wahrgenommenen Autoritätsquelle. Seine geschichtsphilosophischen Spekulationen werden nun ebenso intensiv diskutiert wie seine Auffassungen von Sprache und Erziehung; seine Aufwertung des Instinktbegriffs gewinnt ebenso an Beachtung wie seine rudimentäre Anthropologie, die im Rahmen rassenkundlicher Überlegungen eine folgenreiche Renaissance erlebt. Diesen komplexen und widerspruchsreichen Bezugnahmen ist nun nachzugehen.

3. Rezeption Im Rahmen dieser knappen Skizze ist es unmöglich, die vielfältigen Wirkungen Ernst Moritz Arndts auf die geistig-kulturellen Bewegungen zu rekonstruieren, die seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert an den Problemen einer fortschreitenden Modernisierung laborieren. Auch die wissenschaftlichen Bemühungen um das Werk des Historikers, Dichters und zeitkritischen Publizisten Arndt können hier nicht vollständig dargestellt werden. Hinzuweisen bleibt jedoch auf übergreifende Rahmenbedingungen, die eine intensivierte Beschäftigung mit Arndt in besonderer Weise konditionieren: Es ist die mehrfach dimensionierte Wiederentdeckung der romantischen Literatur- und Kulturepoche, die bereits Ende der 1890er Jahre einsetzt und im Protest gegen Diffe68 So in historischer Retrospektive mit dem Ziel der Rehabilitation Erich Rothacker, Einleitung in die Geisteswissenschaften, Zweite, photomechanisch gedruckte, durch ein ausführliches Vorwort ergänzte Auflage, Tübingen 1930, S. 46.

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renzierung und Spezialisierung, gegen sterilen Akademismus und Naturalismus auf die Krisendiagnosen und Therapievorschläge der Zeit um 1800 zurückgreift. Vorgaben kommen aus dem Kunst- und Literatursystem. Die Romantik-Darstellungen von Ricarda Huch und Marie Joachimi stilisieren die ein Jahrhundert zurückliegende Bewegung zu einem generationsspezifischen Aufbruch, dem Vorbildfunktion für eine gegen platten Fortschrittsglauben und kulturelle Sterilität opponierende Jugendbewegung zugeschrieben wird: „Eine Schar junger Männer und Frauen stürmt erobernd über die breite träge Masse Deutschlands. Sie kommen wie vor Jahrhunderten die blonden germanischen Stämme der Wanderung: abenteuerlich, siegesgewiß, heilig erfüllt von ihrer Sitte und ihrem Leben, mit übermütiger Verachtung die alte morsche Kultur über den Haufen werfend“, beginnt der erste Band von Ricarda Huchs Romantik-Buch, der 1899 erschien und zahlreiche Auflagen erlebte.69 Die Textproduktion der sogenannten Neuromantik – die ihren Namen einer Aufsatzsammlung von Ludwig Coellen verdankt, die 1906 im Jenaer Verlag von Eugen Diederichs erschien und den hier verfolgten Bemühungen um eine kulturelle Vergegenwärtigung der historischen Romantik korrespondiert – schließt in Themen und Verfahren an eingeführte Muster an. Die publizistisch wie literarisch formulierte Wissenschafts- und Bildungskritik, die an unterschiedlichen Projekten einer „geistigen Revolution“ laborierte, beförderte eine Renaissance romantischer Ganzheits- und Synthesevorstellungen, die trotz einer „Absage an die Romantik in der Zeit nach dem Weltkriege“70 auch darüber hinaus anhalten sollte. Die von Ricarda Huch schon 1899 deklarierte „Wiedergeburt“ der Romantik, die mit diversen Modifikationen auch die gesellschaftspolitischen Zäsuren 1918 und 1933 überdauerte, stellt jedoch mehr dar als nur eine kurzfristige Aufmerksamkeitskonjunktur. Die demonstrierten Anschlüsse sind vielmehr Ausdruck und Katalysator tiefgreifender Wandlungen im Selbstverständnis einer Gesellschaft, die auf sozioökonomische und kulturelle Verwerfungen infolge eines rasanten Modernisierungsprozesses mit divergierenden Umbruchs- und Aufbruchsszenarien reagierte – und dazu unterschiedliche Bilder einer gleichsam vorbildlichen romantischen Erneuerung modellierte. Denn der Protest gegen akademisch-traditionsverhaftete Kunst und naturalistische Literatur, der in ästhetizistische Hermetik und mystifizierende Feier des „Lebens“ münden wird, beruft sich ebenso auf die Romantik wie die gegen Fortschrittsglauben und Rationalismus opponierende Jugendbewegung.71 In den Kulturwissenschaften vollzog sich die

69 Ricarda Huch, Die Romantik, Teil 1: Blütezeit der Romantik. [1899], Leipzig: 81920, S. 1–3. 70 Alexander von Klugen, Die Absage an die Romantik in der Zeit nach dem Weltkriege. Zur Geschichte des deutschen Menschen (Neue Forschung. Arbeiten zur Geistesgeschichte der germanischen und romanischen Völker 33), Berlin 1938. In dieser Göttinger Dissertation gilt Huchs Blütezeit der Romantik von 1899 als Ausgangspunkt einer umfassenden „Renaissance“ der Romantik nach der Jahrhundertwende. Nach der „Erfahrung der Lebens- und Todeswirklichkeit im Weltkriege sowie in den darauffolgenden Jahren“ habe sich die „führende Jugend“ gegen „jegliche Romantik“ (S. 1) entschieden und sich an Existenzphilosophie und dialektischer Theologie orientiert, die an Kierkegaards und Nietzsches Romantikkritik anknüpften. 71 Dazu umfassend Martin Lindner, Leben in der Krise. Zeitromane der Neuen Sachlichkeit und die intellektuelle Mentalität der klassischen Moderne, Stuttgart/Weimar 1994, S. 5–144.

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Ablösung eines als „positivistisch“ disqualifizierten, auf mikrologische Detailforschung und kausalgenetische Erklärung rekurrierenden Methodenideals durch jene von Ernst Troeltsch und anderen zeitgenössischen Beobachtern beschriebene „Revolution in der Wissenschaft“,72 die mit der Überwindung von „Historismus“, „Relativismus“ und fachwissenschaftlichem „Spezialistentum“ sowie im Bruch mit „Intellektualismus“ und „Mechanismus“ das Erbe einer romantischen Wissenschaft anzutreten hoffte.73 Die im Kunst- und Literatursystem mit der Neuromantik einsetzende Umkehr „zu Seele und Mystik, zu Symbol und Metaphysik, zu Intuition und Kosmologie, zu Geheimnis und Mythos, zu Geist und Überpersonalität“74 wie die zeitgenössische Wissenschafts- und Bildungskritik, die ab 1910 an unterschiedlichen Projekten einer „geistigen Revolution“ laborierte,75 katalysierte Verschiebungen des kulturellen bzw. kulturgeschicht-

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Zum Ästhetizismus vgl. Annette Simonis, Literarischer Ästhetizismus: Theorie der arabesken und hermetischen Kommunikation der Moderne, Tübingen 2000; zur Lebensreform- und Jugendbewegung, die ihr Sprachrohr im Jenaer Diederichs-Verlag fanden, in dem auch zahlreiche Anthologien und Werke zu Arndt erschienen, Erich Viehöfer, Der Verleger als Organisator. Eugen Diederichs und die bürgerlichen Reformbewegungen der Jahrhundertwende, Frankfurt/M 1988; Gangolf Hübinger (Hg.), Versammlungsort moderner Geister. Der Eugen Diederichs Verlag – Aufbruch ins Jahrhundert der Extreme, München 1996. Ernst Troeltsch, Die Revolution in der Wissenschaft. Eine Besprechung von Erich von Kahlers Schrift gegen Max Weber: ‚Der Beruf der Wissenschaft‘ und die Gegenschrift von Arthur Salz: ‚Für die Wissenschaft gegen die Gebildeten unter ihren Verächtern‘, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich (Schmollers Jahrbuch) 45 (1921), S. 65–94; erneut in Ernst Troeltsch, Gesammelte Schriften, Bd. 4: Aufsätze zur Geistesgeschichte und Religionssoziologie, Tübingen 1925, S. 653–677, die nachfolgend aufgeführten Schlagworte hier S. 654–656. Zum Kontext siehe Klaus Lichtblau, Kulturkrise und Soziologie um die Jahrhundertwende. Zur Genealogie der Kultursoziologie in Deutschland, Frankfurt/M. 1996, S. 420–458. Parallelen zwischen wissenschaftsrevolutionären Hoffnungen von Neuromantik und historischer Romantik zieht Troeltsch (wie Anm. 72), S. 676f.: „Es ist wie damals, als Novalis von Edmund Burke meinte, er habe ein höchst revolutionäres Buch gegen die Revolution geschrieben. Auch diese Bücher alle sind im Grunde ‚revolutionäre Bücher gegen die Revolution‘. Es ist neue Romantik und hängt mit der alten trotz tiefer Unterschiede eng und tatsächlich zusammen. [...] Wie die alte Romantik ein Moment in der großen Weltreaktion gegen die Ideologien und praktischen Umwälzungen der französischen Revolution war, so ist die neue ein solches in der todsicher bevorstehenden Weltreaktion gegen die heutige Aufklärungsrevolution und ihre sozialistisch-rationalistischen Dogmen. [...] Sie wird keine bleibende Restauration herbeiführen, sondern den ehernen Felsen der ökonomisch-sozialen Verhältnisse stehen lassen müssen. Aber sie wird die herrschenden Ideologien und Lebensgefühle doch tief verändern, und vieles, was heute als offizielle Weisheit gilt, wird uns in Bälde sehr schal und öde anmuten.“ Werner Mahrholz, Deutsche Literatur der Gegenwart. Probleme – Ergebnisse – Gestalten. Durchgesehen und erweitert von Max Wieser, Berlin 1930, S. 92. Erich von Kahler hatte in seiner Schrift Der Beruf der Wissenschaft, Berlin 1920, S. 5 u. 8, den Beginn der „geistigen Revolution“ auf die Zeit um 1910 datiert und stimmte in dieser Diagnose mit Ernst Robert Curtius überein, der Ende der 1920er Jahre auch die Ergebnislosigkeit der Krisen- und Revolutionsrhetorik konstatieren musste; Ernst Robert Curtius, Krisis

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lichen wie des literaturgeschichtlichen Interesses, in deren Folge schließlich auch das Werk von Ernst Moritz Arndt neue Bedeutung(en) gewann. Knapp zusammengefasst: Die intensivierte Aufmerksamkeit für die Romantik und insbesondere auch für Ernst Moritz Arndt korrespondiert einem in unterschiedlichen Bereichen der deutschen Gesellschaft ablaufenden Veränderungsprozess, in dessen Folge sich Handlungsräume und Deutungsmuster so rasch und radikal umstellen, dass die Weltbilder der Gegenwart die eigene Zeit nicht mehr angemessen zu erfassen scheinen. Die Attraktivität der zeitkritischen Stellungen und der geschichtsphilosophischen Spekulationen Arndts erwächst aus mehrfach dimensionierten Möglichkeiten der Analogisierung und Spiegelung, in und mit denen die Wahrnehmung gegenwärtiger Problemlagen historisch verlängert und in der so aufgefundenen Vergangenheit nicht nur die Ursprünge aktueller Dispositionen, sondern auch Beschreibungsformen und Lösungsstrategien entdeckt werden sollen. Die so gewonnenen Reflexionsflächen einer historischen Gegenwart aber bleiben eine Konstruktionsleistung, die der inszenatorischen Geste bedarf (und diese zugleich invisibilisiert): Im Werk Arndts entdeckte man in den Jahrzehnten nach 1900 Vorläufer späterer Entwicklungen; man ermittelte subkutane Verbindungslinien und verschüttete Antizipationen kommender Zeiten. Ausgesprochen oder zumindest implizit thematisiert findet sich stets auch die Distanz, die das „unromantische“ 19. Jahrhundert schuf und der retrospektiven Beobachtung eine Folie zur Konturierung von Fremdheit und Abstand bereit stellte.76 Die in den Jahrzehnten nach 1900 zu beobachtende „Wiedergeburt der Romantik“, die eine gesteigerte Aufmerksamkeit für die Vielfalt und interne Differenziertheit der romantischen Bewegung ebenso voraussetzt wie hervorbringt, beeinflusst vor allem auch das Wissenschaftssystem, das in unterschiedlicher Weise an der „Modernisierungskrise“ der Gesellschaft partizipiert und zu deren Verarbeitung romantische Konzepte und Überlegungen in vielfältiger Weise aktualisiert.77 Welche Umgangsformen mit der romantischen Überlieferung und ihren Ideen möglich wurden, zeigt exemplarisch die Neuere deutsche Literaturwissenschaft, die sich zwischen 1890 und 1913/14 nicht nur von philologischer Mikrologie und exakter Quellen- und Textkritik di-

der Universität?, in: ders., Deutscher Geist in Gefahr, Stuttgart 1932, S. 51–78, hier 51 u. 53. Zum näheren Kontext Gerhard Lauer, Rückblick auf die Revolution. Dokumente zu Erich Kahlers Ausrufung der „neuen“ Wissenschaft von 1920, in: Mitteilungen des Marbacher Arbeitskreises für die Geschichte der Germanistik H. 6/7 (1994), S. 50–54; umfassend ders., Die verspätete Revolution. Ernst von Kahlers Wissenschaftsgeschichte zwischen konservativer Revolution und Exil, Berlin/New York 1994. 76 Exemplarisch dafür sind die Kapitel „Weltanschauung“ und „Neue Wissenschaften“ in der erstmals 1902 veröffentlichten Darstellung von Ricarda Huch, Die Romantik, Teil 2: Ausbreitung und Verfall der Romantik, Leipzig 61920. 77 Vgl. Rüdiger vom Bruch / Friedrich Wilhelm Graf / Gangolf Hübinger (Hg.), Kultur und Kulturwissenschaft um 1900. Krise der Moderne und Glaube an die Wissenschaft, München 1989; Georg Bollenbeck, Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters, Frankfurt/M. 1996, zu den sozialgeschichtlichen Umständen der „Modernisierungskrise“ hier S. 225–288; Christoph König / Eberhard Lämmert (Hg.), Konkurrenten in der Fakultät. Kultur, Wissen und Universität um 1900, Frankfurt/Main 1999.

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stanziert und intern differenziert,78 sondern zugleich erweiterte Leistungsbeziehungen für das Bildungs- und Kultursystem einer sich verändernden Gesellschaft übernahm: Was die Literaturgeschichtsschreibung der Scherer-Schule vor allem als Gegenpart der paradigmatischen Klassik beschrieben hatte, erkannten die gegen die philologische Einrichtung des Faches opponierenden Programme in der romantischen Bewegung nun als einen Gegenstandsbereich, der sowohl forschungspraktische Innovationspotentiale als auch gesellschaftliche Resonanzräume zu erschließen versprach. Der Erfolg der Romantik-Bücher Ricarda Huchs und die breite Wirksamkeit der Aufsatzsammlung Das Erlebnis und die Dichtung, die der Philosoph Wilhelm Dilthey 1905 auf Drängen von Schülern aus vier früher erschienenen Texten zur deutschen Literatur zwischen 1750 und 1800 zusammenstellte, belegt das im Wissenschaftssystem wie in der Öffentlichkeit virulente Bedürfnis nach weltanschaulicher Deutung und ganzheitlicher Darstellung des literarisch-kulturellen Erbes. Die von Dilthey bereits zwischen 1860 und 1870 vorgenommene, doch erst nach 1900 ins öffentliche Bewusstsein tretende Neubewertung der Romantik katalysiert schon im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts verschiedene, an neuromantische Emphatik und geistesgeschichtliche Prinzipien anknüpfende Werke zu Geschichte und Vorgeschichte der romantischen Literaturepoche. Resultat der vielfältigen, hier nicht zu entfaltenden Bemühungen ist der Aufstieg der Romantik zu einem zentralen (wenn auch umstrittenen) Bezugspunkt des kulturellen Erbes und der Aufstieg der Romantikforschung zu einem Kernbereich der geistesund kulturwissenschaftlichen Aufmerksamkeit.79 Der Ausstoß von Detailuntersuchungen und Gesamtdarstellungen war so immens, dass Paul Böckmann 1933 resümierte, die Erforschung der Romantik sei „zu einem der lebendigsten Bereiche der neueren Literaturwissenschaft geworden“.80 In diesem Befund traf er sich mit dem Berliner Ordinarius Julius Petersen, der in seinem vielbesprochenen Buch Die Wesensbestimmung der deutschen Romantik 1926 eine paradigmatische Wendung des literaturhistorischen Interesses vom „Fixstern“ Klassik zur „flimmernden Erscheinung“ Romantik 78 Vgl. Holger Dainat, Von der Neueren deutschen Literaturgeschichte zur Literaturwissenschaft. Die Fachentwicklung von 1890 bis 1913/14, in: Jürgen Fohrman / Wilhelm Voßkamp (Hg.), Wissenschaftsgeschichte der Germanistik im 19. Jahrhundert, Stuttgart/Weimar 1994, S. 494–537; Rainer Kolk, Literarische Gruppenbildung. Am Beispiel des GeorgeKreises 1890–1945, Tübingen 1998, S. 313–337. 79 Davon profitierte in erster Linie das sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts formierende Integrationsprogramm der „Geistesgeschichte“, das eine bis in die 1960er Jahre wirkungsmächtige Alternative zu philologischen Textumgangsformen darstellte. Geistesgeschichtliche Textumgangsformen legten in der lange kühl behandelten Romantik einen Gegenstandsbereich frei, der eine Fülle von Anschlussmöglichkeiten bietet: Poetologische Reflexivität und kritische Negativität erwiesen sich als ebenso attraktive Felder für die Profilierung einer problem- und ideengeschichtlich geleiteten Literaturforschung wie die Bemühungen um Mythologie und „altdeutsche“ Überlieferung; die Rekonstruktion von romantischer „Symphilosophie“ und Religiosität wie die Thematisierung übergreifender Generationserfahrungen erweiterten die Arbeitsfelder einer bislang durch Editorik, Biographik und mikrologische Miszellenwirtschaft geprägten Universitätsgermanistik nachhaltig. 80 Paul Böckmann, Ein Jahrzehnt Romantikforschung, in: Zeitschrift für deutsche Bildung 9 (1933), S. 47–53, hier S. 47.

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konstatierte und feststellte, dass „die heutige Literaturgeschichte beinahe mit Romantikforschung gleichgesetzt werden kann“.81 Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten finden in der universitären wie außeruniversitären Beschäftigung mit der romantischen Literatur- und Kulturepoche weitreichende Veränderungen statt. Die bislang bevorzugt bearbeiteten poetischen, poetologischen und philosophischen Leistungen der Frühromantik treten hinter die Erforschung des „Volkstumserlebnisses“ der späteren Romantik zurück; politische, weltanschaulich-religiöse und geschichtsphilosophische Texte avancierten zum bevorzugten Material wissenschaftlicher Bemühungen.82 Mit dieser Verschiebung der Aufmerksamkeit verbanden sich wechselnde Thematisierungsweisen. Nicht mehr poetische Gewinne individueller Subjektivität stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern die Erkenntnis „deutschen Wesens“ und Bemühungen um die Geschichte. Ein deutliches Zeugnis für die Aufmerksamkeit, von denen im besonderen die Gestalt Ernst Moritz Arndts profitierte, sind nach 1933 veröffentlichte Auswahlausgaben: Der Kieler Historiker Carl Petersen gab gemeinsam mit Paul Hermann Ruth „Kernstellen“ aus Arndts Schriften und Briefen unter dem Titel Deutsche Volkwerdung heraus. Der Propagandist der „biozentrischen Lebenswissenschaft“, Hans Kern, edierte im Jenaer Diederichs Verlag, in dem er bereits in den 1920er Jahren für Arndt aktiv geworden war, eine Arndt-Anthologie Die Ewigkeit des Volkes. Erich Gülzow besorgte eine Auswahl aus den Schriften Ernst Moritz Arndts, die als Teil von Langenscheidts deutschen Leseheften unter dem Titel Die Grundlagen des neuen Deutschlands erschien. Noch 1944 veröffentlichte der Leipziger Reclam-Verlag Worte und Gedichte Du mein Vaterland! 83

81 Julius Petersen, Die Wesensbestimmung der deutschen Romantik. Eine Einführung in die moderne Literaturwissenschaft, Leipzig 1926, S. 2. 82 Dazu umfassend Ralf Klausnitzer, Blaue Blume unterm Hakenkreuz. Die Rezeption der deutschen literarischen Romantik im Dritten Reich, Paderborn u. a. 1999. 83 Unvollständig und in chronologischer Folge des Erscheinens Ernst Moritz Arndt, Deutsche Volkwerdung. Sein politisches Vermächtnis an die deutsche Gegenwart. Kernstellen aus seinen Schriften und Briefen, hg. von Carl Petersen / Paul Hermann Ruth, Breslau 1934, durchgesehener Neudruck Breslau 1940; Ernst Moritz Arndt, Die Ewigkeit des Volkes. Ausgewählt von Hans Kern, Jena 1934; Ernst Moritz Arndt, Volk und Staat. Seine Schriften in Auswahl hg. von Paul Requadt, Leipzig 1934; Ernst Moritz Arndt / Wilhelm Heinrich Riehl, Vom deutschen Bauernstand. Ausgew. und eingel. von Engelbert Pülke, Paderborn u. a. 1935; Die Grundlagen des neuen Deutschlands. Eine Auswahl aus den Schriften Ernst Moritz Arndts. Besorgt und erläutert von Erich Gülzow, Berlin-Schönberg 1935; Ernst Moritz Arndt, Nordische Volkskunde, hg. und mit einem Nachwort von Otto Huth, Leipzig 1936, 2. Aufl. 1942; Ernst Moritz Arndt, Herold und Waffenträger der Deutschheit. Eine Auswahl aus seinen Schriften und Gedichten von Dietrich Bruns, Paderborn u. a. 1936; Hans Kern (Hg.), Arndt, Berlin-Lichterfelde 1937; Ernst Moritz Arndt, Germanien und Europa. Ein Buch an der Schwelle unseres Zeitalters. System, Bedeutung, Einordnung in die Zeit, hg. von Ernst Anrich, Stuttgart/Berlin 1940; Ernst Moritz Arndt, Mein Vaterland. Auswahl von Alfred Gerz, Potsdam 1943; Ernst Moritz Arndt, Du mein Vaterland! Worte und Gedichte, Leipzig 1944. Vgl. auch die bibliographischen Angaben bei Erich Gülzow / Paul Hermann Ruth, Neue Arndt-Literatur, in: Baltische Studien 42 (1940), S. 380–392; Otto Huth, Ernst Moritz

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Den Auftakt für dieses neue Aufmerksamkeitsverhalten markiert der programmatische Aufsatz Umwertung der deutschen Romantik, der im Frühjahr 1933 in der Zeitschrift für Deutschkunde erschien. An Topoi einer seit Mitte der 1920er Jahre geführten Diskussion anknüpfend, umriss der Autor Walther Linden, rege publizierender Repräsentant einer Deutschkunde-Bewegung und 1933 Projektant einer „nationalen Literaturwissenschaft“,84 ein Forschungsprogramm, das in dezidierter Abgrenzung von bisherigen Rezeptionsweisen die „ernsthafte, lebensgegründete Welthaltung“ und „geschlossene Geist- und Lebenswelt“ der späteren Romantik untersuchen und dabei insbesondere ihren „religiös-sozialen Grundcharakter“ mit der „Hinneigung zum Positiven und Gegebenen“ würdigen sollte.85 Im Kontext dieser postulierten „Umwertung“ gewann Ernst Moritz Arndt intensivierte Aufmerksamkeit – galt er doch als ein wesentlicher Träger jener Bestrebungen nach einer „inneren Verlebendigung der großen objektiven Gemeinschaftsformen: Natur, Geschichte, Staat“, die mit der „Anerkennung des objektiven Lebens und seiner Gemeinschaftsformen“ den verhängnisvollen Subjektivismus der frühen Romantik verabschiedet hätten.86 Mit dem „Volkstums-Erlebnis“ der späteren Romantik und der Befreiungskriege wird ein Gegenstandsbereich benannt, der in der bereits vor 1933 beobachtbaren „Völkisierung“ der historischen Geistes- und Kulturwissenschaft Konjunktur hatte und den antimodernen Attitüden des nationalsozialistischen Ideenhaushaltes zu entsprechen schien. Zugleich geben Lindens Verweise auf die Erkenntnis der „tiefbegründeten und

Arndt und unsere Zeit. Bericht über das neuere Arndt-Schrifttum, in: Weltliteratur. Neue Folge 16 (1941), S. 49–51. 84 Walther Linden, nach dem Studium von Germanistik und Philosophie in Leipzig ohne uinversitäre Anstellung, war Redakteur der Zeitschrift für Deutschkunde und freischaffender Literaturhistoriker. Auf seinem Besitz Lindhart bei Leipzig lebend, publizierte er unermüdlich, so u. a. mit dem prominenten Leipziger Ordinarius Hermann August Korff einen Aufriss der Literaturgeschichte nach neueren Gesichtspunkten (1930). 1933 formulierte er Aufgaben einer nationalen Literaturwissenschaft (München 1933), in der die Unterscheidung zwischen „echter Dichtung“ von „Literatentum“ aufgrund der Gestaltung von „Staat und Gemeinschaft als Wesenserlebnis“ einen zentralen Platz einnahm. Linden edierte 1935 Martin Luthers Kampfschriften gegen das Judentum; 1937 erschien im Leipziger Reclam-Verlag seine Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, die bis 1941 drei Auflagen erfuhr. In Fachkreisen weitgehend abgelehnt, wurde er durch den Alfred Rosenberg nahestehenden Helmuth Langenbucher protegiert. 85 Walther Linden, Umwertung der deutschen Romantik, in: Zeitschrift für Deutschkunde 47 (1933), S. 65–91, hier S. 68. 86 Ebd., S. 73, Hervorhebungen im Original. Deutlich auch S. 74f.: „Die hochromantische Gesinnung empfindet den Wert des Schollenverhafteten, Naturgetragenen; ihr Gefühl für den religiösen Sinn alles Geschichtlichen, mithin auch des Überlieferten, läßt sie das gute Alte schätzen, ohne darum die lebendige Bewegung des Geschichtslebens beeinträchtigen zu wollen. [...] Sie hat den Sinn für die Bedeutung der untergründenden Natur, des Bodens und der Landschaft... Sie erhält die tiefere Empfindung nicht nur des Religiösen, d. h. der tiefen Abhängigkeit aller Dinge vom weltdurchwaltenden göttlichen Geiste, sondern auch des Nationalen, d. h. der Einbettung aller Einzelmenschen in den unlöslichen religiösen Zusammenhang der Gemeinschaft und Geschichte eines Volkes.“

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unzerstörlichen Gegebenheit des volksmäßigen Zusammenhanges“87 und des gleichfalls im Zeitalter der Romantik entwickelten „Sonderweg“-Bewusstseins bestimmte Leitdifferenzen künftiger Forschung vor: Sie nahmen die in der Zeit „um 1800“ konstruierte und durch Arndt nachhaltig radikalisierte Fundamentalopposition von „deutscher Kultur“ und „romanischem esprit“ auf und formulierten ein Revisionsprogramm, dem die nachfolgende Forschung folgen sollte – trotz der raschen Kritik, die sowohl der Umwertungs-Aufsatz als auch das Pamphlet Aufgaben einer nationalen Literaturwissenschaft fand.88 Die 1934 veröffentlichte Quellenedition Kunstanschauung der Jüngeren Romantik innerhalb des großangelegten Reclam-Projekts „Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen“ lässt neue Züge der Romantikdiskussion deutlich hervortreten. Der Editor Andreas Müller, im DVjs-Band Romantikforschungen von 1929 noch mit einem umfangreichen Beitrag über die Auseinandersetzung der Romantik mit den Ideen der Französischen Revolution vertreten, kennzeichnet die ästhetischen Betrachtungen der späteren gegenüber den philosophischen Spekulationen der frühen Romantik nun als „Einordnung gestaltender Handlung in ein kulturpolitisches Programm, das aus eindeutig nationalem und christlichem Geiste gebildet ist und auf eine Lösung der in der geschichtlich erwachsenden Volksgemeinschaft gegebenen schöpferischen Kräfte zielt“.89 Zahlreiche Editionen und Forschungsbeiträge insbesondere zu Ernst Moritz Arndt zeigen deutliche Verschiebungen auf Gegenstands- und Wertungsebene an. Diese blieben auch den beteiligten Akteuren nicht verborgen. Rudolf Unger konstatierte 1937 ein schwindendes Interesse für die Frühromantik und interpretierte es als Indiz „für die gewandelte Auffassung vom Wesen der deutschen Romantik als solcher, welche der große geistige Umbruch unserer Tage herbeigeführt“ habe.90 1938 stellte er außer einem besonderen Engagement für Eichendorff – das „offenbar zu einem guten Teile auf Motiven landsmannschaftlicher oder konfessioneller Verbundenheit beruht“ – ein ausgesprochenes „Sonderinteresse für Arndt und die Männer der Reform- und Erhebungszeit im allgemeinen“ fest.91 Benno von Wiese, der 1927 seine Dissertation über 87 Ebenda, S. 75. 88 Gegen die Forderungen nach einer Umkehr der Romantikforschung richteten sich die kritischen Stellungnahmen von Josef Körner, Adam Müller und Friedrich Schlegel, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 60 (1935), S. 415; Oskar Walzel, Umwertung der deutschen Romantik, in: Literatur 37 (1935), S. 437–440; ders., Adam Müllers Aesthetik, in: Gral 29 (1935), S. 58–61; ders., Jenaer und Heidelberger Romantik über Natur- und Kunstpoesie, in: Deutsche Vierteljahreschrift 14 (1936), S. 325–360. Dem letztgenannten Aufsatz war eine intensive Kontroverse zwischen den beiden Zeitschriften-Herausgebern Paul Kluckhohn und Erich Rothacker vorausgegangen, die ein bezeichnendes Licht auf die Konditionen der wissenschaftlichen Kommunikation unter den Bedingungen der einer politischen Diktatur wirft. 89 Andreas Müller, Einführung, in: Ders. (Hg.), Kunstanschauung der jüngeren Romantik, Leipzig 1934, S. 10. 90 Rudolf Unger, Schrifttumsbericht Deutsche Romantik, in: Zeitschrift für Deutschkunde 51 (1937), S. 274. 91 Rudolf Unger, Schrifttumsbericht Deutsche Romantik I, in: Zeitschrift für Deutschkunde 52 (1938), S. 250. Unger registrierte erneut das nachlassende Interesse an der Frühromantik.

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Friedrich Schlegel verfasst hatte, erklärte 1937 die „Wiedererschließung“ der jüngeren Romantik zu einer der „wesentlichsten Aufgaben künftiger Romantikforschung“.92 Und Paul Kluckhohn resümierte in seinem Forschungsbericht Deutsche Literaturwissenschaft 1933–40: „In der Romantik-Forschung der letzten Jahre läßt sich eine Schwergewichtsverschiebung erkennen von den Frühromantikern, von denen Novalis noch das stärkste Interesse findet, zu den jüngeren Romantikern Arnim, Brentano, Görres, E.T.A. Hoffmann und ganz besonders zu Eichendorff, dem eine größere Zahl von Spezialuntersuchungen gewidmet ist als jedem anderen romantischen Dichter. Die Ideen des Volkes und das Volkstumserleben sind bei Arnim, Görres, Steffens u. a. untersucht worden. Gerade diese Seite der Romantik liegt dem heutigen Deutschen sehr nahe. Mit ihrer Staatsauffassung hat man sich bereits früher beschäftigt.“93 Vor dem Hintergrund dieses hier nur knapp skizzierten Wandels der kulturellen und wissenschaftlichen Aufmerksamkeit gewinnt die Rezeption Ernst Moritz Arndts in den Jahren der NS-Diktatur besondere Bedeutung. Fragt man nach den Schwerpunkten der Beschäftigung mit seinen geschichtsphilosophischen Überlegungen und völkerpsychologischen Spekulationen, lassen sich drei wesentliche Komplexe identifizieren: (a) eine literatur- und geistesgeschichtliche Behandlung in der universitären Lehre und Forschung; (b) eine ideologisch konforme Thematisierung und Aktualisierung seiner anthropologisch grundierten Geschichtsphilosophie und „vergleichenden Völkergeschichte“, die im Kontext einer offiziell aufgewerteten Rassenkunde an Bedeutung gewannen; (c) eine Instrumentalisierung für die Legitimation und autoritative Begründung einer „biozentrischen Lebenswissenschaft deutscher Art“ und des Kampfes gegen den „Geistesidealismus“. Kurze Bemerkungen müssen genügen, um diese Schwerpunkte zu konturieren. a) Arndts Behandlung in der universitären Lehre. Die literatur- und geistesgeschichtliche Behandlung von Arndts geschichtsphilosophischen Überlegungen und völkerpsychologischen Spekulationen in der universitären Lehre und Forschung scheint weitgehend in den bereits vor 1933 gepflegten Bahnen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung verblieben zu sein – wobei der veränderten politischen Umwelt der Fächer entsprechend charakteristische Modifikationen vorgenommen wurden. Ablesbar ist diese (von der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung bereits festgestellte) Kontinuität etwa an der großen Romantik-Vorlesung, die Julius Petersen im Sommersemester 1937 hielt: Sie führt in Gliederung und zentralen Aussagen die Positionen fort, die der Berliner Ordinarius für deutsche Literaturgeschichte bereits in seiner RomantikVorlesung im Wintersemester 1930/31 vorgetragen hatte; zugleich widmet sie sich bisher nicht berücksichtigten Sachgebieten, unter denen nun auch Ernst Moritz Arndt erscheint. Die vorher eher stiefmütterlich registrierten späteren Phasen der Romantik 92 Benno von Wiese, Forschungsbericht zur Romantik, in: Dichtung und Volkstum 38 (1937), S. 65–85, hier S. 85. 93 Paul Kluckhohn, Deutsche Literaturwissenschaft 1933–1940, in: Forschungen und Fortschritte XVII (1941), S. 33–39, hier zitiert nach dem Wiederabdruck in: Sander L. Gilman (Hg.), NS-Literaturtheorie. Eine Dokumentation, Frankfurt/M. 1971, S. 260. Der Verweis auf die bereits früher eingesetzte Beschäftigung mit dem romantischen Staatsdenken zielt auch auf die eigenen Arbeiten, die vor 1933 erschienen.

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bilden jetzt ein Zentrum der Lektionen; romantische Mythologie und romantische Wissenschaft erhalten eigene Kapitel.94 Im Themenbereich „Politische Romantik“ und „Freiheitsdichtung“ werden neben den bereits zuvor abgehandelten Protagonisten Adam Müller und Friedrich von Gentz nun auch Ernst Moritz Arndt, Max von Schenkendorf, Theodor Körner, Friedrich Ludwig Jahn und Friedrich Friesen bearbeitet.95 Dass die forcierten Bemühungen um eine „Umwertung“ der Romantik zu ganz anderen Ergebnissen führen konnten, belegt die Position von Petersens Kollege Franz Koch: Seine 1937 erschienene Geschichte deutscher Dichtung wirft nicht nur dem Kosmopoliten Friedrich Schlegel „Literatenhaftigkeit“ und „geistiges Rentnertum“ vor,96 sondern integriert Arndt auch in die Kontinuitätslinie eines arteigenen „organischen Weltbilds“, das im „organischen Denken“ der Romantik und ihren literarischen Manifestationen zum Durchbruch gelangt sei: „Unmittelbar danach bricht in einer zweiten, dem Sturm und Drang vergleichbaren Welle der Strom organischen Denkens in der Heidelberger Romantik durch, in den mythisch raunenden Offenbarungen des jungen Görres, der hingebungvollen Sachtreue der Brüder Grimm, der volkhaften Wachheit Arndts und Jahns, der naturhaften Lyrik Eichendorffs und Mörikes.“97 Exemplarische Prägnanz gewinnen die zwischen Kontinuität und Modifikation changierenden Tendenzen der philologisch-historischen Arndt-Forschung in einer Dissertation, die aus den von Friedrich-Wilhelm Wentzlaff-Eggebert an der Berliner Universität abgehaltenen „Übungen über Ernst Moritz Arndt“ im 2. Trimester 1940 hervorgegangen war.98 Die Doktorarbeit Gerta Jahns Das Problem des geistigen Menschen bei Ernst Moritz Arndt entsprach in ihrer sachlichen Kombinationstätigkeit ganz dem vom Hochschullehrer gesteckten Ziel, „das einseitige Bild des ‚Freiheitsdichters‘ Arndt nach der allgemeinen geistesgeschichtlichen Richtung hin zu ergänzen, um die Vielseitigkeit seiner Wirkungen als Zeitkritiker klarer erkennen zu können“.99 Im Unterschied zu einer nach 1933 katalysierten Vereinnahmungsrhetorik, die Arndt als „ewigen Deut94 Bibliographie zu der Vorlesung über Deutsche Romantik von Prof. Dr. Julius Petersen. Sommersemester 1937, bearb. von Ulrich Pretzel / Adolf Beck / Annemarie Dahlke (als Hs. gedruckt), Berlin 1937, § 10: Mythologie (Friedrich Creuzer, Joseph Görres, Johann Jakob Bachofen); § 11: Romantische Wissenschaft. Romantische Historiographie und Anfänge der deutschen Philologie (mit reichlichen Angaben zu den Brüdern Grimm, wenig zu Friedrich Heinrich von der Hagen und Friedrich Karl von Savigny). 95 Dazu umfassend Ralf Klausnitzer, Zwischen Philologie, Geistesgeschichte, Rassenkunde: Romantikrezeption am Berliner Germanischen Seminar 1933–1945, in: Gesine Bey (Hg.), Berliner Universität und deutsche Literaturgeschichte, Frankfurt/M. u. a. 1998, S. 129–157. 96 Franz Koch, Geschichte deutscher Dichtung, Hamburg 1937, S. 169f. 97 Ebd., S. 234. 98 In dieser Lehrveranstaltung sei „von verschiedenen Seiten her der Beweis der Sonderstellung Arndts im Denken seiner Zeit erbracht worden, die ihn aus der politischen Romantik heraushob und ihn zu einer wichtigen Persönlichkeit während des Überganges von der deutschen Kulturnation zu einem deutschen Nationalstaat werden ließ“, so Gerta Jahn, Das Problem des geistigen Menschen bei Ernst Moritz Arndt, Dresden 1941 (Diss. Berlin), S. VII. 99 Friedrich Wilhem Wentzlaff-Eggebert, Gutachten zur Dissertation „Das Problem des geistigen Menschen bei Ernst Moritz Arndt“, Universitätsarchiv der Humboldt-Universität Berlin, Promotionsakten der Phil. Fak., Vol. 929, Bl. 124.

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schen“ und Vorbild eines „neuen Heidentums“ reklamiert, erscheint der kritische Publizist hier zwar als „Erwecker“ gleichgesinnter Patrioten wie Friedrich Ludwig Jahn, von Stein und Gneisenau, doch stets unter Berücksichtigung der Historizität, Unvollkommenheit und Einseitigkeit seiner Geschichtsauffassung. Aus polemischer Distanz habe Arndt in Germanien und Europa von 1803 und im seit 1806 erschienen Hauptwerk Geist der Zeit „die geistige Situation der Zeit und ihrer Menschen aus dem Geschichtsablauf, den er unter bestimmten Gesichtspunkten betrachtet“, erklären wollen.100 Ohne Versuche ideologischer Aktualisierung konstatiert die Autorin Arndts Kritik an den Wirkungen von Aufklärung und Frühromantik sowie seine Ablehnung der kosmopolitischen Ideen der Klassik.101 Frei von völkischer Emphase ist auch die Darstellung von Arndts Menschenbild, die ihr schließlich das Prädikat „gut“ eintrug.102 100 Jahn (wie Anm. 98), S. 3. 101 Vgl. ebd., S. 57f. die Ausführungen zu Arndts Verhältnis zur frühen Romantik: „Die Frühromantik stellte das Gefühl in den Vordergrund – Arndt sieht sie deshalb in engem Zusammenhang mit der Empfindsamkeitsepoche – und stößt mit seiner Hilfe unter Aufgabe jeglicher Realität ins Irrationale, Metaphysische vor. Die eine Richtung der neuen Bewegung zielt zunächst auf die Anerkennung des von der Aufklärung abgelehnten an sich Unfaßbaren. Aber sie geht über eine Anerkennung hinaus, indem sie eine Erkenntnis erreichen will; zwar keine reale, rational-empirische, sondern eine metaphysische, irrational-geistige, eine im Sinne der Frühromantik, nicht im Sinne Arndts vernünftige. [...] Der zweiten Richtung der frühromantischen Bewegung, der naturphilosophischen, auf Schelling fußenden, die versucht, Subjekt und Objekt, Natur und Geist wieder zu vereinigen, gehört die Sympathie E. M. Arndts. Er erkennt echt Mystisches in ihrem Charakter, eine Hingegebenheit an das All der Natur, die sie das Unendliche im Endlichen erkennen läßt und Gegensätze zur Ganzheit verbindet. Die Naturphilosophie ist so gewissermaßen die Synthesis zu Thesis und Antithesis von Aufklärung und Vernunftidealismus.“ 102 UA der HUB, Promotionsakten der Phil. Fak., Vol. 929, Bl. 124. Weitere Dissertationen zu Arndt in chronologischer Folge ihrer Veröffentlichung und ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind von Helmut Plath, Ernst Moritz Arndt und sein Bild vom deutschen Menschen, Kiel 1935 (Diss. Kiel); Hans Polag, E.M. Arndts Weg zum Deutschen. Studien zur Entwicklung des frühen Arndt 1769–1812 (Form und Geist 39), Leipzig 1936 (Diss. Frankfurt); Lorenz Ruetz, Arndt und Börne als politische Publizisten. Heidelberg 1936 (= Diss. Heidelberg 1934); Karl Ibo Ibbeken, Ernst Moritz Arndt und die christlich germanische Bewegung seiner Zeit (Pommernforschung Reihe 3, H. 4), Greifswald 1937 (Diss. Gießen); Gerhart Illgen, Die Anschauungen Ernst Moritz Arndts über Volk und Staat, Dresden 1938 (= Diss. Leipzig); Emilie Jackel, Die Idee einer altgermanischen Volksfreiheit im Staatsgedanken eines Ernst Moritz Arndt und Friedrich Ludwig Jahn, Diss. Wien 1939; Anna Ritter, Die Frage der Bewusstheit in der Erziehung des Einzelnen und des Volkes bei E.M. Arndt (Göttinger Studien zur Pädagogik 30), Langensalza/Berlin/Leipzig 1939 (Diss. Göttingen); Eitel Stapelfeld, Die Kultur- und Religionsphilosophie Ernst Moritz Arndts, Hamburg 1939 (Diss. Hamburg); Richard Weigand, Die Anthropologie von Ernst Moritz Arndt (Neue deutsche Forschungen 305, Abt. Charakterologie, psychologische und philosophische Anthropologie 15), Berlin 1940 (Diss. München); Tien-Lin Chang, Die Auseinandersetzung Ernst Moritz Arndts mit Frankreich, Stuttgart 1941 (Diss. Tübingen); Thea Mausbach, Das Frankreichbild Ernst Moritz Arndts nach seiner Reisedarstellung 1798/99, Hamburg 1942 (Diss. Hamburg); Eva Patzig, Die Bildungsidee in E. M. Arndts Fragmenten über Menschenbildung in Vergleich

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b) Aktualisierende Thematisierungen von Arndts geschichtsphilosophischen und völkergeschichtlichen Spekulationen. Von den Vorgaben der eklektischen NS-Ideologie profitieren – zumindest scheinbar – aktualisierende Thematisierungen von Arndts geschichtsphilosophischen und völkergeschichtlichen Spekulationen. Zu ihnen zählen Beiträge zu Ernst Moritz Arndts „Rassebegriff“, die auch aus der Feder des Philosophen und George-Kreis-Angehörigen Kurt Hildebrandt stammen;103 zu ihnen gehören Würdigungen von Arndts antijüdischen Stellungnahmen, die unter anderem im Völkischen Beobachter erschienen.104 Eine tragfähige Basis für die von konkurrierenden Instanzen umkämpfte Rassentheorie stellten diese Einsätze jedoch nicht dar. Und auch wenn sie sich in Terminologie und Folgerungen am stärksten der offiziellen Demagogie annähern, sollten sie zu keiner Zeit hegemoniale Bedeutung im wissenschaftlichen Diskurs erlangen. Das für alle diese Beitrage charakteristische Schwinden der Grenzen zwischen Wissenschaft und Ideologie, zwischen fachlicher Fragestellung und Aufnahme politischer Imperative manifestiert sich in den mehr oder minder explizit ausgesprochenen Folgerungen für die unmittelbare Gegenwart: Unter Vernachlässigung der historischen Kontexte erklärte man Arndts Texte zu eindeutigen politischen Stellungnahmen, deren Gültigkeit über den zeitlichen Rahmen ihrer Entstehungszeit hinaus verlängert und denen ohne weitere Reflexion Legitimationskraft für die antisemitische Verfassung des NS-Staates zugesprochen wurde. Dabei übersahen diese Forschungen, daß es den von ihnen vorausgesetzten biologischen Rassebegriff in der Romantik und auch bei Arndt noch nicht gegeben hatte – eine umfangreiche, am Göttinger Institut für Völkerkunde entstandene Dissertation Hermann Blomes hatte dieses Faktum trotz immenser Anstrengungen zum Erweis seines Gegenteils eingestehen müssen.105 Beherrscht von dem Ziel, „die geistesgeschichtlichen Voraussetzungen für die Entstehung, Entwicklung und Vervollkommnung des Rassengedankens in Deutschland aufzudecken“, hatte Blome in der Einführung zu seiner von Hans Plischke betreuten Promotionsschrift postuliert, „daß sich während der deutschen Romantik die Ausbildung wichtiger Grundzüge der heutigen Rassenkunde vollzog und daß daher diese Zeit und der ihr eigentümlichen geistigen Grundhaltung eine besondere Bedeutung für die Entfaltungsmöglichkeiten mit den Erziehungsgedanken in Platons Politeia, [Leipzig] 1943 (Diss. Leipzig); Gottfried Arens, Gestaltung des Lebens bei E. M. Arndt, o.O. 1944 (Diss. Heidelberg). 103 Kurt Hildebrandt, Ernst Moritz Arndts Rassebegriff, in: Rasse 5 (1938), S. 333–341. Weitere Beiträge kommen von Rudolf Luck, Das Vegetativ-Vitale der Rasse bei E.M. Arndt, in: Rhythmus 15 (1937), S. 157–165; ders., Rassenseelenkundliches bei Ernst Moritz Arndt, in: Zeitschrift für Rassenkunde 8 (1938), S. 207–208; ders., Die Rassenseelenkunde von Ernst Moritz Arndt, in: Zeitschrift für Menschenkunde 15 (1939), S. 1–11; ders., Rassenseelenkundliches bei Ernst Moritz Arndt, in: Rhythmus 18 (1940), S. 2–7. 104 Eduard Heyck, Ernst Moritz Arndt über die Judenfrage. Eine unbekannte Schrift des großen Volksmannes, in: Völkischer Beobachter vom 31. Januar 1935. 105 Hermann Blome, Der Rassengedanke in der deutschen Romantik und seine Grundlagen im 18. Jahrhundert. Mit 16 Bildtafeln (Schriften des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands), München/Berlin 1943 (Diss. Göttingen 1940). Vorausgegangen war Blomes Studie: Der Gestaltwandel der Rassentheorie Kants in der deutschen Romantik, in: Hans Plischke (Hg.), Göttinger Völkerkundliche Studien, Göttingen 1939.

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rassischen Denkens überhaupt zugesprochen werden muß.“106 Die Durchleuchtung von zahlreichen, in der Zeit der Romantik entstandenen anthropologischen und naturphilosophischen Schriften erbrachte zwar, „daß der Rassengedanke während der deutschen Romantik in größerem Umfange Beachtung erfuhr als bisher allgemein angenommen“; zugleich aber zeigte sich, „daß die romantische Naturphilosophie einer exakten Herausarbeitung rassischer Erkenntnisse im heutigen biologischen Sinne nicht förderlich war“.107 Um die deutsche Romantik wenigstens partiell zum Vorläufer rassentheoretischer Überlegungen erklären zu können, musste Blome deren „ganzheitliches“ und „organisches Denken“ zu einer Betrachtungsweise ausweiten, in welcher „der Mensch mit Leib und Seele als rassische Erscheinung umschlossen wurde“.108 Die von dieser Bedeutungsexpansion nur unzureichend übertünchten Widersprüche traten in den Ausführungen zur romantischen Naturphilosophie sowie im Vergleich des „aktiven“ und angeblich „rassenhygienische Forderungen“ erhebenden Ernst Moritz Arndt und der „überwiegend in Reflexionen erstarrenden Denkweise der Romantik“ offen zu tage: Die naturphilosophischen Spekulationen Schellings, Steffens’ und Lorenz Okens galten als „Gefahr“ für eine „exakte Erfassung des Rassischen“.109 Den „blutvollen“ und „unmittelbar in Beziehung zu völkisch-politischen Wirklichkeiten“ gesetzten „rassischen Anschauungen“ Ernst Moritz Arndts wurden die „gedanklichen, oft blassen, vielfach konstruierten und lebensfernen Vorstellungen der romantischen Rassendenker“ gegenübergestellt.110 106 107 108 109

Ebd., Einführung, S. 15. Ebd., S. 323. Sperrung im Original. Ebd., S. 323. So zeigt der Abschnitt über Schellings Aufnahme von Kants „Rassentheorie“ und des Organismusbegriffs, „wie eine religiös gefärbte Philosophie durch ihre mystische Verbrämung aller Lebenserscheinungen die reine Erkenntnis biologischer Vorgänge wieder gefährdete und dadurch die Entwicklung des Rassengedankens nicht unerheblich aufhielt“, ebd., S. 63f. In Henrik Steffens romantischer Anthropologie „verliert die Naturbetrachtung und damit die Betrachtung des Menschen zweifellos die feste empirische Bindung; was bleibt, ist religiös gefärbte Spekulation, die in dem Naturgegebenen – also auch im Menschen – nur Anhaltspunkte für die Durchleuchtung des Mysteriums ‚Gott‘ oder ‚Natur‘ zu sehen vermochte.“ (Ebd., S. 99f.) Lorenz Okens Naturphilophie wird von Blome als „Gefahr für jede rein naturwissenschaftliche Erkenntnis“ bewertet; deren Ausrichtung an „Spekulation und Metaphysik“ habe „einer exakten Erfassung des Rassischen schließlich die notwendige naturwissenschaftliche Grundlage entzogen“, S. 112 und 121. 110 Ebd., S. 317. Hier heißt es: „Arndt will rassisch gehandelt wissen, er denkt an Gesetze zur Durchführung von Siebung und Auslese, er sieht im Rassischen die für das Leben eines Volkes entscheidende Lebenskraft, mit deren Pflege, Vernachlässigung oder Zersetzung des Lebens und die Bedeutung des Volkes selbst steigen oder fallen. Daß in seinem rassischen Denken bestimmte romantische Züge anzutreffen sind, war sichtbar gemacht; aber sie wirken doch nur wie unwesentlich im Gesamtzusammenhang.“ Die an gleicher Stelle postulierte „in Reflexionen erstarrende Denkweise der Romantik“ belegte Blome mit einem Zitat aus Carl Schmitts Politischer Romantik: „Es gibt keine romantische Aktivität und Romantik ist niemals ein ‚tonique‘ politischer Kraft gewesen; sie hat auch keinen spezifischen Zusammenhang mit der Revolution, die auf den Romantiker wirkt, wie jedes andre eindrucksvolle Ereignis, ein Krieg, eine Feuersbrunst; im übrigen ist sie geneigt, mit dem König, d. h. mit der

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c) Arndts Instrumentalisierung für eine „biozentrische Lebenswissenschaft“. Eine besondere und bislang erst in Ansätzen erforschte Dimension der Rezeption von Arndts geschichtsphilosophischen Spekulationen bildet schließlich seine Instrumentalisierung für die autoritative Begründung und Legitimation einer „biozentrischen Lebenswissenschaft deutscher Art“, die zwischen 1933 und 1945 eine bizarre Blüte erleben sollte. Getragen wurde diese Bewegung von einem bereits in den 1920er Jahren hervorgetretenen und im „Dritten Reich“ eifrig weiter agierenden Zirkel zumeist außeruniversitär wirkender Geistes- und Kulturwissenschaftler, die ein gemeinsames Ziel verfolgten: Im Anschluss an die radikale Rationalitätskritik des Philosophen Ludwig Klages – der bis zum „Schwabinger Krach“ von 1904 dem Kreis um Stefan George nahegestanden und mit zahlreichen Schriften sowie dem dreibändigen Opus Der Geist als Widersacher der Seele eine dezidiert modernitätskritische Weltanschauung konzipiert hatte111 – strebten sie nach einer radikalen Dekonstruktion des wissenschaftlich-technischen Weltbildes und seiner „logozentrischen“ Grundlagen. In diesem Kampf gewannen romantische Ideen und vor allem die Frühschriften Ernst Moritz Arndts besondere Bedeutung. Schon 1915 hatte Klages die Romantik als „Urfeuer schleudernden Ausbruch“ gegen die „verführenden Larven des weltbekriegenden Logos“ bezeichnet und ihr mythischorganisches Denken zum Vorgänger der eigenen „Lebensphilosophie“ erhoben.112 In Aufnahme und Radikalisierung romantischer und lebensphilosophischer Vorstellungen erklärte er den „Geist“ zu einem transpersonalen Prinzip, das einen ursprünglich unbe-

jeweiligen Macht zu gehen, freilich auch das unter allen subjektivistischen Vorbehalten.“ Carl Schmitt, Politische Romantik, Berlin 1919, S. 109; hier zitiert von Blome (wie Anm. 105), S. 317. 111 Anfänglich in München, später in Kilchberg bei Zürich lebend, hatte der ausgebildete Chemiker Ludwig Klages ein philosophisches System entwickelt, das die abgelehnten Signaturen der Moderne – Geldwirtschaft und Massenkultur, wissenschaftliche Rationalität und technische Naturbeherrschung – auf den diametralen Gegensatz von „Geist“ und „Leben“ zurückführte. Mit einem ausdifferenzierten Begriffssystem destruiere der „Geist“ die ursprünglich bildhaft gegebene Wirklichkeit und ersetzte sie durch ein künstliches System von Zeichen, das nicht mehr „kosmisch“, sondern „logozentrisch“ strukturiert sei. Ergebnis sei die uneingeschränkte Herrschaft eines Rationalitätstyps, der die natürliche Umwelt und die menschliche Subjektivität technisch zurichte und letztlich zerstöre. Zu Ludwig Klages’ philosophischem Werk siehe u. a. Michael Pauen, Dithyrambiker des Untergangs. Gnostizismus in Ästhetik und Philosophie der Moderne, Berlin 1994, S. 135–198; ders., Pessimismus. Geschichtsphilosophie, Metaphysik und Moderne von Nietzsche bis Spengler, Berlin 1997, S. 173–181; Hinweise auf die widerspruchsreiche Wirkungsgeschichte von Klages’ Ideen geben Hans Eggert Schröder, Ludwig Klages. Die Geschichte seines Lebens, Erster Teil: Die Jugend, Bonn 1966; Zweiter Teil: Das Werk, Erster Halbband (1905–1920), Bonn 1972; Zweiter Halbband (1920–1956) bearbeitet und hg. von Franz Tenigl, Bonn 1992 [durchpag]; Hans Eggert Schröder, Ludwig Klages 1872–1956. Centenar-Ausstellung 1972, Marbach 1972, S. 26–51; Hans Kasdorf, Ludwig Klages. Werk und Wirkung, 2 Bde, Bonn 1969/1974; ders., Klages im Widerstreit der Meinungen. Eine Wirkungsgeschichte 1895–1975, Bonn 1978. 112 Ludwig Klages, Einleitung (1915), in: ders., Rhythmen und Runen. Nachlaß hg. von ihm selbst, Leipzig 1944, S. 19.

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wußten und durch Bilderflut gekennzeichneten „Lebensstrom“ unterbrochen und gewaltsam unterjocht habe.113 Schon 1913 verkündete Klages diese Botschaft in der Festschrift zum Ersten Freideutschen Jugendtag der auf dem Hohen Meißner versammelten Jugendbewegung.114 Die von seiner Persönlichkeit ausgehende Faszination sowie die rasche – und auch durch die politischen Zäsuren der Jahre 1933 und 1945 nicht unterbrochene – Verbreitung seiner Arbeiten sicherte ihm Aufmerksamkeit und emphatischen Zuspruch vor allem von Seiten junger kulturkritischer Intellektueller.115 Diese fanden zumeist bereits während ihrer Studienzeit Zugang zu den wortgewaltig formulierten Ideen des Philosophen, die in ihrem Rückgang auf vorbewußt-symbolische Formen des „Erlebens“ eine radikale Überwindung des neuzeitlichen „Logozentrismus“ verhießen. Hans Kern, vor 1945 wohl eifrigster Popularisator von Klages’ Ideen und Verfasser zahlreicher „biozentrischer“ Deutungen der deutschen Literatur- und Geistesgeschichte, übernahm während der Arbeit an seiner Dissertation über den von Klages hoch geschätzten Carl Gustav Carus dessen Weltbild. Obwohl er beabsichtigte, eine universitäre Laufbahn einzuschlagen, blieb er nach der Promotion Privatgelehrter ohne akademische Anstellung. Hans Eggert Schröder, später Leiter des 1933 gegründeten Arbeitskreises für biozentrische Forschungen und Klages-Biograph, hatte bei Robert Petsch und Max Dessoir in Hamburg und Berlin Germanistik und Philosophie studiert und sich während des Studiums an den Philosophen gewandt, um Publikationsmöglichkeiten des BachofenBriefwechsels zu erkunden. Auch Werner Deubel, der in München, Bonn und Frankfurt Literaturwissenschaft, Kulturgeschichte und Philosophie studierte und während seines Aufenthaltes in München 1913/14 Klages persönlich kennengelernt hatte, geriet durch diese Begegnung in einen Bann, der ihn bis zu seinem Tod 1949 nicht mehr freigab.116 113 Die Herkunft des als Makrosubjekt verstandenen „Geistes“ wurde von Schuler und Klages auf eine großangelegte Verschwörung z. T. ‚kosmischen‘ Ursprungs gegen das im ‚Blut‘ bewahrte Leben der ‚Bilder‘ zurückgeführt; Agenten der Unterjochung und Verleugnung dieses ‚bildhaften Lebens‘ waren ihnen das Judentum und das aus ihm hervorgegangene Christentum, das sie (wie der von Klages und seinen Anhängern wiederentdeckte Georg Friedrich Daumer) als verkappte Molochsreligion deuteten. Zu den gnostizistischen Zügen und antisemitischen Konsequenzen des von Klages vertretenen „pessimistischen Radikalismus“ siehe Pauen, Pessimismus (wie Anm. 111), S. 180; ders., Einheit und Ausgrenzung. Antisemitischer Neopaganismus bei Ludwig Klages und Alfred Schuler, in: Renate Heuer/Ralph-Rainer Wuthenow (Hg.), Konfrontation und Koexistenz. Zur Geschichte des deutschen Judentums, Frankfurt a.M./ New York 1996, S. 242–269. 114 Ludwig Klages, Mensch und Erde, in: Freideutsche Jugend. Zur Jahrhundertfeier auf dem Hohen Meißner 1913, Jena 1913, S. 89–107; als Reprint in: Winfried Mogge/Jürgen Reulecke (Hg.), Hoher Meißner 1913. Der Erste Freideutsche Jugendtag in Dokumenten, Deutungen und Bildern (Archiv der Jugendbewegung 5), Köln 1988. 115 Siehe dazu die aufschlussreichen Beiträge in Hans Eggert Schröder (Hg.): Das Bild, das in die Sinne fällt: Erinnerungen an Ludwig Klages, Bonn 1984. 116 Eine anthroposophisch motivierte Ehrenrettung Deubels liefert Robert Kozljanic, Werner Deubel – Dichter der Magna Mater. Zur Wiederentdeckung eines spätgeborenen Romantikers, in: Novalis 51 (1997) H. 10, S. 46–50.

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Die Erhebung der Romantik zur Antizipation von Klages’ Lebensphilosophie durch die sich zu „Jüngern“ stilisierenden Anhänger geschah jedoch nicht ohne anfängliche Zweifel.117 Zum eigentlichen „Erweckungserlebnis“ wurden schließlich die Werke Johann Jakob Bachofens und Ernst Moritz Arndts Germanien und Europa.118 Nun endgültig von der romantischen Beglaubigung des „biozentrischen Weltbildes“ überzeugt, propagierten Kern und andere begeisterte Anhänger wie Christoph Bernoulli, Werner Deubel, Rudolf Ibel, Hans Prinzhorn und Hans Eggert Schröder seit Mitte der 1920er Jahre eine „Lebenswissenschaft“, deren dichotomische Konstruktion polarer Weltanschauungsprinzipien („logozentrisch“ vs. „biozentrisch“) auf die deutsche Geistesgeschichte projiziert wurden, um in Goethe, den Romantikern und Ernst Moritz Arndt legitimierende Vorläufer eines der „Erde“ und den „Müttern“ verhafteten Weltbildes zu entdecken. Ein publizistisches Sprachrohr für diese zirkulären Aktivitäten fanden die Mitglieder des vorerst nur locker verbundenen Kreises im Jenaer Verlag von Eugen Diederichs und der hier seit 1925 durch Wilhelm Rössle herausgegebenen Buchreihe Gott-Natur. Schriftenreihe zur Neubegründung der Naturphilosophie, die laut Verlagsankündigung eine „zusammenschauende Naturdeutung“ verbreiten und dazu beitragen sollte, das „einseitig idealistische und mechanische Weltbild“ durch ein „organisches“ und „biozentrisches“ zu ersetzen.119 Bei Eugen Diederichs veröffentlichte Hans Kern auch die Monographie Ernst Moritz Arndt: Der ewige Deutsche, die den Historiker und Publizisten neben Daumer und Carus zu den wichtigsten Vorläufern einer rationalitätskritischen Antimoderne erklärte. Welche weitreichenden Hoffnungen die „Biozentriker“ hegten, dokumentiert der 1931 von Werner Deubel herausgegebene und im Berliner Verlag für Zeitkritik erschienene Sammelband Deutsche Kulturrevolution. Weltbild der Jugend, der emphatisch zu einer umfassenden gesellschaftlichen „Erneuerung aus den Mächten des Blutes und der Seele, also des Lebens gegen die Mächte der Geistwerte und des Machtwillens, also des Todes“ aufrief.120 Die Beiträger dieses Bandes, die sich größtenteils im 1933 gegründeten Arbeitskreis für biozentrische Forschungen wiederfinden sollten, zogen die Konsequenzen aus der von Ludwig Klages eingeleiteten „großen Denk- und Lebenswende“ 117 Hans Kern an Ludwig Klages. Brief vom 25.9.1925. Ebd., 61.10290/16. Unterstreichungen im Original. 118 Vgl. Hans Kern an Ludwig Klages. Brief vom 15.3.1926. Ebd., 61.10291/7. Von dieser „biozentrischen“ Entdeckung Arndts schon vor 1933 zeugen zahlreiche Beiträge und Editionen, so u. a. Hans Kern, Arndt und wir, in: Die Tat 20 (1928/29), S. 114–117 (auszugsweise auch in: Die Literatur 30 (1927/28), S. 549); ders. (Hg.), Vom unbekannten Arndt. Studienhilfe zur Philosophie der Geschichte und Menschenbildung (Stettiner Volkshochschul-Übungshefte 5), Stettin 1929; ders., Ernst Moritz Arndt, der ewige Deutsche, in: Diederichs Löwe 4 (1930), S. 141–143; ders., Arndt und die Gegenwart, in: Rhythmus 9 (1931), S. 119–130. 119 In dieser Reihe erschienen u. a. Goethes Morphologische Schriften. Ausgew. und eingel. von Wilhelm Troll (Gott-Natur 1), Jena 1926, 2. Aufl. 1932; Naturphilosophie der Romantik. Ausgewählt und eingeleitet von Christoph Bernoulli und Hans Kern (Gott-Natur 2), Jena 1926; Carl Gustav Carus, Psyche: Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Ausgewählt und eingeleitet von Ludwig Klages (Gott-Natur 3), Jena 1926; Wilhelm Steinfels, Farbe und Dasein: Grundzüge zu einem symbolischen Weltbild (Gott-Natur 4), Jena 1926. 120 Werner Deubel, Einführung, in: ders. (Hg.), Deutsche Kulturrevolution. Weltbild der Jugend, Berlin 1931, S. X.

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für die verschiedenen Kulturgebiete „Weltanschauung“ (Hans Kern), „Religion“ (Jorg Lampe), „Bildende Kunst“ (Heinrich Döhmann), „Dichtung“ (Werner Deubel), „Politik“ (Wilhelm Schöppe), „Wirtschaft“ (Kurt Seesemann) und „Recht“ (Hans Rosenfeld). Die den „ganzen Menschen“ ergreifende „Umwälzung der Wertwelt“ dürfe nicht in „Privilegphantasien“ stecken bleiben, sondern müsse mit einer „Lebensrevolution“ den rational geleiteten Willen als den „Herznerv des Denkens und Handelns der alten Wertwelt“ überwinden.121 Übereinstimmend entwarfen die Autoren das Projekt einer radikalen Aufhebung der entzweiten und versachlichten Lebensverhältnisse der Moderne durch die rückhaltlose Hingabe an eine Unmittelbarkeit, deren zentrale Bestimmungen von Arndt vorgedacht und von Klages entfaltet worden waren: Im Verzicht auf egoistische Selbstbehauptung, im restlosen Aufgehen in einer Gemeinschaft, vor allem aber in der Liebe zu Tier und Pflanze, „Mutter“ und „Mütterlichkeit“ (als den höchsten Symbolen natürlichen Werdens) sollten die in apokalyptischen Bildern geschilderten Verwerfungen einer männlich-rational beherrschten und technisch ausgebeuteten Welt geheilt werden.122 Gegen neusachliche „Verhaltenslehren der Kälte“ (Helmut Lethen) und deren Akzeptanz lebensnotwendiger Differenzen zwischen den Einzelgliedern einer durch Verkehrsformen künstlich strukturierten Gesellschaft setzten die kulturrevolutionären Entwürfe der Klages-Jünger das „Erlebnis der Hingabe an die lebendige Natur in uns und außer uns“, deren metaphernreiche Umschreibungen an Wendungen des jungen Ernst Moritz Arndt erinnern: „Indem wir uns auf unser Einzigstes [sic], Tiefstes besinnen und die gute und große Liebe zu Pflanze und Tier und Mensch, zur ‚Mutter‘, zum Freund, zum Volk und zur Heimat, zur Erde und zum All, zum Schicksal und zum Tod in uns nähren, treten alle Wesen wieder in unmittelbarsten Bezug zu uns. Wir begegnen dem ewigen Antlitz. Die Natur spricht von neuem ihre sprachlose Sprache, unsere Mutter-Sprache. Das Verständnis dieser Sprache würde Wissenschaft allererst wieder zur Weisheit machen und Leben zur Religion.“123 – Die hier deklarierten Oppositionen lassen nicht nur an die binären Schemata in Germanien und Europa denken. Sie lassen sich auch als Applikation und Weiterführung seiner Gedankenfiguren unter den Bedingungen kulturpolitischer Radikalisierung lesen: Wie der Herausgeber des Bandes nachdrücklich geltend machte, waren „deutsche Kulturrevolution“ und die „Wiederentdeckung Ernst Moritz Arndts“ untrennbar verbunden.124

121 Ebd., S. XI ff. Die Stellungnahme gegen jede Art von „Privilegphantasien“ richtete sich dabei gleichermaßen gegen kommunistische und nationalsozialistische Vorstellungen als Ausdruck des „Wahns, nur der Proletarier, eben weil er Proletarier ist, oder nur der nordisch-germanische Mensch, bloß weil er [...] einer bestimmten Rasse angehört, sei fürder allein auserwählt, die neue Wertwelt zu bestimmen.“ 122 Prägnant in der Gegenüberstellung von ‚männlichem‘ Geist und ‚mütterlicher‘ Natur im Beitrag von Hans Kern, Weltanschauung, in: Deubel (wie Anm. 120), S. 1–24, hier S. 19: „So ist der rücksichtslos vernichtende Kampf des männlichen Geistträgers gegen die Erde, die er durch Technik schändet und ausbeutet und durch Krieg gegen Mensch und Tier verwüstet, der Ausdruck ‚muttermörderischer‘ Gesinnung.“ 123 Ebd., S. 24. 124 So Werner Deubel, Die deutsche Kulturrevolution und die Wiederentdeckung Ernst Moritz Arndts, in: Die Sonne 9 (1932), S. 462–468.

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Trotz der Skepsis gegenüber politischen Bewegungen verknüpften die Klages-Jünger mit der nationalsozialistischen Machtübernahme anfänglich weitreichende Hoffnungen. Stand der seit 1919 in Kilchberg bei Zürich lebende Klages den Ereignissen in Deutschland eher skeptisch gegenüber, erhofften seine deutschen Anhänger nicht weniger als die Umkehr einer Entwicklung, die sie wie ihr Lehrer von „zersetzendem Logos“ und „zerstörerischem Kapitalismus“ determiniert sahen. Deshalb gründeten sie am 25. Juni 1933 in Markkleeberg bei Leipzig den Arbeitskreis für biozentrische Forschungen, dessen Ziele mit den kulturpolitischen Imperativen des NS-Regimes konform zu sein schienen: Angestrebt wurde das „Bewahren und Weitertragen eines neuen, reicheren und tieferen Bildes vom Menschen, der die Wurzeln seiner Existenz im Blutund Landschaftszusammenhang findet“, das „Erhalten und Geltendmachen einer Kulturgesinnung, die nicht mehr den idealistischen und materialistischen Gesetzen des Geistes folgt und damit der logozentrischen Weltanschauung huldigt, die vielmehr die Mächte des Lebens als letzten Wert setzt, indem sie der biozentrischen Weltanschauung dient“. Als der „bedeutendste Verkünder“ einer solchen Lebensphilosophie galt (natürlich) Ludwig Klages; und auch die ideellen Traditionen wurden herausgestellt: Es ist eine Traditionslinie, die „mit der deutschen Mystik einsetzt und in großen Umrißlinien durch die Namen Jakob Böhme, Goethe, Arndt, Carus, Bachofen und Nietzsche bezeichnet wird.“125 Mit den intensiven publizistischen Aktivitäten des Arbeitskreises für biozentrische Forschungen und im Umkreis der Bemühungen um einen „arteigenen“ „Deutschen Glauben“ bzw. eine vorchristlich-germanische Frömmigkeit gewannen die Bezugnahmen auf die weltanschaulich-philosophischen Äußerungen von Ernst Moritz Arndt eine nicht zu unterschätzende Bedeutung.126 Denn vor allem nach 1933 avancierte er 125 Pressemitteilung über die Gründung des Arbeitskreises in der Leipziger Abendpost vom 27. Juni 1933, unterzeichnet mit Pb. (= Horst Pabel). Auch im Völkischen Beobachter sowie in den Leipziger Neuesten Nachrichten wurde am 30.6.1933 die „Reichsgründung des ,Arbeitskreises für Biozentrische Forschung‘ “ vermeldet. Gründungsmitglieder des Arbeitskreises waren u. a. Erwin Ackerknecht (damals noch Stettiner Bibliotheks- und Volkshochschuldirektor), Elsa Bruckmann (die Gattin des Münchener Verlegers Hugo Bruckmann), Rudolf Bode (Leiter der gymnastischen Bode-Schule und Herausgeber der Zeitschrift Rhythmus); Werner Deubel (Schriftsteller), Julius Deussen (Assistent für Neurologie und Psychatrie an der Universität Leipzig), Hans Frucht (Bode-Lehrer und Schriftleiter des Rhythmus), Otto Huth (Religionswissenschaftler), Rudolf Ibel (Lehrer und Schriftsteller), Nils Kampmann (Verleger und Herausgeber der Zeitschrift für Menschenkunde), sowie die Germanisten Hans Kern, Martin Ninck, Carl Alexander Pfeffer, Hans Eggert Schröder und Kurt Seesemann. 126 Die aus zahlreichen, z. T. obskuren Gruppen und antichristlichen Vereinen bestehende „Deutsche Glaubensbewegung“ berief sich auf eine die deutsche Geistesgeschichte durchziehende Linie antichristlicher Opposition, die mit Gottschalk von Sachsen, Otloh von Sankt Emmeran und Ruppert von Deutz noch vor der deutschen Mystik begonnen und in romantischen und völkischen Vorkämpfern gegen Liberalismus und Marxismus im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert ihren ersten Höhepunkt erreicht habe. Ende 1935 existierten innerhalb der „Deutschen Glaubensbewegung“ (mit ihrem seit 1934 erscheinenden Organ Durchbruch) die „Deutschgläubige Gemeinde“ (mit Organ Widar), die „Germanische Glaubensbewegung“ (Zeitschrift Nordischer Glaube) und die „Nordische Glaubensbewegung“

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zum bevorzugten Gegenstand von Forschungen, die in seiner „unchristlichen“ Weltanschauung den „ewigen Deutschen“ erkennen und kulturpolitisch auszubeuten suchten.127 Obzwar einzelne Vertreter des Klages-Kreises Vorbehalte gegenüber der von Alfred Rosenberg unterstützten und am 30. Juli 1933 in Form einer „Arbeitsgemeinschaft“ institutionell zusammengeschlossenen „Deutschen Glaubensbewegung“ hegten, stimmten sie doch mit deren Plänen überein, gegen die bisherige Dominanz des Christentums eine „neuheidnische Lebensreligion“ durchzusetzen. Geleitet von der Absicht, einen „arteigenen Glauben“ auch in der Romantik entdecken und für die Gegenwart fruchtbar zu machen, verschmolzen Vertreter des Klages-Kreises die „biozentrische Lebenswissenschaft“ mit neuen kulturpolitischen Aufgabenstellungen. 1934 publizierte Hans Eggert Schröder in der „Zeitschrift für arteigene Lebensgestaltung, Weltanschauung und Frömmigkeit“ Deutscher Glaube einen Aufsatz Der heidnische Charakter der deutschen Romantik, der die Romantik in eine antichristliche Widerstandsbewegung umdeutete.128 Der frühen Romantik attestierte Schröder bei religiöser Haltung eine Ablehnung des christlichen Glaubenskanons; der späteren Romantik und namentlich dem Frühwerk Arndts eigne dagegen eine „echt heidnische Gläubigkeit“. Ausdruck dafür seien die neue Sinngebung des Eros, die Verehrung des Mütterlichen, der Ahnenund Heldenkult, die „Feier des Lebens“ und ein „Schauer vor den lebendigen Mächten“. Ein Jahr später veröffentlichte Schröder gemeinsam mit Hans Kern ein antichristliches Lesebuch zur Glaubensfrage. Dennoch waren Differenzen zwischen dem KlagesKreis und neuheidnischen Gruppen unübersehbar und den beteiligten Akteuren auch selbst bewusst: Betonten ‚deutschgläubige‘ Vordenker den Wert der Tat (des starken Einzelindividuums bzw. der kollektiv handelnden Größen Rasse und Volk), beharrten die Klages-Jünger auf ihrer Ablehnung aktivistischer, auf den Willen gegründeter Überzeugungen. In einem Brief an Klages stellte Kern klar, daß von ihm und Hans Eggert Schröder im Widukind-Verlag publizierte Lesebuch zur Glaubensfrage sollte „gewissen Kreisen der deutschen Gegenwart, die bei der Suche nach neuen religiösen Formen zweifellos völlig auf dem Holzwege sind, einmal ein Licht aufstecken“ – er persönlich halte „noch weniger als nichts“ von germanisierenden „Glaubensbewegungen“.129 (mit der seit 1932 erscheinenden Nordischen Zeitung). Informelle Zusammenschlüsse existierten schon länger und waren zumeist um Zeitschriften gruppiert wie die „Deutsche Aktion“ um die Zeitschrift Blitz (seit 1933), die Hauer-Gruppe um die Zeitschrift Deutscher Glaube (seit 1934), „Haus Ludendorff“ um die Zeitschrift Am heiligen Quell deutscher Kraft, die Reventlow-Gruppe um den Reichswart (seit 1928), die „Völkische Aktion“ um das Journal Nordland (seit 1932). Vgl. dazu Stefanie von Schnurbein, Die Suche nach einer „arteigenen“ Religion in ‚germanisch-‘ und ‚deutschgläubigen‘ Gruppen, in: Uwe Puschner/Walter Schmitz/Justus H. Ulbricht (Hg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“, München u. a. 1996, S. 172–185. 127 Zur „neuheidnischen“ Arndtforschung zwischen 1918 und 1945 vgl. Günther Ott, Ernst Moritz Arndt. Religion, Christentum und Kirche in der Entwicklung eines deutschen Publizisten und Patrioten (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 22), Düsselorf 1966, S. 17–22. 128 Hans Eggert Schröder, Der heidnische Charakter der deutschen Romantik, in: Deutscher Glaube 1 (1934), S. 299–308. 129 Hans Kern an Ludwig Klages. Brief vom 15.11.1934. DLA Marbach, A: Klages, 61.10292/8.

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Streitpunkt zwischen den Propagandisten eines „neuheidnischen“ und den zumeist konfessionell gebundenen Rettern eines „christlichen“ Arndt-Bildes war die seit Heinrich Laags 1926 vorgelegter Monographie Die religiöse Entwicklung Ernst Moritz Arndts diskutierte Frage, ob und welcher Weise sich Abschnitte in Arndts geistiger Biographie unter besonderer Berücksichtigung antichristlicher Haltungen differenzieren ließen. Hatte Laag noch vorsichtig von „heidnischen“ und „christlichen Epochen“ gesprochen, identifizieren nach 1933 vorgelegte Untersuchungen eine konstante „deutschgläubige Wesenheit“ Arndts; „die in jüdisches Gewand gehüllte Lehre Christi“ könne mit seiner „germanisch-nordischen Weltanschauung nicht in Einklang“ gebracht werden.130 An dieser antichristlichen Umdeutung Arndts beteiligen sich die Mitglieder des KlagesKreises aktiv – wenn auch ihre Versuche, aus Arndts angeblich „tellurischem Urerlebnis“ eine besonders starke Form der „Geistfeindlichkeit“ abzuleiten, nur schwache Resonanz fanden. Davon unbeeindruckt, produzierte insbesondere Hans Kern bis weit in die 1930er Jahre Würdigungen und Auswahlausgaben.131 In den polemischen Auseinandersetzungen, die sich an der betont antichristlichen Stoßrichtung ihrer Vereinnahmungsrhetorik entzünden, wird deutlich, daß die von den Klages-Jüngern praktizierte Radikalnegation des „Geistes“ sowohl den Verteidigern eines christlichen Arndt-Bildes als auch den Verfechtern einer „neuheidnischen Lebensreligion“ suspekt blieb.132 – Zusätzliche Nahrung fand diese Skepsis nicht zuletzt in den Versuchen aus dem KlagesKreis, Ernst Moritz Arndt zum Vordenker eines „atlantidischen Weltbildes“ zu erheben, wie es eine von Otto Huth im Leipziger Reclam-Verlag vorbereitete Auswahlausgabe aus Erinnerungen Arndts unter dem Titel Nordische Volkskunde 1936 unternahm. Huth, ein Gründungsmitglied des Arbeitskreises für biozentrische Forschung, hatte be130 So Meinert Hansen, Ernst Moritz Arndt. Ein Beitrag zur Erforschung seiner Persönlichkeit und Gedankenwelt, Hamburg 1936 (Diss. Hamburg), S. 9 und 57. – Als „ähnlich, wenn auch nicht so primitiv nationalistisch“ bewertet Günther Ott (wie Anm. 127), S. 19 die Darstellungen von Helmut Plath (wie Anm. 102), Hans Polag (wie Anm. 102), Hemenegild Joef Kuhn, Arndt und Jahn als völkisch-politische Denker (Manns Pädagogisches Magazin H. 1428), Langensalza 1936. 131 Arndt, Ewigkeit (wie Anm. 83); Hans Kern: Ernst Moritz Arndt, der Seher der Deutschen, in: Deutscher Glaube 1 (1934), S. 98–104; ders., Das neue Arndt-Bild, in: Völkische Kultur 2 (1934), S. 488–496; ders., Ernst Moritz Arndt, in: Süddeutsche Monatshefte 32 (1935), S. 537–541; ders., Ernst Moritz Arndt, in: Willy Andreas/Wilhelm von Scholz (Hg.), Die großen Deutschen, 2. Bd., Berlin 1935, S. 503–523; Hans Kern (Hg.), Arndt, Berlin-Lichterfelde 1937. 132 Zu einer christlichen Rehabilitation Arndts meldeten sich u. a. Helmuth Schreiner, Deutsche Gestalten in neuer Sicht, in: Zeitwende 11 (1934), S. 65–69; ders., Ernst Moritz Arndt. Ein deutsches Gewissen, Berlin 1935; ders., Zur Wiederentdeckung Arndts, in: Zeitenwende 11/ II (1935), S. 281–290. Gegen ihn polemisierte Paul Knauer, Verfasser des Buches Ernst Moritz Arndt. Der grosse Erzieher der Deutschen (Stuttgart 1935) mit der Artikelfolge: Wie steht es mit Arndts Heidentum?, in: Deutscher Glaube (2) 1935, S. 399–404, 456–464. Ohne Kerns geistfeindliches Arndt-Bild verteidigen zu wollen, griff er Schreiners christliche Rettungsversuche an: Arndts Rückkehr zum Christentum sei eine Alterserscheinung; sein Kampf um „Deutschlands Wiedergeburt“ habe nicht in weltflüchtiger christlicher Glaubenshaltung, sondern im „Heidentum“ seine Wurzeln.

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reits am 4. Mai 1934 an der berühmt gewordenen Diskussion an der Berliner FriedrichWilhelms-Universität teilgenommen und gemeinsam mit Herman Wirth und Walther Wüst die (rasch als Fälschung entlarvte) Echtheit der Ura-Linda-Chronik als Quellenbeleg für die These von der Existenz einer „arktisch-atlantischen Urheimat“ der indoarischen Stämme verteidigt.133 Im Nachwort seiner Arndt-Edition erklärte er den Historiker und Publizisten aus Schoritz nun ebenfalls zum Anhänger der Idee eines „nordischen Atlantis“.134 Rezensionen zu dieser Veröffentlichung kamen diesmal jedoch nicht nur von Mitgliedern des Klages-Kreises,135 sondern auch von dem Mitarbeiter der SS-Lehr- und Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe Josef Otto Plaßmann, in dessen Abteilung für Märchen- und Sagenforschung Huth 1937 als Mitarbeiter eintreten sollte.136 Noch ahnte wohl niemand, dass die Beschäftigung mit Arndt einen nachhaltigen Konflikt mit einer zentralen ideologieverwaltenden Institution des „Dritten Reiches“ heraufbeschwören würde. Und doch kam es dazu: und zwar im Frühjahr 1937, nachdem Hans Kern in der Zeitschrift Politische Erziehung den Aufsatz Fichte und Arndt veröffentlicht hatte. Den 175. Geburtstag Johann Gottlieb Fichtes – dessen „Ruf an das völkische Gewissen aller Deutschen“137 das Organ des NS-Lehrerbundes Sachsen mit einem von Gauleiter Martin Mutschmann hymnisch eingeleiteten Sonderheft feierte – nutzte Kern zu einer Generalabrechnung mit dem deutschen Idealismus, um dessen „logozentrischer Verwirrung“ Arndts „Lebensphilosophie“ als Alternative gegenüberzustellen: „Was Arndt von Natur besaß (und was Fichte abging), war der bäuerliche Wirklichkeitssinn für Erde und Boden, Wachstum und Reifung, sinnlich-lebendige Gestalthaftigkeit und beseelten ‚Leib’. Arndt, auch als Denker ein vorzüglicher Kopf, war zwar gewiß kein philosophischer Systematiker (in der Hinsicht kann er mit dem scharfsichtigen Fichte nicht verglichen werden), aber seine Welt- und Geschichtsauffassung ist von Grundüberzeugungen durchzogen, die sich sehr wohl als solche namhaft machen lassen. Da ist nun wesentlich: was Arndt ahnend suchte, war eine Ebene jenseits von materialistischem Mechanismus und konstruktivistischem Idealismus, war ein neuer Standpunkt außerhalb der Denküberlieferungen des 17. und 18. Jahrhunderts. Er wollte die große Natur weder als tote Sachwelt angesehen wissen, noch als ein bloßes Produkt synthetischen ‚reinen Denkens’.“138 Mit zahlreichen Zitaten aus Arndts 133 Vgl. Michael H. Kater, Das „Ahnenerbe“ der SS 1935–1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, 2., um ein ausführliches Nachwort ergänzte Auflage, München 1997, S. 74. 134 Otto Huth, Nachwort, in: Ernst Moritz Arndt, Nordische Volkskunde, hg. und mit einem Nachwort von Otto Huth (Reclams Universalbibliothek 7318), Leipzig 1936, S. 71. 135 So von Hans Eggert Schröder, in: Die Literatur 38 (1935/36), S. 392 sowie in: Rhythmus 14 (1936), S. 90–91; sowie von Hans Kern, Arndts nordische Volkskunde, in: Das Volk 1 (1936/37), S. 94–96, auszugsweise und z. T. verändert wieder in: Die Sonne 13 (1936), S. 353–354.) 136 Josef Otto Plaßmann, Rez. Ernst Moritz Arndt: Nordische Volkskunde, in: Germanien 8 (1936), S. 221–222. 137 So Reichsstatthalter und Gauleiter Martin Mutschmann in seinem Vorspruch zum FichteSonderheft in: Politische Erziehung 5 (1937), S. 137. 138 Hans Kern, Fichte und Arndt, in: Politische Erziehung 5 (1937), S. 132–141, hier S. 137.

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Schriften des Jahrzehnts zwischen 1800 und 1810 und insbesondere aus der im KlagesKreis hochgeschätzten Abhandlung Germanien und Europa belegte Kern die „weit größere Lebensnähe“ des Rügener Bauernsohns, um abschließend noch einmal die tiefgreifende Differenz zwischen dem „erd- und allflüchtigen“ Philosophen Fichte und dem „sinnlich-anschaulichen“ Denken des „Wanderers“ Arndt zu konstatieren: „Entwickelte Fichte eine rein aktivistisch-männliche Philosophie, so hat der (gewiß nicht im mindesten unmännliche!) Arndt der mütterlich bildenden Kraft der Natur in und außerhalb des Menschen am tiefsten vertraut.“139 Widerstand gegen diese weitreichenden Differenzierungen kam von einer Institution, von der man eigentlich ein anderes Verhalten erwartet hätte. Es war Alfred Rosenbergs „Dienststelle für die gesamte politische und weltanschauliche Schulung der NSDAP“, die sich massiv gegen die Aufwertung Arndts zum Stammvater eines organisch-rationalitätskritischen Weltbildes wandte. In deutlicher Abgrenzung von Kerns Gegenüberstellung erklärte Rosenbergs Haus-Philosoph Alfred Baeumler im Mai 1937: „Wenn Klages und seine Schüler heute mit Kant und Fichte rechten, dann handelt es sich nicht um eine zukunftsvolle Auseinandersetzung innerhalb des deutschen philosophischen Denkens, sondern um einen Sektiereraufstand abseitiger Schwärmer gegen die gewaltige Leistung derer, die das von Luther begonnene Werk der Befreiung vollendet haben.“140 Gegen die Deklaration von Arndts „erdverwurzelter“ Weltanschauung mit ihrem rückhaltlosen Vertrauen in die „mütterlich bildende Kraft der Natur in und außerhalb des Menschen“141 beharrte Baeumler auf den Differenzierungsgewinnen der idealistischen Philosophie: „Unsere Pflicht kann es nicht sein, als Nutznießer der Romantik Kant und Fichte aufklärerischer Tendenzen zu überführen, sondern wir haben als Erben der Romantik und des Idealismus – und damit zugleich als Erben Luthers – dieselbe Aufgabe wie an einer anderen Stelle der deutschen Geschichte, und deshalb bedeutet das Werk des philosophischen Idealismus für uns schlechthin den verpflichtenden Ausgangspunkt. Sich aus dieser Verpflichtung lösen – das hat eben erst wieder ein gegen Fichte gerichteter Aufsatz des ,Biozentrikers‘ Hans Kern gezeigt – heißt, sich aus der geschichtlichen Kampflinie zurückziehen.“142 Die Hintergründe für diese Interventionen sind nicht umstandslos zu durchschauen. Verständlich werden sie jedoch angesichts der Bemühungen von Klages-Anhängern, die anlässlich des 65. Geburtstags ihres „Meisters“ zahlreiche Versuche unternommen hatten, das Werk des umstrittenen Philosophen öffentlichkeitswirksam herauszustellen sowie durch Aufnahme in die NS-Bibliographie quasi-offiziell in den Ideenhaushalt des Nationalsozialismus zu integrieren. Nachdem diverse Literatur- und Kulturzeitschriften publizistische Würdigungen durch Klages-Schüler veröffentlicht hatten, sollte schließlich im Februar 1938 im Organ der Reichsjugendführung eine emphatische Darstellung unter dem Titel Wir stehen zu Ludwig Klages erscheinen – ob139 Ebd., S. 141. 140 Alfred Baeumler, Fichte und wir. Gedächtnisrede zur Feier seines 175. Geburtstages. Gehalten an der Universität Berlin am 27. Mai 1937, in: NS Monatshefte 8 (1937), S. 482–489, hier S. 483f. 141 Kern (wie Anm. 138), S. 141. 142 Baeumler (wie Anm. 140), S. 483f.

Geschichtsphilosophische und völkerpsychologische Spekulationen

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wohl doch in Alfred Rosenbergs Nationalsozialistischen Monatsheften im Januar 1938 ein Aufsatz von Ferdinand Weinhandl erschienen war, der noch einmal alle Momente von Klages Lehre auflistete, die zum Nationalsozialismus in Widerspruch standen. Hier hatte der Kieler Ordinarius für Philosophie die bereits früher zurückgewiesene Fundamentalopposition von „Geist“ und „Leben“, die radikale Technikkritik sowie das Fehlen eines biologischen Rassegedankens kritisiert. Zwar räumte er ein, daß sich Klages’ Lehre „in ihrer ganzheitlichen und antiintellektualistischen Grundausrichtung“ mit der „nationalsozialistischen Haltung“ berühre.143 Doch verbleibe sie mit der apodiktischen Gegenüberstellung Natur und Kultur in einem Wissenschafts- und Technikverständnis, das nichts anderes als „rückwärts gewandte Romantik, Rousseauismus und Idyllik“ sei.144 Im Frühjahr 1938 kam es schließlich zur Entscheidung. Zwar wurden im Februar 1938 fünf Bücher von Ludwig Klages in die NS-Bibliographie aufgenommen,145 doch griff im April der „Weltanschauungsbeauftragte“ Alfred Rosenberg persönlich in die Debatte ein. In seiner Grundsatzrede „Gestalt und Leben“ an der Universität Halle wandte er sich explizit gegen den Klages-Kreis, der gerade gegenwärtig „außerordentlich geschäftig“ den Philosophen als theoretischen Führer der „großen deutschen Kulturrevolution ausgibt und in Reden und Aufsätzen sich bemüht, diesem Gedanken fortschreitend Eingang in die nationalsozialistische Bewegung zu verhelfen“.146 Unter Rekurs auf seine bereits im Mythus des 20. Jahrhunderts entwickelte Argumentation kritisierte er, dass die von Klages projektierte Restitution eines „kosmischen“ Urzustandes „ein Zurücksinken in gestaltlose rassenchaotische und seelenchaotische Zustände“ bedeute.147 Dagegen stehe die Notwendigkeit wissenschaftlicher Rationalität

143 Ferdinand Weinhandl, Ludwig Klages, in: NS-Monatshefte 9 (1938), S. 33–40, hier S. 40. 144 Ebd., S. 36. Ähnlich auch Erich Zilian, Zur Lebensphilosophie der Gegenwart, insbesondere Auseinandersetzung mit Klages, in: Rasse 5 (1938), S. 298–299. 145 Vgl. NS-Bibliographie 3 (1938), H. 2, S. 14 (Nr. 24–29). Erklärend hieß es dazu: „Im Nachstehenden geben wir eine Zusammenstellung der wichtigsten Schriften von Ludwig Klages. Veranlassung hierzu bietet die in der Öffentlichkeit vor kurzem erfolgte umfangreiche Auseinandersetzung mit ihm. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß Ludwig Klages zu den bedeutendsten Erscheinungen unserer Zeit gehört und sein Werk einer wissenschaftlichen, kulturellen und politischen Neubesinnung unserer Lebensgrundlagen bahnbrechende Dienste erwiesen hat.“ Gleichzeitig wurden in die NS-Bibliographie der schon erwähnte kritische Aufsatz Weinhandls aus den NS-Monatsheften und die Würdigung aus der HJ-Zeitschrift Wille und Macht aufgenommen, ebd., S. 50. Für den Klages-Kreis bedeutete das eine immense Hilfe, vgl. Hans Kern an Ludwig Klages. Brief vom 11.4.1938. DLA Marbach A: Klages, Zugang 61.10294/22: „Wenn dies nach allem Voraufgegangenem unseren Erwartungen allerdings nicht entsprechen kann, so ist jedoch eins nunmehr zweifellos Tatsache [...]: Ihr Werk gehört nach amtlicher Erklärung von Seiten des NS zu dem für ihn wichtigen Schrifttum. Darauf dürfen Deubel, Schröder und ich im gegenwärtigen kulturpolitischen Kampf natürlich Bezug nehmen. Es bedeutet eine Stärkung unserer Stellung.“ 146 Alfred Rosenberg, Gestalt und Leben. Rede des Reichsleiters in der Universität Halle am 27. April 1938, in: NS Monatshefte 9 (1938), S. 386–402, hier S. 388. 147 Ebd., S. 391.

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und moderner Technik auch für den Nationalsozialismus fest.148 Noch im selben Monat erging in Rosenbergs Auftrag eine Anweisung, dass die publizistisch aktivsten Klages-Jünger Hans Kern, Werner Deubel und Hans Eggert Schröder künftig „weder als Vortragsredner noch für Schulungsaufgaben“ herangezogen werden dürften.149 Damit waren deutliche Grenzen abgesteckt, die für die Auseinandersetzung mit den fundamentalistischen Ideen des Klages-Kreises ebenso verbindlich bleiben sollten wie für die rezeptiven Bemühungen um Ernst Moritz Arndt. *** Nach ihrer vielschichtigen Rezeption in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhundert gerieten die geschichtsphilosophischen Überlegungen und völkerpsychologischen Spekulationen Ernst Moriz Arndts in Vergessenheit. Auch wenn es in den 1950er Jahren zu einer letzten und kurzzeitigen Erinnerung an seine patriotischen Einstellungen kam und dabei sogar einstige Parteigänger des NS-Regimes wie der ehemalige Ministerialbeamte im Reichsministerium für Erziehung und Wissenschaft Herbert Scurla publizistisch aktiv werden konnten, war die Blütezeit seiner Wirkungen vorüber. Welche Gründe diese Wandlungen der Aufmerksamkeit hatten, die Arndt zu einem Gegenstand veränderten historischen Interesses machten, ist aber schon eine andere Geschichte.

148 Vgl. ebd., S. 399; „Der Geist ist eben nicht, wie Klages sagt, als außer-raum-zeitliche kosmische Macht in ein paradisisches Idyll hereingebrochen, sondern ist ein entscheidender Bestandteil unseres, ich betone unseres Gesamtlebens.“ Ähnlich auch Weinhandl (wie Anm. 143), S. 40: „Der Geist, den die Entdeckungen und Erfindungen von Leibniz, Newton, Watson bekunden, ist nach unserer Auffassung nicht ein lebensfeindliches Zersetzungsprodukt, sondern ureigenster Rassenausdruck und schöpferische Höchstleistung der nordischen Seele.“ 149 Hauptstelle Kulturpolitisches Archiv in der Dienststelle zur Überwachung der gesamten politischen und weltanschaulichen Schulung der NSDAP an die Reichsstudentenführung. Brief vom 29. April 1938. BA NS 15/59, Bl. 15. Bereits im April 1936 hatte ein Gutachten der Dienststelle Rosenberg den Einsatz Deubels als Vortragsredner zurückgestellt, vgl. Hauptstelle Kulturpolitisches Archiv in der Dienststelle zur Überwachung der gesamten politischen und weltanschaulichen Schulung der NSDAP an die Abteilung Vortragswesen der Dienststelle zur Überwachung der gesamten politischen und weltanschaulichen Schulung der NSDAP. Brief vom 29. April 1936. BA NS 15/256, Bl. 59: „Vorläufig besteht keine Möglichkeit Deubel einzusetzen, da Reichsleiter Rosenberg wegen der weltanschaulichen Grundhaltung Deubels, die sich in wesentlichen Punkten von unserer Auffassung trennt, nichts von Deubel wissen will.“ Am 26. September 1936 wurde Deubel dann doch Unbedenklichkeit bescheinigt, vgl. ebenda, Bl. 172: „Gegen die Verwendung Werner Deubel als Vortragsredner ist nichts einzuwenden.“

Ernst Moritz Arndt in politischer Propaganda des zwanzigsten Jahrhunderts Reinhart Staats Ernst Moritz Arndt war einer der meist gelesenen Autoren im 19. Jahrhundert. „Kein anderer Publizist vermochte derartige Massenauflagen zu erzielen. […] Während ihn heute kaum noch jemand kennt, waren seine Texte einst Bestandteil des Lied- und Bildungsgutes aller sozialer Schichten“, und Arndt ist in unserer Zeit „ein erstaunliches Beispiel für kollektiven Gedächtnisschwund“. So urteilt die Geschichtswissenschaft unserer Zeit.1 Allerdings wurden schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Arndts zahlreiche Schriften kaum noch eifrig und im Ganzen gelesen, während immer einige seiner markanten politischen Sprüche im kollektiven Gedächtnis geblieben waren. Nach 1945 gehörte Arndt allerdings auf einmal zu den fast völlig vergessenen Literaten und Politikern einer vergangenen Epoche. Arndt-Texte waren nach 1945 aus den Schulbüchern so gut wie verschwunden. Eine berühmte, populärwissenschaftliche Buchreihe über „Die großen Deutschen“ verzichtete nach 1945 auf ein Arndt-Kapitel, welches bis dahin nie fehlen durfte. In der DDR war das anders. Warum Arndts Name hier bis zum Schluss hochgehalten wurde, möchte ich später aus der besonderen ArndtRezeption in der Geschichte des deutschen Kommunismus erklären. Auch die evangelische Theologie und die Religionspädagogik haben sich nach 1945, was den politischen Arndt betrifft, bedeckt verhalten. Die große „Theologische Realenzyklopädie“ hat in ihrem 1979 erschienen vierten Band zwar einen ausführlichen Artikel über den Frühpietisten Johann Arndt, aber keinen Artikel über „Ernst Moritz Arndt“, der wohl nicht nur zufällig vergessen wurde. Freilich konnte man in den neuen Gesangbüchern auf Arndts fromme Lieder nicht verzichten: „Ich weiß woran ich glaube“ und das Abendmahlslied „Kommt her, ihr seid geladen“. Gerade diese beiden Lieder waren und bleiben in den Kirchengemeinden bekannt. In der „Liederkunde“ des neuen Evangelischen Gesangbuches (EG seit 1996) wird Arndt sogar erstaunlich positiv und fair vorgestellt: sein Patriotismus, seine demokratische Gesinnung und seine herausragende Bedeutung in der Geschichte der Hymnologie, weil Arndt 1819 mit seiner Schrift „Von dem Wort und dem Kirchenliede“ zum ersten „Anreger der Gesangbuchreform nach der Aufklärung“ geworden war. Sehr bemerkenswert ist, dass endlich in diesem neuen Evangelischen Gesangbuch Arndt sogar als „Demokrat“ gewürdigt wird. Dagegen hatte man im evangelischen Deutschland seit der Reichsgründung 1871 bis 1945 Arndt als einen Demokraten kaum wahrgenommen, wie auch noch im ersten Nachkriegsgesangbuch „Evangelisches Kirchengesangbuch“ (EKG) von 1950 der Demokrat

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Birgit Aschmann, Arndt und die Ehre. Zur Konstruktion der Nation in Texten von Ernst Moritz Arndt, in: Thomas Stamm-Kuhlmann u. a. (Hg.), Geschichtsblätter. Festschrift für Michael Salewski, Wiesbaden 2003, S. 347–368.

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Arndt nicht genannt wurde.2 Die mangelhafte Erinnerung an den Demokraten Arndt im evangelischen Deutschland ist auch ein Indiz dafür, dass Deutschland doch einen sehr „langen Weg nach Westen“ (Heinrich August Winkler) benötigte, um eine Demokratie als beste Staatsform anzuerkennen.

1. Der verdrängte Demokrat Arndt Die Tatsache, dass Arndt ein früher und führender Propagandist der Demokratiebewegung in Deutschland gewesen war, hatte Folgen in der Geschichte der Arndt-Memoria nach dem Scheitern der demokratischen Verfassung 1849. Sehr bald nach diesem Jahr bietet die Entstehungsgeschichte des Rubenow-Denkmals in Greifswald ein anschauliches Beispiel für eine distanzierte Haltung zu Arndt als Demokraten.3 Aus der Universität war 1852 die Anregung gekommen, in Verbindung mit ihrer Vierhundertjahrfeier 1856 ein Denkmal zu errichten. Und so entstand das Rubenow-Denkmal, das in seiner Mitte mit einem nicht sehr großen Medaillon an den ersten Rektor Heinrich Rubenow erinnert und auf halber Höhe in großem Format an die vier Fürsten, die für Geschichte und Größe der Universität als bedeutsam erschienen: Wartislaw IX., der Landesherr im Jahr der Universitätsgründung 1456; Bogislaw XIV., der letzte pommersche Herzog aus dem Greifengeschlecht, der 1634 der Universität fast den gesamten Grundbesitz des Klosters Eldena geschenkt hatte; König Friedrich I. von Schweden (gest. 1751), unter dessen Regierung das Hauptgebäude der Universität gebaut worden war und schließlich der preußische König Friedrich Wilhelm III. (gest. 1840), der erste preußische Landesherr Pommerns. An den Ecken sind vier Sitzporträts bedeutender Vertreter der vier alten Fakultäten zu sehen: Der Theologe und Reformator des Landes Johannes Bugenhagen (gest. 1558), der Jurist David Mevius (gest. 1670), der Mediziner Friedrich August Berndt (gest. 1854) und vorn links für die philosophische Fakultät der weit über achtzig Jahre alte und damals ja noch lebende Ernst Moritz Arndt. Am 17. Oktober 1856 fand die feierliche Einweihung des Denkmals statt. Sie geschah im Beisein von König Friedrich Wilhelm IV., seines Bruders und Nachfolgers Wilhelm, dem späteren ersten Kaiser des deutschen Reiches, und seines Neffen Friedrich Wilhelm. Ernst Moritz Arndt hatte die Einladung, nach Greifswald zu kommen, taktvoll und, wie er im Brief betonte, aus Altersgründen abgelehnt. Der König hatte von Anfang das Denkmalprojekt begrüßt und auch am 9. September 1854 die Gestaltung des Denkmals in dem vom Universitätssenat gewünschten Sinne genehmigt und vor dem 1. März 1855 dann auch ausdrücklich der Ehrung Arndts auf dem Denkmal zugestimmt. Denn Arndt war umstritten gewesen. Es hatte in der Philosophischen Fakultät sogar einen heftigen Streit für oder gegen die Platzie2 3

Vgl. die Biogramme zu Arndt im Verfasserverzeichnis des Evangelischen Kirchengesangbuches (EKG) mit der Liederkunde im Evangelischen Gesangbuch (EG). Horst-Diether Schroeder, Das Rubenow-Denkmal in Greifswald (Beiträge zur Universitätsgeschichte 1) Greifswald 1977. Die Broschüre ist nicht paginiert. Ich beziehe mich im Folgenden besonders auf Schroeders Denkmalsbeschreibung zu Anfang und auf das Kapitel: Die Fakultätsvertreter auf dem Denkmal.

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rung Arndts auf dem Denkmal gegeben. Die Hälfte der Fakultät hatte Arndt diesen Ehrenplatz verweigert, da er zu dieser Ehrung „gänzlich ungeeignet“ sei. Die erhaltenen Fakultätsprotokolle sind in dieser heiklen Sache unklar. Das konkrete Argument, dass Arndt ja noch lebe, wirkt etwas vorgeschoben. Auch der Mediziner Friedrich August Berndt, der ebenfalls einen Platz auf dem Denkmal erhielt, war noch zu Lebzeiten ins Gespräch gekommen, aber gerade (1854) gestorben. Berndt – damals durchaus eine wissenschaftliche Kapazität – dürfte kaum einen herausragenderen Platz als Arndt in den Annalen der Universität beanspruchen. Und auch der damalige Vorschlag aus der Philosophischen Fakultät, Albert Georg Schwartz (gest. 1755), den Landeshistoriker, an Arndts Stelle auf das Denkmal zu setzen, will heute aus überregionaler und allgemeinhistorischer Sicht nicht recht überzeugen. Doch Schwartz war immerhin für seine Schrift „Altdeutsches Österreich“ von Kaiser Franz I. geadelt worden. Diese Kontroverse um Arndt in der Greifswalder Denkmalsgeschichte muss tatsächlich auch aus der kurz vorher gescheiterten Revolution und Demokratie in Deutschland interpretiert werden. Horst-Diether Schroeder hat das in seiner Darstellung des Rubenow-Denkmals für mich überzeugend erwogen: Auszuschließen seien auch „rein politische Motive nicht […]. Die Revolution von 1848/49 lag noch nicht allzu lange zurück, und dass selbst im Jubiläumsmonat 1856 die Erinnerung an die damalige Stellungnahme Einzelner noch durchaus eine Rolle spielen konnte, beweist die Tatsache, dass Prinz Adalbert von Preußen, dem wegen seiner Forschungsreisen durch Brasilien die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät zugedacht war, diese Auszeichnung ablehnte.“ Prinz Adalbert hatte seine Zurückweisung solchen Ehrentitels damit begründet, dass die gleiche Würde „gleichzeitig an einige Personen erteilt worden ist, die mehrfach eine politische Gesinnung bekundet haben, welche in direkter Opposition zu der Regierung Seiner Majestät des Königs steht, und dies als eine Demonstration erscheint“. Diese prinzliche Bemerkung – so Horst-Diether Schroeder – „zielte u. a. auf Theodor Mommsen, der als aufrechter Demokrat den Dresdener Maiaufstand von 1849 unterstützt hatte, zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und auf Betreiben der preußischen Regierung seines Lehramtes in Leipzig entsetzt worden war“. Doch Mommsen sollte bekanntlich später als einer der ersten Deutschen sogar mit dem Nobelpreis geehrt werden (1902, für Literatur). Es liegt sehr nahe, dass neben Mommsen zu den anderen „Personen“, im Kreis der 1856 von der Universität Greifswald Geehrten, welche der Kritik des preußischen Hochadels ausgesetzt waren, auch der alte Achtundvierziger-Demokrat Ernst Moritz Arndt gehört hatte. – Die Tatsache, dass König Friedrich Wilhelm IV. schließlich dennoch mit der Würdigung Arndts auf dem Denkmal einverstanden war, kann man aus persönlicher Hochachtung des Königs gegenüber dem Menschen und evangelischen Christen Arndt verstehen. Doch wahrscheinlich war für Friedrich Wilhelm IV. die hohe Platzierung seines Vaters Friedrich Wilhelm III. auf dem Denkmal über Arndt noch wichtiger gewesen. Nach diesem Rückblick in die letzten Lebensjahre Arndts, sei das Demokratiedefizit in der Arndt-Interpretation des zwanzigsten Jahrhunderts beobachtet. Natürlich wurde der Demokrat Arndt in der Zeit des Nationalsozialismus verdrängt. Erst seit etwa 1980 ist zu beobachten, dass Arndt sogar in die weite Vorgeschichte des so antidemokratischen Nationalsozialismus eingeordnet wird. Hier ist der Religionspädagoge

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Manfred Wichelhaus mit zwei kleinen Texten zu nennen.4 Wichelhaus schränkte Arndts Verständnis von Demokratie erheblich ein. Arndt sei kein Demokrat in dem Sinne gewesen, „dass er das Volk als Souverän aller Staatsgewalt wollte“. Er war also kein Republikaner. Aber ein unrepublikanisches Verständnis von Demokratie ist unter führenden Protestanten bis 1945 sehr verbreitet gewesen, vom großen Theologen Schleiermacher, der Arndts Schwager war, bis zu Dietrich Bonhoeffer, der noch in seiner politischen Ethik den Gedanken der Volkssouveränität gar nicht positiv vertreten konnte. Wenn ich im Folgenden die Rezeptionsgeschichte Arndts im gebildeten Protestantismus bedenke, so war diese weithin ohne den Demokraten ausgekommen. Arndt als Demokrat war schon nach dem Ersten Weltkrieg hinter dem deutschen Patrioten und auch Nationalisten fast völlig versteckt worden. Unter Berufung auf Arndt konnte aus evangelischen kirchlichen Kreisen sogar Adolf Hitler eine „stille und diskrete Weihe“ (Eugen Gerstenmaier) empfangen.5 Kurzum: Im protestantischen Bildungsbürgertum findet man nur sehr selten, beispielhaft bei Ricarda Huch, eine Würdigung Arndts als Demokraten. Man muss sich bei der Arndt-Rezeption immer wieder klarmachen, dass zwischen dem Arndt als einem Demokraten seiner Zeit und einem heutigen republikanischen Selbstverständnis der Deutschen zwei gewaltige Epochen deutscher Geschichte liegen, die gar nicht oder nur wenig demokratiefreundlich waren. Das war nach der Weimarer Republik natürlich die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, und das war schon vor der Weimarer Republik das im wesentlich von Otto von Bismarck 1871 geschaffene deutsche Kaiserreich unter Preußens Führung, welches keineswegs eine Erfüllung Arndtscher Ideen gebracht hatte. Arndt war ja auch ein scharfer Gegner des aufgeklärten Absolutismus eines Friedrichs des Großen, für den, wie auch später für Bismarck, ein politischer Liberalismus unvereinbar mit der preußischen Staatsidee sein musste. Man hat die Tatsache, dass sich mit Bismarck der deutsche Nationalstaat „in eigentümlicher Pervertierung des nationalen Gedankens, in seiner ursprünglichen Form, zu einem Instrument zur Erhaltung des Status quo und einseitiger macht- und interessenpolitischer Bestrebungen entwickelt“ hatte, als das „Bismarck-Problem in der Geschichtsschreibung nach 1945“ bezeichnet (Lothar Gall).6 Schon der Historiker Franz Schnabel dürfte dieses Problem richtig erkannt haben: Bismarck betrachtete „den Staat grundsätzlich nur von oben her, während die Patrioten es in Politik und Wissenschaft als ihre Aufgabe ansahen, die öffentlichen Dinge von unten her, von den Rechten und Bedürfnissen des Volkes aus, zu beurteilen; diese berühmte Formulierung, die den Unterschied zwischen der aufgeklärt-absolutistischen und der volkstümlichen Auffassung des öffentlichen Lebens festhält, ist von Arndt zuerst geprägt worden, und Treitschke hat sie von ihm über-

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Manfred Wichelhaus, Deutschland erwache! Die Politisierung der Osterverkündigung im neueren Protestantismus,in: Axel Stock / Manfred Wichelhaus (Hg.), Ostern in Bildern. Reden, Riten, Geschichten und Gesängen, Zürich u. a. 1979; ders., Hat Ernst Moritz Arndt in Deutschland Schule gemacht?, in: Der Evangelische Erzieher 32 (1980) S. 114–120. Eugen Gerstenmaier, Streit und Friede hat seine Zeit, Frankfurt/M. 1981, S. 38, 589. Lothar Gall (Hg.), Das Bismarck-Problem in der Geschichtsschreibung nach 1945, Köln 1971, S. 9f.

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nommen und dabei mißverstanden.“7 Nachdem schon Arndt gegen den Geist von Potsdam polemisiert hatte („Fremd war der Sinn dieser Monarchie allem, was deutsch heißt“), lag Walther Schücking mit seiner Erklärung in der Weimarer Nationalversammlung am 3. März 1919 auf derselben Arndtschen patriotischen Linie: Der Geist Bismarcks sei nicht die wahre deutsche Gesinnung, sondern eine Verfälschung der wahren Werte des Deutschtums.8 Der Staatsrechtslehrer Schücking war ein so aufrechter Demokrat und Friedenspolitiker, dass ihn die Nazis sogleich im April 1933 aus seiner Professur an der Kieler Christian-Albrechts-Universität verjagten. Schücking kannte Bismarck sehr gut; auch mir ist es bisher nicht geglückt, in der reichen literarischen Hinterlassenschaft des Fürsten Bismarck eine einzige positive Meinung zu Ernst Moritz Arndt zu finden. Wie sehr aber die liberale und demokratische Tradition Arndts noch in der Weimarer Republik lebendig geblieben war, lehrt uns Ricarda Huch. Die später von den Nationalsozialisten verfolgte Dichterin hatte 1925 Arndt gerühmt als „einen der größten deutschen Freiheitsdichter“.9 Und Kurt Tucholsky, bekanntlich Sozialdemokrat und 1933 aus Deutschland ausgebürgert und verfemt, hatte 1929 in der „Weltbühne“ u. a. geschrieben: „Dreimal gelesen den Aufsatz von Börne …. und Helferich Peter Sturz und ein paar prachtvolle Aufsätze von Ernst Moritz Arndt, Herrschaften, wie haben sie uns die guten deutschen Patrioten verfälscht!“ Und 1930 schreibt Tucholsky noch einmal in der „Weltbühne“: „Lest Ernst Moritz Arndt. Ihr werdet wunderschöne Entdeckungen machen – denn deutsch schreiben, das konnte er.“10 Arndt war 1848/49 Solinger Abgeordneter im ersten, frei gewählten deutschen Parlament in der Frankfurter Paulskirche. Als der damals fast achtzigjährige Arndt zur ersten Sitzung des Parlamentes die Paulskirche betrat, hatten sich die Abgeordneten erhoben, um gemeinsam und feierlich sein berühmtestes Lied zu singen, das bis 1871 als die Nationalhymne aller Deutschen galt: „Was ist des deutschen Vaterland?“ Arndt hatte es 1813 vor dem Ende des Krieges in Deutschland gedichtet. Das Lied wird in zwei Vertonungen überliefert. Die von Gustav Reichardt 1825 für Männerchor komponierte Melodie scheint heute bekannter zu sein; sie wirkt markig und marschmäßig. Aber es ist bezeugt, dass 1848 in Frankfurt Arndts „Nationalhymne“ nach der Melodie von Johannes Cotta gesungen wurde. Das Lied mit dieser Melodie war zum ersten Mal am 7 Franz Schnabel, Das Problem Bismarck, in: Gall (wie Anm. 6), S. 105. 8 Zitat Schücking, in: Gall (wie Anm. 6), S. 26. Ungebührliche Äußerungen über König Friedrich II. (den „Großen“) wurden Arndt nach 1818 zum Vorwurf gemacht, wogegen er sich zu verteidigen suchte. Siehe den langen und apologetischen Brief Arndts vom 6. Oktober 1821 an Staatskanzler Fürst von Hardenberg: Ernst Moritz Arndt. Briefe, hg. von Albrecht Dühr, Bd. 2, Darmstadt 1972, Nr. 674, S. 157–181 (164–167). 9 Zu Ricarda Huchs hoher Wertschätzung Arndts sei besonders hingewiesen auf ihre Einleitung zu „Ernst Moritz Arndt, Wanderungen und Wandlungen“ (1925) und das Kapitel „Arndt und Jahn“ in ihrem Buch: Stein. Der Erwecker des Reichsgedankens (3. Aufl. 1932), in: Ricarda Huch, Gesammelte Werke, hg. von Wilhelm Emrich, Bd. 6: Literaturgeschichte und Literaturkritik, Gütersloh / Stuttgart 1969, S. 833 ff. (Das Lob über Arndt: „einer der größten deutschen Freiheitsdichter“, auf S. 833); Bd. 9, S. 1062ff. 10 Zitate aus Kurt Tucholsky. Gesammelte Werke, hg. v. Mary Gerold-Tucholsky/Fritz Raddatz, Bd. 7: 1928–1929, Reinbek 1960 (Sonderausgabe 1995), S. 234; ebd., Bd.8: 1930, S. 329. Ich danke Irmfried Garbe für diese Tucholsky-Stellen.

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12. Juni 1815 im Gasthof zur Tanne bei Jena erklungen, am Gründungstag der UrBurschenschaft. Unter Absingen des Liedes nach Cottas Weise waren die Studenten dann auch Oktober 1817 zum Wartburgfest in Eisenach eingezogen. Cottas Vertonung wirkt getragen-romantisch und sentimentaler als Reichardts Melodie.11 Als Mitglied des „Reichstages“ in Frankfurt hatte Arndt auch wie selbstverständlich Strafmaßnahmen gegenüber linken Mitparlamentariern verurteilt, obwohl er deren republikanische Ansichten nicht teilte. So missbilligte er die standrechtliche Erschießung von Robert Blum am 9. November 1848, und am 14. Juli 1849 versuchte er mit anderen Mitgliedern des Parlamentes, durch eine sehr persönliche Bitte an den Prinzen von Preußen, die Freilassung von Gottfried Kinkel aus dem Gefängnis zu erreichen.12 Mit Heinrich von Gagern gehörte Arndt zur Fraktion der Liberalen im Rechten Zentrum. Sie erstrebten eine konstitutionelle Monarchie, was am Ende ja auch eine mehrheitlich beschlossene Sache wurde und dennoch an der Weigerung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV., sich in einem Erbkaisertum an die Spitze dieser Verfassung zu stellen, gescheitert war. Ein Jahrhundert lang sollte der demokratische Geist in Deutschland nicht mehr so populär sein, wie er es damals gewesen war. Wenige Tage vor der Abreise der Parlamentsdelegation nach Berlin mit Arndt hatte der deutsche Patriot in einem bewegenden Brief den König Friedrich Wilhelm IV. umzustimmen versucht (28. März 1849). Er empfahl die kleindeutsche Lösung ohne Österreich und nannte die alte, von Karl dem Großen hergeleitete Reichskrone eine „germanische“ Kaiserkrone, die als solche ein neues Parlament überragen sollte. Doch Arndt hoffte auch auf eine Zeit besserer Parlamente: „So wird Vieles geordnet und befestigt werden, was jetzt in der Tat jeden sicheren und politischen Grund entbehrt […]. Denn wenn Du die Krone nicht nimmst, so würde selbst, wenn eine Niederschlagung und scheinbare Stillung der Aufregung und Wildheit der Gemüter möglich wäre, endlich doch Verwirrung aus Verwirrung, Umkehrung aus Umkehrung folgen, und Dein Thron und alle Throne Deutschlands würden endlich mit doppeltem Umsturz bedroht sein.“13 Arndts Prophezeiung sollte sich im November 1918 erfüllen. Arndts mitentscheidende Rolle beim Zustandekommen der demokratischen Verfassung und auch seine persönliche Bitte an den Preußenkönig, dieser parlamentarisch-konstitutionellen Monarchie zuzustimmen, 11 Johannes Cotta wurde am 24. Mai 1794 in Ruhla (Thüringen) geboren und starb am 18. März 1868 als Pastor in Willerstedt bei Weimar. Gustav Reichardt wurde als Sohn eines Landpastors am 13. November 1797 in Schmarsow (Pommern) geboren und starb als berühmter königlicher Musikdirektor am 18. Oktober 1884 in Berlin. – Sowohl Cottas Komposition der später so gefeierten „Nationalhymne“ von 1815 als auch die 1825 nachfolgende Komposition Reichardts lassen alle Strophen mit einem Dreiachtel-Takt beginnen. Das kommt mir vor wie eine kontrafaktorische Anlehnung an den Auftakt der französischen Marseillaise. – Die Vertonung des Arndtgedichtes durch Cotta und seine Geschichte bis in das Frankfurter Parlament wird von Franz Magnus Böhme bezeugt: Volkstümliche Lieder der Deutschen (1895). Vgl. Robert Keil, Die Burschenschaftlichen Wartburgfeste 1817 und 1867, Jena 1868. Ich danke Götz Bernau für Kopie der Noten beider Fassungen. 12 Brief an Christian August Brandis, 19. November 1848, in: Ernst Moritz Arndt Briefe, hg. von Albrecht Dühr, Bd. 3, Darmstadt 1972, Nr. 1282, S. 303. Bittschrift für Professor Kinkel an den Prinzen von Preußen, 14. Juli 1849, in: ebd., S. 344–347. 13 Ebd., Bd. 3, Nr. 1304, S. 321.

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ist jedoch von einer propagandistischen Vereinnahmung Arndts nach 1918 verdrängt worden. Man darf fragen, ob nicht doch die Geschichte zum Besseren verlaufen wäre, wenn Deutschland nach 1848/49 von einer konstitutionellen Monarchie nach englischem Vorbild regiert worden wäre. Denn der Historiker darf durchaus nach den Möglichkeiten einer nicht geschehenen Geschichte fragen, um hier auch zu begreifen, welch epochale Wende in der deutschen Geschichte die barsche Zurückweisung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. am 28. April 1849 und damit das Scheitern der Verfassung des Parlaments der Paulskirche bedeutete. Der preußische König hatte schon im Dezember 1848 gemeint, dass einem möglichen Antrag der Kaiserkrone von Demokraten, zu denen ja in erster Reihe auch Arndt gehörte, „der Ludergeruch der Revolution von 1848“ anhafte.14 Ich hatte in der Aula der Greifswalder Universität am 11. Dezember 2009, als es um wissenschaftliche Stellungnahmen zum Für und Wider des Namens Ernst Moritz Arndt als Patron der Greifswalder Universität ging, auf die Fortwirkung der demokratischen Verfassung von 1849 über die Weimarer Reichsverfassung von 1919 bis in die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland von 1949 und dabei auch auf die Fernwirkung Arndts bis zur Wiedervereinigung Deutschlands 1989 hingewiesen: Unsere Nationalhymne „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland…“ stammt von Hoffmann von Fallersleben, einem jüngeren Zeit- und Weggenossen Arndts.15 Und es war tatsächlich Arndt ja auch gewesen, der im deutschen Volk das Gefühl von „Einigkeit“ und „Einheit“ geweckt und wach gehalten hatte. Gewaltlos, ohne irgendeine separatistische Tendenz zu anderen Nationen hin, waren nach 1945 Millionen deutscher Flüchtlinge aus ganz Europa von einem klein gewordenen Deutschland aufgenommen worden und hatten hier ihre neue Heimat gefunden. Und auch die beide deutschen Staaten trennende Mauer verschwand ohne Gewalt. Kein einziger Schuss war gefallen, und es hatte keine separatistischen Bestrebungen hin zu anderen Nationen gegeben, und die Idee von zwei deutschen Staaten in Mitteleuropa, die noch bis 1989 nicht nur Literaten, sondern sogar anerkannte Historiker auch in Westdeutschland vertreten hatten, war auf einmal wie ein Luftballon zerplatzt. Am 4. November 1989 hatte auf dem Berliner Alexanderplatz eine riesige Kundgebung auch mit führenden Kommunisten stattgefunden. Ende November 1989 wurde ein Appell „Für unser Land“ veröffentlicht, den auch Egon Krenz, der vorletzte Staatsratsvorsitzende der DDR unterzeichnet hatte. Doch schon Mitte November 1989 wurde in Leipzig nicht mehr nur „Wir sind das (!) Volk“, sondern „Wir sind ein (!) Volk“ skandiert. Und auch der Refrain des längst in der DDR verbotenen Textes der Nationalhymne von Johannes R. Becher wurde auf einmal wieder laut gesungen: „Deutschland einig Vaterland“.16 14 Das war keine öffentliche Stellungnahme des Königs, sondern stand so in einem Brief an Christian Karl Josias Bunsen vom 13. Dezember 1848, in: Leopold von Ranke (Hg.), Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelm IV. mit Bunsen, Leipzig 1873, S. 233f. 15 Die frühere Meinung, dass Arndts Brief („An einen jungen Freund“, 1. Hornung 1847) an Hoffmann von Fallersleben geschrieben war, wird von Dühr (wie Anm. 12, Bd. 3, Nr. 1185) bezweifelt. 16 Vgl. Christian Meier, Das Gebot zu Vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns, München 2010, S. 137.

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Arndt war national und sozial gewesen, er war dennoch mitnichten ein Vorläufer des Nationalsozialismus. Mit der Hoffnung auf einen deutschen Nationalstaat hatte sich nämlich bei Arndt als einem Politiker, der sich einer christlichen sozialen Ethik verpflichtet wusste, die Forderung nach neuzeitlichen Menschenrechten verbunden. Es war Arndt, der 1848/49 im Frankfurter Parlament mit dafür gesorgt hatte, dass Recht und Freiheit als hohe humanitäre Werte im deutschen Volk nicht vergessen werden konnten. Zentrale menschenrechtliche Bestimmungen von 1849 wurden von Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland übernommen. Zu nennen sind: Unverletzlichkeit der Person und der Wohnung und des Eigentums, keine Todesstrafe, Meinungsund Pressefreiheit, Demonstrationsrecht und Vereinigungsfreiheit, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit von Lehre und Forschung, Schutz der nicht deutsch redenden Minderheiten.

2. Arndt in nationalsozialistischer Propaganda Arndt ist trotz seiner demokratischen Haltung und trotz seines Kampfes gegen Leibeigenschaft, gegen Freiheitsberaubung des Menschen und gegen Fürstenherrschaft und Diktatur zum Vorläufer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erklärt worden.17 Das verwundert. Wirklich gab es 1919 bis 1945 im protestantischen Bürgertum eine Inanspruchnahme des Helden aus den Freiheitskriegen und seiner einprägsamen politischen Parolen für rechtsradikale antidemokratische Ziele, worüber zu berichten ist. Dennoch ist von vornherein festzuhalten, dass die nationalsozialistische Partei unter ihrem „Führer“ Adolf Hitler mit Arndt eigentlich nichts anfangen konnte. Es findet sich keine Arndt-Propaganda bei Adolf Hitler, Heinrich Himmler, Joseph Goebbels, Arthur Seyß-Inquart, um nur diese Spitzenvertreter der NS-Bewegung zu nennen. In Hitlers Privatbibliothek hat man zwar auch eine Ausgabe von Arndts Soldatenkatechismus gefunden; es war ein Geschenk der Urenkelin Arndts an den Führer, mit persönlicher Widmung.18 Aber ein seriöser Historiker kann natürlich daraus nicht auf ein 17 Ich habe seit 1977 verschiedene Artikel zum Thema veröffentlicht und nenne hier besonders meinen Aufsatz: Ernst Moritz Arndt – Seine Wirkungen in der deutschen Geschichte, in: Manfred Richter (Hg.), Kirche in Preußen, Stuttgart 1983, S. 65–91 (mit Bibliographie); b) das Kapitel „Ernst Moritz Arndt – ein neuprotestantischer Heiliger?“, in: Reinhart Staats, Protestanten in der deutschen Geschichte, Leipzig 2004, S. 98–130. Im vorliegenden Beitrag habe ich frühere Beobachtungen übernommen, überarbeitet, und nicht wenige Entdeckungen und Einsichten sind auch hinzugekommen. 18 Timothy W. Ryback, Hitlers Bücher: Seine Bibliothek – sein Denken, Köln 2009, S. 234f.: „Hitlers ältestes noch vorhandenes Militärbuch ist ein 111 Seiten langer Aufruf zum militanten Nationalismus von Ernst Moritz Arndt aus dem Jahr 1815 mit dem Titel Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann, worin gelehrt wird, wie ein christlicher Wehrmann seyn und mit Gott in den Streit gehen soll, mit einer persönlichen Widmung von Arndts Urenkelin“ (die erste Auflage war 1813 erschienen!). Ryback hat den biblisch-christlichen Grundton in diesem Traktat Arndts nicht beachtet (siehe u. bei Anm. 40 und 41). Dass Hitler diese Schrift Arndts geschätzt hat, ist durch nichts belegt. Sicher ist nur, dass Arndts Urenkelin Hitler verehrt hatte. Ein Datum ihrer Widmung hat Ryback nicht notiert.

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Privatinteresse Hitlers oder gar eine Beeinflussung schließen. Die genannten NS-Größen sind dem Kirchenhistoriker auch wegen ihrer religiösen Sozialisation interessant. Sie alle stammen nämlich aus katholischen Milieus, wurden in katholischen Kirchen getauft und gefirmt. Schon daher dürfte ihnen der evangelische Patriotismus eines Ernst Moritz Arndt wenig bedeutet haben. Aber es gab in der NS-Führung auch evangelisch getaufte und konfirmierte Nationalsozialisten wie Hermann Göring, Rudolf Heß, Alfred Rosenberg und Albert Speer, und auch bei diesen Nazi-Größen konnte ich keine Arndt-Rezeption finden. Insgesamt lässt sich wahrscheinlich das Fehlen einer intensiven Arndt Propaganda an der Spitze des Nationalsozialismus auch damit erklären, dass jeder leidliche Kenner der Biographie Arndts und seiner Schriften natürlich auf tiefe Gegensätze zur nationalsozialistischen Weltanschauung hätte stoßen müssen: 1. Überzeugte Nationalsozialisten waren dem Führerprinzip total verfallen; sie konnten daher gar keine Demokraten sein und hätten daher den Demokraten Ernst Moritz Arndt verachten müssen. – 2. Überzeugte Nationalsozialisten waren auch Geschichtsideologen derart, dass sie aus der deutschen Geschichte nur das übernahmen und dann auch willkürlich und unhistorisch interpretierten, was ihrer Parteidoktrin nützen konnte. So beschwor Adolf Hitler auf dem 10. Reichsparteitag der NSDAP 1938 in Nürnberg das Vorbild von preußischen Helden in den Freiheitskriegen 1813–1815, und das geschah vor den gerade aus Wien „heim ins Reich“ überführten Insignien des mittelalterlichen, christlichen „Sacrum Imperium“, die wahrlich nicht in die preußische Geschichte gehören.19 Ein anderes Beispiel: Für Nationalsozialisten galt noch in den dreißiger Jahren der Sachsenherzog Heinrich der Löwe als ein Leitbild urdeutscher Osteuropa-Politik. Nach dem Sieg über Frankreich sollte Friedrich I. Barbarossa propagandistisch an die Stelle seines Vetters und Gegenspielers Heinrichs des Löwen treten, um damit schließlich europapolitisch den Überfall auf die Sowjetunion und die Unterjochung des osteuropäischen Slawentums zu rechtfertigen. Der Krieg gegen die Sowjetunion war unter dem Tarnnamen „Barbarossa!“ vorbereitet worden. – 3. Überzeugte Nationalsozialisten waren rassistische Antisemiten, die ihren Antisemitismus mit medizinischer Wissenschaft und der Politik einer Volkshygiene zu begründen suchten. – 4. Überzeugte Nationalsozialisten durften als „Deutschgläubige“ keine Mitglieder einer christlichen Kirche sein. Sie fühlten sich einer irgendwie neuheidnischen germanischen Religiosität verpflichtet. Die letzten beiden Punkte – Antisemitismus und Neuheidentum – müssen im Folgenden erörtert werden. Zunächst aber bleibt festzuhalten, dass die Berufung auf Ernst Moritz Arndt bei begeisterten Nationalsozialisten, was es tatsächlich gab, nie einem ernsten Bemühen entsprechen konnte, dem ganzen Arndt gerecht zu werden. Arndt wurde nicht in seiner Eigentlichkeit beachtet, sondern er wurde partiell enteignet zum Zwecke einer mit der deutschen Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts nur spielenden Parteipropaganda. Eine ähnlich Enteignung der deutschen Kulturgeschichte war ja auch mit dem Meister der Stifterfiguren im Naumburger Dom, zumal deren „Uta“ und „Eckehard“, war mit Martin Luther, mit Johann Gottlieb 19 Frankfurter Zeitung 83. Jg., Nr. 454 vom 6. September 1938 und Völkischer Beobachter, Süddeutsche Ausgabe, 250. Ausgabe, 51. Jg. vom 7. September 1938. Vgl. Reinhart Staats, Theologie der Reichskrone (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 13), Stuttgart 1976, S. 156.

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Fichte, mit Friedrich Nietzsche und Richard Wagner geschehen. Sie alle waren so wenig direkte Vorläufer des Nationalsozialismus gewesen, wie dies auch nicht für Ernst Moritz Arndt gelten kann. Zu Arndts eignem „Antisemitismus“ sei hier nur kurz festgehalten, dass dieser zu einer im deutschen Bildungsbürgertum weit verbreiteten Stimmung passte. Natürlich reagieren wir bei diesem Thema hochsensibel. Das Urteil des Historikers wird ja erheblich von Ereignissen bestimmt, die zwischen der fernen Vergangenheit des neunzehnten Jahrhunderts und unserem Zeitalter liegen. Man darf aber wegen der dazwischenliegenden Geschichte Hitler-Deutschlands nicht Arndt sozusagen posthum aus der deutschen Kulturgeschichte exkommunizieren. Dann müsste eine damnatio memoriae ebenso viele andere populäre und einflussreiche Gestalten der deutschen Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts erfassen wie Turnvater Friedrich Ludwig Jahn, der ein Schüler Arndts war, oder beliebte Dichter wie Wilhelm Busch und Wilhelm Raabe. Stereotype antisemitische Vorurteile karikierte Wilhelm Busch in „Fromme Helene“ (Erstes Kapitel) und in „Plisch und Plum“ (Fünftes Kapitel). Doch hier werden schließlich die den Juden verspottenden bösen Buben vom leiblichen Vater verprügelt. Wilhelm Raabes im deutschen protestantischen Bürgertum einst sehr beliebter Roman „Der Hungerpastor“ gehörte mit Goethes „Wilhelm Meister“, Adalbert Stifters „Der Nachsommer“ und Gottfried Kellers „Der grüne Heinrich“ zur großen deutschen Bildungsliteratur. Deshalb hatte auch ein Dietrich Bonhoeffer wie selbstverständlich in der Gefängniszelle in Tegel die genannten Bücher und so auch Wilhelm Raabes „Hungerpastor“ lesen wollen;20 es ist die Geschichte eines armen Schustersohnes, der Pastor wurde, und eines jüdischen Trödlersohnes, der zum unsozialen, machthungrigen Großkapitalisten emporgekommen war. Das ist zweifellos ein antijüdisches Stereotyp, aber von einer Befürwortung von Gewalt gegenüber diesem einen Juden oder anderen Juden ist in Raabes Roman niemals die Rede, was auch in der politischen Publizistik Ernst Moritz Arndts schwerlich nachweisbar ist. Man darf bei der Kritik des deutschen und auch des österreichischen Antisemitismus die konfessionelle Differenz nicht unterschätzen. Die im Katholizismus etwa bei dem Konvertiten Clemens Brentano, einem romantischen Zeitgenossen Arndts, begegnende Verurteilung der Juden als Gottesmörder begegnet in der deutschen evangelisch, lutherischen Tradition, aus der Arndt kommt, so gut wie gar nicht. Auch Martin Luthers späte antijüdische Polemik hat in der Predigt nationalsozialistischer Theologen keine so entscheidende Rolle gespielt, wie man zunächst vermuten möchte. Dem modernen Antisemitismus widersprach ja auch die evangelische Rechtfertigungslehre, welche beim Vorwurf der Schuld nie von der eigenen persönlichen Schuld absehen kann. Das je individuelle Schuldbekenntnis entspricht auch Luthers Kreuzestheologie, die Paul Gerhardt in seinem Passionslied in die ergreifenden Worte fasste: „Nun was du, Herr erduldet, ist alles meine Last; ich hab es selbst verschuldet, was du getragen hast …“ (Evangelisches Gesangbuch 85,4). Und daher lässt sich auch verstehen, warum Ernst Moritz Arndt kein Doktrinär und Ideologe sein wollte wie viele, die sich hernach 20 Brief der Mutter ins Gefängnis vom 3. Oktober 1943 und Bonhoeffers Brief an die Eltern vom 22. Oktober 1943, in: Dietrich Bonhoeffer Werke, Bd. 8: Widerstand und Ergebung, hg. von Christian Gremmels u. a., Gütersloh 1998, S. 169, 175.

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auf ihn beriefen. Am Ende seiner Schrift „Von dem Worte und dem Kirchenliede“ (1819) meinte Arndt, dass seine Worte „in Liebe für Liebe gesprochen“ seien und „darum verzeihe man, wo gefehlt und geirrt ist“. Ob das nicht auch als ein Bekenntnis im Blick gerade auf seine politischen Schriften gelten könnte? Arndts judenkritische Aussagen finden wir beiläufig in verstreuten, teils privaten Texten. Der „Völkische Beobachter“ hatte tatsächlich einmal 1939 aus einem Privatbrief Arndts einige Sätze plakativ zitiert, die sich gegen „Juden oder getaufte und mit der leichten Philosophie des Tages eingesalbte Judengenossen“ richteten: „die sich der Literatur, der fliegenden Tagesblätter wohl zur Hälfte bemächtigt“ hätten, „wodurch sie uns Christentum und jede heilige und menschliche Staatsordnung als Lüge und Albernheit in die Luft blasen möchten, über die Welt hin“.21 Andererseits konnte Arndt in einem anderen privaten Text doch auch „das Helle und Himmeldurchsichtige des sonst so bittern und knorrigen Judenstammes“ durchaus liebevoll benennen.22 Dann wieder konnte er in einem Privatbrief schreiben: „Menschlich seid und verfahrt mit den bei euch geborenen Juden…“, um dann doch fortzufahren: „Aber die Einfuhr fremder Juden würde ich schlechterdings verbieten. Die Russen jagen uns zuletzt noch alle polnischen Hebräer über unsere Lande“.23 Dahinter stand die These von einer Nichtassimilierbarkeit der „orthodoxen“ Juden Osteuropas – eine These, die sich bis hin zur Schoah allerdings als unrichtig erweisen sollte. Mit der Vernichtung der Juden war ja auch eine deutsche Bildungselite getötet worden. Arndt und dem deutschen Bürgertum konnte freilich auch nicht verborgen bleiben, dass Juden und nicht zuletzt konvertierte protestantische Juden und deren Familien voll in die deutsche Gesellschaft integriert waren und in Kultur und Wissenschaft oft auch führend wurden. Das hatte mit dem NS-Rassismus ein gewaltsames Ende gefunden. Denn die „Nürnberger Gesetze“ von 1935 hatten den so furchtbaren Begriff des Rasse-Juden, ohne Rücksicht auf religiöse und kulturelle Orientierung, festgeschrieben. Ernst Moritz Arndt und seine Familie waren befreundet mit der Bonner konfessionell-jüdischen Familie Georg Benjamin Mendelssohn (dieser war ein Enkel des Philosophen Moses Mendelssohn, der bekanntlich Vorbild für Lessings „Nathan der Weise“ gewesen war).24 In der Frankfurter Paulskirche arbeitete Arndt zusammen mit getauften Juden wie Heinrich Simon und Eduard von Simson. Dieser stand mit Arndt an der Spitze jener zweiunddreißig Män-

21 Brief an den Literaturhistoriker D.A. Benda vom 14. Januar 1843, in: Dühr (wie Anm. 12), Nr. 1100a, S. 100. Deutlicher ausgearbeitet in: Ernst Moritz Arndt, Die Persönlichkeit oder das Gepräge des Volks, was man wohl Charakter zu nennen pflegt, vorzüglich in Beziehung auf das deutsche Volk; 1847; zitiert nach E.M. Arndts Schriften für und an seine lieben Deutschen, Bd.4, Berlin/Leipzig 1845, S. 55–153, hier S. 63f. 22 Brief an Christian Josias von Bunsen vom 25. Januar 1857, in: Dühr (wie Anm. 12), Nr. 1551, S. 533. 23 Brief an den publizistisch tätigen Antisemiten Henrich Eugen Marcard vom 12. Februar 1843, in: Dühr (wie Anm. 12), Nr. 1099a, S. 97f. Ganz ähnlich schon früher Ernst Moritz Arndt, Noch etwas über die Juden, in: Ders., Blick aus der Zeit auf die Zeit 1814 [Frankfurt] 1814 [= 1815], S. 180–201, hier S. 190. 24 Brief an Professor Mendelssohn von 1854, in: Dühr (wie Anm. 12), Nr. 1466, S. 464. Vgl. auch die Mendelssohn-Stellen in Dührs Register.

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ner-Delegation, die im April 1849 dem preußischen König die vom Parlament beschlossene, demokratisch-konstitutionelle Verfassung mit Erbkaisertum angetragen hatte, bekanntlich vergeblich. Nach dem rassistischen Maßstab der Nazis hätte Arndt nach 1935 als ein Feind des deutschen Volkes und dessen erbbiologischer Gesundheit verfolgt werden müssen.

3. Arndt in der deutschen evangelischen Kirche unter dem Nationalsozialismus Aus dem Jahr 1937 ist ein seltsames und komisches Zeugnis bekannt, wonach die NSFührung tatsächlich behaupten wollte, dass Ernst Moritz Arndt ein deutscher Heide und kein Christ gewesen sei: Um das Jahr 1937 wurde der Deutschen Evangelischen Kirche offiziell verboten, den Namen Arndt als einen zu verehrenden evangelischen Christen in kirchlichen Kalendern in Anspruch zu nehmen. Dem zuständigen Referenten der Berliner Kirchenkanzlei, Heinz Brunotte, wurde von einem SS-Mann erklärt, dass Arndt zu 90 % ein Deutscher gewesen sei, ein Christ aber nur zu 10 %, weshalb Arndt nicht mehr in kirchlichen Kalendern, sondern nur im offiziellen deutschen Namenskalender stehen dürfe, der folglich, judenfrei und stark politikbezogen, ein propagandistisches Unikum in der deutschen Kalendergeschichte war.25 Auch in dieser Weise hatte die Partei einen damals schon lange zwischen Philosophen und Germanisten einerseits und Theologen und Kirchenleuten andererseits dauernden Streit für sich zu entscheiden gesucht, dass der eigentliche Arndt ein Heide (natürlich ein urdeutsch-germanischer Heide), aber mitnichten ein evangelischer Christ (natürlich im Sinne Martin Luthers) gewesen sei. Aus den Jahren vor 1937 sind zahlreiche Schriften überliefert, die vom Streit um Arndts Religion handeln. Den ganzen Streit kritisch zu untersuchen, ist eine noch nicht erfüllte Forschungsaufgabe. Ich beschränke mich auf einige, mir wichtig erscheinende Hinweise. So ist die Arndt-Tradition in der deutschen Jugendbewegung noch nicht gründlich erfasst worden. Walther Flex, der Dichter mit dem Nimbus eines heiligen Anführers der Jugendbewegung und eines deutschen Märtyrers als junger Kriegsgefallener im Ersten Weltkrieg, Verfasser des Bestsellers der zwanziger Jahre „Wanderer zwischen den beiden Welten“ (1917), hatte in seinen Gedichten arndtschen Stil und arndtsche Motive übernommen. Ein, die Geschichte der Jugendbewegung pathetisch resümierendes, 1932 erschienenes Buch von Ernst Günther Gründel „Die Sendung der jungen Generation, Versuch einer umfassenden revolutionären Sinndeutung der Krise“, gehörte dann schon in die unmittelbare Vorgeschichte der Machtergreifung Hitlers. Darin schwärmt Gründel schließlich ausführlich von Hitlers Führertum und von den sozialpolitischen Wohltaten der SA. Doch nur einen einzigen Arndt-Satz kann Gründel zur Begründung einer „germanischen Demokratie“ zitieren, einen Gedanken, der „niemals etwas anderes als der einer Sozialaristokratie“ gewesen sei. Gründels Arndt-Zitat hatte wirklich noch nichts mit der 1933 beginnenden Hitler-Diktatur gemein. Denn Gründel zitierte zur Begründung seines 25 Die Szene hat Heinz Brunotte in einem Brief (1. März 1977) an mich ausführlich geschildert. Das Gedächtnisprotokoll Brunottes habe ich publiziert: Reinhart Staats, Der vergessene Arndt, in: Deutsches Pfarrerblatt 79 (1979), S. 106–108, hier 107.

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Gedankens Arndt mit folgender Stelle: „Hinweg mit dem niedrigen Fatalismus, der uns zuruft: der Starke soll herrschen und der Schwache soll ihm dienen; eine höhere Stimme ruft: Der Gerechte soll führen, und der Freie wird gehorchen“.26 Das war ein echter Arndt-Satz, unvereinbar mit der NS-Ideologie, in der tatsächlich eine soziale Ethik korrumpiert wurde von jenem Gedanken, den Arndt hier ausdrücklich zurückgewiesen hatte: „Der Starke soll herrschen, und der Schwache soll ihm dienen“.27 Beachtenswert sind auch philosophische Texte aus dem Schülerkreis um Stefan George. Sie sind umso beachtlicher, weil aus demselben Kreis einige Männer des späteren Widerstandes gegen Hitler kamen. Friedrich Gundolfs Heidelberger Vortrag über „Ernst Moritz Arndt“ (1924) muss nachgewirkt haben. Gundolf, aus jüdischer Familie stammend, galt als ein früherer, aber abtrünnig gewordener Meisterschüler Stefan Georges. Man kann annehmen, dass die älteren Stauffenberg-Brüder als Heidelberger Studenten, damals 1924, auch Gundolf zugehört hatten. Für Gundolf war Arndt ein „lutherischer Volksmann“, der zu den „Vorbereitern der deutschen Einheit“ gehörte. „Gottinnige Leidbereitschaft und Trostgewissheit des Paul-Gerhardtischen Kirchenliedes“ habe Arndt „mit dem geistigen Gefühl der Romantik“ verbunden. Auch bei Gundolf fällt kein einziges Wort zu Arndt als Mann des Frankfurter Parlamentes und als Mitbegründer der Demokratie in Deutschland.28 Hier ist auch Hans Kern, ein Schüler von Ludwig Klages, zu nennen, der seit 1930 die Propagierung sogar eines „Ewigen Deutschen“ Arndt betrieben und schließlich 1937 die für die NS-Partei wichtige Parole ausgegeben hatte: „Uns Heutigen hat der Christ Arndt nichts mehr, der deutsche Heide aber Gewaltiges zu sagen.“29 Im selben Jahr versuchte der Germanist Rudolf Fahrner sogar einen wissenschaftlichen Nachweis zu erbringen, dass der eigentliche Arndt immer auf der Seite des Heidentums für Deutschland gekämpft und dazu das Christentum propagandistisch nur als „Hilfsmacht“ benutzt habe.30 Um das Jahr 1937 wurde ja auch, wie berichtet, der Evangelischen Kirche offiziell verboten, Ernst Moritz Arndt als einen evangelischen Christen in kirchlichen Kalendern namentlich aufzuführen. Die Stellungnahmen bekannter Männer aus der Bekennenden Kirche in den dreißiger Jahren wie Heinrich Rendtorff, Hanns Lilje und Martin Niemöller zu Ernst Moritz Arndt müssen auf dem Hintergrund solch völliger Vereinnahmung ihres christlichen Helden Arndt seitens einer antichristlichen, völkischen Propaganda verstanden werden.31 Das gilt auch für Vertreter der sogenannten „Mittelpartei“ im damaligen 26 Ernst Moritz Arndt, Geist der Zeit. Theil 2, 2. Aufl. Stockholm 1807, S. 450. 27 Ernst Günther Gründel, Die Sendung der jungen Generation. Versuch einer umfassenden revolutionären Sinndeutung der Krise, München 1932, S. 409f. 28 Friedrich Gundolf, Hutten Klopstock Arndt. Drei Reden, Heidelberg 1924, S. 45–70. 29 Vgl. Hans Kern, Ernst Moritz Arndt. Der ewige Deutsche, Jena 1930; ders., Arndt (= Deutsche Bekenntnisse), Berlin 1937. 30 Rudolf Fahrner, Ernst Moritz Arndt. Geistiges und politisches Verhalten, Stuttgart 1937. 31 Hierzu und zum Folgenden: Staats, Arndt – seine Wirkungen (wie Anm. 17), S. 73. Seit 1983 bin ich dem nun emeritierten Pfarrer Karl-Andreas Hecker sehr dankbar für Gespräche und Informationen aus dem Gemeindearchiv der Berliner Ernst-Moritz-Arndt-Kirche. Hecker erinnerte 2009 in einem Leserbrief der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eindrücklich an

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Kirchenkampf wie Helmut Schreiner und Eugen Gerstenmaier. Sie alle votierten gegen eine Vereinnahmung Arndts durch die Nationalsozialisten, besonders durch die Propaganda der sogenannten „Deutschen Christen“, welche Rassegedanken und Führerprinzip in das christliche Bekenntnis integrieren wollten, was freilich misslingen musste. Vorläufer dieser „deutsch-christlichen“ Häresie sind an einer „Arndt-Hochschule“ in Berlin-Zehlendorf schon seit 1921 zu verorten. Denn dort wurde auch ein „Bund für deutsche Kirche“ gegründet, der sich als „Kampf- und Gesinnungsgemeinschaft“ verstand, um die Kirche aus ihrer „jüdischen Umklammerung“ zu befreien und ein „deutsch heimatlich durchtränktes Christentum“ zu schaffen. Als wiederum in BerlinZehlendorf am Trinitatissonntag 1935 die „Ernst-Moritz Arndt-Kirche“ eingeweiht wurde, waren von den dort amtierenden fünf Pfarrern kein einziger ein „Deutscher Christ“, drei von ihnen gehörten zum Pfarrernotbund der Bekennenden Kirche, auch der die Einweihungsfeier leitende Pfarrer Geß. Diese Kirche mit diesem Patrozinium war also eine unmissverständliche Mahnung gegen die germanisch-neuheidnische Inanspruchnahme von Arndts Namen.32 Gefährlich nahe zu einer deutschchristlichen Propaganda kam aber ein Vortrag von Theodor Heckel, den er als Leiter des kirchlichen Außenamtes in Berlin vor deutschen Auslandsgemeinden im Jahr 1939 gehalten hatte, zum Thema: „Ernst Moritz Arndt. Ein Mannesleben für Glaube und Volkstum“. Hier fallen Thesen wie 1. Arndt habe gekämpft um „Artreinheit und Artgemäßheit deutschen Wesens“. 2. Arndt sei der „Herold des großdeutschen Reiches“. 3. Arndt sei „eines der gar nicht zu übersehenden und gar nicht zu überhörenden Wahrzeichen in der Geschichte der Deutschen, dass Deutschtum und evangelisches Christentum unscheidbar zusammengehören“.33 Heckel selbst war kein NS-Parteigenosse und nicht einmal ein „Deutscher Christ“. Das ist so merkwürdig. Ein anderer und origineller geschichtstheologischer Verklärer der Machtergreifung Hitlers war der lutherische Publizist Wilhelm Stapel, dessen theologische Gefährlichkeit auch Dietrich Bonhoeffer erkannt hatte. Stapels nationalkonservative Vorstellungen brachten ihn später in Konflikt mit der NSDAP. Im Jahr 1938 musste Stapel das Erscheinen seiner renommierten Kulturzeitschrift „Deutsches Volkstum“ einstellen. Da endlich offenbarte Stapel mit den letzten Zeilen der letzten Nummer des Journals seine tiefe Zuneigung zu Ernst Moritz Arndt: „Arndt ist der, dessen Geist mich von Jugend an begleitet hat […] Ich habe in diesen Blättern kaum je von ihm gesprochen, aber er war immer unsichtbar neben mir […].“34 Stapel kannte seinen Arndt gut genug, um den flagranten Missbrauch im NS-Staat zu durchschauen. Sogar Rudolf Fahrner, so wagte er nun zu schreiben, habe Arndt „nicht im Wesentlichen“ erfasst. Und überhaupt gelte: „Arndts Christentum zu einer propagandistischen Maßnahme zu machen, ist allzu modern ge-

Arndts Bedeutung in der deutschen Geschichte der Allgemeinen Menschenrechte: „Gerechtigkeit für Ernst Moritz Arndt“, FAZ vom 19. November 2009. 32 Zu den Einzelheiten Staats, Arndt – seine Wirkungen (wie Anm. 17), S. 73. 33 Theodor Heckel, Ernst Moritz Arndt. Ein Mannesleben für Glaube und Volkstum (Heliand Heft 13), Berlin 1939. 34 Deutsches Volkstum 1938, S. 871f.

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macht“. Nach dem Judenpogrom in der Nacht vom 9./10. November bekannte Stapel, jetzt schäme er sich ein Deutscher zu sein.35 Ein letztes Beispiel kann noch einmal die Verquertheit der Arndt-Rezeption seit den dreißiger Jahren vor Augen führen: Die Rathenaumörder Erwin Kern und Hermann Fischer waren nach ihrem Attentat auf den deutschen Außenminister Walther Rathenau am 24. Juni 1922 von Berlin auf die Burg Saaleck bei Bad Kösen an der Saale geflohen. Dort wurden sie von der Polizei am 17. Juli gestellt. Kern kam im Schusswechsel mit der Polizei ums Leben, und Fischer erschoss sich mit eigener Pistole. Elf Jahre später, 1933, erhielten die beiden Attentäter ein Ehrengrab auf dem kirchlichen Friedhof des Dorfes Saaleck. Ein Grabstein wurde errichtet. Darauf war ein Vers von Ernst Moritz Arndt zu lesen aus dessen Traktat „Der Rhein, Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Gränze“ (1813): „Tu was du musst, sieg oder stirb und lass Gott die Entscheidung“.36 Der Gottesbezug ist auffällig, weil er natürlich zu Arndt, aber gar nicht zur NS-Ideologie passt. Solange ich von Kirchengemeinde und Geschichtsverein in Saaleck nichts Anderes erfahren habe, darf vermutet werden, dass der damalige Ortspfarrer der Initiator dieser Inschrift gewesen war. Diese stark antidemokratische, düstere Geschichte hatte sogar noch ein Nachspiel in unserer Zeit. Anfang der neunziger Jahre wurde der Saalecker Friedhof zu einem Wallfahrtsort für Rechtradikale. 1997 beschloss der Gemeindekirchenrat, die Grabstätte gemäß Friedhofsordnung und mit Zustimmung des Landesdenkmalamtes zu „beräumen“. Der Stein wurde im Rahmen einer Bundeswehrübung entfernt. Doch unter ehemaligen Fallschirmjägern der „Nationalen Volksarmee“ der DDR scheint Arndts so fromm gemeinter Spruch immer noch eine geheime Parole der Wiedererkennung zu sein, wie im Internet zu erfahren ist. – Tatsächlich gibt es auch eine starke Arndt-Tradition in der Geschichte des deutschen Kommunismus. Darüber habe ich schon mehrmals geschrieben, weshalb ich mich hier auf ein kurzes Referat beschränke.

4. Arndt in der Geschichte des deutschen Kommunismus Auf einen meiner Arndt-Aufsätze erhielt ich von Helmut Gollwitzer am 25. Mai 1979 einen ermutigenden Brief.37 Gollwitzer, Schüler Karl Barths, Pfarrer der Bekennenden Kirche und in Berlin-Dahlem 1937 Nachfolger Martin Niemöllers nach dessen Verhaftung, bestätigte mir, wie er selbst als Theologiestudent in Bonn zwischen den Jahren

35 Vgl. Heinrich Kessler, Wilhelm Stapel als politischer Publizist, Nürnberg 1967, S. 276. Bonhoeffer kritisierte Stapels 1932 erschienenes Buch „Der christliche Staatsmann. Eine Theologie des Nationalismus“, in einer Berliner Vorlesung des Wintersemesters 1932/33. Vgl. Dietrich Bonhoeffer Werke, Bd. 12, hg. von Carsten Nicolaisen u. Ernst-Albert Scharffenorth, Gütersloh 1997, S. 169–173: „ein gefährliches Buch“; „Man kann nicht zwei Göttern dienen, dem Kreuz und dem deutschen Reich.“ (169, 173). 36 Ernst Moritz Arndt, Der Rhein, Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Gränze, in: Arndts Werke, hg. v. August Leffson/Wilhelm Steffens, Bd. 11: Kleine Schriften, Berlin/Leipzig/Wien [1912], S. 63. 37 Abgedruckt in meinem Buch: Staats, Protestanten (wie Anm. 17), S. 129f.

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1930–1933 „die Verehrung Arndts als eines protestantischen Heiligen“ erlebt habe: „Dabei wurde natürlich der ‚Demagoge‘ Arndt [1819–1849] möglichst verschwiegen, und außerdem war man peinlich berührt, als der frühe Arndt – ich erinnere mich an ein Bändchen mit kräftigen Aussprüchen in dieser Richtung – von den Nazi-Studenten als Zeuge für die Nation als neuem Inhalt von Religion entdeckt wurde.“ Aus demselben Brief Gollwitzers zitiere ich eine Anekdote, die Arndt in kommunistischer Tradition sehr anschaulich macht: „Unser Kriegsgefangenenlager in Mittelrussland ist zum Jubiläum der Oktoberrevolution Anfang November 1945 im Karree angetreten, und der russische Lagerkommandant befiehlt dem deutschen Lagerführer ein deutsches Freiheitslied zur Feier der Oktoberrevolution zu singen. Der deutsche Lagerführer ruft geistesgegenwärtig: ‚Wir singen: Der Gott der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte. Gollwitzer, sag die Verse vor!‘ Meine Sozialisation in einem sehr nationalen lutherischen bayrischen Pfarrhaus und mein gutes Gedächtnis halfen mir, ich sagte drei Verse vor, die erschollen nun aus voller Brust bei verstecktem Schmunzeln zur Feier der Oktoberrevolution […]“. Die kommunistische Arndt-Rezeption hat eine lange Vorgeschichte im neunzehnten Jahrhundert und lässt sich personen- und literaturgeschichtlich nachweisen.38 Sie begann 1841 mit einem Artikel des jungen Friedrich Engels.39 Der Freund und Mäzen von Karl Marx schätzte nicht nur den „männlichen Knochenbau des arndt’schen Stiles“, wenn er auch die „Deutschtümelei“ Arndts ein wenig kritisierte, das aber auch nur wegen ihrer Verbindung mit Arndts angeblich theologischer Orthodoxie, so wollte Engels doch mit dem späten Arndt sogar darin übereinstimmen, dass „die Wiedereroberung der deutsch-sprechenden linken Rhein-Seite eine nationale Ehrensache, die Germanisierung des abtrünnig gewordenen Hollands und Belgiens eine politische Notwendigkeit“ sei. Auch sorgte sich Engels, dass im Osten Deutschlands „das Slawentum immer mächtiger“ werden könne. Am meisten bedeutete ihm, dass in den deutschen Freiheitskriegen das deutsche Volk, angeführt von Männern wie Arndt, endlich revolutionär geworden sei: „Nicht die errungene ‚Freiheit‘ war das größte Resultat des Kampfes, sondern dies lag in der Tat selbst […], dass wir uns bewaffneten, ohne die gnädigste Erlaubnis der Fürsten abzuwarten […], dass wir einen Augenblick als Quelle der Staatsmacht, als souveränes Volk auftraten, das war der höchste Gewinn jener Jahre“. Friedrich Engels bezieht sich hier eindeutig auf die „revolutionären“ Töne im kurzen „Soldatenkatechismus“ nach der Petersburger Fassung von 1812. Der christliche und biblisch begründete Grundton in diesem Text wurde schon von Engels und dann überhaupt in der kommunistischen Rezeption geflissentlich übersehen.40 Auch 38 Aus meiner Bibliographie, in: Staats, Arndt – Seine Wirkungen (wie Anm. 17), seien besonders hervorgehoben die Artikel zweier Festschriften: Das 500jährige Jubiläum der Universität Greifswald 1956, Leipzig 1961; Festschrift zum 200. Geburtstag von E.M. Arndt, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der E. M. Arndt-Universität Greifswald. Gesellsch. u. sprachwiss. Reihe, Bd. 18, Greifswald 1969. 39 Friedrich Engels, Ernst Moritz Arndt, 1841, in: Marx/Engels, Werke, Erg. Bd., 2. Teil, 1967, S. 118–131. 40 Kurzer Katechismus, in: Leffson/Steffens (wie Anm. 36), Bd. 10, S. 112–129. Die in kommunistischer Tradition so wichtige Äußerung Arndts findet man im zweiten Kapitel (S. 117), wo

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die völlig überarbeitete Neuauflage von Arndts Petersburger Text („Kurzer Katechismus für deutsche Soldaten“, 1812) in der Breslauer Fassung von 1813 („Katechismus für den teutschen Kriegs-und Wehrmann“) kam in der kommunistischen Arndt-Rezeption nicht mehr vor.41 Hier hatte Arndt allerdings die christlich-biblische Begründung noch viel stärker hervorgehoben, weshalb diese zweite Auflage dann auch in der deutschen Militärseelsorge in den beiden Weltkriegen sehr bekannt geworden war. Wie sehr aber jener „Kurze Katechismus für deutsche Soldaten“ eine geradezu kanonische Bedeutung erhielt, sei an folgenden Zeugnissen namhafter Kommunisten erklärt: Franz Mehring, 1916 Mitbegründer des „Spartakus“-Bundes an der Seite von Rosa Luxemburg, hatte zwar von Arndt im allgemeinen nicht so viel gehalten, schätzte aber überaus diesen antimonarchischen Text wegen der darin ausgesprochenen Bedingtheit des Fahneneides und wegen Arndts Kritik an blindem Gehorsam des Soldaten. Schon Karl Liebknecht hatte 1913 in einer Reichstagsrede dieses revolutionäre Element in Arndts Soldatenkatechismus „als Waffe gegen den deutschen Imperialismus und Militarismus“ verwendet.42 Im Zweiten Weltkrieg, nach der Niederlage von Stalingrad am 2. Februar 1943, hatten deutsche kommunistische Emigranten eine gezielte Propaganda unter deutschen Soldaten unter Berufung auf Arndt und die Helden der deutschen Freiheitskriege betrieben. Und sie hatten Erfolg. In sowjetischer Gefangenschaft wurden allein fünfzig deutsche Generäle und auch drei evangelische und drei katholische Wehrmachtspfarrer Mitglieder im „Nationalkomitee Freies Deutschland“, das über die Front hinweg unter deutschen Soldaten zum Widerstand gegen das Hitler-Regime aufrief. Zahlreiche Angehörige in Deutschland, Frauen und Kinder, wurden daraufhin in Sippenhaft genommen und in Konzentrationslager gebracht. General Walther von Seydlitz-Kurzbach, Vizepräsident im „Nationalkomitee Freies Deutschland“ und Präsident in dem diesem Nationalkomitee angeschlossenen „Bund deutscher Offiziere“, erzählt in seinen Erinnerungen, wie ihn Arndt als Vorbild alle Skrupel zu überwinden half: „Durch meinen Weg und meine Erfahrungen im Dritten Reich bis Stalingrad, besonders aber durch Stalingrad selbst, war ich jetzt zu der Erkenntnis gekommen, dass Hitler ein politischer und militärischer Verbrecher war, der größenwahnsinnigste und blutigste Diktator seit Jahrhunderten. Den Eid, den er selbst einst 1933 dem deutschen Volk geleistet hatte, hatte er längst gebrochen, er hatte Volk und Wehrmacht verraten. Darum hielt ich es jetzt mit dem Freiheitskämpfer Ernst Moritz Arndt und seinem Ruf aus dem Freiheitskrieg 1812/13. Er schrieb damals in seinem kurzen Katechismus für deutsche Soldaten, allerdings die Befehlsverweigerung ausführlich, wie jeder Kenner des Neuen Testamentes sofort erkennt, mit dem Gebot „Du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen“ begründet wird (Apg. 5,29 = sogenannte Clausula Petri). 41 Katechismus für den teutschen Kriegs- und Wehrmann, worin gelehret wird, wie ein christlicher Wehrmann sein und mit Gott in den Streit gehen soll, in: Leffson/Steffens (wie Anm. 36), Bd. 10, S. 131–162. 42 Vgl. Franz Mehring, Gesammelte Schriften, Bd. 5, Berlin 1964, S. 107; Bd. 10, Berlin 1961, S. 312; Karl Liebknecht, Die Armee als Gewaltwerkzeug gegen das arbeitende Volk. Rede im deutschen Reichstag vom 20. Juni 1913, in: ders., Gesammelte Reden und Schriften, Bd. VI, Leipzig 1964, S. 325f.

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den er in Petersburg verfasste: ‚Wenn ein Fürst seine Soldaten gebraucht, das Glück und die Freiheit seiner Mitbürger zu zerstören, wenn Fürsten also tun und gebieten, was gegen das Vaterland ist, oder wenn sie sich gebärden, als wollten sie solches tun, so sind die Untertanen von ihrem Eid erlöst.’ Ich erkannte diese Worte als wahr und machte sie mir zueigen.“43 General von Seydlitz meinte aus dem Kurzen Katechismus genau zu zitieren. Aber wenn man vergleicht, fehlt in diesem Referat des zweiten Kapitels von Arndts Kurzem Katechismus gerade der christlich-neutestamentliche Kontext. Daran ist zu erkennen, dass ihm dieser Arndt-Text nur von deutscher kommunistischer Seite nahegelegt sein konnte.44 – Noch bis 1989 wurde das „progressive Gedankengut“ in Arndts Soldatenkatechismus von der „Nationalen Volksarmee“ der DDR als bedeutendes nationales Erbe gepflegt, und bis 1989 war auch eine hohe Auszeichnung in der DDR die Ernst-Moritz-Arndt-Medaille der „Nationalen Front“, verliehen „für patriotische Leistungen“. Auch die von Arndt vorgestellten sportlichen Wettkämpfe sollten vorrangig der Wehrertüchtigung der Männer dienen: „Springen, Ringen, Steinwerfen, Steinstoßen, Lanzenwerfen, Klettern, Schwingen“ und Waffenspiele wie „Schießen und Fechten“. Doch nannte man das alles wie auch andere Körperertüchtigungen, wofür als Initiator meist nur Arndts Schüler, der „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn bekannt ist, damals noch nicht mit dem Englischen „Sport“, sondern auf Deutsch „Turnen“. Es war ein „vaterländisches“ Turnen, das durchaus auch der männlichen Zurüstung für den Kriegs- und Ernstfall dienen sollte. Darin unterscheiden sich die Anfänge der deutschen Sportgeschichte von denen in den angelsächsischen Ländern. Doch hier wie dort war von Anfang an wie selbstverständlich noch eine christliche Begründung der Leibesertüchtigung vorausgesetzt: „Frisch, fromm, fröhlich, frei“, eben auch „fromm“ sollte sich die Jugend auf den Turnplatz bewegen.45 Arndts diesbezügliche Äußerungen findet man zusammengefasst in einem Traktat aus dem Jahr 1813 unter dem bemerkenswerten Titel: „Grundlinien einer deutschen Kriegsordnung“. Arndt empfahl hier ja wirklich, dass alle Wettspiele „als ein menschliches und christliches Fest mit Gottesdienst und Gesang“ feierlich eröffnet werden sollten; die Erkenntnis, dass Seele und Leib zusammengehören und darum der Leib ebenso wie die Seele trainiert werden müsse, hatte Arndt zurecht für ein urchristliches Gebot gehalten. Er wünschte selbst, dass die Lehre des Apostels Paulus zur Wirklichkeit werde. Auch der Leib des Christenmenschen sei ein Tempel Gottes (1Kor 6,19)! Im selben Traktat äußerte Arndt nun auch merkwürdig „kommunistisch“ anmutende Gedanken. Wenigstens auf dem Turnplatz sollten die so unsozialen Klassenunterschiede aufgehoben sei: „Auf diesem Kampf43 Walther von Seydlitz-Kurzbach, Stalingrad. Konflikt und Konsequenz, Oldenburg 1977, S. 271. 44 Gerade der bei Arndt erkennbare Bezug auf die Clausula Petri (nach Apg 5,29) fehlt in dem Zitat bei General von Seydlitz. Andererseits wird die in kommunistischer Tradition propagandistische Zuspitzung auf das Brechen des soldatischen „Eides“ von Arndt an dieser Stelle seines Kurzen Katechismus (Kap. 2) nicht ausdrücklich genannt. 45 Man betrachte die mit biblisch-frommen Bibelworten geschmückte „Erinnerungsturnhalle“ von 1891–1894 in Freyburg (Unstrut), errichtet zur Erinnerung an Friedrich Ludwig Jahn (jetzt schön renoviert).

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platz erscheint der Ärmste wie der Reichste, der Sohn des Tagelöhners wie der des Grafen; sie sind gleich durch eine glückliche Jugend […]. Hier in diesem jugendlichen und freien Staate, wo kein Zwang die Klassen und Arten voneinander scheidet, teilt jeder sich und das Seinige dem anderen mit, und so bilden sie einander […], es wird durch die Reibung mancherlei Klassen aneinander etwas Gemeinsames, was allen gehört, etwas Volkstümliches hervorspringen, sie werden sich ineinander hineinlieben und hineinleben, sie werden ein kleiner politischer Staat werden.“ Diese Sätze möchte ich verstehen als ein frühes, wenn nicht gar das früheste Zeugnis für einen kommunistischen „Klassenkampf“ im deutschen Sprachraum – allerdings bei weitem noch nicht im späteren marxistischen und rein säkular-politischen Sinn. Denn nur im Kleinen, in Sport und Spiel, nicht in der großen Gesellschaftspolitik, konnte für Arndt eine völlig klassenlose Gesellschaft zur Wirklichkeit werden.46 Die kommunistische Arndt-Rezeption ist in der DDR und hier besonders an der Greifswalder Ernst-Moritz-Arndt-Universität gut erforscht worden, wenn man absieht von den vor 1989 kaum vermeidbaren ideologischen Wertungen.47 Natürlich mag man die Arndt-Forschung in der DDR als selektiv kritisieren. Aber eine Demokratie im Sinne der Frankfurter Verfassung der Paulskirche galt ja auch im Kommunismus mit seiner historisch-materialistischen Weltsicht als von der nachfolgenden politischen Geschichte Deutschlands überholt. Daher wurde auch Arndt in seiner historischen Bedingtheit durchaus gesehen. Es bleibt nun aber nach 1989 beachtenswert, wie tiefgreifend eine selektive Orientierung an Arndt in der Geschichte der DDR die Sozialgeschichte dieses anderen und sozialistischen Staates auf deutschem Boden mitbeeinflusst hatte. Nicht nur Arndts Forderung nach einer „Volksarmee“, sondern auch Arndts Kampf für die Bauernbefreiung gegen Ausbeutung und „Junkertum“, und nicht zuletzt Arndts Propaganda für das Recht einer gewaltsamen Selbstbefreiung von Völkern, die „imperialistisch“ unterdrückt werden, bedürften natürlich hinsichtlich einer ArndtRezeption einer ausführlicheren Untersuchung. Dass auch bei diesen Themen Name und Werk Arndts weithin nur propagandistisch missbraucht wurden, darf vermutet werden.

5. Schluss eines Historikers, der auch ein Theologe ist Die Untersuchung der Arndt-Rezeption im zwanzigsten Jahrhundert ist auch ein geschichtshermeneutisches Beispiel, um zu zeigen, wie man in historischer Arbeit durch „Vergleichen“ von politischen Systemen an einer gemeinsamen Wurzel auch Gemeinsames entdecken kann. Ich halte nichts von einer unter deutschen Laienhistorikern und professionellen Historikern und auch Theologen verbreiteten moralischen Tabuisierung des Nationalsozialismus als einer so bösen Verbrecherherrschaft, dass sie keinen 46 Die „Grundlinien“ (1813) sind nach meiner Kenntnis noch nicht in einer neueren Edition greifbar. Zur sportgeschichtlichen Bedeutung Arndts siehe die Heidelberger theologische Dissertation von Karl Friedrich Werner, Christentum und Leibesübungen in den Anfängen der deutschen Turnbewegung, Heidelberg 1980 (ungedruckt). 47 Siehe die oben in Anm. 38 und 42 genannte Literatur.

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Vergleich in der Weltgeschichte zuließe. Damit wäre die Hitlerherrschaft in ihrer Einmaligkeit und Besonderheit, die ja gar nicht zu leugnen ist, dennoch zu hoch bewertet. Der deutsche Nationalsozialismus würde damit zu einem absolut Bösen hypostasiert, welches alles Böse in der Welt überträfe. Ein Historiker wird, um überhaupt einen Maßstab bei seiner „Wertung“ des Geschehenen anlegen zu könne, vergleichen müssen und durch Vergleichen auch werten müssen. Ein Nationalsozialismus Hitlers und ein marxistischer Sozialismus Stalins hatten, trotz tiefer Verschiedenheiten, eben doch auch Gemeinsames, was auf eine gemeinsame Vorgeschichte, weit zurück im deutschen „Vormärz“ (1818 – 1840), schließen lässt. Trotz großer Verschiedenheiten wird man bei vorsichtigem Vergleichen in mancher Hinsicht eben doch auch Vergleichbares und sogar Gemeinsames in deutschem Nationalsozialismus und deutschem Kommunismus beobachten können. Hierfür ist der Nachweis einer positiven Arndt-Tradition sowohl bei der extremen Linken als auch bei der extremen Rechten ein Forschungsthema. Freilich wird man wie im alltäglichen Leben, so auch in der Weltgeschichte bei einem Vergleich immer auch etwas haben müssen, womit man zusätzlich vergleicht, welches das Dritte ist und den Bezugswert darstellt. Dieses tertium comparationis ist in unserer Geschichte der christliche Politiker Ernst Moritz Arndt. Nicht nur der Arndt als Demokrat westeuropäischer Tradition, sondern auch der Arndt als Christ allgemeiner europäischer Tradition wurde von deutschen Nationalsozialisten und Kommunisten vergessen oder zumindest nicht ernstgenommen. Diesen Arndt kann man wieder entdecken. Dahin führt nun aber ein viel genauerer und Kontexte berücksichtigender Vergleich der Propaganda politisch radikaler Parteien mit Arndts eigenen Aussagen, wozu meine Beschäftigung mit Ernst Moritz Arndt in der politischen Propaganda des zwanzigsten Jahrhunderts nur eine Anregung sein sollte. Als Theologe wird man immer auch die christlich-biblische Tradition bei der Bewertung von historischen Personen zu bedenken haben, zumal wenn diese, wie einst Ernst Moritz Arndt, zu den „großen“ Deutschen gezählt wurden und selbst doch auch bekennende Christen sein wollten. Gerade das offenherzige Bekenntnis zu einem „Geist der Zeit“, der ja schon im Titel des Hauptwerkes von Ernst Moritz Arndt steht, müsste einem christlichen Theologen als bedenklich erscheinen. Arndts Auffassung vom „Geist der Zeit“ spiegelt jenes „epochale“ zeitkritische Bewusstsein des neunzehnten Jahrhunderts, wenn dieses „in die Weissagung des Künftigen“ flüchtet und dabei der Gegenwart die „Zukunftsfülle“ zuspricht, so wie das noch heute der bekannte Refrain „Mit uns zieht die neue Zeit“ ausdrückt (aus einem Lied von Hermann Claudius, welches sowohl bei politischen Linken als auch bei Rechten im vorigen Jahrhundert sehr populär war). Es ist das Bewusstsein, dass der Zeitgenosse eine Epochenwende zu einer neuen Zeit persönlich erlebt oder zu erleben meint, so wie auch heutzutage in den Medien manche Ereignisse positiv oder auch negativ wahrgenommen und dann oft viel zu rasch und sogar zeitgleich für „historisch“ erklärt werden. Wohl wirkungsvoller als manche idealistischen und klassischen Dichter und Philosophen wie Fichte, Hegel und Hölderlin hatte Ernst Moritz Arndt zur Popularisierung einer Idee beigetragen, die zur Parole des menschlichen Fortschritts werden sollte.48 Dafür sei schließlich exempla48 Zur grundsätzlichen Kritik an einer idealistischen Geschichtskonzeption siehe Karl Löwith, Von Hegel zu Nietzsche, 2. Aufl. Stuttgart 1950 und ders., Weltgeschichte und Heilsgesche-

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risch auf eine Arndt-Rezeption im Werk des Theologieprofessors Emanuel Hirsch hingewiesen, der bis zum Kriegsende ein „Deutscher Christ“ geblieben war. Hirsch hatte das Jahr der Machtergreifung Hitlers mit dem Sieg der Freiheitskrieger über Napoleon gleichgesetzt. Das letzte Kapitel seines 1934 erschienenen und Göttinger Vorlesungen aus dem Vorjahr 1933 rekapitulierenden Buches „Die gegenwärtige geistige Lage“ hatte zum Geleitwort einen Arndt-Vers: „Wem soll der erste Dank erschallen? Dem Gott, der groß und wunderbar aus langer Schande Nacht uns allen in Flammen aufgegangen war“.49 Für Hirsch hatte das Jahr 1933 die epochale „Wende“ gebracht; es hatte für ganz Deutschland die „Wirklichkeit von Volk und Staat“ gebracht; „ein großer und mächtiger Wille zu Neuem“ hatte sich „unter gegebenen Verhältnissen des zu Ende gehenden Geschichtsalters nicht erfüllen können…“.50 Ein Theologe muss an solch modernen geschichtstheologischen Entwürfen kritisieren, dass der „Geist der Zeit“ als Rauscherlebnis doch nicht mit der Erfahrung jenes anderen „heiligen“ Geistes verwechselt werden darf und dass sich für ein christliches Geschichtsverständnis jede historisch einschneidende Epoche relativ zu einem urchristlichen und immer noch gültigen Zeitverständnis verhält. Dieses ist den Christen vorgegeben im Glauben an den gekommenen und immer noch kommenden Gott in Christus als den Erlöser der Welt. Nicht zu vergessen ist, dass Arndt selbst nicht unkritisch gegenüber einem nur säkularen Zeitverständnis war, wie man allein seinem wohl immer noch bekanntesten Kirchenlied entnehmen kann: „Ich weiß, woran ich glaube, ich weiß, was fest besteht, wenn alles hier im Staube wie Sand und Staub verweht; ich weiß, was ewig bleibet, wo alles wankt und fällt, wo Wahn die Weisen treibet und Trug die Klugen prellt …Das ist das Licht der Höhe, das ist der Jesus Christ, der Fels auf dem ich stehe….“.

hen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie, 1. Aufl. Stuttgart 1953; Reinhart Koselleck, Vergangenheit und Zukunft, Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt/M. 1989. 49 Die Anfangszeilen der zweiten Strophe von Arndts „Bundeslied“; Erstabdruck in: Ernst Moritz Arndt, Gedichte, 1. Theil, Frankfurt 1818, S. 263. 50 Emanuel Hirsch, Die gegenwärtige geistige Lage im Spiegel philosophischer und theologischer Besinnung, Göttingen 1934, S. 132.

„Arndt ist tot.“ Sein Bild in den Nachrufen von 1860 Irmfried Garbe „Arndt ist tot“ – diesen Eindruck haben viele und das nicht erst im Zuge der Greifswalder Namensdebatten, die in schöner Regelmäßigkeit den mehrfach Totgesagten am Leben erhalten. Als ich im Herbst 2009 die Titelformulierung wählte, war bei weitem nicht klar, ob Arndt in Gestalt des Greifswalder Universitätsnamens auch unserem 21. Jahrhundert als Erinnerungsort erhalten bleiben würde. Im März 2010 wurde diese Frage dann überraschend eindeutig entschieden. Der akademische Senat der Ernst-Moritz-Arndt-Universität votierte nach einem mehrteiligen Anhörungsverfahren mit deutlicher Mehrheit für die Beibehaltung des Namens. Der Debattenprozess hatte über lange Phasen eher propagandistischen als akademischen Charakter gezeigt. Die Entscheidung am Debattenende reagierte darauf. Sie war auch ein Plädoyer dafür, einen markanten Erinnerungsort der deutschen Geschichte in seiner Kompliziertheit anzuerkennen. Entstanden war eine neue Aufmerksamkeit dafür, dass sich in Arndts publizistischem Werk geistesgeschichtliche Linien bündeln, die das späte 18. und frühe 19. Jahrhundert auf produktive Weise mit unserer Gegenwart und mit der Gegenwart einer modernen Universität verbinden. Arndts breites Themenspektrum fordert eigene Frage-, Sinn- und Positionsbestimmungen heraus. So gab es für die Beibehaltung des Universitätsnamens gute Gründe. Offensichtlich ist Arndt noch immer nicht so tot, wie manche zuweilen mit Gelassenheit, viel öfter aber mit hochschlagenden Emotionen verkündet haben. Es liegt mir fern, eine Totenbeschwörung vorzunehmen. Ich verfolge mit dem gewählten Thema ein bescheidenes Ziel. Ich möchte auf Wahrnehmungsmuster hinweisen, die Arndts Gestalt post mortem beeinflussen und eintönen. Arndt wurde in den letzten 150 Jahren mit Bildern überzogen, die seitdem unablösbar an ihm haften. Fest steht, dass das schriftstellerische Werk Ernst Moritz Arndts, und damit die Breite seines geistigen Innenlebens, heute höchst selten, überwiegend überhaupt nicht mehr zur Kenntnis genommen wird. Das war einer der Hintergründe dafür, warum die Aktivisten der Greifswalder Anti-Arndt-Kampagne zum Zuge kommen konnten. Doch steht gerade einer akademischen Gesellschaft Halbwissen und Ignoranz nicht gut zu Gesicht. Ob freilich die Lesekenntnis Arndts zum Zeitpunkt seines Todes für das große deutsche Publikum so gänzlich anders war, erscheint mir trotz des relativ breiten Stromes an Arndt-Erinnerungen, die wir für das gesamte 19. und bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts feststellen können,1 gar nicht so sicher. Unsere aktuelle Öffentlichkeit ist jedenfalls schon seit etwa vier Jahrzehnten nicht mehr von Arndt-Lektüren, sondern fast ausschließlich von Arndt-Bildern geprägt. Ihre Herkunft liegt in unterscheidbaren politischen und geistigen Kulturen des 19. und des 20. Jahrhunderts. Intentional stehen sie in mindestens partieller Konkurrenz zu- und gegeneinander. Arndt war als National1

Vgl. hierzu in diesem Band die Beiträge von Reinhart Staats und Ralf Klausnitzer. Eine umfassende Musterung der Arndt-Bilder des 19. Jahrhunderts steht noch weitgehend aus.

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schriftsteller für zahlreiche Strömungen und Bewegungen von Interesse. Seine Gebrauchsgeschichte ist politisch nicht festgelegt; sie begann im liberalen Spektrum und entwickelte sich von dort aus sowohl in nationalkonservativer, liberalprotestantischer, linksliberaler, sozialistischer und nationalsozialistischer Richtung weiter. Einen wichtigen Verdichtungspunkt zur Ausbildung einiger dieser Bilder erblicke ich in den Arndt-Nekrologen. Außerdem erschien es mir angesichts seines 150. Todestages hinreichend spannend, diesen Moment neu aufzusuchen, in dem sein physischer Tod zur öffentlichen Nachricht wurde. Arndts Ableben bewirkte eine Versäulung von Bildern, die zum Teil bis heute nachwirken. Zwischen Ende Januar und Mai 1860 lag die Betonung meines Titel-Zitates noch ganz überwiegend auf dem Subjekt: „Arndt ist tot!“ Seine Nekrologe stießen auf ein aufnahmebereites Publikum: der Dichter des populären Deutschlandliedes war bereits zu Lebzeiten ein Erinnerungsort geworden. Dieser blieb er auch für die nächsten fünf Generationen auf emotional-zustimmende Weise. Ob in der ferneren Zukunft die heute emotional umgekehrt konnotierte Aussage „Arndt ist tot“ auf eine statuarische Formel zurückfallen wird und nur noch das Prädikat betonend lauten wird: „Arndt ist tot“, will ich auf sich beruhen lassen. Mir genügt es, in die Entstehungszeit der Todesnachricht zurückzugehen. Schon damals war die Tönung des Arndt-Bildes ambivalent. Arndt-Leser kann das nicht weiter wundern. Damit das Spektrum der Arndt-Nekrologe plastisch wird und von den Lesern selbständig mit- und nachvollzogen werden kann, ist dieser Studie eine Edition von Arndt-Nekrologen beigegeben. Auf Vollständigkeit konnte dabei kein Wert gelegt werden, doch sind alle bildprägenden Nachrufe einbezogen. Deren Lektüre zeigt: Mit seinem Tod setzte auch ein Kampf um die Deutungshoheit seines Bildes ein. Diese Auseinandersetzung währt bis heute.

1. Deutungstypen Der Bonner Pfarrer und Arndt-Gesprächspartner Albrecht Wolters polemisierte bereits wenige Tage nach der Beerdigung des Publizisten: „Man muß erwarten, daß Nekrologe aller Farben und Arten versuchen werden, den geliebten Todten zu Demjenigen zu stempeln und zu machen, was ihre Verfasser verehren.“ Als mitengagierter Teilnehmer dieses Deutungskampfes fügte er gereizt hinzu: „Vor allem […] ist zu befürchten, daß die jetzt so genannten Liberalen, eine Parthei, welche heut zu Tage, da der Wind für sie weht, neben den vielen theuern Männern so viele wohlfeile Leute in sich beschließt, mit scheinbar größtem Rechte sich Arndts in viel schriftlichen und mündlichen Worten bemächtigen, ohne von ihm auch nur seines Rockes Zipfel andern Menschenkindern zu gönnen oder zu lassen.“2 Der Pfarrer hatte diese Prognose aus der Lektüre der ersten Nekrologe gezogen. Die waren überwiegend freisinnig-nationalliberal ge2

Albrecht Wolters, Ernst Moritz Arndt, in: Evangelisches Gemeindeblatt aus und für Rheinland und Westfalen. Elberfeld (1860) Nr. 4 v. 23.3.1860, S. 66–74. Erneuter Nachdruck: ders., Ernst Moritz Arndt. Zur Erinnerung an seinen Heimgang (29. Januar 1860), in: Monatshefte für rheinische Kirchengeschichte 29. Jg. (1935), S. 88–95. Wolters Nachruf steht unten in der Dokumention unter Nr. 28.

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tönt. Sie standen damit in guter Tradition zu den Arndt-Porträts, die schon zu seinen Lebzeiten erschienen waren. Die Spur des liberalen Lebensbildes lässt sich anhand der ersten Arndt-Biographie von William Neumann und Arthur Bussenius aus dem Jahre 18543 über das warmherzige Arndt-Porträt Robert Blums von 18474 durch die ausführlichen Biogramme im Brockhaus und verwandten Enzyklopädien durch deren Auflagen bis in die frühen 1820er Jahre zurückverfolgen.5 Offenbar hat sich der alte Arndt selbst als Liberalen verstanden. Gegen seine Einordnung in das liberale Lager meldete er – soweit ich sehe – keinen Einwand an. Was Wolters aber am Arndt-Bild der Nationalliberalen und der Freisinnigen so besonders missfiel, war deren Ausblendung oder sogar Verleugnung von Arndts Religiosität. Und mit dieser Kritik war Wolters im Recht. Der Geistliche sah in Arndt entschieden „einen Zeugen für den evangelischen Glauben.“6 Damit markiert Wolters Nekrolog den Beginn eines speziellen Arndt-Bildes, dem in den letzten 150 Jahren immer wieder und auf breiter Front Geltung verschafft wurde: das konfessionell-protestantische Arndt-Bild. Es ist aber nur eines der vielen Spielarten von Arndt-Bildern, die heute diskutiert werden können. Mit den Nekrologen des Jahres 1860 stoßen wir gegenüber den genannten älteren Darstellungen auf eine neue Entwicklungsstufe des Arndt-Bildes. Sie ist wesentlich dadurch gekennzeichnet, dass der Verstorbene auf sie keinen Einfluss mehr nehmen konnte. Hier in den Nachrufen, die eigenen Gattungsgesetzen folgen, fand ein Prozess der Gerinnung statt. Es formten sich Leitbilder aus, die die nachfolgende Arndt-Wahrnehmung ganz entscheidend geprägt haben. Insgesamt lassen sich die ca. 25 ArndtNekrologe, die mir in Vorbereitung auf diese Studie bekannt wurden,7 inhaltlich mehreren Typen zuordnen. Neben dem konfessionellen und dem entschieden politischen Arndt-Nekrolog lässt sich der biographisch-literaturkundliche, der zeitkritisch-reflektierende, der glorifizierende und der monumentalistisch-ideologische Nekrolog unterscheiden. Natürlich handelt es sich dabei um idealtypische Klassifizierungen. In den meisten spielen mehrere dieser Tendenzmomente eine Rolle und fast alle sind sie ab-

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William Neumann / Arthur Friedrich Bussenius, Ernst Moritz Arndt. Eine Biographie (Moderne Klassiker, 32), Cassel 1854 (erneut, jedoch anonym 1859). Bussenius war auch Robert Blums erster Biograph. Robert Blum, Ernst Moritz Arndt, in: Ders. (Hg.), Die Fortschrittsmänner der Gegenwart. Eine Weihnachtsgabe für Deutschlands freisinnige Männer und Frauen, Leipzig 1847, S. 8–41. Erneut unter dem Titel: Weihnachten – Ernst Moritz Arndt, in: Robert Blum, Ein Weihnachtsbaum. Lebensbeschreibung freisinniger Deutscher (Vorkämpfer deutscher Freiheit, 21), hg. v. Wilhelm Ohr, München 1911. Brockhaus. Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände, 10. Aufl. Bd. 1 (1851), S. 675–677; vgl. die diversen Vorauflagen bis zur Erstfassung: Supplement zur 1.-4. Aufl. 1819 (= 5. Aufl. 1821), sowie beispielsweise Meyers Conversationslexikon, Bd. IV/1 (1843) S. 396. So ausdrücklich schon im Titel des bearbeiteten Separatdruckes seines Nekrologs, der im März 1860 erschien: Albrecht Wolters, Ernst Moritz Arndt, ein Zeuge für den evangelischen Glauben, Elberfeld: Bädecker 1860, 47 S. In die Dokumentation habe ich auch die maßgeblichen Todes- und Begräbnisnachrichten aufgenommen und in der Edition mitgezählt, hier aber herausgerechnet.

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hängig von Arndts 1840 erstmals publizierter Autobiographie.8 Arndts Nationalgedanke bildet die Klammer, die sämtliche Typen miteinander verbindet. Sein lebenslanges Insistieren auf die Bildung eines deutschen Nationalstaats auf der Grundlage einer konstitutionellen Verfassung stand allen Nekrologverfassern vor Augen und wurde ausschließlich positiv gewertet. Der Nationalstaatsgedanke stellt das emphatische Kontinuum in der Arndt-Wertung 1860 dar.9 Bevor ich auf wichtige Eigenheiten exemplarisch eingehe und einige Beispiele der genannten Typen vorstelle, möchte ich vorab aber doch auch individuelle Züge des Sterbefalles skizzieren.

2. Arndts Tod „Das schönste Loos, das die Alten sich vorzustellen vermochten, war inmitten der Freude, inmitten des Triumphes zu sterben. So starb Arndt“, behauptete Fritz Bader, einer seiner ersten Nachruf-Verfasser.10 Seitdem riss die publizistische Betrachtung von Arndts Leben nicht wieder ab. Meldungen zu ihm füllten die Spalten zahlloser Zeitungen. Dies aber nicht erst vom 30. Januar bis zum Mai 1860, sondern schon in den 32 Tagen zwischen Arndts 90. Geburtstag am 26. Dezember 1859 und seinem unerwarteten Tod am 29. Januar 1860. Schon Wochen vor seinem Tod war Arndt in den Schlagzeilen. Zugleich war der historische Moment für die Wahrnehmung dieses Lebensausklangs ausgesprochen günstig. Der Greis war im Dezember 1859 mit Glückwunschadressen, Geschenken und Ehrenbezeugungen aus ganz Deutschland überschüttet worden. Eine Welle neuer nationaler Hoffnungen bescherte dem ideellen Vater der Nationalbewegung und hochbetagten „Apostel der Freiheitskriege“ ehrende Aufmerksamkeit. Im Rückblick wurde etwas später geurteilt: „’Der alte Arndt’ ist der Liebling des deutschen Volks gewesen, wie einst der alte Blücher. Noch zu seinem neunzigsten Geburtstag hat sich die liebende Verehrung, die der Alte durch ganz Deutschland genoss, in freundlichen Ueberraschungen, Grüßen und Huldigungen aus allen Gauen herrlich offenbart. Und so ist er denn dahingegangen, verehrt und beklagt von der Nation, deren treuer Vorkämpfer er sein Leben lang gewesen, ein Vorbild dem heranwachsenden Geschlecht, ein edelster Vertreter deutschen Wesens und deutscher Tüchtigkeit.“11 Die Idee eines einigen deut8 Ernst Moritz Arndt, Erinnerungen aus dem äußeren Leben. Zweite unveränderte Auflage, Leipzig 1840. Bei den zuletzt 1953 und 1985 im Aufbau-Verlag publizierten Wiedergaben handelt es sich um Auszugsbearbeitungen. Vollständig sind neben den Originalausgaben die Wiedergaben in den drei Werkausgaben Arndts, die zwischen 1902 und 1912 von Ludwig Freytag, Wilhelm Leffson bzw. Heinrich Meißner besorgt wurden. 9 Vgl. als typisches Produkt den detailreichen, mehrfach nachgedruckten Nekrolog des Vorsitzenden des Bonner Bürgervereins Carl Sell, Ernst Moritz Arndt’s Nekrolog, in: Bonner Zeitung, 52. Jg., Nr. 30 v. 7.2. 1860, S. 1f. Vgl. die Dokumentation unter Nr. 22. 10 F[ritz] B[ader], Ernst Moritz Arndt, in: Der Pan-Germane. Deutsch-belgisches Wochenblatt. Brüssel, 2. Jg. (1860) Nr. 6 v. So. 5.2.1860, S. 41f. Unten in der Dokumentation Nr. 20. 11 August Henneberger, Ernst Moritz Arndt, in: Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 25 v. 21.6.1860, S. 445–455, Zitat S. 448. Vgl. die Dokumentation unter Nr. 36.

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schen Staates war in Arndts letzten Lebensjahren von wachsender Virulenz gewesen. Während des Jahres 1859 hatte sich angesichts europäischer Spannungen die Politisierung des öffentlichen Lebens spürbar verstärkt.12 Die Fortschritte der italienischen Einigungsbewegung riefen deutsche Sympathien und Hoffnungen hervor. Im imperialen Frankreich kamen dagegen bellizistische Stimmungen auf, die wiederum von deutscher Seite in Bezug auf die deutsch-französischen Grenzfragen sehr empfindlich zur Kenntnis genommen und diskutiert wurden.13 Im nationalbewegten Schiller-Gedenkjahr erschien Arndt als ehrwürdiger Mahner der deutschen Einheit. Hunderte Grußadressen hatten ihn zum 90. Geburtstag erreicht. Die letzten Lebenstage verbrachte er daraufhin mehr oder weniger an seinem Schreibpult, um täglich mindestens zwei bis fünf schöngeschriebene Dankbriefe an seine zahllosen Gratulanten zu verfassen. Sein Lebensende fühlte er anscheinend nicht allzu deutlich kommen. Aber ab Mitte Januar traten Schwäche- und Ermüdungszustände ein. Seit dem 16. Januar verließ Arndt das Haus nicht mehr. Ironisch-witzig dankte er aber noch am 7. Januar dem Berliner Frauenverein, dessen Brief niemand anderes als Theodor Mommsen verfasst hatte,14 für die in nahe Aussicht gestellte Übersendung einer Marmorbüste seines Freundes, des Reichsfreiherrn vom und zum Stein: „Dank! Dank! […] Jetzt möchte der Neunziger rüstig drauf los marschieren, sein Jahrhundert voll zu machen, um wenigstens dadurch einst als ein deutsches Weltwunder da zu stehen.“15 Tatsächlich hatte ihn das Erleben des 90. Geburtstages beflügelt. Der Bonner Universitätskollege Clemens Perthes berichtete einem Freund über seine Gratulationscour bei Arndt: „Bis gegen Abend war ein solches Gedränge von Deputationen […] daß ich vorzog zu warten; um 7 Uhr aber ging ich hin und traf Arndt allein mit seiner Frau. Ich hatte doch erwartet, ihn etwas müde und abgespannt zu finden, aber sobald ich den, nach Form und Inhalt sehr gelungenen Gruß des [Hamburger] hanseatischen Vereins ihm aufschlug, war es, wie wenn: Vatterle, Feuer! commandirt wäre. Mit einer Löwenstimme pries er die Hanseaten und das Jahr 1813 und freute sich der Ehrenmänner, die seiner gedacht. Er will selbst einige Worte des Dankes schreiben.“16 Arndt nahm seine Pflicht zu diesen Dankschreiben überaus ernst. Mehrfach äußerte er in ihnen, wohl doch noch ein paar Jahre länger leben zu können. In manchen trumpfte er damit auf, dass er ja als Neunzigjähriger „über Berg und Thal seine 4–5 Meilen bis heute noch ohne Brille und Krücke“ gehen könne.17 „Also ein fröhliches Jahr uns al-

12 vgl. Heinrich Schulthess (Hg.), Europäischer Geschichtskalender. Erster Jahrgang 1860, Nördlingen 1861, S. 168ff. zum österreichisch/italienisch-sardinischen Krieg (vgl. das Kriegsmanifest Napoleons III. v. 4.5.1859) mit dem Zürcher Friedensvertrag vom 11.11.1859 (Freigabe der Lombardei von Frankreich an Sardinien). 13 Vgl. Frankreichs „Princip der natürlichen Grenzen“, in: Schulthess (wie Anm. 9), S. 123. 14 Abdruck bei Heinrich Gerstenberg (Hg.), Ernst Moritz Arndt. Sein Vermächtnis an uns, Hamburg 1925, S. 310f. 15 Hier zitiert nach der Wiedergabe in der Stralsundischen Zeitung Nr. 10 v. 12.1.1860, S. 1. 16 Frankfurter Nachrichten. Extrabeilage zum Intelligenz-Blatt der freien Stadt Frankfurt, Nr. 6 v. Fr. 13.1.1860, S. 45 (Kunst-, Literatur- und Theater-Notizen). 17 So u. a. im Dankschreiben an den Gladbacher Turnverein, hier zitiert nach der Wiedergabe der der Stralsundischen Zeitung Nr. 22 v. 26.1.1860, S. 2.

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len“, hieß es sehr typisch im Brief an einen Thüringer Gewerbeverein noch am 16. Januar, „und im Sinnen, Streben und Arbeiten mit vollauf fliegender Hoffnung den Blick immer nach dem Kyffhäuser gerichtet, wo die alte deutsche Herrlichkeit und Barbarossa mit dem blitzenden Kaiserschwerdt wieder auferstehen sollen!“18 Selbst in seiner vielfach nachgedruckten Sterbemeldung wurde berichtet, dass drei Stunden vor dem Eintritt des Todes Arndt unter manchen schon unverständlichen Lautungen angeblich auch die Äußerung von sich gegeben habe: „daß in vierzehn Tagen wieder Alles mit ihm in Ordnung sein werde“.19 Besser wusste es Albrecht Wolters, der in seiner Arndt-Würdigung korrekt notierte: „Als einer der bewährtesten und treusten Freunde am Morgen des Todestages (29. Januar 1860) zu ihm eintrat und ihm dessen Name genannt wurde, sprach er: ‚o ich kenne ihn ja!’ Dann sagte er zu ihm ‚ich sterbe, in vierzehn Tagen ist Alles vorbei.‘ – Es war eher vorbei; es dauerte nur noch so viel Viertelstunden.“20 In die Öffentlichkeit drang von Arndts Todesahnung nichts. Kein Wunder also, dass nach der unerwartet eintreffenden Todesmeldung viele deutsche Blätter darüber spekulierten, dass wahrscheinlich die Geburtstagsereignisse und seine mühevollpflichtbewusste Tilgung der Dankesbriefschuld einen vorzeitigen Tod nach sich gezogen haben könnten. So vermuteten es auch Angehörige, die vielleicht auch die Urheber dieses verbreiteten Gerüchts waren.21 „Sicherlich hat die Aufregung und Anstrengung seit seinem neulichen Festtage die Abnahme seiner Kräfte beschleunigt“, meinte die Weimarer Zeitung ebenso wie die Vossische.22 Die Stralsundische Zeitung diagnostizierte zusammen mit der Redaktion der Preußischen noch gewisser: „Daß sein Tod durch die Ueberschwenglichkeiten der letzten Geburtstagsfeier beschleunigt worden [sind], wird schwer zu widerlegen sein.“23 Und der schon zitierte Fritz Bader setzte im Deutsch-Belgischen Wochenblatt „Der Pan-Germane“ die mehrfach nachgedruckte Pointe drauf: „Deutschland hat seinen edelsten Mann mit Liebe getödtet.“24 Eine Idee, die den Hobbyliteraten und Dramatiker Georg Hick in seinem pathetischen „Schmerzensruf bei der Todesnachricht unseres lieben Vaters Arndt“ für die Kölnische Zeitung zu dem Schüttelreim inspiriert hatte: 18 Hier zitiert nach der Wiedergabe in der Weimarer Zeitung Nr. 27. v. 1.2.1860, S. 106. Dem Weimarer Lesekränzchen hatte Arndt am 8.1.1860 geschrieben: „Der Neunziger würde jauchzen und segnen, wenn der zweite Barbarossa sein Felsengrab sprengen wollte.“ Ebd. Nr. 15 v. 18.1.1860, S. 58. 19 Vossische Zeitung Nr. 26 v. 31.1.1860, S. 8. 20 Dies notiert Wolters im überarbeiteten Separatdruck (wie Anm. 6), S. 43. 21 Vgl. den Brief von Leubold Arndt an seine Cousine Marie Holsten, geb. Arndt in Krönevitz v. 4.2.1860, abgedruckt bei Erich Gülzow, Vater Arndts letzte Tage. Zum 70. Todestage Ernst Moritz Arndts, in: Unser Pommerland 15 (1930), 43–45, hier 44f. 22 Ebd. 23 Hier zitiert nach der Stralsundischen Zeitung Nr. 27 v. 1.2.1860, S. 1. 24 Bader (wie Anm. 10), S. 41. Ähnlich geschwollen dann noch einmal der Anonymus, Ernst Moritz Arndt, in: Victoria. Illustrirte Muster- und Modezeitung Berlin (1860), Nr. 13 v. 1.4., S. 99–101, hier S. 100: „Die zahllosen Hände, die sich herbeidrängten, ihm ihre Kränze der Dankbarkeit auf die weißen Locken zu drücken, sind sein Tod gewesen. Arndt ist im eigentlichsten Sinne des Wortes an zu viel Liebe, zu viel Freude gestorben. Wer möchte sich ein edleres Verscheiden wünschen!“

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Nur eine Kraft gebrach dem starken Greise, Die, ach, so leicht dem edlen Mann gebricht: Die Überfülle zärtlicher Beweise, Nur die, nur die allein ertrug er nicht.25

3. Arndts Beerdigung Was auch immer den plötzlichen Tod Arndts verursacht haben mag, die Hochachtung vor seiner Lebensleistung regierte den Ton des medialen Echos. „Wir verlieren viel,“ bekannte die Preußische Zeitung in ihrer Sterbenachricht, „wenn wir auch bekennen müssen, daß sein rascher Tod für ihn ein größerer Segen war, als ein allmähliches Hinsiechen nach dem langen kräftigen Leben.“26 Arndt selbst hatte sich seine Vergänglichkeit nicht verhohlen. Im Gegensatz zu den vielen lebenslustigen Äußerungen in seinen Januar-Dankesbriefen beschloss er unmittelbar nach seinem 90. Geburtstag „in der Weihnachtswoche des Jahres des Heils 1859“ seine letzte Veröffentlichung auffallend abschiedlich. In der Vorrede zu seinen gesammelten Gedichten blickte er bewusst auf das Lebensende voraus. Nüchtern memorierte er den „ossianischen“ Vers: „Die Zeit meines Scheidens ist nah, nah ist der Sturm, der meine Blätter herabweht.“ Er kommentierte: ihm sei bewusst, dass mit diesem Gedichtband „der alte Sänger und Schreiber allen seinen Freunden gleichsam sein letztes Lebewohl“ sage.27 Als der stattliche 680-Seiten Band dann Mitte Februar 1860 die Buchhandlungen erreichte, war Arndt bereits tot, seine Prognose wahr geworden. Offensichtlich bewegte die Todesnachricht Redaktionen im ganzen Land. Eine Flut von Nachrufen war dessen deutliches Symptom. Arndts Tod rührte die deutsche Nation. In vielen Blättern wurde ausnehmend ausführlich über seine Beerdigung berichtet. Der vielhundertköpfige Kondolenzzug, der sich zwei volle Stunden durch Bonn vom Sterbehaus bis zum Friedhof hin bewegte, wurde in seiner Zusammensetzung und planvollen Choreographie von zahlreichen Journalen eingehend beschrieben. So erfuhren die Leser der Stralsundischen Zeitung am Tag darauf über den Trauermarsch: „Heute Nachmittag um 3½ Uhr bewegte sich ein unabsehbarer feierlicher Trauerzug durch die Straßen [...], um die irdischen Theile unseres theuren allverehrten Vater Arndt dahin zu geleiten, wo sie [...] nahe den Gräbern seines Freundes Niebuhr und vieler ihm vorangegangenen [...] Männer, ruhen sollen. Zahlreiche Deputationen von Behörden und Vereinen waren herbei geeilt [...] Dem Leichenwagen folgten die nächsten Leidtragenden mit dem Geistlichen, der aus Koblenz herübergekommene Oberpräsident der Provinz, v. Pommer-Esche, der akademische Senat und hierauf die [...] Behörden, Geistlichen und Lehrer. Unter den [...] Vereinen bildeten einen schönen Gegensatz die greisen Häupter des Bonner Veteranen-Vereins [deren Präsident Arndt 25 Georg Hick, Ein Schmerzensruf bei der Todes-Nachricht unseres lieben Vaters Arndt, in: Kölnische Zeitung (1860) Nr. 31 v. 31.1.1860, S.4. 26 Hier zitiert nach dem Nachdruck in der Stralsundischen Zeitung Nr. 27 v. 1.2.1860, S. 1. 27 Ernst Moritz Arndt, Gedichte. Vollständige Sammlung, mit der Handschrift des Dichters aus seinem neunzigsten Jahr, Berlin 1860, Vorrede.

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bis zuletzt war] und die jugendlichen Gestalten der herbeigeeilten Vertreter verschiedener rheinischer Turnvereine. [...]. Die Studierenden der Universität folgten ebenfalls mit ihren Fahnen, [...] diesmal – wie seit Jahren nie – aller trennenden Parteiungen vergessend.“28 Außerdem schlossen sich „Ehren-Deputationen verschiedener fremder Universitäten – man nannte uns besonders die Göttinger und Heidelberger“, darunter aber auch Studenten aus Marburg, Berlin und anderer Orte.29 „Ganz Bonn schien gegenwärtig, und auch aus benachbarten Städten, z. B. Köln, waren viele einzelne Verehrer des ‚Deutschesten der Deutschen’ herbeigeeilt. Am Grabe unter der Eiche [neben der Ruhestätte seines Sohnes] angekommen, hielt der Pfarrer Wiesmann eine einfache, herrliche und zu Herzen gehende Rede, wie sie der Stimmung der zahlreichen Anwesenden am besten entsprach.“ Ein Chor „unter Leitung des Universitäts-Musik-Directors“ ließ Pfarrer Wiesmann auf der Melodie „Jesus meine Zuversicht“ Arndts selbstgedichtetes Grablied singen, das im Faksimile der Handschrift auch den gesammelten Gedichten beigebunden ist.30 Dessen erste und vierte Strophe lauten: Geht nun hin und grabt mein Grab, Meinen Lauf hab’ ich vollendet! Lege nun den Wanderstab Hin, wo alles Ird’sche endet, Lege selbst mich nun hinein, In das Bette sonder Pein. […] Weinet nicht! Mein süßes Heil, Meinen Heiland hab’ ich funden, Und ich habe auch mein Theil In den warmen Herzenswunden, Woraus einst sein frommes Blut Floß der ganzen Welt zu gut. […] Der Beerdigungsbericht endete: „Noch lange, als die letzten Schüsse der kriegerischen Ehrensalven des Veteranen-Corps schon verhallt waren, drängten sich Greise, Männer und Jünglinge herzu – um jeder eine Handvoll Erde hinabzuwerfen. Mögen die Gebeine sanft ausruhen, – der Geist wirkt in unzählbaren Herzen fort!“31

4. Arndts Nachrufe Den Reigen der nun einsetzenden Nachrufe eröffnete Pfarrer Johann Heinrich Wiesmann32 mit seiner alsbald gedruckten Beerdigungsansprache vom 1. Februar. Wies28 29 30 31 32

Stralsundische Zeitung Nr. 31 v. 5.2.1860, S.1. In der Dokumentation unter Nr. 21. Vgl. Bonn, 1. Febr., in: Bonner Zeitung Nr. 2.2.1860, Beilage S. 1. Vgl. Arndt (wie Anm. 27). Stralsundische Zeitung Nr. 31 v. 5.2.1860, S.1. Johann Heinrich Wiesmann (1799–1862), seit 1851 Präses der rheinischen Provinzialsynode und ein Gesprächspartner Arndts, wurde kurz darauf Generalsuperintendent der Rheinprovinz.

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manns Nekrolog gehört zum glorifizierenden, nationalreligiösen Typ. In ihm heißt es u. a.: „Unser Arndt war ein deutscher Mann im vollen Sinne des Worts. Schlicht und einfach in seiner Erscheinung, ohne allen Prunk und leeren Schein, treu und wahr in seiner Rede, der Schmeichelei und allem heuchlerischen Wesen feind, unbeugsam in dem, was er für Recht erkannte, tapfer und fröhlich, liebreich gegen Jedermann und die Manneswürde bewahrend, der Schlechtigkeit unzugänglich, sittlich streng und keusch und von Herzen fromm. Die Gottesfurcht war der innerste Kern seines Wesens, die Demuth sein schönster Schmuck, das Gebet das tiefste Bedürfniß seiner Seele.“33 Wiesmann projizierte damit auf Arndt den ziemlich vollständigen Tugenkatalog des 19. Jahrhunderts. Das Leben Arndts kommt in dieser Grabrede nur in stilisierter Form zur Sprache, biographische Details spielen eine ganz untergeordnete Rolle. Gerade mal angedeutet wurde: „Wie in den blühenden Tagen seiner Jugend sein Volk seiner Posaune horchte, so haben sich in seinen spätesten Jahren die deutschen Volksstämme wieder um seinen Namen geschaart, und ihn zum lebendigen Zeichen jener Hoffnungen gemacht, welche die edelsten Herzen bewegen.“34 Wiesmanns geistliche Pointe war die Auswahl des Bibelverses: 1 Chronik 18,8 [richtig: 17,8]: [So spricht Gott:] „Ich bin mit dir gewesen, wo du hingegangen bist, und habe deine Feinde ausgerottet vor dir, und habe dir einen Namen gemacht, wie die Großen auf Erden Namen haben.“35 Der Pfarrer setzte hinzu: „Hieß er Jahrzehnte hindurch immer schon der alte Arndt, so hat ihm Gott durch Deutschlands Mund im letzten Jahrzehnt den schönen Namen Vater Arndt gegeben, und dieser Name wird ihm bleiben.“36 Damit war vom Begräbnisprediger ein Stichwort ausgegeben, das in vielen der im In- und Ausland gedruckten Arndt-Nachrufe erneut auftaucht. Der literarisch kundige Max Ring37 etwa wählte für seinen Artikel in der auflagenstarken „Gartenlaube“ den „Vater Arndt“ schon als Titelzeile. Er feierte den Publizisten als redlichen und charakterfesten Nationalschriftsteller, der sich der politischen Stellungnahme niemals zu fein gewesen sei. „Wahrheit und Freiheit“, zitierte Ring aus Arndts Geist der Zeit I (1806), „sind das reine Element des Lebens des göttlichen Menschen, durch sie ist er, ohne sie nichts.“38

33 [Johann Heinrich] Wiesmann, Am Grabe Ernst Moritz Arndts. (Am 1. Februar 1860). Rede. Auf vielseitiges Verlangen gedruckt, Bonn 1860, 15 S, hier S. 7f. Erneut in zweiter Auflage 1860. Vgl. im Anhang die Textedition unter Nr. 13. 34 Ebd. S. 9. 35 Ebd. S. 10. 36 Ebd. S. 11. 37 Max Ring (1817–1901) war Mediziner, Journalist und Schriftsteller. Er lebte in Berlin und gehört zu den regelmäßige Mitarbeitern der auflagenstarken „Gartenlaube“. Vgl. ders., Aus dem Tagebuche eines Berliner Arztes, Berlin 1856. 38 Max Ring, Vater Arndt, in: Die Gartenlaube. Illustrirtes Familienblatt (1860), S. 187–190 und S. 206–207 mit Stahlstich nach einem Arndt-Foto von 1859; das Zitat S. 188. Rings Nachruf erschien erneut in: Conversationsblatt Regensburg (=Beilage zum Regensburger Tageblatt) Nr. 39–46 v. 30.3.1860 bis zum 15.4.1860. Vgl. die Dokumentation unter Nr. 31.

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Einen ähnlich biographisch-werkkundigen Nekrolog schrieb Hermann Grieben, der aus Köslin in Pommern stammende Schriftsteller-Kollege und Journalist der Kölnischen Zeitung. Grieben39 kannte seinen Arndt umfassend.40 Er ging auch als einer der wenigen auf die meist schon vergessenen „Fragmente über Menschenbildung“ ein. Als (vermeintliches) „Motto“ zitierte er aus Arndts Bildungslehre die unvergesslichen Sätze: „Es ist schön sein Vaterland lieben und Alles für dasselbe thun, aber schöner doch, unendlich schöner, ein Mensch sein und alles Menschliche höher achten, als das Vaterländische.“41 Griebens Nachruf kam offensichtlich an. Er wurde nicht nur in der Stettiner und in der Nationalzeitung wiederholt, sondern gelangte als gekürzte Übersetzung auch in die in Stockholm erscheinene Post och Inrikes Tidningar.42 Zum Typ der literturkundlichen Nachrufe gehören auch die Nachrufe von August Henneberger und Ludwig Köppe.43 Köppe profitierte in seiner ausführlichen und sehr gediegenen Arndt-Studie44 stark von Hermann Griebens Nekrolog. Vielleicht verfasste Köppe den schon am 2. Februar anonym erschienenen Nachruf der Kölnischen Zeitung. Er enthält zahlreiche wortgleiche Formulierungen seiner Arndt-Studie.45 Köppe und Grieben waren aus unmittelbarer Vertrautheit in der Lage, Züge Arndts zu zeichnen, die später kaum noch tradiert wurden. So hielt Köppe in vorsichtiger Kritik fest: „Daß er für Philosophie nicht gemacht war, bewies er, indem er selbst in Jena davon nicht angesteckt ward. Auch auf eigentliche Gelehrsamkeit war er nicht gestellt, ob39 Hermann Grieben (1822–1890) hatte in den 1840er Jahren in Breslau studiert und sich anschließend der Danteforschung gewidmet. Ab 1850 war er Redaktionsleiter der „OstseeZeitung“ in Stettin, wechselte 1852 zur „Lübeckische Zeitung“ und gründete 1853 wieder in Stettin die „Pommersche Zeitung“. Zur angesehenen „Kölnischen Zeitung“ kam er 1859. In diesem Blatt, das er drei Jahrzehnte betreute, ist seine weitflächige politische Publizistik versammelt. Grieben war nebenbei auch Schriftsteller und Lyriker. Vgl. www.kreis-ahrweiler.de/ kvar/VT/hjb1989/hjb1989.22.htm 40 Grieben verfasste 1870 auch ein Lebensbild von Arndts Witwe, in dem zugleich die Probleme von Arndts Kindern geschildert werden. Vgl. Hermann Grieben, Vater Arndt’s Witwe. Persönliche Erinnerungen, in: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft 8 (1871), S. 238–251. 41 H[ermann] Gr[ieben], Ernst Moritz Arndt, in: Kölnische Zeitung Nr. 35 v. 4.2.1860, Beilage, S. 1, Nr. 36 v. 5.2.1860, S. 2f.; erneut, aber ohne Verfasserkürzel und leicht gekürzt, in: National-Zeitung. Morgenausgabe Nr. 85 v. So. 19.2.1860, S. 1–3 sowie in: Privilegirte Stettiner Zeitung. Morgen-Ausgabe Nr. 89 v. Mi. 22.2.1860, S. 1 u. Nr. 91 v. Do. 23.2., S.1 u. Nr. 93 v. Fr. 24.2., S. 1 u. Nr. 95 v. Sa. 25.2., S. 1. In der Dokumentation unter Nr. 16. 42 Ernst Moritz Arndt, in: Post och Inrikes Tidningar. Stockholm, Nr. 63 v. 15.3.1860, S. 3. Vgl. die Übersetzung in der Dokumentation unter Nr. 29. 43 Über Köppe waren mir keine Daten erreichbar. 44 L[udwig] Köppe, Das Leben und Wirken Ernst Moritz Arndt’s, in: Die Wissenschaften im neunzehnten Jahrhundert, ihr Standpunkt und die Resultate ihrer Forschungen. Eine Rundschau zur Belehrung für das gebildete Publikum, Bd 5, Sondershausen 1860, 313–335. Erweiterter Neudruck 1864/65 unter dem Titel: E.M. Arndt. Eine Biographie (Deutschlands moderne Klassiker, hg. v. Karl Wachler, Lfg. 2), Leipzig 1865 (im deutschen Bibliothekswesen derzeit nicht erreichbar). Vgl. die Dokumentation unter Nr. 34. 45 [Anonymus], Nachruf an Ernst Moritz Arndt, Köln 2. Februar, in: Kölnische Zeitung, Nr. 34 v. 3.2.1860, S. 1. In der Dokumentation unter Nr. 14.

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gleich, beiläufig bemerkt, bei seinem königlichen Gedächtnisse ein Schatz des Wissens in ihm aufgehäuft war, daß wohl sehr Wenige sich mit ihm vergleichen konnten.“46 Gegenüber bramarbasierenden Tönen betonte dieser Verfasser auch: „Doch wollen wir bemerken, daß Arndt, im Grunde seines Wesens ein mäßiger und billiger Mann, sich nicht zu einer blinden Wuth hinreißen ließ, wie manche Andere, z. B. Jahn, der vorschlug, die Franzosen künftig nur an wenigen Orten über die deutschen Gränzen zu lassen, und jeden Franzosen dann einen Zoll gleich einem Ochsen zahlen zu lassen!“47 Der Germanist Henneberger widmete sich in den „Blättern für literarische Unterhaltung“ im munteren Plauderton Arndts Lyrik.48 Seine Musterung führt dem Leser in breiter Auswahl markante Stücke aus dem Dichtwerk Arndts vor Augen. Partiell spricht er ihn als einen Romantiker an. Besonderes Augenmerk richtete er auf die geistlichen Lieder – hier scheint Henneberger auf die Nekrolog-Diskussion von theologisch-konfessioneller Seite ein zustimmendes Echo zu geben. Der Poetologe Henneberger schätzte die Subjektivität von Arndts Dichtungen und plädierte gerade deswegen für seine Aufnahme unter die evangelischen Gesangbuchautoren. „Dichter und Mensch sind bei ihm nicht zwei getrennte Persönlichkeiten, sondern ein untrennbares in sich geschlossenes Ganzes; er dichtet, was und wie er lebt und er lebt seine Dichtung.“49 Der auf Jahrzehnte hin schönste und einflussreichste Nekrolog gehört ebenfalls dem biographisch-literaturkundlichen Typ an. Kein Geringerer als Rudolf Haym50 verfasste ihn für die Preußischen Jahrbücher.51 Angelegt war seine Studie zunächst als Rezension über die gesammelten Gedichte. Arndts Tod änderte das Konzept und Haym schrieb ein Lebensbild Arndts. Georg Ernst Reimer, Arndts Patensohn, verlegte die anspruchsvolle Kurzbiographie auch separat.52 Eine leichte Tendenz zur ideologisch aufgeladenen Monumentalisierung geriet Haym am Schluss seines intellektuellen „Schattenrisses“ in die Feder: „Keinen Schriftsteller und keinen Gelehrten, keinen Dichter und keinen Staatsmann, sondern einen rein und voll entwickelten Menschen hatten wir zu schildern. […] Er ist die Verköperung ‚deutscher Treue’, ja er ist die le46 Anonymus (=Köppe?) (wie Anm. 45). Dort auch das folgende Zitat. Vgl. Köppe (wie Anm. 44), S. 316. 47 Einen durchweg maßvollen Publizisten Arndt zeichnete auch der unbekannte Verfasser der Illustrirten Zeitung Leipzig, Nr. 866 v. 4.2.1860, S.103. Vgl. die Dokumentation unter Nr. 15. 48 August Henneberger, Ernst Moritz Arndt, in: Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 25 v. 21.6.1860, S. 445–455. In der Dokumentation unter Nr. 36. 49 Ebd., S. 455. 50 Rudolf Haym (1821–1901) war Philosoph, Literaturwissenschaftler und politischer Publizist. Ab 1868 wirkte er als Professor in Halle. Der Dilthey-Vertraute gehörte zu den vielseitigsten Geisteswissenschaftlern seiner Generation. Er regte in starkem Maße die Klassik- und Romantik-Forschung an. Arndt lernte er als Mitabgeordneten in der Frankfurter Nationalversammlung kennen. Zu Rudolf Haym vgl. noch immer Hans Rosenberg, Rudolf Haym und die Anfänge des klassischen Liberalismus, München 1933. 51 Rudolf Haym, Ernst Moritz Arndt, in: Preußische Jahrbücher 5. Jg. (1860), S. 470–512, erneut in: ders., Gesammelte Aufsätze, Berlin 1903, S. 120–164. 52 Rudolf Haym, Ernst Moritz Arndt, Berlin: Reimer 1860, 45 S. Vgl. die Textedition des Anhangs unter Nr. 35.

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bendige Summe aller der Eigenschaften gewesen, die er selbst den ‚reinen germanischen Geistern’ zuschreibt – jener fröhlichen Gutmüthigkeit und Frömmigkeit, jener kindlichen Unbefangenheit und Natürlichkeit, jenes feurigen Stolzes auf Wahrheit und Freiheit, jener feinherzigen und freimüthigen Geradheit und Derbheit – all’ jenes Unbeschreiblichen, was ein Volk, was das deutsche Volk bezeichnet.“53 Haym wäre indessen nicht Haym gewesen, wenn er nicht auch ein politisches Schlusswort ausgesprochen hätte: „In einem verhängnisvollen Momente ist er [=Arndt] von uns gegangen. Er hat uns die Weissagung hinterlassen, daß dieses Land und dieses Volk nicht zerrissen bleiben und daß kein fremder Tyrann uns dauernd bejochen werde.“ Das Denkmal, das Arndt am meisten entsprechen werde, werde – so Haym – die noch zu schaffende deutsche Einheit im deutschen Nationalstaat sein.54 Dieser Gedanke war schon in anderen Nachrufen geäußert worden, zuerst in der Trauerannonce des Bonner Universitätssenats. Arndts Kollegen proklamierten zum Schluss: „Möge über seinem Grabe der Bau deutscher Einheit und Ewigkeit, woran er in schlimmen wie in guten Zeiten gleich zuversichtlich gearbeitet hat, sich erheben.“55 Damit bin ich beim politischen Typ des Nekrologs angelangt. Bereits Hermann Grieben hatte in seinem Nachruf auf Georg Herweghs Arndt-Sicht hingewiesen. Sein Hinweis auf diesen demokratischen Emigranten tauchte indessen in keinem der Nachdrucke des Grieben’schen Nachrufs mehr auf.56 Nur der anonym bleibende NekrologSchreiber der Vossischen Zeitung scheute sich nicht, auch Ferdinand Freiligraths Bonmot auf Arndts Rehabilitation 1840 zu zitieren: „Ihr habt uns einen starken Mann genommen und gebt uns einen Greis zurück!“57 Dieser Nekrolog in der „Vossischen“ bildet den politischen Nachruf par excellence ab; durchgehend liegt die Konzentration auf die politischen Horizonte von Arndts Publizistik. Hier findet auch die breiteteste Schilderung der Auseinandersetzungen um Arndts Leibeigenschaftsschrift statt. Dies wird mit dem Kommentar verbunden: „Und heute? Geschieht nicht Aehnliches in Mecklenburg und Hannover? Erleben wir nicht den gleichen Kampf gegen die Regierung und gegen das constituionelle Leben, gegen das Recht und den Rechtsstaat im preußischen Herrenhause?“58 Hier wurde Arndt als „Mann der That“ aufgefasst und seiner Suspension eine politische Bedeutung zugeschrieben: „Arndt war prädestinirt, als Märtyrer zu wirken, so oft er nicht durch Handlungen seinem Volke als Beispiel vorleuchten konnte.“ Als einziger Nekrolog-Verfasser ging dieser Anonymus ausführlicher auf Arndts Verurteilung in Zweibrücken ein. Die pfalzbayrische Anklagekammer hatte den 53 Hier zitiert nach Haym, Aufsätze (wie Anm. 40), S. 163f. 54 Ebd. 55 Bonn, 31. Januar [=Traueranzeige des Bonner Senats vom 30.1.1860], in: Preußische Zeitung. Abendausgabe Nr. 52 v. 31.1.1860, S. 1; erneut in: Privilegirte Stettiner Zeitung. Abend-Ausgabe Nr. 54 v. Mi. 1.2.1860, S. 1; erneut: Stralsundische Zeitung Nr. 29 v. Fr. 3.2.1860, S. 1. Vgl. die Dokumentation unter Nr. 2. 56 Vgl. Anmerkung 41. 57 ***: Ernst Moritz Arndt, in: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung [=Vossische Zeitung], Nr. 43 v. 19.2.1860, 1. Sonntagsbeilage, S. 2–4, hier S. 4. Vgl. die Dokumentation unter Nr. 27. 58 Ebd. S. 3.

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fast 89jährigen tatsächlich zum 6. Dezember 1858 vor Gericht geladen. Der dortige General-Staats-Procurator erließ daraufhin sogar einen Haftbefehl gegen den „Schriftsteller Arndt“, der freilich gegenüber dem preußischen Staatsbürger und Mann des öffentlichen Lebens nicht umzusetzen war. Arndt war in contumaciam zu zwei Monaten Haft und 15 Gulden Bußgeld sowie sämtlichen Gerichtskosten verurteilt. Grundlage für das Gerichtsverfahren war eine vermeintlich ehrenrührige Äußerung Steins über Feldmarschall Fürst von Wrede und dessen bayrische Armee, die Arndt in seinen „Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreihern vom Stein“ überlieferte.59 Das Gerichtsurteil wurde von der deutschen Öffentlichkeit als juristisches Possenspiel aufgenommen. Für den Nekrologschreiber war es der letzte Akt in Arndts politischer Vita gewesen, die sich im periodischen Wechsel zwischen aufgesetzter „Bürger- und Märtyrerkrone“ bewegt habe. Ebenfalls dem politischen Typ angehörend und überraschend nationalbewegt fiel der Tenor der Wiener Presse aus. Offensichtlich versuchte man dort angesichts der französischen Italienpolitik politische Schützenhilfe gegen Napoleon III. aufzubauen. Unter Anspielung der aktuellen europapolitischen Spannungen verlautete die „Österreichische Zeitung“ über Arndt auffallend bellizistisch: „Er war der erste, der den Rhein als Deutschlands Fluß proclamirte, und seinen letzten Athemzug hauchte er in dem Land aus, das stets Object romanischer Gelüste gewesen, und stets von deutschem Herzblut wiedererkämpft wurde [...]. In jener dem Feind abgerungenen Gegend werden die Gebeine des Mannes ruhen [...]. Nie soll der Feind dieses Palladium erbeuten. Das muß der Deutschen Sorge, muß Deutschlands Streben seyn. Ein Zeichen hat der Himmel ihnen gesandt, und sie sollen ihm folgen. Arndts Grab muß auf deutschem Boden bleiben. Sollte die Stunde je kommen, und sie ist vielleicht nicht fern, der Welt zu bezeugen, daß der Rhein nicht Deutschlands Gränze sey, so möge aus dem Grab in Bonn der Geist Arndts entsteigen, und die deutschen Jünglinge wieder führen zu Schlacht und Sieg. Das ganze Deutschland muß die Losung seyn.“60 Dass Arndt als ideologisches Symbol des erhofften deutschen Nationalstaats galt, zeigt sich selbst an den konfessionellen Nachrufen. Der Inspektor des Könglichen Dom-Kandidaten-Stifts Berlin und Herausgeber der „Neuen Evangelischen Kirchenzeitung“, Hermann Meßner, untersuchte Arndts Leben und Werk nach seinem Maßstab lutherischer Rechtgläubigkeit.61 An seiner apologetischen Perspektive ließen seine ersten Sätze keinen Zweifel: „Eine deutsche Kirchenzeitung darf über einen Mann wie Arndt bei seinem Heimgang so wenig schweigen, als eine deutsche Kirchengeschichte über die Zeit der Freiheitskriege hingehen dürfte, ohne ihre erneuernde Bedeutung für 59 Vgl. hierzu Ernst Langenberg, Ernst Moritz Arndt. Sein Leben und seine Schriften, Bonn 1865, S. 265f. Langenbergs Werkbiographie gehört zu den soliden Übersichten, die heute zu Unrecht vergessen ist. 60 Hier zitiert nach Augsburger Allgemeine Zeitung Nr. 35 v. Fr.4.2.1860, S.560. Vgl. die Texedition des Anhangs unter Nr. 17. 61 Hermann Meßner (1824–1886) evangelischer Theologe und ab 1860 a.o. Prof. in Berlin; seit 1858 Herausgeber der Neuen Evangelischen Kirchenzeitung. Vgl. Hermann Mulert, Art. Hermann Meßner, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 1. Aufl. Bd. 4, Tübingen 1913, Sp. 328.

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die deutsche Kirche zu würdigen. Zumal den Bewunderern des alten Arndt gegenüber, die keine Ahnung haben von dem heiligen Grund seines Lebens, ist es die Aufgabe kirchlicher Zeitschriften, nachzuweisen, mit wie lebendigem Glauben der Heimgegangene in unserer evangelischen Kirche gestanden.“62 Im einzelnen bewies Meßner seine weiträumige Vertrautheit mit dem lyrischen Werk des Dichters. Eine typisch protestantische Note seines Nachrufes ist die freigiebige Einbeziehung von Luther-Vergleichen. Arndt und Luther aufeinander zu beziehen wurde seitdem vielfach wiederholt. Dieser Luthervergleich setzt sich durch zahlreiche Arndt-Bilder bis in die Gegenwart fort. Ebenso konfessionell-lutherisch, aber im Ton überraschend milde fiel die theologische Musterung von Arndts geistlicher Lyrik durch Ernst Wilhelm Hengstenberg aus.63 Das ist umso erstaunlicher, weil Arndt mit den hochkonservativen Konfessionalisten der Erweckungsbewegung wenig verband. Arndt stand als Freund Christian Carl Josias von Bunsens dem liberaltheologischen Protestantismus nahe. Hengstenberg als Herausgeber der „Evangelischen Kirchenzeitung“ urteilte: „Wir wollen dieses Vermächtniß darauf ansehen, was die Evangelische Kirche sich davon anzueignen hat“.64 Hengstenberg gab ein überraschend positives Gesamturteil über Arndts vielseitige geistliche Dichtung ab und warb für dessen Kenntnisnahme. Hengstenberg hatte nicht übersehen, dass Arndt in seiner Schrift zur Reform des Gesangbuches von 1819 auf die Qualität der altprotestantischen Orthodoxie hingewiesen hatte und als erster die Rückkehr zu den Originaltexten forderte. Den gottesdienstlichen Gebrauch von Arndts eigener Lyrik wollte Hengstenberg freilich ausdrücklich ausgeschlossen wissen: sie habe als individuelles Glaubenszeugnis viel für sich, „wenn auch nicht zum eigentlich gottesdienstlichen Gebrauch“.65 Das aber sah der eher vermittlungstheologische Bonner Arndtfreund Alfred Wolters prinzipiell anders: „Die Würtemberger singen schon aus ihrem Gesangbuch tapfer die Arndtschen Lieder Der heilge Christ ist kommen, Ich weiß an wen [sic!] ich glaube und Geht nun hin und grabt mein Grab, die Bayern haben auch das, was er überschrieben Hoffnung im Herrn aufgenommen: Wenn aus dem Dunkel ich mich sehne. Möge es so weiter gehen. Nach hundert Jahren dann, wenn die deutschen Stämme ringsum sie singen werden, in Baierland und Steierland, und wo der Sand der Dünen weht und wo die Donau brausend geht, werden wir Rheinländer sie auch noch, als durch Verfasser, Historie und Alter ehrwürdig, in unser Kirchenbuch aufnehmen.“66 Den hymnologischen Wert unterstrich dann auch Henneberger in seinem ArndtNachruf. Tatsächlich dauerte es nur noch wenige Jahre, bis Arndt auch in die rheinländischen Gesangbücher Eingang gefunden hatte. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhun62 [Hermann Meßner], Ernst Moritz Arndt, in: Neue Evangelische Kirchenzeitung, 2. Jg. (1860), Nr. 11 v. 17.3., Sp. 161–170. Meßners Autorschaft ist wahrscheinlich, aber nicht abschließend zu verifizieren. Vgl. die Dokumentation unter Nr. 30. 63 Ernst Wilhelm Hengstenberg (1802–1869), führender Vertreter der Berliner Erweckungsbewegung, seit 1828 o. Prof. für Altes Testament in Berlin und eine kirchenpolitisch zentrale Gestalt zwischen 1840 und 1869 im protestantisch-konservativen Lager. 64 [Ernst Wilhelm Hengstenberg], Ernst Moritz Arndt, in: Evangelische Kirchenzeitung 66. Bd. (1860), 385–392, 405–406, Zitat 385. Vgl. die Dokumentation unter Nr. 33. 65 Ebd. S. 405. 66 Wolters (wie Anm. 6), S. 33f.

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derts waren regional bis zu 10 Kirchenlieder Arndts in Gebrauch, so z. B. in Gesangbüchern für Sachsen und für Schlesien. Das Gesangbuch für Pommern und Brandenburg von 1931 enthält acht seiner Hymnen. Aktuell stehen im Evangelischen Gesangbuch, das seit 1992 für den gesamten deutschen Sprachraum genutzt wird, noch zwei seiner geistlichen Gesänge: Arndts sehr bekanntes Glaubenslied Ich weiß, woran ich glaube und sein Abendmahlslied Kommt her, ihr seid geladen. Die monumentalistischen Nekrologe zeichnen durchweg ein distanzloses und stark phraseologisch geprägtes Arndt-Bild. Dazu passt die schwülstige Bildformel der Leipziger Illustrirten Zeitung unter dem Titel „Die trauernde Germania am Sarkophage E.M. Arndts“. Extrem ideologisch fiel der Nachruf Hugo Oelbermanns aus.67 Dieser Autor scheint schon Entwicklungen der völkischen Bewegung vorwegzunehmen. In seinem Nekrolog, den Oelbermann ursprünglich als Vortrag vor dem „Bonner germanischen Verein“ hielt, wird Arndt in eine „zeitliche“ und in eine „ewige“ Person verwandelt. Die ungebremste Freihändigkeit dieses Referats markiert den Tiefpunkt unter den Arndt-Nachrufen. Oelbermann kommt ohne jedes echte Zitat aus Arndts Werk aus. Er bedient sich einer teils bombastischen, teils nationalreligiösen Rhetorik, die auf den puren Effekt aus ist. Wie weit die Textkenntnis dieses Nekrologen einer Prüfung stand gehalten hätte, ist mehr als fraglich. Unter Arndts Nachrufen stellen die ad hoc entstandenen Trauergedichte (Epicedia) eine eigene Gattung dar, die mehrheitlich ziemlich gedankenarm ausfielen.68 So verfasste auch der damals 20jährige Robert Rösler unter seinem Pseudonym „Julius Mühlfeld“ einen pathetischen Nachruf in der Stralsundischen Zeitung. Sein Sterbegedicht stellt ein typisches Produkt dieser Gattung vor: ein schlichtes Reimfabrikat ohne tiefe Gedankenführung und sprachästhetische Kraft. Rösler beteuerte neben allerlei Franzosenfeindlichkeit hauptsächlich, dass „der Hüter des Rheins“ „viel zu früh“ gestorben sei.69 Kaum anspruchsvoller sind die Trauergedichte von Georg Hick, Wilhelm Fischer und Friedrich Gau, während das Epicedion von Wolfgang Müller aus Königswinter sich rhetorisch ausgeklügelt entfaltet.70 Am interessantesten erscheint mir das plattdeutsche Trauergedicht des Dichter-Arztes Georg Julius Berling „Irnst Moritz Arndt’s Dod“.71 Berlings Dichtung lebt vom Charme des plattdeutschen Idioms, leidet aller-

67 Hugo Oelbermann (1832–1888) bildete zusammen mit den nur regional bekannten Lyrikern Karl Siegel und Emil Ritterhaus in Barmen den „Wupperbund“. Über seine spätere Lebenszeit ist wenig bekannt. 68 Vgl. die Beispiele in der Dokumentation unter Nr. 37–43. 69 Julius Mühlfeld, Ernst Moritz Arndt, in: Stralsundische Zeitung, 1860, Nr. 33 v. 8.2.1860, S.1. Vgl. die Dokumentation unter Nr. 41. Der umtriebige Robert Rösler (1840–1881) wurde damals als Redakteur, Journalist und Modeliterat bekannt. 70 Wolfgang Müller, Ernst Mortz Arndt, in: Kölnische Zeitung, Nr. 82 v. 22.3.1860, S. 1. Vgl. die Textedition im Anhang unter Nr. 43. 71 Georg Julius Berling (1817–1873), der zeit seines Lebens als Arzt in Anklam praktizierte, ist heute nahezu vergessen. Berling stammte aus Altenkirchen auf Rügen und gehörte wie Fritz Reuter in die Reihe derjenigen, die das Plattdeutsche wieder literaturfähig zu machen suchten. Vgl. Georg Julius Berling, Lustig un Trurig as’t jerer hewn will. Eine Sammlung plattdeutscher Gedichte in Vorpommerscher Mundart, 2 Hefte, Anklam 1860/1861.

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dings an strophisch zunehmender Verflachung des Gedankens. Der emotional sensible Anfang sei hier zitiert:72 Wat schalln so de Klocken mit trurigen Klang? Wat wankt dorch de Straaten schwart bi Gravgesang? Wen draag’n se heruut nah den Karkhof an’n Rhein? Wer liggt doa in dat Sark, so eng un so kleen? Uns’ Muritz Arndt is’t, de oll Pommer is dod! Leiw Rugia weent sich de Oogen hüt rod, Ganz Dütschland klagt um den ollen von’n Herthastrand Von’n Rhein bet wied an de Welschen ehr Land! [...] Gegenüber den in der Regel betont pietätvollen Nachrufen, gibt es interessanterweise auch einige wenige, die deutliche Reserviertheit aufweisen. Eine distanzierte Position nahm die hochkonservative Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung ein, die sich in ihrem – recht schlampig recherchierten – Nachruf über die politischen Bezüge Arndts nach 1815 auffallend bedeckt hielt. Die Tendenz des Kreuzzeitungs-Artikels deutet sich bereits im biographischen Eröffnungssatz an: „Seine Jugendgeschichte ist eine Dorfgeschichte derben Schlages; in den Jahren, wo andere Kinder schon in die Schule gehen, hat er noch Kühe und Pferde gehütet.“73 Technisch bequemer hatte es sich der Redakteur der „Blätter für Geist, Gemüth und Publicität“ gemacht, der einen bereits publizierten Lexikon-Artikel von 1859 einfach nachdruckte. Er übernahm auch die kritische Schlussbemerkung dieses Textes unverändert: „Pro populo germanico nannte er seine letzte Schrift und pro populo Germanico forderte er noch kürzlich die Aufhebung der Spielhöllen. Was er schließlich über Mecklenburg schrieb, verräth wohl allzu sehr seine veraltete Kenntniß der Zustände.“74 Eine der interessantesten und ausgewogensten Nachrufe druckte die Preußische Zeitung wenige Tage nach der Sterbemeldung ab. Dieser Nekrolog wurde postwendend von vielen anderen Blättern übernommen oder in Teilen ausgebeutet und fortgeschrieben. Ich rechne ihn zum reflektierenden Typus.75 Mit seinen ausgefeilten Fragen traf er offenbar den Nerv der Zeit. Jedenfalls legt seine vielfache Wiederholung diese Vermutung nahe.76 Im zentral stehenden Passus reflektierte der leider anonym gebliebene Au72 Goerg Julius Berling, Irnst Muritz Anrdt’s Dod!, in: Stralsundische Zeitung, Nr. 36 v. 11.2.1860, S. 3. Vgl. die Dokumentation unter Nr. 42. 73 ***, Ernst Moritz Arndt, in: Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung Nr. 27 v. 1.2.1860, S. 3. In der Dokumentation unter Nr. 11. 74 ***: Ernst Moritz Arndt, in: Didaskalia. Blätter für Geist, Gemüth und Publicität, Nr. 32, v. Mi. 1.2.1860, S. 2–3. Im wesentlichen handelt es sich um die Wiederholung des Arndt-Artikels in: Männer der Zeit. Biographisches Lexikon der Gegenwart, Leipzig 1859, S. 87f. Vgl. die Dokumentation unter Nr. 12. 75 Preußische Zeitung, Nr. 53 v. 1.2.1860, S. 1. In der Dokumentation unter Nr. 10. 76 Die Benutzung dieses Nachrufes lässt sich durch die meisten später entstandenen Nekrologe verfolgen. Seine Fernwirkung reicht bis zu dem feinsinnigen Arndt-Abriss von Edith Ennen,

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tor rhetorisch geschickt: „Wird Ernst Moritz Arndt zu den großen Männern des deutschen Volkes gerechnet werden? Er war Gelehrter: wo sind seine in den Gang der deutschen Wissenschaft eingreifenden Forschungen? Er war Politiker: hat er damals, als nach hergestelltem Frieden überall in deutschen Landen gesetzliche Freiheit erstrebt wurde und er in der Fülle seiner Kraft und seines Ansehens stand, mit schöpferischen Gedanken oder weithin wirkenden Handlungen den trägen Schritt der politischen Entwickelung Deutschlands beflügelt? Er war Dichter: Wer singt nicht seine Lieder, sein Der Gott, der Eisen wachsen ließ, sein Was blasen die Trompeten? und so viele andere der kernigen tapferen Kriegs- und Vaterlandsgesänge, die ewig frischen Zeugen einer großen Zeit? Aber wo ist das größere Werk, das durch festgeschaffenen Inhalt und vollendete Form eine durchschlagende Bedeutung hätte? Weder die Gelehrten, noch die Staatsmänner, noch die Dichter werden den Tod des theuren Mannes als einen ihrer besonderen Genossenschaft widerfahrenen Verlust beklagen. Aber wir haben manchen großen Gelehrten, manchen ausgezeichneten Beamten und Künstler zur letzten Ruhe geleiten sehen und es war still von ihnen in den deutschen Landen. Die Theilnahme ging nicht über den engen Kreis der Fachgenossen hinaus. Wer dagegen heute von den polnischen Grenzen bis an die Vogesen und von der Königsau bis zu den ungarischen Sümpfen eilen könnte, er würde überall, ‚so weit die deutsche Zunge klingt‘, die Klage um den Vater Arndt vernehmen. – Was hat dieser Mann so Besonderes gethan? hören wir klügelnde Ueberweisheit verwundert fragen. In der That, er hat gar nichts so Besonderes gethan. Sein Größtes ist, daß er immer in vollem Maße gethan hat, was wir Alle immer thun sollten: er hat sein Vaterland mit feuriger, treuer Mannesliebe geliebt, er ist sein Lebtag ein tapferer, wahrer, biederer Deutscher gewesen, er hat nie aufgehört, seinen lieben Deutschen mit den gesunden Empfindungen und den mannhaften Handlungen eines echten Patrioten voranzugehen.“77

5. Arndts Devotionalisierung und Monumentalisierung Damit bin ich am Ende meiner Musterung angelangt. Weitere Differenzierungen lassen sich anhand der diesem Band mitgegebenen Nekrolog-Dokumentation selbständig vornehmen. Worauf ich zum Schluss nur noch hinweisen möchte, ist die sofort nach seinem Tod einsetzende Devotionalisierung und Monumentalisierung. Die Weimarer Zeitung meldete schon am 1. Februar, dass Arndts Brief an den Weimarer Gewerbeverein vom 16.1.1860 „inzwischen von dem Lithographen Friedrich Walther so gelungen“ reproduziert worden sei, „daß man dieselben von dem Original kaum zu unterscheiden im Stande“ wäre. Der Künstler, hieß es, stehe gerne bereit, eine Neuauflage des sofort vergriffenen Objekts zu veranstalten. Sehr schnell hatte sich die Eignung Arndts als Kultobjekt herausgestellt. Der schwunghafte Handel mit Arndt-Devotionalien griff rasch auch auf andere Regionen über. So druckte auch die Stralsundische Ernst Moritz Arndt 1769–1860, in: Bonner Gelehrte, Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn. Teil: Geschichtswissenschaften (150 Jahre Rheinische Friedrich-WilhelmsUniversität zu Bonn 1818–1968), Bonn 1968, S. 9–35. 77 Preußische Zeitung, Nr. 53 v. 1.2.1860, S. 1.

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Zeitung am 28. Februar 1860 folgende Annonce eines Stralsunder Unternehmers: „In einigen Tagen wird fertig: Geburtshaus Ernst Moritz Arndt’s zu Schoritz auf Rügen. Nach einer Photogr. von Richter, lithographirt in Tondruck. Preis: 6 Silbergroschen. Um gefällige Aufträge bittet C. Hingst“.78 Wenige Tage später folgte das Vollzugsinserat: „Bei dem Unterzeichneten ist jetzt zu erhalten: Geburtshaus Ernst Moritz Arndt’s zu Schoritz auf Rügen […] Preis 6 Silbergroschen C. Hingst. Ein Drittel des Betrages für die von mir hier verkauften Exemplare übergebe ich dem Comité für Arndt’s Denkmal.“79 Schon in der ersten Woche nach Arndts Tod war in Bonn ein Denkmal-Komitee gebildet worden, das den Gedanken einer Denkmalstiftung rasch und erfolgreich propagierte.80 Mit einem Aufruf „An das deutsche Volk“ gingen die Bonner Betreiber an die breite deutsche Öffentlichkeit.81 In allen größeren Zeitungen und wichtigen Literaturzeitschriften wurde der Aufruf abgedruckt. In ihm hieß es, es sei eine Ehrenpflicht des deutschen Volkes, Arndt ein Denkmal zu stiften. Hintergrund waren die im Jahr zuvor ausgerufenen Denkmalsintiativen für Schiller und den Freiherrn vom Stein. Die Idee zündete sofort auch für Arndt. In der Folgezeit gingen zahlreich gegründete Zweigkomitees daran, dem „Vater Arndt“, dem „edlen Barden“, dem „alten ehrlichen deutschen Gewissen“, dem „Nestor der deutschen Patrioten“, dem „Deutschesten aller Deutschen“ ein in Erz gegossenes Denkmal zu bereiten. Nach dem Vorbild des Rheinlandes bildeten sich in Thüringen, Berlin, Pommern und vielen anderen Provinzen regionale Denkmal-Komitees. Ableger gab es selbst in Übersee. So meldete die Illinois Staatszeitung in Chicago in der zweiten Jahreshälfte über eine entsprechende Initiative in Buenos Aires: Unter den Exildeutschen der brasilianischen Hauptstadt habe „gleich nach der Kundwerdung“ des Bonner Denkmalsplanes der dortige deutsche Turnverein ein Comité gebildet und unter seinen Mitgliedern die stattliche Summe von 800 Thalern gesammelt. „Jetzt wird man ihn in Marmor hauen, in Erz giessen und auf ’s neue beweisen, dass die würdigsten Männer erst nach ihrem Tode die Anerkennung finden, welche sie während ihrer Lebenszeit verdient hätten“, hatte Fritz Bader schon am 4. Februar prophezeit. Freilich sollte es noch bis 1865 dauern, dass auf dem Alten Zoll in Bonn die bekannte überlebensgroße Arndt-Skulptur Bernhard Afingers aufgestellt werden konnte.82 Die bis 1865 gesammelten Spenden von fast 50.000 Talern reichten für weitere Projekte, wie etwa einem Unterstützungsfonds zugunsten der Familienmitglieder Arndts.83

78 Stralsundische Zeitung, Nr. 50 vom 28.2.1860, S. 4. 79 Stralsundische Zeitung, Nr. 61 vom 11.3.1860, S. 4. 80 Den allerersten Reflex in dieser Richtung findet man schon im Anschluss an Hermann Griebens Nekrolog: „Was thun wir für Ernst Moritz Arndt?“, in: Kölnische Zeitung Nr. 36 v. 5.2.1860, S. 3, in der Dokumentation unter Nr. 16a. 81 Die Denkmalsinitiative bildet ein eigenes Thema, das einmal an anderer Stelle ausführlich erzählt werden kann. Zu diesen frühen Aufrufen vgl. die Auswahlbibliographie am Ende der Dokumentation. 82 Vgl. Das Arndt-Denkmal auf dem Alten Zoll in Bonn (1865), in: Arndt-Denkmale und Arndt-Ehrungen im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. der Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft e.V. (Hefte der Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft 4), Zeven/Groß Schoritz 1996, S. 27–30. 83 Vgl. Grieben (wie Anm. 40), S. 245f.

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Die Realisierung des deutschen Kaiserreichs nach dem deutsch-französischen Krieg bedeutete eine neue Stufe in Arndts Rezeptionsgeschichte. Angesichts seines dauerhaften Insistierens auf einer deutschen Nationalsstaatsbildung konnte das gründerzeitliche Selbstgefühl für das Arndt-Bild nicht folgenlos bleiben. Schon 1860 war in einem der Nachrufe vorausgesehen worden: „Wie Moses auf dem Berge hat er noch am Horizont das gelobte Land geschaut.“84 Im Sommer 1871 hielt man es für angebracht, zu den Füßen des Bonner Arndt-Denkmals zwei erbeutete französische Kanonen zu stellen. Auch in diesem Zusatz spiegelt sich die zeitgeschichtliche Wandlung des ArndtBildes wider.

84 ***: Ernst Moritz Arndt, in: Victoria. Illustrirte Muster- und Modezeitung Berlin (1860), Nr. 13 v. 1.4., S. 99–101, hier S. 101. Der Nachruf endet: „Sein Name ist eingeschrieben in das Buch der Redlichen. Sein Andenken wird unter uns in Segen bleiben. Sein Vermächtniß ist sein Beispiel, sein Leben.“ In der Dokumentation unter Nr. 24.

Nachrufe auf Arndts Tod 1860 Vorbemerkung des Editors Mit dieser Edition der 1860 erschienenen Arndt-Nachrufe wird keine Vollständigkeit angestrebt. Hinsichtlich der ausländischen Presseorgane waren die Recherchemöglichkeiten technisch und zeitlich begrenzt. Lücken in deutschen Zeitungsarchiven lassen noch unentdeckte Nachrufe vor allem für weitere Presseorgane Mitteldeutschlands und der ehemaligen preußischen Ostprovinzen vermuten. Die Wiedergabe der aufgesuchten Nachrufe erfolgt buchstabengetreu, nur offensichtliche Druckfehler wurden berichtigt. Die Reihenfolge des Abdrucks folgt der Chronologie der Erstpublikation. In den Fußnoten sind, soweit vorhanden, die Positionsnachweise in den beiden einschlägigen Arndt-Bibliographien: Karl Heinz Schäfer /Josef Schawe (Bearb.) Ernst Moritz Arndt. Ein bibliographisches Handbuch 1769 – 1969, eingeleitet von Karl Heinz Schäfer (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bonn 8), Bonn 1971; Gerhard Loh (Bearb.), Arndt Bibliographie. Verzeichnis der Schriften von und über Ernst Moritz Arndt. Festgabe zum 200. Geburtstag, hg. v. der Ernst-Moritz-ArndtUniversität Greifswald, Greifswald/Berlin 1969 notiert. Am Schluß dieser Edition findet sich eine Überblicksbibliographie aller bisher bekannt gewordenen Arndt-Nachrufe. Die Erstpublikation wird von den Nachdrucken unterschieden. Irmfried Garbe Nr. 1 Kölnische Zeitung Nr. 30 v. Mo. 30.1.1860, S. 1; parallel in: Düsseldorfer Journal. Allgemeine politische Zeitung, 13. Jg. Nr 25 v. 30.1.1860, S. 2.1 Bonn, 29. Jan. Wir haben Deutschland, das unlängst mit freudigem Stolze seine Blicke nach unserer Stadt gewandt, eine schmerzliche Kunde zu melden: Ernst Moritz Arndt, seit dem zweiten Weihanchtstage v. J. im 91. Lebensjahre, ist nach kurzer Krankheit heute um die Mittagsstunde sanft verschieden. Sicherlich hat die Aufregung und Anstrengung seit seinem neulichen Festtage die Abnahme seiner Kräfte beschleunigt: der Treffliche hatte geglaubt, überall, von wo ihm freundliche Gesinnungen kundgegeben waren, seinen besonderen Dank aussprechen zu müssen, und hatte so in den letzten Wochen weit über hundert Danksagungs-Schreiben abgesandt.

Nr. 2 Kölnische Zeitung Nr. 31 v. 31.1.1860, S. 4; parallel in: Preußische Zeitung, Nr. 52 v. 31.1.1860, Abendausgabe S. 1.2 [Trauerannonce der Universität Bonn] 1 2

Erneut u. a. in: Königlich Privilegirte Berliner Zeitung [=Vossische Zeitung] Nr. 26 v. Di. 31.1.1860, S. 8; [Augsburger] Allgemeine Zeitung Nr. 32 v. Mi. 1.2.1860, S. 511. Übernommen u. a. in Privilegirte Stettiner Zeitung Nr. 54 v. 1.2.1860, Abendausgabe, S. 1; Mecklenburgische Zeitung Nr. 27 v. 1.2.1860, S. 1; Stralsundische Zeitung Nr. 29 v. Fr. 3.2.1860, S.1.

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Die rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität hat den schmerzlichen Verlust ihres ältesten Mitgliedes zu beklagen, des unerschütterlichen Kämpfers für deutsche Sprache, Sitte und Ehre, dessen Name gefeiert und geliebt ist, so weit die deutsche Zunge klingt. Ernst Moritz Arndt ist, nachdem er am späten Abend seines vielgeprüften Lebens die verdiente Huldigung von allen Seiten empfangen und erwiedert hat, nach einem kurzen Krankenlager gestern Mittags vor 1 Uhr sanft entschlafen. Möge über seinem Grabe der Bau deutscher Einheit und Einigkeit, woran er in schlimmen wie in guten Zeiten gleich zuversichtlich gearbeitet hat, sich erheben! Bonn, 30. Januar 1860 Rector und Senat der rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität. ---Die feierliche Beerdigung wird Mittwoch, den 1. Februar, Nachmittags 3 ½ Uhr, Statt finden.

Nr. 3 Weimarer Zeitung, Nr. 26 v. 31.1.1860, S. 101. [S/S Nr. 2067]3 Ernst Moritz Arndt † K.B. Weimar, 30. Januar Die Köln. Z. meldet aus Bonn v. 29. Jan. „Wir haben Deutschland, das unlängst mit freudigem Stolze [...]“.4 Gewiß ist der Mann glücklich zu preisen, der nach einem so langen, bis in das höchste menschliche Alter kaum jemals durch Unwohlsein getrübten Leben, noch am Ende des 90. Jahres im Besitze der körperlichen und geistigen Frische, deren oft viel Jüngere sich nicht mehr erfreue, eben erst gefeiert von der Verehrung und Liebe einer ganzen Nation, rasch und schmerzlos entschlief! Eines nur beklagen wir: daß ihm, der als Jüngling, als Mann und selbst noch als Greis unermüdlich für eine bessere Zukunft des deutschen Vaterlandes gesprochen und geschrieben, gekämpft und gelitten, daran geglaubt und danach sich gesehnt hatte, die Freude, diese Zukunft noch selbst zu erleben – eine Hoffnung, die er noch in mehreren der Dankbriefe nach seinem Jubiläum aussprach – nicht mehr zu Theil ward. Möge sein felsenfester Glaube, daß sie trotz Alledem und Alledem kommen müsse, daß „Barbarossa sein Felsengrab sprengen werde“,5 in seinem Volke fortleben, und möchte jeder Deutsche sich bei dem Andenken E.M.Arndts geloben, so treu, so unverzagt, so ausharrend, wie er, Hand und Mund, Herz und Sinn dem geliebten Vaterlande, seiner Größe und Freiheit zu weihen!

3 4 5

Verfaßt von Karl Biedermann. Erneut, aber gekürzt abgedruckt in: [Augsburger] Allgemeine Zeitung Nr. 33 v. 2.2.1860, S. 527 [S/S Nr. 2068]. Hier folgt der vollständige Artikel aus der Köln. Ztg. v. 30.1.1860, S. 1; vgl. oben Text Nr. 1. Ziat aus Arndts Geburtstagsdankbrief an das „Weimarer Lesekränzchen“, abgedruckt in Weimarer Zeitung, Nr.15 v.18.1.1860, S.58: „Gebe Gott, bei dem die Geschicke der Völker stehen, uns ein glückliches deutsches Jahr und stärke und einige er mehr und mehr das liebe Vaterland! Der Neunziger würde jauchzen und segnen, wenn der zweite Barbarossa sein Felsengrab sprengen wollte.“

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Nr. 4 Privilgirte Stettiner Zeitung Nr. 51 v. 31.1.1860, Morgenausgabe S. 1. Stettin, 30. Januar. Wir haben einem Theile unserer Leser schon in der vorigen Nummer die traurige Kunde mitgetheilt,6 daß unser berühmte Landsmann Ernst Moritz Arndt gestern Mittag nach kurzem Krankenlager gestorben ist. Am zweiten Weihnachtsfeiertage, dem 91. Geburtstage, wandten sich die Blicke aller derer, welche ein deutsches Herz im Busen tragen, nach Bonn und von allen Seiten kamen ihm Liebesgrüße und Gaben entgegen, für die er in seiner bekannten herzigen Weise seinen Dank aussprach. Diese Aufregung und Anstrengung hat gewiß die Abhnahme seiner Kräfte beschleunigt, denn nach der „K.Z.“ hat er überallhin, von wo ihm freundliche Gesinnungen kund gegeben waren, selbst geantwortet und weit über hundert Danksagungsschreiben abgesandt.

Nr. 5 Düsseldorfer Journal. Allgemeine politische Zeitung, 13. Jg. Nr 27 v. 1.2.1860, S. 2. Bonn, 31 Jan. Das Leichenbegängniß von E.M. Arndt findet morgen Nachmittag 3 Uhr statt. Die Studirenden stellen sich auf der Coblenzerstraße in der Art auf, daß das Ende ihres Zuges unmittelbar am Garten des Trauerhauses steht, die Spitze desselben nach dem Coblenzer Thore zu. Vor dem Zuge der Studirenden nimmt der Veteranen-Verein seine Aufstellung, und vor diesem an der Spitze des ganzen Zuges ein Musik-Corps. An den Zug der Studirenden schließt sich ein zweites Musik-Corps an, diesem folgt der Leichenwagen, umgeben von Trauer-Marschällen, welche gleichmäßig aus den Studirenden der fünf Fakultäten gewählt sind. Dem Leichenwagen folgen die Leidtragenden mit den Geistlichen der evangelischen Gemeinde; diesen der akademische Senat und die Universitäts-Lehrer, nach Fakultäten geordnet, so wie die Beamten der Universität. Dann folgen die Behörden, Geistlichen und Lehrer. Hieruaf schließt sich dem Zuge an der Bürger-Verein zur Eintracht. Ihm folgen die Lese- und Erholung-Gesellschaft und die andern Vereine und Theilnehmer der Feierlichkeit. Etwa erscheinende Deputationen von Studirenden anderer Universitäten schließen sich den hiesigen Studirenden an. Sonstige Deputationen versammeln sich im Trauerhause und reihen sich den hiesigen Behörden an.

Nr. 6 Stralsundische Zeitung, 1860, Nr. 27 v. 1.2.1860, S.1: Bonn, 29. Januar. Der „Pr. Ztg.“7 wird geschrieben: Unser alter Ernst Moritz Arndt ist nicht mehr unter uns. Seit vierzehn Tagen unwohl, hatte er seit dem 16ten das Haus, und seit vorigem Sonntag das Bett gehütet; eine Indigestion, begleitet von Appetitlosigkeit und Rückenschmerzen, war in ein beständiges Fieber, und in letzter Nacht in eine Lungenlähmung übergegangen. Heute Mittag hat er schmerzlos geendet, nachdem er noch drei Stunden zuvor, unter manchen schwer verständlichen Worten, gesagt 6 7

Vgl. oben Text Nr. 2. Preußische Zeitung v. 30.1.1860.

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hatte, daß in vierzehn Tagen wieder Alles mit ihm in Ordnung sein werde. Wir verlieren viel, wenn wir auch bekennen müssen, daß sein rascher Tod für ihn ein größerer Segen war, als ein allmähliches Hinsiechen nach dem langen kräftigen Leben. Daß sein Tod durch die Ueberschwenglichkeiten der letzten Geburtstagsfeier beschleunigt worden, wird schwer zu widerlegen sein.

Nr. 7 Weimarer Zeitung, Nr. 27 v. 1.2.1860, S. 106 M. Weimar, 31. Jan. Das theure Andenken, welches der am 29. d. M. dahin geschiedene E.M.Arndt dem hiesigen Gewerbevereine hinterlassen hat – seine Zuschrift vom 16. d. Monats, welche nunmehr hiermit der Oeffentlichkeit übergeben wird, lautet wörtlich folgendermaßen: „Bonn, 16. des Wintermonds 1860. Ein fröhliches Jahr zuvor meinen theuren Freunden, den Bürgern Weimars, dem lustigen Thüringen, und dem ganzen deutschen Vaterlande! Das war ein schönster liebster Gruß, liebe deutsche Brüder, aus einem Lande, wo ich vor mehr als zwei Menschenaltern ein paar glücklichste Jahre verlebt habe. Wenn Wälder und Haine, Pfade und Landstraßen klingende Stimmen hätten, dann würden Weimar, Erfurt, Gotha und Rudolstadt von dem überalten Greise noch Manches auszuklingen haben, und, ich hoffe, eitel Fröhliches und Gutes. Darf und soll ich es als ein gutes deutsches Zeichen ansehen, daß ich zu meinem 91. Jahresbeginn von vielen herrlichen Orten und trefflichen Männern mit Wünschen, Gaben und Ehren überschüttet worden bin? – Sei das, wie es wolle, nach verschiedener Deutung, ich empfing sie mit Freuden in dem Gefühl, daß mich in meinen vaterländischen Bestrebungen und Arbeiten immer nur vollster Ernst ohne Querblicke auf Ehre oder Gewinn geleitet haben. Also ein fröhliches Jahr uns allen und im Sinnen, Streben und Arbeiten mit vollauf fliegender Hoffnung den Blick immer nach dem Kyffhäuser gerichtet, wo die alte deustche Herrlichkeit und der Barbarossa mit dem blitzenden Kaiserschwerdt wieder auferstehen sollen! In deutscher Treue, liebe Freunde und Genossen, Euer Ernst Moritz Arndt“ Die inzwischen hiernach autographirten Exemplare sind von dem Lithographen Friedrich Walther so gelungen hergestellt worden, daß man dieselben von dem Original kaum zu unterscheiden im Stande ist, und es hat sich derselbe, nachdem die für die Mitglieder des Gewerbevereins bestimmten Abdrücke fast vergriffen, zur Anfertigung einer größern Auflage bereit erklärt.

Nr. 8 Bonner Zeitung Nr. 27. v. 2.2.1860, S. 1. ***: Bonn, 1. Febr., 4 Uhr Nachmittags „Von dem Dome Schwer und bang, Tönt die Glocke.

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Grabgesang. Ernst begleiten ihre Trauerschläge Einen Wanderer auf dem letzten Wege.“ So eben bewegt sich ein langer, feierlicher Zug von dem friedlichen Dichterhause am Ufer des Rheines aus durch unsere ernst bewegte Stadt, dem Friedhofe zu, um den theuren, deutschen Vater Arndt auf seiner reichen, thaten- und folgenreichen Wanderschaft letztem Wege zu begleiten. Noch wenige Augenblicke und die sterblichen Ueberreste dieses, von seiner ganzen Nation so vielgeliebten Sängers und Vorkämpfers ruhen in kühler, deutscher Erde! Zahlreiche Deputationen und hervorragende Männer sind aus allen Gauen des großen Vaterlandes herbeigeeilt, um im Vereine mit seinen hiesigen Mitbürgern und Genossen Ernst Moritz Arndt würdig zu bestatten – doch wer könnte die deutschen Herzen nah und ferne zählen, die heute im Geiste diese Trauerfeier begehen und ihm eine Thräne des Abschieds widmen. Eine eingehendere Beschreibung des Leichenbegängnisses theilt die Bonner Zeitung in einer Beilage, die Donnerstag Vormittag ausgegeben wird mit. *** Königswinter. Wohl selten mag in einer Gesellschaft ein so plötzlicher allgemeiner Stimmungswechsel eintreten, wie es hier am Sonntag Abend in unserer CarnevalsSitzung der Fall war. Mitten unter den hanswurstlichen Tollheiten betrat ein Mitglied ernsten Blicks die Rednerbühne, legte seine Narrenmütze bei Seite und verkündigte der Gesellschaft mit wenigen, aber eindringlichen Worten das große Ereigniß von dem Tode unseres Ernst Moritz Arndt. Der verehrte Redner machte den Vorschlag, mit ihm zu Ehren des großen Dahingeschiedenen das deutsche Nationallied anzustimmen. Auf einen Wink des Präsidenten erhoben sich alle Mitglieder, entblößten das Haupt, und donnernd erscholl aus mehr als fünfzig Männerkehlen ein urkräftiger deutscher Gesang: „Was ist des Deutschen Vaterland“. Ein Gefühl der Vereinsamung und Verlassenheit beschlich alle Anwesenden. Der Sänger und Wächter deutscher Einheit war für immer verstummt. Treten wir dann in die Fußtapfen unseres alten ausdauernden Vorkämpfers und ehren wir dadurch sein Andenken in würdiger Weise, daß wir das zu verwirklichen streben, worum der theure Hingeschiedene einst schwer gelitten, und wonach er bis zu seinem Ende gerungen.

Nr. 9 Bonner Zeitung 52. Jg., Nr. 27. v. 2.2.1860, Beilage zur Bonner Zeitung, S. 1. ***: Bonn, 1. Febr. Heute Nachmittag fand um 3 Uhr das Leichenbegängniß unseres Arndt Statt, welches nicht nur die Behörden und Bürger unserer Stadt und Hochschule, sondern auch eine zahlreiche Menge auswärtiger Theilnehmer, selbst aus weiter Ferne, zur ernsten Feier versammelt hatte. Die Universität als die erste Leidtragende hatte, um ihren ältesten und theuersten Commilitonen die letzten Ehren würdig zu erweisen, schon bei Zeiten ihre Mitglieder auf dem Schloß versammelt. Von da bewegte sich der lange Zug der Studirenden, gefolgt von den Lehrern und Beamten der Universität, zum Trauerhause, in dessen Nähe sich bereits die große Menge anderer Leidtragender eingefunden hatte. Halb vier Uhr setzte man sich von dort aus in Bewegung. Das Geleit eröffnete das Corps der Veteranen, dessen Ehren-Präsident Vater Arndt gewesen war.

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Diesem folgten, die bunten Fahnen, Abzeichen und Waffen mit dem ernsten Trauerflor verhüllt, die Studirenden in der ihnen angewiesenen Ordnung, so, daß die Verbindungen die Spitze, die Landsmannschaften den Schluß des gesammten StudentenCorps bildeten, dem sich viele fremde Musensöhne aus Heidelberg, Göttingen, Marburg, Berlin und manchen andern Universitäten beigesellt zeigten. Hinter der akademischen Jugend erschien darauf der vierspännige mit schwarzem Zeuge ausgeschlagene offene Leichenwagen, auf dem der Sarg unter einem Baldachin von Grün und Blumen sichtbar ward. Der Senior des philologischen Seminars trug entblößten Hauptes die Orden des Verewigten auf einem Kissen dem Wagen vor; diesen umgaben aus allen Fakultäten gewählte Studirende als Trauermarschälle und im weitern Umkreise das Bürgerschützen-Corps der Stadt. Dem Sarge folgten, geleitet von den beiden evangelischen Geistlichen der Stadt, die nächsten Leidtragenden, sodann unter dem Vortritt der mit Sceptern und in Amtstracht einherschreitenden Pedellen, das Lehrer- und Beamtenpersonal der Universität, den Rector und Senat an der Spitze und nach dem Range der Fakultäten geordnet. An die Universität schloß sich das Offizier-Corps der hiesigen Garnison, darauf die Civilbehörden, unter denen mehrere auswärtige Notabilitäten bemerkbar waren. Der Bürgerverein zur Eintracht, die Mitglieder der hiesigen Lese- und Erholungs-Gesellschaft und eine zahllose Menge aus den Bürgern und Bewohnern Bonns und seiner Umgebung, besonders auch Kölns, bildeten weiter den unendlichen von drei Musikchören begleiteten Zug, der sich langsam die Koblenzerstraße hinab durch das Stockenthor über den Markt nach dem Sternthore bewegte und erst nach einer Stunde beim Kirchhof anlangte. Hier war am Nordende, nahe der Mauer, den sterblichen Ueberresten des theuren Greises die letzte Ruhestätte bereitet. Die Trauerfeierlichkeit am Grabe eröffnete das von Arndt selbst gedichtete geistliche Lied: Abschied vom Leben*8, das nach der Melodie „Jesus meine Zuversicht“ unter der Leitung des Universitäts-Musik-Direktors von einem zahlreichen, aus den verschiedenen hiesigen Vereinen zusammengetretenen Männerchor unter Begleitung von Blechinstrumenten in zwei Abtheilungen zu Anfang und am Schluß vorgetragen wurde. Hierauf ergriff Dr. Wiesmann das Wortz und führte in einer kurzen, kraftvollen Rede den Hörern das Bild des Mannes vor, an dessen Bahre sie so tiefbetrübt standen. Er schilderte seinen echten deutschen Sinn, den Sinn demüthiger Gottesfurcht und stolzer Manneskraft, unverdrossenen Ausharrens und nie gebeugter Hoffnung; er erinnerte an seine Thaten und Flammenworte, welche das Vaterland in schlimmer Zeit wachgerufen hätten und demselben immerdar unvergeßlich bleiben würden; er stellte ihn Collegen und Jüngern zum nacheiferungswerthesten Beispiel wahrhafter Menschlichkeit und Tugendhaftigkeit auf. Seiner Rede folgte eine kurze Ansprache des Präsidenten des Veteranenvereins Professors Riese, worauf ein Vers des Liedes die erhebende Feier beendete. – O möge Vater Arndt, den wir nun nicht mehr unter uns wandeln sehen, uns mit seinem Geiste nicht verlassen haben! Möge dieser Geist, das Muster deutscher Treue, Herzlichkeit und Einmüthigkeit bei uns Allen einkehren und möge er das gesammte Vaterland nach so langer Zerrüttung zur ersehnten Harmonie zusammenschließen! 8

In einer Fußnote der Bonner Zeitung folgt hierzu der komplette Abdruck des fünfstrophigen Liedes „Geht nun hin und grabt mein Grab“. Vgl. unten Text Nr. 13.

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(Die „Bonner Zeitung“ wird in einer ihrer nächsten Nummern einen Nekrolog Arndt’s, der ihr von sehr schätzbarer Hand zugesagt ist, veröffentlichen. D. Red.)9

Nr. 10 Preußische Zeitung (1860) Nr. 53 v. 1.2.1860, S. 1 [S/S Nr. 2055]10 [Leitartikel:] Berlin 1. Februar. An dem Grabe Ernst Moritz Arndt’s versammeln sich alle guten Deutschen im Geiste, um den Dank des Vaterlandes dem nachzurufen, der so lange so treu für sein Volk gewacht hat. Wir haben keine Westminster-Abtei, unsere großen Todten zu ehren. Aber in unseren Herzen haben wir einen Platz für die tapferen Männer der Nation, und Arndt war einer der Tapfersten. Wir haben es gelernt, den großen Männern unserer Vergangenheit ein so dankbares, gerechtes Andenken zu erhalten, daß wahrhaft für die Dauer wirkt, wer unter uns Tüchtiges vollbringt. Wird Ernst Moritz Arndt zu den großen Männern des deutschen Volkes gerechnet werden? Er war Gelehrter: wo sind seine in den Gang der deutschen Wissenschaft eingreifenden Forschungen? Er war Politiker: hat er damals, als nach hergestelltem Frieden überall in deutschen Landen gesetzliche Freiheit erstrebt wurde und er in der Fülle seiner Kraft und seines Ansehens stand, mit schöpferischen Gedanken oder weithin wirkenden Handlungen den trägen Schritt der politischen Entwickelung Deutschlands beflügelt? Er war Dichter: Wer singt nicht seine Lieder, sein „Der Gott, der Eisen wachsen ließ“, sein „Was blasen die Trompeten?“ und so viele andere der kernigen tapferen Kriegs- und Vaterlandsgesänge, die ewig frischen Zeugen einer großen Zeit? Aber wo ist das größere Werk, das durch festgeschaffenen Inhalt und vollendete Form eine durchschlagende Bedeutung hätte? Weder die Gelehrten, noch die Staatsmänner, noch die Dichter werden den Tod des theuren Mannes als einen ihrer besonderen Genossenschaft widerfahrenen Verlust beklagen. Aber wir haben manchen großen Gelehrten, manchen ausgezeichneten Beamten und Künstler zur letzten Ruhe geleiten sehen und es war still von ihnen in den deutschen Landen. Die Theilnahme ging nicht über den engen Kreis der Fachgenossen hinaus. Wer dagegen heute von den polnischen Grenzen bis an die Vogesen und von der Königsau bis zu den ungarischen Sümpfen eilen könnte, er würde überall, „so weit die deutsche Zunge klingt“, die Klage um den Vater Arndt vernehmen. Was hat dieser Mann so Besonderes gethan? hören wir klügelnde Ueberweisheit verwundert fragen. In der That, er hat gar nichts so Besonderes gethan. Sein Größtes ist, daß er immer in vollem Maße gethan hat, was wir Alle immer thun sollten: er hat 9 Es folgt die Wiedergabe des Nekrologs aus der Preußischen Zeitung vom 1.2.1860 unter der Redaktionseinleitung: „Die Preuß. Ztg. widmet in ihrer letzten Nummer unserm theuren Dahingeschiedenen Ernst Moritz Arndt, folgenden höchst interessanten Nachruf: […]“ Vgl. Text Nr. 10. 10 Erneuter Abdruck in: Bonner Zeitung, 52. Jg. (1860), Nr. 27 v. 2.2., Beilage S. 1. [S/S Nr. 2056 =komplette Wiedergabe]; Weimarer Zeitung, 3. Februar Nr. 30 v. 4.2.1860, S. 117 [S/S Nr. 2069 =gekürzteWiedergabe]. Zahlreiche weitere Nachrufe nutzen wesentliche Aussagen und Gedankengänge dieses anonym publizierten Nachrufes.

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sein Vaterland mit feuriger, treuer Mannesliebe geliebt, er ist sein Lebtag ein tapferer, wahrer, biederer Deutscher gewesen, er hat nie aufgehört, seinen lieben Deutschen mit den gesunden Empfindungen und den mannhaften Handlungen eines echten Patrioten voranzugehen. In den Tagen tiefer nationaler Schmach zerriß er in tapferem frommem Gottvertrauen die Ketten der feigen Geduld, und warf sich dem Feinde entgegen mit den Waffen der schneidenden Rede und des stürmenden Gesanges und ward ein kühner Genosse unserer Größesten und Tapfersten, unserer Stein, Scharnhorst und Blücher. Daß es ein Deutschland gebe, ein großes herrliches Vaterland, werth des Stolzes und der Liebe der Besten, daß diesem Vaterlande jeder gute Sohn sein Theuerstes zu opfern verpflichtet sei, diese große, lange vergessene Wahrheit rief und sang Niemand frischer und ergreifender in das Gemüth unseres Volkes hinein, als der Sänger von Rügen. Und der Lehre stand die That zur Seite. Der Tapfere, an Geist und Körper gleich Feste und Rüstige zeigte, welche Mühen und Entbehrungen der deutsche Mann mit heiterem Sinne zu ertragen vermag. Dann kam die Zeit des trägen Friedens. Es schien eine Zeit lang, als sollte Deutschland dafür bestraft werden, daß es so treu und tapfer zu seinen Fürsten gestanden. Ein kleinlicher Verdacht wagte seine Hand auch an den Loyalsten zu legen, an diesen wahrhaft „königischen“ Mann.11 Wer heute den „Nothgedrungenen Bericht“ liest12 und sich erinnert, daß auf so nichtige Anschuldigungen hin ein solcher Mann zwanzig Jahre lang von Amt und Thätigkeit fern gehalten wurde, der wird wohl zugeben, daß in jenen trüben Zeiten Niemandem ein so bitteres Unrecht widerfahren ist, als Arndt. Er hätte wahrlich Grund gehabt zu grollen. Aber während so Viele damals von unendlich geringeren Kränkungen sich zu Maßlosigkeit, zu Verachtung der öffentlichen Ordnung und Geringschätzung des Vaterlandes treiben ließen, Ernst Moritz Arndt blieb treu, treu seinem Könige, treu seinem Vaterlande. Und er blieb nicht nur treu und besonnen, er blieb auch frisch und heiter, immer derselbe in liebenswürdiger Heiterkeit, in jugendlicher Liebe und Hoffnung für sein Vaterland. Derselbe, den man zwanzig Jahre als Demagogen mißtrauisch zur Seite geschoben hatte, sollte dann auch noch erleben, daß ein großer Theil seiner lieben Deutschen ihn als Reactionair und Aristokraten in den Bann that. Ihn hat das so wenig angefochten als das Andere: er blieb der beste, nie verzweifelnde, nie in Unwillen sich abkehrende Patriot. Er blieb endlich derselbe, als abermals der Wechsel der Zeiten die gehobenen nationalen Hoffnungen begrub und dumpfes Mißbehagen über das Land breitete. Ein hochbetagter Greis, entfaltete er erst jetzt recht herrlich die frische Jugendlichkeit seines deutschen Herzens; er wurde nicht müde, dem verzagenden Volke seine tapferen Mahnungen zuzurufen, und den von der Ungerechtigkeit der Zeit am tiefsten Gekränkten, den Schleswig-Holsteinern und den Hessen mit guten, starken Trostesworten beizustehen. Ja er, der Achtundachtzigjährige, griff nochmals in den Schatz seiner großen Erinnerungen und schrieb seine Wanderungen mit dem Reichsfreiherrn v. Stein

11 Anspielung an eine Arndt-Sentenz in dessen „Erinnerungen an das äußere Leben“ (1840). 12 Ernst Moritz Arndt, Nothgedrungener Bericht aus seinem Leben und aus und mit Urkunden der demagogischen und antidemagogischen Umtriebe, 2 Theile, Leipzig 1847.

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und zeigte uns mit der kernigen Kraft seiner wunderbar frischen Rede,13 wie Andere unendlich schlimmere Zeiten getragen und nicht nur sie getragen, sondern mit heldenmüthiger Arbeit ihre niederdrückende Wucht abgeschüttelt hatten. Als da abermals eine seltsame Anklage den ehrwürdigen Mann antasten wollte, da zeigte sich, daß das Volk seinen Werth zu würdigen gelernt hatte; er beschloß den glücklichen Abend seines Lebens hoch emporgetragen und in vielfach rührender Weise ausgezeichnet von der Liebe seines Volkes. So rein, so reich, so von echtester menschlicher und vaterländischer Begeisterung durchglüht, so viel geprüft und so stets bewährt ist das Leben weniger Männer gewesen. Und all diesen Tugenden und Verdiensten war bei diesem Manne in wunderbarer Weise der deutsche Stempel aufgeprägt: sein Leben und seine Forschung, seine Politik und seine Dichtung, es war Alles kerndeutsch. Keine Partei, kein Dogma, kein einzelnes Land vermochte diesen weiten, ganz Deutschland und alles Deutsche umfassenden Sinn einzuengen. Er vergaß nie über dem Moment den großen Verlauf unserer Geschichte, noch über dem Hader des Partikularismus die große Gemeinschaft. Wahrlich, wir werden gut thun, in dem heftigen Streit der deutschen Gegensätze uns recht oft und ernstlich die deutsche Liebe und den deutschen Glauben zu vergegenwärtigen, welche Ernst Moritz Arndt durch ein schweres Leben frisch und sicher hindurch geleitet und ihm die Kraft verliehen haben, in den verschiedensten Lagen belebend und ermunternd auf seine Zeitgenossen einzuwirken. Wenn unsere Tage hie und da andere Begabungen verlangen, so wird doch stets die uneigennützige Hingabe an das Gemeinwesen, die innige Liebe zum Vaterland, der treue deutsche Sinn, der frische, muthige Glaube das Beste thun müssen zur Lösung der uns gestellten Aufgaben. Darin soll uns das Beispiel des Trefflichen, den heute die Theilnahme der ganzen Nation zu seiner letzten Ruhe geleitet, stets voranleuchten, daß Pfiffigkeit und feige Selbstsucht das theure Erbe der Väter nie preisgeben lasse.

Nr. 11 Neue Preußische [Kreuz]Zeitung Nr. 27 v. 1.2.1860, S. 3. [S/S Nr. 2054]14 φ15 Ernst Moritz Arndt, dessen Tod gestern in unserer Zeitung gemeldet worden war, war der Sohn eines damals noch leibeigenen Bauern in Schoritz auf der Insel Rügen, sein Geburtstag, der zweite Weihnachtstag des Jahres 1769. Seine Jugendgeschichte ist eine Dorfgeschichte derben Schlages in den Jahren, wo anderer Kinder schon in die Schule gehen, hat er noch Kühe und Pferde gehütet. „Der Gott, der Eisen wachsen ließ“, wie er später sang, bescheerte dem zu Weihnachten geborenen Bauernsohne eine harte, eiserne Erziehung, damit er in der Folge einer jener Männer von Stahl werde, welche unter dem Druck der Fremdherrschaft nur um so elastischer aufsprangen. Erst in seinem 17. Jahre bezog er das Gymnasium in Greifswald[!], studierte dann Theolo13 Ernst Moritz Arndt, Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn Heinrich Karl Friedrich von Stein, 1. und 2. Aufl. Berlin 1858. Die dritte Auflage erschien unverändert 1869. 14 Leicht gekürzt übernommen in: Norddeutscher Correspondent v. 1.2.1860, S. 2. 15 Der unter diesem Kürzel publizierende Mitarbeiter konnte nicht identifiziert werden.

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gie von 1791 an auf der dortigen Universität und von 1793 an in Jena. Zwischen seinem Abgange von der Universität und seinem Auftreten als akademischer Lehrer in Greifswald erstrecken sich weite Fußreisen durch Deutschland, Ungarn, Italien und Frankreich, um fremde Länder und Leute kennen zu lernen, die er später, nachdem noch eine Reise durch Schweden dazu gekommen, in einem Dutzend von Bänden beschrieben hat. Das offene Auge, besonders für die Eigenheiten des Volkscharakters, blickt schon aus diesen Büchern; alle Sitten und Gebräuche stellen sich darin lebendig und anschaulich vor. Nach der Eroberung Deutschlands durch Napoleon wirkte er besonders durch seinen „Geist der Zeit“ gegen das einbrechende Franzosenthum. Das Buch war eine That. Es galt ihm vor allen Dingen das Germanenthum, das alte, treue Deutschthum in schlagenden Gegensätzen zu Frankreich und der Revolution zu verjüngen. In seinen „Zeichen der Zeit“16 ermaß er mit einem durch die Geschichte geschärften Seherblick die tiefe Kluft zwischen Deutschthum und Franzosenthum. Vor dem damals weit reichenden Arm der Fremdherrschaft suchte er erst eine Zuflucht in Stockholm, später in Petersburg, wo er mit dem geachteten Freiherrn v. Stein zusammentraf. Seine letzte Schrift: „Erinnerungen an den Freiherrn v. Stein“ erzählt davon. Seine Kriegs- und Wehrlieder, die er während der Befreiungskriege sang, schürten wie die v. Schenkendorfs und Körners mächtig die Flamme der Begeisterung. „An die Spitze dieser Vaterlands-Dichter“, schreibt Vilmar in seiner Geschichte der Deutschen National-Literatur, „stellt sich der Sängerheld von der Insel Rügen, der alte Arndt, dessen kräftige Lieder zu ihrer Zeit alle Herzen erhoben und entflammten, und hoffentlich auch noch in der Zukunft manches Deutsche Herz erheben und entzünden werden. Zeitlieder, wie Arndts: „Was ist des Deutschen Vaterland“, „Der Gott, der Eisen wachsen ließ“, „Was schmettern die Trompeten? Husaren heraus“, haben wir seit dem 16. Jahrhundert nicht wieder, und selbst in jener Zeit, kaum gehabt; ihr unsterbliches Verdienst ist das, daß sie die beste Stimmung der Zeit in voller Wahrheit, ohne Uebertreibung und Phrase, poetisch aussprachen – die beste Stimmung einer großen Zeit, wie sie auch Deutschland seit dem 16. Jahrhundert nicht wieder gesehen hat. Seit den Liedern von der Papierschlacht waren mit so freudigen starken Herzen und mit so hellen Siegesstimmen keine Kriegslieder wieder durch ganz Deutschland erklungen, als die Lieder des alten Arndt; seit drei Jahrhunderten war Deutschlands Siegesehre und Siegesgröße nicht mehr besungen worden: Ernst Moritz Arndt hat sie gesungen, und so lange das Andenken an den Sieg und die Ehre und die Freude von 1813 dauern wird, so lange wird man auch der Sieges- und Freudenlieder gedenken, die damals sind gesungen worden, so lange wird auch das Gedächtniß und die Ehre des alten Sängers von Rügen dauern.“17 – Seine späteren Schicksale schildert er selbst in der Selbstbiographie: „Erinnerungen aus dem äußeren Leben“ und in dem „Nothgedrungenen Bericht aus 16 Karl Josias von Bunsen widmete seine religionspolitische Schrift „Zeichen der Zeit. Briefe an Freunde über die Gewissenfreiheit und das Recht der christlichen Gemeinde. Briefe an Ernst Moritz Arndt über den christlichen Vereinsgeist und die kirchliche Richtung der Gegenwart“ (2 Teile 1854) seinem Freund Arndt, der als Gegengabe 1858 seine Wanderungen mit dem Reichsfreiherrn vom Stein Bunsen widmete. 17 August Friedrich Christian Vilmar, Geschichte der deutschen National-Literatur, 4. verm. Aufl. Marburg 1851, Bd. 2, S. 352f.

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meinem Leben“. Seit 1820 von seinem Lehrstuhl in Bonn suspendirt, erhielt er 1840 durch Se. Maj. den König Friedrich Wilhelm IV. die Lehrfreiheit wieder. Im Jahre 1848 Mitglied der National-Versammlung in Frankfurt, schloß er sich bekanntlich der Gagern’schen Partei an und schwärmte mit ihr für eine Kaiserkrone, die eher ein neuer Keil, als ein zusammenhaltender Reif für das gespaltene Deutschland geworden wäre. Dem greisen Sänger wird diese Schwärmerei vergessen werden; aber was das Deutsche, das Preußische Volk ihm nimmermehr vergessen wird, das sind die Kriegs- und Wehrlieder des ‚Sängerhelden von der Insel Rügen’.

Nr. 12 Didaskalia. Blätter für Geist, Gemüth und Publicität, Nr. 32 v. Mi. 1.2.1860, S. 2–3. [S/S Nr. 2053]18 Ernst Moritz Arndt. Der „schneeweiße Alte“ ist dahingeschieden. Der Ruhm seines hohen Lebens hat ihm die letzten Tage schwer gemacht; denn die deutsche Nation ist mit dem ganzen großen Gefühl ihrer Bewunderung hervorgetreten, um dem 91jährigen Greis die wohlverdiente Anerkennung zu zollen. Das hat die Kräfte seines rüstigen Körpers und Geistes allzu sehr aufgeregt. Am Nachmittag des 29. Januar ist er einer Anstrengung, die seiner Gewissenhaftigkeit, seiner bekannten deutschen Treue Ehre macht, erlegen. Sein reiches Leben und Wirken ist in den „Männern der Zeit“ am besten gewürdigt und wir geben deßhalb diese Schilderung ohne weiteren Commentar.19 „Der Dichter des schönen National-Liedes ‚Was ist des Deutschen Vaterland?’, der unermüdliche Agitator gegen die französische Fremdherrschaft, der begeisterte Prediger von der Herrlichkeit deutschen Volksthums und deutscher Einheit, wurde den 26. Dec. 1769 zu Schoritz auf Rügen geboren. Er unternahm nach vollendeten Studien in den Jahren von 1797–99 mehrere Reisen durch Schweden, Italien, einen Theil Frankreichs, durch Deutschland und Ungarn, und veröffentlichte später die Anschauungen und Ergebnisse, die er auf seinen Wanderungen gewonnen. Scharfe Beobachtungsgabe, kritische Forschung und blitzende Genialität, die sich in diesen Reisebeschreibungen, wie in seinem 1803 erschienenen Werke: ‚Fragmente über Menschenbildung’, kundgeben, erwarben ihm bald ehrende Anerkennung und schafften ihm 1806 die Professur der Geschichte an der Universität zu Greifswalde, die er jedoch nur kurze Zeit bekleidete. Allzu früh sollte er auch die Unannehmlichkeiten des Schriftstellerthums kennen lernen. Zunächst regte er durch die ‚Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen’ (Berlin, 1803) den pommerschen Adel gegen sich auf, der ihm diesen Angriff auf seine angemaßten Vorrechte nicht verzeihen konnte. Noch schlimmer erging es ihm nach der Herausgabe seines in mehreren Auflagen verbreiteten Buches: ‚Geist der Zeit’ (Altona und Berlin, 1806), in welchem er, der sich früher, wie viele Andere, von der scheinbaren Herrlichkeit des neuen französischen Heroen-Zeitalters hatte blenden 18 Erneut, um den Schlußsatz gekürzt abgedruckt in: Mecklenburgische Zeitung Nr. 32 v. Di. 7.2.1860, Beilage S. 1. 19 Das Folgende ist identisch mit dem Arndt-Artikel in: Männer der Zeit. Biographisches Lexikon der Gegenwart, Teil I, Leipzig 1859, Sp. 87f. (Autor unbekannt).

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lassen, mit allem Feuereifer des Patriotismus für die Belebung vaterländischen Sinnes und die Erhebung Deutschlands eiferte, zugleich aber auch mit prophetischem Geiste den Sturz des gewaltigen Kaisers und die nachmalige Folgezeit verkündigte. Wie Fichte’s Reden an die deutsche Nation, schlug auch dieses Werk an das Herz des deutschen Volkes, mochte es immerhin viele Paradoxien und Einseitigkeiten enthalten. Arndt zog sich durch sein Buch den Unwillen Napoleon’s zu, und mußte vor dem Zorne desselben in mehrere Länder, unter andern auch nach Schweden und Rußland flüchten. In Petersburg wurde er mit dem Freiherrn v. Stein bekannt, dem er mit Freuden seine Feder zur Verfügung stellte, um mit ihm gemeinschaftlich zum Sturz der Fremdherrschaft zu wirken. Später begleitete er ihn während des Feldzuges von 1813– 14 durch Deutschland nach Frankreich und Paris, und während dieser ganzen Zeit war er rastlos thätig durch Wort und Schrift, um die Begeisterung für Deutschlands Ehre, Freiheit und Recht zu wecken und zu nähren; unter den vielen Druckschriften, die er in dieser Zeit veröffentlichte, mögen hier nur sein „Soldaten-Katechismus“, „Ueber Landwehr und Landsturm“, „An- und Aussichten der deutschen Geschichte“, „Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Gränze“ genannt werden. Auch als Dichter – eine Sammlung seiner Gedichte erschien 1804 und 1818 – trug er viel zur Förderung patriotischer Gesinnungen bei, und noch bis in die jüngsten Tage werden seine Lieder: „Was ist des Deutschen Vaterland?“, „Der Geist, der Eisen wachsen ließ“, „Was blasen die Trompeten? Husaren, heraus!“ u. a. m. im Volke und auf den Hochschulen Deutschlands gesungen. Nach Napoleon’s Sturze kehrte Arndt nach Deutschland zurück, lebte hier seit 1815 am Rhein, wo er eine Zeitschrift: „Der Wächter“, herausgab, und wurde 1819 als Professor der Geschichte an die neu errichtete Universität nach Bonn berufen. Allein bald darauf sah er sich, wie Friedrich Ludwig Jahn und die beiden Brüder Welcker, in eine langwierige Untersuchung wegen „demagogischer Umtriebe“ verwickelt, nach deren Beendigung er zwar freigesprochen, dennoch aber in Ruhestand versetzt wurde. Er selbst gab darüber actenmäßige Aufschlüsse in seinem „Abgenöthigten Wort in meiner Sache“ (Altenburg, 1821). Fortan war Arndt nur als Schriftsteller thätig, und in diese Zeit fällt die Herausgabe seiner „Nebenstücke“20 (Leipzig, 1826), „Christliches und Türkisches“ (Stuttgart, 1828), „Die Niederlande und die Rheinlande“ (Leipzig, 1831), „Belgien und was daran hängt“ (Leipzig, 1834), „Leben G. Aßmann’s“ (Berlin, 1834), „Schwedische Geschichten unter Gustav III., vorzüglich aber Gustav IV. Adolph“ (Leipzig, 1839) u. a. Erst im Jahre 1840 wurde er durch König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen wieder als Professor eingesetzt und zwei Jahre später mit dem rothen Adlerorden geschmückt. Es war Pietät für den noch geistigfrischen Greis und dankbares Erinnern an seine hohen Verdienste zu einer Zeit, wo Muth dazu gehörte, sich zu seinem Vaterlande zu bekennen, was 1848 seine Wahl in die Frankfurter National-Versammlung veranlaßte. Aber für diese stürmische Arena reichten die Kräfte des sonst noch so rüstigen Alten nicht mehr aus. Fast nur durch seine Abstimmungen war er hier thätig; er hielt sich als preußischer Patriot zu der Gagern’schen Partei. Am 21. Mai 1849 trat er aus, und nur

20 Richtig: Nebenstunden. Auch dieser Fehler wird aus dem besagten Artikel wortgleich übernommen.

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dann und wann läßt er sich in körniger Sprache mahnend und rügend für die Ehre und Macht des deutschen Volkes vernehmen. Wir führen noch, schließlich als Zeugniß seiner unausgesetzten schriftstellerischen Thätigkeit die Titel der seit seiner Wiedereinsetzung von ihm herausgegebenen Werke an: „Versuch in vergleichenden Völkergeschichten“ (2. Aufl. Leipzig, 1844), „Schriften für und an seine lieben Deutschen“ (3 Bde. Leipzig, 1845), „Erinnerungen aus dem äußeren Leben“ (3. Aufl. Leipzig, 1842), „Blätter der Erinnerung meistens um und aus der Paulskirche“ (Leipzig, 1849). Selbst die Musen scheinen noch den hochbejahrten Dichtergreis gewogen zu seyn, denn vor wenig Monaten sendete er für das Album des Johanneums ein sinniges Gedicht auf den König Johann von Sachsen ein. Prop populo Germanico nannte er seine letzte Schrift und pro populo Germanico forderte er noch kürzlich die Aufhebung der Spielhöllen. Was er schließlich über Mecklenburg schrieb, verräth wohl allzu sehr seine veraltete Kenntniß der Zustände.

Nr. 13 [Johann Heinrich] Wiesmann: Am Grabe Ernst Moritz Arndts. (Am 1. Februar 1860). Rede von Pastor Dr. Wiesmann. Auf vielseitiges Verlangen gedruckt, Bonn Henry & Cohen 1860, Zweiter Abdruck 1860, 15 S. [S/S Nr. 2084; Loh 2171]21 Chor (aus Arndt’s Grabeslied). Geht nun hin und grabt mein Grab, Meinen Lauf hab’ ich vollendet! Lege nun den Wanderstab Hin, wo alles Ird’sche endet, Lege selbst mich nun hinein, In das Bette sonder Pein. Was soll ich hinieden noch In dem dunklen Thale machen? Denn wie mächtig, stolz und hoch Wir auch stellen unsre Sachen, Muß es doch wie Sand zergehn, Wenn die Winde drüber wehn. Ihr, die nun in Trauren geht, Fahret wohl, ihr lieben Freunde! Was von oben niederweht, Tröstet ja des Herrn Gemeinde, Weint nicht ob dem eitlen Schein, Droben nur kann ewig sein.

21 Die erste Auflage [S/S Nr. 2083; Loh 2170] ist wortgleich.

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Leidtragende Angehörige! Hochgeehrte Trauerversammlung! Tiefbewegt stehen wir an der Gruft des uns so ehrwürdigen und theuren Mannes von mehr denn 90 Jahren, dessen Verlust wir alle schmerzlich beklagen, weil er uns allen gehörte. Wie so schnell hat der Herr sein Haus verwandelt! Vor wenig Wochen noch durchzog dasselbe der helle Klang der Glückwünsche von nah und fern, und jetzt ist’s plötzlich drinnen so still, so still geworden. Um den Entschlafenen trauert die Familie, unsere Stadt, das deutsche Vaterland. Die Familie hat ihr hochverehrtes Haupt, die Gattin den langjährigen treuen Gefährten auf der oft dornenvollen Lebensbahn, der Kinderkreis den leuchtenden Mittelpunkt seiner Liebe verloren. Unsere Stadt, der er länger als 40 Jahre angehörte, verliert in ihm ihren hervorragendsten Bürger; die Universität eine seit ihrer Stiftung weithin glänzende Zierde, den Nestor der Professoren; die Jugend aller Stände ein begeisterndes Vorbild; jeder größere und kleinere Kreis, dem er sich geweiht, den belebenden, geistsprühenden Genossen; unsere Gemeinde ein eifriges, treues Glied. Das deutsche Vaterland verliert in ihm einen edlen Barden, den unermüdlichen Kämpfer für deutsches Recht, und deutsche Sitte, und deutsche Treue, der von sich sagen durfte: Nächst Gott ist mein Vaterland meine höchste Liebe. Er ist der Letzte des lebenden Geschlechts, der zu der Befreiung des geknechteten Vaterlandes durch sein begeistertes Wort erfolgreich mitgewirkt hat. In schwerer hoffnungsloser Zeit hat er den gebrochenen Muth aufgerichtet, im Rathe der Fürsten und ihrer nächsten Diener mit rastlosem Eifer die Erhebung des Volkes in den Freiheitskriegen gefördert, die Feigen und Schlechten gezüchtigt, die Jugend entflammt, das Ziel des Kampfes gezeigt, und das funkelnde Schwerdt des Geistes nicht eher niedergelegt, bis die Hand erstarb, die dasselbe so tapfer durch zwei Menschenalter geschwungen hatte. Noch in seiner Sterbewoche hat er sich mit der letzten Gabe für sein Volk beschäftigt, an der unsere Enkel und Urenkel sich noch erfreuen werden. Unser Arndt war ein deutscher Mann im vollen Sinne des Worts. Schlicht und einfach in seiner Erscheinung, ohne allen Prunk und leeren Schein, treu und wahr in seiner Rede, der Schmeichelei und allem heuchlerischen Wesen feind, unbeugsam in dem, was er für Recht erkannte, tapfer und fröhlich, liebreich gegen Jedermann und die Manneswürde bewahrend, der Schlechtigkeit unzugänglich, sittlich streng und keusch und von Herzen fromm. Die Gottesfurcht war der innerste Kern seines Wesens, die Demuth sein schönster Schmuck, das Gebet das tiefste Bedürfniß seiner Seele. Also haben wir ihn gekannt, und so oft wir den Greis in Jünglingskraft und Frische dahinschreiten sahen, freuten wir uns herzinniglich, und wenn wir ihn mit lebendiger Theilnahme aus alter und neuer Zeit reden hörten, dann ruhete unser Auge mit Wohlgefallen auf ihm, und wir fühlten unser Innerstes durchzuckt von den Blitzschlägen seines Feuergeistes. Ist es edelste deutsche Weise, für eine große Idee zu leben, zu kämpfen, unter allen Hindernissen sie festzuhalten, und im Aufblick auf Gott den Herrn an ihrem endlichen Siege nicht zu zweifeln, so hat der Verstorbene solche deutsche Art bewährt. Die Einigkeit, die innerliche Herrlichkeit seines Vaterlandes, das war der Traum seiner Jugend, die Arbeit seiner Mannesjahre, die Hoffnung seines Alters. Und ob für Augenblicke verkannt und mit verhülltem Haupte dahinwandelnd ist er nicht irre geworden, und

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hat er sich nicht verbittern lassen. So stand er da wie eine Ruine, die von vergangener Herrlichkeit zeugt, und dann auch wieder jener Säule gleich, von der die Sage geht, daß sie erklungen, so oft sie vom goldnen Strahl des jungen Morgens beleuchtet worden. Wie in den blühenden Tagen seiner Jugend sein Volk seiner Posaune horchte, so haben sich in seinen spätesten Jahren die deutschen Volksstämme wieder um seinen Namen geschaart, und ihn zum lebendigen Zeichen jener Hoffnungen gemacht, welche die edelsten Herzen bewegen. Schauen wir im Lichte des göttlichen Wortes auf seine Tage zurück, so hat sich auch an ihm jener Zuruf des Höchsten 1 Chron. 18,22 V. 8 an seinen Knecht David erfüllt, den er gleich ihm von der Weide hinter den Schaafen genommen: „Ich bin mit dir gewesen, wo du hingegangen bist, und habe deine Feinde ausgerottet vor dir, und habe dir einen Namen gemacht, wie die Großen auf Erden Namen haben.“ Der Entschlafene hat einen großen Theil Europa’s durchpilgert, in Wanderlust und Thatendurst, als Flüchtling, oder im Dienst seiner Lebensaufgabe. Das hat er aber erfahren, der Herr ist überall mit ihm gegangen, und hat ihn beschirmt, und ihm die Herzen der Menschen geöffnet, und seinen langen Aus- und Eingang auch unter uns mit Mannigfaltigstem Segen begleitet. Für solche unverdiente Wohlthat hat er aber seinen Gott jederzeit dankbar gepriesen, und ihm die Ehre gegeben. Der Herr hat seine Feinde ausgerottet vor ihm, den Dränger und Unterjocher Deutschlands, den er mit aller Kraft bekämpfte, umd jegliches auf Ausländerei schielende Wesen, dem er von ganzer Seele gram war. Er hat ihm einen Namen gemacht, wie die Großen auf Erden Namen haben. Hieß er Jahrzehnte hindurch immer schon der alte Arndt, so hat ihm Gott durch Deutschlands Mund im letzten Jahrzehnt den schönen Namen Vater Arndt gegeben, und dieser Name wird ihm bleiben. Sein Mund ist verstummt, aber sein Wort wird fortleben im Munde seines Volkes so weit die deutsche Zunge klingt. Er hat den Wanderstab niedergelegt, um zu seiner Ruhe einzugehen; seine Ruhe wird Ehre sein. Möge die kommende Zeit das erndten, was er gesäet, und wenn spätere Geschlechter zu seinem Grabe wallfahrten, dann mögen sie fröhlich ausrufen: Was Du geglaubt, gehofft, wofür Du Dein Herzblut eingesetzt, es ist errungen. Ihr lieben Jünglinge, die ihr sein Grab umsteht, ihr habt ihm eure Liebe geweiht, und ihr wißt, wie er euch liebte, wie er euch so oft gemahnet hat, an’s theure Vaterland euch anzuschließen mit aller Kraft der Seele. Vergeßt den Vater Arndt nicht; er sei euch Sporn zu ernstem Mannessinn, zu treuer Christenweise. Und gilt’s für’s Vaterland zu kämpfen, und Gut und Blut zu wagen, so durchglühe euch der Blick auf dieses Grab mit dem Feuer, das, auf dem Altar des Glaubens entzündet, erst mit dem letzten Odemzug erlöscht. Ihr theuren Männer, die ihr durch die Bande des Amtes, der Freundschaft, der Genossenschaft ihm nahe standet, ihr vergesset des Mannes nimmer, in dem ein jeglicher in seiner Weise die Gnade und Freundlichkeit unsers Gottes geschaut hat. Ihr habt Euch der reichen Gaben gefreut, mit denen Gott den Entschlafenen ausgerüstet zum Segen des Vaterlandes, wie unzähliger Einzelner, denen er Lebensernst und Glaubens-

22 Richtig aber: Kap. 17, 8.

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sinn in’s Herz gesungen und geredet. In der Erinnerung schmückt ihr sein Bild mit immer frischen Farben, und von der Gruft scheidend, sprecht ihr mit stillem Aufblick nach Oben: Herr, schenke auch mir Deine Gnade zu kräftigem Wirken, zu seligem Scheiden! Bei dir, theure Gemeinde, bleibt das Gedächtniß deines Arndt im Segen. Du schautest ihn noch am letzten Todtenfeste, wie er mit seiner Gattin, der Aelteste der Gemeinde der erste in der Reihe, in Demuth gesenkten Hauptes und fröhlichen Blickes an den Altar trat, den Leib und das Blut seines Heilandes zu empfangen; das wirst du nicht vergessen, und wie er sonst in der gliedlichen Gemeinschaft, in mancherlei kirchlichen Aemtern in dir gewirkt und gewaltet mit kindlich frommem Sinn, und wie er bis an sein Ende ein brennend und scheinend Licht gewesen, das steht mit unvergänglichen Lettern auf den Tafeln deiner Geschichte verzeichnet. Des Vaters Segen ruhe auf den Kindern, und der Trost aus der Höhe senke sich reichlich auf sie und die trauernde Gattin. Der Vater aber aller Gnade und Barmherzigkeit, der jetzt seinem alten Knechte nach mühevoller Pilgerfahrt, wie er es schon im Jahre 1814 gewünscht, am leisen fluthenden Rheine die Grabesruhe bereitet, der vergebe ihm, um Christi, seines Sohnes, willen alles, worin er jemals in Wort und That gefehlt, und verleihe ihm, wie er es ernstlich begehrt hat, die ewige Ruhe der Seligen aus Gnaden. Amen. Chor. Weinet nicht! Mein süßes Heil, Meinen Heiland hab’ ich funden, Und ich habe auch mein Theil In den warmen Herzenswunden, Woraus einst sein frommes Blut Floß der ganzen Welt zu gut. Weint nicht! mein Erlöser lebt! Hoch vom finstern Erdenstaube Hell empor die Hoffnung schwebt, Und der Himmelsheld, der Glaube, Und die ew’ge Liebe spricht: Kind des Vaters, zittre nicht!

Nr. 14 Kölnische Zeitung, Nr. 34 v. 3.2.1860, S. 1 [S/S Nr. 2057] (Verfasser: Ludwig Köppe?)23 Nachruf an Ernst Moritz Arndt, Köln 2. Februar. Da haben wir nun den lieben Alten hinausgetragen zu seiner letzten Ruhestätte, auf den Bonner Friedhof, wo schon so Viele ruhen, die in seiner neuen rheinischen Heimat 23 Der Artikel enthält zahlreiche wörtliche Übereinstimmungen mit Köppes Arndt-Lebensbild (1860) vgl. unten Text Nr. 34.

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mit ihm gelebt und gestrebt haben; dort, wo die Eiche steht, die er selbst vor fünfundzwanzig Jahren mit eigener Hand gepflanzt, als er tiefgebeugt seinen Liebling begrub – – seinen jüngsten Sohn Willibald, den die Fluten des Rheines hinwegegrissen – – und schon zu einem stattlichen Baume herangewachsen ist: – ibi tu calentem Debita sparges lacryma favillam Vatis amici!24 Wir sollten zwar nicht weinen. Als wir das letzte Mal im Trauerzuge hierher kamen, um unsere treffliche Freundin Luise Dahlmann, die er selbst so hoch schätzte und von der er so sehr geschätzt ward, in ihr kühles Grab zu legen, da stand der alte Arndt so frisch und freudig da, und redete so laut und unbefangen, als wenn er sagen wollte: „Kinder, was ist’s denn weiter? Sterben auf Erden ist geboren werden im Himmel.“ Und er fügte einen alten lateinischen Kernspruch hinzu von der Zuversicht eines besseren Lebens, und daß wir nicht sterben wie die, welche keine Hoffnung haben. Hätte er noch sprechen können an dem letzten Tage, wo nur unverstandene Worte von seinen Lippen flossen, würde er nicht von uns geschieden sein, wie sein alter Oheim, der Patriarch der Familie, von ihm schied, mit den Worten: „Kinder, ihr werdet mich bald in die Erde legen, dann sollt ihr recht fröhlich sein; denn ich habe mit Gott mein Leben lang ein frohes Leben geführt“? Wir würden auch wohl gefaßter sein, wäre der Schlag nicht so plötzlich gekommen! Es war gegen alle Abrede. „Ein paar Jahre leb ich noch!“ sagte er neulich zu uns und erzählte halblachend von einem Träume seiner Jugend, in dem er seinen Leichenstein mit der Zahl 93(?) gesehen.25 In der freudigen Erregung seines neunzigsten Geburtstages faßte er froheren Muth und sprach und schrieb häufig, er hoffe es bis zum Jahrhunderte zu bringen. Und wer hätte es nicht mit ihm hoffen sollen, der seinen kräftigen Händedruck spürte und an seiner feurigen Rede sich erfreute? Schwang er doch den Stock um das Haupt, und sagte: er brauche weder Krücke noch Brille, und laufe noch seine vier bis fünf Meilen über Berg und Thal. Und scheint die Sonne noch so schön, Am Ende muß sie untergehn’ Und jetzt stehen wir an seinem offenen Grabe. So viele sich auch von nah und fern herandrängen, es ist nur ein Häuflein, gleichsam nur die Abgeordneten des ganzen Volkes, das, so weit die deutsche Zunge klingt, trauert, wie um einen geliebten Vater. Ihr Anderen trauert; aber uns, die wir ihm nahe standen, die wir von seinem, für Alle liebevollen Herzen mehr als das uns gebührende Theil dahin nahmen, uns ist doch 24 Horaz, Oden II 6, 22. Es handelt sich um den Schluß der 6. Strophe der in manchen Übersetzungen als „Dichters Ruh“ betitelten Ode: „Jener Ort will dich mit mir auf seinen seligen | Höhen halten: Und dort wirst du, wenn sie noch warm, mit geziemender Träne netzen die Asche | deines Freundes, des Dichters.“ (Übersetzung von Bernhard Kytzler1978). 25 Arndts Traum zum Lebensalter auf dem Grabstein wurde 1859 zuerst von Georg von Bunsen überliefert, vgl. Marie von Bunsen: Georg von Bunsen. Ein Charakterbild aus dem Lager der Besiegten, Berlin 1900, 177 (Briefzitat an Karl Josias Bunsen v. 28.12.1859).

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noch anders zu Muth, und uns geht bei dem jähen letzten Abschied ein Schwert durch die Seele. Wir wollen eine heiße Herzensthräne im Auge zerdrücken und noch ein wenig reden von dem theuren Manne, Dieses und Jenes, wie es uns in den Sinn kommt, um das volle Herz zu erleichtern. Was Ernst Moritz Arndt als Dichter, Gelehrter, Geschichtsschreiber, Staatsmann, Tagesschriftsteller zu bedeuten hatte, wollen wir nicht erwägen, das mögt Ihr besser verstehen, als wir. Seine Bedeutung lag ja auch nicht im Einzelnen, sondern in dem ganzen Manne. Er hat die Deutschen ihr Vaterland und sich selbst wieder achten und lieben gelehrt. Die Wahrheit, Treue, Geradheit, Keuschheit, Tapferkeit, Männlichkeit, alle Vorzüge, die unser Volk von alten Zeiten her ausgezeichnet, hat er gelehrt und gepriesen, und, was mehr werth ist, in seiner eigenen Person dargestellt. Er war der deutscheste Deutsche und hat sein Volk auf ewig vor sich selbst verklärt. Doch was der alte Arndt war, brauchen wir nicht zu sagen, sein Bild lebt in allen deutschen Herzen. Wir wollen einen Blick darauf werfen, wie er das geworden ist, was er war. Das Kind ist Vater des Mannes; wir müssen aus dem spätesten Alter zurückgehen in die früheste Kindheit, und der Schritt ist bei Ernst Moritz Arndt nicht weit. Seine kleine Besitzung von Bonn am Rheine nannte er Lülo, und da neulich die Frage aufgeworfen wurde, was für einen verborgenen Sinn dies Wort haben möge, so wollen wir es sagen: Lülo ist oder war (denn jetzt wird ja Alles ausgerottet) ein kleines Wäldchen bei Schoritz, wo er als Kind gespielt. So nannte er die selbstgepflanzten Bäume, unter deren Schatten er als Greis wandelte, mit dem theuren Namen, und wandelte unter ihnen mit derselben kindlichen Unschuld des Herzens. Sein Vater war ein Leibeigener gewesen, den sein Herr, Graf Putbus, freigelassen, auf Reisen mitgenommen hatte und zu vielen Diensten gebrauchte. Nur mit mäßiger Bildung, dafür aber mit allen Gaben des Geistes und des Leibes ausgerüstet, war er ein stattlicher, strenger Mann, der seine Kinder vor allen Dingen nicht verweichlichen wollte. Er härtete sie auf jede Weise ab. In jedem Wind und Wetter, spärlich bekleidet, wurden sie aufs Pferd gesetzt und mußten Meilen weit Boten reiten. Wenn der kleine Moritz zur Mitternacht verschlafen im Schlitten lag, warf der Vater oft muthwillig um, um den Jungen im Schnee zu wälzen. Die Pferde mußte er splitternackt in die Schwemme reiten, und wenn er dann etwa in Dornen und Nesseln geworfen ward, so durfte er, wie sehr das Fell ihm brannte, nicht sauer dazu sehen. Die Kost war einfach, aus dem Schlafe hat er sich schon als Knabe nichts gemacht. Dies und die Wohlgestalt und die trefflichen Anlagen waren Gaben der Natur. Aber schon früh bildete er diese Gaben mit Ernst und Standhaftigkeit aus. Nachdem er im Schooße der Natur und in einfachen ländlichen Verhältnissen auf Rügen eine glückliche Kindheit verlebt und er durch Familien-Ereignisse zur ernsten Einkehr in sich selbst geführt, wurde er nach Greifswald [sic!] geschickt, um dort das Gymnasium zu besuchen. Er war gesund, stark und rüstig und hatte sich vorgenommen, es um jeden Preis zu bleiben. Der Sinn der Menschen war damals auf behagliches Wohlleben gerichtet, er aber riß sich aus den Genüssen des städtischen Lebens streng wieder zu seiner Schule und noch strenger zu den freiwilligen Strapazen, denen er seinen Leib unterwarf. Er hat sich damals und später Hunger und Entbehrungen auferlegt und ist weit und breit durch Wälder und Felder gestrichen, indem er sich die Horazi-

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schen Worte zurief: Hoc tibi proderit olim!26 Und der Spruch hat sich bewährt, wie er als Greis dankbar rühmte. Als die Triebe der Jugend erwachten, stürzte er sich, um das „heiße Arndt-Blut“ zu dämpfen, noch im October und November in die kalte Umarmung der winterlichen Meeresfluth. Er war von jeher ein verschlossener trotziger Kopf, in tiefem, oft unklarem Ringen mit sich selbst: das zeigte sich, als er, noch ehe er zur Universität reif war, ohne alle Veranlassung aus Stralsund entwich, ohne daß er einen anderen Grund anzugeben wußte, als daß die geselligen Genüsse zu verlockend wären und er gefürchtet hätte, zu einem weichlichen und liederlichen Lappen zu werden. Seine Familie holte ihn liebevoll wieder ein, er arbeitete zu Haus für sich, und bezog die Universitäten Greifswald und Jena. Daß er für Philosophie nicht gemacht war, bewies er, indem er selbst in Jena davon nicht angesteckt ward. Auch auf eigentliche Gelehrsamkeit war er nicht gestellt, obgleich, beiläufig bemerkt, bei seinem königlichen Gedächtnisse ein Schatz des Wissens in ihm aufgehäuft war, daß wohl sehr Wenige sich mit ihm vergleichen konnten. Die protestantische Theologie, die damals sehr lau und matt war, befriedigte ihn nicht. Er hängte sie an den Nagel und ging auf Reisen. Er befriedigte damit seinen eingeborenen norddeutschen Wandertrieb. Die Wellen der Ostsee haben ihm das Wiegenlied gesungen, und er pflegte hervorzuheben, wie der Mensch an den Küsten, im Verkehr mit der ganzen Welt, nie so in seinen Pfählen [=Pfühlen?] verdumpfe, wie er das im Binnenlande oft gefunden. Er ging also in die Welt, ohne viel Vorbereitung, und ohne weitere Absicht, als die Welt zu sehen. Er sah vieler Menschen Städte und lernte ihren Sinn kennen. Das ist seitdem sein eigentliches Fach geblieben. Die Menschen in ihrer leiblichen und geistigen Eigenthümlichkeit zu beobachten, die Sitten und Sprachen der Völker zu ergründen und zu vergleichen, war und blieb seine Lieblingsbeschäftigung. Obwohl er die Franzosen am Rheine schon in deutschem Lande hausen sah, war eine lebendige Liebe des Vaterlandes noch nicht in ihm erwacht. Wo war damals auch ein deutsches Vaterland? Sein Vaterland war Schweden! Er selbst stammte von Bauern ab und sah mit Schmerz und Ingrimm, wie in seiner Heimath die Bauern seit dem sechzehnten Jahrhundert nicht nur aus Freiheit und Wohlstand zu schmählicher Leibeigenschaft herabgedrückt waren, sondern auch wie ein Bauernhof nach dem anderen „gelegt“, d. h. zerstört wurde. Da schrieb er seine Geschichte der Leibeigenschaft in seiner Heimat und zog sich dadurch den Haß der Junker zu, deren unverantwortliches Treiben er aufdeckte. Sie verklagten ihn beim Könige von Schweden, der Anfangs ungehalten war; aber nachdem Arndt sich verantwortet hatte, sagte der König: der Mann hat Recht! Und hob bald nachher die Leibeigenschaft auf. Es war natürlich, daß Arndt die neuen Ideen, die so genannten liberalen Ideen, durch welche die große Masse des Volkes in Europa und namentlich auch in Deutschland wieder emprogerichtet wurde, mit Freuden begrüßte. Er bewunderte selbst den Bonaparte, so lange dieser als Rüstzeug der freisinnigen Ideen diente. Erst seit dem Frieden von Luneville, als die Franzosen einen nichtswürdigen Schacher mit deutschen Landen zu treiben begannen, erst da erwachte sein deutscher Zorn und seine deutsche Liebe. Er schrieb seinen Geist der Zeit, und war seitdem der geistige Vorkämpfer gegen den corsischen Ty26 „Das wird dir später nützen!“ Die Zeile stammt von Ovid und lautet im Original: Dolor hoc tibi proderit olim – der Schmerz wird dir einst nützen (Ars amatoria 3,11,17).

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rannen und seine Tyrannenknechte. In ihm verkörperte sich der Franzosenhaß. Doch wollen wir bemerken, daß Arndt, im Grunde seines Wesens ein mäßiger und billiger Mann, sich nicht zu einer blinden Wuth hinreißen ließ, wie manche Andere, z. B. Jahn, der vorschlug, die Franzosen künftig nur an wenigen Orten über die deutschen Gränzen zu lassen, und jeden Franzosen dann einen Zoll gleich einem Ochsen zahlen zu lassen! Er haßte vom Grund seiner Seele der Franzosen Leichtsinn, Habsucht, Eitelkeit und Prahlerei, aber er wußte auch ihre besseren Eigenschaften zu schätzen. Arndt hatte das Glück, mit seinem verehrten Stein in Deutschland mit den siegreichen Heeren vorzudringen; aber nach dem Siege über die Franzosen, zu dem er durch seine begeisterten und begeisternden Schriften so viel beigetragen, sah er seine kühnen vaterländischen Hoffnungen nicht erfüllt. Deutschland, namentlich Preußen, ward im Frieden übervortheilt, und des alten deutschen Reiches Herrlichkeit konnte nicht erneuert werden. „Griechenlands Staaten, die jeder einzeln herrschen wollten, haben insgesammt die Freiheit verloren,“ – diesen alten römischen Spruch pflegte er seitdem oft anzuführen und erkannte damit klar die Wurzel des Uebels. Daran scheiterte die deutsche Sache 1814 und 1815, 1848 und 1849. Aber es ist von großem Werthe, daß der schon damals hochbetagte Arndt die Hoffnungen und Täuschungen jener letzten Jahre noch durchmachte. Suchte man schon damals bei seinem Leibesleben das von ihm gebildete unsterbliche Volkslied gegen ihn selbst zu lehren, wie würde es geworden sein, wenn er schon dahingeschieden gewesen! Er aber, nicht bloß ein feuriger und begeisterter, sondern auch ein kluger und verständiger Mann, erkannte sehr wohl den einzigen Weg, auf dem den Deutschen wenigstens eine Möglichkeit gegeben ist, zur Einheit zu gelangen, indem sie die Führung Deutschlands dem mächtigsten deutschen Staate übergeben. Welch ein Glück und eine Gnade auch, daß der herrliche Greis auch das vorige wichtige Jahr noch hat erleben dürfen! Wie würde man sonst sein Wort und sein Lied dazu mißbraucht haben, um zu beweisen, daß wir aus bloßem Franzosenhaß und Franzosenangst uns gedankenlos in den Krieg stürzen müßten, auch wenn er zu den unvernünftigsten und ungerechtesten Zwecken geführt wird. Daß seine Vaterlandsliebe die echte und die rechte war, bewies er, indem er auch für andere Völker, die für ihr Vaterland kämpften, mitzufühlen wußte. Sein letztes öffentliches Wort war für die Freiheit Italiens. Doch genug. Es kann nicht unsere Absicht sein, hier eine Geschichte seines äußeren oder auch nur seines inneren Lebens zu schreiben. Wir werden noch einen kurzen Abriß seines vielgeprüften Lebens bringen. Unsere Worte, wenn sie Anderen auch ein wenig gewähren können, haben uns selbst eine kurze Weile über die Bitterkeit des ersten Schmerzes hinweggeholfen. Wir wollen uns wehmüthig freuen, daß er in der reichsten Fülle der Jahre den schönsten Tod gestorben und erdrückt worden ist durch Ehren und Freuden. Er hat gerade Zeit gehabt, seinen Dank und seine Wünsche hundertfältig nach allen Seiten hin auszusprechen, gewisser Maßen sein ganzes Volk zu segnen, und dann ist unser Vater geschieden. Sein schneeweißes Haupt kann nicht mehr als Standarte uns vorleuchten, aber sein Geist wird ewig uns voranschreiten, wie eine Feuersäule in der Wüste, und wohl ihm, daß er wie Moses auf dem Berge noch ins gelobte Land geschaut. Friede sei mit Dir! Er war schon bei Dir auf Erden, und als Du begraben wurdest, zwitscherten die Vögel von Deiner Eiche durch die winterliche Luft, wie Stimmen des

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Frühlings. Es muß doch Frühling werden, hier und dort! Leb wohl, leb wohl, und nicht auf ewig: In deutscher Treue –.

Nr. 15 Illustrirte Zeitung Leipzig, 34. Bd., Nr. 866 v. 4.2.1860, S. 103 [S/S Nr. 2060; Loh Nr. 2164] (Verfasser unbekannt) Ernst Moritz Arndt † in Bonn am 29. Jan. Der deutlichste Beweis geistiger Größe eines Mannes ist unstreitig darin zu finden, daß sein Hinscheiden, auch wenn er die äußerste Stufe menschlichen Denkens erreicht hat, dennoch eine ganze Nation in Trauer versetzt und sein Verlust eine Lücke reißt, die kein Anderer auszufüllen vermag. Vater Arndt war der letzte Repräsentant einer hochwichtigen Zeit und eine Ehrensäule, auf welche das lebende Geschlecht den Blick gerichtet hielt, um unter dem Eindrucke verwirrender Ereignisse Regel und Aufgabe für sein Verhalten zu empfangen. Wol läßt er noch manchen Zeitgenossen aus seinen großen Tagen zurück, allein von den treibenden Kräften, welche damals die gesunkenen Hoffnungen belebten, den Muth befeuerten, zu männlichen Thaten begeisterten, ist wol mit Arndt die letzte aus dem Leben geschieden. In den Kreisen der Gelehrten hat er viel Ebenbürtige und Viele gefunden, die ihn überragten, was ihn aber auszeichnete und wodurch er zum Gegenstande der allgemeinen Verehrung geworden ist, das war sein reiner und starker Wille, die Festigkeit seines Charakters und das Gleichbleibende in seinen Grundsätzen, verbunden mit einer großen Klarheit und Schärfe in seinen Auffassungen. Die Unerschrockenheit, womit er die Wahrheit bekannt, verließ ihn bis zum letzten Hauche seines Lebens nicht und widrige Erfahrungen, getäuschte Erwartungen, bedrohliche und unglückliche Ereignisse vermochten niemals seinen Muth zu beugen. Dabei blieben seine Meinungen beständig gemäßigt, seine reine Vaterlandsliebe artete nie in Fanatismus aus und seine Forderungen an die fortschreitende Zeit schweiften nicht über verständige und erreichbare Ziele hinaus. In Wort und Lied prägte er den Gedanken eines großen, starken und einigen Deutschlands aus. Er hatte gehofft, daß der Kampf, zu dem er in den Tagen drückender Fremdherrschaft aufrief, diesen Gedanken zur That gestalten werde; obgleich aber der Erfolg weit hinter seiner Erwartung zurückblieb, er viele Rückschritte erleben und darunter selbst leiden mußte, so hielt doch seine Seele an diesem Glauben fest und er hat ihn in Millionen Herzen übertragen. Wem in Deutschland wäre der Lebensgang dieses Volksmanns im edelsten Sinne des Wortes so fremd, daß wir seine ehrwürdige Gestalt erst durch alle Stürme der Zeit, durch alle Verfolgungen hindurch bis an die Neige seiner Tagen begleiten müßten, die er noch immer rüstig und kräftig in Bonn genoß, wo er seit Gründung der Universität derselben als Professor angehörte, freilich längere Zeit durch Untersuchungen und Suspensionen geplagt, bis König Friedrich Wilhelm IV. ihm Gerechtigkeit widerfahren ließ. Wer kennt nicht die feurigen Schriften, die herrlichen Lieder, die selbst noch von den Lippen des Greises melodisch flossen und ein unvergängliches Erbe der Nation

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bleiben werden. Ihr gehörte sein Leben und ihr hat er es noch zuletzt geopfert. Als er am zweiten Christtage des vorigen Jahres das 90. Jahr erreichte, wallte der Strom der Begeisterung noch einmal hoch auf. Aus allen Theilen Deutschlands schickte man dem Gefeierten Liebes- und Ehrengaben und Glückwünsche in solcher Zahl, daß der Telegraph unaufhörlich spielte. Der Veteran der deutschen Nation glaubte die Danksagung nicht schuldig bleiben zu dürfen und hat in der ihm eigenthümlichen kernigen Sprache über hundert Antwortschreiben erlassen, die in ein Album gesammelt zu werden verdienen. Diese Anstrengung erschöpfte seine Kräfte und in dieser Thätigkeit ist er in der Mittagsstunde des 29. Jan. sanft entschlafen. Das war ein Mann, von dem sich viel Gutes sagen ließ, ohne daß man zur Schmeichelei oder Ueberschwänglichkeit seine Zuflucht nehmen brauchte.

Nr. 16 Kölnische Zeitung (1860) Nr.35 v. 4.2. Beilage, S. 1, Nr. 36, 5.2.1860, S.2f. [S/S Nr. 2072] (Verfasser: Hermann Grieben)27 Ernst Moritz Arndt wurde am 26. December 1769 zu Schoritz auf der Insel Rügen, die damals noch schwedisch war, geboren. Sein Vater, der die schoritzer Güter verwaltete, später Dumsevitz pachtete und um 1780 die löbnitzer Güter in Pommern, nicht weit von Stralsund, übernahm, war ein sehr strenger, energischer Mann, die Mutter dagegen eine ernstmilde, fromme, sinnige Frau, welche, in Bibel, Gesangbuch und Märchenwelt wohl bewandert, auf das Gemüth und die Phantasie ihrer Kinder den segensreichsten Einfluß ausübte. Nachdem Ernst Moritz im Elternhause hinreichend durch einen Hauslehrer vorgebildet worden war, schickte ihn der Vater auf das Gymnasium nach Stralsund. Dort weilte der Jüngling drei Jahre und entwich dann plötzlich, um einen dunklen Drange folgend in die Fremde zu gehen. Er kam jedoch nicht allzu weit und war nach wenigen Tagen wieder im Elternhause zu Löbnitz, wo er nun mit eisernem Fleiß studirte, um zu Ostern 1791 die Universität Greifswald beziehen und sich dort dem Studium der Theologie und Philosophie widmen zu können. Im Frühling 1793 ging er nach Jena, um Fichte’s Vorlesungen zu hören. Nach beendetem Studium saß dann der junge Candidat „zwei behagliche Jahre“ daheim als Hauslehrer seiner jüngeren Geschwister und predigte nebenbei „mit Schall und Beifall“. Pastor Kosegarten (der Dichter der „Jucunde“) in Altenkirchen auf Rügen nahm ihn im Herbste 1790 als Präceptor zu sich, aber die anderthalb Jahr im Pfarrhause brachten den jungen Theologen zu der Erkenntniß, daß er für die Kanzel ganz und gar nicht tauge. Er sagte der Gottesgelahrtheit für immer Valet, schnürte im Frühling 1798 sein Ränzel und pilgerte als „Bruder Sorgenlos“ in die weite Welt hinein.

27 Erneut, aber ohne Verfasserkürzel in: National-Zeitung. Morgenausgabe Nr. 85 v. So. 19.2.1860, S. 1–3. [S/S Nr. 2051]; ebenso in: Privilegirte Stettiner Zeitung. Morgen-Ausgabe Nr. 89 v. Mi. 22.2.1860, S. 1 u. Nr. 91 v. Do. 23.2., S.1 u. Nr. 93 v. Fr. 24.2., S. 1 u. Nr. 95 v. Sa. 25.2., S. 1. Zahlreiche Passagen und Formulierungen hat Köppe in seinem ArndtLebensbild übernommen, vgl. unten Text Nr. **.

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Anderthalb Jahre dauerte die Wanderschaft über Wien durch Ungarn nach Italien, von Nizza übers Meer nach Marseille und weiter nach Paris, zuletzt über Brüssel in die Heimat, wo Arndt im Herbste 1799 wieder eintraf, die Tochter des Professors Quistorp in Greifswald heirathete und sich 300 Thlr. Gehalt als Adjunct der philosophischen Facultät daselbst anstellen ließ. Die Ehe war nur von kurzer Dauer, die Frau starb bereits im zweiten Jahre. Aber „es gibt eine Stufe“, schrieb der betrübte Gatte nach diesem Verluste, „worauf die Liebe ihre verlorene Welt wiederfindet: das heitere und besonnene Anschauen der Nothwendigkeit.“ In diesem männlichen Entschlusse raffte er sich aus seinem Schmerz empor und schrieb sein erstes publicistisches Werk, das 1803 zu Altona im Druck erschien: „Germanien und Europa“. Alles Elend der Zeit war darin aus der „übertriebenen Geistigkeit“ (dem trancendentalen Idealismus) der Individuen begleitet; wie aber der Mensch des Jahrhunderts, so sei auch der Staat. In reiferen Jahren hat Arndt dieses sein erstes Werk eine „wilde und bruchstückige Aussprudelung“ genannt; wir aber bewundern noch heute die Energie, mit welcher der 33jährige Docent damals darauf gedrungen, das universale Wissen endlich einmal ins Können, in die That zu übersetzen. Dieselbe Tendenz hatte auch ein damals von ihm verfaßtes Lustspiel: „Der Schah28 und seine Familie“, welches einige Philosophen und Pädagogen jener Zeit geißelte. Gleichzeitig erschien von ihm in Berlin der „Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen“, ein Buch, das auf volle, rückhaltlose Emancipation des Bauernstandes drang und den Verfasser nöthigte, vor dem General-Gouverneur in Stralsund sich gegen die vom Adel wider ihn erhobenen Anklagen auf Majestäts-Beleidigung zu rechtfertigen. Im Herbste 1803 erhielt er auf ein ganzes Jahr Urlaub zu seiner Reise nach und durch Schweden. Nach Greifswald zurückgekehrt, gab er seine „Fragmente über Menschenbildung“ und die „Reisen durch Deutschland, Ungarn, Italien, Frankreich und Schweden“ [sic!] (acht Bände) heraus, deren Tendenz eine durchaus kosmopolitische war und sogar eine aufrichtige Lobrede auf den Consul Bonaparte gestattete. „Es ist schön“, lautete das Motto dieses Werkes, „sein Vaterland lieben und Alles für dasselbe thun, aber schöner doch, unendlich schöner, ein Mensch sein und alles Menschliche höher achten, als das Vaterländische.“ Indessen noch in demselben Jahre 1805 änderte sich die Lage der Dinge, der „Held der Freiheit“ gab sich als ehrgeizigen Despoten zu erkennen, der Kosmopolit an der Ostsee, der inzwischen zum außerordentlichen Professor ernannt war, ward zum deutschen Patrioten und schrieb im Grimme der Enttäuschung, so wie im Zorn der Freiheits- und Wahrheitsliebe sein berühmtestes Werk, sein Buch vom „Geist der Zeit“. Noch nie hat das Wort eines einfachen Schriftstellers so jäh und gewaltig gewirkt, wie diese Schrift, die wie eine Bombe ins deutsche Volk schlug, in alle Sprachen Europa’s übersetzt, von ganz Europa gelesen wurde, gelesen mit Schrecken und Staunen, mit Bewunderung und allgemeinem Beifall. Ein bis dahin nur in kleinem literarischen Kreise bekannter Mann hatte es gewagt, in edlem Grimme sich zu Gericht zu setzen über alte und neue Völker, über Republiken und Despoten, über Altadelige und Emporkömmlinge, über die Erbärmlichkeit des Jahrhunderts und über die Schande des Napoleonischen Joches. Ein Bücherschreiber

28 Die National-Zeitung berichtigt korrekt: „Der Storch und seine Familie“.

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hatte dem übermüthigen Herrn der irdischen Heerscharen das Visir aufgerissen und dem Continent, über welchem „der Moder der Zeit dick lag“, das Bild seines Tyrannen und seiner Schande vor Augen gerückt. Was Wenige zu denken gewagt, Arndt hatte es ausgesprochen. Der Despotismus, hatte er gesagt, kommt nicht durch schlaue List über die Welt, sondern durch die Gesammtschuld der übergeistigen Bildung. Der Despot regiert nur, weil man glaubt, daß er regiere. Der Mensch, der keine Menschheit anerkennt, hat keine Religion, denn diese quillt aus der Lebensfülle Aller. Aber es gibt auch keine Menschheit ohne das Volk; nur der freie Bürger ist ein freier Mensch. Nur aus dem ganzen Volke erstehen die Edelsten und Gerechtesten; nur sie sollen herrschen und der freie Bürger wird ihnen gehorchen. Dieses Buch erschien 1806 und bereits 1807 die zweite Auflage. Napoleon ächtete Buch und Verfasser. Das Buch flog durch die Luft, von Haus zu Haus, von Stadt zu Stadt; der Verfasser floh übers Meer unter den Schutz seines Monarchen Gustav IV. nach Stockholm. Dort arbeitete er in der Staats-Kanzlei und schrieb zugleich zum „Geist der Zeit“ den zweiten Theil, der 1808 erschien. Als aber 1809 Napoleon decretirte, das Haus Wasa habe aufgehört zu regieren, und Bernadotte den schwedischen Thron bestieg, floh Arndt nach Deutschland zurück. Von Rügenwalde, wo er im Herbste 1809 landete, wanderte er längs dem pommer’schen Strande, „erkannt, aber unverrathen“, bis in seine rügen’sche Heimat und von dort, weil da seines Bleibens nicht lange sein konnte, zur Weihnacht als „Sprachlehrer Allmann“ nach Berlin. Hiermit begann seine große Irrfahrt, die er selber seine „abentheuerliche Hedschra“ genannt hat. Zwar sah ihn die Greifswalder Universität zu Ostern 1810 wieder auf dem Katheder, aber schon nach einem Jahre legte er das Lehramt ganz nieder, um aufs Neue nach Berlin zu gehen und von da, mit russischen und österreichischen Pässen versehen, nach Breslau zu gelangen, wo Blücher, Scharnhorst und Gneisenau über Preußens Erniedrigung und Deutschlands Schmach in Trauer saßen und der großen Stunde des Volksaufstandes harrten. Noch hatte diese Stunde nicht geschlagen, Arndt setzte seinen Wanderstab weiter nach Rußland. Seine Feder hatte inzwischen nicht gefeiert; es waren in dieser Zeit die „Briefe an Freunde“ erschienen. Die Werke „über die Geschichte und Verfassung Schwedens“, so wie die „Uebersicht der deutschen Geschichte“ waren Manuscripte geblieben. Nach weiter Wanderschaft von Breslau über Prag, Brody, Kiew und Moskau kam Arndt im August 1812 in Petersburg an, wo ihn Stein als wackeren Patrioten und Mitarbeiter an dem großen Werke zum Sturze des Tyrannen und Eroberers begrüßte. Jetzt galt es, das deutsche Volk zu einer Gesammt-Erziehung anzuspornen, und zu diesem Zwecke zog Arndt an der Newa zuerst die „Glocke der Stunde in drei Zügen“. Diese Flugschrift enthielt eine Aufforderung zum Eintritte in die deutsche Legion, sodann eine „Stimme der Wahrheit“ und endlich Mittheilungen „aus Napoleon’s Leben“. Darauf folgte der „Soldaten-Katechismus für die deutsche Legion“ und der „historische Almanach für 1813“. Im Januar 1813 ging Arndt von Petersburg nach Königsberg. Sein Wort „an die Preußen“ (ein Folio-Bogen) hatte schon auf York’s „Abfall“ vorbereitet; jetzt durchflog das Büchlein über „Landwehr und Landsturm“ in kürzester Zeit in Tausenden von Exemplaren die deutschen Gaue, die nur auf das Signal der Sturmglocke zur allgemeinen Notwehr harrten. Der Frühling 1813 fand Arndt in Breslau, wo der König am 2.

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Februar sein Volk zum Streite gerufen hatte. Im April entstand in Dresden der dritte Theil vom „Geist der Zeit“ und eine Abwehr von Verleumdungen wider die deutsche Legion. Im Juni schrieb Arndt in Berlin den „Entwurf der Erziehung und Unterweisung eines Fürsten“ und im Juli zu Reichenbach, wohin ihn Stein berufen hatte, den „Katechismus für den christlichen Kriegs- und Wehrmann“, ein Büchlein, das während des Krieges unzählige Auflagen erlebte und im Vereine mit Arndt’s urfrischen, urkräftigen Vaterlands-, Kriegs- und Wehrliedern mächtiger und gewaltiger als Fürsten-Proclamationen Huntertausende zum Kampfe fürs Vaterland begeisterte. Arndt’s Stimme war jetzt nicht mehr wie 1806 ein Donnerrollen, das die Schläfer aus träger Ruhe weckte, sondern ein scharf schneidiges Schwert, ein Schrecken des Feindes in der Schlacht, der Stolz des deutschen Volkes daheim und draußen im Feldlager. Unauslöschlich stehen in den deutschen Herzen die kernigen Lieder: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ – „Der Gott, der Eisen wachsen ließ“ – „Was blasen die Trompeten? Husaren heraus!“ und das Lied vom Scharnhorst: „Wem soll der höchste Preis sein?“ Es ist der eigenste Geist des deutschen Volkes, der aus diesen Liedern spricht, und eben deßhalb werden sie unverwelklich blühen bis in die spätesten Tage. Von Leipzig, wohin sich der unermüdliche Volks- und Kriegs-Tribun gleich nach der großen Octoberschlacht begab, sandte er eine ganze Reihe publizistischer Flugschriften aus: „Das preußische Volk und Heer im Jahre 1813“ (worin es heißt: „daß Preußen wieder dasteht, verdanken wir nächst Gott der geistigen Freiheit, die der König seinen Unterthanen unverkümmert ließ“) ferner „über Volkshaß und den Gebrauch einer fremden Sprache“, über „“Englands und Frankreichs Verhältniß zu Europa“, „Grundlinien einer deutschen Kriegsordnung“ und vor allem: „Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Gränze“. Gleichzeitig ließ er die erste Abtheilung des dritten Bandes vom „Geist der Zeit“ separat erscheinen unter dem Titel: „Geschichte von Napoleon, wie er nach Rußland ging und wieder herauskam.“ Zu Neujahr 1814 begab er sich von Leipzig nach Frankfurt a.M. und ließ sich von dort „über künftige ständische Verfassungen“ so wie über „Sitte, Mode und Kleidertracht“ vernehmen, während sein Manuscript über deutsche Geschichte umgearbeitet als „Ansichten und Aussichten der deutschen Geschichte“ im Druck erschien. Den Sommer verlebte er am Rhein, namentlich in Coblenz, und wanderte im October zu Fuße nach Berlin, wo er über Winter wieder eine große Zahl von Flugschriften verfaßte: Ueber die Feier der Leipziger Schlacht, Noch ein Wort über die Franzosen und über uns, Entwurf einer deutschen Gesellschaft, Friedrich August, König von Sachsen und sein Volk, Phantasien für ein künftiges Deutschland, Blick aus der Zeit in die Zeit, über Preußens rheinische Mark und über Bundes-Festungen, endlich über den Bauernstand und seine Stellvertretung im Staate. Um Ostern 1815 ging er von Berlin nach Aachen und kam von da hieher nach Köln, wo er die Zeitschrift „Der Wächter“ in drei Bänden herausgab, welche den Grundsatz zur Geltung bringen sollte, daß der eigentliche Begriff politischer Freiheit die höchste und ausnahmelose Herrschaft des Gesetzes sei. Für den Bauernstand, dessen beredter Anwalt er von jeher gewesen, hielt er auch hier wieder eine eindringliche Schutzrede „über die Pflegung und Erhaltung der Forsten und Bauern im Sinne einer höheren, d. h. menschlichen Gesetzgebung“. Im folgenden Jahre kam er nach sechsjähriger Abwesenheit wieder in seine pommer’sche Heimat, blieb dort ein Jahr, um einmal

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von seiner langen Wanderschaft auszuruhen, begab sich dann nach Berlin, veröffentlichte dort die daheim verfaßte „Geschichte der Veränderung der bäuerlichen und herrschaftlichen Verhältnisse in Schwedisch-Pommern und Rügen“ und ließ sich, nachdem der Staatskanzler Hardenberg ihm ein Wartegehalt29 bewilligt und dem zunächst an einer preußischen Universität vacant werdenden Lehrstuhl der Geschichte zugesagt hatte, im Herbst 1817 am Rhein in Bonn häuslich nieder. Hier gab er seine reizenden „Märchen und Jugend-Erinnerungen“ heraus, durch die er bekundete, daß ihm in Waffenlärm und Kriegsgetümmel, worin seine Stimme sich so oft und so gewaltig vernehmen lassen, der zarte Sinn für das Häusliche und für der Kinder wunderbare Märchenwelt, ein schönes Erbe seiner Mutter, nicht abhanden gekommen, sondern treu bewahrt geblieben war. Nun gründete er sich auch einen festen Herd und vermählte sich, als er an der neugegründeten Universität zu Bonn als Professor der neueren Geschichte angestellt worden war, mit der Schwester Schleiermachers. | Kaum hatte Arndt den akademischen Lehrstuhl in Bonn bestiegen, als auch der vierte Band vom „Geist der Zeit“ erschien, in welchem er die Fürsten Deutschlands mahnte, die in den Tagen der Noth gegebenen Versprechungen jetzt nun auch zu halten und dem Volke zu geben, was des Volkes sei. Dieses Buch mißfiel den Machthabern so entschieden, daß der König Friedrich Wilhelm III. sich veranlaßt sah, den allzu freimüthigen Verfasser eine Warnung und einen Verweis zukommen zu lassen. Arndt erklärte darauf in seiner an den Staatskanzler gerichteten Rechtfertigungsschrift, seine Ansichten seien noch immer dieselben, wie seither, und er noch immer der alte treue königische Patriot. Ja, er hatte sich allerdings nicht geändert, aber die Ansichten der Machthaber waren wesentlich andere geworden. Am 23. März 1819 ward Kotzebue ermordet, und die Jagd auf die „Demagogen“ begann. Alles, was in Deutschland volksthümlich dachte, frei strebte und muthig sprach, mußte an jenem vereinzelten Meuchelmorde mitschuldig sein, wurde in den finsteren Kreis der Verdächtigung hineingezogen. Auch Arndt wurde verdächtigt, sein Haus durchsucht, seine Papiere, Briefe, Manuscripte und Bücher mit Beschlag belegt und am 10. November 1820 die Suspension vom Amte über ihn verhängt. Damals schrieb er an den Staatskanzler Hardenberg: „Was soll das nichtige und blöde Gefecht gegen die Geister, die durch leibliche Fäuste nicht zu besiegen sind? Was sollen die Streiche gegen das Unverwundliche und die Banne und Achte gegen das Unsichtbare und Allenthalbene? Wehe uns Allen, wenn, was über der Erde entschieden und geschlichtet werden soll, in den gemeinen Staub des Faustkampfes hinabgerissen wird! Das war von je her der Weg, aus Wasser Blut zu pressen und fliegenden Sand in festen Granitfelsen zu verhärten.“ Zum Publikum sprach er ein „Abgenöthigtes Wort in meiner Sache“. Im Frühjahr 1821 begann wider ihn die geheime Kriminaluntersuchung „wegen Theilnahme an burschenschaftlichen Umtrieben“ (insbesondere wurden ihm verschiedene unter seinen Papieren gefundene Randglossen, welche der König selbst verfaßt hatte, als Hochverrath angerechnet), währte fast anderthalb Jahr und endete im Sommer 1822 damit, daß Angeklagter von der Anklage freigesprochen wurde, aber von seiner

29 National-Zeitung ändert: „Wartegeld“.

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Amtsthätigkeit suspendiert blieb. Da saß nun der Professor a.D. in seinem Häuschen am Rhein weit vor dem koblenzer Thore lange, lange Jahre, schweigsam, aber nicht thatenlos. Von Zeit zu Zeit veröffentlichte er eine Schrift, ein Votum in verschiedenen europäischen Fragen, so 1828 „Christliches und Türkisches“, 1831 „Die Frage über die Niederlande“, 1834 „Belgien und was daran hängt“; 1826 erschien „Nebenstunden, Beschreibung und Geschichte der schottländischen Inseln und der Orkaden“, 1834 das „Leben G. Aßmann’s“ und 1839 „Schwedische Geschichten unter Gustav III. und Gustav IV. Adolf“. Vom deutschen Vaterlande schwieg der wackere Mann ganz, sein herrliches Lied durfte nirgends in Deutschland mehr gesungen und seiner selbst nirgends mehr laut gedacht werden. Da kam der Sommer 1840, und Friedrich Wilhelm IV. setzte den getreuen Eckard des deutschen Volkes wieder in Amt und Thätigkeit. Wieder nach langem Schweigen zum Reden berufen, sagte Arndt selbst, „konnte es einem Greis, der von der Last des Alters und anderen Lasten zusammengedrückt, im Schimmel der Unthätigkeit und Vergessenheit gelegen hatte, nicht einfallen, daß er noch Klang und Ton haben könne, wie weiland“; aber er wollte doch gern „die alten zusammengeschrumpften Blätter wieder regen und entfalten“. Die akademische Jugend empfing ihn mit Jubel, der Senat wählte ihn gleich über das Jahr 1841 zum Rector Magnificus. Nach seinen Büchern ward in Deutschland wieder starke Nachfrage, und so erschienen: 1840 Gedichte (neue, verminderte und doch vermehrte Auflage), „Erinnerungen aus dem äußeren Leben“ (drei Auflagen in zwei Jahren), 1842 „das Turnwesen“, 1843 „Versuch in vergleichender Völkergeschichte“ (bereits 1844 in zweiter Auflage), 1814 „Schriften für und an meine lieben Deutschen“ (eine Sammlung früherer Flugschriften in drei Bänden) und „die rheinischen ritterbürtigen Autonomen“, 1846 „Rhein- und Ahr-Wanderungen“ (zweite Auflage der Wanderungen aus und um Godesberg), sowie „Zugabe zu Diderot’s Grundgesetz der Natur“, und 1847, als die alten Verdächtigungen wieder angesponnen zu werden schienen, der „nothgedrungene Bericht aus meinem Leben aus und mit Urkunden“, welcher die aktenmäßige Geschichte des Kriminal-Prozesses von 1820–1822 enthält. Im April 1848 ward der „alte Arndt“, der die neue Zeit mit der Flugschrift „das verjüngte oder zu verjüngende Deutschland“ begrüßte, vom fünfzehnten rhein-preußischen Wahlbezirke als Volksvertreter in die deutsche Nationalversammlung nach Frankfurt a.M. gesandt. Dort trat er unter die Männer der Paulskirche als der „älteste weißeste“ Mann, „nicht der weiseste (fügte er selbst bescheiden hinzu), ich bin nicht so dumm, das ich das glaube“. Er wollte in der Versammlung nur „das alte ehrliche deutsche Gewissen“ vorstellen und „als solches eine Stimme haben“. Und dieses Gewissen, er hat es vorgestellt, diese Stimme, er hat sie gehabt. Und wenn Herwegh sieben Jahre zuvor von ihm gesungen, er sei ein „Abendroth“, das zwar „noch manches Auge feuchten“, aber „die junge Welt nicht mehr erleuchten“ könne; der fast achtzigjährige Greis hat vor der jungen grünen Welt hier seine alte Sonne in einer Klarheit leuchten lassen, daß die „funkelnden Sonnen“ (wie Herwegh gesungen) der äußersten linken gleich Windlichtern erblaßten.30 Der Reichstag huldigte ihm als dem Deutschesten der Deut30 Dieser Doppelsatz über Georg Herweghs Arndt-Sicht wird von der National-Zeitung und der Stettiner Zeitung nicht nachgedruckt.

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schen und hielt ihn in Ehren, auch als die Parteien sich schon gesondert hatten und aus einander platzten. Der achtzigjährige Greis stand mit seiner ganzen Seele bei den Erbkaiserlichen und ging auch mit der deutschen Krone nach Berlin. Auch Gedichte schrieb er in dieser Zeit und sammelte sie als „Blätter der Erinnerung meistens um und aus der Paulskriche“. Am 15. Mai 1849 stand er zum letzten Male auf der Tribüne und sprach von der Einheit des deustchen Volkes, das, wenn es auch nur halb einig wäre, die Welt überwinden müßte, wie weiland. Eine Woche später trat er mit der Partei Gagern aus der Paulskirche aus, und das Rumpf-Parlament verfiel seinem Verhängniß.31 Aber der greise Tribun rastete nicht. Kräftig wie weiland führte er die Feder und richtete in Flugschriften und Blättern geharnischte Mahnworte an die deutsche Nation. So frisch war sein Alter, wie greisender Wein.32 Kein grämlich verdrossener Lobredner der „guten alten Zeit“, sondern ein liebevoller Betrachter der zukunftverheißenden Keime der Gegenwart: so hat er unter uns gestanden bis an das Ende seiner Tage. Im Jahre 1850 richtete er seinen „Mahnruf an alle deutsche Gaue in betreff der schleswig-holstein’schen Sache“, im Frühjahr 1854 erschien sein liebenswürdiges Buch „Pro populo germanico“ und 1858 sein letztes Werk: „Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichs-Freiherrn vom Stein“. Im Laufe des vorigen Jahres beschäftigte sich Arndt mit der Sammlung und Sichtung seiner Gedichte, deren Gesammt-Ausgabe nunmehr zu erwarten steht. Die Universität Greifswald setzte ihm bei ihrem 400jährigen Jubiläum im October 1856 ein Denkmal (seine Reliefbüste am Rubenow-Monument), wofür er seinen Dank in den schönen Worten aussprach: „Ich habe nach dem Ruhm eines ehrlichen Mannes gestrebt. Will man durch das Denkmal mir eine gewisse Beständigkeit und Festigkeit des Lebens ehren, was man den nordischen, altsächsischen, pommer’schen Charakter nennt, so ist das eine Ehre, die ich mit Stolz annehme; mit dem Stolz, ein Sohn Pommerns zu sein. Möge der Name Pommern als der Name der Tapferkeit, Redlichkeit und Treue ein unsterblicher Name bleiben.“ Ein rheinischer Gerichtshof aber verurtheilte den in Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit grau und weiß gewordenen Alten wegen Wiedererzählung einer (wie sich jetzt von allen Seiten bestätigt hat, auf Thatsachen begründeten) Aeußerung des Reichsfreiherrn vom Stein über den General Wrede zum – Gefängniß. Am 26. December 1859 vollendete er sein neunzigjähriges Lebensjahr. Aus dem ganzen deutschen Vaterlande, aus Nähe und Ferne, kamen ihm, der drei Menschenalter gesehen, die Grüße und Glückwünsche, die Liebes- und Verehrungszeichen, die Briefe und Botschaften; aber so stark und rüstig er körperlich noch immer war, so daß er nicht nur ohne Brille und ohne Krückstock dahinwandelte, sondern auch noch Tagemärsche von mehreren Meilen machen konnte: die geistige Aufregung und die Gemüths-Bewegung über die ihm an diesem seinem Geburtstage bewiesene große Liebe konnte er nicht verwinden. Nach kurzem Krankenlager, auf das ihn ein gastrisches Fieber geworfen, ist er in der Mittagsstunde des 29. Januar sanft verschieden.

31 Der letzte Halbsatz wird von der National-Zeitung und der Stettiner Zeitung weggelassen. 32 Dieser Satz wird von den nachdruckenden Zeitungen als Zitat gekennzeichnet.

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Er hinterläßt seine „tapfere und treue“ Lebensgefährtin, die Schwester Schleiermachers, eine verehrungswürdige Matrone, welche 43 Jahre mit dem Gatten Freude und Leid getheilt, nebst vier Söhnen und einer Tochter, aus erster Ehe aber einen Sohn, Forstmeister in Trier, mit zahlreicher, so eben mutterlos gewordener Familie. Was Ernst Moritz Arndt seinem großen Freunde Stein nachgerufen, das rufen wir auch ihm nach: „Ewig daure das Gedächtniß des deutschen Biedermannes! Frisch stehe seine Tugend in dieser gewaltigen Zeit vor uns, damit wir wissen, wie wir handeln und leiden sollen, wenn das Vaterland uns aufruft.“ H[ermann] Gr[ieben]33 [Direkt im Anschluß:] Nr. 16a Kölnische Zeitung (1860) Nr. 36, 5.2.1860, S.3 [S/S Nr. 3597]: Was thun wir für Ernst Moritz Arndt? Aus Bonn geht uns Folgendes zur Veröffentlichung zu, das wir um so weniger bei seite legen wollen, als es von einem namhaften, mit Arndt befreundeten Manne herrührt: „Kaum ist jemals ein Mann von der gesammten deutschen Nation so getragen worden, wie der so eben von uns geschiedene wahrhaft deutsche Mann Ernst Moritz Arndt, und Niemand hat mehr verdient, es zu werden, als er. Denn seit dem Augenblicke, da er kühn mit dem „Geist der Zeit“ hervortrat, bis an sein Ende hat er nicht aufgehört, unermüdlich für die deutsche Sache zu bilden, zu ringen, zu wirken durch Schrift und lebendiges Wort. Daher muß auch die ganze Nation darauf bedacht sein, seinem Andenken ein dauerndes Denkmal der Liebe und Verehrung zu setzen. Allein, wird man fragen, wie soll das geschehen? Vielleicht möchte folgender Vorschlag der Beachtung nicht unwerth sein. der verehrte Hingeschiedene hinterläßt ein Haus und Garten am Rheine nahe Bonn. Das Haus hat er sich bauen lassen, den Garten selbst angelegt. Der letztere war ihm besonders lieb und werth, und noch im verwichenen Herbste sah man ihn, den rüstigen Greis, in die selbst gepflanzten Bäume hinaufsteigen, sie beschneiden und pflegen. Wie wenn die Deutschen jetzt, nachdem Arndt aus ihrer Mitte geschieden ist, sein Besitzthum kauften und ein „Ernst-MoritzArndt-Stift“ daraus machten? – Was und wie viel dieses Stift leisten könnte, würde natürlich von den zusammengebrachten Mitteln abhängig sein. So müßten sich zu diesem Zwecke in allen Gegenden Deutschlands, in jeder Stadt, ja, in jedem Dorfe und überall, wo deutscher Sinn und deutsche Sitte genährt wird, Vereine bilden, Sammlungen veranstaltet werden. Männer und Jünglinge, Frauen und Jungfrauen müßten darin wetteifern, zu diesem Denkmale der Verehrung und Dankbarkeit nach Kräften beizusteuern. So könnte diese Stiftung vielleicht ein Trost werden für Arndt’s späteste Nachkommen; ein Zufluchtsort für in Dürftigkeit lebende patriotische Dichter und Schriftsteller; endlich ein Wahrzeichen dafür, daß die deutsche Nation das Verdienst anzuerkennen versteht. Es hat ja Frankreich sein Pantheon, England sein Westminster und seine St. Pauls-Kirche und sammelt für Richard Cobden zum zweiten Male ein großes Vermögen – soll Deutschland nichts thun für seine edelsten Söhne?“ 33 Die Verfasserkürzel wurden von den nachdruckenden Zeitungen nicht übernommen. Die National-Zeitung schließt ihrem Nachdruck des Artikels den „Aufruf an das deutsche Volk“ mit vollständiger Signatar-Liste an.

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Was wir thun sollen, um das Andenken von E.M.Arndt heilig zu halten, das ist eine Frage, in der wir unsere Meinung nicht vordrängen wollen. Aber daß wir etwas thun wollen, das halten wir zu Ehren des deutschen Volkes für ausgemacht. In Bezug auf Obenstehendes bemerken wir Folgendes. Arndt hat nie das Seine gesucht; er ist ein Vir innocens im Sinne der Alten gewesen. Er hat gewirkt, so lange es Tag war: er ist bis zum letzten Athemzuge thätig gewesen. Er hat ohne allen Anstand ein einfaches Leben geführt, aber er hatte für Viele zu sorgen und hat manches Unglück erlebt. Er hinterläßt den Seinen, glauben wir, nichts als sein kleines Haus, das neulich in der Illustriten Zeitung abgebildet war, mit dem Gärtchen, dessen Gärtner er fast ein halbes Jahrhundert gewesen ist. Sein kleines Besitzthum am vaterländischen Strome, für dessen Wiedergewinnung und Erhaltung er so tapfer kämpfte, war ihm sehr ans Herz gewachsen. So schwere Kränkungen er auch 1818 und 1820 erlebte, pries er doch dankbar die Gnade des Königs, daß er mit seinem „treuen, tapferen Weibe“ nicht aus seinem kleinen Paradiese vertrieben sei. Sie hat ihn jetzt überlebt, wenn auch hochbetagt, die treue, tapfere Gattin, die von allen, welche sie kennen, geliebt und verehrt wird. Wir sagen nichts von den Kindern und Enkelkindern, die Arndt hinterlassen hat; aber können und dürfen wir zugeben, daß sein geliebtes Weib, die Schwester Schleiermacher’s, am späten Abend ihres Lebens aus der ihr heiligen Stätte vertrieben werde? Und doch ist die Gefahr wahr. Wir hören aus Bonn von mehreren Seiten, daß die Bauspeculanten schon mit gierigen Augen nach dem kleinen Grundstück blicken. Ach, es mag vielleicht nur wenig dazu gehören, um die letzte Pflicht gegen Ernst Moritz Arndt’s hinterlassene Witwe zu erfüllen: aber erfüllt muß sie werden, nicht wahr? Das ist das Eine oder doch das Nächste, was noth thut. Doch wir thun wohl besser, abzuwarten, was von Seiten des preußischen Staates geschieht, der keinen treueren, anhänglicheren und mehr begeisterten Bürger hatte, als Ernst Moritz Arndt.

Nr. 17 Augsburger Allgemeine Zeitung Nr. 35 v. Fr.4.2.1860, S. 560 [S/S Nr. 2059] Wien, 1. Febr. [darin zu Arndt folgender Abschnitt:] Sämmtliche Wiener Blätter widmen dem hingeschiedenen Arndt einen ehrenden warm gefühlten Nachruf. Wir heben folgende Worte der Oesterr. Ztg. heraus: „Er war der erste, der den Rhein als Deutschlands Fluß proclamirte, und seinen letzten Athemzug hauchte er in dem Land aus, das stets Object romanischer Gelüste gewesen, und stets von deutschem Herzblut wiedererkämpft wurde, er ist zu Bonn am linken Rheinufer gestorben. In jener dem Feind abgerungenen Gegend werden die Gebeine des Mannes ruhen der diese Rebenhügel wieder zu erobern mit seinem Wort aufforderte. Nie soll der Feind dieses Palladium erbeuten. Das muß der Deutschen Sorge, muß Deutschlands Streben seyn. Ein Zeichen hat der Himmel ihnen gesandt, und sie sollen ihm folgen. Arndts Grab muß auf deutschem Boden bleiben. Sollte die Stunde je kommen, und sie ist vielleicht nicht fern, der Welt zu bezeugen, daß der Rhein nicht Deutschlands Gränze sey, so möge aus dem Grab in Bonn der Geist Arndts entsteigen, und die deutschen Jünglinge wieder führen zu Schlacht und Sieg. Das ganze Deutschland muß die Losung seyn.“

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Nr. 18 Weimarer Zeitung, Nr. 30 v. 4.2.1860, S. 117 (ganzseitig) [S/S Nr. 2069] Zu E.M. Arndts Gedächtniß. K.B. [=Karl Biedermann] Weimar, 3 Februar Die öffentlichen Blätter bringen jetzt wetteifernd Nachrufe für den von der ganzen Nation betrauerten Todten. Wir haben dem noch lebenden die Worte herzlichster Verehrung an seinem letzten Ehrentage gewidmet und unser tiefes schmerzliches Gefühl sogleich bei der Nachricht seines Todes ausgesprochen. Es wird aber unsern Lesern nicht zuviel des Hörens von einem solchen Manne sein, wenn wir hier einige jener Nachrufe wenigstens in Auszügen mittheilen. Die Preuß. Z. sagt:34 „Was hat dieser Mann so Besonderes gethan? hören wir klügelnde Ueberweisheit verwundert fragen. In der That, er hat gar nichts so Besonderes gethan. Sein Größtes ist, daß er immer in vollem Maße gethan hat, was wir Alle immer thun sollten: er hat sein Vaterland mit feuriger, treuer Mannesliebe geliebt, er ist sein Lebtag ein tapferer, wahrer, biederer Deutscher gewesen, er hat nie aufgehört, seinen lieben Deutschen mit den gesunden Empfindungen und den mannhaften Handlungen eines echten Patrioten voranzugehen. In den Tagen tiefer nationaler Schmach zerriß er in tapferem frommem Gottvertrauen die Ketten der feigen Geduld, und warf sich dem Feinde entgegen mit den Waffen der schneidenden Rede und des stürmenden Gesanges und ward ein kühner Genosse unserer Größesten und Tapfersten, unserer Stein, Scharnhorst und Blücher. Daß es ein Deutschland gebe, ein großes herrliches Vaterland, werth des Stolzes und der Liebe der Besten, daß diesem Vaterlande jeder gute Sohn sein Theuerstes zu opfern verpflichtet sei, diese große, lange vergessene Wahrheit rief und sang Niemand frischer und ergreifender in das Gemüth unseres Volkes hinein, als der Sänger von Rügen. Und der Lehre stand die That zur Seite. Der Tapfere, an Geist und Körper gleich Feste und Rüstige zeigte, welche Mühen und Entbehrungen der deutsche Mann mit heiterem Sinne zu ertragen vermag. Dann kam die Zeit des trägen Friedens. Es schien eine Zeit lang, als sollte Deutschland dafür bestraft werden, daß es so treu und tapfer zu seinen Fürsten gestanden. Ein kleinlicher Verdacht wagte seine Hand auch an den Loyalsten zu legen, an diesen wahrhaft „königischen“ Mann. Wer heute den „Nothgedrungenen Bericht“ liest und sich erinnert, daß auf so nichtige Anschuldigungen hin ein solcher Mann zwanzig Jahre lang von Amt und Thätigkeit fern gehalten wurde, der wird wohl zugeben, daß in jenen trüben Zeiten Niemandem ein so bitteres Unrecht widerfahren ist, als Arndt. Er hätte wahrlich Grund gehabt zu grollen. Aber während so Viele damals von unendlich geringeren Kränkungen sich zu Maßlosigkeit, zu Verachtung der öffentlichen Ordnung und Geringschätzung des Vaterlandes treiben ließen, Ernst Moritz Arndt blieb treu, treu seinem Könige, treu seinem Vaterlande. Und er blieb nicht nur treu und besonnen, er blieb auch frisch und heiter, immer derselbe in liebenswürdiger Heiterkeit, in jugendlicher Liebe und Hoffnung für sein Vaterland.

34 Vgl. oben Text Nr. 10.

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Derselbe, den man zwanzig Jahre als Demagogen mißtrauisch zur Seite geschoben hatte, sollte dann auch noch erleben, daß ein großer Theil seiner lieben Deutschen ihn als Reactionair und Aristokraten in den Bann that. Ihn hat das so wenig angefochten als das Andere: er blieb der beste, nie verzweifelnde, nie in Unwillen sich abkehrende Patriot. Er blieb endlich derselbe, als abermals der Wechsel der Zeiten die gehobenen nationalen Hoffnungen begrub und dumpfes Mißbehagen über das Land breitete. Ein hochbetagter Greis, entfaltete er erst jetzt recht herrlich die frische Jugendlichkeit seines deutschen Herzens; er wurde nicht müde, dem verzagenden Volke seine tapferen Mahnungen zuzurufen, und den von der Ungerechtigkeit der Zeit am tiefsten Gekränkten, den Schleswig-Holsteinern und den Hessen mit guten, starken Trostesworten beizustehen. Ja er, der Achtundachtzigjährige, griff nochmals in den Schatz seiner großen Erinnerungen und schrieb seine Wanderungen mit dem Reichsfreiherrn v. Stein und zeigte uns mit der kernigen Kraft seiner wunderbar frischen Rede, wie Andere unendlich schlimmere Zeiten getragen und nicht nur sie getragen, sondern mit heldenmüthiger Arbeit ihre niederdrückende Wucht abgeschüttelt hatten. … Wahrlich, wir werden gut thun, in dem heftigen Streit der deutschen Gegensätze uns recht oft und ernstlich die deutsche Liebe und den deutschen Glauben zu vergegenwärtigen, welche Ernst Moritz Arndt durch ein schweres Leben frisch und sicher hindurch geleitet und ihm die Kraft verliehen haben, in den verschiedensten Lagen belebend und ermunternd auf seine Zeitgenossen einzuwirken. Wenn unsere Tage hie und da andere Begabungen verlangen, so wird doch stets die uneigennützige Hingabe an das Gemeinwesen, die innige Liebe zum Vaterland, der treue deutsche Sinn, der frische, muthige Glaube das Beste thun müssen zur Lösung der uns gestellten Aufgaben. Darin soll uns das Beispiel des Trefflichen, den heute die Theilnahme der ganzen Nation zu seiner letzten Ruhe geleitet, stets voranleuchten, daß Pfiffigkeit und feige Selbstsucht das theure Erbe der Väter nie preisgeben lasse.“ Die Deutsche Allg. Z. sagt:35 „Arndt war keiner jener höchstbegabten, mit dem besonderen Stempel des Genius bezeichneten Geister, welche eine Nation feiert, weil sie darin sich selbst verherrlicht und in den Werken des Genius die Offenbarungen des Weltgeistes sieht. Einem Schiller und Goethe war Arndt, obschon auch er ein trefflicher, wirkungsreicher Dichter im bescheidenen Bereiche der Lyrik, nicht ebenbürtig; ebenso wenig seinem berühmtesten Altersgenossen, dem gewaltigen Durchforscher aller Weltgegenden und aller Naturreiche, Alexander v. Humboldt, obschon auch Arndt ein gutes Stück Welt gesehen, durchwandert und mit frischen Sinne beobachtet hatte. Noch viel weniger aber war Arndt auf der andern Seite etwa ein „Volksmann“ in jenem in neuerer Zeit so oft gebrauchten, noch öfter mißbrauchten Sinne des Worts, am allerwenigsten ein Schmeichler der Menge. Wie sein großer Freund Stein, sagte er ungeschminkt und unverzagt die Wahrheit den Großen, aber nicht minder stark auch, wo es noth that, dem Volke und über das Volk. Gunstbuhlerei war ihm nach dieser Seite fremd wie nach jener. Auch einen staatsmännischen Geist von höherer schöpferischer Kraft kann man ihn kaum nennen: seine Plane und Fingerzeige in Betreff der dem wiederbefreiten Deutschland zu gebenden Verfassung, wie sie in seinem ‚Geist der Zeit‘

35 Der DAZ-Jahrgang 1860 lag mir nicht vor.

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sich finden, sind wohlgemeint und echt patriotisch, verrathen aber doch kaum den weiter blickenden, das wahrhaft Wesenhafte und Bestandhabende in den staatlichen Verhältnissen aus augenblicklich verworrenen Zuständen herausführenden und weit im voraus andeutenden Politiker. Was also war es, was Arndt der Nation so theuer, was seine Stimme in allen vaterländischen Dingen so gewichtig, was ihn gewissermaßen zu einem Urtypus und Musterbild deutschen Wesens machte? Arndt selbst hat es richtig bezeichnet, wenn er in der Paulskirche einmal – unter unermeßlichem Jubel der Versammlung und der Zuhörer – sich „ein altes, gutes deutsches Gewissen“ nannte, wenn er noch in einem seiner letzten Briefe, nach seinem Jubiläum, den Grund der allgemeinen Liebe, die ihn so hoch beglückte, darin fand, „daß die Nation erkenne, wie ihn in seinen vaterländischen Bestrebungen und Arbeiten immer nur der volle Ernst, ohne Querblick auf Ehre oder Gewinn, geleitet“. Zu dieser niemals auch nur von den kleinsten Flecken getrübten Reinheit seines öffentlichen Charakters kam die Ursprünglichkeit und Frische seiner durch und durch thatkräftigen und thatlustigen Natur, kam die durch keine Gedankenblässe angekränkelte Tüchtigkeit seines gesunden Menschenverstandes, der Dinge und Menschen immer aus dem Ganzen und Vollen, immer aus dem Leben und der frischen, unmittelbaren Beobachtung erfaßte und behandelte, kam die Unermüdlichkeit seines Strebens und die Unverzagtheit seines Hoffens in allen großen vaterländischen Angelegenheiten, kam endlich die Erinnerung an das, was er trotz seiner edelsten patriotischen Anstrengungen, ja gewissermaßen für diese gelitten, und an die männlich heitere, von Bitterkeit wie von Verkümmerung gänzlich ferne Art, wie er es gelitten, und die Erinnerung an das, was er geleistet in einer Zeit, die zu den verhängnißvollsten, aber auch größten in unserer Geschichte gehört. Er war die letzte jener großen Gestalten, die uns die Zeit der Befreiungskriege verkörpert vor Augen stellten. Auch er ist hingegangen. Möge wenigstens sein Geist unter uns, in uns fortleben und wirksam sein!“ Das Frkf. J. bemerkt am Schlusse seines Nachrufes an Arndt:36 „Wir wissen, daß wir von ihm sagen können, wie er einst von jenem Manne, wie Deutschland sie jetzt brauchen könnte, von Stein geschrieben: ‚Ewig daure das Gedächtniß des deutschen Biedermanns! Frisch stehe seine Tugend in dieser gewaltigen Zeit vor uns, damit wir wissen, wie wir handeln und leiden sollen, wann das Vaterland uns aufruft!’“ Die Köln. Z. sagt von Arndt:37 „Seine Bedeutung lag nicht im Einzelnen, sondern in dem ganzen Manne. Er hat die Deutschen ihr Vaterland und sich selbst wieder achten und lieben gelernt. Die Wahrheit, Treue, Geradheit, Keuschheit, Tapferkeit, Männlichkeit, alle Vorzüge, die das deutsche Volk von alten Zeiten her auszeichnet, hat er gelehrt und gepriesen und, was mehr werth ist, in seiner eigenen Person dargestellt.“

36 Das Frankfurter Journal lag mir nicht vor, vgl. aber oben Text Nr. 16. 37 Vgl. oben Text Nr. 14.

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Nr. 19 Privilegirte Stettiner Zeitung. Morgen-Ausgabe Nr. ** v. So. 5.2.1860, S. 138 Bonn, 2. Februar. Die Hülle des kräftigsten Jubelgreises, unseres Vaters Arndt, wurde gestern zur Erde bestattet, unsere Stadt beklagt den Verlust ihres ältesten und besten Bürgers. Zwar haben wir Arndt nicht gänzlich verloren: das Andenken an ihn wird von Geschlecht zu Geschlecht, Jung und Alt erhebend, sich forterben, sein Name stets unter unseren besten Männern genannt und gepriesen werden. Doch auch sein Bild soll noch fortan unter uns wandeln. So wie wir ihn seit Menschengedenken geschaut, bescheiden und anspruchslos, das Haupt vorgebeugt, den Stab in der Hand nicht zur Stütze, sondern zur Weisung, die deutsche Kappe zum freundlichen Gruße herabgenommen, in der Haltung stramm und fest, heiter und gut, so soll das Erzstandbild Arndt’s unter uns leben, und als Hort und Wächter in die Fluten des geliebten Rheines blicken. Das deutsche Volk, dessen liebende Theilnahme Arndt noch in den letzten Tagen seines Lebens in so reichem Maße genossen, muß nicht erst gemahnt werden, seinem treuesten Vorkämpfer ein dauerndes Denkmal zu stiften; es wird rasch und freudig seine Ehrenpflicht erfüllen. Wir zweifeln nicht, daß eben nur dem von allen Freunden Arndt’s – und wo zählte er deren nicht? – gehegten Wunsche ein offener Ausdruck gegeben werden darf, um in Bonn die Gründung eines Komitee’s zur Errichtung eines Erzstandbildes für Arndt zu veranlassen und im ganzen Vaterlande die thatkräftige Theilnahme für das würdige Gelingen des Werkes zu entzünden. (Sehr gut sagt die „K.Z.“, aber haben wir, hat unser Vertreter, der Staat nicht vor allen Dingen noch andere, näher liegende Pflichten zu erfüllen? Niemand wird besser wissen, was wir meinen als der Unterrichts-Minister, der langjährige, vertraute Freund des alten Arndt.)

Nr. 20 Der Pan-Germane. Deutsch-belgisches Wochenblatt. Brüssel, 2. Jg. Nr. 6 v. So. 5.2.1860, S. 41f. [S/S Nr. 2066] (Verfasser: Fritz Bader) Ernst Moritz Arndt Das schönste Loos, das die Alten sich vorzustellen vermochten, war inmitten der Freude, inmitten des Triumphes zu sterben. So starb Arndt. Als wir vor vier Wochen sahen, wie Deutschland sich um ihn schaarte, und ihm von allen Ecken und Enden, „so weit die deutsche Zunge klingt“, Worte des Grusses, der Verehrung und der Liebe zugerufen wurden, da fürchteten wir allerdings, dass diese Ueberraschung, diese Ueberschüttung den alten Greis zu mächtig erregen und seine Gewissenhaftigkeit, jedes Liebeszeichen zu erwiedern, ihn der nothwendigen Ruhe berauben und seine Gesundheit erschüttern möchte. Deutschland hat seinen edelsten Mann mit Liebe getödtet. Er sah nicht das verheissene Land; er starb nicht im Triumph seines Kampfes, aber er starb in der Freude der allgemeinen Anerkennung seines lebenslänglichen Wirkens. 38 Nach Bonner Zeitung vermutl. v. 3.2.1860 – vgl. den Artikel der Köln. Ztg. v. 5.2.1860 = oben Text Nr. 16a.

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Mit hohen Orden konnte er seinen Rock nicht besonders zieren – aber die Millionen deutscher Herzen, welche sich mit Freuden an seine Brust gefesselt hätten, sie sind die köstlichste Zierde des Mannes, dessen Herz sein Vaterland war. Jetzt wird man ihn in Marmor hauen, in Erz giessen und auf ’s neue beweisen, dass die würdigsten Männer erst nach ihrem Tode die Anerkennung finden, welche sie während ihrer Lebenszeit verdient hätten. Am herzlichsten hat sich Arndt über die Glückwünsche gefreut, welche ihm von flämischen Schriftstellern aus Antwerpen und Brüssel an seinem Geburtstage zugeschickt wurden. In einem Briefe, den er uns unterm 10. Januar d.J. schrieb – und den wir bisher nicht mitgetheilt, weil er an uns persönlich gerichtet war – spricht er dieses nochmals aus. Wir würden uns jedoch an dem Andenken dieses allverehrten Mannes zu versündigen glauben, wollten wir jetzt noch anstehen, denselben zu veröffentlichen. Niemand vermöchte die jugendliche Begeisterung, die kindliche Herzlichkeit, die unübertreffliche Bescheidenheit und die unverwüstliche Hoffnung dieses „schneeweissen Neunzigers“ besser zu schildern als seine Worte selbst: Theurer Herr und Freund! Vivat Germania ipsa immo ipsissima! Vivat vestra Pangermania, et animus, qui illam concepit! 39 Nehmen Sie zugleich meinen treuesten Gegengruss für alle Grüsse und Glückwünsche edler tapfrer Belgen freundlich in Empfang und liefern Sie in meinem Namen gütigst an die Freunde ab. Wolle Gott, ihr wackern Männer, Euer edles Streben fort und fort mit einem glücklichen Erfolg segnen! … Mir altem schneeweissen Neunziger sind von allen Enden germanischer Zunge freundlichste Zeichen der Ehren und Freuden ins Haus und Herz geflogen. Eine reiche Freude: nicht, dass ich meine, alle verdient zu haben, sondern weil ich sehe, dass deutsches Leben in allen Landen die Adlerflügel der Hoffnung künftiger Herrlichkeit regt und hebt. Ich schaue dabei in die germanischen Jahrhunderte unserer Enkel und Urenkel hinaus. Also ein glückliches Jahr 1860 und mit frischem Muth immer vorwärts! In deutscher Treue Ihr E. M. ARNDT. Bonn, 8. Wintermonds 1860 Am 1. Februar wurde die Hülle des „deutschesten der Deutschen“ in Bonn zur Erde bestattet. Die Studirenden mit ihren Fahnen und Verbindungsfarben, Ehrendeputatioonen verschiedener Universitäten, die Vertreter vieler rheinischer Turnvereine, die Civil-, Militär- und städtischen Behörden von Bonn und Köln, der Senat und die Professoren der Universität, die Lehrer-Collegien, die greisen Häupter des Bonner Veteranenvereins, und gleich nach den Leidtragenden der Oberpräsident der Rheinprovinz, von Pommer-Esche, folgten dem Leichenzuge, begleitet von der Bevölkerung Bonns und vielen Einwohnern Kölns und anderer Städte, welche zu dieser Trauerfeier geeilt waren. Unter Absingung des von dem Verblichenen gedichteten Liedes:

39 Es lebe Deutschland selbst gleichsam allereigenst! Es lebe euer Alldeutschland und der Geist, der es erzeugt!

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Geht nun hin und grabt mein Grab, Meinen Lauf hab’ ich vollendet! Lege nun den Wanderstab Hin, wo alles Ird’sche endet, Lege selbst mich nun hinein, In das Bette sonder Pein. wurde er unter einem vom ihm selbstgepflanzten Eichenbaum der letzten Ruhestätte übergeben. F.B.

Nr. 21 Stralsundische Zeitung, Nr. 31 v. 5.2.1860, S. 140 (Verfasser unbekannt) Bonn, 1. Februar. Heute Nachmittag um 3 ½ Uhr bewegte sich ein unabsehbarer feierlicher Trauerzug durch die Straßen unserer Musenstadt, um die irdischen Theile unseres theuren allverehrten Vater Arndt dahin zu geleiten, wo sie unter den Kronenzweigen der lange dazu ausersehenen schlanken Eiche, nahe den Gräbern seines Freundes Niebuhr und vieler ihm vorangegangenen herrlichen Männer, ruhen sollen. Zahlreiche Deputationen von Behörden und Vereinen waren herbei geeilt, um an der wehmuthsvollen Feier Theil zu nehmen. Die eingeladenen Militair-, Civil- und städtischen Behörden von Bonn und Köln, und die Lehrer-Collegien hatten sich gegen 3 Uhr im Trauerhause versammelt und umstanden hier den von den Verehrern und Verehrerinnen des vaterländischen Dichters mit zahlreichen Kränzen geschmückten Sarg. Nach dem Eintreffen des Zuges der Professoren und Studirenden der Universität setzte sich das Trauergeleite in Bewegung. Dem Leichenwagen folgten die nächsten Leidtragenden mit dem Geistlichen, der aus Koblenz herübergekommene Oberpräsident der Provinz, v. Pommer-Esche, der akademische Senat und hierauf die eingeladenen Behörden, Geistlichen und Lehrer. Unter den folgenden Vereinen bildeten einen schönen Gegensatz die greisen Häupter des Bonner Veteranen-Vereins und die jugendlichen Gestalten der herbeigeeilten Vertreter verschiedener rheinischer Turnvereine. Der Mann, den sie zu Grabe geleiteten, war jung gewesen mit den Kriegsgenossen, deren nur wenige ihn noch überlebten und hatte mit ihnen die alten Erinnerungen stets erneuert und so lebendig erhalten, – daß er auch den Jünglingen, wenn Turnfahrten sie die Gebirgsufer des Rheines hinaufführten, eine Theilnahme und ein Verständniß entgegenbrachte, wie ihrer Altersgenossen einer, und sich eine unsägliche Liebe in ihrem Herzen erwarb. Die Studierenden der Universität folgten ebenfalls mit ihren Fahnen und im Schmucke ihrer Verbindungsfarben; diesmal – wie seit Jahren nie – aller trennenden Parteiungen vergessend, und Ehren-Deputationen verschiedener fremder Universitäten – man nannte uns besonders die Göttinger und Heidelberger – in ihrer Mitte. Ganz Bonn schien gegenwärtig, und auch aus benachbarten Städten, z. B. Köln, waren viele einzelne Veehrer des „Deutschesten der Deutschen“ herbeigeeilt. Am Grabe 40 Vgl. oben Text Nr. 9. Die Vorlage stammt aus der Kölnischen Zeitung v. 2.2.1860. Identischer Abdruck in: Mecklenburgische Zeitung Nr. 30 v. 4.2.1860, S. 1.

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unter der Eiche angekommen, hielt der Pfarrer Wiesmann eine einfache, herrliche und zu Herzen gehende Rede, wie sie der Stimmung der zahlreichen Anwesenden am besten entsprach. So paßte sie auch gut zu folgendem schönen geistlichen Liede, welches am Grabe von einem Sängerchore unter Leitung des Universitäts-Musik-Directors Breidenstein gesungen wurde und von dem verblichenen ehrwürdigen Dichtergreise selber gedichtet ist: Geht nun hin und grabt mein Grab, Meinen Lauf hab’ ich vollendet! Lege nun den Wanderstab Hin, wo alles Ird’sche endet, Lege selbst mich nun hinein, In das Bette sonder Pein. Was soll ich hienieden noch In dem dunklen Thale machen? Denn wie mächtig, stolz und hoch Wir auch stellen unsre Sachen. Muß es doch wie Sand zergehn, Wenn die Winde drüber wehn. Ihr, die nun in Trauren geht, Fahret wohl, ihr lieben Freunde! Was von oben niederweht, Tröstet ja des Herrn Gemeinde, Weint nicht ob dem eitlen Schein, Droben nur kann ewig sein. Weinet nicht! Mein süßes Heil, Meinen Heiland hab’ ich funden, Und ich habe auch mein Theil In den warmen Herzenswunden, Woraus einst sein frommes Blut Floß der ganzen Welt zu gut. Weint nicht! mein Erlöser lebt! Hoch vom finstern Erdenstaube Hell empor die Hoffnung schwebt, Und der Himmelsheld, der Glaube, Und die ew’ge Liebe spricht: Kind des Vaters, zittre nicht! Noch lange, als die letzten Schüsse der kriegerischen Ehrensalven des Veteranen-Corps schon verhallt waren, drängten sich Greise, Männer und Jünglinge herzu – um jeder eine Handvoll Erde hinabzuwerfen. Mögen die Gebeine sanft ausruhen, – der Geist wirkt in unzählbaren Herzen fort!

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Nr. 22 Bonner Zeitung, 52. Jg. Nr. 30 v. 7.2.1860, S. 1f. [S/S Nr.2080]41 (von Carl Sell)42 Ernst Moritz Arndt’s Nekrolog. Ernst Moritz Arndt wurde am 26. December 1769 zu Schoritz auf der Insel Rügen geboren, wo sein Vater, ein ursprünglich leibeigener Landmann, sich nach gewonnener Freilassung durch Fleiß und Tüchtigkeit zum Pächter von Landgütern emporgarbeitet hatte. Die erste Bildung empfing er von den Eltern selbst, namentlich von der Mutter, welche, eine ernste, fromme und sinnige Frau, die Keime der Gottesfurcht in das Herz des Sohnes zu pflanzen wußte und seinen jungen flatternden Geist durch belehrende Erzählungen und poetische Märchen lebendig machte. Uebrigens war die Erziehung des Knaben eine harte, darum abhärtende, was den spätern Jahren wohl zu Gute gekommen ist. Nachdem dann Hauslehrer ihm weiter geholfen, ward er in das Stralsunder Gymnasium geschickt und bezog im Jahre 1791 die Universität Greifswald, um Theologie zu studiren. Von da ging er nach Jena, damals einer Hochschule von bedeutendem geistigen Leben, wo er Männer wie Fichte und Schütze, auch Paulus, hörte. Doch wurde er nicht in den Strudel der großen philosophisch-aesthätischen Bewegung jener Jahre gezogen. Die Studentenjahre scheinen überhaupt in seiner Entwicklung nichts Bemerkenswerthes gethan zu haben, wie er sich denn auch nach der Rückkehr in die Heimath zwar der theologischen Prüfung unterwarf und als Redner selbst die Kanzel bestieg, aber ein Pfarramt anzutreten sich nicht entschließen konnte. Vielmehr gab er nach zwei Jahren privater Thätigkeit den geistlichen Beruf auf. Eine große Sehnsucht lockte ihn, die Welt kennen zu lernen, welche damals, schon in einer ungeheuern Umwälzung begriffen, den erschütterndsten Schicksalen entgegeneilte. Anderthalb Jahre, bis zum Herbst 1799, wanderte er herum durch die Kulturländer des westlichen Europa’s und legte darauf die Ergebnisse dieser Wanderzüge in mehreren Reisebeschreibungen nieder, welche ihn als einen aufmerksamen und freisinnigen Beobachter menschlicher Dinge zeigten. Inzwischen glaubte er auch seinen Beruf erkannt zu haben: er ward, bald nach dem Eintritt des neuen Jahrhunderts, Privatdocent an seiner vaterländischen, damals unter schwedischem Scepter stehenden Universität Greifswald. Nachdem er sich mit einer Tochter des Professors Quistorp verheirathet hatte, rückte er dann zum Adjunkten und im Jahre 1805 zum Professor vor. Seine Frau hatte ihm im Sommer 1801 einen Sohn geschenkt, der ihr aber das Leben kostete. Um diese für Deutschland so verhängnißvolle Zeit entwickelte sich in unserm Arndt nun diejenige patriotisch-politische Gesinnung, welche recht eigentlich den Schwerpunkt seines Wesens ausmachte. „Als Oesterreich und Preußen“, – so drückt er sich darüber selbst aus in seinen „Erinnerungen aus dem äußern Leben“ (zuerst erschienen 1840) – „nach vergeblichen Kämpfen gefallen waren, da erst fing mein Herz an, sie und Deutschland mit rechter Liebe zu lieben und die Wälschen mit rechtem treuen Zorn zu hassen. Ich haßte die Franzosen mit ganzem Zorn, mein Vaterland erkannte und liebte ich nun im ganzen Zorn und in ganzer Liebe. Auch der schwedische Parti41 Nachdrucke in: Spenersche Zeitung Nr. 37 v. 12.2.1860, erste Beilage [S/S Nr. 2081]; [Augsburger] Allgemeine Zeitung Nr. 47 v. 16.2. 1860, S. 769–770 [S/S Nr. 2082]. 42 Carl Sell war Vorsitzender des Bonner Bürgervereins und mit Arndt befreundet.

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kularismus war nun auf einmal todt, die schwedischen Helden (die Gegenstand seiner Begeisterung wie seiner historischen Forschung gewesen waren) waren in meinem Herzen nun auch nur andre Töne der Vergangenheit; als Deutschland durch seine Zwietracht Nichts mehr war, umfaßte mein Herz seine Einheit und Einigkeit.“ Er hatte bereits zwei kleine politische Schriften ausgehen lassen. Die erste, unter dem Titel „Germania und Europa“, enthielt seine Ansicht der damaligen Weltlage, wobei schon der Gedanke auftauchte, daß Deutschland, als in der Mitte des ganzen Welttheils gelegen, das in der Politik stets entscheidende Gewicht, die Vermittlung zu bilden berufen sei; die zweite, „Geschichte der Leibeigenschaft aus Pommern und Rügen“, deckte mit kühnem Freimuth eine Reihe von Mißbräuchen und Mißständen in den ländlich-bäuerlichen Verhältnissen seines Heimathlandes auf. Fast hätte ihn dieses letztere Werk seine Stelle gekostet, denn einige über diese gegen ihre Standesvorrechte gerichtete Schrift erboste Adelige schwärzten ihn in Stockholm beim Könige an, welcher ihn zur Untersuchung ziehen ließ. Aber Arndt wußte durch Vermittlung des ihm zugethanen General-Gouverneurs den König von der Richtigkeit seiner Behauptungen und der Ungerechtigkeit der aufgedeckten Verhältnisse zu überzeugen. Nicht lange darauf warf Napoleon durch die einzige Schlacht bei Jena die preußische Monarchie und mit ihr den letzten Rest deutscher Selbständigkeit über den Haufen. Auch Schwedisch-Pommern fiel den Franzosen in die Hände, vor denen Arndt zu entweichen alle Ursache hatte. Denn in einer Zeit, wo Alles dem unwiderstehlichen Sieger schmeichelnd sich beugte, war er mit muthigen Angriffen als dessen grimmig entschiedener Gegener im „Geiste der Zeit“, dessen erster Band 1807 erschien, aufgetreten. Dies Buch, voll Leben und Feuer, Freimuth und Einsicht, wies zuerst darauf hin, daß der Weltstürmer nicht anders als mit seinen eigenen Waffen geschlagen werden könne: ein Gedanke, dessen sich später Stein und der Tugendbund bemächtigten, um an seine Ausführung die Wiedergeburt Deutschlands, zunächst Preußens, anzuknüpfen. Nachdem nun Arndt ein Paar Jahre in Stockholm verweilt, kehrte er 1809 unter fremden Namen auf gefahrvollen Wegen nach Deutschland zurück, da es ihn im franzosenfreundlichen Schweden nicht länger duldete; er trat sogar seine Professur wieder an, doch nur, um sie bald darauf, im kriegsdrohenden Jahre 1811 für immer aufzugeben. Auch in seiner Heimath nämlich konnte er es unter den triumphirenden Franzosenfreunden, nicht aushalten: er entfloh unter mannigfachen Gefahren, Wechselfällen und Nöthen über Berlin und Wien nach Rußland, wo sich damals aus Deutschland die Besten sammelten, die noch Muth und Kraft zum Widerstand gegen den Weltunterjocher hatten. Namentlich hatte ihn der ehemlas preußische Minister, Freiherr von Stein, dessen unendliche Energie von St. Petersburg aus den begonnenen Krieg Rußlands mit Napoleon führte, um daraus die Befreiung Deutschlands herzuleiten, zu sich berufen. Im Verein und persönlichen Verkehr mit so vielen bedeutenden Männern, deren Mittelpunkt der unerschrockene herrliche Stein war, wirkte nun Arndt an dem ernsten Vorspiel zu jener Umkehr der politischen Weltlage mit, die alle tapfern und echten Deutschen herbeisehnten. Da ihm andere Waffen versagt waren, richtete er die Waffen des Geistes gegen den übermüthigen Tyrannen; er machte es sich zur Aufgabe, in einer Reihe treffender Flugschriften voll Eifer und Patriotismus den Haß gegen diesen frechen Unterdrücker anzufachen, die Ehre des Vaterlandes gegen ihn und seine Helfershelfer zu vertreten, vor allen Dingen auch die Mittel anzugeben, mit welchen

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allein ein erfolgreicher Widerstand sich organisiren lasse. So ließ er um diese Zeit ausgehen die Schriften „Der Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze“, den „Soldaten-Katechismus“, „Ueber Landwehr und Landsturm“, welche er selbst für seine gelesenste und am weitesten verbreitete, vielleicht auch wichtigste Schrift angesehen hat. Doch nicht nur mit belehrender Prosa-Rede wirkte er auf seine Landesleute, er wandte sich auch aus einem Herzen voll glühender Liebe für das deutsche Vaterland mit kernhaften, begeisternden Volksliedern an ihr Herz. Oder wem sind seine Gesänge, wie der „Was ist des Deutschen Vaterland?“ nicht zu Herzen gegangen? Es wurde Arndt aus einem politischen Volksschriftsteller zugleich ein Volkssänger, dessen frische, ergreifende Lieder die Erbitterung gegen den französischen Unterjocher immer mehr zu steigern, den Eifer für die Unabhängigkeit, Ehre und Größe Deutschlands zu entflammen, die ganze Jugend desselben unter die Waffen zu bringen dienten. Das Jahr der Befreiung kam: Arndt folgt den siegreichen Heeren bis Paris,43 und siedelte sich dann nach geschlossenem Frieden hier am Niederrhein an, wo er von 1815 bis 1816 eine Zeitschrift, „Der Wächter“, herausgab. Nachdem er durch Freiherrn v. Stein in engere Beziehung zum preußischen Staate getreten, auf dem er alle Hoffnung Deutschlands beruhen sah, war ihm eine Professur an der neu zu errichtenden Rheinischen Universität zugesagt worden. Er kam denn auch im Jahre 1817 hierher nach Bonn, verheirathete sich mit der Schwester seines Freundes Schleiermacher, und ward bei der Gründung der Universität im Jahre 1818 zum Professor der Geschichte ernannt. Doch sollte seine Lehrtätigkeit nur von kurzer Dauer sein, da er schon 1819 zusammen mit seinem Collegen Welcker und manchen Andern in die famose Untersuchung wegen demagogischer Umtriebe verwickelt wurde. Es war die trübe Zeit, wo, nachdem den ungeheuren Kraftanstrengungen der Befreiungskriege eine allgemeine Erschöpfung gefolgt war, die metternich’sche Politik, deren entsetzliche Früchte in Deutschland und Italien nunmehr offenbar geworden sind, auch über Preußen, wie über das halbe Europa, ihr Netz geworfen hatte. Welch’ eigenthümliches Schicksal, daß um kleinlichen Verdachtes willen der Mann, welcher sich mit Vorliebe einen königischen Mann genannt hatte, wegen Verschwörung gegen die königliche Gewalt untersucht, seiner Papiere beraubt und zwanzig Jahre seines Lebens zur Unthätigkeit verdammt ward! Denn obgleich Arndt, der auf besondern Antrag der Bundes-Central-Commission in Anklagestand versetzt und in Folge dessen von seinem Amte suspendirt worden war, freigesprochen werden mußte, blieb er doch von seinem Amte entfernt. Und dennoch murrte der wackere Mann nicht gegen sein Schicksal; es ist wohl nicht das Kleinste an ihm, diese herbste Probe bestanden zu haben. Während Andere sich von viel geringeren Quälereien, als er durchmachen mußte, zu den extremsten Richtungen und Meinungen hinreißen ließen, blieb er seiner Ueberzeugung, seinem Vaterlande und Könige nicht nur unerschütterlich treu, sondern wußte sein Herz auch vor jener Bitterkeit des Gefühls zu bewahren, welche mehr als alles Andere die Frische des Geistes lähmt. „Ich habe, so spricht er sich selbst darüber aus, durch eine lange gerichtliche (?!) Untersuchung und ihre Folgen mehrere schöne Jahre verloren, wohl die letzten, wo mir noch einige Kraft übrig blieb. In meiner Wirksamkeit gehemmt, bin ich geblieben, Widerherstellung in meine Amtsthätigkeit 43 Ein Paris-Aufenthalt Arndts ist für diese Zeit nicht verbürgt; er wurde aber mehrfach in Nekrologen kolportiert.

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habe ich nicht erlangen können, bin endlich mit Beibehaltung meines vollen Gehalts in den Ruhestand gesetzt worden. In dieser schweren und jeden menschlichen Stolz demüthigenden Prüfungszeit habe ich Gott und meine Freunde kennen gelernt, und das war freilich eine große Freude im Leide.“ Erst nachdem Friedrich Wilhelm IV. 1840 den preußischen Thron bestiegen hatte, erhielt der 70jährige Greis die Erlaubniß, seinen seit 20 Jahren verlassenen Lehrstuhl wieder einzunehmen. Das war ein Akt edler und deutscher Gesinnung unseres Königs, den wir nicht vergessen wollen. Arndt’s Collegenschar beeilten sich, ihm durch die Wahl zum Rector für das nächste Jahr ihre Huldigung zu bezeigen. Nach seiner Wiederherstellung nun fuhr er fort, sich schriftstellerisch an den politischen Tagesfragen zu betheiligen. Nachdem er früher einige historische Werke, besonders über Schweden, herausgegeben, stellte er im Jahre 1845 eine Anzahl seiner werthvollsten kleinern Schriften in den „Schriften für und an seine lieben Teutschen“ in drei Bänden zusammen, ließ auch eine Darstellung seines vielbewegten Lebens in den „Erinnerungen aus meinem äußern Leben“ drucken, welche in kurzer Zeit drei Auflagen erlebte. Und das deutsche Volk blieb in der That seiner eingedenk: als im April 1848 zur deutschen National-Versammlung Abgeordnete entsandt werden sollten, ward der greise Dichter im 15. rheinpreußischen Bezirke nach Frankfurt gewählt. Dort schloß er sich an die constitutionelle sog. Erbkaiserpartei an, deren Haupt H. v. Gagern war. Auf Venedeys Antrag wurde er in der zweiten Sitzung der National-Versammlung durch die feierliche Erhebung aller Abgeordneten begrüßt, die in ihrem greisen Veteranen, das gleichsam verkörperte Princip der deutschen Ehre und Freiheit erscheinen sahen, zu dessen Wahrung und Vertretung sie zusammengekommen waren. Man hat dann unseren Arndt zu den Ehren-Deputationen gewählt, welche dem Reichsverweser und später – wiewohl vergeblich! – dem gewählten Kaiser zu huldigen abgesandt wurden. Nachdem er am 21. Mai 1849 mit der Partei Gagern aus der Versammlung getreten war, fuhr er auch nach der Auflösung derselben fort, die von der großen Mehrzahl ihrer Mitglieder vertretenen Grundsätze der Ehre und des Reichs zu vertheidigen: die Integrität des Reichs und den Principien Preußens. Von diesem Gesichtspunkt aus hat er auch den schmählich gekränkten und elendiglich verlassenen Schleswig-Holsteinern Worte des Trostes und der Mahnung zugerufen, ja im 88. Lebensjahre mit jugendlicher Frische uns das Bild der großen Zeit, wo er mit den Tapfersten und Besten unseres Volkes die Befreiung des Vaterlandes vorbereitete und vollzog, an der Gestalt des herrlichen Stein auf ’s Neue vorgeführt. Dann ward er stiller; zuletzt beschlich den Hochbetagten wohl die Ahnung seines nahenden Todes. Den hat er denn am 29. Januar nach kurzem Krankenlager überstanden, und am 1. Februar haben wir die Reste des theuren Greises zur letzten Ruhestätte geleitet, die er sich an der Seite seines jüngsten Sohnes im Schatten einer von ihm selbst gepflanzten Eiche ausgewählt hatte. So ist denn wieder ein Großer, ein Edler unseres Volkes dahin, ein frischer, tapfrer, frommer, deutscher Mann – so wie es wohl Wenige sind oder gewesen sind. Ein Herz voll Wärme und Innigkeit der Liebe erhielt ihn bis zum höchsten Greisenalter in Jugendfrische; seine Tapferkeit hat er allerwege bewährt, in Worten wie in Thaten, in unerschrockenem Freimuth wie in ausharrendem Hoffen. Aber Arndt war auch ein frommer Mann, welcher in kindlicher Demuth Gutes und Böses (wie Menschen es nennen) aus Gottes allgewaltiger Hand ohne Murren nahm und Gotte in allen Dingen

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unbedingt die Ehre gab: darum hat Gott ihm auch Ehre gegeben. Und über dem Allen war er ein deutscher Mann: seine Herzensfrische, seine Tapferkeit, seine Frömmigkeit, seine Gedanken, Worte und Lieder – alles ist ächt deutsch. Darum soll er uns auch allen zum Vorbild dienen, wie wir zu wirken und zu leben haben. Sein starker Glaube an die unvergängliche Kraft der deutschen Nation soll unser Glaube, seine treue Liebe zum großen Vaterlande soll unsere Liebe, seine unerschütterliche Hoffnung auf dessen Wiedergeburt zur rechten Einheit soll unsre Hoffnung sein. C.S.

Nr. 23 Stralsundische Zeitung, Nr. 33 v. 8.2.1860, S. 1 Ernst Moritz Arndt von Julius Mühlfeld [d.i. Robert Rösler] In jener für Deutschland ewig denkwürdigen Schreckenszeit, als alle seine Staaten sich dem blendenden Meteor, der Frankreichs Kaiserkrone trug, anschlossen entweder, oder zitternd zu seinen Füßen lagen; – als alle Fürsten sich beugten vor dem Gewaltigen, die Throne schwankten und die Kronen auf ihren Häuptern zitterten, wie Tannäpfel vor dem Nordwinde; – in jener für ganz Deutschland ewig denkwürdigen Schreckenszeit waren es nur wenige Männer – wenige – die den Kopf nicht verloren und nicht den Glauben an Deutschlands Stern. Während Alles um sie schwankte, Throne zersplitterten und neue Reiche mit neuen Herrschern, – Creaturen des Usurpators, – wie Pilze aus dem Boden wuchsen, standen sie unverzagt und muthig, redeten, schrieben, handelten – und litten für Deutschland! Unter diesen wenigen war Ernst Moritz Arndt. Ein Kämpfer fürs Recht der Gerechten, ein Mann von echtem Schrot und Korn, – ein deutscher Mann, – war Ernst Moritz Arndt schon damals, und nicht achtend seine Stellung als Professor zu Greifswald, nicht achtend seiner selber, seiner Existenz, griff er kühnen Muthes in der „Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen“ den pommerschen Adel an, warf in seinem „Geist der Zeit“ dem französischen Gewalthaber den Fehdehandschuh hin; mußte flüchten, lebte in Schweden und Rußland, bedroht von der Acht und Aberacht Napoleons, und wirkte doch unerschrocken weiter, schrieb, dichtete, handelte für Deutschlands Befreiung. „Was ist des deutschen Vaterland“; „Der Gott, der Eisen wachsen läßt, der wollte keine Knechte“! Mit solchen Klängen spornte er sein deutsches Volk zum Freiheitskampfe an, bis endlich in der Völkerschlacht das Schicksal sich gegen Napoleon wandte; – Deutschland frei ward vom Drucke der Fremden. Von da an lebte Arndt als Professor in Bonn. – Ein ganzes Deutschland war von jetzt an sein Streben, und wie früher für seine äußere Freiheit, schrieb und handelte er jetzt für das Band seiner inneren Einigkeit und Kräftigung. Keine Anfeindung, keine Verfolgung, ja nicht Untersuchung und Schmach waren im Stande, das Streben des Greisen zu brechen, – unwandelbar treu hat er für Deutschlands Wohl gestanden, bis dem mehr als Neunzigjährigen das Auge brach. Am 26. December 1769 zu Schoritz auf Rügen geboren, feierte er am zweiten Weihnachstage 1859 inmitten unter dem Jubel und der Theilnahme des ganzen Deutschlands seinen neunzigjährigen Geburtstag.

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Aus allen Gauen des weiten Reiches trafen die herzlichsten Glückwünsche bei ihm ein; – eine nie geahnte Liebe und Verehrung that sich dem edlen Streiter für Deutschlands Ehre und Freiheit kund; – und wahrscheinlich ist es, daß diese große Aufregung zu schnell die Kräfte des Greisen verzehrte. Ernst Moritz Arndt starb am 29. Januar 1860 in der Mittagsstunde – noch viel zu früh für Deutschland, noch viel zu früh für sein Streben, das einem ganzen Deutschland zuwirkte. Traure mein Vaterland um diese Denksäule deines Ruhmes, deiner Ehre, die der Herbststurm zersplittert hat, traure mein Vaterland um Ernst Moritz Arndt, der gestrebt und gewirkt für dich sein Leben lang, und doch hinsank, bevor er sein Werk vollendet – dich frei und einig sah! Traure mein Vaterland, um den edlen Greisen, den biederen deutschen Mann! Herzensgüte, freundliche Milde, treue Redlichkeit, waren die Hauptzüge seines Herzens und doppelt verliert der, doppelt fühlt sich der gebeugt, dem es, wie mir, vergönnt war, den edlen Dichter nahe zu kennen und aus seinen eigenen Briefen die Liebe zu athmen, die er stets für die deutsche Jugend hegte, und die ihm dieselbe auch unwandelbar ihm ergeben gemacht hat. Noch viel zu früh ging Ernst Moritz Arndt von uns, zu früh für Deutschland, das ihm so vieles verdankt, zu früh für alle, die ihn liebten und ehrten, die in dem Alten am Rheine einen echten Deutschen, einen Vorkämpfer für Recht und Ehre, einen Freund alles geraden, biederen Deutschen, – einen Feind alles wälschen, alles Lügen- und Heuchelwerkes, aller französischen Diplomatie und Doppelzüngigkeit erblickten. Ernst Moritz Arndt, Humboldt – zwei Säulen deutschen Ruhmes sind gefallen; traure mein Vaterland! Ernst Moritz Arndt, der Hüter des Rhein’s, ist todt, wache Deutschlad! – wache! – das kein Franzosen-Fuß, über das Grab des Alten nach Deutschland schreitend, die Gruft deines Dichters entweihe!

Nr. 24 Illustrirte Zeitung Leipzig, 34. Bd., Nr. 867 v. 11.2.1860, S. 113f. [S/S Nr. 2061; Loh Nr. 2162] mit großer Abbildung „Die trauernde Germania am Sarkophage Ernst Moritz Arndt’s.“ (Verfasser unbekannt)44 Ernst Moritz Arndt Als wir vor wenigen Wochen vernahmen, mit welcher Theilnahme der 90. Geburtstag Arndt’s, des Nestors der deutschen Patrioten, im ganzen weiten Vaterlande gefeiert worden, ahnten wir nicht, daß es der letzte sei, der dem verehrten Greise beschieden. Es schien unsterbliche Manneskraft, unvergängliche Jugend in ihm zu sein; sein Leib schien gleich unerschütterlich wie die tapfere Seele, mit der er noch in den letzten Jah44 Erneuter Abdruck mit identischer Abbildung in: Victoria. Illustrirte Muster- und Modezeitung Berlin, Nr. 13 v. 1.4.1860, S. 99–101 [S/S Nr. 2065]. Inhaltlich ist dieser Nachruf stark von Vorgängernekrologen abhängig: Preußische Zeitung, Kölnische Zeitung, Weimarer Zeitung.

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ren seines Alters wie vor einem halben Jahrhundert für deutsche Sprache, Sitte und Ehre kämpfte. So war die Kunde von seinem Verscheiden trotzdem, daß es in einem Alter erfolgte, welches nur wenigen unter uns vergönnt ist, für Viele eine Ueberraschung. Hatte er doch selbst gemeint, es bis zum Jahrhundert zu bringen. Wehmüthig folgten wir im Geiste dem Leichenzuge, der am Nachmittag des ersten Februar sich durch die Straßen Bonns bewegte, um der Erde zurückzugeben, was von unserm theuren Vater Arndt der Erde war. Wehmüthig warf mit seinem Grabgeleite das ganze Deutschland die üblichen drei Hände voll Erde auf den Sarg des entschlafenen Dichters. Aber die Wehmuth wich der Empfindung stiller Freude, wenn wir zurückblicken auf die Art, wie unser Freund gestorben. Selten wird ein schön vollbrachtes Leben von einem so schönen Tode gekrönt wie das seine. Umsonst hatten die Stürme einer bewegten Zeit, vergebens die Wogen der Freiheitskriege, der Reaction, der Revolution und wieder der Reaction an diesem ehernen Geiste gerüttelt. So oft auch ein politischer Herbst den alten herrlichen Baum entlaubte, mit jedem Frühling begann er von Neuem zu grünen. Nur eine Kraft gebrach dem starken Greise. Die Ueberfülle von Liebe und Verehrung, mit welcher sein Volk sein letztes Wiegenfest feierte, war ihm zu viel. Die zahllosen Hände, die sich herbeidrängten, ihm ihre Kränze der Dankbarkeit auf die weißen Locken zu drücken, sind sein Tod gewesen. Arndt ist im eigentlichen Sinne des Wortes an zu viel Liebe, zu viel Freude gestorben. Wer möchte sich ein edleres Verscheiden wünschen! Und er ist gestorben mit dem freudigen Bewußtsein eines Kämpfers, der die Schlacht sich allmälig zum Siege wenden sieht. Er hat es noch erlebt, daß die Nacht, die auf dem Vaterlande lag, dem Tagesgrauen wich; sein brechendes Auge schaute noch die Morgenröthe der Zukunft, auf die er hörte. Der Messias, zu dessen Propheten er zählte, ist noch nicht erschienen, aber die Wehen, die ihn verkünden, sind deutlich zu spüren. Arndt hat sie noch empfunden, er hat die Gewißheit mit in die Gruft genommen, daß sein Volk den Sisyphusstein nicht lange mehr vergeblich wälzen wird. Möge über seinem Grabe der Bau deutscher Einheit, an dem er in guter wie in böser Zeit mit gleicher Zuversicht gearbeitet hat, sich erheben! Ernst Moritz Arndt, zu Schoritz auf Rügen geboren, erhielt eine einfache, in mancher Hinsicht strenge Erziehung. Er war ein Sohn des Bauernstandes wie unser Luther. Sein Vater war Leibeigener des Grafen Putbus gewesen, ein Mann von mäßiger Bildung, aber stattlichen Leibes und klugen Geistes, der seine Kinder ziemlich hart hielt, sie vor allen Dingen nicht verweichlichen wollte. In Wind und Wetter spärlich bekleidet, mußte der kleine Moritz meilenweit Boten reiten. Die Kost war einfach, aus dem Schlafe durften die Kinder sich nicht viel machen. Früh bildete der Knabe seine Anlagen aus mit Ernst und Ausdauer. Familienereignisse führten ihn zur Einkehr in sich selbst. Nachdem er sich auf der Gelehrtenschule zu Stralsund für die Universität vorbereitet, studirte er in Greifswald Theologie und Philosophie, bezog dann die jenenser Hochschule und unternahm hierauf, den Plan, Geistlicher zu werden, aufgebend, längere Reisen nach Oesterreich, Ungarn, Italien und Frankreich. Nach seiner Rückkehr von diesen Wanderungen, die er in einer Reihe von Schriften beschrieb, heirathete er die Tochter des Professors Quistorp in Greifswald, die er indeß nach wenigen Monaten durch den Tod verlor. Selbst Professor an der pommerschen Universität geworden, las er vorzüglich über Geschichte. Die erste Schrift, in welcher der Charakter deutlicher

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hervortrat, den wir an ihm verehren, war eine Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen, eine freimüthige Anklage des dortigen Adels, der ihn wegen derselben vor Gericht belangte. Bald darnach verwickelte ihn sein warmer Eifer für die Ehre Deutschlands in einen Zweikampf mit einem schwedischen Offizier, in dem er schwer verwundet wurde. Kaum genesen, griff der kühne Mann zur Feder, um seinen „Geist der Zeit“ zu schreiben, in welchem er Napoleon, den er, so lange er ihm als Rüstzeug freisinniger Ideen erschien, hochgehalten und erst, als er mit deutschen Landen zu schachern begann, hassen gelernt, so starke Wahrheiten sagte, daß er nach dem Unglückstag bei Jena genöthigt war, sich nach Schweden zu flüchten. Drei Jahre später kehrte er unter dem Namen eines Sprachlehrers Allmann von dort nach Greifswald zurück, um seine Professur wieder anzutreten. Aber schon 1811 verließ er seine Stelle von Neuem, um sich nach Rußland zu begeben, wo sich damals der Sturm vorbereitete, der nach York’s heroischem Entschluß das Gebäude, welches der große Korse aufgeführt, zertrümmern sollte. Arndt kämpfe die Befreiungskriege an der Seite Stein’s mit, nicht mit dem Schwerte, aber mit einer Feder, die schärfer und gewaltiger wie hundert Schwerter schlug. Flugschrift auf Flugschrift voll Feuer und gerechtem Grimm warf er als Seelenzünder in die Masse des Volks. In Vers und Prosa erinnerte er die Nation daran, daß der Gott, der Eisen wachsen läßt, keine Knechte will. In gebundener und ungebundener Rede wirkte er, nachdem der Schlachtenbrand erloschen, daß das heilige Feuer der Vaterlansliebe nun im Innern sein läuterndes Werk vollbringe, die Schlacken vom Metall scheide und die verschiedenen Erze zum Guß eines einigen, wahrhaft verjüngten Deutschlands vereinige. Das Werk, an dem die Besten der Nation mitarbeiteten, sollte damals nicht gelingen. Die Arbeiter wurden als Verschwörer verfolgt. Arndt selbst, als Professor in Bonn angestellt, gerieth in eine Untersuchung, die zwar mit seiner Freisprechung, aber zugleich mit seiner Versetzung in den Ruhestand endigte, eine Verfügung, die erst nach zwanzigjähriger Verbannung von der Lehrkanzel zurückgenommen wurde. Man wollte in dieser trüben Zeit keine Patrioten mehr, man wollte gefügige Unterthanen. Das Wort Vaterland sollte nur noch von Preußen, Bayern und anderen kleinen und großen Staaten gebraucht werden. Deutschland war ein geographischer Begriff, Freiheit ein Phantom. Der Mohr hatte seine Schuldigkeit gethan, der Mohr konnte gehen. Es war eine traurige Zeit, tiefe Nacht, die um so dunkler erschien, je heller in den Jahren vorher die Sonne Deutschlands gestrahlt. Auch der Stern Preußens hatte sich in Nebel verhüllt. Das Jahr 1830 flammte auf wie ein Meteor und erlosch wie ein Meteor, ohne im Großen und Ganzen die Hoffnung auf bessere Tage zu beleben. Arndt blieb ungebeugt von allen diesen Enttäuschungen. So feurig wie einst seine Liebe, sein Haß, so fest und sicher war jetzt sein Glaube, seine Zuversicht. Zeugniß davon sind seine Schriften aus dieser Periode, und seine Hoffnung sollte nicht zu Schanden werden, wenn sie auch erst spät sich der Erfüllung näherte. Die letzten dreißiger Jahre waren für den Greis doppelt trübe gewesen: zu der Trauer um das Vaterland war häusliches Unglück getreten. Arndt hatte sich zum zweiten Male verheirathet mit einer Schwester Schleiermacher’s, er mußte im Jahre 1834 das Schreckliche erleben, einen seiner Söhne vor seinen Augen im Rhein ertrinken zu sehen. Da erschien das Jahr 1840 und mit ihm ein neuer Geist in Preußen, ein neues Leben in Deutschland. Die gemißhandelten Patrioten kamen wieder zu Ehren. Arndt erhielt seine Professur wieder, er wurde zum

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Rector gewählt, er bekam sogar den Rothen Adlerorden, er durfte sich wieder mit dem alten Freimuth an den Tagesfragen betheiligen, er sah das Eis gebrochen, das Preußen gehindert, die Staatsform anzunehmen, welche ihm und Deutschland eine Zukunft sicherte. Die Dinge entwickelten sich rasch. Das Jahr 1848 sah ein deutsches Parlament und unter seinen Mitgliedern auch Arndt, den Patriarchen der politischen Richtung, welche die Entstehung dieses Parlaments veranlaßt. Das Werk sollte auch jetzt noch nicht der Erfolg krönen. Vergeblich zog die Kaiserdeputation, zu der auch Arndt gewählt worden, nach Berlin. Wieder senkte sich die Sonne zum Abend, wieder schien der Stern Preußens am Erlöschen. Arndt hat auch in dieser Zeit sich die Zuversicht auf den Sieg seines Glaubens bewahrt, auch diesem zweiten Rückschlage der Wellen gegenüber fortgefahren, in geharnischten Mahnworten für Kurhessen, für Schleswig-Holstein, zuletzt für die Freiheit Italiens die nationale Partei, der er angehört, zu vertreten. Und ein gütiges Geschick ließ ihm die Augen offen, bis auch dieses Hinderniß überwunden war und der Strom unserer Entwickelung wieder in’s Fließen kam. Wie Moses auf dem Berge hat er noch am Horizont das gelobte Land geschaut. Er ist gestorben mit dem Bewußtsein, nicht umsonst gelebt zu haben. Er hat einen guten Kampf gekämpft und sein Volk hat ihm den Bürgerkranz dafür gereicht. Sein Name ist eingeschrieben in das Buch der Redlichen. Sein Andenken wird unter uns in Segen bleiben. Sein Vermächtniß ist sein Beispiel, sein Leben. Wir haben keine Westminsterabtei, unsere großen Todten zu ehren. Aber wir begraben sie in unserem Herzen. Arndt war einer unserer großen Männer. Nicht sowohl als Gelehrter; denn seine Werke, wie werthvoll sie sind, haben der deutschen Wissenschaft keine neuen Bahnen eröffnet. Nicht als Politiker; denn wie hoch wir ihn als solchen stellen, schöpferische Geschichte, weithin wirkende Handlungen hat unsere Geschichte von ihm nicht zu verzeichnen. Auch nicht als Dichter; denn wie herrlich seine Sturmgesänge daherbrausen, wie theuer sie uns sind als Zeugnisse einer großen glorreichen, ernstreichen Zeit, wo ist das größere Werk des Sängers von Rügen, das durch selbstgeschaffenen Inhalt und vollendete Form eine durchschlagende Bedeutung hätte? Was also hat der Mann gethan, daß die ganze Nation von der Königsau bis zu den Alpen und vom Rheinstrom bis zu den polnischen Wäldern ihn unter ihre großen Männer zählt. In der That, er hat gar nichts so Besonderes gethan. Seine Größe war, daß er zu allen Zeiten in vollem Maße gethan hat, was wir alle immer thun sollten; daß er sein Vaterland über alles Andere geliebt hat, daß er sein Lebelang ein wahrer, biederer, tapferer Deutscher gewesen ist. Wahrhaftigkeit, Treue, männliche Geradheit und Tapferkeit hat er nicht blos alle seine Tage hindurch gepriesen und gelehrt, sondern, was mehr werth ist, in seiner Person dargestellt. Er war der deutscheste Deutsche und hat sein Volk auf ewig vor sich selbst verklärt. Sein schneeweißes Haupt kann nicht mehr als Standarte uns voranleuchten, aber sein Geist wird uns voranschreiten gleich einer Feuersäule, so lange unser Weg noch durch die Wüste führt. Die Reihen unserer Alten haben sich sehr gelichtet. Humboldt und Arndt sind dahin geschieden, Wilhelm Grimm und Ritter wurden vom letzten Jahre in das Grab gelegt. Böckh, der Nestor der Hellenisten, Jakob Grimm, der Vater der germanischen Sprachforschung, Rückert, der letzte Sänger der Freiheitskriege, sind von den Männern unserer großen Zeit allein noch übrig am Lichte des Tages. Möge das Jahr 1860 uns keinen zweiten aus der Reihe der Greise entführen, die unsere Liebe und unser Stolz sind!

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Nr. 25 Bonner Zeitung, 52. Jg., Nr. 36 v. 14.2.1860, S. 1–3 [S/S: Nr. 2076]45 Denkrede auf Ernst Moritz Arndt Vorgetragen im Bonner germanischen Verein am 8. Februar 1860 von Hugo Oelbermann „Vor dem Tode verschrickst du! du wünschest unsterblich zu leben? Leb’ im Ganzen! Wenn du lange dahin bist, es bleibt.“ „War es immer wie jetzt? Ich kann das Geschlecht nicht begreifen. Nur das Alter ist jung, ach! und die Jugend ist alt.“ So mahnte Schiller und so klagte er schon. Seine Mahnung wird ewig gelten und seine Klage gilt heute erst recht. Nur das Alter ist jung, d. h. in Herz und Geist der Aelteren unter uns leben noch die treibenden Kräfte einer Zeit, wo der Drang und die Fähigkeit: im Ganzen zu leben, allgemein lebendig geworden – und die Reste dieser Kräfte verleihen auch kahlen Scheiteln noch den Schimmer der Jugend. Die Jugend ist alt, d. h. dem größten Theil der jüngeren Mitwelt ist dieser Drang, diese Fähigkeit so gut wie abhanden gekommen. Die engeren Interessen dominiren, die allgemeinen haben kaum noch eine Stimme. Der spezielle Lebensberuf und die „brodlose Kunst“ des allgemein menschlichen Berufs lockt altklugen Knaben nur ein greises und weises Lächeln ab. „Es lohnt sich nicht!“ Gemach, ihr bartlosen Greise! es möchte sich freilich lohnen. Am Sarge eines einzigen Mannes, der, wie Arndt, im Ganzen zu leben verstand, schrumpft das Leben von abertausenden eures Schlages, schrumpft alle vermeintliche Größe eurer Lebensphilosophie in ein jämmerliches Nichts zusammen. „Wenn du lange dahin bist, es bleibt!“ es bleibt für alle folgenden Geschlechter. Und es sollte sich nicht lohnen, diesem ewigen Leben ein zeitliches Opfer zu bringen? Aermlich-erbärmliche Menschenklugheit – hole dir die Antwort am Grab des Sängers von Rügen! Er lebte im Ganzen: sein Gedächtniß steht weithin im Segen! Pflegen wir es mit Liebe und Kraft; erhalten wir es frisch und lebendig. Das ist der Weg, die Früchte seines Wirkens zu schmecken, den vollen Glanz des Tages zu schauen, dessen Morgenröthe sein brechendes Auge beschien. Und eben da liegen die idealen Mittel, um endlich real zu erfassen, was – mit dem Prediger am Sarge zu reden – „seiner Jugend Traum, des Mannes Arbeit, des Geistes letzte Hoffnung gewesen“. Ernst Moritz Arndt ist todt! Ein alter deutscher Eichbaum ist umgesunken; ein warmes deutsches Herz that seinen letzten Schlag. Ueber dem Sarge, den wir versenkten, reichen sich drei Menschenalter die Hände; das Grab, das sich geschlossen, umstanden in ehrfurchtsvollem Schmerze die Geister einer ganzen großen Nation. Sie weiheten ihrem „Vater“ die Todtenklage und die Natur bereitete ihrem Sohne den Willkomm. Sie, die ewige Mutter, kleidete sich über Nacht in ein weißes Gewand, ihren Liebling würdig zu empfangen; sie bestreuete 45 Etwas später als weitgehend wortgleicher Seperatdruck: Hugo Oelbermann, Denkrede auf Vater Arndt, Bonn 1860, 16 S. [S/S: Nr.2075; Loh Nr. 2167] Laut Titelblatt: „Separatdruck aus der Monatsschrift der allgemeinen germanischen Gesellschaft“. Die Rede wird hier jedoch vordatiert auf: „Bonn, am 1. Februar 1860.

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sein weißes Haupt mit weißen Flockenblumen und nahm ihn heim in ihren ewigen Schooß. Weiß und grau rieselten die Schollen auf den Sarg; der Priester that, was seines Amtes war und alles Volk neigte sein Haupt. Es neigte sein Haupt, erhob es wieder und – jauchzte in tiefster Seele. Denn es sah aus dem Tode das Leben erblühen, sah im Geiste den Bau seiner heißesten Sehnsucht sich erheben über diesem Grabe, sah die heiligen Farben deutscher Verheißung im Winde flattern. Der erste Februar 1860 ist ein ewig denkwürdiger für unsere Stadt. Weniger darum, weil der, den wir begruben, Bonn’s verehrtester und bravster Bürger hieß, – noch viel weniger, weil ihn der Titel Professor schmückte und er eine Zierde unserer Hochschule gewesen. O nein, wir begruben manchen braven Bürger, manchen gelehrten Professor – und das Volk kümmerte sich wenig darum. Aber Ernst Moritz Arndt! Das Volk nannte ihn Vater; da er starb, geleiteten ihn alle seine Kinder zur Stätte des Friedens und eine Nation stand im Geiste an seinem Grabe. Viele wußten und Alle fühlten es: wir begruben in deutscher Erde den populärsten Ehren- und Würdenträger eines gewaltigen Stücks deutscher Geschichte. Wir begruben einen Mann, auf dessen greisem Haupte sich alle Ehren- und Ruhmesstrahlen einer großen deutschen Vergangenheit wie in einen letzten lebendigen Brennpunkt gesammelt hatten und der unter uns wandelte nicht nur wie ein Uralter unter Jüngeren und Jungen, sondern als letztgewaltiger historischer Repräsentant einer gewaltigen nationalen Epoche; einer Epoche, deren Traditionen zu hegen und zu pflegen nichts anders heißt, als sich zum Ersten der traurigen Ursachen deutscher Schmach und Ohnmacht, umd zum Andern der unumgänglichen Bedingungen deutscher Größe und Herrlichkeit bewußt zu werden und bewußt zu bleiben. Sagen wir es kurz: wir begruben einen Mann, der, je älter er wurde, je weniger als eine persönliche, denn eine historische Erscheinung von uns aufgefaßt, betrachtet und verehrt wurde. Als eine solche ergriffen, bietet sein reiches Leben die beiden Seiten einer jeden historischen Erscheinung dar: eine zeitliche und eine ewige Seite. Die zeitliche Seite einer geschichtlichen Person fällt in direkter Weise in den Gesichtskreis der Mitlebenden, pflegt mit ihrem anziehenden oder abstoßenden äußeren Schein das blödere Bewußtsein der Menschen gänzlich in Beschlag zu nehmen, so daß es durch all den Glanz und den Weihrauch oder durch all die Dünste und den Nebel, welche um das Vergängliche herumlagern, selten und nur schwer zu dem Sonnenschein der ewigen Seite hindurchzudringen vermag. So bleiben denn gar Viele bei der zeitlichen Seite stehen und je nachdem diese mehr anziehende oder mehr abstoßende Elemente für sie enthält – je nachdem beurtheilen sie die Erscheinung. Arndt, der zeitliche Mensch, ist seit Jahren ein Gegenstand allgemeinster Verehrung, allgemeinster Huldigung, kurz: eines allgemeinen öffentlichen Kultus gewesen – eines Kultus, der ihn allmälig zu erdrücken ging und ihn schließlich wirklich erdrückt hat. Das warme Herz, der bescheidene Sinn des Ueberalten konnte sich unter der Masse der auf ihn an seinem 91. Geburtstage herabregnenden Ehren- und Liebesbezeugungen nicht länger aufrecht erhalten. Bedeckt mit Blumen und Kränzen, mit Grüßen und Küssen, mit Liedern und Briefen von nah und fern, sank er um und starb. Er segnete das Zeitliche und streifte es ab, damit nun das Ewige an ihm desto heller leuchte, desto mächtiger und reiner in das Bewußtsein und das Verehrungsbedürfniß des Volkes hineinstrahle, ihm nun erst recht eine von allem Unwesentlichen gereinigte Geistesund Herzensnahrung werde möge.

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Arndt, der zeitliche Mensch, lebt nicht mehr, ist gestorben und begraben! Arndt, der ewige Mensch, lebt nun erst recht, wird niemals sterben, wird niemals begraben werden! Arndt, der zeitliche Mensch, ist buchstäblich in Blumen der Liebe und Verehrung erstickt, ist über die Maßen gefeiert, vielleicht ein wenig vergöttert worden. Lassen wir das; – das deutsche Volk ist oft maßlos in seiner Liebe; es hat den Alten todtgeküßt – lassen wir das! Freuen wir uns, daß das müde Vergängliche an ihm nunmehr allen gutmeinenden, aber oft zu täppischen Händen entrückt ist, das Alle, welche bei dem Zeitlichen seiner Erscheinung stehen blieben, keine Handhaben der Verehrung mehr finden können. Freuen wir uns, sage ich, denn Arndt, der ewige Mensch, darf und kann nun in vollerer, in ungetrübterer Glorie hineinstrahlen in das gebildete Bewußtsein des deutschen Volkes, um ihm eine ewige Leuchte auf seinem Wege zu werden. Arndt, der ewige Mensch, ist noch lange nicht genug gefeiert worden, kann in Deutschland niemals genug gefeiert werden! Denn das Ewige an ihm war ein Ausfluß jener Gottheit, von der das Sprichwort sagt, daß sie den Deutschen nie verlasse – und die Gottheit in ihren Offenbarungen zu feiern, ist ja das schöne Vorrecht des denkenden und fühlenden Menschen. Ja, ich sage es und ich sage es noch einmal: Arndt, der ewige Mensch, war ein voller Sonnenstrahl der Gottheit, die keinen Deutschen verläßt. Sie offenbarte sich dem Volke in ihm, sie redete aus ihm mit den zwei gewaltigen Worten deutscher Verheißung, welche also lauten: Hilf dir selbst, so wird Gott dir helfen! und Das ganze Deutschland soll es sein! Sehen Sie da das A und das O, die Parole und die Losung des einzig wahren deutschen Heiles! Sehen Sie da die goldenen Worte deutscher Verheißung, die der Vater dem Knaben, die Mutter dem Mädchen, der Mann dem Manne, der Jüngling dem Jünglinge sagen und wieder sagen sollte, denn in diesen zweien Worten, in dieser in Ernst Moritz Arndt Fleisch und Blut gewordenen thränen- und jubelreichen Lehre der Befreiungskriege – liegt für Alles, was deutsch heißt, das Gesetz und die Propheten und die Summa aller deutschen Gebote. Wo der Name unseres großen Todten erklingt – da tönen auch jene gewaltigen Worte in Ohr und Herz, in Geist und Seele, in Sehnen und Muskeln des deutschen Volkes hinein – des ganzen deutschen Volkes, denn er war die populärste aller im Fleisch erschienenen Offenbarungen des keinen Deutschen verlassenden Gottes. Und darum ist sein Name ein Name des deutschen Heils geworden und wird es bleiben für alle germanischen Geschlechter. Hilf dir selbst, so wird Gott dir helfen! Unser großer entschlafener Mitbürger sah, durchlebte und durchlitt die Tage des Bruderhaders, der Zerrissenheit, der inneren Spaltung Deutschlands – das heißt: die Tage der deutschen Schwäche, der inneren Ohnmacht, der äußeren Knechtschaft. Die Nebel dieser düstern Tage umfließen seinen Namenszug; sie sind uns in ihm eine prophetische Warnung vor allem Hader und Zwist, allem Streit und Unfrieden, aller Spaltung

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im eigenen deutschen Hause geworden. Wo seines Namens gedacht wird, da werde auch dieser thränenreichen Warnung gedacht, die mit ausgestrecktem Finger auf die eigentlichen und letzten Ursachen deutscher Ohnmacht und Unehre hinweist. Aber unser großer entschlafner Mitbürger sah, durchlebte und durchjauchzte auch die Tage des Aufschwungs, des wieder erstarkten nationalen Selbstgefühls, des einträchtigen Zusammenhaltens, da aller Hader schwieg und alle Parteien ihre Spitzen abbrachen – das heißt: die Tage deutscher Größe und Herrlichkeit. Die Jubelstrahlen dieser herrlichen Tage umfließen seinen Namenszug nicht minder wie jener Nebel; sie sind uns in ihm eine prophetische Mahnung zur Eintracht geworden, eine Mahnung zur Kräftigung und Bewahrung germanischen Selbstgefühls, zu nationalem Zusammenhalt, zur Abrechnung aller scharfen Spitzen parteilicher Gegensätze im eigenen deutschen Hause. Wo seines Namens gedacht wird, da werde auch dieser jubelreichen Mahnung gedacht, die mit hocherhobenem Finger auf die wahre und einzige Bedingung deutscher Größe und Herrlichkeit zeigt, auf die Bedingung der Selbsthülfe durch Eintracht. Hilf dir selbst, so wird Gott dir helfen: da haben wir die Parole des deutschen Heiles, wie sie dem bravsten deutschen Manne, der volkbeliebten Gestalt der Erhebungstage geschrieben stand in der starken gewölbten Brust, auf der freien kühnen Stirn, in den sehnigen Gliedern, in dem liebevollen treuen deutschen Herzen Aber Ernst Moritz Arndt verlebendigte uns nicht nur die Parole des deutschen Heiles, – er gab uns in dem schönsten und volklichsten seiner Lieder auch die Losung: Nicht Preußenland, nicht Oesterreich! nein, nein, Das ganze Deutschland soll es sein! „Hie Süd – hie Nord!“ das ist auch gegenwärtig wieder die Losung politisch-religiöser Parteien geworden, die sich scharf geschieden gegenüber stehen, auf Tod und Leben sich befehden. Sie streuen den Samen der Zwietracht, des politischen und religiösen Hasses – und damit den Samen der Verewigung deutscher Schwäche, deutscher nationaler Ohnmacht. Wir aber, meine Freunde, wir hier im deutschen Westen, auf dem Vorposten gen Welschland, dessen ernster kaiserlicher Gewaltherrscher unser Elend gesehen, wir, die wir doppelt die Aufgabe haben, gegen die Zerstückelungspolitik und den Bruderhader anzukämpfen, weil wir, als erstes Opfer ihrer und seiner Folgen, uns und unsern herrlichen Strom der Fremdherrschaft verfallen sehen würden – können wir, die Hand auf ’s Herz! eine jener Losungen: hie Süd, hie Nord! hie katholischer, hie protestantischer Glaubenshaß! zur unsern machen? Nein, meine Freunde, wenn wir als Deutsche wahrhaft deutsch fühlen, können wir es nicht! Wir können nur die Augen und Herzen zu einem nun verstummten ehrwürdigen Liedermund erheben und mit ihm rufen: Das ganze Deutschland soll es sein! Indem wir hinzusetzen: Der Glaube nicht, – die Liebe wälzt den Stein! Das ist die Losung! das ist der Fahnenspruch deutscher Verheißung! Des Streits genug! der Schmach genug! genug zerfleischt, zerrieben! Wir haben lang genug gehaßt – wir wollen endlich lieben!

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O, ich weiß sehr wohl, daß die politische Seite des Kerns dieser Bekenntnisse auf ziemlich reine Idealpolitik hinausläuft und bei denen, welche sich auf ihre Realpolitik etwas zu gute thun, eine Thorheit heißt. Aber es heißt auch: „das Eine thun und das Andere nicht lassen!“ Wir wollen die Nothwendigkeit und den Nutzen realpolitischer Parteibestrebungen keinen Augenblick verkennen und unterschätzen, aber wir wollen uns auch den Aufblick zu gemeinsamen höheren Zielen nicht untersagen lassen. Nehmen wir uns die Freiheit, nicht mit Herz und Geist im Getümmel der Tageskämpfe restlos aufzugehen, vielmehr unter dem Banner der Idee einen heiligen Platz über allen Parteien zu kennen, wo das Zerstreute sich sammeln und das Zerrissene sich einen, wo das Bewußtsein deutscher Zusammengehörigkeit wachsen und erstarken, wo das, ohne Ansehen der Partei, allen deutschen Gemeinsame als geistiges Einheitsband ergriffen und festgehalten, gehütet und gepflegt werden kann. Seit Menschengedenken haben ideale Wahrheiten bei Vielen für eben so viele Thorheiten gegolten, und Vieles von dem, was unsern Vätern eine ideale Thorheit schien, ist uns längst zu einer realen Wahrheit geworden. Daß es geschehen konnte, danken wir denen, die sich nicht irre machen ließen im Festhalten an der Idee. Denn es bleibt gewißlich wahr: wenn der Deutsche von der Idee läßt, läßt sein Gott von ihm! Der alte deutsche Gott ist ein idealer Gott, und die Sendung des deutschen Volkes ist und bleibt in ihren höchsten Zielen eine ideale, eine geistige Sendung. Lassen wir uns also von dem Geschrei vorurtheilsvoller Parteileidenschaften nicht einseitig in Beschlag nehmen! Lassen wir uns zum Ersten vom Geiste unsers Arndt und zum Andern vom Geiste der neuen Zeit über die zackigen Spitzen parteilich-feindseliger Gegensätze hinaus zu den Höhen deutscher Erleuchtung tragen, dort zu thun, was dem Manne obliegt, der sein Volk, sein Vaterland über Alles liebt. Es gilt die Parole und die Losung des deutschen Heiles, wie beide so lange Jahre verkörpert unter uns wandelten, nun, da ihre Erscheinung im Fleisch, ihre zeitliche Seite uns entrückt ist, von der ewigen Seite ergreifen und festhalten, sie je mehr und mehr als Kraft und Stolz nach außen, als brüderliches Einheitsgefühl nach innen in das erhöhte deutsche Bewußtsein der Gegenwart hineinzuarbeiten. Es gilt die Kräftigung des deutschen Nationalgefühls: hilf dir selbst, so hilft dir Gott! Es gilt die neue Verlebendigung der alten Wahrheit, daß ein Volk nur groß, frei und mächtig wird durch die Eintracht aller seiner Stämme: das ganze Deutschland soll es sein! Es gilt die Ausgleichung und Versöhnung unseres haß- und blutgetränkten religiösen Widerstreits, zum Heil unserer inneren Einheit, auf dem Boden allgemeinster religiöser Duldung: der Glaube nicht, die Liebe wälzt den Stein! Es gilt eine gemeinsame Arbeit aller Vaterlandsfreunde zu Gunsten politisch-religiöser Eintracht, Kraft und Größe aller deutschen Stämme nach innen und außen. Was heißt das anders, als: eine gemeinsame Fortführung der besten Lebensthätigkeit Ernst Moritz Arndt’s, im Sinn und Geiste des Zeitalters der Eisenbahnen?! Das Leben ist kurz, und deutscher Arbeit ist viel. Wirken wir denn, so lange es Tag ist, das alte Elend zu überwinden und neuem Jammer zu entgehen. Am Grabe „des Deutschesten aller Deutschen“ überkomme uns die Weihe der Kraft und die Reinheit der Liebe im Ganzen zu leben, damit etwas bleibe, wenn wir lange dahin sind. Du aber, Vater Arndt, schlaf wohl! Du hast es dir sauer werden lassen zu wirken, so lange es für dich Tag war; du hast im Ganzen gelebt, hast die Ruhe verdient und du

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bleibst, ob du dahin bist. Es ist an uns, deine Arbeit fortzuführen, es ist an uns, uns die Ruhe zu verdienen, ehe denn unsere Jahre vergehen wie ein Geschwätz, ehe denn die deutsche Erde sich schämen möchte, uns zu bedecken. Dein Grab am linken Rheinufer, zwischen Eiche und Taxus, sei und bleibe den Welschen eine gewaltige Antwort auf die lüsterne Frage nach den natürlichen Grenzen. Und so sie, hoch zu Roß, die Antwort zu holen begehrten – wirst du den Deckel deines Sarges sprengen, mit Jugendkraft die heilige Fahne schwingen, wirst Roß und Reisige mit deinem Krückstock niederschmettern und uns zum Siege führen. Arndt mit uns! – Deß sind wir getrost!

Nr. 26 Jönköpingsbladet, Nr. 20 v. 16.2.1860, S. 2 unter Rubrik „Allerlei“46 Ernst Moritz Arndt der kürzlich in Bonn verstarb, war am 26. Dez. 1769 auf der Insel Rügen geboren worden. Sein Vater war Leibeigener des Fürsten zu Putbus, aber freigelassen. Moritz studierte am Gymnasium in Stralsund und an den Akademien in Greifswald und Jena, und nachdem er allerlei Erkenntnisse gesammelt hatte, begab er sich auf Reisen. Erregt über die Leibeigenschaft, von welcher er während seiner frühen Jahre Zeuge war, schrieb er dessen Geschichte, wofür er von den pommerschen Adligen bei Gustav III [!richtig: IV.] angeklagt wurde; aber der König entschied, daß Arndt Recht habe und sprach ihn frei. Er betrachtete nun Schweden, zu welchem Vorpommern gehörte, als sein Vaterland, begrüßte mit Jubel die Französische Revolution und bewunderte Napoleon bis zum Frieden in Luneville 1801, als seine deutsche Vaterlandsliebe erwachte. Nach den Befreiungskriegen Professor in Bonn, gab er den „Geist der Zeit“ heraus, der der Regierung mißfiel. Demagogischer Umtreibe verdächtigt, wurde er 1820 suspendiert und nun befaßte er sich in der Zeit von 20 Jahren, in der er abgesetzt war, mit der Herausgabe einer Reihe von Schriften, von historischem Inhalt, z. B. die schwedische Geschichte unter Gustaf III. und Gustaf IV. Adolf. Im Jahr 1840 wurde er wieder in sein Amt eingesetzt; 1850 schrieb er für die Schleswig-Holsteinische Frage und nachdem er noch eine Arbeit herausgegeben hatte, starb er am 29. Januar dieses Jahres und wurde unter einer Eiche begraben, die er 25 Jahre zuvor gepflanzt hatte.

Nr. 27 Königlich privilegirte Berlinische Zeitung [=Vossische Zeitung], Nr. 43 v. 19.2.1860, 1. Sonntagsbeilage, S. 2–4 [S/S Nr. 2062] Ernst Moritz Arndt Am 1. Februar ist zu Bonn am Rhein ein wahrhaft deutscher Mann zu Grabe getragen worden, der eben weil er keiner Partei angehören, weil er nur ein Deutscher sein wollte und weil er zugleich ein Charakter war, sich wie kein Anderer unter dem lebenden Geschlechte die Liebe und Verehrung der ganzen deutschen Nation erworben und sie bis 46 Aus dem Schwedischen übersetzt von Barbara Peters, 2010.

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in sein höchstes Alter, bis an seinen Tod sich bewahrt hat. Kaum ein Monat ist verflossen, seit ganz Deutschland zahlreiche begeisterte Glückwunschschreiben an den trefflichen Patrioten zur Vollendung seines 90. Lebensjahres sandte und unter den vielen Antworten Arndts sich am meisten jener Nachricht freute, welche der Verehrte in dem Dankschreiben an seinen ehemaligen Frankfurter Collegen Professor Carl Biedermann nach Weimar mittheilte: „Ihr sollt hören, liebe Freunde, daß ich dies ohne Brille schreibe und ohne Krückstock noch meine vier bis fünf Meilen über Berg und Thal laufen kann. Möchten unsere deutschen Dinge“, fügte der alte Vaterlandsfreund hinzu, „nur auch so frisch und lustig laufen!“47 – Ihm war es nicht vergönnt, diese deutschen Dinge einmal frisch und lustig laufen zu sehen. Er starb an der Liebe des deutschen Volkes, dem er nach allen Seiten hin, jedem Stamme, jeder Stadt, jeder Person besonders, aus überwallendem treuen Herzen danken wollte. Ernst Moritz Arndt, der Dichter des deutschen Vaterlandsliedes, ist, durch diese aufregende Anstrengung erdrückt, aus dem Kreise der Lebenden geschieden. In seiner Jugend hatte Arndt gefragt und gesungen: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ – Neunzig volle Jahre ist er alt geworden und hat es – nicht erfahren, und noch bei seinem Tode werden wir schmerzhaft daran erinnert, daß unser Vaterland noch immer ein zerrissener und zerstückter Leib ist! Den Zeugen früherer Hoffnungen, den langjährigen Märtyrer, der die Schmerzen des deutschen Volkes in seiner starken Seele trug, haben sie eingescharrt, und mit ihm das letzte Stück jener längst entschwundenen Vergangenheit, die uns heute nur um so phantastischer erscheinen muß, weil sie gerade in diesem Augenblicke dem Grabe wieder zu entsteigen und sich aufs Neue in eine unmittelbare Gegenwart zu verwandeln droht. Der Dahingeschiedene hatte im kräftigsten Mannesalter die Lehre von den „natürlichen Grenzen Frankreichs“, die nur deshalb zu einer politischen Doctrin werden konnte, weil Frankreich einig und stark, Deutschland aber voll Hader ist, durch den ersten Napoleon verwirklichen sehen. Aber er hatte sie auch auf den Eisfeldern Rußlands, auf den Ebenen von Leipzig, auf den Hügeln von Waterloo niedersinken und, wie man glaubte, für immer bestatten sehen. Er konnte, im Hinblicke auf die Ereignisse jener Jahre und auf seine Thätigkeit während derselben, mit vollem Rechte von sich sagen: „was ich selber gesehen und wozu ich selber geholfen!“ … Und jetzt, nachdem er die schwere Noth und kleinlichen Leiden der Jahre, die auf jene großen Ereignisse folgten, ebenfalls in vollem Maaße kennen gelernt, nachdem er die Bewegung vor zwölf Jahren erlebt hatte, jetzt läßt der Alte, Vielerfahrene sein geliebtes Vaterland im Stiche, in eben dem Momente, wo der dritte Napoleon das Gespenst, das man für ewige Zeiten eingesargt glaubte, von Neuem aus der Gruft heraufbeschwört. Gleiche Ursachen haben immer gleiche Wirkungen. Wehe Deutschland, wenn der Greis seinen Abschied um deswillen beschleunigt, weil er das Herannahen von Tagen fürchtete, die er nicht mehr erleben mochte, weil er ihr ganzes furchtbares Elend nur zu gut kannte! Wehe Deutschland, wenn es in der gegenwärtigen traurigen Lage dem Todten nicht bloß das wohlverdiente Lob spenden muß: „Nehmt ganz ihn wie er war: er war ein Mann!“ – sondern auch weiter über der Leiche klagen muß: „Und seines Gleichen werd’ ich nicht mehr schau’n!“

47 Vgl. Weimarer Zeitung, Nr. 10 v. 12.1.1860, S. 37.

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Die Lebensverhältnisse des alten Arndt, – wer kennt sie nicht? Hat er sie doch selbst geschildert und beschrieben. Wir wollen daraus hier nur hervorheben, was ein helles Licht auf die Gegenwart wirft. Geboren am zweiten Weihnachtsfeiertage des Jahres 1769 zu Schoritz auf der Insel Rügen, wo sein Vater ein angesehener Domainenpächter war, sollte er, nach einer strengen Erziehung, sich dem geistlichen Stande widmen. Von 1791 bis 179448 studirte er in Greifswald Theologie. Aber unser Arndt war ein zu erschwinglicher Mann, als daß er sein liebreiches Herz durch die starre Orthodoxie hätte erkalten lassen können, und er sagte diesem Berufe Valet und sammelte sich Menschenkenntniß und Welterfahrung auf Reisen außerhalb Deutschlands. Wie richtig er beobachtete, zeigt das dreibändige Werk, welches er über diese Reise herausgab. Im Jahre 1806 wurde er in Greifswald als außerordentlicher Professor der Geschichte angestellt, und er zeigte sich in der That bald als einen außerordentlichen Professor. Durch seinen Freimuth und seine glühende Vaterlandsliebe beschwor er hier ein doppeltes Ungewitter auf sein Haupt. Damals wie jetzt verfocht eine Partei ihre Standesinteressen und Privilegien gegen den Geist der neu hereinbrechenden Zeit, gegen Volk und Regierung. Durch sein Werk über „die Leibeigenschaft in Pommern und auf Rügen“ griff er diese Sonderinteressen an, weckte so die giftigen Denunciationen der dortigen Junker und zog sich den bittersten Haß der adeligen kleinen Herren zu, die es sogar dahin brachten, daß eine Anklage gegen ihn eingeleitet wurde. War es doch damals, wo Friedrich Wilhelm III. bei seinen ersten Schritten zur Aufhebung der Leibeigenschaft in Preußen auf einen so maaßlos heftigen Widerstand des Adels stieße, daß er zu Gewaltmitteln greifen mußte, um denselben zu brechen. Ein vornehmer Edelmann scheute sich nicht zu erklären: „Ew. Majestät sind ein mächtiger Herr und besitzen mehr Quadratmeilen als mir Morgen Landes gehören; aber außer Ihren Bayonnetten haben Sie keinen Rechtstitel, der Sie befugt, mir mein Eigenthum, meine Bauern, zu nehmen!“ und aus dem Saale der märkischen Stände mußte der Staatskanzler v. Hardenberg den kleinen Herren von der Marwitz nach der Festung Spandau abführen lassen, weil er seine Collegen offen zur Rebellion aufforderte! Und heute? Geschieht nicht Aehnliches in Mecklenburg und Hannover? Erleben wir nicht den gleichen Kampf gegen die Regierung und gegen das constitutionelle Leben, gegen das Recht und den Rechtsstaat im preußischen Herrenhause? Noch hatte sich dieser Sturm gegen Arndt nicht gelegt, da erregte er schon durch ein neues Werk: „Der Geist der Zeit“, den Zorn des allgewaltigen Siegers von Jena. Arndt hatte ein offenes Auge und ein offenes Herz für die traurigen Zustände seines Vaterlandes. Mit tiefem Schmerze mußten ihn deshalb die in rascher Folge aus diesen Zuständen sich ergebenden Schicksale Deutschlands erfüllen. Mit leichter Mühe besiegte Napoleon die deutschen Heere und warf das zerrissene deutsche Reich über den Haufen. Der Rheinbund kam; die süddeutschen Regierungen flüchteten sich unter den Adler des französischen Protektors. Der letzte Kaiser des so zertrümmerten „heiligen römischen Reiches deutscher Nation“ nahm die deutsche Krone von seinem Haupte. Mahnend erhob Arndt seine Stimme und forderte die Deutschen, Völker und Regierungen, zur Einigkeit dem fremden Eroberer gegenüber auf. Wie ein Prophet entrollte er in dem genannten Werke ein Bild von Deutschlands Zukunft. Vergebens! Damals

48 Die Angabe ist unpräzise!

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hörte Niemand; der Geist der Zeit wurde in Deutschland nirgend, am wenigsten an manchen Höfen, verstanden. Ist es etwa heute anders?! Nach der unglücklichen Schlacht von Jena, welche dem stolzen Reiche Friedrichs des Großen ein rasches Ende bereitete, flüchtete Arndt im Jahre 1807 nach Stockholm, wo er unausgesetzt und unermüdlich durch Veröffentlichung von Flugschriften auf Deutschland zu wirken suchte. Auch hier brachten ihn sein Patriotismus und sein Franzosenhaß abermals in schwere Verlegenheiten. Die schwedische Armee war, wie sich nur zu bald zeigte, weit davon entfernt, den gerechten Zorn zu theilen, welcher Gustav IV., den letzten Wasa, gegen Napoleon beseelte; so ward Arndt mit einem Offizier in ein Duell verwickelt, aus dem er eine gefährliche Wunde davon trug. Sobald die ersten Anzeichen verkündeten, daß ein Krieg Napoleons gegen Rußland bevorstehe und darin den deutschen Patrioten wiederum ein Hoffnungsstrahl leuchtete, eilte Arndt – nach kurzem Aufenthalt in Greifswald unter dem Namen Allmann – nach Petersburg, um von dort aus an der Befreiung seines Vaterlandes zu arbeiten. Der preußische Exminister Freiherr von und zum Stein, den Napoleon schon von Spanien aus (1809) unter der Bezeichnung: „le nommé Stein“ [„der sogenannte Stein“] in die Acht gethan hatte, war unserm Arndt bereits nach dem Hoflager Alexanders I. vorangegangen und mit ihm und all jenen deutschen Männern, welche, aus ihrem Vaterlande durch das Machtgebot des Weltbezwingers verbannt, in Rußland die geistige und materielle Erhebung des deutschen Volks vorbereiteten, beschäftigte auch Arndt sich mit der großen Sache, der er seine Kräfte gewidmet. Durch unzählige Flugschriften voll Geist und Feuer war er unablässig bemüht, den dumpfen Groll des deutschen Volkes gegen den korsischen Unterdrücker zur hellen Flamme anzufachen. Zu den vorzüglichsten Schriften aus dieser Zeit gehören: „Der Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze“, – „Ueber Landwehr und Landsturm“ etc. Sie wurden in Deutschland, obwohl strengstens verboten, überall mit großer Begierde gelesen; sie erregten den Grimm des Kaisers der Franzosen und belebten den Muth der Deutschen. Dasselbe thaten Arndts herrliche Lieder, welche bald von allen Lippen ertönen sollten: „Der Gott, der Eisen wachsen ließ“, – und wer kennt sie nicht? Als nun endlich – endlich die Stunde schlug, als „die zwei großen Generale Hunger und Winter“ – wie der russische Volkswitz sagt – die französische Invasionsarmee vernichtet hatten, als Arndt im Gefolge der russischen Truppen die deutsche Grenze wieder überschritt: da sang er in den Waffenlärm der Befreiungskämpfe hinein, so wie während der ersten Periode der nachglühenden Volksbegeisterung jenes zur deutschen Nationalhymne gewordene fragende Lied: „Was ist des Deutschen Vaterland?!“ Nicht lange brauchte er zu warten, um zu erkennen, daß er diese Frage mit Recht gethan. „Was die Schwerter erworben, haben die Federn verdorben!“ rief Blücher aus, als die deutschen, mit List und Gewalt vom Reiche geraubten Länder Elsaß und Lothringen in Folge deutscher Zaghaftigkeit bei Frankreich gelassen wurden. Unserem Arndt war es nicht beschieden, sich der wohlerworbenen „Muße mit Würde“ lange zu erfreuen. Friedrich Wilhelm III. hatte ihn zwar zum Professor der Geschichte an der 1818 gegründeten Universität Bonn ernannt; aber Arndt vor Allem hatte das Schicksal dazu bestimmt, ein Mann der That zu sein: selbst wo er die Feder zur Hand nahm (er gab damals ein Journal „Der Wächter“ heraus), war er stets weit mehr ein praktischer Vorkämpfer der Freiheit, als ein Publizist oder Gelehrter, und – war die Zeit des Handelns vorbei, so kam für ihn regel-

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mäßig die Zeit des Leidens an die Reihe. Arndt war gleichsam prädestinirt, als Märtyrer zu wirken, so oft er nicht durch Handlungen seinem Volke als Beispiel vorleuchten konnte. Daß dieser ewige Wechsel seinen Gleichmuth nicht aus den Angeln zu heben, daß weder das Unglück den Mann zu verbittern, noch das Glück ihn, namentlich durch den Stachel der Erinnerung an die erlittene Unbill, über das Ziel hinauszureißen vermochte – das ist der beste Beweis für seine kerngesunde Natur. Es ging damals ein finsterer Geist durch unser Vaterland: der Dämon des Verdachtes, der Angeberei und der Demagogenriecherei. Jeder, der die Größe Deutschlands wollte, wurde von oben überwacht und beargwöhnt; die traurige Epoche der demagogischen Untersuchungen wurde von Wien aus durch Metternich Deutschland auferlegt, hemmend Pulsschlag und Blutströmung seines Lebens. Oesterreich hatte selbst zum Sturze Napoleons keine Volksbegeisterung aufkommen lassen* (*Auf den Bühnen Wiens und Prags mußten zu jener Zeit auf höchsten Befehl die Bürgerbewaffnung und das Streben der Deutschen nach Volksthümlichkeit lächerlich gemacht werden.); dort fürchtet man jede Bewegung; man will „Ruhe da unten!“ Metternich oktroyirte diese Ansicht auch außerhalb Oesterreichs, und die patriotische Begeisterung, die in Preußen und anderen Staaten gestern noch die Krone aller Tugenden gewesen, galt heute für höchst bedenkliche Hinneigung zu hochverrätherischen Gesinnungen, es kam die Periode, wo, nach Görres’ bitterem Ausdrucke, den Völkern zugerufen wurde: „Der Brand ist gelöscht, unsere Häuser sind wieder sicher; liebe Leute, nun hübsch ruhig nach Hause! Ihr deutet auf eure Wunden und Verstümmelungen? desto schlimmer für euch! hättet euch besser in Acht nehmen und dem Feuer nicht zu nahe kommen sollen!“ – seien wir kurz: – auch Arndt fiel als eines der ersten Opfer; schon 1819 ward der Patriot seiner Stelle enthoben und in Untersuchung gezogen, weil er „demagogischer Umtriebe“ verdächtig war; und der Sänger des „Deutschen Vaterlandes“, des „Blücherliedes“ und so vieler andern mochte seinem Schöpfer danken, daß er auch den langathmigen Inquisitorien des Hrn. v. Kamptz, aus der polizeilichen Durchwühlung aller seiner Papiere wenigstens ohne weitere Strafe als Dienstentlassung mit Pension hervorging! Seine unfreiwillige Muße, welche bis zum Jahre 1840 währte, erfüllte Arndt mit wissenschaftlichen und poetischen Arbeiten: er veröffentlichte historische Werke und erhob seine Stimme für die Befreiung Griechenlands. Konnte wohl der 71jährige Greis es noch als eine Entschädigung für eine Behandlung wie die ihm widerfahrene betrachten, daß Friedrich Wilhelm IV. nach seiner Thronbesteigung den Alten wieder in sein Amt einsetzte, und 1842 seine Wahl zum Rector der Universität bestätigte? Das deutsche Volk wenigstens sah die Sache nicht so an: „Ihr habt uns einen starken Mann genommen und gebt uns einen Greis zurück!“ sang damals Freiligrath. Daß aber in der Seele des trefflichen Arndt keine Spur von Groll zurückgeblieben war, daß er wenigstens seinen persönlichen Gefühlen keinen Einfluß auf seine politischen Ansichten gestattete, das hatte er die beste Gelegenheit nach der Februarbewegung vor aller Welt zu beweisen. In das Frankfurter Parlament gewählt, wo ihn in der zweiten Sitzung auf J. Venedey’s Antrag sämmtliche Mitglieder durch Erhebung von ihren Sitzen unter begeistertem Zuruf den deutschen Alten ehrten, hielt er dort mit aller Kraft an der constitutionell-erbkaiserlichen Anschauung fest. Der Deputation zur Einholung des österreichischen Erzherzog-Reichsverwesers sich anzuschließen, lehnte er „aus Gesundheitsrücksichten“ ab, dagegen zog er im April 1849 mit jener Deputation nach Berlin, welche Preußen die Kaiserkrone überbrachte und vom Grafen Brandenburg mit den Worten: „Niemals! niemals! niemals!“ abgewiesen

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ward. Drei Wochen später verließ Arndt mit der ganzen Partei Gagern die Paulskirche. Der Bau eines deutschen Reiches war abermals gescheitert. Hier endete Arndt’s politische Laufbahn … oder vielmehr sie hätte geendet, wenn nicht ein pfalzbayerisches Correctionstribunal in Zweibrücken, welches noch einmal die Rolle jenes Schicksals spielen wollte, das sich darauf gesteift hatte, diesem deutschen Manne von echtem Schrot und Korn keine Rast zu gönnen, das ihm daher immer abwechselnd Bürger- und Märtyrerkrone reichte – wenn also nicht ein solches bayerisches Polizeigericht an dem fast 89jährigen Patrioten sich die Sporen hätte verdienen wollen! Dieses Gericht hatte nämlich den Muth, den Alten wegen angeblicher Beleidigung des längst verstorbenen, von Bayern gefürsteten, französischen Marschalls Wrede zu einer Gefängniß-Strafe zu verurtheilen, – jenes Wrede, von dem Napoleon bei Hanau sagt: „Ce pauvre Monsieur! Ich konnte wohl einen Marschall aus ihm machen, aber keinen General!“ und der trotzdem heute neben Tilly in der Feldherrenhalle in München steht! – Nun, über diesen Zweibrücker Spruch haben die Kundgebungen aus allen Gauen des Vaterlandes den braven Arndt überreichlich getröstet. Die beispiellose Theilnahme, welcher der Greis am letzten Weihnachtsfeste bei der Feier seines 91. Geburtstages begegnete, hat unwidersprechlich dargethan, wie, vor so manchem Andern, der gelehrter und berühmter gewesen oder mit mehr Lärm und Glanz durch das irdische Dasein geschritten ist, doch gerade ihm am meisten die „ehrende Grabschrift gebührt: Wer den besten seiner Zeit genug gethan, der hat gelebt für alle Zeiten!“ Das war das Leben Arndt’s, das die Zeit, in der er wirkte! Bis zu dem letzten Augenblicke schlug sein Herz für das Vaterland und hörte sein Geist nicht auf, für das Vaterland zu denken. Noch beim Ausbruche des orientalischen Krieges sahen wir ihn in seiner Schrift Pro populo germanico für die Theilnahme Preußens am Kriege der Westmächte auftreten und für die Befreiung Deutschlands vom russischen Einflusse kämpfen. Arndt war ein Mann, ein ganzer deutscher Mann, der nicht bloß den Muth der Meinung, nein, auch den Muth der That, den eigentlichen Schmuck des Mannes, besaß. Ganz Deutschland, die Einheit und Freiheit des Vaterlandes war sein Denken und Streben seit sechzig Jahren; diese höchste Sehnsucht seines Lebens hat er nicht verwirklicht gesehen. Im Gegentheil hat das böse Schicksal, das ihn verfolgte, den deutschen Ehrenmann neunzig Jahre alt werden lassen, damit er abermals einen Napoleon auf dem Throne Frankreichs sehen, damit er die wachsende Macht desselben und die zunehmende Uneinigkeit Deutschlands wieder erleben, und schon von jenseit des Rheins Drohungen hören mußte, welche in der Blüthezeit seines Lebens schon erschallten und damals sein Blut heiß wallen machten. Die Lehre von den „natürlichen Grenzen“ ist wieder aufgetaucht und – was fürchterlicher als Alles in das Ohr des Alten geklungen haben muß: schon ist die Zwietracht unter den deutschen Staaten so groß geworden, daß von Süddeutschland her in den Spalten eines deutsch-feindlichen Journals, der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“, mit einem neuen Rheinbund unter dem Protectorate des Kaisers der Franzosen gedroht wird! – O wohl Dir, aller Vater Arndt, daß Du eingegangen bist zur ewigen Ruhe, ehe vielleicht neue Stürme Dein Haupt umbrausten und neuer Kummer Dein Herz erfüllte. Friede Deiner Asche! – (D.K-Z.)49

49 Nicht aufgelöstes Zeitungskürzel.

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Nr. 28 Albrecht Wolters: Ernst Moritz Arndt, in: Evangelisches Gemeindeblatt aus und für Rheinland und Westfalen. Elberfeld, Nr. 4 v. 23.2.1860, S. 66–74 [S/S Nr. 2085; Loh Nr. 1890]50 Ernst Moritz Arndt.51 (Geboren zu Schoritz auf Rügen 26. Dezember 1769, gestorben zu Bonn 29. Januar 1860.) „Nicht vermodern, Mag ein Himmelskeim, Wo die Sonnen lodern Ist des Menschen Heim.“ Der ehrwürdige Greis ist heimgegangen. Ein Leben voll Sturm und Gottesgnade, voll Noth und Kraft, und all der Segen, der sichtbar und unsichtbar daran und davon ab hing, ist zu Ende. Man muß erwarten, daß Nekrologe aller Farben und Arten versuchen werden,52 den geliebten Todten zu Demjenigen zu stempeln und zu machen, was ihre Verfasser verehren. Denn aus einem Leben so voll von allerlei Sang und Klang und Drang53 wie das unsres Arndt gewesen, mögen leicht auch ganz verschiedene Naturen Einen Ton und Schall vernehmen, den sie zu verstehen und durch den sie den Mann selbst zu verstehen

50 Ende April 1860 erschien dieser Artikel als überarbeiteter, erweiterter Sepratdruck [=Sep.]: Ernst Moritz Arndt, ein Zeuge für den evangelischen Glauben, von Albrecht Wolters, Pfarrer zu Bonn, Druck und Verlag der Bädeker’schen Buch- und Kunsthandlung Elberfeld 1860, 47 S. [S/S Nr. 1782; Loh Nr. 1889] In den folgenden Fußnoten werden nur die textlichen Varianten und Erweiterungen des Separatdrucks vermerkt. Eine um den Anfang und den Bestattungsbericht gekürzte Fassung des Originaldrucks erschien – mit leichten Verschreibungen – erneut 1935: Albrecht Wolters, Ernst Moritz Arndt. Zur Erinnerung an seinen Heimgang (29. Januar 1860), in: Monatshefte für rheinische Kirchengeschichte 29 (1935), 88–95 [Loh Nr. 1891]. 51 Sep. enthält folgendes Vowort: „Auf den Wunsch vieler Freunde erscheint dieser bescheidene Schattenriß des Lebens E.M.Arndts mit einigen Zusätzen in besonderer Ausgabe. Ursprünglich nur für das „Evangelische Gemeindeblatt für Rheinland und Westpfahlen“ geschrieben und darin am 23. Februar abgedruckt, wollte er an die Bedeutung des Todten für das Leben und Weben des reiches Gottes auf Erden erinnern, und dadurch zu seiner gerechten Würdigung und Anerkennung beitragen. Arndt war aus einem Guß. Man kann seinen Muth nicht recht verehren, wenn man das Feuer verkennt, aus dem er stralte[!]. Der muthige Mann ist ein frommer Mann gewesen. Die Liebe, welche er durch seine Lebensarbeit für das ganze große deutsche Vaterland bei diesem wohl verdient hat, und die jetzt sich aufmacht um sein Andenken zu ehren, wird die beste Bürgschaft für ihre Dauer und Kraft darin haben, daß sie wahr ist: daß sie in ihm nicht sieht was sie will, sondern ihn so nimmt wie er war. Er war auch ein Zeuge für den evangelischen Glauben, und als solchen in wenigen Zügen ihn zu schildern, bleibt zur Aufklärung Vieler eben so zeitgemäß, wie zur Ehre der Wahrheit nothwendig. Bonn, 23. April 1860 Albrecht Wolters.“ 52 Sep. kürzt: „Nekrologe aller Farben werden versuchen…“ 53 Sep. enthält „und Drang“ nicht.

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meinen. Vor allem aber ist zu befürchten,54 daß die jetzt so genannten Liberalen, eine Parthei,55 welche heut zu tage, da der Wind für sie weht, neben den vielen theuern Männern so viele wohlfeile Leute in sich beschließt, mit scheinbar größtem Rechte56 sich Arndts in viel schriftlichen und mündlichen Worten bemächtigen, ohne von ihm auch nur57 seines Rockes Zipfel andern Menschenkindern zu gönnen oder zu lassen. In unerfreulicher Weise58 hat die Kölnische Zeitung den Reigen solcher Kundgebungen bereits eröffnet. In einem „Nachruf“ (Nr. 34 – 3. Februar.)59 wird ihm alles Mögliche nachgerufen und nachgerühmt; alle Vorzüge, welche der Schreiber an den Deutschen kennt, und deren Verkörperung er so zu sagen gewesen, sind ihm da zugelegt „Wahrheit, Treue, Geradheit, Keuschheit, Tapferkeit, Männlichkeit“. Frömmigkeit, wo bist du geblieben? Wenn du denn Manchem als keine Tugend mehr erscheinst, bist du denn nicht einmal ein Vorzug mehr? Oder hast du vielleicht nach Etlicher Bedünken unsern Todten60 nicht geschmückt? Daß Arndt bei Zeiten dem Predigtamt, dem „Amt das die Versöhnung predigt“, welchem er anfänglich sich widmen wollte,61 entsagte, geschah nach starker innerer Bewegung, geschah nach langem Besinnen, und in voller62 Erkenntniß (die spätere Zeit hat sie auch als die rechte erwiesen) davon, daß er so wenig für dies Amt als das Amt für ihn war. Diese bedeutsame63 Wendung des Lebens thut der Nachruf mit den Phrasen ab: „die protestantische Theologie, die damals sehr lau und matt war, befriedigte ihn nicht; er hängte sie an den Nagel und ging auf Reisen.“ – Aus demselben Horn bläst eine Lebensgeschichte, die in der Beilage des genannten Blattes, Nummer 35, 4. Februar, beginnt.64 Sie wirft dieselbe Sache mit der Wendung über Bord „er sagte der Gottesgelahrtheit für immer Valet, schnürte im Frühling 1798 sein Ränzel und pilgerte als „Bruder Sorgenlos“ in die weite Welt hinein“. Die seichte und65 leichtfertige Art über einen Lebensentschluß des großen Todten abzuurtheilen, läßt nur zu deutlich erkennen, daß es Leute gibt, die nicht fähig sind, das Gewicht desselben überhaupt66 nur zu bemessen. Wozu, dürfen wir fragen, mit spitzigen Wörtlein oder altfränkischen Worten über so große und so heilige Dinge wie Theologie, zu Deutsch Gottesgelehrtheit,67 Predigtamt, Arndt’scher Lebensentschluß sind, den Feuilletonstyl einer Zeitung würzen und darüber schnattern, als wäre das alles eitel Tand und Sand? Wahrlich, des grundehrlichen Mannes Wendung im Lebensberuf, die ihm sauer genug geworden, macht man nicht süß ohne zugleich dadurch das Bild des Entschlafenen zu 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67

Sep.: „Vor allem aber muß man erwarten…“ Sep. enthält „eine Partei“ nicht, und ändert „heut zu tage“ in „jetzt“. Sep.: „mit scheinbarem Rechte“. Sep.: „in gebundener und ungebundener Rede also bemächtigen, daß sie auch nicht…“ Sep. enthält „in unerfreulicher Weise“ nicht, ebenso auch nicht das folgende „bereits“. Siehe oben Text Nr. 14. Sep.: „Oder hättest du vielleicht unsern Todten…“ Sep. enthält diesen Nebensatz nicht. Sep. enthält „voller“ nicht. Sep.: „bedeutsamste“. Gemeint ist der Nachruf von Hermann Grieben, oben Text Nr. 16. Sep. enthält „seichte und“ nicht. Sep. enthält „überhaupt“ nicht. Sep. setzt diese Apposition in Klammern.

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entstellen.68 Mit Ernst soll man nicht witzeln.69 Nein, ihr lieben Herren und Leute, in der Weise, wie ihr es meint und versteht, hat Arndt die Gottesgelahrtheit nicht, und nie und nimmer entsagt! Nein,70 über Gott nicht nur, sogar von Gott ist er gelehrt worden und blieben bis an sein selig Ende! Deß sollen die Christenleute im ganzen lieben deutschen Vaterland gewiß sein, und sich gleich jetzt nur71 besinnen auf des Heimgegangenen Leben und Thaten, und sich rüsten, daß ihnen nicht seine großen,72 ernsten, liebsten Züge durch Schreiber und Abschreiber verzerrt werden; – daß nicht die großen Dienste, welche er Lebenslang der Sache der Frömmigkeit, der Sache Gottes73 so froh erwiesen hat, wie leere Schnurrpfeifereien unter die Füße gerathen. Und wenn nicht alle deutschen Christen diese Pflicht fühlen oder fühlen dürfen: so sollens doch die, welche mit ihm zu derselben evangelischen Kirche gehörten und noch gehören: so vor allen anderen mindestens die Evangelischen des Rheinlandes, mit denen er in der innigsten Verbindung, die es unter der Sonne gibt, in der des Glaubens, gestanden bis an den Tod, deren Bruder er war und ist, die ihn nie und nimmer sich dürfen rauben lassen, – die vielmehr das Andenken des ganzen Mannes und seiner Werke, die ihm nachfolgen, sternenklar sich zum Segen bewahren und vererben müssen auf Kind und Kindeskind. Halte, was du hast, sagt die Schrift. Das wollen wir evangelischen Rheinländer auch an Arndts frischer Gruft sagen. Diese Zeilen wollen dazu mithelfen, daß wir es recht sagen lernen.74 68 Sep.: „sein Bild zu entstellen“. 69 Sep. fügt hier folgende Fußnote an: „Wie eine Sache einmal begonnen wird, so geht sie gewöhnlich weiter. In dem einmal angeschlagenen Ton reden fast alle die Büchlein über Arndt, welche wie Eintagsfliegen unter schönen Namen die Buchläden zu füllen beginnen. Tagesschriftsteller schweißen allerlei altes zusammengesuchtes Eisen aneinander, und tragen diese noch immer so dürftigen Zeugnisse ihres Flicktalentes zu Markt. Windiges Prunken mit Freiheit, Freisinn, Freimuth, – Geister, deren sie doch keinen je gesehn! – verstopft nur schlecht die überall sichtbaren Löcher. – Wenn doch bald Einer Arndts Leben groß und ganz in Arndts Geist dem deutschen Volke erzählen wollte ohne davon und dazu zu thun!“ 70 Sep.: „Nein, nein…“ 71 Sep. enthält „jetzt nur“ nicht. 72 Sep. enthält „großen“ nicht. 73 Sep.: „welche er Lebenslang der Sache seines Gottes…“ 74 Im Sep. ist hier folgender biographischer Abriß eingefügt: „Das äußere Leben des lieben Verstorbenen ist trotz der großen Beweglichkeit seines Inneren gar einfach verlaufen. Als der Sohn eines trefflichen Bauern auf der Insel Rügen – die damals Schweden gehörte – am Weihnachtsfest 1759[!] geboren, empfing er von ihm eine liebreiche, aber harte Zucht. Mit Willen ließ der Vater den noch kleinen Jungen in kaltem Frost vom Schlitten fallen, daß er im Schnee sich rollte; lehrte ihn schwitzen und frieren, hungern und dursten. Die fromme und sinnige Mutter gab dem ungestümen Gemüth friedliche Nahrung: Gottes Wort, tröstliche Kirchenlieder, hie und da ein Mährchen, eine Volksgeschichte. Ein nüchterner, ernster und evangelischer Sinn waltete im Hause. Arndt pflegte, seiner Kindheit sich erinnernd, wohl zu sagen: er könne gar nicht anders denken, als daß er die Gottesfurcht geerbt habe. Die Erziehung des reich begabten, aber ungefügigen Knaben wurde den Eltern erste und ernste Pflicht. Sie haben sie wohl erfüllt. Siebenzehnjährig bezog er, innerlich geweckt durch manche häusliche Trübsal, die er erlebt, das Gymnasium zu Stralsund. Die heißen Jünglingsjahre machten ihm schwere Noth. „Wie oft, erzählte er wohl den Freunden, habe ich mich, und

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wenns Oktober war, in die kalte See geworfen, um Ruhe zu bekommen von dem kochenden Blut.“ Ein wilder Drang trieb den unbändigen Zwanzigjährigen eines Tages auf und davon; freilich nur damit er nach einigen Tagen schon, in Erkenntniß des thörichten Streiches, an die väterliche Thür (die Familie wohnte damals bei Stralsund) wieder anklopfte. Ostern 1791 gings zur Universität Greifswald, zum Studium der Theologie und Philosophie, 1793 nach Jena. Hier lehrte der große Philosoph Fichte, aber ihn nicht. Seine Philosophie wuchs auf dem Markt des Lebens, unter den Menschen, nicht hinter den Glasscheiben der Arbeitsstube. An den elterlichen Heerd zurückgekehrt, unterrichtete er, um nicht müßig zu gehen, seine jüngeren Geschwister. An eine Predigt wagte er sich nur einige Mal. Aus diesem sorglosen und zwecklosen Dasein zog ihn der Dichter – auch Pfarrer – Kosegarten als seinen Hauslehrer nach Altenkirchen auf Rügen (1796). Zwei Jahre später finden wir ihn achtzehn Monat lang der Menschen Städte zu sehn und Sitten zu lernen, auf der Wanderschaft durch Oesterreich, Savoyen, Frankreich; dann als Professor der Geschichte an der Universität Greifswald (1799), wo er nach glücklicher aber nur zweijähriger Ehe seine Gattin verlor. Hier entstanden seine ersten Schriften (1803). Er redete darin über „Germanien und Europa“ scharf und kühn; über die „Leibeigenschaft in Pommern und Rügen“ klar und wahr. Verklagt, er hätte den Adel damit gekränkt, wußte er sich also zu verantworten, daß der Schwedenkönig selber zuletzt sagen mußte: „der Mann hat Recht“. Und er behielt Recht. Kein Haar ward ihm gekrümmt. Noch ein Jahr verbrachte er reisend in seiner Heimath Schweden, um dann eine Beschreibung aller seiner Wanderungen in die Kreuz und Quer herauszugeben. Bis dahin ließen seine Schriften nicht den einzigen Mannesmuth ahnen, in dem er plötzlich auftrat und das unterdrückte deutsche Volk gegen seinen Dränger und Zwänger Napoleon aufrief. In sein Buch „Geist der Zeit“ das in den Jahren der Schmach nach und nach in mehreren Abtheilungen erschien, legte er alle Kraft der Beredtsamkeit, alle Glut der Vaterlandsliebe, die in seinem Herzen brannte; hier suchte er mit allen Mitteln, die ihm zu Gebote standen, das zertretene liebe große Deutschland aufzuwecken und aufzuschrecken, zum Selbstvertrauen, zum Muth zu entflammen. Was half ’s, daß Napoleon Schrift und Schreiber verfolgte? Das Buch wurde in die Winkel geflüchtet, wo Männer bei Nacht und Nebel sich daran stählten; und er selbst fand bei dem schwedischen Könige Schutz. Aber der Mann der Gewalt verjagte das alte Königsgeschlecht Wasa vom Thron; Schützling und Schutzherr flüchteten. Unter fremdem Namen, als Sprachlehrer umherfahrend, meistens in Berlin, gerieth Arndt endlich in Schlesien zu den Männern, zu welchen er gehörte: Blücher, Scharnhorst, Gneisenau! (1812). Die ersten kühnen Entwürfe zur Befreiung des Landes entstanden. Von hier kam er nach Petersburg zum Freiherrn von Stein, dem Gesinnungsgenossen, dem Leidensgefährten, welchen der Napoleon als „den, genannt Stein“ für eine Zeit um Land, Sand, Stand und Vaterland gebracht hatte. Bald flog eine trotzige Schrift Arndts aus dem Schnee Rußlands zu uns herüber „die Glocke der Stunde“; die drang wie eine Brandglocke durch Gauen und Herzen. Der „Soldatenkatechismus“ gleich darauf, predigte, was allen zu hören wohl that – Befreiung, Zorn dem Dränger, Heil dem Vaterland. General York fiel mit seinen preußischen Truppen auf eigene Hand und Gefahr von Napoleon ab. Am 2. Februar 1813 rief der gerechte König Friedrich Wilhelm III. von Preußen sein Volk zu den Waffen. „Zu den Waffen!“ antwortete sein Volk. Der König rief, und Alle, Alle kamen. Der Bauer ließ Egge und Pflug. Universitäten und Gymnasien verödeten. Die Braut kannte für ihren Bräutigam nur Einen Schmuck noch: das Schwert. Der Sturm war da. Arndts „Landwehr und Landsturm“, sein „Katechismus für den christlichen Kriegs- und Wehrmann“ wurden Feuerzeichen am donnernden Himmel der Zeit; seine Lieder klangen wie Feldmusik und Trommelklang jubelnd hinein! Als der Sieg erfochten war, bezahlt mit dem Blut vieler vieler Tausende unserer Brüder, und die Friedenstauben zu fliegen begannen: mahnte er zur Zeit des Friedensschlusses im Büchlein „der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze“, ebenso wie weiland

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Nachrufe auf Arndts Tod 1860 der alte Blücher im Trinkspruch gemahnt hat, da er unter den Diplomaten saß: Was die Schwerter uns erwerben, laß die Federn nicht verderben! Er lebte meist in Köln, wo er kurze Zeit eine viel gelesene Zeitung „Wächter am Rhein“ herausgab. Damals begannen die Unterhandlungen wegen einer rheinischen Universität, deren Stiftung der König den Rheinländern verheißen hatte. Arndt rieth aufs entschiedenste von Köln ab und verwies auf das benachbarte Bonn. Der Staatskanzler Hardenberg hörte ihn gerne und ward für den Plan gewonnen. Daß Arndt richtig gesehen, hat der Erfolg gelehrt. Er zog der neuen Anstalt vorauf und ließ sich Herbst 1817 in Bonn nieder. Herbst 1818 schon stand die Hochschule da, an der er als Professor der Geschichte zu wirken begann. Er lebte für die Studenten, aber für sein geliebtes Volk leben konnte er darum auch noch. Seine Flugschriften mahnten die Deutschen zur Einheit, warnten vor Zersplitterung. Vergebens! Die Noth war hin: – die Leute verlernten das Beten, und mit dem Beten noch manches Andere. Zur Zeit der Demagogen und ihrer Aufspürung ward auch er verklagt, ja seines Amtes entsetzt (1820). Eine gerichtliche Untersuchung endete mit Erklärung seiner Unschuld (1822): aber den Lehrstuhl durfte er nicht mehr betreten. Wider diesen Kampf der Willkühr gegen die Gewissen redete er frank und frei. Den Muth verlor er nicht, weil er seinen Gott und Glauben nicht verlor. Noch dazu gehörte er von Haus aus nicht zu denen, welche vom Untergang der Welt phantasiren wenn eine Wolke Straßenstaub einen Augenblick ihnen Licht und Sicht benimmt. Als es am schlimmsten stand, mahnte und warnte er den Staatskanzler „wehe uns allen, wenn, was über der Erde entschieden und geschlichtet werden soll, in den gemeinen Staub des Faustkampfes herabgerissen wurd“. Wieder vergebens! Er war zur Unthätigkeit verurtheilt. Der Vogel lebte noch, aber mit beschnittenen Schwingen. Zum Gelehrten, der in eisiger Ruhe alle Jahre sein Buch schreibt, hatte Gott der Herr nach seiner Huld ihn nicht geschaffen. Recht leben und gedeihen konnte er nur mitten im Leben, in der Einsamkeit nicht; lehren konnte er am besten im lebendigen Wort, und das durfte er nicht. Nur wenns am Völkerhimmel blitzte, redete der mitten im Vaterland Verbannte noch. Thatlos hatte man ihn machen können, rathlos nicht, hoffnungslos nicht. Wer könnte den zerbrechen, der gesungen und geglaubt hat „deutsches Herz verzage nicht, thu was dein Gewissen spricht, dieser Strahl des Himmelslichts: Thue recht und fürchte nichts!“ Einen, hinter dem Gott der Herr steht, kann Niemand zerbrechen als nur Gott der Herr selber; Menschen nicht. Das Buch „Christliches und Türkisches“ kam 1828 ans Licht; die „Frage über die Niederlande“ 1831; „Belgien und was daran hängt“ 1834; seine „Schwedischen Geschichten“ 1839. Es waren Zeichen, daß Arndt noch lebte. Ja, er lebte still und litt. In rührender Treue theilte sein Loos die treffliche Gattin, des großen Schleiermachers Schwester, welche er im Anfang seines Bonner Aufenthaltes geheirathet hatte, und die alle Kränkungen und Ehren bis an seinen Tod mitgefühlt und redlich mitgetragen. Als unser König Friedrich Wilhelm IV. Preußens Thron bestieg (1840) ruhte sein edles Herz nicht, bis auch diesem Greise, dem Unrecht geschehen, sein Recht geworden war. Er führte ihn auf seine Stelle an der Hochschule zurück. Wer es erlebt hat, bezeuge, wie das ganze Rheinland jubelte! Alle Kraft, die Arndt geblieben, beutete er nun dankbar für seine Vorlesungen aus. Der alte Frohsinn, der nie geschwunden, stellte in seiner Hülle und Fülle sich wieder ein. Seine „Erinnerungen aus dem Leben“ wie die mancherlei geschichtlichen Schriften welche er von da an herausgab, erndteten den Dank der Verständigen. An Anfeindungen allerlei Art fehlte es natürlich auch nicht. Mücken gibt’s überall, und Wölfe sind auch noch im Land. Doch lehrte ihn sein gesunder Humor gedruckte Kränkungen todt zu schweigen. Ueber ein Flugblatt, was fast vor seinen Augen (zu Köln, 27. Dezember 1840, selbstredend namenlos) erschien, und dessen Verfertiger schamlos was ihm in die Hände gekommen ist, so Koth wie Steine, auf den 70jährigen Mann warf – lachte er. Nur als (1847) man noch einmal wagte, ihn wegen seines Lebens in und nach den Befreiungskriegen anzufassen, fuhr er mann-

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haft auf, gab in seinem „Nothgedrungenen Bericht aus meinem Leben“ (1847) Akten und Aktenstücke, mehr als Manchem lieb war, zum Besten, und leuchtete so seinen Hassern in ihre liebe Finsterniß hinein. So kam das Sturmjahr 1848. Als die Wogen hoch und wild gingen, schrieb Arndt „das verjüngte oder zu verjügende Deutschland“. Er hoffte Viel. Vielleicht zu viel. Von Rheinpreußen aus in die Nationalversammlung nach Frankfurt abgesandt, fand er dort, was er nicht suchte: viel Verehrung; was er suchte: Einigkeit, fand er nicht. Er mahnte, er zürnte und drohte in Wort und Lied. Da entmenschte Haufen unsre zwei preußischen Deputirten umbrachten, am hellen Tag und an der lichten Sonne, schlug er unter die Blutrothen wie ein Mann. „Wie? Sind das deutsche Fahnen? Den Farben rother Wuth? Will deutsche Kämpfe mahnen das Roth an Brust und Hut? Wie? Roth der wälschen Seine, das mahnte deutschen Muth? Für Wolf und für Hyäne, doch nicht für Deutsche gut! Sind das der Freiheit Gaben? Ist dies der Freiheit Klang? – von schwarzen Galgenraben der Mitternachtsgesang!...“ Zu Frankfurt hielt er aus bis zuletzt, war auch unter den Abgesandten, welche unserm Könige die sogenannte Kaiserkrone Deutschlands anbieten sollten, und brach erst am 15. Mai 1849 nach Bonn auf, das er nicht mehr verließ. In die Muthlosigkeit, welche bald der fieberhaften Spannung folgte, rief und schrieb er unablässig Worte und Verse voll Herzhaftigkeit und Kraft. In den ärgerlichen Demüthigungen, die Preußen dann zu erdulden hatte, hielt er Kopf und Hand hoch. Für Schleswig-Holstein schrieb er noch einmal ein goldenes Wort „Mahnruf an alle deutschen Gauen“ und schürte das deutsche Gewissen in dieser Sache mit kurzen Aufrufen Jahr auf Jahr. Noch einmal dann weihte er in trostloser Zeit eine Trostschrift seiner Nation (Pro populo germanico „für’s deutsche Volk“ 1854), und hielt in der Schilderung seines Freundes des preußischen Ministers Stein („Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn von Stein“ 1856 [richtig: 1858]) uns nicht ohne große und hohe Absicht das Bild eines Mannes vor, der gerade in der Noth der Deutschen sich bewiesen als der Deutschen Edelstein. Die letzte Gabe hatte er seinem Volk in der Sammlung seiner „Gedichte“ zugedacht, welche noch im Druck waren, als der Tod ihn überraschte. Was ist denn nun unser Arndt gewesen? – Ein gelehrter Mann? … Wenn man will: ja. Er hatte viel gelernt und hatte ein herrliches Gedächtniß, was Altes und Neues zähe festhielt. Sprach man mit ihm über das was eben gestern geschehen: gleich hatte er was nöthig war zur Hand. Sprach er von Dingen die man in Büchern lesen muß, die vor Jahrtausenden sich begeben haben: wie strömte ihm da Alles zu, wie wurde das Todte ihm so lebendig! Erzählte er aber von dem gar, was er selbst vor zehn, fünfzig, achtzig Jahren erlebt hatte: wer mußte ihn da nicht bewundern! Seine „Erinnerungen aus dem äußern Leben“ hat er im 72. Jahre in Einem Zuge niederschreiben können. Einmal besuchte ihn ein Gelehrter, der auf der Reise eine flüchtige Stunde dafür sich ausgespart hatte. Nach kurzem Hin- und Herfragen hatte Arndt sich zurecht gefunden, und erzählte dem von seinem Großvater, den er in der Kindheit gekannt, legte ihm seinen Geschlechtsbaum aus, und berichtete allerlei gesalzene Dinge dazu aus den Zeiten Friedrichs des Großen, löblichen Gedächtnisses, daß der Mann vor dieser ungeahnten Kenntniß der ihm selbst unbekannten Vorgeschichte seines Geschlechtes erschrack. Aber so vielerlei er auch wußte, behalten und gelernt hatte, ein Gelehrter wie er eigentlich sein soll war er doch nicht. was ist er denn gewesen? Ein Dichter? Ja, das war er auch. Aber wir verwöhnten Deutschen haben größere. Was war er denn? Manchen scheint er nicht viel Anderes als ein Feind und Fresser der Franzosen, und lieben ihn (besonders in dieser schwülen Zeit) auch so schon als immerhin dankenswerthe Gottesgabe. Aber man bedenke doch: er hat ja gar nicht in erster Reihe wider die Franzosen sondern für sein deutsches Vaterland gestritten bis zuletzt! Wer seine lieben Deutschen antastete, der bekam es mit ihm zu thun, – übrigens mochte er heißen wie er wollte, und treiben was er wollte. Er war gelehrt, er war ein akademischer Lehrer, er war ein Dichter, er war ein Patriot; er war wohl noch mehr

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„Fromm, frisch, fröhlich und frei“, so heißen die Losungsworte der Männer, welchen Arndt die längste und reichste Zeit seines irdischen Lebens vorging, vorsprach, vorsang, vorarbeitete. Sie konnten ihn so gut verstehn, denn er war von Herzen75 ein frommer Mann.76 Nicht nur sein Deutsch hat er aus der Bibel geholt, sondern auch den Glauben: Schale und Kern zugleich.77 Graddurch ging er in allen Stücken; er hatte aus Gottes Wort gelernt, in Sachen des Glaubens zu allererst nicht an den Pförtner, sondern an den Herrn des Hauses selbst sich zu wenden. Menschliche Autoritäten ließ er sich nie aufjochen; er verkehrte mit seinem Gott.78 Weil er das that, weil er dadurch auch immer mehr ihn kennen lernte: so wußte er, daß der Herr zu fürchten sei. Der Mann, der Greis wußte darum von Menschenfurcht nichts, weil er in Gottesfurcht stand. Sie wohnte in ihm unaustilgbar; sie hatte sein Leben zu dem gemacht, was es geworden. Er ist als79 Schriftsteller und Lehrer für Geschichte80 des eignen Volks und der Völ81 ker in allerlei Weise thätig und weithin wirksam gewesen. Wer ihn nur aus seinen Schriften kennen lernt, wer ihn nie gesehen und mit ihm geredet, wird immerhin schon bezeugen: wie zwar nicht mit besonderem Gepränge, aber ganz bemerkbar doch ein Schimmer durch all seine Bücher und Büchlein geht von dem hochfrommen Wort, daß von Gott und durch Gott und zu Gott alle Dinge seien, darum auch Ihm allein die Ehre gebühre in Ewigkeit. Sein Gott ist nicht ein durchs All zerflossenes Etwas; nicht ein Phantom, das durch Selbsttäuschung oder durch Verwechselung der wunderlichen Menschen mit sich selber entstanden sei, das Bild, welches sie von sich selber im Weltall erblicken: Sein Gott ist der lebendige Gott. Er wußte, daß ihn lieben das größte Gebot ist. Nächst Gott, hat er sagen dürfen, sei das Vaterland seine höchste Liebe. Er hat gedichtet voll Kraft, voll Fröhlichkeit; viel herzige Lieder. Er hat – so sagte er selbst einmal82 in guter, stiller Stunde von sich – hie und da einen Klang und Sang von oben, eine Stimme gehört, und dann gesagt, was ihn angeklungen und angesungen. Von Vielerlei hat er in ihnen geredet, von der deutschen Eiche auf den Bergen bis herab

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als das Alles: er war ein gelehrter, lehrhafter, dichtender, patriotischer Mann, – er war ein frommer Mann. Sep.: „denn er war vor allem andern und von Herzen…“ Sep.: „Mensch“. Sep. fügt hier folgende Passage ein: „Als er (1856) seine geistlichen Lieder zum ersten Mal vollständig heraus gab konnte er in der Vorrede sagen: „Ein evangelischer Christ der Lieder singen will, hat in seines Martin Luthers Bibel und Liedern die rechten starken und einfältigen Muster. Vor allen deutschen Männern hat dieser große Unsterbliche der Sprache den rechten Schritt und Klang zu deutschen Herzen gewiesen; und wenn mir hin und wieder gelungen ist, deutsch sprechen, reden, und ein Weniges singen zu können: so verdanke ich das mit vielen Andern, die deutsch empfinden denken und darstellen können, am meisten der von Kind auf geübten fleißigen Lesung der lutherischen Bibel.“ Weil er auf Gott allein sah, ging er immer denselben Weg, fest, nicht rechts nicht links ab, grad durch in allen Stücken. Er hatte“… Sep.: „mit seinem Gott im Himmel.“ Sep.: „Er ist wie gesagt als…“ Sep.: „besonders für Geschichte“ Sep. enthält „und der Völker“ nicht. Sep. fügt ein: „in der dunklen Laube seines Gartens“.

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zum Moos, was an der Wand wächst. Männer sind durch sie begeistert, daß sie in Schaaren ihre Brust froh dem Tod entgegenwarfen, und unsre Kinder freun sich an den sinnigen schönen Gaben, die auch für sie abgefallen sind: „Und die Sonne, sie machte den weiten Ritt um die Welt,“ „Herr, deine Kinder treten mit Freuden zu dir hin,“ „Du lieber, frommer, heilger Christ“. Sie sind auf gesundem Boden gewachsen, vom ersten bis zum letzten auf einem Boden, der von Gottes Thau von oben getränkt ward. Lies sie doch nur! Wie sie so gut zu lesen sind für alle und allerlei Leute, auch für Christenleute! Er hat nie die Götter Griechenlands in taumelnden Versen zurückgewünscht, nie durch eine Braut von Korinth dem Salz und Wasser des Christenthums gegenüber der Liebe natürlichen Brand feiern lassen. Vielmehr geht durch seine Lieder, selbst wenn er den Wein rühmt in Worten, die allesamt Mark und Knochen haben,83 ein Zug großen Ernstes, ja, wohl der Zug nach oben. Seine Vaterlandslieder haben in den bitterbösen Jahren französischer Unterjochung84 gewirkt in unserm Volk wie ganze gewonnene Schlachten. Unsere Väter haben sie gesungen, und da sie sie sangen nicht nur an’s Schwert geschlagen, sondern begeistert das Schwert gezogen. Warum athmeten denn diese Worte so brennendes Feuer? Woher hat er selbst diese Begeisterung für sein Volk, das er als keuschen Träger echter Bildung und wahrer Treue gegen Gott und Menschen pries? Er hat ein Körnlein in sie alle gelegt, was nicht von der Erde ist, er hat im Vertrauen auf den großen deutschen Gott (so nannte er ihn wohl einmal) sie gedichtet. Wer kennt sie nicht? wer liebte sie nicht? Sie sind wie der Mann selbst unlösbar eingewoben in die glorreichste Zeit und Geschichte des Vaterlandes. Helle Klänge stärkerer, gesünderer Tage! Das Lied vom Gneisenau „Bei Kolberg auf der grünen Au, geht’s mit dem Leben nicht zu genau, da donnert’s von Kanonen!“ Das Lied vom Blücher „Was blasen die Trompeten? – Husaren heraus!“ Das Lied vom Schill: „Es zog aus Berlin ein tapfrer Held, er führte sechshundert Reiter ins Feld.“ Aber nicht alle riechen nach Pulver. Vergessen wir85 neben den hellen Liedern die frommen nicht, die als ihre Brüder zugleich mit jenen in die Welt ausgingen und ausflogen. Wenn er sein großes, liebes Volk86 anredet, grüßt er mit dem Glauben, daß der alte Gott noch lebe, der Herr Zebaoth, der Herr der Heerschaaren. „Frisch auf, ihr deutschen Schaaren, frisch auf zum heilgen Krieg; Gott wird sich offenbaren im Tode und im Sieg.“ Das schnelle Soldatenlied: „O du Deutschland, ich muß marschieren, o du Deutschland, du machst mir Muth“, klingt aus in den wehmüthigen, demüthigen Gruß „nun ade, fahr wohl, fein’s Liebchen, weine nicht die Aeuglein rot. Trage dieses Leid geduldig; Leib und Leben bin ich schuldig: es gehört zum ersten Gott!“87 Was willst du sagen? Hat er nicht die deutschen Männer gemahnt, nicht nur ihre That mit Gebet zu thun, sondern auch mit Gebet zu beginnen, wenn’s gelte, vereint Rath zu fassen? „Sind wir vereint zur guten Stunde, wir 83 Sep. fügt ein: „bei allem fröhlichen Muth, der da weiß, daß ein Christenmensch aller Dinge Herr ist“. 84 Sep.: „französischer wüster Unterjochung“. 85 Sep.: „wir vor allem“. 86 Sep. fügt ein: „im ‚Katechismus für den deutschen Wehrmann’“. 87 Sep. fügt hier hinzu: „Vor der Schlacht aber lehrt er den Soldaten sprechen: ‚Auf! Die Schwerter hell heraus! Und die Herzen froh gehoben! Noch steht Gottes Himmelshaus, Noch schwebt Gottes Rechte oben; Noch hält Gott das Weltgericht. Gott ist unsre Zuversicht!‘ “

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starker deutscher Männerchor, so dringt aus jedem frohen Munde die Seele zum Gebet hervor!“ Hat er nicht all sein Hoffen und Trauen und Bauen auf Abschütteln der Ketten, auf bessere Zeiten, selbst gegründet und sein Volk gelehrt, es zu gründen auf den Glauben, daß seine Sache Gottes Sache sei? „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte!“ – so beginnt der große Freibrief jener Zeit. Und was und wo ist ihm, dem treuesten der Patrioten, das heißgeliebte, vielgeehrte deutsche Vaterland? „Soweit die deutsche Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt!“ Wo also der Deutsche seinen Gott nicht mehr hat und ehrt, da ist’s aus mit allem Deutschthum nach Ernst Moritz Arndt aus Rügen. Je ungesuchter diese Funken des Glaubens und braven Gottvertrauens aus seinen Liedern springen, desto heller88 leuchten sie. Es macht sich mit ihnen so von selbst, darum haben sie so viel zu bedeuten.89 Was er aber im Großen und Ganzen in Glaubenssachen von uns allen fordert, hat er sehr deutlich auch gesagt. Jedem, der es hören will von freien, sehr freien und ganz freien Männern alten und neuen Stils und Schlags, tritt er vors Angesicht mit Frage und Antwort: „Wer ist ein Mann? – der beten kann und Gott dem Herrn vertraut; wenn alles bricht, er zaget nicht; dem Frommen nimmer graut!“ O wie Mancher, der sich wohl für einen rechten Mann hält, wird durch solch derbes, herbes, keusches, christliches Lied Arndts so klein, so jämmerlich klein, – so zum Männlein gemacht! Kurz: Der Verstorbene hat sein Denken und Sinnen an Gott und in Gott zu binden gelernt. Er hat sich vor ihm gedemüthigt, darum ist er groß geworden. Er hat nie etwas aus sich gemacht, darum hat Gott etwas aus ihm gemacht. Und solchen Glaubens hat er sich nicht geschämt. Vom Leisetreten war er überhaupt kein Freund. Auch ihn selbst hörte man kommen im eigentlichen Sinne des Wortes, wohin er kam; er meldete sich vernehmlich. Hat er vor den Großen dieser Erde nicht geschwiegen, sondern freudig das „grade Wort“ gebraucht, so hat er noch weniger hinterm Berge gehalten in Sachen seines Glaubens vor den Kleinen dieser Erde. Wer ihn kannte, hat es in diesem Stück leicht gehabt zu erfahren, was er wollte und wie ers meinte. Im Frankfurter Parlament sagte er90 „er wolle hier das gute, alte deutsche Gewissen vorstellen“. Er mochte vielleicht fühlen, daß es, mit allerlei andern Gaben, als Gemüth, Phantasie usw. reichlich ausgestattet, dieser ersten Gottesgabe noch entbehrte. Wir müssen noch mehr sagen. Er hielt als seinen Herrn den Gott, der Himmel und Erde und das Meer schuf und mächtig und linde darüber waltet. Von seiner rechten

88 Sep.: „desto schöner“. 89 Sep. fügt folgende Passage hinzu: „Menschenfreundlich wie er war, ein Freund auch der Kinder, ward er nicht selten von ihnen gebeten auch ihr Stammbuch nach guter deutscher Art mit Vers oder Spruch zu schmücken. Das that er dann immer unweigerlich und auf der Stelle. Und wie herzlich fromm sind seine Worte und Wünsche alle mal ausgefallen! Eines Tages schrieb er dem Kinde einer von ihm verehrten Familie ein „Auf der Erde wohnen wir, Zum Himmel wollen wir, In die Urheimath zurück! Schau die Erde fröhlich an, Schaue fromm den Himmel an: Nur das gibt Muthe und Glück!“ Und desselbigen Tages liefen für ein sinniges kleines Mädchen diese drei Zeilen aus seiner Feder: „Gott gebe dir ein frommes Herz, Ein muthiges Herz, ein gläubiges Herz: Dann wird dein Leben ein Gottesscherz!“ So redete er zu Kindern.“ 90 Sep.: „sagte er laut“.

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und wahren Anbetung aber hielt er nicht, daß sie ungewiß zu finden wäre, wie der ächte aus den drei Ringen Nathans des Weisen: sondern er war ein Christ, ein protestantischer, ein evangelischer Christ. Er rief den als Vater an, der seinen Sohn hingab für das Leben der Welt.91 „Sandkörner zählest du, nimmer die Freundlichkeit; Weltmeere missest du, nie die Barmherzigkeit; Sonnenstrahl holst du ein: nimmer die Liebe doch, womit sein Gnadenschein Sündern entgegenflog!“ Da hast du sein christlich Bekenntnis; wer’s besser machen kann, der thue es. Daß er von Herzen ein guter Christ gewesen und also handelte und wandelte, muß ihm Jeder bezeugen, der mit ihm gegessen und getrunken hat. Ueber eines Menschen innerlich Leben und Wesen weiter reden oder gar urtheilen, als es klar und offenbar in handgreiflichen Thaten vor aller Welt darliegt, ist ebenso thöricht wie bethörend. Es soll auch hier nicht geschehen. Es darf hier nicht einmal geschehen. Denn grade auf dem Gebiete des Glaubenslebens bringts Keiner zur Meisterschaft und ist das Höchste, wozu es kommt, daß Einer ein treuer Jünger ist: weshalb man sich hier hüten muß, daß man nicht vom Schein bestochen, über einen Christenmenschen weiter rühme, als sich geziemt, da er doch auch nur ein gebrechliches, von Fehlern und Schäden – wie wir Alle – geplagtes Kind des Staubes gewesen. Doch mögen wir gerne uns daran erinnern, daß er, im Herbst 1820 unschuldig als „Verführer der Jugend“ seines Amtes als Lehrer der Hochschule entsetzt und volle runde zwanzig Jahre92 amtlos, in eigener Sache „den Trotz der freien Rede“, deren er so sehr mächtig war, nicht gebrauchte, sich nicht verbitterte, nicht schalt, nicht zürnte: sondern seine Sache Dem befahl, der recht richtet und auch über ihn recht gerichtet hat, indem er ihm durch die Huld93 unseres Königs endlich das Amt94 zu alten und neuen Ehren wiedergab. „Ich will, so schrieb er in dieser Prüfungszeit, nun auch noch meinen Marterweg von Leiden für das liebe Vaterland durchlaufen und als ein Verhängniß des ausgleichenden und gerechten Gottes hinnehmen, der mich für manches trotzige und kühne Wort hat bezahlen lassen wollen.“ Was er dachte, als ihm mitten in solch hoher Noth sein Sohn95 im Rheine ertrank, sagen uns die Lieder, welche er dazumal dichtete. Einfacher noch sagen es seine Thaten. Denn er schrieb auf den Denkstein seines liebsten Kindes: „Gute Nacht, ihr meine Freunde, alle meine Lieben! Alle, die ihr um mich weinet, laßt euch nicht betrüben diesen Absteig, den ich thu in die Erde nieder; – seht, die Sonne geht zur Ruh, kehrt doch morgen wieder!“ – und pflanzte eine Eiche auf den theuern Platz und ließ Raum für noch ein Grab daneben. Da liegt er nun, unter derselben Eiche.96 91 Separatddruck fügt hier das Arndt-Zitat ein: „Gott ist der Ohnezahl, Vor dem die Zahl vergeht, Der durch den Sternensaal Sonnen wie Flocken weht; Gott ist der Ueberall, Gott ist der Ohnegrund, Schneller als Licht und Schall, Tiefer als Meeresgrund. Sandkörner…“ 92 Sep. ändert: „daß er, unschuldig doch, wie ein „Verführer der Jugend“ als Lehrer der Hochschule entsetzt, und runde zwanzig Jahre…“ 93 Sep.: „Hand und Huld“. 94 Sep.: „sein Amt“. 95 Sep.: „sein achtjähriger Sohn Willibald (26. Juni 1834)“. 96 Sep. fügt folgenden Absatz hinzu: „Lebensmüde redete er vor fünf und zwanzig Jahren auf dem Kirchhof und zu seinem Baum und zu sich selber (er hat es wohl noch oft gethan, denn oft ging er in einsamer Stunde dahin) „hier wächst der Baum schon mit Blättern grün und

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So hat man, als er 185897 wegen seiner Schrift über den Freiherrn vom Stein in der bayerischen Pfalz zu Gefängniß verurtheilt wurde, freilich viel derbe, springende und klingende Worte aus seinem Munde hören können, aber leidenschaftliche nicht. Schlicht und recht war er in langen, bösen Jahren, da er in selbst erbautem Hause wohnte und in Gottes großer Welt einsam wie ein Vogel lebte. Als die Gunst und die oft grenzenlose und thörichte98 Verehrung von Tausenden und aber Tausenden sich ihm zuwendete, blieb er grade wie und was er gewesen. Der Rock blieb so sorglos geringe wie er war; der selbst gepflegte Garten so schmucklos urwüchsig wie er war; das Auge blitzte so hell wie vordem99 für Jedermann; der Mund redete so freundlich wie sonst zu Groß und Klein, zu Hoch und Niedrig. Er blieb auch im Glücke was er im Unglück gewesen: eine rechte Zierde der Kirche, welcher er mit Leib und Seele angehörte; er hielt treu an dem Gott im Glücke, der ihn durchs Elend mächtig getragen hatte.100 Er freute sich, Protestant zu sein; hat auch nie ein Hehl daraus gemacht. Luthers Persönlichkeit wirkte gewaltig auf ihn, wie er selber gesteht. Es ist begreiflich: denn seine eigene Eigenthümlichkeit befähigte ihn für das Verständniß des Reformators ganz besonders. Auch hängen die Fehler Beider grade mit ihrer so scharf ausgeprägten deutschen Nationalität enge zusammen. Wollte man aber den übergroßen Menschen zum Abgott machen, so griff er die sich deß unterfingen mit allen Waffen an, deren er mächtig war, mit Ernst und Spott, Bitten und Drohen – und schalt die Thoren gewaltig. Er fürchtete101 die Menschenautoritäten bei göttlichen Dingen, und ließ sie, wie gesagt, in Gewissenssachen nicht zu. Er wußte zu gut des Apostels Wort: daß Jeder für sich Gott Rechenschaft geben muß. Zu einer Zeit, da allerlei byzantinische, cäsareopapistische Gelüste wie Pilze unter den Protestanten aufschossen, bat er dringend „lasset uns doch auch von den Bestmeinenden nicht irgend einen Papst uns aufsatteln lassen[!], der das müde Thier jetzt leicht in den Nothstall treiben würde.“ Mit demselben ehrlichen Freimuth wandte er sich gegen die unklaren Köpfe in unsrer Kirche, welche durch thatlose Träume, in denen sie sich wiegen, von dem Glauben, der in der Liebe thätig ist, sich loskaufen möchten. In diesen armen, verkehrten Leuten, den Frömmlern auf der einen Seite; auf der andern in denjenigen, welche in ausgelebte und ausgediente Formen und Formeln die Gemeinde Gottes einzuzwängen suchten, sah er die gefährlichsten Feinde des Evangeliums. Nicht viel weniger geißelte er diejenigen, welche durch Aeußerlichkeiten, Pracht und Prunk der Gottesdienste u.s.w. unsre Kirche um ihre keusche Einfalt betrügen wollten. „Die Schwäche unsres Zeitalters – so lauten über diese Leute und

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voll, der des letzten Schlummers Traum Freundlich dir umschatten soll. Schau ihn an, er ist so grün, Nickt so lustig in die Welt, Rothe Rosen ihn umblühn, Von der Maienluft geschwellt… Wachse denn du grüner Baum, Wachset, Rosen, zum Gebüsch, Mit dem vollen Frühlingstraum, Duftet um mein Bette frisch; Liebe, hüte dieses Grab, Hoffnung, winde drum dein Grün, Und so laßt mich bald hinab In die selge Stille fliehn.“ Seperatdruck ändert: „vor zwei Jahren“. Sep. enthält „und thörichte“ nicht. Sep. ändert: „wie sonst“. Sep.: „getragen hatte wie auf Adlerflügeln.“ Sep. ändert: „haßte“.

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Dinge seine Worte, – offenbart sich auch bei vielen unsrer Glaubensgenossen in einem kränklichen Mysticismus, der, wiewohl er sich von dem überirdischen Himmel zu sein gebehrdet, doch von der alleruntersten Erde ist“ … „Ich will nicht streiten mit denen, die eines fremden Bekenntnisses sind. Ich möchte hadern mit vielen, die sich wol gar nach Luther nennen, – mit den eigenen Schwächlingen, Blindlingen und Mischlingen, die uns mit unklarer Frömmelei die große Vorzeit beschmutzen, und die mächtig aufsteigende Gegenwart verdunkeln möchten, damit wir in halber und elendiger Zappelei zwischen Leben und Tod so hangen bleiben.“102 … „Wir sind die Christen des Wortes, und nicht der Bilder und Scheine, und mangeln bei unserm Gottesdienst der Blumen und Bilder. Viele sagen: das Wort sei dürr und arm und kalt. Die Armen! sie kennen das Wort nicht. Gott hat die ganze Welt in sein Wort gelegt. Die Sprache ist die geistigste Ausströmung und Ausblitzung Gottes.“ … „Manche möchten uns einen bunten Hohepriesterrock und eine prangende Aeußerlichkeit anziehn, und begreifen nicht, daß das zu dem Wesen unseres Gottesdienstes nicht paßt, und daß wir bleiben müssen wie wir sind, wenn wir überhaupt bleiben können; – und das können wir wohl und werden wir wohl“ … „Wir können aber verlangen, daß diejenigen der Unsern von uns scheiden, welche nicht etwa Mißbräuche unseres Bekenntnisses, sondern das Wesen unseres Bekenntnisses schelten!“ … Fest hing er am Worte Gottes. Ein einziger Satz von ihm sagt und setzt Alles, was darüber laut werden mag. „Wer weiß, was die Bibel und ihr freier Gebrauch ist, – daß jeder Christ, der lesen kann, in diesem Buch der Bücher seinen Heiland und alle zwölf Apostel gleichsam immer als Lehrer bei sich hat; wer je den inneren und geheimen Geist Gottes gefühlt hat bei dem Lesen dieses heiligen Buches: – der wird sich hüten, in die Klagen über den verworrenen Protestantismus einzustimmen.“ Fest hing er an der Lehre des Wortes Gottes. Das innerste Heiligthum des Glaubens ist ihm nicht verschlossen geblieben. Er hat oft genug davon gezeugt, daß der Sohn Gottes, außer dem kein Heil zu suchen noch zu finden, in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen. In dem Liede: „Ich weiß woran ich glaube“ preist er: „Ich weiß und kenne ihn! … Das ist das Licht der Höhe, Das ist der Jesus Christ; Der Fels auf dem ich stehe, Der diamanten ist; Der nimmermehr kann wanken, Der Heiland und der Hort, Die Leuchte der Gedanken, Die leuchtet hier und dort.“ Was er von seinem Herrn hielt, bekennt er offen: „Ich wäre längst vergangen, Wär Jesus Christ nicht mein, In Zittern und in Bangen, In Sündenangst und Pein, In tiefer Seelennoth.“ Und in dem Grabliede rühmt er: „Mein süßes Heil, Meinen Heiland hab ich funden; Und ich habe auch mein Theil In den warmen Herzenswunden, Woraus einst sein frommes Blut Floß der ganzen Welt zu gut.“103 102 Sep. fügt ein weiteres Zitat hier ein: „Wer in unsrer, allerdings sehr losen und dünnen Kirche, die ihrer Natur nach der äußerlichen Festigkeit entbehrt, keine Ruhe findet; wer die Säulen einer irdisch-sichtbaren Kirche begehrt, woran er sich halte: der muß sich anderswohin wenden.“ 103 Seperatdruck fügt hier folgende Passagen ein: „Eine Glaubensperle ist das innige Lied: Jesus mein Licht. Da fragt er: „Wann ich traurig wanke Und auch der Gedanke Blind wird wie die Nacht; Wann ich nicht kann finden, Tappend unter Blinden, Was mirs helle macht; Wer zündt dann das Licht mir an?“ und antwortet „Das thust du o Wonne, Meines Glaubens,

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So wenig aber104 er daheim, unter den Evangelischen, die Menschen schonte, welche er für unreif105 hielt: so wenig schonte er die draußen. Er bürstete ohne jeglichen Unterschied Alle und Jede, die ihm unwahrhaftig oder lieblos erschienen. Es schmerzte den einfältigen Mann, daß ein Geschlecht, was ihn umgab, mehr kindisch als kindlich zu sein sich bestrebte; und er fuhr schon 1819 „in einer Zeit, da Steine und Klötze wieder Wunderthäter heißen sollten“ mit dem schneidigen Wort darein: „Wie ihr es auch anfangen möget, ihr werdet keine Kinder wieder dadurch, daß ihr euch wie Kinder gebehrdet!“ Nicht anders redete er ganze vierzig Jahre später als in Bonn, dem Sitze der paritätischen Universität, die106 Jesuiten sich ansiedelten. Ihre Sache mußte und wußte er von der der107 katholischen Kirche zu trennen. Sein Spruch war: „Alle Verschiedenheit wird Einheit im rechten Glauben und in der rechten Liebe.“ Das der Zukunft der Völker, besonders seines deutschen Volkes gesteckte Ziel sah er darin, daß petrinische und paulinische Christen Eins würden in Christus; darum auch beiderseits von Allem was nur kirchlich ist, abzusehen und zu dem einigen Herrn aufzusehen sei; darum auch beiderseits immer besser gebetet werden müsse, nicht daß Kirche komme, sondern daß Gottes Reich komme. Die seit Jahren mehr zu- als abnehmende Spannung der Kirchen gegen einander bekümmerte ihn. Am 18. Januar 1858 noch sagte er laut zu Hunderten von allerlei Zeichen und Namen in einer Rede, mit welcher er Alle hinriß: „Wenn unser armes Vaterland, rechts die Russen, links die Franzosen, noch gar künftig wieder in sich die Jesuiten herbergen wird, damit der Riß, der

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Sonne In der dunkeln Nacht; Durch dich muß verschwinden Was im Thal der Sünden Alles düster macht: Du zündst an, was leuchten kann! … Helles Licht der Herzen, Sichrer Hort der Schmerzen, Süßer Jesu Christ; das kannst du alleine, Der vom Himmelsscheine Niederkommen ist: Hort und Held Und Licht der Welt.“ Hat er sich immer geregt wenn man an die Güter seines Volkes frevelnde Hände legte: wie konnte er schweigen da die allerletzte Zeit uns den Materialismus als die Heidenlehre vom „Stoff“ in deutscher Gründlichkeit bescheerte? als die Schmäher des menschlichen Geschlechtes unser Denken für ein nothwendiges Phosphoresciren des Gehirns ausgaben, des Menschen Sinn und Art vom Knochenbau seines Schedels und der Beschaffenheit seines Mittagstisches abhängig machten, und nach des Apostels Wort recht eigenthlich den Bauch als Gott ausriefen? Diese Afterweisheit schildert er „seinem Freunde Bethmann-Hollweg“: „hinein du Mücke, ruft sie, in die Lichter, Hinein in das erhabne Todeswimmern!“ bekennt sich dann zu Christus und sagt, des Freundes Zustimmung gewiß, voll hoher Zuversicht: „Mit Ihm, dem Geisterfürsten, werd ich reisen, Der Welten Wandlung wandellos umschweben; Er ist der Weg die Wahrheit und das Leben – Hier schließt die Bücher, betet an Ihr Weisen!“ Als aber der Unsinn der Naturanbeter gar Boden im Volk zu gewinnen drohte, schlug er unter die Volksverführer grade so kräftig wie er noch konnte: „Was klügeln Narren von Natur? Natur geht nur in Gottes Spur; Doch still muß der sich drin ergehn, Der Gottes Gang will recht verstehn! ... Weg mit den Elementensturm, Wodurch der Engel und der Wurm Aus gleicher Sündfluth Dreck entsteht, In gleicher Sündfluth untergeht! Weg, weg mit solchem wüsten Wahn! Empor zur höchsten Sonnenbahn, Wo jenes Herz der Liebe schlägt, Das aller Himmel Himmel trägt!“ Sep. enthält „aber“ nicht. Sep. ändert: „unrecht“. Sep. enthält „die“ nicht. Sep.: „von der Sache der“

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schon in uns ist, noch größer werde: dann genad’ uns Gott.“ Sein freier Muth und freier Mund auf diesem Gebiete ist ihm schon oft verdacht worden. Aber mit großem Unrecht. Zauste er denen die Ohren, welche er in seiner eigenen deutschen evangelischen Kirche für Eindringlinge hielt, so darf man ihm, der sein ganzes deutsches Volk wahrhaftig lieb hatte, als redlichen Menschen auch kein saures Gesicht machen, wenn er die nicht schonte, die in der deutschen katholischen Kirche ihm nicht zum Heil des Volkes zu wirken schienen. Gibt es doch in der katholischen Kirche nicht Wenige, die davon denken wie er, wenn sie auch seit den letzten zehn Jahren nicht zu reden wagen wie er. Man muß es überhaupt aber dem Todten allerseits nicht übel nehmen, daß er Zeit seines Lebens wohl einmal in scharfen Worten redete; sie waren ja doch allemal nicht nur scharf. Der Mund der Wahrheit sprach „habt Salz bei euch allezeit und Frieden“.108 Es ist, als hätte Arndt über sich geschrieben, was er zur Entschuldigung eines Andern sagt: „Wem zum Donnern die Stimme des Donnerers gegeben ward, der kann nicht wie der Westwind säuseln und wie die Nachtigall girren und flöten.“ Er meinte es darum doch mit Gott und allen Menschen gut. Man möchte ein Wort einer – vorreformatorischen – Chronik auf ihn anwenden: hi hattete die zonden der menschen, jnd was en liefhebbere oerer persoenen. Gedruckt und zu lesen steht in seinen Büchern gerade das, was er im Leben geübt hat, nämlich: „Wir Evangelischen sind auf das Wort Gottes hingewiesen; wir halten uns allein an dem Worte, ohne daß wir im unchristlichen Hochmuth behaupteten, daß die Christen, welche andere Weisen gebrauchen als wir, das Wort nicht hätten noch verständen … Wir Protestanten umfangen mit freundlicher Liebe Alle, die Jesum Christum bekennen, wie verschieden ihre Aufgaben, Weisen und Gebräuche von den unsern auch seien, als Solche, die auf dem Pfade des Lebens wandeln. Wir dürfen nur warnen, ermahnen, zurufen und klagen; richten und verdammen dürfen wir nicht, weder die drinnen noch die draußen sind.“ Damit stimmt vortrefflich, daß er (wie er selbst sagt) von dem Heiland und den Aposteln belehrt „Jeder von uns Christen könne ein Priester Gottes sein“ denen zurief, die solcher Lehre wehren, draußen und drinnen. Als einmal um die österliche Zeit, vor Jahren, die evangelische Gemeinde in Bonn eines ihrer Glieder zu bestimmen wünschte in seiner Fabrik am Charfreitage nicht arbeiten zu lassen, wendete Arndt die Bitte „nur in Beziehung auf die evangelischen Arbeiter der Fabrik, nicht in Beziehung auf die katholischen Bekenntnisses, für welche der Charfreitag kein Feiertag sei.“ Was nur nach

108 Sep. fügt hier hinzu: „Hat er aber irgendwo geirrt, so ist ja gewiß, daß kein Mensch weniger als er selbst je gefordert oder erwartet hat, man solle ihn anerkennen und gutheißen sammt all seinem Thun und Lassen, und von innen und außen und vom Barett bis auf die Schuhe. Hat er wehe gethan mit seinem Wort, besonders in Glaubenssachen, so hat er es von Herzen beklagt und auf gute Christenart seinen Fehler bekannt. Er wußte ganz wohl, daß Geduld und Duldung und Liebe die allgemeinsten Menschenpflichten sind, von denen kein blinder unheiliger Eifer einen Sterblichen lossprechen kann; also war auch er daran gebunden. Wegen ungerechter Aeußerungen welche in seinen allerersten Schriften über die katholische Kirche stehen, hat er in dem gelesensten öffentlichen Blatte unserer Provinz (Kölner Zeitung) vor nah 45 Jahren freimüthig und ohn alle Ziererei erklärt: „sie seien aus einem zu grünen Protestantismus hervorgegangen.“ Ueber den immerhin dreisten Gang und schweren Klang seiner Sprache darf man ihn nicht verklagen. Man muß ihn da nehmen wie er ist.“

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Zwang roch, war ihm verhaßt, darum auch die Zwinger aller Orten, Zeichen, Größen und Namen. Seine Liebe zur evangelischen Kirche109 hat er schon in seiner Schrift „Vom Wort und vom Kirchenliede“ kräftig bewiesen (1819). In den Kirchenliedern unserer Kirche110 hatte er (Einer der Wenigen damals) den vergrabenen Schatz erkannt, welchen zu heben und zu verwerthen er nicht genug bitten und mahnen konnte. „Nächst der lutherischen teutschen Bibel, meinte er, kann man sagen, hat der rechte ächte Kern des Protestantismus sich in unsern geistlichen Liedern niedergelegt. Dieser Kern blieb dem Volke lange Zeit unangetastet; erst in dem letzten halben Jahrhundert haben Mäuse angefangen daran zu knaupern und ihn, wenn nicht zu zerfressen, doch zu zernagen.“ Die damals eben fühlbar sich regenden Bibelgesellschaften forderte er – leider vergeblich – auf: ein Gesangbuch von Haupt- und Kraft- und Glaubensliedern dem Volk zu drucken und zu geben. Das dauerndste Geschenk aber, was er seiner Kirche hinterlassen, besteht in den mannigfaltigen religiösen Liedern, deren etliche sogar geborene (nicht gemachte) Kirchenlieder sind. Davon wäre freilich bei uns vorerst mehr zu klagen als zu sagen. Wer weiß in den Rheinlanden etwas von Kirchenliedern des Rheinländers Arndt? Wer hätte sie auch nur in einer Kapelle singen gehört? Unsere Kirche ist der Birke gleich. Sie bewahrt die Namen ihrer Beschädiger, aber die ihrer Freunde vergißt sie nur zu leicht. Und111 nachdem noch gar die Synode des vergangenen Jahres auch den schüchternsten Vorschlägen zur Verbesserung unseres Gesangbuches die Thür gewiesen hat: wird man sich wohl darin schicken müssen, daß unsres rheinischen evangelischen Volks Unbekanntschaft mit vielem Guten und Schönen auf dem Gebiet des Kirchenliedes, sorglich gehütet, weiter grüne und blühe. Doch – es ist noch nicht aller Tage Abend. Die Würtemberger singen schon aus ihrem Gesangbuch tapfer die Arndtschen Lieder „Der heilge Christ ist kommen“, „Ich weiß an wen ich glaube“ [sic!] und „Geht nun hin und grabt mein Grab“, die Bayern haben auch das, was er überschrieben „Hoffnung im Herrn“ aufgenommen: „Wenn aus dem Dunkel ich mich sehne“. Möge es so weiter gehen. Nach hundert Jahren dann, wenn die deutschen Stämme ringsum sie singen werden, in Baierland und Steierland, und wo der Sand der Dünen weht und wo die Donau brausend geht, werden wir Rheinländer sie auch noch, als durch Verfasser, Historie und Alter ehrwürdig, in unser Kirchenbuch aufnehmen. Bei alle dem aber haben die Schwaben das Recht, daß sie sichs wohl sein lassen so schnell als möglich, und sich auch solcher Lieder freuen schon im Schaltjahre 1860. Und nach meinem geringen Verständniß hat die evangelische Kirche am Rhein nicht Recht, sich über Gebühr in der Tugend der Selbstkasteiung und Entsagung112 zu üben, mit schwerem Ballast vieler armer Kirchenlieder belastet daher zu fahren und sich so manche Wonne an reichen zu versagen.113 Auch die genannten Lieder des Todten sind reich und können Jedem was geben, der sie singt. In einem Gespräch über religiöse wohlgemeinte 109 110 111 112 113

Sep.: „Sache“. Sep.: „In den Liedern unserer Kirche“. Sep. läßt den gesamten hier beginnenden Satz weg. Sep. enthält „und Entsagung“ nicht. Sep.: „mit Ballast vieler armen Kirchenlieder beschwert daher zu fahren und sich die Wonne an reichen zu versagen“.

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Dichtungen äußerte er einst „sie haben alle Flügel, aber keinen Fittich!“ Man möchte von seinen Liedern wohl behaupten,114 daß sie Fittiche haben; sie flattern nicht, sie fliegen. Es ist nicht meine Aufgabe hier aufzuweisen, was des Verstorbenen evangelisches Denken und Dichten und Wirken im Kreise aller der geistig bedeutenden Männer vom Schwert und von der Feder,115 mit welchen er zumeist116 in der Nothzeit unsres Vaterlandes und später auch verkehrte, zu bedeuten gehabt hat. Angedeutet habe ich,117 wie viel er dazu beitrug die vaterländische Erhebung zu einer religiösen zu stempeln und auch dadurch eine kirchliche und gläubige Neubelebung der deutschen Lande hervorzulocken. Er hat es gethan, nicht weil ers wollte, sondern weil er nicht anders konnte. Ueber diese Dinge zu reden, müssen die Jüngern den Aeltern lassen, welche das Alles erlebt haben. Auch das innige Verhältniß, in welchem er zu Schleiermacher gestanden, sei hier nur erwähnt. Das aber wird möglich sein: aus den weiten Gebieten der Kirche auf das enge Lebensgebiet der evangelischen Gemeinde Bonn, der er fast ein halbes Jahrhundert angehört, hinüber zu treten und die Stellung, welche er hier einnahm, in wenigen Strichen zu zeichnen. An Kleinem wird auch Großes offenbar. „Geboren aus dem kleinen Volke, dicht an der Erde, nicht hoch aber wohl geboren – so erzählt er ja von sich – däuchte es ihm immer am heimlichsten unter dem kleinen Volke, in den Furchen, wo die Lerchen wohnen und auffliegen.“ So mußte es dem demüthigen Mann keine gleichgültige Sache, sondern eine große Freude und Ehre sein, seiner Gemeinde und in ihr seinem Herrn zu dienen. Fast beständig saß er seit 1817 in ihrem Presbyterium. Nur ein einziges Mal, in seiner schwersten Zeit, (Dezbr. 1832) bat er sie, ihn nicht wieder zu wählen. Die Antwort lautete „so schmerzlich ihr dieser Wunsch sei, so billig erscheine er bei einem Manne, der so lange und fast ununterbrochen ihr mit Rath und That gedient“. Aber schon 1836 trat er als Aeltester wieder ein, und blieb es, bis er zu den Repräsentanten übertrat, zu welchen er noch bei seinem Tode gehörte. In Gemeindesachen war er thätig, wo man sein begehrte. „Zu jeder Stunde und an jedem Werktage“ hieß es immer.118 Bei der letzten Versammlung des Vorstandes der Gemeinde wohnte er kurz vor dem 91sten Geburtstag bei, fertig zum Wort und am Schluß zu dem lauten Segen, welchen er über die wichtigen119 gepflogenen Verhandlungen – und zum Abschied! – sprach: „Gott segne Alles, Alles!“ Der Gottesdienst war der Schmuck seines Sonntags.120 Noch am letzten Sonntag des vergangenen Kirchenjahres, den die Gemeinden unseres Landes dem Gedächtniß ihrer Todten weihen, stand er der Aelteste und darum der Erste am Tisch des Herrn. „Wer Gott sucht – so hat er vor Jahren schon geschrieben, der wird ihn finden. Wer das Licht sucht, dem wird es leuchten. Wer in dem Lichte oder Geiste oder Blute des Herrn mit 114 115 116 117 118

Sep.: „sagen“. Sep. ändert: „von der Wissenschaft“. Sep. enthält „zumeist“ nicht. Sep.: „Angedeutet ist…“ Sep. fügt den Satz ein: „Bei der letzten Repräsentantenwahl erschien der schneeweiße, 89jährige Mann ebenso gut wie bei der ersten;“ 119 Sep. enthält „wichtigen“ nicht. 120 Sep. ändert: „Festtags“.

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sehnsüchtigem Sinne Trost und Versöhnung sucht, dem werden sie nie gebrechen.“ Mehr noch im Stillen als durch allbekannte Thaten hat er lange und oft mit seinen Freunden (der noch in Bonn lebenden darf ich nicht gedenken) und Mit-Aeltesten Nitzsch, Sack, Gieseler, Lücke, Bleek, von Bethmann-Hollweg der Kirche Bestes gefördert, Uebles von ihr abgewehrt. Als einmal, da die Gemeinde noch klein war, zwei der würdigsten Glieder des Aeltestencollegiums auf wenige Tage durch Mißverständniß gegen einander gereizt wurden, und auf den gewechselten Schriftstücken der liebe und größte unsrer jetzt lebenden Kirchenlehrer121 sie voll Ernst und Milde vermahnt hatte, schrieb der Verstorbene122 in sieben Worten auch seine Meinung darunter: „Ich wünsche und bete Frieden und Liebe. E. M. Arndt.“ Auch ist das gewiß kein geringer Dienst gewesen, daß er mit der ganzen körnigen Kraft seiner Persönlichkeit in weitem und engstem,123 nächsten Kreise für die Union der evangelischen Kirche einstand, in welcher er den Anfang einer neuen und freudigen Entwickelung für sie erkannte. Auch ihm waren die reformatorischen Bekenntnisse Harnische und Schilder noch, aber kein Brod des Geistes. Das suchte auch er, wie wir gehört, nur in Gottes Wort. In der Politik, so sprach er in Wort und Buch, gilt zugreifen, gilt zufahren, gilt blitzende schnelle That, aber auf dem Gebiet des Geistes und innern Lebens gehe man stille, langsam, vorsichtig, bedächtig, – sonst gibts ein Zurück statt eines Voran. Das ist seine Meinung auch in Unionsfragen124 gewesen. Stürmte er im äußeren Leben wohl; sobald es sich um125 Dinge des Herrn handelte, der der Friedefürst ist, war er ein Kind des Friedens. Bei einer besonderen Gelegenheit hat er auch schriftlich etwas über Union und was daran hängt laut werden lassen müssen. Die Gründung der evangelischen Gemeinde zu Bonn hat nämlich unter ganz eigenthümlichen Verhältnissen Statt gefunden. Sie kann als sprechendes Zeugniß dafür gelten, wie müde die Evangelischen verschiedenen Namens und126 Bekenntnisses des alten127 pfäffischen Haders waren, zur Zeit da Gott der Herr durch Revolutionen, Völkerverheerungen, Völkererhebungen, Schlachten und Siege die Verständigsten belehrt hatte, daß doch des Reformirten größter Gegner nicht der Lutheraner, und des Lutheraners nicht der Reformirte sei. Vor aller Union, vor allem Aufruf oder Drang dazu von oben oder unten einigten sich in Bonn als schönes ernstes Vorbild für das Rheinland, Lutheraner und Reformirte und schlossen sich am 5. Juni 1816 auf dem Rathhaussaale zu einer „vereinigten evangelischen Gemeinde“ zusammen. Es sei – ein Zeichen jener bessern Zeit – unvergessen, daß sofort der katholische Graf Belderbusch, damaliger Landrath (Ehre dem Mann!) erklärte: er habe schon als Maire vom französischen Gouvernement für die Evangelischen in Bonn die Erlaubniß eine Gemeinde zu bilden vergebens erbeten; unvergessen auch, daß in demselben milden Geiste der katholische Gneisenau, der Held, (Ehre dem Mann!) dem werdenden Gemeinlein versprach: er 121 122 123 124 125 126 127

Sep. ergänzt: „Nitzsch“. Sep. ändert: „schrieb er“. Sep. enthält „engsten“ nicht. Sep.: „Unionssachen“. Sep.: „sich nur um“. Sep. enthält „Namens und“ nicht. Sep. enthält „alten“ nicht.

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werde128 alles thun, es zu begünstigen. Als daher am Reformationsfeste 1817 die ganze Landeskirche sich zur Union bekannte, geschah in ihr nur, was in Bonn bereits geschehen war. Wenn nun das Konsistorium der Provinz Kleve-Berg (Köln, 23. Februar 1821) von allen ihm zugewiesenen evangelischen Gemeinden129 genauere Erklärungen über die Art ihrer Union und Aufstellung einer Unionsurkunde forderte, so that es zwar was Rechtens war; die Bonner Gemeinde aber konnte offenbar und wollte auch nicht anders als durch Darstellung ihrer faktischen Verhältnisse antworten.130 Wider diese Art die Sache zu behandeln, erklärte sich nur ein Mitglied des Kirchenraths: Delbrück, Professor der Beredsamkeit an der Universität,131 – derselbe, welcher durch seine wundersamen Epigonen-Meinungen über die Bedeutung des Wortes Gottes in Sachen des Glaubens132 später seinen Collegen, den Professoren133 Lücke, Nitzsch und Sack jene bekannten Belehrungen abnöthigte (Vgl. Philipp Melanchthon der Glaubenslehrer, von Delbrück. Bonn 1826; und: Ueber das Ansehen der heil. Schrift u.s.w. von Sack, Nitzsch und Lücke. Bonn 1827) Er redete von väterlichen Kirchensatzungen, welche er als Lutheraner aufrecht gehalten sehen wünsche, und scheint des Erlösers einziges Gebot, daß wir uns unter einander lieben sollen, bei dieser Gelegenheit nicht ganz in der ihm gebührenden Majestät verstanden zu haben. Im Leben ein lauterer,134 aufrichtiger Mann, stießen sich seine Gedanken eine Zeitlang deshalb135 an der Union, weil sie ihm eine dritte, neue, aus den Trümmern von zwei alten erbaute Kirche zu sein schien. Von einer Erneuerung beider durch Gottes ungebundenes Wort begriff er nicht viel. Von Ostern 1823 an hielt er sich wieder zum heil. Abendmahl der Bonner Gemeinde, freilich unter ausdrücklicher Erklärung, daß er dadurch nicht zu der „neuen evangelischen Kirche“ (seinem Schreckbild) übertrete; damals aber (1821)136 scheute er sich nicht das Ungeheuerliche, eine dreifache Art der Abendmahlsfeier, nach der Schrift, nach hartem reformirtem, und sprödem lutherischen Brauch dem Kirchenrath137 vorzuschlagen, damit jeglichem Lehrtypus (wie bei den Herrnhutern)138 sein Recht werden könne. An diese Einrichtung müsse sich, meinte er, weitere Belehrung aller Gemeindeglieder139 und Entwicklung aller Gemeindezustände knüpfen. Die Art der Union der Bonner Gemeinde sollte also, kurz gesagt, auf die Abstimmung der, zufällig damals ihr angehörenden, Glieder gestellt werden. Unangesehen daß über die hier thatsächlich und rechtlich140 bestehenden Verhältnisse, in denen der Bittsteller selbst seit drei Jahren lebte, 128 Sep.: „wolle“. 129 Sep. ändert: „von allen Gemeinden“. 130 Sep. ändert: „über die Art ihrer Union forderte, so konnte die Bonner Gemeinde nicht anders als durch Darstellung ihrer faktischen Verhältnisse antworten“. 131 Sep. enthält „an der Universität“ nicht. 132 Sep. enthält „in Sachen des Glaubens“ nicht. 133 Sep. enthält „den Professoren“ nicht. 134 Sep. enthält „lauterer“ nicht. 135 Sep. enthält „deshalb“ nicht. 136 Sep. läßt den vorigen Satz „Von Ostern 1823…“ bis einschließlich „damals aber (1821)“ weg. 137 Sep. enthält „dem Kirchenrath“ nicht. 138 Sep. enthält die Klammerbemerkung nicht. 139 Sep. ändert: „Belehrung der Gemeinde“. 140 Sep. enthält „thatsächlich und rechtlich“ nicht.

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gar141 kein Zweifel sein konnte, meinte doch Delbrück „er habe Ursache zu glauben, daß unter den Mitgliedern der Gemeine142 nicht wenige seien, welche sich äußerlich zu ihr hielten ohne den Grundsätzen der Vereinigung zugethan zu sein. Theils solche, die über Wesen, Zwecke und muthmaßlichen Erfolg besagter Vereinigung reiflich und gründlich nachgedacht, und keine ihr günstigen Ergebnisse gefunden hätten; theils solche, welche über die Sache selbst gar nicht unterrichtet seien, und von der neuen evangelischen Kirche höchstens wüßten, was sie nicht sei, nicht aber was sie sei.“ Die einzelnen Glieder des Kirchenraths ließen sich vor der entscheidenden Versammlung noch einmal schriftlich vernehmen. Auch Arndt. Seine Meinung schrieb er schnell, kurz und rund, auf möglichst unförmlichem Papier zwar, aber deutlich genug nieder; und die unirte Kirche des Rheinlandes möge die Mahnung, welche eines ihrer hervorragendsten Glieder einst seiner Gemeinde sagte, sich auch heute noch gesagt sein lassen. „Leider – so heißt vom Wort zu Wort sein Gutachten – bin ich bei der Kürze der Zeit, die mir zur Prüfung und Erwägung einer so wichtigen Sache gegeben ist, und bei sehr störenden Geschäften von ganz anderer Art, außer Stande mich, wie ich hier sollte, über die einzelnen, sie betreffenden Gegenstände zu verbreiten; jedoch erlaube ich mir einige Bemerkungen. – Von den Fremdlingen dieser Gemeine habe ich mit am längsten hier in Bonn gelebt, nemlich seit dem Herbst 1817: habe die Gemeine fast noch mit entstehen gesehen, und damals, bei weniger eigener Beschäftigung, und da die ökonomischen sowohl als religiösen Angelegenheiten derselben häufigere Berathungen des Kirchenraths nöthig machten, mit ihren Gliedern in vielfacherer und näherer Beziehung gestanden als jetzt; und ich kann aus dieser Erfahrung bezeugen: nie ist mir auch nur von Einem Mitgliede unserer Kirche, beide aus den niederen und mittleren Klassen, nur eine leise Klage zu Ohren gekommen über die Union. Da es sich nun von Anfang an hier so glücklich und friedlich gemacht hat, und dieses Glück und dieser Friede gottlob noch besteht; da wir auch der Eintracht und der äußeren Zeichen dieser Eintracht um so mehr nöthig haben, je mehr die protestantische Kirche wegen mancherlei wundersam zusammentreffender Erscheinungen der Zeit angeklagt und angefeindet wird; da wir hier auch den weit zahlreicheren Katholischen gegenüber (von welchen wenigstens die Unduldsameren und Fanatischen sich jeder Zwietracht in uns freuen würden) uns doppelt in Acht zu nehmen haben: – so scheint es mir hier Pflicht und Klugheit zu gebieten, fein leise und vorsichtig zu handeln. Denn nur zu leicht ist es in jeder Zeit, leichter in unserer aufgeregten Zeit, zumal in diesen Gegenden wo Sektengeist so sehr heimisch ist, die Geister gegen einander zu reizen; und ich wenigstens bin nicht ohne Sorge, daß wenn wir die Sache öffentlich an die Gemeine brächten, Dieser und Jener aufstehen könnte, der sich für seinen Luther oder Calvin erhitzte, und um Wörter und Ideen, worüber die Christen nur in Glauben und Liebe einig werden können, die Unverständigen und Unkundigen im Flammen setzte. Ich muß also nach meiner Ueberzeugung dafür stimmen, daß die wichtige Frage, zumal da wir hier faktisch schon eine vereinigte evangelische Gemeinde sind, nicht an die sämmtlichen Gemeindeglieder gebracht werde; sondern, wenn sich einzelne Zweifelnde und Anders141 Sep. enthält „gar“ nicht. 142 Sep.: „Gemeinde“.

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wünschende ergeben sollten, daß diese besonders verständig, belehrt und beruhigt werden mögten, damit äußerer und innerer Friede unter uns bleibe.“143 143 Sep. fügt folgende Passagen hier neu hinzu: „In den letzten Jahren faßte ihn wohl einmal der Unmuth über eine Zeit die Großes redet und Kleines thut; in welcher gleicher Jammer hier in Banknoten und dort in Noten, in Ränken und Schwänken sich offenbart; der Krieg statt eines nothwendigen Gottesurtheils zwischen zwei ringenden Völkern nur geführt wird um für einen künftigen Krieg schlag- und schlachtfertige Heere zu bilden: – „Könnt ich Löwenmähnen schütteln mit dem Zorn und Muth der Jugend, Wie gewaltig wollt ich rütteln an des Tages blasser Tugend“; und preist statt des Goldes und Genusses der jetzigen Welt das Eisen das in seinen Tagen gegolten: „o du Segensglanz des Pfluges! Gold der Aehren, Gold der Reben; O du Blitz des Degenzuges Dem die Völkerzwinger beben!“ Dann aber hebt der fromme Blick auch wieder sich hinauf aus dem Lande des Goldes und des Eisens in das Land seligen Lichts „fliege, fliege, bange Seele! Fliege, fliege himmelauf!“ Die letzte Arbeit für sein Volk war die Sichtung und Ordnung seiner Gedichte (in der Weihnachtswoche 1859 vollendet.) Noch kein deutscher Poet hat so von unserm Volke Abschied genommen als er in der Vorrede es gethan. Er fühlt, es sei Zeit sein Haus zu bestellen und seine kleinen Dinge zu ordnen. Zu diesen kleinen Dingen rechnet er seine Lieder. „Er gibt sie nun seinem Volke als ein letztes Vermächtniß… Mit ihnen sagt der alte Sänger und Schreiber allen seinen Freunden gleichsam sein letztes Lebewohl!“ – Ja, es war das letzte. Als der Weihnachtstag 1859 erschien, wollten die Liebeserweisungen aus nächster Nähe und weiter Ferne von allen vier Winden her, kein Ende nehmen. Seit vielen Jahren war dieser Tag ein Festtag der Freunde gewesen. Aber ein solcher Feststurm wie an dem sonnigen Dezembertag 1859 war noch nie durch die bescheidene Wohnung des Ein und neunzig-jährigen gezogen. Nicht manche von denen welche ihn erreichen konnten vermochten es über sich, um seiner Schonung willen auf so große Freude zu verzichten, in den Weihnachtstagen dem lieben und liebenswürdigen Greise die Hand zu drücken, dafür die eigne sich von ihm rütteln und schütteln zu lassen und demüthige, schallende Danksprüche zu hören. Sinnige, freundliche Liebeszeichen beglückten überreich den frohen Mann. Schwärme von Briefen flogen ins Haus. Gereimte und ungereimte Dinge hatten sie ihm zu sagen. Die Thoren welche ihn da meinten besingen, feiern und erheben zu müssen (es waren nicht wenige) betrübten ihn. Aber das war seine Lust, daß so viele, viele edle deutsche Männer seiner gedacht hatten. Unser lieber Prinz-Regent machte es wie ers pflegt auch mit dem Geburtstagsgreis – kurz und gut, und füllte sein Herz mit Dank! Doch war des Guten zu viel geschehn. Anfangs nahm er sich vor, Keinem von Allen die ihn schriftlich begrüßt hatten zu antworten; und das würde keinen befremdet haben. Danach fragte er sich: ob es auch recht sei, Liebe ungedankt hinzunehmen? und begann wenigstens den Besten, den Trefflichsten der Freunde zu antworten. Als er aber einmal so weit gegangen, konnte ers nicht lange übers Herz bringen da wo die Liebe geredet hatte Unterschied zu machen, und schrieb Wochen lang und in stets sich erneuernder Erregung etwa ein Dutzend Dankbriefe täglich. Jedem hatte und wußte er auf andere Wünsche auch Anderes zu sagen. Die thörichten Bewunderer freundlich auf rechte Wege zu leiten ohne zu verletzen war keine leichte Sache. So ward er krank. Als er zu gewohnter Stunde sich niederlegen mußte sagte er: „die Freunde und die Narren haben mirs angethan!“ Ein Fieber verzehrte mit reißender Hast seine Kräfte. Er lag schlummernd und sprach selten. Zuweilen erwachte er mit klren Sinnen; meistens hatte er in seinen Phantasieen mit Vögelchen im Walde zu thun, die er lockte, mit denen er spielte. Als einer der bewährtesten und

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––– Vor dem mit dem Lorbeerkranz gezierten Sarge her erklang am 1. Februar der Choral: „O Haupt voll Blut und Wunden.“ So geleiteten wir die theure Hülle „zur letzten stillen Ruh“. Die schöne fromme Grabrede des Synodalpräses unsrer rheinischen Kirche hat mit großem Recht an Gottes Wort, was einst David hörte, anknüpfen können: „Ich bin mit dir gewesen wo du hingegangen bist, und habe deine Feinde ausgerottet vor dir, und habe dir einen Namen gemacht wie die Großen auf Erden Namen haben.“ Ueber dem offenen Grabe ist sein „Grablied“ gesungen: Geht nun hin und grabt mein Grab, Meinen Lauf hab’ ich vollendet! Lege nun den Wanderstab Hin, wo alles Ird’sche endet, Lege selbst mich nun hinein, In das Bette sonder Pein. Was soll ich hinieden noch In dem dunklen Thale machen? Denn wie mächtig, stolz und hoch Wir auch stellen unsre Sachen, Muß es doch wie Sand zergehn, Wenn die Winde drüber wehn. Ihr, die nun in Trauren geht, Fahret wohl, ihr lieben Freunde! Was von oben niederweht, Tröstet ja des Herrn Gemeinde, Weint nicht ob dem eitlen Schein, Droben nur kann ewig sein. Weinet nicht! Mein süßes Heil, Meinen Heiland hab’ ich funden, Und ich habe auch mein Theil In den warmen Herzenswunden, Woraus einst sein frommes Blut Floß der ganzen Welt zu gut.

treusten Freunde am Morgen des Todestages (29. Januar 1860) zu ihm eintrat und ihm dessen Name genannt wurde, sprach er: „o ich kenne ihn ja!“ Dann sagte er zu ihm „ich sterbe, in vierzehn Tagen ist Alles vorbei.“ – – Es war eher vorbei; es dauerte nur noch so viel Viertelstunden. – Die schwer geprüfte und reich getröstete Gattin hörte als letztes Wort von ihm das halblaute Gebet „laß mir die Augen zufallen!“ Dann fielen sie ihm zu und er schlief ein.“

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Weint nicht! mein Erlöser lebt! Hoch vom finstern Erdenstaube Hell empor die Hoffnung schwebt, Und der Himmelsheld, der Glaube, Und die ew’ge Liebe spricht: Kind des Vaters, zittre nicht! Rede Jeder in seiner Weise von E.M.Arndt; wir dürfen und wollen es uns nicht nehmen lassen, nach altem Christenbrauch von ihm zu sagen: Er hat getragen Christi Joch, - ist gestorben, und lebet doch!144 Nr. 29 Post och Inrikes Tidningar, Nr. 63 v. 15.3.1860, S. 3145 Ernst Moritz Arndt wurde am 26. Dezember 1769 auf der Insel Rügen geboren, die damals schon eine Zeit unter schwedischer Herrschaft stand. Sein Vater hatte sich aus der Armut zu einem Gutspächter hochgearbeitet, von ihm erbte der Dichter den starken Willen und von seiner Mutter das sanfte Gemüt. Ernst Moritz studierte in Greifswald und (1793) in Jena, wo er als Hauslehrer bei einem Theologen, Pastor Kosegarten (Verf. von „Jucunde“), einzusehen begann, daß er nicht zum Pastor tauge. Er wandte der Kanzel den 144 Im Separatddruck folgt auf einer eigenen Doppelseite am Schluß: „Als Nachwort Arndts Lied: Gottes Geist (1854) O Gottes Geist und Christi Geist, Das Morgenroth der bessern Welt, Der uns den Weg zum Himmel weist, Das wie ein Strahl vom Himmel fällt, Der uns die dunkle Erdennacht Als Gottes Macht und Gottes Lust Durch seine Lichter helle macht. Durchblitzt die kranke Menschenbrust. Du Hauch, der durch das Weltall weht Als Gottes stille Majestät, Du aller Lichter reinstes Licht, Erleucht uns Herz und Angesicht.

O Gottes Geist und Christi Geist, Der uns wie Kinder beten heißt, Der uns wie Kinder glauben heißt, O komm! O komm, du heilger Geist!

Komm, leuchte mit dem Gnadenschein Hell in die weite Welt hinein Komm, mach uns in der Finsterniß Des lichten Himmelswegs gewiß.

Komm, Gottes Frieden, Gottes Muth! Komm, stille Kraft die nimmer ruht! Komm, gieße deinen Gnadenschein In Seele Sinn und Herz mir ein.

Ach, hier ist Alles Staub und Nacht, Dann wandl’ ich wie ein Kind des Lichts, Die Wahn und Sünde trübe macht; Im Glanze deines Angesichts Ach, hier ist Alles Noth und Tod, Schon meinen kurzen Erdenlauf Geht uns nicht auf dein Morgenroth. Stets himmelein und himmelauf. 145 Aus dem Schwedischen übersetzt von Barbara Peters, 2010. Der Nachruf folgt weithin dem Nekrolog von Hermann Grieben relativ wörtlich, vgl. oben Text Nr. 16.

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Rücken und wanderte aus, in die Welt. Anderthalb Jahre ging die Reise über Wien, durch Ungarn nach Italien. Von Nizza über das Meer nach Marseille und weiter nach Paris, schließlich über Brüssel zurück nach Hause, wo er im Herbst 1799 ankam, sich verheiratete und eine Adjunktur an der Philosophischen Fakultät in Greifswald annahm. Seine Frau starb nach kurzer Ehe und Arndts Wirken an der Universität wurde durch Streitigkeiten, die ihm seine Lust als Schriftsteller oft eintrug, abgebrochen. Im Herbst 1803 erhielt er ein ganzes Jahr Urlaub, für eine Reise nach und durch Schweden. Nach seiner Rückkehr nach Greifswald gab er seine „Fragmente über Menschenbildung“ und „Reisen durch Deutschland, Ungarn, Italien und Schweden“ (acht Bände) heraus deren Tendenz ganz und gar kosmopolitisch war. Inzwischen änderte sich 1805 der Stand der Dinge, der „Freiheitsheld“ Napoleon, trat als ehrgeiziger Despot hervor; der Kosmopolit an der Ostsee, der nun zum a.o. Professor berufen worden war, wurde deutscher Patriot und schrieb in freiheits- und wahrheitsliebendem Enthusiasmus sein Buch: „Geist der Zeit“. Noch nie, so drückt sich ein anderer Nekrolog über ihn aus, hat ein einfaches Wort eines Schriftstellers so schnell und heftig wie diese Schrift gewirkt, als wenn eine Bombe auf das deutsche Volk niederschlägt, und die in alle Sprachen Europas übersetzt wurde, mit Entsetzen und Erstaunen, mit Bewunderung und Beifall gelesen wurde. Ein in der Gesellschaft nur wenig bekannter Mann hatte es gewagt, zum Ärger des Adels, über alte und junge Leute, über die Republik und den Despoten, über uralten Adel und Emporkömmlinge, über das derzeitige Elend und die Schmach des napoleonischen [im Text „neapolitanska“] Jochs, zu Gericht zu sitzen. Ein Verfasser hatte das Visier fortgerissen von dem hochmütigen Beherrscher und den irdischen Herrschern und dem Kontinent gezeigt, über welche „der Moder der Zeit dick lag“, das Tyrannen Bild und dessen eigene Schande. Was kaum jemand zu denken wagte, das sprach Arndt aus. Dieses Buch kam 1806 heraus und 1807 wurde schon dessen zweite Auflage publiziert. Napoleon verfolgte den Verfasser und konfiszierte die Schrift. Aber das Buch flog durch die Luft, von Haus zu Haus, von Stadt zu Stadt; der Verfasser segelte über das Meer unter dem Schutz seines Monarchen, Gustaf  IV. Adolf, nach Stockholm. Dort diente er in der Kanzlei des Königs und schrieb zugleich den zweiten Teil des „Geist der Zeit“, der 1808 herauskam. Aber, da das Haus Wasa 1809 aufhörte zu regieren und Bernadotte Schwedens Thron bestieg, kehrte Arndt nach Deutschland zurück. Hier wurde er eine Zeit lang von der französichen Polizei nicht beachtet [eigentlich: vergessen], so daß er 1810 wieder das Katheder in Greifswald betreten konnte. Doch 1811 reiste er als Bote für die europäische Freiheit durch Österreich nach Polen, von dort nach Rußland, wo er mit dem Freiherrn v. Stein, Napoleons unversöhnlichem Gegner, zusammentraf und dessen staatsmännischem Wirken unterstand, später nach Königsberg, wo er durch seine Schriften Yorks Abfall vorbereitete und das Dröhnen der Sturmglocke, die Friedrich Wilhelm III. schließlich selbst von Breslau aus erklingen ließ. Hiernach war Arndts Schicksal mit dem verbunden, was Deutschlands politisches Handeln und Hoffen betraf. Seine öffentliche Bedeutung, die während des Krieges mit Frankreich ihren Höhepunkt erreichte und sein persönliches Ansehen verwandelten sich bei den Machthabern, nachdem der Sieg erkämpft war, zu Haß. Im Herbst 1817 ließ er sich in Bonn nieder, vermählte sich mit Schleiermachers Schwester, die ihn überlebte, und wirkte wieder als akademischer Lehrer. Aber als Schriftsteller mißfiel er

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der Bundesregierung und seinem eigenen König durch den vierten Teil seines „Geist der Zeit“. Er wurde verwarnt und aus Berlin ausgewiesen und dann, nach Kotzebues Mord, begann man mit der Jagd auf Demagogen und er gehörte zur Zahl der Verdächtigen. Sein Haus wurde durchsucht, seine Bücher und Schriften beschlagnahmt und er der Ausübung seines Amtes enthoben. Nichts beweist mehr die bedauerliche Veränderung der auffallenden Angelegenheit in Deutschland, als der Prozeß gegen Arndt im Jahr 1821, als Hochverräter. Bestimmte Ausdrücke in seinen Papieren, die zu schärfsten Beschuldigungen gegen ihn führten, rührten von des Königs eigener Hand her. Schließlich endete der Prozeß im Sommer 1822 damit, daß Arndt freigesprochen wurde, aber verhindert wurde, daß er seine Professorenwürde zurück erhielt. Erst mit Friedrich Wilhelms IV. Thronbesteigung wurde „Vater Arndt“ der volle Besitz seiner Rechte und Freiheiten seinen Beruf auszuführen, zurückgegeben. Was später geschah, als Arndt 1848 in das Frankfurter Parlament entsandt wurde, welche Stellung er bei den Verhandlungen in gewissen Tagesfragen einnahm, wie er sich 1850 für die Schlewig-Holsteinsche Sache einsetzte, 1854 pro populo Germanico und 1858 seine „Wanderungen und Wandelungen mit dem Freiherrn von Stein“ herausgab, ist ziemlich allgemein bekannt. Ebenso die populären Huldigungen, deren würdiger Gegenstand er bis zum Schluß seines Lebens war, und wozu seine Verhaftung bzw. angeklagt zu sein, General Wrede beleidigt zu haben, einen scharfen Kontrast bilden. Arndt starb in Bonn nach einer kurzen Krankheit am 29. Januar dieses Jahres.

Nr. 30 Neue Evangelische Kirchenzeitung, 2. Jg., Nr. 11 v. 17.3.1860, Sp. 161–170 [S/S Nr. 2064; Loh Nr. 1888] (Verfasser: Hermann Meßner?) Ernst Moritz Arndt. Eine deutsche Kirchenzeitung darf über einen Mann wie Arndt bei seinem Heimgang so wenig schweigen, als eine deutsche Kirchengeschichte über die Zeit der Freiheitskriege hingehen dürfte, ohne ihre erneuernde Bedeutung für die deutsche Kirche zu würdigen. Zumal den Bewunderern des alten Arndt gegenüber, die keine Ahnung haben von dem heiligen Grund seines Lebens, ist es die Aufgabe kirchlicher Zeitschriften, nachzuweisen, mit wie lebendigem Glauben der Heimgegangene in unserer evangelischen Kirche gestanden. Es mag daran erinnert werden, daß dieser deutsche Mann in seiner Jugend im Glauben und in der Sitte der lutherischen Kirche auferzogen worden ist, daß er Student und Candidat der Theologie gewesen und zuweilen gepredigt hat, ehe ihn Gott das Geleise seines eigentlichen Berufs hatte finden lassen, daß er zu den verschiedensten Zeiten auch über Kirchliches seine Stimme abgegeben, und daß er unter die Männer gehört, welche seit vierzig Jahren der Gesangbuchsnoth in der evangelischen Kirche abzuhelfen gesucht haben, nicht nur durch seine 1819 erschienene Schrift „vom Wort und vom Kirchenliede“, sondern auch als Sänger trefflicher geistlicher Lieder. Aber alles dies wird davon weit überwogen, daß er der Zeit der nationalen und religiösen Erhebung als eine ihrer mächtigsten Weckstimmen angehört, daß er der kräftigste Zeuge ist, daß die damalige Bewegung nicht blos auf Abschüttelung der Franzosenketten und Ab-

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stellung von allerlei deutschen Uebeln im politischen Leben ging, sondern zugleich dahin, das deutsche Volk aus der Armseligkeit der Religion der Aufklärung in die frische, reiche Welt des Glaubens an den Sohn Gottes zurückzuführen. Ernst Moritz Arndt war nach seinem eigenen Wort wie Horatius Flaccus eines Freigelassenen Sohn. Sein Großvater noch war ein unterthäniger Schäfer auf einer Herrschaft der Insel Rügen. Der Vater begann seine Laufbahn als Jäger des Grafen Löwen, ward wegen seiner guten Dienste nach dem siebenjährigen Kriege freigelassen und schwang sich vom Schreiber zum Inspector herrschaftlicher Güter und zuletzt zum wohlhabenden Pächter empor. Ragte auch das gesellige Leben der Eltern in die mittleren und theilweise höheren Stände hinein, so darf doch der Bauernstand als eine der Wurzeln angesehen werden, aus welcher Arndt’s Leben hervorgrünte. Seine Jugendzeit auf dem Lande war reich an jenen Freuden in Feld und Wald und Wasser, die ein so gewaltiges Mittel sind, einen starken, nicht alternden Sinn auszubilden. Wie aber Luther seinem Eingewurzeltsein in das Volksleben zum guten Theil die derbe, volksthümliche Art verdankt, mit welcher er schreibt und redet, so daß er selbst die tiefsten theologischen Fragen nicht im Tone trockner Gelehrsamkeit, sondern in einer auch dem gemeinen Manne verständlichen Sprache, mit einer Dialectik, die zum guten Theile Mutterwitz ist, abhandelt, so ist es für Arndt, der auch berufen war, auf das Volk durch die Macht des Wortes zu wirken, von der größesten Bedeutung, daß er aus dem Stande stammte, in welchem des Volkes Art, wenn auch oft in böser Natürlichkeit, am unverfälschtesten wohnt. Das bewegte Leben hat ihn später zu treuer Freundschaft mit Fürsten, Grafen und Herren verbunden, vor allem mit dem kräftigsten Sproß, den der Reichsadel in jener Zeit getrieben hatte, mit dem gewaltigen Stein, aber die Kraft des freien Bauernstandes galt ihm Zeitlebens als eine der mächtigsten im Volks- und Staatsleben. Eine der ersten schriftstellerischen Thaten galt der Befreiung dieses Standes, indem er über die Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen schrieb. Und als man bald nach den großen Jahren 1813, 14 und 15 es als ein Unglück zu bejammern anfing, „daß der große Krieg v.J. 1813 nicht aus der rechten Quelle entsprungen, daß ihn das Volk, das dumme, verächtliche Volk, gleichsam so miterklärt und mitgeführt habe“, da konnte er mit einem rechten Stolze schreiben: „Es mag ein scharfer Sporn und hoher Trieb im Adel sein in der Erinnerung von stattlichen und glorreichen Ahnen, die man noch bei Namen aufzählen kann. Wir beneiden keinem wahren Edlen dies Gefühl; aber er muß durch Tapferkeit und Menschlichkeit die Ahnenprobe geben. Doch auch der Sohn des Bauers und Tagelöhners giebt jeden Tag diese Probe, zum Beweise, daß wir andern mit den adelichsten in Adam unseren gemeinsamen Ahnherren verehren dürfen. Denn, welche waren Columbus und Cooks und Kepplers und Luthers und Scharnhorsts der Unsterblichen Ahnherren? Und weil das Vornehme und Eitle sich immer wieder erheben will, so sage ich, daß die größten und herrlichsten Männer aller Zeiten und Völker in Einfalt, Schlichtheit, Gutmüthigkeit, Freundlichkeit und Derbheit des Lebens und der Gestalten und Gesichter immer wie Bauern aussehen: so daß schlichte und einfältige Bauern hätten ihre Väter sein können… Wo ein Volk nicht durch lange und uralte Knechtschaft entweiht oder gar durch einen fremden schöneren Stamm niedergetreten ist – da muß die Grundgestalt bei denen bleiben, die das einfachste, natürlichste und gesundeste Leben führen. Und wollt ihr wetten? Ich schlage ein. Sucht ihr in den Geschlechtern nach, welche die

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ältesten Stammbäume haben: ich gehe auf meiner Jagd auf den Harz und in den Thüringerwald, ins Breisgau und Elsaß und ins Waldeckische, Lippische und Friesische und will euch die meinigen schon entgegenstellen. Darin beweist euren Adel und eure höhere und edlere Gesinnung, daß ihr das gleiche geistige Geburtsrecht – das Recht, das Christus uns gebracht hat – alle erkennet und anerkennet. Dann wird euch jeder gern das Eigene gönnen, wenn ihr es würdig behauptet.“ (Geist der Zeit IV. S. 554ff ). Fragen wir nach dem Glauben, den Arndt als Erbtheil aus dem elterlichen Hause mitgenommen hat, so müssen wir uns auch hier, wie so oft, vor allem an die Mutter halten. Es war zwar, wenigstens auf der Insel Rügen, damals überhaupt noch die Zeit des ungestörten christlichen Glaubens, und was für ein fester, treuer Mensch der Vater gewesen, klingt noch nach aus dem Briefe des Bruders Friedrich aus dem Sommer 1808, darin er den Tod des Vaters meldet. Aber die Mutter – welch eine herrliche deutsche Frau mit dem frommen, sinnigen Gemüthe tritt uns in ihr entgegen! „Die Mutter“, so erzählt Arndt, „hielt die Leseübungen, und machte unsre jungen flatternden Geister durch Erzählungen und Mährchen lebendig, die sie mit großer Anmuth vorzutragen verstand, das Lesen ging aber in den ersten Jahren nicht über Bibel und Gesangbuch hinaus; ich möchte sagen, desto besser für uns. Sie war eine fromme Frau und eine gewaltige Bibelleserin, und ich denke, ich habe die Bibel wohl drei vier Mal mit ihr durchgelesen. Das Gesangbuch mußte auch fleißig zur Hand genommen werden, und den Sonntag Nachmittag mußten die Jungen unerlaßlich entweder ein aufgegebenes Lied oder das Sonntagsevangelium auswendig lernen. Dies geschah, weil sie eine sanfte und liebenswürdige Schulmeisterin war, mit großer Freude und also mit großem Nutzen. Muße aber hatte sie ungeachtet einer nicht starken Gesundheit, der vielen wilden Kinder und der großen Wirthschaft, die mit Sparsamkeit geführt werden mußte, mehr als die meisten andern Menschen. Wenn alles längst vom Schlaf begraben lag, saß sie noch auf und las irgend ein frommes oder unterhaltendes Buch, ging selten vor Mitternacht zu Bette und war im Sommer mit der Sonne wieder auf den Beinen.“ (Erinnerungen aus dem äußeren Leben, 3. Auflage S. 10) Sonntags ging die Jugend zweimal zur Kirche. Morgens zu Predigt, Nachmittags zur Catechismusprüfung, bei welcher der zehnjährige Ernst Moritz durch seine Belesenheit in der Schrift und frischen Eifer einen hervorragenden Platz behauptete. Der Segen dieser kirchlichen frommen Jugenderziehung ging nicht verloren, wenn er auch erst in den Tagen des deutschen Unglücks zur rechten Lebendigkeit kam. Es wird bei Arndt ähnlich gewesen sein wie bei seinem großen Gönner und Freunde Stein: auch dieser hatte von der Mutter den Segen einer frommen Erziehung empfangen, dieser Segen begeleitete ihn in die Mannesjahre als der feste Glaube an eine Vorsehung, die alles Menschliche lenkt. Als die Trübsal über die Nation und über ihn selbst hereinbrach, ward jener Glaube immer lebendigere Gewißheit, immer fröhlichere Zuversicht deß, das er hoffte. In ihm trug er die größesten Leiden, vollbrachte er die gewaltigsten Thaten und der stille Lebensabend mußte dann dazu dienen, ihn völlig zum Heilsglauben an den Erlöser, ohne den Niemand zum Vater kommen kann, auszugestalten. Auch Arndt hören wir zuerst in den Jahren 1812 und 13 den volleren Ton biblischen Glaubens anschlagen, er ist aus ihm nicht herausgefallen und seine letzten Liedesklänge waren ganz von der Liebe zum Herrn erfüllt, in welcher das müde Leben des Neunzigjährigen Frieden gefunden hat.

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In der lutherischen Kirche ist Arndt geboren und ein lutherisches Gepräge ist ihm Zeitlebens aufgedrückt. Dies gilt zuerst von der Sprache. In der Vorrede zu seinen geistlichen Liedern (Berlin 1855) sagt er: „Ein evangelischer Christ, der Lieder singen will, hat in seines Martin Luthers Bibel und Liedern die rechten starken und einfältigen Muster. Vor allen deutschen Männern hat dieser große Unsterbliche der Sprache den rechten Schritt und Klang zu deutschen Herzen gewiesen; und wenn mir hin und wieder gelungen ist, deutsch sprechen, reden und ein Weniges singen zu können, so verdanke ich das mit vielen Andern, die deutsch empfinden, denken und darstellen können, am meisten der von Kind auf geübten fleißigen Lesung der Lutherischen Bibel.“ Ausführlicher hat er sich darüber im vierten Theile des Geistes der Zeit ausgesprochen unter der Ueberschrift: unsere Sprache und ihr Studium. „Das teutsche Gepräge für alle Zeiten drückte ihr (der deutschen Prosa) der außerordentliche Mann auf, der in andrer Hinsicht eine neue Weltepoche begründete, D. Martin Luther in Wittenberg. Was auf teutsch lieblich oder furchtbar, donnernd oder säuselnd, mild oder rauh, stark oder weich, zornig oder freundlich geredet und geklungen werden kann, das hat dieser seltene Mann uns in einem großen Vorbilde hinterlassen, in seiner Bibelübersetzung und in seinen teutschen Schriften. Das Grade, Runde, Volle, Einfältige, straks zum Ziel Gehende und keine langen Flechtungen und künstlichen Verschlingungen und Windungen Vertragende, kurz das Teutsche in Sinn, Art und Klang hat Luther getroffen, und wer je gut teutsch schreiben und reden lernen will, der muß ungefähr empfinden lernen, was in ihm gelebt hat; denn nachahmen läßt sich das Außerordentliche nicht.“ (S. 403). Und wo er davon redet, daß nach Luther das theologische Gezänk alle freiere Idee des Lebens und der Wissenschaft und alle Lust und Anmuth der Liebe und Freude wie aus dem Leben so aus der Sprache verscheucht, und daß von 1660 bis 1750 die Sprache durch den Einfluß der französischen Literatur und Sprache die „Krätze“ bekommen habe, da muß er doch erwähnen, „daß das Lutherthum durch das fleißige Lesen der Bibel und durch die Begeisterung frommer Sänger in gebundener und ungebundener Rede hie und da eine löbliche Reinheit, Kraft und Einfalt der Sprache und einen lebendigen Fluß der Rede erhielt, als alles schon todt oder mit fremder Ziererei gemischt und überladen war. Ja in allen lutherischen Ländern hat die heilige Dichtkunst immer noch einzelne reine Schwäne und unschuldige Nachtigallen behalten, welche in zarten und mächtigen Tönen von dem Himmel und von der ewigen Welt die Wonnen und Geheimnisse sangen, als alles andere in Gekrächze und Geschnatter ausgeartet war.“ (S. 409). Den Einfluß der lutherischen Sprache, den mächtigen, man darf sagen protestantischen Athem, den die Rede durch Luther empfangen hat, spüren wir überall in Arndt’s Schriften. Wie Luther schreibt auch Arndt für das Volk und nicht für die Gelehrtenzunft, und wenn für Arndt die Aufgabe durch die mittlerweile eingetretene viel größere Kluft zwischen den sogenannten Gebildeten und Ungebildeten viel schwerer geworden war, so hat er doch redlich danach gestrebt und hat tiefste Gedanken und reichstes Wissen in frischer, lebendiger Rede ausgesprochen. Ihr kühner, rascher Gang führt uns nirgend durch die dürre Haide abgezogener Gedanken, sondern allezeit in den vollen Strom geschichtlichen und volksthümlichen Lebens. Durch diese frische Weise sind seine Schriften in der That das, als was er einen Theil derselben bezeichnet hat: Schriften

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an und für seine lieben Deutschen. Lutherisch ist außer der Sprache Arndt’s Vertrauen auf das Wort. Ganz so wie Luther hat er freilich nicht gesprochen: „Summa Summarum, predigen will ich’s, sagen will ich’s, schreiben will ich’s, aber zwingen, dringen mit Gewalt will ich Niemand“, hat er das Schwert neben dem Wort wollen brauchen lassen. Auch durfte er nicht sagen wie Luther: „Ich hab’ allein Gottes Wort getrieben, geprediget und geschrieben: sonst hab’ ich nichts gethan.“ Unter dem Wort versteht er zunächst nicht Gottes Wort in der Bibel allein: das Wort ist ihm des Menschen Logos, der Gedanke, den Gott in die Menschenbrust hineingeredet hat, und der wieder herausgeredet werden will zur Auferbauung eines göttlich menschlichen Lebens auf Erden, das Wort ist ihm der freie, lebendige Ausdruck des Tieffsten und Innerlichsten, was der Mensch hat, und darum ist sein Vertrauen auf das Wort nichts anderes als ein Vertrauen auf die Macht der Innerlichkeit, Geistigkeit, Freiheit, ein Verwerfen knechtischer Mittel auf dem Gebiete des sittlichen Lebens. Das Protestantische in dieser Lust am Wort, an der freien Rede und Schrift leuchtet unmittelbar ein. Arndt ist aber vom Protestantischen bis zum Evangelischen durchgedrungen, er hat das Bibelwort als das Gotteswort erkannt, von welchem alles Menschenwort durchleuchtet sein muß, wenn er ruft: O Wort der Macht, o Wort der Kraft, Das so gewaltig wirkt und schafft. O Wort der Schrecken und der Freuden, Zum Heilen mächtig und Zerschneiden! Du warest eh’r als Zeit und Ort, Du starkes Wort, du festes Wort. Er ist von dem Vertrauen auf das Wort in der Bibel bis zur Ahnung des ewigen Worts, das in Christo Fleisch geworden, emporgestiegen, wenn er betet: O Wort, so mächtig und so treu! O ältstes Wort, doch ewig neu! Laß deine Schrecken mich durchwehn, Damit ich lerne Gott verstehn. O Wort so freundlich und so lind! Durchhauche mich wie Maienwind, Laß deine Liebe mich durchwehn, Damit ich lerne Gott verstehn. Dann wird mir alles offenbar Und sternenhell und himmelklar, Dann liegt mein kurzes Erdenloos Geborgen fromm in Gottes Schooß. O Wort so mächtig und so treu! O ältstes Wort, doch ewig neu! Du Wort von Liebe, Wort von Licht! Verlaß mich nun und nimmer nicht.

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Das über Arndt’s Vertrauen auf das Wort und Verständniß des Wortes Gesagte findet in Arndt’s Schrift vom „Wort und dem Kirchenlied nebst geistlichen Liedern, Bonn 1819“ – eine der tiefsinnigsten und anregendsten unter Arndt’s kleineren Schriften – seine Bestätigung. „Zuerst – heißt es darin – ist das Wort Gott selbst, ausgeflossen aus der ewigen Liebe, im Anfang die Welt zu erschaffen und dann die durch Sünde und Lüge verschaffene Welt wieder zu erlösen. Das Wort ist die höchste und tiefste Vernunft, das ewige unendliche Sein, die schöpferische Kraft der Liebe, das Ding ohne Anfang und Ende: es ist Gott, es ist der Heiland, es ist die höchste Wirkung und der tiefste Abglanz des unendlichen Gottes, das Klarste und Geheimste, woran alle Christen glauben und wodurch sie Christen sind. Solche Namen, solche Zeichen und solche That hat Gott dem Worte gegeben: es sollte gleich ihm selbst sein. Und wir haben es gesehen und sehen es bis diesen Tag als die Gewalt, die das Todte lebendig macht und das Finstere erleuchtet, als die Gewalt des eingebornen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit.“ (S. 3 u. 4). Von diesem Glauben an des Wortes wunderbare Macht spendet er Luther, der des Wortes Werkzeug und Meister zugleich war, ein herrliches Lob und geißelt die, welche die Protestanten für arm halten, weil sie nur das Wort haben. Dann spricht er mit tiefer Kunde, die aus persönlichem Erleben kommt, über das Kirchenlied, dieses unvergleichliche Erzeugniß des Wortes und macht den Vorschlag zu der Herstellung eines christlich deutschen Gesangbuchs: „ein Gesangbuch, das alles das enthielte, was in frommer Inbrunst der Begeisterung in den letzten dreihundert Jahren – und wenn es schon frühere deutsche Hymnen giebt – von christlichen Sängern gedichtet ist.“ Was in unserer Kirche von dem Jahre 1520 bis 1750 gedichtet ist, werde den Grundstock bilden, dazu käme dann das Neuere, und was aus katholischen Gesangbüchern anzunehmen wäre. Auslassungen und Aenderungen will er nicht verstatten. Es hat lange gedauert, bis dieser Gedanke in dem Eisenacher Gesangbuche seine beschränkte Ausführung gefunden hat, und wie particularistisch engherzig ist dieses aufgenommen worden! Arndt’s Beruf, in welchem sein ganzes Leben aufgegangen ist, galt der Größe, Freiheit, Reinheit der deutschen Nation. Fast alle seine Schriften sind geschrieben mit dem bestimmten Zwecke, entweder die Franzosen aus Deutschland zu vertreiben, oder dem in Sitte und Sprache eingedrungenen fremdländischen Wesen den Krieg zu erklären, oder die eigenthümlichen Gnaden und Gaben, die Gott unserm Volke verliehen hat, im Vergleich mit andern Volksarten, deutlich herauszustellen. Ein solches Streben, wenn es auch zunächst nur auf das Volksthum gerichtet ist, muß mittelbar auch der Kirche zu Statten kommen. In Deutschland aber that es Noth, daß der Nationalität ihre gebührende Stelle eingeräumt werde, damit die Kirche aus ihrer Verschobenheit herauskomme. Man hatte in Deutschland seit lange in der Politik eine völkerumschlingende Weitherzigkeit bewiesen, die ihr Recht, wenn sie überhaupt die rechte ist, nur in der Kirche hat, und in der Kirche eine sich abschließende Engherzigkeit, die zu straffem Nationalsinn veredelt, nirgends nothwendiger wäre als im Staat. Wie noth thut da die Verständigung, daß der Staat wesentlich auf der nationalen Besonderung, freilich nicht im Sinne des Nationalitätsschwindels, beruht, und daß er im Kampfe mit dem Nationalfeinde an die Einzelnen bisweilen Forderungen stellen muß, die ihr sinnliches Wohlsein schonungslos stören, um die nationale Freiheit, die Bedingung eines wahrhaftigen Wohlseins, zu erhalten, damit dann die Kirche ihre eigenthümliche Aufgabe

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um so klarer erkenne, einestheils alle Kraft an die Rettung des Einzelnen zu setzen, anderentheils der Verbrüderung aller Nationen anzustreben. Arndt nun hat das Nationalitätsprincip in einer Weise geltend gemacht, daß es der christlichen Weitherzigkeit als einer nothwendigen Ergänzung bedarf. Aber je herber dieser Ton des Hasses gegen die Franzosen in ein christliches Ohr klingt, desto strenger müssen wir festhalten, daß er hierbei nicht die Franzosen im Auge hat, wie sie als Einzelne uns Einzelnen gegenüber stehen, sondern das Franzosenthum, das, was dies Volk seit Jahrhunderten uns Deutschen bedeutet hat, Zerrüttung, Vergiftung, Knechtung unsres von Gottes Gnaden geschenkten deutschen Wesens. „Jene Prediger von sogenannter christlicher Geduld und Freundlichkeit und Verbrüderlichkeit“, ruft er aus, „wissen von dem christlichen Gott und dem christlichen Leben nichts, sondern weil ihr Gemüth klein, feig und elendig ist, darum haben sie sich auch einen weinerlichen und weichlichen Gott erfunden, welcher nicht zürnen noch strafen kann. Der rechte Gott aber ist auch ein zorniger und gewaltiger Gott, der das Böse ewig strafen muß, und dem die faule Tugend und die mürbe Feigheit nicht gefällt, wodurch alle Redlichkeit und Freiheit von der Erde verschwinden würde. Weil er der Gott der Liebe ist, darum gefällt ihm Haß… Wo um die höchsten menschlichen Dinge, wo um das Recht und die Freiheit der Kampf steht, da sind Haß und Rache also erlaubt, weil der irdische Mensch ohne lebendige Gefühle nichts Lebendiges und Kühnes thun und wagen kann. Gott will diesen Haß, ja gebietet ihn. Er hat selbst einen Haß gesetzt und in die ganze Natur gelegt… Es ist unumstößliche Wahrheit, daß alles, was Leben und Bestand haben soll, eine bestimmte Abneigung, einen Gegensatz, einen Haß haben muß; daß, wie jedes Volk sein eigenes innigstes Lebenselement hat, es eben so eine feste Liebe und einen festen Haß haben muß, wenn es nicht in gleichgültiger Nichtigkeit und Erbärmlichkeit vergehn und zuletzt mit Unterjochung endigen will… Grade die Vermischung mit dem Ungleichen – das ist der Tod der großen Tugend und die Geburt der Eitelkeit. – Jedes Volk behalte das Seine und bilde es tüchtig aus, hüte sich aber vor aller Buhlerei mit dem Fremden, weil es die Tugenden der Fremden dadurch nicht gewinnen kann, die eigenen Tugenden aber schwächt und verdunkelt: nur das Oberflächliche, Alberne und Eitle gewinnt man von den Fremden… Ich will den Haß, festen und bleibenden Haß der Deutschen gegen die Wälschen und ihr Wesen, weil mir die jämmerliche Aefferei und Zwitterei misfällt, wodurch unsere Herrlichkeit entartet und verstümpert und unsere Macht und Ehre den Fremden als Raub hingeworfen wird… Dieser Haß glühe als die Religion des deutschen Volks, als ein heiliger Wahn in allen Herzen und erhalte uns immer in unsrer Treue, Redlichkeit und Tapferkeit; er mache Deutschland den Franzosen künftig zu einem unangenehmen Lande, wie England ihnen ein unangenehmes Land ist. Die beiden Völker haben bei einander nichts zu thun, die Franzosen haben bei ihnen selbst Land genug, wir haben es auch bei uns, und es wird kein großer Verlust für uns sein, wenn die französischen Sprachmeister, Tanzmeister, Abbés, Kammerdiener, Köche, Salbenkrämer, Kammerzofen und Gouvernantinnen unsrer Töchter und unsrer Bordelle das grobe Allemanien als ein unausstehliches und abscheuliches Land künftig fliehen. Wahrlich, wir wären wieder Menschen und Männer, hätten wir diese Pest unsres Lebens und unsrer Sitte nie gekannt… So bleibe denn der Haß als ein heiliger und schützender Wahn im Volke. Was durch Tugend, Wissenschaft und Kunst bei dem einen Volke in seiner Art vortrefflich

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ist, das Große und Menschliche, was die erhabene Einheit und Göttlichkeit der Welt ausmacht, wird darum auch dem andern Volke angehören und als Gemeingut der Menschheit von ihm angenommen und verehrt werden… Auf dieser Höhe hört der Gotteshaß auf: da beginnt die große Gemeinschaft der Völker, die allgemeine Menschheit, und da wird die Menschlichkeit und Liebe nimmer fehlen, die uns alle zu Kindern Eines Gottes und Einer Erde macht. Jede Tugend und Größe durchbricht von selbst die Schranken, welche zwischen Menschen und Völkern stehen: wer da noch hassen kann, der ist ein Barbar oder ein Thier: ein solcher bin ich nicht, wenn sie auch sagen, daß ich es bin.“ (Ueber Volkshaß und Gebrauch einer fremden Sprache, S. an meine lieben Deutschen I, S. 364ff.) Von diesem Gedanken aus, daß das deutsche Volksthum ein von Gott reich begabtes sei, und daß es seinen unversöhnlichen Gegensatz im Franzosenthum habe, hat er auf allen Gebieten deutsche Art gepflegt und wälsche Art bekämpft. Denn verwälscht und verfälscht war ihm dasselbe. In der Schrift über Sitte, Mode und Kleidertracht (1814, S. an meine lieben Deutschen II.) hat er den Geist Moscherosch’s heraufbeschworen, der in seinem Philander von Sittewalt der Franzoserei so kräftig entgegentritt, in einer spät geschriebenen Schrift: Lasset euch nicht verführen oder die Weltliteratur (S. an meine lieben Deutschen III. aus dem Jahre 1842) zieht er gegen den verwaschenen Kosmopolitismus in der Literatur zu Felde, der unter dem Schutze des gealterten Göthe herangewachsen war. Den größesten Nachdruck legte Arndt bei diesem Krieg gegen fremdländisches Wesen auf die Sprache. Daß die Deutschen lernen deutsch reden, daß die Kinder in dem Alter, wo mit dem Werden der Sprache der innerste Mensch wird, nur Eine Sprache lernen, die Muttersprache, daß das Französische seine Herrschaft verliere, und das man endlich erkenne, daß französisch Sprechen für kein so überaus wichtiges Ding zu halten, weder für die deutschen Jungfrauen, noch für die deutschen Fürsten, Grafen und Herrensöhne, das ist das cetereum censeo dieses Mannes von Catonischer Ausdauer sein ganzes langes Leben hindurch. „Die Wörter“, sagt er im Geist der Zeit IV. S. 335, „sind ja nichts Todtes, sie sind ewige Urbilder von Gefühlen und Gedanken, sie sind gleichsam versteinerte und verzauberte Ideen, die durch die lebendigen Reden und den warmen lebendigen Hauch der Seele, die sie gebraucht, in jedem Augenblick wieder belebt werden müssen. Was in teutschen Menschen Tugendhaftes und Lasterhaftes, Wahres und Lügnerisches, Treues und Untreues, Ernstes und Scherzendes jemals gelebt hat, das muß auch in ihrer Sprache leben; mit der Sprache muß jedem die Urgestalt eines Volkes, sein tiefstes Leben, Denken und Empfinden aufgehen. Wie nun? Wenn du von der Wiege an das Wälsche und Russische, die wälsche und russische Urgestalt und Grundform des Lebens mit der wälschen und russischen Sprache in dich aufnehmen willst? Wird neben dieser Gestalt, die jetzt gleichsam dein zweites Leben wird, die teutsche Urkraft, deren Keime wohl mehr in dir lagen, später noch Platz in dir gewinnen…? Der Kern der Sprache, ihr tiefstes Leben und Lieben wird nimmer durch Bücher gelernt, sondern durch das Leben, und das rechte Lernen ist da immer vollendet, ehe der junge Mensch buchstabirt. Dann, in den ersten fünf, sechs Jahren seines Lebens, muß er die innerlichen kräftigen Geister seines Volks, die in der Sprache ruhen, in unbewußter Unschuld eingesogen und empfangen haben, wie er Luft und Licht einsaugt und in Sehnsucht erfasset; später ist die Empfindung dafür bei den meisten geschlossen.“

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So mannigfaltig sind die Anregungen für die nationale Erziehung, die aus diesen Schriften Arndt’s gezogen werden kann, gewesen, daß die neueste pädagogische Encyclopädie146 dem alten Arndt eine Stelle eingeräumt hat, und zwar nicht etwa blos um der „Fragmente über Menschenbildung“ und des „Entwurfs der Erziehung und Unterweisung eines Fürsten“ willen, sondern vor allem um seiner Lieder, seiner Märchen von so sittlicher Kraft wie „Klas Avenstaken“ mit seinem „grad dör“ durch die Erinnerungen aus seinem äußern Leben und um seiner ganzen mannhaften und jugendlich frischen Persönlichkeit willen. Viel unmittelbarer aber ist der deutschen Kirche zu gut gekommen, was Arndt in den Tagen der Franzosenherrschaft und Franzosenvertreibung für die Erhebung des deutschen Volkes gethan hat. Da das Volk zu jener Zeit bis in seine innersten Grundlagen aufgerüttelt ward – welch ein Segen, daß ihm seine edelsten Führer den Glauben an den lebendigen Gott als Halt verkündigten, und daß das Volk selbst in der Erniedrigung wie in der Erhebung den Finger des lebendigen Gottes sah! Die deutsche Begeisterung war eine fromme Begeisterung wie der Krieg als ein heiliger angesehen ward. Das war ein anderes junges Deutschland, als die Fratze aus den dreißiger Jahren, die den frommen Glauben höhnte und mit dem Franzosenthum und einer Allerweltsfreiheit buhlte, das waren auch andre Deutsche, als leider die neuesten, wie das Jahr 1848 sie aufwies. Gott hatte das deutsche Volk niedergeworfen zur heilsamen Züchtigung; aber da es niedergeworfen war, zeigte es, daß es noch nicht ausgetilgt zu werden verdiente. Gott hatte das Volk mit seinem Odem angeweht: da stand es wieder Aug’ in Auge, Herz zu Herz vor seinem Gott, und weil es vor ihm stand, fiel alle Eifersüchtelei wie ein dürres Laub von dem im jungen Saft stehenden Baum herab, welche das Volk in sich gespaltet und gelähmt hatte. Oesterreich stand mit Preußen zusammen, die nordischen Staaten mit den Rheinbündlern, in den Heeren, welche Napoleon besiegten, kämpften Freiwillige aus allen Ständen brüderlich nebeneinander, und es war im Geiste jener Zeit, daß Arndt in dem Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann es für eine List des Satans erklärte, wenn in das schöne Gemeingefühl der Ruf tönen sollte: „Hie Pabst! Hie Luther! Hie Calvin!“ Wer erinnerte sich nicht gern jetzt, wo der herrliche Man heimgegangen ist, der geistbeschwingten Flugschriften, die er damals in die deutsche Welt sandte und des ebenso frommen als deutschen Sinnes, der sie wie ein Hauch von oben durchwehte? Was für ein schöner Gedanke war es doch dem „deutschen Kriegs- und Wehrmann“ zu seiner übrigen Waffenrüstung einen „Katechismus“ zu fügen, worin gelehrt wird, wie ein christlicher Wehrmann sein und mit Gott in den Streit gehen soll. Man merkt, daß sein Verfasser in der Bibel heimisch ist, nicht nur in ihrer Sprache, sondern auch in ihren ewigen Gedanken über Völker und Volksheil und Volksverderben. „Weil du nun siehst“, mahnt Arndt, „woher dein Unglück gekommen und wie deine Schlechtigkeit und Zwietracht die Fremden zu deinen Herren gemacht, so musst 146 Gustav Baur, Ernst Moritz Arndt, in: Karl Adolf Schmid (Hg.), Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und Unterrichtswesens, bearb. von einer Anzahl Schulmänner und Gelehrten, Bd. 1: A-Dinter, Gotha 1859, S. 258–260; vgl. auch Johann Baptist Heindl (Hg.), Galerie berühmter Pädagogen, verdienter Schulmänner, Jugend- und Volksschriftsteller und Componisten in Biographien und biographischen Skizzen, Bd. 1, München 1859, S. 13f.

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du zuvörderst wieder schauen auf Gott und dem vertrauen, von welchem alle Dinge sind. Denn der Glaube an Gott thut noch täglich Wunder und die Zuversicht auf den Himmel überwindet die Hölle. Und den Menschen hilft keine Kraft ohne Gott und eitel bleibt, was auf sterblichen Künsten gebaut wird. Denn so spricht der Herr, der gewaltige: Einem Krieger hilft nicht seine große Macht, ein Riese wird nicht errettet durch seine große Kraft, Rosse helfen auch nicht und ihre große Stärke errettet nicht. Siehe, des Herrn Auge siehet auf die, so ihn fürchten und auf seine große Güte hoffen. Und dann musst du Gott bitten, daß er dir gebe einen stillen freundlichen und festen Geist, einen Geist des Friedens und der Liebe, daß du alle deine deutschen Brüder zu dir versammeln magst, und sie weinen, daß sie geschieden waren in ihren Herzen. – Ein frommer und gläubiger Mann hat das rechte Panzerkleid um die Brust gelegt und die rechte Waffe angethan: das kindliche Vertrauen auf einen allmächtigen Gott und das feste Gewissen in einer treuen Brust. – Wer das Schwerdt trägt, der soll freundlich und fromm sein wie ein unschuldiges Kind, denn es ward ihm umgürtet zum Schirm der Schwachen und zur Demüthigung der Uebermütigen. Denn der Krieg ist ein Uebel und die Gewalt ist das größte Uebel. Darum sollen die, welche für den Krieg gerüstet sind, die Demüthigsten und Mildesten sein, und sollen wohl bedenken, daß Einer im Himmel lebt, der die Gewaltigen zerschmettern und die Trotzigen zermalmen kann. – Das soll eure Ehre sein, daß Keiner zweifle, Gott werde die Tapferen und Redlichen befreien: daß Keiner verzage, in so heiligem Kampfe zu sterben.“ (S. an meine lieben Deutschen I., S. 229ff.) Derselbe Geist frommer, deutscher Zucht und Liebe lebt in der Schrift: „Was bedeutet Landwehr und Landsturm?“ „Alle, denen Gott irdische oder himmlische Güter, Wissenschaft oder Verstand, Muth oder Klugheit gegeben hat“ – heißt es hier – „sollen in dieser großen Zeit nur das Eine fühlen, daß das liebe Vaterland gerettet werden muß: alle Eifersucht, alle Zwiste, alle Unterschiede der verschiedenen Stände sollen sich in dem Einen Gefühl aufheben und darin untergehen, daß nur einmüthige Liebe und Begeisterung den Kampf siegreich machen kann, und daß derjenige vor Gott und Menschen der würdigste und glücklichste sein wird, der zum hohen Dienst des Vaterlandes der Demüthigste und Freundlichste ist. – Wenn also der Landsturm die Glocken läutet gegen den Feind und auszieht, so soll das große Werk mit Gottesdienst und Gebet begonnen werden, denn die Herzen gehen desto muthiger in den Streit. – Das ist auch eine fromme und christliche Sitte, daß jeden Tag nach geschehenen Kriegsübungen die Mannschaft sich feierlich in Reihe stellt, und ehe sie auseinandergeht, ein geistliches Lied singt: das geschehe auch vor und nach der Schlacht unter offenem Himmel. – Auch werden die Fahnen mit christlichem Gebet und ernster Andacht eingeweiht. Zieht eine Landwehr aus der Heimath gegen den Feind, so ist feierlicher Gottesdienst und Einsegnung: die ganze Mannschaft empfängt das heilige Abendmahl zum christlichen Gedächtniß und zu christlicher Freudigkeit und geht so mit Gott, wie er es will, in den Sieg oder in den Tod.“ (S. an meine lieben Deutschen I. S. 299ff.) Und wer recht erkennen will, daß Arndt Glauben und Frömmigkeit nicht bloß für das Volk und den Kriegsmann wollte, sondern daß seines Lebens innerster Ton Glaube und Frömmigkeit war, der lese die Schrift: „Das preußische Volk und Heer im Jahre 1813“, die er wenige Wochen nach der Schlacht bei Leipzig hat drucken lassen.

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„Unvergesslich“, heißt es da, „Jedem, dem ein deutsches Herz in der Brust schlägt, wird der Frühling und Sommer des Jahres 1813 bleiben. Wir können nun zu jeder Stunde sterben, wir haben auch in Deutschland das gesehen, weswegen es allein werth ist, zu leben, daß Menschen in dem Gefühle des Ewigen und Unvergänglichen mit der freudigsten Hingebung alle ihre Zeitlichkeit und ihr Leben darbringen können als seien sie nichts – das ist die Gewalt des überschwänglichen Geistes, die Gewalt Gottes, die über die Menschen kömmt, daß sie aus ihnen selbst heraus und über sich selbst emporgehoben werden und dann nicht mehr fühlen, wo sie gewesen sind, ja kaum fühlen, wer sie sind, wenn das Höchste sie beherrscht. Ihr tapferen und frommen Kämpfer, wie oft habt ihr im Erstaunen selbst ausrufen müssen: das haben wir nicht gethan, das waren wir nicht, das hat Gott gethan, das war Gott! Gott gab uns die Kraft, Gott gab uns das Glück, Gott wollte, wir haben wollen müssen“ (S. an meine lieben Deutschen I., 311ff.) Den in der Geschichte wirkenden Willen des lebendigen Gottes erkannte Arndt’s Glaube in Allem und sah sich darum rings von Wundern umgeben. Ein Wunder war ihm der frühe, strenge, und immer zur rechten Stunde besonders strenge Winter in Rußland 1812–1813, ein Wunder Kutusow’s, des Zauderers, Tod vor dem Anfang der großen Entscheidung, ein Wunder, daß Moreau durch eine der ersten Kanonenkugeln in den Tagen der Entscheidung fiel und der Schein damit schwand, als hätten wir die Franzosen nur mit Hülfe der Franzosen besiegen können, ein Wunder Napoleons Verstockung, die ihn ins Verderben führte, ein Wunder seine Rückkehr von Elba zu völliger Vernichtung – und das größe Wunder die deutsche Begeisterung. („Fünf oder sechs Wunder Gottes“ S. an meine lieben Deutschen II. 307ff.) Wer die genannten Flugschriften Arndt’s, die er meist an der Seite des gewaltigen Stein in die Welt sandte, liest, dem muß seine damalige Wirkung auf das deutsche Volk als eine überaus mächtige erscheinen. Und doch ist das hinreißendste Mittel, durch welches Arndt Deutschland erregte, noch nicht genannt: seine Lieder. Arndt steht als Sänger vaterländischer Lieder in jener Zeit nicht allein: der Mann im kräftigsten Mannesalter war von einer Schaar jugendlicher Dichter umgeben. An Körner zeigt sich am mächtigsten, was wir aus Arndt’s Mund gehört haben, daß der überschwängliche Geist, die Gewalt Gottes, damals deutsche Männer über sich selbst emporgehoben habe: in einem so mächtigen Geist erschallen die gewaltigsten unter den Liedern des Jünglings. Schenkendorf schlägt den innigsten Ton eines Gemüths an, in welchem christliche Frömmigkeit und deutscher Sinn, der alte Glaube und die Sehnsucht nach der Verjüngung der alten deutschen Herrlichkeit völlig eins geworden sind. Rückert schleudert geharnischte Sonette wie Pfeile, die das Herz treffen, und singt in Ehren und Spottliedern im Volkston die Ereignisse der großen Zeit. Aber der vollste Ausdruck der damaligen Liederbegeisterung bleibt Arndt. Möchte die Zeit nie kommen, da die Heldenlieder von Blücher, Scharnhorst, Gneisenau, Schill verstummen, da deutsche Väter ihren Söhnen nicht mehr die fromme, tapfere Liebe zum Vaterlande einhauchen durch die Lieder: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ „Der Gott, der Eisen wachsen ließ.“ „Wer ist ein Mann? Der beten kann!“ „Deutsches Herz verzage nicht.“ „Sind wir vereint zur guten Stunde“ und wie sie alle heißen. Das Feuer der Befreiungskriege verglühte und die folgende Zeit hat nicht so viel geleistet, als die Begeisterung jener großen Tage versprochen hatte. „Der Volksgeist

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hoch beschworen als Retter in der Noth“, wie ihn Schenkendorf genannt, ward bald für ein staatsgefährliches Ding gehalten, die religiösen Triebe der großen Zeit verloren, da die Geschichte wieder ruhiger lief, an Kraft oder ihre Kraft gerieht auf Irrwege. Arndt, der in der großen Zeit mit fröhlicher Zuversicht zu seinem Volke als einem frommen und gläubigen gesprochen hatte, konnte es nicht lassen, auch in den spätern Bewegungen des Glaubens- und Kirchenlebens von Zeit zu Zeit ein Wort hineinzusprechen. Seine Ueberzeugung ging dahin, daß weder die dünne Geistigkeit der Aufklärung, noch das mystische Dämmerlicht weltflüchtiger Frommen das Rechte sei, daß man bei aller Wärme des religiösen Gefühls den Kopf protestantisch hell halten müsse. Im vierten Theil des Geistes der Zeit hat er „von Mysticismus und Einigem, das sich daran hängt“, gesprochen, ein noch immer sehr lesenwerthes Wort. Er sagt es dem naturphilosophischen Mysticismus gegenüber, daß des Christen Land das Land des Lichts ist, daß der Christ der Orakelfragerei der Natur nicht bedarf, da er dort nichts finden kann, was er nicht seit Jahrtausenden in dem Worte der Schrift klarer schon hätte. Er geht dem ästhetischen Mysticismus zu Leibe, der spricht: Was gefällt, das ist nicht Sünde, der die Sünde mit dem Schleier der Empfindsamkeit behängt, der die große einfältige Kraft und Liebe der Herzen, den heiligen Zorn für Wahrheit und Recht vertändelt und verspielt. Gewaltige Worte redet er wider das Kleeblatt des poetisch-historisch-politischen Mysticismus, der in die Vergangenheit in dichterischer Feier sich versenkt, um den gegenwärtigen Jammer nicht zu heilen, der bei den frommen Gestalten aus der Zeit der Leibeigenschaft und Hörigkeit mit Wonne verweilt, um die Freiheit als ein entbehrliches Ding darzustellen, der von Gnade redet auf einem Gebiet, wo vor allem die Gerechtigkeit walten soll. Was er von dem religiösen Mysticismus und Pietismus sagt, wird sich der zwar nicht Alles aneignen können, der weiß, daß mächtiges Sündengefühl die Bedingung ist freudiger Gnadengewißheit, aber man läßt sich von einem Manne wie Arndt gern zur Klarheit, Besonnenheit zum Protestantischen in der Frömmigkeit mahnen, weil er für alles Geheimniß in Natur, Geschichte, Offenbarung einen so erschlossenen Sinn hat und durch die Beschreibung der Mystiker, die er liebt, beweist, wie fern er von der wunderflüchtigen, alle Tiefen meidenden Aufklärerei ist. „Glaubt es mir“, ruft er aus, „es giebt jetzt eben so viele Mystiker aus Feigheit und Verzagtheit, als aus unüberwindlicher und alles überwindender Sehnsucht nach Gott und dem Himmel; und auch solche fehlen nicht, die mit allerlei Schimmern und Klängen ein buntes Spiel der Eitelkeit treiben. Welche Mystiker sind mir die rechten? Welche liebe ich? Diejenigen sind mir die rechten und die liebe ich, welche in einem lichten seligen Dasein ein liebender Stern der Menschheit über die Dunkelheit dieser Welt und über die dichteren Dunkelheiten des Gemüthes hinfunkeln, schon diese trübe irdische Welt gleichsam mit Sternenglanz erfüllen und auch dem Sprödesten und Trockensten eine Ahnung geben, daß eine schönere Erkenntniß ist als die Erkenntniß durch Begriffe, und ein festerer Himmel, als dessen Gewölbe auf Schlüssen aufgeführt wird. Hier auf Erden war nur Einer ohne Sünde, derjenige, der aus dem Himmel herabkam, daß er die Sünden der Welt auf sich und mit sich hinwegnähme: auch die Sterblichen, welche uns die unschuldigsten, reinsten und lichtesten dünken, bezahlen der Sünde ihren Zoll und müssen der Sündlichkeit ihrer und der allgemeinen Natur wohl oft genug inne werden. Aber jene schönen lichten Seelen, welchen der Himmelstraum des göttlichen Daseins sich doch nur auf Augenblicke verdunkelt, haben in der

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Liebe und dem Glauben immer die süße Versöhnung, sie haben ihren Gott und ihren Heiland immer mit sich, und darum fängt das Zittern vor der Sünde und vor der Welt der Sünden ihren inneren Sinn nicht als einen Kerkergefangenen ein. Sie fliegen gleich unsterblichen Nachtigallen immer singend über das Leben hin, doch singen ihre Frühlingslieder mitten in dem Jauchzen der ewigen Liebe die Trauer der gefallenen Seelen, die sich wieder in die alte Sternenheimath zurücksehnen. Diese lieben und lieblichen Kinder Gottes spielen eben so fröhlich mit den Blumen der Erde als mit den Sternen des Himmels, sie zittern vor keinem inneren Schrecken des Herzens, vor keinem Schrecken der Natur. Sie sind die Versöhnten in Liebe und zünden durch ihr bloßes Dasein und Leuchten in vielen Dunkeln das Licht, in vielen Betrübten den Trost.“ (A. a.O. S. 495f.) Als später die katholische Kirche wieder anfing, das von der evangelischen schon erkämpfte Gebiet zu beschränken, als katholisch gewordene und katholisirende Protestanten, weil sie das Lichte, Bewegliche im Protestantismus scheuten, die Reformation verläumdeten als Revolution, da war Arndt als Greis noch wacker, sich zur Wehre zu setzen. In den „Anmerkungen zur Länderkunde des Protestantismus und zu Friedrich von Schlegel’s Geschichte der alten und neuen Literatur“ (S. an meine lieben Deutschen III. 3ff.) legt er ein kräftiges protestantisches Zeugniß ab. In der Schrift „über den gegenwärtigen Stand des Protestantismus“ (S. an meine lieben Deutschen III. 575ff.) ruft er denen, die für die evangelische Kirche fürchten, weil sie nicht in äußerlicher Weise kräftig und prächtig dasteht, zu: „Vertiefe dich, innere dich, innige dich.“ Auch hier ist es das Wort, auf welches er sein Vertrauen setzt, wenn der Fünfundsiebenzigjährige schließt: „Wo Luthers befreites Wort und die Fülle von Geist und Muth, die es bringt, nur zur Hälfte, ja nur zum Viertel eingeschlagen und durchgeschlagen hat, da hat es durch die innere Freiheit und Stärke auch die äußere Freiheit und Stärke gebracht. Vergleiche nur die kleinen germanischen Brüche, England, Holland, Schweden und ihre Geschichte mit … mit… Genug, wer mich verstehen will, versteht mich. Licht, Blitz, Einschlagen, Durchschlagen, Zerreißen und Zerspalten, ja Wunder, Reißen, Brennen – – das ist das Wort, das ist das freie Wort, das ist das göttliche Wort. Das Weh und die Wonne dieses Wortes reicht tief und brennt tief, und die Tiefe der Gottheit und das Walten des göttlichen Geistes in der Weltgeschichte kann keiner ahnen und vernehmen, der zu diesem Weh oder dieser Wonne den Muth nicht hat, der durch das freie Wort den freien Mann nicht zu denken wagt. Der Protestantismus ist aber die freie, volle, jedes Priesterzaubers entkleidete göttliche Persönlichkeit, soviel der schwache, gebrechliche Mensch an seinem Theil davon empfangen und tragen kann. Durch die Klarheit und Wahrheit des freien Wortes, welches alle gauckelnden und lügnerischen Geister des Lugs und der Nacht zuletzt besiegen und verscheuchen wird, warten wir des freien deutschen Mannes der Zukunft und wenigstens etwas mehr des christlichen Himmels auf Erden, als wir jetzt haben. Aber mit dem göttlichen Worte müssen wir immer zum Kampfe des Wortes gerüstet bleiben. Sind und bleiben wir dieses Kampfes rüstig und muthig, so werden die Jesuiten und Ultramontanen dem deutschen Adler die falsche Schlummerkappe nicht wieder über die Augen ziehen, noch ihm die Flügel stutzen; er wird seinen Sonnenflug einst vollenden. Vieles, was jetzt zerstreut, armselig und gestaltlos umherfliegt und umherflattert, ja gleich einem Vogel in der Morgen-

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dämmerung sich müde flattert und zerflattert, wird sich finden und zusammenfinden zu seiner Zeit. Doch ich darf nicht weissagen.“ (S. 608f.) Werfen wir noch einen Rückblick auf das Leben Arndt’s, so wird es uns Kampf die Fülle, aber auch die Versöhnung zeigen, in welcher alles Menschenleben ausruhen darf. Aufgewachsen in der Hut einer Familie, in welcher der alte Glaube noch wohnte und von Kind auf mit dem lebendigen Wasser, das Bibel und Gesangbuch bietet, getränkt, hat er als Jüngling zu den Füßen des Dr. Paulus gesessen und die hereinbrechende religiöse Lauigkeit an seinen eigenen Aufgeben des geistlichen Berufes und an tausend Zeichen der gesammten Volkszustände wahrgenommen. Aber ihm war auch vergönnt an der Scheide der Jahrhunderte als ein hoffnungsreiches Zeichen das Erscheinen der „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ zu erleben, er hat den mächtigen Stoß zur „ewigen Bewegung“, den das deutsche Volk in den großen Jahren empfangen, miterfahren, er hat dann aus dem großen religiösen Gemeingefühl jener Zeit sich mancherlei Strebung entwickeln sehen, neuen protestantischen und neuen römischen Eifer, Mysticismus und Aufklärung, Union und Confession, aber er hatte die Freude, in der Stadt und in dem Land am Rheine eine neue lebenskräftige Theologie kennen zu lernen, deren ehrwürdigster Träger D. Nitzsch, lange sein Amtsgenosse war und deren ächt evangelische Beweglichkeit und Freiheit sich in einem frischen Synodal- und in einem liebeseifrigen Vereinsleben offenbarte. Da wird, denken wir uns, dem frommen, freien Sinn des Greises wohl gewesen sein, der bis in seine letzten Jahre nicht aufhörte, Freiheit des Geistes zu predigen, aber zugleich Christum zu bekennen mit dem innigen Ton und Klang eigener Erfahrung. Welcher Stern hätte auch dem alten Kämpfer durch sein wechselvolles Leben leuchten und ihm immer wieder Freude in die Seele scheinen können, wenn ihm dieser nicht aufgegangen wäre! Geboren in der Zeit, da der große Friedrich auf dem Gipfel des Ruhmes stand und Rügen Schwedens Scepter noch gehorchte, hat er als Zwanzigjähriger die erste französische Revolution erlebt, als Siebenunddreißiger gegen Napoleon den „Geist der Zeit“ in die Welt gesandt, aber zugleich nach der Schmach von Jena die Schritte gen Norden gewandt, um sich von den Franzosen nicht ohne Noth todtschlagen zu lassen, als Dreiundvierziger ist er zu seinem Helden Stein nach Rußland geeilt und hat an seiner Seite den Siegeszug ins deutsche Land schaffend und jubelnd mitgemacht. Er war den Fünfzigen nahe, als er an dem schönen Rheinesufer eine neue Heimath fand, sich ein Haus baute, in der Hoffnung, die gereifte Manneskraft nun in einem frischen Wirken unter der Jugend dem deutschen Volke zu Dienst stellen zu können. Aber kaum hatte er den Mund geöffnet, so ward er ihm geschlossen und blieb zwanzig Jahre verschlossen, bis der Edelsinn eines hochherzigen Königs den siebenzigjährigen Greis dem Lehrstuhl zurückgab. Dann hat er fast ein Achtziger in der Kaiserstadt am Main unter den Vertretern des Volks das deutsche Gewissen sein wollen, aber die schmerzliche Erfahrung machen müssen, daß die Mehrzahl dieser Vertreter, unter ihnen auch seine politischen Freunde, das alte Lied schlecht gelernt hatten: „Sind wir vereint zu guter Stunde, wir starker deutscher Männerchor, so dringt aus jedem frohen Munde die Seele zum Gebet hervor!“ Es waren andere Jahre als die von 1813 und die Jugend, die durch die Straßen Frankfurts tobte, hatte nichts von dem Geiste, den er einst so mächtig angeregt. Der neunziger hat noch die Schmach von Villafranca erleben müssen. Doch mögen ihm die herzlichen Glückwünsche, die zu seinem letzten Geburtstage deutsche Fürsten und

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Städte, die Zurufe, die ihm die akademische Jugend gesandt, ein letztes Zeichen gewesen sein, daß in ganz Deutschland eine Gesinnung lebt, die, wenn Gott seine Deutschen nicht verläßt, noch einst in muthiger nationaler That sich gegen den Feind geltend machen wird. Auch lange Jahre schweren Marterthums finden wir in Arndt’s Leben, die wir am liebsten mit Stillschweigen übergehen. Was uns bei dem Rückblick auf diese Leiden tröstet, ist die Gewißheit, daß sie ihm nur dazu gedient haben, den Heiland sich inniger zu eigen zu machen. Von dieser innigen Hingabe des starken Mannes an die erlösende Gnade geben uns das hellste Zeugniß seine geistlichen Lieder. Sie sind der fromme, milde Ausklang seines in die arge Welt stark verflochtenen, durch hundert Kämpfe bewegten Lebens. Da steht der Greis im demüthigen Bekenntniß seiner Sünden, im Gefühl, daß er, bei aller Länge seines Lebens, nur ein fliegendes Blatt ist, das der Wind verwehet, aber mit Glaubenshänden den Heiland fest ergreifend, in dem der Quell der Verjüngung und des ewigen Lebens geöffnet ist. Durch sein Eingewurzeltsein in das geistliche Volksleben war er fähig, geistliche Lieder zu dichten, deren etliche in neue Gesangbücher Aufnahme gefunden haben. Zwar wird, wer die Geschichte der deutschen Sprache und Dichtung in den letzten hundert Jahren mit erlebt oder ihren Gang in dem Proceß seiner Bildung mit durchgemacht, wer den Glauben im Kampfe dieser Zeit sich erstritten, schwerlich die Einfalt der Sprache und die unbefangene Sicherheit des Glaubens haben können, welche das Eigenthümliche an dem ältesten evangelischen Kirchenliede sind. Auch Arndt hatte den Einfluß der Zeit erfahren und trifft den Ton nicht völlig. Doch hat er Lieder gedichtet, die in der Kirche gesungen zu werden verdienen. Der Nachweis dürfte gelungen sein, daß Arndt’s ganze Anschauung in den ewigen Wahrheiten des Evangeliums wurzelte. – Und wie muß es uns nun schmerzen, wenn wir an die unzählbaren deutschen Herzen denken, die dem Vater Arndt bis zu seinem letzten Lebenshauche liebend geschlagen haben und die zum größesten Theil den Grund nicht kennen, auf welchem sein Erbe gegründet war, die Kraft nicht, in welcher der Neunzigjährige jugendfrisch durchs Leben ging, die mit ihrem Meister nicht singen können: „Ich weiß, an wen ich glaube!“ Möchten sie doch seine geistlichen Lieder lesen und des Lebens Angst und Streit aus der Sünde begreifen lernen, möchte durch den heiligen Sehnsuchtslaut seines Gesanges auch in ihnen die Sehnsucht nach dem, was droben ist, erweckt werden; möchten sie erkennen, daß es eine Kunst ist, die nur der Geist Gottes lehrt, so zu leben, wie Arndt gelebt hat, daß es aber auch eine selige Kunst zu sterben [ist], wie wir den Tod dessen uns vorstellen, der schon lange das Sterbelied: „Geht nun hin und grabt mein Grab“ sich gesungen hatte.

Nr. 31 Die Gartenlaube. Illustrirtes Familienblatt, Jg. 1860, S. 187–190 u. 206–207. [S/S Nr. 2078; Loh Nr. 1469] mit Stahlstich nach Foto 1859147 (Verfasser: Max Ring) 147 Erneuter Abdruck in: Conversationsblatt Regensburg (=Beilage zum Regensburger Tageblatt) (1860) Nr. 39–46 v. 30.3. bis 15.4. [S/S Nr. 2078]. Der Text enthält Anleihen aus dem Ne-

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Vater Arndt. Es war im Jahre 1848; der Traum und die Sehnsucht des deutschen Volkes nach der heißbegehrten Einheit schien in Erfüllung gehen zu wollen. In der Paulskirche zu Frankfurt am Main, der alten Kaiserstadt, tagte das deutsche Parlament. Unter den dort versammelten Männern erschien eines Tages ein würdiger Greis, den weder die Last der Jahre, noch die erfahrenen Leiden gebrochen hatten; fest und aufrecht stand er da wie eine im Sturm erprobte Eiche, sein Haar war grau geworden, aber sein Herz frisch geblieben, voll grünender Hoffnungen. Bei seinem Anblick ging ein freudiges Gemurmel durch den weiten Kreis, und ein noch junger Mann, der die Liebe zum gemeinsamen Vaterlande einst mit jahrelanger Verbannung büßen mußte, Jakob Venedey, bestieg die Tribüne und forderte die Versammlung auf, sich zu Ehren des „alten Arndt“ zu erheben und so den würdigsten Vorkämpfer der deutschen Einheit zu begrüßen – und Alle erhoben sich wie ein Mann zum Zeichen der Anerkennung. So ehrte das deutsche Volk den treuen Patrioten! Am 26. December 1859 feierte der alte Arndt in Bonn seinen neunzigsten Geburtstag, der fast wie ein deutsches Nationalfest begangen wurde. Aus der Nähe und Ferne kamen die Beweise der allgemeinen Liebe und Achtung; kaum vermochte der geschäftige Telegraph alle Wünsche dem berühmten Greise zuzutragen. Lieder, Blumen und Kränze, von zarter Frauenhand gewunden, priesen und schmückten das ehrwürdige Haupt. Es war das schönste Erntefest eines bedeutenden, thatenreichen, segenvollen Lebens. So liebte das Volk den Dichter und Menschen! Fünf Wochen später, am 29. Januar 1860, starb der Gefeierte, fast erdrückt von all der Liebe, nachdem es ihm noch vergönnt gewesen, bei seinem Leben die eigene Apotheose, gleichsam einen Vorgeschmack der ihn erwartenden Unsterblichkeit zu genießen, ein Glück, wie es einem Sterblichen, und zumal einem Deutschen selten oder nie geboten wird. Groß war die Trauer um den Dahingeschiedenen, wie um einen Vater, denn ein Solcher erschien er Allen und „Vater Arndt“ war der Name, welchen er mit Ehren trug. So beklagte und beweinte das Volk seinen Vater! – Womit aber hat der alte Arndt so große Achtung, Liebe und Theilnahme verdient? Sein Leben wird Antwort darauf geben. Ernst Moritz Arndt wurde im Jahre 1769 auf der Insel Rügen geboren, die damals noch im schwedischen Besitze war. Seine Wiege stand jedoch auf uraltem, germanischem Boden, beschattet von den heiligen Buchenhainen deutscher Götter, umrauscht von den Wogen des Meeres, auf dem die deutsche Flagge einst stolz geweht. Sein Vater, der die Löbnitzer Güter in der Nähe von Stralsund verwaltete, war ein ernster, ehrenhafter Mann von altem Schrot und Korn; er erzog die Kinder streng und duldete keine Verweichlichung weder des Körpers, noch des Geistes. Mitten in der Nacht, im Sturm und Regen mußten die Söhne oft Meilen weit reiten, um eine Bestellung für ihn auszurichten, in der Erntezeit auf dem Felde mit Hand anlegen und im Schweiße ihres Angesichtes arbeiten. Mild und sanft dagegen war die Mutter, ernst, krolog von H. Grieben (Text Nr. 16) sowie aus dem anonymen Nekrolog der Preußischen Zeitung (Text Nr. 10).

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fromm, sinnig und muthig, durch kein Geschick zu beugen, daß sie die Klarheit und Besonnenheit verloren hätte; das Bild einer echten deutschen Hausfrau mit schönen großen, blauen Augen und prächtig breiter Stirn. Im Kreise der Kinder las sie aus der Bibel, erzählte gern Märchen und sang ihnen Lieder vor, frühzeitig den Keim der Poesie in der empfänglichen Seele des Knaben weckend. Der Eltern Wesen und Natur erbte sich auf den Sohn fort, des Vaters Willenskraft und der Mutter tieferes Gemüth. Von ihr und ihrer Sippschaft stammte seine Liebe für Deutschland, während die väterlichen Verwandten, und besonders der originelle Oheim Hinrich, es mit den Schweden hielten. Verschiedene Hauslehrer, darunter der wackre, tüchtige Gottfried Dankwardt, leiteten Arndt’s Erziehung, so daß er wohl vorbereitet das Gymnasium zu Stralsund besuchen konnte. Hier ergriff ihn plötzlich jener unbestimmte Drang und die Abenteuerlust, wie sie die phantasievolle Jugend zuweilen zu beschleichen pflegt; ohne Ursache und Wissen der Eltern entwich er aus Stralsund, um auf eigene Hand sein Glück in der weiten Welt zu suchen. Bald jedoch wurde sein Aufenthalt entdeckt und der Flüchtling zurückgebracht; mit eisernem Fleiße setzte er zu Hause seine Studien fort, bis er 1791 die Universität Greifswald bezog, um sich der Theologie und Philosophie zu widmen. Angezogen von dem steigenden Rufe des berühmten Fichte, eilte er später nach Jena, wo er besonders dessen philosophische Vorträge und Anschauungsweise mit Eifer sich zu eigen machte. Nach beendigten Studien kehrte Arndt wieder in das elterliche Haus zurück. Längere Zeit genoß er hier eine behagliche Muße, indem er den Unterricht seiner jüngeren Geschwister leitete; nebenbei predigte er auch als angehender Candidat der Theologie, nicht ohne Kenntniß, daß ihm zum geistlichen Stande der innere Beruf fehlte, selbst die Aussicht auf eine fette Pfründe mit 2000–3000 Thaler Gehalt lockte ihn nicht. Einstweilen nahm er die Stelle eines Lehrers in der Familie des bekannten Pastors und Dichters Theobul Kosegarten auf Rügen an, die er jedoch schon nach anderthalb Jahren wieder aufgab, um eine größere Reise zu seiner Ausbildung anzutreten. Mit leichtem Sinn wanderte Arndt über Wien nach Ungarn und Italien, wo indeß der ausgebrochene Krieg ihn nur bis Florenz kommen ließ; von da über Genua, Nizza nach Marseille, durch ganz Frankreich, das er genau kennen lernte, endlich über Brüssel, den Rhein entlang nach der lieben Heimath, die er im Jahre 1799 wohlbehalten erreichte. Auf dieser Reise hat er die Gelegenheit benutzt, seine Kenntnisse der Welt und Menschen zu bereichern, den Unterschied der Völker kennen zu lernen und besonders den Charakter der Franzosen zu studiren. Eine alte Liebe, zuweilen „mit dünnen, weißen Aschen bedeckt“, die jetzt wieder in ihm mit frischer Gluth aufloderte, bestimmte ihn nach seiner Rückkehr, sich um den Posten eines Adjuncten bei der philosophischen Facultät in Greifswald zu bewerben. Er erhielt denselben mit 300 Thalern Gehalt und heirathete seine Geliebte, die Tochter des Professors Quistorp, welche jedoch die Geburth ihres ersten Sohnes mit ihrem Leben bezahlte. Mit männlicher Fassung ertrug Arndt den schmerzlichen Verlust, indem er in angestregnter Arbeit seinen Trost suchte und fand. Als eine Frucht dieser Studien veröffentlichte er 1803 sein erstes Werk „Germanien und Europa“.

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Wie so viele bedeutende Männer jener Zeit, hatte sich auch Arndt anfänglich von dem ersten Auftreten Napoleon’s blenden lassen, aber auch früher als die meisten seiner Landsleute die Täuschung eingesehen und in dem Despoten und dem französischen Volke „die alten Erzfeinde des deutschen Herzens und des deutschen Landes“ erkannt. Gegen die drohende Gefahr erhob er jetzt den Warnungsruf, indem er mit richtigem Instinct seinen Finger in die Wunde des Jahrhunderts legte. Diese fand er in der „übertriebenen Geistigkeit“, welche alle Thatkraft und Willensstärke zu lähmen drohte. Er selbst drückte sich darüber folgendermaßen aus: „Man wußte viel und kannte nichts, hatte die lebendigen Bilder in todte Worte, die holden Schattengestalten in nichtssagende Formeln verwandelt; man war arm geworden, indem man prahlte, alle Schätze der alten Welt ausgegraben und abgestäubt, alles Große und Wissenswürdige der neuen zusammengepackt zu haben. Wie aber der Mensch des Jahrhunderts ist, so muß auch der Staat sein.“ Denselben Gedanken verfolgte Arndt in einem damals von ihm verfaßten Lustspiele, „der Storch und seine Familie“, worin er die transcendentale Philosophie und die zu einem auflösenden Kosmopolitismus hinneigende Pädagogie geißelte. Zu gleicher Zeit schrieb er eine „Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen“, worin er schonungslos die „Gräulichkeit und Ungerechtigkeit“ dieser Verhältnisse aufdeckte, die er aus eigener Erfahrung kannte, da sein Vater der Sohn eines Schäfers und Freigelassene eines Grafen war. Der empörte Adel, an dessen Spitze ein Freiherr Schultz von Ascheraden stand, beschwerte sich über den kecken Wahrheitsfreund bei dem Könige von Schweden, aber Arndt verantwortete sich so gut und kräftig, daß der einsichtsvolle Monarch antwortete: „Wenn dem so ist, so hat der Mann Recht.“ Eine Folge dieser segensreichen Schrift war die später erfolgte Aufhebung der Leibeigenschaft und der Patrimonialgerichtsbarkeit in jenen Gegenden. Nach dieser That, denn eine solche war dies Buch, nahm Arndt auf einige Zeit Urlaub, um Schweden zu bereisen und genauer kennen zu lernen. Nachdem er daselbst ein Jahr verweilt, kehrte er zurück. Unterdeß hatte sich das traurige Geschick Deutschlands nach und nach erfüllt. Seit dem Frieden von Luneville mit seinen schimpflichen Verhandlungen und Vermäkelungen des Vaterlandes war Arndt’s Seele von einem Zorn erfüllt, „der bei dem Anblick der deutschen und europäischen Schmach oft ein Grimm ward“. Die Jahre 1805 und 1806 rissen endlich die beiden letzten Stützen nieder. Als Oesterreich und Preußen nach vergeblichen Kämpfen gefallen waren, da erst fing sein Herz an, „sie und Deutschland mit rechter Liebe zu lieben und die Wälschen mit rechtem treuen Zorn zu hassen“. Auch der schwedische Particularismus war nun auf einmal todt; als Deutschland durch seine Zwietracht Nichts mehr war, umfaßte Arndt’s Herz seine „Einheit und Einigkeit“. Von solchem heiligen Zorn erfüllt, schleuderte er seinen „Geist der Zeit“ in das Gewissen einer muthlosen, zu den Füßen des Eroberers kriechenden Welt; er achtete des eigenen Lebens nicht, denn er wußte, wessen der fränkische Despot fähig war, um die Stimme der Wahrheit zu ertödten. Wie ein Prophet des alten Bundes saß der damals dreiunddreißigjährige Arndt mit den fürstlichen Sündern zu Gericht, vor Allem mit dem corsischen Tyrannen, Napoleon. Ohne Scheu nannte er ihn „den Emporkömmling, der aus den Trümmern der Republik ein Kunstwerk des Despotismus ohne Gleichen sich erbaut habe und fürchterlich geworden sei durch die Kraft der großen Mo-

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narchie und den Kriegsgeist des Volkes, den einzigen, den die Republik geschaffen und die Regierung mit Sorgfalt erhalten habe, während sie alle andern guten Geister verbannte.“ Er warf ihm vor, daß er Alles, was des Guten hier und da unter den Gräueln der Revolution entstanden, mit dem Schlechten zugleich vernichtet, alle geistige und leibliche Freiheit getödtet habe; er wolle nur über Knechte, nicht über freie Bürger herrschen. Von den Schöpfungen der Revolution habe er beibehalten, was den Druck und die Bewegung der Regierung schneller und verderblicher mache, aber Alles in den Staub getreten, was durch Gesetze in dem Ganzen, was durch Freiheit in dem Einzelnen Hinderniß sein würde. Den mit Frankreich verbündeten Fürsten Deutschlands aber rief er zu: „Ihr stehet wie die Krämer, nicht wie die Fürsten, wie die Juden mit ihrem Seckel, nicht wie die Richter mit der Wage, noch wie die Feldherrn mit dem Schwerte, und habt ihr ungerecht gekauft und gewonnen, so werdet ihr es verlieren, vielleicht eher, als ihr es träumt. Als Sclaven und Knechte seid ihr neben dem fremden Fürsten gestanden, als Sclaven habt ihr eure Nation hingestellt und geschändet. Aber der Tag der Rache wird kommen, schnell und unvermeidlich, und ohne Thränen wird das Volk die unwürdigen Enkel besserer Väter vergehen sehen.“ Zuletzt schließt Arndt mit dem Preise der Wahrheit, die er mit Gefahr des eigenen Lebens verkündigte: „Tyrannen und Könige werden Staub, Pyramiden und Kolosseen zerbröckeln. Erdbeben und Vulcane, Feuer und Schwert thun ihr Amt, das Größte verschwindet; nur Eine Unsterbliche lebt ewig – die Wahrheit. Wahrheit und Freiheit sind das reine Element des Lebens des göttlichen Menschen, durch sie ist er, ohne sie nichts.“ Wie ein Blitz, der die dunkle Nacht erhellt und das finstere Gewölk zerreißt, kam Arndt’s Buch, dessen Wirkung auf die Zeitgenossen sich nicht mehr denken, geschweige beschreiben läßt. Es wurde von ganz Europa gelesen, bewundert, hier mit Begeisterung, dort mit Entsetzen aufgenommen, in alle Sprachen übersetzt und verbreitet. Es war wie ein großes, gewaltiges Ereigniß, das die schlummernde Welt aus ihrer feigen Ruhe aufrüttelte. Ein deutscher Gelehrter, kaum bekannt, hatte es gewagt, dem Könige der Könige, dem Herrn Europa’s den Krieg zu erklären, ihm die Maske von dem Tyrannenantlitz zu reißen, seine innersten Schwächen aufzudecken. Napoleon konnte einen solchen Feind nicht besiegen, weil der Geist und die Wahrheit jeder Waffe trotzen; er konnte Arndt nur – ächten. Vor der brutalen Gewalt flüchtete der Patriot nach Stockholm, wo ihm Gustav IV. Schutz gewährte und eine Aufstellung bei der Staats-Canzlei gab. Nichts desto weniger forderte Arndt einen schwedischen Officier, der in seiner Gegenwart das deutsche Volk beleidigt hatte, und schoß sich mit ihm. Er wurde verwundet und mußte sechs Wochen zu Bette liegen. Durch die Revolution im Jahre 1809 wurde der König von Schweden gestürzt und der französische Marschall Bernadotte zum künftigen Thronerben ernannt. In Folge dieser Staatsumwälzung mußte sich auch Arndt von Neuem zur Flucht entschließen und Stockholm verlassen. Er wandte sich wieder nach Deutschland, in die alte Heimath, wo er einige Zeit „erkannt, aber unverrathen“ bei den Seinigen verborgen lebte. Doch auch hier war seines Bleibens nicht, er sah sich genöthigt, unter der Maske eines

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„Sprachlehrers Allmann“ nach Berlin zu gehen, wo er in der großen Stadt am leichtesten unbekannt bleiben zu können glaubte. Hier fand er in dem Hause des patriotisch gesinnten Buchhändlers Reimer gastliche Aufnahme und einen Kreis herrlicher Männer, zu denen vor Allem sein zukünftiger Schwager, der berühmte Schleiermacher, dann sein großer Lehrer Fichte etc. gehörten. Die gleichgesinnten Vaterlandsfreunde stärkten und kräftigten sich im gegenseitigen Gespräch voll flammender Begeisterung, wofür die Lieder und Gedichte Arndt’s aus jener Periode das schönste Zeugniß ablegen. Ostern 1810 verließ Arndt Berlin, um in Greifswald seine Angelegenheit zu ordnen und seine förmliche Entlassung aus dem schwedischen Staatsdienst zu nehmen. Dies that er um so lieber, da die Verhältnisse an der Universität, selbst wenn ihm auch keine andere Gefahr gedroht hätte, ihm durch die franzosenfreundliche Gesinnung seiner früheren Collegen und Freunde, besonders seines Schwiegervaters Quistorp und des bekannten Kosegarten, der indeß Professor der Theologie geworden war, immer mehr verleidet wurden. Einstweilen lebte er auf dem Gute seines Bruders, stets zur Flucht gerüstet und zu diesem Zwecke mit einem russischen Paß versehen. Nur zu bald mußte er seine „abenteuerliche Hedschra“, wie er selbst seine Irrfahrten nannte, wieder antreten. Die Nähe der einrückenden Franzosen trieb ihn im Winter 1812 aus den Armen seiner Familie, von der er sich mit blutendem Herzen losriß. In der Morgendämmerung schlich er sich aus dem Hinterpförtchen durch die Küche in’s Freie, wo er über den unter seinen geschwinden Schritten knirschenden Schnee hineilte, begleitet von der Schwester und dem kleinen Sohn, die er gewaltsam unter Küssen und festklammernden Umarmungen abschütteln mußte. Er hörte noch das Knäblein, als wenn es den Vater einholen wollte, ihm nachlaufen und laut schluchzen. Da ward seine Seele zornig und „fluchig“, aber die aufgehende Sonne, die den hellsten Wintertag verkündigte, goß ihren strahlenden Trost und Ruhe in die Seele des schwer geprüften Mannes, der zum Gebet die Hände faltete und das „glückweissagende Zeichen“ des leuchtenden Tagesgestirns freudiger begrüßte. Es war damals die Zeit der tiefsten Erniedrigung und höchsten Noth; darum aber auch Gott Arndt und allen Deutschen am nächsten. Napoleon hatte an Rußland den Krieg erklärt und führte, wie einst der persische Xerxes, seine Heerschaaren, bestehend aus unterjochten Völkern, nach dem Norden. Auch Preußen war gezwungen, einen Theil seiner Truppen unter der Anführung des eisernen York gegen Rußland marschiren zu lassen. Die besten Patrioten verließen meist freiwillig, oft auch gezwungen, Berlin, um in den weniger beobachteten und der österreichischen Grenze nahe liegenden Schlesien eine Zuflucht zu suchen. Dorthin eilte auch Arndt, mit den alten Berliner Freunden, dem edlen Chazot, dem klugen Gneisenau, dem feurigen Gruner in Breslau zusammentreffend. Auch der alte Blücher weilte daselbst mit dem Gesichte, das zwei „verschiedene Welten“ zeigte, auf Stirn, Nase und in den „schwarz dunkeln“ Augen konnten Götter wohnen; um Kinn und Mund trieben die gewöhnlichen Sterblichen ihr Spiel. Hier sah Arndt auch den großen Scharnhorst wieder, der zu den Wenigen gehörte, die glaubten, daß man vor den Gefahren von Wahrheit und Recht auch keinen Strohhalm breit zurückweichen soll. Alle diese ausgezeichneten Männer freuten sich mit Arndt und sprachen ihm gegenüber ihre Hoffnungen und Befürchtungen für die nächste Zukunft aus, insgesammt wie er von dem Gedanken beseelt, lieber mit Ehren unterzugehen als mit Schmach zu leben.

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Ueber das Riesengebirge wanderte Arndt zunächst nach Böhmen, wo er in Prag durch eine Einladung des Freiherrn von Stein überrascht wurde, der ihn aufforderte, sich zu ihm nach Petersburg zu begeben, um geistig an dem großen Entscheidungskampfe gegen Napoleon Theil zu nehmen. Zunächst galt es, Deutschland selbst durch Wort und Schrift aufzustacheln und in Flammen zu setzen; dann die deutsche Legion zu bilden, in deren Reihen Männer wie Clausewitz, Boyen, Lützow und Dörnberg eintraten. Unter Steins Leitung arbeitete Arndt mit frischem Eifer; die verwandten Naturen verständigten sich leicht; Beide waren aus demselben Kern geschnitzt, von derselben Liebe zu dem gemeinschaftlichen Vaterlande, von demselben Hasse gegen die Unterdrücker erfüllt. Hier schrieb Arndt „die Glocke der Stunde in drei Zügen“ und den „Soldaten-Katechismus für die deutsche Legion“, der, in tausend Abdrücken verbreitet, manches wackere Kriegsherz stärkte und erfreute. Dazwischen fehlte es nicht an gesellschaftlichen Zerstreuungen, an den jubelnden Zusammenklang der Becher und Herzen, zumal wenn eine Siegesbotschaft die oft ersterbende Hoffnung wieder anfeuerte. Da jubelten die Männer, und schöne Frauen küßten wohl auch in der Freude ihrer Seele den wackern Deutschen, der so redlich mithalf. Der Brand Moskau’s, von Rostopschin angezündet, war das Morgenroth der Befreiung, Napoleon trat gezwungen seinen Rückzug an, verfolgt von dem russischen Heere unter Kutusow, das sich der deutschen Grenze zögernd näherte. Jetzt galt es, Preußen und ganz Deutschland mitzureißen und das große Werk zu vollenden. Am 5. Februar 1813 verließ Arndt mit dem Freiherrn von Stein Petersburg, wegen der grimmigen Kälte tief in ihre Pelze gehüllt, aber innerlich vor Freude glühend; sie kehrten ja in das Vaterland zurück, um auch ihm mit Gottes Hülfe die Freiheit zu bringen. Der Schlitten, der sie trug, jagte durch die vom Kriege zerstörten Dörfer und Städte, vorüber an den zerrissenen und vom Frost erstarrten Leichenhaufen der Franzosen, welche zu Tausenden am Wege lagen. Kaum gönnten sie sich so viel Zeit, um den am Typhus sterbenden Freunde Chazot die fieberheiße Hand zu drücken und eine Thräne ihm nachzuweinen. Aber aus dem Tode und der Zerstörung, vor der ihr fühlendes Herz schauderte, blühte ja ein neues Leben. Mit heiliger Rührung betraten sie den vaterländischen Boden nach langer Verbannung und mit Entzücken hörten sie den theueren Laut der Muttersprache. Tausend Herzen schlugen ihnen entgegen; sie waren in Königsberg Zeugen jener großen Begeisterung, deren Andenken uns für immer heilig sein soll, wie sich Männer von Weib und Kind losrissen, um in den blutigen Befreiungskampf zu ziehen, wie Mütter ihre Söhne waffneten und das höchste Opfer brachten; denn „was begeistert das Lied gesungen, jetzt ward es in schöner Wirklichkeit wahr“. – „Noch bin ich“, preist der alte Arndt von jener herrlichen Zeit, „dieser Königsberger Tage in der Erinnerung froh, ja ich könnte stolz sein, wenn ich bedenke, wie ich zehnmal und hundertmal mehr, als ich werth war, von den besten Menschen hier auf den Händen, ja nach russischer und altdeutscher Weise fast auf den Köpfen und Schultern und Schilden getragen wurde.“ In solch gehobener Stimmung schrieb Arndt auf Stein’s Veranlassung sein „Wort an die Preußen“, den „Soldatenkatechismus“ und das Büchlein über „Landwehr und Landsturm“, das auf fruchtbaren Boden fiel und die geharnischte Saat der Vaterlandsvertheidigung erwachsen ließ.

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Unterdeß hatte Friedrich Wilhelm der Dritte seinen Aufruf an das Volk erlassen, das sich in Breslau um den König sammelte. Dorthin war auch Stein mit seinem treuen Begleiter geeilt, um an der allgemeinen Erhebung Theil zu nehmen. Mit dem Heere der Verbündeten zogen Beide nach Dresden, wo Arndt bei dem Appellationsrath Körner, dem Vater des patriotischen Dichters, eine gastliche Aufnahme fand. Hier traf er auch mit Goethe zusammen, der die allgemeine Begeisterung nicht zu theilen vermochte. „Schüttelt nur“, rief damals der zaghafte Dichterfürst, „an Eueren Ketten. Ihr werdet sie nicht zerbrechen, der Mann ist Euch zu groß.“ Ihm antwortete der Sänger Arndt mit seinen scharfschneidigen Liedern, welche noch heut im Munde des Volkes leben und damals die Krieger zum Kampf und Tode führten. Vor Allem klang sein herrliches Gedicht: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ das Hohelied der deutschen Jugend; hieran schlossen sich die patriotischen Gesänge voll Mark und Kern: „Der Gott, der Eisen wachsen ließ“ – „Sind wir vereint zur guten Stunde“ – „Wer ist ein Mann? Wer beten kann“ und die Gedichte zur Feier der todten Helden Scharnhorst und Schill. Diese Lieder sind und bleiben die heiligen Zeugen einer großen Vergangenheit, entsprungen aus dem hohen Geist jener schönen Tage, in ihrer Wirkung mächtiger als alle Proclamationen der Fürsten und der Diplomaten; sie lebten und leben noch heute in der Brust des deutschen Volkes, die Geisterstimmen der jungen Freiheit und Einheit, welche er fortwährend pries: Nicht Baiern und nicht Sachsen mehr, Nicht Oestreich oder Preußen; Ein Land, ein Volk, ein Herz, ein Heer, Wir wollen Deutsche heißen; Als echte deutsche Brüder Hau’n wir die Feinde nieder, Die unsre Ehr’ zerreißen. – Nach der Völkerschlacht bei Leipzig, wo Gottes Strafgericht über Napoleon hereinbrach, verwandelte sich der Sänger wieder in den fernblickenden Volkstribun; in dieser Eigenschaft erließ er jene bedeutende Flugschrift: „Der Rhein, Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Grenze.“ – Mit überzeugenden Gründen wies er darin nach, daß ohne den Rhein die deutsche Freiheit nicht bestehen kann; denn behält Frankreich den Rhein, so hat es das Uebergewicht über ganz Europa, so ist ihm der Rhein „ein vorgebeugtes Knie, das es, wenn es ihm gefällt, auf Deutschlands Nacken setzen und womit es dasselbe erwürgen kann.“ Ebenso sind dann die Schweiz und Italien von ihm bedroht. Der Rhein ist ein deutscher Fluß und die Lande jenseits des Rheins, Belgien und die Niederlande mit eingeschlossen, sind deutsch. Leider wurde Arndt’s Stimme auf dem Congresse nicht gehört, so wenig wie seine Wünsche und Ansichten „über künftige ständische Verfassungen in Teutschland“. Nach geschlossenem Frieden ging Arndt von Berlin nach Köln, wo er in demselben Geiste des besonnenen Fortschritts die Zeitschrift: „Der Wächter“ in drei Bänden herausgab, worin er den eigentlichen Begriff der politischen Freiheit als „die höchste und ausnahmslose Herrschaft des Gesetzes“ auffaßte. Besonders redete er dem Bauernstand, den er von jeher hoch stellte, das Wort in seiner Schutzrede „über Pflege

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und Erhaltung der Fürsten und Bauern im Sinne einer höheren, d. h. menschlichen Gesetzgebung.“ Im Jahre 1817 ließ er sich, nachdem ihm der Staatskanzler Hardenberg ein Wartegeld bewilligt und die Aussicht auf eine Professur an einer preußischen Universität eröffnet hatte, in dem reizenden Bonn nieder. Hier an den Ufern des deutschen Rheins, aus dessen Wellen die Sagen der Vorzeit rauschen, erwachte in Arndt von Neuem der Geist der Poesie; nachdem er sich von dem wilden Kriegsgetümmel ausgeruht, schrieb er seine lieblichen „Märchen und Jugenderinnerungen“ voll zarter Innigkeit und Gemüth, das Erbtheil seiner milden, liederkundigen Mutter. Zugleich erfaßte ihn die Sehnsucht nach der stillen Häuslichkeit; er hatte in Berlin die Schwester seines Freundes Schleiermacher kennen und lieben gelernt. Diese führte er jetzt, nachdem er eine Anstellung als Professor der neueren Geschichte an der Universität zu Bonn erhalten, in sein Haus, und sie wurde seine „treue, tapfere“ Frau. Das Glück schien ihm zu lächeln, aber neue Prüfungen brachen bald herein, in denen sich der Mann wie das echte Gold im Feuer bewähren sollte. Auf die allgemeine Erhebung und Begeisterung folgte eine natürliche Reaction, welche zunächst gegen die Freiheit gerichtet war. Die Fürsten vergaßen nur zu schnell die in der Noth ihren Völkern gegebenen Versprechungen. Einer der Ersten, der sie daran erinnerte, war der unerschrockene Arndt. Im vierten Bande von seinem „Geist der Zeit“ ließ er kühn seine Mahnung erschallen; er zog sich dadurch das Mißfallen der Machthaber und eine Verwarnung des Königs von Preußen zu. Vergebens vertheidigte er sich in einer an den Staatskanzler Hardenberg gerichteten Rechtfertigungsschrift, worin er sich einen alten, treuen, königlich gesinnten Patrioten mit Recht nennen durfte. Er war derselbe geblieben, aber die Ansichten der Regierung hatten sich verändert. Immer frecher erhob sich die Partei des Rückschrittes in Preußen, mit einem Kamptz und dem zweideutigen Schmalz an der Spitze, ihr Haupt, schlau die Ermordung Kotzebue’s und das Wartburgfest für ihre Zwecke ausbeutend, die furchtsamen Fürsten und Staatsmänner durch Gespenster schreckend, die besten Patrioten verdächtigend. Die Zeit der Demagogenverfolgungen war gekommen; auch Arndt schien verdächtig, weil er die Sprache der Wahrheit redete. Mitten in der Nacht wurde er von der Polizei überfallen, sein Haus durchsucht, seine Bücher, Papiere und vertrauten Briefe der Freunde und der Familie mit Beschlag belegt, er selbst aber am 10. November 1820 von seinem Amte suspendirt. Im Bewußtsein seiner Unschuld, denn von jeher war er ein Feind aller geheimen Verbindungen, schrieb er tief gekränkt an den Staatskanzler: „Was soll das nichtige und blöde Gefecht gegen die Geister, die durch leibliche Fäuste nicht zu besiegen sind? Was sollen die Streiche gegen das Unvermeidliche und die Banne und Achte gegen das Unsichtbare und Allenthalbene? Wehe uns Allen, wenn, was über der Erde entschieden und geschlichtet werden soll, in den gemeinen Staub des Faustkampfes hinabgerissen wird! Das war von jeher der Weg, aus Wasser Blut zu pressen und fliegenden Staub zu festem Granitfelsen zu verhärten.“ Aber Hardenberg, von den Intriguen der Reaction umgarnt und selbst in seiner Stellung bedroht, blieb taub für den Ruf der Unschuld und Wahrheit. Gegen Arndt wurde eine eben so quälende, als lächerliche Untersuchung eingeleitet wegen „Theilnahme an burschenschaftlichen Umtrieben“, wobei ihm verschiedene unter seinen Pa-

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pieren gefundene Randglossen, welche der König selbst über die Einrichtung des Landsturmes verfaßt hatte, zum Verbrechen angerechnet wurden. Zu seiner Rechtfertigung schrieb er „Abgenöthigtes Wort aus meiner Sache“. Zu seiner Vertheidigung drängten sich Männer wie Welcker, Mittermaier, Esser, Leist und Ammon, aber der Schmerz über ein solches Verfahren drückte ihn zu Boden. „Ich wäre längst untergegangen,“ schrieb er darüber, „wenn ich mich an der eisernen Mauer eines guten Gewissens nicht hätte aufrecht erhalten können.“ Zwar mußte er wegen gänzlichen Mangels an Beweisen nach anderthalbjährigem Inquiriren frei gesprochen werden, aber zugleich wurde er von seinem Amte ohne jeden Grund suspendirt. Mitten im Vollgefühle seiner Kraft sah er sich zu einer gezwungenen Unthätigkeit verdammt, willkürlich aus seiner ihm lieb gewordenen Stellung als Lehrer herausgerissen und, wenn auch nicht moralisch, so doch polizeilich in seiner bürgerlichen Ehre gekränkt. Dazu kam noch der Tod seines jüngsten Söhnleins, das er außerordentlich geliebt; der sechsjährige Knabe war in den Fluten des Rheins ertrunken. Herzzerreißend war seine Klage über die „Zerreißung und Zermürbung“ seiner Kräfte; er verglich sich mit dem Thurme, dem man, so lang er steht, nicht ansieht, wie Sturm, Regen und Schnee seine Fugen und Bänder allmählich gelöst und gelockert haben. Still „wie rostiges Eisen“ saß er in seinem Häuschen vor dem Koblenzer Thore, traurig, aber nicht gebrochen. An der Seite der „tapferen“ Gattin erhob er sich von den furchtbaren Schlägen des Schicksals und kehrte zu seiner früheren schriftstellerischen Thätigkeit allmählich zurück. Er verfolgte die Geschichte seiner Zeit und gab sein Votum in allen wichtigen Tagesfragen ab; so schrieb er „Christliches und Türkisches“, „Belgien und was daran hängt“, eine Reihe von Flugschriften, die den Stempel seines Geistes trugen. Endlich nach zwanzig Jahren unfreiwilliger Muße setzte Friedrich Wilhelm der Vierte beim Antritt seiner Regierung den nun „alten Arndt“ in seine frühern Würden ein, „den Greis, der, von der Last des Alters und andern Lasten zusammengedrückt, im Schimmel der Unthätigkeit und Vergessenheit gelegen hatte, der aber noch immer gern die alten, zusammengeschrumpften Blätter regen und entfalten wollte.“ Durch ganz Deutschland wurde die That des Königs mit Jubel begrüßt, der alte Arndt aber von seinen Collegen in Bonn zum Rector magnificus für das Jahr 1840–41 gewählt, von der akademischen Jugend mit Begeisterung empfangen. Die allgemeine Freude verjüngte auch den alten Stamm, daß er, wie in milder Frühlingsluft, neue Sprossen und Knospen trieb. So erschienen jetzt seine gesammelten Gedichte in neuer verminderter und doch vermehrter Auflage und „die Erinnerungen aus dem äußeren Leben“, im Gefolge einer Reihe kräftiger Flugschriften „an und für meine lieben Deutschen“, in denen sich der „Geist der Zeit“ noch einmal frisch wie in den ersten Jugendtagen folgendermaßen aussprach: „Oeffentlichkeit und gerade Gerechtigkeit in allen unseren Dingen, freie Presse, freie Verhandlungen des Bundestages, freies Aussprechen unserer Schmerzen und Freuden vor ganz Europa, wie die anderen großen Völker es thun dürfen, freier offener Mund unserer Landtage und Gerichte“ sind die Forderungen, zu denen er das deutsche Volk berechtigt glaubte. So lautete gleichsam sein politisches Testament, da er seine Laufbahn für geschlossen hielt; zugleich kehrte jetzt wunderbarer Weise der Greis zu den Neigungen und Erinnerungen seiner Kindheit zurück; eine geheime Sehnsucht zog ihn nach der nordischen Heimath; er beschäftigte sich jetzt fast ausschließlich mit skandinavischen Al-

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terthümern und Uebersetzung von schwedischen Gedichten. In seinen Briefen kam es sogar öfter vor, daß er statt eines deutschen Wortes oder Wendung eine schwedische Redeweise gebrauchte. Da kam das Jahr 1848 mit seinem Völkerfrühling, seinem Sonnenschein und wilden Stürmen, seinen Hoffnungen und Täuschungen. Vater Arndt durfte dabei nicht fehlen. Denn an ihm und in ihm verkörperte sich gleichsam das Schicksal des deutschen Volkes, dessen Glück und Unglück er vor Allen zu tragen berufen schien. Er trat in die Paulskirche, wie er selbst, zum Sprechen aufgefordert, sagte, „gleichsam wie ein gutes altes deutsches Gewissen“ und weil er an „die Ewigkeit seines Volkes“ glaubte. Seine kurze Rede wurde von dem stürmischen Jubelruf der Versammlung unterbrochen, die auf Soiron’s Antrag dem Dichter des Liedes: „Was ist des Deutschen Vaterland“ ein dreimaliges donnerndes Lebehoch ausbrachte. So huldigte der Reichstag dem Deutschesten der Deutschen und ehrte ihn, als die Geister der Parteien wild auf einander platzten. Auch Arndt träumte von einem deutschen Kaiser und stimmte für die Erwählung Friedrich Wilhelm des Vierten zum Herrn des Reiches; er selbst war einer der Abgesandten, welche die deutsche Kaiserkrone nach Berlin trugen und abgewiesen wurden. Damals sang der edle Dichter in seinen „Bilder der Erinnerung, meistens um und aus der Paulskirche in Frankfurt“: Kaiserschein, Du höchster Schein, Bleibst Du denn im Staub begraben? Schein umsonst Prophetenraben Um den Barbarossastein? Nein! und nein! und aber nein! Nein, Kyffhäusers Fels wird springen. Durch die Lande wird es klingen: Frankfurt holt den Kaiser ein. Sein letztes Wort auf der Tribüne galt der Einheit des deutschen Volkes, „das, wenn es auch nur halb einig wäre, die Welt überwinden müßte, wie weiland“. Einige Wochen später verließ er, seiner Ueberzeugung treu, die Paulskirche mit der Partei Gagern, der er sich angeschlossen. Die nachfolgende Zeit der Schmach erschütterte nicht seinen Glauben, seine Treue, seinen Muth. Wieder griff er zur Feder, der getreue Eckard seines Volkes und hielt mit offenen, hell glänzenden Augen Wacht gegen die inneren und äußeren Feinde. Wo er Gefahr sah, ließ er seine Stimme erklingen, so gegen die übermüthigen Dänen in seinem „Mahnruf an alle deutsche Gaue in Betreff der schleswigholsteinischen Sache“, dem er sein herzliches Buch: „Pro populo germanico“ und „Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn von Stein“ folgen ließ, ein Denkmal, dem großen Freunde errichtet, wodurch er ihn und sich ehrte. Solch ein reiches, schönes Leben, bis in’s höchste Alter von Thatkraft und Segen geschwellt, konnte nicht ohne äußere Anerkennung bleiben. Ganz Deutschland kannte und liebte den alten Arndt, dem das Volk den höchsten Ehrennamen „Vater“ beilegte. Noch bei seinem Leben setzte ihm die Universität Greifswald zu ihrer vierhundertjährigen Jubelfeier ein Denkmal von Marmor, seine Reliefbüste, wofür er seinen Dank in den schönen Worten aussprach: „Ich habe nach dem Ruhm eines ehrlichen Mannes gestrebt. Will man durch das Denkmal in mir eine gewisse Beständigkeit und Festigkeit

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des Lebens ehren, was man den nordischen, altsächsischen, pommerschen Charakter nennt, so ist das eine Ehre, die ich mit Stolz annehme, mit dem Stolze, ein Sohn Pommerns zu sein. Möge der Name Pommern als der Name der Tapferkeit, Redlichkeit und Treue ein unsterblicher Name bleiben.“ Am klarsten aber sprach sich die allgemeine Liebe bei Arndt’s neunzigstem Geburtstage aus, den er in voller Geistesfrische als jugendlicher Greis im Kreise der Seinigen, aber von ganz Deutschland beglückwünscht, feierte. Der Tod fand ihn noch mit dem Lächeln des eben erst genossenen Glücks auf den Lippen; sanft nahm er die Hand, welcher die nimmer rastende Feder entsank, womit er noch die letzten Dankesworte schrieb, und führte den Sterbenden zur Unsterblichkeit. Das deutsche Volk wird aber seinen „Vater Arndt“ nie vergessen, der für deutsche Freiheit und Einheit gelebt, gekämpft, gelitten und gesungen hat: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Max Ring.

Nr. 32 Kölnische Zeitung Nr. 82 v. 22.3.1860, S. 1f. (Verfasser ungenannt) Gedichte von Ernst Moritz Arndt Wir haben schon die Worte angeführt, mit welchen der neunzigjährige Dichter eine vollständige Sammlung seiner Gedichte der Welt und allen seinen Freunden gleichsam als letztes Lebewohl übergab. Sie sind jetzt nach seinem bald darauf so plötzlich erfolgten Tode doppelt rührend und mögen hier noch einmal stehen: „Die Zeit meines Scheidens ist nah, nah ist der Sturm, der meine Blätter herabweht. Diesen ossianischen Vers singen dem Neunzigjährigen die durch den Wald winterlich schwirrenden Vögel und fliegenden Blätter zu: eine Mahnung, daß er sein Haus bestellen und seine kleinen Dinge ordnen soll. Zu diesen seinen kleinen Dingen gehören manche Verse und Reime, die seit zwei Menschenaltern vielfach, verbessert aber verschlechtert sind. Er gibt sie hier nun seinem Volke als ein letztes Vermächtniß, in der Gestalt, wie sie einst aus seinen Händen in die Welt ausgeflogen sind. Manche von ihnen sind seinen Deutschen lieb geworden, wohl nicht wegen ihrer Vollkommenheit, sondern eben, weil die meisten echte Kinder der Geschicke und Gefühle unserer Tage sind, Kinder des Augenblicks und der Gelegenheit. Mit ihnen sagt der alte Sänger und Schreiber allen seinen Freunden gleichsam sein letztes Lebewohl. Bonn am Rhein, in der Weihnachtswoche des Jahres des Heils 1859. Ernst Moritz Arndt.“ Die Gedichte sind, so viel thunlich, nach der Zeitfolge geordnet und umfassen eine Zeit von 72 Jahren, von 1787 bis 1859. Arndt spricht in seinen Erinnerungen von seinen dichterischen Leistungen mit großer Bescheidenheit. Es seien ihm, meint er, nur hier und da etwa lyrische Sächelchen gelungen; diese gelungenen Sächelchen sind aber Perlen und Edelsteine, ein Geschmeide, mit dem die Germania, als mit einem kostbaren Erbstücke, sich ewig schmücken wird.

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Mit Bezug darauf, daß E. M. Arndt nicht mit größeren dichterischen Werken hervorgetreten ist, und der Dichter nicht bei ihm die Hauptsache war, sondern der ganze Mensch, wurde bei seinem Tode die Meinung ausgesprochen, unter den deutschen Dichtern werde sein Abgang kaum vermißt werden. O, du glückliches Deutschland, das unter so vielen Großen diesen Kleinen, unter so vielen Sonnen diesen Abendstern nicht zu vermissen braucht! Aber wir mußten lächeln über die Abschätzung. Welche Probe gibt es für den wahren Werth der Dichter? Wir kennen nur Eine: die Zeit. Und kaum hat ein deutscher Dichter unseres Jahrhunderts so viele Lieder gedichtet, die man getrost schon jetzt unsterblich nennen kann. An unsere Nationalhymne: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ wollen wir nicht einmal erinnern; das Lied hat schon eine Geschichte und wird eine noch größere haben. Aber wie viele Arndt’sche Lieder leben außerdem noch im innersten Herzen des deutschen Volkes! Daß die deutsche Erhebung von 1813 nirgends einen kräftigeren Ausdruck gefunden hat, bezweifelt Niemand. Die alten Veteranen haben noch so eben in Berlin am 17. März, unter endlosem Jubel das Lied vom Feldscharschall gesungen: Was blasen die Trompeten? Husaren, heraus! Es reitet der Feldmarschall in fliegendem Saus, Es reitet so freudig sein muthiges Pferd, Er schwinget so schneidig sein blitzendes Schwert u.s.w. Wir möchten bei dieser Gelegenheit dringend bitten, das Scharnhorst-Lied: Wer ist würdig unsrer großen Todten? mit diesem seinen allbekannten Eingange wiederherzustellen, die unnöthige und verfehlte Abänderung: Wen erles’t ihr für die großen Todten? höchstens als Anmerkung anzuführen. Es sind aber nicht bloß die Schlacht- und Kriegslieder, die fortleben werden; eben so unvergänglich sind die Lieder, in welchen Arndt den deutschen Mann in seiner geistigen Wehr, ausgerüstet mit allen Tugenden seiner Ahnen feiert: Deutsches Herz, verzage nicht, Thu, was dein Gewissen spricht, Dieser Strahl des Himmelslichts, Thue recht, und fürchte nichts. Baue nicht auf bunten Schein, Lüg und Trug ist dir zu fein, Schlecht geräth dir List und Kunst, Feinheit wird dir eitel Dunst. Doch die Treue ehrenfest Und die Liebe, die nicht läßt, Einfalt, Demuth, Redlichkeit Stehn dir wohl, o Sohn vom Teut.

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Wohl steht dir das grade Wort, Wohl der Speer, der grade bohrt, Wohl das Schwert, das offen ficht Und von vorn die Brust durchsticht. Laß den Wälschen Meuchelei, Du sei redlich, fromm und frei; Laß den Wälschen Sclavenzier, Schlichte Treue sei mit dir. Oder: „Wer ist ein Mann? Wer beten kann“ und „Der Knabe Robert“; „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, Der wollte keine Knechte“ und so viele andere. Und was geht an Feierlichkeit über das herrliche Bundeslied: „Sind wir vereint zur guten Stunde“! Der Dichter kann nicht mehr geben, als sich selbst, namentlich der lyrische Dichter; und da möchten wir denn wohl fragen: von all den zarten und liebenswürdigen Seelchen, derer Werke in der zehnten Auflage in zierlichstem Einbande auf den schwebenden Wandbrettchen unserer jungen Dämchen ein beneidenswerthes Schmetterlingsleben führen, wie viele von ihnen reichen an Ernst Moritz Arndt’s Kraft- und Feuergeist? Er, wenn Einer, durfte sagen: Aus Feuer ward der Geist geschaffen! Und Keiner hat die bacchische Lust des Weines tiefer empfunden. Seine Trinklieder, zu denen er, obgleich der Musik unkundig, zum Theil selbst hübsche Weisen erfunden hat, sind die schönsten der deutschen Sprache. Eine, wir möchten sagen mystische Tiefe der Empfindung ist es, die vielen auch seiner weniger bedeutenden Lieder einen eigenthümlichen Reiz verleiht. Daß in diesem Band von 666 Seiten mancherlei Unbedeutendes unterläuft, wollen wir nicht läugnen. Es geht aber jedes Lied aus einer wahren Empfindung hervor, und wer den Alten liebt, mag auch in dem Geringfügigsten einen Beitrag zu seiner Lebens- oder doch Seelengeschichte erkennen. Man sollte über die Vollständigkeit nicht klagen, es ist ja eine Ausgabe letzter Hand und der Verlagshandlung gebührt Dank, daß sie bei anständiger Ausstattung den Preis des Buches so mäßig gestellt hat, daß eine allgemeine Verbreitung möglich ist. Auch das ist wahr, daß dieses tiefe, nach Licht und Wahrheit ringende Gemüth oft vergebens nach einer festen Gestalt für seine weiche Empfindung zu ringen scheint. Ist er doch deßhalb auch bei der inneren Herzensmusik stehen geblieben und hat in weiser Selbstbeschränkung selten einen Versuch gemacht, über die Lyrik hinauszugehen. Aber nicht wahr ist es, daß Arndt nur in einer kurzen Blüthezeit, während der Freiheitskriege, alle seine schönsten Lieder gedichtet habe. Man braucht bloß das mit bewundernswürdiger Festigkeit von der Hand des neunzigjährigen Greises aufgeschriebene Grablied anzuführen, das wie seine meisten geistlichen Lieder in höherem Alter (1835 bis 1843) gedichtet ist. Kann etwas einfacher und ergreifender sein? Wer hat in unseren Zeiten ein schöneres geistliches Lied gedichtet? Und aus dem Jahre 1842 stammt auch das schöne Lied, mit dem wir diese kurze Anzeige beschließen wollen:

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Heimweh nach Rügen. O Land der dunklen Haine, O Glanz der blauen See, O Eiland, das ich meine, Wie thut’s nach dir mir weh? Nach Fluchten und nach Zügen Weit über Land und Meer, Mein trautes Ländchen Rügen, Wie mahnst du mich so sehr! O, wie mit goldnen Säumen Die Flügel rings umweht, Mit Märchen und mit Träumen Erinn’rung zu mir schwebt! Sie hebt von grauen Jahren Den dunklen Schleier auf, Von Wiegen und von Baaren Und Thränen fallen drauf. O Eiland grüner Küsten! O bunter Himmelschein! Wie schlief an deinen Brüsten Der Knabe selig ein! Die Wiegenlieder sangen Die Wellen aus der See, Und Engelharfen klangen Hernieder aus der Höh’. Und deine Heldenmäler Mit moosgewobnen Kleid, Was künden sie, Erzähler Aus tapfrer Väter Zeit. Von edler Tode Ehren Auf flücht’gem Segelroß, Von Schwertern und von Speeren Und Schildesklang und -stoß? So locken deine Minnen Mit längst verklungnem Glück den grauen Träumer hinnen In alter Lust zurück. O heißes Herzenssehnen! O goldner Tage Schein, Von Liebe reich und Tränen!

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Schon liegt mein Grab am Rhein. Fern, fern vom Heimatlande Liegt Haus und Grab am Rhein. Nie werd’ an deinem Strande Ich wieder Pilger sein. Drum grüß’ ich aus der Ferne Dich, Eiland lieb und grün: Sollst unterm besten Sterne Des Himmels ewig blühn! Auch des Sängers Name wird unter dem besten Sterne des Himmels ewig blühen. Ernst Moritz Arndt ist auch als Dichter hoher Ehren werth; er darf neben Goethe und Uhland genannt werden.

Nr. 33 [Ernst Wilhelm Hengstenberg]: Ernst Moritz Arndt, in: Evangelische Kirchenzeitung, 66. Bd., Nr. 33 v. 25.4.1860 und Nr. 34 v. 28.4.1860, 385–392 u. 405–406 [S/S Nr. 3203; Loh bei Nr. 686] Ernst Moritz Arndt. Kurz vor seinem Scheiden (29. Januar 1860) hat der greise Sänger noch eine vollständige Sammlung seiner Gedichte ausgehen lassen. Er selbst zählt dies in der kurzen, von „Bonn am Rhein in der Weihnachtswoche des Jahres des Heils 1859“ datirten, Vorrede zu dem „Bestellen seines Hauses“, da die Zeit seines Scheidens nahe sei. Er gibt diese Sammlung des vielfach bisher Zerstreuten und Veränderten in seiner ursprünglichen Gestalt als „ein letztes Vermächtniß seinem Volke“ und sagt damit allen seinen Freunden das letzte Lebewohl. Wir wollen dieses Vermächtniß darauf ansehen, was die Evangelische Kirche sich davon anzueignen hat. Selbstredend haben wir es hier nicht mit den Trinkliedern der Sammlung oder ähnlichen Ergüssen eines dem Wesen dieser Welt zugewendeten Sinnes zu thun. Ebenso wenig mit den vaterländischen und politischen Liedern als solchen, welche Arndt’s Ruhm in Deutschland schon vor einem halben Säculum gegründet und seinen Einfluß auf die Geschichte des Vaterlandes in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gesichert haben. Auch die der Natur und der Freude an ihr geweihten Gesänge sollen hier unberührt bleiben, welche sich, wie die den Musen und der Liebe zu griechischer Kunst und heidnischen Idealen zugewandten, noch auf Bahnen bewegen, die nicht zum Himmelreich führen. Dagegen verdienen die dem Geiste Jesu Christi zugehörenden und das Bekenntniß zu dem Herrn laut und klar aussprechenden Lieder, die einen nicht geringen Theil des starken Bandes füllen, die besondere Beachtung und den Dank aller derer, die die Macht heiligen Gesanges kennen. Sie sind großentheils vereint unter der besonderen Ueberschrift: „Geistliches verschiedenster Töne und Jahre“ (S. 432 flg.) Aber auch schon früher finden sich einzelne Lieder, die ein gutes Bekenntniß aussprechen, wie z. B. S. 186 das liebliche „Gebet

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eines kleinen Knaben an den heiligen Christ“ und S. 197 ein „Gott der Hirt“ überschriebenes Lied, das von den Sternen als den güldnen Schafen Gottes singt und tiefen, seligen Frieden athmet, ferner S. 320 „Unser Saal“, wo es am Schluß heißt: „Drum auf, drum auf zur Stadt der Gnaden Aus finstrer Erdendunkelheit! Wir sind ja alle eingeladen Zum Glanz der ew’gen Herrlichkeit, Wir sind ja alle eingeschrieben – Und das ist unser Stolz und Muth – Durch unbegreiflich süßes Lieben, Mit Gottes eignem Herzensblut.“ Auch „des Knaben Abendgebet“ S. 273 gehört hierher, das so innig danken und bitten lehrt: „Nun habe Dank für jeden Tag, Und Dank für jede Freud! Ich weiß nicht, was ich beten mag Mit rechter Herzlichkeit; Du weißt am besten, was ich will, Du liebster, treuster Hort, Drum bin ich mit den Lippen still, Gott ist mein einzig Wort.“ In dem Liede „An Maria zum Marientage“ S. 129 lesen wir das Bekenntniß zu dem Sohne Gottes im Gegensatz zu heidnischem Wesen: „Denn der Gott trat in das Leben Und die Götter sind entfloh’n;“ Und die ächt christliche Tugend der Demuth, der wir in diesem Buche so oft begegnen, findet in dem Liede „An Lili“ S. 149 ihr erstes Loblied; zwischen die Blümlein der Bescheidenheit und Unschuld mitten inne gestellt, wird die Blume der Demuth also besungen: „Auch wird ein zweites, das Demuth heißt, Als Schmuck der Mägdlein hoch gepreist, Die Englein, singend an Gottes Thron, Es tragen als Demant in goldner Kron’.“ Aus dem „Gebet“ S. 157, welches aus der Zeit der Erniedrigung des Vaterlandes (1810) stammt und eigentlich zu den vaterländischen Liedern zu zählen ist, aber das große Leid als Züchtigung Gottes erkennen und in festem Vertrauen auf Seine Hülfe tragen lehrt, ruft im Staube der Sänger, dem tief im Herzen die Wunde brennt, und es ist als sähen und hörten wir die erstickten Thränen: „Denn du, alter treuer Gott, Alter lieber deutscher Gott, Hast mit Männern und mit Rossen

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Ueber mich dich ausgegossen, Mich in Staub getreten sehr, Und ich bin kein Freier mehr.“ Und abermals: „Aber züchtigst du gleich schwer, Lässest du doch nimmermehr, Hast die Sehnsucht uns gegeben Nach dem lieben Götterleben, nach dem hochgebornen Recht, Nennst uns selber dein Geschlecht.“ Dazu gehört das Lied „Trost“ aus dem folgenden Jahre (S. 167): „Was stürmst du, Herz, und bist so wild? Ist nicht der alte Gott dein Schild? Der alte Gott im Himmel hoch, Der lebet und regieret noch.“ Und das „Trostlied“ aus dem „Katechismus für den Deutschen Wehrmann“ (1813): „Gott du bist meine Zuversicht, Mein Schirm und meine Waffen,“ u.s.w. Wie das „Danklied“ S. 230: „Auf, danket Gott, und betet an Den Helden aller Helden, Von dem die Erden ab und an Und alle Himmel melden; Auf! Werdet heute Ein Gesang! Auf! Klinget heute Einen Klang! Gott sei allein die Ehre!“ Gebet, Glauben, Lieben, das sind dem vaterländischen Freiheitssänger die Grundbedingungen des rechten Kampfes für Gott und Vaterland, wie das Lied „Wer ist ein Mann?“ (1813) dies klar und entschieden ausspricht und dann schließt: „So, deutscher Mann, so freier Mann, Mit Gott dem Herrn zum Krieg! Denn Gott allein kann Helfer sein, Von Gott kommt Glück und Sieg.“ So war der Mann, der in seinem politischen Wirken dastand als der Mann von Eisen, der sich noch 1856 selbst gesungen (S. 613): „Trage, wie dein Schmidt es wollte, Trage muthig durch dein Eisen! Preis ihm, der es hart geschmiedet!“ und der schon 1812 das „Vaterlandslied“:

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„Der Gott, der Eisen wachsen ließ, Der wollte keine Knechte,“ als Aufruf zum Heldentode dem Feinde entgegendonnerte, sich dessen vollkommen bewußt, in welcher Rüstung und in welcher Kraft allein der Sieg über den Feind und Dränger gewonnen werden könne. Und daß er dies seinem Volke laut und vernehmlich, ächt deutsch in Ohr und Herz gerufen, als es solches Rufes bedurfte, das darf die Kirche ihm nicht vergessen. Daß die Welt sich vorzugsweise an andere Töne dieses Mundes, nachdem ihr die Ohren jückten, gehängt, ihnen den ersten Preis gegeben hat und noch giebt, das kümmert uns nicht und soll uns nicht irre machen in der Freude und dem Dank für die wahrhaft dankenswerthen Gaben und Thaten – denn solche Lieder sind Thaten – die wir hier aufs Neue überschauen. In den geistlichen Liedern, denen wir nun näher treten, herrscht vor Allem eine tiefe Innigkeit, ja Süßigkeit der Stimmung und Rede. Es ist merkwürdig, daß dieser Mann von Eisen sofort, so oft und so gern, gerade das Wort „süß“ in den Mund nimmt, wenn derselbe des Lobes seines Gottes und Heilandes voll wird. Süßlich wird sein Lied dadurch nie, wie das wohl sonst einer Gattung von Liedern eigen, die vor Allem gern mit dem süßen Jesus spielen. Aber die tiefe, zarte, ernste und doch so fröhliche Glaubenszuversicht und Gewißheit der Gnade und des Trostes, die Gemeinschaft des Lebens und der Liebe und die Seligkeit dieser Gemeinschaft im Frieden mit Gott durch das Blut seines Sohnes, diese das Herz des Dichters stillende Geisteströmung macht seine Rede so lieblich und kräftig zugleich und zwingt ihm wieder und immer wieder das Bekenntniß seines süßen Heilandes auf die Lippen. So lesen wir in dem Grabliede, das bei seinem Begräbniß gesungen worden und das im Facsimile der Handschrift des Dichters aus seinem neunzigsten Jahre – einer Handschrift von jugendlicher Kraft und Klarheit – der Sammlung beigegeben ist (S. 466): „Weinet nicht, mein süßes Heil, Meinen Heiland hab’ ich funden, Und ich habe auch mein Theil In den warmen Herzenswunden, Woraus eins sein frommes Blut Floß der ganzen Welt zu gut.“ Das „Jesusgebet“ S. 499 beginnt: „Herr, du mein Licht, mein Heil, mein Leben Mein süßer Heiland, Jesus Christ! Hilf, Herr, hilf! laß mich nicht entschweben Von dir, wo Seelenfreude ist, Wo Einfalt ist, wo Frieden ist, Bei dir, bei dir, Herr Jesus Christ!“ Und noch im Jahre 1856 hat ein „Danklied“ S. 611 dem Dichter das Herz erfüllt, in dem es heißt: „Drum will ich singen, danken, loben,

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So lange Athem in mir ist, Mein süßes sel’ges Heil von oben, Gott meinen Herrn und seinen Christ, Mein Lebenslicht, mein Liebeslicht, Der Unaussprechlichs zu mir spricht.“ Besonders treten hier die Weihnachtslieder hervor, deren sich nicht wenige in dem Buche finden. So das erste aus dem Jahre 1811, das also beginnt (S. 186): „Dir lieber heil’ger frommer Christ, Der für uns Kinder kommen ist“ u.s.w. so das letzte vom Jahre 1856 (S. 622), in dem es heißt: „Strahlst du, süßes Himmellicht, Das die Heidenwelt durchbricht? Bist du, Sehnsucht aller Frommen, Heut zur Welt herabgekommen?“ Und dann später: „Schau, mein Herz, schau fromm und still, Was der Baum (nämlich der Weihnachtsbaum) dir sagen will: Daß der süße Jesus Christ Heut zu uns gekommen ist, Daß, dem alle Engel dienen, Als dein Bruder ist erschienen.“ Die „Christenlerche“ ruft er (S. 490) auf: „Komm, Christenlerche, singe, Was du so selig weißt, Die Lust des Himmels singe, Die Held und Heiland heißt, Die Wahrheit heißt und Leben Und Licht der Erdennacht, Daß nun kein Leid mehr beben, Kein Tod mehr grauen macht. O süßer Klang der Freude, O Klang der Seligkeit!“ u.s.w. Und die „Weihnachtsfreude“ (S. 493) schließt mit den Worten: „Weg Sünden, Schmerzen, Zweifel, Sorgen, Denn Jesus Christ will unser sein.“ Vor Allem aber wollen wir uns hier an dem Liede freuen, das „Immer Liebe“ überschrieben ist und recht tief in das Herz des Dichters blicken läßt. Es lautet S. 485 also: „Und klingst du immer Liebe wieder? Und immer nur denselben Ton?

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Und weißt du keine andern Lieder Als Gottes Sohn, von Gottes Sohn? Muß er dein Licht, dein Glanz, dein Schein, Muß er dein Alles, Alles sein?“ „Ja, er allein: in diesem Namen, In diesem allerschönsten Ton, Klingt aller Himmel Himmel Amen, Das Heilig! Heilig! klingt vom Sohn, Und Cherubim und Seraphim Anbetend knie’n sie hin vor ihm.“ „Ja, er allein: so weit die Winde Das grüne Erdenrund umweh’n, Muß nun im Klang vom hohen Kinde, Das Mensch ward, aller Jubel geh’n. Es klinget kein so süßer Ton Als von dem Sohn und aus dem Sohn.“ „Nein, nimmer lernt es andre Lieder Das arme sündenkranke Herz, Nein, Nimmer klingt es Andres wieder Als jener Sehnsucht süßen Schmerz Vom Menschensohn, vom Gottessohn, Dies bleibt das Lied, der Klang, der Ton.“ „Du bleibst das Lied, du liebste Liebe, Du bleibst die Sehnsucht, schönstes Bild, Du Licht der Lichter, Trieb der Triebe, Woraus der Himmel Wonne quillt: Mein Herz klingt deine Herrlichkeit Von nun an bis in Ewigkeit.“ Dieses wahrhaft köstliche Lied gibt freilich in Bezug auf den Dichter selbst Manches zu denken, zumal wenn man auf den ungeistlichen, nicht blos den ernsten, sondern auch den den Narretheidingen dieser Welt zugewandten Theil der Sammlung sieht, aber gern glauben wir, daß wir hier nicht blos die Krone seiner Lieder, sondern auch den wahren Gipfel seines Glaubenslebens ohne Trug und Heuchelschein vor uns haben, und wenn wir dem Sänger sonst auf andern und niederen Pfaden begegnen, so hoffen wir zuversichtlich, daß er diese selbst als solche immer mehr erkannt und bekannt haben werde. Die Lieder vom Worte Gottes (S. 478. 488. 497. 506. 518) zeichnen sich durch eine erhabene Schilderung der gewaltigen, durchbohrenden, Felsen zerschmeißenden Macht, und zugleich durch das linde Säuseln aus, das uns wie Maienwind durchhaucht. „Bald gleich dem Sturmwind wild und graus,

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Du fährst mit Blitz und Donner aus, Bald freundlich, fröhlich, lieb und lind Du säuselst gleich dem Maienwind.“ Die Lieder vom Grab und Tod (S. 381. 382. 389. 400. 405. 467. 498. 500), unter denen sich auch die Klagetöne am Grabe der eigenen Söhne finden, sind voll von der Sehnsucht nach dem vollen Lichte in Christo, nach dem Schauen des hier Geglaubten, voll von der Zuversicht der Hoffnung des ewigen Lebens: „Nun sieht er voll im Licht, Was hier so dunkel war, Des Herzens Traumgesichte, Des Lebens Räthsel klar; Nun kann er ganz verstehen, Was Gott, was Christus ist: Wie wohl ist ihm geschehen Daß er gestorben ist.“ Die Ermahnungen zum Gebet, zur Einfalt, zur Demuth, zur rechten Freiheit, die sich Gott gefangen gibt, wie es S. 491 heißt: „Ach! dein Sehnen, dein Verlangen, Deine Freude, deinen Schmerz, Gib dein ganzes Sein gefangen, Gib dich Gott gefangen, Herz! Der die Welt und die geschaffen, Dich gestaltet hat mitten drein, Der kann Künste, der hat Waffen, Daß du magst ein Freier sein.“ Die unermüdlichen Lobpreisungen des Herrn, der ihm nicht nur der süße Christ, das Kindlein Jesu, sondern der Gottesheld, der König, die Sonne aller Sonnen, das große Licht der Zeiten ist; die fröhlichen und seligen Bekenntnisse zu Ihm und die lauten und dringenden Ermunterungen, ihn treu und fest zu fassen und zu halten, wie er S. 502 so siegesfreudig singt: „Dies wage fest zu fassen, Dies halte treu und fest, Den schwöre nie zu lassen, Der nimmer dich verläßt: Der dich mit seinem Blute Erlöst aus Nacht und Wahn, Will, daß mit hellem Muthe Du wanderst deine Bahn.“ Dies Alles muß ja der Kirche Jesu Christi dies letzte Vermächtniß des alten Arndt werth machen und sie zum fröhlichen Dank auffordern. Durch den Ton dieser christlichen Lieder hat sich Arndt ein Denkmal gesetzt aere perennius, und wir freuen uns dessen

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um so gewisser, je bestimmter wir befürchten, daß diese Lieder es nicht sind, die unser Volk jetzt spornen, dem Sänger ein ehernes Denkmal zu errichten. In dieser Freude werden wir auch nicht irre durch die – freilich nur ganz vereinzelten – Angriffe auf Pietismus (S. 507), die in der ausgesprochenen Weise allerdings eine gewisse Berechtigung haben, oder durch die Art, wie zu Luthers 300jähriger Todesfeier (1846) die Protestanten im Namen Luthers aufgerufen werden (S. 528): „Laßt Todte modern bei den Todten! Zu höchsten Sternen sendet Boten, Da fragt der Zukunft Donnerlaut.“ Bekennt er doch anderweitig (S. 588), daß er sich selbst nach Martin Luther den Glauben stelle, und in dem herrlichen „Abendmahlslied“ jauchzt er ächt lutherisch (S. 474): „O wunderbare Treue, So lockst du mich zu dir? O wunderbare Weihe, So nahst du selig mir? Ich soll der Sünden Tod In deinem Blute trinken, Vergehen und versinken In deiner Liebe, Gott?“ Und zum Schluß: „Drum jauchze, meine Seele! Drum jauchze deinem Herrn! Verkünde und erzähle Die Gnade nah und fern, Den Wunderborn im Blut, Die sel’ge Himmelsspeise, Die auf verborgne Weise Dir gibt das höchste Gut.“ Hervorheben müssen wir noch den Zorn, mit dem der Dichter die Materialisten unter den Naturforschern niederwirft, die den Menschen aus „Dreck“ entstehen lassen. In den Jahren 1843 und 1856 hat er diesem Zorne Luft gemacht. Ergrimmt ruft er aus (S. 509): „Weh, wer meine Sternenpfade Mir mit Erdendreck beklexet! Wie? auf euren Millionen Stünd’ ich denn zuletzt auf Füßen? Wüchsen meinem Baum die Kronen, Welche himmelaufwärts schießen? So von Grad zu Grad geklommen Bis ans Himmelsthor wir pochen? Alles aus dem Dreck gekommen, Mensch zuletzt aus Dreck gekrochen?

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Nein! hinauf mit mir zur Sonne, Wo der Obermeister sitzet“ u.s.w. Und zum Schluß: „Und der ganze Würmerplunder Fällt in dünnen Staub zusammen, Und der Mensch bleibt stehn als Wunder, Woraus Blitze Gottes stammen.“ Und in dem zweiten Liede (S. 621): „Weg, weg mit solchem wüsten Wahn! Empor zur höchsten Sonnenbahn, Wo jenes Herz der Liebe schlägt, Das aller Himmel Himmel trägt.“ Den Zorn der Liebe hat er eigens besungen (S. 368. 370) und damit einen Commentar geliefert zu Ps. 4,5 und Ephes. 4,26: „Zürnet, doch sündiget nicht.“ Diesen Zorn der Liebe hat er meisterlich sein Leben lang erwiesen, zumal gegen die Versuchungen und Sünden alles wälschen Wesens, wie er dies selbst in dem Liede „Lug ins Leben“ S. 255 ausspricht, wo er ruft: „Dank dir, allmächtiger Gott, für den allmächtigen Zorn!“ Das Verhältniß des Zorns zur Liebe schildert er, wenn er singt: „Durch Muth und stolze Thränen Und Arbeit und Gefahr Wird ihr (der Liebe) unendlich Sehnen Allein hinieden klar.“ Der Zorn ist ihm die Wehr und Waffe der Liebe gegen Satan und seine Verführung, gegen Schlaffheit und Tod; er vergleicht die Liebe der Rose und den Zorn dem Rosendorn, indem er singt: „So blühe, Rose, blühe! Blüh, Liebe, scharf im Dorn! Komm du, mein Blitz, und sprühe! Sprüh’, sprühe, edler Zorn! Komm, Stolz, und nimm die Waffen Der Arbeit und der Noth! Was frommte dir der Schlaffen Lebendig oder Tod?“ Doch nun zum Schluß! Die Reihe dieser Gesänge, deren erster 1787, deren letzter 1859 entstanden, die also einen Lebensraum und Lebensweg von 73 Jahren überschauen lassen, einen Weg, auf dem, in die Tiefe und in die Höhe, in des Todes Thal und des Himmels Saal hineingeführt, der Dichter von seinen Irrgängen wie von seinem ewigen Lebensziele, von seinen Kämpfen auf beiden Pfaden Zeugniß gibt, die Reihe dieser Gesänge ist es wohl werth, daß die Evangelische Kirche Deutschlands sich, wenn auch nicht zum eigentlich gottesdienstlichen Gebrauch, das aus ihnen herauslese und

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zueigne, was ihres Herrn Zeichen an sich trägt. Und solcher Gesänge sind, wie wir gezeigt zu haben glauben, nicht wenige. Ehre, Preis und Dank sei daher dem barmherzigen Gott, der auch durch diesen von der Welt so gefeierten Mund Seinen Namen hat wollen lassen verherrlichen und kund werden Vielen, die in der Irre gehen. Wir schließen mit dem Liede „der Fels des Heils“ S. 475, das uns für Zeit und Ewigkeit das Siegel der Arbeit dieses nun ausruhenden Sängers für die Kirche Jesu Christi sein und bleiben möge: „Ich weiß, woran ich glaube, Ich weiß, was fest besteht, Wann Alles hier im Staube Wie Sand und Staub verweht; Ich weiß, was ewig bleibet, Wo Alles wankt und fällt, Wo Wahn die Weisen treibet Und Trug die Klugen prellt. Ich weiß, was ewig dauret, Ich weiß, was nimmer läßt, Mit Diamanten mauret Mir’s Gott im Herzen fest, Ja, recht mit Edelsteinen Von allerbester Art Hat Gott der Herr den Seinen Des Herzens Burg verwahrt. Ich kenne wohl die Steine, Die stolze Herzenswehr, Sie funkeln ja mit Scheine Wie Sterne schön und hehr: Die Steine sind die Worte, Die Worte hell und rein, Wodurch die schwächsten Orte Gar feste können sein. Auch kenn ich wohl den Meister, Der mir die Feste baut, Er heißet der Fürst der Geister, Auf den der Himmel schaut, Vor dem die Seraphinen Anbetend niederknien, Um den die Engel dienen; Ich weiß und kenne ihn. Das ist das Licht der Höhe, Das ist der Jesus Christ,

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Der Fels, auf dem ich stehe, Der diamanten ist, Der nimmermehr kann wanken, Der Heiland und der Hort, Die Leuchte der Gedanken, Die leuchten hier und dort. So weiß ich, was ich glaube, Ich weiß, was fest besteht, Und in dem Erdenstaube Nicht mit als Staub verweht; Ich weiß, was in dem Grauen Des Todes ewig bleibt Und selbst auf Erdenauen Schon Himmelsblumen treibt. Nr. 34 L[udwig] Köppe: Das Leben und Wirken Ernst Moritz Arndt’s, in: Die Wissenschaften im neunzehnten Jahrhundert, ihr Standpunkt und die Resultate ihrer Forschungen. Eine Rundschau zur Belehrung für das gebildete Publikum, Bd 5, Sondershausen 1860, 313– 335 [S/S Nr. 1868 (dort aber fälschlich unter dem Jahr 1858 vermerkt!); Loh 2166]148 Dem deutschesten unter den deutschen Dichtern haben die Wellen der Ostsee das Wiegenlied gesungen. Ernst Moritz Arndt ist geboren am 26. December 1769 zu Schoritz auf der Insel Rügen, die damals noch schwedisch war. Sein Vater, um jene Zeit Verwalter der Schoritzer Güter, war ein Leibeigener gewesen, den sein Herr, Graf Putbus, freigelassen, auf Reisen mitgenommen und zu mancherlei Geschäften gebraucht hatte. Auf diesen Reisen und im Verkehr mit der guten Gesellschaft hatte sich der Sohn des gutsunterthänigen Schäfers Arndt soviel Bildung angeeignet, als damals ein Ungelehrter in Deutschland überhaupt erwerben konnte. So durch die Gunst der Umstände aus dem Staube herausgebildet, mit allen Gaben des Körpers und vielen praktischen Talenten und Fertigkeiten ausgestattet, war er ein rüstiger, strenger und sehr energischer Mann, der es sich ernstlich angelegen sein ließ, seine Kinder zu guten und tüchtigen Menschen zu erziehen. Auch die Mutter, obgleich nur die Tochter eines kleines Ackerbesitzers, hatte eine bessere Erziehung genossen, als man von der Lage ihrer Aeltern erwarten durfte. Eine geistig sehr begabte Frau, die auf Schein und Genuß gar keinen Werth legte, von Charakter ernstmild und muthig, in Bibel, Gesangbuch und Märchenwelt wohl bewandert, übte sie auf das Gemüth und die Phantasie der Kinder den segensreichsten Einfluß aus. So sehen wir in dem niederen und unscheinbaren Stamme, aus welchem Ernst Moritz Arndt entsprossen ist, die seltenen Vorzüge 148 Köppes Arndt-Biographie erschien 1864/65 etwas erweitert unter dem Titel: E.M. Arndt. Eine Biographie (Deutschlands moderne Klassiker, hg. v. Karl Wachler, Lfg. 2), Leipzig 1865 [S/S Nr. 1792; Loh 1422]. Im 1860 publizierten Aufsatz sind zahlreiche wörtliche Übernahmen aus dem anonymen Arndt-Nekrolog der Kölnischen Zeitung (oben Text Nr. 14) sowie aus dem Nachruf von Hermann Grieben (oben Text Nr. 16) enthalten.

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geistiger und leiblicher Gesundheit glücklich vereinigt, und wohl dürfen wir das Loos des Knäbleins preisen, das einem so wackeren Aelternpaare am zweiten Christtage des Jahres 1769 bescheert ward. Die ersten Jahre der Kindheit verlebte der kleine Moritz in dem höchst anmuthig an einer Meeresbucht gelegenen Schoritz, die Zeit von 1776 bis 1780 brachte er in dem nahen Dumsevitz zu, welches der Vater nebst anderen Gütern in Pacht genommen hatte. Den Aeltern machte die Erziehung ihrer Kinder oft schwere Sorgen. Es gab in der Nähe keine Schule, wohin sie dieselben zum Lernen schicken konnten, und einen Hauslehrer zu halten, gestatteten damals nicht ihre Mittel. Da unternahmen sie es denn selbst, ihre Kinder in den ersten Anfangsgründen des menschlichen Wissens zu unterweisen, wozu sie freilich nur im Herbste und Winter die nöthige Muße hatten. Bis in sein zwölftes Lebensjahr entbehrte der kleine Moritz jedes ordentlichen und regelmäßigen Unterrichts, dafür aber durfte er alte Geschichtsbücher und Chroniken lesen, soviel er wollte. Unter diesen waren es besonders die Schriften Pufendorf ’s und Anderer, die den dreißigjährigen Krieg, die herrschsüchtigen Ränke und Gewaltthaten Ludwigs XIV. beschrieben haben, die ihm schon damals Abneigung, ja Abscheu gegen das französische Volk einflößten. Auch wurde frühzeitig durch das Lesen von Zeitungen der politische Sinn in ihm geweckt, der sich sofort unter dem Einfluß überlieferter Anschauungen und Gewohnheiten in streng monarchischer Richtung entwickelte. Im Jahre 1780 zog die Familie nach dem in der nordwestlichen Ecke der Insel, dicht am Meere und nur eine Meile von Stralsund gelegenen Grabitz, das der Vater nebst einem anderen Gute und zwei Bauerndörfern pachtweise übernommen hatte. Hier wurde zuerst ordentlich Schule gehalten von einem Hauslehrer aus Sachsen, einem ehemaligen schwedischen Unteroffizier, der den Korporalstock mit dem Schulmeisterbakel vertauscht hatte. Von diesem Manne lernten die Kinder in zwei Jahren soviel, als er selbst wußte, was freilich bluthwenig war. Dann kam ein Herr Dankwardt, ein Candidat der Theologie in’s Haus, und mit diesem tüchtigen und pflichtgetreuen Manne, der, obwohl nicht frei von den Wunderlichkeiten der Originalgenies jener Zeit, doch in seinem innersten Wesen voll Freundlichkeit und Frömmigkeit war, begann ein neuer Abschnitt in dem Leben und der geistigen Entwicklung der Kinder. Nicht nur lehrte er sie Alles, was damals von einem Hauslehrer verlangt ward, sondern brachte auch durch seinen Verkehr mit Candidaten und Lehrern der Umgegend, unter denen Kosegarten, der Dichter der „Jucunde“, und der genialexcentrische Hagemeister von Stralsund wohl die ausgezeichnetsten waren, manchen geistigen Zünd- und Nahrungsstoff in das Haus. Die Menschen waren damals von tausend neuen Ideen, die gleichsam in der Luft lagen, frisch angeweht; man lebte bei aller äußerlichen Ruhe in der tiefsten geistigen Erregung. Es war dies die Epoche des Sturmes und Dranges, jene poetische Morgenröthe einer besseren Zeit, wo Deutschland nach einem langen matten Träumen wieder zu einem eigenthümlichen poetischen und literarischen Dasein erwachte; und es war ein schönes Zeichen der Zeit, daß nicht bloß die Studirenden und Gebildeten, sondern selbst ungelehrte und einfache Menschen wie die Aeltern unseres Moritz an jenem Aufschwung der Geister den innigsten Antheil nahmen. Schon war man über den Grandison und die Pamela, über Gellert’s schwedische Gräfin und Miller’s Siegwart zu Werther’s Leiden, zu Eschenburg’s und Wieland’s Shakespeare-Uebersetzungen fortge-

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schritten, und Lessing, Claudius, Bürger, Stollberg wurden von Alt und Jung mit Jubel begrüßt. Die frische Lebensluft der Zeit wirkte natürlich auch auf die Kinder vielfach fördernd und anregend ein. Die Begeisterung für die Dichter, welche sie lasen, reizte die größeren unter ihnen zu allerlei poetischen Versuchen. Zuerst fing der jüngere Bruder Fritz an Verse zu machen, und erregte dadurch die poetische Ader unseres Moritz, der von jeher ein Freund der Geschichten und Märchen, sich mit besonderem Eifer und Geschick auf das Geschichtenerzählen legte. Bei diesen jugendlichen Spielen und Entwickelungen, worin schon einzelne höhere und edlere Keime lagen, blieben die Kinder doch streng in den Schranken des älterlichen Standes und Vermögens. Sie wurden zu häuslichen und ländlichen Arbeiten angehalten und überhaupt einfach und streng, ja beinahe hart erzogen. Der Vater, damals noch jung und rüstig, erließ ihnen keine der Arbeiten und Entbehrungen, die er selbst in seiner Jugend hatte ertragen müssen, und suchte sie auf jede Weise abzuhärten. In Wetter und Wind, nur leicht bekleidet, wurden sie auf ’s Pferd gesetzt und mußten meilenweit reiten, um Briefe in der Nachbarschaft zu bestellen. Wenn der kleine Moritz um Mitternacht verschlafen im Schlitten lag, warf der Vater oft absichtlich um, daß der Junge sich im Schnee wälzen mußte. Die Pferde mußte er splitternackt in die Schwemme reiten, und wenn er dann in Dornen und Nesseln abgeworfen ward, so durfte er, wie sehr das Fell ihn brannte, nicht sauer dazu sehen. Die Kost war einfach, größte Mäßigkeit in allen Dingen die Regel. Wenige Stunden Nachtruhe genügten unserem Moritz, der selbst im zarten Knabenalter sich nicht viel aus dem Schlaf machte, selten vor Mitternacht zu Bett ging, im Sommer mit der Sonne wieder auf den Beinen war und deswegen den Beinamen „Lerche“ erhielt. Die gottesfürchtige Zucht, die guten alten Sitten waren damals, wenigstens in Rügen, noch nicht gelockert, der fromme evangelische Kirchenglaube galt hier noch für das Fundament einer christlichen Kindererziehung. Keinen Sonntag wurde der Gottesdienst ohne den triftigsten Grund versäumt; aber auch bei den Katechismusprüfungen, die Nachmittags in der Kirche stattfanden, durften die Kinder nicht fehlen. Nachdem Moritz im Schooße der Natur und in einfachen ländlichen Verhältnissen eine glückliche Kindheit verlebt hatte, ward er 1787 nach Stralsund auf das Gymnasium gebracht, wo er sofort in die Secunda eintrat. Er kam nach Stralsund sehr ernst gestimmt und mit sehr festen Entschlüssen, denen er auch keinen Augenblick untreu geworden ist. Er war gesund, stark und rüstig und hatte sich vorgenommen, es auch um jeden Preis zu bleiben. Der Sinn der Menschen war damals auf sinnliches Wohlleben gerichtet, er aber riß sich aus den Genüssen des städtischen Lebens, aus den Freuden des inzwischen behaglicher gewordenen Aelternhauses zu Löbnitz, wo die Familie jetzt wohnte, streng wieder zu seiner Schule und noch strenger zu den freiwilligen Mühen und Strapazen, denen er seinen Leib unterwarf. Als die glühenden Triebe der Jugend erwachten, stürzte er sich, um das heiße „Arndtsblut“ zu kühlen, noch im Oktober und November in die eisigen Fluthen des Meeres. Freiwillig legte er sich damals und später die härtesten Entbehrungen auf und durchstrich meilenweit Wälder und Felder, indem er sich die Horazischen Worte zurief: Hoc tibi proderit olim! Und der Spruch hat sich bewährt, wie er als Greis dankbar rühmte. Drei Jahre lang besuchte der Jüngling das Gymnasium, dem es damals keineswegs an Geist und Gelehrsamkeit gebrach. Dann entwich er plötzlich, einem dunkeln

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Drange folgend, im Herbste 1789 von Stralsund, ohne daß er einen anderen Grund anzuführen wußte, als daß die geselligen Genüsse zu verlockend wären und er gefürchtet hätte, zu einem weichlichen und lüderlichen Lappen zu werden. Er kam jedoch nicht allzuweit und war nach einigen Tagen wieder im Aelternhause zu Löbnitz, wo er nun mit eisernem Fleiße studirte, um zu Ostern 1791 die Universität Greifswald beziehen und sich dort dem Studium widmen zu können. In Greifswald verweilte er zwei Jahre, dann setzte er seine Studien in Jena fort, wo er bis zum Herbste 1794 blieb. Griesbach, Schütz, Reinhold, Ulrich, Paulus und Fichte waren hier seine Lehrer. Aus der Philosophie, die damals die Geister mächtig erregte, wußte er nur geringen Gewinn zu ziehen; doch begeisterte ihn Fichte’s edle und tapfere Persönlichkeit. Auch für die eigentliche Gelehrsamkeit fühlte er keinen Beruf, obgleich er in seinem Gedächtnisse einen Schatz von Kenntnissen aufspeichert, wie sich dessen wohl nur Wenige rühmen können. Gegen Ende des Oktober 1794 kehrte er zu seinen Aeltern nach Löbnitz zurück, wo er als Hauslehrer seiner jüngern Geschwister zwei behagliche Jahre verlebte. Nebenbei predigte er zuweilen in der Nachbarschaft, und zwar mit soviel Beifall, daß er wohl eine gute Pfarrstelle würde erhalten haben. Allein die Theologie, die damals sehr lau und matt betrieben wurde, befriedigte ihn nicht; er ließ sich daher von den fetten Rügen’schen Pfründen nicht locken, sondern gab seinen geistlichen Beruf auf, um sich in die volle Weltlichkeit zu stürzen. Er war jetzt achtundzwanzig Jahre alt und sehnte sich die Welt zu sehen. Sein Vater, der sich inzwischen zu einer gewissen Wohlhabenheit emporgearbeitet hatte, reichte ihm die Mittel, und er verstand es, so spärlich sie waren, sich damit zu behelfen. So pilgerte er denn als „Bruder Sorgenlos“ anderthalb Jahre vom Frühling 1798 bis zum Herbst 1799 in der Welt umher, wanderte über Wien durch Ungarn nach Italien, von Nizza über’s Meer nach Marseille, und kehrte nach einem längeren Aufenthalt in Paris zuletzt über Brüssel, Köln, Frankfurt, Leipzig, Berlin in die Heimath zurück. Auf diesem Ausfluge, den er mehr aus Instinkt, als für einen bestimmten Zweck unternommen, hat er zuerst die Dinge, Menschen und Völker sehen und erkennen gelernt. Das ist seitdem sein eigentliches Fach geblieben. Die Menschen in ihren geistigen und leiblichen Eigenthümlichkeiten zu beobachten, die Sitten und Sprachen der Völker zu ergründen und zu vergleichen, war und blieb seine Lieblingsbeschäftigung. Der Heimgekehrte sann lange hin und her, was nun zu thun sei. Eine alte Liebe, die seit fünf Jahren schon im Stillen brannte, gab endlich den Ausschlag. Er ging nach Greifswald, heirathete dort die Tochter des Professors Quistorp, ward Privatdocent, im folgenden Jahre Adjunkt der philosophischen Facultät mit 300 Thalern Gehalt und im Jahre 1805 außerordentlicher Professor mit einer Gehaltsverbesserung von etwa 200 Thalern. Da saß er nun in sturmbewegter Zeit, fern vom Schauplatz der großen Weltbegebenheiten ruhig in einer kleinen Universitätsstadt am baltischen Meere. Wohl jammerte ihn jeder Sieg, den die Franzosen über die Deutschen davontrugen, aber sein Herz schlug noch nicht für das große deutsche Vaterland. Wo war damals auch ein deutsches Vaterland? Sein Vaterland war Schweden! Zwar die alte Abneigung gegen die Franzosen war gewachsen, seitdem er die „große Nation“ selbst kennen gelernt und überall am Rhein „die von ihr zertretenen Trümmer der alten deutschen Herrlichkeit“ gesehen hatte. Wohl empfand er Unmuth und Aerger, aber noch nicht den rechten

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Zorn und Haß gegen die Erzfeinde und Dränger Deutschlands. Wie die edelsten und besten Männer seiner Zeit, träumte er noch von einem allgemeinen Weltbürgerthum, worin die einzelnen Nationalitäten nach dem endlichen Siege der mit Jubel begrüßten neuen Ideen verschwinden würden. Er bewunderte selbst den ersten Consul Bonaparte, so lange dieser als ein „Held der Freiheit“, als ein Rüstzeug der liberalen Ideen erschien. Inzwischen schritt der junge Docent auf seiner neuen Laufbahn rüstig vorwärts und sammelte bald ein Häuflein eifriger Zuhörer um sich. Da traf ihn plötzlich ein harter Schicksalsschlag, der seinen frisch aufstrebenden Geist einen Augenblick niederdrückte, um ihm einen um so kräftigeren und für die ganze Lebenszeit entscheidenden Aufschwung zu geben. Sein heißgeliebtes Weib starb schon im zweiten Jahre der Ehe und hinterließ ihm die Sorge für das erstgeborne Söhnlein. „Es giebt eine Stufe“, schrieb der betrübte Gatte bald nach diesem herben Verlust, „worauf die Liebe ihre verlorene Welt wiederfindet: das heitere und besonnene Anschauen der Nothwendigkeit.“ In diesem männlichen Entschlusse raffte er sich aus seinem Schmerze auf und schrieb, durch die gewaltigen Ereignisse der Zeit veranlaßt, sein erstes publicistisches Werk, welches 1803 zu Altona erschien: „Germania und Europa“. Alles Elend der Zeit und des Vaterlandes, das französische Uebergewicht, das nivellirende System der Aufklärung und der Revolution war darin aus der „übertriebenen Geistigkeit“ (dem transcendentalen Idealismus) der Menschen hergeleitet; wie aber der Mensch des Jahrhunderts, so sei auch der Staat. In reiferen Jahren hat Arndt dieses Erstlingswerk eine „wilde und bruchstückige Aussprudelung seiner Ansicht der Weltlage von 1802“ genannt; wir aber bewundern noch heute die Energie, mit welcher der dreiunddreißigjährige Docent damals darauf gedrungen, aus dem Aether der Idee wieder auf den Boden der Wirklichkeit hinabzusteigen und endlich einmal zur Ausführung des als gut und möglich Erkannten zu schreiten. Dieselbe Tendenz hat auch ein damals von ihm verfaßtes Lustspiel: „Der Schah und seine Familie“,149 das einige Philosophen und Pädagogen jener Zeit geißelte. Fast gleichzeitig erschien von ihm in Berlin der „Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen“, ein Buch, das er gegen den Rath seiner Freunde in dem festen Bewußtsein geschrieben, daß die Wahrheit der Geschichte ihr heiliges Recht nicht aufgeben darf. Er hatte es geschrieben nicht mit dem leeren Phrasengeklingel und den windigen Lehren des Tages gerüstet, sondern in dem festen Geleise der Erfahrung und der Urkunden einherschreitend. Er selbst stammte von Leibeigenen ab und sah mit Schmerz und Ingrimm wie in seiner Heimath die Bauern seit dem sechszehnten Jahrhundert nicht nur aus Freiheit und Wohlstand zu schmählicher Knechtschaft herabgedrückt waren, sondern auch wie ein Bauernhof nach dem anderen „gelegt“, d. h. zerstört wurde. Da ruhte er nicht, bis er die alten verjährten Mißbräuche seiner Heimath zur Sprache gebracht hatte, wodurch er sich freilich den Haß der Junker zuzog, deren unverantwortliches Treiben er schonungslos aufdeckte. Einige von ihnen verklagten ihn beim Könige von Schweden, der Anfangs sehr ungehalten war;

149 Der originale Titel lautet aber: „Der Storch und seine Familie“.

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aber als Arndt sich verantwortet hatte, sagte er: „Wenn dem so ist, so hat der Mann Recht“, und hob bald nachher die Leibeigenschaft auf. Im Herbste 1803 erhielt Arndt auf ein ganzes Jahr Urlaub zu einer Reise nach und durch Schweden. Nach seiner Rückkehr gab er die „Fragmente über Menschenbildung“ und die „Reisen durch Deutschland, Ungarn, Italien, Frankreich und Schweden“ (acht Bände) heraus, deren Tendenz eine durchaus kosmopolitische war und sogar eine aufrichtige Lobrede auf den Consul Bonaparte gestattete. „Es ist schön“, lautete das Motto dieses Werkes, „sein Vaterland lieben und Alles für das dasselbe thun, aber schöner noch, unendlich schöner, ein Mensch sein und Alles Menschliche höher achten, als das Vaterländische.“ Indessen war bereits jene furchtbare Katastrophe, die mit dem Untergange des „uralten und heiligen Reichs der Germanen“ endigte, über das Vaterland hereingebrochen. Der gepriesene „Freiheitsheld“ Bonaparte hatte die liberale Maske fallen lassen und sich als ehrgeizigen Despoten, als unersättlichen Eroberer zu erkennen gegeben. Und als nun nach dem schimpflichen Friedensschlusse von Luneville die Franzosen anfingen, einen schmachvollen Schacher mit deutschen Gebietstheilen zu treiben, als endlich Oestreich und Preußen, diese beiden letzten Stützen des wankenden Reichsgebäudes, nach vergeblichen Kämpfen gefallen waren, da erwachte in dem Herzen des schwedischen Kosmopoliten die Liebe zum deutschen Vaterlande, der rechte deutsche Zorn und Haß gegen die Franzosen, die übermüthigen, habgierigen Feinde des Reichs. Fortan war sein ganzes Dichten und Trachten nur noch auf Wiederherstellung eines starken und einigen Deutschlands gerichtet. Von dem heiligen Zorne der Freiheits- und Vaterlandsliebe hingerissen, schrieb er im November und December des Jahres 1805 den ersten Theil seines berühmten Werkes über den „Geist der Zeit“, der in mehr als einer Beziehung den gewaltigsten Einfluß auf das deutsche Volk und auf den Verfasser selbst gehabt hat. Die Deutschen huldigten damals den Lehren des Materialismus und des Weltbürgerthums, wie sie im Zeitalter der Aufklärung überall im Schwange waren. Gegen sie erhob nun Arndt seine ernste und gewichtige Stimme. Mit edlem Grimm ruft er aus: „So sind wir flach, arm und elend, ohne Liebe und ohne Phantasie, ohne Vaterland und Freiheit, ohne Himmel und Erde. Die Väter hatten doch noch einen Gott, der ihnen Schrecken und Freude brachte, ein allmächtiges Schicksal, die Idee einer ewigen Nothwendigkeit; wir sind so klein geworden, daß die Erhabenen uns nicht mehr treffen, sicher kriechen wir unter ihren Donnerschlägen hin. Religion – der schlaue Sclav hat sie nie gehabt, sie keimt nur aus Lebensfülle, aus gemeinschaftlichen Kampfe in Freud und Leid. Der Mensch, der keine Menschheit anerkennt, kann diese heiligen Gefühle nicht haben, er hat nur einen hohlen Aberglauben, worin sich seine wimmernde Eitelkeit widerspiegelt.“ – In diesen Sätzen ist die große Wahrheit ausgesprochen, daß ein Volk nur dann kräftig auftreten kann, wenn es den augenblicklichen Genuß des Lebens höheren und übersinnlichen Ideen unterzuordnen weiß. Mit derselben Entschiedenheit tritt er dem Weltbürgerthum entgegen, das seinen Stolz darin setzt, keine Physiognomie und keinen Charakter zu haben. Seine Kritik des deutschen Idealismus verdient noch heute beherzigt zu werden. „Es ist wahr, wir können mit Zufriedenheit auf unsere Ideenarbeiten hinblicken, aber mit Wehmuth müssen wir auch gestehen, daß dieser himmlische Reichthum uns irdisch arm gemacht hat, und daß Andere unsere Erde zu besitzen kommen, während wir für sie den Himmel erobern. Es

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ist verzeihlich, daß wir in der Begier, das Herrlichste zu gewinnen, das Kleinere vergessen haben, aber mit Recht sind wir dadurch den Anderen zum Gespött geworden. Solches Hinausspielen des wirklichen Lebens in eine fremde Welt, solche Ungestalt und Ueberfließung in ein fast ganz leibloses Dasein, ist nirgends in Europa so zu sehen, als bei uns, und wenn die Fremden den Ursprung dieses Zustandes so erblicken könnten, als die Gescheidtesten von uns selbst, sie würden sich über uns noch mehr wundern. Daher unsere politische Erbärmlichkeit und Hülflosigkeit, daher, während die Besseren von uns das höchste Leben der Zeit und aller Welt so genialisch darstellen, die Schlechteren wegen Mangels irdischer Haltung und Kraft so unbeschreiblich kümmerlich zerflossen.“ Was vor ihm nur Wenige zu denken gewagt, Arndt ruft es laut in die Welt hinaus: „Der Despotismus kommt nicht durch schlaue List über die Welt, sondern durch die Gesammtschuld der übergeistigen Bildung. Der Despot regiert nur, weil man glaubt, daß er regiere.“ Ein junger und fast noch unbekannter Mann, wagte er es, dem Jahrhundert den Fehdehandschuh hinzuwerfen und Gericht zu halten über alte und neue Völker, über Republiken und Despoten, über Altadelige und Emporkömmlinge. Er allein hatte den Muth, dem französischen Imperator vor aller Welt die Maske abzureißen und dem Continent, auf welchem „der Moder der Zeit dick lag“, das Bild seines Tyrannen und seiner Schande zu entrollen. Der erste Band dieses epochemachenden Werkes, der wie ein Feuerbrand in das offene Pulverfaß des Franzosenhasses flog, erschien 1806 in Druck, ward sofort in alle lebenden Sprachen übersetzt und von ganz Europa gelesen. Dem Verfasser, der im Sommer jenes Jahres die Ehre des deutschen Volkes gegen einen schwedischen Offizier mit seinem Blute vertheidigte, trug die Schrift zunächst Verfolgungen und eine Achtserklärung von Seiten der Franzosen ein. Nach dem unglücklichen Ausgange des französisch-preußischen Krieges von den heranstürmenden Feinden bedroht, floh er zu Weihnachten 1806 über’s Meer nach Schweden unter den Schutz seines Monarchen Gustav  IV. In Stockholm fand er sogleich eine bestimmte Bestätigung in der Staatskanzlei, die ihm hinlängliche Muse[!] ließ, den zweiten Theil zum „Geist der Zeit“ zu schreiben. Als aber im Frühling 1809 Gustav IV. durch die revolutionäre französisch gesinnte Partei zur Abdankung gezwungen ward, und Bernadotte kraft eines Napoleonischen Dekrets den schwedischen Thron bestieg, da fühlte er, daß in Stockholm seines Bleibens nicht länger sein konnte. Die alte Wanderlust erwachte in ihm, und von politischer Unruhe und Sehnsucht nach der Heimath getrieben, kehrte er unter allerlei Verkleidungen nach Deutschland zurück. Von Rügenwalde, wo er im Herbste 1809 landete, wanderte er längs der pommerschen Küste, „erkannt aber unverrathen“, bis in seine Rügensche Heimath. Hier fand er den Vater nicht mehr unter den Lebenden; die Mutter war ihm schon mehrere Jahre früher in’s Jenseits vorangegangen. Nach einem kurzen Besuche bei seinen Geschwistern ging er als „Sprachlehrer Allmann“ nach Berlin, wo er in dem Buchhändler Georg Reimer einen treuen Freund fand. Zu Ostern 1810 konnte er nach Greifswald zurückkehren, wo er in sein Lehramt wieder eingesetzt ward. Aber es duldete ihn nicht länger in dem engen Kreise meist französisch gesinnter oder gesinnungsloser Kollegen, dem er geistig längst entrückt war. Schon im Sommer 1811 suchte und erhielt er seine Entlassung, und nun begann er seine große Irrfahrt, die er selbst seine „abenteuerliche Hedschra“ genannt hat. Er ging zunächst auf kurze Zeit wiederum zu den Seinigen, und im Januar 1812 nach Berlin,

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um von da, mit russischen und österreichischen Pässen versehen, nach Breslau zu gelangen, wo er mit Blücher, Scharnhorst, Gneisenau und anderen hervorragenden Männern, die dort mit Ungeduld der Befreiungsstunde entgegenharrten, vielfach verkehrte. Er sah sich jedoch bald genöthigt, um seiner Sicherheit willen Breslau zu verlassen. Im Juni ging er nach Prag, wo er den preußischen Staatsrath Gruner traf, der ihm sogleich mittheilte, der Minister von Stein wünsche ihn baldigst bei sich zu sehen. Stein war damals in Petersburg, wo er als Rathgeber und gleichsam als Deutschlands Vertreter in dem großen Entscheidungskampfe dem Kaiser Alexander zur Seite stand. Arndt folgte der Einladung des gleich ihm von Napoleon geächteten und wüthend verfolgten Staatsmannes um so lieber, als die Franzosen ihm bereits auf den Fersen waren. Er wanderte durch Böhmen und Galizien, über Smolensk, Kiew, Moskau nach Petersburg, wo er Ende August anlangte. Seine Feder hatte inzwischen nicht geruht; es erschienen von ihm in jener Zeit die „Briefe an Freunde“; dagegen blieben die Schriften über die „Geschichte und Verfassung Schwedens“, sowie die „Uebersicht der deutschen Geschichte“ vorläufig noch ungedruckt. Stein, der ihn aus seinen Schriften als einen wackern deutschen Patrioten kennen gelernt hatte, empfing ihn freundlich mit den Worten: „Gut, daß Sie da sind; wir müssen hoffen, daß wir hier Arbeit bekommen.“ Bald hatten beide vollauf zu thun. Es galt jetzt, den übermüthigen Tyrannen und Eroberer zu stürzen, und das deutsche Volk zu einem letzten Vernichtungskampfe aufzustacheln. Unter der Leitung des großen deutschen Staatsmannes setzte Arndt an der Newa die patriotische Thätigkeit fort, die er in Deutschland mit so vielen Opfern und ohne Aussicht auf Erfolg begonnen. Während sein „Herr“, wie er den Freiherrn von Stein zu nennen liebte, mit der ganzen Kraft seines Heldengeistes an der Befreiung Europas und Deutschlands arbeitete, läutete er selbst zuerst mit der „Glocke der Stunde in drei Zügen“ Sturm gegen die „Wälschen“. Diese Flugschrift, die auf Befehl des Kaisers und auf öffentliche Kosten gedruckt und in’s Russische übersetzt ward, enthielt eine Aufforderung an die Deutschen zum Eintritt in die deutsche Legion, sodann eine „Stimme der Wahrheit“ und endlich Mittheilungen „aus Bonaparte’s Leben“. Darauf folgte der gleichfalls auf Staatskosten in Petersburg gedruckte „Soldatenkatechismus für die deutsche Legion“ und der „historische Almanach für 1813“. Außer diesen Schriften verfaßte Arndt im Auftrag seines Gönners eine große Anzahl von Aufforderungen, Verkündigungen und Widerlegungen Napoleonischer Bekanntmachungen, half ihm vielfach bei seiner ausgebreiteten diplomatischen Correspondenz und theilte überhaupt redlich mit ihm alle Mühen und Arbeiten, welche das große Befreiungswerk nothwendig machte. Dies und die Uebereinstimmung der Ansichten und Gesinnungen riß alle trennenden Schranken nieder, welche Geburt, Rang und Sitte zwischen den beiden großen Vorkämpfern der deutschen Freiheit aufgerichtet hatten. Der plebejische „Bücherschreiber“, der Sohn des ehemaligen Leibeigenen stand mit dem deutschen Reichsfreiherrn und Minister auf einem solchen Fuße, als hätten sie schon Jahre lang mit einander gelebt und verkehrt. Wenn solche Männer sich verbanden, um die widerstrebenden Russen in den Kampf zu treiben und das deutsche Volk zu einer Gesammterhebung anzuspornen, so durfte man noch nicht an der Rettung des Vaterlandes verzweifeln. Während Arndt sich in Petersburg, wohin er als „lauschender Abenteurer des Glücks“ gekommen war, unter dem Schutze Steins in einer sicheren und ehrenvollen

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Stellung mehr und mehr befestigte, rückte die große Entscheidung mit dem siegreich vordringenden Franzosen immer näher. Obgleich die Niederlage bei Borodino und der Brand Moskaus alle Feigen und Kleinmüthigen gewaltig schreckte, ward doch nicht Friede geschlossen. Dank der unerschütterlichen Festigkeit und den weisen Rathschlägen Steins. Und nicht lange, so kam die Freudenbotschaft, daß der stolze Eroberer und seine Heerhaufen durch Eis und Schnee den Rückmarsch angetreten habe. Der große Weltkampf zog von dem Osten gegen Westen. Die beiden Patrioten an der Newa blickten jetzt mit dreifacher Sehnsucht in diesen Westen und nach dem geliebten Heimathslande; sie wollten und mußten mitziehen. Am 5. Januar 1813 reisten Beide von Petersburg ab und kamen am 21. Januar in Königsberg an. Hier verlebten sie, von der gesammten Bevölkerung mit enthusiastischen Freudenbekundungen empfangen, „wahrhaft königliche Tage“. In Königsberg wurden sogleich die ersten Vorbereitungen zu dem künftigen deutschen Volkskriege getroffen. Das ganze Volk der Ostpreußen bis in die untersten Stände herab brannte vor Begierde, sich in den Kampf gegen die verhaßte Fremdherrschaft zu stürzen. Von der ungeheuren Aufregung, von der glühenden patriotischen Begeisterung, welche damals die Gemüther ergriffen hatte, kann man sich in unserer kälteren und ärmeren Zeit schwerlich eine richtige Vorstellung machen. Es war Alles bitterster, heiligster Ernst, was den Leuten jetzt als ein kindliches, ja kindisches, höchstens als ein gemachtes poetisches Spiel erscheinen würde. In Königsberg schrieb Arndt, nachdem er bereits durch seinen Aufruf „an die Preußen“ auf York’s patriotischen „Abfall“, vorbereitet hatte, das Büchlein über „Landwehr und Landsturm“, welches bald durch ganz Deutschland flog und an den verschiedensten Orten wieder abgedruckt wurde. Im Frühling 1813 folgte Arndt seinem „lieben Herrn“ nach Kalisch, ging von da nach Breslau, wo der König bereits am 3. Februar den herrlichen Aufruf an sein Volk und die Kriegserklärung an Frankreich erlassen hatte, und im Anfange des April nach Dresden, in dessen Mauern jetzt ein kaiserlich-russischer und königlich preußischer Verwaltungsrath für die deutschen Angelegenheiten und Lande unter der Leitung des Ministers vom Stein täglich Sitzung hielt. Hier begann ein neuer Abschnitt in dem politischen Wanderleben der beiden großen Patrioten. Der Kampf, zu dem sie im fernen Osten das deutsche Volk angefeuert, brach endlich los; Arndt ward der vornehmste Sänger, sein Herr und Meister der größte und genialste Organisator dieses heiligen Volkskrieges. In Dresden entstand auch der dritte Theil vom „Geist der Zeit“, zu welchem der Verfasser schon in Königsberg das Material gesammelt hatte. Wie klar und richtig er das Ziel des bevorstehenden Kampfes erkannte, mag folgende Stelle zeigen. „Das nächste große Ziel dieses mit solcher Würde und Hoheit der Gesinnung begonnenen Krieges ist die Befreiung und Wiederherstellung Italiens und Deutschlands und die Beschränkung des französischen Uebermuths an dem Rheinstrom. Dort beginnt die Arbeit des Kriegs, vielleicht eine lange und schwere Arbeit, die aber gethan werden muß, wenn man nicht bei Halbem stehen bleiben und nach einigen Jahren die Franzosen wieder sehen will, wo sie eben gewesen sind. Den Rhein darf das unruhige und eroberungslustige Volk nimmer als Grenze behalten; denn welche Klauseln und papierne Eidschwüre und Verschreibungen man auch an einen Friedensschluß hängen und von wie vielen Bürgen und Zeugen man ihn auch mit unterschreiben lassen mag, die natürliche Gewalt wird immer stärker sein als die künstliche, wenn die Grundlage

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des Friedens nicht eine sichere ist. Der Rhein mit seinem Knie in fremder Hand drückt gerade auf den Nacken Deutschlands und wird nicht weniger drücken, wenn man auch gelobt und bedingt, es solle mit weißer Wolle und Seide umwulstet werden. Wenn Frankreich den Rhein und seine festen Stellungen besitzt, so ist das Niederland und die Schweiz, und also auch der größte Theil von Oberitalien geradezu von ihm abhängig, so liegt ihm das übrige Deutschland bis an die Elbe und den Böhmerwald offen, und es mag ungestraft hineinbrechen und streifen und ziehen, so weit es will; zu ihm aber darf ungestraft kein Heer bis an den Rhein, geschweige denn über den Rhein kommen. Will man also den Franzosen das Uebergewicht in der That entwinden, und nicht blos zum Schein, so müssen Deutschlands alte Grenzen wiedergewonnen werden. Dann werden die beiden Völker, die Deutschen und die Franzosen, in gleichem Verhältniß einander gegenüberstehen, und die gegenseitige Furcht wird die Marken besser bewahren, als alle Bullen und Diplome, deren ewige Versicherungen und Gelobungen immer nur durch die Degenspitze recht geborgen werden. Die Deutschen wollen nur ihr Gebührliches wieder haben, die Menschen ihres Landes und ihrer Zunge, die ihnen unter Ludwig dem Vierzehnten und Fünfzehnten und in der letzten französischen Raubzeit entwendet worden sind. Diese uralte germanische Grenze steht an den Vogesen, dem Jura und den Ardennen, durch Art und Sprache des Volks unverkennlich und unverrücklich fest, und nichts Französisches, welches sie nur verderben würde, soll von den Deutschen je begehrt und genommen werden.“ Während der Kampf noch hin- und herschwankte, hielt Arndt folgende Lob- und Dankrede an Preußen, die für alle Zeiten in den Jahrbüchern unserer Geschichte aufbewahrt zu werden verdient. „Wenn etwas Ungeheures geschehen ist, kommen gewöhnlich die Erklärer und Ausleger mit Deutungen und Nutzanwendungen nach: nichts ist bequemer, uns aus dem Nachher das Vorher zu beweisen. Auch dem preußischen Staat ist solches widerfahren; er ist nach seinem Fall nicht blos betrauert, sondern auch recht methodisch bis zu seiner Gruft hingedeutet und hingerichtet worden: selbst Schimpf und Hohn hat in manchen Urtheilen und Nachrichten nicht gefehlt. Unleugbar war eine gewisse Erstarrung und Verstockung da, nicht allein veranlaßt durch das Erstaunen und die Bestürzung über die großen Begebenheiten und Wechsel, die rings umher erschienen, sondern tiefer liegend, theils in den alten inneren Verhältnissen des Staates selbst, theils in dem, was die Menschen das Zeitalter zu nennen pflegen. Denn so ist es von jeher gewesen: soll etwas Ungeheures geschehen und etwas Neues werden, so erstarren die lebendigen Kräfte in ihnen selbst, es wird matt, was lebendig, feig, was muthig, dumm, was geistvoll war: es geht dann in den Staaten das vor, was im Menschen vorgeht, einige Stunden oder Tage vor dem Punkt, wo sie in eine schwere Krankheit fallen sollen. Der große Uebergang der Zeiten, die große Scheidung des Alten und Neuen wird immer so gemacht. Darum soll man in gewissen Epochen die einzelnen Menschen nicht zu schwer verklagen, sondern den geheim webenden und waltenden Geist der Zeiten, der die dunklen Geburten der Geschlechter und Säkeln regiert, und wenn er neue Schöpfungen machen wird, das Alte augenblicklich lähmt und versteinert, damit es durch geschwinden Sturz der Formen zerbreche und den Elementen zu neuen Gestaltungen den Stoff wieder zurückgebe. Wenige Sterbliche aber sind so groß geschaffen, daß sie diese innerlich zermalmende Kraft des Zeitgeistes nicht fühlen sollten… Alle Deutsche

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hatten Leid zu tragen um den Untergang des uralten und heiligen Reichs der Germanen, um die Vernichtung der Gesetze, die Vertilgung der Sprache, die Verderbniß der Sitten, die Schmach und das Elend des Volks; aber nicht alle hatten gleich Großes verloren. Das Reich und seine Herrlichkeit hatten viele deutsche Herzen schon lange nicht wie sie sollten gefühlt; was sollten sie betrauern, was sie kaum gekannt hatten. Die meisten hatten sich vereinzelt, als Bürger kleiner Staaten, als Theilnehmer kleiner Verhältnisse, Geschäfte und Ansichten hatten sie nichts Großes zu verlieren gehabt; gewohnt, Mächtigeren zu folgen und durch die Beschlüsse der großen deutschen Staaten bestimmt zu werden, empfanden viele die neue Herrschaft der Fremden kaum als ein Unglück; sie fühlten sie nur als ein Unglück, nicht weil sie undeutsch war, sondern weil sie Tyrannei ward und Tyrannei zu bleiben versprach. Anderes widerfuhr den Preußen: sie hatten einen großen Namen, einen unsterblichen Ruhm verloren; sie konnten ohne Ehre nicht mehr glücklich sein. Auch die vor einigen Jahren noch so mit hingedämmert und hingeträumt hatten, waren aus der schweren Starrsucht erwacht; alle fühlten das Unglück, aber bitterer fühlten sie die Schande und sie trauerten, aber sie zürnten noch mehr. Napoleon hatte gemeint, der preußische Staat sei durch die grausamen Bedingungen, die er gemacht hatte, durch die Gewalt, die er sich wider alle Treue der Verträge genommen, genug zermalmt: er könne ihn zerrissen nur so liegen lassen, bis die Zeit da sei, ihn ganz zu vernichten; Napoleon hatte Recht, so weit ein gemüthloser Mensch, der die Menschheit nur nach ihren Schwächen und Lastern beurtheilen kann, die Welt versteht; er hatte zermalmt und zermalmte, was zermalmt werden konnte; die Gefahr, welche in einer niedergetretenen Ehre droht, die nicht ehrlos gewesen ist, erkannte ein Mann nicht, welcher keine Tugend erkennen kann. Napoleon konnte Alles messen, nur nicht, wie weit die Geister sich beherrschen lassen.“ Nach der Schlacht bei Lützen wichen die Verbündeten über die Elbe zurück, wo sie auch nicht einen einzigen festen Platz als Anlehnungspunkt besaßen. Arndt ging, als Alles Dresden verließ, im Auftrage Steins nach Berlin, und besuchte von dort seine Verwandten und Freunde in Pommern und Rügen. Dann kehrte er nach Berlin zurück, wo er im Juni den „Entwurf der Erziehung eines Fürsten“ schrieb. Inzwischen wurden gewaltige Schlachten geschlagen, mit zum Theil zweifelhaftem oder unglücklichem Ausgang; doch selbst die Nachrichten von Verlusten entmuthigten Niemanden. Die Menschen waren auf das Aergste gefaßt; lieber das tiefste Leid und Verderben, lieber die letzten ehrlichen Todeswunden, als länger die Schande der Knechtschaft – das war das allgemeine Gefühl, die herrschende Stimmung in der Hauptstadt. Als aber die Nachricht von dem Abschlusse eines Waffenstillstandes nach Berlin kam, da wurden Viele unsicher und schwankend. Die unheimlichsten Gerüchte wurden geflissentlich in Umlauf gesetzt und fanden selbst in den gebildeten Ständen leicht Eingang und Glauben. Der schimpflichste Fall Hamburgs, das so leicht hätte gerettet werden können, die schändliche Niedermetzlung des Lützower Corps während des Waffenstillstandes, und andere Hiobsposten schreckten die Einen und erbitterten die Anderen. Die verschiedenartigsten Stimmungen, Gefühle, Ansichten und Leidenschaften durchwogten chaotisch die Massen. Aus dieser heillosen Verwirrung der Hauptstadt flüchtete sich Arndt nach Reichenbach in Schlesien, wohin sein Gönner ihn berufen hatte. Dort schrieb er den „Katechismus für den christlichen Kriegs- und Wehrmann“, ein Büchlein, das nicht blos die

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Streiter auf dem Schlachtfelde erquickt, Sterbende und Genesende in Lazarethen[!] getröstet, sondern im Verein mit Arndt’s frischen, urkräftigen Vaterlands-, Kriegs- und Volksliedern mächtiger als alle Proklamationen der Fürsten zahllose deutsche Männer und Jünglinge zum Kampfe für’s Vaterland begeistert hat. Seine früheren Gedichte hatten nur eine geringe poetische Begabung verrathen, und in Bezug auf sie gestand er später: „er habe von der Natur nicht genug von jenem flüssigen und flüchtigen, phantastischen und magnetischen Fluidum erhalten, was den Dichter schafft, und wenn ihm einzelne kleine lyrische Sächelchen hie und da leidlich gelungen seien, so sei es nach dem Sprüchwort geschehen: Eine blinde Taube findet zuweilen auch eine Erbse.“ Aber jetzt erhob ihn seine Begeisterung zu einer Fülle und Kraft, der sich nur wenige Dichter an die Seite stellen können. Seine Lieder, mochten sie auch hin und wieder der schönen, glatten Form entbehren, waren der Schrecken des Feindes und der Stolz des deutschen Volks, dem sie fröhlichen Siegesmuth und rechtes Gottvertrauen einflößten. Unauslöschlich, weil aus dem ureigensten Geist und Gemüth des deutschen Volks gesungen, stehen in allen deutschen Herzen die Haupt-, Helden- und Kernlieder: „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte“ – „Wer ist ein Mann? Der beten kann, und Gott dem Herrn vertraut!“ – „Sind wir vereint zur guten Stunde“ – das herrliche Vaterlandslied, das jetzt seit länger als einem Menschenalter mit immer neuem Jubel durch alle Gaue Deutschlands erklingt; ferner das Lied von Blücher, Schill, Scharnhorst etc.; endlich der wundervolle Grabgesang auf Schenkendorf: „Wer soll dein Hüter sein? Sprich, Vater Rhein etc.“ Keine andere Sammlung der Poesien eines deutschen Dichters enthält eine so beredte, klare Geschichte der Zeit, in welcher die Gedichte selbst entstanden, als die „Zeitlieder“ unseres Arndt. Er war im eigentlichen Sinne des Worts der Dichter seiner Zeit, einer großen, gewaltigen, tief erregten und bewegten Zeit, die, wie sie große und starke Charaktere forderte, in gleicher Weise starker, kräftiger Worte bedurfte, ihren innersten Kern und Gehalt zu offenbaren, ihr wirkliches Wesen auszusprechen. Wenn Arndt nun der Dichter seiner Zeit war, mußte er in einer Epoche, wo nichts über das Vaterland ging, nothwendig der Dichter seines Vaterlandes sein. Bevor er dessen Ruhm singen konnte, hat er manches Lied gedichtet, das Hunderttausende zum Kampfe für’s Vaterland begeisterte. Und als die Freiheit und Unabhängigkeit, die man dem Vaterlande geraubt hatte, wieder errungen war, da hat er noch manches Lied gesungen, den Ruhm, die Ehre und Größe Deutschlands zu verherrlichen. Nach der großen Völkerschlacht im Oktober 1813 begab er sich auf den Wunsch Steins nach Leipzig. Von hier ließ er eine ganze Reihe politischer Broschüren ausfliegen: „Das preußische Volk und Heer im Jahre 1813“ (darin hieß es unter Anderem: „daß Preußen wieder dasteht, verdanken wir nächst Gott der geistigen Freiheit, die der König seinen Unterthanen unverkümmert ließ“); ferner „über Volkshaß und den Gebrauch einer fremden Sprache“, über „das Verhältniß Englands und Frankreichs zu Europa“, „Grundlinien einer deutschen Kriegsordnung“; vor allem die treffliche Schrift: „Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze“, ein kleines publicistisches Meisterwerk, das allgemein gefiehl und dem Verfasser offenes Lob von dem preußischen Staatskanzler Fürsten Hardenberg nebst dem Versprechen einer Anstellung eintrug. Gleichzeitig ließ er die erste Abtheilung des dritten Theils vom „Geist der

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Zeit“ unter dem Titel: „Geschichte von Napoleon, wie er nach Rußland ging und wieder herauskam“, als besonderes Druckwerk erscheinen. Bald nach Neujahr 1814 begab er sich von Leipzig nach Frankfurt a.M., wo jetzt die deutsche Centralverwaltung ihren Sitz hatte. In ihrem Auftrage und unter ihrem Schutze fuhr er hier fort, in seiner Weise mit der Feder und durch die freie Presse für die Wiederaufrichtung Deutschlands zu wirken. Außer den beiden Schriften „über künftige ständische Verfassungen“ und über „Sitte, Mode und Kleidertracht“ erschienen hier von ihm die „Ansichten und Aussichten der deutschen Geschichte“, eine Bearbeitung des schon erwähnten Entwurfs einer deutschen Geschichte. In Frankfurt sah er auch zuerst den Fürsten von Hardenberg, der ihm seine früheren Versprechungen wiederholte und ihm den Gehalt, welchen er bisher aus der Kasse der Centralverwaltung bezogen hatte, bis zu seiner ordentlichen Anstellung im preußischen Staate bewilligte. Inzwischen hatten die Verbündeten Paris erobert; Napoleon war entthront und nach der Insel Elba abgeführt worden; die Bourbonen hatten den Thron ihrer Väter bestiegen; zu Paris war Friede geschlossen und gleichzeitig die Centralverwaltung in Frankfurt abgelöst worden. Arndt, der den ganzen Winter in Frankfurt geblieben war, benutzte die erste fröhliche Friedens- und Musezeit[!] zu einem Ausflug in und durch die herrlichen Rheinlande. Auf dieser Lustreise kam er im Herbste nach Nassau, wo er seinen Herrn und Meister besuchte, der ihn auf das Allerfreundlichste empfing. Dann wanderte er zu Fuße nach Berlin, seinem „neuen Herrn“, dem preußischen Staate, zu dienen; denn er war jetzt mit voller Liebe und Zuversicht ein Preuße geworden und glaubte in Preußen eine auch für die Zukunft belebende, erhaltende und schirmende Macht Deutschlands zu sehen. Von Berlin ließ er wieder eine große Zahl kleiner Gelegenheits- und publicistischer Schriften ausfliegen: „Ueber die Feier der Leipziger Schlacht“, „noch ein Wort über Franzosen und über uns“, „Entwurf einer deutschen Gesellschaft“, „Blick aus der Zeit in die Zeit“, „Phantasien für ein künftiges Deutschland“, „Friedrich August König von Sachsen und sein Volk“, „über Preußens rheinische Mark und über Bundesfestungen“, endlich „über den Bauernstand und seine Stellvertretung im Staate“. Alle seine Gedanken und Hoffnungen waren indessen nur auf den Rhein gerichtet, denn an diesem deutschen Strome sollte jetzt die neue Universität errichtet werden, an welcher ihm ein Lehrstuhl zugesichert war. Die politischen Ereignisse führten ihn früher dorthin, als er erwarten durfte. Napoleon hatte am letzten Tage des Februars 1815 die Insel Elba verlassen, war mit einer Handvoll Soldaten in Südfrankreich gelandet und ohne Schwertstreich bis Paris vorgedrungen. Ludwig XVIII., von Allen verlassen, war nach Belgien entflohen, und die verbündeten Herrscher mußten ihre Heere zum neuen Kampf gegen den Störer der Ruhe Europas über die Alpen und den Rhein senden. Dahin begab sich auch Arndt im April, und zwar zuerst nach Aachen, sich das Kriegsgetümmel und die Bewegungen in Belgien ein wenig in der Nähe zu betrachten. Von da ging er Mitte Mai nach Köln, wo er einstweilen seinen Wohnsitz nahm. In der alten Rheinstadt arbeitete er wieder sehr fleißig und gab auch eine Zeitschrift unter dem Titel „der Wächter“ heraus, die den Grundsatz zur Geltung bringen sollte, daß der eigentliche Begriff politischer Freiheit die höchste und ausnahmelose Herrschaft des Gesetzes sei. In dieser Zeitschrift lieferte er unter Anderem eine Abhandlung, „über die

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Pflegung und Erhaltung der Forsten und Bauern im Sinn einer höheren, d. h. menschlichen Gesetzgebung“. Mit dieser beredten Schutzschrift, die er 1820 in Schleswig besonders wieder abdrucken ließ, kehrte er gleichsam zu seinen politischen Anfängen zurück; denn für die Bauern hatte er seinen ersten Strauß bestanden, für sie hatte er die ersten Hiebe ausgetheilt und empfangen. Sie sind auch bis zuletzt ein ernster Gegenstand seines Nachdenkens gewesen und es von Tage zu Tage mehr geworden, je weiter die Zeit in der Offenbarung ihrer Richtungen und in der Entwickelung ihrer Grundsätze und Theorien vorschritt. Nach einem längeren Aufenthalte in Köln, wo er „die politischen Schmerzen und Wehen abgerechnet“ wohl gelebt hatte, wanderte er im Frühlinge des „traurigen Hungerjahres“ 1816 in sein pommersches Heimathsland, das er seit sechs Jahren nicht betreten. Einen Theil des Sommers verlebte er in Dänemark, wo er einige nothwendige nordische Anschauungen ergänzte. Darauf ordnete er seine Angelegenheiten in der Heimath, begab sich im Frühlinge 1817 nach Berlin, veröffentlichte dort die daheim verfaßte „Geschichte der Veränderung der bäuerlichen und herrschaftlichen Verhältnisse in Schwedisch-Pommern und Rügen“ und ließ sich im Herbste 1817 am Rhein in Bonn nieder, die Gündung der neuen Universität erwartend, an welcher er ein Lehramt bekleiden sollte. Hier gab er die reizenden „Märchen- und Jugend-Erinnerungen“ heraus, die in zwei Theilen bei G. Reimer in Berlin erschienen. Im Jahre 1818 ward er dann auch wirklich als Professor der Geschichte an der neuerrichteten Universität zu Bonn angestellt. Nun gründete er sich einen festen Herd und vermählte sich mit Nanna Maria Schleiermacher, Schwester des berühmten Theologen Schleiermacher, deren Vater an den Gestaden des Rheins geboren war. Nach langer abenteuerlicher Irrfahrt hatte er endlich den sicheren Hafen einer ehrenvollen amtlichen Stellung erreicht und das seltene Glück gehabt, ein treues tapferes Weib zu erringen. Getrost sah er nun der Zukunft entgegen und bauete sich an einem der schönsten Punkte der Stadt ein Haus mit reizender Aussicht auf das herrliche Siebengebirge. Von neuer Schaffenslust und patriotischem Eifer beseelt, schrieb er hier den vierten Theil zum „Geist der Zeit“, worin er die Fürsten Deutschlands mahnte, die in den Tagen der Noth gegebenen Versprechungen nunmehr zu erfüllen und dem Volke die ihm gebührenden Rechte nicht länger vorzuenthalten. Dieses Buch, obschon nicht vom Standpunkte abstrakter politischer Theorien oder metaphysischer Spekulationen, sondern im sicheren und festen Sinne des Lebens und der Geschichte geschrieben, mißfiel den Machthabern so entschieden, daß der König Friedrich Wilhelm III. sich veranlaßt sah, dem allzufreimüthigen Verfasser eine Warnung und einen Verweis ertheilen zu lassen. Arndt erklärte darauf in seiner Rechtfertigungsschrift an den Staatskanzler Fürsten von Hardenberg, seine Grundsätze seien noch immer die alten, durch fünfzehn Jahre bewährten, und er sei noch immer der treue gut monarchisch gesinnte Patriot. Dieses Festhalten aber an dem alten guten, in der Zeit der höchsten Noth sogar von oben herab proklamirten Freiheitsgrundsätzen war es eben, was ihm die allerhöchste Ungnade zuzog, denn die Ansichten der Machthaber hatten sich seitdem wesentlich geändert. Schon seit dem Jahre 1815 war ein auffallender Wechsel in den Strömungen der politischen Atmosphäre eingetreten. Am 23. März 1819 ward Kotzebue durch Sand ermordet, und nun begann die Jagd auf die sogenannten Demagogen. Schlag auf Schlag

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folgten einander die Verhaftungen, Verfolgungen, Untersuchungen und Gewaltmaßregeln aller Art. Wer jemals volksthümlich gedacht oder freimüthig gesprochen hatte, wurde der Mitschuld an jenem vereinzelten Meuchelmorde angeklagt und in den finsteren Kreis der Verdächtigung hineingezogen. Namentlich waren es die Lehrer und Studirenden der Universitäten, die dem Verfolgungsgeist der Metternich und Kamptz zum Opfer fielen. Auch der edle und hochverdiente Patriot Arndt, der so heldenmüthig mit dem Schwerte des Geistes für die Befreiung des Vaterlandes gekämpft, blieb von der allgemeinen Maßregelung nicht verschont. Von den offiziellen Demagogenriechern verdächtigt und der Theilnahme an staatsgefährlichen Umtrieben beschuldigt, ward er im Sommer 1819 verhaftet, sein Haus durchsucht, seine Papiere, Bücher, Briefe und Manuskripte mit Beschlag belegt. Zwar ließ man ihn bald wieder frei, dafür aber ward er am 10. November von seinem Amte suspendirt und in eine lange Criminaluntersuchung verwickelt. Trotz aller Einsprüche und Berufungen auf seine zuständigen Gerichte mußte er einer außerordentlichen Kommission Rede stehen und sich einem Spezialrichter unterwerfen. Alle dagegen erhobenen Beschwerden und an die hohen und höchsten Behörden gerichteten Bitten blieben erfolglos. Neue Gesetze und Verordnungen jagten in diesen Jahren und drückten mit doppelter Schwere auf Arndt und dessen Leidensgefährten, indem sie trotz der allgemeinen Amnestie rückwirkend auf die „Demagogen“ angewendet wurden. Arndt mußte sich wegen aller jemals von ihm verfaßten großen und kleinen Schriften, wegen jeder in seinen und seiner Freunde Briefen befindlichen Anspielungen auf die Zeit, wegen bloßer Gefühle, Gedanken, Einfälle oder Scherze des Augenblicks verantworten, eine langweilige Untersuchungsfolter anderthalb Jahre hindurch ertragen und sich nach seinem eigenen bezeichnenden Ausdrucke „langsam abschlachten lassen“. In dieser trübseligen Zeit schrieb er an den Staatskanzler Fürsten von Hardenberg: „Was soll das nichtige und blöde Gefecht gegen die Geister, die durch leibliche Fäuste nicht zu besiegen sind? Was sollen die Streiche gegen das Unvermeidliche und die Banne und Achte gegen das Unsichtbare und Allenthalbene? Wehe uns Allen, wenn, was über der Erde entschieden und geschlichtet werden soll, in den gemeinen Staub des Faustkampfes hinabgerissen wird! Das war von jeher der Weg, aus Wasser Blut zu pressen und fliegenden Staub zu festem Granitfelsen zu verhärten.“ Zum Publikum sprach er damals ein „Abgenöthigtes Wort in meiner Sache“. Sechsundzwanzig Jahre später hat er von der gegen ihn geführten Untersuchung dieser Mischung von burlesker Lächerlichkeit und empörender Niederträchtigkeit, in seinem „Nothgedrungenen Bericht“ ein anschauliches Bild gegeben, das uns mit Ekel und Abscheu erfüllt. Die geheime Kriminal-Untersuchung, bei welcher verschiedene unter seinen Papieren gefundene Randglossen, die der König selbst verfaßt hatte, den Hauptanklagepunkt bildeten, dauerte mit kurzen Unterbrechungen fast anderthalb Jahre und endete im Sommer 1822 damit, daß Arndt zwar von der Instanz freigesprochen, aber in den Ruhestand versetzt wurde; doch ließ man ihm seinen vollen Gehalt und seinen Titel. Daß er nicht aus Bonn verwiesen ward, sondern nach wie vor in seinem selbsterbauten Häuschen am Rheine wohnen durfte, glaubte er nur der Fürsprache seiner alten Gönner und dem gemäßigten Sinne des Königs zu verdanken, der die Dinge nicht gern auf die äußerste Spitze trieb. Die Hemmung in seiner Amtsthätigkeit empfand er als schweres Unglück. Zwar schien er während und selbst noch kurz nach der Untersu-

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chung sein Geschick mit ziemlichem Gleichmuth zu tragen; aber die langsame Zerreibung und Zermürbung seiner besten Kräfte bis in’s Mark hinein hat er, wie er selbst später gestand, nur zu tief gefühlt. „Man sieht es, ruft er bei der Erinnerung an diese trübste Periode seines Lebens aus, man sieht es dem Thurme, so lange er steht, nicht an, wie Sturm, Schnee und Regen seine Fugen und Bänder allmählich gelockert und gelöst haben. Das Schlimmste aber ist gewesen, daß ich schöne Jahre, welche ich tapferer und besser hätte verwenden können und sollen, in einer Art von nebelndem und spielendem Traum unter Kindern, Bäumen und Blumen verloren habe. Ja, ich bin ein geborner Träumer, ein Fortschweber und Fortspieler, wenn nicht irgend ein festes Ziel, irgend eine Arbeit oder Gefahr, die plötzlich kommt und plötzlich reizt und treibt, mich aus der nebelnden Träumerei herausreißt. Ich kann auch nach dieser meiner Natur, wenn ich mich als Gelehrter oder Schriftsteller betrachte, zu fast gar nichts kommen, wenn mir nicht gegeben wird, durch ein bestimmtes Handeln, Reden und Vortragen einige helle und klare Funken des Erkenntnisses und Verständnisses hervorzulocken. Ich bin so geboren, daß ich sprechen und reden muß, damit meine Gefühle und Gedanken sich ordnen; ich bedarf der umrollenden und gegen einander Funken schlagenden Kieselsteine des Gesprächs und der Rede, damit mein Bischen[!] Geist aus mir herauskomme. Die Sperrung meines Katheders war für die Universität wohl kein Verlust, aber für mich ein Unglück: für mich, für einen Menschen, der in persönlicher Eigenthümlichkeit stecken blieb und es nimmer bis zur vollen Gegenständlichkeit brachte, d. h. zu dem ruhigen sicheren bewußten Stande den Sachen gegenüber und zur immer heiteren, sonnenhellen Beschauung des Allgemeinen, sondern der nur in dem Besonderen, Eigenen seine einseitige Stärke hat.“ Alle seine Versuche, durch Fürsprache von Gönnern, durch persönliche Vorstellungen und Bitten, namentlich während seiner Anwesenheit in Berlin im Herbste 1828, wieder zur amtlichen Thätigkeit zu gelangen, waren vergeblich. Zwanzig Jahre blieb er in seiner Wirksamkeit gehemmt, aber diese lange Zeit hat er nicht in thatenloser Muße verlebt. Nicht nur nahm er den lebendigsten Antheil an den großen Erscheinungen der Zeit, der griechischen und spanischen Volkserhebung, dem deutschen Zollverein, den pariser Julitagen, dem belgischen Aufstand, den traurigen Hannöverschen Verfassungswirren, den Zerwürfnissen der preußischen Regierung mit den Erzbischöfen und dem päbstlichen[!] Stuhle, sondern ließ sich auch über die großen europäischen Fragen hin und wieder öffentlich vernehmen. So erschien von ihm im Jahre 1828 „Christliches und Türkisches“, 1831 „die Frage über die Niederlande“, 1834 „Belgien und was daran hängt“. Außerdem veröffentlichte er im Jahre 1826 seine „Nebenstunden, Beschreibung und Geschichte der schottischen Inseln und Orkaden“, 1834 das „Leben G. Aßmann’s“ und endlich 1839 die vortreffliche Schrift: „Schwedische Geschichten unter Gustav III. und Gustav IV. Adolf“, die er bereits 1809 bis 1810 verfaßt hatte. Für das deutsche Vaterland seine mächtige Stimme zu erheben, war in dieser traurigen Epoche dem greisen Volkstribun nicht gestattet. Schon war es in Deutschland so weit gekommen, daß sein herrliches Vaterlandslied nirgends mehr gesungen, und er selbst weder öffentlich gefeiert noch genannt werden durfte. Die Thronbesteigung Friedrich Wilhelm’s IV. brachte endlich eine theilweise Aenderung des Systems, das seit dem Jahre 1818 in Preußen die Oberhand gewonnen. Es war eine der ersten Sorgen dieses Königs, dem Schwergekränkten das zwanzigjährige

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Unrecht zu vergüten. Am 6. Juli 1840 ward Arndt in seine Professur wieder eingesetzt, und zwar, wie es in der Kabinettsordre hieß, „weil der König ihn kenne, ihm vertraue“. Dieser Schritt Friedrich Wilhelm’s  IV. brachte überall den außerordentlichsten Jubel hervor, nirgend jedoch mehr als in der Rheinprovinz, welche Arndt durch langjährigen Aufenthalt zur zweiten Heimath geworden war und die ihn mit Stolz ihren Bürger nannte. Ein glänzendes Festmahl, welches die Universität Bonn ihrem berühmten und so lange von ihr ausgeschlossenen Kollegen am 21. Juli veranstaltete, ließ diesen allgemeinen Enthusiasmus zu vollem Ausbruch kommen, ebenso ein späteres Seitens der Bürgerschaft von Bonn. So war denn der edle Dulder nach langem Schweigen und in einem Alter, wo selbst „die Weisesten vom Lehrstuhl herabsteigen“, wieder zum Reden berufen. Nach seiner eigenen Erklärung „konnte es einem Greise, der von der Last des Alters und andern Lasten zusammengedrückt im Schimmel der Unthätigkeit und Vergessenheit gelegen hatte, nicht einfallen, daß er noch Klang und Ton haben könne, wie weiland. Nur aus Rücksicht für die königliche Gnade, aus Rücksicht auf die Meinung geliebter Freunde, welche ihm vorstellten, daß Ablehnung oder Weigerung, unter welchem Titel immer als Trotz gemißdeutet werden könne, glaubte er in so lieblichem Sonnenschein die alten, zusammengeschrumpften Blätter regen und entfalten und auf freundliche Zeichen der Huld auch seine schwachen Zeichen geben zu müssen.“ Die akademische Jugend empfing ihn mit jubelnder Begeisterung, der Senat wählte ihn für das nächste Jahr zum Rektor Magnificus. Seine Bücher wurden in Deutschland wieder begehrt und so erschienen denn von ihm im Jahre 1840 „Gedichte“, (neue, verminderte und doch vermehrte Auflage), und die interessanten „Erinnerungen aus dem äußeren Leben“ (drei Auflagen in zwei Jahren); im Jahre 1842 „das Turnwesen“, 1843 „Versuch in vergleichender Völkergeschichte“ (bereits 1844 in zweiter Auflage) ein sehr interessantes und werthvolles Buch; 1844 „Schriften für und an meine lieben Deutschen“ (eine Sammlung früherer Flugschriften in drei Bänden) und „die rheinischen ritterbürtigen Autonomen“; 1846 „Rhein- und Ahr-Wanderungen“ (zweite Auflage der Wanderungen aus und um Godesberg); sowie die „Zugabe zu Diderots Grundsatz der Natur“, und endlich 1847, als die alten Verdächtigungen wieder hervorgesucht wurden, der schon erwähnte „nothgedrungene Bericht aus meinem Leben aus und mit Urkunden“. Im April des Revolutionsjahres 1848 wurde der neunundsiebzigjährige Greis, der die neue Zeit mit der Flugschrift „das verjüngte oder zu verjüngende Deutschland“ begrüßte, von dem funfzehnten[!] rheinpreußischen Wahlbezirk als Volksvertreter in die deutsche National-Versammlung nach Frankfurt a.M. gesandt. Dort trat er unter die Männer der Paulskirche als der „älteste und weißeste, nicht weiseste – fügte er selbst bescheiden hinzu – ich bin nicht so dumm, daß ich das glaube“. Er wollte auf dem Reichstage nur „das alte deutsche Gewissen“ vorstellen und „als solches eine Stimme haben“. Als „Deutschester der Deutschen“ von der Versammlung begrüßt und in Ehren gehalten, stimmte er aus voller Ueberzeugung mit der konstitutionellen Partei für das kleindeutsche Erbkaiserthum, und ging auch als Mitglied der Reichstagsdeputation nach Berlin, dem König Friedrich Wilhelm IV. die deutsche Kaiserkrone zu überbringen. Die Großdeutschen, die ihn als einen der Ihrigen betrachteten, erklärten sein Votum in der Kaiserfrage für einen Abfall und erinnerten den greisen Dichter an den bekannten Refrain seines Vaterlandsliedes: „Das ganze Deutschland soll es sein“. Auch

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von den Parteigenossen, die von ihrem Freunde meistens nicht mehr kannten, als jenes Lied, ward sein Schritt als eine ehrenwerthe Inconsequenz aufgefaßt. Daß die Einen wie die Anderen irrten, hat schon Julian Schmidt in seiner „Geschichte der deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert“ mit überzeugenden Gründen dargethan. „Wenn man – heißt es dort – in einer Zeit, wo das heilige römische Reich deutscher Nation noch in lebendiger Erinnerung bestand, bei dem Aufruf des Volks nicht wohl eine andere Wendung nehmen konnte, als zur Wiederaufrichtung dieses Reichs anzuregen, so war es doch bei Arndt nicht eine historische Reminiscenz, auf die er sein deutsches Volksthum gründen wollte, sondern die sittlich gereinigte Volkskraft, die ihm in der Gegenwart entgegentrat. – In der Paulskirche behaupteten die Großdeutschen, die Legitimen zu sein, diejenigen, welche die historischen und traditionellen Ideen unverfälscht fortzupflanzen und auszuführen strebten. Die Großdeutschen von der Rechten bezogen sich auf das Reichskammergericht und auf den Bundestag, die Großdeutschen von der Linken auf das Volkslied vom einigen freien Deutschland, welches sich sogar in dem mißverstandenen Trinkspruch eines Prinzen ausgesprochen haben sollte, in dem man damals die Menschwerdung dieser Idee verehrte. Die Kleindeutschen dagegen wurden als Neuerer betrachtet und mit dem Prädikat der Verräther beehrt, das man allen Neuerern gern beilegt. Da die Partei in Frankfurt groß geworden war, wo man unleugbar unter großdeutschen Voraussetzungen zusammenkam, so wurde sie selbst stutzig und suchte ihre Legitimität durch Zugeständnisse zu erkaufen, die dann freilich zu ihrem leitenden Grundsatz nicht stimmen wollten. – Nun wird es aber für Jeden, der die politische Literatur zu Anfang dieses Jahrhunderts in’s Auge faßt, unzweifelhaft sein, daß die kleindeutsche Partei als die legitime, als diejenige angesehen werden muß, welche die Traditionen des Liberalismus fortpflanzte. In jener Zeit hatte man noch nicht die Hohenstaufen auf den Altar gehoben, und wenn man Symbole für die deutsche Nationalität suchte, so waren es, abgesehen von dem farblosen Cheruskerfürsten, zwei charakteristische, Luther und der alte Fritz. Luther hatte Deutschland von Rom emancipirt, Friedrich der Große hatte zuerst dem deutschen Volk zur Anschauung gebracht, daß es noch Helden hervorbringen könne. In diesem Sinne dachte und empfand, mit wenigen Ausnahmen, die ganze damalige Geschichtsschreibung und Publicistik, und wenn durch die Schlacht von Jena in diese Ansichten einige Verwirrung kam, so führte die gleich darauf folgende Wiedergeburt des preußischen Staates doch bald zu ihrer Wiederaufnahme. Man rechnete auf den preußischen Staat und auf den Protestantismus, als auf die beiden hauptsächlichsten Hebel zur Wiederaufrichtung Deutschlands. Auf welche Weise sie ihre Aufgabe erfüllen sollten, darüber hatte man sich keine bestimmten Vorstellungen gebildet; aber über die Aufgabe selbst waltete kein Zweifel ob, und wenn man nun endlich genöthigt wurde, an’s Werk zu gehen, so konnte der dialektische Prozeß, dem jede neugebildete Partei unterworfen ist, zu nichts Anderem führen, als zu der Idee, daß Scheidung nicht immer mit Machtverlust verknüpft ist, daß wenn zwei Organismen durch ein unnatürliches Band zusammengehalten werden, die Zerschneidung dieses Bandes beide stärkt, so daß nach der Trennung jeder einzelne von ihnen mächtiger ist, als vorher beide zusammen.“150 – 150 Julian Schmidt, Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert, Dritte wesentlich verbesserte Auflage, Bd. 2: Das Zeitalter der Restauration, Leipzig 1856, 229f. In

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Am 16. Mai 1849 stand der greise Tribun zum letzten Mal auf der Rednerbühne in der Paulskirche und sprach von der Einheit des deutschen Volks, das, wenn es auch nur halb einig wäre, die Welt überwinden müßte, wie vordem. Eine Woche später trat die konstitutionelle Partei und Arndt mit ihr aus der National-Versammlung aus, deren weitere Schicksale sattsam bekannt sind. Die Gedichte, welche er in dieser sturmbewegten Zeit geschrieben, hat er als „Blätter der Erinnerung meistens um und aus der Paulskirche“ herausgegeben. Auch nach dem Fehlschlag der großen nationalen Hoffnungen fuhr der rüstige Alte fort, wie vordem geharnischte Mahnworte an das deutsche Volk zu richten. „Sein Alter war frisch, wie greisender Firnewein“. Kein grämlich verdrossener Lobredner der „guten alten Zeit“, sondern ein liebevoller Beobachter der zukunftverheißenden Keime der Gegenwart, so hat er unter uns gestanden, bis an das Ende seiner Tage. Im Jahre 1850 richtete er seinen Mahnruf an alle deutsche Gaue in Betreff der schleswig-holsteinischen Sache, im Frühjahr 1855 erschien sein köstliches Büchlein „Pro populo germanico“ und 1858 sein letztes Werk: „Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn vom Stein“. Darin äußert sich Arndt mit derselben ehrlichen Unumwundenheit, welche Stein charakterisirt, über seinen Helden, sowie über die Personen und Verhältnisse, die er in der großen Zeit der Freiheitskämpfe kennen lernte; und wenn man das hohe Greisenalter des Verfassers in Anschlag bringt, muß man sich um so mehr an der Frische erfreuen, mit welcher er die Erlebnisse und Anschauungen längst vergangener Tage niederschrieb. Unter die interessantesten Partien des wundervollen Buches gehören die Charakteristiken Hardenbergs und des Königs Friedrich Wilhelm III., deren eigenthümliche Persönlichkeit gerade damals in den bedenklichen Verwicklungen der Verhältnisse von so großer Bedeutung gewesen. Im Laufe des verwichenen Jahres beschäftigte sich Arndt mit der Sammlung und Sichtung seiner Gedichte, deren Gesammtausgabe, durch höchst sinnige und gemüthvolle Worte des „Ueberalten“ eingeleitet, jetzt vor uns liegt. Indem wir hier noch einmal an seine frühere publicistische und poetische Thätigkeit erinnern, fassen wir unser Urtheil über jene zahlreichen Schriften und Lieder, die er auf der Wanderschaft in sturmbewegter Zeit verfaßt hat, in dem Ausspruche zusammen: daß sie vor allem es waren, welche die nationale Gesinnung, den sittlich-gemüthlichen Kern des deutschen Volks von neuem belebt haben. Obwohl nun seine späteren Schriften nicht mehr einen unmittelbaren Einfluß auf die Nation ausübten, so haben sie doch einen großen und bleibenden Werth. Unverdrossen die Fahne des gesunden Menschenverstandes und des Gewissens hochhaltend, haben sie die hereinbrechende Schöngeisterei, die sich zum Theil auf Göthe, zum Theil auf die Romantiker stützte, jenes verbrecherische Spiel, das aus ästhetischen Gründen mit dem Schlechten und dem Verwerflichen buhlte, jene feile Sophistik, die den mißverstandenen Satz Hegel’s, daß das Wirkliche vernünftig sei, zur Beschönigung alles Nichtswürdigen mißbrauchte, mit heiligem Ernste bekämpft. „Wenn man – sagt Arndt – das Leben und die Geschichte nicht als ein verstümmeltes und abgebrochenes Räthsel betrachten kann, wo Gerechtigkeit, Freiheit und Tugend von List, Lüge und Laster meistens besiegt werden, den späteren Auflagen der dreibändigen Literaturgeschichte Schmidts (5. Aufl. 1866) gibt es keine ausführliche Arndt-Besprechung mehr.

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wenn man das leichte Spiel und die weitsichtige Geistigkeit ebenso hoch anschlägt als den schweren Ernst und die kurzsichtige Redlichkeit, welche eben kurzsichtig ist, weil sie nur Eines und dieses Eine nur in der kürzesten geradesten Linie sehen und thun darf, dann muß vergehen, wodurch das Leben allein einen Werth hat, der Zorn für das Gerechte, die Ehrfurcht vor der Tugend, das Gebet auf dem Grabe des Redlichen, welcher der List unterlag.“ – Sodann hat er trotz der trüben Erfahrungen, die er machen mußte, in der Frische und Gesundheit seines Geistes niemals die Zuversicht und den Glauben an das Vaterland verloren. Seine liebenswürdige Schrift „prop populo germanico“ war ein erfrischender Thau in der allgemeinen Dürre der vergangenen Reaktionsperiode. „Wir sind, heißt es darin, in viele herrlichste Hoffnungen leicht hineingeschüttelt und noch leichter und unsanfter wieder herausgeschüttelt worden, aber Geist wird immer neuen Geist zeugen und sich aus dem schwebenden Elemente von bloßen Gefühlen und Hoffnungen zur lichten Klarheit des Verstandes immer mehr durchdrängen. Wir haben bis jetzt nur Anläufe gemacht und sind immer noch im stürmenden Anlaufen begriffen, wo wir meist zurückgeschlagen werden. Gefühle und Zorn sind blos für den ersten Anlauf gut; den letzten Sturm der Festung können Einsicht und Verstand allein durchführen. Ein Volk, das so viel Muth und Geist hat, als die Deutschen, kann als ein Raub schlechterer Völker nicht untergehen; die Sehnsucht eines großen Volks nach Ehre, Macht und Majestät wird den Tag ihrer Erfüllung erleben … Es giebt nur einen Geist der Weissagung: dieser scheint dem Volke, das immer sogleich Neuestes hören will, oft tausend Siegel auf dem Mund zu haben, und siehe, wie seine Stunde gekommen, thönt und klingt er und die Leute verwundern sich. Die Zeit ist Gottes und ihre Stunde darf kein Sterblicher weissagen; aber glaubet und haltet fest zusammen! – Meine übrigen Tage müssen ja dahinsinken wie die letzten Schimmer eines Traums. Ich schaue von der höchsten Höhe des Alters in das tiefe Thal hinab, meine Abendsonne geht nicht mit Gold noch mit Hoffnungen zu Thal, aber von tapfern und männlichen Hoffnungen darf man nicht lassen. Ich vertraue dem Geist und dem deutschen Geist, und rufe mit edlen tapfern Aposteln und Propheten: de coelo et patria numquam desperandum.“151 So hat er in böser wie in guter Zeit mit gleichem Muth und Vertrauen, mit gleicher Kraft und Freudigkeit für des Vaterlands Größe, Freiheit und Einigkeit gekämpft. Die Liebe und Verehrung eines ganzen Volkes waren sein Lohn. Ehren und Auszeichnungen sind ihm reichlich zu Theil geworden. Die Universität Greifswald setzte ihm bei ihrem vierhundertjährigen Jubiläum im Oktober 1855[!] ein Denkmal, wofür er seinen Dank in dem schönen Wort aussprach: „Ich habe nach dem Ruhm eines ehrlichen Mannes gestrebt. Will man durch das Denkmal eine gewisse Beständigkeit und Festigkeit des Lebens in mir ehren, was man den nordischen, altsächsischen, pommerschen Charakter nennt, so ist das eine Ehre, die ich mit Stolz annehme, mit dem Stolz, ein Sohn Pommerns zu sein. Möge der Name Pommern als der Name der Tapferkeit, Redlichkeit und Treue ein unsterblicher Name bleiben.“ Ein rheinbairischer Gerichtshof dagegen verurtheilte den in Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit grau und weiß gewordenen Alten wegen Wiedererzählung einer (wie sich jetzt von allen Seiten bestätigt hat) auf Thatsachen 151 Eine der Maximen Arndts: „In Betracht des Himmel und des Vaterlandes muß man niemals verzweifeln.“

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begründeten Aeußerung des Reichsfreiherrn vom Stein über den General Wrede zum – Gefängniß. Den einundneunzigjährigen Geburtstag seines getreuen Eckart feierte das gesammte deutsche Volk als einen allgemeinen Jubeltag. Von allen Seiten wetteiferte man, mit Grüßen und Glückwünschen, Festgaben und Ehrenbezeugungen das allverehrte Haupt zu schmücken. Da ward er plötzlich im Vollgenuß der Freude, im Vollgefühl körperlicher Rüstigkeit und geistiger Frische, die selbst ein Alter von neunzig Jahren nicht schwächen konnte, von uns genommen. Nach kurzem Krankenlager, auf das ihn ein gastrisches Fieber geworfen, verschied er sanft in der Mittagsstunde des 29. Januar 1860. Das Vaterland hat in ihm nicht nur einen hervorragenden Dichter, Forscher und Lehrer, sondern einen seiner besten Bürger, einen ganzen deutschen Mann verloren. Dem Vaterlande gehörte er mit vollem Herzen an, es war „das ganze Deutschland“, das seine Seele erfüllte, ihm hatte er alle Sorgen für sich, für sein Haus, für sein engeres Vaterland untergeordnet. Sein Name ist längst das Symbol geworden für Alle, die Deutschland einig, frei und mächtig wollen. Dem deutschen Volke aber, das ihn mit Stolz seinen Arndt, seinen alten Vater Arndt nennt, wird er in allen Zeiten ein Vorbild treuen Dienstes und ausharrenden Ringens für das gemeinsame Vaterland sein und bleiben.

Nr. 35 Rudolf Haym, Ernst Moritz Arndt, in: Preußische Jahrbücher 5 (1860), Heft 5 [=Mai], S. 470–512 [S/S Nr. 1777; Loh Nr. 1357] (zugleich als 45seitiger Separatdruck Berlin 1860 [S/S Nr. 1778; Loh Nr. 1358])152 Ernst Moritz Arndt. In wunderbarer Rüstigkeit vollendete Vater Arndt sein neunzigstes Jahr; denn in demselben Jahre mit dem Korsen, wie er oft in bester Laune sich rühmte, am zweiten heiligen Christtag, und in der Stunde, wo im Süden der Carneval beginnt, hatte er einst das Licht der Welt erblickt. Noch warm von der Feier des hundertjährigen Geburtstages Schiller’s regten sich überall in Deutschland die Herzen für den noch lebenden Dichterveteranen, für den Sänger, der die Ideale Schiller’s vom Himmel auf die Erde herabgeholt, der in rauherer Zeit härtere und stürmischere Weisen angeschlagen, der kräftiger und inniger als irgend ein Zweiter, das deutsche Land, die deutsche Freiheit und den deutschen Gott gesungen hatte. Aus allen Enden des Vaterlandes flogen dem Alten Grüße und Wünsche zu, und in herzlichen und tapferen Worten that der Alte noch einmal seinen „lieben Deutschen“ Bescheid. Er ist den beneidenswerthesten Tod gestorben. Unter der Last der Kränze, die ihm die Liebe seines Volkes gewunden, an der äußersten Grenze des menschlichen Lebens ist er entschlafen. Wie rüstig aber und lebensfroh er bis unmittelbar vor seinem Ende war; der „weissagerische Geist“, den er oftmals in sich zu spüren meinte, hatte ihm noch rechtzeitig die Mahnung zugerufen, 152 Erneut in: Rudolf Haym, Gesammelte Aufsätze, Berlin 1903, S. 120–164 [S/S Nr. 1779; Loh Nr. 1359]. Die Erstveröffentlichung in den Preußischen Jahrbüchern weist im Untertitel auf Arndts Gesammelte Gedichte hin, deren Rezension Haym zum Nachruf erweiterte.

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daß die Zeit seines Scheidens nahe sei, daß er „sein Haus bestellen und seine kleinen Dinge ordnen solle“. Als ein letztes Vermächtnis und Lebewohl hat er seine Reime und Werke gesammelt und sie in ihrer echten, ursprünglichen Gestalt seinem Volke übergeben. So liegt dieses Vermächtnis nun vor uns, ein voller, ja übervoller Strauß von Blumen und Gräsern, meist in der Ordnung oder Anordnung zusammengestellt, wie sie ursprünglich von der Hand des Dichters gepflückt wurden. Von dem künstlerischen Werth dieser Reime kann niemand bescheidener urtheilen als ihr Urheber selbst. Den Dichternamen möchte er ganz von sich ablehnen; wenn ihm einzelne lyrische Sachen leidlich gelungen seien, so sei es nach dem Sprüchwort von der „blinden Taube“ geschehen, und wenn manche seinen Deutschen lieb geworden, so sei es, „weil die meisten echte Kinder der Geschicke und Gefühle unsrer Tage sind, Kinder des Augenblicks und der Gelegenheit“. Und diesem bescheidenen Urtheil wird im Ganzen Niemand widersprechen mögen. Wir finden und wir suchen hier nicht jenen vollendeten Instinkt für das Schöne, jenen durchgebildeten Sinn für Maaß und Harmonie, der unsere klassische Dichtung charakterisiert: – wir suchen und finden, was in manchem Betracht besser ist. Wenn uns der eine Theil dieser Lieder werth ist, weil sie uns die Tage der allgemeinen Erhebung und Begeisterung vergegenwärtigen, so lieben wir andre, weil sich in ihnen ein reines und grundtüchtiges Menschendasein spiegelt, weil sie Zeugnisse von dem Wesen und Wollen des unvergleichlichen Mannes sind. Da sind Gedichte und Reimsprüche, in denen uns flüchtige Momente dieses langen und reichen Lebens aufgehalten sind; da sind andere, – wie namentlich jene in dem Häuschen „an Reichenbachs bröcklichter Mauer“ entstandenen Epigramme – in denen der Dichter erzählende und betrachtende Rückblicke auf jüngst und auf längst durchlebte Tage thut. Genug, wir haben hier, wenn wir Alles zusammennehmen, neben dem „nothgedrungenen“ einen freiwilligen Lebensbericht, neben den „Erinnerungen aus dem äußeren“ Erinnerungen aus dem inneren Leben. Ein unschätzbarer Besitz; denn das beste Vermächtnis, das Arndt seinen Deutschen hinterlassen hat, ist doch er selbst, die Erinnerung an das, was er war und wirkte. Die Stunde scheint nicht unpassend, uns eben dies, was er war und wirkte, aus Anlaß seiner Gedichte zurückzurufen und zu Gemüthe zu führen. In Prosa wie in Versen, auf jeder Stufe seines Lebens, mit immer gleicher Liebe wendet Arndt sich zurück zu dem Idyll seiner Knabenzeit. Hier ist der gesunde Grund dieses ganzen kerngesunden Daseins. Es hat sich in natürlichem Wachsthum durch zwei Geschlechter aus dem fruchthaltenden Boden der Volkskraft emporgearbeitet. Eines Freigelassenen, eines Verwalters und Pächters Sohn, nennt Arndt sich selbst „aus autochthonischem Bauernstamm entsprossen“, scherzt er wohl noch später mit seiner „bäuerlichen Wenigkeit“. Die Eltern hat er uns oft geschildert, den thätigen, strengen und heftigen, und doch wieder milden und freundlichen Vater, die fromme, sinnige, besonnenverständige Mutter, deren Bild ihm im Wachen und Träumen stets gegenwärtig bleibt. Der Schauplatz seiner Kindheit ist Rügen, die „liebliche Insel“, deren Ufer, Wälder und Hügel seine Lieder immer von Neuem grüßen. Ein fröhlich frisches Leben, das er da zusammen mit Geschwistern und Gespielen führt! Draußen tummelt der Vater die Knaben, im Hause übt, zieht und unterweist sie die Mutter. In frommer Zucht der Eltern und Lehrer wächst er auf: seine beste Lehrmeisterin für geistiges wie

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leibliches Gedeihen bleibt die Natur. Im Verkehr mit ihr gewinnt er rüstige Leibeskraft, an sie schmiegt er sich an mit poetischem Sinn. Zahlreiche Verse sagen uns, wie es da in bunten Farben um seine kindliche Seele spielte, wie er mit Blumen und Vögeln, mit Bäumen und Zweigen gleichwie mit lebendigen Gespielen verkehrte – Und es hüteten noch mit mir die Engel des Himmels Heerden des Vaters im Hain, Heerden am brausenden Meer. Wie die derbste Wirklichkeit hier mit den luftigsten Märchenträumen gleichsam in Eins verlief, das werden wir vielleicht am besten inne, wenn wir die Arndt’schen „Mährchen und Jugenderinnerungen“ zu Hülfe nehmen. Wer kennt sie nicht? Der ganze Zauber des Kindheitsalters ist über diesen Aufzeichnungen des späteren Mannesalters ausgegossen. Die Blüthe jenes „Mährchen und Geschichtentreibens“ seiner Knabenzeit, sind sie poetischer als das Meiste, was er sonst gedichtet hat. Die köstliche Einfalt des Fabulisten, dem doch überall der Schalk im Nacken sitzt, das ungetrübte Behagen an dem Gaukelspiel der Phantasie, hinter dem doch der hellste Verstand durchblickt, dieses eigenthümliche Gemisch von Ernst und Laune macht das Buch ebenso zur erwünschtesten Lectüre für den Knaben wie für den Erwachsenen. So aber ist es, weil noch in dem Manne Kindeseinfalt und Kindesgemüth wohnte. Man mag umgekehrt sagen, daß in dem Kinde der Mann schon fertig lag. Wie diese Mährchen, so war das Element, in dem seine erste Jugend sich bewegte: – die Keime des glücklichen und fruchtbarsten Daseins waren darin angelegt. Das Hinübertreten aus der Unschuld solches Naturlebens in ein schon einseitigeres Culturleben war nicht ohne Gefahren, zumal wenn es zusammenfiel mit der Zeit, wo „Kindheit und Jugend sich trennt und der Gedanke beginnt“. Es giebt da einen gewaltigen Ruck, und tiefere Gemüther finden nur nach heißen Kämpfen das gestörte Gleichgewicht wieder. So etwas erfuhr der sechszehnjährige Arndt, als er, ein gutmüthiger, aber wilder, ernster und trotziger Bube, aus dem elterlichen Hause auf die Schule zu Stralsund verpflanzt wurde. Gegenüber dem loseren und üppigeren Wesen, das ihm hier zugleich mit allerlei neuen geistigen Stoffen entgegentritt, muß seine gesunde Natur und müssen die guten Geister seiner Kindheit eine erste Probe bestehen. Durch Lektüre Rousseau’s mit tausend Aengsten über die Gefahren der Jugend erfüllt, kämpft er für die Bewahrung seiner Unschuld einen gewaltthätigen Kampf mit dem „starken, heißen Arndtsblut“. In blöder Verschlossenheit, unter schweren und dunklen Stimmungen, in harten, selbstauferlegten leiblichen Uebungen strebt er, sich zum Manne, zum Manne im besten Sinne des Wortes zu machen. Es ist eine rührende Geschichte, wie ihn die Angst, er möchte „zu einem weichlichen und liederlichen Lappen werden“ endlich zur Flucht von der Schule treibt. Und Jahre lang halten diese Stimmungen und Kämpfe an. Mit gleichsam krampfhaftem Instinct klammert er sich an seine starke Natur und an den sittlichen Menschen, den er in sich fühlt. Nur dies Eine, die Pflicht, sich keusch, gesund und brav zu erhalten, ist ihm klar; sein übriges Streben, sein Lernen, Denken und Empfinden liegt unklar vor seinem Bewußtsein. Wie einen langen Traum beschreibt er die Zeit, die auf jene Katastrophe folgte. Angestrengten Fleißes bereitet er sich im Vaterhause auf die Universität vor. Um Theologie zu studiren geht er, nunmehr zwanzigjährig, nach Greifswald, von Greifswald nach Jena. Auch diese Studentenjahre werden nicht verbraust und verjubelt; wohl wird es ihm allmählich

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leichter und freier um’s Herz, aber im Ganzen wandelt er die alten Wege fort; wohl treibt zuweilen zwischen Arbeiten und Studien der verschiedensten Art „die Jugend ein lustiges Spiel“ – „doch“ (so sagt uns eines seiner Epigramme) „doch ward ihr jegliches Spiel bei mir gebührlich gebüßt“. Und wieder kehrt er in’s Vaterhaus zurück, und abermals wird es, wie er nun das Gelernte übersieht und sichtet, etwas heller in ihm. Die Zeit war nahe, wo der Zauber, der auf ihm lag, weichen, wo Klas Avenstaken aus dem Wunderberge, in den er versunken, wieder herausfallen sollte auf die Erde. Als Präceptor geht er im Herbst 1796 zu Kosegarten, einem alten Freunde seines elterlichen Hauses, damals Pfarrer zu Altenkirchen auf Rügen. Solch’ eine fette Pfründe, wie dieser sie besaß, hätte früher oder später auch unserem Candidaten – denn das war er inzwischen geworden – nicht fehlen können; predigte er doch wiederholt mit „Schall und Beifall“. Allein wiederum regte sich der Instinct, oder sagen wir lieber das Gewissen seiner guten Natur. Er fühlte, daß der derbe Stoff, aus dem er gemacht war, sich mit dem geistlichen Wesen nicht vertrüge; noch mehr, sein strenger, sittlicher Sinn sträubte sich gegen die Weltlichkeit, die hier an den geistlichen Amte hing. Er war bestimmt, ein Prediger der ganzen Nation zu werden. Mit freiem Entschlusse wandte er der Kanzel wie einst den Stralsunder Schulbänken den Rücken. Mit diesem Entschlusse schritt er in’s Leben und war er hinaus über die Unklarheit seiner bisherigen Zustände. Wir haben kürzlich ein vornehmes Wort gelesen: nur die Zeit habe diesen Mann gehoben. Die Wahrheit ist: niemals hat Jemand so entschieden sich selbst zu dem gemacht, was er war. Er wurde was er war, weil er sich frühzeitig in die sittliche Zucht nahm, weil er jetzt und später an sich erprobte, daß die Götter vor die Tugend den Schweiß gesetzt haben. Nicht er bedurfte der Zeit, wohl aber bedurfte die Zeit seiner. Und frisch stürzte er sich nun, nachdem er sich selbst wiedergefunden, in die volle Weltlichkeit hinein. Die Freude, die ihm jetzt im Busen wieder aufging, tönt jubelnd aus den Versen, mit denen er fünfzehn Jahre später diesen feinen Eintritt in’s Leben und in’s Mannesalter gefeiert hat. Sie macht sich ebenso Luft in den Episteln, die er aus der Fremde an die zurückgelassenen Freunde richtete. Denn in die weite Welt hatte es ihn hinausgetrieben. Zweck genug, daß er sich frei ergehen, leben und leben sehen wollte. So pilgert er im Frühjahr 1798 über Wien, durch Ungarn nach Italien. Es ist, wie er von Florenz aus schreibt, der mit ihm geborene Geist der Unruhe, der ihn umhertreibt. Nicht, um Pergamente zu durchstöbern, ist er ausgezogen, sondern mehr als alle Pergamente lockt ihn die lebendige Natur. Die lebendige Natur, vor Allem die Natur der Völker und Menschen bringt er sich so breit und vollständig wie möglich zur Anschauung. Einen ganzen Sommer weilt er in Paris, um sodann über Brüssel, Köln, Frankfurt und Berlin wieder heimzuziehen. Noch hat er kaum einen festen Mittelpunkt für die Beurtheilung der menschlichen Dinge gewonnen. Desto mehr hat er die Augen offen für Alles und Jedes. Seine vielbändige Reisebeschreibung (Leipzig, 1801 bis 1803) spiegelt ebenso die sorglose Laune des Wandrers, wie sein weitausgreifendes Interesse für Politisches und Unpolitisches. Mit gleicher Redseligkeit schildert sie uns das äußere Aussehen der Städte, wie die Sitten und Zustände der Bewohner. Wir werden eingeführt in den Jacobinerclub und wohnen dem Leichenfest der bei Rastadt ermordeten Gesandten bei, – aber überwiegend doch will der Verfasser „die freundlichen und lebendigen Seiten des Lebens“ beleuchten, das bunte Gewimmel der Straßen und Märkte, und wie die Menschen schaulustig und genußsüchtig vom Tag in den Tag leben. Mit

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der reichsten Ausbeute ist er endlich im Herbst 1799 in die Heimath zurückgekehrt. Es galt, nach allem Umherschweifen sich zu fixiren und das reiche Material der neu gewonnenen äußeren und inneren Anschauungen zu verarbeiten und zu verwerthen. Nur halb glückte es ihm mit der häuslichen Festsetzung. Leicht zwar erlangte er eine Anstellung an der Greifswalder Universität, auch fehlten ihm die Zuhörer nicht für seine meist historischen Vorlesungen; aber ein geliebtes Weib, das er heimgeführt hatte, starb, einen Sohn zurücklassend, schon im zweiten Jahr, im Sommer 1801 – gleich als ob das Schicksal ihm frühzeitig hätte andeuten wollen, daß die Stürme der Zeit einen freien Mann verlangten, dessen Fuß nicht an die Scholle und dessen Herz nicht an das Glück eines häuslichen Heerdes gebunden sei. Laute des Schmerzes und der Wehmuth begegnen uns seitdem häufig in seinen Liedern, aber selbst dieser herbste Verlust vermochte nicht mehr, die innere Sicherheit und den gehobenen Glauben zu zerstören, den er sich erworben hatte. In Tapferkeit und Frömmigkeit ist er von dieser Zeit an ein für alle Mal über alle Schläge und Widerwärtigkeiten des Schicksals, über alle „Verfinsterung und Erstarrung“ hinaus. Als Lehrer, als Schriftsteller, mit seiner ganzen Persönlichkeit ist er auf rüstiges Wirken nach Außen hingerichtet. So faßt er das Nächste und das Weiteste in’s Auge. Das Nächste: die Noth der leibeigenen Bauern in seiner schwedischen Heimath. Mit fester Hand packt seine „Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen“ das Unrecht und die Unmenschlichkeit der Privilegirten an: er hat die Genugthuung, verklagt, aber auch gerechtfertigt zu werden; ja, von seinem Bruder Fritz in dem Kriege gegen die Rügenschen Junker secundiert, erlebte er die größere Genugthuung, daß sein Buch mitwirkte zur geschwinderen Aufhebung jener Helotenverhältnisse. Und das Weiteste. In eben diesen Jahren bringt er die „Reisen durch einen Theil Deutschlands, Italiens und Frankreichs“ zu Papiere. Im Herbst 1803 bis 1804 erlangt er Urlaub für eine Reise durch Schweden, und sofort giebt ihm auch dies Stoff zu einem neuen, zweibändigen Reisewerke. Wir haben den Standpunkt dieser Schriften bereits oben angedeutet. Derselbe ist nicht so sehr der politische als der kosmopolitische. „Das Menschliche und das Menschenleben in einigen Zügen dargestellt zu haben“, ist die ausgesprochene Absicht des Verfassers. Für die humanen Seiten der Revolution, für das zumal, was die neue Freiheit dem französischen Bauer gebracht, zeigt er die lebhafteste Theilnahme. Ihm entgeht nicht die Sittenlosigkeit und die Herrschsucht der Franzosen, aber ihre Liebenswürdigkeit rühmt er mit dem wärmsten Lobe; er rühmt, daß das „heilige Gesetz der Menschlichkeit“ sich durch dieses Volk weit über die Erde verbreitet habe, – und dem „großen Genius Bonaparte’s huldigt er in aufrichtiger Bewunderung. Es war die Anschauungsweise des ganzen Zeitalters: bald sollte sich zeigen, daß dieselbe bei ihm doch einen anderen und tieferen Kern hatte, als bei der Masse seiner deutschen Zeitgenossen. Ein großer Umschwung in der Schätzung des Menschlichen und seiner Stellung zum Himmel und zu den irdischen Dingen bereitete sich überhaupt an der Grenze der beiden Jahrhunderte vor. Schon unsere klassische Dichtung hatte Ströme lebendiger Anschauung über die Dürre der deutschen Wirklichkeit ausgegossen. Ueber die Verflüchtigungen, Theilungen und Entgegensetzungen des Verstandes sehnte man sich zu dem Realen, dem Ganzen, dem Einheitlichen hinaus. Die Sperren und Dämme, welche

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dieser Verstand drinnen und draußen errichtet hatte, durchbrach hier das überströmende Gemüth, dort die beflügelte Phantasie. Aus unklaren Gefühlen und ausschweifenden Einbildungen hätte man sich gern die neue Welt zusammengewoben, in der man eine vollere Befriedigung genösse als in der, die man bisher gedacht und unter den Füßen gehabt hatte. Man dichtete und träumte, man glaubte und prophezeite diese neue Welt, man rang bald kecker bald mühsamer diesen Glauben und diesen Traum der übermächtigen und zu festen Formen ausgebildeten Reflexion ab. Die Philosophie selbst kam diesem Streben entgegen; sie fing an, mit Begriffen zu Bildern, Empfindungen und Anschauungen in begriffliche Konstruktionen zu zwingen. Aus der bloßen Ahnung und Sehnsucht versuchte man ein neues und schöneres Leben herauszuspinnen; tastend griff man dazwischen nach fernen und vergangenen Epochen, um einen festen Stoff und Boden für die gemeinte und doch vermißte Neugestaltung des Lebens zu finden. Von dieser Strömung des deutschen Geisteslebens wird jetzt auch Arndt ergriffen; aber aus seinem eigensten Innern fluthet es zugleich mächtig in derselben Richtung. Die Kraft und Fülle seiner Natur, das Erbtheil seiner Geburt und Erziehung, sie, die ihn im Gegensatz zu den Bildungsstoffen und Formen der Zeit so seltsam gepeinigt hatte, ist mehr und mehr zu einem vollen Gefühle seiner selbst erstarkt. In jenen frühen Seelenkämpfen, in erster sittlicher Arbeit hat er sich dieser Natur doppelt versichert; trotzig und zuversichtlich darf er sie jetzt den hohlen Kulturformen seiner Zeit gegenüberstellen. Wahrer, natürlicher, energischer und rücksichtloser als irgend ein Andrer bricht er daher nun auf einmal aus gegen die schaale Aufklärung, die alles Starke, Gesunde, Natürliche verflüchtigt und in ein Nichts verwandelt habe. Der Protest der Romantik gegen das Unschöne, Unlebendige der einseitigen Verstandesbildung formulirt sich bei ihm bestimmter zu der Verurtheilung des ganzen übergeistigen Treibens der Zeit, zu der Forderung, daß mit dem Wissen das Können sich verbinden müsse, zu dem Satze, daß eine gesunde Seele nur in einem gesunden Körper wohnen könne. Dies ist das Eine große Thema seiner nächsten Schriften bis zum Jahre 1805; es bildet die Grundlage auch seiner späteren Werke bis zu dem wichtigen Wendepunkt seines Schicksals im Jahre 1811; es bleibt, auch wenn es nicht mehr so ausdrücklich eingeschärft wird, der Schlüssel seiner Gesinnung und seines Wirkens bis an’s Ende seines Lebens. In einer historischen Umschau, die die hervorragenden Größen und die epochemachenden Begebenheiten des Jahrhunderts, Friedrich und Joseph, die americanische und die französische Revolution in’s Auge faßt, stellt er zuerst in der Schrift „Germanien und Europa“ (1803) der kranken Zeit die Diagnose. Er führt aus, wie in dem Jugendalter der Menschheit der Leib die Herrschaft gehabt, wie die Schönheit des griechischen Lebens auf der Einheit aller Seelenkräfte beruht habe; wie sich in der Barbarei des Mittelalters Seele und Geist getrennt, und wie in der neuen Zeit der Geist immer einseitiger, immer verderblicher sein Regiment entwickelt habe. Mit sprudelnder Beredsamkeit wird dieses Regiment geschildert. „Dieser Geist, der keine Schranken kennt und keine Bescheidenheit ehrt, wenn er allein steht, sondern schneidend wie Wind und unbezwinglich wie Licht hinfährt und niederbraust und zerbrennt, was ihm gefällt, zerriß frech den heiligen Isisschleier, der über der Natur und dem Gemüthe züchtig lag; er wollte Alles wissen und mußte daher aufdecken, was in stiller Zucht und Verborgen-

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heit dem Menschen größer und himmlischer kommt wie Ahnung, als wenn es entseelt und zerschnitten wie eine anatomische Leiche vor ihm hingelegt wird.“ „Der Geist, der Ueberflieger, machte die ganze Natur zu einem Cadaver; er lehrte alle irdische und physische Schwere und Gestalt verachten, als die den freien Flug hindern; die Menschen, die endlichen, ließen sich von ihm bethören und verloren die Erde, indem sie seinen Himmel wollten.“ Auf allen Gebieten zeigten sich die verwüstenden Folgen dieser Verirrung. Sie zeigten sich im Staatsleben in mechanischer Subordination, in einem alle Begeisterung ertödtenden Despotismus, sie zeigten sich in Wissenschaft und Kunst und zeigten sich vor allem in dem Verfall der Religion, in dem Verlust von Glauben, Liebe und Hoffnung. „Nebelnd, schielend und lose“ nennt Arndt selbst die theoretischen Ausführungen dieses Buches. Niemand wandelt ungestraft unter Palmen, geschweige denn zwischen den Dornen der Metaphysik und den betäubenden Düften der Romantik. Hat doch unser Verfasser zu den Füßen Fichte’s gesessen; hat ihn doch mächtig die Sprache Johannes Müller’s ergriffen; hat doch auch er sich an den Klängen alter und neuer Dichter, an den poetischen Träumen der jüngsten Literaturschule berauscht. Was als energische Empfindung in ihm arbeitet, vermag sich nicht anders zu fassen, als in den Formen der Zeit. Er weiß sich in der Gegenwart nicht besser zu orientiren, als indem er sie und ihr geschichtliches Werden nach allgemeinen Begriffen construirt; gerade in den weiten Zwischenräumen dieser Construction wiederum hat die poetische Unklarheit, die unbestimmte Sehnsucht nach einer neuen Geburt der Zeiten, das Lob der Mystik, der Zug nach der Vergangenheit deutschen Lebens den bequemsten Raum. Nichts desto weniger überwiegt über diese Unklarheit der Form der kerngesunde Grund des Gefühls und der Meinung, welche hier nach einem Ausdruck ringt. Schon in dieser ersten bedeutenderen Schrift Arndt’s haben wir volle Bürgschaft, daß dieser Mann nicht in dem Nebel oder gar in der Eitelkeit romantischer Vorstellungen wird hängen bleiben, daß seine Opposition gegen das einseitige Verstandesthum nicht in ebenso einseitige Phantasie- und Gemüthsseligkeit, in düsteren Mysticismus, in trübe und träge Gläubigkeit umschlagen wird. Jedem Wort ist der Stempel der Wahrhaftigkeit aufgeprägt, und dem Verstande, sofern er nur nicht allein herrschen will, sofern er nur nicht übersichtig ist, sondern mit hellen Augen das Wirkliche sieht, wird seine volle Ehre gelassen. Nur die schwächlichen und halben, die eitlen und unwahren Geister sind in den Strudeln des romantischen Wesens jener Tage untergegangen; die kräftigen und ernsten haben sich aus denselben zu einer höheren Bildungsform durchgerungen. Auf dem Boden der Wissenschaft der Unform gährender Begeisterung wieder Gestalt und Maaß gegeben, die Unbestimmtheit des Gefühls wieder zu Verstande gebracht zu haben ist das Verdienst der Hegel und Schleiermacher. In einer anderen Sphäre lag die Kraft des Verfassers von „Germanien und Europa“. Das lebendige Leben war sein Element und seine Bestimmung; nicht die Begriffswelt, auch nicht die Welt der Gefühle als solche war das Material, in dem er arbeiten mochte, sondern der ganze und wirkliche Mensch. Man lese seine „Fragmente über Menschenbildung“ (1805) – diesen Nachklang seiner eignen Bildungsgeschichte. In ihnen zuerst faßt er die Aufgabe positiv an, das Elend der Zeit praktisch-verständig zu überwinden, die Aufgabe, eine künftige Generation von Menschen durch eine naturgemäßere Erziehungsmethode zu retten vor der Übergeistigkeit der gegenwärtigen. Man lese die 1805 und 1807 geschriebenen „Briefe an

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Freunde“. Wie strotzen diese Briefe von Gesundheit und Leben! Wie deutlich zeigen sie in ihrem Raisonnement über Kathederweisheit und Gelehrtenthum, über alte und neue Dichtkunst und vor Allem über das Verhältniß des Weibes zum Manne, daß hinter den Theorien und Constructionen, in denen der Verfasser sich anderwärts umherwarf, sein persönliches Gefühl, das Gefühl seiner eignen menschlichen Stellung zu den Menschen seiner Zeit und seiner Umgebung lag. Um es kurz zu sagen; der eigentliche Boden, auf welchem die Anschauungen Arndt’s fruchtbar werden und auf welchem sie ihre theoretischen Schiefheiten überwachsen mußten, war die wirkliche Welt und die Bewegung des handelnden Lebens. Es bedurfte nur, daß dem sittlich-praktischen Blick und Drang dieses Geistes ein bestimmteres Ziel sich entgegenstelle. Es war reichlich dafür gesorgt, daß es ihm an solch’ einem Ziele nicht fehle. Schon in „Germanien und Europa“ hatten die Franzosen und deren Auftreten in und seit der Revolution den Hintergrund des von der verkehrten Bildung der Zeit entworfenen Gemäldes abgegeben. Arndt’s Urtheil über diese Nation und überhaupt seine politische Denkweise hatten sich nach kurzer Unsicherheit alsbald wieder auf die Grundlage zurückgeworfen, die dafür in den Anfängen seiner Erziehung gelegt war. Die Heldengestalten eines Gustav Adolf und Friedrich des Großen hatten schon den Knaben gegen den Glanz republikanischer Experimente kühl gemacht; der realistische Zug seines Wesens, das was er seine „Philisternatur“ nennt, hatten ihn frühzeitig gegen jenen Schwindel geschützt, in welchen die ersten Acte der französischen Revolution so viele unsrer besten Männer hineinrissen. Nur eine natürliche Entwicklung war es, wenn der Gegensatz, den er gegen die „verdünnte Geistigkeit“ des Zeitalters empfand, mehr und mehr sich zu einem national-politischen Gegensatz gegen Frankreich und Bonaparte verdichtete und allmählich hierin seinen eigentlichen Schwerpunkt, seine praktische Spitze fand. Arndt selbst hat uns diese Entwicklung geschildert, den Prozeß, wie er ein politischer Mensch, der erste Herold und Bannerträger von Deutschlands Freiheit und Einheit wurde; wie er anfangs mehr ein schwedisches als deutsches Herz gehabt, wie ihn dann zuerst das Schalten der Franzosen in dem Südwesten Deutschlands mit Unmuth und Aerger erfüllt, wie die Schmach des Lüneviller Friedens ihm schwer zu Herzen gegangen, wie endlich das österreichische Unglück vom Jahre 1805 und die preußische Niederlage von 1806 Unmuth und Aerger in Zorn und Groll umgewandelt habe. „Als Oesterreich und Preußen nach vergeblichen Kämpfen gefallen waren, da erst fing mein Herz an, sie und Deutschland mit rechter Liebe zu lieben und die Wälschen mit rechtem treuen Zorn zu hassen; als Deutschland durch seine Zwietracht nichts mehr war, umfaßte mein Herz seine Einheit und Einigkeit.“ Die Stimmung des Jahres 1805 ist es, die sich zunächst in dem Ersten Theil des „Geistes der Zeit“ abspiegelt. Schon der Titel sagt uns, daß der Standpunkt des Verfassers noch immer jener allgemein-menschliche ist, von dem uns die Ereignisse nicht sowohl als historisch-politische Facta, denn als Zeichen und Geburten der Zeit erscheinen. Es handelt sich nicht um eine pragmatische Erzählung oder eine staatsmännische Kritik der Begebenheiten, sondern um ein Verstehen ihrer innersten Bedeutung, um ein Erklären derselben aus dem tiefsten Lebensgrunde des Zeitalters. So faßten ehedem die Propheten des alten Testaments ihre politisch-nationale Pflicht auf. Nicht sowohl Politik als die Religion dieser Politik predigt der Verfasser; nicht sowohl das Einzelne als das Ganze faßt er in`s Auge; nicht als Staatsmann sondern als begeisterter Redner spricht er,

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dringt er ein auf die geistigen und sittlichen Ursachen des Verderbens, setzt er den Hebel an die Wurzel des morschen Stammes der Zeit an. Es ist in der Hauptsache das Thema von „Germanien und Europa“, welches wiederholt wird. Der Verfasser beginnt mit sich selbst. Alles hat sich in leiblose Form, in körperlosen Geist aufgelöst: wie sollte der Einzelne widerstehen können? Aber dennoch, oder ebendeswegen – ; hier gibt es nur Eine Rettung. Wodurch wir schwach sind, dadurch können wir auch nur stark sein; das Feuer, das uns verbrennt, muß uns auch erleuchten – es gibt, von der höchsten Spitze übertriebner Geistigkeit zu dem „verlorenen Weltverstande und der verlorenen Weltempfindung“ zurückzulenken. In diesem Sinne zeichnet der Verfasser von Neuem und in größerem Umblick den Geist, der in den Schriften wie in den Werken der Zeitgenossen herrsche; er stellt die gegenwärtige mit der früheren Menschheit zusammen, läßt den Blick über die Völker des alten und des neuen Europa schweifen, wie ihm die Geschichte jene, die eigne Anschauung diese gezeigt hat. Aber sofort zieht sich das vielfarbige Bild zur Schilderung der sittlichen Schwäche, der politischen Zerfahrenheit Deutschlands, zu einem Weheruf über die Noth und Schrecken der jüngsten Tage, zu Anklage und Vermahnung derer zusammen, bei denen die Schuld ist. Im November und December 1805, unter dem Eindruck der Nachricht von Ulm und Austerlitz, ist das Buch in wenigen Wochen „auf dem glühenden Amboß der Zeit geschmiedet“. Da wird von Blatt zu Blatt, gegen den Schluß die Rede heißer, die Anklage bestimmter und härter, die Mahnung dringender und egreifender. Nun geißelt sein strafendes Wort die Fürsten, die unfürstlich ihre Würde, ihre Pflicht, ihre Völker verrathen und mit den fremden buhlen und feilschen, nun schilt er die Edelleute in’s Gesicht, die alles Ritterliche vergessen, die den Stern der Ehrenlegion des gallischen Despoten zum Lohne dafür tragen, daß sie deutsches Blut vergossen. Er schildert – mit einem Grauen, das sich noch nicht völlig der Scheu vor des Mannes „gewaltiger Naturkraft“ entschlagen kann – den „Emporgekommenen“. In ihm recht eigentlich erblickt er eine höchste Consummation des Geistes der Zeit, den dieser Mann dunkel in sich trage, um allmächtig durch ihn zu wirken. Fast rathlos wendet er sich von dieser Erscheinung, einer Erscheinung, ähnlich der der römischen Aemile und Sulla, zu dem Bilde der ganzen Zeit zurück, die den Gewaltigen trägt. Zwischen dem Schmerz der Verzweiflung und zwischen anfeuernder Hoffnung wogt seine Empfindung und seine Rede hin und her. „Jetzt wird gefühlt, was vor zehn Jahren und fünf Jahren gesündigt ward; weither und weithin rollt das Rad des Verderbens – wo wird es stillstehn?“ Dann, meint er, wird es stillstehn, wenn ein gleich Gewaltiger dem Gewaltigen mit gleichen Waffen entgegentritt. Vielmehr, es wird stillstehn, wenn Alle so fühlen, wie unser Redner fühlt. Sein letztes Wort ist wie sein erstes. Es ist das Wort gläubiger Hoffnung gegen die Stimmung fatalistischer Ergebung. Es appelirt an den lebendigen Menschen, der sich aus dem Mechanismus, zu dem der „Geist“ Alles herabgebracht hat, in das volle Gefühl für Freiheit, Tugend und Vaterland zurückfindet. „Wenn jeder Einzelne sich herrlich fühlt, das Volk würdig, das Gesetz heilig, das Vaterland unsterblich, die Fürsten edel – dann fürchtet euch nicht: die Welt ist gerettet. Hundert solche sind Zentausenden gleich!“ Und einstweilen rollte das Rad des Verderbens unaufgehalten weiter; nicht lange, und es griff unmittelbar in das Lebensschicksal unsres Schriftstellers. Wie hätte es anders sein können! Unmöglich konnte es den, der der Kathederweisheit so viel Uebles nachzusagen hatte, lange auf dem Katheder dulden – wir finden ihn während des

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Sommes 1806 in Stralsund für die schwedischen Angelegenheiten in der Regierungskanzlei arbeitend. Für die Ehre des deutschen Namens tritt er hier in einem Zweikampf gegen einen schwedischen Offizier ein. Ein kleines Vorspiel der Schicksale, in die sein Herz, sein patriotischer Eifer ihn verwickeln sollte! Denn auch an die Küsten der Ostsee wälzten sich nun, nach der Schlacht bei Jena, die feindlichen Truppen. Der Mann, der kecker als ein Andrer dem fremden Tyrannen den Fehdehandschuh hingeworfen, dessen glühende Worte alle deutschen Herzen – nicht erfolglos – gegen ihn in Waffen zu rufen versucht hatten, sah sich genöthigt, als ein Geächteter über das Meer zu fliehen. In Stockholm findet er Schutz und Arbeit. Während ihn aber die schwedischen Dinge in der Staatskanzlei beschäftigen, ist seine Seele ganz bei den deutschen Dingen. Wie diese sich immer verhängnißvoller entwickeln, so folgt er ihnen mit seiner prophetischen Rede. Im Herbst 1806, im Januar und Juli 1807, im Herbst 1808 schreibt er die Stücke, die er zusammen als Zweiten Theil des Geistes der Zeit veröffentlicht – ein Buch, das er selbst ein „wanderndes Bild der Zeit“ nennt. Ganz und unmittelbar steht er mit diesen Betrachtungen und Reden in der Gegenwart. Der Grundtext ist der alte. Auch hier beginnt er mit der Kriegserklärung gegen die impotente übergeistige Bildung; auch hier noch schließt er mit einer großen historischen Vision, in der er auf den Anbruch einer dritten Epoche des Christenthums hinweist, welche die Herrschaft des Verstandes brechen, das Werk und die Meinung Luther’s wiederaufnehmen und uns „durch den heitern Götterglanz des vergeistigten Christenthums zur Einfalt und Unschuld der Natur“ zurückführen werde. Allein dies ist nur der Rahmen des Bildes, das er aufrollt, dies sind nur die am Rande spielenden Farben des Lichtes, welches er ausströmt. Der Sinn seiner Rede ist der, daß die äußere Gestalt der Welt nur aus der innersten Kraft des Gemüths und der Gesinnung geändert werden könne, und daß es der Religion bedarf, um mit tapferem Arm die Noth der Zeit zu bezwingen. Dem Idealismus der Metaphysik hält er den lebendigen Idealismus entgegen, der in der Geschichte den Willen Gottes erblickt und diesen Willen aus dem Gewissen, dem Gebote der eignen Brust versteht. Selbst Fichte hat von diesem allein rettenden Glauben nicht kräftiger und schöner geredet. Ja, er tritt uns hier auf dem Grunde einer noch volleren, noch leidenschaftlicheren Empfindung der furchtbaren Leiden der Zeit entgegen. Schonungslos werden diese Leiden aufgedeckt; denn „tief und ganz muß man sein Uebel durchschauen, um aus der Verwesung wieder Leben zu entzünden“. Tief und ganz; ebendeshalb begnügt sich der Redner nicht mit allgemeinen Schilderungen, sondern wenn er jetzt den „großen Grund“, den „höchsten und tiefsten Schwung“ der Dinge gewiesen hat, so faßt er sie dann wieder fest und klar bis in’s Einzelnste und Kleinste in’s Auge; wenn er jetzt den Zeitgenossen in’s innerste Gewissen geredet hat, so zeigt er dann wieder das ganz Praktische und was zunächst geschehen muß, wenn es besser werden soll. Vollkommen enthüllt hat sich ihm jetzt vor Allem die Gestalt Bonaparte’s. Seine Hoffnung, daß der Tag der Rache kommen werde, gründet sich nun in erster Linie gerade darauf, daß dieser Mann „vollkommen böse“ und daß seine Größe so unendlich klein ist. Wie freilich hätte der Tyrann mit der „engen, treulosen, blutigen und geizigen Seele“ ein solches Werk der Zerstörung vollbringen können, wenn nicht unsre Schwächen und Schäden so gar groß wären? Seit dem Falle Oesterreichs und Preußens sind auch diese Schwächen und Schäden vollkommen enthüllt. Die große Hauptkrankheit der Zeit war jene empfindelnde Humanität, jener weich-

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liche Kosmopolitismus, durch den wir uns bethören ließen, daß „Kriegsruhm wenig, daß Tapferkeit zu kühn, daß Männlichkeit trotzig und Festigkeit beschwerlich sei“. Unser Uebel war weiter unsre Verfassung oder Verfassungslosigkeit, jene „unpolitische Gerechtigkeit unsres Volkes, welches das Veraltete selbst nicht aufzuräumen wagte und es nun von Fremden aufräumen sehen muß“. So aber war es wegen der Jämmerlichkeit unsrer Herrscher und Führer. Und er charakterisiert sie. Zuerst die Lauheit, den undeutschen Sinn, die Feilheit, die superkluge und gewissenlose Sophistik der Schriftsteller. Sodann die Unfürstlichkeit der Fürsten, die Nebenbuhlerei und die kurzsichtige Politik von Oesterreich und Preußen. Und immer wieder folgt dann der Aufruf zur Ermannung, der begeisterte Ausdruck der Hoffnung auf Sieg und Erneuerung. Er schließt, indem er sagt, worin diese Erneuerung bestehen soll. Keine Wiederherstellung der alten unbehülflichen Verfassung des Vaterlandes mit ihren nichtsnutzigen Formeln und Schnörkeln; auch keine kleine Ausbesserung und augenblickliche Flickerei, sondern ein enges, Alle zusammenhaltendes Band! Oesterreich und Preußen allein sollen in Zukunft führen: diesen beiden müssen die übrigen deutschen Fürsten eben so gehorchen lernen für das Vaterland, als sie jetzt Bonaparten gehorchen gegen das Vaterland. So in der Hauptsache war der Sinn und die Gesinnung, so der Inhalt und der Ton des Buches, von welchem Stein urtheilte, daß es mit „erschreckender Wahrheit“ geschrieben sei. Gewaltig schlug es ein in die Zeit und wurde zur Standarte für alle Gleichgesinnten. Mit diesem Buche gedachte gerade darum der große Agitator im Jahre 1812 die Gemüther in Deutschland zu dem Befreiungskampfe aufzuregen: einer der Vorschläge, die er dem Kaiser Alexander in seiner Denkschrift vom 18. Juni jenes Jahres über die Entfesselung und Benutzung der deutschen Kräfte machte, betraf die Verbreitung eines neuen Abdrucks des Zweiten Theils des „Geistes der Zeit“ –; ein weiterer Vorschlag betraf die Berufung des Verfassers nach Rußland, um seine Feder für den Dienst der guten Sache zur Verfügung zu haben. Es waren nichts weniger als frohe Jahre gewesen, welche Arndt in der schwedischen Hauptstadt verlebt hatte. Weder die Menschen noch die Dinge, von denen er hier umgeben war, sagten ihm zu. Zu seinen Lieblingen, den Griechen, zu seinem Hans Sachs und Doctor Luther flüchtete er, wenn ihn das „kleine Nichts“ verdroß, das er treiben mußte, „um an der Erhaltung des letzten noch nicht gefallenen Nichts mit stümpern zu helfen“. Zu dem Schmerz um das deutsche Vaterland kam der um die Zerrüttung des schwedischen Staats. Ein Träumer saß Gustav IV. Adolf am Steuer des Staatsschiffes, bis das Schiff auf den Strand lief und die in der Bemannung ausgebrochene Meuterei ihn zur Seite schob. Mit hellem Auge sah Arndt die unvermeidliche Entwickelung dieser Tragödie, doppelt tragisch, weil auch sie einen Sieg Napoleon’s bedeutete. Und als nun rasch auf die schwedische Katastrophe andere Unglücksbotschaften folgten, als 1809 Schill gefallen und die Oesterreicher abermals geschlagen waren, – da brannte ihn die Stelle, auf der er stand. Unter dem Namen eines Sprachmeister Allmann landet er, die Fährte seiner Flucht hinter sich verwischend, in Rügenwalde; zu Schiff und zu Fuß zieht er westwärts an der Pommerschen Küste entlang nach Trantow an der Peene, dem Orte, den sein Vater in letzten Jahren bewirthschaftet und wo nun die überlebende Familie ihren Wohnsitz behalten hat. Selbst hier indeß – auch in der Heimath befindet er sich ja auf französischem Boden – ist für den Geächteten keine Sicherheit: er wählt einige Monate Berlin zu seinem Versteck, bis er, nach der Rückgabe des Landes an

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Schweden, auf seine alte Stelle in Greifswald zurückkehren darf. In der gedrückten Muße dieser Zeit schreibt er für sich die schwedischen Geschichten nieder, deren Zeuge er gewesen. Aber nicht auf solche Muße oder auf historische Aufzeichnungen der Gegenwart ist er gestellt. Am wenigsten denkt er an so unsicherer Stelle sich gemüthlich festzusetzen. Eine Heimath will er erst haben, wenn er wieder ein Vaterland hat. In dem Moment, wo sich, nach Osten deutend neue Wetterwolken an dem europäischen Horizonte zusammenzogen, hat er nur Einen Gedanken: den, sich innerlich und äußerlich auf die kommenden Begebenheiten und für seinen patriotischen Beruf zu rüsten. Was kümmerte ihn das Geschwätz der Freunde und Verwandten, daß er ein ruheloser Geist, leichtsinnig und leichtfüßig sei? Er schrieb sich in diesem Winter von 1810 auf 1811 seinen eigenen Katechismus. In diesem Katechismus standen die Worte: „Folge Deinem Triebe und entbehre Vermögen, Geschrei der Menge, Beifall der Stunde; nur wer Eins fest will und im Auge behält, ist immer groß.“ In solcher Gesinnung, in dem alten, dem Manne gebliebenen Glauben seiner Jugend, daß es nur eines keuschen und frischen Leibes, nur frommen Muthes und fester Heiterkeit bedürfe, um „glorreich durchzukommen“ – so entschließt er sich, seine Greifswalder Stelle aufzugeben und sich reisefertig zu machen. Alle Vorbereitungen sind endlich Anfang 1812 beendet; ein kurzes, schmerzliches Losreißen von den Seinen, – und mitten durch die Feinde, die jetzt von Neuem das Land überschwemmen, gelangt der Flüchtling auf preußisches Gebiet. Sein Weg geht über Berlin nach Breslau; das Ziel konnte kein anderes sein als das so vieler anderer Tapferen, die jetzt in dem großen Reiche im Osten den letzten Hort europäischer Freiheit, den letzten Damm gegen die Napoleonische Universalmonarchie erblickten: er war längst mit Pässen nach Rußland versehen. Wunderbares Zusammentreffen! Wohin ihn freiwillig sein Schicksal und seine Gesinnung rief, ebendahin begehrte ihn als Gehülfen der großen Befreiungsarbeit Stein, der Dränger und Treiber Kaiser Alexander’s. In Prag, wohin sich Arndt, nach Napoleon’s Aufbruch von Dresden, begeben, überbrachte ihm Gruner die Botschaft des Ministers. In abenteuerlicher Fahrt ging es durch Böhmen und Gallizien, über Moskau nach Petersburg. Gegen Ende August stand Arndt vor „seinem Herrn“. Eine neue Epoche seines Lebens begann mit dieser Begegnung. Er hatte die Stelle gefunden, an die er gehörte. Ein schöneres Bild hat unsere Geschichte kaum aufzuweisen, als das Zusammenstehn dieser Beiden in dem Werke der Begeisterung, der Aufregung und Fortreißung der Völker gegen den fremden Ueberzieher; ein schöneres Capitel giebt es nicht in dem Leben Arndt’s als das, welches er selbst unter der Ueberschrift: „Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn v. Stein“ noch in spätesten Tagen mit jugendlicher Lust ausführlich beschrieben hat. Und diese Beschreibung bedarf keiner Ergänzung und keines Commentars, außer soweit die Bescheidenheit des Erzählers sich selbst zu klein zurückgestellt hat. Denn überall hier erscheint das Verhältniß als das des Herrn und des Dieners: in dem Gedächtniß der Geschichte aber soll es richtiger als das einer natürlichen Genossenschaft, einer Gemeinschaft des Geistes und der Kraft fortleben. Mehr als Ein Mal hatte Arndt in seinen prophetischen Klag- und Ermahnungsschriften nach dem „großen Mann“ ausgeschaut, der „gewaltig, gebietend und schnell“ gegen den Korsen eintreten und zu seiner Ueberwindung „fürchterlich kühn die Kräfte der Welt anstrengen“ werde. Wie hätte er diesem Mann, nun er ihn gefunden, sich nicht unterordnen sollen? Der Erste war ja Stein unbedingt,

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aber er bedurfte eines Zweiten, der im tiefsten Grunde seines Herzens so Steinisch fühlte und dachte wie er selbst, der, auch wo er nur diente und gehorchte und ausführte, doch aus eigener gleicher Meinung und wie aus freier Eingebung handelte. In der Mächtigkeit und Lebendigkeit vaterländischer Gesinnung, in der Gluth des Hassens und Liebens, in Hoheit und Reinheit des Gemüths, in Sittlichkeit und echter Frömmigkeit war der Diener dem Herrn, der geborne Plebejer dem Reichsfreiherrn vollkommen ebenbürtig. Das Bewußtsein dieser inneren Gleichheit hat ihn auch in der That niemals verlassen; deutlich schlägt es durch das Bekenntniß der Unterordnung und durch die Formen huldigender Ehrerbietung durch. Die Verschiedenheit des Standes und des Naturells entfernte die Beiden nie so sehr, als die Verwandtschaft ihres inneren Menschen, die Gemeinsamkeit des letzten Grundes, aus dem, und des letzten Zieles, für das sie handelten, sie verband. Wohl gab es gelegentliche Anstöße in diesem Verhältniß; das Heftige und Herbe in Stein’s Wesen, das Sprung- und Stoßweise seines Verfahrens wollten mit Geduld und Klugheit ertragen, sein Stolz, der ihn zwar freundlich, aber nie zutraulich werden ließ, wollte durch Selbstgefühl erwiedert[!] und durch Liebenswürdigkeit und Heiterkeit von Seiten des Andern überwunden werden. Arndt verstand die Kunst, die Arbeit des Löwen zu theilen, ohne dabei zu kurz zu kommen, den Zorn und Trotz des Löwen zu besänftigen, ohne sich dabei etwas zu vergeben. Die Demuth, mit der seine „Kleinheit“ sich neben die Größe Stein`s setzt, hat seiner Tapferkeit, seiner Offenheit und Wahrhaftigkeit niemals Abbruch gethan. So sind die Beiden eine gute Strecke mit einander durchs Leben gegangen, so mögen wir sie zusammen als die beiden reichsten Träger des Geistes einer großen Zeit und der in dieser Zeit sich bildenden nationalen Idee verehren. Neben dem Reichsritter der Mann aus dem Volke! Wo wir uns mit bewundernder Ehrfurcht vor Stein beugen, da mögen wir uns dem Andern mit rückhaltloser Liebe nahen. Wir blicken hinauf zu dem Mann der kühnen That: wir verstehen uns auf Blick und Wort mit dem Mann der kühnen und doch milden, der warmen und klaren, der hinreißenden und überzeugenden Rede. Wie oft hat man Stein den politischen Luther Deutschlands genannt: die Wahrheit ist, man muß Stein und Arndt zusammen nehmen, um das vollständige Bild des großen Reformators zu haben. Zu diesem Bilde gehört zuerst das Scharfe, das Rücksichtslose, das Niederwerfende, Vordringende, Thatenlustige, es gehört nicht minder dazu das Sinnige und Gemüthliche, das Fröhliche, Menschliche, Volksmäßige. Wie Stein würde Luther gehandelt, – wie Arndt würde er gelebt und geliebt, gesprochen und gedichtet haben. Wir haben, dünkt uns, das bezeichnende Wort gefunden. Von Luther’scher Kraft, von Luther’s volksthümlicher Einfachheit sind die Schriften und Lieder, die er nun im Dienste Stein’s und der guten Sache, theils in unmittelbarem Auftrag, theils aus dem eignen Herzen ausgehen ließ. Die Betrachtung der Dinge aus einer höheren Perspective darf zurücktreten vor dem Anfassen des Nächsten und Gegenwärtigen. Nicht die Zeitgenossen im Allgemeinen, sondern die zum Handeln in erster Linie Berufenen, die zum Aufstand Gerüsteten, die Bewaffneten, die Kämpfenden, die Siegenden redet er an. Es gilt zuerst die Sammlung der deutschen Streitkräfte in der in Rußland gebildeten Fremdenlegion; es gilt dann, nach der großen Wendung des Napoleonischen Schicksals, die Organisation einer preußischen, einer deutschen Volkswehr. Nachdem er zuerst in Petersburg die „Glocke der Stunde“ geläutet, schreibt er in Königsberg das Büchlein über „Landsturm und Landwehr“. Er schreibt vor Allem seinen „Katechismus

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für den deutschen Kriegs- und Wehrmann“. In der Sprache der Bibel reden die Zwanzig Capitel dieses Büchleins von dem großen Tyrannen und von dem fremden Volke, von der Soldatenehre und der Mannszucht, von der Gottesfurcht, der Eintracht, der Demuth, der Hingebung, lehren sie, „wie ein christlicher Wehrmann sein und mit Gott in den Streit gehn soll“. In dem Geiste dieses Katechismus ist damals von dem deutschen Volke gekämpft und gesiegt worden; in tausend und aber tausend Exemplaren ist er verbreitet worden, haben seine Worte, mit ihrem treuherzigen Ernst, ihrem frommen und zuversichtlichen Ton den Kämpfenden das Herz fest und froh gemacht, die Verwundeten und Sterbenden getröstet. Auch das, fürwahr, sammt all’ den kleineren Flugblättern, wie sie nach Zeit und Gelegenheit von dem Unermüdlichen ausgestreut wurden, ist ein Stück deutscher Literatur. Auch die Literatur thut nun den Dienst des Volkes, sie stellt sich in Reih’ und Glied, sie bewaffnet sich mit dem Landsturm, sie macht aus den Ideen, die in ihr groß gezogen worden, Eisen und Brod und was sonst einer um ihr Leben ringenden Nation das Nöthigste ist. Die Worte unsres Schriftsstellers sind die Worte Eines, den es gelegentlich verdrießt, „Federleserei zu treiben“ und der dann lieber den Säbel umschnallte, sich als Reiter rüstete und zu den Schwarzen zöge. „Da weiß man wenigstens immer, was man soll“ – so schreibt er während des verstimmenden Aufenthalts in Dresden, im April 1813, wo Stein, jetzt an der Spitze des Verwaltungsraths für die deutschen Angelegenheiten, ihn gelegentlich mit manchem unnützen und ärgerlichen Geschäfte plagte. Neben allen solchen Geschäften nichtsdestoweniger findet er nicht blos zu Flugschriften, sondern auch zu größeren geschichtlichen Vor- und Rückblicken Zeit. Schon in Petersburg hat er in einem historischen Almanach (1812) einzelne Capitel einer Geschichte seines Volkes drucken lassen; in Breslau, im Frühling 1813, „auf der Flucht des Lebens“, ergänzt er sie zu den „Ansichten und Aussichten der deutschen Geschichte“; in Dresden wird er mit einem Dritten Theil des „Geistes der Zeit“ fertig, um nun, in wieviel gehobnerer Stimmung als bei den ersten Theilen, wie andere Ereignisse an dem Blicke des Lesers vorüberzuführen, um nun an die alten Mahnungen neue über die Pflicht der Wiederherstellung und Wiedereinrichtung des Vaterlandes zu knüpfen! Gelegenheitsschriften auch dies, aber solche, welche das, was der Moment fordert, mit Vergangenheit und Zukunft, mit allem Hohen und Tiefen der Idee und Gesinnung in Zusammenhang bringen. Eins endlich giebt es, worin dieser Idealismus sich am reinsten zusammennimmt. Manches Arndt’sche Blatt ist und manches andre wird im Strome der Zeit untergehn: aber von Geschlecht zu Geschlecht und von Mund zu Mund – so ist das Vorrecht der Dichtung – werden seine Lieder, die rauhen und doch süßen Lieder fortleben, die damals die Unsrigen schlagen und siegen halfen. Ein achtzehnjähriger Jüngling hatte Arndt sein erstes, uns erhaltenes Gedicht, ein Siegeslied auf die Hermannsschlacht gedichtet. Es verräth uns, unter welchen literarischen Einflüssen seine Jugend stand. Er war aufgewachsen in jener Epoche wiederaufgehender deutscher Poesie: man erfreute sich, auch in seinem elterlichen Hause, an den Erstlingen Göthe’s, vor Allem an den Liedern der Klopstock, Bürger, Voß und Stolberg. In den Ton dieser Sänger einzugehen, wie ihn mit glücklicher Leichtigkeit auch der befreundete Kosegarten anstimmte, war dem Lebensmuth des Jünglings natürlich. Alle weicheren und unbestimmteren Regungen seines Herzens klang er ohne Mühe in die bequemen, von jenen Dichtern zurechtgelegten Formen der Sprache und des Verses

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aus, er fiel bald ebenso leicht in Ton Schiller’s oder Göthe’s, oder versuchte sich gar in der Künstelei eines Sonettes. So spielte er mit Reimen, um seine Lust an der Natur, um sein Gefühl für Freundschaft und Liebe, um heitere und schmerzliche Lebenseindrücke wiederzugeben, um eine Sage oder ein Mährchen, eine vorüberschwebende Phantasie, einen Traum, eine Stimmung zu befestigen. Die meisten dieser Jugendpoesien sind harmlos und unbedeutend; am besten gerathen ihm die Gesellschafts- und Trinklieder, die Lieder, die eine persönliche Beziehung haben. Der beste Schatz seines Gemüths jedoch und der tiefste Ernst seines Wesens vermag nur selten in diese Spiele einzudringen: in dem trüben Sommer 1807 klagt er einem Freunde, daß das Politische das Poetische in ihm ganz zu zerstören drohe. Inzwischen lernt er von den Griechen, wie die beredteste Dolmetscherin patriotischer Empfindungen doch die Dichtung ist. Er begleitet die Prosastücke seines Zweiten Theils des Geistes der Zeit mit Übersetzungen von Liedern des Kallinus und Tyrtäus und dichtet ihnen selbst seine ersten Kriegslieder nach. Mit dem Jahre 1810 sodann bemächtigt sich der Zorn über die Schmach des zertretenen Vaterlandes noch entschiedener der poetischen Form. Das Poetische ist ihm nun nicht länger ein bloßes Spiel der Erholung; er lebt jetzt nur Ein Leben; Politisches und Poetisches hören auf neben einander zu stehn – er ergreift ihre Einheit in inbrünstigem Gebete, in lautem Ruf nach Waffen und nach Rache. Nun verschwinden die mythologischen Tändeleien aus seinen Gedichten; an die Stelle der blos poetischen Götter tritt der „alte treue deutsche Gott“. Und der alte Gott bezeugt und bewährt sich. Ein Hauch der Hoffnung und Begeisterung geht von Neuem durch die Welt; es ist Ereigniß geworden, was sonst nur in der Phantasie der Dichter lebte; Deutschland hat seinen zweiten Hermann gefunden, es giebt wieder wirkliche Schlachten und Helden zu singen. „Das ganze Deutschland soll es sein!“ so weit darf die Sehnsucht des Sängers nach einem freien Vaterlande die Fittiche wieder ausspannen; begeistert von den gegenwärtigen Thaten seines eigenen Volkes, und aus dem Herzen dieses Volkes singt er dem Volke helle, frische tapfere Lieder in die Seele: Der Gott, der Eisen wachsen ließ, Der wollte keine Knechte, Drum gab er Säbel, Schwert und Spieß Dem Mann in seine Rechte, Drum gab er ihm den kühnen Muth, Den Zorn der freien Rede, Daß er bestände bis auf ’s Blut, Bis in den Tod die Fehde. Laßt wehen, was nur wehen kann, Standarten wehn und Fahnen! Wir wollen heut uns Mann für Mann Zum Heldentode mahnen: Auf! fliege, stolzes Siegspanier Voran den kühnen Reihen! Wir siegen oder sterben hier Den süßen Tod der Freien.

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Ja, das waren wieder echte Volks- und Soldatenlieder, das Lied von Schill und von Gneisenau, von den Preußen und ihrem König, von dem Marschall Vorwärts und von Scharnhorst und Stein! Schlicht und schmucklos, wie Eisen hart und scharf, sind sie von noch männlicherem Klang als die beredten Gesänge Körner’s, von soldatischerer Haltung als die ritterlich-romantischen Dichtungen Schenkendorf ’s. Der Marschschritt und der Trommelschlag tönt in ihrem Rhythmus, die frische Reiterluft, der losgebundene Zorn gegen die Fremden, Todesmuth, Siegeshoffnung, Gottvertrauen athmet aus ihen Worten. – Die große Entscheidungsschlacht war endlich geschlagen, der Fluch der Fremdherrschaft war gebrochen. Arndt hatte den Sommer über, theils in seines Herrn, theils in eignen Geschäften, in Berlin, in seiner Pommerschen Heimath, zuletzt in Reichenbach, dem Schlesischen Congreßort, gelebt. Von Leipzig, wohin Stein ihn nach der Octoberschlacht citirt hat, läßt er seine nächsten Flugschriften ausfliegen. Sie haben den Zweck, das Geschehene zu deuten, das Künftige vorzubereiten. Dem „preußischen Volk und Heer“ widmet er jubelnd die ersten Worte. Wir haben früher gesehen, wie er zum politischen Menschen geworden, wie sein schwedisches Herz sich in ein deutsches gewandelt und wie fortan die Liebe und Leidenschaft für Deutschland ihn ausschließlich erfüllte. Die Dankrede an das preußische Volk und Heer ist das Denkmal einer neuen Wendung in seinem politischen Bewußtsein. Zehn und acht Jahre früher – wie hart und einseitig hatte er noch über Preußen geurtheilt! In Preußens großem König hatte er überwiegend den Repräsentanten jener aufklärerischen Verständigkeit erblickt, die alles frische Leben erstickt, alles Natürliche und Freie in die Fesseln des Mechanismus gezwungen habe. Offen hatte er seine Abneigung gegen den despotischen norddeutschen Staat ausgesprochen, hatte die Monarchie Friedrich’s des Großen beschuldigt, daß sie das letzte Band zwischen dem Norden und Süden Deutschlands aufgehoben habe. An diesem Urtheil hatte die Zeit und hatte nicht minder die unklare Sehnsucht unsres Romantikers nach einer freieren, frischeren, naturwüchsigen Existenz Schuld. Aber Alles war seitdem neu geworden. Es war an den Tag gekommen, welche lebenschaffenden Triebe unter dem spröden Eise des norddeutschen Wesens verborgen lagen, welche Gefahren, zumal wenn es sich um politische Leistungen handelt, an der „Lebensfröhlichkeit und Gemüthlichkeit“ des Süddeutschen haften. Es hatte sich gezeigt, was es bedeute: ein wirklicher Staat sein, und, vor Allem, dieser preußische Staat hatte thatsächlich in sich die Wiedergeburt vollzogen, von der Arndt unablässig gepredigt hatte. Das Preußen von 1813 war ein andres als das Preußen von 1805. Die Noth, die es erduldet, hatte die Idee, auf der es gegründet, den erstorbnen und erstarrten Geist in ihm wieder lebendig gemacht. Durch das Vertrauen auf das freie Walten dieses Geistes, durch die sittlichen Kräfte, die sich in Folge dessen aus dem Grunde des Volkslebens emporhoben, durch Liebe und Treue war der kleine und schwache Staat wieder ein großer und mächtiger geworden. Diese Wandlung, in glänzenden Waffenthaten bewährt, begriff und pries unser Verfasser. Die Wirklichkeit hatte seine romantischen Vorstellungen geläutert, berichtigt. Die Preußen galten ihm nun mit Recht als die „Beginner der deutschen Herrlichkeit“, als die „glorreichen Vortreter und das erste Beispiel der Freiheit und Ehre“. In Preußen sah er nun seit der Leipziger Schlacht den rechten Eckstein Deutschlands – er ward „mit voller Liebe und Zuversicht ein Preuße“.

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Das ist das Große in diesem Manne, daß er bei aller Beweglichkeit der Phantasie und Empfindung aus unerschütterlichem Grunde der Gesinnung feststeht. Seine Empfindungen, wie er selbst in einer seiner Vorreden sagt, wanken und wandern wie die Zeit, seine Gesinnungen stehen und bleiben wie die Ewigkeit. Es steht und bleibt der Kern seiner Anschauungen und Ueberzeugungen, aber die wirkliche Entwickelung der Dinge behält das Recht, den bestimmten praktischen Inhalt derselben zu corrigiren. So fühlt er sich in einem geheimen, in lebendigem Einverständniß mit der Bewegung der Welt; er weiß, daß „Alles einmal Geschichte wird, was aus einem muthigen und redlichen Sinn entsprang“, und die Geschichte wieder gilt ihm als die höchstberechtigte Deuterin seiner Visionen. So ist er bis in sein spätestes Alter im Zusammenhang geblieben mit dem Fortschritt der sich immer neu gestaltenden Zeit, so ist er – glücklicher als Stein – bewahrt geblieben vor jeder Verhärtung und Versteifung. Niemals ist Jemand weniger der Versuchung ausgesetzt gewesen, welcher Johannes Müller unterlag, „sich umzudenken“; niemals ist Jemand bereiter gewesen, umzulernen, wo es nöthig war. Dem festesten Gemüthe diente das offenste und beweglichste Auge. Darum erwartete er jetzt nicht mehr wie ehemals von Oesterreich, sondern von Preußen das Heil, darum änderte er jetzt ebenso in dem Schriftchen „über das Verhältniß Englands und Frankreichs zu Europa“ sein früheres ungünstiges Urtheil über die britische Nation. Hatte diese Nation doch gezeigt, daß ihr Eigennutz mit den höchsten Gefühlen für Ehre und Freiheit verträglich sei. Es war in der Ordnung, daß er dem Lobe der Preußen eine glänzende Apologie, eine beredte Verherrlichung der „tapferen hochherzigen Briten“ nachsandte. An diese Urtheile über das Geschehene aber, an den immer hindurchtönenden Jubel, daß wir endlich wieder „frei athmen und wie freie Männer zu den Sternen aufblicken“, knüpfen sich Mahnungen für die nächste und die weitere Zukunft. Während Schriften wie die über „Volkshaß und den Gebrauch einer fremden Sprache“, „Ueber Sitte, Mode und Volkstracht“ den deutschen Sinn in den Gemüthern zu befestigen suchen, bezeichnet er zugleich mit schärfster Voraussicht die nächsten politischen Pflichten und Aufgaben. Unmittelbar nach dem Uebergang der verbündeten Heere über den Rhein las man in den Hauptquartieren die Schrift „Der Rhein Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze“. Es ist die politische Version seines Vaterlandsliedes, der aus Geschichte, Recht und Politik geführte Beweis, daß Frankreich sein Uebergewicht über Deutschland und über Europa behalten müsse, sobald es den Rheinstrom behalte. Und die deutsche Ehre, die deutsche Liebe und Treue läßt er zuletzt mit all’ ihren Gewichten sich anhängen an jene historisch-politischen Argumente. „Jetzt oder nie!“ so rief er damals, als die Gelegenheit die günstigste war. Jetzt oder nie! – mögen wir brennend den Vorwurf dieser Worte in einem Momente fühlen, der uns die Gefahren lebendiger als je zu Gemüthe führt, welche aus der Versäumniß jener Mahnung entsprungen sind! Er mahnte bald darauf noch Anderes, und bald gab es noch andre Versäumnisse zu beklagen. Im Angesicht des nun gewissen Sieges, im Winter 1814 sprach er von Frankfurt aus das zweite Hauptwort, die Neugestaltung von Deutschlands inneren Verhältnissen betreffend. Er fühlte, daß er es hier mit dem Schwersten zu thun habe und daß hier die lange Entwöhnung von aller selbständigen politischen Thätigkeit, die deutsche Geduld und Trägheit ein schwer zu überwindendes Hinderniß sein werde. Eben darum kämpft die Schrift „Ueber künftige ständische Ver-

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fassungen in Deutschland“ vor Allem wieder gegen die Ideologen und „Theoristen“, gegen die, welche Staaten aus purer Vernunft in die Luft bauen möchten. Er tritt vor Allem für den Stand ein, dem er selbst entsprungen. Auf Majorate soll der Adel gegründet werden; eine ähnliche Festigkeit des Grundbesitzes soll für den Bauern geschaffen werden; „nach der Weise der Väter“ will er auch die Bürgerschaften in Innungen und Zünften zusammenschließen: die geistigen Elemente als solche zu Bestandtheilen der Staatsverfassung zu machen, erklärt er geradezu für Thorheit und Frevel. Durchaus an das Leibliche und Irdische, mit Einem Worte, will er den Staat gebunden wissen; seine Vorschläge – nur allgemeine Winke, wie er selbst sagt, – sind unendlich conservativ; aber sie sind im reinsten Eifer für Recht, Gesetz und Freiheit gefaßt. Er fordert nur das Billigste und Unerläßlichste, aber um so stärker betont er die Hoffnung, daß absolutistische Willkür nie wiederkehren werde, daß Fürsten und Volk durch die große Zeit gelernt haben würden, „daß nur das deutsche Ordnung heißt, Gesetzen gehorchen und nach Gesetzen regieren, und daß wir den Schimpf solcher Einrichtungen nicht dulden müssen, welche nicht Freien geziemen, sondern Knechten“. Und immer und immer wieder, wie es die erste Regel einer wirksamen Publicistik ist, kommt er auf dieselben Punkte zurück. Er ist ein unvergleichlicher Wiederholer. Was sittlich und was politisch, was nach Außen und was nach Innen Noth thue, die Abwendung von allem wälschen Wesen, allem Spielen und Buhlen mit demselben, die Herstellung der alten deutschen Grenze gegen Frankreich, die Hochhaltung und Stärkung Preußens, die Herrichtung von Verfassungen: das ist der Inhalt zahlreicher weiterer Flugschriften aus dem Herbst 1814 und dem Winter 1815. Man muß sich, wenn man sich an der Frische aller dieser Worte erfreut, daran erinnern, daß es eben nicht Worte eines stubensitzenden Schreibers sind, sondern daß sie auf der Wanderung entstehen, nicht Buchweisheit wiederkäuend, sondern unmittelbar aus dem Leben schöpfend. Einem Vogel vergleicht er sich selbst; der Vogel sitzt bald auf diesem, bald auf jenem Zweige und läßt seine helle Stimme bald warnend, bald ermunternd, immer zur rechten Zeit und an der rechten Stelle ertönen. Wenn er so dringend, so nachdrücklich einmal und zweimal und unaufhörlich das Lied von dem nothwendig deutschen Rhein seinen Landsleuten in die Ohren sang, so war es, weil er nur eben, im Sommer 1814, von Frankfurt aus die schönen Rheinlande bis nach Straßburg hin durchstreift und die tüchtigen deutschen Menschen, die da wohnen, sich angesehen hatte. Zu Fuß, den Säbel an der Seite, den Stock in der Hand, wurden diese Wanderungen unternommen. Es gehe, so war Zeitlebens seine Meinung, keine Lust und Freiheit über die des Fußgängers; dem Fußgänger gehöre die Welt, und nur so erkunde man Land und Leute. Zu Fuße war er denn auch im Herbst 1814 durch die Wetterau, den Teutoburger Wald und die Porta Westphalica über Hannover und Braunschweig nach Berlin gewandert, und von Berlin aus hatte er in rascher Folge seine neuesten kleinen Sachen ausgestreut. Er accompagnirte und glossirte mit ihnen die Verhandlungen der Diplomaten, welche jetzt in Wien zum Congreß bei einander saßen. Wie tapfer trat er ein für seinen neuen Auserwählten, für sein Preußen, dem er, der Pommer, nun bald auch äußerlich angehören sollte, wie grollte er den Großen und Kleinen, deren Neid und zettelnde Habsucht in Wien wie in Paris Preußens gerechten Ansprüchen entgegenarbeitete! Und nun kam neue Hoffnung mit dem Aufbruch Napoleon’s von Elba im Frühjahr 1815. Rasch und mit flammendem Griffel schrieb Arndt seinen neusten Aufruf gegen die Franzosen und

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rasch flog er mit den wieder nach Westen ziehenden Heeren an den Rhein. Erst in Aachen, dann in Köln, an der großen Kriegsstraße, schaute er in den neuen Krieg, und was derselbe bringen werde, hinaus. Unmuthig genug sprach er sich damals gegen die nächst Befreundeten über die „Dummheit und Schlechtigkeit aus, womit Alles behandelt wird, was das Volk so großherzig und fromm bereitet hat“; aber öffentlich that er nur desto eifriger seine Pflicht. Um durch Stätigkeit die Wirkung seiner Worte zu verstärken, giebt er im Sommer 1815 bis Winter 1816 eine Zeitschrift heraus. Am „heiligen Rhein“ will er Wache halten: er nennt seine Zeitschrift den „Wächter“. So lange die Loose des Krieges und des Friedens noch nicht gefallen sind, drängt er nun auch hier auf die Wiedergewinnung von Elsaß und Lothringen, auf die Herausgabe alles früher von den Franzosen Geraubten und Entführten, auf Nachholung dessen, was im Frühling 1814 nicht erlangt oder versäumt war. Wie aber dann offenbar ward, daß auch der neue Friede nur wie ein Waffenstillstand geschlossen sei – da wieder predigte er, nicht etwa pessimistische Verzweiflung am Vaterlande, sondern daß es nun doppelt noth sei, auf die Zukunft und auf Gott zu vertrauen, redlich das Unsrige zu thun, den kleinen Dieben des Vaterlandes das Spiel zu verderben und des alten Spruches eingedenk zu bleiben: Graeciae civitates, dum singulae imperare volunt, omnes libertatem amiserunt.153 Deutsche Verfassung und deutsche Verfassungen ist nun seine Loosung. Gegen die Verzögerer wie gegen die Uebereiler gekehrt, wiederholt er seine conservativen Rathschläge, bricht er namentlich noch einmal eine Lanze für die Erhaltung, Festigung und Stärkung des Bauernstandes. „Mit dem Wächter“, so hatte Arndt im August 1815 an einen Freund geschrieben, „will ich ein wenig streuen, bis wir Frieden haben; dann muß ich ein paar Jahre ausruhen und studiren, sonst werde ich bei allem dem Schreiben zuletzt unwissend und dumm.“ Noch über den Frieden hinaus hatte er auf seinem Posten ausgehalten: um so ernster mochte er sich nun nach Ruhe sehnen. Nach Ruhe, wie ein solcher Mann sie haben und halten kann. Seine Sehnsucht war vor Allem nach einer festen Heimath in Preußen und nach Muße zu ernster, sich und Andern ersprießlicher Arbeit gerichtet. So war der Wunsch seiner Seele schon damals gewesen, als ihn die Noth seines Vaterlandes nimmer ruhen und rasten ließ. Wäre nur das Vaterland frei gewesen: er hätte für sich schon damals nicht begehrt als „ein Plätzchen in Germanien, wo die Lerche über mir singen darf, ohne daß ein Franzose sie herabschieße“. Und auch wo dieses Plätzchen liegen solle, wenn nicht auf der Insel der Ostsee, hatte er sich ausgedacht. Einen Moment lang schwieg im Sommer 1813 der Lärm der Waffen; da, zu Reichenbach, hatte er den Traum seiner Zukunft geträumt, und der „Künftigen“ die Wahl gelassen, wo sie mit ihm hinziehen wolle: Wählst Du das Eiland, sprich, das Stillen geziemt und Zufriednen? Oder gefällt es Dir mehr, wo es lebendiger ist? Dann komm mit mir zum Rhein, zum heiligen Strom der Germanen, Wo an den Ufern der Glanz blühender Reben sich hebt, Wo sich mit lichterem Blau ein milderer Himmel erwölbet, Wo sich ein reges Geschlecht fröhlicher Menschen bewegt!

153 Solange die griechischen Stadtstaaten allein herschen wollten, büßten sie alle Freiheit ein.

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Der Traum war Wirklichkeit geworden. Hardenberg hatte es übernommen, die Schuld zu zahlen, für welche Deutschland den patriotischen Diensten Arndt’s verpflichtet war. Nach einem längeren Aufenthalte in der alten Heimath und einer Reise nach Dänemark, siedelte Arndt im Herbst 1817 nach Bonn über, und trat demnächst die ihm auf seinen Wunsch verliehene Professur der Geschichte an der hier neu gegründeten Universität an. Gleichzeitig hatte er sich zum zweiten Mal ein „tapferes und treues Weib“ gewonnen – Nanna Maria, die ältere von den beiden Halbschwestern Schleiermacher’s. Und in jeder Weise gedachte er sich häuslich festzusetzen, sich „eine Art Beständigkeit in der unbeständigen Zeit“ zu gründen. Am linken Ufer des Rhein baute er sich das „wohl umwehte“ Häuschen, das „die Herrlichkeit des Siebengebirges gerade auf ’s Korn nahm“: – die Tage von Greifswald schienen sich glücklicher erneuern zu sollen. Hätte nur, ach! zu diesem Glück nicht das Beste gefehlt, das Unentbehrliche für einen Mann, den das Wohl und Wehe des Vaterlandes wie sein eigenes berührte! Seit dem Herbst 1815 hatte Arndt den Wechsel von Luft und Wind bemerkt, der in den oberen Regionen vor sich ging. Während in ihm selbst der Geist, der die Befreiungsschlachten geschlagen, unverlöschlich glühte, so war er bei denen, die jetzt die Führer und Einrichter der wiederbefreiten Nation sein sollten, verflogen, oder mit der Asche des Mißtrauens zugeschüttet worden. In beispiellos raschem Vergessen der Noth, die man erlitten, der Kräfte, die uns gerettet hatten, lenkte man zurück zu den alten, nur eben erst gerichteten Künsten und Listen des Regierens; die Nation hatte ihren Dienst gethan; sie mochte abtreten und denen wieder Platz machen, die uns schon vordem in Schmach und Schande hineinregiert hatten. Wie sollte über dieser Verkümmerung aller vaterländischen Hoffnungen dem Propheten von 1805 und 1808, dem Verkünder und Erwecker der Gefühle von 1813 und 1814 das Herz nicht entbrennen, wie sollte er schweigen, während öffentlich und geheim die Verläumdung und Verdächtigung, die Schlechtigkeit und Dummheit ihre Stimme erhob? Er schrieb im Jahre 1818 den Vierten Theil des „Geistes der Zeit“. Gleich aus dem ersten, poetischen Capitel: „Vorwärts und Rückwärts“ mochte man die Meinung des Buches herauslesen: es war von Anfang bis zum Ende ein Fehdebrief gegen die bereits mächtig angewachsene Reaction. Nun vollends bedurfte es nicht mehr der theoretischen Grundlage wie ehemals; nicht bewiesen braucht zu werden, was die Zeitgenossen selbst erlebt und empfunden und gedacht haben. „Wir haben wieder ein Vaterland erlebt, Deutschlands Ehre und Freiheit ist wieder ein Klang und ein Gefühl geworden, und in Zorn und Haß, in Liebe und Freude sind Millionen deutscher Herzen für das Unvergängliche und Ewige bewegt“ – wer so sprechen kann, der darf sicher sein, daß er nur das Organ von Millionen ist; er spricht nicht eine Meinung aus, sondern er zeigt nur, was offenbar ist und zum Himmel schreit. Es ist niemals der Ehrgeiz dieses Schriftstellers gewesen, etwas Besondres und besonders Blendendes zu sagen; wessen er sich rühmt, das ist, daß er unter allen Umständen und rückhaltlos „die gemeine Wahrheit“ gesagt hat. Von keiner seiner Schriften gilt dies in so hohem Grade, wie von dieser. Die gemeine Mehrheit spricht er aus, wenn er über die haltlose Lockerheit des neu constituirten deutschen Bundes und über den Souveränitätsdünkel der deutschen Klein- und Mittelstaaten Klage erhebt. Die gemeine, ja recht eigentlich die handgreifliche Wahrheit spricht er aus, wenn er, gegenüber den „Einflüsterungen und Einschüchterungen“ jener Tage, die „Erfüllung der gegebenen Verfassungsverheißungen“ fordert. Denn, sagt er, „noch ist Fluth und

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Gluth in den Herzen, noch ist der Muth frisch, die Hoffnung grün, das Streben edel: jetzt könnte noch etwas Lebendiges und Tüchtiges werden“. Diese Wahrheit der Sache und diese Wahrhaftigkeit des Sagens giebt den Capiteln über Verfassung und Preßfreiheit, über Orden und geheime Gesellschaften, über die deutsche Wehrmannschaft und das deutsche Turnwesen ihre unvergleichliche Popularität und Ueberzeuglichkeit. Die rechte Wurzel des Jammers jener Tage hat er erkannt und er trifft sie mit seinen schärfsten Schlägen da, wo er die Polizeiwirthschaft in allen und jeden Formen brandmarkt. Eine wälsche Erfindung nennt er sie „unsern zweiten, unsern deutschen Napoleon“ und faßt seine Meinung in dem Satze zusammen: „Lieber gar nichts davon, als zuviel!“ Um es kurz zu sagen: dieses Buch ist so durch und durch gesund, wie die Zustände faul und krank waren, gegen die es ankämpft. In dem großen Umschwunge der Zeit, in dem jähen Wechsel von tiefster Erniedrigung zu höchster Erhebung, von höchster Erhebung zu rascher Ermattung, in der verwirrenden Folge der aufklärerischen, der romantischen und der restaurativen Tendenzen, in all diesem Schwanken des moralischen und des geistigen Bodens ist dieser Mann fest auf seinen Füßen geblieben, ohne jemals das Gleichgewicht zu verlieren. Er steht sicher immer an der Stelle und drückt mit seiner Last dahin, wo es eben fehlt. So hat er früher, der Schwunglosigkeit der alten Verstandesbildung gegenüber, die weltlichen Dinge mit einem oft überpoetischen Schwunge behandelt und sie zuweilen durch das bunte Glas der Romantik betrachtet. Etwas von diesen poetischen Ingredienzien spielt auch wohl jetzt und später noch in seine Ansichten wie in seine Darstellung hinein. Noch jetzt z. B. möchte der verständige Mann der heiligen Allianz die Aufgabe eines Kreuzzuges nach Asien und Africa zuweisen, um diese Länder dem Christenthum und der Menschlichkeit zu gewinnen; noch jetzt verwandelt sich ihm der politische Gedanke der Vertheidigung der rheinischen Lande gegen Frankreich in den Traum der Stiftung eines neuen deutschen Ordens, einer Pflanzschule ritterlicher Tugenden und einheitlicher deutscher Gesinnung. Allein im Ganzen und Großen, bei allem Nächsten und Ernstesten ist seine Rede jetzt die Rede des lautesten Verstandes. Bei dem plötzlichen Temperaturwechsel der politischen Stimmungen mochten sich die Geister erproben. Es gab eine Scheidung des Echten und des Unechten. Da zeigt sich, daß Dieser von den Echtesten ist. Von allen trüben und schlechten romantischen Elementen hat er sich rein gewaschen. Die Wege der Schlegel und Adam Müller sind nicht seine Wege: auch von einem Manne wie Steffens, von allen „eitlen und vornehmen Geistern“ scheidet er sich. Gegen alles „Junkernde und Flunkernde“ richtet er jetzt die Spitze seiner Polemik. Er wird nicht müde, die „breite Saalbaderei“ und die „dünne Sophistik“ der neuesten Restaurationspropheten in den Sand zu werfen. Dem falschen Mysticismus und allen seinen Ausläufern widmet er einen besonderen Abschnitt in dem „Geiste der Zeit“, und fast auf allen Seiten der Schrift weist er die Lobredner der alten guten Zeit, die poetischen Träumer zurecht, die uns das Pfaffen- und Ritterthum des Mittelalters wieder aufzuschwatzen Anstalt machten. Das ist das Geheimniß der populären Kraft dieses Buches, daß er sich überall in die starke Mitte zwischen den Extremen stellt, daß er gegen die, welche Alles neu und aus dem Stoff des Ideals machen möchten, das Recht der im Verborgenen schaffenden Geschichte, gegen die, welche die Gegenwart zur Vergangenheit zurückschrauben möchten, das Recht der lebendigen Entwickelung und der Vernunft zur Geltung bringt. Das Geheimniß ist dies, daß er für diese starke Mitte, für das Wahre

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und Einfache, für das Gerechte, Mäßige und Verständige den vollen Eifer und dieselbe Leidenschaft aufzubieten hat, die sonst in der Regel im Dienste der Einseitigkeit ist. Es ist die Macht des Guten in einer bösen, die Macht des Starken in einer matten Zeit. Arndt hatte sich mit diesem Buche die Seele frei geredet; er hatte, wie er es in der Vorrede ankündigt, seine Gesichte und Ansichten ausgesprochen, „als gebe es weder Vorrichter noch Nachrichter von Büchern und Bücherschreibern“. Es gab deren, und er wußte es, nur zu viel: die Kamptz und Genossen hatten ihre heillose Geschäftigkeit begonnen. Diesen ganzen Troß von dummen und von böswilligen Auflaurern hatte sich Arndt auf den Hals geredet. Am 30. Januar 1819 ward ihm von dem Curator der Bonner Universität ein Kabinetsschreiben mitgetheilt, in welchem die „unnützen und unschicklichen Dinge“ jenes Buches, „die besonders einem Lehrer der Jugend übel anständen“, mit der Weisung gerügt waren, daß der Verfasser „bei der ersten ähnlichen Veranlassung von seiner Stelle entfernt werden würde“. So war der Anfang der traurigen Geschichte, für deren ganz Schmähliches uns noch heut die Worte versagen und die in ihrem ganzen Verlauf darzustellen uns erlassen werden möge. Die Ermordung Kotzebue’s im März 1819 gab das Signal zu dem Sturm auf Universitäten, Professoren und Studenten: die Demagogenhetze wurde das tragisch-lächerliche Gegenstück zu der glorreichen Erhebung während der Befreiungszeit. Im Juli erfolgte die Confiscation der Arndt’schen Papiere, am 10. November seine Suspension vom Amte. Eine formlose Criminaluntersuchung, bei welcher die Gerichte die Rolle der Polizei weiter führten, begann im Februar 1821 und endete im Sommer 1822. Kein Schuldig, aber auch kein förmliches Nichtschuldig war das endliche Ergebniß; die confiscirten Briefe und Manuscripte blieben in polizeilicher Gefangenschaft, Arndt selbst in Amtsunthätigkeit. – Die Acten dieser beispiellosen Geschichte liegen vor der Welt. Arndt hat sie, nachdem er gleich Anfangs eine bündige Vertheidigungsschrift veröffentlich hatte, in dem „Nothgedrungenen Bericht“ ein Menschenalter später bekannt machen dürfen. Sonnenklar beweisen sie seine Unschuld. Doch, wir freveln; sie zeigen die Tugend des Mannes von keinem Hauch getrübt, ihn selbst als den Bravsten und Rechtschaffensten, den Besten und Frömmsten und als den, der das volle Bewußtsein davon hat; sie zeigen in grellem Contraste ein langes uneigennütziges Wirken für die Ehre, die Macht, die Sicherheit des Vaterlandes, und als Lohn für dieses Wirken eine Behandlung wie eines Schelmen, eines Verschwörers oder Rebellen; sie zeigen einen ernsten Mann einem albernen absurden Inquisitionsverfahren preisgegeben; sie zeigen die Bosheit im Bunde mit der Kopflosigkeit, eine verächtliche Mischung von Torquemada und Gerichtsdiener Schlehwein; sie zeigen vor Allem den unglaublichen Wandel der Zeiten, den tiefen und jähen Fall aus dem frischesten Leben in trostlose Erstorbenheit, die völlige Erschlaffung alles Hochherzigen und Edlen, eine Verwandlung auch der Besseren, Schwäche und Ergebung auch bei den Besten. Die Achtung und Freundschaft Hardenberg’s gegen Arndt ist machtlos geworden; die Schaam des Ministers über die eigne unwürdige Rolle versteckt sich, gut bueraukratisch, hinter einer Rüge über den unangemessenen Ton der Arndt’schen Eingaben, und der beste Trost, den Stein dem alten Genossen zu geben weiß, ist der Hinweis auf einen Spruch aus dem Psalter. Unvergleichlich war die Haltung des gemißhandelten Mannes. Das Gefühl der bittersten Kränkung und der Stolz seiner guten Sache macht sich Luft in seinen Vorstellungen an den Staatskanzler. Schöner und tapfrer hat er kaum jemals geschrieben. „Um

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meine Stelle“, – so schreibt er unmittelbar nach der Beschlagnahme, – „um meine Stelle mögen Sie mich bringen, aus meiner Stellung sollen sie mich mit Gottes Hülfe nicht bringen.“ Er fordert nichts, als daß man ihm Verantwortung vor seinem ordentlichen Richter gestatte; durch Gott und durch die Wahrheit wolle er dann seine Sache gegen alle Polizeien der Welt glänzend gewinnen. „Ja, ich freue mich darauf“, heißt es in einer späteren Eingabe, „denn heller als Sonnenschein soll es dann den Weiseren und Vernünftigeren werden, daß ich in Grundsätzen und Ansichten ein älterer, verständigerer und gemäßigterer Mann bin, als die meisten meiner Zeitgenossen, ich wage sogar zu sagen, als Viele, welche als Räthe und Minister der Herrscher die Länder mitregieren.“ Und leicht weist er nach, wie diese ganze Untersuchung keine andre Grundlage habe als die gehässigste und schlechteste Leidenschaft, die nun zu Mißdeutung, Entstellung und Verdrehung des Unschuldigsten, zu „Kappen und Masken“ ihre Zuflucht nehme. Nicht er, fürwahr, sei ein Anderer geworden; was könne er dafür oder dazu, wenn die königlichen Aufrufe und Verordnungen von 1813 vergessen seien, wenn der Strom der Zeit so geschwinde laufe, daß die Steuermänner des Stadtschiffs den ganzen Curs durchaus glaubten verändern zu müssen? Und dazwischen bricht er aus im Gefühl des Schmerzes. Ist etwa dieser ganze Handel nur ein schwerer und dumpfer Traum? „Von Napoleon habe ich wirklich solche Träume gehabt, aber daß ich in Preußen und gegen Preußen ein Stifter staatsgefährlicher Verbindungen, ein Treiber gefährlicher geheimer Umtriebe heißen soll, daß ich edles Wildpret von den blutgierigen, unsichtbaren und unerfaßlichen Hunden Neid, Haß und Lüge so lange gejagt werden soll, bis, wenn es möglich ist, der letzte warme Blutstropfen von Liebe und Wonne für mein Land und mein Volk in mir erstarrt und vertrocknet – der Traum ist wirklich zu schwer!“ So in den Briefen an den Staatskanzler; dieselbe Stimmung spricht aus den Trostliedern, die er sich vorsang, aus den Briefen, die er in diesen Jahren mit den bewährtesten Freunden wechselte. Von Zorn und Gram bewegt, findet er Trost in dem Glauben, „daß kein Mittel in der Welt ist, was das unterdrücken könnte, wofür die Besseren gelebt und gestrebt haben“. Vor Allem sucht er Rettung vor der Erbitterung und Verfinsterung, womit solche Erlebnisse ihn bedrohen, in der frommen Ansicht, welche dieselben als göttliche Prüfungen und Ausgleichungen betrachtet. „Gott ist im Schwachen mächtig“, so hat ihn sein Bruder Fritz das Audaces fortuna juvat154 übersetzen gelehrt, und mit diesem Spruch gerüstet, meint er, „daß er fast etwas schlecht zu nennen wäre, wenn er für die übrigen zwanzig bis dreißig Lebensjahre den Kopf schräg oder gebückt tragen wollte, da er bisher ziemlich gerad’ in die Luft gestellt worden“. Er ist im Herbst 1822 auf Absetzung von seinem Amte gefaßt; und er hat auch für diesen Fall seinen Entschluß festgestellt: „des Unstäten“, schreibt er, „bin ich reich, und in der Fremde einsam umherschweifen, ist grauenvoll, mit Vielen mir nicht möglich; also – was bleibt übrig? Herunter oder herauf: ein Bauer.“ Und unmöglich war es, trotz all’ der kleinlichen Quälereien unmöglich, die Liebe für sein Volk und Land ihm aus dem Herzen zu reißen. Der Kummer um sein geliebtes Preußen nagt ihn tiefer, als die Sorge um sich selbst, mit rührender Treue klammert er sich an den undankbaren Staat. „Unser armes

154 Den Tapferen hilft das Glück.

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Preußen“, heißt es in einem uns vorliegenden ungedruckten Briefe aus demselben Jahre, „arbeitet, wie es scheint, immer noch frisch fort gegen sich selbst und seine Herrschaft in Deutschland, mit welcher es, wie die Dinge liegen, ja sich selbst aufgeben muß. – – Mit mir mögen sie machen, was sie wollen; ich verlasse Preußen nicht, weil es mein Vaterland und noch immer meine Hoffnung ist – wenn sie mich nicht vielleicht Landes verweisen. Unter einer der kleinen Regierungen zu leben und mir dort vorhalten zu lassen, daß ich von Preußen zu viel gehofft, ekelt mich an; die engen, sogenannten freien Städte mag ich durch meine Anwesenheit nicht ängstigen, und die spröde und kalte Schweiz würde mir unerträglich sein. Im schlimmsten Falle muß zuerst gesorgt werden, daß die Kinder satt werden, und sei es denn auch in einer Bauernhütte. Wir wollen sehen.“ In solchem Glauben an Gott und Vaterland kehrte ihm denn, wie in früheren Tagen und unter anderen Nöthen, Muth und Heiterkeit zurück. Den Freunden wenigstens, die mit ihm verkehrten, machte er den Eindruck eines völlig ungebrochenen Mannes; keine Klage kam über seinen Mund. In seinen heitersten Momenten überkam ihn das Vorgefühl, – er sprach es gegen Hardenberg aus, – „daß diese Plackerei, wo es mich mit Scorpionenstacheln zu stechen däucht, einst in der Erinnerung kaum Mückenstichen gleich scheinen wird“. Sein häusliches Glück wenigstens schien sicher gegründet. Wenn der zärtliche Vater seine Knaben auf den Knien schaukelte, dann däuchte ihn wohl auch das Traurige lustig, und er findet sich scherzend in den Humor der Sache. „Siegreich“, so meldet er seinem Freunde Reimer, „Siegreich frägt schon: Vater, wie alt bin ich, wann ich dem Wolfe Maraudus die Zähne ausbrechen kann? – Ist das nicht eine halb und halb demagogisirende Frage? Du siehst, der Apfel fällt nicht weit vom Stamme.“ Und doch, es ist ein Selbstbekenntniß, dem wir schwerlich mit Recht widersprächen, wenn Arndt selbst gerade in dieser aufgezwungenen Zurückziehung auf das Private und Häusliche den Hauptschaden erblickt, den diese Jahre ihm zugefügt hätten. Es ist so, wie er sagt: nur, wo ihm bestimmte Ziele, bestimmte Arbeiten oder Gefahren entgegentragen, kam sein bestes Vermögen zu voller Geltung. Nur im Reden und Handeln, nur im Wirken für große öffentliche Zwecke mochte er sich selbst Genüge thun: die poetische Welt in ihm bedurfte des prosaischen Lebens draußen, um in Wort und That Klarheit, Gestalt und feste Umrisse zu gewinnen. Darum waren seine Kriegslieder bei Weitem die gelungensten; darum sind die Poesien, die in der gegenwärtigen Epoche entstanden, mit wenigen Ausnahmen von verklingender Unbestimmtheit. Er selbst macht sich den Vorwurf, daß er diese Jahre, mehr als recht sei, unter Kindern, Bäumen und Blumen verträumt und verspielt habe. Denn ein Bauer und Pflanzer war er ja nun wirklich geworden. Alt und Jung sprach in seinem gastfreien Hause ein, und mit den Jungen, die sich einfanden, wurden Excursionen rheinaufwärts und abwärts, in’s Siebengebirg oder in das Thal der Mosel unternommen. Wie früh dann die Knaben zu den Fahrten aufstehn mochten: sicher trafen sie den Alten schon hackend oder grabend in seinem Garten, auf einem Kohlfeld oder in dem, später ausgerotteten Weinberg an seinem Hause. Auch seine Feder indeß ruhte mit nichten. Was für ihn wenig und gleichsam bloße Feierstundenarbeit war, würde ausreichen, manches andere literarische Leben zu füllen und zu schmücken. Mehr als Eine seiner früheren Aufzeichnungen wurde jetzt zum Buche vollendet. Schon 1817 hatte er, um sich zu trösten für seine im Meer ertrunkenen Bücherschätze, die Geschichten und Mährchen aufgeschrieben, die

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ihm einst Balzer Pievs[!], seines Vaters Knecht, oder die hübsche Nachbarsdirne unter dem Dornbusch auf der Weide erzählt hatte. Im Jahre 1826 ließ er unter dem Titel „Nebenstunden“ eine Beschreibung und Geschichte der schottländischen Inseln und der Orcaden erscheinen, im Jahre 1834 das Leben G. Aßmann’s und 1839 die „Schwedischen Geschichten“. Zwanzig Jahre endlich waren seit dem Schlag vergangen, der auf ihn niedergefallen war, da, im siebzigsten Lebensjahre, ging er an jene biographische Selbstvertheidigung, die wir so vielfach im Voranstehenden benutzen mußten. Alles Wackere und Liebenswürdige seiner Persönlichkeit spricht uns aus diesen „Erinnerungen“ an, die er zugleich mit dem vollen Selbstgefühl und zugleich mit der natürlichen Bescheidenheit eines „redlichen und verständigen Mannes“ schreibt. Wesentliche Eigenschaften gingen ihm ab zum vollendeten Geschichtschreiber. Ihm fehlte die leidenschaftslose Ruhe, das geduldige Verweilen bei Zuständen oder langsam rückenden Entwickelungen. Ihm fehlte ebenso die Kunst der Gruppirung und der anschaulichen Zusammenfügung der Verhältnisse und Begebenheiten. Seine Ansicht von der Aufgabe des Historikers war einseitig. Sie bestehe, meinte er, nicht so sehr im Darstellen der Sachen als der Menschen; nur so könne die Geschichte dem Zwecke dienen, „daß die sittliche Begeisterung, der sittliche Abscheu oder die sittliche Liebe erweckt werde“. Bei dieser Ansicht gewinnen seine Geschichtsarbeiten mehr oder weniger eine persönliche Haltung und eine rednerische Färbung. Es sind Gelegenheitsschriften von praktischer Tendenz, wie sich denn historische Blicke, umgekehrt, überall auch in feine Reden und Pamphlete eindrängen. Mit jener Unruhe und energischen Beweglichkeit, die ihn im Sturmschritt, „wie ein feuriges Roß“ von Stätte zu Stätte pilgern läßt, zieht er auch als Schriftsteller oft kecke Verbindungslinien von Volk zu Volk, von Zeitalter zu Zeitalter, schlägt er jetzt einen lockenden Nebenweg ein, scheint er jetzt ganz Pfad und Steg zu verlieren. Völkerbeziehungen und Völkervergleichungen sind seine Stärke; er liebt sie ähnlich und aus ähnlichem Grunde wie Wortvergleichungen und etymologische Combinationen: noch im Jahre 1843 schreibt er einen „Versuch in vergleichender Völkergeschichte“. Immer ist ihm die Erzählung überwiegend nur das Mittel zur Charakteristik. In großen Zügen den Geist der Zeiten, den Charakter der Nationen, die leibliche und die geistige Eigenthümlichkeit einzelner Menschen zu zeichnen, ist er Meister. Seine Bilder von Zeitgenossen – man denke an Stein, Blücher, Scharnhorst – sind durchaus lebendige Figuren, Figuren mit Mark und Knochen. Nicht mit Tuschen und Pinseln, sondern in kecken und scharfen Strichen, mit Hülfe glücklich erzählter Anekdoten stellt er seine Menschen hin, läßt er sie schreiten und handeln, sprechen und gesticuliren. Er ist aus allen diesen Gründen ein unübertrefflicher Geschichtschreiber für alles Selbsterlebte. Dies ist es, was den „Schwedischen Geschichten“ ihren Werth, was den „Erinnerungen aus dem äußeren Leben“ und noch den „Wanderungen und Wandelungen“ ihren unvergleichlichen Reiz giebt. Aber nicht etwa nur in der Erinnerung des Vergangenen lebte er. Der sich selbst einen Träumer schilt, nahm fortwährend den regsten Antheil an den großen Weltbegebenheiten, und als in Folge der Julirevolution und des belgischen Aufstandes das Vaterland auf ’s Neue von auswärtiger Gefahr bedroht schien, da ließ es ihn länger nicht schweigen; er schrieb 1831 „die Frage über die Niederlande und die Rheinlande“, 1834 „Belgien und was daran hängt“. Von Neuem predigte er den Aufruhr, den er immer gepredigt, „den Aufruhr gegen wälsche List, Habsucht und Uebermuth“. Die nächste

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Entwickelung der Dinge zwar ließ seine Befürchtungen unbegründet erscheinen: seine Meinung war darum doch nicht grundlos, und noch weniger war es seine Gesinnung – haben wir doch noch jüngst von der Napoleonischen Diplomatie die Schaffung des belgischen Staates als einen Meisterstreich der französischen Politik rühmen hören. Das Werk eines tapferen und großmüthigen Bürgers nennt Varnhagen die Arndt’sche Schrift nach der Julirevolution. Der Ausdruck ist trotz seiner lobenden Absicht schief. Einem Manne, der nur in dem Einen Gefühle für das Verland lebte, kam es sicher nicht in den Sinn, daß er großmüthig handle, wenn er seine Pflicht auch gegen das undankbare erfülle. Es giebt ein rührendes Zeugniß dafür, daß in jenem Gefühle gerade auch das tiefste und eigenste persönliche Leid sich ihm löste. Auch das Glück seiner häuslichen Existenz nämlich sollte nicht unerschüttert bleiben. Mitten unter jenen Weltbegebenheiten, die ihn zu so lebhafter Theilnahme aufregten, im Sommer 1834 verlor er beim Baden im Rhein ein geliebtes Kind, seinen jüngsten, neunjährigen Sohn. Das mußte der Rhein ihm thun, der Rhein, den er in Rede und Lied als Deutschlands Strom zu feiern und festzuhalten sich angelegen sein ließ! Mit ihrem Leben den deutschen Strom zu vertheidigen hatte er einst seine Knaben verpflichtet, und der Jüngste der Knaben war vorgetreten und hatte eingeschlagen. Ein Stein bezeichnete nun die Stelle, wo er versunken war: Der Vater dichtete das Lied „der Stein im Rhein“: Er hat’s gehalten, er ward der Hort, Ihn trug sein Rhein sich als Opfer fort; So hat er mir ohne Schlachten die Schlacht Vor tausend Schlachten blutig gemacht; Nun liege fest vor den Wälschen, mein Stein! Nun brause freudiger, freier, mein Rhein! Meine Sehnsucht und Liebe sie rauschen mit dir – O rauschten deine Wellen auch über mir! Wer verargt es dem Alten, wenn er auf diese Weise Trost und Klage mischt, wenn er auf den letzten Blättern seiner „Erinnerungen“ meint, daß seine Zeit vergangen und verloren sei, wenn er, ohne darum weniger frisch in’s Leben oder weniger fromm zum Himmel aufzuschauen, die Ansicht ausspricht, daß das Glück seiner Jugend von ihm Abschied genommen habe? Man hat mit Recht gesagt, daß das Leben großer Männer fast immer eine Tragödie sei; es neigt sich, nach einem Gipfel des kräftigsten Strebens und Hoffens zu sinkendem Glück und Gelingen – der Rest ist Schweigen, Enttäuschung und Ergebung. So war das Leben Stein’s zu Ende gegangen, und nur zu viel von diesem Tragischen schien auch in das seines ehemaligen Gefährten hinein. Aber diesen streifte gleichsam nur das Schicksal der Größe: die Summe und das Ende seines Looses waren nicht die eines großen Mannes, sondern die eines tüchtigen und guten Menschen. Er hatte erlebt, daß die Ziele, denen er seine beste Manneskraft gewidmet hatte, vereitelt wurden; vor seinen sehenden Augen hatte sich gut in böse und recht in unrecht verkehrt; er selbst hatte bei dieser Umkehr der Dinge und des Maaßstabes ihrer Schätzung für sein edelstes Wollen Buße und Strafe zahlen müssen. Aber die Zeit der Prüfung war vorüber. Während weiterer zwanzig Jahre sollte er noch einmal die Hoffnungen seines Mannesalters, die Aengste seiner Jugend, neue Anläufe zum Besseren und neue Rück-

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schläge, – Umwälzungen jeder Art, er sollte die Fluth und die Ebbe, das Morgenroth eines neuen Deutschlands, die Nacht einer neuen Reaction und das Ende auch dieser Nacht erleben. Ihm selbst war es beschieden, sich voller Wiederherstellung, zunehmender öffentlicher Anerkennung und Dankbarkeit, eines reichen Ersatzes für die Jahre der Verkennung und Verfolgung, zu erfreuen. Er überlebte seine eigene Tragödie fast um ein Menschenalter; – wenn irgend wen, so müßte ihn ein christlicher Solon glücklich preisen, glücklich, nicht weil das Glück ununterbrochen bis an’s Ende vorhielt, sondern weil es siegreich das Unglück überwältigte. Unsre Erzählung darf kurz sein über die Zeiten, die auch wir Jüngeren ganz mit ihm durchlebt haben. Glückliche Sterne leuchteten dem Erscheinen der Arndt’schen Selbstbiographie: unerinnert und aus eigenem Antrieb setzte Friedrich Wilhelm IV. bei seiner Thronbesteigung 1840 den Wackeren wieder in Amt und Thätigkeit. Die Wiederherstellung war ein Fest für die ganze Stadt, die Universität wählte ihr würdigstes Mitglied für das nächste Jahr zu ihrem Rector, und jubelnd begrüßte ihn die akademische Jugend. Und der Stamm, der seine Aeste bereits zum Grabe zu neigen meinte, trieb noch manchen frischen Zweig und entfaltete noch manches Blatt. Vieles unter der vorangegangenen Regierung Zurückgedrängte durfte sich jetzt wieder hervorwagen, ja, gerade gewisse Reminiscenzen der Befreiungszeit, gewisse zu Träumen und Phantasien verkümmerte Ideen von damals erfreuten sich einer größeren Gunst als die neuen, durch den unhemmbaren Fortschritt der Zeit im Stillen herangewachsenen Wünsche und Forderungen. An Arndt’s Werken mochte die Nation den probehaltigen Kern der ehemaligen Erhebung studiren, mochte unterscheiden lernen, was das Bleibende und was das Vergängliche an den im verschiedensten Sinne von den Parteien nun wieder angerufenen alten Traditionen sei. Rasch erlebten jetzt die „Erinnerungen“ mehrere Auflagen; „vermindert und doch vermehrt“ erschienen die Gedichte in einer neuen Ausgabe und in drei Bänden (später um einen vierten vermehrten) schenkte Arndt seinen „lieben Deutschen“ eine Sammlung seiner kleineren politischen Schriften. Wie aber diese Sammlung manches bisher ungedruckte Blatt enthielt, so brachte nun – anderer Veröffentlichungen zu geschweigen – der „Nothgedrungene Bericht“ in seinem zweiten Theil einen Schatz lebendiger Zeugnisse aus den Jahren 1809 bis 1819, während der erste eine Uebersicht über Inhalt, Meinung und Entstehungsgeschichte aller der Werke gab, die einst die Nation so mächtig in Schwung gesetzt hatten. In diesen Spiegel jedoch hineinzublicken und an der offen gelegten Thorheit der Restauration sich zu entschlossener Weisheit zu ernüchtern, sollte es leider an Zeit fehlen. Während man, namentlich in Berlin, mit halben und verkehrten Maaßregeln die neuerwachte Bewegung der Geister theils zu leiten, theils zu unterdrücken suchte, gewann der Liberalismus immer volleren Athem: die Kartenhäuser der Romantik stürzten zusammen. Wie prophetisch hatte Arndt dreißig Jahre früher bei’m Beginne der Restaurationsepoche den Geist der Zeit gedeutet! „Was soll das nichtige und blöde Gefecht gegen die Geister, die durch leibliche Fäuste nicht zu besiegen sind? Was sollen die Streiche gegen das Unverwundliche und die Banne und Achte gegen das Unsichtbare und Allenthalbene? Wehe uns Allen, wenn, was über der Erde und mit stolzem, überirdischen Sinn entschieden und geschlichtet werden soll, in den gemeinen Staub des Faustkampfes hinabgerissen wird! Das war von jeher der Weg, aus Wasser Blut zu pressen und fliegenden Sand zu festem Granitfelsen zu verhärten. Gelingt es aber den

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Bangen und Finsterlingen, den Geist in das irdische Blut und irdische Gebein zu treiben, so wird ein wüster Fanatismus fertig, dem endlich jede Zucht und Ordnung erliegt.“ Diese Weissagung sollte sich jetzt erfüllen. Die Frucht alter und langer Verkündigung war reif; der Sturm des Jahres 1848 machte über Nacht auch die deutschen Throne wanken und schüttelte Gelöbnisse und Zugeständnisse in solcher Menge von ihnen herab, daß sich alles Volk an der neuen Freiheit wie an jungem Weine berauschte. Zu den Nüchternsten unter den Jubelnden gehörte Arndt; aber er war nicht zu alt, um mit den Hoffenden zu hoffen. Sein erster Gedanke war der, wie viel sanfter und milder Alles zwischen den Jahren 1815 und 1820 hätte gemacht werden können. Dann aber ergriff er von den neuen Hoffnungen Eine mit der ganzen Inbrunst der Jugend – die Eine, daß wieder eine deutsche Einheit, eine Macht und Majestät des deutschen Mannes, ein großes deutsches Reichsparlament, mit und über demselben ein deutscher Kaiser sein werde. Nur daß wir –, so rief er dazwischen, – in dieser Freude die Augen nicht vor den Gefahren und Abgründen verschließen, die uns allen diesen Glanz einer neuen Morgenröthe in ein langes düsteres Ungewitter verwandeln könnten! Und in der alten Manier seines Soldatenkatechismus schrieb er seine Capitel „für den lieben Bürgers- und Bauersmann“, das Büchlein vom „verjüngten, oder vielmehr zu verjüngenden Deutschland“. Es ist die Erfahrenheit des Alters, welche überall zur Ermäßigung der Ansprüche und Erwartungen redet, zugleich aber die seltenere Weisheit, die willig von der neuen Zeit auch neue Erfahrungen hinnimmt. Da warnt er mit aller Kraft vor den Franzosen und deren Nachbetern, vor Republiken und Republikchen; den socialistischen Träumereien tritt er mit dem guten Spruch ora et labora entgegen; durch die Sitte und durch Gott will er die gesellschaftlichen Schäden geheilt wissen – aber seine ehemalige Ansicht von der Wiederherstellung des Zunftwesens hat er aufgegeben: „der gegenwärtige Stand der Dinge und der Stand der Menschen“ hat sie nach seiner Ueberzeugung zur Unmöglichkeit gemacht. In solchen Ansichten und solcher Gesinnung, wie sie auch in den „Reden und Glossen“ erscheint, hat darauf Arndt in der Paulskirche gesessen. Ein unvergeßlicher Moment, als ihn die Verehrung jener großen Versammlung an einem der ersten Tage auf die Tribüne rief – wie er da unter nicht enden wollendem Zuruf erklärte, daß er „gleichsam wie ein gutes altes deutsches Gewissen“ an dieser Stelle stehe, – und wie neuer stürmischer Beifall seine Stimme bei den Worten erstickte, daß er an die „Ewigkeit seines Volkes“ glaube! Denselben Glauben hat er noch an einem der letzten Tage wiederholt bekannt, als das Werk der Nationalversammlung bereits gescheitert war, als die Reichsverfassung schon auf den Fahnen des Aufruhrs stand. Nach beiden Seiten hin warnte da noch einmal das gute alte Gewissen: „hütet euch, die Majestät zu schänden, wo sie besteht!“ und wiederum: „bleiben die Fürsten und Könige toll und verblendet, dann fahren sie dahin“. Mit der Reichsgesandtschaft hatte er die Krone nach Berlin getragen, für die er, treu seinem alten Glauben an Preußens Bestimmung zur Führerschaft in Deutschland, gearbeitet und gestimmt hatte. Mit der Mehrheit der Gagern’schen Partei trat er am 20. Mai aus der Versammlung aus, welche ihre Pflicht erfüllt hatte, ihr Werk der Nation überwies. In den „Erinnerungsblättern um und aus der Paulskirche“ hat der alte Sänger die wechselnden Stimmungen jener Tage fixiert. Da sang er: „Ihr Könige gebt Acht!“ und sang:

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Du hast vom Kaiserstolz geträumt – Vergrab’ einstweilen deinen Fund; Die Besten wissen, wo er liegt: Einst heben Sie ihn an’s Sonnenlicht. Wir sind geschlagen, nicht besiegt –: In solcher Schlacht erliegt man nicht! Die Zeit war an einem neuen bedeutungsvollen Wendepunkt angelangt. Arndt war noch nicht lange von Frankfurt heimgekehrt, als in Bonn die Nachricht von Gottfried Kinkel’s Gefangennehmung anlangte. Rasch thaten sich die Freunde des Dichters zusammen und setzten eine kurze Bittschrift an den Prinzen von Preußen auf. Arndt hatte offen den Aufstand verurtheilt, dessen Scheitern jetzt auch Kinkel büßte; die beiden Männer standen in entgegengesetztem Parteilager. Nichts desto weniger war Arndt der Meinung, daß die Politik der Rache in solchen Zeiten die übelste sei. Er wollte winken, daß es für die Verirrung ein Vergessen geben müsse, wenn später nicht auch von anderer Seite schwer vergessen und vergeben werden solle. Er war der Erste, welcher die Schrift unterzeichnete, die sich nach ihm in der kürzesten Zeit mit mehr denn tausend Unterschriften bedeckte. Ja, er sandte unmittelbar darauf der Bittschrift einen Brief an den General v. d. Gröben nach: der Inhalt bestand in der Warnung, nicht noch weiter deutsches Blut durch Kriegsgerichte fließen zu lassen – eine Warnung, die er später auch so ausdrückte, daß „Preußen nicht so zufahren und durchfahren dürfe, wie an der Theiß und am Po durchgefahren wird“. Die Politik der Rache inzwischen ging in den nächsten Jahren ihren Gang. Eine Zeit kam, ganz so schlimm, wie sie zu kommen pflegt, wenn man den Frühling glaubt vor dem Lenz machen zu können, eine Zeit, welche langsam alles Gefühl für Ehre und Selbständigkeit in der Nation zu ersticken drohte, eine Zeit beispielloser Mißregierung und beispielloser Willfährigkeit, sich mißregieren zu lassen. Aller Orten brannte unsere Schande und hätte uns in die Seele brennen sollen. Mit dem Tage von Olmütz schien Preußen von seinem Berufe abgedankt zu haben; die kurhessische Schande und die Schleswig-Holstein’sche wurden die Marksteine der Reaction. „Ich stehe“, so schrieb damals Arndt, „am Rande des Daseins; ich stehe an dem zweiten Rande eines Abgrundes und Vulkans der Zeit, welcher viele edelste, treueste, deutsche Hoffnungen, wie es scheint, für lange verschlungen und überschüttet hat.“ Allein, obgleich er so klagte: die Gesinnung, die sich in dem Wahlspruch ausdrückte: Nunquam desperandum de patria et de coelo, trieb ihn immer wieder an seine Pflicht. Nicht jene stumpfe historische Ansicht von dem natürlichen Auf und Ab aller menschlichen Dinge, nicht diese dem Greisenalter so nahe liegende Stimmung war die seine, sondern mit dem Gleichmuth des Alters paarte sich bei ihm der volle, begeisterte Hoffnungsmuth der Jugend. In seinem frommen Sinn mochte ihm oft wohl das Irdische und Zeitliche nichtig gegen das Himmlische und Ewige erscheinen und „das Dort und das Hier“, wie er im Liede sagt, in dem „Allenthalben“ verschwinden: aber aus solchen Ausblicken erwuchs ihm immer nur neue Lebenslust, neue Heiterkeit und Tapferkeit, um auf das Gegenwärtige einzudringen. Wo irgend ein deutscher Schaden oder eine deutsche Schande war, da setzte er sein Wort mit jugendlicher Kraft ein. So richtete er seinen „Mahnruf an alle deutsche Gaue in Betreff der Schleswig-Holstein’schen Sache“; diese

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Sache vor Allem schnitt ihm in die Seele, und in Prosa und Versen hat er uns zugerufen und ruft noch heute: „vergesset nicht der Dänen!“ Und unter dem Motto, das er schon 1808 in seinem Schilde geführt hatte: Saró che fue, vivró com’ ho vissuto, unter dem Titel Pro propulo germanico schrieb er seinen fünften „Geist der Zeit“. Auch diese neusten und trübsten Zeiten, das ist der Standpunkt dieses Buches, erscheinen so trübe nicht, wenn sie nur recht aus ihrem innersten Geiste heraus verstanden werden. Wie beschämt da der Alte, den A. Ruge schon 1840 zum alten Eisen geworfen hatte, die grämlichen Tadler der Gegenwart, die laudatores temporis acti! Wie launig und frisch blickt er hinein in die erfindungsreiche, rastlos fortschreitende, mit Blitz und Dampf arbeitende Zeit! „Erweiterte Welt“, ruft er aus, „erweiterter Weltblick, erweitertes Glück für den Prometheussohn! So ist es, so muß es bleiben und fortschreiten!“ Und fortschreiten, meint er, muß und wird es ebenso in der politischen Welt. Gegenüber den Verklägern seiner Deutschen will er sich nun erst recht als ihr Vertheidiger, ja Lobredner darstellen. Auch Preußen will er am wenigsten nach den traurigen Erinnerungen der jüngsten Vergangenheit beurtheilt wissen. Man messe es nur mit etwas längerem Gedächtniß und etwas tiefer eindringendem Blicke! Alsdann ist es, trotz Allem, „das lebendige und hoffnungsreichste Lebenselement Deutschlands“. Denn „Licht, Klarheit, Tapferkeit, hellste geistige Muthigkeit, dies nordische luthersche Erbtheil, ist das eigentliche preußische Leben; Licht, Kunst und Wissenschaft heißt die Inschrift der Fahne, unter welcher Preußen groß vorangeschritten ist und größer fortschreiten wird“. Solchen Trumpf spielt er gegen die Pessimisten, gegen die höhnenden Feinde und Verläumder Preußens aus. Er hat sich damit das Recht erworben, auch die Mißstände des Augenblicks mit schärfster Geißel zu züchtigen. Die große preußische und deutsche Frage ist ihm, den eigentlichen Geist Preußens gegen den eigentlichen Geist Oesterreichs gewogen, eine nicht erst zu entscheidende, sondern eine entschiedene. In der constitutionellen Monarchie, in dem Verfassungsleben Preußens liegt für ihn das sichere Mittel, aus aller Verwirrung zu Zuständen der Gerechtigkeit und Freiheit zu gelangen. Eben deshalb wendet er sich mit doppeltem Ernst gegen die, welche sich dieser Entwicklung aus Verblendung und Selbstsucht widersetzen, gegen die Sophisten eines angeblich historischen Rechts, gegen die, welche hinter dem Preise des patriarchalischen Königthums ihren „Junker von Gottes Gnaden“ verstecken, gegen die, welche Verfassung und Recht in den jüngsten Tagen über’s Knie gebrochen und solche „frechste Rechtsbrüche“ zum Gegenstand des lustigsten Spotts und Gelächters gemacht haben. „Ach!“ so fügt er hinzu, „ich fürchte, sie werden einmal sehen, worüber sie gelacht haben.“ – Wir wissen nicht, ob wir diesen Mann liebenswürdiger finden sollen, wenn er auf solche Weise tröstend, warnend und mahnend von der Gegenwart redet, oder wenn er Erinnerungen längst verschienener Tage wieder wach ruft. Alle die charakteristischen Eigenthümlichkeiten des Redners von 1819 sind noch die des Redners von 1853; er ist derselbe lebendige und fesselnde Erzähler in seinem funfzigsten, wie in seinem achtundachtzigsten Jahre. Wie die Enkel an dem Munde des Großvaters hängen, wenn er von den Zeiten erzählt, wo er jung war. So haben wir Alle noch einmal aufgelauscht, als der Alte uns noch zuletzt die oft erzählte Geschichte von seinem „unüberwindlichsten Ritter“ mit manchen neuen Fahrten und Schnurren zum Besten gab. Wie hat uns Alle der ärgerliche Handel verdrossen, der ihm auch über dies Buch noch angezettelt wurde; wie

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haben an diesem Buche auch die Jüngsten ihn liebgewonnen, auch die, welche niemals von dem „Geiste der Zeit“ gehört und welchen das frühere politische Schicksal des Mannes nur wie eine dunkle Sage bekannt war! Das Alter, es ist wahr, hat in diesen späteren Schriften manche Züge des Schriftstellers greller hervortreten lassen. Als Redner, wie als Erzähler zeigt er nun eine scharf ausgeprägte Manier. Aber diese Manier ist keine angenommene und darum auch keine störende. Es ist die Manier seiner Natur, und wir sehen in ihr nur deutlicher, als früher das Bild des „alten Arndt“, wie es in nun nicht mehr wandelbaren Typen uns Allen vor der Seele steht. Aus jedem Wort gleichsam sieht uns das helle, fröhlich, treuherzige Gesicht an. Seine Rede kleidet er in denselben schlichten deutschen Rock, den er selbst trägt. Da ist Alles einfach, natürlich und sauber. Bei aller Deutschheit keine Spur von gesuchtem Teutonismus, von jener fratzenhaften und renommistischen Deutschthümelei, welche die Schriften mancher Anderen so ungenießbar machte. Eine mächtige Kraft der Sprache, des schlagenden, sinnigen, oft eigenthümlichen bildlichen Ausdrucks wächst freiwillig und reichlich aus dem Boden dieses gesunden Lebens hervor. Fast immer hat die Darstellung etwas Eiferartiges und Sprudelndes, zuweilen etwas Hartes und Barsches. Auch aus der geschriebenen Rede hören wir den Nachdruck heraus, den die laute Stimme, die lebhafte Gesticulation dem gesprochenen Worte gab. Wir glauben den herzhaften Druck seiner Hand zu fühlen wenn er sich und der Sache, um die es sich handelt, nur mit einem Superlativ, ja mit gehäuftesten Superlativen meint genügen zu können. Die Nachdrücklichkeit, mit der er sich auszusprechen das Bedürfniß hat, ist aber begleitet und sie wird zugleich gemildert durch die Freude am vollen Klange, an reimenden und halbreimenden Wörtern. Hat er aber gar im Eifer über die Stränge geschlagen, so ruft er sich gewiß selbst zur Ordnung; und wie scharf er auch zuweilen ausfährt: – Unrecht will er mit seinem Wissen und Willen Niemand thun; die ganze Liebenswürdigkeit seines Herzens offenbart sich an den zahlreichen Stellen, wo er irgend einem zu allgemeinen oder zu harten Urtheil alsbald durch ein berichtigendes und versöhnendes Wort die verletzende Spitze zu nehmen sucht. Wohl mußte dem das Blut in den Adern noch jugendlich rollen, der ein Buch wie die „Wanderungen und Wandlungen“ zu schreiben vermochte, Und wer den Alten in diesen Jahren in Bonn in seinem Häuschen vor dem Coblenzer Thor besuchte, der mochte billig über die ungeschwächte Frische des Mannes staunen. Du hattest ihn ebenso vor zehn, ja vor zwanzig Jahren gekannt. Wie Du nur eintratst: er rief Dir den Namen entgegen, den sein treues Gedächtsniß sicher bewahrt hatte, und er schüttelte Dich mit einem deutschesten Willkommen. Dann rühmte er Dir wohl selbst, wenn die Rede dahin fiel, daß seine Augen ihm noch ohne Brille zu jedem Dienste willig seien, und daß er noch meilenweit mit Dir Berg auf und Thal ab zu wandern im Stande sei, ja er mochte Dir mit besonderem Wohlgefallen Geschichten von alten Schweden erzählen, die hundert Jahre und darüber alt geworden. Warst Du aber gar in Begleitung alter, vertrauter Freunde in’s Haus getreten, so kamst Du nicht so trocken von dannen. Bald standen ein paar Flaschen Elfer auf dem Tische: im Gespräch über Altes und Neues wurde es laut und lauter, und unter vielen guten Gesundheiten auf alle guten deutschen Dinge – im Umsehn, wie Du meintest – waren die Flaschen leer geworden. Solche Kraft und Fröhlichkeit des Alters beschämt Deine und alle Jugend. Möge sich vor Allem unsre poetische Jugend ein Exempel an dem greisen Sänger nehmen! Die

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Schwalben und Nachtigallen kehren nicht so sicher wieder, als er sie noch jeden Frühling mit einem Liede begrüßte. Wir kennen kein jubelnderes und frischeres Frühlingsgedicht, keinen wunderbareren Beweis für die unversiegliche Lebenskraft dieses Herzens als die köstlichen Strophen, die der Fünfundachtzigjährige im Mai 1855 niederschrieb. Das Kukuksorakel ist kurzsylbig geworden; mit neckischem Zwei und Drei scheint der Unglücksvogel dem Alten zuzurufen, daß es vorbei sei – Schrei er sich heiser mit Zwei und Drei, Ich schreie dem fröhlichen Mai Juchhei! Seinen Abendschimmern und Morgenröthen, Seinen Stimmen, die Freude und Liebe flöten. Mich schreckt kein Kukuksprophetenschrei, Sein Eins, Zwei, Drei und sein Vorbei! Drum kling’ ich lustig Juchhei! Juchhei! Auf! leuchte Frühling, und jauchze, Mai! Mich hat vor Gripsgrabbelei und Sorgen Das fröhliche Sprüchlein vorlängst geborgen: Auf Leid folgt Freude, auf Winter Mai So wandelt Leben und Jahr vorbei. Und die erste Schwalbe wenigstens auch am politischen Himmel unseres Vaterlandes, sollte er noch kommen sehen. Er hat die Hoffnungen erlebt und getheilt, die sich an den Umschwung der preußischen Dinge im Herbst 1858 knüpften. Er ist mit ergriffen worden von den heftigen Schwankungen des Nationalgefühls während des Sommers 1859. Er hat den Glauben, daß Preußen in der Stunde der Noth dem Vaterlande nicht fehlen werde, und die Ueberzeugung, daß die Nation die rettende und einigende Hand noch rechtzeitig erkennen lernen werde, in’s Grab genommen. Wünsche und Gebete für sein geliebtes Deutschland hat er noch zuletzt ausgesandt. In der Mitte des Januar d. J. ergriff ihn die Krankheit, der er erliegen sollte. Er war in den ersten Tagen derselben noch munter genug, um sich von seinem Sohne die Correcturbogen seiner Gedichte vorlesen zu lassen und die Vorlesung mit einzelnen Bemerkungen zu begleiten. Bald indeß verschlimmerte sich sein Zustand; zwischen fieberhaften Phantasien verriethen abgerissene Aeußerungen den Seinigen, daß er sein herannahendes Scheiden ahne. In der Nacht vom 21. zum 22.155 trat eine Lungenlähmung ein: in Folge derselben ist er um zwölf Uhr Mittags sanft entschlafen. – Wir haben versucht, das Bild des Mannes, wie es aus seinem Leben, seinen Schriften, seiner versöhnlichen Erscheinung uns entgegen getreten ist, zu zeichnen. Wir fühlen, daß es ein bloßer Schattenriß geworden ist. Denn an der Fülle und Ganzheit seines Wesens wird jede Schilderung, die sich stückweise zusammensetzt, zu Schanden. Keinen Schriftsteller und keinen Gelehrten, keinen Dichter und keinen Staatsmann, sondern einen rein und voll entwickelten Menschen hatten wir zu schildern. Er war ein

155 Richtig: 28./29. Januar 1860.

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Mann im ganzen gewichtigen Ernst des Wortes und seine hervorstechendste Eigenthümlichkeit die Kraft, die der Ausdruck gleichgewogener leiblicher und geistiger Gesundheit ist. Im sittlichen Kampfe mit seiner starken Natur hat er gerade diese Natur zur vollendetsten Ausbildung und Darstellung gebracht. In ihm selbst erschien jenes Gleichgewicht zwischen Himmel und Erde, jener Einklang von Kopf und Herz, worauf er die Zeitgenossen hinwies. Es erschien aber in chrakteristisch deutscher Weise. Man hat ihn den Deutschesten der Deutschen genannt, und er war dies nicht blos seiner Gesinnung und seinem Wirken nach, sondern nach der innersten Anlage, in allen Zügen, in den Tugenden und selbst in den Schwächen seines Wesens. Durchaus aus einem deutschen Herzen und mit deutschen Augen hat er in die Zeit und über die Welt geblickt. In schönem Gleichmaaß lagen bei ihm die Elemente zusammen, die nur zu oft in einseitiger Ausbildung unseren Nationalcharakter bezeichnen. Das Helle und Straffe des Nordens vertrug sich in ihm mit dem Heiteren und Leichten des Südens. Er war zu Zeiten ein Träumer, um die meiste Zeit desto tapferer und wacher in den Kämpfen des Lebens zu stehn. Das deutsche Gemüth und der deutsche Verstand, deutsche Innigkeit und deutsche Fröhlichkeit hatten gleiche Rechte bei ihm. Deutsch war auch die Weise seiner Frömmigkeit; denn während er sich an dem Geistigsten und Innerlichsten des Christenthums näherte, so ließ er sich doch nimmer den alten heidnischen Natursinn und den „Naturmuth von seinen Vätern her“ rauben; sein Gott war ein Gott, der „Gespaß liebt“; er wußte „wie viel das fröhliche Evangelium des Heils uns erlaubt“. Was einmal Wurzel in seinem Herzen gefaßt hatte, das riß keine Zeit und kein Wechsel der Zeiten aus; das haben die Freunde, auch die abtrünnigen, erfahren, denen er der schonendste und billigste Richter wurde, das hat vor Allem das Vaterland erfahren, das der Anfang und das Ende seiner Liebe, der eigenste Mittelpunkt seiner Treue war. Er ist die Verkörperung „deutscher Treue“, ja er ist die lebendige Summe aller der Eigenschaften gewesen, die er selbst den „reinen germanischen Geistern“ zuschreibt – jener fröhlichen Gutmüthigkeit und Frömmigkeit, jener kindlichen Unbefangenheit und Natürlichkeit, jenes feurigen Stolzes auf Wahrheit und Freiheit, jener feinherzigen und freimüthigen Geradheit und Derbheit – all’ jenes Unbeschreiblichen, was ein Volk, was das deutsche Volk bezeichnet. In einem verhängnißvollen Momente ist er von uns gegangen. Er hat uns die Weissagung hinterlassen, daß dieses Land und dieses Volk nicht zerrissen bleiben und daß kein fremder Tyrann uns dauernd bejochen werde. Er hat uns, was mehr ist, das Beispiel gegeben, wie wir lieben und hassen müssen, um einig und unüberwindlich zu werden. In Kurzem wird sich am linken Ufer des Rheins sein Standbild erheben, und wir werden dazu aufblicken mit dem Gelübde, den geweihten Platz zu behaupten. Nur Ein Denkmal jedoch ist seines Andenkens völlig würdig. Erst wenn die alte Zwietracht der deutschen Stämme geheilt, erst wenn die dynastische Politik des Eigennutzes und der Eifersucht durch die nationale Politik, die nach Einheit, Macht und Ehre ruft, überwunden sein wird, erst wenn der Bau eines starken deutschen Staates sturmfest allen Angriffen unserer Feinde Trotz bieten wird, – erst dann wird die Schuld getilgt sein, die das Wirken dieses Mannes der Dankbarkeit unseres und aller künftigen deutschen Geschlechter auferlegt hat.

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Nr. 36 August Henneberger: Ernst Moritz Arndt, in: Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 25 v. 21.6.1860, S. 445–455. [S/S Nr. 3205] Ernst Moritz Arndt. Nach einem reichen Leben, reich an Thaten und Leiden, an Lob und Tadel, an Glück und Misgeschick ist der alte Arndt heimgegangen, begleitet von den Segenswünschen und dem Dank seines Volks. Ein Rückblick auf dieses Leben, auf das Gethane, Erlebte und Erlittene dieses Mannes, in welchem das deutsche Volk die edelsten Züge des deutschen Volkscharakters verehrte und liebte, ist eine Forderung der Pietät. Auch für d. Bl., welche es sich zum Ruhme rechnen Buch zu führen über die Entwickelung jener hervorragenden Lebensäußerung im nationalen Wesen, die wir deutsche Poesie nennen, liegt die Nothwendigkeit vor, mit einer so bedeutenden Erscheinung, wie Arndt in unserer Dichtung gewesen ist, abzurechnen und abzuschließen. Auch äußerlich ist dazu dadurch Anlaß geboten, daß Arndt selbst noch vor seinem Tode eine Sammlung seiner Lieder besorgt und „seinem Volke als ein letztes Vermächtniß“, wie er selbst sagt, hat hinterlassen wollen. „Mit diesen Liedern“, so schließt er die aus dem December 1859 datirte Vorrede, „sagt der alte Sänger und Schreiber allen seinen Freunden gleichsam ein letztes Lebewohl.“ Der Titel dieser Sammlung lautet: 1. Gedichte von Ernst Moritz Arndt. Vollständigste Sammlung. Mit der Handschrift des Dichters aus seinem neunzigsten Jahre. Berlin, Weidmann. 1860. Gr. 8. 1 Thlr. 10 Ngr. Aber Arndt’s Dichtung läßt sich nicht betrachten ohne sein Leben in den Kreis der Erörterung aufzunehmen; denn seine Dichtung ist ein Spiegelbild seines Lebens und Strebens in und trotz der Welt. Für diese biographische Seite meiner Aufgabe folge ich einem warm, lebendig und patriotisch geschriebenen Büchlein, welches sich außer auf die bekannten Quellen und Mittheilungen von Freunden Arndt’s stützt. Diese Schrift, welcher eine recht ausgedehnte Verbreitung zu wünschen ist, wie wir sie denn auch den Lesern d.Bl. empfehlen, heißt: 2. Ernst Moritz Arndt. Ein Büchlein für das deutsche Volk von Eugen Labes. Nebst ungedruckten Briefen Arndt’s und einem Gedichte „Des Alten vom Rhein Abschied und Heimkehr“. Jena, Döbereiner. 1860. Gr. 8 16 Ngr.156 Beginnen wir mit dem äußern Leben Arndt’s, um uns dann zu seiner Poesie zu wenden. Ich werde zu zeigen versuchen, daß auch als Poet Arndt einen hervorragenden Platz auf dem deutschen Parnaß wegen seiner gesammten Leistungen, nicht einzig wegen seiner patriotischen Poesie einnimmt. Und aus dem Ganzen wird sich hoffentlich ergeben, wie sehr begründet die rührende Anhänglichkeit ist, die Deutschland seinem alten Arndt noch in dessen letzten Lebenstagen bezeigt hat, wie der Alte ein ganzer Mann und ein ganzer Dichter gewesen und nur gedichtet hat, was er im Leben geliebt 156 Umfang: 127 Seiten. Labes eröffnet die Reihe der Arndt-Biographien nach dessen Tod und steht zwischen den Nekrologen und der folgenden Arndt-Biographik. Labes’ Arndt-Biographie (ebd., S. 1–117) stützt sich wesentlich auf Arndts Erinnerungen und die ausführlicheren Nekrologe.

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und geübt. Ein deutscher Dichter, ein deutscher Mann, das ist die Unterschrift, die seinem Bilde gebührt. Am 26. December 1769 wurde Ernst Moritz Arndt zu Schoritz auf Rügen geboren, wo sein Vater Gutsinspector des Grafen von Putbus war. Merkwürdig, daß der deutscheste Deutsche außerhalb Deutschlands geboren wurde; denn noch gehörte die Insel der Krone Schweden. Unter der Leitung eines verständigen Vaters, einer frommen Mutter verlebte er die ersten Jahre seines Lebens in seinem Geburtsort, bis 1775 oder 1776 sein Vater als Pachter des Grafen nach einem benachbarten Hofe übersiedelte, wo er bis zum Jahre 1780 verblieb. Eine Schule war nicht vorhanden und so war es hauptsächlich der Unterricht der Aeltern, auf den sich die Kinder hingewiesen sahen. Daneben legte Moritz in der Landwirtschaft mit Hand an, weidete die Heerden seines Vaters und plünderte gelegentlich die Obstbäume. Im Jahre 1780 übernahm der Vater zwei neue Güter und siedelte mit seiner Familie nach dem nordwestlichen Theile der Insel über, wo nun auch die regelmäßige Schule begann. Gottlob Müller, bis an den Hals studirt, Soldat im Siebenjährigen Krieg, „mehr guter Lutheraner als guter Lateiner“, und Dankwardt, nicht eben ein Polyhistor, aber guter Mensch, dessen Arndt noch später freundlich gedenkt, waren des jungen Ernst Moritz Arndt Lehrer. Auch sonst muß man sich die Umgebung Arndt’s nicht unliterarisch denken: Shakespeare, Lessing, Claudius und Stolberg verirrten sich auch in diese ultima Thule und wurden mit Jubel begrüßt. Dabei durchstreifte unser Moritz mit seinem Onkel Heinrich Arndt in Putbus, einem „poetischen und romantischen Mann“, die Insel und lernte die Heimat mit ihren Alterthümern und Eigenthümlichkeiten lieben. Im Jahre 1787 bezog er das Gymnasium in Stralsund und bewährte gleich hier geistige und körperliche Kraft, indem er die Neckereien seiner Mitschüler über seinen ländlichen grünen Rock oder einen detto grauen, der aus einem alten Rock seines Vaters metamorphosirt war, mit Witz oder nach Befinden mit der Faust zurückwies. Aber auch den Verlockungen der damals sehr üppigen stralsunder Gesellschaft gegenüber zeigte er sich tapfer, ohne darum zum Philister zu werden; er studirte fleißig und schwärmte auch wieder im jugendlichen Frohsinn. Als unserm Ernst Moritz noch ein Jahr Besuch des Gymnasiums übrig war, verschwindet er plötzlich in die weite Welt, ohne Plan, aus lauter urgermanischer Wanderlust, läßt sich aber, da bald die Besinnung zurückkehrt und das im deutschen Herzen so wunderbar mit jener Wanderlust sich mischende Heimweh sich regt, gern von Onkel und Bruder in die Heimat zurückführen, wo er nun seine Studien ohne auf das Gymnasium zurückzukehren fortsetzt, bis er endlich die Universität Greifswald bezieht, um sich der Theologie zu widmen. In Greifswald müssen damals noch Hauptoriginale von Professoren existirt haben, wie ja die deutschen Universitäten überhaupt für den humoristischen Menschenfreund der einzige erfreuliche Ruhepunkt sind, wenn er seine Augen über die Allerweltsphysiognomie unsers alle Unebenheiten nivellierenden und alle hervorstehenden Ecken abschleifenden Geschlechts hat hoffnungslos hinstreifen lassen, ohne irgendeine ausdrucksvolle Eigenthümlichkeit und Absonderlichkeit irgendwo entdecken zu können. Ueberall sind die Gestalten und Individualitäten verblaßt, aber auf den deutschen Universitäten gibt es noch Originale, ebenso tüchtig als sonderbar. Professor Muhrbeck, bei dem Arndt Philosophie hörte und den er als scharfen Denker rühmt, pflegte seine

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Polemik gegen Kant in seinem gebrochenen Schwedisch-Deutsch mit den Worten zu schließen: „Und nun? Was willst du nu, Kant, vir juvenis?“ Da jedoch mehrere Fächer nicht genügend besetzt waren, siedelte Arndt 1793 nach Jena über, wo er in wissenschaftlicher und geselliger Hinsicht sich so wohl fühlte, daß er dieser Stadt und ganz Thüringen bis in sein höchstes Alter die rührendste Anhänglichkeit bewahrte. Nachdem er die Universität verlassen, suchte er zunächst auf Reisen vieler Menschen Städte zu sehen und ihren Sinn zu erkennen. Nachdem er dann in Privatstudien sein Wissen geordnet, als Hauslehrer gewirkt und „mit Schall und Beifall“ gepredigt, entsagte er der Theologie, wol in unbestimmter Ahnung seines eigentlichen Berufs, und wiederum trug er seinen Wanderstab durch die Länder. Oesterreich, Ungarn, Italien, Frankreich, die Niederlande und Deutschland durchreist er und sammelt – an seiner Ueberzeugung. Nach seiner Rückkehr vermählte er sich mit Marie Charlotte Quistorp aus Greifswald, habilitirte sich als Privatdocent der Geschichte daselbst und las vor zahlreichen Zuhörern. „Mit Politik hatte Arndt sich bis jetzt nur mehr gelegentlich beschäftigt“, sagt Labes. Seine Gesinnung, seine Sympathie war wol mit dem Lande gewesen, welchem seine Geburtsinsel angehörte, mit Schweden. Aber ein geheimer Zug deutschen Wesens hatte ihn immer an Deutschland gefesselt, und als nun das Unglück hereinbrach über Deutschland, da fühlte Arndt zuerst mit Entschiedenheit, daß er dem deutschen Volke angehörte für immer. Und er hat ihm angehört in Freud und Leid. Bezeichnend genug für den Apostel der Freiheitskriege ist seine erste Schrift ein Zeugniß seiner Gesinnung gewesen. Der Sohn eines Freigelassenen schrieb er: „Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen“, und gab durch sein männliches Wort den Anstoß zu ihrer Aufhebung. Im Jahre 1805 erschien von ihm der erste Band des „Geist der Zeit“, ein Buch, welches in tausend und abertausend Herzen die Flamme patriotischer Begeisterung entzündet und gegen Arndt selbst später als Anklage gedient hat, als in der unglücklichen Restaurationszeit die patriotische Begeisterung unbequem geworden war. Im Jahre 1806 schlug er sich mit einem schwedischen Offizier, der sich über die Deutschen herabwürdigend geäußert. Nach der Schlacht von Jena mußte er nach Schweden flüchten, da er als Franzosenfeind alles zu fürchten hatte; aber als 1809 Bernadotte zur Regierung berufen wurde, war auch hier Arndt nicht mehr an seinem Platze, sondern zog sich auf eine Zeit lang zu seinen Geschwistern und seinem eigenen achtjährigen Sohn (seine Frau war schon 1801 gestorben) zurück und begab sich von hier 1809 als Sprachmeister Allmann nach Berlin. Nochmals trat er sodann, während er seine häuslichen Angelegenheiten zu ordnen suchte, in Greifswald als Docent auf, legte aber bald seine Stelle nieder und ging über Breslau, wo er Blücher kennen lernte und Scharnhorst sah, nach Prag, wo er die Einladung Stein’s erhielt, zu ihm nach Rußland zu kommen. Stein empfing Arndt in Petersburg herzlich und beide arbeiteten nun, jeder an seiner Stelle, an der Wiedererhebung Deutschlands. „Die Dörnberg, Clausewitz, Boyen, Adolf Lützow waren es, mit denen er jeden Tag bis spät des Nachts im engern Kreise weilte.“ Als nach dem moskauer Brand der große Rückzug der Franzosen begann und auch Kaiser Alexander nach Preußen abzureisen im Begriff stand, eilten ihm Stein und Arndt voraus.

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Und mit dieser Zeit der Erhebung beginnt auch Arndt’s Glanzperiode. Ueber Lyck und Gumbinnen gelangten die beiden nach Königsberg. Das war die Zeit, wo die Dohna und Clausewitz, Scharnhorst’s Lieblingsschüler, die preußische Landwehr heranbildeten. Arndt schrieb erläuternd, anfeuernd, begeisternd: „Was bedeutet Landwehr und Landsturm“, den „Deutschen Soldatenkatechismus“ und „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Von Königsberg über Breslau nach Dresden, wo er bei Körner mit Goethe zusammentraf. Hier that dieser den berühmten Ausspruch: „Schüttelt nur eure Ketten, ihr werdet sie nicht zerbrechen, der Mann ist euch zu groß“, und bestätigte damit für jedes unbefangene Urtheil seinen Quietismus, den die Goethomanen weder wegsophistisiren noch vornehm weglächeln werden. Im Jahre 1808 war der zweite Band vom „Geist der Zeit“ erschienen, in Dresden wurde der dritte Band überarbeitet, dessen erster Theil die „Geschichte des Feldzugs in Rußland“, der zweite und dritte den Befreiungskrieg und des Vaterlandes Wiederherstellung zum Gegenstand haben. „Selig sind die Herrscher, welche Gott fürchten und die Völker ehren …! Zittert nicht vor leeren Revolutionsgespenstern, damit ihr keine Revolutionen machet, sondern stellet Ehre, Freiheit und Seelenhoheit voran, erfüllet die ewigen Pflichten der Gerechtigkeit und Ehre und überlasset damit das Uebrige Gott. Er wird es wohl machen.“ Scharnhorst’s Tod begeisterte Arndt zu einem schönen Lied, wie dieses nationale Unglück ja auch Schenkendorf zu einem seiner tüchtigsten Lieder Stoff gab. Von Reichenbach in Schlesein aus zog Arndt den verbündeten Heeren nach und traf mit Stein in Leipzig zusammen, wo sie sich des herrlichen leipziger Siegs und der glücklichen Aussichten erfreuten. Aber auch Arndt kämpfte mit seiner edlen patriotischen Feder: „Der Rhein, Deutschlands Strom aber nicht Deutschlands Grenze“ ist ein wichtigstes Product seiner nationalen Gesinnung, welche in kräftiger Vaterlandsgesinnung Liebe zur Heimath predigt und jenem flachen Kosmopolitismus, an dem auch heute noch so viele kranken, entgegentritt. In einer andern Schrift: „Das preußische Volk und Heer im Jahr 1813“, spricht er es aus, daß Preußen nur dadurch den Sieg errungen, daß „es den Geist freigelassen und das Volks kriegsgeübt gemacht“. „Ich sage, Deutschland hat keinen andern Jacobiner und Umkehrer, als die zerbrochenen Seelen, die vor jedem kühnen Gedanken und jeder hohen That zittern.“ Nach mannichfachem Hin- und Herziehen, wobei er unter anderm auch in Gesellschaft Stein’s in Köln wieder mit Goethe zusammentraf und sich über die bürgerliche Blödigkeit, die der weimarische Jupiter jungen Adelichen gegenüber zeigte, ein Ziemliches ärgerte, verheirathete er sich mit Nanna Maria, Schleiermacher’s Schwester, die ihm eine treue Lebensgefährtin wurde, ein treues und tapferes Weib, wie er sie selbst nannte, und wurde 1818 durch Hardenberg, um ihn „auf die ehrenvolle Art im Angesicht des Vaterlandes zu belohnen“, Professor der neuern Geschichte in Bonn. Nach den gewaltigen Stürmen, die er durchgemacht, schien jetzt eine freundliche Stille sein Leben erheitern zu sollen und so versenkte er sich in den „Märchen und Jugenderinnerungen“ sinnig in das Stilleben seiner glücklichen Jugend. Aber auch jetzt wandte sich sein Auge von der wahren Aufgabe seines Lebens nicht ab, wovon der vierte Band seines „Geist der Zeit“ Zeugniß ablegt: ein Zeugniß, welches freilich in dem berliner Cabinet keinen Widerhall fand, da in ihm Anklänge an die gefürchteten demagogischen Träume

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sich finden sollten. Und bald genug rückte dem Vertreter deutscher Gesinnung die Reaction näher. Arndt wurde demagogischer Umtriebe halber am 18. November 1820 suspendirt, und obgleich auch nicht das Mindeste sich gegen ihn ergab, und obgleich er selbst in seinem „Abgenöthigten Wort“ und andere Ehrenmänner seine Sache vor dem Forum der Nation glänzend obsiegend vertheidigten, so wurde er doch in seine Stelle nicht wieder eingesetzt, sondern lebte in unfreiwilliger Muße literarischen Arbeiten, von denen wir noch die „Erinnerungen aus dem äußern Leben“ erwähnen. Es bleibt ein rühmliches Blatt in der Regierungsgeschichte Friedrich Wilhelm’s IV. (dessen großen Sinn und edelstes Wollen man überhaupt über der zehnjährigen Misregierung der Manteuffel und Westphalen zu sehr vergißt), daß er es eine seiner ersten Regierungshandlungen sein ließ, dem edlen Arndt Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die Universität Bonn ehrte sich selbst, indem sie ihn für 1840/41 zum Rector magnificus wählte. Nun lebte der Alte von neuem auf: „Versuch in vergleichenden Völkergeschichten“, „Schriften für und an seine lieben Deutschen“, „Pro populo germanico“, „Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Freiherrn vom Stein“ sind die wichtigsten von ihm noch zu erwähnenden Schriften, in denen er seine Grundsätze über nationale Einheit und Freiheit in einer oder der andern Form vertritt. Im Jahre 1848 wurde er in das Parlament gewählt. In der ersten sehr stürmischen Sitzung am 18. Mai hatte er von der Rednerbühne abtreten müssen ohne zum Wort zu gelangen. Als in der nächsten Sitzung Jakob Venedey der Versammlung mittheilte, daß Arndt es gewesen, den man, weil man ihn nicht kannte, durch den Ruf zur Abstimmung von der Tribüne verdrängt hatte, wurde der Alte unter allgemeinem Zuruf zum Auftreten bewogen. Was er sprach, ist so wahr und charakteristisch, daß wir es dem Büchlein von Labes wörtlich entnehmen: „Geschmeichelt fühle ich mich nicht, aber gerührt durch diese Anerkennung der Vertreter und Darsteller eines großen und ehrwürdigen Volks, in dessen Gefühle und Gedächtnisse ich wenigstens von Jugend auf gelebt und gewirkt habe. Was der einzelne verdient und gewirkt, ist eine Kleinigkeit, er geht in der Million der Gedanken und der Gefühle, in der geistigen Entwickelung eines großen Volks so mit wie ein kleines Tröpfchen im Ocean. Daß ich hier stehe, ein Greis, jenseit der Grenze, wo man wirken kann, war das Gefühl als ich erschien – gleichsam wie ein gutes altes deutsches Gewissen, dessen ich mir bewußt bin (unermeßlicher Beifall), daß ich erscheinen durfte unter vielen Männern, unter manchen Jünglingen, die ich das Glück gehabt habe zu kennen; auch das ist ein gutes altes deutsches Gewissen, wer an die Ewigkeit seines Volks glaubt.“ Auf den Antrag von Jahn und Soiron wurde ihm der Dank der Nation für seine Wirksamkeit für das gesammte Vaterland votirt. Arndt gehörte der Gagern’schen Partei an und schied mit ihr aus dem Parlament, und auch jetzt verzweifelte er nicht an dem Vaterland, weil er eben an die Ewigkeit seines Volks glaubte. „Mögen Tausende gelehrter, geistreicher, hochgesinnter sein, als ein ehrlicher Mann habe ich meines Weges fortzuschlendern gestrebt und hoffe mit der Achtung und Liebe meines Volks mein bischen Uebriges zu vollenden.“ Und wahrlich, an Achtung und Liebe seines Volks hat es ihm bis zu seinem Ende nicht gefehlt! „Der alte Arndt“ ist der Liebling des deutschen Volks gewesen, wie einst der alte Blücher. Noch zu seinem neunzigsten Geburtstag hat sich die liebende Vereh-

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rung, die der Alte durch ganz Deutschland genoß, in freundlichen Ueberraschungen, Grüßen und Huldigungen aus allen Gauen herrlich offenbart. Und so ist er denn dahingegangen, verehrt und beklagt von der Nation, deren treuer Vorkämpfer er sein Leben lang gewesen, ein Vorbild dem heranwachsenden Geschlecht, ein edelster Vertreter deutschen Wesens und deutscher Tüchtigkeit. Ernst Moritz Arndt starb den 29. Januar 1860 zu Bonn am Rhein. Wenden wir uns nun von der äußern Geschichte zu den Dichtungen Arndt’s. Es ist mir wunderbar, daß ein so scharfsinniger Kritiker wie Julian Schmidt in den „Grenzboten“ gelegentlich dieser Gesammtausgabe sein Urtheil dahin hat abgeben können, man sehe deutlich, daß über die bekanntesten Kriegs- und politischen Lieder Arndt’s hinaus das Talent desselben überhaupt nicht gereicht habe; der Rest sei unbedeutend.157 Ich finde im Gegentheil, daß gerade dieser Rest den Beweis für das ursprüngliche poetische Talent des Dichters liefert. Denn von der großen Zeit könnte am Ende auch eine nicht gerade besonders dichterisch organisirte Natur, wenn ihr nur ein Herz für die Ehre und das Wohl des Vaterlandes innewohnt, zu einzelnen Leistungen begeistert werden, die durch das gehobene Gefühl nicht nur wirksam, sondern auch poetisch erschienen. Aber Arndt hat zu allen Zeiten gedichtet, und zwar vortreffliche Sachen gedichtet, auch vor und nach der Zeit, in der der allgemeine nationale Enthusiasmus ihn trug. Nicht der Patriot in ihm hat Arndt zum Dichter gemacht, sondern der Dichter in ihm hat bewirkt, daß auch der Patriot wahrhafte Poesie schuf. Ich glaube den reichen Inhalt der vorliegenden Sammlung, die beinahe 700 enggedruckte Seiten hält, naturgemäß in mehrere Abtheilungen zerlegen und nach diesen besprechen zu sollen. Ich dehne den ersten Abschnitt aus bis in das Jahr 1812 und nenne ihn „Des Dichters Jugend“. Von 1769–1812 des Dichters Jugend? Freilich hatte den Lebensjahren nach Arndt längst das männliche Alter erreicht, aber erst mit der Reise zu Stein nach Petersburg ist seinem Leben für immer der bestimmte Stempel aufgedrückt, an welchen jeder denkt, wenn man den Namen des alten Arndt nennt. Vor allem aber ist diese Zeit der erste entschiedene Wendepunkt für seine Dichtung; in diese Zeit fällt die Blüte seiner politischen Poesie, die zwar keineswegs das allein Charaktersitische dieser dichterischen Individualität ausmacht. Und bis dahin, welche Richtung verfolgte seine Dichtung? Am richtigsten wird es sein, sie als Ringen und Streben, als Werben und Bilden zu bezeichnen. Denn nach allen Seiten prüft der Dichter seine poetischen Schwingen, in allen Tonarten versucht er sein Lied.

157 (Julian Schmidt) Lietrarische Streifzüge, in: Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik und Literatur, hg. v. Gustav Freitag u. Julian Schmidt, 19 (1860) 1. Bd, S. 414. Dort heißt es abschließend: „Einige seiner Lieder, diejenigen, die sich auf die Freiheitskriege beziehn, gehören zu den schönsten, die in deutscher Sprache gesungen sind, und werden voraussichtlich nicht früher untergehn, als diese Sprache selbst. Was aber die übrigen Lieder betrifft – und die Zahl ist ziemlich groß – so ist der Abstand ganz unglaublich. Von ursprünglicher poetischer Lebenskraft ist fast keine Spur darin, und selbst in der Classe der Nachahmungen gehören sie keineswegs in den ersten Rang; für die Geschichte seiner Bildung sind sie immerhin von Wichtigkeit.“

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Bald glauben wir die berauschenden und berauschten Laura-Lieder, die excentrischen Dithyramben der Sturm- und Drangperiode Schiller’s zu hören. Pomphafte Worte, hyperbolische Gedanken, Titanengelüste oder süße Melancholie und Schwärmerei. Von der letzten Art nur einen Vers aus „Nachruf“ (1803): Nein, du hörst mich bei den stillen Manen, denkst mit Sehnsucht an das Erdenlicht; Schwölle Lethe auf zu Oceanen, Unter ging in ihr die Liebe nicht. Wenn in dieser sanften Elegie die Hyperbel des dritten Verses einen beinahe komischen Eindruck macht, so stimmen in dem Gedicht „An Psychidion“ (1807) himmelstürmende Gedanken und Worte eher zu einem Ganzen zusammen. Ich erlaube mir nur die ersten sechs Strophen mitzutheilen: Zittre nicht, mein Liebling, vor den Flammen, Die in deinem Busen selig glühn. Darf der Himmel neidisch das verdammen, Wodurch Sonnen sich zu Sonnen ziehn? Was des Hymnus Jubel Morgenröthen, (?) Hohen Einklang allen Sternen lehrt, Und wodurch die Irre der Kometen Regellos die höchste Regel ehrt? Wodurch Blumen sich zu Blumen neigen? Tropfe brünstig zu dem Weltmeer jagt? Wodurch Philomele in den Zweigen Und der Schwan auf Frühlingswellen klagt? Darf der Himmel sein Gesetz verdammen, Dann verdamme deine Liebe auch, Stürze mit dem Wellenschmuck (?) zusammen, Stirb mit Sonnen dann in Einem Hauch. Und auf fürchterlich erloschnen Trümmern Traure einsam der erhabne Geist, Welchen nimmer Sonnen mehr umschimmern, Nimmer wieder Menschenwonne preist! Nein, hinweg der Bonzen schwarze Schrecken! Hoffnung auf das Engelangesicht! Wenn auch Donnerwolken ihn bedecken, Ist sein täglich Kleid doch Lieb’ und Licht.

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Wenn das auch glücklicherweise unser ästhetischer Geschmack nicht mehr ist, so müssen wir doch anerkennen, daß das Gedicht in seiner Art von Talent zeugt. Aber diesem titanischen Genre hat sich der gesunde Sinn unsers Dichters im ganzen nicht oft zu- und sehr bald wieder abgewandt. Er, der mit heiterer Kraft und gesundem Wollen sich dem Leben hingab, konnte an diesen forcirten Uebertreibungen niemals ernstlich Gefallen finden. Viel eher war seiner Natur das heitere Lied munterer Gesellen bei Becherklang angeeignet und solcher Lieder finden sich denn auch in dieser Periode eine ganze Anzahl, besonders auch aus der greifswalder Studentenzeit, Lieder, die noch von uns allen, wie eine gute Zahl aus der folgenden Periode, und von unsern Nachfolgern auf deutschen Hochschulen gesungen worden sind und gesungen werden. Nichts ist wohlthuender, als jetzt, wo in unserer Erinnerung nur „der alte Vater Arndt“ lebt, diese Lieder sich wieder ins Gedächtniß zurückzufrufen, die er in seiner frischen stürmenden Jugendzeit gesungen, und dabei sich zum Bewußtsein zu bringen, wie die gesunde Naturwüchsigkeit, mit der der Jüngling das Leben erfaßte, ohne vor den ernsten Seiten desselben zurückzuschrecken, es gewesen ist, welche ihm jene ewige Jugend bewahren half, die wir an ihm bewundert haben. Es steckte ein Stück von unserm Luther in Arndt: „Wer nicht liebt Wein, Weiber und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang“, hätte auch der Alte als Wahlspruch nicht verworfen*) (*Durch ein Gedicht gefeiert hat er ihn S. 522.), und diese heitere Weltauffassung hat dem idealen Wirken beider Männer, dem Kampf für die Ideen der evangelischen und der nationalen Freiheit wahrlich keinen Abbruch gethan. Auch hiervon, von der Gattung studentischgeselliger Lieder eine Probe in „Die fünf Gläser“ (1803) zum Beleg (S. 78): Mein erstes Glas, mein bestes Glas Auf des Gelags Genossen, Für die viel tausendmal das Faß Sich lustig leer geflossen, Die vor dem Zapfenloch so gern Gejubelt und gesündigt Und denen oft der Morgenstern Beim Wein den Tag verkündigt. Mein zweites Glas, mein schönstes Glas, Für Bacchus und Cytheren! Wer je als Held beim Trunke saß, Der hält sie hoch in Ehren: Kein Herz ist fest vor Hieb und Stich, Das Bacchus Kraft bezwungen, Doch haben sie beim Wasser sich Nie hohes Lob errungen. Der Freundschaft dieses dritte Glas Zur Heiligung des Festes! Durch sie bezwang der Hölle Haß Mit Pylades Orestes, Durch sie ist manche Mänenrbrust

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Zur Götterheimat worden, Und sie versammelte zur Lust Auch diesen Sängerorden. Mein viertes Glas, ein heil’ges Glas Soll hellen Klangs erschallen Für die, so im Tyrannenhaß Fürs Vaterland gefallen, Für die auch, so im Sorgenhaß Den Wein auf Fässer faßten Und jubelnd bei dem vollen Glas Hinsanken und erblaßten. Mein fünftes Glas, mein letztes Glas, Die heil’ge Fünfe lebe! Es grün’ und blüh’ ohn’ Unterlaß Der süße Strauch der Rebe! Es blühen Rosen, Mädchen jung, Mir noch bei grauem Haare! Und Becherklang und Sang und Trunk Begleiten mir die Bahre! Einen bei weitem größern Raum aber, als die beiden bis hierher geschilderten Richtungen, nehmen in der Sammlung diejenigen Lieder ein, welche reflectirend-didaktisch über Sinn und Bedeutung des menschlichen Lebens sich aussprechen. Niemand wird nach dem Grund dieser Erscheinung fragen. Ist doch das Gedankenleben, das Sichversenken in sich selbst, die Freude an der Speculation über die Räthsel des Daseins und die Natur der menschlichen Dinge ein allgemein deutscher Zug, der einerseits in der Ausbildung und Entwickeung der philosophischen Fragen, die bei uns wie bei keinem andern Volke aufregen und zünden, andererseits in einer oft tiefsinnigen, oft auch unklaren, mit Vorliebe aber immer refelctirenden Lyrik seinen Ausdruck gefunden hat. Wenn ein französischer Dichter tiefere Fragen anregt und behandelt, so geschieht das gewissermaßen contra naturam sui generis, wie die Juristen sagen. Ein deutscher Dichter ist als solcher vor allem didaktisch: nicht um den flüchtigen Schaum oberflächlich sprudelnder Poesie, um Ideen und deren Verwerthung handelt es sich bei uns. Die didaktischen Gedichte Arndt’s tragen durchweg diesen deutschen Zug des idealen Denkens und Strebens an sich; sie sind theilweise schwer zu verstehen, weil der Gedanke noch nicht immer das rechte Wort findet, in das er sich kleiden könne. Aber im ganzen ist es eine Leichtigkeit, die an Wieland erinnert oder an das schöne Formtalent Gellert’s in seinen Erzählungen, gehandhabt. So ist gleich der poetische Brief „An Johann Jakob Grümbke aus Florenz“, noch aus dem Jahre 1799, außerordentlich einschmeichelnd. Ich erwähne der „Epistel an Ernst Ludwig von Gagern“, aus demselben Jahre, die wie die erste durch humoristische Anklänge den Ernst der Gedanken erheitert. „Lehre an den Menschen“ ist in der Form etwas übertrieben, theilweise unklar und bildet eigentlich eine Art von Uebergang oder Mittelglied zwischen den lyrischen Ergüssen in

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Schiller’s Erstlingsmethode und der gesänftigten Didaktik, aber der Gedanke ist auch hier kräftig und gesund. Wie zart und freundlich, wie verständig dabei ist das Bild der Hoffnung, welches uns in dem zweiten Fragment der „Epistel an meinen Vater“ (1799) entgegentritt (S. 31): Von allen guten, allen hohen Gaben Der Horen, die an unsrer Wiege stehn, Ist nichts so lieblich und so schön, Selbst jene nicht, um welche lächelnde Knaben Mit Eros und der Charis stehn, Als jenes freundliche Himmelsmädchen, Die Hoffnung, Kronio’s zartestes Kind, Die in das Garn der Parzen Rosenfädchen Und reine Goldesschimmer spinnt. Sie gab der Vater uns zum Spielen Als ewig lächelnde Genossin zu, Als Pflegerin den zartesten Gefühlen, Als Schatten dem schwülen Tag, als Traum der süßen Ruh. Sie pflegt die Blume ewiger Jugend Selbst in des wintrigen Alters Brust, Verknüpft die Freude mit der Tugend Und reicht dem Gram den Kelch der Lust; Sie zeigt für einen glücklichen Lauf Dem abgetakelten Schiff sein Thule, Und windet die abgelaufene Spule Der Parzen schöner wieder auf; Spinnt ihren goldgewobenen Faden In die Unendlichkeit hinaus, Löscht, funkelnder Arkur, dich aus, Um schöner dein Flammenhaar im Südpolmeer zu baden. O selig dreimal, wer zum Spielen, Zum Spielen nur die Spielende empfängt Und nicht mit stürmischen Gefühlen Sich zu der zarten Huldin drängt! Wer leichter, als mit bebender Schwinge, An Frühlingsblumen Schmetterlinge, An ihre Rosenflügel sich hängt! Doch wehe! wer in ihrem süßen Schaum Sich wie im Kelch der Wirklichkeit berauschet! Denn weinen wird er, wenn der Traum, Der spielend kam, auch spielend ihm entrauschet. Und neben der Didaktik, neben der gedankenschweren Reflexion zeigt sich in Arndt, besonders seit den ersten Jahren dieses Jahrhunderts, ein romantischer Zug. Das ist ja eben die wunderbare Eigenthümlichkeit des deutschen Geistes, daß neben der Lust an

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strengster begrifflicher Arbeit immer die Neigung zu dem Unfaßbaren, Unbestimmten, zu dem geheimnisvollen Dunkel, zu mondbeglänzter Zaubernacht und Waldeinsamkeit, zu alten Märchen und süßer Schwärmerei in voller Kraft steht. Der Franzose findet dergleichen höchstens als Stoff zu einem Bonmot geeignet; wie er unsere Ideologie verwunderlich findet, so lächelt er vollends über unsere mystisch-romantischen Liebhabereien, weil er eben für beides kein Verständniß hat, was sich wol nirgends schlagender herausstellt, als in dem, was die Franzosen ihre Romantik nennen, verglichen mit dem blauäugigen jungfräulichen Bild deutscher Romantik. Doch zurück zu unserm Arndt als Romantiker. Die dem deutschen Gemüth eigenthümliche Saite konnte in unsers Dichters deutschem Herzen nicht unangeschlagen bleiben. So hat auch Arndt, der mit seinem politischen Streben, mit seinem festen Eingreifen in das Leben, mit seiner Thatkraft dem romantischen Verschwimmen, der romantischen Zurückgezogenheit von der Gemeinschaft des praktischen Lebens so schroff entgegensteht, der Romantik in der Poesie seinen reichlichen Tribut dargebracht. Wenn nun eine so starke thatenlustige Natur sich auf Zeiten der romantischen Schwärmerei, in die Arme warf, so muß diese ja wol ein fast nothwendiges integrirendes Moment in dem Ganzen der deutschen Individualität bilden. In dieser Richtung liegen z. B. die Lieder „Die Rose und die Jungfrau“ aus 1804, „Fröhlichkeit in Treue“, „Liebeswehmuth“, „Marienwürmchen“ u.s.w. aus 1808 und die ganz vortreffliche Sagenbearbeitung „Der Stromgeiger auf Starkoddur’s Grabe“ aus dem Jahre 1811. Keineswegs erschöpfen, wie schon angedeutet, diese angeführten Lieder den romantischen Cyklus der Sammlung, der vielmehr ein ausgedehnterer ist; sie sollen nur verschiedene Nuancen dieser romantischen Richtung in Arndt kennzeichnen. Zur Probe nur ein kurzes Lied aus 1808, „Frühlingslied von der Frau Nachtigall“ (S. 131): Frau Nachtigall, Frau Nachtigall! Laß klingen nun den frohen Schall! Auf, Fink und Amsel, singet laut! Die Erde steht mit dem Frühling Braut. Musikanten und Schalmeien Spielen auf zu ihrem Reihen, Im Himmel spielt Cäcilia. Willkommen, Frau Nachtigall, bist du da? Willkommen, süße Frau Nachtigall! Frau Nachtigall, Frau Nachtigall! Laß klingen nun den frohen Schall! Die Bäume grün, die Blumen süß, All’s Frühlingslust und Paradies – Alle Knaben schlingen Tänze, Alle Mädchen winden Kränze, Im Himmel spielt Cäcilia. Willkommen, Frau Nachtigall, bist du da? Willkommen, süße Frau Nachtigall!

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Frau Nachtigall, Frau Nachtigall! Laß klingen nun den frohen Schall! Cäcilia kommt auch ins Grün, Wann Vögel singen und Bäume blühn; Frommen Kindern lehrt sie Lieder, Kehret dann zum Himmel wieder Im Himmel spielt Cäcilia. Willkommen, Frau Nachtigall, bist du da? Willkommen, süße Frau Nachtigall! Könnte das Gedicht nicht nach Inhalt und Form in Tieck’s „Kaiser Octavianus“ mit Ehren seinen Platz behaupten? Was die Form betrifft, die hier so überaus leicht, anmuthig, heiter spielend ist, so benutze ich diese Gelegenheit zu der allgemeinen Anmerkung über die Formbehandlung in Arndt’s Gedichten, daß neben einer gewissen Massenhaftigkeit, Gedrungenheit, Derbheit auch oft eine recht graziöse Beweglichkeit erscheint, so jedoch, daß allerdings jene volltönende Härte, die den starken Ausdruck, das Kraftwort mehr liebt als süßen Wohlklang, vorherrschend bleibt. Und nun endlich – es würde seltsam sein, wenn es anders wäre – tritt natürlich auch der Begriff des Vaterlandes und der Freiheit als Factor, wie später als Centrum der Arndt’schen Poesie schon in dieser ihrer ersten Periode auf. Zunächst finden sich Gedichte in der Weise Klopstock’s. So ist gleich das erste Gedicht der Sammlung „Hermann’s Siegeslied“ (1787) mit seiner altdeutschen Mythologie von Klopstock’scher Färbung und im Geiste der Bardieten; auch die antike Form mancher Lieder deutet auf Berührungspunkte der Arndt’schen Dichtung mit der Ode Klopstock’s. Aber was nun die politische Poesie, um bei dieser stehen zu bleiben und die nationale und freiheitliche dichterische Wirksamkeit in diesem Worte Arndt’s zusammenzufassen, betrifft, so hält sie sich dann in den Klopstock’schen Formen, wo sie ganz allgemein bleibt, wo sich in ihr nur das allgemeine Pathos des Freiheits- und Vaterlandsgefühls ausspricht. Und nicht einmal so. Vielmehr sind selbst von diesen allgemein gehaltenen Gedichten im ganzen nur die allerwenigsten im antiken Metrum geschrieben, wie etwa noch „An den General Grafen Philipp Schwerin“ (1811). Die Unbestimmtheit aber und Allgemeinheit des Pathos in diesen Liedern, ohne bestimmte Ziele und Gegner, hat sehr lange gedauert, auch in modernen Formen. Wie hätte es anders sein können? Entwickelte sich doch der Dichter selbst langsam von nordischen Sympathien oder einem nicht näher begrenzten Unabhängigkeitstriebe zu dem Hort deutscher Nationalität und Vorkämpfer äußerer und innerer Freiheit, als welchen wir ihn jetzt verehren. Noch 1803 bleibt das an sich schöne „Lied der Freien“ ganz in der Abstraction haften, obgleich schon 1801 in „Klage um Liebe und Freiheit“ die letzten Strophen eine specifisch deutsche Färbung getragen hatten. Aber erst allmählich wird dieser deutsche Patriotismus, die deutsche Freiheit der Grundton dieser Poesie. Als Anfangspunkt, soweit sich eben überhaupt in geistigen Entwickelungen Anfänge mit Zahlen belegen lassen, dieser speciell deutsch-patriotischen Poesie möchte ich ungefähr das eben angeführte Gedicht aus dem Jahre 1801 bezeichnen. Daß diese Richtung aber mit dem ersten Einschlagen noch nicht bis zur Exclusivität entschieden war, sahen wir schon; ich füge hinzu, daß überhaupt bis gegen das Jahr 1811 die politischen Gedichte sehr einzeln gesäet sind

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und erst von 1811 an häufiger werden, bis 1812 ihre eigentliche Blüte beginnt. Und dies führt uns nun zu der zweiten Periode Arndt’s, welche hauptsächlich von seiner politischen Poesie bezeichnet wird. Bevor wir uns zu dieser wenden, nur noch eine Bemerkung. Ist das Ringen und Streben, welches wir in des Dichters erster Periode fanden, das Anklingen seiner Poesie an Schiller, an Klopstock, an die Romantiker ein Beweis, daß es ihm überhaupt an dichterischer Eigenthümlichkeit gefehlt? Gewiß nicht. Sondern in allen diesen einzelnen Richtungen hat sich das reiche Ganze der deutschen Poesie, ja des deutschen Gemüths entfaltet, und wie der einzelne, der auch nicht Dichter ist, alle jene Stimmungen des Titanethums, des Pathos, der unbestimmten romantischen Sehnsucht durchmacht, sei es in der Jugend, sei es im Alter, sei es in dieser oder jener Aufeinanderfolge, wollen wir es des Dichters leichter erreglichem Gemüth zum Vorwurf machen, wenn auch er abwechselnd von jenen Stimmungen berührt wird und denselben in seinen Gedichten Ausdruck gibt? Das erniedrigt ihn nicht zum unselbständigen Nachahmer, wenn er zumal in seinen Anfängen, den Impulsen seines Herzens folgend, seine Lieder von dem klingen läßt, was auch andere vor ihm schon gesungen; nicht Fremdes eignet er sich an, sondern er bemächtigt sich eben nur der gesammten Schätze, welche im deutschen Gemüth, in deutscher Poesie liegen, der ganzen Nation gehörig, und jedes Wünschelruthe offen, der sie zu heben weiß. Die zweite Periode von Arndt’s Poesie rechne ich von 1818–20. In dieser herrscht, wenn auch vielleicht quantitativ nicht sehr, doch um so mehr die Bedeutung nach das politische Lied vor und bildet die eigentliche Blütezeit unsers Dichters. Ziel und Zweck stehen ihm klar vor Augen und von den verschiedensten Seiten kommt er jetzt immer wieder auf das eine zurück, was der Mittelpunkt seines Lebens geworden war. Befreiung des Vaterlandes und nationale Größe sind die Pulse, die in allen diesen Liedern schlagen. Daß dabei die Franzosen nicht geschont oder gar verherrlicht werden, kann nur abgeschmacktem Kosmopolitismus oder verbissenem Welschthum ein Anstoß sein. Aber wie mannichfaltig variirt der Dichter sein Thema. In „Die alten und die neuen Deutschen“ (1812) beginnt er den Hauptreigen mit einem sehr ernsten Schelten auf die ausgearteten Deutschen, die wie Tanzbären sich zum Tanze mit Ringen in der Nase von den Franzosen sich zum Tanze bringen lassen. Aber gleich darauf folgt die herrliche Mahnung des Vaterlandsliedes: „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte.“ Dann haben wir eine ganze Reihe historischer Lieder, die von Schill singen, von Gneisenau, von Dörnberg, Schenkendorf, Scharnhorst („Der Waffenschmied der deutschen Freiheit“, 1813), Blücher, vom Prinzen von Neuweid* (*Dieses Lied ist in unserer Ausgabe ins Jahr 1817 gesetzt. Es ist aber schon einige Jahre früher infolge der Lectüre der Schrift: „Schattenbild eines für sein Vaterland als Opfer ritterlich gefallenen deutschen Prinzen“ (Frankfurt a.M. 1814), entstanden, wie ich aus der Vorrede eines in meinem Besitz befindlichen Einzeldrucks beweisen kann.) und vom König von Preußen. Ja sogar ein Wiegenlied auf Scharnhorst’s Enkel stimmt in diesen Ton. Einzelne von diesen historischen Liedern sind vielleicht zu rhetorisch, wie „Das Lied vom Stein“ (1814) auf den Freiherrn vom Stein und „Meine Helden“ (Boyen, Grolmann u.s.w., 1816). Aber weitaus die allermeisten sind durch Frische und Lebendigkeit, durch eine Art dramatischer Gegenständlichkeit oder auch durch glücklich getroffene volksmäßige Form ausgezeichnet. Ganz besonders vortrefflich außer den bekanntern und oft gesungenen erscheinen mir „Das Lied von Chasot“ (1813), „Klage um drei junge Helden“

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(1814) und „Der tapfere König von Preußen“ (1813). Das letzte, welches sich durch seine volksmäßige Darstellung auszeichnet, stehe zur Probe hier (S. 277): Der König von Preußen zieht reisig aus Mit dreimalhunderttausend Mann. Sie sehen so lustig und freudig aus, Daß er die Welt wol bezwingen kann; Und wie zu dem Zuge die Trommel klingt Und wie in dem Winde die Fahne wallt, Einem jeden das Herz in dem Leibe springt, Einem jeden der Mund nur von Freuden schallt! Heididei! Dideldei! Dideldei! Dideldei! Einem jeden der Mund nur von Freuden schallt! Bei Lützen sie hielten die erste Schlacht, Da blühten die Maiblumen blutig roth, Da schläft wol mancher, der nie erwacht, Ein fauler Langschläfer ist der Tod. Doch schliefen die Burschen gar lustig ein, Ein jeder nahm drei Franzosen mit – Sie schlugen wie Donner und Wetter drein Mit Sturmeswuth und im Sturmesschritt: Heididei! Dideldei! Dideldei! Dideldei! Mit Sturmeswuth und im Sturmesschritt: An der Katzbach auch hatt’ es gar heißen Strauß, Da jagte der Blücher Macdonald, Da rissen die Welschen wie Hasen aus, Weil der alte Herr so gewaltig knallt; Da deckten Zehntausend den grünen Plan Und Zwanzigtausend strecktens Gewehr, Viele Tausende schwammen die nasse Bahn Des Stromes als Leichen hinab zum Meer: Heididei! Dideldei! Dideldei! Dideldei! Des Stromes als Leichen hinab zum Meer: In Böhmen bei Kulm in den Bergeshöhn – Hei Vivat, mein König! mein Siegesheld! – Da hast du den giftigen Ratten schön Die mordliche Falle gar fein gestellt. Sie liefen mit gierigem Stolze hinein, Der Rattenkönig Vandamme voran, Bald klang’s dir lustig von groß und klein: Er hat sie gefangen mit Maus und Mann! Heididei! Dideldei! Dideldei! Dideldei! Er hat sie gefangen mit Maus und Mann!

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Auch thaten’s deine Preußen bei Dennewitz, Heididei! Dideldei! Dideldei! Dideldei! Da mißte[!?] der Marschall Ney den Witz Und lief wie ein Toller Berlin vorbei. „Herr Marschall, Herr Marschall, wo wollt Ihr hin? Gen Süden liegt nimmer die Königsstadt, Gen Norden zu reiset Ihr nach Berlin“: Doch er hört nicht und läuft wie ein Wagenrad. Heididei! Dideldei! Dideldei! Dideldei! Doch er hört nicht und läuft wie ein Wagenrad. Bei Leipzig sie hielten den letzten Tag, Der Franzosenkehraus der sollt’ es sein. Drei Tage ward getanzt, sie verspielten’s ganz, Achtzigtausend nur flohen lebendig zum Rhein, Achtzigtausend von dreihunderttausend Mann, Die Uebrigen todt und gefangen all’. Alle Welt lobt den König, den tapfren Mann, Und der alte Blücher ward Feldmarschall: Heididei! Dideldei! Dideldei! Dideldei! Und der alte Blücher ward Feldmarschall: Drum Vivat der König von Preußen, der Held! Drum Vivat der Blücher, der Feldmarschall! Sie säeten Kugeln wie Erbsen ins Feld Und spielten zum Tanz mit Kanonenknall. Auch Vivat der Bursche, der flink hinterdrein Frisch folgte dem König, dem Feldmarschall. Bald singen wir Heidideldei! am Rhein Und treiben nach Frankreich die Jagd mit Schall: Heididei! Dideldei! Dideldei! Dideldei! Und treiben nach Frankreich die Jagd mit Schall: Auch in den nicht erzählenden, sondern lyrischen Gedichten weiß Arndt oft eine wahrhaft dramatische Spannung hervorzurufen, wie in dem berühmtesten „Was ist des Deutschen Vaterland?“. Die rein reflectirenden können freilich mit diesen nicht concurriren, um so mehr, da besonders auch in ihnen (und dies gilt auch von den nichtpolitischen Reflexionsgedichten) jene bekannte Besonderheit der Arndt’schen Ausdrucksweise manches unklar erscheinen läßt. Aber der Eindruck der vortrefflichen überwiegt bei weitem das weniger Gelungene und läßt erkennen: Arndt ist ein politischer Lyriker ersten Ranges. Wie in der frühern Periode die politische Poesie nicht ganz fehlte, so finden sich in dieser sogar viele Gedichte nichtpolitischen Inhalts, besonders etwa von 1816 an, und alle die früher versuchten Tonarten beinahe werden auch jetzt noch in einem oder dem andern Lied angeschlagen. Da haben wir Liebeslieder (1813), eine Ballade „Harald

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Schönhaar“, romantisirende „Klinglieder“ (Sonette) u.s.w. In Reichenbach, wohin er von Berlin aus zu Stein geeilt war, 6. Juli 1813, mußte er bei der Ueberfüllung des Städtchens sein Quartier in einem auf die Stadtmauer geklecksten Nachtwächterhäuschen suchen und dichtete dort sein „Lug ins Leben“, eine freundlich anmuthende Selbstbiographie, die er durch einen „Lebenstraum“, was Jean Paul einen „zukünftigen Lebenslauf“ genannt haben würde, ergänzte; zugleich verbindet der politische Schluß dieses letzten diese Gedichte mit den Zeitgedichten. Endlich möchte ich noch aus dem Jahre 1816 „Klang der Sehnsucht“ als ein Gedicht hervorheben, welches sich dem Besten, was die Romantiker gegeben haben, würdig an die Seite stellt, und „Christophorus“ (1815), als eine vortreffliche Romanze. Aber so beachtenswerth auch diese Lieder sind, die politischen Lieder sind gewiß für diese zweite Periode die eigentliche Signatur. Und warum schließe ich die Periode mit 1820? Weil dieses Jahr, in welchem die Reaction der Restaurationszeit über den alten Freiheitsmann hereinbrach, in welchem die Untersuchung wegen demagogischer Umtriebe gegen ihn begann, einen zu entscheidenden Abschnitt in seinem Leben bildet, als daß es nicht auch einen solchen in seiner Poesie gebildet haben sollte. Und in der That, wenn wir in unserer Sammlung bemerken, daß im ganzen fünf Lieder die Brücke bilden zwischen 1820 und 1835, fünf Lieder in 15 Jahren von einem so sangesfrohen Mund, dann werden wir den Schluß der Periode mit 1820 und das Setzen eines Marksteins in dieses Jahr hinlänglich gerechtfertigt finden. Und nun endlich die dritte und letzte Periode dieser dichterischen Entwickelung, von 1820 bis zu Arndt’s Tod 1860. Ein langer Zeitraum, ein reichliches halbes Menschenleben, des Verhallens und Ausklingens der Saiten seiner Harfe und – seines Herzens. Denn wenn er in den großen Jahren der Befreiung des Vaterlandes den Gipfel, die Blüte erreicht, so schweigt der Schlag von 1820 den edeln Dichter auf lange Zeit, und als die Lieder wieder häufiger werden, etwa seit 1835, als endlich ein edler königlicher Sinn das begangene Unrecht der Vergangenheit in Gerechtigkeit sühnen konnte, da war Arndt ein Greis. Ein Greis freilich voll jugendlichen Feuers, der die Ideale, für die er geglüht, gearbeitet und gelitten nicht mit der Jugend, nicht mit dem Leiden aufgegeben; er hat fortgeglaubt und fortgearbeitet für sein Volk bis an sein Ende. Aber doch ist es natürlich, daß eine gewisse Beschaulichkeit durch diese Poesie des Alters sich durchzieht, nicht jene Beschaulichkeit, die die Hände in den Schos legt und in diesem egoistischen Quietismus das Heranbrechen der bessern Zeit abwarten will, ohne etwas dafür zu thun, daß sie herankomme: Arndt hat nie sein Tagewerk für geschlossen erachtet, sondern wacker mitgeholfen. Aber milder, resignirter, stiller, wenn ich so sagen darf, ist seine Poesie gegen das Ende je länger je mehr geworden, von jener wohlthätigen, in sich befriedigten Stille, welche die Folge und das Zeichen eines guten Gewissens und eines festen Herzens ist. Der Hinblick auf sein baldiges Ende, sein sicherer Glaube an ein besseres Leben zeichnen die Lieder seines Alters großentheils mit einem freundlich wehmüthigen, aber zugleich erhebenden Stempel. Eine ganze Anzahl geistlicher Lieder, von denen ich nicht weiß, warum sie nicht lieber in den besondern Abschnitt „Geistliche Lieder“ aufgenommen, sondern unter die andern verstreut sind, findet sich in dieser Periode. Ich verspare mir ein Wort über diese Richtung der Arndt’schen Dichtung auf die Besprechung jenes Abschnitts und bemerke einstweilen nur, daß der Alte neben der innigsten Frömmigkeit sich einen freien Blick in die Welt

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und heitere Auffassung des Lebens vollständig bewahrt hat. Oder vielmehr: Arndt’s Frömmigkeit, aus einem fröhlichen Herzen quellend, hat erst seine Lebens- und Weltanschauung zu jener durchsichtigen Helle und frischen Jugendlichkeit begeistert, die uns an ihm erfreut. Seine Stellung einer engherzigen unchristlichen Weltflucht und ascetischen Verknöcherung gegenüber spricht sich am frappantesten in dem „Frühlingslied an die Frömmler“ (1843) und in der Gegenüberstellung der beiden Gedichte aus dem Jahre 1855, „Abschiedslied“ und „Frühlingsruf an den Greis“ aus. Ich verspare mir, wie gesagt, die nähere Charakteristik von Arndt’s religiöser Poesie und weise einstweilen nur auf den „Weihnachtsgruß“ (1836), hin, ein Lied, welches an das Beste von Novalis anklingt. Andere Gedichte freilich sind ziemlich ungefüge in der Form oder wenigstens von jener eigenthümlichen Arndt’schen Ausdrucksweise, die das Verständniß nicht leicht macht. „Beiling’s Tod“ z. B., aus dem Jahre 1830, gehört unter diese Lieder. Vortrefflich dagegen ist wieder das Gedicht auf „Das Grab“ (1835), welches seinen eigenen Ruheplatz schildert und alle seine Freunde mit freundlicher Wehmuth erfüllen muß. Wie zart sind die Klagelieder um seinen geliebten Sohn Willibald (1835), den ihm der Rhein entrissen, ein Schmerz, der auch nachher noch öfter in rührendster Weise durchklingt. Kräftig tönt das „Warum ruf ’ ich?“ (1837), in welchem er sich rechtfertigt, daß er immer und ewig Vaterland und Freiheit predige. Denn das thut er in der That. Als Thiers die Franzosen aufstachelt, als bornirte Freiheitsapostel und kosmopolitische Narren mit Frankreich liebäugeln, da ist es wieder der alte Wächter, der seinen Lärmruf laut von der Zinne ertönen läßt. Immer steht er in seiner Zeit und keinem Drang des Tags verschließt er sich, ohne doch sich aus seinem Stand drängen zu lassen. Er wendet sich an die Jugend, ihren Ungestüm zu mäßigen und wiederum verweist er die frostige egoistische Gegenwart auf den Enthusiasmus und die Erfolge der großen Zeiz, die er durchlebt („Erinnerungsbilder“, 1856). Immer aber bleibt er gutes Muths, „er glaubt an die Ewigkeit seines Volks“. Davon zeugt seine ganze Dichtung, zeugen insbesondere Lieder wie „Antwort des Wächters auf den Zinnen“ (1857) und „Aus Frankfurt weg!“ (Mai 1849). Von tragischem Eindruck ist der Schmerz des Greises über das Scheitern der nationalen Hoffnungen und wie erhebend sein felsenfester Glaube. Hinweg! die besten Streiter matt, Die stärksten Arme todeswund. Hinweg! satt ist und übersatt Gelebt – es kommt die Sterbestund’. Weg! keinen Augenblick gesäumt! Sonst stirbst du wie ein feiger Hund. Du hast vom Kaiserstolz geträumt, Vergib’ einstweilen deinen Fund. Die Besten wissen, wo er liegt, Einst heben sie ihn ans Sonnelicht. Wir sind geschlagen, nicht besiegt, In solcher Schlacht erliegt man nicht.

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Das deutsche Volk ist noch nicht zum Untergange reif, sondern von hoffnungsvollster Zukunft, solange es den Glauben an sich selbst und den Blick auf die nationale Größe, die ihm gebührt, sich bewahrt, wie der alte Vater Arndt sie gepredigt, geglaubt und bewährt hat. Endlich stehe hier zum Schluß das obenerwähnte vortreffliche Lied, welches Arndt schon 1835 auf sein eigenes Grab gedichtet hat: Steh hier still, hier wächst der Baum Schon mit Blättern grün und voll, Der des letzten Schlummers Traum Freundlich dir umschatten soll. Schau ihn an, er ist so grün, Nickt so lustig in die Welt, Rothe Rosen ihn umblühn, Von der Maienluft geschwellt Welch ein Schimmer! Welch ein Duft! Horche, wie der Morgen klingt, Wie der Kuckuck unten ruft! Wie die Lerche oben singt! Und dies Leben rosenroth, Diese Wonne liederreich Wäre graulich, und der Tod Hätte hier sein düstres Reich? Nein, ihr Rosen, nein, du Baum, Der mich einst umsäuseln wird, Nein, du Vöglein, das den Traum Dieses Schlafes einst umschwirrt, Nein, ihr Maienlüftchen süß, Die ihr mit den Blumen kost, Hier blüht wieder Paradies, Das nicht Sturm noch Fluth umtost. Wachse denn du grüner Baum, Wachset, Rosen, zum Gebüsch, Mit dem vollen Frühlingstraum, Duftet um mein Bette frisch; Liebe, hüte dieses Grab, Hoffnung, winde drum dein Grün, Und so laßt mich bald hinab In die sel’ge Stille fliehn. Wenden wir uns nun zu zwei Abschnitten unsers Buchs, welche aus dem chronologischen Zusammenhang, in welchem die übrigen Gedichte einander folgen, herausge-

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löst sind, weil für die einzelnen Lieder derselben das Jahr der Entstehung nicht mehr zu bestimmen war. Zuerst also die „geistlichen Lieder“, welche von Arndt selbst als „meist zwischen 1807 und 1840“ fallend bezeichnet werden. Ich habe schon oben auf ein vortreffliches Gedicht geistlichen Inhalts hingewiesen. Auch in dem eigens diesem Stoff zugewiesenen Abschnitt finden sich mehrere Lieder von hervorragendem Werth. So singt das „Morgengebet“ echt fromme Gefühle im Ton des Volksliedes oder des alten treuherzigen Kirchenliedes. In demselben Tone etwa Paul Gerhard’s oder G. Neumark’s ist das Grablied gehalten, voll rührender Einfalt und tiefsten Gefühls. Mehr betrachtend, aber poetisch empfunden ist die „Ermunterung“, welche zwei Eigenschaften zu vereinigen bekanntlich die Klippe für sehr viele Kirchenliederdichter geworden ist. Das Eigenthümliche der Arndt’schen geistlichen Poesie dürfte hauptsächlich darin bestehen, daß sie, wie freilich der bei weitem größte Theil seiner übrigen Poesie auch, in hervorragender Weise den Eindruck des Individuellen, des Erlebten macht oder mit andern Worten, daß diese Lieder in jenem bedeutenden Sinn Gelegenheitsgedichte sind, in welchem Goethe alle Lyrik als Gelegenheitspoesie bezeichnete. Das ist natürlich kein Tadel, sondern ein Lob. Diese Lieder tragen nicht den Stempel des Gemachten, sondern man sieht, sie sind das Product äußerer und innerer Lebenserfahrung. Freilich bekommen dieselben dadurch etwas Subjectives, was wol unsere Hymnologen abgehalten haben mag, dieselben in der Ausdehnung, wie sie es verdienten, für die Gesangbücher zu benutzen. Gewiß mit Unrecht; denn wenn dies Princip durchgeführt werden sollte, wie man dies neuerdings verlangt hat, wenn auch der gläubigsten Lyrik das Wort versagt und nur der Kirche als objectiver Anstalt die Rede gestattet werden soll, dann müßten wir auf eine ganze Reihe der schönsten Lieder für den kirchlichen Gebrauch verzichten; dann müßte nicht nur Novalis’ herrliches „Was wär’ ich ohne dich gewesen“ gestrichen werden, auch „Jerusalem, du heil’ge Gottesstadt“ des alten Meyfart würde seinen Platz räumen müssen. Ueberhaupt aber ist ja diese ganze Unterscheidung unwichtig. Wird denn nicht das subjective Gefühl des Dichters, sofern dasselbe nur überhaupt auf kirchlichem Grunde ruht, eben dadurch, daß die Gemeinde im gemeinsamen Gesang dieses Gefühl in sich aufnimmt, zum vollkommen berechtigten Ausdruck der allgemeinen Andacht? Wird die subjective Empfindung des frommen Gemüths auf etwas anderm als auf dem objectiven Glaubensgrund beruhen und wird nicht dieser gerade erst durch jene lebendig? Einen rührenden Eindruck macht die Resignation oder richtiger gesprochen die Weltverachtung des Dichters. Wenn wir bei einem andern Manne als Arndt vielleicht über die Weltflucht, die oben von uns geleugnet, in diesem Abschnitt wirklich hervortritt, bedenklich werden müßten, so erblicken wir bei Arndt in diesen Liedern nur die Wünsche eines redlichen Kämpfers, der nach hartem Streit und sauerm Tagewerk Ruhe ersehnt: „Ich wollte, es wäre Abend“, sagte der englische Feldherr bei Waterloo. Daß er überzeugt von der Welt Schlechtigkeit und Gebrechlichkeit und seines himmlischen Erbes gewiß sich Frieden ersehnte, wer wollte es dem tapfern Streiter verdenken? Hat er doch nie die Hände in den Schos gelegt und in beschaulicher Unthätigkeit der Zukunft entgegengesehen; hat doch die Sehnsucht nach dem Himmel ihn nicht unbrauchbar für die Erde, sondern fest, frei und gerecht gemacht in allen irdischen Kämpfen. Zur Probe auch aus diesem Abschnitt das obenerwähnte „Morgengebet“:

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Die Nacht ist nun vergangen, Der Morgen steht so herrlich da, Und alle Blumen prangen, Und alle Bäume fern und nah; Auf Feldern und auf Wiesen, In Wald und Berg und Thal Wird Gottes Lust gepriesen Von Stimmen ohne Zahl. Die frommen Nachtigallen, Sie klingen hellen Freudenklang. Die Lerchen höchst vor allen Zum Himmel tragen sie Gesang, Der Kukuk auf den Zweigen Und auch das Zeisiglein Sie wollen sich dankbar zeigen, ’S will keiner hinten sein. Und ich? ich sollte schweigen, Ich, Gottes reiches Ebenbild? Durch das mit Liebesneigen Der Feuerstrom der Gottheit quillt, Dem er die Sternenlichter Zur Brüderschar geweiht Und Engelangesichter Verklärt in Herrlichkeit? Das Wild im grünen Walde, Der Vogel auf dem grünen Baum, Sie priesen also balde Den Vater übern Sternenraum! Es sumste die Imme, Das Würmchen seine Lust, Und ich hätt’ keine Stimme Des Lobes in der Brust? Mein Vater aller Güte, Du meiner Seele Freudenlicht, Wie gern will mein Gemüthe! Doch meine Worte können nicht. Wer mag dich würdig preisen, Durch den die Welten sind, Vor dem die tiefsten Weisen Kaum lallen wie ein Kind.

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O Herr, laß mich auch heute In deiner Liebe wandeln treu, Daß ich der Sünden Beute, Der Eitelkeiten Spiel nicht sei, Laß mich nach deinem Bilde Den Weg der Tugend gehn, So wird der Tag mir milde, So kommt die Nacht mir schön. Und endlich die „Fliegenden Erinnerungsblätter“, welche die Sammlung schließen, enthalten eine Reihe kraftvoller Denksprüche, fruchtbarer Maximen, ernster Mahnungen in prägnanter Kürze und Arndt’scher Eigenthümlichkeit. Wo’s viel mit blanken Worten himmelt, Als trät’ es schon in Sternenspur, Wenn’s da von Lug und Trug nicht wimmelt, Wo bliebe dann dein Ton, Natur? Von links und rechts wirst du todt geschlagen Hört, Freunde, einmal stirbt man nur. Mit Gott frrisch drein! Wir wollen’s wagen: Gott lebt und göttliche Natur. Hiermit schließe ich meinen Versuch Arndt’s Poesie im großen und ganzen wie im einzelnen zu charakterisiren und sie in den ihr gebührenden Platz der Literaturgeschichte einzusetzen. Vielleicht darf ich hoffen gezeigt zu haben, daß nicht nur die bekannten politischen und Vaterlandslieder Arndt’s Erwähnung verdienen, daß vielmehr Arndt durch und durch Dichter ist von Gottes Gnaden, der seinen Gesang in allen Tonarten und nach allen Seiten hat ertönen lassen. Neben jener politischen Poesie sind es vorzüglich Lieder romantischer Färbung, welche mit dem duftigen Hauch innigsten deutschesten Fühlens übergossen, dem Dichter einen hervorragenden Platz unter den deutschen Lyrikern anweisen. Und was ihn besonders auszeichnet: Dichter und Mensch sind bei ihm nicht zwei getrennte Persönlichkeiten, sondern ein untrennbares in sich geschlossenes Ganzes; er dichtet, was und wie er lebt und er lebt seine Dichtung. So steht Arndt als Patriot und Poet gleich einer Denksäule aufrecht in dem Pantheon deutscher nationaler Größe, den Alten eine erhebende Erinnerung, dem jungen Geschlecht ein weckender und ermuthigender Mahner, an das Vaterland zu glauben und für dasselbe zu leben, ein Bürge für die Zukunft des deutschen Volks, in dessen Herzen er fortlebt, solange es ein deutsches Volk geben wird. August Henneberger.

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TRAUERGEDICHTE (EPICEDIA) Nr. 37 Kölnische Zeitung, Nr. 31 v. 31.1.1860, S.4: [S/S Nr. 2073] von Georg Hick Ein Schmerzensruf bei der Todes-Nachricht unseres lieben Vaters Arndt Du fragst umsonst ungläubig in die Runde, Du wiegst umsonst dein schmerzgebeugtes Haupt – Wahr ist sie, wahr die bange Trauerkunde: Der alte Vater Arndt ist uns geraubt! Vergebens rüttele ein stürmisch Leben An diesem alten deutschen Eichenbaum, Mit Herz und Mund geweiht dem höchsten Streben, Floh ihm dahin der Erde dunkler Traum. Nur eine Kraft gebrach dem starken Greise, Die, ach, so leicht dem edlen Mann gebricht: Die Überfülle zärtlicher Beweise, Nur die, nur die alleine ertrug er nicht. Hast du des edlen Druckes Macht empfunden, Die stumme Sprache reiner Zärtlichkeit, Wenn dich zwei liebe Arme fest umwunden Nach einer langen, bangen Trennungszeit: O, dann vermagst du leichtlich zu ermessen, Was eines ganzen Volkes Liebe heißt, Dann ahnest du die Hochgefühle dessen, Dem Liebe täglich neu das Haupt umkreis’t. Wer will des Schmerzes herben Thränen wehren, Dem letzten wehmuthsvollen Liebessold? – Ein nasses Auge sollst du nicht belehren Wenn es gerechtem Leid die Thräne zollt. Nur das soll uns den schönsten Trost bereiten: Des neuen Lebenshauches Frühlingswehn, Die lichte Morgenröthe schön’rer Zeiten Hat jubelnd noch sein brechend’ Aug gesehn. Georg Hick

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Nr. 38 Bonner Zeitung, 52. Jg. (1860), Nr. 27 v. 2.2., S. 1. [S/S Nr. 2077] von Otto Rentsch Auf Ernst Moritz Arndt’s Tod Was geht für bange Klage Und tönt so ernst und schwer? Was fleugt von Mund zu Munde Für trübe Trauermähr? O Deutschland, deine Blüthen, Wie welken sie dir ab! Den treusten deiner Söhne, Den legt man jetzt in’s Grab.

Doch ob dieß Allen frommte, Ihm bracht’ es wenig Heil; Es lähmte ihm den Fittig Der Arglist scharfer Pfeil. Da lag er nun am Boden, Mißachtet und verkannt; Doch blieb sein Blick gerichtet Nach oben unverwandt.

Er strebte kühnes Fluges, Ein edler Sonnenaar, Zum Quell des ewgen Lichtes, Des niedern Sinnes bar. Hoch schwellte seinen Busen Der Freiheit goldner Schein; Das Vaterland, das theure, Schloß tief in’s Herz er ein.

Nach langen, trüben Jahren; Ergraut war schon sein Haar, Noch einmal hub die Schwingen Empor der greise Aar. Er ist hindurch gedrungen, Am Ziele ist sein Flug; Die Freiheit ist sein eigen Jetzt sonder Schein und Trug.

Und als die schwarzen Wolken Der Knechtschaft zogen an, Sein Blick durchdrang das Dunkel Und wies der Freiheit Bahn. Da klirrten deutsche Schwerter, Gezückt zum heilgen Krieg: Der Unterdrücker stürzte; Gott selber half zum Sieg.

Ihr Brüder, ihn zu ehren, Der eure Freiheit sang, Seid deutsch mit ganzer Seele! Das sei der beste Klang! Und „Glaubet und seid einig!“ So scholl sein mahnend Wort O Deutsche, nehmt’s zu Herzen! Dieß sei euch Schild und Hort. Otto Rentsch

Nr. 39 Bonner Zeitung, 52. Jg., Nr. 27 v. 2.2.1860, S. 1. [S/S Nr. 2071] von Friedrich Gau Es sank die mächt’ge deutsche Eiche, Getroffen von dem Todesstreiche! Vergl. „Des Deutschen Vaterland“ Sag, was beklagst du, Vaterland? Verlorne Schlacht? Vergangne Pracht? Ist’s, weil dir droht im neuen Jahr Ringsum von Feinden noch Gefahr? O nein, was du beklagst, muß bittrer sein! Sag, was beklagst du, Vaterland?

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Des Land’s Verrath? der Zwietracht Saat? Ist’s weil so Manches dir entschwand, Eh’ aus der Blüth’ die Frucht sich wand? O nein, was du beklagst, muß bittrer sein! Warum denn klagst du, Vaterland? Was weinest du? was trauerst du? – Mir ist ein großes Leid geschehn, Drum siehst du mich in Trauer stehn! Denn er, – des Landes Wächter, ist nicht mehr! Und wer war jener Wächter dann, Der stand, ein Fels in wildem Meer? Ein Barde war’s, deß hohen Sang Durch Deutschlands Gauen mächtig klang, Der Barde schied, der treue Barde, ach, er schied! Der alte Arndt, zu Bonn am Rhein, Kein Andrer kann der Sänger sein! Ja, Arndt, um dich nur trauern wir, Du, Deutschlands Ruhm, Du, Deutschlands Zier! Und gingst Du fort, so lebst Du, treuer deutscher Hort, Im deutschen Volke ewig fort! 30. Janaur 1860 Friedr. Gau.

Nr. 40 Kölnische Zeitung (1860) Nr. 33 v. 2.2.1860, S. 3 [S/S Nr. 2070] von Wilhelm Fischer Am Sarge Arndt’s. Ruhst Du aus vom Erdenwallen? Ist ins müde Aug’ gefallen Mild der letzte Abendschein? Ja, die Englein sind gekommen, Führten freundlich zu den Frommen Deine treue Seele ein.

Er war unser! Sein Vermächtniß Ruht auf uns, und sein Gedächtniß Bleibt ein Segen immerdar! Tapf ’rer hat kein Held gerungen, Heller hat kein Mund gesungen In der deutschen Dichter-Schar.

Weint um Arndt, doch durch die Klagen, Durch die Thränen möge schlagen Stolz und siegreich Freudengluth! Sehet, wie der greise Todte, Wie im prächt’gen Abendrothe, In des Gottes Liebe ruht!

Nie war sein Visir vermummet, Niemals ist sein Wort verstummet, Uebertäubt vom Feindes-Chor: Nein! In stolzem Siegesgange Trug er Deutschlands Söhnen lange Ihr gemeinsam Banner vor!

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Und die Jugend wird behalten, Was sie heute von dem Alten, Den so gern sie Vater hieß: Mög’ er oft sich droben freuen, Niederblickend auf die Treuen, Denen er die Bahnen wies!

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Pflanzet ob der theuren Leiche Eine junge, deutsche Eiche; Sie soll wachsen und gedeihn, Daß die fernsten Enkel lauschen Auf des hohen Wipfels Rauschen Und dem Vaterland sich weihn! Wilhelm Fischer

Nr. 41 Stralsundische Zeitung, Nr. 34 v. 9.2.1860, S.3 von Julius Mühlfeld [d.i. Robert Rösler]. Ein Todtenkranz! für Ernst Moritz Arndt Klage mein Volk! Du hast Deinen Dichter verloren, Trauere Deutschland, – es starb Dir ein Mann, Ein deutscher Mann! Deutschland! o Dir! hat er Alles, Alles geweihet, Deutschland – für Dich trug er Leiden und Schmach; Trauere Deutschland! Ihn selbst umarmte zu früh noch der Fürst der Schatten, Denn, ob auch Greis schon, lebte doch in ihm Noch Jugendkraft! Tief in den Staub! Dein Streiter für’s Recht der Gerechten Der Dich geliebt, bis das Auge ihm brach – Deutschland! er starb! Tief in den Staub! Du hast Deinen Dichter verloren! Deutschland, es starb Dir der treueste Mann, – Klage mein Volk! J. Mühlfeld.

Nr. 42 Stralsundische Zeitung, Nr. 36 v. 11.2.1860, S. 3 von Goerg Julius Berling. Irnst Muritz Anrdt’s Dod! Wat schalln so de Klocken mit trurigen Klang? Wat wankt dorch de Straaten schwart bi Gravgesang? Wen draag’n se heruut nah den Karkhof an’n Rhein? Wer liggt doa in dat Sark, so eng un so kleen?

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Uns’ Muritz Arndt is’t, de oll Pommer is dod! Leiw Rugia weent sich de Oogen hüt rod, Ganz Dütschland klagt um den ollen von’n Herthastrand Von’n Rhein bet wied an de Welschen ehr Land! Nu liggt doa so bleek de oll Rügen’sche Reck! He streed eens so mächtig un wier ees so keck! Sin Schlachtraup de klüng uns so lud un so dull Un wenn he süng, denn makten de Franzmanns Patschull! Keen Stormwind künn je bögen de oll Dütsche Eick, Keen Fürstenmacht makte em dat Hart je weik, He ded för uns’ Recht un uns’ Frieheit gaud streedn, Nich schweegn, so lang he künn noch spreken un beed’n! Ja, nümmer üm uns’ Rettung un Dütschland verzagt, Blew fri un frank sin Arm, wenn ok oft verjagt, Un wier all uns’ Sehnen und Hoffen tau Schann’n, Denn süng he allen noch dörch de Dütschen Lann’n! Een eenig Dütschland süll he nich werrer seihn, Doch seeg he ganz Dütschland tau sich noch henteihn! De Jungfruun putzten em schmuk noch mit Blöaumenkränz, Dat kort vör sinen Dod dat oll Oog hell noch glänz – Se putzten den Recken noch dat kriedwitte Hoar, Se putzten den Griesen tau de Dodenboahr, Denn as Em de letzte Ihr kuum gescheihn, Doan sulln se em ok all setten de Hünensteen! All Dütsche Jumfern Em bring’n hüt trurig tau Graf, All Dütsche Burschen sing’n in sin Gruft hüt herraf: „Schlap wol! oll tru Pommer bi Klockenklang, Wi willn Di nich vergeten uns’ Leben lang!“ Un äwer den Hünensteen doa wenkt hüt so hold Dat Dütsche Panier mit Schwart – Rod un Gold, Drup steiht: „Topp, Bräurer, äwer Muritz Arndt sin Asch Sall kamen nie Schmach und keen Französch Kammasch! Dr. Berling

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Nr. 43 Kölnische Zeitung, Nr. 82 v. 22.3.1860, S. 1 von Wolfgang Müller. Ernst Moritz Arndt Gesprochen am 21. März 1860 im Concerte des bonner Männergesang-Vereins zum Besten des Arndt-Denkmals Wir gruben an der Eiche Im Friedhof jüngst sein Grab, Dann senkten wir die Leiche Mit nassem Aug’ hinab. Die Lieder tönten schaurig, Es klang der Sarg so hohl, Wir schieden ernst und traurig: Ernst Moritz Arndt schlaf wohl!

Er rief ’s in lichten Tagen Er rief ’s in tiefer Noth, Als blutig uns geschlagen Der corsische Despot. Was that’s, daß sie im Grimme Ihm sprachen Bann und Acht? Er rief mit ganzer Stimme Das Volk zur kühnen Schlacht

Schlaf wohl! doch trotz der Schmerzen Hob stolz sich jede Brust, Es zog durch unsre Herzen In Wehmuth heil’ge Lust. Das that, den wir verloren, Der starke, treue Held, Er ward uns neu geboren, Da ihn der Tod gefällt.

Er ließ nicht ab, zu werben Im vollsten Herzenston: Fürs Vaterland zu sterben, Schien Allen höchster Lohn, Da hob das Volk sich mächtig Zum großen Freiheitskrieg, Ein Sänger sang er prächtig Das Volk von Sieg zu Sieg.

Wer stand so kühn und muthig, Der Wahrheit Schirm und Hort? Wer sprach so feuergluthig Der Freiheit stets das Wort? Fest, offen, hell und grade Gen Knechtschaft und gen Trug Ging er vom ersten Pfade Zum letzten Atemzug!

Als der Tyrann erlegen Im grausen Waffenspiel, War nicht des Friedens Segen Des Sängers letztes Ziel. Es klang durch alle Gauen Sein Wort wie Schmerzensstreich: Jetzt gilt es, neu zu bauen Das uralt heil’ge Reich.

Wen hat wie ihn bemeistert Der heimathliche Brand? Wer hob gleich ihm begeistert Das deutsche Vaterland? Er wob an seinem Glanze In Freude und in Pein, Er rief: „Es soll das ganze, Das ganze Deutschland sein!“

Doch, ach! es traf ihn mächtig Spott, Zwietracht, Gift und Neid, Sie machten ihn verdächtig, Das brave Herz der Zeit. Wer sah den Arndt sich bergen, der nie sein Herz gebeugt? Er hat im Drang der Schergen Für Freiheit frei gezeugt!

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Nach schmerzlichem Entbehren, Nach tiefem, bittern Gram, O Glück, ein Tag in Ehren Und der Vergeltung kam! Es wuchs mit frischem Drange Herauf ein frisch Geschlecht, Und seinem Wort und Sange Ward da sein ewig Recht.

Wir sahen wir ihn blühen In Locken silberweiß! Wie sahn wir glühn und sprühen Den wundervollen Greis! Er trug die neunzig Jahre So hell von Herz und Sinn, Es gab der Tod der Bahre Ihn schier als Jüngling hin.

Zum Meer vom Alpenkranze, Vom Belt zum grünen Rhein Erscholl’s: „Es soll das ganze, Das ganze Deutschland sein!“ Da hoben wir den Alten Aufs Neue auf den Schild; Es fanden, die gespalten, In ihm der Einheit Bild.

So lebt er in den Herzen! So steh’ er wieder auf! In eurem Bild von Erzen Hier an des Rheinstroms Lauf! Ernst Moritz Arndt, entsteige, Uns knüpft ein ewig Band! Die rechten Pfade zeige Allzeit dem Vaterland! Wolfgang Müller von Königswinter

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CHRONOLOGISCHE BIBLIOGRAPHIE ZU DEN ARNDT-NACHRUFEN STERBEBERICHTE/-MELDUNGEN Bonn, 29. Januar [Sterbemeldung], in: Kölnische Zeitung Nr. 30 v. Mo. 30.1.1860, S. 1; parallel in: Düsseldorfer Journal, 13. Jg. Nr 25 v. 30.1.1860, S. 2. [=Niederrheinische Volkszeitung, kathol.]; erneut in: Ausgburger Allgemeine Zeitung Nr. 32 v. Mi. 1.2.1860, S. 511. B[iedermann], K[arl]: Ernst Moritz Arndt † 30. Januar [Leitartikel mit Sterbemeldung nach Köln. Ztg. mit eigenem Kommentar], in: Weimarer Zeitung Nr. 26. v. 31.1.1860, S. 101 [S/S Nr. 2067]; erneut, gekürzt in: Augsburger Allgemeine Zeitung (1860), Nr. 33 v. 2.2.1860, S. 527. [S/S Nr. 2068] [Sterbemeldung, wohl nach KölnZtg], in: Königlich Privilegirte Berliner Zeitung [=Vossische Zeitung] Nr. 26 v. Di. 31.1.1860, S. 8. Stettin, 30. Januar [Sterbemeldung mit Hinweis auf Köln.Ztg.], in: Privilegirte Stettiner Zeitung. Morgen-Ausgabe Nr. 51 v. Di. 31.1.1860, S. 1. Bonn, 31.Januar [Todesanzeige durch Bonner Senat], in: Kölnische Zeitung Nr. 31 v. 31.1.1860, S. 4; parallel in: Preußische Zeitung. Abendausgabe Nr. 52 v. 31.1.1860, S. 1; erneut in: Privilegirte Stettiner Zeitung. Abend-Ausgabe Nr. 54 v. Mi. 1.2.1860, S. 1; erneut: Mecklenburgische Zeitung Nr. 27 v. 1.2.1860, S. 1; erneut: Stralsundische Zeitung Nr. 29 v. Fr. 3.2.1860, S.1. Bonn, 29. Januar [Sterbemeldung], in: Stralsundische Zeitung, Nr. 27: 1.2.1860, S.1: (nach „Pr. Ztg.“). M. Weimar, 31. Januar [Arndts Brief v. 16.1. an Weimarer Gewerbeverein; Devotionalienbeginn], in: Weimarer Zeitung Nr. 27 v. 1.2.1860, S. 106. Bonn, 1. Februar, 4 Uhr Nachmittags / Könisgwinter [Beerdigung], in: Bonner Zeitung, 52. Jg. (1860), Nr. 27 v. 2.2., S. 1. Bonn, 1. Februar [Beerdigung ausführlich], in: Bonner Zeitung, 52. Jg. (1860), Nr. 27 v. Do. 2.2., Beilage S. 1; Zitation von Arndts Grablieb auch in: Weimarer Zeitung Nr. 33 v. 8.2.1860, S. 131. Bonn, 1. Februar [Beerdigungsbericht], in: Kölnische Zeitung Nr. 34 v. Fr. 3.2.1860, S. 2. Bonn, 1. Februar [Beerdigungsbericht], in: National-Zeitung. Abendausgabe Nr. 58 v. Fr. 3.2.1860, S. 3; erneut, aber gekürzt in: Vossische Zeitung Nr. 30 v. 4.2.1860, S. 5. Bonn, 1. Februar [Beerdigung ausführlich, Erstdruck], in: Kölnische Zeitung v. 2.2.1860; übernommen in: Mecklenburgische Zeitung Nr. 30 v. 4.2.1860, S. 1; Stralsundische Zeitung, 1860, Nr. 31 v. 5.2.1860, S.1. NEKROLOGE IN ZEITUNGEN ***: Ernst Moritz Arndt, in: Neue Preußische Zeitung [=Kreuzzeitung] Nr. 27 v. 1.2.1860, S. 3. [S/S Nr. 2054], übernommen in: Norddeutscher Correspondent v. 1.2.1860, S. 2. ***: Ernst Moritz Arndt, in: Didaskalia. Blätter für Geist, Gemüth und Publicität, Nr. 32, Mi. 1.2.1860, S.2–3. [S/S Nr. 2053]; leicht gekürzt in: Mecklenburgische Zeitung Nr. 32 v. Di. 7.2.1860, Beilage S. 1 (im wesentlichen die Wiederholung des Arndt-Artikels aus: Männer der Zeit. Biographisches Lexikon der Gegenwart, Teil I, Leipzig 1859, Sp. 87f.).

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***: Berlin 1. Februar [Leitartikel: Nachruf auf Arndt], in: Preußische Zeitung (1860) Nr. 53 v. 1.2.1860, S. 1 [S/S Nr. 2055]; erneut: Bonn, 2 Februar, in: Bonner Zeitung, 52. Jg. (1860), Nr. 27 v. 2.2., Beilage S. 1. [S/S Nr. 2056 =komplette Wiedergabe aus Preuß. Ztg.]; erneut gekürzt: Weimarer Zeitung, Zu E. M. Arndt’s Gedächtniß, Weimar, 3. Februar Nr. 30 v. 4.2.1860, S. 117 [S/S Nr. 2069]. ***: [Nachruf ], in: Deutsche Allgemeine Zeitung, 2.2. oder 3.2.1860, S.***. ***: [Nachruf ], in: Frankfurter Journal, 2.2. oder 3.2.1860, S.***. ***[vermutl. Ludwig Köppe]: Nachruf an Ernst Moritz Arndt, Köln 2. Februar [Leitartikel], in: Kölnische Zeitung (1860), Nr. 34 v. 3.2.1860, S. 1 [S/S Nr. 2057]. ***: Ernst Moritz Arndt † in Bonn am 29. Jan., in: Illustrirte Zeitung Leipzig 34. Bd. (1860), Nr. 866 v. 4.2., S. 103 [S/S Nr. 2060; Loh Nr. 2164]. Gr[ieben], H[ermann]: Ernst Moritz Arndt, in: Kölnische Zeitung Nr. 35 v. 4.2.1860, Beilage, S. 1, Nr. 36, 5.2.1860, S.2f. [S/S Nr. 2072]; erneut, ohne Verfasserkürzel in: National-Zeitung. Morgenausgabe Nr.85 v. So. 19.2.1860, S. 1–3. [S/S Nr. 2051]; erneut in: Privilegirte Stettiner Zeitung. Morgen-Ausgabe Nr. 89 v. Mi. 22.2.1860, S. 1 u. Nr. 91 v. Do. 23.2., S.1 u. Nr. 93 v. Fr. 24.2., S. 1 u. Nr. 95 v. Sa. 25.2., S. 1; gekürzt als Vorlage auch in: Post och Inrikes Tidningar. Stockholm, Nr. 63 v. 15.3.1860, S. 3; zahlreiche Passagen und Formulierungen wurden erneut aufgenommen von Ludwig Köppe, Das Leben und Wirken Ernst Moritz Arndt’s, (1860; erneut als Biographie 1865)]. K[arl] B[iedermann]: Zu E. M. Arndt’s Gedächtniß, Weimar, 3. Februar [ganzseitiger Zitate-Überblick aus Nachrufen der Preuß. Ztg, Dt. Allg. Ztg., Köln. Ztg], in: Weimarer Zeitung Nr. 30 v. 4.2.1860, S. 117 [S/S Nr. 2069]. S[ell], C[arl]: Ernst Moritz Arndt’s Nekrolog, in: Bonner Zeitung, 52. Jg. (1860), Nr. 30 v. 7.2., S. 1f. [S/S Nr.2080; erneut: Spenersche Zeitung 1860 Nr. 37 v. 12.2., Beilage S.** [S/S Nr.2081]; erneut: Augsburger Allgemeine Zeitung 1860 Nr. 47 v. 16.2. [S/S Nr. 2082]. Mühlfeld, Julius: Ernst Moritz Arndt, in: Stralsundische Zeitung, 1860, Nr. 33 v. 8.2.1860, S. 1. ***: Zum Gedächtnis Arndts, in: Sächsisches Kirchen- und Schulblatt Leipzig, 10. Jg. (1860), S. 165. [S/S Nr. 2052]. ***: Ernst Moritz Arndt, in: Illustrirte Zeitung Leipzig 34 (1860), Nr. 867 v. 11.2., S. 113–114. [S/S Nr. 2061; Loh Nr. 2162] mit großem Kupferstich „Die trauernde Germania...“; erneut mit identischer Abbildung in: Victoria. Illustrirte Muster- und Modezeitung Berlin (1860), Nr. 13 v. 1.4., S. 99–101. [S/S Nr. 2065] [inhaltlich stark von Vorgängernekrologen der Preußischen Zeitung, Kölnischen Zeitung, Weimarer Zeitung abhängig]. Oelbermann, Hugo: Denkrede auf Ernst Moritz Arndt, in: Bonner Zeitung, 52. Jg. (1860) Nr. 36 v. 14.2., S. 1–3. [S/S: Nr. 2076] [vgl. Separatdruck S/S: Nr.2075; Loh Nr. 2167]. ***: Ernst Moritz Arndt, in: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung [=Vossische Zeitung], Nr. 43 v. 19.2.1860, 1. Sonntagsbeilage, S. 2–4. [S/S Nr. 2062; Loh Nr. 2163] (Am Ende des Artikels das Kürzel: „D.K.Z.“ =Zeitungskürzel?). Ring, Max: Vater Arndt, in: Die Gartenlaube. Illustrirtes Familienblatt (1860), S. 187–190. 206–207. [S/S Nr. 2078; Loh Nr. 1469] mit Stahlstich nach Foto 1859; erneut in: Conversationsblatt Regensburg (=Beilage zum Regensburger Tageblatt) Nr. 39–46 v. 30.3.1860 bis 15.4.1860 [S/S Nr. 2078]. [Meßner, Hermann]: Ernst Moritz Arndt, in: Neue Evangelische Kirchenzeitung, 2. Jg. (1860), Nr. 11 v. 17.3., Sp. 161–170. [S/S Nr. 2064; Loh Nr. 1888].

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Wolters, Albrecht: Ernst Moritz Arndt, In: Evangelisches Gemeindeblatt aus und für Rheinland und Westfalen. Elberfeld (1860) Nr. 4 v. 23.3., S. 66–74. [S/S Nr. 2085; Loh Nr. 1890] (Ende April auch als bearb. und erw. Separatdruck, siehe unten), [um Einleitungsteil gekürzt, erneut unter Titel: Ernst Moritz Arndt. Zur Erinnerung an seinen Heimgang (29. Januar 1860), in: Monatshefte für rheinische Kirchengeschichte 29. Jg. (1935), S. 88–95. [Loh Nr. 1891]. [Hengstenberg, Ernst Wilhelm]: Ernst Moritz Arndt, in: Evangelische Kirchenzeitung 66. Bd. (1860), Nr. 33 v. 25.4. und Nr. 34 v. 28.4., 385–392. 405–406 [S/S Nr. 3203; Loh bei Nr. 686]. Henneberger, August: Ernst Moritz Arndt, in: Blätter für literarische Unterhaltung, (1860) Nr. 25 v. 21.6., S. 445–455. [S/S Nr. 3205] [=Rez. der Gesammelten Gedichte]. [Arndts Gesammelte Gedichte – Rezension], in: Weimarer Zeitung, Nr. 54 v. 3.3.1860, S. 214. [S/S Nr. 3204]. AUSLAND: B[ader], F[ritz]: Ernst Moritz Arndt, in: Der Pan-Germane. Deutsch-belgisches Wochenblatt. Brüssel, 2. Jg. (1860) Nr. 6 v. So. 5.2.1860, S. 41f. [S/S Nr. 2066]. ***: Ernst Moritz Arndt, in: Jönköpingsbladet Nr. 20 v. 16.2.1860, S. 2. ***: [Nachruf ], in: La Perseveranza Mailand (1860), v. 3.3.1860, *** [S/S Nr. 2058]. ***: Ernst Moritz Arndt, in: Post och Inrikes Tidningar. Stockholm, Nr. 63 v. 15.3.1860, S. 3. NEKROLOGÜBERSICHTEN Wien 1. Februar [Kurzauszug aus Nachruf in „Österreichischer Zeitung“], in: [Augsburger] Allgemeine Zeitung (1860), Nr. 35 v. 4.2.1860, S. 560. [S/S Nr. 2059 (von Schäfer fälschlich „österr. Zeitungen“ bezeichnet)]. NEKROLOGE IN ZEITSCHRIFTEN UND JAHRBÜCHERN [Anzeige von Arndts Tod und Werkverzeichnis], in: Leipziger Repertorium der deutschen und ausländischen Literatur 70 (1860), 355–356 [Loh Nr. 2161]. Oelbermann, Hugo: Denkrede auf Vater Arndt, in: Monatsschrift der allgemeinen germanischen Gesellschaft, **-**.[= Bonner Zeitung 52. Jg. (1860) Nr. 36 v. 14.2., S. 1–3. [S/S: Nr. 2076; Loh Nr. 2167]. Haym, Rudolf: Ernst Moritz Arndt, in: Preußische Jahrbücher 5. Jg. (1860), S. 470–512. [S/S Nr. 1777; Loh Nr. 1357], erneut in: Hayms Gesammelten Aufsätzen, Berlin 1903, S. 120–164 [Loh Nr. 1359]. Köppe, L[udwig]: Das Leben und Wirken Ernst Moritz Arndt’s, in: Die Wissenschaften im neunzehnten Jahrhundert, ihr Standpunkt und die Resultate ihrer Forschungen. Eine Rundschau zur Belehrung für das gebildete Publikum, Bd 5, Sondershausen 1860, 313– 335. [S/S Nr. 1868 (dort aber fälschlich unter dem Jahr 1858 vermerkt!); Loh 2166] [1864/65 erweitert als „E.M. Arndt. Eine Biographie (Deutschlands moderne Klassiker, hg. v. Karl Wachler, Lfg. 2), Leipzig 1865 [S/S Nr. 1792; Loh 1422]. ***: Ernst Moritz Arndt, in: Volks-Letterkunde. Uitgegeven door de Vriend van Armen en Rijken, Amsterdam 1860, Nr. 9, S. 1–8; Nr. 10, S. 1–8; Nr. 11, S. 1–8; Nr. 14, S. 1–8; Nr. 17, S.1–8; Nr. 18, S. 1–8; Nr. 21, S. 1–8; Nr. 24, S. 1–8; Nr. 25, S. 1–6. [S/S Nr. 1775; Loh 1418] [erneut als Separatdruck: Loh Nr. 1419].

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NEKROLOG-SEPARATDRUCKE Wiesmann, [Johann Heinrich]: Am Grabe Ernst Moritz Arndts. (Am 1. Februar 1860). Rede. Auf vielseitiges Verlangen gedruckt, Bonn 1860, 15 S. [S/S Nr. 2083; Loh 2170] ebd. ²1860 [S/S Nr. 2084; Loh 2171]. ***: Ernst Moritz Arndt, geb. den 26. December 1769, gest. den 29. Januar 1860. Mit 1 Abb., Dresden: Zeh [1860], 1 Blatt 2° [Loh 2165]. Wolters, Albrecht: Ernst Moritz Arndt, ein Zeuge für den evangelisches Glauben, Druck und Verlag der Bädeker’schen Buch- und Kunsthandlung Elberfeld 1860, 47 S. (Vorwort v. 23.4.1860) [S/S Nr. 1782; Loh Nr. 1889] [wohl erneut: Ev. Sonntagblatt für Bonn und Umgegend, 76. Jg. (1933), Nr. 30–35, S. 450–452. 466–467. 483. 499– 500. 510–511. 524–527. [S/S Nr. 1783]; leicht gekürzt außerdem: A. Wolters, Ernst Moritz Arndt. Zur Erinnerung an seinen Heimgang (29. Januar 1860), in: Monatshefte für rheinische Kirchengeschichte 29 (1935), 88–95 [Loh Nr. 1891]. Oelbermann, Hugo: Denkrede auf Vater Arndt, Bonn 1860 (Separatdruck aus der Monatsschrift der allgemeinen germanischen Gesellschaft), 16 S. [S/S: Nr.2075; Loh Nr. 2167] [Rede hier vordatiert auf: „Bonn, am 1. Februar 1860, vgl. dagegen den wortidentischen Abruck in Bonner Zeitung 14.2.1860]. Haym, Rudolf: Ernst Moritz Arndt, Berlin: Reimer 1860, 45 S. [S/S Nr. 1778; Loh Nr. 1358] erneut in Hayms Gesammelten Aufsätzen, Berlin 1903, S. 120–164 [Loh Nr. 1359]. Kahle, Albert: Ueber Ernst Moritz Arndt als geistlichen Dichter. Eine Vorlesung zum Besten des Evangelischen Johannes-Stifts in Danzig gehalten, Leipzig: Bredt-Verlag 1860, 24 S. [S/S Nr. 2868] [vorh. Arndthaus Bonn: A 312] Vater E. M. Arndt’s Leben, Wirken und Tod. Erinnerungsschrift (Gedenkbücher für das Volk und seine Schulen 3), Leipzig Wengler 1860, 32 S. [S/S Nr. 1776; Loh Nr. 1361] ***: Ernst Moritz Arndt, Uitgegeven door de Inrigting tot bevordering […], Amsterdam Witkamp 1860. [Loh 1420] [vorh. Köln: Stadt- u. Univ.Bibl.: Rh S na/631] TRAUERGEDICHTE (EPICEDIA) Hick, Georg: Ein Schmerzensruf bei der Todes-Nachricht unseres lieben Vaters Arndt, in: Kölnische Zeitung (1860) Nr. 31 v. 31.1.1860, S.4. [S/S Nr. 2073] Rentsch, Otto: Auf Ernst Moritz Arndt’s Tod, in: Bonner Zeitung, 52. Jg. (1860), Nr. 27 v. 2.2., S. 1. [S/S Nr. 2077] Gau, Friedrich: [ohne Titel] Sag, was beklagst du Vaterland?, in: Bonner Zeitung, 52. Jg. (1860), Nr. 27 v. 2.2., S. 1. [S/S Nr. 2071] Fischer, Wilhelm: Am Sarge Arndt’s, in: Kölnische Zeitung (1860), Nr. 33 v. 2.2.1860, S. 3 [S/S Nr. 2070] Mühlfeld, J[ulius]: Ein Todtenkranz! für Ernst Moritz Arndt, in: Stralsundische Zeitung, 1860, Nr. 34 v. 9.2.1860, S.3. Berling, [Georg Julius] (Dr.): Irnst Muritz Anrdt’s Dod!, in: Stralsundische Zeitung, 1860, Nr. 36: 11.2.1860, S.3. Müller, Wolfgang: Ernst Moritz Arndt, gesprochen am 21. März 1860 im Konzerte des Bonner Männer-Gesangs-Vereins zum Besten des Arndt-Denkmals, in: Kölnische Zeitung (1860) Nr. 82 v. 22.3.1860, S. 1f. [S/S Nr. 2074] (anschließend Hinweis-/Rezensions-Artikel: „Gedichte von Ernst Moritz Arndt“, ebd. S. 1f.)

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DENKMALS-INITIATIVE ***: Was thun wir für Ernst Moritz Arndt? [Text aus Bonn], in: Kölnische Zeitung (1860) Nr. 36, 5.2.1860, S.3. Bonn, 2. Februar [Arndt-Denkmal-Comitee, kommentiert], in: Privilegirte Stettiner Zeitung. Morgen-Ausgabe Nr. ** v. So. 5.2.1860, S. 1. Bonn, 16. Februar [Denkmalkomitee-Bildung, Kurzmeldung und Auszug aus „K.Z.“], in: Privilegirte Stettiner Zeitung. Morgenausgabe Sa. 18.2.1860, S. 1f. (Arndt-Denkmal-Comitee): Aufruf an das deutsche Volk [mit Kommentar], in: Kölnische Zeitung v. 18.(?)2.1860, S. 2 ; erneut mit Kommentar der Köln. Ztg. in: Weimarer Zeitung Nr. 43 v. 19.2.1860, S. 169; erneut nur Aufruf in: Königlich privilegirte Berliner Zeitung [=Vossische Zeitung] Nr. 42 v. 18.2.1860, 2. Beilage S. 2f; Stralsundische Zeitung, Nr. 45: 22.2.1860, S. 3f; Privilegirte Stettiner Zeitung. Morgen-Ausgabe Nr. 95 v. Sa. 25.2.1860, S. 1; Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik und Literatur 19/1 (1860), S. 359f.; Düsseldorfer Journal v. 26.3.1860, S. 4. [ohne Unterschriften, aber mit Lokal-Comitee-Liste] Zum Arndtdenkmal [Überblick zur Sammlungstätigkeit in Thüringen und Werbung für Devotionalien-Lithographie], in: Weimarer Zeitung Nr. 51 v. 29.2.1860, S. 201. Bonn, 28. Februar [fürstl. Gönner des Arndt-Denkmals], in: Privilegirte Stettiner Zeitung. Morgen-Ausgabe v. 2.3.1860, S. 1. Köln, 2. März, in: Düsseldorfer Journal v. 3.3.1860, S. 3 [Kurznotiz] [Denkmalscomitee in Vorpommern/Rügen], in: Stralsundische Zeitung Nr. 55 v. 4.3.1860, S.3. Bonn, 7. März [Österr. gegen Arndt-Denkmal], in: Privilegirte Stettiner Zeitung. MorgenAusgabe Nr. ** v. 10.3.1860, S. 2. [vgl. Augsburger Allg. Ztg. Nr. 71 v. 11.3.1860, S. 1162] ***: Zum E.M.Arndt-Denkmal [plädiert für stärkere Beteiligung Rügens], in: Stralsundische Zeitung Nr. 61 v. 11.3.1860, S.3. [Denkmalvorsatz des Kölner(?) Magistrats], in: Kölnische Zeitung Nr. 79 v. 19.3.1860, S. 1. [500 Taler reserviert] Bonn, 16. März [Denkmalsbegeisterung; Kritik an Österr.], in: Privilegirte Stettiner Zeitung. Morgen-Ausgabe Nr.** v. Di. 20.3.1860, S. 1f. [Zwischenergebnisanzeige der eingegangenen Arndt-Denkmal-Spenden], in: Stralsundische Zeitung Nr. 68 v. 20.3.1860, S.4. Müller, Wolfgang: Ernst Moritz Arndt, gesprochen am 21. März 1860 im Konzerte des Bonner Männer-Gesangs-Vereins zum Besten des Arndt-Denkmals, in: Kölnische Zeitung (1860) Nr. 82 v. 22.3.1860, S.1. [S/S Nr. 2074] Mühlfeld, J[ulius] [d.i. Robert Rösler]: Für Arndt’s Denkmal. Ein Büchlein für das Volk, Stralsund: Hingst 1860, 57 S. [S/S Nr. 1782; Loh Nr. 2295] (bespr. v.Köln. Zeitung Nr. 127 v. 7.5.1860) E. M. Arndt’s Leben. Gedenkblatt zum Künstler-Mai-Fest. Bei der Mentschwaige gefeiert am 21. Mai 1860, München: Joh. Deschler 1860, 4 Bl. mit Titelholzschnitt. [UB Greifswald 2010] R. [=Max Ring?]: Die Arndt-Feier im Victoria-Theater zu Berlin, in: Illustrirte Zeitung Leipzig 34 (1860), Nr. 886 v. 23.6.1860, S. 451 [Loh Nr. 2168]. Reinhardt, J. (Hg.): Arndt-Album [zur Förderung der Errichtung eines Arndt-Denkmals auf dem linken Rheinufer], Mannheim: Schneider 1860, VI + 158 S. [S/S Nr. 2050; Loh Nr. 2294] (Gedichtsammlung).

Zur jüngsten Diskussion um Ernst Moritz Arndt als Greifswalder Universitätspatron1 Christian Peplow Am 16. März 2010 um 22:24 Uhr – wenige Stunden vor der Senatsentscheidung – titelte die Internetausgabe des Kölner Stadtanzeigers: „Von Patrioten und Antisemiten. Die Greifswalder Universität wird nicht länger den Namen des deutschen Freiheitskämpfers Ernst Moritz Arndt tragen. Der Grund ist dessen antisemitische Haltung. Die Umbenennung ist richtig – wenn sie zu einer Debatte anstößt.“2 Diese voreilige und wie sich Stunden später herausstellte in der Sachinfo falsche Pressemeldung stellt für mich noch immer den kuriosesten Beitrag der seit Mitte 2009 bis zur Senatsabstimmung im März 2010 anhaltenden Diskussion um den Namenspatron der Universität Greifswald dar. Doch der Reihe nach. Diese Ausführungen verdanken sich einer Einladung der Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft zu einem Vortrag über die 2009/10 stattgefundene Debatte um den Greifswalder Universitätspatron. Ich war darum gebeten worden, einen Einblick in diese jüngste Namensdebatte an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität aus der Sicht eines Studierenden zu ermöglichen. Auch wenn ich mittlerweile als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Greifswalder Universität tätig geworden bin, so habe ich doch die gesamte Wucht der Diskussion als Student miterlebt und traute mir zu, der Bitte nachzukommen. Ich kann dabei nicht umgehen, meine persönliche Position zu diesem Thema mit einfließen zu lassen. Das wird in drei Schritten deutlich werden. Zunächst möchte ich Sie an meiner persönlichen Wahrnehmung von Ernst Moritz Arndt, angefangen bei meiner ersten Begegnung mit ihm bis hin zur Vollversammlung der Studierendenschaft im Juni 2009, teilhaben lassen. Anschließend gebe ich Ihnen einen „studentischen“ Einblick in die Debatte um seine Namenspatronage, der sich aus Eindrücken diverser Diskussionsveranstaltungen, denen ich persönlich beiwohnte, durch Gespräche mit Kommilitonen/Kommilitoninnen und durch die Mitverfolgung der Diskussionsbeiträge im Internet zusammensetzt. Ich beende meine Ausführungen mit einer kurzen Zusammenfassung und einem persönlichen Statement. Einleitend sei vorausgeschickt, dass mein Bericht zu einem großen Teil subjektiv ist. Er beruht immerhin auf einer persönlichen Wahrnehmung sowie Gesprächen bzw. auf dem, was man als „Das habe ich dort und dort mitbekommen“ bezeichnen könnte. Trotzdem werde ich gewissenhaft versuchen, einen ausgewogenen Einblick in die Arndt-Diskussion aus Sicht eines Studierenden zu präsentieren. Meine Darstellung

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Leicht bearbeiteter Vortrag, den ich unter dem Titel „Zur Diskussion um Ernst Moritz Arndt – Blickwinkel eines Studenten auf die Debatte um den Greifswalder Universitätspatron“ im Rahmen einer Gedenkveranstaltung zum 150. Todestag Arndts am 01.05.2010 in Arndts Geburtshaus in Groß Schoritz hielt. http://www.ksta.de/html/artikel/1264185971189.shtml [Stand: 11.02.2011].

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Christian Peplow

kann nur ein einzelnes Blitzlicht auf eine komplexe Debatte sein. Einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebe ich nicht.

1. „Mein“ Arndt Der Dichter und Erzähler Ernst Moritz Arndt trat bereits während meiner Kindertage in mein Leben. Mein Vater, ein plattdeutscher Muttersprachler, gebürtig von der Insel Ummanz und somit auch kulturell und geistig mit der Insel Rügen eng verwurzelt, hat mir neben den allabendlichen klassischen Grimmschen Märchen zahlreiche niederdeutsche Geschichten sowie die Erzählungen des Dichters Ernst Moritz Arndt vorgetragen. So gehören meinen „Märchen- und Jugenderinnerungen“ neben Hänsel und Gretel oder Rumpelstilzchen auch Gestalten wie die sieben bunten Mäuse von Dumsewitz, der Rattenkönig Birlibi und Hinrich Vierk an. Dass ein Teil der Arndtschen Märchen (z. B. die „Neun Berge von Rambin“) durch Vor-Ort-Besuche der Insel Rügen eine besondere Anziehung auf mich ausübten und die Phantasie zusätzlich beflügelte, unterstreicht für mich bis heute die besondere regionale Bedeutung dieser Märchen und Jugenderinnerungen. Arndt blieb auch in den folgenden Jahren ein ständiger Begleiter meiner eigenen Biographie, z. B. durch den Beginn des Studiums meines Bruders an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität oder die Inszenierung diverser Theaterstücke durch die Plattdütsch Späldäl to Stralsund, in denen ich selbst Figuren der Arndtschen Phantasie verkörperte. All dies nahm ich zum Anlass, mich mit Ernst Moritz Arndt näher zu befassen und etwas über sein Leben zu erfahren. Die kontroverse Ambivalenz seiner Person erschloss sich mir zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht. Mit dem Beginn meines eigenen Studiums an der hiesigen Universität verschwand Arndt aus meinem Wahrnehmungsfeld. Das Kolloquium und die Diskussion aus dem Jahr 2001 gingen – und das muss ich eingestehen – unbemerkt an mir vorbei. Erst nach meiner Rückkehr an die Greifswalder Alma Mater als Masterstudent der Geschichte, wurde auch Ernst Moritz Arndt, und zwar mit einem Paukenschlag, in mein Gedächtnis zurückgeholt. Zum Ende der Vollversammlung der Studierenden im Jahr 2007 ergriff ein Student das Mikrofon und forderte lautstark, den Namenzusatz Ernst Moritz Arndt sofort abzulegen, da es nicht zu ertragen wäre, dass ein „Nazivordenker“ Patron dieser Universität sein könne. Dieser Einwurf traf mich völlig unvorbereitet. Worauf basierte diese radikale Forderung? Welche Lücke war in meinem Wissensstand über Arndt vorhanden, dass ich diese dramatische Charakterisierung seiner Person nicht einzuordnen wußte? Meine wissenschaftliche Neugierde war geweckt. Die Lektüre der einschlägigen Nachschlagewerke ADB, NDB, Brockhaus usw. brachte keine hilfreiche Klarheit und so wählte ich den Weg in das Internet. Hier fand ich den Artikel der ZEIT „Fataler Patron“ sowie einige weitere Seiten zum Thema.3 Darüber hinaus nutzte ich die Bibliothek der Universität Greifswald bzw. „Google-Books“ und erhielt so Zugang nicht 3

http://www.zeit.de/zeitlaeufte/fataler_patron [Stand: 11.02.2011]. Darüber hinaus z. B.: http://www.ernst-moritz-arndt.de/; http://www.ernst-moritz-arndt-gesellschaft.de/; http:// www.ema-bonn.de/wir-ueber-uns/ema-und-ernst-moritz-arndt.html; http://www.ema-rs. de/index1.php?show=schulgeschichte; http://www.emabonn.de/ema/arndt.htm; http://

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nur zu den Originalwerken unseres Patrons (z. B. „Geist der Zeit“, „Katechismus für den Deutschen Kriegs- und Wehrmann“ und „Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen“), sondern auch zu diverser Literatur, die sich mit der Rezeption des Arndtschen Wirkens befasste.4 Darunter die beiden Hefte der Ernst-Moritz-ArndtGesellschaft: „Arndt im Widerstreit der Meinungen“ und „Ernst Moritz Arndt weiterhin im Widerstreit der Meinungen. Neue Materialien zu einer alten Diskussion“.5 All dies trug dazu bei, dass sich ein weit differenziertes Bild von Arndt in mir einstellte und das verklärte Bild meiner Kinder- und Jugendtage verschwand. Ein eindeutig, und dies muss an dieser Stelle deutlich betont werden, positiver Erfolg der Arndt-Kritiker.

2. Arndt im Widerstreit der Studierenden Spätestens mit dem Auftritt des Greifswalder Politologiestudenten und damaligen UniSenators Sebastian Jabbusch, der als Ernst Moritz Arndt verkleidet antijüdische Zitate verlas und damit einen enorm öffentlichkeitswirksamen Coup landete, konnte man sich der Debatte um den Namenspatron nicht mehr entziehen. Die Vorbereitungen zur Vollversammlung am 17. Juni 2009 liefen dementsprechend auf Hochtouren und es wurde jeder erdenkliche Versuch unternommen, so viele Studierende wie nur möglich zu erreichen. Überall lagen Info-Flyer herum und es prangten Statements, vornehmlich gegen Arndt, an den Wänden der Institute und der Mensa. Gespräche, die ich während dieser Zeit mit Kommilitonen in Bezug auf die Vollversammlung und den gefühlten Haupttagesordnungspunkt „Ernst Moritz Arndt“ führte, waren unterschiedlicher Natur. Einige interessierte das ganze Thema überhaupt nicht, andere wollten zur Abstimmung gehen, um dann gegen bzw. für Arndt zu stimmen. Erschreckend fand ich allerdings, dass viele Studierende Arndt einzig und allein aus der Tatsache heraus „entsorgen“ wollten, dass die Universität ihren Namen im Jahre 1933 formal durch Hermann Göring verliehen bekam. Mein persönliches Gefühl war, dass eine Mehrheit lediglich zur Abstimmung gehen würde, weil ihnen jemand gesagt hatte: „Kommt zur Abstimmung und stimmt gegen den Uni-Namen“. Kein kritisches Hinterfragen, keine selbstständige Lektüre! Hier wurden lediglich vorgefertigte Parolen und Meinungen abgespult.

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www.emagym-bergen.de/index.php?site=Kritische-Anmerkungen&navi=naviarndt&top=t8 [Stand für alle aufgeführten Internetseiten: 11.02.2011]. Die Greifswalder Universitätsbibliothek begann im Frühjahr 2009 mit der Komplettdigitalisierung der Werke Arndts und wichtiger Sekundärwerke. Sie wurden zeitnah ins Netz gestellt und können dauerhaft über die Homepage der UB eingelesen werden: http://ub-goobi-pr. ub.uni-greifswald.de/ [Stand: 11.02.2011]. Ernst Moritz Arndt Gesellschaft e. V. (Hg.): Ernst Moritz Arndt im Widerstreit der Meinungen. Materialien zu neueren Diskussionen (HEMAG, Heft 7), Groß Schoritz 2000; KarlEwald Tietz (Hg.): Ernst Moritz Arndt weiterhin im Widerstreit der Meinungen. Neue Materialien zu einer alten Diskussion (HEMAG, Heft 8), Groß Schoritz 2003.

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Dieses Gefühl wurde am Tag der Vollversammlung durch unterschiedliche Ereignisse noch einmal verstärkt. Kopfschütteln erzeugte bei mir z. B. das Gespräch mit einem Studenten, der allen Ernstes glaubte, Arndt sei ein Zeitgenosse Horst Wessels gewesen, da man doch auch nach diesem Schulen benannte und seine Lieder im Dritten Reich verwendete. Als ein Student, der sich während der öffentlichen Diskussion auf der Vollversammlung für den Namenserhalt aussprach, nach seinem Wortbeitrag nicht nur ausgebuht, sondern auch mit Schmährufen wie Nazi oder Antisemit bedacht wurde, spürte ich, welche merkwürdige Eigendynamik mich an der aktuellen Debatte störte. Ein differenzierter Meinungsaustausch war anscheinend überhaupt nicht vorgesehen, auch wenn dies unentwegt betont wurde. Über Arndt sollte einzig und allein ein attischer Ostrakismos, ein Scherbengericht, abgehalten werden, wobei sein Name bereits vorgeritzt in den Tonscheiben stand und man lediglich eine ausreichende Anzahl an Studierenden suchte, die diese Scheiben in die dafür vorgesehenen Abstimmungsgefäße werfen sollten. Dabei fehlte ein entscheidender Schritt. Karsta Rautenberg stellte diesen Punkt während der wissenschaftlichen Anhörung im Dezember 2010 deutlich heraus: „Es herrscht kein Wissen über Ernst Moritz Arndt in den Breiten der Studierendenschaft und bei den Lehrenden, die es rechtfertigen würde, dass wir jetzt entscheiden, Ja oder Nein. Ich würde dafür plädieren, in den nächsten Semestern regelmäßige Kolloquien und Kurse für die verschiedensten Angehörigen der Universität anzubieten und dass wir für die Verbreitung von Wissen über Ernst Moritz Arndt sorgen und für die Auseinandersetzung mit ihm, bevor wir uns entscheiden, ob wir den Namen beibehalten oder nicht. [...] Wir sollten den Punkt, dass wir uns mit Ernst Moritz Arndt auseinandersetzen, auf keinen Fall überspringen, um jetzt eine Entscheidung zu treffen, die langfristige Auswirkungen hat.“6 Damit komme ich zu vier Unterpunkten meiner studentischen Sicht auf die Debatte: a) Die Arndt-Kritiker hatten einen klaren Vorteil. Ihre moralische Auffassung eines Namenspatrons für das 21. Jahrhundert und die Stigmatisierung Arndts als Nationalist, Rassist und Antisemit – während der Diskussion leicht zu: „antisemitisch“ gleich Nazivordenker reduziert – machte es ihnen nach den erschütternden Erlebnissen deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts leichter, für eine Umbenennung zu kämpfen. Wer sich, ungeachtet der Art und Weise der Motivation, gegen Arndt engagierte, konnte sich relativ sicher sein, eine stabile Mehrheit hinter sich zu haben. Womit ich mir die deutlich höhere Anzahl an öffentlicher Arndt-Kritik erkläre. Jeder, der sich gegen dieses Vorhaben stellte, lief Gefahr, als Verharmloser, Antisemit oder im schlimmsten Fall als „Nazi“ diffamiert zu werden. Aus diesem Grund schreckten wahrscheinlich viele davor zurück, sich öffentlich zur Debatte zu äußern. Vor allem das „Schnellschussargument“, dass die Universität ihren Patronszusatz ausgerechnet 1933 durch Hermann Göring verliehen bekam,7 genügte offensichtlich, um 6

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Siehe dazu: Audiomitschnitt „Diskussion zum zweiten Panel“ während der Wissenschaftlichen Anhörung zum Namen der Universität Greifswald, http://www.uni-greifswald.de/organisieren/leitung/senat/wissenschaftliche-anhoerung-arndt.html [Stand: 11.02.2011]. Der aktenkundige Ablauf der Namensverleihung wurde, obwohl er vor Jahren durch den Greifswalder Universitätsarchivar Dr. Alvermann in einer detaillierten Untersuchung erläutert woden ist, von den meisten Uni-ohne-Arndt-Aktivisten ebenso wenig zur Kenntnis

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zahlreiche Studierende auf die Seite der Arndt-Kritiker zu ziehen. Dies war meiner Wahrnehmung nach eines der am häufigsten genutzten Argumente im Laufe der Debatte, wobei wieder einmal deutlich wurde, dass sich die Zusammenfassung des Ganzen in eine Kritik der Einzeldinge auflöste. Nach der Veröffentlichung meines Redebeitrages8 im „Webmoritz“ (Dezember 2009) – der die Diskussionskultur kritisierte und im Kern darauf abzielte, dass Arndt aus meiner Sicht als Namenspatron erhalten bleiben sollte, da ich ein vollkommen anderes Bild eines Namenspatrons habe, als diejenigen, die sich gegen Arndt aussprachen – unterhielt ich mich im Historischen Institut mit einem langjährigen Kommilitonen und guten Freund, wobei er mir gestand, dass er zwar kaum etwas über Arndt wüsste und meine Argumentation für einen Namenserhalt nachvollziehen könne, mir aber dennoch deutlich zu verstehen gab, dass der Akt der Namensverleihung durch Nationalsozialisten wohl eher gegen Arndt spreche. Hätte er zudem frühzeitiger gewusst, wer Arndt sei, hätte er wahrscheinlich nicht in Greifswald studiert. Dieses und weitere Gespräche ähnlichen Inhalts, die ich mit anderen Studierenden führte, zeigten mir eines: Viele Studierende hatten kein bzw. kaum eigenes Wissen über Arndt, dennoch waren sie gegen den Universitätsnamen, zumal „Arndt im Dritten Reich wohl hoch angesehen war“. Doch es gab auch andere Stimmen. Holger Knaak, ehemaliger Student der Greifswalder Universität, schrieb mir in einem Brief Folgendes zu diesem Thema: „Das [...] Argument, die Namensgebung sei 1933 (in)direkt von den Nazis initiiert worden, eben weil Arndt zumindest in Teilen als Vordenker der „nationalen“ Sache anzusehen sei und daher NICHT als studentische Vorbildfigur tauge (in der medialen, oberflächlichen Wahrnehmung schnell zu: Arndt war Nazi-Vorbild, weil er deren Ansichten vorweg nahm vereinfacht) ist ebenfalls hinfällig – denn bekanntlich kann jeder Lebende jeden Toten in seinem Sinne instrumentalisieren, sofern er nur entsprechende Zitate als „Belege“ der entsprechenden Geisteshaltung des Verfassers anführen kann (und auf nicht allzu belesene/ sachkundige Zuhörer trifft). Kann man also Arndt wirklich in „Mithaftung“ für [Taten] durch spätere […] Verbrecher nehmen, nur weil diese ihn für ihre Ziele zu instrumentalisieren versuchten? Wohl kaum – zumal [...] Arndt einen Großteil seines öffentlichen Lebens für den Erhalt und die Sicherung der Freiheit und gegen JEDE politische Bevormundung, insbesondere der Jugend, widmete. Es sind doch gerade die widersprüchlichen Geister, die unserem Leben viel näher stehen und daher als echte Vorbilder, besser noch: als Reibstein zur Überprüfung der eigenen Ansichten und des Charakters,

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genommen, wie die zeitgeschichtlich notwenigen Differenzierungen unterschiedlicher Intentionen und Motive der Betreiber dieser Namenspatronage. Hermann Görings formaljuristische Zuständigkeit für den Akt der Urkundenunterzeichnung in seiner damaligen Funktion als preußischer Ministerpräsident war den studentischen Argumentierern überwiegend nicht bewußt. Zu den Hintergründen der Namensverleihung vgl. Dirk Alvermann, Zwischen Pranger und Breitem Stein. Die Namensgebung der Universität Greifswald und die aktuelle Diskussion, in: Zeitgeschichte regional 5 (2001), Heft 2, S. 43–51; erneuter Abdruck in: Tietz (wie Anm. 5), S. 23–39. http://www.webmoritz.de/2009/12/04/gastbeitrag-zur-der-arndt-debatte/ [Stand: 11.02. 2011].

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dienen können als die „fehlerfreien“ Moralapostel – die sich bei genauerer Betrachtung letztlich alle auch nur als klischeehafte Konstrukte entpuppen.“9 b) Die Kritik an der Initiative „Uni-ohne-Arndt“. Nicht ein Studierender, der sich ernsthaft für die Debatte interessierte und sich kritisch gegenüber der Initiative „Uni-ohne-Arndt“ äußerte, tat dies, um den Sinn der Kampagne anzugreifen. Vielmehr waren sich die meisten Studierenden darüber im Klaren, dass es gerade der Initiative „Uni-ohne-Arndt“ zu verdanken war, dass die ruhende Debatte wieder an Fahrt gewann. Es war und ist sogar so, dass viele Studierende tatsächlich erst durch die Arbeit der Initiative auf ihren umstrittenen Namenspatron aufmerksam wurden. Dennoch riss die Kritik gerade an der Initiative „Uni-ohne-Arndt“ nicht ab. Warum? Vielen ging es in ihren Klagen um die Art und Weise der Diskussionskultur. Wenn z. B. Sebastian Jabbusch während der wissenschaftlichen Anhörung an das Mikrophon trat und die gründlich vorbereiteten Wortbeiträge der Arndt-Befürworter immer wieder aus dem Bauch heraus widerlegen wollte,10 so löste das bei vielen einfach nur Kopfschütteln aus. Ich hatte ohnehin häufig das Gefühl, dass die Radikalität und die Geschwindigkeit des Vorgehens der Initiative eine wissenschaftlich fundierte und kritische Auseinandersetzung völlig unmöglich machte. Bei allen Veranstaltungen, auf denen ich die Initiative erlebte, wurde permanent versucht, die Basis für eine ausgewogene Fürund Wider-Stellungnahmen zu unterlaufen. So gab es während der Sommer-Vollversammlung erneut einen verkleideten „Arndt“, der kritische Zitate per Megaphon vorlas, wodurch bewusst Einfluss auf die anwesenden Personen genommen wurde. Kurz vor Beginn der Veranstaltung im Debattierclub wurden massiv Anti-Arndt-Flyer verteilt und auch vor der wissenschaftlichen Anhörung in der Aula wurden die Eingangstüren mit Sprüchen gegen Arndt plakatiert. Dieses häufig aufdringlich und überrollend wirkende Auftreten der Initiative „Uni-ohne-Arndt“ machte sie im Laufe des Jahres zu einem steten Ziel deutlicher Kritik. c) Das Medium Internet. Das Medium Internet stellte im Verlauf der Arndt-Debatte eine nicht zu vernachlässigende Plattform als Austragungsort der Diskussion dar. Allerdings zeigte es auch hier wieder sein Janusgesicht. Auf der einen Seite kam es seiner Rolle als Nachschlage- und Informationsmedium nach. Wer Teile der Arndt-Diskussion – da diese im Verlauf auf zahlreiche Nebenschauplätze abdriftete – nicht immer persönlich mitverfolgen konnte, erhielt die Chance, dies auf den Seiten der Initiative „Uni-ohne-Arndt“11, „Pro-EMAU“12 und dem „Webmoritz“13 ausgiebig nachzuholen. Daneben bestand die Möglichkeit, seine Meinung in kürzester Zeit frei und unzensiert kund zu tun. Auf der anderen Seite vergisst das Internet so gut wie nichts. Jede einzelne 9 Holger Knaak: Arndt-Diskussion Uni-Greifswald (private E-Mail an den Autor vom 10.03.2010). 10 Siehe dazu: Audiomitschnitt „Diskussion zum ersten bzw. zweiten Panel“ während der Wissenschaftlichen Anhörung zum Namen der Universität Greifswald, http://www.uni-greifswald. de/organisieren/leitung/senat/wissenschaftliche-anhoerung-arndt.html [Stand: 11.02.2011]. 11 http://www.uni-ohne-arndt.de/ [Stand: 11.02.2011]. 12 http://www.pro-emau.de/ [Stand: 11.02.2011]. „EMAU“ steht für Ernst-Moritz-Arndt-Universität. 13 http://www.webmoritz.de/ [Stand: 11.02.2011].

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Person, die sich im Laufe der Debatte geäußert hat, findet sich auf irgendeine Art und Weise im Internet wieder und das auf Jahrzehnte. Gerade dieser Umstand wird dazu geführt haben, dass sich nicht jeder zum Für und Wider Arndts öffentlich äußern wollte. Darüber hinaus, und das nehme ich nicht nur aus dieser Debatte mit, zerstört das Internet in großem Maße jede Diskussionskultur, denn hier kann aus der Anonymität bzw. unter einem Pseudonym/Nickname heraus fast ungestraft ausgeteilt werden. Welche Anschuldigungen, Beleidigungen und Hasstiraden ich in den letzten Monaten gegen Streiter beider Seiten lesen musste – diese reichten von übelsten Beschimpfungen über Androhungen gegen Leib und Leben bis hin zu imaginären Schlägen mit der sog. „Nazikeule“ – hat mich fast am gesunden Menschenverstand von Studierenden zweifeln lassen. Zu guter Letzt bleibt das Internet auch ein manipulatives Medium. Was meine ich damit: Nehmen wir das Beispiel der Stellungnahme von Prof. Klüter zur Senatsentscheidung. Im Originalwortlaut der zunächst auf der Seite der Initiative „Uni-ohne-Arndt“ veröffentlichten Schrift hieß es: „Dabei gab es nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Region genügend Stimmen, die mahnten, Arndt im unzensierten Original zu lesen, bevor man seine Meinung über ihn äußere. Auch hier brillierten die Protagonisten Arndts mit Feigheit: Weder die Universität noch die ErnstMoritz-Arndt-Gesellschaft wagten es, Arndts Texte ins Internet zu stellen.“ Später wurde diese sachlich falsche Passage14 entfernt und mit dem kommentierenden Hinweis „Dieser Artikel wurde am 23. März geringfügig überarbeitet“ durch den Wortlaut ersetzt: „Innerhalb und außerhalb der Region gab es genügend Stimmen, die mahnten, nicht nur die Zeitung, sondern lieber Arndt im unzensierten Original zu lesen, bevor man eine Meinung über ihn äußert. Allerdings wurde die Auswahl des zur Verfügung gestellten Materials regionalen Akteuren drastisch beschränkt: Weder die Universität noch die Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft, noch die Ostsee-Zeitung wagten es, Arndts Vermächtnis, seine nach 1840 erschienenen großen Monographien, ins Internet zu stellen oder die programmatischen Sätze daraus zu drucken.“15 Das diffamierende Original ist verschwunden und nur noch einzusehen, wenn man dieses rechtzeitig gesichert hat. Dies ist nur ein Beispiel für die manipulative Instrumentalisierung des Internets während der Arndt-Debatte. Zahlreiche weitere Beispiele ließen sich aufzeigen.16 d) Keine klaren Spielräume. Die Kämpfe um die Deutungshoheit über das Nachwirken Arndts wurden so emotional gefochten, dass keine klaren Spielräume zu erkennen waren. Schlimmer noch: Hier kam eine Debattenkultur zum Ausdruck, die sich elementarer Grundlagen entzog. So kritisierte z. B. ein Student während der Diskussion im Debattierclub, die Initiative „Uni-ohne-Arndt“ wäre professorenhörig, da sie sich kaum eigene Gedanken machen und permanent die Meinungen von Wissenschaftlern wiederkäuen. Diesem im Kern schon widersprüchlichen Argument wurde durch die 14 Zur Internetpräsenz der Werke Arndts siehe Fußnote 4. 15 http://www.uni-ohne-arndt.de/2010/03/kommentar-zur-entscheidung-von-prof-kluter/ [Stand: 11.02.2011]. 16 Der Autor hat während der Debatte eine Sammlung aus gedrucktem Material und Beiträgen aus dem Internet (Blogeinträge, Diskussionseinträge, Onlineartikel, Audiomittschnitte usw.) zusammengetragen, mit deren Hilfe sich große Bereiche der Arndt-Diskussion rekonstruieren aber auch Manipulationen aufzeigen lassen.

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Initiative „Uni-ohne-Arndt“ zu Recht damit begegnet, dass es doch um eine wissenschaftliche Diskussion ginge und aus diesem Grund müssten so viele Wissenschaftler wie möglich Gehör finden. Daher basiere ihre Arbeit auf so vielen „wissenschaftlichen“ Zitaten.17 So weit, so gut. Als aber im Gegenzug dann mein Kommilitone Benjamin Müsegades u. a. eine Textstelle von Hannah Arendt ins Feld führt, in der sie Arndt davon freisprach, für die deutsche Rassenideologie verantwortlich zu sein, wurde darauf erwidert: „Wir haben gehört, der Text wurde (wohl?) 1957 veröffentlicht. Ist der Forschungsstand von 2003 eventuell neuer? (...) Aber selbst, wenn all das zuträfe: Auch eine Hannah Ahrendt kann sich irren.“18 Es war nachgerade so, als legte die Initiative „Uni-ohne-Arndt“ die Bedingungen für die Verwertbarkeit Arndt entlastender Äußerungen fest! Gültige Spielregeln eines wissenschaftlichen Diskurses wurden damit faktisch außer Kraft gesetzt. Dann hieß es plötzlich, das Anliegen der Initiative zur Namensablehnung sei nicht vordergründig eine wissenschaftliche, sondern in erster Linie eine politisch-moralische Frage.19 Das hätte aber einen signifikanten Wechsel der Argumentationsebenen zur Folge haben müssen. Man bekam daher leicht das Gefühl, dass die gesamte Debatte mit zunehmender Länge immer undurchschaubarer wurde. Die wissenschaftliche Anhörung am 11. Dezember 2009 wirkte daher für viele Studierende wie ein rettendes Leuchtfeuer. Nicht nur, dass die Debattenkultur auf einem enorm hohen sachlichen Level verlief und die aufgeheizten Emotionen weitestgehend abgekühlt wurden, für viele war es eine echte Alternative, sich über das Für und Wider von Ernst Moritz Arndt objektiv zu informieren.20 Dass an diesem Tag zahlreiche Studierende das Wort ergriffen, um Ihre Meinung öffentlich und nicht versteckt für oder gegen Ernst Moritz Arndt kund zu tun, empfand ich persönlich als sehr positiv und wohltuend.

3. Was bleibt? Um die Diskussion um bzw. über Ernst Moritz Arndt aus Sicht der Studierenden verstehen zu wollen, muss folgendes festgehalten werden. Einfach ausgedrückt: Es gab eine Gruppe, die sich für die Namensablegung einsetzte. Ihr gegenüber stand eine Gruppe, die den Namen erhalten wollte. Innerhalb dieser beiden Gruppen werden wir allerdings zahlreiche Differenzierungen vornehmen müssen, um das gesamte Spektrum 17 http://www.uni-ohne-arndt.de/2009/12/debattierclub-antworten-auf-freie-redner/ [Stand: 11.02.2011]. 18 Ebda. 19 Infozeitung zur Urabstimmung. Informationen gegen Arndt als Namenspatron, S. 2. 20 Die Wortbeiträge der wissenschaftlichen Anhörung vom 11. Dezember 2010 können als Audiomittschnitte und Textdokumente über die Homepage der Ernst-Moritz-Arndt-Univeristät Greifswald abgerufen werden. Siehe dazu: http://www.uni-greifswald.de/organisieren/ leitung/senat/wissenschaftliche-anhoerung-arndt.html [Stand: 11.02.2011]. Darüber hinaus werden die Audiomittschnitte der öffentlichen Anhörung und die Berichte der Senatskommisson zur Verfügung gestellt. Siehe dazu: http://www.uni-greifswald.de/organisieren/leitung/senat/oeffentliche-anhoerung-arndt.html [Stand: 11.02.2011]; http://www.uni-greifswald.de/organisieren/leitung/senat/bericht-namenskommission.html [Stand: 11.02.2011].

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der studentischen Beteiligung erfassen zu können, denn es darf dabei nicht vergessen werden, dass jeder einzelne Studierende an der Greifswalder Universität eine ganz persönliche Beziehung, Wahrnehmung und Position zur Debatte um Ernst Moritz Arndt eingenommen hat. Kaum jemand, der für den Erhalt des Universitätsnamen plädierte, tat dies, um Arndt unreflektiert zu verteidigen, und nicht jeder, der Arndt als Patron ablehnte, wollte ihn schlicht und ergreifend entsorgen. Arndt-Kritiker ist somit nicht gleich Arndt-Kritiker und Arndt-Befürworter nicht gleich Arndt-Befürworter. Was nicht vergessen werden darf: Es gab eine große Anzahl an Studierenden, die sich überhaupt nicht für die gesamte Debatte interessierten und denen es wahrscheinlich – ich drücke es vorsichtig aus – vollkommen egal war. Wer sich intensiver mit Ernst Moritz Arndt auseinandersetzt, kann nicht übersehen, dass Arndts Entgleisungen gefährliche und maßlose Formen annahmen. Das alleine darf aber nicht der Grund sein, eine historische Person aus dem kulturellen Gedächtnis einer Gesellschaft unreflektiert verbannen zu wollen. Vielmehr bieten ambivalente Erscheinungen und die Diskussion über sie die Möglichkeit, deutlich zu zeigen, wie wir mit unserem historischen Erbe differenziert und verantwortungsvoll umgehen. Wir dürfen deshalb nicht den Fehler begehen und glauben, dass mit dem Senatsbeschluss vom 17. März 2010, der sich für den Namenserhalt der Universität Greifswald ausgesprochen und ihn darüber hinaus demokratisch legitimiert hat, alles beendet ist. Wir – damit meine ich die gesamte Universität, also Studierende, Lehrende sowie alle anderen Angehörigen, die Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft und die Bürger und Bürgerinnen der Region – haben mit der Entscheidung für Arndt als Namenspatron die Verantwortung übernommen, uns seinem Vermächtnis noch deutlicher als bisher zu stellen. Dass dafür ein langer und schwerer Weg gegangen werden muss, haben gerade die auf unnötiger Schärfe basierenden negativen Reaktionen gegenüber dem Senatsbeschluss gezeigt, die einen vorherrschenden Mangel an dem so häufig beschworenen gelebten Stück Demokratie offenbarten. „Eine Institution der Wissenschaft und Bildung, wie die Greifswalder Universität, ist nämlich mit ihren inneruniversitären demokratischen Strukturen entweder autonom in ihren Entscheidungen, die strikt der Sache verpflichtet sind, oder sie kann ihre Pforte zusperren.“21

21 Vom Grundgedanken nach: Ulrich Gutmair, Das DHM zensiert sich selbst, in: TAZ vom 12.09.2009, S. 15. Einzusehen auch unter: http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=ku&dig=2009%2F11%2F12%2Fa0148&cHash=15975c0068 [Stand: 11.02.2011].

Personenregister A Ackerknecht, Erwin 114 Adalbert, Prinz von Preußen 123 D‘Alembert, Jean-Baptiste le Rond 64 Alexander I., Zar v. Russland 219, 291, 314f., 339 Ammon, Christoph Friedrich von 268 Anrich, Ernst 87 Arendt, Hannah 378 Aristoteles 15 Arminius („Hermann der Cherusker“) 301 Arndt, Fritz (jüngerer Bruder E.M. Arndts) 247, 286, 308, 326 Arndt, Heinrich bzw. Hinrich (Onkel E.M. Arndts) 261, 338 Arndt, Johann 121 Arndt, Ludwig Nikolaus (Arndts Vater) 182, 186, 202, 208, 216, 218, 224, 243, 247, 260, 262, 284–287, 305, 338 Arndt, Willibald (Sohn E.M. Arndts) 181, 209, 231, 268, 329, 353 Arnim , Bettina von 78, 105 Arnim, Achim von 78 Ascheraden, Freiherr Schultz von 262 B Baader, Franz 74f. Bachofen, Johann Jakob 111f., 114 Bader, Fritz 146, 148, 160, 198 Baeumler, Alfred 118 Barth, Karl 135 Baudeau, Nicolas 62 Becher, Johannes R. 127 Befroy de Reigny, Louis-Abel 63 Belderbusch, Karl Leopold Graf von 238 Bentham, Jeremy 60 Berling, Georg Julius 157f., 361f. Berndt, Friedrich August 122f. Bernoulli, Christoph 112 Bethmann-Hollweg, Moritz August von 234, 238 Biedermann, Karl 166, 195, 217 Bismarck, Otto von 124f. Blättner, Fritz 16 Bleek, Friedrich 238

Blome, Hermann 108–110 Blücher von Wahlstatt, Gebhard Leberecht 146, 172, 188, 195, 219, 225f., 229, 255, 264, 291, 295, 328, 339, 341, 349–351 Blum, Robert 126, 145 Böckmann, Paul 101 Bode, Rudolf 114 Boeckh, August 210 Boehlendorff, Ullrich 79 Bogislaw XIV. 122 Böhme, Jakob 90, 114 Bonhoeffer, Dietrich 124, 130, 134f. Börne, Karl Ludwig 125 Boyen, Hermann von 265, 339, 349 Breidenstein, Heinrich Karl 201 Brentano, Clemens 78, 105, 130 Bruckmann, Elsa 114 Bruckmann, Hugo 114 Brunotte, Heinz 132 Bugenhagen, Johannes 122 Bunsen, Christian Carl Josias von 127, 131, 156, 174 Bunsen, Georg von 181 Bürger, Gottfried August 286, 317 Burke, Edmund 61, 97, 99 Busch, Wilhelm 130 Bussenius, Arthur 145 C Cabanis, Pierre-Jean-Georges 62 Carus, Carl Gustav 111f., 114 Cassirer, Ernst 59f. Chamisso, Adalbert 75 Chasot, Ludwig Adolf, Graf von 264f. Chateaubriand, François-René 61, 64 Claudius, Matthias 286, 338 Claudius, Hermann 140 Clausewitz, Carl von 265, 339f. Cobden, Richard 193 Coellen, Ludwig 98 Condillac, Etienne Bonnot de 62 Condorcet, Marie Jean Antoine Nicolas Caritat, Marquis de 62 Cook, James 246 Cotta, Johannes 125f.

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Personenregister

D Dahlmann, Luise 181 Dankwardt, Gottfried 261, 285, 338 Daumer, Georg Friedrich 111f. Dessoir, Max 111 Deubel, Werner 111–114, 119f. Deussen, Julius 114 Deutz, Ruppert von 114 Diderot, Denis 64 Diederichs, Eugen 98f., 102, 112 Diesterweg, Adolf 28 Dilthey, Wilhelm 101, 153 Döhmann, Heinrich 113 Dohna zu Schlobitten, Friedrich Ferdinand Alexander Graf 340 Dörnberg, Wilhelm Kaspar Ferdinand Freiherr von (265), 339, 349 E Ehrensvärd, Carl August 10, 41–47, 49–58 Eichendorff, Joseph von 78, 104–106 Engels, Friedrich 64, 136 Ennen, Edith 158 Esser, Wilhelm 268 F Fahrner, Rudolf 77, 133f. Fallersleben, Hoffmann von 127 Fichte, Johann Gottlieb 16, 18, 27, 61f., 67–68, 70, 76, 79, 117f., 129f., 140, 176, 186, 202, 225, 261, 264, 287, 310, 313 Fischer, Hermann 135 Fischer, Wilhelm 157, 360f. Flaccus, Horatius 246 Flex, Walther 132 Fouqué, Friedrich de la Motte 75 Franz I., Kaiser 123 Freiligrath, Ferdinand 154, 220 Friedrich August, Kg. von Sachsen 189 Friedrich I. Barbarossa 129 Friedrich I., Kg. v. Schweden 122 Friedrich II. (Kg. V. Preußen) 39, 90, 124f., 219, 227, 258, 301, 309, 311, 319 Friedrich Wilhelm III. 122f., 188–190, 218f., 225, 244, 266–268, 297, 302 Friedrich Wilhelm IV. 122f., 126, 175f., 185, 191, 205, 220, 226f., 245, 268f., 299f., 330, 341 Friedrich, Caspar David 66

Friesen, Friedrich 106 Frucht, Hans 114 G Gagern, Heinrich von 126, 175f., 192, 205, 221, 269, 331, 341 Gau, Friedrich 157, 359 Gellert, Christian Fürchtegott 285, 345 Gentz, Friedrich von 97, 106 George, Stefan 77, 108, 110, 133 Gerhardt, Paul 130, 133, 355 Gerstenmaier, Eugen 124, 134 Geß, Ernst 134 Gieseler, Johann Carl Ludwig 238 Gjörwell, Carl Christoffer 35 Gneisenau, August Wilhelm Anton Graf Neidhardt von 107, 188, 225, 229, 238, 255, 264, 291, 319, 349 Göchhausen, Ernst August von 97 Goebbels, Joseph 128 Goethe, Johann Wolfgang von 21, 43, 67, 74, 80, 94, 112, 114, 130, 196, 252, 266, 274, 302, 317f., 340, 355 Gollwitzer, Helmut 135f. Göring, Hermann 129, 373–375 Görres, Josef von 105f., 220 Grieben, Hermann 152, 154, 160, 186, 223, 243, 259f., 284 Gries, Johann Friedrich 79 Griesbach, Johann Jakob 79, 287 Grimm, Jakob 106, 210 Grimm, Wilhelm 106, 210 Gröben, Carl Graf von der 332 Grolmann, Karl von 349 Gründel, Ernst Günther 132f. Gruner, Justus Karl von 264, 291, 315 Gülzow, Erich 102 Gundolf, Friedrich 22, 133 Gustav II. Adolf 311 Gustav IV. Adolf 183, 188, 216, 219, 225, 244, 263, 288–290 H Hacks, Peter 83 Haller, Albrecht von 31f. Hamann, Johann Georg 43 Hammerich, Johann Friedrich 73 Hardenberg, Friedrich von Novalis

Personenregister

383

Hardenberg, Karl August, Fürst von 125, 190, 218, 226, 267, 295–298, 302, 323, 325, 327, 340 Haym, Rudolf 153f., 304 Heckel, Theodor 134 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 83f., 140, 302, 310 Heinrich der Löwe 129 Helvétius, Claude Adrien 62 Hengstenberg, Ernst Wilhelm 156, 274 Henneberger, August 146, 152f., 156, 337 Herbart, Johann Friedrich 79 Herder, Johann Gottfried 18f., 41, 43, 59f., 65, 68 Herwegh, Georg 154, 191 Herz, Henriette 83 Heß, Rudolf 129 Hick, Georg 148, 157, 358 Hildebrandt, Kurt 108 Himmler, Heinrich 128 Hingst, Carl 160 Hirsch, Emanuel 141 Hitler, Adolf 124, 128–130, 132–134, 137, 140f. Hitzig, Julius Eduard 75 Hobbes, Thomas 92 Hoffmann, E. T. A. 78, 105 Hölderlin, Friedrich 140 D‘Holbach, Paul Henri Thiry 60, 62 Horaz 181–183, 286 Huch, Ricarda 98, 100f., 124f. Hülsen, August Ludwig 79 Humboldt, Alexander von 196, 207, 210 Humboldt, Wilhelm von 18, 27, 65 Hume, David 91 Hutcheson, Francis 70 Huth, Otto 114, 116f.

Johann von Sachsen 177 Joseph II. 39, 90, 309

I Ibel, Rudolf 112, 114

L Laag, Heinrich 116 Labes, Eugen 337, 339, 341 Lampe, Jorg 113 Langenbucher, Helmuth 103 Lavater, Johann Kaspar 90 Leibniz, Gottfried Wilhelm 18f., 120 Leist, Justus Christoph 268 Lessing, Gotthold Ephraim 131, 286, 338 Lethen, Helmut 113

J Jabbusch, Sebastian 373, 376 Jahn, Friedrich Ludwig 106f., 130, 138, 153, 176, 184, 341 Jahn, Gerta 106 Jansen, Cornelius 90 Joachimi, Marie 98

K Kallinus 318 Kampmann, Nils 114 Kamptz, Karl Albert von 220, 267, 298, 325 Kant, Immanuel 18, 34, 60, 62f., 66, 68, 70, 79f., 84f., 90, 109, 118, 339 Karl der Große 126 Karl XIV. Johann (Bernadotte) 188, 244, 263, 290, 339 Keller, Gottfried 130 Keppler, Johannes 246 Kern, Erwin 135 Kern, Hans 102, 111–118, 120, 133 Kierkegaard, Sören 98 Kinkel, Gottfried 126, 332 Klages, Ludwig 77, 110–120, 133 Kleist, Heinrich von 19 Klopstock, Friedrich Gottlieb 317, 348f. Kluckhohn, Paul 77, 104f. Klugen, Alexander von 98 Koch, Franz 106 Kohut, Heinz 19 Kolumbus, Christoph 246 Köppe, Ludwig 152f., 180, 186, 284 Koreff, Johann Ferdinand 75 Korff, August 103 Körner, Christian Gottfried 266, 340 Körner, Josef 104 Körner, Theodor 106, 174, 255, 319 Kosegarten, Ludwig Gotthard 79f., 186, 225, 243, 261, 264, 285, 307, 317 Kotzebue, August von 190, 245, 267, 297, 325 Krenz, Egon 127 Kutusow, Michail Illarionowitsch 255, 265

384

Personenregister

Liebknecht, Karl 137 Lilje, Hanns 133 Linden, Walther 103 Lücke, Friedrich 238f. Ludwig XIV. 285 Ludwig XVIII. 296 Luther, Martin 17f., 103, 118, 129f., 132, 156, 208, 228, 232f., 240, 246, 248–250, 253, 257, 281, 301, 313f., 316, 344 Lützow, Adolf 265, 339 Luxemburg, Rosa 137 M Mably, Gabriel Bonnot de 62 Manteuffel, Otto Freiherr von 341 Maret, Hugues Bernard 95 Marx, Karl 136 Mehring, Franz 137 Mendelssohn, Georg Benjamin 131 Mendelssohn, Moses 131 Mercier de la Rivière, Pierre Paul 61f. Merkel, Garlieb Helvig 85 Meßner, Hermann 155f., 245 Metternich, Klemens Wenzel Lothar von 204, 220, 298 Mevius, David 122 Meyfart, Johann Matthäus 355 Mirabeau, Honoré Gabriel Victor de Riqueti, Marquis de 62 Mittermaier, Carl Joseph Anton 268 Mommsen, Theodor 123, 147 Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de la Brède et de 41, 90f. Moreau, Jean Victor 255 Morelly, Ètienne-Gabriel 62 Mörike, Eduard 106 Mühlfeld, Julius Rösler, Robert Muhrbeck, Friedrich Albert 45 Muhrbeck, Johann Christoph 79, 338 Müller, Adam 106, 324 Müller, Andreas 104 Müller, Gottlob 338 Müller, Johannes 310, 320 Müller, Wolfgang 157, 363f. Müsegades, Benjamin 378 Mutschmann, Martin 117

N Napoléon I. Bonaparte 39, 68, 74, 76, 83, 86, 91, 95, 141, 174, 176, 183f., 187f., 203, 206, 209, 216–221, 225, 244, 253, 255, 258, 262–266, 288–291, 294, 296, 308, 311, 313–316, 321, 324, 326, 329, 363 Napoléon III. Bonaparte 155, 217, 221 Nemours, Pierre Dupont 62 Neumann, William 145 Neumark, Georg 355 Newton, Isaac 62, 120 Ney, Michel 351 Niebuhr, Barthold Georg 149, 200 Niemöller, Martin 133, 135 Nietzsche, Friedrich 23, 27, 98, 114, 130 Ninck, Martin 114 Nitzsch, Karl Immanuel 238f., 258 Novalis 78, 83, 93f., 96, 99, 105, 353, 355 O Oelbermann, Hugo 157, 211 Okens, Lorenz 109 P Paul, Jean 352 Paulus Heinrich Eberhard Gottlob 202, 258, 287 Perthes, Clemens 147 Pestalozzi, Johann Heinrich 18, 23 Petersen, Carl 102 Petersen, Julius 101, 105f. Petsch, Robert 111 Pfeffer, Carl Alexander 114 Plaßmann, Josef Otto 117 Platon 18, 27, 82, 84 Plischke, Hans 108 Pommer-Esche, Adolf von 149, 199f. Prinzhorn, Hans 112 Pufendorf, Samuel 285 Q Quesnay, François 70 Quistorp, Johann 187, 202, 208, 261, 264, 287 Quistorp, Marie Charlotte (Arndts erste Ehefrau) 187, 202, 208, 261, 287, 339

Personenregister R Raabe, Wilhelm 130 Rathenau Walther 135 Rautenberg, Karsta 374 Reichardt, Gustav 125f. Reimer, Georg Andreas 73, 264, 290, 297, 327 Reimer, Georg Ernst 153 Reinhold, Karl Leonhard 287 Rendtorff, Heinrich 133 Rentsch, Otto 359 Richter, Johann Paul Friedrich Paul, Jean Riese, F. Chr. v. 170 Ring, Max 151, 259 Ritter, Carl 210 Ritterbusch, Paul 77 Ritterhaus, Emil 157 Roederer, Pierre-Louis 62 Rosenberg, Alfred 103, 115, 118–120, 129 Rosenfeld, Hans 113 Rösler, Robert (Pseudonym: Julius Mühlfeld) 157, 206, 361 Rostoptschin, Fjodor Wassiljewitsch 265 Rothacker, Erich 97, 104 Rousseau, Jean-Jacques 15–18, 22, 24, 38, 60–66, 68–70, 80, 86, 90–92, 119, 306 Rubenow, Heinrich 122f., 192 Rückert, Friedrich 210, 255 Ruge, Arnold 333 Runge, Philipp Otto 66 Ruth, Paul Hermann 102 S Sachsen, Gottschalk von 114 Sack, Karl Heinrich 238f. Saige, Joseph 62 Sankt Emmeran, Otloh von 114 Saury, Jean Abbé 62 Savigny, Friedrich Carl von 96 Scharnhorst, Gerhard Johann David von 172, 188f., 195, 225, 246, 255, 264, 266, 271, 291, 295, 319, 328, 339f., 349 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 27, 80, 107, 109 Schenk v. Stauffenberg, Berthold Graf 77, 133 Schenk v. Stauffenberg, Claus Graf 77, 133

385

Schenkendorf, Maximilian von 106, 174, 255f., 295, 319, 340, 349 Schildener, Carl 42f. Schill, Ferdinand von 229, 255, 266, 295, 314, 319, 349 Schiller, Friedrich von 61, 67, 70, 73f., 79, 147, 160, 196, 211, 304, 318, 343, 346, 349 Schlegel, August Wilhelm von 61, 64, 66f., 70, 78, 74–76, 80, 83, 324 Schlegel, Friedrich von 61, 76, 78, 80, 83, 93, 105f., 257, 324 Schlehwein 325 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 15, 17, 21, 27, 30, 83, 124, 190, 204, 209, 226, 237, 244, 264, 267, 297, 310, 323 Schleiermacher, Nanna Maria (Arndts zweite Ehefrau) 193f., 204, 209, 226, 242, 244, 267f., 297, 323, 340 Schlosser, Johann Georg 84 Schmalz, Theodor Anton Heinrich 267 Schmidt, Julian 301f., 342 Schmitt, Carl 109f. Schnabel, Franz 124f. Schöppe, Wilhelm 113 Schreiner, Helmut 116, 134 Schröder, Hans Eggert 111f., 114f., 119f. Schücking, Walther 125 Schuler, Alfred 111 Schumacher, Dorothea (Arndts Mutter) 186, 190, 202, 224, 243, 247, 260f., 267, 284f., 290, 305, 338 Schütz, Christian Gottfried 202, 287 Schwartz, Albert Georg 123 Scurla, Herbert 77, 120 Seesemann, Kurt 113f. Sell, Carl 146, 202 Seydlitz-Kurzbach, Walther von 137f. Seyß-Inquart, Arthur 128 Shakespeare, William 285, 338 Siegel, Karl 157 Sieyès, Joseph 61 Simon, Heinrich 131 Simson, Eduard von 131 Soiron, Alexander von 269, 341 Speer, Albert 129 Spitz, René 19 Staël, Germaine de 61, 63, 70 Stapel, Wilhelm 134f.

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Personenregister

Stauffenberg Schenk v. Stauffenberg Steffens, Henrik 105, 109, 324 Stein, Karl Freiherr vom und zum 16, 82, 107, 147, 155, 160, 172, 174, 176, 184, 188f., 192f., 195–197, 203–205, 209, 219, 225, 227, 232, 244, 246f., 255, 258, 265f., 291f., 294f., 302, 304, 314–317, 319f., 325, 328f., 339f., 342, 349, 352 Stifter, Adalbert 130 Stolberg, Friedrich Leopold, Graf zu 84, 317, 338 Sturz, Helferich Peter 125 Swedenborg, Emanuel 34, 90 T Tacitus 46, 94 Talleyrand, Charles-Maurice de 95 Thiers, Adolphe 33, 353 Thorild, Thomas 10, 18, 31–42, 46f. Tieck, Ludwig 78, 82, 348 Tilly, Johann t’Serclaes, Graf von 221 Torquemada, Tomás de 325 Tracy, Destutt de 60, 62 Treitschke, Heinrich von 59, 124f. Troeltsch, Ernst 99 Tucholsky, Kurt 125 Tyrtäus 318 U Uhland, Ludwig 274 Ulrich , Johann August Heinrich 287 Unger, Rudolf 104 V Varnhagen, Rahel 83 Varnhagen von Ense, Karl 75, 329 Veit, Dorothea 83 Venedey, Jakob 205, 220, 260, 341 Vilmar, August Friedrich Christian 174

Volney, Constantin-François 62 Voß, Johann Heinrich 317 W Wackenroder, Wilhelm Heinrich 78, 82 Wagner, Richard 130 Walther, Friedrich 159, 168 Wartislaw IX. 122 Watson 120 Weinhandl, Ferdinand 119f. Welcker, Friedrich Gottlieb 176 Welcker, Karl Theodor 176, 204, 268 Werner, Zacharias 78 Wessels, Horst 374 Westphalen, Ferdinand von 341 Wichelhaus, Manfred 124 Wieland, Christoph Martin 345 Wiese, Benno von 104 Wiesmann, Johann Heinrich 150f., 170, 177 Wilhelm I. 122 Wirth, Herman 117 Wolff, Christian 79f. Wolters, Albrecht 144f., 148, 222 Wolters, Alfred 156 Wrede, Carl Philipp Fürst von 155, 192, 221, 245, 304 Wüst, Walther 117 X Xerxes 264 Y York von Wartenburg, Hans David Ludwig 188, 209, 225, 244, 264, 292 Z Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von 90

Veröffent­lichungen­ Band 41: Roderich Schmidt das histoRische pommeRn der­historischen­­ peRsonen – oRte – eReignisse Kommission­für­­ Hrsg. im Auftrag der Gesellschaft für Pommern Pommersche Geschichte, Altertumskunde und Reihe V: FoRschungen zuR pommeRschen geschichte heRausgegeben Von RodeRich schmidt.

Kunst e. V. 2. Auflage 2010. X, 741 S. 126 s/w-Abb. Gb. mit SU. ISBN 978-3-412-20436-5

Band 42: Eine Auswahl.

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