Erinnern und Gedenken im Umgang mit dem Holocaust. Entwurf einer historischen Gedächtnistheorie [1. ed.] 9783837642254, 9783839442258

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Erinnern und Gedenken im Umgang mit dem Holocaust. Entwurf einer historischen Gedächtnistheorie [1. ed.]
 9783837642254, 9783839442258

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Juliane Reil Erinnern und Gedenken im Umgang mit dem Holocaust

Edition Kulturwissenschaft | Band 168

Juliane Reil, geb. 1980, studierte Philosophie, Geschichte und Literaturwissenschaft an der Universität Hamburg, wo sie 2016 promovierte. Als Kulturjournalistin und Autorin arbeitet sie für Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur.

Juliane Reil

Erinnern und Gedenken im Umgang mit dem Holocaust Entwurf einer historischen Gedächtnistheorie

© 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4225-4 PDF-ISBN 978-3-8394-4225-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt E INLEITUNG | 7 1. Ü BERBLICK ÜBER DEN THEORETISCHEN D ISKURS ZUR E NTSTEHUNG UND Ü BERLIEFERUNG VON E RINNERUNG | 25 1.1 Das kollektive Gedächtnis nach Maurice Halbwachs | 26 1.2 Das kulturelle Gedächtnis nach Jan Assmann | 28 1.3 Das kollektive Gedächtnis am Beispiel des kommunalen Gedächtnisses | 33 1.4 Medien des kulturellen Gedächtnisses | 34 1.5 Die Gedächtnisorte nach Pierre Nora | 36 1.6 Das kommunikative Gedächtnis am Beispiel des Familiengedächtnisses | 41 1.7 Narrativität von Erinnerungen | 43 1.8 Der Gedächtnisbegriff in seiner neurophysiologischen Bedeutung | 45 1.9 Grundzüge einer historischen Memorik nach Johannes Fried | 49 1.10 Zwischenfazit I: Vergleich der Theorien von Assmann, Nora und Fried | 52

2. P RAKTISCHE A USEINANDERSETZUNG DER E RINNERUNG | 57

MIT DEM

2.1 Beispiel I: Die Stolpersteine in Hamburg | 57

2.1.1 Vorgeschichte und Idee zu den Stolpersteinen | 58 2.1.2 Herstellung und Konzept der Stolpersteine | 63 2.1.3 Die Umsetzung des Stolpersteinprojekts in Hamburg | 70 2.1.4 Recherche zu den Stolpersteinen | 75 2.1.5 Preise und Auszeichnungen für die Stolpersteine | 79 2.1.6 Kritik an den Stolpersteinen | 85 2.1.7 Die Stolpersteine in den Medien | 91 2.1.8 Historische Fachdidaktik und Stolpersteine | 102

2.2 Beispiel II: Die Ausstellung „In den Tod geschickt. Die Deportationen von Juden, Roma und Sinti aus Hamburg 1940 bis 1945“ | 104

B EGRIFF

2.3 Zwischenfazit II: Anwendung der Theorien von Assmann, Nora und Fried auf die Stolpersteine und die Ausstellung | 118

3. E XKURS : Ü BERBLICK ÜBER DIE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE A USEINANDERSETZUNG MIT DER NS-V ERGANGENHEIT IM GETEILTEN UND WIEDERVEREINTEN D EUTSCHLAND | 131 4. W IE SPRECHEN WIR ÜBER DEN H OLOCAUST : D ER D ISKURS UND DAS S YSTEM | 147 4.1 Wie sprechen wir über den Holocaust: Der Diskurs | 147 4.2 Exkurs: Über Systeme (systemtheoretischer Ansatz) | 160 4.3 Anwendung von Begriffen aus der Systemtheorie auf den Diskurs zum Umgang mit dem Holocaust | 169 4.4 Das Problem mit analogen Codes | 172 4.5 Wie sprechen wir über den Holocaust: Das System | 177

5. R ESÜMEE | 187 L ITERATUR

| 207

Veröffentlichte Quellen | 207 Unveröffentlichte Quellen | 222 Abbildungen | 233

Einleitung „Jede Erinnerung bezieht sich nicht nur auf das Ereignis, die Person oder den Gegenstand, an den man sich erinnert, sondern auch auf die Person, die sich erinnert. Das eigentliche Wesen des Gedächtnisses ist etwas Subjektives, nicht mechanische Wiedergabe; und das Entscheidende bei dieser subjektiven Psychologie ist, dass jedes erinnerte Bild von einer Person, einem Ort, einer Idee oder einem Gegenstand zwangsläufig – explizit oder implizit – eine Verbindung zu der Person enthält, die sich erinnert.“ ISRAEL R OSENFIELD1 „Erinnerungen sind von Natur aus strittig und parteiisch: Wozu sich einer bekennt, ist dem anderen entfallen. Das Gedächtnis ist ein schlechter Führer in die Vergangenheit.“ TONY J UDT2

Eine Überlebende des Holocausts erinnert sich im Alter von fast 70 Jahren in einem Interview, das als Video aufgezeichnet wurde, an einen bewaffneten Aufstand jüdischer Gefangener in Auschwitz, den sie 1944 dort selbst miterlebt hatte: „All of a sudden we saw four chimneys going up in flames, exploding. The flames shot into the sky, people were running. It was unbelievable.“3 Die Historiker, denen die Videoaufnahme des Interviews später gezeigt wurde, erklärten die Aussage der Augenzeugin für vollkommen wertlos, da es historisch gesichert sei, dass in Wirklichkeit nur einer der insgesamt vier Schornsteine des Krematorium während des besagten Aufruhrs zerstört worden sei.4 Zudem sei der Bericht irreführend und damit gefährlich für die Erforschung des tatsächlichen historischen Sachverhalts,

1 | Rosenfield, Israel: Das Fremde, das Vertraute und das Vergessene. Anatomie des Bewußtseins, aus dem Amerikanischen von S. Vogel, Frankfurt a. M. 1992, S. 54. 2 | Judt, Tony: Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart, aus dem Englischen von M.Fienbork u. H. Kober, München 2006, S. 964. 3 | Felman, Shoshana/Laub, Dori: Testimony. Crisis of Witnessing in Literature, Psychoanalysis and History, New York 1992, S. 59. Der amerikanische Historiker James E. Young greift das Interview und die Reaktionen der Historiker darauf in seinem Beitrag zur „Wiedereinführung der Stimme der Erinnerung in die historische Forschung“ auf. Siehe Young, James E.: Zwischen Geschichte und Erinnerung. Über die Wiedereinführung der Stimme der Erinnerung in die historische Erzählung, in: Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung, Hamburg 2001, S. 41-62, S. 56f. 4 | Ebd., S. 59.

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Erinnern und Gedenken im Umgang mit dem Holocaust

da die Zeugin dem Aufstand in ihrer Schilderung der Ereignisse eine Bedeutung beimesse, die ihm aus historischer Sicht nicht zustünde: Der Aufstand wurde niedergeschlagen und hatte keinen Einfluss auf den weiteren Kriegsverlauf.5 Am Beispiel dieses Falls wird der Gegensatz deutlich, der zwischen subjektiver Wahrnehmung und den Fakten eines Ereignisses bestehen kann. Worauf lässt sich diese Dichotomie zurückführen? Nach der kritischen Überprüfung der einzelnen Indizien müssen diese sich in ein kohärentes6 Gesamtbild des Geschehens, wie es sich zugetragen haben könnte, einfügen lassen. Vor diesem Hintergrund scheint sich der Bericht der Augenzeugin, nicht mit der Vorstellung zu decken, die die Historiker nach eingehender Untersuchung von diesem Ereignis gewonnen haben. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Kriterien die Historiker anwenden, wenn sie das Erinnerungsprotokoll der Augenzeugin als falsch zurückweisen. Nur einmal angenommen, es hätte beispielsweise andere Berichte von Augenzeugen gegeben, die darin übereinstimmen, dass während der Revolte nur ein Schornstein explodiert ist, so hätte dies die Aussage der Zeugin, der zufolge vier Türme zerstört worden sind, in ihrer Glaubwürdigkeit geschwächt und sie hinterfragungswürdig erscheinen lassen. Trotzdem wären die Beobachtungen der anderen Zeugen kein zwingender Beweis dafür, dass sich die Frau geirrt hat, da auch diese sich in ihrer Wahrnehmung des Geschehens getäuscht haben könnten. Denkbar wäre auch, dass die Historiker ihren Befund z.B. auf eine Photoaufnahme stützen, die von dem Krematorium nach dem Aufstand gemacht wurde. Eine solche Photographie könnte den Bericht der Zeugin aber nur dann widerlegen, wenn ausgeschlossen wäre, dass die Aufnahme in irgendeiner Weise manipuliert – d.h. beispielsweise retuschiert oder falsch datiert wurde. In ähnlicher Weise müsste die Echtheit von Lagerbauplänen, Zeichnungen oder anderen Dokumenten überprüft werden. Damit soll nicht die Möglichkeit in Abrede gestellt werden, dass es Belege von eindeutiger Beweiskraft gibt, aber diese stehen den Historikern in den seltensten Fällen zur Verfügung. Oftmals besteht die Rekonstruktion eines Geschehens in der Sichtung und Überprüfung von Material, das der Interpretation bedarf. Zweitens hängt die Frage, wieviel Gewicht einem Ereignis in seiner Bedeutung zugeschrieben wird, vom Standpunkt der Betrachtung ab. Die Schilderung der Augenzeugin von den Ereignissen des Aufstands macht deutlich, dass es sich aus ihrer Sicht bei dem Aufruhr um einen Akt des Widerstands handelte, der außergewöhnlich war und den sie vielleicht bis zum damaligen Zeitpunkt für vollkommen unmöglich gehalten hatte. Aus der Retrospektive ergibt sich für die Historiker ein 5 | Ebd., S. 61. 6 | Der Begriff der Kohärenz meint an dieser Stelle eine Menge von logisch konsistenten Sätzen, zwischen denen möglichst viele, starke inferentielle Beziehungen bestehen. Siehe Definition systematischer Kohärenz bei Bartelborth, Thomas: Begründungsstrategien. Ein Weg durch die analytische Erkenntnistheorie, Berlin 1996, S. 193.

Einleitung

anderes Bild der Vergangenheit, in dem das Ereignis des Aufstands im Zuge der weiteren historischen Entwicklung keine besondere Relevanz hat. Vor diesem Hintergrund erscheint es fraglich, ob die Erinnerung der Holocaustüberlebenden tatsächlich so „wertlos“ und „irreführend“ ist, wie die Historiker es in diesem Fall konstatierten. In Anbetracht der Tatsache, dass größtenteils Erinnerungen als Vermittlungsträger geschichtlicher Fakten fungieren, und sie damit von unschätzbarem Wert für den Historiker und seine Arbeit sind, scheint die Auseinandersetzung mit Erinnerung nicht nur wichtig und lohnenswert, sondern eine praktische Notwendigkeit für die Geschichtswissenschaft darzustellen: Welche Mechanismen liegen der Erinnerung zugrunde? Welche Methode stellt die angemessene Form der Untersuchung von Erinnerung dar? Kann eine Gedächtnistheorie eine entsprechende Anleitung für den effizienten Umgang mit Erinnerungszeugnissen geben? Diese Fragen bilden einen Schwerpunkt in der vorliegenden Arbeit. In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind die Begriffe „Erinnerung“ und „Gedächtnis“ stärker in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt, so dass von einer „Gedächtniskonjunktur“7, wenn nicht sogar kritisch von einem „Memory-Boom“8 gesprochen wird. Verdeutlichen lässt sich diese Entwicklung, wenn man sich das Spektrum ihrer unterschiedlichen Ausdrucksformen vor Augen führt, ob es sich dabei um das Begehen von Gedenkfeiern und Jubiläen oder die Einweihung von Denkmälern und Mahnmalen handelt, die nicht an sich, jedoch in der Häufigkeit ihres Auftretens in den letzten Jahren ein neues Phänomen darstellen. Auch über die elektronischen Medien findet eine rege Beteiligung am Erinnerungstrend statt, wenn beispielsweise aus Anlass eines historischen Jahrestages ein entsprechendes Thema aufgegriffen und in unterschiedlichen Formen vom Spielfilm über die historische Dokumentation bis hin zum Geschichtsquiz aufbereitet wird.9 Als Ausdruck dieser verstärkten Auseinandersetzung mit Erinnerung mag vielleicht auch die historisch getreue Rekonstruktion von Landschaften, Dörfern oder Gebäuden gelten, die als bewahrungswürdiges Kulturerbe begriffen werden, wie z.B. die Dresdner Frauenkirche oder das Bodemuseum in Berlin. Über die Gründe für das verstärkte Interesse an Gedächtnis und Erinnerung lässt sich spekulieren.10 7 | Vgl. dazu Nora, Pierre: Gedächtniskonjunktur, in: Transit 22 (2001/2002), S. 18-22. 8 | Vgl. dazu Winter, Jay: Die Generation der Erinnerung. Reflexionen über den „Memory-Boom“ in der zeithistorischen Forschung, in: Werkstatt Geschichte 30 (2001), S. 5-16. 9 | Vgl. dazu Hardtwig, Wolfgang: Die Sehnsucht nach Größe. Über das intensive Bedürfnis, historische Jahrestage zu feiern, in: Ders.: Geschichtskultur und Wissenschaft, München 1990, S. 302-309. 10 | So sind beispielsweise für den Ägyptologen Jan Assmann drei Faktoren für den Aufschwung des Gedächtnisthemas verantwortlich: „Zum einen erleben wir mit den neuen elektronischen Medien externer Speicherung (und damit: des künstlichen Gedächtnisses) eine kulturelle Revolution, die an Bedeutung der Erfindung des Buchdrucks und vorher der Schrift gleichkommt. Zum anderen, und damit

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Erinnern und Gedenken im Umgang mit dem Holocaust

Auch die Geschichtswissenschaft scheint sich einer Auseinandersetzung mit der Erinnerung vor dem Hintergrund neuer Gedächtniskonzepte und Untersuchungen zur Weitergabe von Erinnerung nicht entziehen zu können. Ausgangspunkt für die Hinwendung zur Erinnerung als Gegenstand des besonderen wissenschaftlichen Interesses ist die Annahme, dass Erinnerungen als Quellen fundamental für die historische Forschung und Wissenschaft sind.11 In diesem Verständnis könnte eine Theorie des Gedächtnisses für eine Form der Quellenkritik von Interesse sein, die untersucht, inwieweit Erinnerungen bestimmte Geschichtsbilder verfälschen. Dabei kommen wichtige Impulse aus benachbarten Disziplinen wie den Kulturund Sozialwissenschaften, die mit der begrifflichen Trias von kollektivem Gedächtnis, kulturellem Gedächtnis und kommunikativem Gedächtnis das Fundament der geisteswissenschaftlichen Reflexion über Erinnerung und Gedächtnis bilden. Ebenso liefern die kognitiven Neurowissenschaften, deren Hauptuntersuchungsgegenstand das menschliche Gehirn ist, wichtige Beiträge zum Diskurs. Mit ihren Forschungsergebnissen zur Arbeitsweise des menschlichen Gedächtnisses haben sie sich in den vergangenen Jahren zu einer den Erinnerungsdiskurs stark beeinflussenden Wissenschaft entwickelt und avancieren damit zu einer wahren Herausforderung in einem Bereich, der traditionell als Domäne der Geisteswissenschaften und insbesondere der Geschichtswissenschaft angesehen wird. zusammenhängend, verbreitet sich gegenüber unserer eigenen kulturellen Tradition eine Haltung der ‚Nach-Kultur‘ (Georg Steiner), in der etwas Zu-Ende-Gekommenes – ‚Alt-Europa‘ nennt es Niklas Luhmann – allenfalls als Gegenstand der Erinnerung und kommentierenden Aufarbeitung weiterlebt. Drittens [...] kommt gegenwärtig etwas zu Ende, was uns viel persönlicher und existentieller betrifft. Eine Generation von Zeitzeugen der schwersten Verbrechen und Katastrophen in den Annalen der Menschheitsgeschichte beginnt nun auszusterben.“ Siehe Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in den frühen Hochkulturen, 6. Aufl. München 2007, S. 11. 11 | So stellen beispielsweise für Lucian Hölscher Erinnerungen „das Ausgangs- und Urmaterial aller Geschichte“ dar. Siehe Ders.: Geschichte und Vergessen, in: Historische Zeitschrift 249 (1989), S. 1-17, S. 5. Unter diesem Blickwinkel wird Geschichtswissenschaft erst „durch Erinnerung möglich, indem diese die Verbundenheit des Menschen mit der im Erinnern konstruierten Geschichte behauptet“. Siehe Haas, Stefan: Philosophie der Erinnerung. Kategoriale Voraussetzungen einer mnemistischen Geschichtsbetrachtung, in: Die Legitimität der Erinnerung und die Geschichtswissenschaft, hrsg. v. C. Wischermann, Stuttgart 1996, S. 31-54, S. 32. Zur weiteren Diskussion vgl. u.a. Hölscher, Lucian: Geschichte als „Erinnerungskultur“, in: Generation und Gedächtnis. Erinnerungen und kollektive Identitäten, hrsg. v. K. Platt, Opladen 1995, S. 146-168; Liebsch, Burkhard: Wahrnehmende Geschichtlichkeit, kollektives Gedächtnis und historisches Wissen, in: Generation und Gedächtnis. Erinnerungen und kollektive Identitäten, hrsg. v. K. Platt, Opladen 1995, S. 255-283; Assmann, Aleida/Harth Dietrich (Hg.): Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, Frankfurt a. M. 1991; Assmann, Jan/Hölscher, Tonio (Hg.): Kultur und Gedächtnis, Frankfurt a. M. 1988; Rousso, Henry: La mémoire n’est plus ce qu’elle était, in: Écrire l’histoire du temps présent, hrsg. v. R. Frank, Paris 1993, S. 105-113; Becker, Jean-Jacques: La mémoire, objet d’histoire?, in: ebd., S. 115-121.

Einleitung

Innerhalb des Diskurses weist das Gedächtnis unterschiedliche Facetten auf. So steht einerseits das individuelle Gedächtnis als Bestandteil historischer Überlieferung im Fokus der Untersuchung, indem seine Inhalte als historische Quellen analysiert werden. Anderseits geht es um die kritische Auseinandersetzung mit Phänomenen, die im Kollektiv auftreten und entsprechend als Teil eines sogenannten „kollektiven“ Gedächtnisses genannt werden. In der Alltagssprache spiegelt sich diese Auffassung von Gedächtnis wider, wenn z.B. die Rede davon ist, dass sich ein Ereignis ins kollektive Gedächtnis „eingebrannt“ hat. Was bedeutet das aber genau? Wie kann im Hinblick auf ein Kollektiv von einem Gedächtnis gesprochen werden, das als Erscheinung eigentlich nur dem Individuum zu eigen ist? Wie spielen diese anscheinend unterschiedlichen Typen von Gedächtnis zusammen? In welchem Verhältnis stehen sie zueinander, so dass ein kohärentes Geschichtsbild entsteht? Die Beantwortung dieser Fragen ist von zentraler Bedeutung für die vorliegende Arbeit, die sich mit der Absicht trägt, auf diese Weise den relativ diffusen Diskurs zu ordnen und für größere Klarheit zu sorgen, indem Grundbegriffe in ihrer Bedeutung geklärt und Bezüge zwischen ihnen aufgezeigt werden. Exemplarisch für den Diskurs werden einzelne Theorien vorgestellt, wie z.B. der Ansatz des deutschen Ägyptologen und Kulturwissenschaftlers Jan Assmann, der sich in seinen Ausführungen auf das kollektive Gedächtnis bezieht und es in zwei unterschiedliche Gedächtnismodi aufspaltet. Der eine Modus bezieht sich auf mündlich weitergegebene Erfahrungen zwischen Personen, die sich innerhalb eines zeitlichen Rahmens von bis zu drei unterschiedlichen Generationen bewegen können (das kommunikative Gedächtnis). Der andere Modus steht nach seiner Auffassung für „die Tradition in uns“, Ereignisse über mehrere Generationen und Jahrtausende in durch „Wiederholung gehärteten Texten, Bildern und Riten, die unser Zeit- und Geschichtsbewusstsein, unser Selbst- und Weltbild prägen“ wiederzugeben (das kulturelle Gedächtnis).12 Auch der französische Historiker Pierre Nora bezieht sich mit seiner Theorie auf das sogenannte kollektive Gedächtnis. Er setzt sich mit den sogenannten „Lieu de mémoire“, den Gedächtnisorten, auseinander. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass sich das kollektive Gedächtnis einer sozialen Gruppe an bestimmten Orten manifestiert. Dieser Ort muss nicht geographisch aufgeführt sein, zeichnet sich jedoch durch eine große Symbolkraft aus, die für eine Gruppe identitätsstiftend wirkt. Der deutsche Mediävist Johannes Fried hingegen setzt sich mit Erinnerungen als historischen Quellen auseinander und bindet neurowissenschaftliche Erkenntnisse in seine Untersuchung mit ein. Im Zuge seiner Untersuchung fordert Fried eine grundlegende Neuausrichtung der Geschichtswissenschaft und möchte sie auf das Fundament einer neurokulturellen Theorie des Gedächtnisses mit der folgenden Begründung stellen:

12 | Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis, in: Ders.: Thomas Mann und Ägypten. Mythos und Monotheismus in den Josephromanen, München 2006, S. 67-75, S.70.

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Erinnern und Gedenken im Umgang mit dem Holocaust „Die Geschichtswissenschaft ist eine Erfahrungswissenschaft, und die erste Erfahrung, der sie sich zuwenden muß, obgleich sie es bislang zumeist unterließ, ist die Schöpfermacht der die ursprünglichen Wahrnehmungen deformierenden, jegliche Erfahrung transformierenden, individuelles und kollektives Wissen konstituierenden Erinnerungen, die das Vergessen mit einschließen.“13

Nach Frieds Ansicht muss die Erneuerung der Geschichtswissenschaft auf einer Gedächtniskritik aufbauen, da „ohne Kenntnis von Erinnerungsprozessen […] sich kein Wissen adäquat beurteilen lässt“14. Damit stellt er die historische Wissenschaft in ihrem herkömmlichen methodischen Ansatz sowie all ihre bisherigen Forschungsergebnisse in Frage. Die Geschichte als Wissenschaft kann ihre Deutungshoheit über die Vergangenheit dieser Auffassung nach nur durch eine Theorie der Erinnerung als Erklärungsmodell für die Vergangenheit legitimieren. Dass dieser Anspruch übertrieben erscheinen mag, da der Erkenntnisgewinn durch eine Gedächtnistheorie nicht groß genug ist, um einen Paradigmenwechsel in der Geschichtswissenschaft einleiten zu können, soll in der vorliegenden Arbeit gezeigt – oder zumindest nahegelegt werden: Erinnerungen geben „nur“ die subjektive Wahrnehmung und Deutung eines Ereignisses wieder. In dieser vermeintlichen Schwäche liegt aber vielleicht gerade ihre Stärke, die sich die Geschichtswissenschaft zu Nutze machen könnte: Wie erlebt der einzelne Mensch Vergangenes, und wie gibt er es in seinen Erinnerungen weiter? Was sagt dies über das erzählte Geschehen aus, und welche Auswirkungen hat diese Form der „Geschichtserzählung“ auf die Nachkommen und ihre Wahrnehmung von Vergangenem? Der Erkenntnisgewinn von Erinnerung als Ausgangspunkt historischer Betrachtung liegt demnach in der Untersuchung von Überlieferungsprozessen, die die herkömmlichen Untersuchungsmethoden der Geschichtswissenschaften jedoch nicht ersetzen können. In ihrer faktischen Wirkungsmacht auf geschichtliche Prozesse sollte das Gedächtnis in der historischen Untersuchung jedoch Berücksichtigung finden, da es mit seinen Inhalten konstitutiver Bestandteil dessen ist, was wir „Geschichte“ nennen. Dies soll nicht bedeuten, die Geschichtswissenschaft in ihren herkömmlichen Methoden hinterfragen oder gar neu erfinden zu wollen. Die historische Untersuchung sollte lediglich ergänzt werden um die Frage, wie historische Zusammenhänge mit Hilfe des Gedächtnisses wahrgenommen und überliefert werden, um das Bild, das wir uns vom Vergangenen machen, zu vervollständigen und abzurunden.15 Deshalb scheint es grundsätzlich berechtigt und sinnvoll, Erinnerungen als Faktor bei der Untersuchung historischer Quellen 13 | Fried, Johannes: Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik, München 2004, S.360. 14 | Ebd., S. 54. 15 | Für das Einbeziehen von „Formen des Erinnerns“ plädiert auch der amerikanische Historiker James E. Young, „womit die Geschichtswissenschaft zur Untersuchung dessen wird, was geschehen ist und wie es an uns weitergegeben wird.“ Siehe Young: Zwischen Geschichte und Erinnerung, S. 60.

Einleitung

einzubeziehen und eine ihnen angemessene Untersuchungsmethode zu entwickeln. Aus diesem Grund ist es dringend erforderlich zu klären, unter welchen Bedingungen eine Geschichtstheorie, deren Ausgangspunkt das Gedächtnis bildet, wirklich etwas für die Geschichtswissenschaft leisten kann. Das ist die zentrale Frage dieser Arbeit. Für Johannes Fried liegt ein wesentlicher Teil der Lösung in der Einbeziehung neurowissenschaftlicher Erkenntnisse über das menschliche Gedächtnis in die entsprechende geisteswissenschaftliche Debatte. Generell erfahren Befunde der Hirnforschung seit längerer Zeit eine große Aufmerksamkeit. Das liegt nicht zuletzt daran, dass diese Disziplin in den letzten Jahren wie kaum eine andere große Fortschritte erzielt hat, wenn es darum geht zu erklären, wie das menschliche Gehirn und das menschliche Bewusstsein funktionieren. Deshalb scheint es wenig verwunderlich, dass Wissenschaftler anderer Disziplinen versuchen, diese Früchte der Erkenntnis für das eigene Forschungsfeld nutzbar zu machen. Jedoch bleibt in diesem Zusammenhang fraglich: Wie ergiebig ist dieser Ansatz wirklich? Inwieweit profitieren die Geisteswissenschaften tatsächlich von der Neurowissenschaft durch Kenntnisse, die ihnen nicht bereits unabhängig von ihr zugänglich sind? Inwieweit lassen sich Ergebnisse aus dem einen Bereich überhaupt in den anderen übertragen bzw. übersetzen? Auch diese Fragen finden in der vorliegenden Arbeit Berücksichtigung. Bislang gibt es vereinzelte Beiträge, die die Vorteile und Nachteile der Gedächtnisforschung für die Geschichtswissenschaft allgemein diskutieren bzw. auf die Konsequenzen eines Vergangenheitsmodells, das auf Erinnerung basiert, hinweisen.16 Eine eingehendere Untersuchung der aufgeworfenen Fragestellung im Sinne einer Analyse des erkenntnistheoretischen Status von Erinnerung und einer Überprüfung der Leistungsfähigkeit einzelner Theorien der Erinnerung am konkreten Beispiel hat es bis zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht gegeben. Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch dar, in dieser Hinsicht einen Beitrag zu leisten. Dabei baut sie auf Darstellungen und Ergebnissen der Magisterarbeit der Verfasserin auf, die sich mit dem Begriff der Erinnerung und seiner Funktion für das Bild von Geschichte am Beispiel der Hamburger Stolpersteine auseinandergesetzt

16 | Vgl. dazu Bendikowski, Tillmann: Erinnern und Vergessen. Vom Nutzen und Nachteil der Gedächtnisforschung für die Geschichtswissenschaft, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Heft 12/ 2004, S. 718-725; Grabbe, Hans-Jürgen/Schindler, Sabine (Hg.): The Merits of Memory. Concepts. Contexts. Debates, Heidelberg 2008; Hölscher: Geschichte als „Erinnerungskultur“; Wischermann, Clemens: Geschichte als Wissen, Gedächtnis oder Erinnerung? Bedeutsamkeit und Sinnlosigkeit in Vergangenheitskonzeptionen der Wissenschaften vom Menschen, in: Die Legitimität der Erinnerung und die Geschichtswissenschaft, hrsg. C. Wischermann, Stuttgart 1996, S. 55-85; Priester, Karin: Vom Nutzen und Nachteil der Erinnerungskultur, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Heft 5/2009, S. 4-8.

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hat.17 Teile dieser Magisterarbeit werden in der vorliegenden Arbeit übernommen, jedoch in einen anderen, größeren systematischen Zusammenhang gestellt, der auf die Entwicklung einer eigenen Gedächtnistheorie für die Geschichtswissenschaft zielt. Die entsprechenden Stellen werden deutlich gekennzeichnet. In einem ersten Schritt muss dazu geklärt werden, wie überhaupt eine Geschichtstheorie aussieht, die auf Erinnerung basiert. Welche Stärken bzw. Schwächen werden in einer auf Erinnerung basierenden Vergangenheitskonzeption sichtbar? Zu diesem Zweck geht es zunächst um die Untersuchung der theoretischen und der praktischen Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung. Es wird dem Geschichtsbild nachgegangen, das sich hinter dieser Form des Zugangs zur Vergangenheit verbirgt. Bestehen Bezugspunkte zwischen einzelnen konkreten Erinnerungstheorien und dem Geschichtsbild, wie es der praktische Umgang mit Erinnerung vermittelt?18 Die drei genannten Gedächtnistheorien von Assmann, Nora und Fried geben in dieser Hinsicht wichtige Impulse. In ihrer Ausrichtung fokussieren sie jedoch nur jeweils auf einzelne Aspekte eines von Gedächtnisinhalten geprägten Geschichtsbildes: Entweder liegt der Schwerpunkt auf Erinnerungen in ihrer Wirkung und Funktion innerhalb kollektiver Zusammenhänge oder aber auf Erinnerungen in Bezug auf das Individuum. Auf diese Weise wird ein auf dem Gedächtnis beruhendes Geschichtsbild jeweils nur teilweise erfasst. In diesem Zusammenhang tritt eine weitere entscheidende Frage auf: Wo liegt die Brücke zwischen Individuum und Kollektiv, wenn es um die Herausbildung eines gemeinsamen Geschichtsbildes geht? Auch dies soll in der Arbeit beantwortet werden. Erst im Zusammenspiel aus individuellen Erinnerungen und sozialen Mechanismen kann sich ein Entwurf des Vergangenen herausbilden, der von Personen im kollektiven Verbund angenommen und weitergegeben wird. Eine Theorie der Erinnerung müsste demnach auf einem Ansatz aufbauen, der beide Komponenten berücksichtigt und sie in ihren Wechselbeziehungen beleuchtet. Den Versuch, die verschiedenen Konzepte – d.h. ihre jeweils konstruktiven Ansätze – in eine kohärente Theorie zu überführen, hat es bislang nicht gegeben. Die Schwierigkeit bei diesem Vorhaben besteht darin, dass sich die verschiedenen Theorien auf jeweils unterschiedlichen epistemischen Ebenen befinden. Um sie ordnen, in ein gemeinsames Modell überführen und ihre 17 | Reil, Juliane: Der Begriff der Erinnerung und seiner Funktion für das Bild von Geschichte. Analyse am Beispiel der Hamburger Stolpersteine, Hamburg 2010. Diese Arbeit wurde nicht publiziert, sondern lediglich als Leseexemplar der Prüfungsabteilung des Fachbereichs Geschichte zur Verfügung gestellt. 18 | Die Erinnerungstheorien, die in der vorliegenden Arbeit vorgestellt werden, vertreten den Anspruch, ein Beschreibungssystem zur Erklärung der praktischen Auseinandersetzung mit Erinnerung zu liefern. Aus diesem Grund wird der mögliche Einwand, dass sich nicht die Theorie an den praktischen Befunden, sondern vielmehr die Praxis stärker an den theoretischen Ergebnissen orientieren muss, außer Acht gelassen. Hinter diesem Einwand verbirgt sich ein allgemeines wissenschaftstheoretisches Problem, auf das an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann.

Einleitung

wechselseitigen Bezüge darstellen zu können, ist hier ein Kunstgriff notwendig, der mit Hilfe der Systemtheorie nach Niklas Luhmann bewerkstelligt werden soll. Die Systemtheorie ist ein Erkenntnismodell, das ursprünglich im Bereich der Biologie seine Anwendung zur Beschreibung von Organismen findet und von Ludwig von Bertalanffy begründet wird, der sich gegen die deduktive Methode der klassischen Physik ausspricht und die damit verbundene Einzelbetrachtung von Phänomenen. Für die Biologie sei diese Betrachtungsweise nicht geeignet, da Phänomene in der Realität nie isoliert voneinander auftreten würden, sondern miteinander vernetzt seien. Diese Beobachtung bildet den Ausgangspunkt für seine Systemlehre, die sich der Beschreibung des Funktionszusammenhangs von Bestandteilen eines Organismus zuwendet.19 Übertragen auf die Soziologie ist Niklas Luhmann einer der wichtigsten Vertreter der Systemtheorie, der diesen Ansatz für Organisations-, Gesellschafts- und Interaktionszusammenhänge fruchtbar macht. Die Systemtheorie ist eine Möglichkeit, um mit der Inkommensurabilität verschiedener Erinnerungstheorien umzugehen. Es sind sicherlich auch andere Wege vorstellbar. Sie scheint mir jedoch in der beschriebenen Ausrichtung eine vielversprechende Variante, um das komplexe Zusammenspiel von Individuum und Gruppe bei der Herausbildung eines erinnerten Geschichtsbildes zumindest im Ansatz zu erklären. Wie aussichtsreich dieses Unterfangen tatsächlich ist, wird sich im Lauf der Untersuchung zeigen. Um die theoretischen Konzepte greifbarer zu machen und in ihrer Schlagrichtung zu verdeutlichen, werden praktische Quellen herangezogen, die auf unterschiedliche Weise als Medium für die Vergegenwärtigung der Verbrechen an den NS-Opfern dienen. Durch den Abgleich der Theorien am praktischen Beispiel sollen sie nicht nur anschaulich gemacht werden, sondern auch in ihrer Leistungsfähigkeit überprüft werden. So wird das Projekt „Stolpersteine“ des Kölner Bildhauers Gunter Demnig aufgegriffen. Als ein noch relativ „junger“ Typus des Denkmals stellt das Projekt „Stolpersteine“ eine Ausdrucksform für den heutigen Umgang mit Vergangenheit dar.20 Dabei liegt das besondere Augenmerk auf der Untersuchung der Entwicklung des Stolpersteinprojekts in Hamburg, wo bis zum jetzigen Zeitpunkt über 4.920 Steinen verlegt wurden21 und im Vergleich zu anderen deutschen Städten zwischenzeitlich sogar die meisten Verlegungen stattgefunden haben. Eingelassen in den Bürgersteig, erinnern die in Länge, Breite und Höhe jeweils zehn Zentimeter großen Steine an einzelne Opfer des Nationalsozialismus. Sie sind vor den ehema19 | Siehe Bertalanffy, Ludwig von: General System Theory: Foundations, Development, Applications, New York 1988. 20 | Die Idee zu den Stolpersteinen entstand zu Beginn der 1990er Jahre. Verlegt wurden die ersten Steine 1995 in Berlin und Köln. Vgl. Raap, Jürgen: Gunter Demnig.Dezentrales Denkmal. Ein Gespräch, in: Kunstforum international 170, 2004, S. 228-235, S. 232. 21 | Siehe http://www.stolpersteine-hamburg.de/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015].

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ligen Wohn- und Wirkungsstätten der Opfer verlegt. Auf der Oberseite der Steine sind jeweils der Name und die entsprechenden Angaben zum Schicksal der betreffenden Person in eine Messingtafel eingeschlagen. In seinem Ansatz eines dezentralen Denkmals beschreitet dieses Projekt dabei konzeptionell einen vollkommen neuen Weg gegenüber traditionellen Denkmalsformen und offenbart darin eine Geschichtsdeutung, die die Auseinandersetzung mit den Stolpersteinen als eine spannende und lohnenswerte Aufgabe erscheinen lässt. Deswegen muss es verblüffen, dass die Stolpersteine als Untersuchungsgegenstand in der Geschichtswissenschaft bisher relativ wenig Beachtung gefunden haben. Zwar wird im Jahr 2006 das Buch „Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933-1945“22 von Beate Meyer herausgegeben, das vor dem Hintergrund der Stolpersteinverlegungen in Hamburg aktuelle Forschungsbeiträge zur Verfolgung der Hamburger Juden unter den Nationalsozialisten zusammenträgt und so das Denkmal in seinen historischen Zusammenhang stellt. Eine Beschäftigung mit den Stolpersteinen auf konzeptioneller Ebene enthält es jedoch nicht. Eine von der Landeszentrale für Politische Bildung Hamburg und dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden geförderte Publikationsreihe für Hamburg, die bis dato vierzehn stadtteil- bzw. straßenbezogene Broschüren zu den Stolpersteinen in Hamm23, Altona24, Wandsbek 25, Winterhude26, St.Georg27, St.Pauli28, Barmbek und Uhlenhorst 29, Eppendorf und Hoheluft-Ost30, Billstedt, Horn und Borgfelde31, die Hamburger Isestraße32, Rothenburgsort33, Harburg und Wilhelmsburg34, Eimsbüttel und Hoheluft-West 35 22 | Meyer, Beate (Hg.): Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933-1945. Geschichte. Zeugnis. Erinnerung, Hamburg 2006. 23 | Thevs, Hildegard: Stolpersteine in Hamburg-Hamm. Biographische Spurensuche, Hamburg 2007. 24 | Gewehr, Birgit: Stolpersteine in Hamburg-Altona mit den Elbvororten. Biographische Spurensuche, Hamburg 2008. 25 | Louven, Astrid/Pietsch, Ursula: Stolpersteine in Hamburg-Wandsbek mit den Walddörfern. Biographische Spurensuche, Hamburg 2008. 26 | Sparr, Ulrike: Stolpersteine in Hamburg-Winterhude. Biographische Spurensuche, Hamburg 2008. 27 | Behrens, Benedikt: Stolpersteine in Hamburg-St.Georg. Biographische Spurensuche, Hamburg 2009. 28 | Jungblut, Christiane/Ohl-Hinz, Gunhild: Stolpersteine in Hamburg-St.Pauli. Biographische Spurensuche, Hamburg 2009. 29 | Smiatacz, Carmen: Stolpersteine in Hamburg-Barmbek und Hamburg-Uhlenhorst. Biographische Spurensuche, Hamburg 2010. 30 | Koser, Maria/Brunotte, Sabine: Stolpersteine in Hamburg-Eppendorf und Hamburg-Hoheluft-Ost. Biographische Spurensuche, 2 Bde, Hamburg 2011. 31 | Stolpersteine in den Hamburger Stadtteilen Billstedt - Horn - Borgfelde. Biographische Spurensuche, Hamburg 2011. 32 | Fladhammer, Christa/Grünwaldt, Maike: Stolpersteine in der Hamburger Isestraße. Biographische Spurensuche, Hamburg 2010. 33 | Thevs, Hildegard: Stolpersteine in Hamburg-Rothenburgsort. Biographische Spurensuche, Hamburg 2011. 34 | Stolpersteine in Hamburg-Harburg und Hamburg-Wilhelmsburg. Biographische Spurensuche, Hamburg 2012. 35 | Lohmeyer, Susanne: Hamburg-Eimsbüttel und Hamburg-Hoheluft-West, Hamburg 2012.

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sowie Eilbek 36 umfasst, bietet Hintergrundinformationen in Form von Kurzbiographien zu den Menschen, denen ein Stein gewidmet ist, und stellt damit eine wichtige Ergänzung zum eigentlichen Denkmal dar. Der Band Stolpersteine in Hamburg37 bietet nach dem gleichen Prinzip einen Überblick über Stolpersteine in verschiedenen Stadtteilen, in denen es weder Geschichtswerkstätten noch andere Gruppen gibt, die die Biographien zu den Steinen erarbeiten. Stattdessen wurde die Recherche der entsprechenden Informationen in diesem Band von Einzelpersonen aus diesen Stadtteilen oder von Mitgliedern anderer Zusammenschlüsse des Hamburger Stolpersteinprojekts übernommen.38 Auch in anderen deutschen Städten sind Veröffentlichungen dieser Art entstanden, die sich jedoch ebenfalls auf die Dokumentation des Stolpersteinprojekts in ihrer Stadt und die Präsentation von Kurzporträts beschränken.39 Die Photografin Gesche-M. Cordes hat von 2002 bis 2011 Bilder von über einhundert Menschen aufgenommen, die teilweise 36 | Wille, Ingo: Stolpersteine in Hamburg-Eilbek, Hamburg 2012. 37 | Sparr, Ulrike/Eggert, Björn: Stolpersteine in Hamburg. Biographische Spurensuche, Hamburg 2011. Dieser Band widmet sich Stolpersteinen in den folgenden Hamburger Stadtteilen: Bergedorf, Dulsberg, WohldorfOhlstedt, Farmsen-Berne, Eidelstedt, Stellingen, Osdorf, Lurup, Großgemeinde Lokstedt, Bramfeld, RahlstedtMeiendorf, Sasel, Wellingsbüttel, Poppenbüttel und Bergstedt. 38 | Ebd., S. 10. 39 | Siehe dazu u.a. Serup-Bilfeldt, Kirsten: Stolpersteine. Vergessene Namen, verwehte Spuren. Wegweiser zu Kölner Schicksalen in der NS-Zeit, Köln 2004; Meckel, Marlis: Den Opfern ihre Namen zurückgeben. Stolpersteine in Freiburg, Freiburg/Berlin 2006; Weiß, Thomas: Stolpersteine für Hattingen 2005, Hattingen 2006; Stingele, Harald: Stuttgarter Stolpersteine, 2. Aufl., Stuttgart 2006; Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine für Elmshorn (Hg.): Stolpersteine in Elmshorn – gegen das Vergessen, Elmshorn 2008; Demnig, Gunter: 42 Namen – 42 Schicksale. Stolpersteine in Schwerin, Schwerin 2008; Goehrke, Klaus: Stolpersteine in Kamen: zur Erinnerung an die in der NS-Zeit vertriebenen und ermordeten jüdischen Bürgerinnen und Bürger Kamens, Kamen 2008; Hecker, Horst: Hier wohnte...Stolpersteine in Frankenberg (Eder). Erinnern an die Opfer des NS-Regimes, Frankenberg 2008; Karlsson, Imtraut: ...lebte in der Josefstadt: Steine der Erinnerung 1938-1945, Wien 2008; Rieg, Anne: Stolpersteine: Spurensuche in Celle, Celle 2008; Ulbrich, Bernd G.: Stolpersteine für Dessau-Roßlau: ein Beitrag zur lokalen Denkkultur, Dessau-Roßlau 2008; Krüger, Egon: Jüdisches Leben in Pasewalk: Familiengeschichten, Familienschicksale, Stolpersteine, Pasewalk 2009; Kunze, Gisela: Stolpersteine in Wiesbaden: 2005-2008. „Hier wohnte...“. Ein Kunstprojekt von Gunter Demnig, Wiesbaden 2009; Hülskemper-Niemann, Ludger: Stolpersteine in Essen-Stele und Umgebung, Essen 2010; Richter-Rauch, Sabine: „ Sie wohnten neben uns“: die jüdischen Familien in Heusenstamm zwischen 1930 und 1945, 2. korrigierte und erweiterte Auflage, Heusenstamm 2010; Bartel, Rosemarie: Ein Stein – eine Name – ein Mensch: Stolpersteine Gelnhausen, die Geschichte einer Versöhnung; Gelnhausen 2012; Jakobs, Hildegard/ Genger, Angela/ Kamp, Andrea (Hg.): Stolpersteine/ Stumbling Stones: Zur Erinnerung an Menschen aus Düsseldorf, Erkrath, Langenfeld, Mettmann, Monheim und Rötingen/ Remembering people... Düsseldorf, Erkrath, Langenfeld, Mettmann, Monheim und Rötingen, Düsseldorf 2012; Reuss, Jutta: Stolpersteine in Darmstadt, Darmstadt 2012; Fauth, Dieter: Wertheim im Nationalsozialismus aus Opferperspektiven, Gedenkbuch zum Projekt Stolpersteine, Zelle am Main 2013; Patriotische Gesellschaft von 1765 (Hg.): Stolpersteine für jüdische Mitglieder. Eine biographische Spurensuche der Patriotischen Gesellschaft von 1765, Hamburg 2015.

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aus der ganzen Welt nach Hamburg angereist sind, um die für ihre Angehörigen verlegten Stolpersteine zu besuchen. Die dabei entstandenen Aufnahmen wurden in einer Ausstellung Anfang 2012 im Kunsthaus Hamburg40 gezeigt und als Buch41 veröffentlicht. Stefanie Endlich setzt sich in einem Aufsatz mit den Stolpersteinen und ihrem künstlerischen Entwurf auseinander, indem sie diesen mit anderen Denkmalskonzepten vergleicht, einzelne Aspekte des Denkmals herausarbeitet und kunsthistorisch interpretiert.42 Kathrin Marlene Maas hat sich in einer Hamburger Magisterarbeit der Betrachtung der Stolpersteine in der eigenen Stadt mit dem Ziel zugewandt, das Denkmal in der Komplexität seiner unterschiedlichen Aspekte abzubilden, sowie seine historischen, gesellschaftspolitischen und gedächtnistheoretischen Bezüge aufzuzeigen.43 Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Untersuchung der persönlichen Beweggründe, die einzelne Paten veranlasst haben, einen oder mehrere Stolpersteine zu stiften. Zu diesem Zweck hat die Verfasserin Interviews mit einer Auswahl von Stolperstein-Paten geführt, deren unterschiedliche Motive exemplarisch dargestellt und gedeutet werden. Dabei steht die Frage im Vordergrund, was die unterschiedlichen Motivationen zur Stiftung eines Stolpersteins in fünf konkreten Fällen darüber aussagen, wie der jeweilige Pate mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Deutschland umgeht. Neben dem Denkmal der Stolpersteine wird als zweite Quelle die Ausstellung „In den Tod geschickt. Die Deportationen von Juden, Roma und Sinti aus Hamburg 1940 bis 1945“ einer näheren Betrachtung unterzogen. Die Ausstellung wird zwischen dem 17. Februar und dem 26. April 2009 im Hamburger Kunsthaus gezeigt. Sie basiert auf den Ergebnissen einer Studie zu den „Deportationen von Juden sowie Sinti und Roma vom Hannoverschen Bahnhof in Hamburg 1940-1945“, mit der die Hamburger Kulturbehörde 2004 die Forschungsstelle für Zeitgeschichte beauftragt hatte.44 Im Zentrum der Ausstellung stehen neben schriftlichen Zeitdokumenten, Bildern und Lebensläufen von Opfern und Tätern vor allem Interviews mit Überlebenden, die zwischen 1940 und 1945 vom Hannoverschen Bahnhof in Hamburg deportiert worden sind. Als Audio- und Videodateien stehen sie den 40 | Die Ausstellung „Stolpersteine und Angehörige“ im Kunsthaus Hamburg wurde am 30.1. 2012 eröffnet und endete 4.3.2012. 41 | Cordes, Gesche-M.: Stolpersteine und Angehörige in Hamburg. Fotografien und Texte, Herzogenrath 2012. 42 | Endlich, Stefanie: Ein „dezentrales Monument“? Anmerkungen zu einem ungewöhnlichen Denkmalskonzept, in: Stolpersteine für die von den Nazis ermordeten Nachbarn aus Friedrichshain und Kreuzberg. Dokumentation, Texte, Materialien, hrsg. v. der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst e. V., Berlin 2002, S. 29-36. 43 | Maas, Kathrin Marlene: Erinnerung auf Schritt und Tritt. Das Denkmalprojekt Stolpersteine in Hamburg, Wissenschaftliche Hausarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magister Artium der Universität Hamburg, Hamburg 2007. Diese Arbeit ist bei Professor Dr. Angelika Schaser im Historischen Semniar der Hamburger Universität geschrieben worden. 44 | Apel, Linde( Hg.): In den Tod geschickt. Die Deportationen von Juden, Roma und Sinti aus Hamburg 1940 bis 1945, Hamburg 2009, S.7.

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Besuchern zur Verfügung. Das macht das Ausstellungskonzept besonders interessant für die Untersuchung, da Geschichte hier aus Erinnerungsberichten einzelner Zeitzeugen und ergänzenden Dokumenten rekonstruiert wird. Dazu gehören z.B. auch die Deportationslisten, die für die Dauer der Ausstellung vom Staatsarchiv Hamburg zur Einsicht bereitgestellt werden. Im Vergleich zu den Stolpersteinen ist die Ausstellung nicht in gleichem Maß in den Medien und der Öffentlichkeit präsent. Das ist schon allein der Tatsache geschuldet, dass sie nur während eines relativ kurzen Zeitraumes von etwas mehr als zwei Monaten gezeigt wird und anders als die Steine ausschließlich in Hamburg zu sehen ist. Mit der Fertigstellung der Gedenkstätte am ehemaligen Hannoverschen Bahnhof, der der Ausgangspunkt der Deportationszüge zwischen 1940 und 1945 war und in der heutigen HafenCity liegt, soll die Ausstellung jedoch Teil des dazugehörigen Informationszentrums und als Dauerausstellung eingerichtet werden.45 In der Kombination unterschiedlicher Quellen, insbesondere durch die Einbeziehung von Erinnerungszeugnissen überlebender NS-Opfer, beschreibt sie ein relativ neues Konzept im Bereich des Ausstellungswesens, wie die Stolpersteine ein vergleichsweise neues Konzept als Denkmal vorstellen. Deshalb ist es interessant, diese beiden Phänomene als Beispiele für unseren heutigen Umgang mit dem Vergangenen heranzuziehen, an denen sich die Theorien bewähren müssen. Damit eine Chance für sie besteht, sich zu bewähren, erschien es wichtig, zwei Quellen exemplarisch vorzustellen, die in der praktischen Auseinandersetzung mit Erinnerung jeweils unterschiedliche Akzente setzen. Auf diese Weise können auch die drei Gedächtnistheorien von Nora, Assmann und Fried in ihrer jeweils unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunktsetzung veranschaulicht werden. Für die Darstellung der Stolpersteine als Denkmal und Kunstprojekt werden unterschiedliche Quellen betrachtet. Um einen Eindruck von der Idee und dem künstlerischen Konzept zu bekommen, das diesem Denkmal zugrunde liegt, werden vor allem veröffentlichte Interviews mit dem Künstler und Schöpfer der Stolpersteine, Gunter Demnig, herangezogen. Zusätzlich fließen Aufzeichnungen eines Gesprächs mit dem Künstler, das ich im April 2009 geführt habe, in diesen Abschnitt mit ein. Die Darlegung der Umsetzung des Stolpersteinprojekts in Hamburg basiert auf einem von mir geführten Interview mit dem Initiator und Koordinator des Stolpersteinprojekts in Hamburg, Peter Hess, sowie auf Briefen und Dokumenten, die dieser freundlicherweise zur Verfügung stellte. Wie die Stolpersteine im öffentlichen Diskurs reflektiert werden, zeigt sich an den Beiträgen der Print- und E-Medien, die sich dem Thema widmen. Dabei handelt es sich um internationale und überregionale Beiträge aus Zeitungen, Magazinen, OnlineNachrichten, Fernsehen und Hörfunk. Ein besonderes Augenmerk liegt jedoch auf der Rezeption in Hamburg, die anhand der Beschäftigung der lokalen Medien mit 45 | Apel, Linde: Konturen einer Ausstellung, in: Zeitgeschichte in Hamburg. Nachrichten aus der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH), 2009, S. 66-80, S. 67.

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den Stolpersteinen verdeutlicht wird. Wie die historische Fachwissenschaft und Fachdidaktik auf die Stolpersteine eingeht, dokumentiert die relativ überschaubare Anzahl an wissenschaftlichen Publikationen zu diesem Thema, die auf ihre inhaltliche Ausrichtung hin untersucht werden. Unter ähnlichen Gesichtspunkten wird auch die Ausstellung „In den Tod geschickt“ betrachtet. Die Grundidee, das Konzept, die Umsetzung und die öffentliche Wirkung stehen im Vordergrund. Darüberhinaus wird auch noch einmal in aller Kürze auf den historischen Hintergrund mit dem Hannoverschen Bahnhof als Deportationsbahnhof in Hamburg eingegangen und auf die Vorgeschichte zur Ausstellung. Da die Ausstellung eine Zusammenstellung verschiedener Arten von Quellen ist, werden diese unterschiedlichen Quellen exemplarisch vorgestellt, um auf diese Weise einen besseren Eindruck von Konzept und Umsetzung zu vermitteln. So werden z.B. einzelne Abbildungen beschrieben, die zusätzlich in der vorliegenden Arbeit an entsprechender Stelle abgedruckt sind. Außerdem werden drei Erinnerungsberichte von Holocaust-Überlebenden detaillierter wiedergegeben, die in der Ausstellung als Audiodatei zugänglich waren. Auch Besucherreaktion, soweit sie vorhanden sind, werden dokumentiert. Das übergeordnete Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es, einen Vorschlag für eine Gedächtnistheorie zu formulieren, die für die Geschichtswissenschaft einen Erkenntnisgewinn darstellt. Dazu muss in einem ersten Schritt geklärt werden, welche Stärken und welche Schwächen eine Theorie der Erinnerung als Beschreibungssystem der Vergangenheit besitzt. Zu diesem Zweck werden einzelne Theorien, die sich diesem Ansatz verschrieben haben und exemplarisch den aktuellen theoretischen Diskurs repräsentieren sollen, inhaltlich vorgestellt und darauf untersucht, inwieweit sie sich im praktischen Umgang mit Erinnerung an den ausgewählten Quellen bewähren. Dabei sollen die Theorie zu den so genannten „Gedächtnisorten“ von Pierre Nora46, die Theorie vom „kulturellen Gedächtnis“ von Jan Assmann47 und die historische Memorik von Johannes Fried48 herangezogen werden. Die drei Erinnerungstheorien von Assmann, Nora und Fried setzen jeweils bei einem deduktiven Verfahren für ihre Untersuchung an. Die vorliegende Arbeit stellt diesem Ansatz ein induktives Verfahren gegenüber, um einen eigenen Vorschlag für eine Erinnerungstheorie zu skizzieren. Es soll von der Praxis ausgegangen werden, wie wir uns mit der Vergangenheit auseinandersetzen am Beispiel unseres Umgangs mit dem Holocaust. Wie sprechen wir über die mit diesem Begriff verbundenen Geschehnisse? So lautet die Ausgangsfrage. Der dazugehörige Diskurs wird anhand einiger prominenter und besonders prägnanter Beispiele in seinen typischen Merkmalen skizziert. Dabei steht vor allem der Diskurs in 46 | Pierre Nora: Zwischen Erinnerung und Gedächtnis, Berlin 1990. 47 | Jan Assmann: s.o. 48 | Fried: s.o.

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Deutschland im Vordergrund. Jedoch geht es einmal auch darüber hinaus, so dass ein Schlaglicht auf die Diskussion im internationalen Rahmen geworfen wird. Personen des öffentlichen Lebens wie die Sportlerin Franziska van Almsick oder die ehemalige Nachrichtensprecherin Eva Herman haben sich zu diesem Thema geäußert und damit jeweils starke öffentliche Reaktionen hervorgerufen. Im Fall von Eva Herman kam es neben einer starken öffentlichen Empörung in den Medien sogar zur Kündigung ihrer Stelle durch ihren damaligen Arbeitgeber. Beide Frauen sahen sich dazu genötigt, ihre Äußerungen zu erklären bzw. zu rechtfertigen, ohne damit jedoch auf mehr Verständnis für ihre jeweilige Position in der Öffentlichkeit zu stoßen. Auch prominente Vertreter aus dem wissenschaftlichen Bereich werden als Beispiele herangezogen. In den 1980er Jahren kam es zum Historikerstreit, der in der vorliegenden Arbeit aufgegriffen wird. Die Positionen von Ernst Nolte und Jürgen Habermas stehen dabei im Fokus, aber auch andere Beteiligte dieser Auseinandersetzung um den historischen Stellenwert des Holocaust werden mit einbezogen und in ihren Positionen abgebildet. Einschlägige Beispiele wie diese sollen unseren Umgang mit dem Thema in den letzten drei Jahrzehnten bis heute in groben Zügen skizzieren und Charakteristika herausarbeiten, anhand derer die vorgestellten Theorien abgeglichen werden. Insbesondere wird der Diskurs jedoch mit Hilfe der Systemtheorie analysiert. Auf diese Weise sollen seine wesentlichen Merkmale und Mechanismen herausgearbeitet werden. Der Hauptteil der vorliegenden Arbeit unterteilt sich in fünf große Abschnitte und beginnt mit dem zweiten Kapitel nach der Einleitung. Dieses Kapitel steht im Zeichen der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung und beginnt mit einem Überblick über den theoretischen Diskurs zur Entstehung und Tradierung von Erinnerung.49 Es soll einen Eindruck vom weiten Spektrum der unterschiedlichen Forschungsansätze und Orientierung in der Begriffsvielfalt der verschiedenen „Gedächtnisse“ geben. Dieser Überblick ist in hohem Maße interdisziplinär geprägt, da der Begriff der Erinnerung eine „Konvergenzzone zwischen Disziplinen“50 zu umfassen scheint, in der sich Forschungsinteressen der Neuro- und Kulturwissenschaften überschneiden. Die einflussreichsten und prägendsten Beiträge – von Assmann, Nora und Fried – werden im Anschluss in einem ersten Zwischenfazit zueinander in Bezug gesetzt und ihre inhaltlichen Schwerpunkte jeweils herausgestellt.

49 | Dieser Abschnitt der vorliegenden Arbeit lehnt sich in weiten Teilen an das dritte Kapitel „Theoretische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung“ aus der Magisterarbeit der Verfasserin an. Vgl dazu Reil: Der Begriff der Erinnerung, S. 24-61. 50 | Welzer, Harald/Markowitsch, Hans J.: Reichweiten und Grenzen interdisziplinärer Gedächtnisforschung, in: Warum Menschen sich erinnern können. Fortschritte in der interdisziplinären Gedächtnisforschung, hrsg. v. H. Welzer u. H. J. Markowitsch, Stuttgart 2006, S. 7-15, S. 9.

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Das folgende dritte Kapitel des Hauptteiles thematisiert die praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung am Beispiel der Stolpersteine51 und der Ausstellung „In den Tod geschickt“. Dabei steht die Darstellung und Analyse der beiden Quellen im Vordergrund. Ob und inwieweit ein Zusammenhang zwischen dem Erinnerungsbegriff im praktischen und theoretischen Diskurs besteht, wird im zweiten Zwischenfazit untersucht. Zu diesem Zweck wird die praktische Anwendbarkeit der drei genannten Erinnerungstheorien exemplarisch auf das Denkmal der Stolpersteine und die Ausstellung überprüft. Worin liegen die Stärken und worin Schwächen der drei Ansätze? Das anschließende vierte Kapitel setzt sich thematisch mit der Vergegenwärtigung der nationalsozialistischen Verbrechen und ihren Opfern auseinander, auf die die Stolpersteine und die genannte Ausstellung Bezug nehmen. Wie ging die deutsche Gesellschaft und Politik seit 1945 mit den NS-Verbrechen und ihren Opfern um? Wie wurde in der Stadt Hamburg als einer deutschen Stadt, in der das Stolperstein-Projekt seit 2002 große Unterstützung findet, der NS-Opfer in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg gedacht? Um diese Fragen zu beantworten, wird die Geschichte der Erinnerung an die nationalsozialistische Herrschaft und ihre Verbrechen im zunächst geteilten und dann wiedervereinten Deutschland sowie der Stadt Hamburg von 1945 bis in die Gegenwart skizzenhaft dargestellt.52 Es werden die wichtigsten Ereignisse und Grundstimmungen wiedergegeben, die entscheidend dazu beitrugen, dass sich ein Bewusstsein für das Schicksal der von den Nationalsozialisten verfolgten Minderheiten auf überregionaler und regionaler Ebene herausbildete. Dabei ist die regionale Entwicklung der Erinnerung an die NS-Verbrechen in Hamburg kaum isoliert von der bundesdeutschen Entwicklung zu betrachten. Dennoch weist die Hamburger Erinnerungsgeschichte viele Spezifika auf, die den lokalpolitischen und lokalgeschichtlichen Gegebenheiten der Hansestadt geschuldet sind. Mitunter konnten auch Geschehnisse in Hamburg der bundesdeutschen Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und ihren Vergehen wichtige Impulse geben. Im Rahmen dieser Arbeit liegt der Anspruch nicht in einem vollständigen Überblick über die gesamtdeutsche und Hamburgische Erinnerungsgeschichte der NS-Verbrechen und ihrer Konsequenzen. Vielmehr sollen die groben Entwicklungslinien dieser Geschichte in Land und Stadt nachgezeichnet sowie ihre wichtigsten Akzente aufgezeigt werden. Auf diese Weise wird eine geschichtliche Einordnung der in dieser Arbeit behandelten Quellen des praktischen Umgangs mit Erinnerung in Deutschland und Hamburg möglich, indem die historischen Bedingungen ihrer Entstehung beleuchtet werden. Auch der Diskurs zu unserem Umgang mit dem 51 | Insbesondere die Analyse der Stolpersteine in Hamburg bezieht sich stark auf die entsprechende Darstellung in der Magisterarbeit der Verfasserin. Vgl. dazu das Kapitel „Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung am Beispiel der Stolpersteine in Hamburg“, in: Reil: Der Begriff der Erinnerung, S. 61-95. 52 | Auch dieser Teil fußt auf den entsprechenden Ausführungen in der Magisterarbeit der Verfasserin. Vgl. dazu Reil: Der Begriff der Erinnerung, S. 11-23.

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Holocaust, der im anschließenden Kapitel folgt, wird auf diese Weise noch einmal in den historischen Kontext gesetzt. Gestützt ist dieses vierte Kapitel der Arbeit vor allem auf historischen Überblicksdarstellungen, die sich diesem Thema widmen.53 Das darauffolgende fünfte Kapitel unterteilt sich in drei Unterkapitel. Im ersten Abschnitt wird der Diskurs zu der Frage „Wie sprechen wir über den Holocaust?“ betrachtet. Auch an dieser Stelle besteht nicht der Anspruch, die Auseinandersetzung mit diesem Teil der deutschen Geschichte vollständig wiederzugeben, sondern sie in seinen wesentlichen Charakteristika als einer Art „sozialpsychologischen“ Skizze abzubilden. Dabei werden unterschiedliche Diskussionskontexte vom Gespräch zwischen Familienmitgliedern über prominente Äußerungen zum Thema in der Presse bis zur wissenschaftlichen Debatte berücksichtigt und exemplarisch vorgestellt. Im zweiten Unterkapitel wird die soziologische Systemtheorie nach Niklas Luhmann in ihren wesentlichen Grundzügen erläutert. Grundbegriffe dieses Ansatzes werden erklärt und im anschließenden Kapitel auf den Diskurs zum Umgang mit dem Holocaust angewendet. Die Systemtheorie ist das „Werkzeug“, mit dem die Regeln des Diskurses freigelegt werden sollen, um das dahinterliegende „System“ zu verstehen. In diesem Teil wird ebenfalls die Möglichkeit überprüft, ob und inwieweit sich die jeweils konstruktiven Ansätze von Assmann, Nora und Fried in dieses „System“ einfügen lassen, so dass eine kohärente Erinnerungstheorie entstehen kann. Im Resümee der Arbeit werden zu Beginn noch einmal die einzelnen Stationen der Arbeit nachgezeichnet und ihre jeweiligen Ergebnisse zusammengefasst. Was können wir aus den Regeln des Diskurses im Umgang mit dem Holocaust als spezifischem Fall grundsätzlich für unseren Umgang mit Geschichte lernen? Gibt es vielleicht universale Regeln in dieser Hinsicht? Auf diese Weise soll abschließend zur Ausgangsfrage zurückgekehrt und diese beantwortet werden, was Erinnerung bzw. eine Erinnerungstheorie für die Geschichtswissenschaft leisten kann.

53 | Frei, Norbert: 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewußtsein der Deutschen, München 2005; Herf, Jeffrey: Zweierlei Erinnerung. Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland. Aus dem Amerikanischen von K.-D. Schmidt, Berlin 1998; Judt: a.a.O.; Reichel, Peter (Hg.): Das Gedächtnis der Stadt: Hamburg im Umgang mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit, Bd. 6 der Schriftenreihe der Hamburgischen Kulturstiftung, Hamburg 1997; Reichel, Peter/Schmid, Harald: Von der Katastrophe zum Stolperstein, Hamburg 2005; Reichel, Peter: Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur in Politik und Justiz, 2. Aufl., München 2007.

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1. Überblick über den theoretischen Diskurs zur Entstehung und Überlieferung von Erinnerung

In den Geistes- und Kulturwissenschaften beschreibt der Diskurs zur Erinnerung ein sehr weites Feld. Oftmals entsteht der Eindruck, dass die entsprechenden Beiträge thematisch ganz unterschiedliche Aspekte beleuchten, ohne diese jedoch in eine Beziehung zueinander zu setzen. Zudem haben sich Begriffe etabliert, die bei genauerer Betrachtung inhaltlich nicht fest umrissen sind und eher irritieren, als dass sie zur Klärung beitragen. So wird zum Beispiel häufig von „Erinnerungskultur“ oder „kollektivem Gedächtnis“ gesprochen, während beide Begriffe oftmals nicht scharf voneinander getrennt sind, sondern mitunter sogar als Synonyme gebraucht werden.1 Was bedeutet es aber, dass eine Gruppe über ein „Gedächtnis“ verfügt bzw. eine „Erinnerung“ teilt? Die Übersetzung dieser beiden Begriffe auf einen überindividuellen Kontext wirkt auf den ersten Blick befremdlich und sorgt für eine nomenklatorische Verwirrung. Schließlich rekurrieren beide Begriffe zunächst einmal auf ein psychologisches (bzw. biologisches) Phänomen beim Individuum, das in den kulturwissenschaftlichen Bereich auf ein Kollektiv übertragen wird, ohne dass die mutmaßlichen Differenzen aufgezeigt würden. Auch wenn die Trennungslinie zwischen beiden Begrifflichkeiten nicht ganz scharf verlaufen mag, betont der Begriff „Erinnerungskultur“ m.E. stärker, wie innerhalb eines sozialen Zusammenhangs etwas erinnert wird, wohingegen der des „kollektiven Gedächtnis“ stärker auf dasjenige gerichtet zu sein scheint, was erinnert wird. „Erinnerungskultur“ beschreibt in diesem Sinne die durch spezifische, kulturell vorgegebene Riten und Symbole reglementierten sowie institutionell gestützten Umgangsformen einer Gesellschaft oder Gruppe im Hinblick darauf, wie diese Vergangenes im Bewusstsein bewahrt und sich gezielt vergegenwärtigt. Der Begriff „kollektives Gedächtnis“ verweist dagegen eher auf die Information über das Vergangene, auf die sich eine Gruppe gemeinsam bezieht. Wenn man einen neuen Begriff für diese gemeinsamen Informationsinhalte der Gruppe einführen wollte, könnte vielleicht von „kultureller Erinnerung“ gesprochen werden, für die „das kollektive Gedächtnis“ als eine Art „Prozessor“ fungiert. Falls diese Ausführungen soweit überzeugen, ließe sich die „Erinnerungskultur“ vielleicht als Grammatik der Erinnerung übersetzen, während das „kollektive Gedächtnis“ eher der Semantik der Erinnerung zuzuordnen wäre.

1 | Siehe dazu Reichel, Peter: Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, München 1995, S. 18.

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Bei all diesen Begrifflichkeiten steht ein Gedanke im Vordergrund: Wie hält eine Gesellschaft als Kollektiv die Vergangenheit wach? Wie bewahrt sie sie? Über welche Techniken und Hilfsmittel verfügt sie zu diesem Zweck? Welche Funktion hat die kollektive Erinnerung für die Gesellschaft? Inwieweit diese Fragen von der Forschung auf diesem Feld beantwortet werden, soll der folgende Abschnitt zeigen.

1.1 D AS KOLLEKTIVE G EDÄCHTNIS NACH M AURICE H ALBWACHS In den Kultur- und Geisteswissenschaften werden Konzepte zur kollektiven Erinnerung seit den 1990er Jahren verstärkt diskutiert,2 wobei diese nachhaltig von den Arbeiten des französischen Soziologen Maurice Halbwachs zum Begriff des kollektiven Gedächtnisses geprägt werden.3 Halbwachs erforscht in den 1920er und 1930er Jahren als einer der ersten Wissenschaftler die soziologischen und kulturellen Bedingungen des Gedächtnisses.4 Seine inhaltlichen und begrifflichen Vorgaben bilden die Grundlage für viele neuere Konzepte, die sich mit dem kollektiven Gedächtnis beschäftigen.5 Das „kollektive Gedächtnis“ verweist bei Halbwachs nicht auf eine Gemeinschaft, die sich als übergeordnete Entität erinnert. Halbwachs bezieht den Begriff auf das Individuum, das in seiner Erinnerung von einem Kollektiv durch die Teilhabe am Erfahrungsschatz und den daraus entwickelten Ideen und Wertvorstellungen einer Gruppe geprägt ist.6 Das kollektive Gedächtnis beruht auf Kommunikation, in der einzelne Mitglieder einer Gruppe ihre Erlebnisse und Erfahrungen austauschen und miteinander teilen. Die Vermittlung eines Ereignisses durch einen Zeitzeugen ermöglicht auch denjenigen, die das Erinnerte nicht selbst erlebt haben, am kollektiven Gedächtnis teilzuhaben. Auf diese Weise scheinen dem kollektiven Gedächtnis weder zeitliche noch räumliche Grenzen gesetzt zu sein. Halbwachs erklärt die Erinnerung zum sozialen und kulturellen Phänomen, da sie außerhalb von Gruppenkontexten oder „sozialen Rahmen“ („cadre sociaux“), wie er es nennt, nicht möglich sei.7 Im strengen Sinne subjektiv sind für Halbwachs nur unmittelbare Wahrnehmungen und Empfindungen, die jedoch bei jedem Verbalisierungsversuch eine soziokulturelle Prägung erhalten, weil ihre Vermittlung auf den kommunizierten gesellschaftlichen Konventionen der Verständigung beruht.8

2 | Pethes, Nicolas: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorien zur Einführung, Hamburg 2008, S. 59. 3 | Pethes: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorien, S. 58. 4 | Reichel: Politik mit der Erinnerung, S. 25. 5 | Ebd. 6 | Halbwachs, Maurice: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, Frankfurt a. M. 1985 (1925), S. 71. 7 | Halbwachs: Das Gedächtnis, S. 368. 8 | Halbwachs: Das Gedächtnis, S. 368 u. 367.

Theoretischer Diskurs zur Erinnerung

Die „sozialen Rahmen“ sind aber nicht nur entscheidend für die Bestimmung der Gedächtnisinhalte, sondern auch für die Einordnung neuer Ereignisse. Dabei unterliegt die Erinnerung einem dynamischen Prozess: Sie verändert sich inhaltlich, sobald ein Geschehen eintritt, das die Struktur der Rahmen als bisherige Deutungsmuster der Vergangenheit aufbricht und neu gestaltet. Auf diese Weise werden traditionelle Geschichtsbilder einer Gesellschaft abgewandelt und um neue Ideen erweitert. Die Erinnerung ist damit stets Abbild des gegenwärtigen Bewusstseins einer Gruppe.9 In dieser Anpassung an aktuelle gesellschaftliche Bedingungen und Bedürfnisse, d.h. an die aktuellen sozialen Rahmen, offenbart sich ihr konstruktivischer Charakter.10 Das Hauptkriterium der Erinnerung ist die Stärkung der Gruppenidentität, um den Zusammenhalt und Fortbestand der Gemeinschaft zu gewähren: „Darum neigt die Gesellschaft dazu, aus ihrem Gedächtnis alles auszuschalten, was die einzelnen voneinander trennen könnte, und darum manipuliert sie ihre Erinnerung in jeder Epoche, um sie mit den veränderlichen Bedingungen ihres Gleichgewichts in Übereinstimmung zu bringen.“11

Auf diese Weise übernimmt auch das Vergessen als Pendant einer selektiven, interessengesteuerten Erinnerung eine unverzichtbare Funktion in Halbwachs’ Gedächtnistheorie. Im Dienst des kollektiven Gedächtnisses stehen außerdem konkrete Orte, Rituale und Erzählungen, die als eine Art „äußerer Gedächtnisstütze“ die kollektive Erinnerung bewahren und tradieren,12 so dass sich in Halbwachs’ Konzept die ersten Ansätze zeigen, das Gedächtnis als „Kulturphänomen“ zu verstehen.13

9 | Halbwachs: Das Gedächtnis, S. 368. 10 | Halbwachs: Das Gedächtnis, S. 8. 11 | Halbwachs: Das Gedächtnis, S. 382. 12 | In seinem Werk „La topographie légendaire des évangiles en terre sainte“ von 1941 untersucht Halbwachs konkrete geographische Orte des Heiligen Landes sowie damit verknüpfte Heiligengeschichten und Rituale als Ausdruck und Medium einer gruppenspezifischen Erinnerung. Dabei zeigt er am Beispiel der Stadt Jerusalem, wie ein und derselbe Ort gleichzeitig von verschiedenen Gruppen, in diesem Fall von verschiedenen religiösen Glaubensrichtungen, für ihre jeweils spezifische Erinnerung vereinnahmt wird. Das Buch wurde mittlerweile ins Deutsche übersetzt. Siehe Halbwachs, Maurice: Stätten der Verkündigung im Heiligen Land. Eine Studie zum kollektiven Gedächtnis, Konstanz 2003 (1941). 13 | Siehe Assmann, Jan: Maurice Halbwachs, in: Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Lexikon, hrsg. v. N. Pethes u. J. Ruchatz, Reinbek 2001, S. 247-249, S. 248.

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1.2 D AS KULTURELLE G EDÄCHTNIS NACH J AN A SSMANN Am Ende des 20. Jahrhunderts setzt die neuere Gedächtnisforschung in den Kultur- und Geisteswissenschaften an der Stelle an, an der Halbwachs’ Theorie Fragen offen lässt.14 So zieht dieser keine klare Trennungslinie zwischen der „gelebten, kommunizierten Erinnerung“ und der „institutionalisierten, kommemorierten Erinnerung“ innerhalb des kollektiven Gedächtnisses.15 Jan Assmann schlägt deshalb die begriffliche Unterscheidung von „kommunikativem Gedächtnis“ und „kulturellem Gedächtnis“ vor. Beide Gedächtnisformen bilden in seinem Entwurf die Pfeiler des kollektiven Gedächtnisses im Halbwachs’schen Sinne und haben sich als Standard der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung durchgesetzt.16 Sowohl inhaltlich als auch formal setzen sich kulturelles und kommunikatives Gedächtnis voneinander ab und stehen in einem Verhältnis der „Polarität“17 zueinander. Das kommunikative Gedächtnis enthält die Erinnerungen, die sich auf die persönlichen Erfahrungen der rezenten Vergangenheit beziehen und zwischen Zeitgenossen innerhalb eines bestimmten Gruppengefüges (z.B. der Familie) mündlich ausgetauscht werden.18 Ein typisches Beispiel für das kommunikative Gedächtnis, das auch als „Modus der biographischen Erinnerung“19 bezeichnet wird, ist nach Assmann das „Generationen-Gedächtnis“20. Es entsteht beispielsweise innerhalb einer Familie durch die Weitergabe von Erinnerungen der Eltern an ihre Kinder und Kindeskinder. Mit der Wiedergabe von persönlichen Erfahrungen aus der jüngeren Vergangenheit ist es vor allem auf die Deutung und Organisation des Alltags ausgerichtet.21 Die Teilhabe am kommunikativen Gedächtnis ist inklusiv: Jeder kann an ihm partizipieren, da es ein Wissen enthält, das zugleich mit dem Erlernen der Sprache und alltäglicher Kommunikation erworben werden kann.22 In seinem Bestehen ist diese Gedächtnisform an die Existenz der Träger gebunden, die es hervorbringen und bewahren, so dass es ein Zeitintervall von ungefähr 80-100 Jahren umfassen kann, in dem drei bis vier Generationen bestimmte Erinnerungen miteinander teilen.23 Eine Erfahrung schwindet aus dem kommunikati14 | Pethes: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorien, S. 58. 15 | Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 46. 16 | Vgl. Thießen, Malte: Gedächtnisgeschichte. Neue Forschungen zur Entstehung und Tradierung von Erinnerung, in: Archiv für Sozialgeschichte 48 (2008), S. 607-634, S. 609. 17 | Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 53. 18 | Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 50. 19 | Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 51f. 20 | Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 50. 21 | Pethes: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorien, S. 65. 22 | Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 56. 23 | Ebd.

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ven Gedächtnis, sobald es keine Instanz mehr gibt, die über sie als biographische Erinnerung verfügt. Aufgrund seiner relativ begrenzten Dauer wird das kommunikative Gedächtnis auch mit einem „Kurzzeitgedächtnis der Gesellschaft“24 verglichen. Der Zeithorizont des kommunikativen Gedächtnis wandert stets mit der Gegenwart mit.25 Seine Inhalte unterliegen keiner dauerhaften Fixierung, sondern werden durch die interaktive Praxis ihres Austausches hervorgebracht, so dass sie im Laufe der Zeit beabsichtigt oder unbeabsichtigt gewissen Abwandlungen erliegen.26 Diese Modifikationen können jedoch weder kontrolliert noch korrigiert werden, da die ursprüngliche Erinnerung nirgends gespeichert wird. Das kommunikative Gedächtnis zeichnet sich „durch ein hohes Maß an Unspezialisiertheit, Rollenreziprozität, thematische Unfestgelegtheit und Unorganisiertheit aus“27. Je weiter ein Erlebnis sich zeitlich entfernt, desto mehr kann bei einem Zeitzeugen jedoch der Wunsch oder das Bedürfnis entstehen, eine Erfahrung, die er für bedeutsam erachtet, dauerhaft festzuhalten und weiterzugeben, wie dies z.B. schriftliche Aufzeichnungen in Form von Memoiren oder Autobiographien dokumentieren.28 An dieser Stelle kündigt sich der Übergang zu einer anderen Form des kollektiven Gedächtnisses an, die Assmann das „kulturelle Gedächtnis“ nennt und die er ins Zentrum seiner Untersuchung stellt. Das kulturelle Gedächtnis beherbergt diejenigen Inhalte des kommunikativen Gedächtnisses, die als bewahrenswert erachtet werden, weil ihnen über die Gegenwart hinaus eine Bedeutung für die Zukunft einer Gemeinschaft beigemessen wird. Wie „konserviert“ das kulturelle Gedächtnis nun Erinnerungen so, dass diese dauerhaft Bestand haben und abrufbar sind? Die Erinnerungen werden einerseits einer „kulturellen Formung“29 unterzogen, durch die die Vergangenheit zu Symbolen und Riten „gerinnt“, wie sie sich z.B. in Denkmälern und Festen manifestieren können. Andererseits werden die Erinnerungen durch eine „institutionalisierte Kommunikation“30 aufrecht erhalten, d.h. sie werden in organisierter, zeremonialisierter Form durch spezialisierte Träger wie z.B. Priester, Historiker und Lehrer weitergegeben. Durch diese Art der Vermittlung wird der Zugriff auf bestimmte Erinnerungen ermöglicht, die den Traditionsbestand einer Gesellschaft repräsentieren. Die jeweiligen Symbole und Riten verweisen dabei auf eine bestimmte Gruppe, die diese in ihrer Bedeutung versteht, so dass das kulturelle 24 | Welzer, Harald: Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung, 2. Aufl., München 2008, S. 14. 25 | Assmann, Jan: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: Kultur und Gedächtnis, hrsg. v. J. Assmann u. T. Hölscher, Frankfurt a. M. 1988, S. 9-19, S. 11. 26 | Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 52. 27 | Assmann: Kollektives Gedächtnis, S. 10. 28 | Assmann: Das kulturelle Gedächtnis., S. 51. 29 | Assmann: Kollektives Gedächtnis, S. 12. 30 | Ebd.

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Gedächtnis gruppenspezifisch und nicht willkürlich übertragbar ist. Obschon es auf bestimmten „Fixpunkten“ der Vergangenheit in symbolhafter und ritueller Form basiert, werden diese jedoch notwendigerweise immer aus der jeweiligen Gegenwart wahrgenommen und gedeutet.31 Inhaltlich bezieht sich das kulturelle Gedächtnis auf die gemeinsame Geschichte einer Gemeinschaft, insbesondere auf ihren kulturellen Ursprung bzw. ihre Gründung, so dass es auch als „Modus der fundierenden Erinnerung“32 bezeichnet wird. Durch die Vergegenwärtigung dieser fundierenden Vergangenheit wird vor allem die Identität der erinnernden Gesellschaft gestärkt und gesichert.33 Dabei handelt es sich um einen Entwurf der Vergangenheit, der dem gewählten Selbstbild des Kollektivs entspricht und beispielsweise auf einen politischen oder ideologischen Hintergrund ausgerichtet sein kann.34 Während sich das kommunikative Gedächtnis als Ausdruck „erlebter Erinnerung“ über die Nähe zum Alltag definiert, zeichnet sich das kulturelle Gedächtnis als Repräsentation der offiziellen Memorialkultur in der feierlichen Andacht an das Vergangene durch Alltagsferne aus.35 Assmann spricht deshalb von einem polaren Verhältnis zwischen beiden Gedächtnisformen, die sich wie „Fest und Alltag“36 gegenüberstehen. Unter sozialen Erwägungen begreift er sie als Gegensatz zwischen einer „wissenssoziologischen Elite, der Spezialisten des kulturellen Gedächtnisses, und der Allgemeinheit der Gruppe“, die das kommunikative Gedächtnis bewahrt.37 Der informelle Charakter des kommunikativen Gedächtnisses, das spontan aus der jeweiligen Situation heraus entsteht, unterscheidet sich von der Stiftung und Geformtheit des kulturellen Gedächtnisses. Vor diesem Hintergrund erscheinen das kommunikative und das kulturelle Gedächtnis als zwei unterschiedliche Modi der Erinnerung, die vielleicht mit dem flüssigen und festen Aggregatzustand desselben Stoffes vergleichbar sind. Zwischen beiden Kategorien von Erinnerung besteht ein so genanntes „floating gap“38, „eine fließende Lücke“, die die Geschichtserfahrung des kommunikativen Gedächtnisses im Rahmen individueller Biographien und geteilter Erinnerungen der Zeitgenossen von der des kulturellen Gedächtnisses als einer in festen Objektivationen gebannten, entfernten Vergangenheit trennt. Denn das kommunikative Gedächtnis enthält nur Erinnerungen an die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, die als biographische 31 | Assmann: Kollektives Gedächtnis, S. 13. 32 | Assmann: Kollektives Gedächtnis, S. 51f. 33 | Assmann: Kollektives Gedächtnis, S. 56. 34 | Pethes: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorien, S. 65. 35 | Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 53f. 36 | Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 55. 37 | Ebd. 38 | Assmann bezieht sich mit diesem Begriff auf den Ethnologen Jan Vansina, der in seinen Untersuchungen schriftloser Kulturen auf ein Phänomen stößt, das er das „floating gap“ nennt: „Für die

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Erinnerungen eines Menschen gemessen an dessen Lebenserwartung heutzutage 80, vielleicht sogar 100 Jahre zurückliegen können. Jenseits dieser zeitlichen Grenze verblassen die Erinnerungen an eine weiter zurückliegende Vergangenheit. Die Informationen setzen erst wieder mit der Entstehungs- und Gründungsgeschichte einer Gemeinschaft als fundierenden Erinnerungen ein. Dazwischen bleibt ein „blinder Fleck“ bzw. ein „Lücke“. Das Konzept des kulturellen Gedächtnisses beinhaltet weitere Spezifikationen. Es kann zunächst in ein so genanntes „Speichergedächtnis“, das vielleicht als die vollständige Datenbank einer Kultur charakterisiert werden kann, und in ein „Funktionsgedächtnis“, das deren selektiven Gebrauch vorstellt, unterschieden werden.39 Welche Daten in Bezug auf das Funktionsgedächtnis dabei zur Herstellung eines Vergangenheitsbezugs von einem Kollektiv aus dem Gesamtbestand an Daten ausgewählt werden, ist davon abhängig, was der jeweilige soziale Zusammenschluss in der gegenwärtigen Rückschau als bedeutsam erachtet. In Hinblick auf die Intention des sinnstiftenden Selektionsaktes ist in Anlehnung an den französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss bei Assmann die Rede von so genannten „kalten“ und „heißen“ Gesellschaftsformen.40 Die erste stellt in ihrer Wahl des Vergangenheitsbezugs keine Verbindung zur Gegenwart her, während die letzte den Einfluss vergangener Zeiten auf die Gegenwart betont. In diesem letzten Fall wird die Vergangenheit instrumentalisiert, um das Selbstbild einer Gesellschaft zu formen. Wenn dies zur Stabilisierung der gegenwärtigen Verhältnisse eines Kollektivs geschieht, indem die Gegenwart auf der Vergangenheit aufbaut, wird von einer

jüngste Vergangenheit gibt es reichlich Informationen, die umso spärlicher werden, je weiter man in die Vergangenheit zurückgeht. Für frühere Zeiten findet man entweder einen Sprung oder ein oder zwei zögernd genannte Namen. Wir stoßen hier auf eine Lücke in den Berichten, die ich ,die fließende Lücke’ (the floating gap) nennen möchte. Für noch frühere Perioden stößt man wiederum auf eine Fülle von Informationen und hat es mit Überlieferungen des Ursprungs zu tun. Die Lücke ist den Menschen in der betreffenden Gemeinschaft oft nicht bewusst, aber sie ist dem Forscher unverkennbar. Manchmal, besonders in Genealogien, stoßen jüngste Vergangenheit und Ursprungszeit in der Abfolge einer einzigen Generation aufeinander.“ Zit. n. Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 48. 39 | Die Unterscheidung des kulturellen Gedächtnisses in Speicher- und Funktionsgedächtnis geht auf Aleida Assmann zurück. Siehe Dies.: Funktionsgedächtnis und Speichergedächtnis – zwei Modi der Erinnerung, in: Generation und Gedächtnis. Erinnerungen und kollektive Identitäten, hrsg. v. K. Platt, Opladen 1995, S. 169- 185, S. 181ff. 40 | Levi-Strauss charakterisiert „kalte Gesellschaften“ als solche, deren Streben darauf ausgerichtet ist, „kraft der Institutionen, die sie sich geben, auf quasi automatische Weise die Auswirkungen zum Verschwinden zu bringen, die die geschichtlichen Faktoren auf ihr Gleichgewicht und ihre Kontinuität haben könnten.“ Demgegenüber benutzen „heiße Gesellschaften“ ihre Geschichte als „Motor ihrer Entwicklung“. Sie streben nach Veränderung, die sie sich durch den Rückbezug auf die Geschichte erhoffen. Zit. n. Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 68.

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„fundierenden Erinnerung“ gesprochen.41 Werden die gegenwärtigen Verhältnisse in Frage gestellt, indem Gegenwart und Vergangenheit sich in einem Widerspruch zueinander befinden, wird dies als „kontrapräsentische Erinnerung“ bezeichnet: Das Kollektiv zielt auf einen Bruch mit den gegenwärtigen Verhältnissen.42 Mit seinem Konzept entwirft Assmann einen Gedächtnisbegriff, der nicht nur die Züge eines kulturellen Phänomens annimmt wie in der Halbwachs’schen Theorie, sondern mit der Kultur einer Gesellschaft quasi absolut gleichgesetzt wird. Aus dieser Sicht erscheint Kultur als die Summe „kristallisierter Erinnerungen“ in Form von Einrichtungen, Ritualen und Symbolen, deren Überlieferung die Identität eines Kollektivs im Wandel der Zeit sichert. Die Gegenüberstellung von kommunikativem und kulturellem Gedächtnis, wie sie Assmann ins Auge fasst, erscheint ihm selbst nur sinnvoll bei der Erforschung früher Hochkulturen. Ob sie sich auch für moderne Gesellschaften anbietet, zieht er in Zweifel: „[...] so wäre die Arbeit am ,kommunikativen Gedächtnis’ kleiner Gemeinschaften wie der Familie immer bereits eine Arbeit am ,kulturellen Gedächtnis’ einer sehr viel größeren Sozietät, wie umgekehrt die Erinnerungsarbeit von Gesellschaften und Kulturen wirkungslos bleiben muss ohne eine Verankerung in den lokalen Kommunikationen des Alltags.“43

Diese Position erscheint zumindest einmal verwunderlich, da uns ältere Kulturen doch – wenn überhaupt – generell eigentlich nur durch das kulturelle Gedächtnis zugänglich sein können, so dass die Unterscheidung viel eher im Hinblick auf die Zeitgeschichte zu greifen scheint. Die Einführung anderer Begrifflichkeiten wie „Speichergedächtnis“ und „Funktionsgedächtnis“ mag zur Ausdifferenzierung des „kulturellen Gedächtnisses“ beitragen. Eine gewisse begriffliche Unschärfe lässt sich aber auch durch diese Differenzierungen nicht ohne Weiteres beheben.

41 | Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 78f. 42 | Ebd. 43 | Siehe Keppler, Angela: Soziale Formen individuellen Erinnerns. Die kommunikative Tradierung von (Familien-)Geschichte, in: Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung, hrsg. v. H. Welzer, Hamburg 2001, S. 137-159, S. 159. Es fragt sich, worauf dieser Einwand gestützt wird. Bezieht er sich auf die Komplexität von Kulturen oder darauf, dass wir heute von den frühen Hochkulturen aufgrund der Quellenlage zu wenig wissen? Die Schlagkraft beider Argumente kann in Zweifel gezogen werden.

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1.3 DAS KOLLEKTIVE GEDÄCHTNIS AM B EISPIEL DES KOMMUNALEN G EDÄCHTNISSES Eine andere Form der Annäherung an das kollektive Gedächtnis besteht in der Untersuchung seiner Funktions- und Wirkungsweise am konkreten Beispiel unterschiedlicher Erinnerungsgemeinschaften. So erforscht die Anthropologin Francesca Cappelletto das kommunale Gedächtnis zweier toskanischer Dörfer, deren Bewohner im Sommer 1944 Opfer zweier Massaker von Truppen der deutschen SS und Wehrmacht werden.44 Dieses Erlebnis scheint auch heute noch einen starken gemeinsamen Bezugspunkt für die Dorfbewohner beider Ortschaften darzustellen. Anhand von Interviews stellt Cappelletto fest, dass zwischen den Erzählungen der Überlebenden enge, wechselseitige Bezüge bestehen, so dass sich im Laufe der Zeit standardisierte Meistererzählungen45 herausgebildet haben. Auch Unbeteiligte und Mitglieder der nachfolgenden Generationen eignen sich diese Erzählungen in der Weise an, dass sie sie als Teil der eigenen gelebten Erfahrung verstehen und wiedergeben. Die „kultivierten, narrativen Erinnerungen“46 der traumatischen Ereignisse des Sommers 1944 wirken in ihrer rituellen Wiederholung einerseits identitätsstiftend in Hinblick auf das Individuum, das sich als Teil derselben „Schicksalsgemeinschaft“ begreift, andererseits fördern sie den Zusammenhalt in der Dorfgemeinschaft, da sich „Solidarität“ entwickelt zwischen „jenen, die die zugrunde liegende Erfahrung gemacht haben, und jenen, die an der Situation der Erzählung partizipieren“.47 Ausgehend von der Annahme, dass das kollektive Gedächtnis nicht nur in der Theorie existiert, sondern auch in der Praxis gegenständlich greifbar ist, stellt sich die Frage: Woran lässt sich eine konkrete Erinnerungsgemeinschaft, die ein kollektives Gedächtnis teilt, erkennen? Die Antwort darauf liegt in der Überlegung, wie das Konzept des sozialen Rahmens, das bei die Bedingung jedes Erinnerungsprozesses darstellt, in der Wirklichkeit sinnlich erfahrbar wird. Am vorangegangenen Beispiel der beiden toskanischen Dörfer wird deutlich, dass das kommunale Gedächtnis als eine Form des kollektiven Gedächtnisses Kommunikation voraussetzt, auf die sich die wechselseitige Überschreibung von Erinnerungen zurückführen lässt. Wie bereits erwähnt, wird die Weitergabe von Erinnerung nach Halbwachs’ Theorie aber nicht nur im kommunikativen Austausch zwischen den einzelnen Mitgliedern einer Erinnerungsgemeinschaft vollzogen, sondern ist zusätzlich räumlich und zeitlich verankert. So tragen Räume zur Konsolidie44 | Cappelletto, Francesca: Kriegserinnerungen in zwei Dörfern der Toskana. Vom autobiographischen zum sozialen Gedächtnis, in: Tschuggnall: Erinnerung & Emotion (Psychologie und Gesellschaftskritik 118), Lengerich 2006, S. 7-34. 45 | „Standardisierte Meistererzählung“ meint in diesem Fall eine vereinheitlichte Großdeutung der Geschehnisse, die für die Erzählperspektive der Dorfmitglieder leitend ist. 46 | Cappelletto: Kriegserinnerungen, S. 30. 47 | Ebd.

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rung der Erinnerung bei, solange sie trotz zeitlicher Veränderungen ihren Bezug zu einem historischen Geschehen bewahren und dieser deutlich erkennbar ist. In Hinblick auf Cappellettos Studie stellt das Territorium der beiden Dorfgemeinden den räumlichen Bezugsrahmen für die Rekonstruktion des vergangenen Geschehens her. Auch Gedenkveranstaltungen und Feiertage, die unabhängig vom Aufenthaltsort im regelmäßigen Abstand auf den Zeitpunkt historischer Ereignisse verweisen, um diese in Erinnerung zu behalten, gelten als Stabilisatoren in diesem Kontext. Auf diese Weise sind räumliche und zeitliche Fixpunkte wichtige Hinweise im Hinblick auf eine Gemeinschaft, die durch ein kollektives Gedächtnis verbunden ist.48

1.4 M EDIEN DES KULTURELLEN G EDÄCHTNISSES Wiederkehrende Jahrestage, die auf ein bestimmtes historisches Geschehen rekurrieren, bieten die Möglichkeit, die Vergangenheit in Form eines Zeremoniells wieder aufleben zu lassen: Das Vergangene wird reinszeniert, um es durch Wiederholung zu festigen und als Information weiterzutragen.49 Insbesondere Gesellschaften, die keine externe Datenspeicherung kennen (z.B. in Form von Büchern, Bibliotheken oder einer Festplatte) sind aus diesem Grund auf das Zeremoniell als rituelle Form des kulturellen Gedächtnisses angewiesen. Die Vergangenheit wird bei diesen Anlässen in die Gegenwart integriert. Auf diese Weise kann auch eine moderne Gesellschaft auf ihre Tradition verwiesen werden, die ihren Zusammenhalt und ihre Identität stärkt. Zeremonielle spielen eine wichtige Rolle für die Vermittlung einer kollektiven Erinnerung, insofern sie einen gemeinschaftsstiftenden Vergangenheitsbezug herstellen, an dem alle Mitglieder einer Gruppe beteiligt werden.50 Die strengen Vorgaben des Ritus sind dabei entscheidend, da sie die Überlieferung vor formalen und inhaltlichen Abwandlungen schützen.51 Oftmals sind Riten und Orte miteinander verbunden. So wird beispielsweise das Olympische Feuer in der Neuzeit an der historischen Stätte des antiken Olympia entzündet und als Teil der Eröffnungszeremonie im Olympischen Fackellauf zum jeweiligen Austragungsort des Olympischen Wettkampfs getragen.52 48 | Einen inhaltlichen Überblick über die aktuellsten Forschungsbeiträge zu Formen des kollektiven Gedächtnisses, Erinnerungsträgern und -kontexten bietet Thießen: Gedächtnisgeschichte, S. 623-630. 49 | Pethes: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorien, S. 84. 50 | Ebd. 51 | Ebd. 52 | Der Olympische Fackellauf geht auf eine Idee von Carl Diem zurück und wird auf Anweisung von Joseph Goebbels zum ersten Mal bei den Olympischen Sommerspielen 1936 in Berlin umgesetzt. Die Antike kennt diesen Brauch zur Eröffnung der Olympischen Wettkämpfe nicht, jedoch kündigen im Vorfeld des Ereignisses ölzweiggekrönte Läufer, die von Elis aufbrechen, die Spiele in den griechischen

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Die Wallfahrt oder Pilgerreise ist ein weiteres Beispiel für die rituelle Funktion von Orten, da ihr Ziel im Erreichen einer bestimmten Pilgerstätte von religiöser oder säkularer Bedeutung besteht. Die Verknüpfung von Ritus und Ort drückt sich ebenfalls in der Namensgebung von Plätzen, Straßen und Gebäuden sowie in Denkmälern aus, da diese als lokale Markierungen in einer Stadt oder Gemeinde gezielt an bestimmte Personen oder Ereignisse erinnern. Es gibt demnach Orte, an denen ein historisch bedeutsames Geschehen tatsächlich stattgefunden hat, und es gibt Orte, die zwar nicht historischer Schauplatz waren, an denen aber ein Monument zur Erinnerung an eine historisch bemerkenswerte Begebenheit oder Person errichtet wurde. Manchmal erfüllt ein und derselbe Ort auch beide Kriterien. So wurde Alt-St.-Peter in Rom, der Vorgängerbau des heutigen Petersdoms, als Grabes- und Gedächtniskirche über dem vermuteten Grab des Apostels Petrus erbaut.53 Jan Assmann nennt diese von Erinnerung besetzten geographischen Orte „Mnemotope“54, Gedächtnisorte. Dazu gehören für ihn auch ganze Landschaften, wie z.B. die „totemic landscapes“ der australischen Aborigines.55 Im Wandel der Zeit kann sich die Bedeutung eines „Mnemotops“, die ihm durch eine bestimmte Gruppe zugeschrieben wurde, auch verändern. Dies lässt sich an der Geschichte des heutigen Istanbul verdeutlichen: Um 660 v.Chr. als griechische Kolonie „Byzantion“ gegründet, wurde es 330 n.Chr. von Konstantin I., dem Großen, als „Constantinopolis“ zur Hauptstadt des oströmisches Reiches erhoben, bis es nach der Eroberung durch die Osmanen 1453 zur Hauptstadt des Osmanischen Reiches ernannt wurde. Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches 1923 verlor Konstantinopel in der neugegründeten Türkei seinen Status als Hauptstadt an Ankara und wurde 1930 offiziell in „Istanbul“ umbenannt.56 In der Vorstellung liegen bei einem derartigen „Mnemotop“ mehrere historische Schichten übereinander, die jeweils über ein bestimmtes kulturelles Selbstverständnis Auskunft geben könStädten an. Sie rufen den Olympischen Frieden als Aufforderung aus, alle kriegerischen Auseinandersetzungen ruhen zu lassen, damit die sichere Reise von Zuschauern und Athleten nach Olympia gewährt sei. Fackelläufe sind in der Antike ein beliebter nächtlicher Wettkampf, zu Fuß und später zu Pferd. Die Herausforderung besteht darin, möglichst schnell das Ziel zu erreichen, ohne dass dabei die Fackel erlischt. Siehe dazu Sinn, Ulrich: Das antike Olympia: Götter, Spiel und Kunst, München 2004, S. 104. 53 | Zur Baugeschichte des Petersdoms siehe: Arbeiter, Achim: Alt-St.-Peter in Geschichte und Wissenschaft. Abfolge der Bauten, Rekonstruktion und Architekturprogramm, Berlin 1988; Roser, Hannes: St. Peter in Rom im 15. Jahrhundert. Studien zu Architektur und skulpturaler Ausstattung München 2005. 54 | Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 60. Der Begriff setzt sich zusammen aus dem altgriechischen „μνήμη“, das „Gedächtnis“ bedeutet, und „τόπoς“, das mit „Ort“ übersetzt wird 55 | Ebd. An hohen Feiertagen gedenken die australischen Ureinwohner ihrer Herkunft, indem sie zu bestimmten Plätzen innerhalb dieser Landschaft pilgern, an denen sie den Geist ihrer Vorfahren vermuten. 56 | Siehe dazu Schreiner, Peter: Konstantinopel: Geschichte und Archäologie, München 2007; Yerasimos, Stéphane: Konstantinopel. Istanbuls historisches Erbe, übersetzt aus dem Französischen v. U. Arnsperger, Köln 2000.

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nen, so dass der Vergleich zum Palimpsest mit seinen sich überlagernden Schriftbildern veranschaulichend wirkt.57 Wenn ein Datum wie der 27. Januar zum Gedenktag erhoben oder ein Ort wie das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz als Gedenkstätte eingerichtet wird, sind dies Anhaltspunkte, die etwas über das politische und geschichtliche Bewusstsein einer Gesellschaft aussagen können. Was erinnert und was vergessen wird, kann dabei zur machtpolitischen Entscheidung geraten, die die rituelle Gedächtnispraxis und das dahinterstehende Geschichtsbild einer Gruppe mitbestimmt. Dieser machtpolitische Aspekt wird zum Beispiel an einer Gesellschaft deutlich, die entweder einer Revolution oder deren Niederschlagung feierlich gedenkt.58 Aber nicht nur ein konkreter Raum oder ein bestimmtes Datum, sondern auch visuelle, akustische, olfaktorische, geschmackliche und haptische Eindrücke können als Erinnerungsvehikel fungieren. Ein vielzitiertes Beispiel aus der Literatur, das die Kraft des sinnlichen Eindrucks als Auslöser einer Erinnerung verdeutlicht, ist eine Textpassage aus Marcel Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“. Der Ich-Erzähler beschreibt, wie der Duft und Geschmack einer in Tee getunkten Madeleine ihn gedanklich in seine Kindheit zurückversetzt. Aktuelle Forschungsbeiträge zum Gedächtnis weisen daraufhin, dass beispielsweise die mnemotopische Kraft einer Kneipe durch ihre spezifische Geräuschkulisse unterstützt werden kann.59 Ebenso kann der Klang von Luftschutzsirenen und Flugzeugmotoren Erinnerungen bei Zeitzeugen des Luftkrieges evozieren oder diese in ihrer Intensität verstärken.60

1.5 D IE G EDÄCHTNISORTE NACH P IERRE N ORA Einen entscheidenden Impuls, der die Reflexion über die Verräumlichung des kollektiven Gedächtnisses belebt und fortsetzt, gibt in den 1980er und 1990er Jahren der französische Historiker Pierre Nora mit seiner Theorie der so genannten „Gedächtnisorte“.61 Nora versteht diese Orte als letzte Überreste eines Gedächtnisses, 57 | Pethes: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorien, S. 89. 58 | Pethes: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorien, S. 86. 59 | Siehe Überblicksdarstellung zu aktuellen Beiträgen der Gedächtnisforschung von Thießen: Gedächtnisgeschichte, S. 624f. 60 | Thießen: Gedächtnisgeschichte, S. 625. 61 | Pethes: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorien, S. 89. Im französischen Originaltext spricht Nora von „lieux de mémoire“ als einer Umschreibung für den „Gedächtnisort“ im Deutschen, wie erklärend hinzugefügt ist. Siehe Nora, Pierre (Hg.): Les Lieux de mémoire, 7 Bde, Paris 1984-1993. In der deutschsprachigen Forschung wird für den Begriff „Gedächtnisort“ synonym vom „Erinnerungsort“ in Bezug auf Noras Theorie gesprochen, ohne dass zwischen „Gedächtnis“ und „Erinnerung“ diffe-

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das er im konkreten Fall auf Frankreich als Nation bezieht.62 Der Begriff des Gedächtnisses bedeutet in diesem Kontext die Teilhabe an bestimmten Symbolen und Werten, die den Zusammenhalt und die Identität einer Gruppe oder Gesellschaft jenseits von räumlichen und zeitlichen Grenzen begründen. Diese Vorstellung von einer abstrakten Erinnerungsgemeinschaft steht in der Tradition der Halbwachs’schen Theorie vom kollektiven Gedächtnis. Mit dem Verlust des kollektiven Gedächtnisses, den Nora allgemein für das 20. Jahrhundert diagnostiziert, gewinnen die Gedächtnisorte zunehmend an Bedeutung, da sie allein die Identität einer Gruppe und ihren Fortbestand sichern würden. Das Schwinden des Gedächtnisses wird bei Nora mit dem Zerfall traditioneller Gedächtnisgemeinschaften begründet.63 Eine entscheidende Ursache für diese Entwicklung sieht Nora in einem Phänomen, das er die „Beschleunigung der Geschichte“64 nennt. Seine Ausführungen zu diesem Punkt deuten darauf hin, dass er mit dieser Umschreibung möglicherweise auf den technischen Fortschritt insbesondere im Kommunikations- und Transportwesen anspielt. Denn aufgrund technischer Neuerungen seit Beginn des 19. Jahrhunderts wird es möglich, Distanzen zwischen entfernten Teilen der Welt schneller zu überwinden und damit weltweite historische Prozesse zu beschleunigen. So kann sich z.B. die Kunde von der Revolution 1848 mit Hilfe des Eisenbahnverkehrsnetzes viel schneller im und über den deutschsprachigen Raum hinaus ausbreiten als beispielsweise die Julirevolution 1830, deren historische Akteure diese Möglichkeit der Fortbewegung und Nachrichtenweitergabe noch nicht kennen.65 Eine Epidemie wie die so genannte „Schweinegrippe“, die im Jahr 2009 in Mexiko zum ersten Mal auftritt, kann sich in kürzester Zeit zur Pandemie entwickeln, weil die mit dem Virus Infizierten durch den internationalen Flugverkehr die Infektionskrankheit in andere Länrenziert wird. Vgl. dazu: Carcenac-Lecomte, Constance (Hg.): Steinbruch. Deutsche Erinnerungsorte. Annäherung an eine Gedächtnisgeschichte, mit einem Vorwort von H. Schulze u. E. Francois, Frankfurt a. M. 2000, S. 13. In Anlehnung an den französischen Originaltext wird im Zusammenhang mit Noras Theorie in der vorliegenden Arbeit der Begriff „Gedächtnisort“ verwendet. 62 | Er versteht jedoch seinen Entwurf der „Gedächtnisorte“ als Modell, das auch auf andere Zusammenhänge übertragbar ist. Die von Nora in sieben Bänden zusammengetragenen „Erinnerungsorte Frankreichs“ haben z.B. in Deutschland die dreibändige Publikation „Deutsche Erinnerungsorte“ und das Buch „Erinnerungsorte der DDR“ angeregt. Siehe Nora, Pierre/Francois, Etienne: Erinnerungsorte Frankreichs, München 2005; Francois, Etienne/Schulze, Hagen (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte, 3 Bde, München 2001; Sabrow, Martin (Hg.): Erinnerungsorte der DDR, München 2009. 63 | Als ein konkretes Beispiel für die „Gedächtnisgemeinschaft par excellance“ nennt Nora die bäuerliche Lebensgemeinschaft, die im Zuge der aufkommenden Industrialisierung verdrängt wird. Vgl. Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 11f. 64 | Ebd. 65 | Siehe Roth, Ralf: Das Jahrhundert der Eisenbahn. Die Herrschaft über Raum und Zeit 1800-1914, Thorbecke 2005, S. 89ff.

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der und Kontinente tragen. Vor 100 Jahren wäre diese schnelle Ausbreitung einer Krankheit über weite Teile der Welt nicht denkbar gewesen. Was hat diese Entwicklung nun genau mit dem Verlust des Gedächtnisses bei Nora zu tun? Noras Gedächtnisbegriff zielt auf eine Vergangenheit, die „lebendig“ erscheint, indem sie als historischer Prozess in die Gegenwart mündet und mit ihr verbunden ist. Durch die „Beschleunigung der Geschichte“ scheint jedoch das Gedächtnis als ein verinnerlichtes, überliefertes und gewachsenes Wissen um die eigene Herkunft und Geschichte zugunsten eines von außen herangetragenen, aktuellen Weltgeschehens verdrängt zu werden. So wie vielleicht Ereignisse wie der Tsunami vor der indonesischen Insel Java 2006, der Krieg in Afghanistan oder die Ernennung des ersten afroamerikanischen US-Präsidenten 2009 unsere Gegenwart heute stärker prägen als das Wissen um die Gründung des deutschen Reiches 1871. Die Vergangenheit einer Kultur erscheint nun als etwas Abgeschlossenes, das keinen unmittelbaren Bezug mehr zur Gegenwart unterhält und aus der Distanz zum Objekt der Betrachtung wird. Vielleicht ließe sich Noras Gedanke in diesem Sinne interpretieren. Vor diesem Hintergrund wird das Verhältnis von Gedächtnis und Geschichte als wissenschaftlicher Disziplin in seiner Darstellung geschichtlicher Ereignisse neu bestimmt: Während beide Begriffe vormals Synonyme darstellen, beschreiben sie heute in Noras Verständnis zwei Gegensätze.`66 Es entsteht eine Geschichtsschreibung, „die darangeht, in sich selbst alles zu verfolgen, was nicht sie selbst ist, sich als Opfer des Gedächtnisses zu entdecken und Anstrengungen unternimmt, sich davon zu befreien.“67 Die historische Wissenschaft nimmt eine kritische Distanz zur Vergangenheit als ihrem Untersuchungsgegenstand ein, die dem Gedächtnis vollkommen fehlt. In der Konsequenz bedeutet dies: „Das Gedächtnis ist der Geschichte stets verdächtig und ihre wahre Mission besteht darin, das Gedächtnis zu zerstören und zu verdrängen.“68 An die Stelle des „natürlichen“ Gedächtnisses tritt die Geschichtswissenschaft selbst als eine Art zweites, artifizielles Gedächtnis.69

66 | Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 12. Nora unterscheidet zwischen Geschichte als „erlebter Geschichte“ und der „intellektuellen Operation, die diese [erlebte Geschichte] verständlich macht“. Die letzte Umschreibung erläutert Nora mit dem Begriff der „Historie“, die als Bericht geschichtlicher Ereignisse vielleicht eher der „erlebten Geschichte“ zuzuordnen wäre. Noras Verwendung von „Historie“ ist mir an dieser Stelle nicht verständlich. Es wäre m.E. sinnvoller in diesem Zusammenhang von „Geschichtswissenschaft“ zu sprechen, so dass in der anschließenden Darstellung der Nora’schen Theorie diese leichte Modifikation vorgenommen wird. 67 | Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 14. 68 | Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 13. 69 | Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 18.

Theoretischer Diskurs zur Erinnerung

Dieser Transformationsprozess wird nach Nora von drei Phänomenen begleitet, von denen eines das „Gedächtnis als Archiv“ darstellt.70 Je mehr das traditionelle Gedächtnis schwindet, desto stärker werden in Archiven, Bibliotheken, Museen und anderen Einrichtungen Zeitzeugnisse wie z.B. Dokumente oder Gegenstände gesammelt und aufbewahrt, die für erinnerungswürdig gehalten werden bzw. es einmal sein könnten. Entsprechend habe der Verlust des ursprünglichen Gedächtnisses, den Nora dem heutigen Frankreich attestiert, zu einer Überproduktion von Archivmaterial geführt, das die Funktion einer „Gedächtnisprothese“ übernimmt.71 Ein weiteres Charakteristikum für den Wandel des Gedächtnisses fasst Nora mit dem „Gedächtnis als Distanz“ zusammen.72 Das Gedächtnis behandelt die Vergangenheit nicht als einen abgeschlossenen Prozess, sondern belebt diese in der Erinnerung erneut und setzt sie in einen Bezug zur Gegenwart. In diesem Verständnis basiert das Verhältnis von Gegenwart und Vergangenheit retrospektiv auf einer durchgehenden Kontinuität. Der Verlust des Gedächtnisses verändert diese Relation nach Noras Ansicht, indem das vergangene Geschehen aus einer viel größeren Distanz wahrgenommen wird, so dass es in keinerlei Verbindung mehr zu den gegenwärtigen Ereignissen zu stehen scheint. In dieser Sichtweise unterliegt die Geschichte einer Diskontinuität, die im radikalen Bruch von Vergangenheit und Gegenwart zum Ausdruck kommt. Aus der Distanz erwächst jedoch ein umso stärkeres Bedürfnis, sich der Vergangenheit zu nähern: Es werden die unterschiedlichsten Formen der (sinnlichen) Veranschaulichung in dem Bestreben bemüht, einen Begriff davon zu vermitteln, was sich dem eigenen Vorstellungsvermögen entzieht.73 Das letzte Kennzeichen, das den Zerfall des Gedächtnisses dokumentiert, umschreibt Nora als „Pflicht zum Gedächtnis“.74 Das Gedächtnis bildet das Reservoir gemeinsamer Erinnerungen einer Gruppe und stiftet als solches deren Identität und Zusammenhalt. Mit dem Schwinden des Gedächtnisses droht die Gemeinschaft in ihrer Einheit zu zerbrechen und ihre Identität zu verlieren. Sie kann diesen Verlust nur kompensieren, indem sie sich auf die Suche nach ihrer eigenen Geschichte macht, um damit ihre Identität wiederzugewinnen. Jeder wird auf diese Weise sozusagen zum „Historiker seiner selbst“75. Nora begreift diese bewusste

70 | Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 19. 71 | Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 21. 72 | Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 23. 73 | Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 24. So ist die Besichtigung eines Konzentrationslagers z.B. der Versuch, durch die Vermittlung sinnlicher Eindrücke eine Vorstellung davon zu bekommen, was es bedeutete, an diesem Ort Zeit verbracht haben zu müssen. 74 | Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 21. 75 | Ebd.

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Hinwendung zur eigenen Vergangenheit als eine Notwendigkeit, die er deshalb als „Pflicht“ zum Gedächtnis bezeichnet. Da die Gesellschaft mit dem Verlust des Gedächtnisses stärker auf die Erforschung ihrer geschichtlichen Herkunft angewiesen ist, gewinnt auch die Profession des Geschichtswissenschaftlers zunehmend an Bedeutung. Dabei bleibt auch seine Tätigkeit nicht von dem Umstand unberührt, dass es kein Gedächtnis mehr gibt.76 In Abgrenzung zum Gedächtnis setzt eine kritische Selbstreflexion in der Geschichtswissenschaft ein, die die eigenen Methoden hinterfragt. Während der Historiker nach Nora vormals seine Aufgabe in der Rekonstruktion des Vergangenen auf der Basis größtmöglicher Sachlichkeit sah, erkennt er nunmehr, dass die Darstellung der Vergangenheit trotz seines Bemühens um wissenschaftliche Nüchternheit und Distanz zum Untersuchungsgegenstand immer einer eigenen subjektiven Prägung unterliegt, die seiner eigenen geschichtlich bedingten Perspektive auf das vergangene Geschehen geschuldet ist. Auf diese Weise geht das natürliche milieu de mémoire, das wie selbstverständlich in die Gesellschaft integriert war, verloren und hinterlässt als seine einzigen „Überreste“77 die lieux de mémoire, die noch nicht völlig von der Geschichtswissenschaft besetzt sind. Diese Orte charakterisiert Nora als „die Bräuche einer Gesellschaft ohne Brauchtum“78. Sie verkörpern diejenigen Referenzpunkte eines „lebendigen“, rituellen Umgangs mit der Vergangenheit, die noch nicht der kritischen Reflexion einer „erstarrten“ Geschichtswissenschaft anheim gefallen sind. Deswegen sind sie aus Noras Sicht so wertvolle Hinweise auf die verlorene Gedächtnistradition einer Gesellschaft, die es zu bewahren und zu untersuchen gilt. Der Begriff „Ort“ kann in diesem Zusammenhang unterschiedliche Formen annehmen: Es kann sich dabei z.B. um einen geographisch lokalisierbaren Ort handeln wie das Kolosseum im Rom, ein Symbol wie die Trikolore Frankreichs, eine mythische Figur wie Odysseus, eine Institution wie das Pentagon oder ein Kunstwerk wie die Laokoon-Gruppe. Entscheidend für die Kennzeichnung eines Gedächtnisortes ist laut Nora der Wille, etwas für das kollektive Gedächtnis zu bewahren.79 Des Weiteren muss er drei Kriterien erfüllen. Er muss materiell vorliegen, eine symbolische Bedeutung besitzen und eine Funktion haben: „Auch ein offenbar rein materieller Ort wie ein Archivdepot ist erst dann ein Gedächtnisort, wenn er mit einer symbolischen Aura umgeben ist. Auch ein rein funktionaler Ort wie ein Schulbuch, ein Testament, ein Kriegsveteranenverein gehört nur dann zur Kategorie, wenn er Gegenstand eines Rituals ist. Auch eine Schweigeminute, die das extremste Beispiel einer symbolischen Bedeutung zu sein scheint,

76 | Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 25. 77 | Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 17. 78 | Ebd. 79 | Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 26f.

Theoretischer Diskurs zur Erinnerung ist materieller Ausschnitt einer Zeiteinheit und dient gleichzeitig dazu, periodisch eine Erinnerung wachzurufen. Stets existieren die drei Aspekte neben- und miteinander.“ 80

Mit seinem Konzept lenkt Nora den Blick auf den Zusammenhang von Topographie und Ritus in ihrer Bedeutung für die Stiftung eines kollektiven Geschichtsbildes, aus dem das kulturelle Selbstverständnis eines sozialen Zusammenschlusses erwächst. Dabei zeigt er, wie weitreichend der Begriff „Gedächtnisort“ wirken kann. Der bemerkenswerte Vorstoß seiner Theorie besteht vor allem in der Forderung, die „Gedächtnisorte“ als Untersuchungsgegenstand in die Geschichtswissenschaft einzubeziehen. Auf diese Weise soll eine „neue Art Geschichte, deren Aufmerksamkeit dem Symbolischen und der Vorstellungswelt gilt“81, etabliert werden, während die herkömmliche historische Methodik gewahrt bleibt.

1.6 DAS KOMMUNIKATIVE GEDÄCHTNIS AM B EISPIEL DES FAMILIENGEDÄCHTNISSES Noras Theorie beschäftigt sich mit der „offiziellen“ bzw. „institutionalisierten“ Erinnerung einer Gesellschaft, die auch als Konzept des kulturellen Gedächtnisses diskutiert wird. Jedoch steht die „private“ Erinnerung, die in kleineren sozialen Einheiten oder Milieus entsteht und konzeptionell eher dem „kommunikativen Gedächtnis“ zuzuordnen ist, nicht minder im Fokus des aktuellen wissenschaftlichen Interesses. Ein Forschungsschwerpunkt liegt dabei auf der Untersuchung der transgenerationellen Tradierung von Erinnerungen im so genannten „Familiengedächtnis“. Ausgangsfragen dieser Untersuchung sind: Werden Erfahrungen und Erinnerungen von Generation zu Generation überhaupt weitergegeben? Wie geschieht dies? Welche Funktion und Auswirkung hat das durch diesen Prozess der Weitergabe generierte Geschichtsbild? Wichtige Impulse zu dieser Fragestellung gibt die psychoanalytische Forschung, die seit Jahrzehnten Störungen bei Patienten auch auf eine mögliche Verbindung zu unbewussten und tabuisierten Konflikten zwischen den verschiedenen Generationen innerhalb einer Familie untersucht.82 Seit den 1980er Jahren ist der Ansatz, die Weitergabe von Erinnerungen über Generationen zu untersuchen, auch für die Holocaustforschung von großem Interesse. Sie beschäftigt sich dabei vorwiegend mit der transgenerationellen Weitergabe traumatischer Erfahrungen von Holocaustüberlebenden an ihre Nachkommen.83 Es kann aufschlussreich sein, Familiendiskurse und -konstruktionen der Vergangenheit nicht isoliert zu betrachten, sondern im Kontext ihrer Entstehung zu 80 | Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 26. 81 | Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, S. 9. 82 | Siehe Thießen: Gedächtnisgeschichte, S. 617. 83 | Ebd.

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sehen. Sie weisen oftmals eine Beziehung zur offiziellen Erinnerungskultur der jeweiligen Gesellschaft auf, ob diese sich nun in einer vergangenheitspolitischen Debatte, in der Vermittlung eines bestimmten Geschichtsbildes durch staatliche Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten oder durch Medienträger wie Literatur und Film ausdrückt.84 Verändert sich die offizielle Erinnerungskultur, kann dies auch Auswirkungen auf Formen privater Erinnerung haben. Ob dieser Vorgang auch reversibel ist, ist fraglich. So ist die private Erinnerung an die Ereignisse des 11. September 2001 wahrscheinlich kaum vom Kontext der medialen Inszenierung des Geschehens in Bericht, Kommentar und Bild zu trennen. Auch Stellungnahmen führender Politiker zum 11. September mögen neben vielen anderen Faktoren die private Wahrnehmung dieses Tages mitgeprägt haben. Zudem erscheinen die Ereignisse des 11. September heute in einem anderen Licht als noch vor vierzehn Jahren, unmittelbar nach den Anschlägen auf das World-Trade-Center. Die Veränderung der privaten Erinnerung in diesem Zusammenhang ist kein weniger komplexes Phänomen als ihre Entstehung. Beides kann an dieser Stelle nur durch Hervorhebung einzelner Aspekte angedeutet und erklärt werden. So mag die unmittelbare Reaktion der amerikanischen Politik auf die Anschläge, die einen kriegerischen Konflikt in Afghanistan einleitete, der bis heute ungelöst ist, dazu beigetragen haben, dass der 11. September 2001 heute nachträglich einer veränderten Wahrnehmung unterliegt. Auch die konkrete Androhung und Durchführung neuer Anschläge durch islamistische Selbstmordattentäter oder Debatten um die Verschärfung der Gesetze zur Gewährleistung der inneren Sicherheit und zur Bekämpfung des Terrorismus in vielen Ländern könnten dazu beigetragen haben, dass der 11. September als geschichtsträchtiges Datum heute anders gedeutet und erinnert wird als noch im Jahr 2001. Private Erinnerungen, wie sie z.B. das „Familiengedächtnis“ enthält, können aber nicht nur durch die offizielle Erinnerungskultur, sondern auch durch soziokulturelle Milieus geprägt werden. Familiäre Zusammenkünfte, die berufliche Zugehörigkeit oder die Mitgliedschaft in einem Verein können bestätigend oder korrigierend auf die Erinnerungen, die innerhalb einer Familie gepflegt werden, einwirken.85 All diese Faktoren können zu schwerwiegenden Konflikten innerhalb der familiären Erinnerungsgemeinschaft führen, wenn der Konsens der Familiengeschichte gefährdet und dadurch der Zusammenhalt der Familiengemeinschaft erschüttert wird. Die mögliche Konsequenz daraus kann in der inhaltlichen Überarbeitung und Neuformulierung der familiären Erinnerung bestehen, die entweder in einen Dissens mündet oder einen neuen Konsens zwischen den einzelnen Familienmitgliedern herstellt.86 Die transgenerationelle Weitergabe von Erinnerungen beruht, wie in neueren Forschungsstudien angenommen wird, auf wech84 | Thießen: Gedächtnisgeschichte, S. 622. 85 | Ebd. 86 | Ebd.

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selseitigem Austausch, an dem alle Mitglieder der familiären Erinnerungsgemeinschaft grundsätzlich beteiligt sind. Eine Erfahrung, die in die Familiengeschichte als Erinnerung eingeht, beruht demnach nicht allein auf der Vorgabe derjenigen Generation, die sie erlebt hat. Die Erinnerung wird vielmehr geformt durch ihre intergenerationelle Kommunikation, die auch auf die Generation der Zeitzeugen in ihrer Wahrnehmung und Deutung der Vergangenheit zurückwirken kann.87

1.7 N ARRATIVITÄT VON E RINNERUNGEN Halbwachs geht in seiner Gedächtnistheorie davon aus, dass Erinnerungen notwendig auf Kommunikation beruhen, indem sie verbalisiert und einander erzählt werden. Die Wiedergabe eines Geschehens als Erzählung in mündlicher oder schriftlicher Form ermöglicht es dem Historiker, Erinnerungen als historische Quellen zu untersuchen. Insofern scheint es sinnvoll, sich einmal mit dieser bestimmten Form der sprachlichen Vermittlung und ihren narrativen Strukturen auseinanderzusetzen, wie dies die neuere Gedächtnisforschung im Bereich der Kultur- und Geisteswissenschaften tut. „Narrativität“ ist ein Terminus, der ursprünglich im Bereich der Literaturwissenschaft und Diskursanalyse beheimatet ist. Seit den 1960er Jahren findet jedoch auch eine theoretische Auseinandersetzung mit diesem Begriff in der Geschichtswissenschaft statt.88 Narrativität wird dabei nicht nur in Hinblick auf historische Quellen diskutiert, sondern auch in Bezug auf die Tätigkeit des Historikers selbst, der auf der Grundlage von historischen Dokumenten „Geschichte schreibt“89, indem er sie erforscht und darstellt. Damit produziert er selbst ein historisches Zeugnis, das narrativen Strukturen unterliegt. Aus narratologischer Perspektive gibt es keine „Geschichte“, die ohne eine narrative Form auskommt.90 Sie wird erst durch den Akt des Erzählens hervorgebracht. Aus diesem Grund wird nicht nur der historische Gegenstand, sondern auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihm und seine historische Darstellung auf narrative Implikationen hin untersucht.91 87 | Thießen: Gedächtnisgeschichte, S. 623. 88 | Eckel, Jan: Der Sinn der Erzählung. Die narratologische Diskussion in der Geschichtswissenschaft und das Beispiel der Weimargeschichtsschreibung, in: Neue Zugängen zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2007, hrsg. v. J. Eckel u. T. Etzemüller, S. 201-229, S. 201. 89 | Im wortwörtlichen Sinne bezieht sich „Geschichte schreiben“ wohl eher auf die Tätigkeit des Historiographen, wie es ihn in der Antike, im Mittelalter und der frühen Neuzeit gegeben hat. Diese Beschreibung lässt sich aber vielleicht insofern auf die Arbeit des Historikers beziehen, als dass dieser historische Zusammenhänge untersucht und darlegt, also narrative Strukturen konstruiert, durch die Ereignisse aufeinander bezogen werden können. 90 | Eckel: Sinn der Erzählung, S. 202. 91 | Ebd.

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Das Untersuchungsinteresse besteht in der Frage, wie die Sprache benutzt wird, um historische Ereignisse wiederzugeben. Die Grundannahme, von der dabei ausgegangen wird, ist diese: Die historische Objektsprache, mit der historische Ereignisse und Begebenheiten in Worte gefasst werden, gibt diese nicht einfach wieder, sondern formt sie durch erzählerische Mittel. Vor diesem Hintergrund erscheint die Geschichte als eine Erzählung, deren Analyse um einen erzähltheoretischen Ansatz ergänzt werden muss: Wie werden einzelne erinnerte Begebenheiten erzählerisch aufbereitet und in einen Zusammenhang gestellt, so dass eine kohärente Geschichte entsteht? Wie wird erzählerisch der Geschichte Sinn und den Ereignissen Historizität verliehen? Hinter diesen Überlegungen deutet sich die konstruktivistische Idee an, die dem Begriff der Narrativität zugrunde liegt und die auch in Bezug auf die Wiedergabe historischer Ereignisse zum Tragen kommt. Der Erzählende arrangiert die Ereignisse so, dass sie für ihn Sinn ergeben.92 Dabei stellt er beispielsweise bestimmte Ereignisse in einen kausalen Zusammenhang und erweckt den Anschein, als ob sie in ihrer Abfolge notwendig geschehen seien. Auch mag er bestimmte Begebenheiten nach dem Prinzip der Linearität in einer bestimmten Reihenfolge anordnen, die es so möglicherweise gar nicht gab. Auch die Erzählposition spielt dabei eine Rolle. Geschehnisse werden aus einer bestimmten Perspektive heraus erzählt. In der Erzähltheorie wird in diesem Zusammenhang von Fokalisierung gesprochen. Dieser Begriff beschreibt die Erzählperspektive. Ebenso mögen sich bestimmte Topoi ausbilden im Sinne von Charakteren oder Rollen beispielsweise, die eine bestimmte Funktion innerhalb der Narration übernehmen. Diese Prinzipien werden noch in dem späteren Kapitel „Wie sprechen wir über den Holocaust? Das System“ der vorliegenden Arbeit ausführlicher erläutert. Sie zeigen, dass das, was wir unter „Geschichte“ verstehen, aus narratologischer Sicht nicht faktisch ist sondern, wenn nicht überhaupt eine Konstruktion, ein nachträglich stark geformtes Bild von Ereignissen ist.93 Dies gilt auch für Erinnerungen, die dem Historiker unter diesem Blickwinkel nur als Erzählung zugänglich sind: Wer sich erinnert, erzählt bewusst oder unbewusst eine Geschichte, die die erinnerten Ereignisse zu Sinneinheiten zusammenfasst. Nicht nur der Erzähler, sondern auch der Adressat, an den die Erzählung 92 | Dabei wird dem konstruktivistischen Verständnis nach der Sinn erst durch den Erzählenden konstituiert und ist nicht bereits im Geschehen enthalten. 93 | Eine noch radikalere konstruktivistische Position, wie sie der amerikanische Literaturhistoriker Hayden White in seinem Werk „Metahistory“ vertritt, behandelt die Geschichte als reine Fiktion, die jeglicher Rationalitätsmaßstäbe entbehrt. Siehe White, Hayden: Metahistory: die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa, aus dem Amerikanischen v. P. Kohlhaas, Frankfurt a. M. 1994. Es muss jedoch fraglich erscheinen, inwiefern sich vor diesem Hintergrund eine „Metageschichte“ selbst noch von einer Fiktion abgrenzt. Des Weiteren lässt sich darüber streiten, ob ein konstruktivistischer Ansatz Geschichte notwendigerweise als eine willkürliche Konstruktion ausweisen muss, die keinerlei Rationalitätskriterien zulässt.

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gerichtet ist, ist dabei von Bedeutung, wie neuere Studien belegen.94 Ein realer Zuhörer kann an der Konstruktion einer erzählten Geschichte z.B. durch Fragen, Zustimmung und Einwände beteiligt sein. Es besteht die Möglichkeit, dass der Erzähler seine Schilderung gemäß seiner Annahmen über die Erwartung des Zuhörers auf diesen abstimmt. Damit sind beide, Erzähler und Adressat, am Prozess des Erzählens beteiligt.95 Der Zuhörer ist aber nicht nur ein empirisches Gegenüber, sondern kann gleichzeitig als „Modell-Zuhörer“96 fungieren, wie der Erzähler auch als „Modell-Erzähler“97: In die einmalige und unmittelbare Erzählsituation fließen kulturell erlernte Erzähl- und Deutungsmodelle ein, die die Form und den Inhalt der Schilderung mitprägen können. Diese Überlegungen sind besonders in der oral history98 zu berücksichtigen als einer Methode der Geschichtswissenschaft, die auf der Befragung von Zeitzeugen begründet ist. Während eines Interviews kann der Historiker demnach aktiv als Interaktionspartner oder passiv als „Modell-Zuhörer“ die Auskünfte des Zeitzeugen beeinflussen. Die Person des Historikers tritt damit selbst auch als Gegenstand der Untersuchung in Erscheinung. Dieser Faktor muss in der Auswertung des Materials Berücksichtigung finden. Vor diesem Hintergrund erscheint Erinnerung als eine interaktiv entstehende Erzählung, die eine bestimmte Abfolge von Ereignissen bildet, indem sie Begebenheiten miteinander verknüpft, die in einem zeitlichen oder kausalen Zusammenhang gedeutet werden.

1.8 D ER G EDÄCHTNISBEGRIFF IN SEINER NEUROPHYSIOLOGISCHEN B EDEUTUNG Bislang war von „Gedächtnis“ und „Erinnerung“ in einem gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhang die Rede. Im alltäglichen Sprachgebrauch beschreiben diese Begriffe ein psychologisches Phänomen, dessen biologische Grundlage freizulegen die kognitiven Neurowissenschaften für sich beanspruchen. Dieser 94 | Thießen: Gedächtnisgeschichte, S. 613. 95 | Thießen: Gedächtnisgeschichte, S. 613ff. 96 | Die Psychologin Karoline Tschuggnall führt diesen Begriff im Zuge ihrer Dissertation zum autobiographischen Gedächtnis ein. Sie stützt sich dabei auf die Auswertung von Interviews, die sie mit drei Mitgliedern einer Familie zu deren jeweiligen Lebensgeschichte geführt hat. Siehe dazu Dies.: Sprachspiele des Erinnerns: Lebensgeschichte, Gedächtnis und Kultur, Berlin 2003, S. 139. 97 | Tschuggnall: Sprachspiele des Erinnerns, S. 197f. 98 | Die oral history kommt als Forschungsmethodik der Geschichtswissenschaft in den 1970er Jahren auf und wird vor allem im angelsächsischen Sprachraum praktiziert. Mit der Befragung von Zeitzeugen bietet dieser Ansatz die Möglichkeit, zusätzliche historische Quellen zu erschließen, die die herkömmlichen Methoden der geschichtswissenschaftlichen Forschung, insbesondere zur Untersuchung zeit- und sozialgeschichtlicher Sachverhalte sowie auch schriftloser Kulturen, ergänzen. Vgl. Vorländer, Herwart: Mündliches Erfragen von Geschichte, in: Oral History. Mündlich erfragte Geschichte, hrsg. v. H. Vorländer, Göttingen 1990, S. 7-28, S. 8 u. 11.

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vergleichsweise junge Wissenschaftszweig 99 strebt u.a. danach, die neuronalen Mechanismen, die dem Gedächtnis zugrunde liegen, und die Funktionen verschiedener, an Gedächtnisleistungen beteiligter Gehirnregionen zu erforschen. Die Basis für die kognitiven Leistungen liegt in der einzelnen Nervenzelle (Neuron), die als kleinste Einheit eines großen Zellverbandes (neuronales Netzwerk) die Grundstruktur des zentralen Nervensystems bildet.100 Die Nervenzelle ist prinzipiell für die Aufnahme und Weiterleitung von Erregungen durch elektrische Impulse und chemische Signale verantwortlich.101 Diese Aufgaben kann das Neuron durch seine anatomische Struktur erfüllen. Es besteht aus einem Zellleib (Perikaryon) und dessen Ausläufern, die in der Regel aus einem Neuriten (Axon) und mehreren Dendriten bestehen.102 Das Axon befördert Informationen der Zelle in Form einer fortgeleiteten elektrischen Erregung (Aktionspotential) über die Zellwand (Plasmamembran) an die Axonperipherie.103 Die Dendriten des signalempfangenden Neurons weisen in typischer Weise viele Verzweigungen auf, die die elektrische Erregung des signalsendenden Neurons aufnehmen und weiterleiten. Die Weitergabe der Information zwischen zwei Nervenzellen wird durch eine enge „Kontaktstelle“ ermöglicht, die zwischen dem Axon der einen und dem Dendriten der anderen Nervenzelle als kleine „anatomische Lücke“ (Synapse) besteht.104 Elektrische Signale in Form eines Aktionspotentials führen am Ende des Axons (präsynaptische Membran) zur Freisetzung eines chemischen Botenstoffes (Neurotransmitter), der den synaptischen Spalt per Diffusion überwindet.105 An der postsynaptischen Membran des anliegenden Dendriten oder der Nervenzelle selbst wird dieser Botenstoff an spezifische Rezeptoren gebunden und induziert dort ein neues Aktionspotential, das das Signal nach dem geschilderten Muster weiterleitet.106 Synaptische Prozesse stellen damit die Grundlage der „Kom99 | Die kognitiven Neurowissenschaften setzen sich mit den neuronalen Mechanismen auseinander, die der Kognition zugrunde liegen. Die Bezeichnung „kognitive Neurowissenschaften“ wird in den 1970er Jahren geprägt und geht als Disziplin aus den Neurobiologie und der kognitiven Psychologie hervor. Zur Geschichte der kognitiven Neurowissenschaften siehe die Überblicksdarstellung „A Brief History Of Cognitive Neuroscience“, in: Gazzaniga, Michael S./Ivry, Richard B./Mangun, George R.: Cognitive Neurosciences. Biology Of The Mind, Third Edition, New York 2009, S. 1-17. 100 | Zilles, Karl: Tragweite und Grenzen des naturwissenschaftlichen Paradigmas: Das Beispiel Hirnforschung, in: Naturalismus als Paradigma: Wie weit reicht die naturwissenschaftliche Erklärung des Menschen?, hrsg. v. L. Honnefelder u. M. C. Schmidt, Berlin 2007, S. 326-343, S. 327. 101 | Ebd. 102 | Bucher, Otto: Histologie und mikroskopische Anatomie des Menschen, 4. Aufl., Bern 1965, S. 207ff. 103 | Zilles: Tragweite und Grenzen des naturwissenschaftlichen Paradigmas, S. 326. 104 | Bucher: Histologie und mikroskopische Anatomie des Menschen, S. 216ff. 105 | Bucher: Histologie und mikroskopische Anatomie des Menschen, S. 217. 106 | Kandel, Eric R.: The Molecular Biology Of Memory Storage: A Dialogue Between Genes And Synapses, in: Science Vol. 294, 2 November 2001, S. 1030-1038, S. 1032, Fig. 2B.

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munikation“ zwischen einzelnen Nervenzellen untereinander und übergeordneten neuronalen Zellverbänden im Gehirn dar. Die neuronalen Mechanismen der Informationsspeicherung, die nach dem aktuellen Kenntnisstand die notwendige Bedingung für Gedächtnisprozesse bilden, bauen auf dem gleichen neurophysiologischen Prozess auf. Der Einstieg in die Gedächtnisforschung gelingt durch Untersuchungen am Kalifornischen Seehasen (Aplysia californica).107 Anhand einer bei Aplysia vorgenommenen Sensitivierung, die eine einfache Form des Lernens darstellt, können elektrophysiologische Veränderungen auf die Interaktion spezifischer Nervenzellen zurückgeführt werden.108 In den betroffenen Nervenzellen ist die Information an einen bestimmten Reiz für eine gewisse Zeit gespeichert worden.109 Nach der Beschäftigung mit einfacheren Formen des Lernens bei weniger entwickelten Lebewesen wie den Wirbellosen folgen Untersuchungen komplexerer Lernvorgänge bei Wirbeltieren. Erste Untersuchungen bei Mäusen, die einer klassischen Konditionierung unterzogen werden,110 liefern Hinweise darauf, dass das neuronale Netzwerk des Hippocampus bei Prozessen von Informationsspeicherung involviert ist, wie es bei allen komplexeren Organismen der Fall ist.111 Durch direkte Ableitung von Aktionspotentialen an so genannten Pyramidenzellen im Bereich des Hippocampus können die Neurone und Leitungsbahnen identifiziert werden, die für die Informationsspeicherung bei 107 | Dieses wirbellose Tier bietet sich für eine Untersuchung mit diesem Hintergrund an, da es ein relativ einfach strukturiertes Nervensystem mit wenigen isolierten, kompakt angeordneten, neuronalen Zellgruppen (Ganglia) besitzt, die so groß sind, dass sie mit dem bloßen Auge zu sehen sind. Siehe Kandel: The Molecular Biology, S. 1031. 108 | Ebd. Das abdominale Ganglion (Bauchganglion) steuert bei Aplysia den Kiemen-Schutzreflex, der durch Berührungsreize auf der Außenhaut des Tieres hervorgerufen wird. Ein einfacher tactiler Stimulus am Syphon (Atemröhre) wird über ein sensorisches Neuron einem unmittelbar benachbarten motorischen Neuron übertragen, das den Kiemenapparat zum Einziehen (Kontraktion) für wenige Minuten zwingt. Eine tactile Reizung am Schwanz des Tieres führt zu einer verstärkten sowie länger anhaltenden Kontraktion. Im weiteren Versuchsverlauf wird festgestellt, dass nach einer Berührung am Schwanz von Aplysia zeitlich anschließende tactile Stimuli am Syphon des Tieres ebenfalls auf diese überschießende Reaktion hinauslaufen (Sensitivierung). Diese Sensitivierung kann in einem bestimmten Zeitintervall immer wieder abgerufen werden, dessen Dauer von der Anzahl der zuvor gesetzten Stimuli am Schwanz des Tieres abhängig ist. Siehe ebd. 109 | Ebd. 110 | Bei dem Versuch werden Mäuse einem elektrischen Stromschlag ausgesetzt, nachdem zuvor ein akustisches Signal erklungen ist. Die Tiere reagieren nach kurzer Lernphase mit einer „Erstarrung“. Nach einer gewissen Zeit wird der Versuchsablauf geändert und nur noch der Signalton gesendet. Auch dieses Mal verfallen die Mäuse in eine Schreckstarre. Ebd., S. 1037 Fig. 7. Dieses Verhalten hält nur für eine begrenzte Zeit an, die ebenfalls – wie bei Aplysia – von der Intensität und Anzahl der Reizanwendung abhängig ist. Kandel: The Molecular Biology, S. 1035. 111 | Ebd.

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Konditionierungsprozessen verantwortlich sind.112 Die Untersuchungen unterstützen die These, dass Lernen auf einer stärker ausgebildeten Vernetzung von aktivierten Neuronen basiert, die als synaptische Plastizität oder „long term potentiation“ (LTP) bezeichnet wird.113 Durch elektrophysiologische und biomolekulare Untersuchungen an den Ganglienzellen von Aplysia und am neuronalen Netzwerk des Hippocampus bei Mäusen wird festgestellt, dass die Reizübertragung an den Synapsen sowie die Signalverarbeitung in den Neuronen prinzipiell nach dem gleichen Muster ablaufen, in dem nur einzelne Botenstoffe und Enzyme variieren.114 Der Unterschied bei der Speicherung von Information im „Langzeitgedächtnis“ im Vergleich zu derjenigen im „Kurzzeitgedächtnis“ liegt in der Produktion bestimmter Proteine.115 Das „Kurzzeitgedächtnis“ beruht auf der Aktivierung bereits bestehender synaptischer Verbindungen.116 Die gespeicherte Information wird durch die Herstellung von Proteinen, die für ein Wachstum von synaptischen Verbindungen sorgen, in das „Langzeitgedächtnis“ überführt. Auf diese Weise wird die Reizaufnahme und -verteilung im neuronalen Netzwerk verstärkt und als Information über einen längeren Zeitraum gespeichert.117 112 | Kandel: The Molecular Biology, S. 1035 u. S. 1036 Fig. 6 A u. B. 113 | Kandel: The Molecular Biology, S. 1035. 114 | Kandel: The Molecular Biology, S. 1036. 115 | Der Begriff „Gedächtnis“ wird vor dem Hintergrund von Sensitivierung- und Konditionsprozessen metaphorisch verwendet, da es sich in diesem Zusammenhang nicht im eigentlichen Sinne um ein Gedächtnis von Aplysia oder Mäusen handelt, sondern um ein „Gedächtnis“ einzelner Zellen. 116 | Bei der Speicherung von Informationen im „Kurzzeitgedächtnis“ kommt es zur Produktion von cyclischem Adenosin Monophosphat (cAMP), einem intrazellulären Botenstoff („second messenger“). Eine Reiz-Aktivierung führt dazu, dass ein Botenstoff nach Freisetzung im synaptischen Spalt an die Rezeptoren eines Neurons gelangt und dadurch eine Veränderung des elektrischen Potentials an der Zellmembran mit Bildung von cyclischem Adenosin Monophosphat (cAMP) sowie einem vermehrten Calcium-Ionen Einstrom bewirkt. Das cAMP setzt im Zellplasma des Neurons Phosphokinase A (PKA) frei. PKA verstärkt einzelne Ionenströme durch die Membran und verstärkt damit die ursprüngliche Erregung. Die Calcium-Ionen sorgen für die Freisetzung eines Botenstoffes in der Membran und damit für die Fortleitung der Erregung auf ein weiteres Neuron. Kandel: The Molecular Biology, S. 1032, 1033 Fig. 3 u. Fig. A u. 1036 Fig. 6C. Diese Reaktionskaskade ist für die Kurzzeit-Sensitivierung bei Aplysia wie auch für die Konditionierung mit kurzer Wirksamkeit bei den Mäusen zuständig. Kandel:. The Molecular Biology, S. 1033 Fig. 3 u. S. 1036 Fig. 6C. 117 | Kandel: The Molecular Biology, S. 1033 und S. 1035. Für die Langzeit-Sensitivierung und -Konditionierung sind wiederholte Stimulationen (Reize) notwendig, die den Erregungszustand der Neuronenmembran erhöhen und zeitlich verlängern, so dass höhere Konzentrationen des Botenstoffes cAMP im Zellplasma erreicht werden. Bei einer hohen Konzentration kann cAMP ein weiteres Enzym, die Mitogen aktivierte Protein Kinase (MAPK), aktivieren und mit dieser gemeinsam in den Zellkern eindringen (Translocation). Beide Enzyme im Zusammenspiel induzieren in einzelnen Zwischenschritten eine Genexpression (Biosynthese von RNA und Proteinen), die einmal zu einer persistierenden Ak-

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Es wird vermutet, dass die beschriebenen Mechanismen von Sensitivierung und Konditionierung bei einfacheren Organismen auch für die Erklärung eines so komplexen Phänomens wie dem menschlichen Gedächtnis und dessen grundlegende Funktionsweise unabdingbar sind. Inwieweit sie dabei nicht nur eine notwendige, sondern vielleicht sogar eine hinreichende Bedingung für das Gedächtnis des Menschen darstellen, d.h. Gedächtnisleistungen also nichts anderes sind als komplexe Formen der Konditionierung, ist bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht geklärt. Der aktuelle Forschungsstand zeigt, dass das Wissen über die Arbeitsweise von Neuronen lediglich auf die „Kommunikation“ der Zellen untereinander in Form von elektrischen Erregungen und chemischen Botenstoffen beschränkt ist. Qualitative Unterschiede einzelner Zellen zur Verarbeitung von expliziten Informationen sind in einzelnen Fällen lediglich in ihrer topografischen Lage im Gehirn, nicht aber in dem ihnen zugrunde liegenden spezifischen biomolekularen Mechanismus bekannt.118

1.9 G RUNDZÜGE EINER HISTORISCHEN M EMORIK NACH J OHANNES F RIED Seit geraumer Zeit interessieren sich auch die Kultur- und Geisteswissenschaften für die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse zur Funktionsweise des Gedächtnisses, um sie für ihre eigenen Untersuchungen zum Gedächtnis nutzbar zu machen. Einen konkreten Ausdruck findet dies im Plädoyer des Mediävisten Johannes Fried für eine Geschichtswissenschaft, „die sich mit den Kognitionswissenschaften zu einer genaueren Aufklärung über den Menschen und seine Kulturen verbündet und bis in die Handbücher hinein eine eigene Darstellungsform entwickelt.“119 In seinem Beitrag nimmt Fried nicht wie Nora einen neuen Gegenstandsbereich in den Fokus der historischen Untersuchung, sondern fordert, die herkömmliche Methodik der Geschichtswissenschaft um eine Gedächtniskritik zu erweitern. Der Ausgangspunkt seiner Ausführungen ist, dass die Erinnerung an eine bestimmte Begebenheit noch nicht die Faktizität des Erinnerten beweist. Fried geht davon aus, dass die Erinnerung fortwährend der Einwirkung durch bestimmte „Verformungsfaktoren“ ausgesetzt ist, so dass „alles, was sich der Erinnerung verdankt, grundsätzlich als falsch zu gelten [hat]“120. Diese Erkenntnis betrifft in tivität der PKA und zum anderen zu einem Wachstum von neuen synaptischen Verbindungen führen. Kandel: The Molecular Biology, S. 1033 u. 1035. An der Synapse selbst entsteht über die Genexpression eine lokale Neusynthese von Proteinen, die die Signalübertragung nachhaltig verbessert (synaptic facilitation). Kandel: The Molecular Biology, S. 1034f. 118 | Kandel: The Molecular Biology, S. 1037f. 119 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 393. 120 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 48.

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besonderem Maße die Geschichtswissenschaft, da ein „Großteil ihres Quellenmaterials sich irgend Erinnerungen verdankt“121. Trotzdem hätten Historiker bislang die „Relevanz der Erinnerungsmodulation“ für die eigene Forschung ignoriert.122 Um dieses Versäumnis nachzuholen, arbeitet Fried in seinem Beitrag die „Grundzüge einer historischen Memorik“ heraus, die den „Schleier der Erinnerung“ lüften und die „wirkliche Geschichte“123 freilegen soll. Auf der Basis jüngster neurowissenschaftlicher Forschungsergebnisse behauptet Fried, dass die Ursachen für eine Verformung von Erinnerung primär auf die physiologischen Prozesse des Erinnerns im menschlichen Gehirn zurückzuführen seien und sekundär durch intentionale, soziale oder literarische Zusammenhänge hervorgerufen würden.124 Fried befürwortet deswegen eine systematische Einbeziehung kognitions- und neurowissenschaftlicher Erkenntnisse in die kulturhistorische Forschung, die Aufschluss über die Arbeitsweise des menschlichen Gedächtnisses geben soll. So kann nach seiner Vorstellung eine Gedächtniskritik entstehen, die als „Formkunde der Verformung“125 allein den adäquaten Umgang mit Erinnerungszeugnissen ermöglicht und die historische Wissenschaft als „neurokulturelle Geschichtswissenschaft“126 neu begründet. Dieser Befund macht prinzipiell die erneute Durchsicht und Überprüfung aller historisch bereits erschlossenen Quellen notwendig, denn „er [der Historiker] hat jeden Quellentext als ein einziges Durchgangsstadium in einem endlosen Strom sich wandelnder Erinnerungen zu betrachten“127. Dabei können Quellen, die bislang als zuverlässig und historisch gesichert galten, mitunter so in ihrer Glaubwürdigkeit erschüttert werden, dass sie ihre Autorität als vertrauenswürdiges Zeugnis eines geschichtlichen Geschehens verlieren.128 Dennoch besteht Fried darauf, dass die Gedächtniskritik nicht allein den „Verlust an Quellen und bloße Destruktion bisheriger Geschichtsbilder“129 bedeute. In seinen Augen stellt die Gedächtniskritik eine Chance dar, denn „sie dringt tiefer in die übergreifenden Zusammenhänge allen historischen Geschehens mit den genetischen und kulturellen Konditionen ein als die herkömmlichen Methoden.“130 Auf diese Weise soll Frieds Ansatz eine „Umwertung der erhaltenen Quellen“ bewirken, der das Potential habe, überkom121 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 1 des Vorwortes. 122 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 51. 123 | Vgl. Fried, Johannes: Erinnern und Vergessen. Die Gegenwart stiftet die Einheit der Vergangenheit, in: HZ 273 ( 2001), S. 561-593, S. 575. 124 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 54. 125 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 224. 126 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 393. 127 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 232. 128 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 388. 129 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 385. 130 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 365.

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mene Geschichtsbilder zu widerlegen und sich eine neue Sichtweise auf die entsprechenden geschichtlichen Zusammenhänge zu erschließen.131 Gleichzeitig eröffnet sich dem Historiker damit eine neue Perspektive auf die kulturelle Entwicklung von Gesellschaften.132 Die Untersuchung von Erinnerungsprozessen ermöglicht darüber hinaus Einsichten in das spezifische Zusammenspiel von Natur und Kultur, da diese Prozesse stets auch kulturell und nicht nur neuronal bedingt seien.133 Zudem kann die Abweichung zwischen der Gedächtniskonstruktion und der erfassbaren Wirklichkeit des jeweiligen historischen Geschehens für den Historiker aufschlussreich sein in Hinblick auf die „Handlungsmotive der Zeitgenossen“134. Wie stellt der Historiker nun fest, ob und wie eine Erinnerung verformt wurde, so dass er sie auf eine „ursprüngliche Wahrnehmung und wirkliche Sachverhalte“135 zurückführen kann? Fried unterscheidet zwischen primären Verformungsfaktoren, die sich aus den Operationsweisen des menschlichen Gedächtnisses ergeben (z.B. Kontaminationseffekte, Teleskopie, etc.), und sekundären Verformungsfaktoren, die etwa durch ein bestimmtes Interesse oder einen Diskurs hervorgebracht werden.136 „Primär“ und „sekundär“ sollen in diesem Zusammenhang keine „Wertigkeit“ ausdrücken, sondern der „zeitlichen Abfolge ihrer Wirksamkeit“ Rechnung tragen.137 Es muss jedoch fraglich erscheinen, ob es in diesem Zusammenhang überhaupt Sinn macht, von einer „zeitlichen Abfolge“ zu sprechen, da Erinnerungen – wie Fried selbst feststellt – vermutlich beständigen Veränderungen unterliegen, so dass wahrscheinlich weniger von einer linearen als von einer diffusen Bewegung auszugehen ist. Die genannten Faktoren bilden nach Frieds Verständnis „formale Typen der Verformung“, mit deren Hilfe sich eine „geschichtswissenschaftliche Typologie der Gedächtnismodulation“ erstellen lässt, die historische Quellen in dieser Hinsicht überprüfbar macht.138 Die Typologie ist als eine „kulturelle Spieltheorie“ konzipiert, „die Modelle zur Verrechnung einer variablen Menge an Normen und einer kaum zu überschauenden Anzahl an Zufällen sowie Lösungen mit den größten Erfolgsaussichten zu bieten hätte.“139 Bislang stellt sie ein Desiderat dar, das es noch zu entwickeln gilt. Fried formuliert jedoch erste methodische Postulate einer historischen Memorik. Bei der Untersu131 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 385. 132 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 389. 133 | Ebd. 134 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 388. 135 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 380. 136 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 54. 137 | Ebd. 138 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 364. 139 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 56. Die Spieltheorie ist ein mathematisches Modell zur Verhaltenssteuerung. Wenn Fried diesen Begriff im Kontext des Gedächtnisses benutzt, stellt sich die Frage, welche Form von Verhalten durch die Typologie gesteuert werden soll.

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chung eines Erinnerungszeugnisses sind vor allem Vergleichsquellen unerlässlich genauso wie die Einbeziehung von Informationen zum gesellschaftlichen Kontext, vor dessen Hintergrund die zu untersuchende Quelle entstanden ist. Auch der Bildungshorizont des Autors und die Unterscheidung von Berichtszeit und Geschehenszeit müssen einbezogen werden. Fehlt eines dieser Elemente, ist eine vollständige Interpretation der Gedächtnisleistung und abschließende Beurteilung der vorliegenden Quelle nicht möglich. Von welcher Voraussetzung geht Fried aus, wenn er meint, dass die historische Forschung von der Einbeziehung neurowissenschaftlicher Forschungsergebnisse profitiert? Der Grundgedanke, der in diesem Zusammenhang zum Tragen kommt, liegt in der Annahme, dass komplexe kulturelle Phänomene mit den Mitteln der Naturwissenschaft zu beschreiben sind. So plädiert Fried für die neuronale Bedingtheit der Kultur, indem er das menschliche Gehirn und seine Operationen als Grundlage allen menschlichen Handelns und Wissens begreift. Die Rückführung der Kultur auf die Natur stellt dabei keineswegs ein neues Paradigma dar.140 Lediglich seine Anwendung auf den Bereich der Geschichtswissenschaft, wie Fried sie vornimmt, ist bislang beispiellos.

1.10 ZWISCHENFAZIT I: VERGLEICH DER THEORIEN VON A SSMANN, NORA UND FRIED Besonders die Beiträge von Assmann, Nora und Fried haben entscheidenden Einfluss auf die Debatte über Erinnerung und Gedächtnis im kultur- und geisteswissenschaftlichen Bereich ausgeübt und ihrer Entwicklung wichtige Impulse verliehen: Assmanns „kulturelles Gedächtnis“ und „kommunikatives Gedächtnis“ sowie Noras „Gedächtnisorte“ sind zu Grundbegriffen in diesem Diskurs avanciert, auf denen andere Arbeiten in diesem Bereich aufbauen. Fried hat die Diskussion erweitert und ihr eine neue Richtung gegeben, indem er die Einbeziehung neurowissenschaftlicher Erkenntnisse in die geisteswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema fordert. In den drei vorgestellten Erinnerungstheorien von Assmann, Nora und Fried wird deutlich, dass sie – und dies wird im Laufe der vorliegenden Arbeit noch von großer Bedeutung sein – offensichtlich mit zwei unterschiedlichen Gedächtnisbegriffen operieren. Das macht sie so schwer miteinander vergleichbar. Der eine Ge140 | Dieses Denkmuster kommt mit der Vorstellung einer so genannten „Einheitswissenschaft“ am Anfang des 20. Jahrhunderts auf, die die Zurückführung aller Einzelwissenschaften auf eine grundlegende Wissenschaft meint. Durch diese Reduktion soll eine einheitliche Wissenschaft geschaffen werden, die die Wirklichkeit unter Verzicht jeder metaphysischen Annahme nur unter Zuhilfenahme von Naturgesetzen erklärt. Siehe Neurath, Otto: Einheitswissenschaft und Psychologie, Wien 1933. In den Neurowissenschaften hat dieser Gedanke eine Renaissance erlebt. Siehe Squire, Larry R./Kandel, Eric R.: Vorwort, in: Das Gedächtnis. Die Natur des Erinnerns, Heidelberg 1999, S. IX-XI.

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dächtnisbegriff bezieht sich auf das Individuum und meint vor dem Hintergrund neuronaler Prozesse, die im menschlichen Gehirn ablaufen, die Speicherung und das Abrufen von bestimmten Informationsinhalten. Der andere Gedächtnisbegriff zielt auf ein Kollektiv und steht für die Haltung einer Gruppe oder Gesellschaft gegenüber dem Vergangenen. Es handelt sich dabei um einen sozialen Prozess, der vielleicht als eine „Form des Gedenkens“ charakterisiert werden kann. Es wäre jedoch ein Missverständnis, dass sich Erinnern immer nur auf das Individuum bezieht und Gedenken ausschließlich im Zusammenhang eines Kollektivs stattfindet. Diese Verwendungsweise der beiden Begriffe ist unserem Sprachgebrauch geschuldet. Es schließt sich jedoch nicht aus, dass man gemeinsam erinnert oder allein gedenkt. Zwei Freunde mögen sich an ein gemeinsames Erlebnis aus ihrer Kindheit erinnern, indem sie ihre Erinnerungen in Bezug zueinander setzen. Eine heute 16-jährige Musikhörerin mag bei den Klängen von Jimi Hendrix’ Gitarre dem Musiker und seinem legendären Woodstock-Auftritt gedenken, den sie nur durch Dokumentationen aus dem Fernsehen kennt. Im Unterschied zum Erinnern tritt beim Gedenken vor allem ein rituelles Moment in den Vordergrund, das die Art und Weise des Umgangs mit dem Vergangenen stärker vorgibt und einer kulturellen Prägung unterzieht. Der Begriff „Gedächtnis“ fungiert bei Nora und Assmann als eine Metapher, die den Anschein erweckt, als ob das individuelle Phänomen auf ein Kollektiv übertragen werden könnte und dort nach den gleichen Mechanismen abläuft. Das ist zumindest einmal fragwürdig. Das Gedächtnis des Menschen enthält persönliche Erfahrungen und Erlebnisse. Ein Kollektiv stellt in dem Sinne, wie es bereits bei Halbwachs’ Theorie angesprochen wurde, keine Entität dar, die über persönliche Erinnerungen verfügt. Es bezieht sich auf die Zeugnisse von Erinnerungen anderer. Auf der Basis dieser Erinnerungen entsteht eine bestimmte Sicht auf das Vergangene, die die Mitglieder einer Gruppe annehmen und miteinander teilen. So mag eine Person beispielsweise, die zu jung ist, um den Mauerfall 1989 selbst erlebt zu haben, trotzdem eine bestimmte Vorstellung von diesem Ereignis haben, die ihr durch das in der Gesellschaft dominierende Geschichtsbild vermittelt wird. Wenn das „Gedächtnis“ als eine Form des Gedenkens, die eine bestimmte Sicht auf das Vergangene eröffnet, aufgefasst wird, kann auch die Geschichtswissenschaft als ein „Gedächtnis“ beschrieben werden.141 Laut Jan 141 | So wird z.B. die Geschichtswissenschaft als ein „kulturelles Gedächtnis“ gesehen bei Rau, Susanne: Erinnerungskultur, in: Neue Zugänge zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2007, hrsg. v. J. Eckel u. T. Etzemüller, S. 135-170, S. 145. Oder sie wird als besondere Art des „sozialen Gedächtnisses“ beschrieben von Burke, Peter: Geschichte als soziales Gedächtnis, in: Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, hrsg. v. A. Assmann u. D. Harth, Frankfurt a. M. 1991, S. 289ff. Aleida Assmann wiederum versteht die Geschichtswissenschaft als „Speichergedächtnis“, das als „Gedächtnis der Gedächtnisse“ eine Art von Archiv abgelegter Erinnerungen darstellt, die ihren „vitalen Bezug zur Gegenwart“ verloren haben. Dieser Bezug kann aber jederzeit wiederhergestellt werden, wenn die gespeicherten, vermeintlich unbrauchbaren Erinnerungen wieder Nutzen für die

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Assmann würde die historische Forschung damit jedoch ihre „Identitätsneutralität“ aufgeben, die sie trotz aller zeit- und interessenbedingten Abhängigkeiten als Studium des Vergangenen aus einem reinen Erkenntnisinteresse heraus wahrt.142 Hinter dieser Überlegung scheint sich der kulturalistische Grundgedanke zu verbergen, dass die kulturelle Praxis das Bewusstsein prägt, ob es sich dabei nun um das individuelle, das soziale oder das wissenschaftliche Bewusstsein handelt. Assmann macht deutlich, dass die in seinem Konzept thematisierten Gedächtnisformen ein soziales Phänomen beschreiben, indem er sie als „kommunikatives“ und „kulturelles“ Gedächtnis bezeichnet, die er formal vom individuellen Gedächtnis abgrenzt. Inhaltlich scheint er in diesem Zusammenhang jedoch keine ganz klare Trennlinie zwischen dem Gedächtnis im engen und im übertragenen Sinn vorzunehmen, da er eine Analogie zwischen den Mechanismen des individuellen Erinnerns und kollektiven Gedenkens voraussetzt, wenn er davon spricht, dass das kommunikative Gedächtnis „der Modus der biographischen Erinnerungen“ und das kulturelle Gedächtnis „der Modus der fundierenden Erinnerungen“ ist. Nora spricht in seiner Theorie von den „Orten“ des „Gedächtnisses“, das er zwar auf ein Kollektiv bezieht, aber als solches begrifflich nicht kennzeichnet. Er bleibt damit in der Terminologie individuellen Erinnerns, mit der er die kollektive Andacht beschreibt. Dieser Ansatz scheint auf einem phänomenologischen Zugang zu beruhen, der in Frankreich eine lange Tradition hat. Bei Fried stehen das Gedächtnis des Individuums und die ihm zugrundeliegenden neuronalen Prozesse im Vordergrund, mit deren Kenntnis er allerdings in Aussicht stellt, kollektive Prozesse wie die kulturelle Entwicklung einer Gesellschaft erklären zu können.143 Jede Theorie für sich vertritt den Anspruch, ein Beschreibungssystem zur Erklärung der praktischen Auseinandersetzung mit Erinnerung zu sein. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die drei Konzepte diesem Anspruch tatsächlich gerecht werden. Schließlich wäre es auch denkbar, dass sie praktische Phänomene nur insoweit berücksichtigen, wie diese sich anhand ihrer theoretischen Annahmen plausibilisieren lassen. In ihren Ausführungen verfolgen die drei Theorien methodisch jeweils einen deduktiven Ansatz, d.h. sie setzen jeweils bei einem abstrakten Konzept und bestimmten Axiomen bzw. bestimmten theoretischen Annahmen an, die sie auf die Realität übertragen. Eine Gefahr, die sich bei dieser Methode ergibt, besteht darin, Gesellschaft bekommen, so dass sie aus dem passiven „Speichermodus“ in den aktiven „Funktionsmodus“ der Erinnerung treten. Vgl. dazu: Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen der kulturellen Gedächtnisses, München 1999, S. 133ff. Jan Assmann hingegen spricht von der Geschichtswissenschaft nicht als einem „Gedächtnis“, sondern als „kalter Erinnerung“, die Geschichte gleichsam „einfriert“, indem sie ihr eine feste, unveränderbare Form gibt. Vgl. Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 69. 142 | Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 43. 143 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 389.

Theoretischer Diskurs zur Erinnerung

dass die Theorie projektionistische Züge annimmt. Es müsste demnach überprüft werden, ob Nora, Assmann und Fried mit ihren Konzepten empirische Gegebenheiten tatsächlich adäquat abbilden oder sie nur insoweit heranziehen, wie sie ihre jeweilige Theorie stützen. Wenn sich dieser Verdacht bestätigen würde, bedeutete dies, dass Aspekte der Realität unerkannt und ausgespart blieben, indem nur bestimmte Fälle – nicht alle – einbezogen werden. Diese Gefahr besteht natürlich grundsätzlich immer (auch bei induktiven Ansätzen). Der Wert einer Theorie zeigt sich nun aber nicht vorrangig darin, dass sie sich durch einzelne Beobachtungen der Realität veranschaulichen lässt, sondern v.a. darin, dass sie diejenigen Phänomene, für die sie Gültigkeit beansprucht – im vorliegenden Fall die der Erinnerungskultur – tatsächlich erklärt. Dies wollen wir uns im folgenden Abschnitt anhand zweier konkreter Beispiele vergegenwärtigen. In Hinblick darauf, dass die drei Theorien wie beschrieben mit zwei unterschiedlichen Gedächtnisbegriffen arbeiten, fragt sich, welche der Theorien Vorrangigkeit vor der anderen beanspruchen kann. Vorrangig wäre ein Ansatz, der über die Erklärungsleistung einer konkurrierenden Theorie hinaus Phänomene zu erklären im Stande ist oder sich in dem Sinne als basal erweist, dass andere Theorien sich auf ihn reduzieren lassen. Um diese offenen Fragen zu klären, bietet es sich an, die drei Theorien einem „Praxistest“ zu unterziehen. An einem Beispiel des praktischen Umgangs mit Erinnerung aus der Gegenwart müsste sich verdeutlichen lassen, wieviel die Theorien tatsächlich zu erklären vermögen. Die Stolpersteine von Gunter Demnig scheinen für diese Überprüfung insofern geeignet, als dass sie eine relativ junge Form des Gedenkens darstellen, die einen völlig neuen Ansatz gegenüber traditionelleren Formen der Vergangenheitsvergegenwärtigung im öffentlichen Raum verfolgt. Die Stolpersteine sind ihrem Konzept nach ein immer weiter „wachsendes“ Denkmal, das weitflächig in vielen deutschen Städten und ebenfalls im europäischen Ausland Unterstützung findet. Die vorliegende Arbeit legt den Fokus vor allem auf die Entwicklung des Projektes in der Stadt Hamburg. Die Hansestadt hat diese Denkmalsform relativ früh für sich entdeckt und war für eine gewisse Zeit sogar die deutsche Stadt mit den meisten verlegten Steinen, wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird. Auch die Ausstellung „In den Tod geschickt“, die als zweites Beispiel herangezogen wird, ist ihrem Konzept nach eine relativ neue Erscheinung. 2009 wurde sie erstmals in Hamburg gezeigt und soll in der Hansestadt Teil einer entstehenden Gedenkstätte und eines Informationszentrums werden. In der Präsentation und thematischen Aufbereitung der Ausstellung beschreiten die Macher Wege, die so vor einigen Jahren womöglich noch nicht begehbar erschienen. So werden verschiedene Arten von Quellen zusammengestellt, die eine Annäherung an das Thema aus ganz unterschiedlichen Perspektiven möglich macht. Auch Interviews von Zeitzeugen, die die Deportationen überlebt haben, sind darunter. Im anschließenden Abschnitt wird dies nun näher ausgeführt.

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2.1 B EISPIEL I: D IE STOLPERSTEINE IN H AMBURG Mehr als 50.000 Stolpersteine hat Gunter Demnig europaweit seit Beginn des Projekts verlegt.1 In zahlreichen deutschen Städten und Gemeinden, aber auch mancherorts im europäischen Ausland finden die Stolpersteine anhaltenden Zuspruch und große Unterstützung.2 Jedoch stößt das Denkmal mitunter auch auf harsche Kritik und starke Ablehnung. Was einmal lediglich als rein theoretisches Konzept angelegt war, hat sich in seiner praktischen Umsetzung zu einem in der Öffentlichkeit kontrovers diskutierten Denkmal entwickelt.3 Dem Künstler Gunter Demnig erscheint die Realisierung von sechs Millionen Stolpersteinen zunächst als „eine absurde Idee“4, so dass er sie nur in dem Kunstband mit dem Titel „Größenwahn. Kunstprojekte für Europa“, in dem nicht realisierbare Kunstprojekte vorgestellt werden, veröffentlichen lässt.5 Zu diesem Zeitpunkt beginnt Demnig jedoch, sich konkret mit Fragen der praktischen Umsetzbarkeit seines Konzepts auseinanderzusetzen, und wird in seinem Vorhaben durch den damaligen Pfarrer der Kölner Antonitergemeinde, Kurt Pick, bestärkt, der sagt: „Na ja, sechs Millionen Steine kannst Du nicht schaffen; aber um ein Zeichen zu setzen, könntest Du ja klein anfangen.“6 Im Zuge dieser Bemerkung entsteht 1994 eine Ausstellung in der Kölner Antoniterkirche mit den ersten 250 Stolpersteinen, die später im Kölner Stadtge-

1 | Vgl. dazu: Schon 50.000 Stolpersteine in Europa, vom 28.01.2015. Abrufbar im Internet: http:// www.taunus-nachrichten.de/koenigstein/aktuelles/koenigstein/schon-50000-stolpersteine-europa-id18469.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 2 | Bis jetzt gibt es in über 800 Städten in Europa Stolpersteine. Größtenteils sind diese in Deutschland verlegt, aber auch in 16 weiteren Ländern wie in den Niederlanden, in Polen, Dänemark, Österreich, Tschechien, Ungarn, Belgien, Frankreich, Italien, Norwegen, China und in der Ukraine liegen Stolpersteine. Vgl. dazu Nefzger, Andreas: Der Spurenleger, vom 07.02.2014. Abrufbar im Internet: http:// www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/stolpersteine-der-spurenleger-12788525.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 3 | Raap: Dezentrales Mahnmal, S. 232. 4 | Franke, Uta: Stolpersteine. Idee, Vorgeschichte und Entwicklung eines Projekts. Interview mit Gunter Demnig 2002/03, S. 4. 5 | Siehe Lindinger, Gabriele/Schmid, Karheinz (Hg.): Größenwahn. Kunstprojekte für Europa, Regensburg 1993, S. 60f. 6 | Franke: Stolpersteine. Idee, Vorgeschichte und Entwicklung, S. 4.

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biet verlegt werden.7 Seitdem scheint das Interesse an der Verlegung von Stolpersteinen im In- und Ausland nicht abzureißen, so dass sich der Künstler Demnig heute in seinem Schaffen ausschließlich auf dieses Projekt konzentriert. Die Stolpersteine sind ein erinnerungspolitisches und künstlerisches Phänomen, wie es erst am Ende des 20. Jahrhunderts auftritt. „Vor 20 Jahren hätten wir keine Genehmigung bekommen zur Verlegung der Stolpersteine“8, meint der Initiator und Koordinator der Stolpersteininitiative in Hamburg, Peter Hess, im Jahr 2009. In Hinblick darauf, dass sich die Bereitschaft der Deutschen zur Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nationalsozialisten nach dem Zweiten Weltkrieg erst allmählich herausbildet, scheint diese Einschätzung durchaus plausibel. Über die Gründe für die Beschäftigung mit dem Thema und die „Erfolgsgeschichte“ der Stolpersteine lassen sich lediglich Vermutungen anstellen. Die zunehmende zeitliche Distanz zum Zweiten Weltkrieg mag dazu beigetragen haben, dem Vergangenen z.B. auch in Form der Stolpersteine begegnen zu können. Viele der Zeitzeugen und Urheber von Verbrechen, die aus ganz unterschiedlichen Motiven heraus das Geschehene verdrängen und totschweigen wollten, leben nicht mehr. Mitglieder jüngerer Generationen wollen verstehen, wie es zu diesen Verbrechen kommen konnte. Die Überlebenden der Verbrechen und die Angehörigen der Opfer haben sich Gehör verschafft und fordern nun die Anerkennung ihrer Leiden und derer, die umkamen. Die Stolpersteine scheinen für viele eine Form des Gedenkens darzustellen, die eine Alternative zu herkömmlichen Denkmalstypen bietet. Woran liegt das? Was ist das Besondere, das die Stolpersteine als Denkmal ausmacht und sie konzeptionell von anderen Denkmälern unterscheidet? Welche Art des Zugangs zur Vergangenheit ermöglichen sie? Inwiefern sind die Stolpersteine Ausdruck einer zeitgemäßen Auseinandersetzung mit dem Vergangenen? Diese Fragen dienen als Leitfaden bei der folgenden Darstellung des Stolpersteinprojekts in seinen unterschiedlichen Aspekten.

2.1.1 Vorgeschichte und Idee zu den Stolpersteinen „Die Erinnerung wird […] mit den Stolpersteinen das direkte Thema – Spuren der Erinnerung. Nichts, was geschieht, ist folgenlos; ich spüre den Dingen nach – möchte Spuren sichtbar machen, erhalten und damit an Dinge oder Ereignisse, die in Vergessenheit geraten, wieder erinnern und direkt sichtbar machen.“ 9

Der Künstler Gunter Demnig wird vor allem mit Arbeiten bekannt, die im öffentlichen Raum angelegt sind und diesen für eine gewisse Zeit künstlerisch gestalten. 1980 legt er beispielsweise „Duftmarken“ von Kassel nach Paris: Mit einer von ihm 7 | Ebd. 8 | Interview mit Peter Hess, geführt von der Verfasserin am 13.07.2009 (vorliegend als Transkription), S. 1. 9 | Ebd.

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angefertigten „mobilen Plastik“, die ausgestattet mit einer Farbwalze fortwährend die 800 km lange Strecke zwischen der Kunstakademie Kassel und dem Centre Pompidou in Paris mit dem Schriftzug „Duftmarken Cassel–Paris Demnig“ markiert, macht sich Demnig zu Fuß auf den Weg, um das „längste Kunstwerk der Welt“ zu schaffen.10 Diese Aktion wird als „Versuch einer ironischen Umkehrung des Hanges zu Superlativen“ interpretiert.11 Gleichzeitig symbolisiert der Weg zwischen dem Ort der künstlerischen Lehre und Förderung zur Ausstellungsstätte für Demnig „die mögliche und unmögliche Ausbildung zur Kunst“12.Eine konzeptionell und thematisch verwandte Arbeit entsteht 1981 mit der „Blutspur“, die Demnig auf seinem Weg zwischen Kassel und der Tate Gallery in London auf den Asphalt zeichnet.13 Im darauffolgenden Jahr spannt er einen dünnen roten „Ariadne-Faden“ zwischen Kassel und Venedig, um die Documenta und Biennale, die damals zeitgleich stattfinden, zueinander in Bezug zu setzen.14 Diesen Kunstaktionen ist das Motiv des Spurenlegens über weite Distanzen gemeinsam, die dem Künstler durch das Abschreiten der Strecken einen entsprechenden körperlichen Einsatz abverlangen. Das Thema „Erinnerung“ spielt schon bei diesen frühen Werken Demnigs eine Rolle, denn die Spuren verschwinden mit der Zeit durch die jeweiligen örtlichen Witterungsbedingungen oder durch andere Einwirkungen der Umgebung wie z.B. Autoabgase. Was zurückbleibt, ist die Erinnerung an die Spuren. Weitere Kunstaktionen dieser Art festigen im Verlauf der 1980er Jahre Demnigs Ruf als „Spurenleger“15. Aber auch Zeichen und ihr Zusammenspiel mit Bedeutung sind ein wiederkehrendes Charakteristikum in Demnigs Werken, in denen oftmals der Sprache und der Schrift eine wichtige Rolle zukommt. So fertigt Demnig z.B. 1989 die aus Ton gebrannten „Gesetzestafeln“ an, die den ersten Artikel der Allgemeinen Menschenrechte von 1848 in 120 verschiedene Sprachen übersetzt und in die internationale phonetische Lautschrift transkribiert enthalten. „Beherrscht man die Lautschrift, kann man die Texte immer wieder lesen, aber Sie verstehen nichts, Sie erleben die perfekte Sprachverwirrung.“16 Der Künstler setzt sich in dieser Arbeit kritisch mit dem Stellenwert und der Bedeutung der Menschenrechte auseinander, deren Schutz er global fordert. Demnig moniert, dass der erste Artikel der Menschenrechtskonvention einen hohen Anspruch formuliert, in seiner Aussage jedoch immer wieder relativiert würde.17 Vor diesem Hintergrund erscheint die 10 | Durch „Duftmarken“ Kunstweltmeister?, in: Der Spiegel, Nr. 38, vom 15.09.1980, S. 231. 11 | Raap: Dezentrales Mahnmal, S. 232. 12 | Franke: Stolpersteine. Idee, Vorgeschichte und Entwicklung, S. 2. 13 | NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln (Hg.): Stolpersteine. Gunter Demnig und sein Projekt, Köln 2007, S. 10. 14 | Ebd. 15 | Vgl. Neumann, Nicolas: Der Spurenleger, in: art, Ausg. 9 (2004), S. 80-85. 16 | Franke: Stolpersteine. Idee, Vorgeschichte und Entwicklung S. 2.

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Gesellschaft wortreich, aber zugleich auch sprachlos. Als es 1992/93 in Deutschland vermehrt zu rassistischen Übergriffen auf Ausländer kommt, greift Demnig diese Arbeit abermals auf, indem er Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte auf Werbeflächen im Kölner Stadtgebiet plakatiert.18 Diese Arbeiten weisen deutlich politische Implikationen auf, wie fast alle seine Werke. Demnig begreift sich selbst als einen politischen Künstler: „Für mich ist letztlich jeder Mensch politisch, d.h. politisch verantwortlich, und jeder Künstler sollte es dann erst recht sein.“19 Bereits 1971 bezieht er mit einer Arbeit deutlich politisch Stellung, als er die amerikanische Flagge auf das Fenster seines Ateliers in Berlin-Kreuzberg malt und die Sterne durch Totenköpfe ersetzt, um seiner Kritik an der damaligen amerikanischen Vietnam-Politik Ausdruck zu verleihen.20 Die Intervention im öffentlichen Raum mit Hilfe von künstlerischen Mitteln ist Demnig wichtig. Er möchte mit seiner Kunst Fragen aufwerfen, die zum Nachdenken und zur Diskussion anregen: „Die Kunst, die im Museum hängt, interessiert mich nicht so sehr, ich meine, es muss sein, das zu konservieren, aber mich interessiert viel mehr Kunst, die mit Menschen im Kontakt steht, Reaktionen provoziert. Bei meiner Arbeit ist die Diskussion wichtig für mich.“ 21

Demnigs Vorstellung von Kunst scheint eng mit ihren kommunikativen Kontexten in der Öffentlichkeit verbunden zu sein, ob diese nun bei der Rezeption seiner fertigen Arbeiten oder bereits im Akt ihres Entstehens geschaffen werden. Es entsteht der Eindruck, als ob Kunst in diesem Zusammenhang wie ein Katalysator wirkt, der Austausch ermöglicht. Auch bei der Vorbereitung und Planung seiner Aktionen ist Kommunikation unverzichtbar, da Demnig bei vielen seiner Projekte auf das Wissen von Experten anderer Disziplinen angewiesen ist. Bei den „Gesetzestafeln“ arbeitet Demnig z.B. mit Sprachforschern der Universität Köln zusammen, die ihm bei der Übersetzung in verschiedene Sprachen und bei der Transkription in Lautschrift helfen.22 Im Vorfeld seiner Arbeit „Flaschenpost Kassel-New York“ von 1982, bei der er Botschaften an verschiedene Kunstmuseen in Übersee als Flaschenpost in den Atlantischen Ozean wirft, spricht er mit Strömungsforschern, Meeresbiologen und Physikern, um zu klären, inwieweit dieses Vorhaben realisierbar ist bzw. wie groß die Wahrscheinlichkeit des Auffindens der Botschaften durch die Adressaten ist.23 Demnig schätzt die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern 17 | Ebd. 18 | NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, S. 28. 19 | Raap: Dezentrales Mahnmal, S. 32. 20 | Franke: Stolpersteine. Idee, Vorgeschichte und Entwicklung, S. 1. 21 | Aufzeichnung eines Gesprächs mit Gunter Demnig, geführt von der Verfasserin am 25.04.2009. 22 | Franke: Stolpersteine. Idee, Vorgeschichte und Entwicklung, S. 2. 23 | Raap: Dezentrales Mahnmal, S. 35. Auf zwei Flaschenbotschaften erhielt Demnig eine Antwort

Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung

als eine „wichtige Erfahrung“, da sich ihm durch die interdisziplinäre Ausweitung der Kunst neue Perspektiven für seine Arbeit eröffnen und neue kommunikative Kontexte entstehen, von denen auch die Auseinandersetzung mit den Rezipienten profitiert.24 Die beschriebenen Charakteristika und Stilmittel seines künstlerischen Ausdrucks kehren 1990 in Demnigs Arbeit „Mai 1940 – 1.000 Roma und Sinti“ wieder und werden von dem Künstler weiter fortentwickelt. Auf der ästhetischen Vorlage dieses Projekts entsteht schließlich das künstlerische Konzept für die Stolpersteine.25 Aus Anlass des 50. Jahrestages der Deportation von Roma und Sinti in Köln wendet sich die Kölner Initiative ROM e.V. an Demnig und bittet ihn um einen künstlerischen Entwurf zum Gedenken an die 1.000 Roma und Sinti, die im Mai 1940 in die Vernichtungslager der Nationalsozialisten abtransportiert wurden.26 Demnig zeichnet mit weißer Fassadenfarbe eine „Kreidespur“ durch die Kölner Innenstadt, die den historischen Weg der Roma und Sinti vom offiziellen Sammelplatz zum Deportationsbahnhof nachzeichnet.27 Als die weiße Farbspur nach einiger Zeit weggewaschen ist, überlegt sich Demnig, die Spur symbolisch zumindest an einigen Stellen dauerhaft dem Kölner Stadtbild einzuprägen. Er fügt Messingleisten mit dem Schriftzug „Mai 1940 – 1.000 Roma und Sinti“ in 40 cm mal 40 cm große Gehwegplatten ein, die er 1993 an 21 ausgewählten Stellen verlegt, an denen vorher die Farbspur verlaufen ist.28 Die Spuren werden auf diese Weise im Gedenken an ein prägendes Ereignis der Stadtgeschichte dauerhaft konserviert und als solche unmittelbar im Stadtraum kenntlich gemacht. Bei der Verlegung des Metallschriftzuges wird die Idee für die Stolpersteine durch eine zufällige Begegnung mit einer älteren Passantin, die mit Demnig über seine Arbeit ins Gespräch kommt, geboren: „Es war in der Südstadt, am Großen Griechenmarkt, als eine Zeitzeugin mich ansprach: ,Ist ja ganz schön, was Sie hier machen, aber in unserem Viertel haben doch nie Zigeuner gewohnt.’ Sie können sich vorstellen, die Worte verwirrten mich. Aber ganz offensichtlich hatte es die Frau tatsächlich nicht gewußt. Ganz langsam begriff ich: Die Menschen in dem Viertel lebten ganz normal, nachbarschaftlich zusammen. Zigeuner waren wie alle anderen Menschen gemeinschaftlich eingebunden, mit den jüdischen Mitbürgern muss es ähnlich gewesen sein. Es interessierte nicht, ob jemand vielleicht fremd oder anders aussah, etwas anderes glaubte oder einer anderen Volksgruppe angehörte. Und trotzdem wurden diese Menschen später deportiert, ohne nennenswerten Widerstand ihrer Nachbarn. AuschSiehe Franke: Stolpersteine. Idee, Vorgeschichte und Entwicklung, S. 2. 24 | Raap: Dezentrales Mahnmal, S. 35. 25 | Franke: Stolpersteine. Idee, Vorgeschichte und Entwicklung, S. 3. 26 | Ebd. ROM e.V. besteht als gemeinnütziger Verein seit 1988 und macht sich für die soziale und politische Eingliederung von Roma-Familien in Köln stark. 27 | Ebd. 28 | Ebd.

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Erinnern und Gedenken im Umgang mit dem Holocaust witz war der Ziel- und Endpunkt, aber in den Wohnungen und Häusern begann das Unfassbare, das Grauen.“29

Unabhängig davon, ob die Aussage der Zeitzeugin und Demnigs Einschätzung eines nachbarschaftlichen Lebens in dem besagten Stadtteil tatsächlich zutrifft, ist die Frage von entscheidender Bedeutung, die Demnig mit seiner Äußerung in diesem Kontext implizit stellt: Wie konnte es passieren, dass so viele Menschen zur Zeit des Nationalsozialismus systematisch ihren alltäglichen, nachbarschaftlichen Verhältnissen entrissen wurden, ohne dass dies auf den Protest und den Widerstand ihrer unmittelbaren Nachbarn stieß? Das Ziel der Stolpersteine ist es, dieser Menschen und ihrer individuellen Schicksale an den Orten zu gedenken, an denen diese Menschen einst zu Hause waren.30 Gleichzeitig rufen die Stolpersteine den Betrachter zu sozialer Verantwortung und Zivilcourage auf, damit sich Verbrechen, wie sie von den Nationalsozialisten verübt wurden, nicht wiederholen. Im Jahr 1996 nimmt Demnig an einer Ausstellung mit dem Thema: „Künstler forschen nach Auschwitz“ teil, die von der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) in Berlin initiiert wird.31 Neben einem Beitrag, der sich mit der Reichsbahn als Teil der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik beschäftigt, verlegt Demnig 51 Stolpersteine in der Oranienstraße, für die er zu diesem Zeitpunkt noch keine behördliche Erlaubnis hat.32 Die Steine werden jedoch nachträglich legalisiert, als ihre Verlegung durch eine Ausnahmegenehmigung gestattet wird.33 Eine ähnliche Erfahrung macht Demnig auch in Köln. Dort nimmt er ungefähr zur gleichen Zeit Probeverlegungen vor.34 Das Verlegen der Steine im großen Stil bleibt dem Künstler jedoch bis zu diesem Zeitpunkt in beiden Städten versagt, so dass das Stolpersteinprojekt stagniert. Im Jahr 2000 erhält Demnig in Berlin und Köln schließlich die Erlaubnis der Behörden, Stolpersteine auf den öffentlichen Gehwegen innerhalb des jeweiligen Stadtgebiets verlegen zu dürfen.35 Auf diese Weise erhält das Stolpersteinprojekt einen neuen Impuls und entwickelt seitdem eine solche Dynamik, dass über Berlin und Köln hinaus sich zahlreiche weitere Städte am Stolpersteinprojekt beteiligen und die Warteliste für die Verlegung von Steinen stetig anwächst.

29 | Ebd. 30 | Raap: Dezentrales Mahnmal, S. 233. 31 | Franke: Stolpersteine. Idee, Vorgeschichte und Entwicklung, S. 6. 32 | Ebd. 33 | Ebd. 34 | Ebd. 35 | Ebd.

Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung

2.1.2 Herstellung und Konzept der Stolpersteine „Für mich ist es immer noch eine große Erschütterung, jedes Mal, wenn ich Buchstabe für Buchstabe einzeln einschlage. Das gehört für mich aber mit zu dem Projekt, weil ich mir so immer wieder darüber bewusst werde, dass es sich um einen Menschen, einen einzigartigen Menschen handelt, um den es geht. Das waren Kinder, das waren Männer, Frauen, Nachbarn, Schulkameraden, Freundinnen, Kollegen… und bei jedem Namen entsteht so eine Vorstellung in mir. Und dann gehe ich auch an den Ort, in die Straße, vor das Haus. Da rückt es noch einmal näher an einen heran. Es ist schmerzhaft, den Stolperstein zu legen, aber es ist auch gut, weil da etwas zurückkehrt … wenigstens die Erinnerung.“ 36

Die Stolpersteine sind allen Opfern des nationalsozialistischen Terrorregimes gewidmet, ob es sich dabei um Menschen jüdischen Glaubens, Sinti, Roma, Zeugen Jehovas, geistig und bzw. oder körperlich behinderte Personen, Homosexuelle oder politisch Andersdenkende handelt. In den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nationalsozialisten wurde den Häftlingen ihre Individualität aberkannt, indem ihre Namen durch Registriernummern ersetzt wurden, die an ihrer Kleidung angebracht waren oder ihnen in die Haut tätowiert wurden. Fortan wurden sie mit dieser Nummer im Lager gerufen und hatten sie einem Aufseher gegenüber anzugeben.37 Das Anliegen der Stolpersteine ist es, diesen Menschen ihren Namen wiederzugeben und auf ihre individuellen Schicksale aufmerksam zu machen: Jeder Stein ist mit dem Namen und den biografischen Eckdaten einer Person versehen.38 Denn „ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“39, wie der Künstler Demnig in Hinblick auf die Stolpersteine bemerkt. Dabei fällt auf, dass im Kontext der Stolpersteine häufig von „Erinnerung“ gesprochen wird (siehe z.B. das Zitat des Künstlers am Anfang dieses Kapitels), obwohl es sich dabei eigentlich ganz klar um eine Form des Gedenkens handelt, sofern man denjenigen, dem der Stein gewidmet ist, nicht gekannt hat. Demnig entwickelt relativ schnell eine klare Vorstellung von der Ausführung und dem Verlegen der Stolpersteine.40 Die Grundfläche der Steine misst 10 mal 10 cm. Ihre Höhe beträgt 10 cm, so dass sie nach dem Verlegen 10 cm tief zu ebener Erde in den Gehweg eingelassen sind, denn das „Stolpern“ ist in diesem Zusammenhang nur symbolisch gemeint. Der erste Schritt im Arbeitsprozess zur Herstellung der Stolpersteine besteht in der Prägung des Schriftzuges. Mit Schlag-

36 | NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, S. 37. 37 | Vgl. dazu Eberle, Annette: Häftlingskategorien und Kennzeichnungen, in: Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 1: Organisation des Terrors, hrsg. v. W. Benz u. B. Distel, München 2005, S. 91-109, S. 91. 38 | Franke: Stolpersteine. Idee, Vorgeschichte und Entwicklung, S. 4. 39 | Aufzeichnung eines Gesprächs mit Gunter Demnig, geführt von der Verfasserin am 25.04.2009. 40 | Franke: Stolpersteine. Idee, Vorgeschichte und Entwicklung, S. 5.

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buchstaben wird der Text in 1 mm starkes, halbhartes Messingblech eingestanzt.41 Die Schrift lässt sich ab diesem Zeitpunkt nicht mehr entfernen oder korrigieren. Im nächsten Schritt werden die Enden des Bleches nach hinten gefalzt und durch zwei Bohrungen mit Baustahl verstärkt.42 Anschließend werden jeweils vier Messingtäfelchen in einer Stahlform mit Estrichbeton hinterfüllt und auf dem Rütteltisch hoch verdichtet.43 Auf diese Weise entstehen Betonquader mit einer Messingtafel auf der Oberseite, die ihre maximale Festigkeit durch ein Wasserbad von einer Woche erhalten.44 Um die Steine verlegen zu können, wird der Straßenbelag vor Ort entfernt und ein ca. 5 cm dickes Bett aus Estrichbeton gegossen, in den die Stolpersteine eingepasst werden.45 Sie werden mit Quarzsand und Portlandzement verfugt, eingeschlämmt und danach gereinigt.46 Das fach- und ordnungsgemäße Verlegen der Steine wird Demnig von Beamten der Kölner Straßen- und Verkehrstechnik bescheinigt, so dass weder Fußgänger beim Laufen über die Stolpersteine gefährdet sind noch die Steine leicht entfernt bzw. beschädigt werden können.47 Bei anfallenden Bauarbeiten können die Steine dem Gehweg entnommen und an der entsprechenden Stelle wieder eingesetzt werden.48

41 | Ebd. 42 | Ebd. 43 | Ebd. 44 | Ebd. 45 | Ebd. 46 | Ebd. 47 | Ebd. 48 | Ebd.

Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung

Abbildung 1: Stolpersteine vor der Bogenstraße 15 in Hamburg, 2008

Quelle: Stefanie Wolter / privat

Das Kriterium für die Auswahl der Materialien Messing und Beton beruht ausschließlich auf pragmatischen Gesichtspunkten, da für Demnig dabei vor allem Aspekte wie Stabilität und Zweckmäßigkeit im Vordergrund stehen.49 Ein möglicher Symbolcharakter der beiden Stoffe kommt in seinen Überlegungen zur Anfertigung der Stolpersteine nicht zum Tragen. Messing gilt als ein Metall, das sich relativ leicht bearbeiten lässt und widerstandsfähig ist. Dies ist im Zusammenhang mit den Stolpersteinen von entscheidender Bedeutung, da sie unterschiedlichen Beanspruchungen ausgesetzt sind, ob es sich dabei nun um die örtlichen Witterungsverhältnisse handelt oder Versuche mutwilliger Beschädigung. Ähnlich verhält es sich mit dem Baustoff Beton. Beide Materialien sind zudem relativ kostengünstig.50 In Hinblick auf die Finanzierung der Steine spielt dies eine wesentliche Rolle. Eine der Grundideen des Stolpersteinprojekts besteht nämlich darin, einzelne Personen, Vereine, Initiativen und Schulklassen durch eine Patenschaft für einen Stolperstein in das Projekt einzubeziehen und ihre aktive Beteiligung zu fordern.51 Eine Patenschaft zu übernehmen, bedeutet auch die Kosten für die Herstellung eines Stolpersteins zu tragen. Auf diese Weise möchte Demnig die Unabhängigkeit des Projekts von öffentlichen Geldern sicherstellen, denn die Ge49 | Farzenafar, Amin: „Erinnerung blankpolieren“. Ein Gespräch mit dem Berliner Künstler Gunter Demnig, in: taz, vom 24.11. 2001, S. 33. 50 | Ebd. 51 | NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, S. 38.

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meinden spielen nur eine Rolle in Hinblick auf die Genehmigung für das Verlegen der Steine in ihrem Gebiet.52 Nach dem Verlegen der Steine gehen diese als Schenkung der Bürger in den Besitz der Stadt über.53 Bis zum Dezember 2011 betrug der Preis für einen Stein 95 Euro. Aufgrund gestiegener Kosten vor allem im Hinblick auf Materialien, Transport und die Vergrößerung des Helferteams wurde der Preis der Patenschaft für einen Stolperstein im Januar 2012 auf 120 Euro angehoben.54 Demnig zahlt seit Beginn seines Projekts einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Kunstwerke von sieben Prozent. Im Sommer 2011 befinden Kölner Finanzbeamten jedoch, Demnigs Stolpersteine seien aufgrund ihrer Vielzahl nicht mehr als Kunstwerk, sondern als „fabrikmäßig hergestellte Hinweisschilder“ zu bewerten und deshalb mit 19 Prozent zu besteuern. Nachträglich sei damit eine Nachzahlung von 150.000 Euro fällig.55 Öffentliche Proteste verhindern dies, nachdem das Politfernsehmagazin Monitor die Forderung des Kölner Finanzamtes kritisch hinterfragt und beim Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Dr. Norbert-Walter Borjans, in dieser Angelegenheit nachhakt.56 Nach nochmaliger Prüfung teilt dieser Demnig mit, dass die Stolpersteine als Gesamtkunstwerk gesehen würden, und es auch zukünftig beim Steuersatz von sieben Prozent bleibe.57 Verlegt werden die Stolpersteine in den öffentlichen Gehsteig vor den Häusern, in denen die Opfer der Nationalsozialisten einst vor ihrer Flucht, Deportation oder Festnahme gelebt haben, so dass der Schriftzug auf jedem Stein mit den Worten „Hier wohnte“ beginnt, bevor der Name und die biografischen Daten des Opfers genannt werden. Warum wählt der Künstler gerade diesen Ort für das Gedenken? Demnig möchte „die Erinnerung ganz konkret in unseren Alltag holen“58 und damit verdeutlichen, dass die Diskriminierung und Verfolgung von Menschen während der NS-Zeit in der Nachbarschaft begann und dort toleriert wurde. Die Stolpersteine kennzeichnen den Ausgangspunkt der Gewalt: „Auschwitz war der Endpunkt, aber hier bei der Abholung aus der Wohnung hat das Grauen begonnen.“59 Nach 1945 entwickeln sich die Namen der Konzentrationslager wie z.B. Auschwitz-Birkenau, Dachau oder Buchenwald zu Synonymen für die Gewaltta-

52 | Aufzeichnung eines Gesprächs mit Gunter Demnig, geführt von der Verfasserin am 25.04.2009. 53 | NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, S. 38. 54 | Siehe dazu die Mitteilung des Künstlers abrufbar im Internet: http://www.stolpersteine.eu/start/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 55 | Siehe dazu Posener, Alan: Besteuerte Erinnerung, in: Die Welt, Nr. 143, vom 22.06.2011, S. 27. 56 | Siehe dazu Monitor „Keine Kunst: „Stolpersteine“ sind für das Finanzamt nur „Hinweisschilder“, ausgestrahlt in: Das Erste, vom 16.06.2011. 57 | Vgl. dazu die Mitteilung des Künstlers abrufbar im Internet: http://www.stolpersteine.eu/start/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 58 | Franke: Stolpersteine. Idee, Vorgeschichte und Entwicklung, S. 4. 59 | Raap: Dezentrales Mahnmal, S. 233.

Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung

ten der Nazis.60 Die ehemaligen Lager sind heute Gedenkstätten. Durch ihre exponierte Lage sind sie jedoch der Alltagserfahrung vollkommen entzogen: „Man kann ihnen ohne Mühe ausweichen, wenn man der Geschichte aus dem Weg gehen will.“61 Die Stolpersteine konfrontieren dagegen den Betrachter mit der Geschichte „vor seiner Haustür“. Auch wenn sich die Steine in ihrer Erscheinung nicht aufdrängen, haben sie Präsenz, die durch ihre wachsende Zahl in den Städten verstärkt wird und auf Auseinandersetzung mit der verdrängten Geschichte in der Nachbarschaft beharrt. Außerdem setzt Demnig mit der Wahl des Ortes für das Denkmal auf den Effekt des Ungewohnten, der Irritation und Neugier hervorrufen soll.62 Der Passant „stolpert mit dem Herzen und mit dem Kopf“63, wie Demnig die Wirkung der Stolpersteine kommentiert, über etwas, das neu und fremd in der gewohnten Umgebung erscheint. Die Entscheidung für den Gehsteig als Verlegungsort der Steine hat aber auch pragmatische Gründe, da Demnig befürchtet, dass viele Hausbesitzer die Setzung eines Gedenksteins auf ihrem Privatgrund oder die Installierung von Gedenktafeln an ihrer Hauswand verweigern würden.64 „Das Trottoir dagegen ist öffentlicher Straßenraum, d.h. wenn eine Gemeinde oder Stadt die Verlegung der Steine einmal beschlossen und genehmigt hat, lassen sich schwerlich noch Gründe für eine Ablehnung finden.“65 Zudem „blicken die meisten Menschen doch eher auf den Boden als an den Hauswänden empor – dadurch geraten die Steine eher in den Blick des Vorübergehenden.“66 Die Stolpersteine nehmen die traditionelle Form des Pflastersteins auf.67 Sie setzen sich vom übrigen Straßenpflaster durch ihre goldfarbene, glänzende Oberfläche ab, so dass sie als ein neues, ungewohntes Element im Gehweg Aufmerksamkeit auf sich ziehen.68 Es kommt vor, dass Passanten sich bücken, um den Schriftzug auf den Steinen besser lesen zu können. Dies wirkt wie eine Verbeugung vor den Opfern auf Demnig, der sich dieses Effekts bei der Planung des Denkmals nicht bewusst ist, aber ihn durchaus begrüßt.69 Insbesondere wenn die vorgebeugte Haltung des Körpers dazu führt, dass andere Passanten ebenfalls auf den Stein aufmerksam werden und sich vielleicht sogar ein Gespräch über die Steine zwischen ihnen entwickelt. Beim Verlegen der Steine hat Demnig ebenfalls die Erfah60 | NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln (Hg.): Stolpersteine, S. 57. 61 | Aufzeichnung eines Gesprächs mit Gunter Demnig, geführt von der Verfasserin am 25.04.2009. 62 | Raap: Dezentrales Mahnmal, S. 233. 63 | Aufzeichnung eines Gesprächs mit Gunter Demnig, geführt von der Verfasserin am 25.04.2009. 64 | Franke: Stolpersteine. Idee, Vorgeschichte und Entwicklung, S. 5. 65 | Ebd. 66 | Ebd. 67 | Endlich: Ein „dezentrales Monument“?, S. 32. 68 | Franke: Stolpersteine. Idee, Vorgeschichte und Entwicklung, S. 6. 69 | Aufzeichnung eines Gesprächs mit Gunter Demnig, geführt von der Verfasserin am 25.04.2009.

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rung gemacht, dass fremde Menschen miteinander über die Stolpersteine sprechen und diskutieren.70 Demnig bewertet jede Form der Auseinandersetzung, die sich an den Stolpersteinen entzündet als positiv und als einen Erfolg des Projekts, das Dialoge anstoßen soll, wie kontrovers diese auch ausfallen.71 Die Stolpersteine sollen aber nicht nur gelesen, sondern auch begangen werden. Das Begehen zielt darauf ab, die „Irritation durch das Ungewohnte“, die schon durch die Wahl des Verlegungsortes hervorgerufen wird, noch zu verstärken.72 Mit der Berührung der Steine durch die Schuhsohle soll der Glanz des Messings erhalten bleiben. Auf diese Weise wird die Erinnerung im übertragenen Sinne durch jedes Begehen „blankpoliert“73. Die Praxis zeigt jedoch, dass die Hemmung, die Steine zu „betreten“, anscheinend groß ist bzw. die flüchtige Berührung nicht den gewünschten Effekt hat, die goldene Farbe des Messings zu erhalten. Viele Steine oxidieren und bilden eine bräunliche Schutzschicht, so dass der Stein sich nicht mehr so deutlich von den ihn umgebenden Pflastersteinen oder Gehwegplatten abhebt und sein Schriftzug schlecht lesbar ist. Aus diesem Grund ruft z.B. die Stolpersteininitiative in Hamburg zum Jahresbeginn seit 2007 zum Frühjahrsputz der Stolpersteine auf, um den Steinen wieder ihren alten Glanz zu verleihen.74 Darüber hinaus haben sich in Hamburg Privatpersonen einzeln oder in Gruppen gefunden, die das regelmäßige Reinigen der Steine über das ganze Jahr in bestimmten Straßen übernehmen und um neue „Putzpaten“ werben.75 Das Säubern der Steine durch die Bürger in einigen Bezirken oder einzelnen Straßenzügen verstärkt den Eindruck, dass die Steine und damit die Erinnerung an die NS-Opfer teilweise wirklich in das alltägliche Leben integriert werden. Die Stolpersteine sind ein Denkmal von „unten“: Sie bestehen, weil Einzelpersonen oder Gruppen wie Schulklassen oder Vereine diese Form des individuellen Gedenkens an die Opfer unterstützen, indem sie die Schicksale der Opfer recherchieren, Patenschaften übernehmen und sich für die Genehmigung stark machen, die Steine an einem Ort verlegen lassen zu dürfen.76 Nur solange dieses Engagement und diese Unterstützung in der Bevölkerung vorherrschen, kann das Stolpersteinprojekt weiter existieren. Vor dem Hintergrund dieses sozialen Netzwerkes, das auch die Menschen einbezieht, die die Steine pflegen und reinigen oder bei der Koordination sowie Organisation des Projekts helfen, nennt der Künstler die Stolpersteine eine „soziale Skulptur“77. Damit stehen die Stolpersteine in einem 70 | Endlich: Ein „dezentrales Monument“?, S. 34. 71 | Aufzeichnung eines Gesprächs mit Gunter Demnig, geführt von der Verfasserin am 25.04.2009. 72 | Raap: Dezentrales Mahnmal, S. 233. 73 | Ebd. 74 | Interview mit Peter Hess, S. 7. 75 | Aufzeichnung eines Gesprächs mit Gunter Demnig, geführt von der Verfasserin am 25.04.2009. 76 | NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln (Hg.): Stolpersteine, S. 38. 77 | Aufzeichnung eines Gesprächs mit Gunter Demnig, geführt von der Verfasserin am 25.04.2009.

Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung

starken Kontrast zu den offiziellen, zentralen Denkmälern, die Teil einer staatlich verordneten Erinnerungskultur sind, wie es z.B. das Denkmal für die ermordeten Juden Europas ist. Die Errichtung der zentralen Holocaust-Gedenkstätte Deutschlands wird 1999 nach zehnjähriger Debatte parteiübergreifend vom Deutschen Bundestag beschlossen und nach den Plänen des New Yorker Architekten Peter Eisenman als Stelenfeld aus 2700 Betonpfeilern im Zentrum Berlins unweit des Brandenburger Tors auf einer Brachfläche von ca. 19.000 m2 im Jahr 2005 fertig gestellt. Die Stolpersteine verfolgen als „dezentrales Mahnmal“78 ein anderes Konzept. Die Dezentralität entsteht auf verschiedenen Ebenen: Die Steine befinden sich nicht an einem zentralen Platz, sondern sind verstreut vor den ehemaligen Wohnungen und Wirkungsstätten der NS-Opfer verlegt. Während die staatlich geförderten, zentralen Denkmäler oftmals einer Opfergruppe gewidmet sind, wird mit den Stolpersteinen einzelnen Menschen gedacht, die der Verfolgung durch die Nazis zum Opfer fielen. Auf diese Weise gewinnen die Opfer ihre Individualität zurück und werden der Anonymität entzogen, die ihnen als Teil einer bestimmten Gruppe oder Divisor einer bestimmten Opferzahl anhaftet.79 Die Stolpersteine geben darüber hinaus nicht explizit den jeweiligen Grund für die Verfolgung eines Opfers durch die Nazis an, da zum einen jedes Opfers gleichermaßen unabhängig von seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe gedacht wird. Zum anderen könnte dies im speziellen Fall des individuellen Gedenkens, wie eine erneute Stigmatisierung der Opfer als „Juden“, als „Sinti“ oder als „Homosexuelle“ wirken. Der Aspekt der Dezentralität setzt sich bei den Stolpersteinen fort im Hinblick auf den Denkmalssetzer. Während die meisten großen, zentralen Denkmäler im staatlichen Auftrag entstehen und damit die staatsoffizielle Perspektive auf ein historisches Geschehen repräsentieren, sind es im Fall des Stolpersteinprojekts viele Bürger, die die Steine aus ganz unterschiedlichen Beweggründen setzen lassen. Sie stimmen jedoch in der Entscheidung für ein individuelles Gedenken der NS-Opfer überein, so dass sie als Stolpersteinpaten aktiv werden und sich persönlich an dem Projekt beteiligen. Dennoch hält Demnig die zentralen Denkmäler, die sich mit der NS-Zeit auseinandersetzen, für unverzichtbar. Die Stolpersteine stellen für ihn eine wichtig Ergänzung zu diesen Denkmälern dar, da ihnen konzeptionell ein anderer Zugang zum Vergangenen möglich ist.80 Auf diese Weise kann eine breit angelegte, abwechslungsreiche Erinnerungskultur in Deutschland entstehen. Als Denkmal für einen einzelnen Menschen steht jeder Stolperstein für sich allein. Zugleich verweist er wie ein kleines Puzzleteil eines größeren Gebildes, mit 78 | Raap: Dezentrales Mahnmal, S. 228. 79 | Dies soll kein Einwand sein gegen Denkmalsformen, die einer Opfergruppe der Nationalsozialisten explizit gewidmet sind. Diese Denkmäler verfolgen ein anderes Motiv: Sie stellen auf diese Weise die Absurdität der NS-Verbrechen heraus, dass Menschen beispielsweise aufgrund ihrer ethnischen Herkunft oder politischen Überzeugung verfolgt wurden. 80 | Aufzeichnung eines Gesprächs mit Gunter Demnig, geführt von der Verfasserin am 25.04.2009.

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dem die Gesamtheit aller verlegten Steine gemeint ist, auf andere Menschen und ihre Schicksale. Die anwachsende Zahl der Steine verdeutlicht das historische Geschehen des Massenmordes und macht es in seinem Ausmaß an Brutalität und Grausamkeit sichtbar. Der Zugang zur Geschichte wird dadurch ermöglicht, dass das Vergangene mit Hilfe eines individuellen Schicksals konkretisiert wird. Auf diese Weise wird Stein für Stein die abstrakte und hohe Zahl der NS-Opfer, die sich in der Größendimension des Verbrechens dem Vorstellungsvermögen entzieht, etwas greifbarer. Aufgrund der immens hohen Opferzahl steht das Projekt jedoch vor einem unlösbaren Problem, das darin besteht, dass es aus praktischen Gründen nicht jedem der Millionen von Opfern durch ein individuelles Gedenken gerecht werden kann. In der Unvollständigkeit liegt jedoch die besondere Herausforderung und eine Stärke des Projekts: Die Vergangenheit wird auf diese Weise präsent gehalten und das Engagement der Bürger, das wie beschrieben zur Weiterführung des Projekts notwendig ist, kontinuierlich gefordert. Demnig möchte so die Vergangenheit im Alltag der Menschen „wachhalten“ und damit auch auf gegenwärtige Tendenzen bezüglich der Ausgrenzung und Diskriminierung von Menschen in der heutigen Gesellschaft aufmerksam machen.81 Die Stolpersteine geben Denkanstöße und werfen Fragen auf, die eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und Gegenwart provozieren. Die Antworten darauf muss sich der Betrachter jedoch selbst erarbeiten.

2.1.3 Die Umsetzung des Stolpersteinprojekts in Hamburg Der Hamburger Kunstsammler Peter Hess liest zum ersten Mal im Jahr 2001 in einer Kunstzeitschrift über die Aktion „Stolpersteine“.82 Er beschließt, das Projekt in seine Heimatstadt Hamburg zu holen, „damit niemand aus der älteren und jüngeren Generation sagen kann, dass jüdische Nachbarn hier nicht gelebt haben.“83 Durch die Kontaktaufnahme mit dem Künstler Demnig erfährt Hess, wie er vorgehen soll, um eine behördliche Genehmigung zum Verlegen der Steine in Hamburg zu erzielen.84 Seine erste Maßnahme besteht in dem Versuch, beim Tiefbauamt Hamburg eine Genehmigung zum Verlegen der Steine zu erwirken. Er scheitert jedoch, weil das Amt es ablehnt, ihm eine grundsätzliche Erlaubnis zu erteilen.85 Auflagen für eine Sondergenehmigung, wie die Erbringung des Nachweises durch ein Ingenieursbüro, dass die Stolpersteine „rutschsicher“ sind, lehnt Hess ab, weil sie ihm als Ausflüchte und nicht aussichtsreich erscheinen, um tatsächlich die Bewilligung des Tiefbauamts für die Stolpersteine zu erlan81 | Raap: Dezentrales Mahnmal, S. 235. 82 | Interview mit Peter Hess, S. 1. 83 | Ebd. 84 | Ebd. 85 | Schreiben des Tiefbauamts Hamburg an Peter Hess, vom 18.02.2002.

Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung

gen.86 Darauf wendet sich Hess an den Leiter des Bezirksamts Hamburg-Eimsbüttel, Jürgen Mantell, der ihn in die Bürgersprechstunde der Bezirksversammlung am 8.April 2002 einlädt, um das Stolpersteinprojekt dort vorzustellen.87 Hess kann die Mitglieder der Bezirksversammlung für das Projekt gewinnen, so dass die Verlegung von 37 Steinen an festgelegten Adressen für Eimsbüttel beschlossen wird.88 Am 4.Juli 2002 wird der erste Stolperstein in Hamburg im Grindelviertel vor dem Haus Dillstraße 15 verlegt.89 Der Auftakt des Hamburger Stolpersteinprojekts wird am 5.Juli 2002 mit der Verlegung des Stolpersteins zum Gedenken an Professor Dr. Siegfried Samuel Korach90 in der Hartungsstraße 1, für den Hess die Patenschaft übernimmt, feierlich begangen.91 Die Patenschaften für die ersten Stolpersteine übernehmen Mitglieder aus Hess’ Bekannten- und Freundeskreis, die er für das Projekt begeistern kann.92 Die Adressen für diese ersten Steine recherchiert Hess mit Hilfe des Hamburger Gedenkbuches für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus93, die er sich von einem Mitarbeiter des Hamburger Staatsarchivs, Jürgen Sielemann, bestätigen lässt.94 Nachdem im Juli 2002 das Bauamt Eimsbüttel die generelle und unbefristete Genehmigung zur Verlegung der Stolpersteine für den Gesamtbereich des Eimsbüttler Bezirks erteilt,95 bemüht sich Hess in gleicher Weise um die Genehmigungen in anderen Hamburger Bezirken. Seine Bemühungen sind erfolgreich. In den Bezirken Hamburg-Mitte und Hamburg-Nord wird im Jahr 2002 der Verlegung der Steine zugestimmt.96 In Harburg, Wandsbek und Altona schließen sich die jeweiligen Bezirksämter im Verlauf des Jahres 2004 diesem Beschluss an.97 Im Bezirk Bergedorf gestaltet sich der Prozess etwas problematischer, als der Hauptausschuss 86 | Interview mit Peter Hess, S. 2. 87 | Schreiben des Verwaltungsamts Eimsbüttel an Peter Hess, vom 02.04.2002. 88 | Schreiben des Tiefbauamts Hamburg an Gunter Demnig, vom 21.05.2002. 89 | Kastendieck, Hanna: Steine gegen das Vergessen, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 154, vom 05.07.2002, S. 12. 90 | Prof. Dr. Siegfried Samuel Korach war von 1886-1930 Chefarzt im Israelitischen Krankenhaus. Er wurde am 23. Juni 1943 nach Theresienstadt deportiert und starb dort am 1. Juli 1943. Vgl. Meyer: Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden, S. 189f. 91 | Grund, Steffen: Die Spur der Steine beginnt in der Hartungsstraße, in: Die Welt, Nr. 146, vom 26.06.2002, S. 40. 92 | Interview mit Peter Hess, S. 11. 93 | Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkbuch, bearb. v. J. Sielemann, Hamburg 1995 (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg, 15). 94 | Interview mit Peter Hess, S. 4. 95 | Schreiben des Tiefbauamts Eimsbüttel an Gunter Demnig, vom 15.07.2002. 96 | Schreiben des Bauamts Hamburg-Mitte an Gunter Demnig, vom 11.09.2002; Schreiben des Tiefbauamts Hamburg-Nord an Gunter Demnig, vom 15.11.2002. 97 | Schreiben des Tiefbauamts Harburg an Gunter Demnig, vom 21.01.2004; Schreiben des Bauamts Wandsbek an Peter Hess, vom 24.09.2004; Schreiben des Bezirksamts Altona an Peter Hess, vom 25.10.2004.

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der dortigen Bezirksversammlung den Antrag auf Stolpersteinverlegungen in Bergedorf zurückweist. Verantwortlich für die Ablehnung sind einerseits Stimmen der Fraktion der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, die ihre Haltung damit begründen, dass bereits andere Maßnamen wie die Benennung von Straßen nach NS-Opfern oder die Einrichtung der Gedenkstätte Neuengamme getroffen worden seien.98 Zusätzlich wird dem Stolpersteinprojekt vorgeworfen, eine rein „kommerzielle Aktion“ zu sein.99 Die CDU-Mitglieder, die ebenfalls gegen die Stolpersteine in Bergedorf stimmen, argumentieren, dass diese eine Angriffsfläche für „Schmierereien“ böten und die Erinnerung im negativen Sinne „getreten“ würde.100 Die einzige Ablehnung eines Hamburger Bezirks ruft Kritik bei der Presse und den Bürgern der Hansestadt hervor.101 Das Unverständnis gegenüber dieser Haltung ist umso größer in Anbetracht der Tatsache, dass der Hamburger Senat das Projekt seit dem Jahr 2002 befürwortet und die Steine als Schenkung an die Stadt angenommen hat.102 Der Erste Bürgermeister Hamburgs, Ole von Beust, unterstützt ebenfalls nachdrücklich die Stolpersteine in der Hansestadt.103 Unter dem öffentlichen Druck geben die Gegner der Stolpersteine in Bergedorf nach und gestatten Stolpersteinverlegungen auf öffentlichen Gehwegen ihres Bezirks. Diese Erlaubnis ist jedoch zunächst an die Bedingung geknüpft, dass die jeweiligen Hausbesitzer der Verlegung von Steinen vor ihrem Haus zustimmen müssen.104 Diese Bestimmung führt erneut zu Protest, so dass schließlich auch im Bezirk Bergedorf eine uneingeschränkte Erlaubnis erteilt wird.105 Für das Hamburger Stadtgebiet bedeu-

98 | Bericht des Hauptausschusses an die Bezirksversammlung, betr.: Aktion „Stolpersteine“, Drucksache XVI/278, vom 10.12.2002. 99 | Ebd. 100 | Ebd. 101 | Vgl. dazu u.a. Broockmann, Karsten: Was soll das? Bergedorf streitet um Stolpersteine, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 30, vom 05.02.2003, S. 12; Gorelik, Lena: Schlechtes Image. Die SPD kritisiert CDU-Schill-Koalition in Bergedorf: Ablehnung schadet dem Ansehen, in: taz, vom 05.02.2003, S. 21; Kopp, Martin: Schill und CDU gegen Gedenkaktion, in: Die Welt, Nr. 30, vom 05.02.2003, S. 34. 102 | Vgl. Antrag der Abgeordneten Dr. Dorothee Freudenberg, Dr. Wilfried Maier, Farid Müller, Antje Möller, Christa Goetsch (GAL) und Fraktion, Drucksache 17/1284, vom 21.08.2002. 103 | Siehe Brief von Ole von Beust an Peter Hess, vom 27.02.2003. Darin heißt es: „Ich betrachte die Initiative Ihres Freundes Gunter Demnig als eine beispielgebende Aktion, die uns daran erinnert, dass wir mit dem Holocaust nicht nur unserer individuellen Verantwortung gegenüber den jüdischen und Bürgern unserer Städte nicht gerecht geworden sind, sondern durch Duckmäuserei auch dem Terror den Weg geebnet haben.“ 104 | Schreiben des Vorsitzenden der Bezirksversammlung Bergedorf Christoph Mallok an Peter Hess, vom 05.03.2003. 105 | Vgl. Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Dorothee Freudenberg vom 04.07.2003 und Antwort des Senats, betr. Bergedorfer Stolpersteine, Drucksache 17/3030, vom 15.07.2003.

Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung

tet dies, dass ohne Vorankündigung oder Genehmigung einzelner Personen überall und zu jeder Zeit Stolpersteine gesetzt werden können. Im April 2010 wird der 3000. Stolperstein in Hamburg verlegt.106 Hamburg ist zu diesem Zeitpunkt die deutsche Stadt, in der die meisten Steine im Trottoir eingelassen sind. Heute ist die Zahl der Steine auf 4.920 angestiegen.107 Für die Erfolgsgeschichte der Stolpersteine in Hamburg ist maßgeblich Peter Hess verantwortlich, der sich nicht nur für die behördlichen Genehmigungen tatkräftig eingesetzt hat, sondern auch die Stolperstein-Initiative in Hamburg gegründet hat und diese ehrenamtlich leitet. Er ist für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, die das Werben um neue Paten und das Organisieren von öffenlichkeits- und medienwirksamen Gedenk- und Einweihungsfeiern einschließt. Außerdem verfasst er Pressemitteilungen, macht neue Adressen von Opfern ausfindig und gibt denjenigen wichtige Hinweise, die auf eigene Faust eine Recherche unternehmen wollen. Auch die Verwaltung des in Zusammenarbeit mit den Hamburger Kammerspielen bestehenden Spendenkontos für die Stolpersteine fällt in sein Ressort. Hess ist Ansprechpartner für alle, die sich für die Stolpersteine in Hamburg interessieren. Er hält den Kontakt zu Gunter Demnig, teilt diesem neue Adressen für Verlegungen mit und stimmt mit ihm Termine ab, wann Steine in Hamburg verlegt werden. Inzwischen hat das Stolpersteinprojekt in Hamburg jedoch einige Helfer dazugewonnen. So recherchieren ebenfalls Mitarbeiter der Hamburger Stadtteilarchive und Geschichtswerkstätten Daten von NS-Opfern.108 Johann-Hinrich Möller unterstützt Peter Hess bei der Organisation des Projekts und den Recherchen.109 Er hält die Homepage der Stolpersteininitiative Hamburg auf dem neuesten Stand und verfasst schriftliche Beiträge über das Projekt.110 Daneben gibt es viele Vereine, Initiativen, Schulklassen und Einzelpersonen, die die Initiative unterstützen, so dass in Hamburg in Bezug auf die Stolpersteinaktion bereits von einer kleinen „Volksbewegung“ gesprochen wird.111 Seit dem Sommer 2010 gibt es eine Smartphone-App „Stolpersteine in Hamburg“, mit der jedem Nutzer eines internetfähigen Mobiltelefons der Zugriff auf die Datenbank des Hamburger Stolperstein-Projektes ermöglicht wird. Entsprechend der technischen Möglichkeiten des Mobiltelefons wird für jedes NS-Opfer, 106 | Am 22.04.2010 werden in einem feierlichen Akt zehn Stolpersteine vor dem Hauptgebäude der Hamburger Universität im Gedenken an Hamburger Akademiker verlegt, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft oder ihres politischen Engagements von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Mit dieser Verlegung gibt es in Hamburg insgesamt 3.000 Stolpersteine. Siehe dazu: 3000. Hamburger Stolperstein vor der Universität verlegt, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 94, vom 23.04.2010, S. 17. 107 | Vgl. dazu: http://www.stolpersteine-hamburg.de/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 108 | Interview mit Peter Hess, S. 4. 109 | Ebd. 110 | Ebd. 111 | Meyer: Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden, S. 167.

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dem ein Stolperstein gewidmet ist, eine kurze Biographie dieser Person, gegebenenfalls vorhandene Bilder und ein Lageplan des Steines im jeweiligen Stadtteil bereitgestellt. Die Applikation ist kostenlos und ermöglicht z.B. eine Routenplanung entlang der Stolpersteine oder die Suche nach bestimmten Personen.112 Auf der Grundlage von Google Maps und Google Street View hat die Hamburger Werbeagentur Jung von Matt eine digitale Karte erstellt, die seit April 2012 unter „http://www.stolpersteine-online.com“ Nutzern zugänglich ist. Diese Karte soll alle jemals verlegten Stolpersteine in Deutschland und Europa abbilden. Zu diesem Zweck wird auf der genannten Internetseite um Mithilfe gebeten, Stolpersteine zur Eintragung in die Karte vorzuschlagen, die bislang noch nicht dort erscheinen. Mit einem Klick auf einen Stein, der bereits in der Karte eingetragen ist, erscheint dessen Inschrift und ein Link zur Datenbank der Landeszentrale für politische Bildung, die die Biographien und Bilder der Opfer zusammengetragen hat. „Das Ziel dieser Kampagne ist es, möglichst viele Menschen zum Mitmachen und zum Erinnern zu bewegen“, sagt Dörte Spengler-Ahrens von Jung von Matt.113 Auf Initiative der beiden Hamburger Medienwissenschaftsstudentinnen Sarah Dannhäuser und Marta Werner werden 2012 Biographien sowie persönliche Aufzeichnungen der NS-Opfer, für die bereits ein Stolperstein verlegt wurde, unter dem Titel „Stolpertonsteine“ vertont. Professionelle Sprecher und Prominente, wie die NDR-Moderatoren Hubertus Meyer-Burckhardt und Carlo von Tiedemann, leihen den Stolpersteinen ihre Stimmen, ohne dafür ein Honorar zu verlangen. Zu hören sind diese Vertonungen mit Hilfe der erwähnten Smartphone-App („Stolpersteine in Hamburg“). Bis jetzt gibt es Vertonungen zu 20 Stolpersteinen in Hamburg. Dieses Projekt soll aber weitergeführt werden und noch mehr Steinen in Hamburg „eine Stimme geben“.114

112 | Die Applikation kann auf dem internetfähigen Mobiltelefon durch Öffnen des Browsers und der Seite „http://www.stolpersteine-guide.de/“ oder „http://guidemate.com/guide/StolpertonsteineHamburg-511a3ef6e4b0c61369e077dd“ auf das Telefon heruntergeladen werden. Zunächst war das Programm nur für iPhones nutzbar. Inzwischen ist es für jede Art von Smartphone abrufbar. Angestoßen wurde die Applikation von der Landeszentrale für politische Bildung zusammen mit der Firma Phi Mobile aus Schleswig Holstein. Siehe dazu: Stolpersteine im iPhone. Projekt bietet historische Daten fürs Handy an, in: Jüdische Allgemeine, vom 30.06.2010. Abrufbar im Internet: http:// www.hamburg.de/aktuelles-lz/2230878/stolpersteinsuche-per-iphone.html?print=true [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 113 | Vgl. dazu Große-Wilde, Carola: Stolpersteine auch online. Internet-Projekt bietet Chance, die Gedenktafeln besser zu finden, in: Die Welt, Nr. 85, vom 11.04.2012, S. 26. 114 | Vgl. dazu Block, Heiko: Hamburger Stolpersteine werden lebendig, vom 13.11.2012. Abrufbar im Internet: www.ndr.de/regional/hamburg/stolpersteine131.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. Einen Hinweis auf das Projekt gibt es auch auf der Website der Stolperstein-Initiative in Hamburg unter „http://www.stolpersteine-hamburg.de/?MAIN_ID=26“ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015].

Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung

Das Projekt „Hörstolpersteine“ vertont ebenfalls die Biographien der Menschen, denen ein Stolperstein gewidmet ist. In Form von Sendungen oder fünf- bis siebenminütigen Beiträgen im Hamburger Rundfunk des Freien Sender Kombinats (FSK) machen sie auf Schicksale der NS-Opfer aufmerksam. Dieses Projekt ist allerdings nicht auf Hamburg beschränkt, sondern schließt Radiosender in Erfurt, Nürnberg, Halle an der Saale, Linz und Salzburg ein. Insgesamt sechs freie Radios in Deutschland und Österreich beteiligen sich seit 2012 an dieser Aktion, die durch das Programm „Europe Of Citizens“ der EU, die Österreichische Rundfunk-und Telekom GmbH und den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus gefördert wird.115 Ähnlich unerwartet wie die Stolpersteine im Gehweg tauchen die Beiträge überraschend im Programm des jeweiligen Senders auf, ohne dass sie vorher angekündigt werden. Die Beiträge sollen auf diese Weise irritieren und auf das Schicksal der NS-Opfer aufmerksam machen. Eine Auswahl von Beiträgen und Sendungen kann im Internet kostenfrei angehört werden und steht zum freien Download bereit.116

2.1.4 Recherche zu den Stolpersteinen Wer auf einen Stolperstein im Gehweg aufmerksam wird und stehen bleibt, um den Text zu lesen, wird durch kurze Hinweise mit dem Schicksal eines Menschen konfrontiert. Oftmals kann der Wunsch entstehen, mehr über die Lebensgeschichte dieser Person zu erfahren. Vor diesem Hintergrund begeben sich in Hamburg unter der Leitung von Dr. Rita Bake, Mitarbeiterin der Landeszentrale für politische Bildung, und Dr. Beate Meyer, Historikerin am Institut für die Geschichte der deutschen Juden, seit Ende des Jahres 2006 Forscherinnen und Forscher ehrenamtlich auf biographische Spurensuche nach Personen, für die ein Stolperstein bereits verlegt ist oder aufgrund der Recherchen in Planung gegeben wird.117 Die Arbeitsergebnisse werden in stadtteilbezogenen Broschüren von der Landeszentrale für politische Bildung veröffentlicht und verteilt.118 Bis zum jetzigen Zeitpunkt sind 14 Bände zu den Hamburger Stadtteilen Hamm119, Altona mit den

115 | Vgl. dazu Informationen auf der Website dieses Projektes: http://hoerstolpersteine.net/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 116 | Auf der Seite „http://hoerstolpersteine.net/hoerstolpersteine/“ ist eine Auswahl von Beiträgen aus allen Sendebereichen als Audiodatei zum direkten Nachhören und zum Herunterladen aus dem Netz freigeschaltet [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 117 | Gewehr: Stolpersteine in Hamburg-Altona, S. 10. 118 | Ebd. 119 | Thevs: Stolpersteine in Hamburg-Hamm.

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Elbvororten120, Wandsbek mit den Walddörfern121, Winterhude122, St. Georg123, St. Pauli124, Barmbek und Uhlenhorst125, Eppendorf und Hoheluft-Ost126, Billstedt, Horn und Borgfelde127, die Hamburger Isestraße128, Rothenburgsort129, Harburg und Wilhelmsburg130, Hamburg-Eimsbüttel und Hamburg-Hoheluft-West131 sowie Hamburg-Eilbek132 erhältlich. Der zuletzt erschienene Band „Stolpersteine in Hamburg“ bietet einen Überblick über verlegte Stolpersteine in den Stadtteilen Bergedorf, Dulsberg, Wohldorf-Ohlstedt, Farmsen-Berne, Eidelstedt, Stellingen, Osdorf, Lurup, Großgemeinde Lokstedt, Bramfeld, Rahlstedt-Meiendorf, Sasel, Wellingsbüttel, Poppenbüttel und Bergstedt.133 Bei den Forschenden handelt es sich teilweise um Mitarbeiter der einzelnen Hamburger Stadtteilarchive, Mitglieder von Geschichtswerkstätten, pensionierte Lehrerinnen und Lehrer oder andere engagierte Bürgerinnen und Bürger.134 Alle stadtteilbezogenen Broschüren enthalten jeweils einen Übersichtsplan der verlegten Stolpersteine im jeweiligen Stadtteil, der zur Orientierung und als Anregung für mögliche Rundgänge dienen soll. Die Stolpersteine sind im Stadtteilplan markiert und nummeriert, damit sie den dazugehörigen, mit entsprechenden Nummern versehenen Biographien im anschließenden Kapitel leichter zuzuordnen sind. Die biographischen Hinweise auf verschiedene Personen, denen ein Stolperstein im jeweiligen Stadtteil gewidmet ist, sind alphabetisch geordnet. Umfang und Aussagekraft der aufgeführten Lebensgeschichten variieren aufgrund der unterschiedlichen Quellenlage und damit verbundenen Informationsfülle von Fall zu Fall.135 Im Anhang jeder Broschüre befinden sich ein umfangreiches Glossar und ein chronologischer Überblick über die Maßnahmen der Nationalsozialisten zur Verfolgung verschiedener Opfergruppen in Form von Zeitleisten, um eine Einführung zu den damaligen Vorgängen der Verfolgungspolitik der Nationalsozi120 | Gewehr: Stolpersteine in Hamburg-Altona. 121 | Louven: Stolpersteine in Hamburg-Wandsbek mit den Walddörfern. 122 | Sparr: Stolpersteine in Hamburg-Winterhude. 123 | Behrens: Stolpersteine in Hamburg-St.Georg. 124 | Jungblut/ Ohl-Hinz: Stolpersteine in Hamburg-St.Pauli. 125 | Smiatacz: Stolpersteine in Hamburg-Barmbek und Hamburg-Uhlenhorst. 126 | Koser/Brunotte: Stolpersteine in Hamburg-Eppendorf und Hamburg-Hoheluft-Ost. 127 | Stolpersteine in den Hamburger Stadtteilen Billstedt-Horn-Borgfelde. 128 | Fladhammer/ Grünwaldt: Stolpersteine in der Hamburger Isestraße. 129 | Thevs: Stolpersteine in Hamburg-Rothenburgsort. 130 | Stolpersteine in Hamburg-Harburg und Hamburg-Wilhelmsburg. 131 | Lohmeyer: Hamburg-Eimsbüttel und Hamburg-Hoheluft-West. 132 | Wille: Stolpersteine in Hamburg-Eilbek. 133 | Sparr/ Eggert: Stolpersteine in Hamburg. 134 | Gewehr: Stolpersteine in Hamburg-Altona, S. 10. 135 | Gewehr: Stolpersteine in Hamburg-Altona, S. 11.

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alisten zu geben und den Einstieg in diesen Themenkomplex zu erleichtern.136 Es folgen Quellen- und Literaturhinweise, eine in jedem Band aktualisierte Liste der verschiedenen Stadtteile und der dortigen Adressen von verlegten Stolpersteinen sowie ein Personenregister. Für ihre stadtteilbezogene Geschichtsforschung wird das Projekt „Stolpersteine in Hamburg“ am 3. Mai 2010 mit der Lappenberg-Medaille ausgezeichnet.137 Die Medaille wird vom Verein für Hamburgische Geschichte im Gedenken an den Hamburg-Forscher und ersten Vereinsvorsitzenden Johann Martin Lappenberg verliehen.138 Welche Unterlagen stehen den Forschenden bei ihrer Recherchearbeit zur Verfügung, und auf welche inhaltlichen Schwierigkeiten stoßen sie bei ihrer Tätigkeit? Die von den Nationalsozialisten Verfolgten unterlagen einer strengen staatlichen Kontrolle.139 Die entsprechenden Dokumente wurden jedoch vor Kriegsende entweder bewusst vernichtet oder durch Kriegseinwirkung zerstört, so dass sie heute nur noch in seltenen Fällen vorhanden sind.140 Anhaltspunkte für die Recherche von Opferdaten können in Bezug auf jüdische Opfer die Akten des Oberfinanzpräsidenten liefern, die Aufschluss über die finanzielle Enteignung dieser Personengruppe geben, und das Hamburger Gedenkbuch für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus.141 Ein weiterer Ansatz besteht darin, Auskünfte durch die Kontaktaufnahme mit Verwandten, früheren Nachbarn und überlebenden Leidensgenossen der Opfer zu erhalten. Dies ist mitunter jedoch ein sehr schwieriges Unterfangen, da Personen aus dem früheren Umfeld und Familienkreis der Opfer mitunter nicht mehr leben, emigriert sind oder es ihnen schwerfällt, über die Vergangenheit zu sprechen.142 Hilfreich können Datenbanken und Gedenkbücher verschiedener Gedenkstätten sein, die möglicherweise Informationen zu einer Person enthalten.143 Die Durchsicht der Gedenkblätter auf der Webseite der Gedenkstät136 | Ebd. 137 | Vgl. dazu: Medaille für Stolperstein-Projekt, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 75, S. 13. Die von Rainer Nicolaysen gehaltene Laudatio zur Verleihung der Lappenberg-Medaille liegt im Tiedenkieker, Hamburgische Geschichtsblätter N.F.1 (2010), S. 42-46, gedruckt vor. 138 | Die Lappenberg-Medaille wird für besondere Verdienste um die Hamburgische Geschichtsforschung vom Verein für Hamburgische Geschichte verliehen. Sie wird 1864 zum ersten Mal anlässlich des 25. Gründungstags des Vereins verliehen und würdigt damals ihren Namensgeber, Johann Martin Lappenberg (1794-1865), für 25 Jahre erfolgreiche Tätigkeit als Vereinsvorsitzender. Siehe dazu: http://www.vfhg.de/component/content/article/2-uncategorised/62-verleihung-der-lappenbergmedaille-an-prof-dr-hans-dieter-loose.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 139 | Gewehr: Stolpersteine in Hamburg-Altona, S. 11. 140 | Ebd. 141 | Ebd. 142 | Ebd. 143 | Die Website der Hamburger Stolperstein-Initiative bietet unter der Rubrik „Recherche und Quellen“ wichtige Hinweise, wie und mit welchen Quellen Daten von NS-Opfern ermittelt werden können.

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te Yad Vashem kann ebenfalls Hinweise auf Opfer oder ihre Angehörigen geben. Daneben stellen das Hamburger Staatsarchiv und das Amt für Wiedergutmachung wichtige Aktenbestände zur Ansicht bereit. So wird dort der Zugang zu Hamburger Adressbüchern ermöglicht. Dabei sollten die Bücher aus den Jahren 1933 bis ungefähr 1936 zu Rate gezogen werden. Die späteren Jahrgänge führen oftmals Adressen, die die Betroffenen nicht aus freien Stücken wählten, als Folge von Ausgrenzung, Enteignung und wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Das Ziel der Recherche ist es jedoch, die letzte Anschrift eines Opfers zu finden, die seiner freien Wahl entsprach. Dies ist ebenfalls von Bedeutung für die Verlegung von Stolpersteinen, die an dem Ort gesetzt werden sollen, der den ehemaligen Lebensmittelpunkt eines Opfers markiert. Dieses Anliegen ist zu Beginn des Stolpersteinprojekts in Hamburg nicht leicht zu erfüllen, da im Zuge der ersten Recherchen Kopien von Deportationslisten im Hamburger Staatsarchiv eingesehen werden, die oftmals eine unter Zwang zugewiesene Adresse führen, wie es z.B. die so genannten „Judenhäuser“144 für jüdische Bürger waren. In der Folge liegen heute gerade vor diesen Gebäuden viele Stolpersteine. Durch eine verfeinerte Recherche seit dem Jahr 2004 können Adressen von Opfern vor Beginn ihrer Verfolgung ermittelt werden, die der Kultussteuerkartei der früheren jüdischen Gemeinden in Hamburg und den genannten Adressbüchern entnommen werden. Darauf werden Neuverlegungen von Steinen veranlasst, so dass einer Person mitunter zwei Stolpersteine gewidmet sind. In anderen Fällen gibt es Doppelverlegungen am Wohnsitz und an der Wirkungsstätte eines Opfers. Ein Beispiel dafür sind die Stolpersteine für die Opfer aus der Hamburger Richterschaft, die 2006 jeweils einen Stein vor dem Ziviljustizgebäude am Sievekingplatz erhalten und vor ihren früheren Wohnungen.145 Eine andere Schwierigkeit, auf die die Forschenden bei der Recherche stoßen, ist die Veränderung von Straßennamen nach 1933 und 1945 sowie nach dem Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 bzw. die Mehrfachvergabe von Straßennamen vor der Zusammenführung der damals selbstständigen Gemeinden. Mit Hilfe von alten Stadtplänen und Unterstützung durch den Landesbetrieb für Geoinformation und Vermessung gelingt es jedoch oftmals, die Anschrift eines Verfolgten eindeutig festzustellen. In der Folge orientiert sich die vorliegende Darstellung zur Recherche der Opferdaten an diesen Vorgaben. Siehe dazu: www.stolpersteine-hamburg.de [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 144 | Mit dem Reichsgesetz über die Mietverhältnisse mit Juden vom 30.04.1939 besaßen Juden keinen Mietschutz mehr. Ihr Recht auf freie Wohnungswahl wurde stark eingeschränkt. Auf dieser Gesetzesgrundlage war es den Behörden möglich, jüdische Bürger in bestimmten Stadtteilen und Häusern zusammen unterzubringen, um sie besser kontrollieren zu können. Siehe Gewehr: Stolpersteine in Hamburg-Altona, S. 142. 145 | Vgl. dazu Möller, Johann-Hinrich: Stolpersteine für die Opfer des Nationalsozialismus aus der Hamburger Richterschaft, in: Hamburger Richterverein. Mitteilungen des Hamburger Richtervereins, Hamburg 2005, Nr. 4, S. 16-17.

Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung

Auf diese Weise werden wertvolle Informationen gewonnen, die das Schicksal eines NS-Opfers in groben Zügen oder sogar in einer detailreicheren Darstellung skizzieren. Die Recherche, an der jeder historisch Interessierte sich aktiv beteiligen kann, ist ein Aspekt des Stolpersteinprojekts, der nicht von Anfang an bewusst eingeplant ist, sondern sich im Laufe der Zeit herausbildet. So hat der einzelne Bürger die Möglichkeit, sich noch stärker in das Projekt einzubinden und einen aktiven Beitrag in der Auseinandersetzung mit dem Vergangenen zu leisten.

2.1.5 Preise und Auszeichnungen für die Stolpersteine Die Stolpersteine haben in den letzten Jahren an gesellschaftlicher Anerkennung gewonnen, wenn Preise und Auszeichnungen für das Projekt als Beleg gelten dürfen. Sie zeigen, wie positiv der neuartige konzeptionelle Ansatz der Stolpersteine als Form des Gedenkens aufgenommen und bewertet wird. Im Jahr 2004 wird allen Hamburger Bürgern, die eine Patenschaft für einen Stolperstein übernommen haben, der Max-Brauer-Preis in der Kirche St. Michaelis in Hamburg verliehen.146 Die damalige stellvertretende Direktorin des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg, Ina Lorenz, nimmt den Preis treuhänderisch entgegen, während jedem Stolpersteinpaten eine Urkunde überreicht wird.147 Peter Hess wird für sein Engagement mit der Max-Brauer-Medaille ausgezeichnet.148 Das Preisgeld in Höhe von 15.000 Euro wird in eine Forschungsarbeit investiert, die als Buch mit dem Titel „Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933-1945“ veröffentlicht wird.149 Zusätzlich entsteht ein dazugehöriger Stolperstein-Stadtplan.150 Noch im selben Jahr wird Demnig für sein Stolpersteinprojekt mit der Herbert-Wehner-Medaille der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ausgezeichnet.151 Als sich am 27. Januar 2005 die Befreiung des 146 | Vgl. dazu Fenyes, Gabriela: Das Gedächtnis der Stadt. Toepfer-Stiftung zeichnete „Stolperstein“Paten mit „Max-Brauer-Preis“ aus, in: Jüdische Allgemeine, Nr. 18, vom 06.05.2004, S. 1. Zum Zeitpunkt der Preisverleihung gab es ca. 750 verlegte Stolpersteine in Hamburg und etwa 600 dazugehörige Paten. Vgl. dazu Gerharzt, Katja: Max-Brauer-Medaille für Stolpersteine, in: Die Welt, Nr. 92, vom 20.04.2004, S. 34. Der mit 15.000 Euro dotierte Max-Brauer-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung F.V.S wird seit 1993 jährlich an Personen, Einrichtungen oder Vereine verliehen, die sich für das kulturelle, wissenschaftliche oder gesellschaftliche Leben in Hamburg engagiert haben. Im Gedenken an den letzten Oberbürgermeister von Altona vor 1933 und Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg nach 1946 ist der Preis Max Brauer gewidmet. Vgl. dazu: http://www.erich-muehsam. de/?cat=empreis [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 147 | Gerharzt: Max-Brauer-Medaille, S.34. 148 | Ebd. 149 | Lorenz, Ina: Vorwort, in: Meyer: Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden, S. 7-8, S. 8. 150 | Ebd. 151 | Beucker, Pascal: Der Künstler, über den man stolpert. Portrait, in: taz, vom 05.10.2005, S. 2. Die

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KZs Auschwitz zum 60. Mal jährt, erhält Gunter Demnig den Obermayer German Jewish History Award.152 Dieser Preis würdigt das Engagement deutscher Bürger, die sich als Nichtjuden für die Bewahrung und Erinnerung jüdischer Geschichte und jüdischen Lebens in Deutschland einsetzen.153 Wenige Monate später am 4. Oktober 2005 wird dem Kölner Künstler der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland am Bande vom damaligen deutschen Bundespräsidenten, Prof. Dr. Horst Köhler, in der Orangerie des Schlosses Berlin-Charlottenburg überreicht.154 Dabei wird Demnigs künstlerisches Schaffen als langjähriges Engagement im kulturellen Bereich herausgestellt und besonders sein Einsatz in Bezug auf die Stolpersteine hervorgehoben.155 Bei der 24. Verleihung des Jugendmedienpreises Das Rote Tuch am 20. November 2005 sprechen Mitglieder der SPD CharlottenburgWilmersdorf und der SPD Berlin Demnig ihre Anerkennung für die Idee und Ausführung der bundesweit verlegten Stolpersteine aus. In der Laudatio wird Demnig als „aufrechter Demokrat“ gelobt, „der seine Stolpersteine gegen Verdrängen und Vergessen setzt und, damit Beispiel gebend demokratisches Handeln der jungen Generation fördert.“156 Im darauffolgenden Jahr bekommt Demnig die nur sehr selten verliehene Alternative Kölner Ehrenbürgerschaft157 übertragen, „weil er sich seit Jahren außergewöhnlich und ausdauernd ohne großes Finanzbudget für das Herbert-Wehner-Medaille wird seit 1997 jedes zweite Jahr von der Gewerkschaft ver.di Hamburg an Personen und Institutionen verliehen, die sich gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland stark machen und in diesem Engagement zum Vorbild für die Öffentlichkeit werden. Der Preis ist mit 2000 Euro dotiert. Vgl. dazu: https://hamburg.verdi.de/themen/nachrichten/ ++co++19c0c0da-583e-11e3-a935-52540059119e [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 152 | Der von der Obermayer Foundation seit 2000 jährlich vergebene, mit 5000 Euro dotierte Preis ist nach dem jüdischen Geschäftsmann Arthur Obermayer benannt, dessen Eltern in den 1930er Jahren aus Deutschland in die USA emigrierten. Der Preis soll „Brücken bauen, über den Graben, den der Nationalsozialismus zwischen Juden und Nichtjuden gerissen hat.“ Vgl. dazu Schoelkopf, Katrin: Ehrung für Engagement gegen das Vergessen jüdischen Lebens. Obermayer Award wird verliehen, in: Die Welt, Nr. 22, vom 27.01.2005, S. 33. 153 | Ebd. 154 | Der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland wird seit 1951 für besondere Leistungen im politischen, wirtschaftlichen, kulturellen, geistigen und ehrenamtlichen Bereich verliehen. 155 | Gipp, Jochen: Paten für „Stolpersteine“ gesucht, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 294, vom 15.12.2008, S. 1. 156 | Siehe dazu die Begründung der Wahl Demnigs zum Preisträger für Das Rote Tuch im Jahr 2005: http://www.das-rote-tuch.de/index.php?mod=content&menu=11&page_id=751 [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 157 | Die Alternative Kölner Ehrenbürgerschaft zielt darauf, sich von der offiziellen Ehrenbürgerschaft der Stadt Köln abzusetzen, indem sie Kölner Bürger auszeichnet, die sich ohne große finanzielle Ressourcen und „abseits des Mainstreams der öffentlichen Meinung“ in ihrer Stadt engagieren. Bislang wurde der Preis zweimal verliehen: 2002 an den katholischen Pfarrer Franz Meurer und 2006 an

Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung

Gemeinwohl in Köln einsetzt“158. Bei seinem Engagement für die Stadt Köln wird besonders seine Anregung zur Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit durch die Stolpersteine gewürdigt.159 2007 folgt der Giesbert-Lewin-Preis der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.160 Damit wird der Schöpfer der Stolpersteine für seinen langjährigen Einsatz „gegen das Vergessen von Nazi-Unrecht“ gewürdigt, heißt es in der Begründung.161 Zum Botschafter für Demokratie und Toleranz162 wird Demnig am 23. Mai 2008 vom damaligen Bundesinnenminister, Wolfgang Schäuble, und der damaligen Bundesjustizministerin, Brigitte Zypries, ernannt. Mit diesem Ehrentitel werden Bürger bedacht, die sich durch ihr Engagement gegen Rassismus und Diskriminierung für ein friedliches Zusammenleben in der Gesellschaft einsetzen. Knapp ein Jahr später am 26.April 2009 erhält Demnig für seine Stolpersteine den Erich-Mühsam-Preis163. Wenige Monate darauf am 23. September 2009 wird ihm die Josef-Neuberger-Medaille164 der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf verliehen. Mit dem Preis werden nichtjüdische Persönlichkeiten ausgezeichnet, die sich für die Verständigung zwischen Juden und Nichtjuden einsetzen.165 Die Stolpersteine werden als eine außergewöhnliche und sehr eindringliche Weise des Gedenkens an die Opfer des NS-Regimes von der jüdischen Gemeinde Düsseldorf in der Begründung ihrer Entscheidung Gunter Demnig. Siehe dazu: Stolpersteine. Köln ehrt Gunter Demnig alternativ, in: FAZ, Nr. 204, vom 02.09.2006, S. 35. 158 | Ebd. 159 | Ebd. 160 | Auszeichnung für Gunter Demnig, in: FAZ, Nr. 293, vom 17.12.2007, S. 35. 161 | Ebd. 162 | Seit dem Jahr 2000 vergibt das von der Bundesregierung gegründete Bündnis für Demokratie und Toleranz gegen Extremismus und Gewalt (BfDT) den mit 5000 Euro dotierten Preis an Einzelpersonen und Initiativen, „die in herausragender Weise die Werte des Grundgesetzes täglich leben und umsetzen.“ Die Preisverleihung findet im Rahmen des Jugendkongresses zum Tag des Grundgesetzes statt, der jährlich Ende Mai vom Bündnis für Demokratie und Toleranz für 450 Jugendliche ausgerichtet wird, die zu diesem Anlass aus dem ganzen Bundesgebiet nach Berlin eingeladen werden. Siehe dazu: http:// www.buendnis-toleranz.de/cms/beitrag/10028657/432988/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 163 | Der mit 2500 Euro dotierte Erich-Mühsam-Preis wird von dem Lübecker Galeristen Frank Thomas Gaulin gestiftet. Der Preis ist Erich Mühsam (1878-1934) gewidmet, einem politischen Schriftsteller, der im KZ Oranienburg ermordet wurde. Der Preis ist all denjenigen zugedacht, die Mühsams Andenken erhalten, indem sie sich mit seinem Werk auseinandersetzen, es verbreiten oder in Mühsams Sinne Kultur, Politik und soziales Leben prägen und verändern. Vgl. dazu: Erich-Mühsam-Preis für Gunter Demnig, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 87, vom 15.04.2009, S. 6. 164 | Der undotierte Preis wird seit 1991 vergeben und ist nach dem langjährigen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Düsseldorf und früheren NRW-Justizminister Josef Neuberger benannt. Siehe dazu: http:// www.zentralratdjuden.de/de/article/2305.html?sstr=medaille [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 165 | Ebd.

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für die Auszeichnung dieses Projekts gelobt.166 Der Kölner Künstler gebe den Opfern ihren Namen wieder und damit ein Stück Würde und Individualität.167 Am 16. September 2010 erhält Demnig den Rheinlandtaler, mit dem der Landschaftverband Rheinland seit 1976 das Engagement einzelner Personen würdigt, die sich in besonderer Weise für die kulturelle Entwicklung des Rheinlandes eingesetzt haben.168 Neben ehrenamtlichem Engagement werden u.a. herausragende Leistungen im Bereich der Denkmal- und Bodendenkmalpflege mit dem Preis anerkannt.169 In der Laudatio heißt es, der „Erfinder“ der Stolpersteine habe ein Kunstprojekt geschaffen, das „für das Zusammenleben der Zivilgesellschaft vor dem Hintergrund der Zeit des Nationalsozialismus eine große Bedeutung“ habe.170 Anfang des darauffolgenden Jahres wird Demnig mit der Otto-Hirsch-Medaille ausgezeichnet, die ihm in einer feierlichen Zeremonie am 24. Januar 2011 im Stuttgarter Rathaus überreicht wird.171 Es folgt die Auszeichnung Demnigs mit dem Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg, der ihm vom Ministerpräsidenten des Landes, Winfried Kretschmann, am 28. April 2012 verliehen wird. Der Bildhauer erhält diese besondere Form der Ehrung, weil er seine „künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten“ nutze, um „die Aufmerksamkeit der Betrachter auf geschichtliche und aktuelle politische Ereignisse zu lenken und sie dadurch zum Nachdenken zu veranlassen.“172 Am 3. Mai 2012 nimmt Demnig in New York zusammen mit Peter Hess den Dr. Bernhard Heller Prize in Empfang.173 Demnig erhält den Preis für 166 | Ebd. 167 | Ebd. 168 | Vgl. dazu: Vier Kölner mit Rheinlandtaler ausgezeichnet, vom 17.09.2010. Abrufbar im Internet: http://koeln-nachrichten.de/gesellschaft/ehrungen/vier-koelner-mit-rheinlandtaler-ausgezeichnet/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 169 | Siehe dazu: http://www.lvr.de/de/nav_main/derlvr/organisation/ehrungen/rheinlandtaler_2/ rheinlandtaler_3.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 170 | Siehe: Vier Kölner mit Rheinlandtaler ausgezeichnet. 171 | Aus Anlaß des 100. Geburtstages des Ministerialrats und jüdischen NS-Opfers Otto Hirsch wird 1985 die Otto-Hirsch-Medaille ins Leben gerufen und seitdem jedes Jahr von der Stadt Stuttgart gemeinsam mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Stuttgart e. V. und der Israelitischen Religionsgemeinschaft an Persönlichkeiten verliehen, die sich um christlich-jüdische Zusammenarbeit verdient gemacht haben. Vgl. dazu: Stuttgart: Gunter Demnig mit der Otto-HirschMedaille ausgezeichnet, in: Stuttgart Journal (online), vom 25.01.2011. Abrufbar im Internet: http:// www.stuttgart.de/item/show/273273/1/9/420614? [zuletzt eingesehen am 21.04.2015]. 172 | Siehe dazu: http://www.stolpersteine-stuttgart.de/index.php?docid=760 [zuletzt eingesehen am 21.04.2015]. 173 | Der Dr. Bernhard Heller Prize wird jährlich von der Dr. Bernhard Heller Foundation im Gedenken an den Namensgeber dieser Stiftung verliehen. Dr. Bernhard Heller unterrichtete seit 1949 Religionsphilosophie und jüdische Ethik am Hebrew Union College in New York. Er setzte sich für den Erhalt jüdischer Kultur sowie die Entschädigung bzw. Rückerstattung jüdischen Kulturerbes von den Nazis ein.

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sein „Lebenswerk“, Stolpersteine zu verlegen und damit den NS-Opfern ihre Identität zurückzugeben.174 Hess wird für seine entscheidende Mithilfe, das Projekt in Deutschland anzuschieben und den Künstler in seinem Vorhaben zu unterstützen, gewürdigt. Die Stolpersteine hätten einen neuen Dialog zwischen den Generationen in Deutschland über die Verbrechen der Nazis angestoßen, heißt es in der Begründung der Jury.175 Im September 2012 werden die Stolpersteine neben vier anderen deutschen Projekten mit dem Europäischen Bürgerpreis ausgezeichnet.176 Zwei Monate später am 25. November erhält Gunter Demnig für sein Projekt den mit 10.000 Euro dotierten Erich-Kästner-Preis des Presseclubs Dresden.177 Anfang Dezember des gleichen Jahres nimmt der Künstler für das Stolpersteinprojekt den Marion Dönhoff Preis für internationale Verständigung und Versöhnung in Höhe von 20.000 Euro in Empfang.178 Jurymitglied und Journalistin Anne Will begründet die Preisvergabe folgendermaßen: „Dass es inzwischen mehr als 37.000 dieser Vgl. dazu: Stumbling Stones And Gunter Demnig And Peter Hess Receives The 2012 Dr. Bernhard Heller Prize. Abrufbar im Internet: http://huc.edu/news/article/2012/stumbling-stones-and-gunter-demnig-and-peter-hess-receives-the-2012-dr-bernard-heller-prize- [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 174 | Siehe dazu: Mit dem Kopf und mit dem Herzen stolpern. Künstler Gunter Demnig verlegt 16 Stolpersteine in der Uckermark“, vom 07.05.2012. Abrufbar im Internet: http://www.blickpunkt-brandenburg.de/nachrichten/uckermark/artikel/2274.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 175 | Vgl. dazu: Stumbling Stones And Gunter Demnig And Peter Hess Receives The 2012 Dr. Bernhard Heller Prize. Abrufbar im Internet: http://huc.edu/news/article/2012/stumbling-stones-and-gunter-demnig-and-peter-hess-receives-the-2012-dr-bernard-heller-prize- [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 176 | Der Bürgerpreis wird seit 2008 für außergewöhnliches Engagement zur Förderung gegenseitigen Verständnisses und vertiefte Integration in Europa an einzelne Personen und Institutionen vom Europäischen Parlament verliehen. Anwärter auf den Preis werden von den Europa-Abgeordneten des jeweiligen Landes vorgeschlagen. Eine nationale Jury trifft dann zunächst eine Vorauswahl. Im nächsten Schritt wählt eine europäische Jury aus dieser Vorauswahl der verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Gewinner aus. Siehe dazu und zu den Preisträgern 2012: http://www. engagiert-in-nrw.de/aktuelles/meldungen/meldungen_be_ue_alt/120918_eu_buergerpreise/index.php [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 177 | Der Erich-Kästner-Preis wird seit 1994 vom Presseclub Dresden für besondere Leistungen einzelner Bürger vergeben, die sich für Toleranz, Humanität und Völkerverständigung einsetzen. Vgl. dazu Erich-Kästner-Preis für Initiator der Stolpersteine, in: Bild Hamburg (Online-Ausgabe), vom 11. Mai 2012. Abrufbar im Internet: http://www.bild.de/regional/dresden/dresden-regional/erichkaestnerpreis-fuer-initiator-der-stolpersteine-24101708.bild.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 178 | Der Marion Dönhoff Preis für internationale Verständigung und Versöhnung wird seit 2003 jedes Jahr einmal von der Wochenzeitung Die Zeit, der Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und der Marion Dönhoff-Stiftung vergeben. Der mit 20.000 dotierte Preis ehrt Persönlichkeiten, die sich für internationale Verständigung und für gute Beziehungen zwischen Deutschland und Osteuropa eingesetzt haben. Die Leser der Zeit schlagen mögliche Preisträger vor, über die eine Jury beratschlagt. Bis 2010 gab es einen mit 20.000 Euro dotierten Hauptpreis für Personen oder Institutionen, die

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Steine gibt, ist eine große Leistung und ein großer Verdienst. Denn sie lassen die Deutschen ein ums andere Mal über die nationalsozialistischen Verbrechen stolpern und halten so die Erinnerung an die Opfer wach.“179 Ein Jahr später im November 2013 erhält der Künstler den Lothar-KreyssigFriedenspreis der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM).180 Er wird als „Grenzgänger“ in seinem Metier geehrt, der „gesellschaftspolitisches Engagement mit einer besonderen künstlerischen Gabe“ verbindet.181 Am 20. Januar 2014 folgt eine weitere Auszeichnung. Die Berliner Zeitung ehrt neben anderen Künstlern und Kulturschaffenden den Schöpfer der Stolpersteine mit dem zeitungseigenen B.Z.-Kulturpreis. Demnig, der im selben Jahr den 5000. Stolperstein in der Hauptstadt verlegt, gewinnt mit seinem Projekt in der Kategorie „Bildende Kunst“.182Am 13. März 2015 werden die Stolpersteine als ein „einmaliges Denkmal“ geehrt und Demnig der Eugen-Kogon-Preis überreicht.183 Seit 2002 wird dieser Preis jährlich im Gedenken an den Politologen, Publizisten und Widerstandskämpfer Eugen Ko-

durch besondere Verdienste auf sich aufmerksam gemacht haben, sowie einen Förderpreis in Höhe von 10.000 Euro für laufende Projekte. Seit 2011 ist der Förderpreis mit 20.000 Euro dotiert, währen der Hauptpreis als Ehrenpreis verliehen wird. Siehe dazu z.B.: http://www.zeitverlag.de/veranstaltungen/marion-donhoff-preis-2010/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; http://services.zeit.de/ marion-doenhoff-preis/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 179 | Vgl. dazu: http://www.zeit-verlagsgruppe.de/presse/2012/10/10-jahre-marion-donhoff-preis-auszeichnungen-gehen-an-karl-schwarzenberg-und-das-projekt-stolpersteine/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 180 | Der Lothar-Kreyssig-Friedenspreis ist mit 3000 Euro dotiert. Seit 1999 wird er alle zwei Jahre an Personen, Gruppen oder Organisationen verliehen, die sich für Aussöhnung und Friedensarbeit insbesondere in Hinblick auf jüdische Menschen sowie ost-und südosteuropäische Nachbarn engagieren. Benannt ist der Preis nach dem Juristen Dr. Lothar Kreyssig, der sich während des NS-Regimes besonders für Menschen einsetzte, die von der sogenannten „Euthanasie“ bedroht waren. Der Richter wirkte nach dem Krieg entscheidend an der Gründung der deutschen Friedensbewegung Aktion Sühnezeichen mit und engagierte sich ebenso stark als Initiator der regierungsunabhängigen Entwicklungshilfe Aktionsgemeinschaft Soldidarische Welt, die Projekte in Brasilien, Indien und Afrika fördert. Vgl. dazu: http:// www.ek-md.de/cms2013/arbeitsbereiche-friedenspreis.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 181 | Vgl. dazu http://www.focus.de/regional/magdeburg/kirchen-urheber-der-stolpersteine-erhaelt-lothar-kreyssig-friedenspreis_aid_1160507.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 182 | Seit 1992 vergibt die Berliner Zeitung diesen Preis, mit dem sie deutsche und internationale Persönlichkeiten aus den verschiedenen Kulturbereichen wie Theater, Kabarett, klassischer Musik und Bildender Kunst auszeichnet. Die Preisträger haben aus Sicht der Jury mit ihren Arbeiten die kulturelle und künstlerische Vielfalt der deutschen Hauptstadt entscheidend mitgeprägt. Vgl. dazu: https://www.axelspringer.de/presse/B.Z.-Kulturpreis-fuer-Christian-Thielemann-Frank-Castorf-Gunter-Demnig-KatharinaSchuettler-Geschwister-Pfister-und-Rainer-Brandt_19775544.html ]zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 183 | Vgl. dazu: http://www.dw.de/gunter-demnig-erhält-preis-für-stolpersteine/a-18008920 [zuletzt eingesehen am 27.09.2015].

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gon vergeben. Preisträger sind Personen, die sich in ihrem Wirken politisch außerordentlich engagieren.184

2.1.6 Kritik an den Stolpersteinen Neben der positiven Resonanz, auf die Demnig mit den Stolpersteinen stößt, gibt es jedoch auch negative Kritik und starke Ablehnung für das Projekt. Die entscheidende Frage, die diese unterschiedlichen Reaktionen auf die Stolpersteine provoziert, ist, ob Demnigs Gedenksteine eine angemessene Form des Gedenkens an die NS-Opfer darstellen. Das Beispiel der Stadt München zeigt, welche grundlegenden Einwände und Argumente Gegner des Stolpersteinprojekts ins Feld führen. Über bestimmte Vorbehalte und eine ablehnende Haltung gegenüber den Stolpersteinen hinaus gibt es auch Formen des Vandalismus gegen die Stolpersteine, die oftmals einen rechtsextremen Hintergrund haben.185 Peter Hess bemüht sich auch in München, die behördliche Genehmigung für die Verlegung der Stolpersteine einzuholen, nachdem er diese für Hamburg bereits erreicht hat. Im Zuge dieses Unternehmens bittet er am 2. März 2003 Münchens damaligen Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) schriftlich um Unterstützung für sein Vorhaben.186 Daraufhin befasst sich der Ältestenrat der Stadt München mit dem Thema in der Sitzung vom 26. Juni 2003 und empfiehlt, keine Stolpersteine in München verlegen zu lassen. Die Empfehlung wird mit der Befürchtung begründet, dass die in den Boden eingelassenen Steine für die NS-Opfer schnell übersehen werden und „auch fahrlässige oder mutwillige Beschädigung die gute Absicht ins Gegenteil verkehren könnten.“187 Außerdem habe die Stadt München in den letzten Jahren mehrere Beschlüsse zum Thema „Geschichte und Erinnern im öffentlichen 184 | Eugen Kogon übte öffentlich Kritik am NS-Regime und wurde schließlich im KZ Buchenwald inhaftiert, das er überlebte. Nach Kriegsende nahm er seine publizistische Tätigkeit wieder auf und schrieb u.a. das Buch „Der SS-Staat: Das System der deutschen Konzentrationslager“. Es gilt in seiner umfassenden Analyse des deutschen KZ-Terrors am Beispiel des KZ Buchenwald als Standardwerk über die NS-Verbrechen. Siehe Kogon, Eugen: Der SS-Staat: Das System der deutschen Konzentrationslager, Hamburg 2009. 185 | Vgl. dazu das Interview mit Peter Hess, S. 3, und in der Presse erschienene Artikel wie z.B. Meyerpum, Peter U.: Ole von Beusts „Stolpersteine“: Neonazis hetzen, in: Hamburger Abendblatt, vom 16.06.2006, Nr.138, S. 12; Litschiko, Konrad: „Die Nazis werden frecher.“, in: taz, vom 12.10.2006, S. 22, Bnegsch, Sandra: Stolpersteine mit Nazi-Stickern entwürdigt, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 188, vom 14.08.2009, S.2; Gauck ruft zu Zivilcourage auf. Gedenkfeiern zu Pogromnacht und Mauerfall vom Diebstahl aller Stolpersteine in Greifswald überschattet, vom 09.11.2012, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 264, S. 5. 186 | Vgl. dazu Brief von Peter Hess an den Oberbürgermeister der Stadt München, Christian Ude, vom 02.03.2003. 187 | Vgl. dazu Brief des Oberbürgermeisters der Stadt München, Christian Ude, an Peter Hess, betr.: Projekt „Stolpersteine“, Az- D-HA II 452/S- 03/2, vom 23.07.2003.

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Raum“ gefasst und wolle hier „andere Wege“ gehen.188 Der Beschluss des Ältestenrates stößt auf Protest in der Bevölkerung, der sich in einer Vielzahl von Schreiben ausdrückt. Der Oberbürgermeister beantwortet diese mit einem einheitlichen Brief am 9. Januar 2004, in dem er die Haltung der Stadt München zum Thema rechtfertigt. Als „ehemalige Hauptstadt der Bewegung“ sei sich München seiner historischen Verantwortung bewusst, so dass bereits zahlreiche Anstrengungen unternommen worden seien oder sich in Planung befänden, um der NS-Geschichte der Stadt entsprechend zu begegnen.189 So gäbe es beispielsweise unterschiedliche Projekte zum Gedenken der NS-Opfer in München und ein großes Bemühen, die jüdische Kultur in der bayerischen Hauptstadt wiederzubeleben.190 Es wird weiterhin unterstellt, dass die Stolpersteine zu einer „Inflationierung der Gedenkstätten“ beitrügen, deren Wert für eine „Ausweitung und Intensivierung der Erinnerungsarbeit“ bezweifelt wird.191 Des Weiteren stelle sich das „Problem der Auswahl“: In München gibt es 4500 jüdische NS-Opfer, denen nicht allen individuell mit einem Stein gedacht werden könne. „Wer trifft die Auswahl – und nach welchen Kriterien – welche Persönlichkeiten eines Hinweises im Straßenbild würdig sind?“, fragt der Oberbürgermeister in seinem Brief und befürchtet, „dass sich München in endlosen Streitereien vorwerfen lassen muss, welcher Person immer noch nicht gedacht wird [...]“192 Darüber hinaus sorge der Umstand, dass die Namen der Opfer in den Boden eingelassen würden, für Unbehagen. Bereits vorhandene Gedenktafeln im Trottoir der Stadt, wie z.B. die Tafel zum Gedenken des ersten Ministerpräsidenten Kurt Eisner am Ort seiner Ermordung, hätten im In- und Ausland Empörung hervorgerufen und zu jahrelanger Kritik geführt mit dem Vorwurf, „die Monarchen würden in den Denkmälern aufs Pferd gehoben, ein jüdischer Demokrat aber so erniedrigt, dass jeder das Gedenken mit Füßen treten kann.“193 Ausschlaggebend für die Entscheidung der Stadt München gegen das Verlegen von Stolpersteinen sei ebenfalls die Reaktion von Repräsentanten der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern gewesen, die die Idee, Opfernamen im Gehsteig einzulassen, als „abscheulich, entsetzlich und unerträglich“ empfinden.194 Die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und spätere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, geht zwar davon aus, dass die Stolpersteine „gut gemeint“ seien, aber in ihren Augen werde das Ge-

188 | Ebd. 189 | Vgl. dazu Brief des Oberbürgermeisters der Stadt München, Christian Ude, an Peter Hess, betr.: Stolpersteine als Erinnerung an die Ermordung jüdischer Mitbürger, Az. HA II/V 2 M 452/S- 3/2 vom 09.01.2004. 190 | Ebd. 191 | Ebd. 192 | Ebd. 193 | Ebd. 194 | Ebd.

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denken der Opfer durch das Verlegen der Steine im Gehsteig „geschändet und beschmutzt“. So wird sie 2004 in der Presse zitiert.195 Peter Hess wendet sich daraufhin in einem Schreiben an Charlotte Knobloch, in dem er sie bittet, ihre Vorbehalte gegen das Stolpersteinprojekt noch einmal zu überdenken.196 Charlotte Knobloch bestätigt jedoch ihre ablehnende Haltung gegenüber dieser Form des Gedenkens und bittet um Verständnis, dass sie „als Überlebende dieser grauenvollen Zeit es nicht ertragen kann, dass Stiefel und Schuhe auf Namen von Opfern des Naziregimes herumtreten.“197 In dem CSU-Stadtrat und dem Vorstandsmitglied der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Marian Offman, findet Charlotte Knobloch in diesem Punkt einen Mitstreiter, der sich gegenüber der Süddeutschen Zeitung folgendermaßen äußert: „Als ich von der Idee hörte, war in mir sofort das Bild der Münchner Jüdinnen und Juden, die von den Nazis gezwungen worden sind, mit Zahnbürsten die Gehsteige zu reinigen. Ich finde Namen Verstorbener, Ermordeter im Gehsteig eingelassen, in dem sich dann vielleicht Neonazis den Schmutz ihrer Springerstiefel abwischen können, eine unerträgliche Vorstellung.“198

Einige Jahre später, im Frühjahr 2015, plädiert Marian Offman jedoch für eine Kompromisslösung in der Frage der Stolperstein-Verlegungen, wie noch gezeigt wird. Dies ist sicherlich auch eine Reaktion auf andere Stimmen von jüdischer Seite, die dem Stolpersteinprojekt grundsätzlich positiv gegenüberstehen und es befürworten. So unterstützt der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Salomon Korn, „nachdrücklich“ das Projekt und empfiehlt es „als Beauftragter des Zentralrats der Juden in Deutschland für Gedenkstätten, Denkmäler und Mahnmale dessen Realisierung“.199 In einer Ausgabe von Die Zeit lobt er es als „eine einzigartige Form des individualisierten Gedenkens am einstigen Wohnort der jüdischen Opfer“.200 Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel würdigt die Stolpersteine in einem Brief an den Künstler Demnig als „wonderful project“.201 195 | Goebel, Anne: Neue Diskussion über die „Stolpersteine“. In den meisten deutschen Großstädten ist das Projekt erwünscht, doch München lehnt es bis jetzt ab, in: Süddeutsche Zeitung, vom 14.06.2004, S. 41. 196 | Vgl. dazu Brief von Peter Hess an die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, vom 17.01.2004. 197 | Vgl. dazu Brief der Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, an Peter Hess vom 10.02.2004. 198 | Zit. n. Görl, Wolfgang: Ein überfälliges Denkmal. Der erste Band über Münchens ermordete Juden, in: Süddeutsche Zeitung, vom 12.12.2003, S. 43. 199 | Vgl. dazu Brief des Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Salomon Korn, an Ursula Dreysse, vom 02.10.2003. 200 | Korn, Salomon: München soll stolpern. Über das richtige Gedenken der Holocaust-Opfer, in: Die Zeit, Nr. 47, vom 15.11.2014 (Seitenzahl konnte nicht rekonstruiert werden). 201 | Siehe Görl: a.a.O., S. 43.

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Auch die Auszeichnungen und Preise durch die Jüdische Gemeinde Düsseldorf und die Obermayer Foundation belegen, dass es unterschiedliche Standpunkte zum Thema „Stolpersteine“ in der jüdischen Gesellschaft zu geben scheint. In der Münchner Bürgerschaft gibt es teilweise große Zustimmung für die Stolpersteine, da viele Münchner die Bereitschaft zeigen, Patenschaften für Stolpersteine zu übernehmen. Motiviert durch dieses positive Echo entscheiden sich Peter Hess und Gunter Demnig im Mai 2004 die ersten beiden Stolpersteine in München zu verlegen, ohne dafür die Einwilligung der Stadt eingeholt zu haben.202 Die Verlegung sei nicht als „konfrontativer Akt“, sondern als erneuter „Denkanstoß für München“ geplant.203 Die Stadt München lässt die Steine am 16.Juni 2004 wieder entfernen und verbietet durch einen Beschluss des Stadtrats offiziell die Verlegung der Steine in ihrem Stadtgebiet.204 Inzwischen bemüht sich eine Initiative um die Verlegung der Stolpersteine in München, deren Vorstand der in München lebende Journalist Terry Swartzberg ist. Bislang sind rund 300 Stolpersteine für München angefertigt worden, die in der Hochschule für Musik und Theater München, im Kunstpavillon am Alten Botanischen Garten und privat gelagert werden.205 Am 1. September 2007 setzt Demnig zwei Steine vor einem Münchner Wohnhaus ein, allerdings auf Privatgrund und nicht in den öffentlichen Gehweg, um das Verbot der Stadt zu umgehen.206 Fast ein Jahr später werden vier weitere Stolpersteine an den öffentlichen Gehsteig angrenzend auf privatem Grund verlegt.207 Auch in den nächsten Jahren finden weitere Verlegungen dieser Art statt.208 Die Münchner Grünen sprechen sich 2009 für die Verlegung der Steine in ihrer Stadt aus und stellen bis zum jetzigen Zeitpunkt Anträge bei der Stadt, um die Aufhebung des Verbotes zu erwirken.209 Auch die SPD-Basis befürwortet bemerkenswerterweise 202 | Goebel, Anne: Unerwünschter Denkanstoß. Der Künstler Gunter Demnig verlegt in der Mauerkirchstraße „Stolpersteine“ – gegen den Willen der Stadt, in: Süddeutsche Zeitung, vom 26.05.2004, S. 39. 203 | Ebd. 204 | Interview mit Peter Hess, S. 8. 205 | Susanne Lettenbauer berichtet für Deutschlandradio Kultur in einem Beitrag vom 05.02.2015 über die aktuelle Situation und die Diskussion um die Stolpersteine in München. Abrufbar im Internet: http://www.deutschlandradiokultur.de/holocaust-gedenken-stolperstein-verbot-spaltet-muenchen.1001.de.html?dram:article_id=310784 [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 206 | Becker, Astrid/Goebel, Anne: Der erste Stolperstein. In memoriam Heinrich Oestreicher. Gedenktafel auf privatem Grund erinnert an ein Opfer der Nazis, in: Süddeutsche Zeitung, vom 03.09.2007, S. 50. 207 | Siehe Gut, Nina: Stolpern mit Kopf und Herz. Vier neue Stolpersteine für Nazi-Opfer, in: Münchner Merkur, vom 13.08.2008, S. 10. 208 | So werden beispielsweise am 21.12.2013 für zwei Zeugen Jehovas Steine verlegt und am 05.05.2014 ein Stein für ein Euthanasie-Opfer. Siehe die Einträge zu beiden Daten abrufbar im Internet auf: http://www.stolpersteine-muenchen.de/diskurs/chronik// [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 209 | Siehe dazu http://www.gruene-muenchen.de/aktuell/einzelmeldung/gruene-unterstuetzen-stolpersteine-und-fordern-abschaffung-des-ehegattensplittings/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; http://

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auf dem Münchner Jahresparteitag 2010 diese Denkmalsform in der bayerischen Landeshauptstadt.210 Sogar die Autoren der deutschen Fernsehserie Lindenstraße, deren Handlung in München spielt, nehmen sich 2010 des umstrittenen Themas in vier Folgen an und weisen auf die „besondere“ Situation in München hin.211 Im entsprechenden Pressetext der Serienmacher heißt es, man hoffe, dass Gunter Demnig durch den Hinweis der Serie auf die Stolpersteine das Thema in München „politisch neu anschieben“ könne.212 Zwei Jahre später ist die Auseinandersetzung mit den Stolpersteinen dort immer noch präsent: Am 5. Juli 2012 titelt die Welt „Stolpersteine: Das Thema, das die Münchener am meisten bewegt“, als die Verlegung der Stolpersteine den 2. Platz in einer Online-Umfrage des Münchner Bürgerbeteiligungsforums „MitDenken“ belegt.213 Ob die Steine nun als Thema die Münchener tatsächlich „am meisten“ bewegen, sei einmal dahingestellt. Dass sie jedoch die Meinungen in dieser Stadt bis heute spalten, scheint außer Frage zu stehen. Auch 2015 ist auf Stadtebene noch keine Erlaubnis zur Verlegung der Steine erwirkt. Mittlerweile gibt es jedoch auch zahlreiche prominente Münchner und Münchnerinnen, die das Projekt unterstützen. Am 12. März 2015 unterzeichnen diese Förderer und Unterstützer einen offenen Brief der Initiative Stolpersteine für München e.V. mit dem Appell „Erlauben Sie die Verlegung von Stolpersteinen auf öffentlichem Grund!“. Zu den Unterzeichnern gehören beispielsweise die Schrift-

www.gruene-muenchen.de/aktuell/einzelmeldung/stolpersteine-gruene-rosa-liste-beantragen-aufhebung-des-verbots/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 210 | Siehe Antrag der SPD zur Verlegung der Stolpersteine in München vom 07.05.2010. Abrufbar im Internet: http://www.stolpersteine-muenchen.de/assets/413_Antrag_Stolpersteine_SPD_07.05.10. pdf [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 211 | In insgesamt vier Folgen der Lindenstraße sind die Stolpersteine Thema. Am ersten Sendetermin, dem 14.11.2010, trägt die Folge zugleich den Titel „Stolperstein“. Am 21.11. und 28.11. wird die Geschichte weiter erzählt, bis in der Folge vom 05.12. Gunter Demnig höchstpersönlich auf Initiative von Seriencharakter „Helga Beimer“ (die von Schauspielerin Marie-Luise Marjan gespielt wird) zwei Stolpersteine verlegt. Die Serie wird in der ARD jeweils sonntags um 18.50 Uhr ausgestrahlt. Vgl. dazu Eintrag vom 15.11.2010 abrufbar im Internet auf: http://www.stolpersteine.eu/aktuell/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 212 | Vgl. dazu den Pressetext „Stolpersteine in der Lindenstraße. Umstrittenes Thema aus München als Teil der Serienhandlung“ zur Sendung „Jetzt erst recht“ am Sonntag, 05.02.2010, um 18.50 Uhr im Ersten. Abrufbar im Internet: http://www.lindenstrasse.de/Information/Presse/_2010/Stolpersteine.jsp [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 213 | Unter dem Motto “Gemeinsam die Stadt verändern” ruft das Internetforum „MitDenken“ (www. muenchen-mitdenken.de) vom 16.04.2012 bis 11.05.2012 Münchner Bürger entsprechende Vorschläge zu machen. Es werden mehrere hundert Ideen eingereicht, so auch das Anliegen, Stolpersteine in München zu verlegen. Siehe dazu den Eintrag vom 05.07.2012 in der Chronik auf der Website der Münchner Stolpersteininitiative: http://www.stolpersteine-muenchen.de/diskurs/chronik// [zuletzt eingesehen am 27.09.2015].

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stellerin und Moderatorin Amelie Fried, die Regisseurin, Filmproduzentin und Buchautorin Doris Dörrie und der Filmregisseur Michael Verhoeven.214 Im Frühjahr 2015 regt der bereits erwähnte CSU-Stadtrat, Marian Offman, einen Kompromiss zur Verlegung der Stolpersteine in München an. Er schlägt vor, die Stolpersteine grundsätzlich zu genehmigen, das Initiativrecht bzw. die Erlaubnis zur Verlegung der Steine jedoch strikt bei den Angehörigen der NS-Opfer zu belassen. Nur wenn bei den Familien der ausdrückliche Wunsch zur Verlegung eines Steins für ihre Angehörigen bestünde, dürfe ein solcher verlegt werden, sagt er der Süddeutschen Zeitung.215 Damit formuliert der Politiker einen Mittelweg zwischen den Positionen des Kulturreferats und der Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch. Das Referat möchte in Fällen fehlender Angehöriger einen Beirat aus „Vertretern des öffentlichen Lebens“ über die Verlegung eines Steines entscheiden lassen, während Charlotte Knobloch nach wie vor die Stolpersteine kategorisch ablehnt. Mit seinem Vorschlag geht Offman auf die Wünsche von Familienangehörigen ein, die für ihre ermordeten Verwandten diese Form des Gedenkens in München wünschen. Er fordert allerdings gleichzeitig eine Einschränkung des Urheberrechtes des Künstlers Demnig in Hinblick auf die Beschriftung der Steine. Wie ein Stein beschriftet würde, solle demnach nur die Stadt München entscheiden dürfen. Demnig droht jedoch mit rechtlichen Schritten, falls die Stadt ihm das Recht auf die Beschriftung streitig machen sollte.216 Der Hintergrund zu Offmans Forderung sind Stolpersteine in Hamburg. Unter dem Namen einzelner Opfer hat Demnig Begriffe wie „Gewohnheitsverbrecher“ oder „Rassenschande“ eingraviert. Er zitiert auf diese Weise Akten der Nationalsozialisten, die darin im spezifischen NS-Jargon Gründe für die Verfolgung und Verurteilung bestimmter Personen angeben. Demnig setzt diese Begriffe in einfache Anführungsstriche, um deutlich zu machen, dass er zitiert und sich von diesen Begriffen distanziert. „Diese Ausdrücke stehen in Parenthesen, jeder normale Mensch versteht, dass da etwas nicht stimmt“, sagt der Künstler der taz. Sein Ziel scheint es, den Betrachter zum Nachdenken anzuregen. Wie gut ihm das auf diese Weise gelingt, sei einmal dahingestellt. Feststeht, dass diese Art der Beschriftung gerade auch auf Hinterbliebene der Opfer, die ihrer Verwandten auf diese Weise gedenken wollen, irritierend und verletzend wirkt. Auch unter dem neuen Oberbürgermeister der Stadt München, Dieter Reiter (SPD), kommt es bis jetzt in diesem Fall zu keiner Einigung. Im Juli 2015 lehnt der Stadtrat abermals mehrheitlich den Antrag der Grünen auf Verlegung der Stolpersteine in der bayerischen Landeshauptstadt ab. Terry Swartzberg von der Initiative 214 | Siehe dazu den Eintrag vom 12.03.2015 auf: http://www.stolpersteine-muenchen.de/diskurs/ chronik//[zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 215 | Vgl. dazu Glas, Andreas: Nur auf Wunsch der Angehörigen: Marian Offman regt Kompromiss an, in: Süddeutsche Zeitung, vom 15.04.2015, S. R1. 216 | Ebd.

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Stolpersteine für München kritisiert diese Entscheidung und spricht Spiegel Online gegenüber von der Möglichkeit, einen Rechtsstreit anzustrengen.217 An der Münchner Diskussion zeigt sich der Umstand, dass die Stolpersteine im Gehsteig eingebettet sind und „begangen“ werden können, wird am meisten kritisiert und sorgt für den größten Unmut. Es scheint, als ob dieses Argument auch bei Überlebenden des NS-Terrors oder bei Angehörigen der Opfer am schwersten wiegt, wenn diese die Stolpersteine als Form des Gedenkens ablehnen. Ein anderer Grund, der im Zusammenhang mit der Ablehnung der Stolpersteine oftmals genannt wird, besteht in der Sorge einer möglichen „Stigmatisierung der heutigen Bewohner und Bewohnerinnen“, vor deren Wohnhäusern Steine verlegt werden.218 Es wird auch befürchtet, dass die Angehörigen von Tätern und Täterinnen „traumatisiert“ werden könnten.219 Außerdem kommt es mitunter zu Protest bei den Hauseigentümern, vor deren Tür die Steine verlegt werden, weil sie eine Minderung des Immobilienwertes ihres Hauses bzw. Grundstücks durch die Stolpersteine befürchten.220 Die Stadt München hat sich bis jetzt aus Rücksicht auf jene, die die Steine im Gehsteig als herabwürdigende Form des Gedenkens empfinden, entschieden, das Stolpersteinprojekt innerhalb ihres Stadtgebiets zu verbieten. Auf diese Weise stehen ihre Vertreter jedoch in der Kritik, Bürger, die diese Form des Denkmals unterstützen und Patenschaften übernehmen wollen, in ihrem Wunsch zu übergehen.

2.1.7 Die Stolpersteine in den Medien Die Medien in Deutschland zeigen großes Interesse an den Stolpersteinen, wie zahlreiche Beiträge zur Entwicklung des Projekts dokumentieren. Mit der Ausbreitung des Denkmals verstärkt sich dieses Interesse und hält bis heute in Presse, Fernsehen, Hörfunk und Internet an. Aber nicht nur die deutschen Medien werden auf die Stolpersteine aufmerksam, auch im Ausland berichten Journalisten darüber. Jeder Beitrag ist dabei wichtig für das Projekt, da durch die Berichterstattung ein breites Publikum erreicht wird und auf diese Weise neue Anfragen und Patenschaften entstehen können.221 Auffällig ist, dass die Stolpersteine am häufigsten in den Printmedien besprochen werden. Zeitungen, Zeitschriften und 217 | Siehe Hengst, Björn: Erinnerung an NS-Opfer: München lehnt Stolpersteine ab, in: Spiegel Online, vom 27.07.2015. Abrufbar im Internet: http://www.spiegel.de/panorama/muenchen-verbietetstolpersteine-a-1045854.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 218 | Schäfer, Marc: Stolpersteine, in: Jura Magazin, Nr. 10, vom 18.10.2004. Es fehlen bei diesem Artikel die Angaben zu den Seitenzahlen, weil er der Verfasserin nur über das Online-Archiv der Zeitschrift zugänglich war. 219 | Ebd. 220 | Ebd. 221 | Franke: Stolpersteine. Idee, Vorgeschichte und Entwicklung, S. 14.

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Magazine greifen sie auf, die in ihrer inhaltlichen Ausrichtung jeweils ganz unterschiedliche Leserschaften anvisieren. So berichten große, überregionale Tagesund Wochenzeitungen ungefähr seit dem Jahr 2000 über die Stolpersteine, als die ersten behördlichen Genehmigungen zum Verlegen der Steine in einzelnen deutschen Städten erteilt werden und das öffentliche Interesse an den Steinen wächst. Seitdem nimmt das Interesse in der Presse stetig zu und manifestiert sich in einer steigenden Zahl von Beiträgen zu den Stolpersteinen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beispielsweise greift das Thema „Stolpersteine“ im Feuilleton sowie in ihrem Politik- oder Lokalteil für das Rhein-Main-Gebiet auf, indem sie auf das Projekt, Auszeichnungen sowie Stolpersteinverlegungen in verschiedenen Regionen aufmerksam macht.222 In ganz ähnlicher Weise befassen sich regelmäßig Die Welt, die tageszeitung, die Frankfurter Rundschau und die Süddeutsche Zeitung mit den Stolpersteinen.223 Letztgenannte berichtet dabei besonders ausführlich und regelmäßig über den Konflikt in München, der sich an der Verlegung der ers222 | Vgl. dazu u.a. Müller-Gerbes, Heidi: Vielerorts willkommen, nur nicht in München. Gunter Demnig setzt überall in Deutschland „Stolpersteine“ zur Erinnerung an Nazi-Opfer ins Pflaster, in: FAZ, Nr. 246, vom 23.10.2006, S. 45; Auszeichnung für Gunter Demnig, in: FAZ, Nr. 293, vom 17.12.2007, S. 35; Jungen, Oliver: Stolpern als historische Chance, in: FAZ, Nr. 102, vom 03.05.2007, S. 42; Lucius, Robert von: Stolperndes Erinnern, in: FAZ, Nr. 284, vom 06.12.2007, S. 2; Burger, Rainer: Geballte Erinnerung, in: FAZ, Nr. 114, vom 17.05.2008, S. 2; Stolpersteine erinnern an ermordete Juden, in: FAZ, Nr. 45, vom 23.09.2009, S. 37; 15 „Stolpersteine“ werden verlegt, in: FAZ, Nr. 14, vom 17.09.2009, S. 57; „Stolpersteine“ sollen glänzen, in: FAZ, Nr. 80, vom 07.04.2010, S. 36; 600. Stolperstein in Frankfurt verlegt, in: FAZ, Nr. 258, vom 05.11.2011, S. 42; Ausgezeichnete Stolpersteine, in: FAZ, Nr. 113, vom 15.05.2012, S. 39. 223 | Vgl. dazu u.a. Schirg, Oliver: „Stolpersteine“ für Beust-Vorfahren, in: Die Welt, Nr. 139, vom 17.06.2006, S. 11; Eichelmann, Christine: Stolpersteine in Spandau, in: Die Welt, Nr. 227, vom 28.09.2006, S. 37; Dane, Aglaia: An den Zwiebelhändler Vilmós Montag erinnert jetzt ein Stolperstein, in: Die Welt, Nr. 204, vom 01.09.2007, S. 6; Anders, Christian: 2000 Namen von Nazi Opfern online. Aktion „Stolperstein“: Schicksale der Ermordeten werden beschrieben, in: Die Welt, Nr. 21, vom 25.01.2008, S. 34; Wenger, Ruth: Münchner kämpfen für Stolpersteine, in: Die Welt, vom 29.04.2015 (Seitenzahl war für die Verfasserin nicht auffindbar); Debus, Lutz: Schüler wollen sich das Gedenken nicht verbieten lassen, in: taz, vom 22.12.2005, S. 3; Riccó, Jessica: „Der Sohn dem nie gekannten Vater“. István Kárpáti wird heute um 11 Uhr in der Bromberger Straße 117 den 38. Stolperstein zur Erinnerung an NS-Opfer verlegen, in: taz, vom 19.04.2006, S. 24; Schön, Jürgen: Der Stolper-Mann. Für seine Stolpersteine ist der Künstler Gunter Demnig zum Zweiten Kölner Ehrenbürger ernannt worden, in: taz, vom 21.08.2006, S. 2; Litschiko, Konrad: Protest der Biedermänner, Monatelang recherchieren Zehdenicker Schüler zu ihrem Stolperstein-Projekt. Dann wehren sich die Bürger. Warum sich die Havelstadt schwer tut, an ihre verfolgten jüdischen Mitmenschen zu erinnern in: taz, vom 12.10.2006, S. 22; Wer gedenkt am besten? Die jüdische Gemeinde in München lässt Stolpersteine entfernen und schreibt damit Holocaust-Überlebenden vor, wie sie ihrer ermordeten Verwandten zu gedenken haben, in: taz, vom 28.06.2008, (Seitenzahl war für die Verfasserin nicht auffindbar); Schellen, Petra:

Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung

ten Stolpersteine entzündete und bis heute nicht gelöst ist.224 Im Beilagenheft der Wochenzeitung DIE ZEIT, dem ZEIT-Magazin, erscheint 2009 eine „Deutschlandkarte Stolpersteine“, die die Liste mit den deutschen Städten enthält, in denen bis zum damaligen Zeitpunkt Steine verlegt worden sind.225 Auch DIE ZEIT selbst und die wöchentlichen Nachrichtenmagazine Der Stern, Der Spiegel und Focus haben jeweils schon Beiträge zu den Stolpersteinen veröffentlicht.226 Das Kunst- und KulÜber Sprache stolpern, in: taz, vom 20.10.2014; Bleyl, Henning: Geschichte auf dem Gehweg, in: taz, vom 13.03.2015; Rost, Andrea: Gegen das Vergessen, in: Frankfurter Rundschau, vom 17.12.2009, S. 26; Tornau, Joachim F.: Steine in den Weg gelegt, in: Frankfurter Rundschau, vom 21.10.2009, S. 23; Majic, Danijel: Den Opfern Namen geben, in: Frankfurter Rundschau vom 17.10.2009, S. 20; Vorrath, Jonathan: Stolpersteine vorm Haus ängstigen Anwohner, in: Frankfurter Rundschau, vom 13.10.2009, S. 21; Erb, Nadja: Kampf gegen Münchner Stolperstein-Verbot, in: Frankfurter Rundschau, vom 27.02.2015, (Seitenzahl war für die Autorin nicht auffindbar); Nawrath, Götz: Den Opfern ein Gesicht geben, in: Frankfurter Rundschau, vom 12.03.2015, (Seitenzahl war für die Autorin nicht auffindbar). 224 | Vgl. dazu Goebel, Anne: Neue Diskussion über die „Stolpersteine“; Dies.: Ein falscher Weg des Erinnerns. Stadtrat lehnt „Stolpersteine“ zum Gedenken an den Holocaust ab – illegal verlegte Tafeln sollen entfernt werden, in: Süddeutsche Zeitung, vom 17.06.2004, S. 37; Dies.: Bedauern und Scham. Reaktionen auf die Entscheidung gegen die „Stolpersteine“, in: Süddeutsche Zeitung vom 22.06.2004, S.46; Dies.: Kleine Steine mit großer Wirkung. Künstler Gunter Demnig über die offizielle Ablehnung seiner „Stolpersteine“ und die Solidarität mit dem Projekt, in: Süddeutsche Zeitung, vom 24.06.2004, S. 39; Dies.: Stolpersteine im Exil. Initiative will die Gedenk-Diskussion neu beleben, in: Süddeutsche Zeitung, vom 11.05.2011, S. 39; Näger, Doris: Der nächste Versuch. Das Projekt Stolpersteine hofft auf eine neue Chance, in: Süddeutsche Zeitung, vom 02.09.2005, S. 41; Käppner, Joachim/ Tibudd, Michael: Ein Streit um Namen und Orte. Stolpersteine-Ausstellung im U-Bahnhof Universität – Oberbürgermeister Ude hält das Thema für beendet, in: Süddeutsche Zeitung, vom 11.01.2007, S. 40; Goebel, Anne: „Wir wünschen einen Domino-Effekt“. Der Stadtrat hat sich gegen die Stolpersteine ausgesprochen – jetzt wird einer auf Privatgrund verlegt, in: Süddeutsche Zeitung, vom 30.08.2007, S. 50; Umstrittenes Gedenken. Neue Stolpersteine erinnern an ermordete Juden, in: Süddeutsche Zeitung, vom 13.08.2008, S. 47; Grüne stimmen für „Stolpersteine“, in: Süddeutsche Zeitung, vom 14.11.2009, S. 50; Stolpersteine sind unerwünscht. Stadt lehnt Gedenktafeln auf öffentlichem Grund weiter ab, in: Süddeutsche Zeitung, vom 24.09.2010, S. 7; Goebel, Anne: „Das ist kein verordnetes Erinnern“. Terry Swartzberg, der neue Vorsitzende, über Ziele der Münchner „Stolpersteine“-Initiative, in: Süddeutsche Zeitung, vom 01.03.2011, S. 6; Glas, Andreas: Nur auf Wunsch der Angehörigen: Marian Offmann regt Kompromiss an, in: Süddeutsche Zeitung, vom 15.04.2015, S. R1. 225 | Deutschlandkarte Stolpersteine, in: ZEIT-Magazin (11/2009), vom 16.06.2009, S. 8. 226 | Vgl. dazu Von Daniels, Justus: Wo jeder sich verbeugen muss. 38.000 „Stolpersteine“ hat Gunter Demnig in ganz Europa verlegt, in: Die Zeit, Nr. 49, vom 29.11.2012; Korn, Salomon: München soll stolpern. Über das richtige Gedenken der Holocaust-Opfer, in: Die Zeit, Nr. 47, vom 15.11.2014 (Seitenzahl konnte nicht rekonstruiert werden); Woldin, Philipp: Gravierender Vorwurf. Stolpersteine gedenken der Nazi-Opfer. Warum sind sie dann mit NS-Jargon beschriftet?, in: Die Zeit, Nr. 47, vom 30.11.2014 (Seitenzahl konnte nicht rekonstruiert werden); Siemens, Jochen: Bückt Euch und lest!, in: Der Stern,

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turmagazin art widmet sich den Stolpersteinen, um sie als „Form von angewandter Kunst“227 vorzustellen und den eigenständigen konzeptionellen Ansatz des Denkmals zu würdigen.228 Elke Heidenreich thematisiert die Stolpersteine innerhalb eines regelmäßigen Briefwechsels mit dem Autor Till Raether, der in der Frauenzeitschrift Brigitte abgedruckt wird.229 In der politisch-feministischen Zeitschrift Emma erscheint 2008 ein Artikel über Stolpersteine, die mehreren weiblichen NSOpfern gewidmet sind. Diese Frauen waren aufgrund ihrer Homosexualität von den Nazis verfolgt worden.230 Die Kundenzeitschrift des Deutsche Bahn-Konzerns DB mobil und die deutsche Programmzeitschrift HÖRZU stellen jeweils in einer Ausgabe die Stolpersteine ihrem Leserkreis vor und werben für neue Patenschaften.231 Auch die deutschsprachige jüdische Presse scheint die Entwicklung der Stolpersteine in Deutschland als Ausdruck einer neuen Form der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu registrieren und mit Interesse weiter zu verfolgen.232 vom 09.10.2003, S. 58; „Bilder erzählen Schicksale“, in: Der Stern (Online-Ausgabe), vom 13.04.2012; Lösel, Anja: Wer legt uns diese Steine in den Weg? Er heißt Gunter Demnig und legt seit 17 Jahren Stolpersteine – Orte der Erinnerung an Menschen, die im Dritten Reich deportiert und ermordet wurden, in: Der Stern (Online Ausgabe), vom 28.03.2015; Lösel, Anja: Der 40.000 ist ein Kommunist. Seit 20 Jahren verlegt der Künstler Gunter Demnig seine Stolpersteine. Am Mittwoch hat er den 40.000. eingesetzt. Eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen, in: Der Stern (Online Ausgabe), vom 03.07.2013; Arnsperger, Malte: Münchens Angst vor den Neonazis. Am Holocaust-Gedenktag wird an Millionen von Nazi-Opfern erinnert. Für sie gibt es viele Denkmäler. Um die kleinsten ist ein großer Streit in München entbrannt, in: Der Stern (Online Ausgabe), vom 27.01.2013; „Gunter Demnig“, in: Der Spiegel, Nr. 3, vom 16.01.1995, S. 182.; „Das Haupt beugen“. Ein Interview mit Gunter Demnig, in: Der Spiegel , Nr. 51, vom 15.12.2003, S. 18; „Steine, die wehtun“. Ein Interview mit Josef Schuster, in: Der Spiegel, Nr. 27, vom 28.06.2004, S. 131; Hinrichs, Per: Stein oder nicht Stein?, in: Der Spiegel (Online-Ausgabe), vom 30.09.2004; Steine und Photos, in: Der Spiegel, Nr. 8, vom 18.02.2012, S. 121; Stolpersteine zur Erinnerung an NS-Opfer im Osten des Landes verlegt, in: Focus (Online-Ausgabe), vom 22.10.2014; Stolperstein-Erfinder Gunter Demnig über Erinnern in der Nazi-Zeit, in: Focus (Online-Ausgabe), vom 23.01.2015; Kölner Künstler Demnig verlegt 1000. Frankfurter Stolperstein, in: Focus (Online-Ausgabe), vom 18.05.2015. 227 | Siehe Raap: Dezentrales Mahnmal, S. 4. 228 | Neumannn: Der Spurenleger. 229 | Heidenreich, Elke: Mal sehen, was Paula macht, in: Brigitte, Nr. 15, vom 09.07.2003, S. 222; Raether, Till: Und das Leben sagt: Ätsch!, in: Brigitte, Nr. 16, vom 22.07.2003, S. 202. 230 | Über Lesben gestolpert, in: Emma, Nr. 3 (284), Mai/Juni 2008, S. 40-41. 231 | Waldmann, Annette: Lebensgeschichte der Familie Moser, in: HÖRZU, Heft Nr. 3, vom 09.01. 2009, S. 16-17; Ralfes, Sigrid: Die Spur der Steine, in: DB mobil, vom Nov. 2002, S. 13-14. 232 | Vgl. dazu u.a.: Am Ende geht mehr als man denkt, in: Jüdische Allgemeine, Ausg. 14, vom 01.04.2004; Fenyes: Das Gedächtnis der Stadt; Dane, Aglaia: Anstößig. Ungarn: Erstmals wurden in diesem Sommer auch in Osteuropa Stolpersteine verlegt - manchmal gegen Widerstand, in: Jüdische Allgemeine, Ausg. 39, vom 26.09.2007, S. 6; Gümbel, Miryam: Die Botschafter, in: Jüdische Allgemeine, Ausg. 50 , vom 29.05.2008 (Seitenangabe konnte nicht rekonstruiert werden); Rothert, Frank: Spre-

Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung

Am Beispiel der Stadt Hamburg zeigt sich, dass eine überregionale Tageszeitung wie Die Welt, die einen Teil mit lokalen Nachrichten aus Hamburg führt, und die regionalen Tageblätter, Hamburger Abendblatt und Hamburger Morgenpost, relativ regelmäßig über die neueste Entwicklung der Stolpersteine in der Hansestadt berichten. Neben der Verlegung neuer Steine in Hamburg stellen Die Welt und das Hamburger Abendblatt beispielsweise die feierliche Einweihung des 1000., 2000. und 3000. Stolpersteins in Hamburg heraus. Auch die Verlegung des europaweit 20.000. Stolpersteins in Hamburg und die Würdigung des Projekts durch verschiedene Preise wird in beiden Zeitungen aufgegriffen. 233 Es wird nach Paten gesucht und über den Frühjahrsputz der Stolpersteine bechendes Quadrat. Erstmals soll Stolpersteinprojekt zwei Überlebende ehren, in: Jüdische Allgemeine, Ausg. 4, vom 22.01.2009 (Seitenangabe konnte nicht rekonstruiert werden); Erinnerung an Irene. In Hamburg wurde der 20.000 Stolperstein verlegt, in: Jüdische Allgemeine, Ausg. 31, vom 30.07.2009 (Seitenangabe konnte nicht rekonstruiert werden); Neuburg, Sophie: Namen, Adressen, Geschichten. Juden in Charlottenburg: In dem Band wird an die Ermordeten erinnert – kaum an die Überlebenden, in: Jüdische Allgemeine, Ausg. 25, vom 24.06.2010 (Seitenangabe konnte nicht rekonstruiert werden); Schmitt, Christine: 84 Mal Erinnerung. Stolpersteine: Gedenken in der Giesebrechtstraße, in: Jüdische Allgemeine, Ausg. 19, vom 12.05.2011; Haschoa, Jom: Saubere Steine. Junge Gläubige verschiedener Religionen gedenken mit Putzaktion der Opfer des Holocaust, in: Jüdische Allgemeine, Ausg. 16, vom 20.04.2012 (Seitenangabe konnte nicht rekronstruiert werden); Ihr Leben. Ein Stolperstein erinnert an die Berliner Künstlerin Charlotte Salomon, in: Jüdische Allgemeine, Ausg. 16, vom 22.04.2012 (Seitenangabe konnte nicht rekonstruiert werden); 5.000 Stolperstein in Berlin. Zeremonie im Bezirk Reinickendorf. Schmierereien in Friedenau, in: Jüdische Allgemeine, Ausg. 23, vom 07.06.2013 (Seitenangabe konnte nicht rekonstruiert werden); Killy, Daniel: Stolpersteine als Stolperfalle, in: Jüdische Allgemeine, Ausg. 44, vom 30.10.2014 (Seitenangabe konnte nicht rekonstruiert werden); Schmitt, Christine: Kompromiss in Göttingen. Nach 13 Jahren Streit erste Stolpersteine verlegt, in: Jüdische Allgemeine, Ausg. 13, vom 26.03.2015, (Seitenangabe konnte nicht rekonstruiert werden). 233 | Vgl. dazu Hardinghaus, Barbara: Drei Stolpersteine für NS-Opfer, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 271, vom 20.11.2003, S. 19; Gerhartz, Katja: Max-Brauer-Medaille für Stolpersteine, in: Die Welt, Nr. 92, vom 20.04.2004, S. 34; Stolperstein erinnert an Max Mendel, in: Die Welt, Nr. 67, vom 21.03.2005, S. 33; Er soll an den Sozialdemokraten Max Mendel erinnern. 1.000. Stolperstein für Senator, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 73, vom 30.03.2005, S. 11; 1.000. Stolperstein erinnert an Opfer des NS-Terrors, in: Die Welt, Nr. 73, vom 30.03.2005, S. 33; Bundesverdienstkreuz für „Stolperstein“-Idee, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 207, vom 05.09.2005, S. 6; Brockmann, Adolf: 14 weitere Stolpersteine in Harburg, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 179, vom 03.08.2006, S. 2; Iken, Matthias: 2.000ster in Hamburg ehrt ermordete Schauspielerin, in: Die Welt, Nr. 39, vom 13.10.2007, S. 35; Projekt. Der 2000. Stolperstein, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 243, vom 18.10.2007, S. 16; Drewes, Nina: Erinnerungskultur im Pflaster. Auf Hamburgs Gehwegen sollen bald 3.000 Stolpersteine zum Gedenken an NS-Opfer liegen, in: Die Welt, Nr. 170, vom 22.07.2008, S. 31; Erich-Mühsam-Preis, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 87, vom 15.04.2009, S. 6; Gretzschel, Matthias: 3000. Hamburger Stolperstein vor der Universität verlegt, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 94, vom 23.04.2010, S. 17; Witzeling, Klaus: Der 20.000 Stolperstein: Ein

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richtet.234 Mit ganz ähnlichen Themen in Bezug auf die Stolpersteine befasst sich von Zeit zu Zeit auch die Hamburger Morgenpost.235 Darüber hinaus zeigt auch die Bild Interesse an den Stolpersteinen. Im März 2007 ruft sie beispielsweise zu einer „Putzaktion gegen das Vergessen“ in Hamburg auf: Eine Woche lang fordert sie Schulklassen, Personen des öffentlichen Lebens, Hamburger Prominente und Privatpersonen auf, die Steine zu putzen, und berichtet täglich darüber.236 Darüber hinaus berichtet die Bild relativ regelmäßig über die Verlegung neuer Stolpersteine in Hamburg und anderen Städten.237 Die Wochenzeitung Hamburger Wochenblatt versorgt ihre Leser mit Informationen über die Entwicklung des Stolpersteinprobeispielloses Mahnmal, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 170, vom 24.07.2009, S. 6; Iris Berben ist Laudatorin für das Projekt Stolpersteine, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 249, vom 24.10.2012, S. 15. 234 | Vgl. dazu u.a. Brinker, Bettina: Paten für Stolpersteine gesucht, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 268, vom 16.11.2006, S. 8; Frühjahrsputz für Stolpersteine. Bischöfin Jepsen ruft Hamburger zum Mitmachen auf – Sonntag Aktionstag, in: Die Welt, Nr. 87, vom 14.04.2007, S. 33; Verschmutzte Stolpersteine werden blank geputzt, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 77, vom 01.04.2009, S. 2; Frühjahrsputz für „Stolpersteine“, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 86, vom 18.04.2010, S. 7; Grindelviertel: Frühjahrsputz für Hamburger Stolpersteine am Sonnabend, in: Hamburger Abendblatt (Online Ausgabe), vom 24.04.2014. 235 | Bott, Mirko: Gegen das Vergessen. In diesen Steinen leben sie weiter, in: Hamburger Morgenpost, vom 30.10.2003, S. 26; Kölner Künstler erhält Bundesverdienstkreuz, in: Hamburger Morgenpost, vom 04.09.2005 (Seitenangabe konnte nicht rekonstruiert werden); Oberacker, Susann: Erinnern, wo das Grauen begann, in: Hamburger Morgenpost, vom 16.06.2006. S. 27; Mertens, Hanne: Gedenken an eine Unbeugsame. Am Thalia Theater wurde der 2.000 Stolperstein verlegt, in: Hamburger Morgenpost, vom 20.10.2007 (Seitenangabe konnte nicht rekonstruiert werden); Stolperstein. Der Künstler Gunter Demnig und seine Miniatur-Mahnmale für Nazi-Opfer, in: Hamburger Morgenpost, vom 20.11.2008 (Seitenangabe konnte nicht rekonstruiert werden); Günther Jauch putzt Stolpersteine in Berlin, in: Hamburger Morgenpost, vom 09.11.2013 (Seitenangabe konnte nicht rekonstruiert werden). 236 | Vgl. dazu z.B. Majorczyk, Sarah: Hamburg putzt die Stolpersteine, in: BILD Hamburg, vom 14.03.2007, S. 7; Prentzien, M./Esser. F./Thorer, T.: Hier putzt Hamburg die ersten Stolpersteine, in: BILD Hamburg, vom 15.03.2007, S. 8; Thorer, Tim/Costanzo, Andreas: Hier kniet der Hamburger PolizeiPräsident und putzt Stolpersteine, in: BILD Hamburg, vom 16.03.2007, S. 8. 237 | Vgl. dazu u.a. Osnabrück verlegt neue Stolpersteine, in: BILD Hamburg (Online-Ausgabe), vom 11.03.2009. Abrufbar im Internet: http://www.bild.de/regional/koeln/koeln-regional/osnabrueck-verlegt-neue-stolpersteine-7639540.bild.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; Neue Stolpersteine für Leipziger NS-Opfer, in: BILD Hamburg (Online-Ausgabe), vom 09.04.2009. Abrufbar im Internet: http:// www.bild.de/regional/leipzig/leipzig-regional/neue-stolpersteine-fuer-leipziger-nsopfer-7948088. bild.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; Bautzen lässt neue Stolpersteine verlegen, in: BILD Hamburg (Online-Ausgabe), vom 11.06.2010. Abrufbar im Internet: http://www.bild.de/regional/dresden/ dresden-regional/bautzen-laesst-neue-stolpersteine-verlegen-12856486.bild.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; Verlegung von Stolpersteinen in Frankfurt, in: BILD Hamburg (Online-Ausgabe), vom 05.07.2010. Abrufbar im Internet: http://www.bild.de/regional/berlin/berlin-regional/verlegung-von-

Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung

jekts im jeweiligen Bezirk.238 Nach diesem Muster berichten auch kleinere stadtteilbezogene Zeitungen, wie der Der lachende Drache in St. Georg, über Neuigkeiten zu den Stolpersteinen im eigenen Viertel.239 Die Hamburger Straßenzeitung Hinz und Kunzt verfolgt ebenfalls die „Kunst auf der Straße“ in der Hansestadt.240 Aber nicht nur die Presse in Deutschland hat die Stolpersteine als Thema entdeckt, sondern auch das Fernsehen und der Hörfunk zeigen Interesse am Projekt und dem Künstler Demnig. Die Kultursendung ttt – Titel, Thesen, Temperamente beispielsweise, die einmal wöchentlich in der ARD ausgestrahlt wird, setzt sich in einem Beitrag mit der öffentlichen Kontroverse auseinander, die bezüglich der Frage geführt wird, ob die Stolpersteine eine angemessene Form des Erinnerns darstel-

stolpersteinen-in-frankfurt-13196530.bild.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; Neue Stolpersteine für Chemnitz und Reichenbach, in: BILD Hamburg (Online-Ausgabe), vom 18.10.2011. Abrufbar im Internet: http://www.bild.de/regional/leipzig/leipzig-regional/neue-stolpersteine-fuer-chemnitz-undreichenbach-20513996.bild.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; Frankfurt bekommt 87 neue Stolpersteine, in: BILD Hamburg (Online-Ausgabe), vom 18.04.2012. Abrufbar im Internet: http://www.bild. de/regional/frankfurt/frankfurt-regional/frankfurt-bekommt-87-neue-stolpersteine-23733258.bild. html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; Stolpersteine erinnern an ermordete Abgeordnete, in: BILD Hamburg (Online-Ausgabe), vom 08.06.2012. Abrufbar im Internet: http://www.bild.de/regional/hamburg/hamburg-regional/stolpersteine-erinnern-an-ermordete-abgeordnete-24551402.bild.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; Neue Stolpersteine in Chemnitz verlegt, in: BILD Hamburg (Online-Ausgabe), vom 02.11.2012. Abrufbar im Internet: http://www.bild.de/regional/dresden/dresden-regional/ neue-stolpersteine-in-chemnitz-27000156.bild.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; Weitere Stolpersteine in Leipzig, in: BILD Hamburg (Online-Ausgabe), vom 05.11.2012. Abrufbar im Internet: http:// www.bild.de/regional/dresden/dresden-regional/weitere-stolpersteine-in-leipzig-27038194.bild.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; Riechers, Karsten: Er will Stolpersteine, Sie nicht!, in: BILD Hamburg (Online-Ausgabe), vom 06.12.2014. Abrufbar im Internet: http://www.bild.de/regional/muenchen/stolperstein/er-will-sie-nicht-38858140.bild.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; Köhnemann, Jörg: Die Narben des Krieges sind immer noch sichtbar, in: BILD Hamburg (Online-Ausgabe), vom 02.05.2015. Abrufbar im Internet: http://www.bild.de/regional/hamburg/hamburg/narben-des-krieges-40782684. bild.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 238 | Interview mit Peter Hess, S. 11. 239 | Cäsar Meyer (1902-1945). Im Gedenken an die homosexuellen Opfer des NS-Regimes, in: Der lachende Drache. Stadtteilzeitung für St. Georg, Nr. 204, 20. Jg., vom September 2006, S.1-2. 240 | Wehnelt, Joachim: „Zu getreuen Händen“, in: Hinz&Kunzt, vom April 2004, Heft 194 (Die Seitenangabe konnte nicht festgestellt werden. Der Artikel ist aber nachlesbar auf http://www.hinzundkunzt.de/„zu-getreuen-handen“/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]); Keil, Frank: Von der Kneipe ins KZ, in: Hinz&Kunzt, vom November 2006, Heft 165 (Die Seitenangabe konnte nicht festgestellt werden). Der Artikel ist aber nachlesbar im Internet: http://www.hinzundkunzt.de/von-der-kneipe-ins-kz/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]); Soller, Adrian: Stolperstein gegen das Vergessen, in: Hinz&Kunzt (Online-Ausgabe), vom 15.09.2011. Abrufbar im Internet: http://www.hinzundkunzt.de/stolperstein-gegen-das-vergessen/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015].

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len.241 Das wöchentliche Servicemagazin Vivo auf 3sat erörtert in einer Sendung, wie die Stolpersteine im alltäglichen Leben einen Bezug zwischen Gegenwart und Vergangenheit herstellen.242 Auf demselben Sender wird eine 30-minütige Reportage über die Stolpersteine am Beispiel der Stadt Köln und Umgebung mit dem Titel „In den Weg gelegt“ übertragen, die ebenfalls auf dem Nachrichtensender phoenix gezeigt wird.243 Der WDR informiert in der Nachrichtensendung Lokalzeit verschiedene Regionen innerhalb seines Sendegebiets über die neuesten Entwicklungen des Stolpersteinprojekts.244 Sat.1 berichtet in den Regionalnachrichten für Hamburg über das Projekts in der Stadt wie z.B. in Beiträgen über die oben genannte Ausstellung „Stolpersteine und ihre Angehörige“ und die bereits erwähnten „ Stolpertonsteine“.245 Auf Hamburg 1 ist der Künstler Demnig in der Talkshow Lampenfieber zu Gast, um über seine Idee zum Stolpersteinprojekt und dessen Umsetzung Rede und Antwort zu stehen.246 Neben Hamburg 1 berichten der NDR und der Hamburger Bürgerkanal Tide TV einige Male über die Stolpersteine und die neuere Entwicklung des Projekts in der Hansestadt und ihrer Umgebung.247 In der Sendung „Menschen Unter Uns“ des SWR wird ein Portrait des Künstlers Demnig vor dem Hintergrund des Stolpersteinprojekts ausgestrahlt.248 Die Fernsehsender arte, phoenix und der NDR zeigen an jeweils unterschiedlichen Terminen die gekürzte Fernsehfassung des Dokumentarfilms „Stolperstein“ der Filmregisseurin

241 | Die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig und der Streit um das „richtige“ Gedenken an den Holocaust, in: ttt – Titel, Thesen, Temperamente, ARD, vom 24.08.2008. Bei einigen Fernseh- und Hörfunkbeiträgen zu den Stolpersteinen bleiben die Autoren unbenannt, so dass in diesen Fällen im Folgenden der Titel des jeweiligen Beitrags vorangestellt wird. 242 | Stolpersteine lassen Vergangenheit wieder aufleben, in: Vivo, 3sat, vom 13.09.2008. 243 | In den Weg gelegt. Die Stolpersteine des Gunter Demnig, in: 3sat, vom 23.01.2005; In den Weg gelegt. Die Stolpersteine des Gunter Demnig, in: phoenix, vom 27. und 29.01.2005. 244 | Vgl. dazu z.B.: Stolpersteine gegen das Vergessen, in: Lokalzeit aus Aachen, WDR, vom 16.01.2008; Boom, Gabi van den: Ärger um die „Schmunzelsteine“, in: Lokalzeit Bergisches Land, WDR, vom 20.02.08; Aktion Stolperstein, in: Lokalzeit Ruhr, WDR, vom 31.03.2009. 245 | Siehe Stolpersteine und Angehörige: Ausstellung in Hamburg, in: Sat.1, Regionalnachrichten für Hamburg; Stolpersteine in Hamburg: Biografien von NS-Opfern zum Anhören, in: Sat.1, Regionalnachrichten für Hamburg, vom 12.11.2012. 246 | Gunter Demnig ist zu Gast in der Talkshow Lampenfieber auf Hamburg 1 am 30.03.2007. 247 | Siehe u.a. Neue Stolpersteine vor Hamburger Ziviljustizgebäude, in: NDR Fernsehen, vom 03.08.2006; Stolpersteine, in: Tide TV, vom 20.05.2009; 35 Stolpersteine verlegt, in: Hamburg 1, vom 09.10.2009; Frühjahrsputz für Stolpersteine, in: Tide TV, vom 05.05.2010; Stolperstein App für iPhone, in: Hamburg 1, vom 26.05.2010; Schicksale der Stolpersteine, in: NDR Fernsehen, Hamburg Journal, vom 01.10. 2012; Christian Becker: Stolpersteine werden hörbar, in; NDR Fernsehen, vom 13.11.2012. 248 | Die Gedenksteine des Gunter Demnig.“Ich bin da so hineingestolpert“, in: SWR TV, Menschen Unter Uns, vom 13.11.2011.

Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung

Dörte Franke.249 Im Zentrum des Films stehen die verschiedenen Entwicklungsstadien des Stolpersteinprojekts und ein Portrait des Künstlers Demnig. Auch die öffentliche Kritik an den Stolpersteinen wird am Beispiel der Stadt München aufgegriffen, in der trotz großer Unterstützung des Denkmals von Seiten vieler Münchner Bürger die offizielle Erlaubnis zur Verlegung der Steine innerhalb ihrer Stadtgrenze bis jetzt verweigert wird. Der für die Kinoleinwand produzierte Film feiert im August 2008 auf dem 61. Internationalen Filmfestival Locarno Premiere und wird im Oktober 2008 auch auf dem Filmfestival in Osnabrück vorgeführt.250 Am 1. November findet die Kino-Erstaufführung des Films im Kölner Odeon-Kino statt, bevor er schließlich ab dem 6. November 2008 bundesweit in einigen Kinos zu sehen ist.251 Produziert wird der Film mit Unterstützung von NDR, WDR, ORF und arte. Das Kulturmagazin Mosaik, das wöchentlich auf WDR 3 ausgestrahlt wird, bespricht den Film.252 Der Hörfunk sendet ebenfalls vereinzelt Beiträge, die sich oftmals allgemein mit der Geschichte und dem zugrundeliegenden Konzept des Stolpersteinprojekts und dessen neuesten Entwicklungen in der Region des jeweiligen Sendegebiets befassen. So berichten beispielsweise Hessischer Rundfunk, WDR und SWR in unterschiedlichen Sendungen ihres jeweiligen Programms zu den Stolpersteinen.253 Auch Deutschlandradio sendet einzelne Beiträge, die sich allgemein auf das Denkmal beziehen oder auch auf die Kontroverse in München eingehen.254 Auch die ausländischen Medien sind auf das Phänomen „Stolpersteine“ in Deutschland aufmerksam geworden und scheinen diese Form des Gedenkens für so „bemerkenswert“ zu halten, dass sie über sie in einzelnen Beiträgen berichten. Die BBC beispielsweise dreht einen Dokumentarfilm, der den Künstler und sein Projekt vorstellt.255 Das britische Sunday Times Magazine veröffentlicht einen gro249 | Der Film „ Stolperstein“ von Dörte Franke wird auf phoenix am 04.01.2009, auf arte am 07.09.2008 und im NDR am 10.05.2009 ausgestrahlt. 250 | Vgl. dazu u.a.: Das Filmfest, in: taz, vom 07.10.2008, S. 23; Gessler, Philipp: Die Steine des Anstoßes. Dörte Frankes unbequeme Doku „Stolperstein“ wurde von arte im Sonntagmittagsprogramm versenkt, in: taz vom 09.09.2008, S. 18. 251 | Neu im Kino, in: taz, vom 06.11.2008, S. 28. 252 | Gegen das Vergessen II zum Film von Dörte Franke, in: Mosaik. Das Kulturmagazin, WDR 3, vom 05.11.08. 253 | Siehe dazu: Vergessene Stolpersteine, in: NDR 90,3, vom 24.10.06; Datenbank erinnert an Opfer des Nationalsozialismus, in: NDR 90,3, vom 24.01.2008; Engelin, Almuth: Frühjahrsputz, in: NDR info, vom 27.04.2007; Hefter, Bernd: Sigrid Wascher. Ein Leben hinter dem Stolperstein, in: SWR1, vom 25.01.2008; Versteinerte Vergangenheit. Denkmäler-Stolpersteine, in: Matinee, SWR2, vom 14.09.2008; Klodt, Andreas: Anstöße, in: SWR1, vom 15.04.2009; Eine kurze Geschichte von Gunter Demnig und den Stolpersteinen, in: WDR 5, vom 25.04.2009; Stolpersteine, in: n-joy Radio, vom 04.08.2009. 254 | Vgl. dazu z.B. Beiträge von Rosbach, Jens: „Stolpersteine“ in Europa: Den Opfern Heimat zurückgeben, in: Deutschlandradio Kultur, vom 12.04.2015; Lettenbauer, Susanne: Holocaust-Gedenken: Stolperstein-Verbot spaltet München, in: Deutschlandradio Kultur, vom 05.02.2015. 255 | Franke: Stolpersteine. Idee, Vorgeschichte und Entwicklung, S. 8.

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ßen Artikel über das Denkmal.256 Die Online-Ausgabe der Times berichtet am 18. August 2014 über das Projekt von Demnig, der zu diesem Zeitpunkt in ganz Europa über 48.000 Steine verlegt hat.257 In Frankreich erscheint in der überregionalen Tageszeitung Libération258 und in der regionalen Tageszeitung L’alsace le Pays259 jeweils ein Beitrag zu den Stolpersteinen. Die Wiener Zeitung befasst sich ausführlich am Beispiel der Verlegung von Stolpersteinen in Trier mit den unterschiedlichen Aspekten des Projekts.260 Über den europäischen Raum hinaus berichten in den USA beispielsweise die überregionale Tageszeitung New York Times261, die regionale Tageszeitung The Boston Globe262 sowie The Philadelphia Inquirer263 und das Kunstmagazin ART PAPERS264 über die Steine. Ebenso nehmen die internationale englischsprachige Tageszeitung International Herald Tribune265, die große in256 | Jacobsen, Philip: Streets Of Sorrow, in: Sunday Times Magazine, vom 11.04.2004, S.52-56. 257 | Siehe dazu Charter, David: Artist’s 48,000 brass Plaques remember Holocaust victims auf der folgenden Seite: http://www.thetimes.co.uk/tto/news/world/europe/article4178978.ece [zuletzt eingesehen am 27.09.2015] 258 | Banyahia-Kouider, Odile: „Pavés d’eternité“, in: Libération, vom 27.02.2005. Bei einigen Artikeln zu den Stolpersteinen, die in der internationalen Presse erschienen sind und der Verfasserin freundlicherweise durch Peter Hess und Johann-Jinrich Möller zugänglich gemacht wurden, fehlen Angaben zu den Seitenzahlen der Beiträge, deren nachträgliche Ermittlung durch die Verfasserin erfolglos blieb. Aus diesem Grund fehlen in der Folge bei den entsprechenden Artikel die Seitenangaben. 259 | Dentz, Adrein: Pavés de mémoire, in: L álsace le Pays, vom 15.02.2004. 260 | Wagner, Hans-Christof: Steine des Anstoßes. Gunter Demnig erinnert mit den „Stolpersteinen“ an die Opfer der NS-Zeit, in: Wiener Zeitung, Nr. 38, vom 25.02.2005, S. 5; Siehe auch: 39 neue Gedenktafeln für NS-Opfer in der Stadt Salzburg. Stolpersteine erinnern an homosexuelle Opfer des NaziTerrors, in: Wiener Zeitung, vom 20.03.2012 (Seitenangabe und Ausgabe konnten nicht rekonstruiert werden); Conrad, Bernadette: „Man stolpert mit dem Kopf und dem Herzen“, in: Wiener Zeitung, vom 08.06.2012 (Seitenangabe und Ausgabe konnten nicht rekonstruiert werden). 261 | Grieshaber, Kirsten: Plaques for Nazi Victims Offer Personal Impact, in: The New York Times, vom 29.11.2003, S. 23; Nickerson, Colin: Artist Lays Down Plaques For Victims Of The Nazis, vom 14.01.2007 (Seitenangabe konnte nicht rekonstruiert werden); Bell, Jack: Honoring The Voice Of Dutch Soccer, in: The New York Times, vom 02.05.2009 (Seitenangabe konnte nicht rekonstruiert werden); Cowell, Alan: Keeping Alive The Fading Memory Of World War II, in: The New York Times, vom 24.06.2011 (Seitenangabe konnte nicht rekonstruiert werden); O’Shea, Julie: Plaques In Prague Commemorate Holocaust Victims, in: The New York Times, vom 11.07.2011 (Seitenangabe konnte nicht rekonstruiert werden). 262 | Nickerson, Colin/Staff, Globe: In Germany, Singular remembrances. Artist lays down plaques for victims of Nazis, in: The Boston Globe, vom 13.01.2007. 263 | Recalling The Victims By Name, in: The Philadelphia Inquirer, vom 12.07.2010, S. 2. 264 | Katzmann, Laura/Paulix, Gabriella: Against forgetting. The memorial art of Gunter Demnig, in: ART PAPERS, Nr. 29, vom Nov./Dez. 2005, S. 16-19. 265 | Grieshaber, Kirsten: Nazi victims honoured, one at a time, by artist, in: International Herald Tribune, vom 01.12.2003.

Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung

dische englischsprachige Tageszeitung The Hindu266 und die israelische Tageszeitung The Jerusalem Post267 Notiz von den Stolpersteinen. In dem Geographie- und Wissenschaftsmagazin The National Geographic erhält die Aktion „Stolpersteine“ eine besondere Würdigung: Ein Artikel zum Thema wird 2003 in mehrere Sprachen übersetzt und in verschiedenen Länderausgaben des Magazins veröffentlicht. So erscheint beispielsweise in China, Japan, Israel, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien und in den USA der entsprechende Beitrag.268 Neben der internationalen Presse informiert auch das Internet mit zahlreichen Einträgen über die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig. Darunter fallen die zahlreichen Webseiten örtlicher Stolperstein-Initiativen, die das Projekt und sein Anliegen vorstellen, einen Überblick über bereits verlegte Steine in der eigenen Stadt oder Gemeinde geben, über aktuelle Veranstaltungen bezüglich des Projekts informieren, eine Anleitung zur Recherche der biografischen Daten der NS-Opfer liefern, Literatur zum Thema nennen und Kontaktadressen für weitere Auskünfte und Anfragen nach Patenschaften angeben.269 Die Online-Enzyklopädie Wikipedia führt einen Eintrag zu Gunter Demnig und seinem künstlerischen Schaffen und einen Artikel, der erklärt, was Stolpersteine sind. Beide Artikel sind jeweils in mehrere Sprachen übersetzt.270 Online-Magazine verarbeiten das Thema „Stolpersteine“, indem sie auf das Konzept und die Motivation für die Stolpersteine

266 | Grieshaber, Kirsten: Remembering the faceless, in: The Hindu (Online Edition), vom 01.12.2003. 267 | Vandals Uproot Memorial Plaques For Nazi Victims In Germany, in: The Jerusalem Post, vom 11.11.2012, S.4. 268 | Mairson, Alan: Gravé dans les mémoires. Des plaques pour les victimes de la Shoa, in: National Geographic, Juin 2004, S. 2-4; Ders.: Mahnmale im Gehsteigpflaster, in: National Geographic, Sept. 2003, S. 8-11; Ders.: Passi nella strada. Le victime della Shoah ricordate loro strade, giugno 2004; Ders: Embedded memories. In Germany, Holocaust memorials hit close to homes, in: National Geographic, June 2004. Außerdem erscheint der Artikel übersetzt in Israel, Japan, China, Griechenland. Siehe Aufzeichnung eines Gesprächs mit Gunter Demnig, geführt von der Verfasserin am 25.04.2009. 269 | Vgl. dazu z.B. www.stolpersteine-frankfurt.de [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; www.stolpersteine-giessen.de [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; www.stolpersteine-hamburg.de [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; www.stolpersteine-leipzig.de [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; www. stolpersteine-luebeck.de [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; http://www.stolpersteine-muenchen. de/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; www.stolpersteine-regensburg.de [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; www.stolpersteine-salzburg.at [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; www.stolpersteine-stuttgart.de [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; www.stolpersteine-wuerzburg.de [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 270 | Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Stolpersteine [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; http:// de.wikipedia.org/wiki/Gunter_Demnig [zuletzt eingesehen am 27.09.2015].

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Erinnern und Gedenken im Umgang mit dem Holocaust

eingehen und von Ereignissen berichten, die die jüngste Entwicklung des Projekts markieren.271 Die Stolpersteine sind auch Gegenstand von Diskussionen in Netzgemeinschaften, den so genannten Online-Communities, und Internetforen, die eine Plattform für den Austausch von Eindrücken, Erfahrungen und Bewertungen zwischen verschiedenen Benutzern im Internet bieten.272

2.1.8 Historische Fachdidaktik und Stolpersteine Bei der Thematisierung des Nationalsozialismus im Schulunterricht liegt die besondere Herausforderung darin, den Jugendlichen die Schwere und das Ausmaß der NS-Verbrechen zu vermitteln. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, welcher methodische Ansatz dies am besten zu leisten vermag. Einen interessanten und neuen Weg zur Annäherung an dieses Thema können die Stolpersteine sowohl den Schülerinnen und Schülern als auch den Lehrenden eröffnen. Die Stolpersteine konfrontieren die Schülerinnen und Schüler mit Einzelschicksalen von Personen, die im heutigen Lebensumfeld der Jugendlichen vor über 70 Jahren von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Vor dem Hintergrund der abstrakt anmutend hohen Gesamtzahl der Opfer werden die NS-Verbrechen am Beispiel einer Lebensgeschichte anschaulich gemacht. Auf diese Weise wird für die Jugendlichen ein persönlicherer Zugang zu dieser Zeit geschaffen. Die Auseinandersetzung mit den Schicksalen von Personen jeglichen Alters und jeglicher Herkunft – die, würden sie heute leben, gewöhnliche Nachbarn für die Jugendlichen wären – kann eine Identifikationsfläche liefern und jungen Menschen eine neue Perspektive auf das Vergangene eröffnen, indem sie zum Nachdenken darüber anregt werden, wie die Verbrechen der Nazis durchführbar waren. Diese Wirkung kann sicher auch durch Filme oder Bücher zur NS-Zeit hervorgerufen werden. Die Stolpersteine fordern darüber hinaus jedoch den aktiven Beitrag der Schülerinnen und Schüler in der Auseinandersetzung mit dem Thema, indem sie in die Recherchearbeit für neue Stolpersteine eingebunden werden. Unter pädagogischer Anleitung können die Schüler Archive und Bibliotheken aufsuchen, um sich mit Quellen vertraut zu machen, die Aufschluss über das Leben und die Verfolgung eines Opfers geben. Sie können Interviews mit Überlebenden des NS-Terrors oder Angehörigen der Opfer führen. Auf diese Weise eignen sich die Jugendlichen selbständig Kenntnisse über die Zeit des Nationalsozialismus an und gewinnen Ein271 | Siehe dazu z.B. die elektronische Kulturzeitschrift „parapluie“, die Beiträge über die Stolpersteine veröffentlicht hat: http://parapluie.de/archiv/zeugenschaft/perspektive/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 272 | Siehe z.B. http://www.chroniknet.de/dspl_de.0.html?photo=21863 [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; http://www.qype.com/de300-berlin-kreuzberg/tag/stolpersteine [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; http://www.qype.com/place/69690-Stolpersteine-Essen [zuletzt eingesehen am 27.09.2015].

Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung

drücke, die nachhaltig wirken können. Sie sammeln und spenden Geld für die zu verlegenden Steine, organisieren eine Einweihungsveranstaltung und können bei dieser oder einer anderen Gelegenheit ihre Forschungsergebnisse präsentieren. So hat das Projekt „Stolpersteine“ vielfältige Möglichkeiten zu bieten, das Wissen und die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler zu erweitern. In der praktischen Arbeit mit Jugendlichen in der Schule scheint es, als ob die Stolpersteine als methodischer Ansatz von den Beteiligten gut angenommen werden. Diese Tendenz spiegelt sich allerdings bislang noch nicht in den Beiträgen der relevanten historischen Fachdidaktik wider. Bislang gibt es zu diesem Thema nur vereinzelt Artikel in den entsprechenden Fachzeitschriften. So stellt die Zeitschrift Praxis Geschichte das Stolpersteinprojekt in Leverkusen vor und gibt anhand dieses Beispiels Anregungen und Vorschläge für die Einbeziehung von Stolpersteinen in den Schulunterricht.273 In Geschichte betrifft uns findet sich eine kurze Notiz zur Entwicklung des Projekts und dem Verlegen der Stolpersteine als Vorschlag für die Projektarbeit mit Schülern.274 Der Dokumentationsband zu den Stolpersteinen in Berlin-Friedrichshain und Berlin-Kreuzberg enthält Hinweise zur pädagogischen Begleitung des Stolpersteinprojekts in der Schule.275 Die Zeitschrift Hamburg macht Schule stellt die Stolpersteine als möglichen methodischen Ansatz im Geschichtsunterricht am Beispiel der Projektarbeit einer Hauptschulklasse vor, die dafür mit dem Bertini-Preis ausgezeichnet wird.276 In Buchform wurden zwei Anleitungen für die Stolpersteine als Geschichtsprojekt für Kinder im Grundschulalter277 und Schüler der 10. Klasse278.

273 | Vogdt-Tillmann, Peter: Das „Stolperstein“-Projekt in Leverkusen und anderswo, in: Praxis Geschichte, Heft 6 (16. Jg.), Nov. 2003, S. 48-50. 274 | Gunter Demnig – Stolpersteine, in: Geschichte betrifft uns, Heft 2/2005, S. 24. Bei diesem Artikel fehlte in der entsprechenden Zeitschriftausgabe die Angabe zum Namen des Verfassers. 275 | Ebertowski, Monika: Hinweise zur pädagogischen Begleitung, in: Stolpersteine für die von den Nazis ermordeten Nachbarn aus Friedrichshain und Kreuzberg. Dokumentation, Texte, Materialien, Neue Gesellschaft für bildende Kunst Berlin 2002, S. 74-79. 276 | Lücke-Neumann, Dagmar/Harringer, Jutta: „Wir wollten den Opfern ihren Namen wiedergeben“: Stolpersteine Hauptschulklasse gewinnt Bertini-Preis, in: Hamburg macht Schule. Zeitschrift für Hamburger Lehrkräfte und Elternräte, hrsg. v. der Behörde für Bildung und Sport, Bd.16, Ausg. 5/2004, S.32-34. Der Bertini-Preis wird an junge Menschen verliehen, die sich für ein solidarisches Zusammenleben in Hamburg engagieren. Er unterstützt Projekte, die an vergangenes Unrecht erinnern sowie einen Beitrag gegen Diskriminierung und Gewalt in der Hansestadt leisten. Siehe dazu http:// www.bertini-preis.de/index.php/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 277 | Steinhäuser, Frauke: Stolpersteine – Kindern im Grundschulalter erklärt, Hamburg 2010. 278 | Historischer Verein für Mittelbaden Regionalgruppe Geroldsecker Land (Hg.): Stolpersteine in Lahr: ein Geschichtsprojekt mit Schülerinnen und Schülern der Klasse 10a der Friedrichschule in Lahr Schuljahr 2013/14, Ubstadt-Weiher 2015.

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Erinnern und Gedenken im Umgang mit dem Holocaust

Der Künstler Demnig macht im Umgang mit Schülerinnen und Schülern, denen er das Stolpersteinprojekt vorstellt, sehr positive Erfahrungen: „Anfangs hatte ich befürchtet, das Thema würde die Schüler nicht interessieren; aber das Gegenteil ist der Fall. An vielen Schulen sind Schüler ausländischer Herkunft, und vielleicht war deswegen das Interesse an dem Projekt so groß, weil sie sahen: Damals sind Menschen verfolgt worden, deportiert und umgebracht worden, weil sie ,anders’ waren: Wie konnte das damals passieren? Könnte Fremden in Deutschland heute Ähnliches widerfahren? Sie verstanden auf diese Weise automatisch die Botschaft der Stolpersteine als dezentrales Mahnmal: Solche Verbrechen dürfen nie wieder geschehen.“279

Dies zeigt, dass die Stolpersteine für die Jugendlichen einen wichtigen Anstoß zum Nachdenken über vergangene und gegenwärtige Entwicklungen in Deutschland geben können, indem sie auf Vergangenes rekurrieren und dabei Bezüge zur aktuellen gesellschaftspolitischen Situation herstellen.

2.2 B EISPIEL II: D IE A USSTELLUNG „I N DEN TOD GESCHICKT. D IE D EPORTATIONEN VON J UDEN , R OMA UND S INTI AUS H AMBURG 1940 BIS 1945“ So wie mit den Stolpersteinen ein relativ neuer Typus von Denkmal eingeführt wird, wählen auch die Initiatoren der Ausstellung „In den Tod geschickt. Die Deportationen von Juden, Roma und Sinti aus Hamburg 1940 bis 1945“ ein Konzept, das seiner Form nach bis vor einigen Jahren noch nicht häufig praktiziert worden ist, um die NS-Verbrechen einer heutigen Generation zu vergegenwärtigen. Dabei ist das hervorstechendste Merkmal der Ausstellung eine Kombination aus verschiedenen Arten von Quellen. In ihrer Konzeption, Umsetzung und Wirkung wird die Ausstellung in diesem Kapitel vorgestellt. 7.692 Juden, Roma und Sinti aus Hamburg und Norddeutschland werden zwischen 1940 und 1945 gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, und in Ghettos und Vernichtungslager nach Mittel- und Osteuropa deportiert.280 Zentraler geographischer Ausgangspunkt dieser Deportationen ist damals der Hannoversche Bahnhof in Hamburg. In dem genannten Zeitraum verlassen diesen Ort insgesamt zwanzig Züge in Richtung Osten mit Menschen, von denen die meisten nicht heimkehren sollten.281

279 | Raap: Dezentrales Mahnmal, S. 235. 280 | Apel, Linde: In den Tod geschickt. Die Deportationen von Juden, Roma und Sinti aus Hamburg 1940 bis 1945, Hamburg 2009, S. 9. 281 | Ebd.

Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung

In der Ausstellung, die von der Hamburger Kulturbehörde in Auftrag gegeben wurde, stehen diese Deportationstransporte im Mittelpunkt der Betrachtung. In Zusammenarbeit zwischen der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg kuratiert Dr. Linde Apel, Leiterin der Werkstatt der Erinnerung, die Ausstellung, die im Kunsthaus Hamburg zwischen dem 16. Februar und dem 26. April 2009 gezeigt wird. Sie ist als das Herzstück der Gedenkstätte geplant, die auf dem ehemaligen Gelände des Hannoverschen Bahnhofs in der HafenCity bis 2017 entstehen soll.282 Eröffnet wird die Ausstellung vom damaligen Ersten Bürgermeister der Stadt Hamburg, Ole von Beust, mit den Worten: „Mitten in der heutigen HafenCity verübten die Nationalsozialisten vor mehr als 60 Jahren Gräueltaten. Diesem schrecklichen Teil der Hamburger Geschichte stellen wir uns.“ Von Beust zitiert in seiner Rede den ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker: „Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird anfällig für neue Ansteckungsgefahren.“ Diese Worte hätten an Aktualität nicht verloren, ergänzt der Hamburger Bürgermeister.283 Bereits im Jahr 2004 legt die Forschungsstelle für Zeitgeschichte Ergebnisse zu den Deportationen aus Hamburg vor. Auf der Basis dieser Forschungsstudie entsteht die Ausstellung „In den Tod geschickt“.284 Ausgangspunkt für die Gestaltung der Ausstellung bildet die Tatsache, dass für die Koordination der Transporte so vieler Menschen sowie für ihre praktische Durchführung ein enormer Aufwand an Personal erforderlich gewesen ist. Mitarbeiter von Behörden, Institutionen und Privatunternehmen waren in diese Prozesse involviert, um den reibungslosen Ablauf der Deportationen zu sichern. Die Größe und das Ausmaß dieser Aktionen machten es fast unmöglich, diese von der Öffentlichkeit unbemerkt durchzuführen. Vor diesem Hintergrund werden in der Ausstellung nicht nur die Opfer der Verfolgung abgebildet, sondern auch die Täter und Verantwortlichen wie auch diejenigen, die Zeugen der Vorgänge waren und vielleicht sogar noch von ihnen profitierten.285 So gab es mehr als 100.000 Hamburger, die vom versteigerten Besitz zwangsenteigneter, deportierter Personen einen Vorteil zogen. „Die Versteigerungen fanden zum Teil in den Wohnungen der Opfer statt. Es war klar, dass sie [Nachbarn der Opfer und Personen aus dem weiteren Umfeld, die von den Wohnungsräumungen erfahren hatten] auf ein Schnäppchen hofften. Wir zeigen auch Versteigerungslisten, die wir nicht anonymisiert haben. Wer für zehn Bände Goethe wie viel bezahlt hat, lässt sich da nachlesen“, berichtet die Kuratorin.286 282 | Apel: Konturen einer Ausstellung, S. 67. 283 | Schütte, Gisela: Aus Hamburg in den Tod geschickt. Ausstellung im Kunsthaus erinnert an die Deportation tausender NS-Opfer vom Hannoverschen Bahnhof, in: Die Welt, Nr. 40, vom 17.02.2009, S. 34. 284 | Apel: In den Tod geschickt, S. 7. 285 | Apel: Konturen einer Ausstellung, S. 68. 286 | Siehe Wendler, Lutz: Deportationsbahnhof: Erinnerung an einen vergessenen Hamburger Ort

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Auf diese Weise wird das historische Geschehen unter Berücksichtigung verschiedener Perspektiven umrissen, wobei der Schwerpunkt eindeutig auf der Darstellung der Opfer liegt. Der Ansatz, jedoch mehr als nur eine Sicht auf die zurückliegenden Ereignisse wiederzugeben, sei „unerlässlich“, wie Linde Apel betont, um das damalige Geschehen in seiner Komplexität annähernd zu begreifen.287 Wer waren die Personen, die Unrecht erlitten? Wer waren diejenigen, die es verübten, und diejenigen, die es sahen, geschehen ließen und vielleicht sogar davon profitierten? Für die Dokumentation wird eine Art synoptischer Ansatz gewählt, indem aus jeder der genannten Personengruppen Einzelschicksale herausgegriffen und nebeneinander- bzw. gegenübergestellt werden. Diesem Ansatz bleibt auch der zur Ausstellung entstehende Katalog treu. Er gibt alle in der Ausstellung gezeigten Quellen – mit Ausnahme der dort gezeigten Deportationslisten288 – als Abbildungen mit erläuternden Texten wieder. Videos von Interviews mit Zeitzeugen und Überlebenden der Deportationen sind dem Katalog als DVD beigegeben. Die zentrale Herausforderung bei der Planung der Ausstellung ist auch in diesem Fall wieder die Frage nach der angemessenen Darstellung: Wie können die Deportationen als organisatorisch sowie personell aufwendige und geographisch weit ausgedehnte Aktionen so aufbereitet und dokumentiert werden, dass die Dimension und Schwere der dahinterliegenden Verbrechen einem Ausstellungspublikum vermittelt werden? Die Größenordnung und Komplexität der Geschehnisse machen das sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Vermutlich ist dies grundsätzlich die zentrale Herausforderung bei Projekten dieser Art, die im Zusammenhang mit der Aufbereitung der Verbrechen der Nationalsozialisten für die Öffentlichkeit stehen. Erschwerend kommt im konkreten Fall von „In den Tod geschickt“ hinzu, dass bestimmte Quellen, wie beispielsweise Photographien von den Hamburger Deportationen, die überhaupt einen Eindruck vom damaligen Geschehen hätten geben können, nicht ermittelt werden konnten.289 Trotz dieser eingeschränkten Quellenlage soll in der Präsentation nur sehr begrenzt auf vergleichbare Dokumente aus anderen Städten als stellvertretene „Ikonen der Vernichtung“ zurückgegriffen werden, um die gewissermaßen „charakteristischen Leerstellen dieser Verbrechen“ nicht

Von hier aus gingen die Züge in den Tod. Im Kunsthaus geht es um ein dunkles Kapitel der Hamburger Geschichte. Die Ausstellung ist ein großer Schritt zur Gedenkstätte in der HafenCity, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 40, vom 17.02.2009, S.7. 287 | Apel: Konturen einer Ausstellung, S. 68. 288 | Apel: Konturen einer Ausstellung, S. 77. Die Veröffentlichung der Deportationslisten im Ausstellungskatalog hätte gegen die archivrechtlichen Bestimmungen verstoßen, mit denen bestimmte Schutzfristen verbunden sind. 289 | Apel: Konturen einer Ausstellung, S. 75. Es muss anscheinend solche Aufnahmen geben bzw. gegeben haben, da sich Überlebende erinnern, dass auf den Bahnsteigen des Hannoverschen Bahnhofs gefilmt und photographiert wurde.

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zu verdecken.290 Im Fall der fehlenden Bilder zu den Hamburger Deportationen werden gesondert auf einer dafür vorgesehenen Wand Photos der Deportationen aus anderen Städten gezeigt, die deutlich als solche gekennzeichnet sind. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass diese Bilder irrtümlich für Aufnahmen aus Hamburg gehalten werden. Gleichzeitig wird damit auf die vorhandene Lücke in diesem Kontext hingewiesen und die Rezipienten mit der auf der Wand abgedruckten Aufforderung „Fotos der Deportationen gesucht“ direkt angesprochen und zur Auseinandersetzung mit diesem Sachverhalt angeregt.291 Auch blinde Flecken in der Forschung auf diesem Themenfeld, wie es z.B. die Rolle der Reichsbahn ist, werden in der Ausstellung offengelegt und sollen auf diese Weise einen Anstoß zur Nachforschung geben.292 So fehlen beispielsweise biographische Angaben zu den Hauptverantwortlichen bei der Reichsbahn, wie sie jedoch für Mitarbeiter bei Gestapo, Kripo, Oberfinanzamt und Arbeitsamt recherchiert werden konnten und in der Ausstellung präsentiert werden. Als sichtbare Zeichen innerhalb der Präsentation markieren graue Flächen das Fehlen von Photos und entsprechenden Informationen zu diesen Personen.293 Die Ausstellung ist insbesondere den Juden sowie den Roma und Sinti gewidmet. In dem Bewusstsein, dass es „keine generalisierbare Erfahrung des Holocaust“ gibt, wird in der Dokumentation ihr jeweils spezifisches Verfolgungsschicksal abgebildet und dabei auf die jeweiligen Unterschiede und Gemeinsamkeiten hingewiesen.294 Dabei ist bemerkenswert, dass Roma und Sinti als zwei unterschiedliche ethnische Gruppen – die sicherlich viele Gemeinsamkeiten und eine enge Verwandtschaft aufweisen – hier und generell im Kontext der NS-Geschichte, wie es scheint, oftmals als eine homogene Gruppe angesehen werden. Daneben soll ebenfalls auf die lange und unbeachtet gebliebene Geschichte des Hannoverschen Bahnhofs als Deportationsbahnhof aufmerksam gemacht werden sowie auf das Vorhaben in der Stadt Hamburg, am historischen Ort des Bahnhofs, dem heutigen Lohseplatz, eine neue Gedenkstätte zu errichten.295 Dabei kann der Hannoversche Bahnhof nicht mit letzter Sicherheit auch als Deportationsbahnhof für Sinti und Roma gelten, da eindeutige Belege wie die Deportationslisten der Ju-

290 | Apel: Konturen einer Ausstellung, S.70. 291 | Apel: Konturen einer Ausstellung, S. 75. 292 | Apel: Konturen einer Ausstellung, S. 67. 293 | Ebd. 294 | Apel: Konturen einer Ausstellung, S. 68. 295 | Apel: Konturen einer Ausstellung, S. 67. Die Stadt Hamburg folgt in diesem Vorhaben dem Beispiel anderer deutscher Städte, die bereits ein solches Denkmal im Gedenken an die Deportationen haben. Das im Zusammenhang mit dem geplanten Denkmal entstehende Dokumentationszentrum, das sich den nationalsozialistischen Deportationen mit einer Dauerausstellung widmen soll, wäre bislang aber das erste seiner Art im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus. Seit September

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den in ihren Fällen nicht vorliegen.296 Dies wird in der Ausstellung klar kommuniziert. Die Annahme, dass vom Hannoverschen Bahnhof aus auch Sinti und Roma deportiert wurden, liegt jedoch nahe aufgrund der räumlichen Nähe des Bahnhofs zum Fruchtschuppen als dem Ort, an dem diese Menschen vor ihrem Abtransport interniert wurden.297 Im Zusammenhang mit der geplanten Gedenkstätte am Hannoverschen Bahnhof wird deshalb auch von einer „Deportationstopographie“ auf dem Gelände der heutigen HafenCity gesprochen.298 Unabhängig von der nicht vollständig geklärten Quellenlage zum Deportationsort der Sinti und Roma ist es jedoch das zentrale Anliegen der Ausstellung, ihnen und den Juden mit einer jeweils spezifischen Verfolgungsgeschichte gemeinsam zu gedenken und gleichzeitig auch Informationen über Täter, Zuschauer und Profiteure der damaligen Deportationen bereit zu stellen. Die Ausstellung folgt in ihrem Aufbau einer chronologischen Abfolge der Ereignisse: Zunächst wird der Hannoversche Bahnhof in seiner Geschichte und in seinen wechselnden Funktionen als Personen-, Güter- und schließlich Deportationsbahnhof seit seiner Eröffnung 1872 bis in die Nachkriegszeit hinein umrissen. Es folgt die unmittelbare Vorgeschichte der Deportationen, die mit der Ausgrenzung, Entrechtung und Verfolgung der Juden, Sinti und Roma einsetzt, deren Geschichte als zwei Gruppen jeweils getrennt voneinander anhand markanter historischer Ereignisse und prägnanter Einzelschicksale dargestellt wird. So finden beispielsweise die Nürnberger Gesetze, die Deportationen der polnischen Juden von 1938 und das Schicksal der jüdischen Familie Baruch Erwähnung, deren Mitglieder nacheinander zwischen 1936 und 1939 nach Palästina emigrieren. Die Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma wird beispielsweise verdeutlicht anhand ihrer rassistischen Erfassung ab 1936, der Hamburger Pläne zur Konzentrierung und Abschiebung dieser Minderheit aus der Hansestadt sowie die Erinnerungen an die Ausgrenzung der Familie von Frida Lehing, Tochter eines deutschen Sinto. Im Mittel- bzw. Hauptteil der Ausstellung steht die Dokumentation der zwanzig Deportationszüge, die den Hannoverschen Bahnhof zwischen 1940 und 1945 verließen. Auch hier folgt die Ausstellung der Chronologie: Sie beginnt mit der ersten Deportation nach Belzec am 20. Mai 1940 und endet mit der letzten am 14. Februar 1945 nach Theresienstadt.299 Dabei werden die Deportationen stark aus Sicht der Opfer geschildert, jedoch durch Hinweise auf Täter und Augenzeugen aus der Bevölkerung ergänzt.

2013 markiert ein Info-Pavillon das ehemalige Gelände des Hannoverschen Bahnhofs, in dem u.a. die Geschichte des Ortes und der Entwicklungsprozess des geplanten Gedenkortes dokumentiert ist. 296 | Apel: Konturen einer Ausstellung, S. 68. 297 | Apel: Konturen einer Ausstellung, S. 69. 298 | Ebd. 299 | Apel: Konturen einer Ausstellung, S. 71.

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Eingeschoben in diesen Teil ist die Wannsee-Konferenz, auf der am 20. Januar 1942 die höchsten Vertreter der nationalsozialistischen Regierung und der SSBehörden die „Endlösung der Judenfrage“ besprechen. In der Ausstellung wird dieses Ereignis durch Quellen wie das Protokoll der Konferenz dokumentiert und durch Aussagen von Adolf Eichmann, Leiter des „Judenreferats“ der Gestapo, der 1961 vor Gericht in Israel über die Konferenz befragt wird. Zum Ende der Ausstellung wird auf die Zeit nach der Verfolgung in Hamburg nach 1945 verwiesen. So werden beispielsweise Anzeigen ausgestellt, die emigrierte Angehörige auf der Suche nach Familienmitgliedern und Freunden nach Kriegsende in der deutschjüdischen Exilzeitschrift „Aufbau“ veröffentlichen lassen. Die Wiederentdeckung und Anerkennung der jüdischen Verfolgungsgeschichte in der Hansestadt in den anschließenden Jahrzehnten wird ebenfalls nachgezeichnet. Als Beispiele für diese Entwicklung werden u.a. die Grundsteinlegung der Hamburger Synagoge 1958, die Vorstellung des Gedenkbuches für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1965 und die Einweihung des Joseph-Carlebach-Platzes 1988 in Form von verschiedenen Dokumenten wiedergegeben. Auf ähnliche Weise sind auch wichtige Ereignisse festgehalten, die Aufschluss darüber geben, wie sich Hamburger und Hamburgerinnen nach und nach mit der Verfolgung und Deportation der Sinti und Roma in der eigenen Stadt auseinandersetzen. Die Anbringung einer Gedenktafel am ehemaligen Fruchtschuppen C, dem Sammellager der Roma und Sinti vor den Deportationen, wird genauso thematisiert wie Veranstaltungen der Rom und Cinti Union im Gedenken an die Deportationen ihrer Volksgruppen unter den Nationalsozialisten, die seit 2005 abgehalten werden. Die Ausstellung endet mit einem Ausblick auf die Pläne und Entwürfe für die Gestaltung der Gedenk- und Dokumentationsstätte des Hannoverschen Bahnhofs am heutigen Lohseplatz in der Hamburger HafenCity, die in den nächsten Jahren realisiert werden soll.

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Abbildung 2: Ausstellungsarchitektur, 2009

Quelle: Henning Angerer

Die wesentlichen Raumgestaltungselemente der Ausstellung im Hamburger Kunsthaus sind fünf Wände, die hintereinander, im jeweils gleichen Abstand zueinander fast die komplette Breite des Ausstellungsraumes ausfüllen und dabei untereinander jeweils zu beiden Seiten auf gleicher Höhe abschließen. Durch diese Unterteilung entstehen mehrere voneinander abgetrennte Bereiche, die jedoch durch einen Durchbruch der Wände genau auf der Hälfte ihrer Länge verbunden sind. Der Durchbruch ist seiner Form nach der stilisierte Umriss eines Eisenbahnwaggons im Querschnitt und dient auf diese Weise als Referenz für die Deportationszüge, die den Hannoverschen Bahnhof verließen. Der so entstandene Durchgang legt den Blick auf die Wand am Ende des Raumes frei. Dort ist eine vergrößerte Aufnahme des Hannoverschen Bahnhofs mit einer Collage der Deportationszielorte angebracht. Nicht ganz im Zentrum dieser Abbildung – aber auf der Blickachse des Durchgangs befindlich – ist eine stark vergrößerte Photographie, die eine Gruppe jüdischer Zwangsarbeiter unterschiedlichen Alters im Ghetto Minsk zeigt. Sie stehen in mehreren Reihen neben- und hintereinander, so dass der Betrachter sie im Profil zur rechten Seite gewandt sieht. Nur eine der photographierten Personen – ein Junge, fast noch ein Kind, mit dunklem Haarschopf – blickt im Moment der Aufnahme in Richtung der Kamera und stellt dadurch den direkten Blickkontakt zum Betrachter her.300 300 | Die Photographie ist im Katalog zur Ausstellung zu sehen. Siehe Apel: In den Tod geschickt, S. 126.

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Abbildung 3: Jüdische Zwangsarbeiter im Ghetto Minsk, undatiert

Quelle: Unbekannter Photograph

Auf den fünf Wänden sind in starker Vergrößerung weitere Photographien, Texte und Dokumente zu sehen. Vitrinen mit Originalexponaten sind an ihnen angebracht, Lesemappen liegen aus bzw. sind an entsprechenden Halterungen angehängt. An Stelen vor den Wänden sind Audio- und Videostationen eingelassen, an denen die Besucher mit Kopfhörern und einem Monitor vor sich Interviews bzw. Aussagen von Zeitzeugen sehen und nachhören können. Die einzelnen Objekte sind weder nummeriert noch ist eine bestimmte Laufrichtung durch Pfeile oder Ähnliches vorgegeben.301 Diese Vorgehensweise ist bewusst gewählt und korrespondiert mit der Absicht, dem Besucher nicht eine bestimmte Lesart des vorgestellten Themas vorzugeben, sondern ihm Raum für freie Assoziationen zu lassen und verschiedene Deutungen anzubieten. Diese bewusst gewählte Form der Ausstellung hat auch zu Irritation und Kritik von Seiten der Besucher geführt. So gibt es einen Eintrag im Besucherbuch, in dem dies folgendermaßen kommentiert wird: „Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, dem Besucher eine Richtung vorzugeben? (Wo fängt die Ausstellung an? Wo hört sie auf?)“302 In der Überschaubarkeit der Ausstellung und ihrer klaren Raumaufteilung ist es jedoch kaum möglich, sich 301 | Apel: Konturen einer Ausstellung, S. 71. 302 | Ebd.

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zu verlieren. In ihrem chronologischen Aufbau bietet sie Anhaltspunkte zur Orientierung, wobei die einzelnen Ausstellungsabschnitte jeweils thematisch in sich geschlossen sind. Alle Objekte in der Ausstellung werden gleichberechtigt nebeneinander präsentiert, ob es sich dabei um Photographien, dreidimensionale Gegenstände, Plakate, Zeitungsartikel, Anzeigen, Interviews mit Verfolgten in Form von Audio- und Videodateien, Briefe oder andere Dokumente handelt.303 Anhand der Besucherreaktionen hat sich jedoch abgezeichnet, dass bestimmte Medien ein größeres Interesse hervorrufen als andere.304 Insbesondere jüngere Besucher schenken den Audio-Video-Aufnahmen von überlebenden Opfern der Deportationen eine verstärkte Aufmerksamkeit.305 Diese Zeugnisse waren der Kuratorin der Ausstellung wichtig: Zum einen haben diese Berichte Seltenheitswert, weil es nur wenige überlebende Zeitzeugen gibt, die noch am Leben sind. Zum anderen bieten sie in der Unmittelbarkeit des Selbsterlebten Auskünfte über das kaum Darstellbare: Was bedeutete es, an die Orte der Vernichtung gebracht zu werden, wie wurden diese wahrgenommen und gegebenenfalls überlebt? Ein Beispiel für die Erinnerungen von Zeitzeugen, die mit Hilfe einer Audiodatei nachzuhören sind, soll hier exemplarisch beschrieben werden, um eine bessere Vorstellung von ihnen als Teil der Ausstellung zu bekommen. Im Sommer 1946 wird gegen Kurt Krause ermittelt, der als Leiter der „Zigeunerdienststelle“ in Hamburg für die Durchführung von Deportationen zuständig gewesen ist. Zum Zeitpunkt der Ermittlungen werden drei Sinti zu seiner Person befragt und ihre Aussagen protokolliert. Mirka Rosenberg, Ferdinand Heinrich Bernhard und Zellestine Wiedera, die 1943 bzw. 1944 nach Auschwitz gebracht worden sind, belasten Krause, der nach ihrer Aussage im Sammellager im Fruchtschuppen anwesend gewesen ist und mindestens einen Zug nach Auschwitz auch begleitet hat.306 Mirka Rosenberg wird am 9. März 1943 mit ihren Eltern und fünf Geschwistern auf Anordnung und in Anwesenheit von Krause von mehreren Polizeibeamten aus ihrem Zuhause in Hamburg verhaftet. Die damals 15-Jährige erlebt, wie ihr Bruder Ewald bei der Verhaftung von Krause „mit der Faust“ blutig geschlagen wird.307 Die Familie kommt in das Sammellager C. Die Großmutter, die von ihren Kindern und Enkeln dort Abschied nehmen will, wird nach Aussage von Rosenberg ebenfalls von Krause geschlagen. Der Zug, der sie und ihre Familie nach 303 | Apel: Konturen einer Ausstellung, S. 72. 304 | Ebd. 305 | Ebd. 306 | Apel: In den Tod geschickt, S. 181. 307 | Die an dieser Stelle der Arbeit nacherzählten Berichte von Mirka Rosenberg, Ferdinand Heinrich Bernhard und Zellestine Wiedera sind alle als Audiodatei nachzuhören auf einer DVD, die wie zuvor erwähnt Teil des Ausstellungskataloges ist.

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Auschwitz bringt, wird von ihm persönlich begleitet. Außer ihr und ihrem Bruder Ewald überlebt keiner aus der Familie das KZ. Ferdinand Heinrich Bernhard berichtet, dass am 9. März 1943 „fast sämtliche Mischlinge“ in Hamburg in den Fruchtschuppen gebracht worden seien. Als Leiter dieser Aktion nennt er Krause, der sich bei seinem Vorgehen „rabiat“ gezeigt habe. Später versucht der damals 38-jährige Bernhard, seiner Schwiegermutter Decken und Lebensmittel zum Fruchtschuppen zu bringen. Krause hält ihn anscheinend auf und bedroht ihn mit einer Pistole. „Die sollen verrecken, bevor sie nach Auschwitz kommen. Verschwindet hier, es wird nicht lange dauern, dann kommt ihr auch dahin.“ Das sind Krauses Worte, wie sich der Zeuge erinnert. Nach seinem Bericht protestieren einige Leute aus der Bevölkerung, die mitbekommen, was am Fruchtschuppen passiert. Daraufhin lässt Krause anscheinend das Wachpersonal in Zivil von bewaffneten SS-Beamten in Uniform ablösen und den Platz räumen. Bernhard gelingt es jedoch nach eigener Aussage unbemerkt an den Gleisen beim Zug zu bleiben. Er beobachtet, wie die Luftlöcher in den Wänden der Viehwaggons mit Brettern zugenagelt werden und Stroh auf Befehl von Krause aus den Zügen gekehrt wird. Das Stroh hätten Beamte dort für die Deportierten „aus Mitleid“ verteilt. Über einen älteren Beamten erfährt Bernhard, dass Krause den Zug anscheinend selbst begleitet. Als sich der Zug in Gang setzt, hört er die Deportierten schreien: „Hilfe, wir ersticken. Sie machen uns tot.“ Auf seine Frage und die anderer Angehöriger, was mit ihren Familien in dem Zug passiert und wann sie wiederkommen, erwidert Krause in der Erinnerung des Zeugen: „Ihr könnt Euch von Auschwitz die Asche Eurer Verwandten abholen und Euch damit die Zähne putzen. Es gibt doch keine Zahnpasta mehr.“ Der dritte vertonte Augenzeugenbericht stammt von Zellestine Wiedera. Am 11. März 1943 wird die damals 28-jährige mit ihren vier Kindern von den beiden „Gestapo-Beamten Krause und Ebeling“ verhaftet und zum Fruchtschuppen gebracht. Als sie sich bei Krause erkundigt, warum sie nicht zusammen mit ihren Eltern nach Polen geschickt worden sei, erklärt er ihr, dass sie in Deutschland bleiben müsse, weil ihr Verlobter – der Vater dreier ihrer Kinder – an der Front sei. Da sie zögert und nicht sofort geht, zerrt Krause sie an den Haaren zum Fruchtschuppen, wie sich die Zeugin erinnert. Zwei Tage später wird sie mit ihren Kindern nach Auschwitz deportiert, wo drei ihrer Kinder mit ca. 300 anderen Kindern vergast werden. Sie selbst wird von Auschwitz nach Ravensbrück gebracht und später ins Außenkommando Leipzig verschickt. Ihrem Bericht zufolge gelingt ihr am 15. April 1945 die Flucht in die Freiheit. Nicht immer liegen zu einer Person wie im beschriebenen Fall „Kurt Krause“ oder zu einem bestimmten Ereignis wie der Reichspogromnacht am 9. November 1938 mehrere Zeitzeugenberichte vor.308 Neben weiteren Berichten und Interview308 | Vgl. dazu Erinnerungen Hamburger Juden an die Pogromnacht in Auszügen aus Interviews der Werkstatt der Erinnerung mit Walter Joseph Fraser, Hermann Iversen u. Schlomo Schwarzschild. Apel: In den Tod geschickt, S. 28.

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auszügen über die Deportationen und das Überleben in den Lagern, gibt es auch Tagebucheinträge oder Briefe von NS-Opfern und ihren Angehörigen, die von Sprechern vorgelesen werden. Unter den Interviewten, die über die Deportationen sprechen, ist z.B. Lucille Eichengreen, die als 16-Jährige mit ihrer Mutter und jüngeren Schwester ins Ghetto Lodz verschleppt wird, mehrere Lager überlebt und später mehrere Bücher über ihre Erlebnisse veröffentlicht.309 Auch Salomon Carlebach berichtet über das Schicksal seiner Familie. Er ist das jüngste von insgesamt sechs Kindern, sein Vater Hamburgs Oberrabbiner Dr. Joseph Carlebach. Salomon Carlebach ist der Einzige in der Familie, der Deportation und Lager überlebt.310 Abbildung 4: Hitler in Hamburg, März 1938

Quelle: Joseph Schorer, Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz

309 | Apel: In den Tod geschickt, S. 95. Lucille Eichengreen wandert 1946 in die USA aus. In den 1990er Jahren beginnt sie ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Bis jetzt sind drei Bücher von ihr erschienen, die sie auf Englisch verfasst hat, die jedoch alle ins Deutsche übersetzt und vor der englischen Version veröffentlicht wurden. Siehe Eichengreen, Lucille mit Chamberlain, Harriet: Von Asche zum Leben. Erinnerungen, aus dem Amerikanischen von Ursula Wamser, Hamburg 2009; Eichengreen, Lucille mit Fromer, Rebecca: Rumkowski, der Judenälteste von Lodz. Autobiographischer Bericht, aus dem Amerikanischen von Thomas Betram, Hamburg 2000; Eichengreen, Lucille mit Fromer, Rebecca: Frauen im Holocaust. Erlebnisse, Erinnerungen, Erzähltes, aus dem Amerikanischen von Sascha Feuchert und Claire Annesley, Bremen 2004. 310 | Apel: In den Tod geschickt, S. 110.

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Die Photographien in der Ausstellung haben einen direkten Bezug zu Hamburg, zu den vorgestellten Einzelpersonen oder zu den Deportationsorten. Einerseits werden Bilder gezeigt, die weniger bekannt sind, wie z.B. eine Aufnahme von Hitler im Hamburger Rathaus. Das Bild gibt den Moment wieder, als er sich in das Goldene Buch der Stadt einträgt. Auf diese Weise nehmen die Ausstellungsmacher auch indirekt Stellung zu der weitverbreiteten Wahrnehmung von Hamburg als liberaler Stadt, in der der Senat und die Bürger mehrheitlich eine distanzierte Haltung zum Nationalsozialismus eingenommen haben sollen.311 Andererseits werden auch Bilder gezeigt, die bekannter sind, da sie schon öfter ausgestellt wurden und daher einen Wiedererkennungswert haben. So ist vielen ein Bild vertraut, das am 1. April 1933 aufgenommen wurde und den Boykott eines jüdischen Geschäftes auf der Hamburger Grindelallee dokumentiert. Es zeigt einen jungen Mann der SA, der frontal zur Kamera steht und mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht einen Stab mit Schild hält, das die Aufschrift „Deutsche kauft nicht bei Juden“ trägt. Die Glasfront zu seiner Rechten ist das Schaufenster zum Eiergeschäft von Eisek Getzler, wie spätere Recherchen ergeben haben. Er flieht mit seiner Frau noch im selben Jahr nach Palästina.312

311 | Apel: Konturen einer Ausstellung, S. 23. Auf dieses „Image“ wird im anschließenden Kapitel eingegangen, in dem auch die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in der Hansestadt thematisiert wird. 312 | Ebd.

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Abbildung 5: Boykottposten vor einem Geschäft im Grindelviertel, April 1933

Quelle: Joseph Schorer, Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz

Neben dem Schildträger steht dicht zu seiner linken Seite ein weiterer SA-Mann in voller Uniform, der im Moment der Aufnahme etwas zu sagen scheint. Vielleicht ist es ein Ausspruch, der das Lächeln beim Schildträger hervorruft. Mit seiner Körperhaltung und seinem Blick ist dieser jedoch ganz der Kamera zugewandt. Hinter den beiden befindet sich ein weiterer Mann, der im Profil zu sehen ist. Sein Körper ist weitgehend durch die beiden beschriebenen Personen im Bildvordergrund verdeckt. Lediglich der Kopf des Mannes mit Uniformmütze ist zu erkennen. Auf ungefährer Höhe dieser Gruppe stehen zwei junge Mädchen von vielleicht 12 oder 13 Jahren, die ebenfalls in die Richtung der photographierenden Person schauen. Im Hintergrund beobachtet in einiger Distanz ein Mann mit Hut und Mantel das Geschehen vor dem Laden. Vor ihm steht ein Kinderwagen. Am rechten Bildrand ist leicht unscharf, der Arm und die Schulter eines vorbeigehenden Passanten zu erkennen. Die Momentaufnahme bildet die Personen ab, die einen Boykott oder Pogrom durchführen bzw. ermöglichen. Es sind die agierenden Personen, und es

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sind die Zuschauer und Passanten, die nicht in das Geschehen eingreifen, es unkommentiert lassen oder ihm sogar mit Gesten zustimmen. Da die Ausstellung auch diese Personen abbilden will, sind Aufnahmen wie diese besonders wertvoll. Wie die Besucher auf die Ausstellung reagieren, zeigen einige schriftliche Kommentare, die im Besucherbuch hinterlassen werden. Es sind Hinweise auf teilweise sehr persönliche Bezüge zum Thema, obwohl die Deportationen zum Zeitpunkt der Ausstellung 2009 mehr als 60 Jahre zurückliegen. So schreibt jemand: „Recha Lübke war meiner Mutter eine gute Lehrerin. Sie wurde nach Theresienstadt deportiert.“313 Ein anderer verfasst folgende Notiz: „Es ist schon beklemmend, nach 65 Jahren die eigene Familie in den Dokumenten wiederzufinden.“ Die Eltern des Besuchers waren getrennt worden. Die Mutter war nach Theresienstadt, der Vater nach Auschwitz gebracht worden.314 An Kommentaren und Einträgen wie diesen wird deutlich, dass die Deportationen anscheinend noch keiner abgeschlossenen Vergangenheit angehören und Teil einer persönlichen bzw. familiären Erfahrung sind. Auf ein extrem positives Echo von Seiten der Besucher stößt die Präsentation der vollständigen Deportationslisten innerhalb der Ausstellung, deren Zugang das Staatsarchiv Hamburg ermöglicht. Namen, Geburtsdaten und letzte Wohnadressen der Deportierten sind darin angegeben. Viele Besucher sitzen an den Tischen, auf denen die Listen ausliegen und machen sich Notizen. Darunter sind Menschen, die nach Angehörigen und Freunden suchen, aber z.B. auch Personen, die die biographischen Daten für die Verlegung von Stolpersteinen in Hamburg recherchieren.315 Auf diese Weise wird die Ausstellung in den Worten der Kuratorin „unversehens zu einem Lern-und Gedenkort“.316 Wie wichtig es anscheinend für die Besucher gewesen ist, diese Dokumente einsehen zu können, zeigt das rege Interesse an den Dokumenten und die Tatsache, dass ihr Fehlen im Katalog zur Ausstellung moniert wird.317 Die Dokumente sind aus Sicht der Kuratorin besonders aussagekräftig im Hinblick auf die Intention der Ausstellung, das Geschehen in der Verschränkung von Täter-, Opfer- und Zuschauerperspektive abzubilden: Als scheinbar harmlose Quellen bürokratischen Handelns in der Auflistung von Namen und anderen Daten zeigen sie, wie akribisch genau unter Mithilfe vieler Beteiligter die Maschinerie des Todes ablief: „Deportationen waren nicht auf Exzess-Taten weniger fanatischer Mörder zurückzuführen. Sie stellen ein arbeitsteilig organisiertes Staatsverbrechen dar, an dem eine Vielzahl unauffälliger Beamter mitwirkte. Ordnungspolizisten, Finanzbeamte, Gerichtsvollzieher und Versteigerer zum Beispiel.“, so fasste es Dr. Apel zusammen. 318 313 | Apel: Konturen einer Ausstellung, S. 75. 314 | Ebd. 315 | Apel: Konturen einer Ausstellung, S. 77. 316 | Ebd. 317 | Ebd. 318 | Zit. n. Herrndorf, Ursula: Kunsthaus: Eine Ausstellung erinnert an die Deportation von Juden, Sinti und Roma. Die Gesichter der Opfer und Täter, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 283, vom 02.12.2008, S. 17.

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2013 wird die Ausstellung anlässlich des 34. Evangelischen Kirchentages noch einmal zwischen dem 30. April und dem 16. Mai in einem Info-Pavillon auf dem Gelände des ehemaligen Hannoverschen Bahnhofs in der heutigen HafenCity gezeigt, wo sie nach der Errichtung der Gedenkstätte als Teil des dort entstehenden Informations- und Dokumentationszentrums dann dauerhaft zu sehen ist.319

2.3 Z WISCHENFAZIT II: A NWENDUNG DER THEORIEN VON A SSMANN , N ORA UND F RIED AUF DIE STOLPERSTEINE UND DIE A USSTELLUNG Der Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit liegt in der Untersuchung der theoretischen und praktischen Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung, um in einem ersten Schritt der Frage nachzugehen, wie eine Konzeption von Geschichte aussehen könnte, die auf Erinnerung beruht. Das wesentliche Charakteristikum eines solchen Geschichtsbildes besteht in der subjektiven Wahrnehmung und Deutung des Vergangenen durch das Individuum, das in den Vordergrund der historischen Betrachtung gerät. Die drei vorgestellten Theorien von Assmann, Nora und Fried tragen diesem Aspekt auf verschiedene Weise Rechnung. Ob sie sich an Beispielen des praktischen Umgangs mit Erinnerung bewähren und einen wirklichen Erkenntnisgewinn liefern, soll nun in ihrer Anwendung auf die Stolpersteine und die Ausstellung „In den Tod geschickt“ überprüft werden. Inwieweit bestehen Bezüge zwischen Theorie und Praxis in diesem Zusammenhang? Dieser Frage wird nun im Folgenden nachgegangen, um die Leistungsfähigkeit der drei Konzepte zu prüfen und sie in ihrer Bedeutung für die Geschichtswissenschaft zu erfassen. Die begriffliche Trennung von „kommunikativem Gedächtnis“ und „kulturellem Gedächtnis“ geht im Wesentlichen aus ihren unterschiedlichen zeitlichen Bezugsrahmen hervor, die jeweils durch unterschiedliche Inhalte, Medien, Träger und Formen vermittelt werden. Der Begriff „kommunikatives Gedächtnis“ wird auf die persönlichen Erfahrungen der rezenten Vergangenheit bezogen, die als Teil alltäglicher Kommunikation zwischen Mitgliedern eines sozialen Verbundes ausgetauscht werden. Der Begriff „kulturelles Gedächtnis“ repräsentiert dagegen das kulturelle Erbe einer Gesellschaft, das auf eine entfernte, abgeschlossene Vergangenheit in Symbolen verweist und durch spezialisierte Träger in ritualisierter Form vermittelt wird. Wie lassen sich die Stolpersteine und die Ausstellung „In den Tod geschickt“ in dieses System einordnen? Als ein Denkmal, das symbolhaft auf die Opfer der NS-Verbrechen verweist und im Gedenken der Opfer bestimmten Riten verpflichtet ist, könnten die Stolpersteine dem kulturellen Gedächtnis zugeordnet werden. Andererseits beziehen 319 | Siehe dazu: http://www.hamburg.de/kulturbehoerde/3940492/lohseplatz-ausstellung/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015].

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sich die Stolpersteine auf historische Ereignisse, die nur etwas mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema in der Öffentlichkeit ist immer noch aktuell, so dass auch die Stolpersteine als ein relativ neues erinnerungspolitisches und künstlerisches Phänomen diskutiert werden. Als Thema und Gegenstand sind die Stolpersteine Teil sozialer Interaktion und könnten demnach prinzipiell auch dem kommunikativen Gedächtnis zugewiesen werden. In ganz ähnlicher Weise verhält es sich mit der Ausstellung „In den Tod geschickt“. Inhaltlich bezieht sie sich auf ein längst vergangenes Geschehen, indem sie über die Transporte von Hamburger Juden, Sinti und Roma in die Ghettos und Konzentrationslager in Osteuropa vor über 70 Jahren informiert. Die Ausstellung scheint jedoch mehr als nur ein Ort der Information und Dokumentation zu sein, wenngleich diese Seite allein durch den Charakter der Veranstaltung sicherlich im Vordergrund steht. In der Auseinandersetzung mit dem Thema schwingt jedoch gleichzeitig eine Form des Gedenkens der Geschehnisse von damals mit. Besonders deutlich wird das anhand der Tatsache, dass die Ausstellung als Teil der späteren Gedenkstätte auf dem ehemaligen Gelände des Hannoverschen Bahnhofs in der Hamburger HafenCity geplant ist. Sicherlich ist die Verschränkung von Information und Gedenken kein spezifisches Phänomen von „In den Tod geschickt“, sondern tritt häufig in der Vermittlung geschichtlicher Zusammenhänge auf, die trotz ihrer zeitlichen Distanz anscheinend eine starke Wirkung auf die Gegenwart ausüben. Insofern wird auch an diesem Beispiel deutlich, dass die Aufarbeitung des Themas „Deportation“ noch nicht vollkommen abgeschlossen ist. Es ist präsent in unserem Alltag und findet Ausdruck in einer Ausstellung wie dieser, in der Besucher die Namen von Angehörigen in Deportationslisten suchen und zum Nachdenken über die damaligen zeitlichen Umstände angeregt werden. Auf diese Weise wird deutlich, dass auch „In den Tod geschickt“ Anteile von beiden Assmann’schen Gedächtnistypen, dem kommunikativen als auch dem kulturellen, hat. In seiner Theorie grenzt Assmann beide Gedächtnismodi deutlich voneinander ab. Er setzt sie in ein „polares Verhältnis“ zueinander, das auf der Unterscheidung von Inhalt, Form, Medien, Zeitstruktur und Trägern beruht. Seine Begriffsexplikation scheint jedoch nicht die nötige Trennschärfe zu besitzen, um „kommunikatives Gedächtnis“ und „kulturelles Gedächtnis“ deutlich voneinander abzusetzen, da eine eindeutige Zuordnung des Phänomens „Stolpersteine“ und der Ausstellung zu einem der beiden Gedächtnistypen schwerfällt. Beide Beispiele zeigen, dass es vielmehr Überschneidungen zwischen beiden Spielarten des kollektiven Gedächtnisses geben kann. So können sie anscheinend zeitlich parallel bestehen und sich inhaltlich auf einen identischen Gegenstand beziehen. Vor diesem Hintergrund markieren die Stolpersteine und die Ausstellung vielleicht einen Übergang zwischen beiden Gedächtnistypen. Schließlich scheint es keinen Inhalt im kulturellen Gedächtnis zu geben, der nicht vorher Teil des kommunikativen Gedächtnisses war. Assmann versäumt es jedoch, in seiner Theorie die Verbin-

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dung zwischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis aufzuzeigen und den Übergangsprozess zwischen beiden zu beleuchten. Die Einführung der begrifflichen Differenzierung von „kommunikativem Gedächtnis“ und „kulturellem Gedächtnis“ wird Assmanns Anspruch nicht gerecht, mit seiner Theorie ein eindeutiges Klassifikationsschema zu liefern. Indem sich die Stolpersteine und „In den Tod geschickt“ nicht einwandfrei einem der beiden Gedächtnismodi zuordnen lassen, nimmt der explanative Wert der Assmann’schen Terminologie und Systematik ab, und es stellt sich die Frage, was seine Theorie überhaupt erklärt. Mit der begrifflichen Unterscheidung zwischen „kommunikativem Gedächtnis“ und „kulturellem Gedächtnis“ als den zwei Modi des „kollektiven Gedächtnisses“ macht er auf die unterschiedlichen Formen und Funktionen aufmerksam, die Erinnerungen im kollektiven Kontext annehmen können. Daraus wird deutlich, dass zwischen Kommunikation und Kultur ein Zusammenhang besteht, der in der Wechselwirkung beider Phänomene jedoch nicht von Assmann erläutert wird. Das mag freilich auch daran liegen, dass diese sozialen Prozesse zu diffus sind, als dass sie überhaupt angemessen schematisch darstellbar wären. Nora geht in seiner Theorie davon aus, dass traditionelle Gedächtnisformen durch eine Verräumlichung des Gedächtnisses abgelöst werden. Seine zentrale These lautet, dass Gedächtnisorte als gemeinsame Symbole eines sozialen Gefüges konstitutiv für dessen Identität und Geschichtsbild sind. Aus diesem Grund sollen die Gedächtnisorte in den Fokus der historischen Untersuchung rücken. Ob die Verräumlichung von kollektiven Erinnerungen tatsächlich erst in der Moderne als Phänomen auftaucht, wie Nora behauptet, ist fraglich. So ist die Akropolis in Athen als Bauwerk, das die Macht und den damit verbundenen Reichtum Athens als Vormacht des attischen Seebundes im 5. Jahrhundert v.Chr. zwischen den Perserkriegen und dem Peloponnesischen Krieg demonstrieren sollte, zum Symbol für die politische und kulturelle Blütezeit des antiken Athens geworden. In der Archäologie ist der Aspekt der Verräumlichung für die Untersuchung des Vergangenen fundamental. Funde archäologischer Ausgrabungen am historischen Ort wie z.B. die Freilegung der Stadtanlage von Babylon werden in althistorische Studien mit eingebunden. In Hinblick auf die Definition des Begriffes „Gedächtnisort“ wird des Öfteren kritisiert, dass dieser zu weit gefasst sei. Vielleicht ist die Abgrenzung dieses Begriffes deshalb so unscharf, weil vielmehr der rituelle Umgang mit dem Ort von entscheidender Bedeutung dafür ist, dass überhaupt von einem Gedächtnisort gesprochen werden kann. Eine Akzentverschiebung von der Beschaffenheit des Ortes auf den Ritus, die Nora in diesem Zusammenhang jedoch nicht vornimmt, wäre m.E. zur Begriffsklärung und Verdeutlichung des Phänomens „Gedächtnisort“ sehr hilfreich. Wenn seinem Vorschlag Folge geleistet würde und der Untersuchungsgegenstand der Geschichtswissenschaft tatsächlich auf die Gedächtnisorte verlagert würde, bedeutete dies eine stärker soziologische Ausrichtung historischer Untersuchungen. Denn in diesem Zusammenhang sind die sozialen Mechanismen

Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung

von Bedeutung, die dazu führen, dass ein Ort den Status eines Gedächtnisortes für eine Gemeinschaft einnimmt. Als ein Denkmal, das materiell vorliegt, symbolisch Bezug auf die NS-Vergangenheit nimmt und die Funktion erfüllt, der NS-Opfer zu gedenken und vor einer Wiederholung der Geschichte zu warnen, entsprechen die Stolpersteine Noras Kriterien für Gedächtnisorte. In diesem Sinne erfüllt auch die Ausstellung „In den Tod geschickt“ die drei Merkmale. Inwiefern nun seine Kernthese, Gedächtnisorte seien konstitutiv für das Selbstverständnis und das Geschichtsbild einer Gesellschaft, tatsächlich zutrifft, kann anhand von zwei Beispielen weder belegt noch widerlegt werden. Das Profil seiner zentralen These ist nicht besonders scharf gefasst, so dass sie wenig Aussagekraft besitzt. Ob die Stolpersteine und die Ausstellung Gedächtnisorte sind oder nicht, ist im Hinblick auf die genannte These nicht sehr aufschlussreich. Die Untersuchung würde interessanter, wenn davon ausgegangen werden könnte, dass Nora mit seiner Annahme, dass bestimmte Orte für das Selbst- und Geschichtsbild einer Gemeinschaft bestimmend sind, Recht hat. Schließlich spricht einiges dafür. Im Kontext der nationalsozialistischen Vergangenheit scheinen z.B. Orte wie die ehemaligen Konzentrationslager unsere Sichtweise auf das Vergangene zu prägen. Wenn wir sie heute nicht als Zeugnisse eines historischen Geschehens hätten, die uns einen Eindruck davon vermitteln, wie es gewesen sein muss, dort als Gefangener zu leben, hätten wir vermutlich ein anderes Bild der geschichtlichen Ereignisse. Einmal angenommen, dass Noras Kernthese zutreffend ist, dann könnte die Frage von weiterführendem Interesse sein, wie die Stolpersteine und die Ausstellung „In den Tod geschickt“ unseren Blick auf das Vergangene verändern. Die Stolpersteine ermöglichen ein individuelles Gedenken in dem Sinne, dass mit jedem Stein auf das Schicksal eines einzelnen Menschen hingewiesen wird, der ein Opfer nationalsozialistischer Verfolgung wurde. In Anbetracht der hohen, abstrakten Gesamtzahl der NS-Opfer schaffen die Stolpersteine einen Zugang zu den Geschehnissen, in dem die Verbrechen am Beispiel eines einzelnen Opferschicksals konkretisiert werden. Einen ähnlichen Ansatz wählt auch „In den Tod geschickt“ durch eine Auswahl von Augenzeugenberichten, die als Video- und Audiodateien in der Ausstellung zugänglich gemacht werden. Diese individualisierte Sicht auf das Vergangene bekommt dort jedoch ein Gegengewicht durch die Zusammenstellung geschichtlicher Fakten in Form von Dokumenten wie historischen Zeitungsartikeln, Photographien, Listen und Statistiken. Durch die Annäherung an die persönliche „Geschichte“ eines Menschen in beiden Fällen wird die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit konkreter und möglicherweise der Zugang zum Thema in dem Sinne erleichtert, dass das Geschehen im Abgleich mit einer persönlichen Lebensgeschichte greifbarer wird. So haben die Stolpersteine vielleicht sogar den Charakter eines Appells, den NS-Verbrechen zu begegnen und sich dabei die Auswirkungen der damaligen Geschehnisse aus individueller Sicht zu verdeutlichen. In der Ausstellung scheint dies, we-

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niger ein Appell als ein Angebot der Annäherung zu einem, wenn nicht besseren, so doch anderen Verständnis der damaligen geschichtlichen Zusammenhänge zu sein. Vor diesem Hintergrund und der Frage, wie Gedächtnisorte die Sicht auf das Vergangene prägen und verändern, kann Noras Ansatz aufschlussreich und gewinnbringend sein. In Frieds Konzept wird der Schwerpunkt auf die Erörterung von Erinnerungsprozessen des individuellen Gedächtnisses auf neurophysiologischer Basis gesetzt, während die Stolpersteine und die Ausstellung eine Form des Gedenkens auf kollektiver Ebene vor dem Hintergrund sozialer Prozesse darstellen. Trotzdem könnte natürlich in diesem Zusammenhang gefragt werden, woher die in der Ausstellung und bei den Stolpersteinen aufbereiteten Informationen denn kommen. Inwieweit sind sie nicht doch durch individuelle Erinnerungen vermittelt? Gerade dies wird ja auch anhand der recherchierten Lebensgeschichten und Erinnerungen einzelner Überlebender der NS-Verbrechen und ihrer Angehöriger deutlich, die Ausgangspunkt für die Verlegung eines Stolpersteines sein können, und anhand der Zeitzeugenberichte in Brief-, Tagebuch- oder Interviewform, die in der Ausstellung aufbereitet werden. Im vorangegangenen Kapitel wurden die Erinnerungsberichte dreier Zeitzeugen wiedergegeben, die den Leiter der „Zigeunerdienststelle“ in Hamburg, Kurt Krause, schwer belasten. Über diese Quellen sollte Frieds Theorie uns Auskunft geben können. Auf diese Weise sollte sich auch zeigen, wie aussagekräftig sein Ansatz ist und ob er mehr als andere leistet. Fried geht grundsätzlich davon aus, dass alle Erinnerungen einer Verformung durch bestimmte Faktoren unterliegen. Diese Faktoren können erstens neurophysiologischer Natur sein im Hinblick darauf, wie das menschliche Gedächtnis arbeitet (primäre Verformungsfaktoren). Zweitens können sie psychologischer Natur sein in Bezug auf ein bestimmtes Interesse, das verfolgt wird, aber auch literarischer Art im Hinblick darauf, wie etwas erzählt wird, oder sozialer Natur wie die Einwirkung eines bestimmten Diskurses (sekundäre Verformungsfaktoren). Einer oder mehrere Verformungsfaktoren können dabei natürlich auch immer bei der Erinnerung eines bestimmten Geschehens zusammenkommen und sich überlagern. Es braucht deshalb neben der zeithistorischen und gesellschaftlichen Einordnung der Quelle, neben Informationen über den Autor und dem Wissen um den zeitlichen Abstand von Erlebtem und Berichtetem immer Vergleichsquellen, um den Wahrheitsgehalt einer entsprechenden Quelle einschätzen zu können, wie Fried schreibt. Im vorliegenden Fall „Kurt Krause“ haben wir drei Zeitzeugenberichte. Darüberhinaus gibt es kaum Informationen über seine Person, die zusätzlich herangezogen werden könnten. Das ist eine relativ spärliche Quellenlage, wie sie aber im Kontext von historischer Forschung sicherlich nicht selten auftritt. Auch die Informationen über die Zeitzeugen selbst fallen eher karg aus. Wir wissen, dass

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sie Sinti sind, und kennen ihr Alter. Über ihre familiären Konstellationen geht ein wenig aus ihren Angaben hervor. Der historische bzw. gesellschaftliche Kontext ist als bekannt vorauszusetzen so wie wir in Kenntnis darüber sind, dass jeweils ungefähr drei Jahre zwischen den Erlebnissen und ihren Bericht liegen. Aus dem Vergleich der drei vorgestellten Quellen geht hervor, dass alle drei Zeitzeugen einen Mann namens Kurt Krause beschuldigen, an den Deportation von Sinti und Roma aus Hamburg beteiligt gewesen zu sein und das in einer leitenden Funktion. Alle drei haben einen Mann mit diesem Namen im Zusammenhang mit den Deportationen erlebt. Woher können wir aber wissen, dass alle dieselbe Person meinen? Das einzige Charakteristikum in der Personenbeschreibung von Krause, das aus den drei Quellen hervorgeht, ist die Brutalität dieses Mannes, die sich unterschiedlich ausdrückt: Gegenüber dem Bruder von Mirka Rosenberg, der damals vielleicht nicht viel älter oder jünger als seine 15-jährige Schwester ist, wird er handgreiflich. Das passiert ihm auch gegenüber der Großmutter der Familie, wie aus den Erinnerungen der Zeugin hervorgeht. Auch im Erinnerungsbericht von Ferdinand Heinrich Bernhard klingt an, dass der Mann, den er Krause nennt, brutal wirkt – in seinen Äußerungen und Handlungen. Dies bestätigt sich auch im Fall von Zellestine Wiedera, die er, so ein Vorwurf, an den Haaren zum Schuppen zurückzerrt. Darüberhinaus haben wir außer dem Namen keine weiteren Anhaltspunkte – z.B. in der Beschreibung äußerer Personenmerkmale – ob es sich wirklich um ein und dieselbe Person handelt. Das könnte so sein, muss es aber nicht, falls beispielsweise eine Verwechslung vorliegt und nicht in allen Fällen der echte Kurt Krause den Augenzeugen gegenübersteht. Zugegebenermaßen ist das ein sehr konstruierter Fall, der aber eines zeigt: Was seine eindeutige Identifikation angeht, können wir anhand der vorliegenden Quellenlage nicht hundertprozentig sicher sein. Alle drei Zeugen haben leidvolle Erfahrungen durch Kurt Krause machen müssen. Nehmen wir nur einmal hypothetisch an, dass ein Gerichtsverfahren angestrengt worden wäre, bei dem Krause auf der Anklagebank gesessen hätte (ein solches scheint ja tatsächlich nach dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden zu haben, zumindest sprechen die drei Zeugenberichte dafür, die im Zuge von Ermittlungen 1946 gesammelt werden). In einem solchen Gerichtsverfahren hätte der Anwalt des Angeklagten Zeugen geladen, die seinen Mandanten bestmöglich gegenüber den Aussagen der drei Augenzeugen Rosenberg, Bernhard und Wiedera entlasten, d.h. er hätte Personen in den Zeugenstand gerufen, die ein positiveres Bild von dem Angeklagten zeichnen, weil sie ihn z.B. als Wohltäter erlebt haben. Auch dieser Fall ist nur konstruiert, aber er zeigt, wie, zumindest was die Charakterisierung der Person anbelangt, auf einmal Aussage gegen Aussage stehen kann. Zudem müssten sich alle Zeugen (auch die fiktiven) die Unterstellung gefallen lassen, vielleicht in ihrem Zeugnis von einem gewissen Interesse geleitet zu sein: Diejenigen, die Positives durch Krause erlebt haben, müssten sich unterstellen lassen, ihn schützen zu wollen, und diejenigen, die Schlechtes durch ihn erfahren haben,

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müssten sich den Vorwurf gefallen lassen, sich vielleicht an ihm rächen zu wollen. Fried würde dieses Interesse als sekundären Verformungsfaktor beschreiben. 1946 werden die Berichte der drei Zeugen schriftlich protokolliert. Zu diesem Zeitpunkt liegen die von ihnen beschriebenen Ereignisse ungefähr drei Jahre zurück. Am 9. und am 11. März 1943 finden die Verhaftungen statt. Alle sprechen vom Fruchtschuppen bzw. dem Sammellager C, zu dem sie gebracht werden bzw. ihre Angehörigen. Die Berichte sind relativ kurz und konzentrieren sich auf einzelne markante Eindrücke, die auf erschütternde Weise einprägsam wirken. Dabei fällt der Bericht von Bernhard etwas ausführlicher und detaillierter aus. Es entsteht jedoch der Eindruck, dass die Zeitebenen in seinem Bericht, der sonst chronologisch gehalten ist, an einigen Stellen durcheinander geraten. So beschreibt er, wie sich der Deportationszug in Gang setzt und schließt dann mit der Frage an Krause an, was mit den Leuten im Zug passieren würde. Dabei hat der Zeuge zuvor berichtet, dass er von einer dritten Person erfahren habe, dass Krause selbst den Zug begleiten würde. Hier scheint es also einen Sprung in seinem Bericht zu geben, der den zeitlichen Ablauf der Geschehnisse etwas durcheinander zu bringen scheint. Der dritte Bericht von Wiedera erweckt den Eindruck, als ob vielleicht einige Informationen ausgespart werden. Die Mutter spricht anfangs von vier Kindern, von denen drei ermordet werden. Der Verbleib des vierten Kindes bleibt offen. Die Kräfte, die hier wirken, scheinen der Operationsweise des Gedächtnisses selbst geschuldet zu sein, so dass Fried sie den primären Verformungsfaktoren zuordnen würde. Was ist aber nun durch die Kenntnis von primären und sekundären Verformungsfaktoren gewonnen? Der Eindruck drängt sich auf, dass Fried mit seiner Theorie eigentlich nichts anderes macht als eine herkömmliche historische Quellenkritik zu verfolgen. Dabei muss Fried zugute gehalten werden, dass er in Bezug auf die Auswertungen von sekundären Verformungsfaktoren auch nicht behauptet, etwas anderes zu machen als in der gängigen Praxis der historischen Quellenarbeit geschieht.320 Die Einbeziehung primärer Verformungsfaktoren dagegen sei bei der Untersuchung eine Neuerung, die so bis jetzt noch nicht von Historikern berücksichtigt worden sei. Ist das wirklich so? Fried behauptet, dass die Einbeziehung der kognitiven Neurowissenschaften in ihren Kenntnissen über die Operationsweise des menschlichen Gedächtnisses unverzichtbar für die Geschichtswissenschaft bei der Analyse von historischen Quellen seien. Tatsächlich besteht aber keine unmittelbare Verbindung zwischen den entsprechenden neurowissenschaftlichen Befunden und der historischen Quelle als erzählendem Text. Eine Information in Form eines Reizes wird als elektrischer Impuls in einer bestimmten Nervenbahn weitergeleitet und als neuronales Muster im Gehirn gespeichert. Sobald auf diesen Reiz assoziativ Bezug genommen wird, wird das entsprechende Muster abgerufen. Der beschriebene Prozess doku320 | Fried: Schleier der Erinnerung, S. 54.

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mentiert nach aktuellem Kenntnisstand, wie eine bestimmte Information im Gehirn verarbeitet und abgerufen wird, nicht was diese exakt enthält. Das bedeutet, dass es auf der Ebene der biochemischen und elektrophysiologischen Vorgänge im Gehirn eines Sprechers keine eindeutige Entsprechung für den Inhalt seiner Äußerung gibt. So wird sich ein Erlebnis wie z.B. die Führerscheinprüfung nicht in einer dafür spezifischen Gehirnaktivität übersetzen lassen. Die Operationen des Gehirns sind in diesem Zusammenhang vielleicht mit der syntaktischen Ebene von Informationsketten bzw. Erinnerungen vergleichbar. Sie können nicht auf einer paradigmatischen Ebene, d.h. in ihrem spezifischen Inhalt, im Verhältnis eins zu eins abgebildet werden. Die Auswirkungen dieses Befundes sind für Frieds Ansatz einer neurokulturellen Theorie insofern nicht problematisch, als dass er nicht beansprucht, historische Quellen als Substrat vergangener Kommunikation in neuronale Aktivitätsmuster im Gehirn direkt überführen zu können. Frieds Vorhaben besteht vielmehr darin, die Deformationsprozesse von Erinnerung, von denen er glaubt, dass die Forschung sie irgendwann vollständig auf neuronaler Basis beschreiben kann, in einer Typologie von entsprechenden Verformungsfaktoren festzuhalten. Mit Hilfe dieser Typologie soll eine angemessene Bewertung von historischen Quellen ermöglicht werden, indem nicht die Faktizität der überlieferten Informationen überprüft, sondern die komplex verformte Erinnerung „auf eine ursprüngliche Wahrnehmung und wirkliche Sachverhalte“321 zurückgeführt wird. Der Nutzen eines vollständigen Wissens über Erinnerung und ihre Verformung in diesem Zusammenhang ist vielleicht mit dem psychiatrischen Wissen über psychische Defekte vergleichbar, das Historiker in Fällen einbeziehen, bei denen aus der Gesamtheit aller überlieferten Informationen hervorgeht, dass der Geisteszustand eines Chronisten nach heutigem Kenntnisstand pathologische Züge trägt. So werden Informationen aus den Tagebuchaufzeichnungen Ludwigs II. beispielsweise unter Einbezug der gesamten ihn betreffenden Quellenlage dahingehend gedeutet, dass sein Verhalten die Auffälligkeiten einer psychischen Störung trug. Es kann jedoch fraglich erscheinen, ob dieses psychiatrische Wissen in allen Fällen zur Bewertung einer Quelle einfließen kann oder nur in solchen, in denen Hinweise auf eine Form von Geisteskrankheit vorliegen. Dies gilt gleichermaßen für das Wissen über die Verformungsfaktoren von Erinnerung: Kann dieses Wissen in allen Fällen in die Untersuchung einer Quelle einbezogen werden? Oder kann es nur in solchen Fällen Berücksichtigung finden, in denen es Indizien dafür gibt, dass Deformierungsprozesse stattgefunden haben? Der Verdacht liegt nahe, dass Frieds Gedächtniskritik nur in den letztgenannten Fällen, in denen es einen entsprechenden Bezugspunkt gibt, praktisch anwendbar ist. Dieses Argument ist zugegebenermaßen nicht besonders stark, da Fried ja davon ausgeht, dass solche Deformationen die absolute Regel darstellen. Allerdings bleibt freilich offen, ob historische Quellenlagen allzu 321 | Fried, S. 380.

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oft Aufschluss darüber geben können, welche Verformungsfaktoren auf einen bestimmten Bericht einwirken. Die Parallele zur Einbeziehung von psychiatrischen Befunden für die Bewertung von Quellen zeigt, dass Frieds Ansatz, fachexternes Wissen in die historische Untersuchung einzubringen, nicht neu ist. Es stellt sich die Frage, was durch die Anwendung einer neurowissenschaftlich fundierten Gedächtniskritik an neuer Information über eine Quelle gewonnen wird, die nicht schon längst bekannt ist. Nehmen wir hypothetisch an, dass aus der Quellenlage, die die Person Marc Aurels betrifft, hervorgeht, dass der römische Kaiser sehr vergesslich war. Die Vergesslichkeit würde in diesem Fall den Ausgangspunkt der Gedächtniskritik bilden und nähme gleichzeitig bereits ihr Ergebnis vorweg, so dass keine wirklich neue Erkenntnis aus dieser Untersuchung gewonnen werden könnte. Vor diesem Hintergrund ist Frieds Theorie nicht so innovativ und erkenntnisfördernd, wie sie es zu sein verspricht. Effekte wie z.B. das Vergessen von bestimmten Gedächtnisinhalten stellen einen Sachverhalt dar, der auf phänomenaler Ebene registriert wird, ohne dass dabei der Rekurs auf eine neurophysiologische Beschreibung dieser Erscheinung notwendig wäre. So verhält es sich mit allen von Fried genannten „primären Verformungsfaktoren“, die phänomenal zugänglich sind und deren Erfassung ohne die Erklärung neurophysiologischer Prozesse auskommt. Untersuchungen, die in der Neuropsychologie zum Gedächtnis durchgeführt werden, beruhen schließlich auf einem Erkenntnisinteresse, das durch die Wahrnehmungen bestimmter Phänomene hervorgerufen wird und dann nach einer Erklärung auf neurobiologischer Basis verlangt. Vor diesem Hintergrund ist es zunächst einmal nicht einsichtig, dass die Einbeziehung neurowissenschaftlicher Forschungsergebnisse zur Arbeitsweise des menschlichen Gedächtnisses für die Untersuchung einer historischen Quelle einen Erkenntnisgewinn bedeutet. Ausgehend vom jetzigen Forschungsstand kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass Informationen über die neuronale Speicherung von Erinnerung nicht doch auch neue gewinnbringende Erkenntnisse für die Geistes- und Kulturwissenschaft generieren könnten. Frieds Auffassung, die Geschichtswissenschaft ließe sich mit Hilfe einer neurokulturellen Gedächtniskritik neu begründen, muss jedoch zum jetzigen Zeitpunkt fraglich erscheinen. Darüberhinaus beansprucht Fried, durch die systematische Untersuchung von Erinnerungsprozessen im Gehirn die kulturelle Entwicklung kleinerer und größerer Kollektive erklären zu können. Wie das konkret funktionieren soll, bleibt unklar, so dass seine Theorie auch in diesem Punkt hinter dem von ihr postulierten Anspruch zurückbleibt. In seiner Konzeption von Vergangenheit stellt Fried eindeutig die individuellen Erinnerungen in den Vordergrund seiner Untersuchung. Er übergeht dabei jedoch eine wesentliche Komponente, ohne die ein solcher Entwurf von Vergangenheit nicht zustande kommt: die sozialen Mechanismen. Denn erst aus dem Wechselspiel individueller Erinnerungen und sozialer Austauschprozesse kann ein Ge-

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schichtsbild entstehen, das für eine Gemeinschaft Gültigkeit besitzt. Indem Fried den sozialen Aspekt bei der Entstehung und Weitergabe von Erinnerung ausspart, liefert er nur ein unzureichendes Beschreibungssystem für die Herausbildung eines erinnerungsbezogenen Geschichtsentwurfs. Methodologisch setzen alle drei Theorien von Nora, Assmann und Fried bei abstrakten Konzepten an, die sie auf die Realität übertragen, so dass sich ihre Ansätze bis zu einem gewissen Grad plausibilisieren lassen. Denn obwohl die Theorien von Assmann und Nora sich mit kollektiven Formen des Gedenkens auseinandersetzen, erfassen und erklären sie die Stolpersteine und die Ausstellung als Phänomene einer gelebten Erinnerungskultur nur unzureichend. Im Konzept von Fried finden die Stolpersteine und „In den Tod geschickt“ insofern Berücksichtigung, als dass seine Theorie auf die individuellen Erinnerungszeugnisse eingeht, die dem Denkmal und der Ausstellung zugrunde liegen. Assmann und Nora können mit ihren Theorien in diesem Punkt nichts zur Untersuchung beitragen, da sich ihr Augenmerk nicht auf individuelle Prozesse des Erinnerns, sondern auf die kollektive Ebene des Gedenkens bezieht. Anhand von Frieds Ausführungen zu einer historischen Memorik wird jedoch deutlich, dass einerseits viele Vergleichsquellen zu einem Erinnerungszeugnis vorliegen müssen, bevor überhaupt eine Aussage über sie in ihrem Wert für die Geschichtswissenschaft getroffen werden kann. Andererseits erfahren wir in diesen Fällen einer reichhaltigen Quellenlage durch Frieds neurowissenschaftlich fundierte Verformungslehre der Erinnerung nichts, was wir nicht schon auf anderem Weg längst durch den Vergleich der Quellen gewusst bzw. erfahren hätten. Das heißt, seine Theorie erfasst nur eine begrenzte Zahl von Phänomenen und liefert zu diesen keinen wirklich neuen Erkenntnisgewinn. Die Forderung, Erinnerungen als Faktor bei der Untersuchung historischer Quellen einzubeziehen und eine ihnen angemessene Untersuchungsmethode zu entwickeln, scheint grundsätzlich berechtigt und sinnvoll. Erinnerungen geben die subjektive Wahrnehmung und Deutung eines Ereignisses wieder, die das zukünftige Handeln des geschichtlichen Akteurs beeinflussen und darüber hinaus durch ihre Weitergabe auch die Denk- und Verhaltensweisen anderer Personen prägen können. In ihrer faktischen Wirkungsmacht auf geschichtliche Prozesse müsste untersucht werden, in welcher Form sie in der historischen Untersuchung Berücksichtigung finden können, so dass dies wirklich einen Erkenntnisgewinn darstellt. Immerhin scheinen sie konstitutiver Bestandteil dessen zu sein, was wir „Geschichte“ nennen. Dies soll nicht bedeuten, die Geschichtswissenschaft in ihren herkömmlichen Methoden hinterfragen oder gar neu erfinden zu wollen. Die historische Untersuchung sollte lediglich ergänzt werden um die Frage, wie historische Zusammenhänge in Erinnerungen wahrgenommen und überliefert werden, um das Bild, das wir uns vom Vergangenen machen, zu vervollständigen und abzurunden.

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Wie müsste dazu die entsprechende Erinnerungstheorie aussehen? In den drei vorgestellten Theorien werden wichtige Impulse in dieser Hinsicht gegeben. In ihrer Ausrichtung fokussieren die drei Konzepte jedoch jeweils nur auf einzelne Aspekte eines auf Erinnerung aufbauenden Geschichtsbildes: Nora und Assmann legen in ihren Konzepten den Schwerpunkt auf Erinnerungen in ihrer Wirkung und Funktion innerhalb kollektiver Zusammenhänge, während Fried in seinem Ansatz Erinnerungen in Bezug auf das Individuum untersucht. Auf diese Weise bleiben die Theorien jeweils fragmentarisch. Das auf Erinnerung beruhende Geschichtsbild wird in keiner dieser Konzepte in seiner Vollständigkeit, d.h. nicht im Zusammenhang der verschiedenen es kennzeichnenden Phänomene, erfasst. Denn erst im Zusammenspiel aus individuellen Erinnerungen und sozialen Mechanismen kann sich ein Entwurf des Vergangenen herausbilden, der von Personen im kollektiven Verbund angenommen und weitergegeben wird. Eine Theorie der Erinnerung müsste auf einem Ansatz aufbauen, der genau diese Zusammenhänge erklärt und sie in einem einheitlichen System abbildet. Dabei können neurophysiologische Befunde einbezogen werden. Primär geht es bei dieser Untersuchung jedoch nicht um die Frage, welchen Mechanismen Erinnerungsprozesse im Gehirn unterliegen, sondern welchen Einfluss individuelle Erinnerung auf einen sozialen Kontext hat und umgekehrt, wie soziale Einflüsse ein Individuum in der Rückbesinnung auf Vergangenes prägen. In der Darstellung dieser Wechselbeziehung könnte ein systemtheoretisch fundierter Ansatz sich als vielversprechend erweisen. Die Ausrichtung dieser Untersuchung verschiebt den Akzent von Erinnerungsinhalten auf die Frage, wie erinnert wird. Die Entstehungs- und Überlieferungsprozesse von Erinnerungen im kollektiven Rahmen geraten in den Vordergrund und können die Geschichtswissenschaft damit um einen neuen, wertvollen Aspekt bereichern. Dieser Versuch wird im folgenden Kapitel unternommen. Dabei verfolgt die folgende Untersuchung, wie eine mögliche Erinnerungstheorie für die Geschichtswissenschaft aussehen könnte, methodologisch einen anderen Ansatz als die drei vorgestellten Theorien von Nora, Assmann und Fried. Nicht ein theoretisches Konzept soll Ausgangspunkt sein, sondern unsere faktische Gedenkweise, aus der sich bestimmte Gesetzmäßigkeiten für eine Theorie ableiten lassen müssten. Die Stolpersteine, eine Ausstellung wie „In den Tod geschickt“ und die Augenzeugenberichte von NS-Opfern sind einzelne Erscheinungen innerhalb eines sehr viel größeren Themenkomplexes, der sich in der Frage zusammenfassen lässt: Wie gehen wir heute mit dem Holocaust um? Diese Fragestellung scheint zunächst einmal, ein großes, unübersichtliches Feld zu beschreiben. Grundsätzliche Charakteristika dieses Diskurses lassen sich jedoch verdeutlichen anhand der Art und Weise, wie wir über den Holocaust sprechen. Diese im Kollektiv getroffenen Sprachregelungen geben m.E. aufschlussreiche Hinweise auf unseren Umgang mit dem Thema, denn es scheint in dieser Hinsicht sehr genaue und strenge Regeln zu geben. Dies zeigt sich an einigen aussagekräftigen, prominenten Beispielen

Praktische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erinnerung

der vergangenen Jahre, die im anschließenden Kapitel dokumentieren, wie in der deutschen Gesellschaft und darüber hinaus auch im internationalen Kontext über den Holocaust gesprochen wird. Der Umgang mit den NS-Verbrechen in der deutschen Gesellschaft nach 1945 ist eine Geschichte, die in den letzten Jahrzehnten bis heute verschiedene Entwicklungsstadien durchlaufen hat. Im Folgenden werden diese Phasen in ihrer historischen Entwicklung in groben Zügen nachgezeichnet, um den Status quo unseres heutigen Umgangs mit dem Thema als Teil dieses Prozesses verstehen und vor allem die anschließenden Beispiele zum Diskurs „Wie sprechen wir über den Holocaust“ in ihrer Brisanz und Bedeutung für die deutsche Gesellschaft einordnen zu können. Die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit der NSVergangenheit im zunächst geteilten und schließlich wiedervereinten Deutschland auf nationaler Ebene wird dabei konkretisiert am Beispiel der Stadt Hamburg. Im vorangegangenen Kapitel klang bereits an, dass in der Hansestadt lange Zeit der Mythos vorherrschte, führende Politiker und Stadtbevölkerung hätten sich relativ zurückhaltend gegenüber der Politik des NS-Regimes verhalten. Wie dieses Bild nach und nach in den Jahrzehnten nach 1945 Risse bekam, skizziert der nun folgende Abschnitt, ebenso wie die Bemühungen, sich allmählich mit der eigenen Stadtgeschichte in dieser Hinsicht auseinanderzusetzen.

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3. Exkurs: Überblick über die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit im geteilten und wiedervereinten Deutschland

Die Stolpersteine und die Ausstellung „In den Tod geschickt“ beziehen sich auf ein historisches Geschehen, das nunmehr über ein halbes Jahrhundert zurückliegt. Bei der Annäherung an die rassistisch und politisch motivierte Verfolgung und Vernichtung von Menschen während des Nationalsozialismus besteht die Möglichkeit, auf Erinnerungen von Zeitzeugen zurückzugreifen, die aufgrund der relativen zeitlichen Nähe zu diesen historischen Ereignissen noch in der Lage sind, von ihren persönlichen Erlebnissen zu berichten. Die Bereitschaft, sich mit den Erinnerungen an die Ungeheuerlichkeit der NS-Verbrechen zu konfrontieren, konnte in Deutschland und in anderen europäischen Ländern nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs jedoch nicht vorausgesetzt werden, so dass Imre Kertész aus der Sicht der Opfer schrieb: „Vom ersten Augenblick an haftete dem Holocaust eine entsetzliche Angst an: die Angst vor dem Vergessen.“1 Heute scheint jedoch die Erinnerung an den Holocaust im öffentlichen Bewusstsein der Europäer verankert und von zentraler Bedeutung für die europäische Gesellschaft zu sein, sofern die Entstehung von Mahnmalen, die Eröffnung von Museen und Ausstellungen zum Gedenken an die jüdischen Opfer der NS-Gewaltverbrechen europaweit in den letzten Jahren als Hinweise auf diese Entwicklung gedeutet werden dürfen. Noch verstärkt wird dieser Eindruck durch die politische Dimension, die die Erinnerung an den Holocaust durch öffentliche Eingeständnisse höchster Staatsträger bei offiziellen Anlässen erlangt, bei denen diese sich im Namen der Nation, die sie repräsentieren, zur Schuld bzw. Mitschuld ihres Landes an der Ermordung der europäischen Juden bekennen.2 Auch die Anerkennung der Verfolgung und Vernich1 | Kertész, Imre: Der Holocaust als Kultur, in: Sinn und Form 46 (1994), S. 561-570, S. 562. 2 | Im Jahr 1995 erkennt Königin Beatrice als regierendes Staatsoberhaupt der Niederlande während eines Staatsbesuches in Israel die Tragödie der niederländischen Juden an, die unter Mithilfe einiger ihrer niederländischen Mitbürger verhaftet, deportiert und ermordet worden waren. Im gleichen Jahr spricht der französische Präsident Jaques Chirac am 53. Jahrestag der großen Sammlung von Pariser Juden zum Abtransport in die Vernichtungslager als erstes französisches Staatsoberhaupt nach 1945 sehr deutlich über die Rolle Frankreichs in Hinblick auf die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Anlässlich des 60. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz erklärt der damalige deutsche Bundeskanzler, Gerhard Schröder, dass die Erinnerung an Krieg und Völkermord während des Nationalsozialismus Teil der nationalen Identität Deutschlands sei. Dies sind lediglich einige Beispiele für die Politisierung der NS-Vergangenheit und ihrer Verbrechen in Europa.

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tung anderer Minderheiten wie der Sinti und Roma, politisch Andersdenkender, Homosexueller, Zeugen Jehovas sowie geistig und körperlich Behinderter scheint sich allmählich in weiten Teilen der europäischen Gesellschaft durchzusetzen.3 Nichtsdestotrotz war das öffentliche Bewusstsein für die NS-Opfer in Europa nicht von Anfang an in dieser Weise geschärft, obgleich unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg die Höhe der jüdischen Verluste beispielsweise allgemein bekannt war.4 Die Konfrontation mit der nationalsozialistischen Vergangenheit nach 1945 – die zweite Geschichte des Nationalsozialismus5 – war lange Zeit ein schwieriges und umstrittenes Thema in der deutschen Gesellschaft und Politik. Warum äußerte 3 | Ein deutliches Zeichen für die Entstehung eines öffentlichen Bewusstseins, das um das Leid unterschiedlicher Opfergruppen des NS-Regimes weiß und dieses jeweils anerkennt, sind Monumente und Museen zum Gedenken der verschiedenen Minderheiten, die aus rassistischen oder politischen Gründen verfolgt wurden. So gibt es in Berlin seit 2008 ein Mahnmal für die homosexuellen NS-Opfer. Auch im europäischen Ausland sind Denkmäler den Männern und Frauen gewidmet, die von den Nationalsozialisten aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt und ermordet wurden, wie z.B. in Amsterdam (Homomonument, 1987), in Bologna (Gedenkstein „Rosa Winkel“,1990) und in Triest (Gedenktafel mit „Rosa Winkel“, 2005). In Tel Aviv wurde ein Denkmal für die homosexuellen NS-Opfer 2014 umgesetzt. Die französische Initiative Le Mémorial de la Déportation Homosexuelle (MDH) fordert seit 1989 ein entsprechendes Denkmal auch für Frankreich. Im Gedenken der ermordeten Sinti und Roma entsteht in Berlin ein Mahnmal, das auf einen Beschluss der Bundesregierung aus dem Jahr 1992 zurückgeht. Der geplante Beginn der Baumaßnahmen für dieses Projekt 2004 verzögert sich durch Meinungsverschiedenheiten über die Inschrift des Denkmals zwischen dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und der Sinti Allianz Deutschland um vier Jahre, bis der Streit schließlich 2008 beigelegt wird. Das Denkmal der grauen Busse erinnert in der BRD seit 2006 mit zwei aus Beton gegossenen Nachbildungen des Busfahrzeugtyps, der für die Todestransporte geistig und körperlich behinderter Menschen während des Nationalsozialismus benutzt wurde, an das Schicksal dieser Opfergruppe. Ein Bus ist als feste Installation im baden-württembergischen Ravensburg vor einer ehemaligen Heilanstalt positioniert, während der andere wechselnd an unterschiedlichen Orten in der BRD aufgestellt wird. Orte des Gedenkens für politisch Andersdenkende, die sich teilweise auch aktiv dem Widerstand gegenüber dem NS-Regime verschrieben, gibt es z.B. in Berlin (Mahnmal für 96 vom NS-Regime ermordete Reichstagabgeordnete, 1992) und im belgischen Huy ( Musée de la Résistance et des Camps de concentration Fort Huy, 1992). In München sind heute die beiden Plätze vor dem Universitätshauptgebäude nach den Geschwistern Scholl und Professor Kurt Huber benannt, die Mitglieder der Widerstandsgruppe „ Weiße Rose“ während des Nationalsozialismus waren. Zudem erinnert im Eingangsbereich der Ludwig-Maximilian-Universität seit 2005 ein Denkmal aus steinernen Flugblättern an die „Weiße Rose“, das in den Boden eingelassen wurde. 4 | Siehe Judt: Geschichte Europas, S. 934. 5 | Peter Reichel, Harald Schmid und Harald Steinbach sprechen im Hinblick auf die nachträgliche Auseinandersetzung mit diesem Abschnitt deutscher Geschichte von einer „zweiten Geschichte“ des Nationalsozialismus. Dies.: Der Nationalsozialismus – Die zweite Geschichte. Überwindung– Deutung – Erinnerung, Bonn 2009.

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sich damals in Deutschland kein Bewusstsein für das Leid der NS-Opfer? Wie hat sich ein solches schließlich entwickelt? Wie gedenkt etwa die Stadt Hamburg seit 1945 der Opfer des Nationalsozialismus? Im Hinblick auf die materielle Not, den Hunger, die Zerstörung vieler Städte, die eigenen Kriegstoten und Kriegsgefangenen, die Vertriebenen und Ausgebombten in Deutschland sehen viele Deutsche in den ersten Jahren der Nachkriegszeit keinen Grund dafür, dem Leid der rassistisch und politisch Verfolgten Vorrang vor dem eigenen einzuräumen. In der Rückbesinnung auf die unmittelbare Vergangenheit werden in erster Linie die „eigenen“ Opfer betrauert.6 In Hamburg wird insbesondere der Bombenopfer der alliierten Luftangriffe gedacht.7 Initiativen zum Gedenken an die toten NS-Opfer gehen in jener Zeit größtenteils von Organisationen der überlebenden NS-Verfolgten und den westlichen Alliierten aus.8 Zum einen liegt dies daran, dass sich ein Bewusstsein für die Unterscheidung von nationalsozialistischen Gewalt- und Kriegsverbrechen in der deutschen Gesellschaft noch nicht durchgesetzt hat.9 Zum anderen dominiert ein nationales Selbstbild, demzufolge „das ganze deutsche Volk“ von Hitler und seinen „dämonischen Zwecken“ missbraucht wurde, wie es Bürgermeister Max Brauer in seiner Rede bei der Einweihung des Mahnmals für die Opfer des Nazi-Terrors am 3.Mai 1949 auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg darstellt.10 Auch für die Errichtung dieses Ehrenmals in Hamburg geben Überlebende des NS-Terrors, die sich als Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VNN) organisiert haben, den Anstoß.11 Angesichts dieser Grundhaltung und -stimmung in Deutschland bleibt den Nürnberger Prozessen eine nachhaltige, kathartische Wirkung auf die deutsche Gesellschaft versagt: Trotz der Aufklärung über die kriminellen Machenschaften von Organisationen und Gruppen der NSDAP sowie der Verurteilung der hauptverantwortlichen NS-Straftäter im Zuge der Prozesse scheint der Großteil der deutschen Bevölkerung, die Schwere und das Ausmaß der NS-Verbrechen noch nicht begriffen, geschweige denn ein eigenes Verantwortungsgefühl diesbezüglich entwickelt zu haben.12 6 | Cornelißen, Christoph (Hg.): Nationale Erinnerungskulturen seit 1945 im Vergleich, in: Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt a. M. 2003, S. 9-27, S. 11. 7 | Reichel: Das Gedächtnis der Stadt, S. 100. 8 | Reichel: Das Gedächtnis der Stadt, S. 15. 9 | Völkermord wird erstmals 1945 als völkerrechtlicher Straftatbestand unter der Bezeichnung „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ im Londoner Statut definiert, das die Rechtsgrundlage und Prozessordnung des Internationalen und der amerikanischen Gerichtshöfe für die Verhandlungen der Nürnberger Prozesse festlegt. Die Einführung der Unterscheidung von Kriegsvergehen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist eine Neuerung, die sich dem öffentlichen Bewusstsein der Deutschen in der unmittelbaren Nachkriegszeit erst allmählich einprägt. 10 | Zit. n. Reichel: Vergangenheitsbewältigung, S. 206. 11 | Reichel: Das Gedächtnis der Stadt, S. 15. 12 | Reichel: Vergangenheitsbewältigung, S. 67.

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Stattdessen dominiert der stille Wunsch, einen „Schlussstrich“ unter die politische Säuberung, wenn nicht sogar unter die Vergangenheit zu setzen.13 In ihrem Selbstbild setzten die beiden Nachfolgestaaten des Deutschen Reiches inhaltlich jeweils etwas unterschiedliche Akzente: Während in der Bundesrepublik die Vorstellung einer ungewollten Zwangsherrschaft der Nationalsozialisten forciert wird, die die Mehrheit der Deutschen ahnungslos und wider Willen als Komplizen einer kleinen Gruppe skrupelloser, politisch verantwortlicher Hauptakteure darstellt,14 wählt die DDR ein anderes Opferbild, das kämpferisch und heldenhaft anmutet. In dieser Sichtweise sind nicht die rassistisch motivierte Verfolgung und Ermordung der Juden vorrangiges Ziel des NS-Regimes, sondern die politisch bedingte Vernichtung der deutschen Arbeiterschaft.15 Beide Darstellungen zeichnen in einer jeweils verkürzten Perspektive nur ein verzerrtes Bild des Nationalsozialismus in Deutschland, in dem der Genozid an den europäischen Juden, den Sinti und Roma sowie die Vernichtungspolitik gegenüber anderen Minderheiten marginalisiert und so der Frage nach Schuld und Verantwortung der Deutschen in Hinblick auf diese Vergehen ausgewichen wird. Die Vorstellung von einer ungewollten NS-Zwangsherrschaft wird auch in Hamburg von führenden Politikern in der unmittelbaren Nachkriegszeit gepflegt. Der erste Bürgermeister Hamburgs nach dem Krieg, Rudolf Petersen, erklärt, die Deutschen seien „willenlos dem Machtanspruch der Gewaltherrschaft“ gefolgt „unter dem hypnotischen Einfluss eines Demagogen“.16 Trotzdem wäre „Hamburg nicht in dem Maße von den Verbrechen und Maßlosigkeiten des Nationalsozialismus betroffen worden wie fast alle übrigen Teile des deutschen Reiches“.17 Begründet wird der Sonderweg Hamburgs mit dem angeblich besonders liberalen Geist der Hansestadt, der den Nationalsozialismus zwar nicht verhindert, aber ihm in Hamburg eine gemäßigte Form zugewiesen habe. Dieser Mythos des toleranten, freiheitsliebenden Hamburg wurzelt tief im Selbstbild der Stadt.18 Dem Selbstverständnis der DDR zufolge präsentiert der ostdeutsche Teilstaat das „neue Deutschland“, das in seiner Anfangsphase durch eine gründliche Entnazifizierung und die Beseitigung aller kapitalistischen Strukturen angeblich vollständig vom Faschismus gesäubert worden ist.19 Denn gemäß der kommunistischen Geschichtsdoktrin wird der Kapitalismus als Ursache des Faschismus gedeutet. Nach 1945 stehen in der Erinnerung der deutschen Kommunisten sowie der sowjetischen Besatzer die eigene Leidenserfahrung unter den Nationalsozia13 | Frei: 1945 und wir, S. 30. 14 | Reichel: Vergangenheitsbewältigung, S. 204. 15 | Reichel: Vergangenheitsbewältigung, S. 206. 16 | Zit. n. Reichel/Schmid: Von der Katastrophe zum Stolperstein, S. 22. 17 | Zit. n. ebd. 18 | Ebd. 19 | Reichel: Vergangenheitsbewältigung, S. 13ff.

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listen und das Gefühl des Triumphs über die Hitler-Diktatur im Vordergrund, das in der DDR jährlich in den Feierlichkeiten zum „Sieg der Sowjetunion über den Hitlerfaschismus und die Befreiung des deutschen Volkes von der Naziherrschaft“ am 8. Mai bis ins Jahr 1985 seinen Ausdruck findet.20 Diese Propaganda von Unterdrückung, Sieg und Befreiung blendet die Verbrechen an den europäischen Juden und anderen NS-Opfergruppen beinahe komplett aus. In der Konsequenz weist die DDR lange Zeit jede Form des öffentlichen Gedenkens der NS-Opfer sowie Forderungen nach Entschädigung und Wiedergutmachung der Überlebenden des NS-Terrors oder der Hinterbliebenen der Opfer zurück.21 Erst mit der Bewegung für Demokratie und politische Freiheit in den 1980er Jahren gewinnt die NS-Vergangenheit wieder Präsenz im öffentlichen Diskurs der ostdeutschen Gesellschaft. Erste Gedenktafeln an einstigen Orten jüdischen Lebens werden angebracht. Das Centrum Judaicum wird als Stiftung für die Restaurierung der neuen Synagoge in Berlin-Mitte gegründet.22 Im Jahr 1990 bekennt sich die erste demokratisch gewählte Volkskammer der DDR in einer Resolution zur Schuld und Mitverantwortung Ostdeutschlands an den Verbrechen der Nationalsozialisten, die bis heute in der europäischen Nachkriegsgeschichte in der unumwundenen Klarheit ihrer Aussage beispiellos ist.23 Im Gegensatz zur DDR begreift sich der westdeutsche Staat in der Traditionslinie des Deutschen Reiches als dessen alleiniger Nachfolger und Erbe.24 Er verpflichtet sich damit offiziell gegenüber den Siegern und Besatzern sowie den Verfolgten des nationalsozialistischen Unrechtstaates zur Wiedergutmachung der entstandenen Schuld im moralischen wie im materiellen Sinne, obgleich die damit verbundenen Ansprüche und Verbindlichkeiten zum damaligen Zeitpunkt noch nicht zu überschauen sind.25 Damit signalisiert die BRD grundsätzlich die Bereitschaft, sich ihrer Verantwortung gegenüber der Vergangenheit zu stellen, auch

20 | Herf: Zweierlei Erinnerung, S. 450. 21 | Reichel: Vergangenheitsbewältigung, S. 15. 22 | Endlich, Stefanie: Orte des Erinnerns - Mahnmale und Gedenkstätten, in: Der Nationalsozialismus Die zweite Geschichte. Überwindung - Deutung - Erinnerung, hrsg. v. P. Reichel, H. Schmid und H. Steinbach, Bonn 2009, S. 350- 377, S. 360. 23 | In der Resolution wird erklärt: „Durch Deutsche ist während der Zeit des Nationalsozialismus den Völkern der Welt unermessliches Leid zugefügt worden. Nationalsozialismus und Rassenwahn führten zum Völkermord, insbesondere an den Juden aus allen europäischen Ländern, an den Völkern der Sowjetunion, am polnischen Volk und am Volk der Sinti und Roma.“ Die Erklärung bekannte sich „im Namen der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zur Mitverantwortung für die Demütigung, Vertreibung und Ermordung jüdischer Frauen, Männer und Kinder.“ Weiter heißt es: „Wir bitten die Juden in aller Welt um Verzeihung.“ Zit. n. Reichel: Vergangenheitsbewältigung, S. 15f. 24 | Reichel: Vergangenheitsbewältigung, S. 202. 25 | Reichel: Vergangenheitsbewältigung, S. 17.

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wenn dies mitunter nur sehr widerstrebend geschieht und innerhalb der westdeutschen Gesellschaft ein umstrittenes Thema ist.26 Eine Welle von antisemitischen Schmierereien und Sachbeschädigungen am Ende der 1950er Jahre sind Indikatoren für die mangelhafte Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und ihren Verbrechen in der damals noch sehr jungen Bundesrepublik.27 Dies hat zur Folge, dass 1962 die Geschichte von 1933-45 als verbindliche Schullektüre in allen deutschen Bundesländern Westdeutschlands eingeführt wird, nachdem der Geschichtsunterricht jahrelang nicht über das Ende des deutschen Kaiserreiches hinausgegangen ist.28 Die Hamburger Reaktion auf die antisemitische „Schmierwelle“ ist 1960 die Einrichtung der Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus, die es sich zunächst zur Aufgabe macht, die Bedingungen für den Aufstieg der NSDAP im Zeitraum der Jahre 1918-1948 zu erforschen.29 Sechs Jahre später, 1966, wird das Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg eröffnet, dessen Forschungsauftrag in der Untersuchung der jüdischen Geschichte im Hamburger Raum von ihren Anfängen bis zur Gegenwart besteht. 1958 wird der 9. November zum öffentlichen Gedenktag in der BRD erklärt, um an den Reichspogrom von 1938 zu erinnern. Hamburg begeht den 20. Jahrestag der Reichspogromnacht mit der Grundsteinlegung der Synagoge an der Hohen Weide in einem feierlichen Akt. Dieses Ereignis gilt als die erste bedeutende geschichtspolitische Geste gegenüber den Juden in Hamburg seit 1945.30 In den zwei Jahrzehnten zuvor ist des 9. Novembers 1938 in der Hansestadt nur sporadisch gedacht worden. Dem Anliegen der Jüdischen Gemeinde, dieses Tages alljährlich in allen Hamburger Schulen zu gedenken, kommen der Senat und die Bürgerschaft 1951 nicht nach.31 Im Übergang von den 1950er zu den 1960er Jahren wird durch eine Serie von Prozessen gegen nationalsozialistische Straftäter ein Bewusstsein in der westdeut26 | Reichel: Vergangenheitsbewältigung, S. 17f. 27 | Judt: Geschichte Europas, S. 942. 28 | Ebd. 29 | Vorgänger des Instituts ist die 1949 gegründete Forschungsstelle für die Geschichte Hamburgs von 1933-1945, die aufgrund personeller Diskontinuitäten und insgesamt schwieriger Arbeitsbedingungen jedoch 1956 wieder geschlossen werden muss. 1997 wird die Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg umbenannt in Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH). Sie wird zu einer Stiftung umgewandelt und drei Jahre später der Hamburger Universität angegliedert. Mit der Umbenennung erweitert der Forschungsauftrag sich über den vorher festgelegten zeitlichen Rahmen hinaus. Vgl. Reichel/Schmid: Von der Katastrophe zum Stolperstein, S. 39. Die Forschungsstelle gerät 1984 in die Kritik, als die Grün-Alternative Liste (GAL) ihr „Arroganz und Untätigkeit“ vorwirft, weil sie die „Legende des liberalen, weltoffen Hamburgs“ noch nicht entlarvt habe. Vgl. Reichel/Schmid: Von der Katastrophe zum Stolperstein, S. 40. 30 | Reichel/Schmid: Von der Katastrophe zum Stolperstein, S. 81f. 31 | Reichel/Schmid: Von der Katastrophe zum Stolperstein, S. 81.

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schen Gesellschaft dafür geschaffen, dass ein Großteil der NS-Verbrechen nicht untersucht und entsprechend geahndet worden ist.32 Den Auftakt bildet 1958 das als Ulmer Einsatzgruppenprozess bekannte Verfahren, auf das 1961 die Verurteilung Adolf Eichmanns und 1963 das Gerichtsverfahren gegen die Wachmannschaften von Auschwitz folgt. Diese Prozesse bieten den Überlebenden der Lager die Chance, über ihre Erlebnisse zu sprechen und damit erstmals eine breite Öffentlichkeit zu erreichen.33 Auch die so genannten „Verjährungsdebatten“, in denen die Verjährung von Straftaten aus der Zeit des Nationalsozialismus zu einer bestimmenden Frage in den 1960er Jahren erhoben wird, sorgen dafür, dass die NS-Zeit ein wichtiges Thema im öffentlichen Diskurs bildet.34 Die deutsche Studentenbewegung trägt in den 1960er Jahren ebenfalls zur Thematisierung der NS-Vergangenheit in der Öffentlichkeit bei, indem sie u.a. gegen personelle Kontinuitäten in der Bundesregierung protestiert. Ehemaligen Nazis war es ermöglicht worden, übergangslos in führenden politischen Positionen zu verbleiben. Auch die Weigerung der älteren Generation, über ihre Rolle während des Nationalsozialismus zu reflektieren, wird scharf von den Studenten kritisiert.35 In Hamburg kommt es am 9.November 1967 zum Eklat, als die Jurastudenten und ehemaligen Asta-Vorsitzenden Detlev Albers und Jan-Hinnerk Behlmer während der Feierlichkeiten zur Rektoratsübergabe im Hamburger Auditorium Maximum ein Transparent entrollen, das die Aufschrift „Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren“ trägt.36 Dieser Text wird zu einer Kernparole der deutschen Studentenbewegung der 1960er Jahre, die in Anspielung auf das „1000jährige Reich“ der NS-Propaganda gegen die ausgebliebene Aufarbeitung des „Dritten Reiches“ protestiert ebenso wie gegen elitäre Strukturen und fragwürdige Traditionen in der Hochschulpolitik. Am Beispiel der Studentenbewegung wird deutlich, dass die Konfrontation mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in den 1960er und frühen 1970er Jahren immer noch als Provokation erscheint und vor allem von oppositionellen Gruppen innerhalb der Gesellschaft oder engagierten Einzelpersonen vorangetrieben wird.37 Die Anerkennung der systematischen Massenvernichtung der europäischen Juden und anderer Minderheiten als die zentralen Verbrechen der Nationalsozialisten hat sich im gesellschaftlichen Bewusstsein der Westdeutschen noch nicht durchgesetzt, obwohl bereits in den 1960er Jahren die Zeitgeschichtsforschung zu diesem The32 | Judt: Geschichte Europas, S. 941. 33 | Ebd. 34 | Reichel: Vergangenheitsbewältigung, S. 183. Der deutsche Bundestag führt insgesamt vier große Debatten zur Verjährbarkeit von Mord und Völkermord, von denen die ersten drei 1960, 1965 und 1969 stattfinden. Die abschließende Debatte, deren Resultat in der Aufhebung der Verjährungsfrist von Mord und Völkermord besteht, fällt in das Jahr 1979. 35 | Reichel/Schmid: Von der Katastrophe zum Stolperstein, S. 44. 36 | Reichel/Schmid: Von der Katastrophe zum Stolperstein, S. 45. 37 | Frei: 1945 und wir, S. 36.

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ma publiziert und die Medien berichten.38 Als „vergegenständlichtes Symptom der Verdrängungsproblematik“39 in Hamburg nach 1945 gilt das Konzentrationslager Neuengamme vor den Toren der Hansestadt als das ehemalige größte KZ Norddeutschlands.40 Es dauert lange, bis das Gedenken der Toten des KZs am Ort des Geschehens in angemessener Form überhaupt ermöglicht wird. Dies wird durch die Eröffnung zweier Haftanstalten auf dem Areal des früheren Konzentrationslagers zunächst verhindert: Die Justizvollzugsanstalt Vierlande wird einstimmig von allen Fraktionen der Bürgerschaft beschlossen und 1948 eingerichtet. Sie wird erst 2006 nach Billwerder verlegt. Im Jahr 1970 wird dann eine Jugendstrafanstalt auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers ohne öffentliche Proteste eröffnet und zieht erst 2003 von dort fort.41 Der eigentliche Sinneswandel, der die westdeutsche Gesellschaft vor allem für die Leiden der Juden sensibilisiert, erfolgt zum Ende der 1970er Jahre und wird durch Ereignisse wie den arabisch-israelischen Sechstagekrieg 1967, den Kniefall von Bundeskanzler Willi Brandt am Denkmal des Warschauer Ghettos 1970 und die Ermordung der israelischen Sportler bei den Olympischen Spielen in München 1972 vorbereitet.42 Als sich am 9. November 1978 zum 40. Mal der Beginn der Novemberpogrome von 1938 jährt, erreicht dieses Datum als Gedenktag erstmals eine breite öffentliche Aufmerksamkeit und mobilisiert in der Bundesrepublik Parteien, Kirchen, Medien, Staatsrepräsentanten und mehrere zehntausend Demonstranten, die im Gedenken an die reichsweite Verfolgung der Juden auf die Straße gehen. Bis zu diesem Zeitpunkt hat kein Jahrestag der NS-Geschichte ein so großes Echo und Engagement in der westdeutschen Gesellschaft hervorgerufen. Noch nie zuvor haben die jüdischen Opfer des Nazi-Regimes so stark im Mittelpunkt des politischen Interesses gestanden.43 Als ein weiterer maßgeblicher Impuls in diese Richtung gilt die Ausstrahlung des von Amerikanern produzierten Fernseh-Vierteilers „Holocaust“ im deutschen Fernsehen 1979, der in der bundesdeutschen Bevölkerung nachhaltig ein Bewusstsein dafür schafft, dass die nationalsozialistische „Rassenpolitik“ und die auf ihr 38 | Frei: 1945 und wir, S. 37. 39 | Zit. n. Frei: 1945 und wir, S. 72. 40 | Ebd. 41 | Siehe Frei: 1945 und wir, S. 73. Zur Geschichte des Konzentrationslagers nach 1945 siehe Reichel/ Schmid: Von der Katastrophe zum Stolperstein, S. 71-80. 42 | Judt: Geschichte Europas, S. 942. 43 | Schmid, Harald: Von der „Vergangenheitsbewältigung“ zur „Erinnerungskultur“. Zum öffentlichen Umgang mit dem Nationalsozialismus seit Ende der 1970er Jahre, in: Öffentliche Erinnerung und Medialisierung des Nationalsozialismus. Eine Bilanz der letzten dreißig Jahre, hrsg. v. Gerhard Paul und Bernhard Schoßig, Göttingen 2010, S. 171-202, S. 174. Dementsprechend spricht Harald Schmid von diesem Datum als „vehementem Schub“ für die deutsche Geschichtskultur und einem „geschichtsperspektivischen Einschnitt“. Vgl. ebd.

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basierenden Verbrechen, insbesondere der Völkermord an den europäischen Juden, zentrale Bestandteile des NS-Regimes sind.44 Von intellektuellen Kreisen als „Seifenoper“ herabgewürdigt45 und von Historikern mehrheitlich scharf kritisiert, wird dem Film jedoch retrospektiv eine Wirkung zugestanden, die ein bis zum Zeitpunkt seines Erscheinens unbekanntes Maß an Interesse und Anteilnahme für das jüdische Schicksal unter den Nationalsozialisten in der westdeutschen Gesellschaft auslöst.46 Unterstützt wird diese Wirkung durch den Prozess gegen die Mitglieder der Wachmannschaft im Konzentrationslager Majdanek, die sich zufällig zeitgleich zur Ausstrahlung des Films vor Gericht verantworten müssen. Den Zuschauern von „Holocaust“ wird auf diese Weise vor Augen geführt, dass die Geschehnisse im Film einen realen Hintergrund haben.47 Fünf Monate später wird die Verjährungsfrist für Mord und Völkermord in der BRD per Gesetz aufgehoben.48 Wenn die Ausstrahlung von „Holocaust“ auch nicht den Beginn der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in der bundesdeutschen Gesellschaft einleitet, so kann dieses Ereignis doch als erste Form der Medialisierung dieses 44 | Reichel: Vergangenheitsbewältigung, S. 215; Ders.: Erfundene Erinnerung. Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater, München/Wien 2004, S. 250ff. 45 | Trotz dieser weitverbreiteten Einschätzung des Films in intellektuellen Kreisen ist man sich dort jedoch dessen Wirkung auf die bundesdeutsche Öffentlichkeit durchaus bewusst. Günther Anders etwa sieht in der „kollektiven Erschütterung“ das „psychisch am tiefsten einschneidende Ereignis in der NachHitler-Geschichte Deutschlands“. Siehe Anders, Günther: Nach Holocaust, in: Ders.: Besuch im Hades, 2. Aufl., München 1985, S. 179-216, S. 199. 46 | Vgl. etwa Brandt, Susanne: „Wenig Anschauung“? Die Ausstrahlung des Films „Holocaust“ im westdeutschen Fernsehen (1987/79), in: Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, hrsg. v. C. Cornelißen, Frankfurt a. M. 2003, S. 257-268, S. 264; Bereits nach unmittelbarem Erscheinen von „Holocaust“ sprechen Historiker von einem „Beben“, das die Serie in der bundesdeutschen Gesellschaft ausgelöst hat. Siehe Bracher, Karl Dietrich/ Funke, Manfred/ Jacobsen, Hans-Adolf: Zur Einführung, in: Dies. (Hg.): Nationalsozialistische Diktatur 1933-1945. Eine Bilanz, Bonn 1983, S. 11-16, S.15. Wie einflussreich die Filmserie wirkt, zeigt sich an der Tatsache, dass ihr Titel sich in Deutschland und anderen Ländern bald als feste Bezeichnung für den NS-Völkermord an den europäischen Juden im Rahmen der „Endlösung“ einbürgert. Der Begriff geht auf das griechische Wort „όλόκαυστον“ zurück, das sich aus „ὅλος“ („ganz, vollständig“) und „καύση“ („Brand, Verbrennung“) zusammensetzt. Wörtlich übersetzt, meint es “vollständig Verbranntes“. Im Altertum bezeichnet der Begriff das Brandopfer von Tieren. Das Wort wird in der Bibel nur ein einziges Mal genannt, als Gott von Abraham die Opferung seines Sohn Isaak verlangt (Gen 22, 2). Aufgrund seiner ursprünglichen Wortbedeutung und Herkunft steht der Begriff „Holocaust“ in der Kritik, unangemessen für den ideologisch motivierten und systematisch durchgeführten Völkermord an den europäischen Juden zu sein. Als „Euphemismus“ verharmlose es das Geschehen, dem es als Platzhalter dient. Vgl. Bedürftig, Friedemann: Drittes Reich und Zweiter Weltkrieg: Das Lexikon, München 2002, S. 234. 47 | Judt: Geschichte Europas, S. 943. 48 | Ebd.

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Themas gesehen werden, das für eine wirklich breite Öffentlichkeit nun sichtbar und wirksam wird.49 Als Gründe für die zu diesem Zeitpunkt verstärkt einsetzende Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nationalsozialisten werden in der historischen Forschung vor allem der zeitliche Abstand zu den betreffenden Ereignissen und die „Ablösung der Erlebnisgeneration“ gesehen.50 In den 1980er Jahren etabliert sich die Erinnerung an den Holocaust als fester Bestandteil der politischen Kultur in Westdeutschland. Besonders deutlich wird diese Entwicklung in der Gedenkstättenbewegung, deren Anhänger sich dafür einsetzen, an den Orten der NS-Verbrechen die Erinnerung institutionell wachzuhalten.51 Aber nicht nur die bundesdeutschen Bürger scheinen der NS-Vergangenheit und ihren Verbrechen größere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Weltöffentlichkeit ist „holocaust-bewußt“ geworden, wie die New Yorker Emigrantenzeitung „Aufbau“ diese Entwicklung kommentiert.52 Je bewusster sich die bundesdeutsche Gesellschaft nun zumindest in weiten Bevölkerungsschichten mit diesem Themenkomplex auseinandersetzt, desto deutlicher wird, dass sie es in der Vergangenheit versäumt hat, sich der Vernichtung der Juden und anderer Minderheiten durch die Nationalsozialisten zu stellen. Erste zusammenfassende Darstellungen und kritische Bestandsaufnahmen aus wissenschaftlicher Perspektive zum Umgang mit den NS-Gewaltverbrechen erscheinen.53 Der Politikwissenschaftler Peter Steinbach ist der erste, der 1981 einen Überblick zu diesem Thema vorlegt.54 Der öffentliche Diskurs in dieser Zeit wird u.a. von Stimmen wie der des Philosophen Hermann Lübbe geprägt, der 1983 mit der These Aufmerksamkeit erregt, die „gewisse Stille“ der Nachkriegszeit sei das „sozialpsychologisch und politisch nötige Medium der Verwandlung unserer Nachkriegsbevölkerung in die Bürgerschaft der Bundesrepublik Deutschland“ gewesen. Der Journalist, Schriftsteller und Holocaust-Überlebende Ralph Giordano begreift diese „Stille“ als „zweite Schuld“ Deutschlands, wie er es 1987 formuliert. Sie besteht für ihn in der „Verleugnung und Verdrängung der ersten nach 1945“ sowie in dem “großen Frieden mit den Tätern“55. Neben dieser Kritik steht zu dieser Zeit vor allem die Frage im Raum, wie an den Holocaust angemessen zu erinnern sei 49 | Schmid: Von der „Vergangenheitsbewältigung“, S. 175. 50 | Schmid: Von der „Vergangenheitsbewältigung“, S. 177f. 51 | Schmid: Von der „Vergangenheitsbewältigung“, S. 179. 52 | Zit.n. Lorenz, Ina: Erinnerungszeichen und Mahnmale. Hamburger Juden im Gedächtnis der Stadt, in: Reichel, Peter: Das Gedächtnis der Stadt: Hamburg im Umgang mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit, Bd.6 der Schriftenreihe der Hamburgischen Kulturstiftung, Hamburg 1997, S. 167-186, S. 167f. 53 | Schmid: Von der „Vergangenheitsbewältigung“, S. 180. 54 | Steinbach, Peter: Nationalsozialistische Gewaltverbrechen. Die Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit nach 1945, Berlin 1981. 55 | Giordano, Ralph: Die zweite Schuld oder von der Last ein Deutscher zu sein, Hamburg 1987.

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und welcher historische Stellenwert ihm im Kontext der deutschen Geschichte zukäme. Ein Beispiel dafür ist der so genannte „Historikerstreit“ von 1986/87, in dem es um die Einordnung des Holocaust in ein identitätsstiftendes Geschichtsbild der BRD geht. Jürgen Habermas wirft Ernst Nolte und anderen Historikern vor, den Holocaust zu relativieren und ihn dadurch zu verharmlosen. Die in der Presse ausgetragene, teilweise sehr emotionale Debatte endet schließlich zugunsten einer Aufwertung jener Position, die die Singularitätsthese des Holocaust als ein einzigartiges und unvergleichliches Geschehen vertritt. Diese Debatte wird in einem folgenden Kapitel der vorliegenden Arbeit noch einmal aufgegriffen und ausführlicher besprochen. Zunehmend werden auch die bis dahin „vergessenen“ Opfer der NS-Diktatur, wie z.B. geistig und körperlich behinderte Personen oder Homosexuelle, in der Öffentlichkeit gewürdigt.56 Dazu trägt auch die vielbeachtete Rede Richard von Weizsäckers zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa bei, in der dieser explizit jeder einzelnen Opfergruppe der Nationalsozialisten gedenkt.57 Der damalige deutsche Bundespräsident macht deutlich, dass die Verantwortung für den Nationalsozialismus und seine Verbrechen die deutschen Zeitgenossen und die nachgeborenen Generationen zu einer fortdauernden Erinnerung an die NSOpfer als konstitutivem Teil des deutschen Nationalbewusstseins verpflichte. Auch in der Hamburger Erinnerungspolitik wird in den 1980er Jahren ein Wandel sichtbar. Erstmals werden von staatlicher Seite verstärkt Anstrengungen unternommen, um insbesondere der Hamburger Juden zu gedenken, die während des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet worden sind. Im Namen des Senats fordert der Erste Bürgermeister Klaus von Dohnanyi 1984 eine „rücksichtslose Aufklärung“58 der NS-Zeit Hamburgs, da die bisherige Aufarbeitung dieses Teils der Stadtgeschichte unbefriedigend gewesen sei. Zu diesem Zweck sollen im Rahmen der so genannten „Hamburger Initiative“ erhöhte und zusätzliche Fördermittel bereitgestellt werden, mit denen u.a. Forschung, Ausstellungen und Denkmäler zum Thema finanziert werden sollen.59 Wichtige Impulse zur Erforschung der NSVergangenheit in Hamburg geben seit den frühen 1980er Jahren auch Geschichts56 | Vgl. dazu: Verachtet. Verfolgt. Vernichtet. Zu den „vergessenen“ Opfern des NS-Regimes, hrsg. v. der Projektgruppe für die vergessenen Opfer des NS-Regimes e.V., 2. Aufl., Hamburg 1988. 57 | Vgl. Weizsäcker, Richard von: Zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Ansprache am 8. Mai 1985 in der Gedenkstunde im Plenarsaal des deutschen Bundestages, hrsg. v. der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1985. 58 | Zit.n. Reichel/Schmid: Von der Katastrophe zum Stolperstein, S.89. 59 | Reichel/Schmid: Von der Katastrophe zum Stolperstein, S. 88f. Die „Hamburger Initiative“ ist indes nicht unumstritten. Kritische Stimmen monieren, dass die politische Führung der Stadt jahrzehntelang die „rücksichtslose Aufarbeitung“ der NS-Vergangenheit in Hamburg, die sie jetzt postuliere, kaum gefördert, wenn nicht sogar behindert habe. Vor diesem Hintergrund wird der „Hamburger Initiative“ Unglaubwürdigkeit vorgeworfen. Vgl. Reichel/Schmid: Von der Katastrophe zum Stolperstein, S. 90.

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werkstätten bzw. Stadtteilarchive, die zum jüdischen Leben in verschiedenen Hamburger Stadtteilen recherchieren. Auf der Grundlage dieser Recherchearbeit entstehen zunächst „alternative“ Stadtteilrundgänge und -literatur.60 Zur gleichen Zeit intensiviert sich auch die kritische Auseinandersetzung mit der Hamburger Universitätsgeschichte während der NS-Zeit, die mit der „Entdeckung“ des Widerstands unter Hamburger Studenten gegen den Terror des NS-Regimes in den 1970er begann. Im Fachbereich der Philosophie und Sozialwissenschaften entsteht 1982 eine Ausstellung über das jüdische Leben im Grindelviertel, das sich in direkter Nachbarschaft zum Universitätscampus befindet.61 Ein Jahr später präsentiert die Universität eine Ausstellung, in der die Geschichte der Hochschule während des Nationalsozialismus kritisch beleuchtet wird.62 Auf eine andere Initiative geht das „Bronzene Tafelprogramm“ zurück, das seit 1985 in einer exemplarischen Auswahl die wichtigsten, historisch aussagekräftigsten Gebäude jüdischer Kultur und jüdischen Lebens in Hamburg bis 1945 durch Bronzetafeln kennzeichnet. Das Ziel dieses Projekts ist nicht der mahnende Hinweis auf den Verlust jüdischer Kultur während der NS-Diktatur, sondern in erster Linie der Erhalt der noch vorhandenen Bausubstanz an den historischen Stätten.63 Andere Maßnahmen geschehen hingegen in mahnender Absicht wie 1983 beispielsweise die Errichtung der Bronzeskulptur der Künstlerin Doris Waschk-Balz vor der ehemaligen Synagoge des Israelitischen Tempelverbandes an der Oberstraße, die an die Schändung des jüdischen Gotteshauses während des Pogroms vom 9. November 1938 erinnern soll.64 Im gleichen Jahr wird ein Mahnmal, das von Ullrich Rückriem in Form eines bearbeiteten Granitsteins angefertigt wird, an der Moorweidenstraße am ehemaligen Sammelplatz für die Deportation der Hamburger Juden eingeweiht.65 Am 9. November 1988 wird auf dem Platz, auf dem sich einst die Bornplatz-Synagoge am Grindelhof befand, ein Monument eingeweiht, das auf den ehemaligen Standort der Hauptsynagoge der jüdischen Gemeinde in Hamburg hinweist. Die Künstlerin Margrit Kahl konzipiert das Denkmal, das den Grundriss und das Gewölbeschema des ehemaligen jüdischen Gotteshauses im originalgetreuen Maßstab abbildet, als Bodenmosaik aus hellen und dunklen Granitsteinen.66 Die Synagoge war während der Pogromnacht 1938 stark beschädigt 60 | Apel, Linde (Hg.): In den Tod geschickt, S. 234. 61 | Reichel/Schmid: Von der Katastrophe zum Stolperstein, S. 46. 62 | Reichel/Schmid: Von der Katastrophe zum Stolperstein, S. 46f. 63 | Lorenz: Erinnerungszeichen und Mahnmale, S. 170ff. 64 | Ebd., S. 175. Zur Konzeption und Gestaltung des Denkmals von Doris Waschk-Balz siehe Plagemann, Volker: Kunst im öffentlichen Raum. Ein Führer durch die Stadt Hamburg, Hamburg 1997, S. 246. 65 | Lorenz: Erinnerungszeichen und Mahnmale, S. 180f. Zur Konzeption und Gestaltung des Denkmals von Ullrich Rückriem siehe Fleckner, Uwe: Kunst in der Stadt Hamburg: 40 Werke im öffentlichen Raum, Berlin 2007, S. 75-77; Plagemann: Kunst im öffentlichen Raum, S. 247-248. 66 | Lorenz: Erinnerungszeichen und Mahnmale, S. 175ff. Zur Konzeption und Gestaltung des Denkmals von

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und 1939/40 auf Anordnung der Stadt abgerissen worden.67 Ein anderes Denkmal entsteht 1989 mit dem Monument für die zerstörte Jüdische Gemeinde Altonas. Es wird dem Altonaer Bezirk am Jahrestag der Reichspogromnacht 1989 feierlich übergeben. Bei diesem Denkmal handelt es sich um einen schwarzen Monolithen des Bildhauers Sol LeWitt, der die Leerstelle symbolisieren soll, die die Vernichtung jüdischen Lebens in diesem Stadtteil hinterlassen hat.68 Nach der deutschen Wiedervereinigung bestätigen sich nicht die anfangs gehegten Befürchtungen, die Erinnerung an die NS-Diktatur und ihre Vergehen könne zugunsten einer verstärkten Aufarbeitung der Ungerechtigkeiten des SEDRegimes in der ehemaligen DDR in den Hintergrund rücken.69 Trotz einer Aufsehen erregenden Serie von Prozessen gegen die DDR-Führungsriege in den 1990er Jahren verliert die NS-Vergangenheit in Deutschland während dieser Jahre nicht an Brisanz, sondern erscheint so präsent wie nie zuvor. Als Belege für die Aktualität der Erinnerung an die NS-Vergangenheit und ihre Verbrechen in diesem Zeitraum können u.a. das kontrovers diskutierte „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ in Berlin, die Walser-Bubis-Debatte 1998, die Einführung des Holocaust-Gedenktages am 27. Januar im Jahr 1996, die Goldhagen-Debatte 1996 und die von Kontroversen begleitete Wehrmachtsausstellung gelten, die von 199599 in Deutschland gezeigt wurde. Auch in Hamburg bleibt das Thema aktuell. 1991 wird beispielsweise die Ausstellung „Vierhundert Jahre Juden in Hamburg“ eröffnet, die das Museum für Hamburgische Geschichte von 1991 bis 1992 im Rahmen eines Begleit- und Gedenkprogramms zeigt. Die Ausstellung gibt einen Überblick über das jüdische Leben in Hamburg von seinen Anfängen bis zu den NS-Verbrechen und dem Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinde nach 1945.70 1997 richtet das Museum die Dauerausstellung „Juden in Hamburg“ ein.71 Im Jahr 1995 wird schließlich nach langwierigen Diskussionen der ehemaligen Neuen Dammtor-Synagoge, die während der Reichspogromnacht am 10. November 1938 schwer beschädigt und schließlich durch die alliierten Bombenangriffe im Sommer 1943 vollkommen zerstört worden ist, mit einer Stele und einer Gedenktafel an ihrem früheren Standort gedacht.72 Margrit Kahl siehe Fleckner: Kunst in der Stadt Hamburg, S. 97-99; Plagemann: Kunst im öffentlichen Raum, S. 259. 67 | Zur Geschichte der Bornplatz-Synagoge siehe Hammer-Schenk, Harold: Hamburgs Synagogen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, Hamburg 1978, S. 34-35; Wamser, Ursula/Weinke, Wilfried: Eine verschwundene Welt. Jüdisches Leben am Grindel, Springe 2006, S. 59-63. 68 | Lorenz: Erinnerungszeichen und Mahnmale, S. 182f. Zur Konzeption und Gestaltung des Denkmals von Sol LeWitt siehe Fleckner: Kunst in der Stadt Hamburg, S. 141-145; Plagemann: Kunst im öffentlichen Raum, S. 257-258. 69 | Vgl. Reichel/Schmid: Von der Katastrophe zum Stolperstein, S. 13. 70 | Apel: In den Tod geschickt, S. 234. 71 | Apel: In den Tod geschickt, S. 90. 72 | Lorenz: Erinnerungszeichen und Mahnmale, S. 178f.

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Im selben Jahr publiziert das Hamburger Staatsarchiv eine gänzlich überarbeitete Neuauflage des Gedenkbuches für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, in dem 8.887 Opfer jüdischer Herkunft verzeichnet sind.73 Auch in den letzten Jahren scheint das weitverbreitete Interesse und Engagement in der Stadt an der Aufarbeitung ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit nicht abzureißen: 2001 wird beispielsweise eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Deportation der Sinti und Roma am historischen Ort des ehemaligen Sammellagers der Roma und Sinti angebracht.74 Im Frühjahr 2009 ist im Kunsthaus Hamburg die im vorangegangenen Kapitel beschriebene Ausstellung „In den Tod geschickt“ über die Deportationen von Juden, Sinti und Roma zwischen 1940 und 1945 zu sehen.75 Die Errichtung einer Gedenk- und Dokumentationsstätte auf dem Gelände des ehemaligen Hannoverschen Bahnhofs, des früheren Hamburger Deportationsbahnhofs, befindet sich seit 2008 in Planung. Am Ende des 20. Jahrhunderts gewinnt die öffentliche Wahrnehmung des Holocaust eine neue Dimension, als sich nicht nur in Deutschland sondern auch in vielen anderen Ländern die Tendenz zur „Globalisierung“ bzw. „Universalisierung“ des Völkermords an den europäischen Juden abzeichnet. „Der Holocaust gehört nicht mehr nur Israel oder den Juden, er gehört heute der ganzen Welt.“76 So beschreibt der israelische Historiker Tom Segev dieses Phänomen, das den Holocaust zu einem institutionalisierten, supranationalen Referenzpunkt in einer Welt erklärt, die vor allem durch den Prozess der fortschreitenden Globalisierung gekennzeichnet ist.77 Erhoben auf den „Status einer negativen politischen und kul-

73 | Siehe Apel: In den Tod geschickt, S. 233. Die erste Fassung des Gedenkbuches entsteht 1965 auf Initiative Harry Goldsteins, des damaligen Vorsitzenden der Jüdischen Nachkriegsgemeinde. Er trägt 06.012 Namen jüdischer NS-Opfer im Gedenkbuch zusammen. 74 | Apel: In den Tod geschickt, S. 242. Die Recherchen der Schülerin Viviane Wünsche zu den Deportationen der Sinti und Roma während des Nationalsozialismus in Hamburg und ihre Teilnahme am Wettbewerb um den Bertini-Preis 2001 führen zur Anbringung der Gedenktafel. 75 | Zur Ausstellung erscheint das gleichnamige Buch, das von der Kuratorin der Ausstellung, Linde Apel ,im Auftrag der Behörde für Kultur, Sport und Medien, der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme herausgegeben wird. Es enthält die verschiedenen Beiträge der Präsentation. Siehe ebd. 76 | Dirk, Rupnow: Ein Code für das Böse. Tom Segev über den Holocaust und die möglichen Lehren daraus, in: Wiener Zeitung, Nr. 103, vom 27.05.2006, S. 53. 77 | Vgl. dazu u.a. Diner, Dan: Der Holocaust in den politischen Kulturen Europas, in: Auschwitz. Sechs Essays zum Geschehen und zur Vergegenwärtigung, hrsg. v. K.-D. Henke, Dresden 2001, S. 65-74; Levy, Daniel/Snaider, Natan: Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust, Frankfurt a. M. 2001; Eckel, Jan/Moisel, Claudia: Einleitung, in: Universalisierung des Holocausts? Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in internationaler Perspektive, Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 24, Göttingen 2008, S. 9-25.

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turellen Norm“78, wird der Begriff „Holocaust“ benutzt, um auf Verbrechen und Diskriminierung in anderen politischen Kontexten und Regionen der Welt aufmerksam zu machen. Auf diese Weise läuft er Gefahr, seinen partikulären Charakter zu verlieren. Ein Beispiel für diese Tendenz ist der Ausspruch „Nie wieder Auschwitz“ von Joschka Fischer 1999, den der damalige deutsche Außenminister als Argument für den Einsatz deutscher Soldaten im Kosovo einsetzt. Der Umgang mit der NS-Vergangenheit und ihren Verbrechen im zweigeteilten und dann wiedervereinten Deutschland bewegt sich seit 1945 in einem Spannungsfeld von Vergessen bzw. Verdrängen und Erinnern. Dieser Eindruck bestätigt sich auch am Beispiel der Stadt Hamburg. Am Beginn des 21. Jahrhunderts scheint sich die Bereitschaft zur Erinnerung in weiten Teilen von Region und Land durchgesetzt zu haben, so dass insbesondere die Anerkennung des Holocaust zum jetzigen Zeitpunkt als ein maßgeblicher Bestandteil deutscher Identität erscheint. Der weitgehende Konsens über die Notwendigkeit eines öffentlichen Erinnerns an die nationalsozialistische Herrschaft und ihre Verbrechen hierzulande schließt jedoch nicht die Übereinstimmung in der Bewertung dieses Abschnitts der Geschichte mit ein. Umstritten bleibt auch die Frage, wie eine angemessene Auseinandersetzung mit diesem Thema in Form von Museen, Gedenkstätten und Denkmälern gestaltet werden kann. Mit Blick auf die Zukunft, in der bald nicht mehr über ein persönliches Erinnern der NS-Zeit durch Zeitzeugen verfügt werden kann, stellt sich der Nachwelt zudem eine neue Herausforderung, wenn sie die Erinnerung an die Schrecken der nationalsozialistischen Vergangenheit bewahren und wach halten will.

78 | Rupnow, Dirk: Transformationen des Holocausts. Anmerkungen nach dem Beginn des 21. Jahrhunderts, in: Transit 35 (2008), S. 68-88, S. 68.

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4. Wie sprechen wir über den Holocaust: Der Diskurs und das System

Wie im vorangegangenen Abschnitt deutlich wurde, ist der Holocaust heute im Vergleich zu früheren Jahrzehnten als Gegenstand des öffentlichen Diskurses in Deutschland wesentlich präsenter und, wie es scheint, Teil eines deutschen Selbstverständnisses. Wie aber begegnen wir heute genau diesem Thema bzw. nach welchen Mechanismen läuft die Auseinandersetzung mit dem Vergangenen in unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen ab? Gibt es vielleicht gewisse Invarianzen, die beschrieben werden können? Die Frage, wie in einem sozialen Gefüge gerade über diese geschichtlichen Ereignisse während der NS-Zeit gesprochen wird, ist aus meiner Sicht deshalb besonders lohnenswert und aufschlussreich, weil die Auseinandersetzung mit diesem Thema sehr klaren Regeln zu unterliegen und markante Merkmale aufzuweisen scheint. Wie sehen aber diese Regeln und Merkmale des Diskurses aus, und was lässt sich aus ihnen für die Form des Gedenkens in diesem Kontext ableiten? Darum geht es im nun folgenden Teil. Dabei soll selbstredend kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden: Vielmehr sollen in einer Art „sozialpsychologischen“ Skizze Charakteristika herausgearbeitet werden, die in unterschiedlichen Diskussionskontexten in Erscheinung treten – sei es in einem Gespräch zwischen Enkeln und Großeltern, die die NS-Zeit selbst erlebt haben, oder einer fachkundigen Debatte unter Wissenschaftlern.

4.1 W IE SPRECHEN WIR ÜBER DEN H OLOCAUST : D ER D ISKURS Unabhängig vom spezifischen Kommunikationskontext scheint es zunächst einmal bestimmte Verhaltensweisen zu geben, die den Teilnehmern dieser Debatte wenn nicht in weiten Teilen gemeinsam so doch zumindest sehr ähnlich sind. Vor diesem Hintergrund scheint die Frage nach der Rolle der eigenen Familienangehörigen innerhalb des nationalsozialistischen Systems eine der ersten zu sein, die sich für Deutsche automatisch stellt. So selbstverständlich diese Form der Reflexion über die eigene Familienvergangenheit in diesem Fall ist, so bemerkenswert muss es wirken, dass sie in anderen geschichtlichen Kontexten vermutlich nicht die gleiche Prominenz besitzt. Hat der eigene Vater oder Großvater die Politik der Nazis gutgeheißen und von den Verbrechen an Juden und anderen Minderheiten gewusst? War er Mitglied der NSDAP? Solche Fragen stellen sich vermutlich nicht unmittelbar in Bezug auf den Ersten Weltkrieg und das deutsche Kaiserreich: Wie beurteilte der Vater oder Großvater den Ausbruch des Krieges 1914, hat er diesen

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begrüßt? War er an der Schlacht von Verdun 1916 beteiligt? Der Umstand, dass wahrscheinlich stärker in dem einen historischen Zusammenhang nach der eigenen Familie gefragt wird als in dem anderen, trägt sicherlich der zeitlichen Nähe Rechnung. Aber es scheint noch andere Gründe zu geben, die stärker mit den Ereignissen selbst und ihrer Bedeutung für die deutsche Geschichte zu tun haben. Ein Begriff wie der der „Stunde Null“, der mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht und dem Ende des NS-Regimes am 8. Mai 1945 den Beginn der Nachkriegszeit bezeichnet, hat sich zum Bestandteil eines selbstverständlichen Sprachgebrauchs entwickelt und ist in dieser Hinsicht ein aussagekräftiges Beispiel. Was mit ihm zum Ausdruck kommt, ist ein Extrem, das auf die Außergewöhnlichkeit der Ereignisse als einschneidende Erfahrung hinweist. Er indiziert, dass sich auf moralisch-gedanklicher Ebene in der Gesellschaft eine Wende vollzieht, die als eine starke Zäsur empfunden wird und durch den vermeintlichen Beginn einer neuen Zeitrechnung seinen sprachlichen Ausdruck erfährt. Inwieweit diese Wende sich dann tatsächlich und unmittelbar vollzogen hat, sei einmal dahingestellt. Dies ist lediglich ein Beispiel dafür, wie wirkungsmächtig die Ereignisse gewesen sein müssen, um auf sprachlicher Ebene eine Form zugewiesen zu bekommen. Warum wirken aber diese Ereignisse so stark nach, dass eine Enkel- und Urenkelgeneration bis heute nach einer Verortung der eigenen Familiengeschichte während der NS-Zeit fragt? Es scheint um mehr zu gehen als eine bloße Bestandsaufnahme, wie die Angehörigen das historische Geschehen erlebt haben. Stärker steht ihre Verwicklung in die Geschehnisse in einer aktiven oder passiven Form der Beteiligung zur Diskussion – und damit ihre mögliche persönliche Schuld. Die Tatsache, dass die Diskriminierung von Minderheiten, ihre Entrechtung und millionenfache Ermordung in einer Gesellschaft möglich waren und nicht ohne das Wissen und die Zustimmung vieler Menschen – mag diese laut oder leise gewesen sein – hätte geschehen können, hinterlässt ein diffuses Gefühl der Beklommenheit und der Scham bei denjenigen, die sich mit diesem Abschnitt der eigenen Geschichte reflektiert auseinandersetzen. Das Bemerkenswerte an diesem Gefühl ist, dass es anscheinend als Verantwortungsbewusstsein weitergegeben wird und zwar an die Generation von Kindern, Enkeln und Urenkeln, die zu jung waren, um die NS-Zeit bewusst zu erleben oder vielleicht noch gar nicht auf der Welt waren. Es scheint eine Verbindung zu geben, eine „schicksalhafte“ Verstrickung, die die Nachgeborenen – wenn auch unfreiwillig – dazu verpflichtet, ein Verantwortungsgefühl für diese geschichtlichen Ereignisse zu entwickeln. Im allgemeinen Sprachgebrauch mag dieses Gefühl auch als „Schuld“ bezeichnet werden. Eine Differenzierung erscheint in diesem Zusammenhang aber durchaus als sinnvoll. Von Schuld im eigentlichen Sinne kann wohl nur im Hinblick auf eine Person gesprochen werden, die am Tatgeschehen unmittelbar beteiligt war bzw. eine Tat trotz Kenntnis und gleichzeitiger Einwirkungsmöglichkeit nicht verhindert hat. Natürlich ist es trotzdem möglich, dass jemand Schuld empfindet, auch wenn

Wie sprechen wir über den Holocaust: Diskurs und System

dieses Gefühl der Situation eigentlich nicht wirklich angemessen ist. Ein Verantwortungsgefühl für etwas, auf das er selbst nicht einwirken konnte, kann er oder sie jedoch entwickeln und muss es vielleicht in bestimmten Fällen auch. Der entscheidende Unterschied ist dabei, dass Verantwortung das Ergebnis einer (Selbst-) Zuschreibung ist: Man übernimmt sie, Schuld hingegen hat man. So ließe sich ein Fall denken, bei dem Soldaten während eines Kriegseinsatzes in einem fremden Land Gefangene foltern und schikanieren. Der Verteidigungsminister des Landes, das die Soldaten geschickt hat, trägt an diesen Vorfällen keine Schuld – so er nicht den ausdrücklichen Befehl gegeben hat, Gefangene zu foltern, oder eine Möglichkeit hatte, diese Vorgänge zu verhindern. Als Repräsentant der Armee muss er jedoch die Verantwortung für das Fehlverhalten seiner Untergebenen übernehmen. Ein Ausdruck dieser Verantwortung könnte in der Konsequenz beispielsweise ein Rücktritt von seinem Amt als Verteidigungsminister sein. Dass ein Deutscher oder eine Deutsche nun ein kleiner oder größer ausgeprägtes Verantwortungsgefühl in Hinblick auf die geschichtlichen Ereignisse in Deutschland zwischen 1933 und 1945 spürt, obwohl er oder sie nicht selbst in dieser Zeit gelebt hat, könnte einen Gesprächspartner (einer anderen Nation angehörend beispielsweise), der keine ähnliche Erfahrung gemacht hat, verwundern, bisweilen vielleicht sogar irritieren. Wird in Deutschland über den Holocaust gesprochen, kann es so wirken, als ob es genau drei Gruppen von Personen während des NS-Regimes gegeben habe. Es wird zwischen Tätern, Opfern und Mitläufern unterschieden. Zwischen diesen drei Kategorien scheint es kaum weitere Differenzierungen zu geben. Ein Film wie „Schindlers Liste“1 wird aus der „Sicht der Opfer“ erzählt, ein Roman wie „Die Wohlgesinnten“2 von Jonathan Littell ist aus der „Perspektive der Täter“ geschrieben. In der filmischen als auch der literarischen Vorlage kommen neben Zugehörigen dieser beiden prominenten Gruppen die sogenannten Mitläufer als schweigende Mehrheit vor. Auch in der historischen Wissenschaft entsteht der Eindruck, dass sich diese grundsätzliche Trichotomie etabliert hat. Dabei ist es keine Frage, dass es Täter, Opfer und Mitläufer gegeben hat. Nur muss auch klar sein, dass

1 | Der Film heißt im englischen Original „Schindler’s List“ und kam 1993 in die Kinos. Erzählt wird die Geschichte von Oskar Schindler, einem deutschmährischen Industriellen, der ungefähr 1200 Juden aus Polen und der Tschechoslowakei während des Zweiten Weltkrieges vor dem Vernichtungslager Auschwitz rettet, indem er sie in seinen Rüstungsfabriken arbeiten lässt. Die Romanvorlage zum Film war das Buch „ Schindler’s Ark“ des australischen Schriftstellers Thomas Kenneally, das 1982 erschien. 2 | „Die Wohlgesinnten“ ist ein Roman des amerikanischen Schriftstellers Jonathan Littell, der das Buch jedoch auf Französisch verfasst und unter dem Titel „Les Bienveillantes“ im August 2006 bei dem Pariser Verlagshaus veröffentlicht hat. Die deutsche Übersetzung erschien 2008 im Berlin Verlag. Die Handlung des Buches ist fiktiv, orientiert sich jedoch an realen Ereignissen und Personen aus der Zeit des Nationalsozialismus in Europa.

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diese grobe Kategorisierung kein besonders differenziertes Bild der Wirklichkeit wiedergibt. Wann aber sprechen wir z.B. von einem „Täter“ und wann von einem „Mitläufer“? Intuitiv scheint es einen Unterschied zu geben zwischen einem Großvater, der Mitglied bei der Waffen-SS war, und dem Lagerarzt Josef Mengele. Während der eine einen schweren, vielleicht unverzeihlichen Fehler gemacht hat, gilt der andere aufgrund seiner systematisch durchgeführten, menschenverachtenden Versuche in Auschwitz gemeinhin als „monströse Bestie“. Die Aufladung von Begriffen ist im Folgenden noch Thema Zunächst geht es aber darum, dass es hier anscheinend eine deutliche Ungleichheit in der Behandlung beider Fälle gibt. Ist diese Ungleichheit jedoch gradueller Art, so dass wir sie beide als „Täter“ sehen, deren Vergehen jeweils einen unterschiedlichen Schweregrad besitzen? Oder deuten wir diese Ungleichheit als einen qualitativen Unterschied zwischen ihnen, der dadurch kenntlich gemacht wird, dass der Großvater in Relation zu Josef Mengele in eine andere Kategorie verlegt wird und zwar in die der Mitläufer? Eine weitere Differenzierung ist letztendlich notwendig, die die genannte Trichotomie sprengt und erweitert. Auch die Zuordnung von Opfern und Tätern muss nicht immer eindeutig in diesem Kontext sein. So stellt beispielsweise Hannah Arendt in ihrem Bericht über den Eichmann-Prozess diese Trennung in Hinblick auf Mitglieder von jüdischen Behörden stark in Frage, die teilweise mit Nazibehörden über Deportationslisten und einzelne Privilegien für sich selbst verhandelten.3 Arendts Beschreibung von Adolf Eichmann ist etwas später in diesem Abschnitt auch noch Thema. Die Auseinandersetzung, wie über den Holocaust gesprochen wird, macht deutlich, dass diese Begriffe – Täter, Opfer und Mitläufer – in eine moralische Kategorie fallen. Sie enthalten eine stark wertende Note. Das zeigt sich auch an einem Beispiel, bei dem bereits ein Interesse für einen Täter problematisch erscheint. Das muss 1995 die Profi-Schwimmerin Franziska van Almsick erfahren. Auf die Frage einer französischen Journalistin nach ihrem Geschichtsinteresse, antwortet die damals 17-Jährige: „Ich will wissen, wie das alles so ablief. Besonders der 2. Weltkrieg. Fragt man die Leute nach Hitler, hört man immer nur, daß er ein Böser war, total blöd und viele Menschen umgebracht hat. Doch mich interessiert genau, was das für ein Typ war. Eigentlich war er ja ganz schlau. Ich habe „Mein Kampf“ gelesen und plötzlich verstanden, wie er das gemacht hat, seine Wege. Das soll jetzt aber nicht heißen, dass ich ein Fan bin. Mich interessiert das Phänomen.“4 Zu

3 | Ludz, Ursula/ Wild, Thomas (Hg.): Hannah Arendt im Gespräch mit Joachim Fest. Eine Rundfunksendung aus dem Jahr 1964, in: Zeitschrift für politisches Denken, Ausg.1, Bd.3 (Mai 2007), S.1-15, S. 3ff. 4 | Weise, Klaus: Franziska van Almsick stösst auf der Suche nach sich selbst an viele Ecken und Kanten. Ein Superstar, der keiner sein will, aus: Berliner Zeitung, vom 26.08.1995. Siehe dazu http://www.berlinerzeitung.de/archiv/franziska-van-almsick-stoesst-auf-der-suche-nach-sich-selbst-an-viele-ecken-undkanten-ein-superstar--der-keiner-sein-will,10810590,8994872.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015].

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dem Zeitpunkt, als das Interview entsteht, ist die Schwimmerin auf dem Höhepunkt ihrer Karriere und gilt nach der erfolgreichen Olympia-Teilnahme 1992 aufgrund ihres jugendlichen Alters als sportliches Wunderkind. Dementsprechend groß ist das Medieninteresse damals an ihrer Person. Ihre Äußerungen werden in der Presse als unbedarft gewertet und als laxe verbale Entgleisung eines Teenagers abgetan.5 Die Sportlerin sieht sich deshalb nachfolgend zu einer öffentlichen Stellungnahme genötigt, in der sie ihre Äußerung folgendermaßen erläutert: „Ich interessiere mich sehr für die deutsche Geschichte, und ich beschäftige mich sehr intensiv damit. Und zum 2. Weltkrieg gehört Adolf Hitler. Es ist doch nicht verboten, sich damit zu beschäftigen. Wenn damit irgendwelche Leute Probleme haben, dann tut mir das leid.“6 Genau dieses (nicht von vornherein mit einer Verurteilung seiner Taten einhergehende) Interesse für die Person Hitlers scheint, im öffentlichen Diskurs zunächst einmal nur schwer zu akzeptieren. Dabei muss fairerweise zugestanden werden, dass es sich bei Hitler nicht um irgendeinen Täter handelt, sondern gewissermaßen um den Prototyp des Täters. Er besitzt einen Sonderstatus und fällt qualitativ nicht in dieselbe Kategorie wie ein beliebiger Nazi. Hier zeigt sich das zuvor angesprochene Problem der angemessenen Kategorisierung abermals. Warum ist aber ein grundsätzliches Interesse an seiner Person und ein tiefergehendes Verständnis für seine Handlungsweisen, die verurteilt werden können und müssen, so problematisch, dass es im Diskurs fast anrüchig wirkt? An einem weiteren Beispiel, das jedoch nicht aus dem deutschen Kontext stammt, sondern im internationalen Rahmen für Aufsehen gesorgt hat, kann das vielleicht noch etwas deutlicher herausgearbeitet werden. Auf einer Pressekonferenz zu seinem Film „Melancholia“ in Cannes 2011 sorgt der dänische Regisseur Lars von Trier mit Äußerungen zu Hitler und der NS-Zeit für einen Eklat. Ausgangspunkt sind die Fragen einer Journalistin nach der familiären Herkunft des Filmemachers und danach, was ihn an der Ästhetik der Nationalsozialisten reize. Dies geschieht in Rückbezug auf frühere Äußerungen des Regisseurs. In einer ironisierend wirkenden Art sagt er darauf, dass er lange Zeit geglaubt habe, ein Jude zu sein, dann aber habe erkennen müssen, dass er in Wirklichkeit ein „Nazi“ sei, weil seine Familie väterlicherseits ursprünglich aus Deutschland käme.7 Der eigentliche Satz jedoch, der im Anschluss für Aufsehen und Empörung sorgt, ist dieser: „I can understand Hitler.“ In dieser Formulie5 | Der Wiener Kurier titelte „ Der verbale Bauchfleck [Bauchklatscher] einer unreifen Königin.“ Zit. n. ebd. 6 | Ebd. 7 | Vgl. dazu die Aufnahme der Pressekonerenz, die im Netz veröffentlicht wurde: www.dailymotion. com/video/xirys9_press-conference-18-may-2011-festival-de-cannes-melancholia-lars-von-trier_ shortfilms [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. Der Ziehvater des Regisseurs ist jüdischen Glaubens, sein leiblicher Vater, Fritz Michael Hartmann, ist Deutscher, wie von Trier jedoch erst im Alter von 33 Jahren erfuhr. Siehe auch Lumholdt, Jan: Lars von Trier: Interviews (Conversations With Filmmakers), Mississippi 2003, S. 184f.

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rung müssen die Worte zunächst einmal irritieren und provozierend wirken. Von Trier ist das mit großer Wahrscheinlichkeit bewusst, dennoch oder vielleicht gerade deshalb fährt er mit einzelnen kurzen Unterbrechungen fort: „ He [Hitler] did some wrong things. I can see him sitting in his bunker. I think I can understand the man. He is not what you would call a good guy. I can understand him and I symphasize with him a little bit. But common, I am not for the Second World War and I am not against Jews.“8 „Hitler verstehen“ kann zunächst einmal so klingen, als ob jemandem die Handlungen dieser Person bis zu einem gewissen Grad nachvollziebar erscheinen, und sie für ihn damit gerechtfertigt sind. Das ist aber m.E. nicht mit dieser Äußerung gemeint. Es wird hier ein anderes Tabu gebrochen, das Teil dieses Diskurses ist und am Beispiel der Äußerung von van Almsick bereits angeklungen ist. Hitler wird von dem dänischen Regisseur als „Mensch“ gezeichnet, der in seinem Bunker hockt. Das mag in gewisser Weise an die Gedanken von Hannah Arendt zu Adolf Eichmann erinnern, dessen Prozess sie 1961 in Jerusalem verfolgt. Im Auftrag der amerikanischen Wochenzeitschrift The New Yorker berichtet sie von ihren dortigen Eindrücken.9 Eichmann gilt als diejenige Person, die die Deportationen der europäischen Juden in die deutschen Vernichtungslager organisiert hat. Seine Organisation der Transporte hat entscheidend dazu beigetragen, dass ein Mord an Millionen von Menschen überhaupt durchführbar war. In ihrem Bericht warnt Arendt vor der Symbolisierung, Mythologisierung und Dämonisierung Eichmanns. Das Erschreckende ist für sie, während des Prozesses zu erkennen, dass der Angeklagte relativ normal wirkt: „… er war wie viele und daß diese vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschreckend normal waren und sind.“10 Dieses Paradox findet bei ihr in dem Begriff der „Banalität des Bösen“ seinen Ausdruck. Damit spielt sie auf die Mythenbildung im Hinblick auf die NSZeit an, in der sie eine Gefahr sieht. Bereits 1946 schreibt sie an Karl Jaspers, dass es notwendig sei, auf die „Mythen“ zu verzichten, um das Dahinterliegende zu verstehen: „Alle Ansätze von Mythen der Schrecklichkeit sind zu bekämpfen, und solange ich aus solchen Formulierungen nicht herauskomme, habe ich den eigentlichen Vorgang nicht verstanden.“11 In eine ähnliche Richtung geht der Kommentar bei von Trier, der mit seiner Äußerung „I can understand Hitler“ allerdings die radikale Konsequenz aus dem formuliert, zu dem Arendt auffordert. Hitler ist für ihn eben nicht die Personifikation des Bösen, das Nicht-Menschliche, das sich in der Grausamkeit seiner Taten jeglicher Erklärung entzieht. Trotz seiner Gräueltaten 8 | Vgl. dazu die Aufnahme der besagten Pressekonferenz, ebd. 9 | Straßenberger, Grit: Hannah Arendt zur Einführung, Hamburg 2015, S. 34. 10 | Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem: a report on the banality of evil, New York 2006, S. 233. 11 | Dies schreibt Hannah Arendt am 17. Dezember 1946 an ihren langjährigen Mentor Karl Jaspers. Zit. n. Ringguth, Rudolf: Mythen des Schrecklichen. Rudolf Ringguth über Hannah Arendt/Karl Jaspers: „Briefwechsel“, in Der Spiegel, Ausg. 51/1985, vom 16.12.1985.

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hat er für den Regisseur eine menschliche Natur, die uns in all ihrer Abgründigkeit und „Krankheit“ trotzdem zumindest theoretisch zugänglich sein müsste. Nichtsdestotrotz stößt die Vorstellung von Hitler als einem menschlichen Wesen, das er zumindest biologisch gewesen sein muss, anscheinend auf Widerstand. Es hat sich ein Bild des schlichtweg Bösen durchgesetzt, das diabolische Züge trägt. Die möglichen Gründe dafür sind diffus. Eine Erklärung könnte sein, dass die Verbrechen, die unter seinem Regime stattgefunden haben, in ihrem Ausmaß und in ihrer Schwere eine solche Dimension erreicht haben, dass ihnen im wahrsten Sinne des Wortes etwas „Unmenschliches“ anhaftet, das sich so nicht begreifen lässt und als „Teufelswerk“ gedeutet wird. Unbenommen der Tatsache, dass es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt, die bis heute beispiellos in der Geschichte sind, birgt diese Deutung natürlich die Gefahr in sich, einen Mythos des Bösen zu erschaffen, der sich jeder kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte entzieht. Auf der anderen Seite scheint die Frage berechtigt, warum Handlungen mit Empathie begegnet werden sollte, die selbst jeder Form von Menschlichkeit entbehren. Unser moralisches Empfinden lehnt diese Verbrechen ab und verweigert sich dem Versuch, sie auch nur im Ansatz verstehen zu wollen. Unter diesem Aspekt kann es keine uns erschließbaren Gründe für sie geben, so dass sie – vielleicht als ein gewisser Ausdruck von Hilflosigkeit – in den Bereich des Mythischen verbannt werden. Arendt wird nach Veröffentlichung ihres Berichtes der Vorwurf gemacht, dass sie „das Böse“ zu relativieren suche, indem sie Eichmann als einen Menschen zeichnet, dessen Verbrechen vor allem aus einer mangelnden Reflexions- und Urteilskraft und einem eklatanten Desinteresse an seiner Umwelt resultiert.12 Der Vorwurf, dass durch die Darstellung Hitlers bzw. der Täter von einer menschlicheren Seite die Verbrechen der Nationalsozialisten verharmlost würden, verdeutlicht den stark normativen Charakter des Diskurses. Als der Schweizer Regisseur und Schauspieler Dani Levy 2007 seinen Film „Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“ in die Kinos bringt, sieht er sich genau mit dieser Art der Kritik häufig in der Presse konfrontiert. Levys Film ist eine Parodie, die Hitler als ängstlichen, mit Neurosen behafteten Mann zeigt, der sich mit Hilfe eines bekannten jüdischen Schauspielers auf eine große Rede am Neujahrstag vorbereitet. Die Filmfigur Hitler bekommt etwas Menschliches im Verhältnis zu seinem Mentor, Adolf Grünbaum, der seinen Schützling sogar gegenüber seiner Ehefrau verteidigt, als er sie mahnend darauf hinweist, dass auch „der Führer“ ein Opfer seiner Kindheit sei. Levys Film-Hitler hat Grünbaum zuvor gestanden, als Kind vom eigenen Vater misshandelt worden zu sein. Der Regisseur spielt aber nicht nur mit dem gängigen Schema von Täter und Opfer, indem er es in Hinblick auf die Kindheit der Filmhauptfigur ins Gegenteil verkehrt, er geht noch einen 12 | Zur Rezeption des Buches „Eichmann in Jerusalem“ siehe auch Smith, Gary (Hg.): Hannah Arendt Revisited. „Eichmann in Jerusalem“ und die Folgen, Frankfurt a. M. 2000.

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Schritt weiter: Hitler wird in seinem Film komisch dargestellt. Der deutsche Filmkritiker und Filmwissenschaftler Daniel Kothenschulte bringt das damit einhergehende Problem mit einer einzigen Frage auf den Punkt: „Darf man lachen über Hitler?“13 Dieter Graumann, der 2007 Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland ist, kommentiert das folgendermaßen: Hitler sei „kein putziger Räuber Hotzenplotz“ gewesen und wirft Levy vor, Hitler und seine Zeit zu verklären.14 Der Dramatiker Rolf Hochhuth äußert, es sei für ihn „unerklärlich, wie ein Mann, der selbst Jude ist, so eine Geschichtsfälschung ins Kino bringen kann.“15 Dass Levy nun wahrscheinlich nicht die Absicht hatte, die zeitlichen Umstände und ein Portrait Hitlers nach realistischem Maßstab abzubilden, dürfte allein aus dem Titel seines Films hervorgehen. Die Diskussion, ob Hitler humorvoll dargestellt werden darf, zeigt, dass das vorherrschende Bild, das wir von ihm haben, ein anderes ist. Eine historische Person humorvoll zu zeichnen, die für so viel Terror und Leid verantwortlich ist, scheint aus einem moralischen Empfinden heraus fragwürdig. Die Befürchtung, die sich dahinter verbirgt, ist, dass auf diese Weise die Verbrechen der Nationalsozialisten bagatellisiert werden und die historische Gestalt Hitlers ein Stückchen weit rehabilitiert wird. Ob diese Gefahr in dem konkreten Fall tatsächlich gegeben ist, erscheint zumindest überlegenswert. Levys Hitler ist eine Karikatur. Der Regisseur ordnet seiner Filmfigur zwar menschliche Eigenschaften zu, die er aber vollkommen überzeichnet. In seiner Unzulänglichkeit und Kläglichkeit erscheint dieser Staatsmann, der beansprucht, ein Weltreich zu regieren, aber vor Angst schlottert, weil er eine öffentliche Rede halten muss, bedauernswert und geradezu lächerlich. Levys Darstellung ist anders, seine Kritik nicht weniger beißend. Dass die Thematik um die Darstellung Hitlers nicht einfach ist, zeigt die Reaktion eines anderen Regisseurs und Schauspielers, der 1940 eine berühmte Hitlerpersiflage unter dem Titel „Der große Diktator“ schafft. Charlie Chaplin distanziert sich später von seinem Film mit folgender Begründung: Wenn er zum Zeitpunkt der Entstehung des Films damals hätte absehen können, welche Gräueltaten Hitler noch vollbringen würde, so wäre es ihm nicht möglich gewesen, diesen Film zu machen.16 Worauf es mir jedoch bei dem Filmbeispiel von Levy vorrangig ankommt, ist, dass dieser Fall zeigt, wie klar die Vorgaben sind und wie deutlich der Rahmen abgesteckt ist, in dem wir über dieses Thema sprechen bzw. glauben, dass wir darüber zu sprechen haben. Unser Bild von Hitler wird sich vermutlich mit der Zeit durch weitere Beiträge wie z.B. den Film von Levy verändern, in welcher Form auch immer die gängige Darstellung dieser historischen Gestalt hinterfragt und verändert wird. 13 | Vgl. Kothenschulte, Daniel: Lachen gegen den wohligen Schauer, in: Frankfurter Rundschau, vom 09.01.2007. 14 | Siehe „Mein Führer“: Massive Kritik an Levys Hitler-Satire, in: Spiegel-Online, vom 09.01.2007. 15 | Ebd. 16 | Chaplin, Charlie: Geschichte meines Lebens, Frankfurt a.M. 1977, S. 399f.

Wie sprechen wir über den Holocaust: Diskurs und System

Eine weitere Regel innerhalb des Diskurses zeigt sich an einem Kommentar von Fritz Pleitgen, dem ehemaligen Intendanten des Westdeutschen Rundfunks. Er kritisiert den Film von Levy auf diese Weise: „Nur die Opfer könnten uns das Recht zugestehen, über Hitler zu lachen.“17 Mit „uns“ sind vermutlich die Deutschen als Nation gemeint. Auch Fritz Pleitgen bezieht sich damit anscheinend auf die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Tätern, Mitläufern und Opfern, wobei er erstere implizit als Gegenstück zu den Opfern mit „uns“ voraussetzt. Ebenso scheint er davon auszugehen, dass sich ein Verantwortungsgefühl für die NS-Verbrechen auf die folgenden Generationen der Täter und Mitläufer überträgt, so wie auch bei den Angehörigen der Opfer ein Bewusstsein für das an ihren Verwandten verübte Unrecht über die Generationen weiterzuleben scheint. Durch Pleitgens Kommentar wird außerdem die Ansicht deutlich, dass die sogenannten Täter moralisch jedes Recht verloren haben, den Diskurs formal und inhaltlich frei zu gestalten. Sie sind an eine wesentliche Vorgabe gebunden, die darin besteht, Rücksicht und Respekt gegenüber den Gefühlen der Opfer zu zeigen. Dabei hat die Forderung eine stark normative Ausrichtung: Die Gefühle der Opfer sollen respektiert werden. Denn sie haben nicht nur unermessliches Leid erfahren müssen, sondern mussten in ihrer Entrechtung erleben, wie sie faktisch keine Möglichkeit hatten, sich dagegen zu wehren. Im übertragenen Sinn wurde ihnen ihre Stimme aberkannt. Das war eine Erfahrung, die weit über 1945 andauerte, bis sich die deutsche Gesellschaft schließlich nach Ablauf von Jahrzehnten für das Schicksal der Opfer zu interessieren begann und es nach und nach anerkannte. Vor diesem Hintergrund ergibt es besonderen Sinn, dass in der Art, wie heute über den Holocaust gesprochen wird, die „Stimme“ der Opfer besondere Berücksichtigung findet. Auf diese Weise wird der Gefahr wirksam begegnet, sie ein zweites Mal mundtot zu machen. Das zuvor thematisierte Verantwortungsgefühl der Nachgeborenen für die Taten einer älteren Generation wirkt in dieser Richtung vermutlich förderlich und unterstützend. Das heißt allerdings nicht, dass diese Maßgabe, die Gefühle der Opfer zu respektieren, nicht auch einmal bewusst oder unbewusst überschritten wird. Passiert dies jedoch, gibt es mit großer Wahrscheinlichkeit innerhalb des Diskurses ein entsprechendes Echo, das darauf aufmerksam macht. Dass die Gefühle der Opfer in der Auseinandersetzung ein wichtiger Indikator für den respektvollen Umgang miteinander sind, steht außer Frage. Ob sie immer das ausschlaggebende Argument in einer Diskussion sein können, lässt sich aber wahrscheinlich nur anhand von Einzelfällen entscheiden. Auch eine Kritik an den Opfern selbst wiegt vor diesem Hintergrund besonders schwer. Die bereits zuvor erwähnten kritischen Anmerkungen von Hannah Arendt gegenüber jüdischen Behörden, deren Mitgliedern sie teilweise vorwirft, zu ihrem 17 | Vergleiche den Artikel „WDR-Intendant Pleitgen lobt „Mein Führer“, der im Netz unter dem folgenden Link nachzulesen ist: http://www.quotenmeter.de/n/18237/wdr-intendant-pleitgen-lobtmein-fuehrer [zuletzt eingesehen am 27.09.2015].

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eigenen Vorteil mit den Nationalsozialisten über Deportationslisten verhandelt zu haben, stellt sie selbst 1963 in den Fokus der Kritik. Juden in den USA und Israel reagieren damals empört auf diese Ausführungen in Arendts Bericht über den Eichmann-Prozess und werfen ihr vor, das Leiden der Opfer auszuklammern und diese herabzuwürdigen.18 An diesem und den zuvor genannten Beispielen zeichnet sich eines ganz deutlich ab: Der Diskurs ist stark von zwei verschiedenen Ebenen bestimmt, die eng miteinander verbunden sind: die epistemische Ebene (was ist geschehen?) und die moralische (wie soll damit umgegangen werden?). Wie dicht diese beiden Ebenen zusammenhängen und sich gegenseitig bedingen, wird an einem weiteren Fall deutlich, der einen wiederkehrenden Streitpunkt innerhalb des Diskurses thematisiert: die Einordnung der NS-Zeit in die (deutsche) Geschichte. Nach wie vor herrscht Uneinigkeit über diesen Punkt. Zum ersten Mal prominent und kontrovers diskutiert wird dies im Rahmen des Historikerstreits, der 1986 beginnt und sich bis in das folgende Jahr zieht. Der Historiker Ernst Nolte und der Philosoph Jürgen Habermas sind die beiden Hauptkontrahenten in diesem Streit und vertreten zwei gegensätzliche Positionen, wie die NS-Zeit und ihre Verbrechen im historischen Kontext zu sehen seien. Habermas wirft Nolte vor, den Holocaust zu verharmlosen und zu relativieren, indem der Historiker für eine geschichtliche Kontinuität zwischen der systematischen Ermordung der Juden in den deutschen Konzentrationslagern und der Lagerpolitik im Archipel Gulag argumentiert.19 Nach Noltes Ansicht gibt es Parallelen zwischen diesen beiden Fällen, die im Vergleich aufschlussreich sind. So habe es sich im letztgenannten Fall um eine politisch-sozial motivierte Verfolgung gehandelt, im erstgenannten um eine rassistisch-geleitete. Erst der Vergleich, so die Ansicht Noltes, könnte den qualitativen Unterschied zwischen der sozial motivierten und rassistisch motivierten Form der physischen Vernichtung verdeutlichen, zumal ein „kausaler Nexus“ bestünde.20 Habermas deutete dies als Versuch einer Relativierung des Holocausts.

18 | Der Historiker Joachim Fest spricht im Kontext der Buchveröffentlichung „Eichmann in Jerusalem“ vom „zweifellos größten Skandal“, den „ein Buch in Jahrzehnten hervorgerufen hat“. Vgl. dazu Fest, Joachim C.: Das Mädchen aus der Fremde: Hannah Arendt und das Leben aus lauter Zwischenstationen, in: Ders.: Begegnungen: Über nahe und ferne Freunde, Reinbek bei Hamburg 2004, S. 176-214, S. 180. Einige der wichtigsten Kommentare und Kritiken finden sich in: Krummacher, Friedrich A.: Die Kontroverse. Hannah Arendt, Eichmann und die Juden, München 1964. 19 | Piper, Ernst Reinhart (Hg.): „Historikerstreit“. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987. 20 | Ernst Nolte deutet die Verbrechen der Nationalsozialisten als Reaktion auf die vorausgegangenen Massenverbrechen und das Gulag-System in der Sowjetunion. Siehe dazu neben den einschlägigen Texten des Historikers in der in Fußnote 611 genannten Dokumentation der Kontroverse auch den Film „Deutscher Streitfall: Der Historiker Ernst Nolte. „Gespräch mit einem Ketzer““, den der Regisseur Andreas Christoph Schmidt 2005 für den SWR 2005 gedreht hat.

Wie sprechen wir über den Holocaust: Diskurs und System

Er vertritt die These, der Holocaust sei ein einzigartiges und unvergleichliches Geschehen, das als Phänomen beispiellos in der Geschichte ist.21 Beide Wissenschaftler argumentieren für die von ihnen vertretene Position – die Singularität bzw. historische (nicht moralische) Relativität des Holocaust – von der Sachebene aus im Wissen um die Schwere und das Ausmaß des Verbrechens. Ich unterstelle, dass es keinem von beiden um eine Relativierung der Geschehnisse im Sinne einer Verharmlosung geht. Nolte sieht jedoch im Vergleich der historischen Fakten die Möglichkeit, ein Phänomen wie den Holocaust in einen geschichtlichen Kontext einzuordnen und besser zu „verstehen“. Aus seiner Sicht des geschichtlichen Zusammenhangs hat er dazu berechtigten Grund, den Holocaust als Mutation einer perversen Idee zu begreifen, die bereits zuvor in der Geschichte in abgewandelter Form aufgetreten ist. Für Habermas hingegen zeichnet sich diese Vergleichbarkeit mit anderen historischen Fällen nicht ab. Für ihn haben die Verbrechen in ihrer Erscheinung auf rein sachlicher Ebene keine historisch vergleichbaren Vorlagen. Angesichts dieser Sachlage bzw. wie sie sich ihm erschließt, scheint es dann aber auch eine moralische Notwendigkeit zu geben, die Geschehnisse in der Einzigartigkeit des Verbrechens herauszustellen und zu verteidigen. Sie verpflichtet ihn dazu. Für Nolte gibt es diese Notwendigkeit ganz einfach nicht im selben Maße. Er deutet die Sachlage anders, wenn er die Schwere der Verbrechen an sich auch nie bestritten hat. Am Ende der Debatte steht schließlich die Aufwertung der Position von Habermas zugunsten der Singularitätsthese des Holocaust. Diese Sicht hat sich weitgehend durchgesetzt in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft und als eine erste Konsequenz die Distanzierung der deutschen Historikerzunft zu Nolte gefordert, die ihn in den folgenden Jahren aus ihrem Kreis vollständig ausschließt. Ein anderer am Rande beteiligter Historiker in dieser Debatte zwischen Nolte und Habermas ist Andreas Hillgruber. Er wird von Rudolf Augstein, dem damaligen Chefredakteur und Herausgeber von Der Spiegel, im Zuge der Debatte als ein „konstitutioneller Nazi“ bezeichnet.22 Augstein bezieht sich damit auf eine Schrift von Hillgruber, die als „Zweierlei Untergang: Die Zerschlagung des Deutschen Reiches und das Ende des europäischen Judentums“23 veröffentlicht wird. Das Buch ist zweigeteilt. Die zweite Hälfte über die Vernichtung der Juden während der NS-Zeit steht ursprünglich eigenständig für sich allein als ein Vortrag, den der Historiker auf einem Symposium von Holocaust-Forschern wie z.B. Raul Hilberg und Eber-

21 | Habermas; Jürgen: Eine Art Schadensabwicklung, in: Die Zeit, vom 11.07.1986, Nr. 29. 22 | Augstein, Rudolf: Die neue Auschwitz-Lüge, in: Der Spiegel 41/1986 abgerufen auf Spiegel Online [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 23 | Hillgruber, Andreas: Zweierlei Untergang: Die Zerschlagung des Deutschen Reiches und das Ende des europäischen Judentums, Berlin 1986.

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hard Jäckle hält.24 Veröffentlicht wird die Schrift zusammen mit Überlegungen zur letzten Phase des Krieges und dabei vor allem der Kampf der Deutschen im Osten. Die Zusammenfassung dieser beiden thematisch unterschiedlichen Texte in einen Band mit dem Titel „Zweierlei Untergang“ wird als eine Gleichsetzung des Mordes an den Juden mit dem Zusammenbruch des Landes verstanden, deren Führung und Volk diesen zu verantworten haben. Zudem scheint es befremdlich, dass im Zusammenhang mit den Juden von einem Ende geschrieben wird, das wie ein stilles Erlöschen anmuten kann, während beim Deutschen Reich von einer brutalen „Zerschlagung“ die Rede ist. Auch an dieser Stelle wird deutlich, dass der Diskurs zusätzlich auf sprachliche Feinheiten sensibilisiert ist. Auch Hillgruber wird der Vorwurf gemacht, den Holocaust auf diese Weise zu relativieren. Die Bezeichnungen „Nazi“, „Rassist“ und „Antisemit“ gelten vor dem geschichtlichen Hintergrund, der diese Begriffe hervorgebracht hat, mit zu den vernichtendsten Formen gesellschaftlicher Ächtung, die einem sozialen Rufmord gleichkommen können. Wer in den Verdacht gerät, antisemitisch eingestellt zu sein, scheint gesellschaftlich an den Rand gedrängt zu werden innerhalb einer Gemeinschaft, deren Wertesystem sich mit Fremdenhass und insbesondere mit Antisemitismus nicht vereinbaren lässt. Nicht nur eine moralische, sondern konkrete rechtliche Folgen hat die Leugnung des Holocaust in Deutschland, dessen Anerkennung im deutschen Grundgesetz nach dem Zweiten Weltkrieg fest verankert wird und damit konstituierend für die Bundesrepublik ist. Moralische Integrität scheint in diesem Zusammenhang sehr viel stärker von einer grundsätzlichen Haltung abzuhängen als von einzelnen konkreten Handlungen. 2007 veröffentlicht die Fernsehmoderatorin Eva Herman ihr Buch „Das Prinzip Arche Noah“ und löst bei der Buchvorstellung mit einigen Äußerungen zu NaziDeutschland eine Welle der Entrüstung aus. „Da sei vieles sehr schlecht gewesen, zum Beispiel Adolf Hitler, aber einiges eben auch sehr gut. Zum Beispiel die Wertschätzung der Mutter.“25 In einem nachfolgenden Interview mit der Bild am Sonntag sagt die damalige Tagesschau-Sprecherin, die Generation der 68er hätte Werte „wie Familie, Kinder und das Mutterdasein, die auch im Dritten Reich gefördert wurden“ abgeschafft.26 In einem früheren Buch hatte die als Karrierefrau geltende Moderatorin ein konservativ anmutendes Frauenbild, das vor allem von Kindererziehung und Haushaltsführung geprägt ist, vertreten und sich für eine klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau stark gemacht.27 Vor diesem Hinter24 | Siehe dazu den Film „ Deutscher Streitfall: Der Historiker Ernst Nolte. „Gespräch mit einem Ketzer“, der in Fußnote 611 bereits genannt wurde. 25 | Siehe Thomann, Jörg: Eva Herman über Ihr neues Buch. „Eigentlich kann ich dankbar sein“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (Online-Ausgabe), 10.05.2010. 26 | Ebd. 27 | 2006 veröffentlicht Eva Herman ihr Buch „Das Eva Prinzip“, in dem sie die These vertritt, dass der Feminismus dafür verantwortlich sei, dass die moderne Frau sich mit verschiedenen Rollenanforde-

Wie sprechen wir über den Holocaust: Diskurs und System

grund überraschen ihre Äußerungen zum „Mutterdasein“ nicht vollkommen. Im Kontext der NS-Zeit bekommen sie für die Medien jedoch noch eine andere Qualität, wie es scheint. Die Sprecherin wird in vielen deutschen Zeitungen kritisiert. Dabei wird ihr auch eine Nähe zum nationalsozialistischen Gedankengut unterstellt. In der Folgezeit bemüht sich Herman, ihre Äußerungen zu korrigieren bzw. zu erklären. In der FAZ wird sie folgendermaßen zitiert: „Was ich zum Ausdruck bringen wollte, war, dass Werte, die ja auch vor dem Dritten Reich existiert haben, wie Familie, Kinder und das Mutterdasein, die auch im Dritten Reich gefördert wurden, anschließend durch die 68er abgeschafft wurden.“ In derselben Ausgabe mahnt die damalige NDR-Rundfunkrätin Sarah-Ruth Schumann Herman ab: Sie erwarte von einer „intelligenten Moderatorin“, „dass sie sauber formuliert“. Michael Fürst, damaliges Mitglied im NDR-Verwaltungsrat, kommentierte Hermans Äußerungen so: „Wenn sie diesen verquasten Unsinn so gesagt hat, spricht das für ein sehr schlichtes Gemüt und ist historisch unverantwortlich.“ Was genau ist nun „historisch unverantwortlich“? Der Stein des Anstoßes in diesem Fall ist, dass Herman sagt, dass nicht alles schlecht gewesen sei unter dem Regime der Nationalsozialisten. Diese Stellungnahme verträgt sich nicht damit, dass das Bild von NS-Deutschland berechtigterweise ein sehr negatives ist. Es scheint sich jedoch gesellschaftlich fast zu verbieten, auch etwas Positives darin zu entdecken. Der Vorwurf wird laut, dass die Sprecherin die NS-Zeit dadurch verharmlosen würde. Herman rührt mit ihren Äußerungen – die in ihrer Formulierung womöglich ungeschickt und wenig diplomatisch wirken können – offensichtlich an diesem gesellschaftlichen Tabu. Durch die entsprechenden Reaktionen aus den Medien wird ihr das bewusst. Sie versucht, sich mehrere Male öffentlich zu rechtfertigen, fühlt sich missverstanden und teilweise falsch zitiert.28 Ihre Versuche misslingen jedoch. Kollegen distanzieren sich von ihr, beim NDR wird ihr gekündigt, andere laufende Verträge mit Herman aufgelöst. Die Reaktionen in den Medien auf Hermans Äußerungen fallen insgesamt scharf aus. Das könnte der Tatsache geschuldet sein, dass die Gemeinschaft von Journalisten und Medienbeschäftigten es in diesem Fall mit einem Mitglied aus den eigenen Reihen zu tun hat, das durch sein Verhalten in Ungnade fällt und die Konsequenzen dafür umso deutlicher zu spüren bekommt. Herman beschreibt das Medienecho auf ihre Äußerungen später als „Rufmordkampagne“. Sie sieht sich als Opfer einer „gleichgeschalteten Presse“. Der Stern kritisiert diese Wortwahl als

rungen konfrontiert sehe, die aber eigentlich unvereinbar miteinander seien. Die Folge daraus sei eine niedrige Geburtenrate in Deutschland, die das Aussterben der Deutschen beförderte. 28 | In der Bild am Sonntag vom 09.11.2007 wird ihre Aussage etwas verkürzt abgedruckt. Die inhaltliche Ausrichtung ihres Kommentars wird dadurch aber nicht wesentlich verändert. Vgl. dazu http:// de.wikipedia.org/wiki/Eva_Herman#cite_note-14 [zuletzt eingesehen am 27.09.2015].

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NS-Vokabular.29 So korrekt diese Zuordnung ist, zeigt sich daran abermals eindrücklich, wie sensibel dieses Thema in der öffentlichen Diskussion ist. Vor allem die Art und Weise, wie darüber gesprochen wird, scheint dabei entscheidend zu sein. Die in diesem Kapitel vorgestellten Fälle sind nicht nur prominent, sondern auch prototypische Beispiele für den Diskurs, den wir im deutschen Kontext über die NS-Zeit und ihre Verbrechen führen. Jede hier beschriebene Form der Auseinandersetzung mit dem Thema weist uns dabei auf die impliziten Regeln und die verschiedenen Ebenen des Diskurses hin. Wie sehen diese Regeln aber genau aus? Welche Muster lassen sich erkennen? Das Kollektiv scheint in den beschriebenen Fällen einen großen Einfluss auf das Individuum auszuüben, das seinerseits umgekehrt starke Reaktionen provoziert. Vor dem Hintergrund dieser Wechselwirkungen erscheint es mir sinnvoll, die Befunde mit Hilfe eines systemtheoretischen Ansatzes zu analysieren. Der Fokus der Systemtheorie in der Ausrichtung von Niklas Luhmann liegt nämlich auf der Erklärung komplexer sozialer Phänomene und ihres Zusammenspiels. Inwieweit dieser Ansatz nun tatsächlich ein nützliches analytisches Instrument in diesem Kontext sein kann, wird die anschließende Untersuchung zeigen. In einem ersten Schritt soll jedoch nun zunächst Luhmanns Systemtheorie in ihren Grundzügen skizziert und erläutert werden. In einem zweiten Schritt wird dann der Diskurs „Wie sprechen wir über den Holocaust“ systemtheoretisch gedeutet und geklärt, wie Kommunikation in diesem System funktioniert.

4.2 E XKURS : Ü BER SYSTEME (SYSTEMTHEORETISCHER A NSATZ) In den vorgestellten Theorien des zweiten Kapitels der vorliegenden Arbeit stand das Individuum im Vordergrund, das im Zusammenschluss mit anderen Individuen das Geschichtsbild einer Gesellschaft formt. Ein anderer Ansatz beschreibt mit Hilfe des Systembegriffes die Kommunikationsformen, durch die sich der Vergangenheitsbezug einer Gesellschaft konstituiert. Der systemtheoretische Ansatz fasst komplexe Phänomene als Systeme auf, deren Struktur und Funktion untersucht wird, um Aussagen über das Systemverhalten treffen zu können. Der Grundgedanke besteht darin, dass die einzelnen Elemente derselben Systemebene wie auch unterschiedlicher Systemstufen in wechselseitiger Relation zueinander stehen. Nach der systemtheoretischen Auffassung kann jedes Element auch selbst als ein System begriffen werden.

29 | Eva Herman kritisiert „gleichgeschaltete Presse“. So titelt der Stern in seiner Online-Ausgabe vom 28.09.2007, kritisiert darin „Gleichschaltung“ als Terminus der Nationalsozialisten und erläutert diesen Begriff. Vgl. dazu http://www.stern.de/panorama/nach-rauswurf-herman-kritisiert-gleichgeschaltete-presse-599061.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015].

Wie sprechen wir über den Holocaust: Diskurs und System

Systeme gehen aus Operationen hervor und werden durch diese aufrecht erhalten.30 Nur wenn ein System operiert, d.h. Aktivität zeigt, wird es sichtbar. Damit sind Operationen konstitutiv für Systeme.31 Verschiedene Systeme operieren auf jeweils unterschiedliche Weise, die für sie charakteristisch sind. Dabei ist nur diejenige Information für ein System relevant, die sich auf seine systemeigenen Operationen bezieht.32 Für das ökonomische System sind z.B. nur Operationen entscheidend, die selbst ökonomische Prozesse darstellen oder auf diese kausal einwirken. Operationen, die diesen Bereich nicht betreffen, sind für das Wirtschaftssystem nicht von Interesse. In der soziologischen Systemtheorie werden Gesellschaften als soziale Systeme gedeutet, deren Operationen auf Kommunikation beruhen.33 Sie sind Gebilde vielfach vernetzter Kommunikation, die ohne das Bewusstsein einzelner Individuen nicht denkbar wären. Kommunikation jedoch auf einzelne Akteure zurückzuführen, würde bedeuten, die Pointe dieses Modells zu verfehlen: „Der Mensch ist nicht Subjekt, sondern Adjekt der Gesellschaft.“34 Luhmann trennt sich damit vom klassischen Subjektbegriff. Im Mittelpunkt seiner Betrachtung stehen Beziehungen für sich allein in Form von Handlungen bzw. Ereignissen. Kommunikation lässt sich in diesem Sinn nicht weiter aufspalten. Es ist der erste und letzte Baustein, wobei der Grad ihrer Komplexität variiert. Das „Subjekt“ zerfällt bei Luhmann, wenn man so möchte, in verschiedene Systemtypen: Sein Körper gehört einem biologischen System, sein Bewusstsein einem psychischen System und seine Handlungen einem sozialen System an.35 Psychische und soziale Systeme stehen dabei in einem engen Verhältnis. Letztere würden ohne erstere nicht zustande kommen können. Umgekehrt ist auch Bewusstsein nicht ohne sozialen Kontext vorstellbar. Beide Systeme bilden sich in wechselseitiger Anpassung aus, d.h. sie wirken aufeinander ein (interpenetrieren sich).36 Die Komplexität des einen Systems wird der Komplexität des anderen jeweils zur Verfügung gestellt.37 Wie diese Komplexität jedoch verarbeitet wird, das 30 | Luhmann, Niklas: Die soziologische Aufklärung 6: Die Soziologie und der Mensch, Opladen 1995, S. 26. 31 | Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a. M. 1984, S. 46 ff u. 79. 32 | Berghaus, Margot: Luhmann leicht gemacht. Eine Einführung in die Systemtheorie, 2. Aufl., Köln 2004, S. 40. 33 | Luhmann: Soziale Systeme, S. 192. 34 | Luhmann, Niklas: Die Selbstbeschreibung der Gesellschaft und die Soziologie, S. 137-146, in: Universität als Milieu. Kleine Schriften, hrsg. v. A. Kieserling, Bielefeld 1992, S. 139. 35 | Luhmann, Niklas: Das Erziehungssystem der Gesellschaft, hrsg. v. D. Lenzen, Frankfurt a. M. 2002, S. 82. 36 | Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1997, S. 106; Luhmann: Soziale Systeme, S. 92. 37 | Wenzel, Joachim: Eine Einführung in die Systemtheorie selbstreferentieller Systeme nach Niklas Luhmann, Mainz 2012. Abrufbar im Internet: http://www.systemische-beratung.de/systemtheorie/ theorie.htm [zuletzt eingesehen am 27.09.2015].

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hängt vom jeweiligen System ab, in dessen Rahmen der Sinn nach systemspezifischen Bedingungen konstituiert wird. Kultur als ein soziales System gedeutet verändert sich, ohne dabei jedoch die jeweils gleiche Wirkung auf diejenigen Systeme zu haben, die an ihr partizipieren. Auch die Umwelt kann eine Veränderung des Systems „Kultur“ beeinflussen. Auf welche Weise dies geschieht, ist dabei nicht durch eine Intention von außen steuerbar, sondern abhängig davon, wie das Kultursystem diesen Einfluss verarbeitet. Das Konzept der Differenz ist dabei das zentrale für die Systemtheorie. Auf Systemebene kann zwischen System und Umwelt unterschieden werden.38 Es geht um das Erkennen einer Grenze, die konstitutiv für das jeweilige System ist. Luhmann spricht auch von Selbstreferentialität.39 Mit der Kenntnis dieser Differenz kann das System „einen Bezug zu sich selbst in Abgrenzung zu seiner Umwelt herstellen“.40 Das kann es, weil es über die Fähigkeit des Beobachtens verfügt. Demnach kann sich ein System selbst beobachten und seine Umwelt. Auch an dieser Stelle wird eine eigenwillige Begriffsverwendung von Beobachten deutlich, da nicht die Instanz eines Akteurs im klassischen Sinne bemüht wird. Die Beobachtung ist dabei immer abhängig vom System, das sie vornimmt. Im Zusammenhang der Selbstreferentialität ist ein zweiter Begriff wesentlich für Luhmanns Modell. Lebendige Systeme sind nicht statisch, sondern müssen sich als ganzheitliches Gefüge immer wieder innerhalb der eigenen Grenze neu erzeugen. Dieser Vorgang nennt sich „Autopoiesis“.41 Umwelt und System befinden sich dabei in einer Wechselbeziehung. Sie existieren in ständiger aktiver Auseinandersetzung miteinander, entwickeln sich dabei jedoch nebeneinander in „eigenständiger Selbstorganisation“.42 Innerhalb des Systems wird die Information der Umwelt nach systemimmanenten Vorgaben verwertet. Die Umwelt bietet in diesem Sinn eine Palette von Deutungsmöglichkeiten. Welche Möglichkeit angenommen wird, ist vom System abhängig. An dieser Stelle zeigt sich zugleich die Offenheit und Geschlossenheit eines autonomen Systems gegenüber seiner Umwelt.43 Kommunikation zwischen System und Umwelt vollzieht sich in drei Schritten, die schematisch in Information, Mitteilung und Verstehen unterschieden werden.44 Ein Sender (Alter) und ein Empfänger (Ego) treten dabei in Interaktion.45 Übermittelt und verarbeitet wird Sinn. Was für ein System Bedeutung hat bzw. Sinn ergibt, entscheidet es nach systemspezifischen Kriterien. Das jeweilige System 38 | Luhmann, Niklas: Soziologische Aufklärung 6, Die Soziologie des Menschen, Opladen 1995, S. 27. 39 | Luhmann: Soziale Systeme, S. 31. 40 | Wenzel: Eine Einführung in die Systemtheorie. 41 | Luhmann: Soziologische Aufklärung 6, S. 12. 42 | Wenzel: Eine Einführung in die Systemtheorie. 43 | Luhmann: Soziale Systeme, S. 64. 44 | Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 190. 45 | Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 1136f.

Wie sprechen wir über den Holocaust: Diskurs und System

erhebt sozusagen sich selbst zum Maßstab. Bestimmte Normen und Werte können beispielsweise für ein System mit Sinn belegt sein. Jedoch kann auch neuer Sinn im Laufe von Kommunikation generiert werden. Das kennzeichnende Merkmal von Kommunikation ist Selektivität. Sie tritt im Hinblick auf jede der drei Phasen des Kommunikationsprozesses auf: Was wird für informativ gehalten? Welche Information wird ausgewählt, um mitgeteilt zu werden? Und in einem letzten Schritt: Liegt eine Mitteilung vor?46 Was als Information ausgewählt wird, hängt von Alter ab. Er trifft eine Unterscheidung und schafft damit eine Differenz, zwischen dem, was er als Information ansieht und dem, was keine Information für ihn ist. Diese Unterscheidung ist ein Konstrukt, die sich so nicht in der Realität wiederfindet, aber auf diese Art einen Weg bietet, mit der Außenwelt umzugehen und sich diese erschließbar zu machen. Erkenntnisse über die Welt sind damit immer Aussagen einer konstruierten Realität.47 Neben diesem konstruktivistischen Ansatz seiner Theorie vertritt Luhmann gleichzeitig einen Realismus, da er davon ausgeht, dass Systeme in der Wirklichkeit faktisch bestehen (sich also nicht erst in der Beschreibung konstituieren). Lediglich die Verbindung zwischen Welt und Erkenntnis bezweifelt er.48 An den Selektionsprozess der Information schließt der Selektionsprozess der Mitteilung an.49 Alter verfügt über viele Informationen, aus denen er diejenige wählt, die er der Mitteilung für wert befindet. Die Entscheidung für eine bestimmte Information, die vermittelt wird, bedeutet damit den Vorzug gegenüber anderen möglichen Informationen, die nicht mitgeteilt werden. Dabei sei am Rande erwähnt, dass es nicht nur um die Frage geht, was als Mitteilung ausgesandt wird, sondern auch wie dies geschieht (z.B. verbal, non-verbal, schriftlich, bildlich). In der dritten Phase der Kommunikation kommt nun der Empfänger bzw. Ego ins Spiel. Luhmann spricht in diesem Zusammenhang von „Verstehen“. Diesen Begriff benutzt er jedoch nicht im herkömmlichen Sinne als Verständigung oder Form eines Einvernehmens. Ego erfasst nicht die inhaltliche Ausrichtung der Aussage, die Alter macht. Er versteht nicht, was genau Alter ihm mitteilt, aber dass ihm etwas mitgeteilt wird. Die Intention wird erkannt.50 Das bedeutet, dass Ego begreift, dass Alter viele Informationen hat, nur einige davon mitteilt und somit andere nicht erwähnt. Damit ist der Vorgang jedoch nicht abgeschlossen, wenn von Kommunikation die Rede sein soll. Es braucht einen Anschluss, der die Interaktion zwischen Alter und Ego am Laufen hält. Nachdem Ego die Mitteilung als solche wahrgenommen hat, geht es in einer vierten Phase – der Anschlusskommunikation – darum, den 46 | Luhmann: Soziologische Aufklärung 6, S. 115. 47 | Luhmann, Niklas: Soziologische Aufklärung 5, Konstruktivistische Perspektiven Opladen 1990, S. 50. 48 | Luhmann: Soziologische Aufklärung 5, S. 40. 49 | Luhmann: Soziale Systeme, S. 195. 50 | Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 97.

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Inhalt der Mitteilung zu begreifen, ihn anzunehmen oder abzulehnen.51 Grundsätzlich gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Mitteilung zu deuten. Ego entscheidet sich letztlich für eine und wechselt in diesem Moment in die Position von Alter. Eine neue Runde von Kommunikation könnte theoretisch beginnen, in der Information als Mitteilung ausgesandt wird.52 Wenn Kommunikation anschlussfähig ist und fortgesetzt wird, verläuft sie erfolgreich: Das Bestehen eines sozialen Systems ist gesichert.53 Der Garant für eine fortlaufende Kommunikation liegt dabei wieder in der Differenz. Übereinstimmung läuft diesem Ziel eher zuwider. Es entsteht weniger Reibungsfläche, die neue Interaktion hervorbringt. Differenz ist jedoch sogar wahrscheinlicher, da die Intention von Alter immer der Interpretation von Ego unterliegt. Dennoch ist insbesondere die Ausbildung und Stabilisierung eines sozialen Systems nicht unproblematisch. An diesem Punkt kommt etwas ins Spiel, das als „Kontingenz“ bezeichnet wird. Alles ist auf eine Weise möglich, aber ebenso gut auf eine andere.54 Das trifft insbesondere auf das Ergebnis von Selektion zu, die in jeder Phase des kommunikativen Prozesses zum Tragen kommt. Handlungen der Umwelt sind vor diesem Hintergrund schwer vorherzusagen und entsprechend mit denen des Systems zu koordinieren. Während Alter und Ego jeweils selegieren, unterstellen sie dies auch dem jeweils anderen. Indem von beiden Seiten mit Kontingenz gerechnet wird, entsteht „doppelte Kontingenz“, die jedoch die Wahrscheinlichkeit von Kommunikation erheblich steigert.55 Ego und Alter handeln im Bezug aufeinander. Sie erleben und beobachten sich, um sich gleichzeitig beobachtet zu sehen und Mutmaßungen über das Verhalten des jeweils anderen anzustellen. Auf diese Weise entstehen Erwartungen, die sie gegenüber dem anderen ausbilden. Die Erwartung ist eine Form der Orientierung für ein System, die ihm erlaubt, mit der Kontingenz der Umwelt – dem Unkalkulierbaren – in Beziehung zu sich selbst umzugehen. Auch die Erwartung basiert dabei auf Differenz: Sie kann erfüllt oder enttäuscht werden. Die gegenseitige Erwartung von Kontingenz führt laut Luhmann zu einem ersten ordnenden Prinzip, das die Akteure dazu bringt, ein soziales System gegenseitiger, aufeinander bezogener Erwartungen zu konstruieren: „Die schwarzen Kästen erzeugen sozusagen Weißheit, wenn sie aufeinandertreffen.“56 Auf diese Weise wird die Umwelt berechenbarer. Über Erwartung an sie, die erfüllt oder enttäuscht wird, entstehen wertvolle Anhaltspunkte über ihr Verhalten und über ihre Beschaffenheit, die das System lesen und mit denen es operieren kann: Es projiziert und registriert, ob das Erwartete eintritt 51 | Luhmann: Soziale Systeme, S. 203; Berghaus: Luhmann leicht gemacht, S. 98. 52 | Luhmann: Soziale Systeme, S. 204. 53 | Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 337. 54 | Luhmann: Soziale Systeme, S. 217. 55 | Luhmann: Soziale Systeme, S. 177. 56 | Luhmann: Soziale Systeme, S. 156.

Wie sprechen wir über den Holocaust: Diskurs und System

oder nicht. Mit den gemachten Erwartungen bilden sich Erfahrungen aus, die sich positiv auf den Umgang mit der Umwelt auswirken können. Kommunikation wird berechenbarer und damit wahrscheinlicher.57 Die Wahrscheinlichkeit von Kommunikation wird auch noch auf andere Weise gesteigert. Medien übernehmen diese Funktion, indem sie den Selektionsraum von Alter und Ego verkleinern und ihre Selektionen damit eingegrenzt werden. Sie sind in diesem Sinne „erwartungsleitende Wahrscheinlichkeiten“.58 So limitiert beispielsweise die Sprache die Selektionen durch einen begrenzten und damit zugleich begrenzenden Wortschatz, der ihr zur Verfügung steht, und eine ebensolche Grammatik. Innerhalb dieses Rahmens, den die Sprache mit ihren Möglichkeiten des Ausdrucks absteckt, können Formulierungen getroffen werden. Ein Medium bedeutet jedoch nicht nur Eingrenzung, sondern auch eine Ausweitung der Selektionsmöglichkeiten, indem bestimmte Formen vorgegeben sind, die benutzt und variiert werden können.59 Das lässt sich mit einem Fußballspiel vergleichen. Ein Set von Regeln ist vorgegeben, innerhalb derer sich ein Spiel zwischen den Teilnehmer entwickeln kann. Die Regeln des Spiels beschränken die Möglichkeiten der Selektionen, auf deren Basis sich Interaktion entwickeln kann. So darf der Ball vom Torwart beispielsweise außerhalb des Strafraumes nicht mit der Hand gespielt werden. Die Einschränkung durch die Regeln ist aber zugleich auch die Anregung für das Spiel. Ohne klare Vorgaben wäre es unwahrscheinlich, dass die Handlungen von 22 Teilnehmern auf einem Feld, an dem zu beiden Seiten jeweils ein Tor steht, geordnet Bezug aufeinander nehmen. Es wäre nicht einmal klar, wer mit wem zusammen gegen wen spielt, geschweige denn, was das Ziel ist. Andererseits eröffnen die Regeln eine große Zahl an Selektionen, die neue Varianten und Spielzüge hervorbringen. Ohne die Regeln wäre es vermutlich nur von kurzem Reiz, einen Ball auf einem Feld zu bewegen. Durch sie entsteht der Anreiz von Kombinationen. Luhmann geht in seiner Theorie von zwei Grundvoraussetzungen aus:

1. Systeme streben nach Ordnung und Orientierung. Aus der Sicht des Systems weist die Umwelt ein relativ hohes Maß an Komplexität auf. Diese Komplexität gilt es zu reduzieren. Die systemrelevanten Informationen der Umwelt werden vom System verarbeitet und führen zu einer Einordnung bzw. einer besseren Einschätzung derselben. Die Umwelt erscheint auf der Ebene des Systems nun berechenbarer und strukturierter. Dies wird mit Hilfe eines vereinfachenden systeminternen Differenzierungsschemas erreicht, das als binärer Code

57 | Vgl. das Kapitel „Doppelte Kontingenz“ in: Luhmann: Soziale Systeme, S. 148ff. 58 | Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 195. 59 | Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien, 2. Erweiterte Aufl., Opladen 1996, S.122.

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funktioniert und beispielsweise zwischen wahr/unwahr unterscheidet.60 Auf der Grundlage verschiedener Codes bilden sich ganze Strukturen bzw. Programme aus, die sich als generalisierte Erwartungen, Werte, Normen, Rollen und ähnliches stabilisieren.

2. Systeme streben nach Selbsterhalt. Die Bedingung dafür ist Aktivität bzw. die Anschlussfähigkeit von Operationen. Dabei ist wie bereits erwähnt nicht entscheidend, ob sich Konsens oder Dissens einstellt. Nur dass etwas stattfindet und fortgeführt wird, ist wichtig. Psychische Systeme operieren wie soziale Systeme mit Sinn. Ihre Aktivität drückt sich jedoch nicht in Kommunikation, sondern Bewusstsein aus, das ebenso anschlussfähig sein muss, um fortgesetzt zu werden.61 Gedanken schließen an Gedanken an. Da Luhmann sich in seiner Theorie auf soziale Phänomene konzentriert, stehen psychische Systeme isoliert jedoch weniger im Fokus seiner Betrachtung, so dass er beispielsweise nicht im Detail den Prozess der Anschlussfähigkeit von Gedanken expliziert, wie er das für die Kommunikation tut. Auch wenn beide Systemtypen geschlossen agieren, sind sie voneinander abhängig. Soziale Systeme können sich nur reproduzieren, wenn sich auch menschliches Leben und Bewusstsein konstant erneuern und wiederherstellen und umgekehrt.62 Autopoiesis kann sich vor diesem Hintergrund nur unter Umweltbedingungen vollziehen. Geschlossenheit und gleichzeitige Offenheit der verschiedenen Systeme sind damit also kein Ausschlusskriterium für das Zusammenspiel unterschiedlicher Systemtypen, sondern sogar seine Voraussetzung. Damit dieses Zusammenspiel funktioniert – Luhmann spricht von Interpenetration63, d.h. verschiedene autopoietische Systeme durchdringen sich gegenseitig – muss es jedoch ein gemeinsames Medium geben, das in einer Weise die Verbindung schafft. Diese Verbindung ist der Sinn: „Sinn ermöglicht das Verstehen und Sichfortzeugen von Bewußtsein in der Kommunikation und zugleich das Zurückrechnen der Kommunikation auf das Bewußtsein der Beteiligten.“64 Der Sinn ist dabei als ein „Prozessieren nach Differenzen“ zu verstehen.65 Er ist die „Auswahl zwischen Alternativen“, wobei die nicht gewählten Alternativen für zukünftiges Handeln erhalten bleiben.66 Was innerhalb des jeweiligen Systems Sinn „ergibt“, 60 | Luhmann, Niklas: Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?, Opladen 1986, S. 83. 61 | Luhmann: Soziale Systeme, S. 354. 62 | Luhmann: Soziologische Aufklärung 5, S. 17. 63 | Luhmann: Soziale Systeme, S. 286 ff. 64 | Luhmann: Soziale Systeme, S. 297. 65 | Wenzel: Eine Einführung in die Systemtheorie. 66 | Münch, Richard: Soziologische Theorie, Bd. 3: Gesellschaftstheorie, Frankfurt a. M. 2004, S. 179-232, S. 192.

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entscheidet sich nach den systemeigenen Kriterien. Das bedeutet, der Sinn ist die Entscheidung, ob etwas passt oder nicht passt bezogen auf das jeweilige System und seinen spezifischen Maßstab. Die Möglichkeit einer Manipulation des Systems von außen ist durch diese systemspezifische Sinnverarbeitung eigentlich nicht möglich. Vermittelt wird der Sinn in Form von Sprache. „Sprache hat eine Doppelseitigkeit. Sie ist sowohl psychisch als auch kommunikativ verwendbar und verhindert nicht, dass die beiden Operationsweisen [...] separat laufen und separat bleiben.“67 Auf diese Weise wird eine strukturelle Kopplung zwischen den Systemen vollzogen. Das eine System kann das andere zwar nicht steuern, da jedes System nach eigenen Maßstäben operiert, Einfluss jedoch übt es trotzdem auf das jeweils andere aus. So kann ein psychisches System beispielsweise Irritation in einem sozialen System auslösen. Diese Irritation wird das soziale System aber nach seinen jeweils eigenen Regeln verarbeiten. Vielleicht ist es an dieser Stelle hilfreich, die Systemtheorie ein wenig zu illustrieren, um sie etwas greifbarer zu machen, bevor wir sie auf den Diskurs im Hinblick auf den Umgang mit dem Holocaust anwenden. Anhand der drei Theorien von Nora, Fried und Assmann kann das vielleicht gelingen. Der Begriff des Gedächtnisses, wie Assmann ihn in Bezug auf ein Kollektiv verwendet, meint in diesem Zusammenhang den operativen Akt von Systemkommunikation, der zwischen Erinnern und Vergessen unterscheidet:68 Entweder bezieht sich die Kommunikation auf die Vergangenheit, oder sie tut es nicht. Bei einer Bezugnahme kann grundsätzlich auf jede Vergangenheit zurückgegriffen werden, wenn denn die entsprechende Information zugänglich ist.69 So kann der Holocaust entweder kommuniziert werden oder nicht. Wird darauf Bezug genommen, kann dieses Geschehen z.B. verharmlost oder verurteilt werden. Welche Qualität der Vergangenheitsbezug besitzt, ist für die Frage, ob Kommunikation vorliegt, nicht von Bedeutung. Die Schwierigkeit, die sich in diesem Zusammenhang ergibt, ist die Frage, nach welchen Kriterien welche Vergangenheit zu welchem Zeitpunkt ausgewählt wird. Die Antwort auf diese Frage liefert der Begriff der Kultur, der nach dem Entwurf der soziologischen Systemtheorie den Prozess des Vergessens und Erinnerns lenkt und mit dem „Gedächtnis der Gesellschaft“ („Gedächtnis der Kommunikation“) gleichgesetzt wird.70 Auch Luhmann verlegt sich damit wie Assmann und Nora auf den Gedächtnisbegriff, der dem individuellen Kontext entlehnt ist, um ein soziales Phänomen bildhaft zu beschreiben, und setzt dabei stillschweigend seine Übertragbarkeit auf die gesellschaftliche Ebene voraus.

67 | Luhmann, Niklas: Einführung in die Systemtheorie, hrsg. Dirk Baecker, Darmstadt 2002, S. 275. 68 | Pethes: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorien, S. 74. 69 | Ebd. 70 | Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 588.

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Die Kultur verfügt nach seiner Theorie nur über eine begrenzte Zahl von möglichen Bezugnahmen auf die Vergangenheit. Die permanente Wiederholung eines großen Teils oder gar des gesamten Bestands an Vergangenheitsdeutungen würde das System hemmen, da eine Weiterentwicklung im Sinne einer Abweichung zum bisher kommunizierten Bild der Vergangenheit verhindert würde. Deshalb liegt die Hauptfunktion des Gedächtnisses im Vergessen, das der Erstarrung des Systems „durch ein Gerinnen der Resultate früherer Beobachtungen“ vorbeugt.71 Vor diesem Hintergrund erscheint die Kultur als eine Klasse von Entscheidungen, die immer wieder von neuem getroffen wird, und bei der die Förderung einer neuen Entwicklung Vorrang gegenüber dem möglichen Rückbezug auf die Vergangenheit hat. Die Erinnerungsorte von Pierre Nora sind übertragen auf die Systemtheorie Gegenstände der Diskussion um Vergangenheit im Medium der Sprache. Wie in den Ausführungen zu den Erinnerungsorten deutlich wurde, geht es m.E. vor allem darum, wie mit ihnen umgegangen wird. Wenn diese Argumentation für überzeugend befunden wird, dann übernehmen sie in der (konventionalisierten) Form des Umgangs eine „erwartungsleitende“ Funktion. Innerhalb von Kommunikation grenzen sie die Möglichkeiten von Selektionen ein. Gleichzeitig fördern sie jedoch in dieser Einschränkung die Anschlussfähigkeit der Kommunikation. Vor diesem Hintergrund kann es beispielsweise einen kommunikativen Austausch über den Holocaust in Hamburg geben, der sich mit dem Hannoverschen Bahnhof auseinandersetzt als ehemaligem Deportationsbahnhof. Im Jahr 2015 mag sich weitgehend ein Konsens durchgesetzt haben, er dürfe als geschichtsaufgeladener Ort nicht in Vergessenheit geraten, vielleicht sogar, er solle zur Gedenkstätte ausgebaut werden. Es mag andere Positionen geben, die einen geschichtsbewussten Umgang mit dem Bahnhof vertreten, aber einer weiteren Gedenkstätte gegenüber aus unterschiedlichen Gründen kritisch gegenüber eingestellt sind. Dies wären denkbare Eckpfeiler für den Beginn eines weitverzweigtes Netzes aus Kommunikation mit anschlussfähigen Enden. Die individuellen Erinnerungen, die Johannes Fried in den Fokus seiner Untersuchung stellt, sind im systemtheoretischen Kontext als Teil der operativen Vorgänge von psychischen Systemen zu verorten. So beziehen sich die entsprechenden Operationen auf die Erinnerung oder das Vergessen. Auch in diesem Zusammenhang können vergangene Ereignisse wie z.B. der Fall der Berliner Mauer gedanklich abgerufen werden oder eben nicht. Wie dabei Vergangenes vergegenwärtigt wird – als eine möglicherweise in der Sicht verklärtes Geschehen oder ein negativ konnotiertes Ereignis – ist für das psychische System zunächst einmal nicht von Belang. Dass Operation stattfindet, ist relevant. Auch auf dieser Ebene bleibt die Frage, nach welchen Kriterien welche Vergangenheit zurück in das Bewusstsein gebracht wird. Ein Teil der Antwort liegt mit großer Wahrscheinlichkeit in den 71 | Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 579.

Wie sprechen wir über den Holocaust: Diskurs und System

geltenden kulturellen Rahmenbedingungen des jeweiligen sozialen Kontextes und den entsprechenden Vorgaben der kommunikativen Praxis. Nach Luhmanns Theorie ist es die Kultur, die über das Bild von Vergangenem, das in einer Gesellschaft kommuniziert wird, bestimmt. Wie aber genau wird dieses Bild in der Gemeinschaft gepflegt und lebendig gehalten? Die dahinterliegenden Prozesse und Gesetzmäßigkeiten sind es, die uns im nun folgenden Abschnitt interessieren. Als Beispiel dient der Diskurs, wie wir über den Holocaust sprechen. In seinen wesentlichen Grundzügen und Charakteristika wurde er zuvor abgebildet. Im Anschluss geht es nun um seine Analyse mit Hilfe der soziologischen Systemtheorie, die die Regeln des Diskurses freilegen und abstrahieren soll. Systemtheoretisch gedeutet zeigt sich an dem gewählten Beispiel, dass die entsprechenden geschichtlichen Ereignisse im kommunikativen Austausch eine Bedeutung für Deutsche haben, über die sie sich bei allen Abweichungen im Einzelnen verständigen und austauschen können. Wie wird aber die Bedeutung konstituiert, d.h. wie vollzieht sich die Autopoiesis des Systems? Das soll nun etwas näher betrachtet und untersucht werden.

4.3 A NWENDUNG VON B EGRIFFEN AUS DER SYSTEMTHEORIE AUF DEN D ISKURS ZUM U MGANG MIT DEM H OLOCAUST In der Art und Weise, wie wir über den Holocaust sprechen, zeichnet sich ein weitläufiges System aus Kommunikation mit markante Strukturen ab, die umso deutlicher hervortreten, je stärker sie in den Wechselwirkungen ihrer einzelnen Elemente gestört werden. In diesen Wechselwirkungen kommunikativer Operation erschafft sich das System immer wieder neu, verfestigt seine Strukturen, modifiziert sie oder bildet neue aus, die an die Stelle älterer treten. Wie dynamisch und wandlungsfähig dabei das System ist, zeigt sich an der Dynamik und Wandlungsfähigkeit des Diskurses, der wie gezeigt in seiner Entwicklung nach 1945 bis heute verschiedene Phasen und Entwicklungsstufen durchlaufen hat. So lebendig und kontrovers das Thema in den letzten Jahren allein in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, deutet dies auf die Aktivität des dahinterliegenden Systems hin, das durch Kommunikation bzw. entsprechende Operationen aufrecht erhalten und beständig erneuert wird. Dem Völkermord an den Juden ist erst allmählich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte nach 1945 eine immer stärkere Bedeutung beigemessen worden, indem dieser sich zum Gegenstand kommunikativen Austausches entwickelt hat. Dagegen wird den Verbrechen der Nazis an zwei anderen ethnischen Minderheiten, den Sinti und Roma, erst in den letzten Jahren eine zunehmende Aufmerksamkeit geschenkt und über sie gesprochen. So stellt es sich zumindest in rückschauender Betrachtung der öffentlichen Diskussionen dar, die in der vorliegenden Arbeit bereits in dem entsprechenden Kapitel dokumentiert wurden. Streng genommen ist die systematische Ermordung von Sinti und Roma durch die Nazis als Thema

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nicht Teil des Diskurses, wenn wir über den Holocaust sprechen, der vor allem die Auslöschung der europäischen Juden meint.72 Die physische Vernichtung von Sinti und Roma bildet so gesehen einen eigenen Diskurs und ein eigenes System von Kommunikation, das sich jedoch mit anderen Diskursen überlappt bzw. sich mit anderen Systemen wie dem genannten überschneidet (sie interpenetriert). So hat das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin 2006 mit großer Wahrscheinlichkeit die Errichtung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas 2012 insofern gefördert, als dass dadurch ein Nachdenken angestoßen wurde, wie auch anderen Opfergruppen in der Hauptstadt an zentralem Ort auf ähnliche Weise gedacht werden könnte und sollte. Sicherlich lassen sich noch andere Formen von Interpenetration zwischen diesen beiden Systemen heranziehen. An ihnen wird auch deutlich, wie unterschiedlich stark präsent die mit ihnen verbundenen Diskurse zum jetzigen Zeitpunkt in der deutschen Gesellschaft sind. Systemtheoretisch übersetzt bedeutet dies, die beiden Systeme zeigen unterschiedlich starke Aktivität in Form von Operationen, die Bedeutung generieren. Damit Bedeutung überhaupt entstehen kann, braucht es ein Medium. Die Sprache wird zu diesem Medium, mit dem psychische und soziale Systeme operieren, und steigert in ihrer erwartungsleitenden Funktion die Wahrscheinlichkeit, dass Bewusstsein bzw. Kommunikation anschlussfähig sind. Auf diese Weise ermöglicht sie den Fortbestand des Systems „Wie sprechen wir über den Holocaust“. Dabei vermittelt die Sprache nicht nur Gegenstände der Diskussion, sondern bildet auch kontextspezifische Begriffe aus wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben „die Stunde Null“ für das Kriegsende 1945. Ein weiteres Beispiel ist „der Holocaust“ selbst, der sich zu einem eigenen Begriff für den Völkermord an den Juden durch die Nazis herausgebildet hat. Wie bereits an früherer Stelle der vorliegenden Arbeit beschrieben, hat sich dieser Name für die Vernichtung der europäischen Juden in weiten Teilen Europas und der Vereinigten Staaten durchgesetzt, obwohl die Namensgebung nicht unumstritten ist.73 Gerade von jüdischer Seite wird sie kritisiert und stattdessen der Begriff „Shoa“ verwendet.74 Interessanterweise hat diese Kritik dazu geführt, dass wiederum Teile der westlichen Gesellschaft den Begriff „Shoa“ in ihren Sprachgebrauch übernommen haben. An diesem Beispiel zeigt sich nicht nur, wie ein Gegenstand eine eigene Form im Medium der Sprache 72 | Obgleich es auch Interpretationen gibt, die den Mord an ungefähr m 500.000 Roma zum Holocaust zählen. Meistens ist allerdings mit diesem Begriff allein das Schicksal der europäischen Juden gemeint. 73 | Vgl. dazu S. 122, Fußnote 320. 74 | Der Begriff geht auf das hebräische Wort „ ‫ “ׁשוָאה‬zurück, das „Sho’ah“ ausgesprochen wird. Es bedeutet „Sturm“, „plötzlicher Untergang“ und „Verderben“. Vgl. dazu den entsprechenden Eintrag in: Brockhaus Enzyklopädie 19. Band Rut-Sch, in: Brockhaus Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, 19. Aufl., Mannheim 1992, S. 473.

Wie sprechen wir über den Holocaust: Diskurs und System

zugeordnet bekommt, sondern auch ein weiteres Mal, wie Bedeutung sich innerhalb dieses Systems verändern kann. Beim Aufbau von Kommunikation in einem System spielt die Erwartung eine wichtige Rolle, die in ihrer Bestätigung bzw. Enttäuschung für die Anschlussfähigkeit von Operationen sorgt und damit den Fortbestand des Systems gewährleistet. Das zeigt sich auch in dem System, innerhalb dessen wir über den Holocaust sprechen. In der Darstellung des Diskurses zuvor war von dem Verantwortungsgefühl jüngerer Deutscher gegenüber den Taten einer älteren Generation die Rede, das vielleicht bei einem Gesprächspartner ohne ähnliche Erfahrung bzw. Geschichte Unverständnis und Irritation hervorruft. Im systemtheoretischen Zusammenhang könnte dieses Phänomen als Erwartung innerhalb des kommunikativen Aktes gedeutet werden. Durch die wachsende Erfahrung mit Bestätigung und Enttäuschung eines antizipierten Verhaltens wird die Kommunikation eingespielter und damit berechenbarer für Ego bzw. Alter. Im Abgleich mit der dynamischen Struktur eines Systems und der Wandlungsfähigkeit von Bedeutung innerhalb seiner Grenzen unterliegt auch die Erwartung dabei Veränderungen. Sie passt sich auf entsprechende Weise an. Dass diese Anpassung nicht immer stattfindet, machen die Beispielen von van Almsick, von Trier und Arendt deutlich. Systemtheoretisch gedeutet zeigen sie, wie sich in der Kommunikation ein bestimmtes Rollenverhalten eingespielt hat, indem bestimmte Erwartungen sich in ihrer Bestätigung oder Enttäuschung zu festen Mustern ausgebildet haben. Vor diesem Hintergrund scheint das gängige Bild Hitlers eigentlich jeden menschlichen Zug zu entbehren. In eine ähnliche Richtung, wenn auch nicht in diesem Extrem, werden anscheinend Träger und Ausführende des Regimes wie Eichmann gesehen. In den konkreten Beispielen van Almsick, von Trier und Arendt haben sich die mythische Aufladung von Begriffen so verfestigt, dass andere Deutungen auf Irritation, Unverständnis und teilweise sogar auf Ablehnung innerhalb des Diskurses stoßen. Ganz ähnlich liegt der Fall bei der Hitler-Filmparodie von Levy. Seine humoristische Darstellung Hitlers verträgt sich nicht mit unserer Sicht auf die NS-Zeit und das allgemeine Image der historischen Persönlichkeit, die anscheinend beide fast aus Gründen der Pietät einen ernsten Umgang gebieten. Ebenso stößt Noltes Einordnung der NS-Zeit in den historischen Kontext auf Ablehnung. Hermans Bild vom Dritten Reich löst Empörung aus. Diese Beispiele lassen erahnen, wie über wechselseitige Erwartung ein Set von Regeln – eine „Grammatik des Verhaltens“ – entsteht, das jedoch relativ ist. Die Regeln sind nicht unumstößlich und werden mit wachsender Erfahrung des kommunikativen Austausches innerhalb des Systems modifiziert bzw. auch vollständig verändert. Bei der Erwartung, die enttäuscht oder bestätigt werden kann, zeichnet sich ein entscheidendes Merkmal für Luhmanns Systemtheorie ab: die Differenz. Er spricht von binären Codes als systeminternen Differenzierungsschemata, auf deren Grundlage sich die Struktur eines Systems entwickelt und in Form von ge-

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neralisierten Erwartungen wie bestimmte Werte, Normen, Rollen und ähnliches manifestiert. Ein solcher Code ist die Unterscheidung von Täter und Opfer, Täter und Mitläufer, Opfer und Mitläufer. Sicherlich wäre auf der Vorlage der Systemtheorie für den konkreten Fall auch ein ternärer Code denkbar. Wenn der von mir explizierte Hinweis jedoch überzeugend wirkt, dass im konkreten Beispiel die Unterscheidung von Täter und Mitläufer zu grob gefasst ist, um etwas zu erklären, und ausdifferenziert werden müsste, hätte nach meiner Ansicht der systemtheoretische Ansatz auch dafür eine Lösung. Nach diesem Konzept müsste es nämlich möglich sein, Differenzen in weitere Differenzen bzw. Codes in „Unter-Codes“ aufzuspalten, um im konkreten Fall einen historischen Sachverhalt schärfer fassen und kenntlich machen zu können. Im Folgenden sollen diese Codes in Bezug darauf, wie wir über den Holocaust sprechen, etwas näher beleuchtet werden.

4.4 D AS P ROBLEM MIT ANALOGEN C ODES Allen beschriebenen Fällen von van Almsick bis Herman ist eines gemeinsam: Es kommt zu einem vermeintlichen Dissens, der sich aber bei näherer Betrachtung in Wirklichkeit als misslungene Kommunikation entpuppt. Denn es wird nicht etwa darum gestritten, ob 5 Millionen oder 6 Millionen Juden von den Nazis ermordet wurden. Der Fall oder vielmehr die beschriebenen Fälle liegen etwas anders. Neben der Tatsache, dass diese Form der Kommunikation aus systemtheoretischer Sicht die beste Voraussetzung für anschlussfähige Kommunikation und damit den Erhalt des Systems bedeutet, ist die Frage interessant, wie das Misslingen der Kommunikation zustande kommt, und was uns dies über die Regeln des Diskurses verrät. Der Verdacht liegt nahe, dass in den genannten Beispielen gegen die Regeln des kommunikativen Systems verstoßen wird. Alter wendet sich an Ego. Das passiert im Medium der Sprache. Durch wechselseitige Erwartung, die bestätigt oder enttäuscht wird, konstituiert sich Bedeutung in diesem System nach Regeln, die relativ sind. Diese Regeln bilden sich über Differenzen aus. Systemintern entsteht diese Differenz nach dem Schema eines Codes, der binär oder ternär sein kann. Über die Differenz werden Kategorien festgeschrieben. Worin besteht nun der Fehler in der Kommunikation? Negiert Alter die Differenz als Festschreibung einer bestimmten Kategorie? Nein, lediglich die Grenzziehung zwischen den Kategorien ist bei ihm nicht so scharf gefasst wie bei Ego. Er verwischt sozusagen die Grenze, indem er von einem Kontinuum zwischen zwei Polen ausgeht. Er nimmt eine graduelle Unterscheidung an einer Stelle vor, an der eigentlich eine qualitative vorausgesetzt und von ihm erwartet wird. Der Angriff auf das Kategoriensystem hat als Reaktion zur Folge, dass sich die Diskursebene verlagert, von der epistemischen auf die moralische Ebene.

Wie sprechen wir über den Holocaust: Diskurs und System

Der Wechsel auf der Diskursebene findet jedoch nur für eine Seite statt, nämlich für Ego, so dass die Aussagen von Alter aus Sicht von Ego jetzt eine moralische Note bekommen, obwohl sie auf der epistemischen Ebene getroffen werden. Ego wechselt damit die Ebene und trifft fortan Aussagen, die eine moralische Ausrichtung haben, während Alter auf der epistemischen Ebene verharrt. Kommunikation findet fortan auf zwei unterschiedlichen Ebenen statt. Auf diese Weise „reden“ beide „aneinander“ vorbei, so dass von einer „misslungenen“ Kommunikation gesprochen werden kann. Der Wechsel der Diskursebene bedeutet jedoch nicht, dass die Diskussion „unsachlich“ würde. Alter und Ego verhandeln immer noch dieselbe Sache, nur von zwei unterschiedlichen Sachebenen aus. Das lässt sich vielleicht anhand eines Beispiels verdeutlichen. Eine Person A erzählt einer Person B einen Witz, den B nicht witzig findet. Er erklärt A, warum er diese Art von Humor nicht lustig findet. Das heißt, auch er bezieht sich auf den Witz, nur ist das, was er sagt, mit großer Wahrscheinlichkeit selbst nicht witzig, weil er die Ebene des Scherzes verlassen hat und stattdessen eine Reflexionsebene „über ihn“ angenommen hat. Ähnlich verhält es sich bei den genannten Beispielen. Dabei ist vor allem der beschriebene Mechanismus als Sprung der Diskursebene wichtig, unabhängig davon welche Ebenen dies inhaltlich genau betrifft. In den Beispielen ist es eine Verlagerung von der epistemischen auf die moralische Ebene. Vermutlich ist das ein besonderes Spezifikum, wenn wir über den Holocaust sprechen. Grundsätzlich sind in diesem Kontext aber auch andere Ebenen-Wechsel denkbar, von der moralischen auf eine mythische75 oder eine ästhetische Ebene beispielsweise. So wäre es vorstellbar, dass ein Austausch über die Arbeiten Leni Riefenstahls einen Wechsel zwischen diesen Ebenen provozieren könnte. Nehmen wir an, jemand verurteilt ihre Filme als Teil der Propaganda des NSRegimes. Ein Gegenüber mag dagegen auf einer ästhetischen Ebene argumentieren, so dass die Innovation ihrer Arbeiten hervorgehoben wird. Vielleicht bemüht er auch den Mythos des künstlerischen Genies für sie. An diesem Beispiel wird nicht nur deutlich, dass ganz unterschiedliche Ebenen wechseln können, sondern auch, dass sich meistens wahrscheinlich nicht nur zwei sondern gleich mehrere Ebenen überlagern, wobei einzelne besonders stark hervortreten mögen. So stehen bei Alter in diesem Fall zunächst einmal epistemische und vor allem moralische Aspekte im Vordergrund, während bei Ego primär vor allem ästhetische und mythische anklingen. Die Position von Ego könnte zusätzlich auch noch eine morali75 | „Mythisch“ meint in diesem Kontext nicht den unmittelbaren Bezug zu griechischen Sagen, sondern einen Begriff von „Mythos“, wie ihn z.B. Roland Barthes in seinem Buch „Die Mythen des Alltags“ verwendet. Darin geht es um Mythen im Sinne eines tradierten Topos, bei dem sich bestimmte Differenzen überlagern. „Die große Familie der Menschen“ ist ein solcher Topos, bei dem alle Unterschiede zwischen den Kulturen ausgeblendet werden, um den gemeinsamen Kern zu betonen. Siehe Barthes, Roland: Mythen des Alltags, Frankfurt a.M. 1964, S. 17.

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sche Note bekommen, wenn Ego sich z.B. dafür stark macht, dass die Regisseurin aus seiner Sicht aufgrund ihrer Leistung und ihres Einflusses auf die Filmästhetik als Künstlerin anerkannt werden sollte. In diesem konstruierten Fall treten damit allein fünf verschiedene Ebenen in Erscheinung, zwischen denen Sprünge stattfinden, wobei diese Darstellung stark schematisiert ist und vor allem das Grundprinzip des Ebenenwechsels verdeutlichen soll. In allen Fällen von van Almsick über von Trier hin zu Arendt und Levy geht es um Formen von Sympathie im Sinne eines „Sich-Hineinversetzens“, so dass die Nähe zur Bedeutung des ursprünglichen, griechischen Begriffes deutlich wird. Auch in der Auseinandersetzung zwischen Nolte und Habermas geht es im weitesten Sinne um diesen Begriff von Sympathie, wenn das Bemühen bzw. die Weigerung diskutiert wird, den Holocaust als Phänomen zu verstehen bzw. historisch einzuordnen. Dabei ist Nolte unter den Genannten derjenige, der das Problem der Sympathie explizit anspricht. Bei den erstgenannten Fällen wird Hitler bzw. Eichmann im psychologischen Sinne eine Menschlichkeit unterstellt. Beiden wird der Status einer Person zugeschrieben, die z.B. Gefühle und Befindlichkeiten hat. So gewinnt van Almsick anhand der Lektüre von „Mein Kampf“ für sich anscheinend aufschlussreiche Erkenntnisse, die ihr die Denkweise dieser Person verständlicher machen. Von Trier stellt sich vor, wie Hitler sich fühlen muss, als er in seinem Bunker sitzt und weiß, dass er für seine Handlungen vor den Alliierten Rechenschaft ablegen muss. Levy zeichnet einen Hitler, der durchaus menschliche Züge trägt. Er lässt ihn zweifeln und gibt ihn der Lächerlichkeit preis. Arendt beschreibt Eichmann als Menschen, dessen Amoralität vor allem in seiner Gedankenlosigkeit und in seiner Unreflektiertheit liegt. Diese stark psychologische Annäherung und damit verbundene Form des „Nachvollziehens“ von Motiven in allen Fällen scheint sich nicht mit einem strikten Täter-Begriff vereinbaren zu lassen. Verständnis zu entwickeln für die Handlungen eines Mitläufers ist nach unseren Begriffen vielleicht noch legitim, für die eines Täters jedoch nicht. In dieses Raster fallen führende Nazi-Persönlichkeiten und insbesondere Hitler, der dabei sicherlich noch einmal einen Sonderstatus einnimmt. Er gilt schlichtweg als die Verkörperung des Bösen. In dieser extremen Deutung hat dies notwendigerweise eine Anonymisierung seiner Person zur Folge. Ein Symbol oder Mythos des Bösen kann kaum mehr die (menschlichen) Merkmale einer Einzelperson aufweisen und entzieht sich somit jeglichem Verständnis. Es kommt zu öffentlicher Entrüstung und Empörung als Reaktion auf die Positionen von van Almsick, von Trier, Arendt und Levy. Sie alle verletzen die Regeln des Diskurses, indem sie die gängigen und scharf abgegrenzten Kategorien von Tätern, Opfern und Mitläufern missachten. Ihre Sichtweisen der Täter fügen sich nicht in das Schema eines binären bzw. ternären Codes, der nur eine eindeutige Zuordnung in genau eine Kategorie zulässt. Dabei bestreitet keiner von ihnen, dass es Täter, Opfer und Mitläufer gibt. Ihre Auslegung der einzelnen Kategorien ist lediglich eine andere, indem sie ihnen Merkmale zuweisen, die das vorgegebene

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Sinnraster untergraben. Ihre Differenzen verweisen im kommunikativen System sozusagen nicht auf „echte“ Differenzen. Sie relativieren die Kategorien und sorgen innerhalb des kommunikativen Systems für eine Irritation und Störung, die sich in Unmut und Protest ausdrückt. Die Verletzung der vorgegebenen Kategorien als Regelverstoß wird in der Folge insofern gekennzeichnet, als dass die Diskursebene wechselt, wobei weniger wichtig ist, welche Ebenen wechseln, als dass sie wechseln. In den vorgestellten Fällen geht es nicht mehr darum, wer Hitler und Eichmann waren, sondern wie über sie gesprochen werden soll. Ähnlich verläuft das Muster auch in der Auseinandersetzung zwischen Ernst Nolte und Jürgen Habermas. Auch in diesem Fall geht es um eine Form der Sympathie im Sinne eines Begreifens und Verstehens, allerdings nicht in Bezug auf eine bestimmte Person, sondern im Hinblick auf historische Zusammenhänge: Der geschichtliche Stellenwert und die geschichtliche Einordnung des Holocaust sind das Thema. Anders interpretiert geht es wie in den vorangegangenen Beispielen um eine Form der Vergleichbarkeit. Wenn es zuvor beispielsweise um die Vergleichbarkeit von Befindlichkeiten ging, die eine Person X mit Hitler möglicherweise geteilt haben mag, dann geht es im Fall Nolte/Habermas um die Vergleichbarkeit von historischen Episoden. Genau für diese tritt Nolte in Hinblick auf den Holocaust ein. Habermas widerspricht ihm. Für ihn hat dieses Phänomen ein Alleinstellungsmerkmal in der Geschichte, das in der Konsequenz auch ein einzigartiges Verantwortungsgefühl einfordert und moralisch notwendig macht. Dieses Alleinstellungsmerkmal als Extrem auf einer imaginierten Skala wird von Nolte als Kategorie relativiert, indem er nicht etwa die Schwere des Verbrechens leugnet, aber Grundzüge seiner Erscheinungsform für wiedererkennbar in der Geschichte hält. Auf diese Weise fügt auch er sich nicht den vorgegebenen Kategorien, die als ein klares „Entweder-Oder“ den binären Code bestimmen: Entweder ist etwas einzigartig oder nicht. Nolte verweigert sich dieser Kategorisierung und provoziert ebenfalls einen Metadiskurs, der nicht mehr den Inhalt selbst, sondern die Form, wie über ihn gesprochen wird, thematisiert. Die moralische Ebene verdrängt die epistemische Ebene des Diskurses. Dabei soll in keinem der vorgestellten Fälle in Abrede gestellt werden, dass die Verlagerung hin zu einer moralischen Sicht auf den jeweiligen Sachverhalt seine Berechtigung hat und eine wichtige Funktion innerhalb des Diskurses erfüllt, wie wir mit diesem Thema deutscher Geschichte umgehen. Es ist ein wichtiges und warnendes Signal, das uns zu Aufmerksamkeit und Vorsicht im Umgang mit einem Thema gemahnt, das anscheinend große Bedeutung für unsere Gesellschaft hat. Sicherlich besteht in diesem Zusammenhang die Gefahr, andere Positionen vielleicht manchmal von vornherein zu verurteilen, ohne ihre Argumentation eingehender zu prüfen und die Debatte durch mögliche neue Einsichten befruchten zu lassen. Das ist jedoch grundsätzlich eine Schwierigkeit, die meistens in Kontexten auftritt, in denen eine moralische Konnotation stark mitschwingt. Oftmals droht in diesen Fällen, der Ton auf einmal eine besondere Schärfe zu bekommen und die Auseinandersetzung hysterische Züge anzu-

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nehmen. Das kann passieren, muss es aber nicht zwangsläufig. Auch dieses Phänomen ist nicht spezifisch dafür, wie wir über den Holocaust sprechen, sondern auch in anderen Zusammenhängen anzutreffen. Dabei handelt es sich um Nebeneffekte, die vielleicht als unangemessen empfunden werden können, aber wahrscheinlich in Kauf genommen werden müssen. Denn an der grundsätzlichen Berechtigung, sich bestimmten Themen vorrangig unter einem moralischen Gesichtspunkt zu nähern, ändert dies nichts. Kein unmittelbarer Vergleich, aber doch eine indirekte Form von Relativierung des Holocaust liegt der Kritik an Hillgruber zugrunde. Indem der Historiker die Vernichtung der Juden in Europa dem Ende des Deutschen Reiches nebenordnet bzw. – noch weniger wohlwollend gedeutet – hintanstellt, wird dieses Geschehen in seiner Schwere und historischen Tragweite abgeschwächt. Auch hier greift der entsprechende binäre Code nicht, der nur zwei Deutungen zulässt: Der Holocaust ist oder er ist nicht beispiellos in der Geschichte. Hillgruber entspricht dieser Vorgabe mit seinem Buch nicht. Dabei leugnet auch er die Schwere der Verbrechen nicht, die als solche Teil seiner wissenschaftlichen Veröffentlichung sind. Seine Einordnung des Geschehens fügt sich nicht in das vorgegebene Raster, innerhalb dessen nur zwei (extreme) Positionen anerkannt sind. Auch sein „Verstoß“ gegen die geltenden Regeln des Diskurses hat wie bei Nolte einen Wechsel der Diskursebene zur Folge. Im Fall von Eva Herman liegt ebenfalls eine Form von Relativierung vor, die sich allerdings nicht auf die Bewertung des Holocaust bezieht, sondern auf eine Einschätzung des Dritten Reiches, in dem aus ihrer Perspektive nicht alles schlecht gewesen sei. Mit dieser Sicht widerspricht sie dem landläufigen Bild von NaziDeutschland als dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte, das in dieser extremen Deutung eigentlich nichts Positives zulässt. Die Äußerung der Nachrichtensprecherin fügt sich nicht dem dahinterliegenden binären Code, der sich nur in die vollständige Verurteilung des Dritten Reiches oder sein Gegenteil aufspaltet. Auch in diesem Fall gibt es keine Position, die dazwischenliegt. Dementsprechend fällt die Reaktion der Öffentlichkeit ähnlich wie in den vorangegangen Fällen aus: Die Frage, ob und was vielleicht im Dritten Reich nicht schlecht gewesen sei, gerät in den Hintergrund. Stattdessen wird die Art und Weise, wie über dieses Thema gesprochen wird, erörtert. Im kommunikativen Austausch sind wir anscheinend auf verlässliche Aussagen angewiesen, die uns klare Anhaltspunkte zur Orientierung geben. Systemtheoretisch gesprochen streben wir danach, die Komplexität der Umwelt zu reduzieren: Wir müssen komplexe Inhalte vereinfachen, um sie verarbeiten und vor allem mit ihnen arbeiten zu können. Deshalb werden in einem System intern Codes verwendet, die eine eindeutige Entscheidung für das eine oder andere notwendig machen. Die Reduktion von Komplexität drückt sich in den genannten Beispielen durch scharf voneinander getrennte Kategorien aus. Die Zugehörigkeit zu einer dieser Kategorien – sei es nun z.B. Täter oder Opfer – bedeutet einen qua-

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litativen Unterschied. Bestimmte Eigenschaften kann nach diesem Schema nur ein Täter haben, welche er nicht mit dem Opfer teilt und umgekehrt. Wo genau die Trennung – der qualitative Sprung – stattfindet, entscheiden die Regeln, die sich in der Kommunikation herausbilden, festigen und gegebenenfalls auch verändern können. In den beschriebenen Beispielen werden nun keine qualitativen sondern graduelle Unterschiede gemacht. So hat Arendt beispielsweise keinen strikten Täterbegriff von Eichmann. In ihrer Deutung weist er Merkmale auf, die zwischen Täter, Mitläufer und auch Opfer changieren. Nolte deutet den Holocaust nicht als ein einzigartiges Phänomen. Es zeigt für ihn Merkmale auf, die ihn mit anderen historischen Zusammenhängen verbinden. In seiner Intensität unterscheidet sich dieses Phänomen allerdings für den Historiker von anderen geschichtlichen Ereignissen. Der Unterschied bei Arendt und Nolte ist ein fließender, der auf ein Kontinuum verweist. Sie arbeiten sozusagen mit einem analogen Code. Die binären bzw. ternären Codes der Kommunikation funktionieren jedoch anders. Bildlich gesprochen verweisen sie nicht auf ein durchgängiges Gefälle, sondern auf dessen beide extremen Pole. Man könnte vielleicht von digitalen Codes sprechen. Werden diese Codes missachtet, kommt es zu einer Verlagerung der Diskursebene von einer Ebene X (z.B. der epistemischen) auf eine Ebene Y (z.B. die moralische). Dieser Vorgang kann als eine Regulation des Diskurses verstanden werden, um seine Ordnung und sein Fortbestehen zu sichern.

4.5 W IE SPRECHEN WIR ÜBER DEN H OLOCAUST : D AS SYSTEM Nachdem nun die wesentlichen Merkmale dieses Diskurses und seiner Regeln an einigen schlagkräftigen Beispielen herausgearbeitet wurden, bleibt die Frage, wie das dahinter liegende System auf der abstrakten Ebene funktioniert. Anhand der vorangegangenen Beispiele ist m.E. deutlich geworden, dass sich verschiedene Diskursebenen sehr stark überlagern. In den genannten Beispielen von van Almsick über von Trier bis hin zu Herman handelt es sich dabei vor allem um eine Überlagerung des epistemischen und des moralischen Diskurses (wobei grundsätzlich auch die Überlagerung anderer Diskurse – des epistemischen mit dem mythischen beispielsweise – denkbar wären). Eine vorrangig epistemische Aussage fordert im Kontext dieser Beispiele anscheinend unmittelbar eine moralische Stellungnahme heraus. Das hat weitreichende Konsequenzen, die sich in unserem Sprachgebrauch ausdrücken. Je enger der epistemische Diskurs mit dem moralischen verknüpft ist, so könnte man vermuten, desto stärker ist die Sprache reglementiert. Es bilden sich Axiome heraus, auf deren Grundlage wir zu sprechen lernen. Welche Axiome das sind, soll im Folgenden noch einmal zusammengefasst werden. Wir sprechen über diesen Abschnitt deutscher Geschichte in einer ganz bestimmten Weise, die anscheinend gewahrt werden muss. Diese Tatsache weist stark darauf hin, dass es sich um eine Form von Narration handelt. Dementspre-

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chend treten bestimmte narrative Merkmale und Muster auf. So scheinen einzelne Ereignisse und größere Zusammenhänge ihrem Ablauf nach von einer gewissen Linearität geprägt zu sein. Die vermeintliche Reihenfolge der Ereignisse ist der Versuch, hochkomplexe Entwicklungen zu vereinfachen, indem sie in eine gewisse Ordnung gebracht werden. So ist beispielsweise die chronologische Abfolge der sogenannten Machtergreifung durch die NSDAP 1933 eine Konstruktion, die den Eindruck vermittelt, als ob jedes einzelne Ereignis angefangen mit der Weltwirtschaftskrise 1929 und dem Scheitern der Reform zur Arbeitslosenversicherung im deutschen Reichstag im Folgejahr zwangsläufig eines nach dem anderen eingetreten sei. Dem viel komplizierteren Verlauf der Ereignisse und ihrer diffusen Wechselwirkungen untereinander wird diese stark schematisierende Sicht vermutlich nicht gerecht. Ganz ähnlich verhält es sich mit kausalen Bezügen, die zwischen den Ereignissen hergestellt werden. So werden im Hinblick auf das gerade genannte Beispiel der Machtergreifung oftmals die wirtschaftliche Not und große Arbeitslosigkeit wenn nicht als unmittelbare Ursachen, dann doch als stark begünstigende Voraussetzungen für einen Wechsel in der deutschen Politik zugunsten der NSDAP dargestellt.76 Bestimmte Entwicklungen erscheinen auf diese Weise als notwendig, ohne es vielleicht tatsächlich gewesen zu sein. Auch dies ist der Versuch, ein komplexes historisches Geschehen greifbarer und verständlicher zu machen, vielleicht sogar, es zu rechtfertigen. Eine Besonderheit gibt es in diesem Zusammenhang im Hinblick auf das Prinzip der Kausalität. Wenn es auch für Ereignisse bzw. Ereignisketten innerhalb dieses Themenkomplexes bemüht wird, so doch nicht, um den Holocaust in eine Verbindung zu früheren Epochen oder Ereignissen zu setzen, die außerhalb dieses Komplexes liegen. Bei Ernst Nolte, der einen „kausalen Nexus“ zwischen dem Archipel Gulag und dem Holocaust sieht, wurde das besonders deutlich. Das Einnehmen einer Position auf epistemischer Ebene im Sinne einer Beschreibung und eines Vergleichs zu anderen Phänomenen verbietet sich in diesem speziellen Fall anscheinend aus moralischen Gründen. Ein anderes Merkmal der Narration ist die Position des Erzählers zum Erzählten und seine Perspektive, die er im Erzählen einnimmt. In diesem Zusammenhang wird auch von Diegese und Fokalisierung gesprochen.77 76 | Siehe dazu differenzierte Darstellungen wie Bauer, Kurt: Nationalsozialismus: Ursprünge, Anfänge, Aufstieg und Fall, Wien 2008; Büttner, Ursula: Der Aufstieg der NSDAP, in: Hamburg im „Dritten Reich“, Göttingen 2005, S. 27-65. 77 | Beide Begriffe sind heute in der Erzähltheorie fest verankert. „Fokalisierung“ wird durch Gérard Genette Anfang der 1970er Jahre geprägt. Der französische Literaturwissenschaftler führt dabei einen neuen Begriff ein, um eine stärkere Differenzierung in der Beschreibung zwischen auktorialem (allwissendem) und personalisiertem Erzähler zu erreichen. Er unterscheidet zwischen drei Möglichkeiten der Fokalisierung: Bei der Nullfokalisierung weiß der Erzähler mehr als die erzählten Figuren,

Wie sprechen wir über den Holocaust: Diskurs und System

Der erste Begriff bezeichnet das Verhältnis des Erzählers zur erzählten Welt: Er kann sich innerhalb (homodiegetisch) oder außerhalb (heterodiegetisch) von ihr befinden. Unabhängig von seiner Erzählerposition kann er unterschiedliche Perspektiven einnehmen. Die Perspektivübernahme ist die Fokalisierung. So könnte ein heterodiegetischer Erzähler z.B. die Perspektive einer oder mehrerer erzählter Figuren einnehmen. Übertragen auf die Wiedergabe von historischen Ereignissen haben wir es meistens mit einem Erzähler außerhalb des erzählten Geschehens zu tun (es sei denn, er war selbst an dem berichteten Geschehen beteiligt, indem er beispielsweise einen Feldzug beschreibt, an dem er selbst teilgenommen hat). Eine Perspektivübernahme schwingt vermutlich immer mit, auch wenn es um die Wiedergabe geschichtlicher Zusammenhänge geht. Letztendlich könnte man fragen, ob es überhaupt möglich ist, keine Perspektive zu übernehmen. Eine Darstellung von König Heinrich IV. und dem Gang nach Canossa wird vermutlich immer auf der Analyse der Motive des Königs für sein Handeln beruhen: War es ein Akt echter Unterwürfigkeit oder ein geschickter politischer Schachzug, Papst Gregor VII. auf der Burg Canossa aufzusuchen? Der Historiker muss sich in eine historische Persönlichkeit hineinversetzen, um bestimmte geschichtliche Zusammenhänge wiedergeben zu können. Eine Perspektivübernahme klingt auch bei von Trier an, wenn er sich Hitler vorstellt, der allein in seinem Bunker sitzt und sein Ende bzw. die Ankunft der Aliierten erwartet. In seiner Erzählung versucht sich der dänische Filmregisseur in die menschliche Seite der erzählten Figur einzufinden, indem er sich vorstellt, was sie vielleicht in diesem Moment, als sie im Bunker sitzt, gedacht oder gefühlt haben mag. Das tut er in dem Wissen, wie die Geschichte endet – dem Selbstmord Hitlers – das er seiner erzählten Figur voraushat. Vor dem Hintergrund seines Falles scheint diese Form der Perspektivübernahme (Sympathie) nicht als angemessen in der Öffentlichkeit empfunden zu werden, wie die entsprechenden Reaktionen zeigen. Abgesehen von den anderen vorgestellten Beispielen von Levy, Arendt und van Almsick, die in eine ähnliche Richtung der Fokalisierung tendieren und damit auf ein ähnliches Echo stoßen, ist es in diesem Kontext auch denkbar, beispielsweise stärker bei der Sichtweise der Opfer anzusetzen. Auch bestimmte Topoi kehren innerhalb der Narration immer wieder. So gibt es festgelegte Rollen und Charaktere, die für uns eine normative Funktion erfüllen. Wie an den Beispielen deutlich wurde, wird zwischen Opfern, Mitläufern und Tätern unterschieden, denen tendenziell schon bestimmte moralische Attribute zugeordnet sind. Jede dieser Gruppen ist mit bestimmten Eigenschaften besetzt, die eindeutig zuzuordnen während bei der internen Fokalisierung das Wissen des Erzählers und das einer Figur identisch sind. Wenn der Erzähler weniger sagt als die erzählte Figur weiß, ist von externer Fokalisierung die Rede. Die drei Fokalisierungstypen müssen sich nicht immer klar einem literarischen Text zuordnen lassen. Auch können sie innerhalb einer Erzählung wechseln. Vgl. dazu Genette, Gérard: Die Erzählung („Discours de récit“), Fink Verlag, München 1998.

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sind und sich nicht überschneiden. Auf diese Weise grenzen sich die verschiedenen Gruppen stark voneinander ab. Einzelne Personen übernehmen dabei vielleicht sogar die Rolle von „Prototypen“ innerhalb der jeweiligen Gruppe, wie z.B. eine Anne Frank oder ein Heinrich Himmler. Die Gruppe der Mitläufer wird dabei in einer abgemilderten Form gegenüber den Tätern bewertet, da sie sich passiv und nicht aktiv an Verbrechen beteiligt haben. Eine Gruppe, die bis jetzt noch nicht genannt wurde und vergleichsweise klein in diesem Kontext ist, sind die sogenannten „Helden“. Darunter fallen diejenigen Personen, die sich unter Einsatz ihres Lebens dem Regime entgegengestellt haben wie der Hitler-Attentäter Georg Elser oder Mitglieder des organisierten Widerstandes, wie er beispielsweise in der Gewerkschaft und in der Kirche, bei den Sozialdemokraten und Kommunisten, im Adel und in der bürgerlichen Schicht vorkam. Sicherlich lassen sich auch in dieser Gruppe Einzelne finden, die wie beispielsweise Claus Schenk von Stauffenberg die klassische Vorlage des (tragischen) Helden verkörpern, auch wenn er nicht unumstritten ist. Lange Zeit hatte von Stauffenberg mit dem Regime sympathisiert, sich für dessen Ideen begeistert und schließlich unter den Nationalsozialisten eine Karriere als ranghoher Militär absolviert.78 Gerade in Bezug auf seine Person zeigt sich, wie sehr wir anscheinend in diesem Zusammenhang auf einen Heldenmythos angewiesen sind. Beispiele von Zivilcourage mögen uns in diesem Kontext eine Form von Hoffnung geben. Vergangenes wird etwas erträglicher, und auch das deutsche Volk erscheint in einem etwas anderen Licht, wenn zumindest einzelne den Mut aufgebracht haben, sich dem Regime zu widersetzen. Allerdings bilden die „Helden“, wie bereits erwähnt, aufgrund ihrer relativ überschaubaren Zahl in Deutschland eine „Randgruppe“. Sie passen nicht so recht in das Bild eines Verbrecherregimes bzw. sie werden vor diesem Hintergrund als umso größere Ausnahme entsprechend inszeniert. Es entwickeln sich damit anscheinend nicht nur bestimmte Rollenmuster, sondern es bilden sich auch Mythen heraus, die als Platzhalter normativer Ausdrücke fungieren. Hitler als die Verkörperung des schlichtweg Bösen ist ein solcher Mythos, der in dieser Bewertung von vornherein jede sachlich, beschreibende Annäherung an die historische Person verstellt und letztendlich unmöglich macht. Dabei werden mit Mythen wie diesem immer Extreme vermittelt, die keine Relativierung zuzulassen scheinen: Hitler ist in dieser Vorstellung das Böse. Eine Steigerung ist nicht mehr möglich. Neben den Mythen spielen auch Symbole eine große Rolle, die unser Bild des Holocaust prägen. So ist das Konzentrationslager Auschwitz zum Symbol für die menschenverachtende und systematisch durchgeführte Ermordung der Juden und anderer Minderheiten durch die Nationalsozialisten geworden. Die Verwendung bestimmter Begriffe oder Formulierungen ist insofern problematisch, als dass sie in diesem speziellen Kontext als unreflektiert und unangemessen aufgefasst werden können. Bei Eva Herman ist das der Fall, als sie 78 | Vgl. dazu Venohr, Wolfgang: Stauffenberg: Symbol des Widerstandes, 3.Aufl.,Berlin 2000, S.278.

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von einer „gleichgeschalteten“ Presse spricht. Ihr Rückgriff auf einen Begriff aus der nationalsozialistischen Terminologie wurde als unpassend und beleidigend moniert. In der Konsequenz bedeutet das grundsätzlich, dass bestimmte Begriffe und Formulierungen aus dem Gebrauch verbannt werden bzw. ihre Verwendung tabuisiert ist. Das Besondere an diesem speziellen Diskurs ist, dass derjenige, der eine Aussage über die Vergangenheit in diesem Kontext trifft, immer zugleich etwas über sich selbst sagt. Häufig bezieht er moralisch eine Position – und das mitunter, ohne dies zu wollen! Eine Aussage in diesem Zusammenhang scheint sehr schnell zu einem moralischen Statement werden zu können, auch wenn diese nur auf der epistemischen Ebene getroffen wird. Das ist in dem Fall von Nolte besonders deutlich geworden. Seine Äußerung findet auf der beschreibenden Ebene statt, wird ihm jedoch als eine Wertung ausgelegt. Es ist anscheinend sehr schwierig, diesem Thema zu begegnen, ohne an einem moralischen Diskurs zu partizipieren, den die Gesellschaft vorgibt. Dass der moralische Diskurs in diesem Fall den epistemischen so stark dominiert, ist keine bewusste Entscheidung, die die Mitglieder einer Gemeinschaft treffen, der sich aber im Prinzip alle mehr oder weniger fügen müssen, wenn sie an ihr partizipieren wollen. Woran könnte es liegen, dass der moralische Diskurs in diesem Fall so dominant ist? Vermutlich hängt dies mit dem beschriebenen Verantwortungsgefühl zusammen, dass von den Mitgliedern der nachfolgenden Generationen geteilt wird. Ein bestimmtes Geschehen wird von uns kolportiert und ein entsprechendes emotionales Reaktionsmuster darauf internalisiert. Auf diese Weise nehmen wir Bezug zu unserer Vergangenheit. Gemeinsam scheinen wir zu haben, dass der Einzelne über das Gefühl der Verantwortung eine Verpflichtung verspürt, sich mit dem Vergangenen auseinanderzusetzen. Je größer diese Verantwortung wahrgenommen wird, desto stärker ist ein moralisches Empfinden präsent und umso strikter ist der Diskurs reglementiert. Die Frage, wie wir angemessen über diesen geschichtlichen Abschnitt sprechen, ist vor diesem Hintergrund dann von größerer Wichtigkeit. Ob auch der Umkehrschluss gilt, dass der Diskurs umso freier und unbestimmter ist, je weniger ein entsprechendes Verantwortungsgefühl entwickelt und damit ein moralisches Empfinden vorhanden ist, kann allerdings fraglich erscheinen. Das bedeutet, dass unser persönlicher Zugang zum Holocaust entscheidend von sozialen Prozessen geprägt bzw. modifiziert wird. Wir lernen, wie über diesen Abschnitt der Geschichte adäquat zu sprechen ist. In diesem Fall bedeutet Adäquatheit, die Ereignisse nicht nur auf der epistemischen Ebene zu fassen, sondern sie auch im Hinblick auf bestimmte Werte – in diesem Fall insbesondere Werte moralischer Natur – einzuordnen und entsprechend darzustellen. So wie wir eine gemeinsame Sprache zur Verständigung innerhalb einer Gemeinschaft lernen, in die wir hineingewachsen sind und von der wir abhängen, so lernen wir von vornherein, wie wir über geschichtliche Ereignisse zu sprechen haben. Im Hinblick auf den Holocaust übernehmen wir eine kommunikativ gebil-

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dete Tradition einer Sprachregelung, die wir mit persönlichen Erfahrungen und eigenen Erkenntnissen abgleichen. Wir können sie auch hinterfragen oder sogar ablehnen, wie dies in den einzelnen Beispielen von Levy, von Trier bis Nolte mehr oder weniger konsequent durchgehalten wird. Entfliehen können wir ihr als Parameter jedoch nie, da die äußerste Konsequenz ihrer Verneinung Formen der gesellschaftlichen „Exkommunikation“ bedeutet. Dies passiert ja in einigen der genannten Beispiele. So wird Nolte zur Persona non grata in wissenschaftlichen Kreisen erklärt, von Trier vom Filmfestival in Cannes ausgeladen. Auch wenn wir als Mitglieder einer bestimmten Gemeinschaft anscheinend bestimmte Werte und Wertvorstellungen in der Art, wie wir über den Holocaust sprechen, verinnerlicht haben, heißt das jedoch nicht, dass wir uns nicht durchaus unterschiedlich und in diesem Sinne individuell zu diesen vorherrschenden Normen positionieren können. Jeder von uns partizipiert an unterschiedlichen Gemeinschaften und Gruppen, die innerhalb einer Gesellschaft bestehen. Eine Person ist Mitglied einer Familie, sie identifiziert sich vielleicht mit ihrem Wohnviertel und der Stadt, in der sie lebt. Sie engagiert sich für einen bestimmten Fußballclub und ist Mitglied in einer politischen Partei. Auch gehört sie einer bestimmten beruflichen Gruppe an und ist Teil einer Glaubensgemeinschaft. Darüber hinaus ist sie Bürger eines Landes. Sie mag sich möglicherweise als Europäer fühlen und sich im übergeordneten Sinn als Weltbürger begreifen. Ein überzeugter Anthroposoph wird sein Kind vermutlich nicht in eine staatliche, sondern eine private Schule geben, die sich der anthroposophischen Lehre verschrieben hat. Er wird mit großer Wahrscheinlichkeit einer politischen Partei den Vorzug geben, die gegenüber einer anderen dem Umweltschutz in ihrem Programm einen prominenteren Platz einräumt. Das bedeutet, verschiedene Systeme überschneiden sich. Wir nehmen an unterschiedlichen Codes teil. Das muss allerdings nicht heißen, dass diese sich immer konsistent zueinander verhalten. Dabei ist es wichtig, sich noch einmal eines klar zu machen: Wechselseitige Erwartungen werden im Rahmen von sozialer Interaktion bestätigt oder enttäuscht. Auf diese Weise konstituiert sich Bedeutung nach Regeln, die – wie bereits erwähnt wurde – relativ sind. Diese Regeln bilden sich über Differenzen aus wie z.B., was erkennen wir als moralisch gut an und was nicht. Systemintern entsteht diese Differenz nach dem Schema eines Codes, der die Richtschnur für das ist, was wir als Werte bezeichnen. Wir „lernen“ diese Werte. Sie bilden sozusagen unser gemeinsames Koordinatensystem, auf deren Grundlage wir miteinander agieren. Zu diesen Werten bilden wir jedoch unterschiedliche Positionen aus, die sich in einer größeren oder kleineren kritischen Ferne ausdrücken können. Nicht die Werte selbst, sondern vielmehr unsere Haltungen zu ihnen, können innerhalb des Systems zu Spannungen führen, wie das auch in den genannten Beispielen anklingt. Es entsteht der Eindruck, dass innerhalb eines Systems bestimmte Werte grundlegender sind als andere. Moralische Kategorien scheinen ein besonderes Gewicht zu haben. So wird es vermutlich verzeihlicher sein, dass jemand beispiel-

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weise schlechte Tischmanieren hat, als dass er sich fremdenfeindlich verhält. Auch wenn es einen schlechten Eindruck machen kann, dass jemand mit vollem Mund spricht, würde es kaum eine Hürde bedeuten, mit dieser Person eine Unterhaltung zu führen. Größere Überwindung würde es wahrscheinlich kosten, mit jemandem zu sprechen, der rassistische Ansichten vertritt und danach lebt. Moralische Integrität scheint eine zentrale Rolle für soziale Interaktion zu spielen. Die Anerkennung von bestimmten moralischen Werten hat dabei in zweifacher Hinsicht eine entscheidende Funktion: Einerseits entsteht darüber eine Art verbindlicher Rahmen, der ein soziales Miteinander überhaupt erst ermöglicht. Andererseits prägen uns diese Werte in unserem individuellen Selbstbild. Wir identifizieren uns über sie, sonst würden wir ihre Anerkennung kaum bei einem Gegenüber stillschweigend voraussetzen. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir diese Werte ungefiltert übernehmen. Neben den moralischen Werten können aber natürlich auch noch andere Werte wichtig für unser Selbstbild sein, z.B. ästhetische Werte. So mag für eine Person eine gepflegte äußere Erscheinung bei sich selbst wie auch bei anderen eine wichtige Rolle spielen. In jedem Fall scheinen diese Werte – ob es sich dabei nun um moralische oder um ganz andere handelt – eine maßgebliche Rolle für unsere Selbstidentifikation zu spielen. Wir definieren uns über sie. Das gibt uns womöglich einige wertvolle Anhaltspunkte, um zu verstehen, worin die Schnittstelle zwischen individuellem und kollektivem Vergangenheitsbezug besteht. Die Ausgangsfrage der vorliegenden Arbeit war es, wie die verschiedenen vorgestellten Theorien von Nora, Assmann und Fried und die in ihnen beschriebenen Phänomene in möglicher Beziehung zueinander stehen, um ein vollständiges Bild von Geschichte zu erhalten. Vor dem Hintergrund der sichtbar gewordenen Regeln und Mechanismen des beschriebenen Systems sollte eine Einordnung der einzelnen Ansätze und ihrer inhaltlichen Schwerpunkte nun möglich sein. In diesem System haben die Gedächtnisorte von Pierre Nora eine wichtige Funktion. Sie sind nicht einfach nur Platzhalter für ein bestimmtes Ereignis, sondern für dessen Interpretation. Die Gedächtnisorte bilden Kristallisierungspunkte innerhalb einer Gruppe oder Gesellschaft, in denen Deutungszusammenhänge gebündelt werden. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas ist so z.B. nicht nur ein Verweis auf die Verbrechen an den Juden. Es vermittelt allein schon in seinem Ausmaß und seiner Größe an einem zentralen Ort in der Hauptstadt, welche exponierte Stellung diesem Geschehen zugewiesen wird. An bestimmten Tagen wie beispielsweise dem 27. Januar, dem Tag, an dem Auschwitz befreit wurde, finden an diesem Ort Gedenkfeiern statt. Im konventionalisierten Umgang mit der Geschichte prägen und leiten sie unsere Erwartungen aneinander und führen dadurch zu einer Stabilisierung von Werten innerhalb einer Gesellschaft. Diese Werte sind grundlegend für die Selbstidentifikation des Einzelnen und zugleich für das gesellschaftliche Selbstverständnis. Auf diese Kontexte geht Assmann mit seiner Theorie vom kommunikativen und kulturellen Gedächtnis ein. Wie deutlich wurde, hat der Einzelne an unter-

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schiedlichen Gruppen und Gemeinschaften teil. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch die Phänomene einordnen, die Assmann als kommunikatives und kulturelles Gedächtnis beschreibt. Vielleicht wäre es hilfreich, sich zu diesem Zweck soziale Gruppen als verschiedene Systeme auf Mikro- und Makroebene vorzustellen, die bestimmte Invarianten in Bezug auf gemeinsame kommunikativ gebildete Inhalte teilen. Das kulturelle und das kommunikative Gedächtnis stehen in wechselseitiger Beziehung. So wie ein Vater beispielsweise seinem Kind über seinen Einsatz als Soldat während des Zweiten Weltkrieges erzählt, wird er dies nicht nur in Rückbezug darauf tun, dass er Angehöriger einer bestimmten Familie ist, sondern auch im Hinblick darauf, dass er Deutscher ist. In der Art wie er über das konkrete Ereignis spricht, ist er zugleich sozusagen „Kind“ einer kulturellen Prägung, die in einem übergeordneten Kontext steht. Das kulturelle Gedächtnis realisiert sich im konkreten kommunikativen Akt, während im kommunikativen Gedächtnis sich etwas abzeichnet, das auf ein kulturelles Erbe verweist. Frieds Theorie lässt sich mit diesem Ansatz nur bedingt einfangen. Sein Konzept stellt das individuelle Erinnern in den Vordergrund. Er setzt sich mit den historischen Quellen auseinander, die auf Erinnerung beruhen und durch die Deformierungsprozesse des menschlichen Gedächtnisses verfälscht sind. Sein Anliegen ist es, auf Basis von neurophysiologischen Erkenntnissen diese verfälschende Wirkung zu enttarnen und das eigentliche geschichtliche Ereignis dahinter freizulegen. Die vorliegende Arbeit setzt in ihrem systemtheoretisch inspirierten Ansatz nun einen anderen Akzent, der stärker auf die Sprechweise abzielt, wie wir Vergangenes wiedergeben. Nichtsdestotrotz ist fraglich, ob Frieds Anspruch, die Geschichtswissenschaft mit Hilfe einer „historischen Memorik“ radikal zu erneuern, überhaupt einlösbar ist, wie im vorangegangenen Kapitel bereits gezeigt wurde. Seine Deutung der neurowissenschaftlichen Befunde bestätigen lediglich psychologische Einsichten in Bezug auf eine Quelle und ihren Autoren, die Historiker schon immer in ihrer Arbeit erwägen und berücksichtigen. In der Art und Weise, wie wir über den Holocaust sprechen, zeigt sich, dass es vielleicht gar nicht sinnvoll ist, das Individuum isoliert zu betrachten. Es operiert immer in Abhängigkeit von einem sozialen Rahmen, in dem es sich bewegt und den es selbst in Interaktion mit anderen formt. Innerhalb dieses Rahmens definieren wir uns. Er gibt vor, wie ein bestimmtes geschichtliches Geschehen zu sehen und zu bewerten ist, indem bestimmte Codes sozial etabliert werden. Auch wenn das Individuum diese Codes ablehnt oder ihnen entfliehen wollte, muss es sich notwendig zu ihnen positionieren. Ein Mitglied der 68er-Generation kann seinen Vater ablehnen, weil er ein überzeugter Nazi war und dessen Werte und Überzeugungen aus seinem Leben verbannen wollen. Selbst in dieser Ablehnung bezieht er jedoch eine Position zu bestimmten Wertvorstellungen, die er nicht teilt. In dieser Sicht auf das Individuum, das sich immer im Zusammenhang eines sozialen Kontextes sieht, bekommt das Bild von Geschichte einen starken psychologisch-soziologischen Charakter. Wir haben nicht alle den gleichen Vergangenheitsbezug, aber

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wir teilen die gleichen Mechanismen, mit denen wir auf die Vergangenheit Bezug nehmen.

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5. Resümee

Am Anfang dieser Arbeit stand die Schilderung einer Holocaust-Überlebenden, die einen Aufstand in Auschwitz miterlebt hat. Historiker lehnen ihren Bericht ab, weil darin Details verfälscht worden seien. Außerdem sei dem Geschehen eine Bedeutung beigemessen worden, das ihm vor dem Hintergrund des weiteren Kriegsgeschehens und geschichtlichen Verlaufs nicht zustünde. Ist ein Bericht wie dieser aber tatsächlich so nutzlos und irreführend für die Geschichtswissenschaft, wie die Wissenschaftler behaupten? So lautete die Ausgangsfrage der vorliegenden Arbeit. Wenn Erinnerung eine notwendige Bedingung als Zugang zum Vergangenen darstellt, dann scheint dies die Geschichtswissenschaft unmittelbar zu betreffen. Welche Konsequenz das für sie hat, musste zu Beginn noch offen bleiben, und zog die Frage nach der angemessenen Methode nach sich, mit der Erinnerungen als historische Quellen zu behandeln sind. Mit dem Thema „Gedächtnis“ beschäftigen sich einige Beiträge eines sehr viel größeren Diskurses, der sich mit dem theoretischen Begriff der Erinnerung auseinandersetzt. In einem ersten Schritt schien es sinnvoll, diesen weitläufigen Diskurs in seinen groben Zügen und Schwerpunkten abzubilden, um sich einen Überblick über das Thema zu verschaffen. Dabei fiel auf, dass dort mit ganz unterschiedlichen Begriffen operiert wird und zum großen Teil keine Bezüge zwischen einzelnen Theorien bestehen. An drei Konzepten konnte das exemplarisch verdeutlicht werden, bei Noras Gedächtnisorten, Assmanns kulturellem und kollektivem Gedächtnis und bei Frieds historischer Memorik. Zum einen fiel dabei die besondere Verwendung des Gedächtnisbegriffes auf, der auch jenseits vom Individuum für eine Gruppe bemüht wird und so stillschweigend eine Analogie zwischen individuellen und kollektiven Prozessen voraussetzt, ohne dies jedoch näher zu erklären. Zum anderen konzentriert sich jeder der drei Ansätze dabei stärker auf eine Seite: das Kollektiv oder das Individuum. Nicht nur dieser Umstand führte zu der Notwendigkeit, die Leistungsfähigkeit der drei Theorien an praktischen Beispielen zu überprüfen, sondern auch die Tatsache, dass alle drei methodisch einen deduktiven Ansatz verfolgen. Es kam der Verdacht auf, dass die Theorien aufgrund dieses Ansatzes projektionistische Züge tragen könnten und daher vielleicht nur einzelne Phänomene erklären. Diesem Verdacht wurde nachgegangen. Als Beispiele des praktischen Umgangs mit Erinnerung war es wichtig, unterschiedliche Arten von Quellen heranzuziehen, die den Theorien in ihren unterschiedlichen Ausrichtungen auf Formen der Vergegenwärtigung von Vergangenem beim Individuum oder bei einer Gruppe die Möglichkeiten geben, sich zu bewähren. Die Wahl fiel deshalb auf das Stolpersteinprojekt und die Ausstellung „In den Tod geschickt“. Beide beziehen sich inhaltlich auf die NS-Verbrechen ge-

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genüber verschiedenen Minderheiten innerhalb der deutschen Gesellschaft und setzen den Fokus vor allem darauf, wie das Kollektiv der Vergangenheit begegnet und sie wach hält. Allerdings spielen bei den Stolpersteinen und auch für die Ausstellung Erinnerungsberichte von Holocaust-Überlebenden eine tragende Rolle. Zudem sind das Denkmal und die Ausstellung beides jüngere Formen der Auseinandersetzung mit dem Vergangenen, die auf diese Weise Hinweise auf unseren heutigen Umgang mit Geschichte geben und unsere aktuelle Sicht auf das Geschehen dokumentieren. Wie der Abgleich zwischen den Theorien und der Praxis gezeigt hat, erfassen die drei Konzepte die Stolpersteine und die Ausstellung nur teilweise und dabei unzureichend. Eine klare Zuordnung der Phänomene zum kommunikativen oder kulturellen Gedächtnis, wie Assmann sie vorsieht, gelingt nicht. Die Stolpersteine und die Ausstellung haben Anteile an beiden und beschreiben die gemeinsame Schnittfläche bzw. den Übergang der zwei Gedächtnismodi, die die Theorie in einer Erklärung jedoch schuldig bleibt. Bei Nora zeichnet sich eine gewisse Unschärfe in der Definition des Begriffes „Gedächtnisort“ ab. Er ist so weit gefasst, dass nicht nur die beiden Beispiele unter ihn fallen, sondern eigentlich alles, was einen symbolischen Wert für eine Gemeinschaft hat. Der explanative Wert seiner Theorie nimmt damit ab, zumal auch Noras zentrale These ihrem Profil nach nicht besonders scharf gefasst ist, dass Gedächtnisorte konstitutiv für die Identität und das Geschichtsbild einer Gemeinschaft sind. Frieds Theorie legt anders als die beiden vorangegangenen Konzepte den Schwerpunkt auf Prozesse, die im Gedächtnis eines Individuums stattfinden, und bietet ein Instrumentarium, mit dem Augenzeugenberichte wie die drei vorgestellten aus der Ausstellung analysiert werden können. Allerdings bietet seine neurokulturelle Memorik und die Untersuchung von Verformungsfaktoren der Erinnerung keine entscheidende Neuerung gegenüber einer herkömmlichen historischen Quellenkritik. Die drei Ansätze fußen jeweils auf einem abstrakten Konzept, das sie auf ausgesuchte empirische Gegebenheiten übertragen. Dabei konzentrieren sich insbesondere Nora und Fried auf sehr spezielle Phänomene, die jeweils am anderen Ende eines breiten Spektrums liegen, das die Erinnerungskultur einer Gesellschaft beschreibt. Assmann dagegen bildet einen größeren Ausschnitt dieses Spektrums ab und stellt in seiner Theorie wichtige Zusammenhänge zwischen Kommunikation und Kultur her. Wie aber spielen diese und andere noch ungenannte Erscheinungen zusammen, die uns ein vollständiges Bild davon liefern, wie wir uns Vergangenem nähern? Um diese Frage zu klären wurde in der vorliegenden Arbeit ein anderer theoretischer Ansatz bemüht. Die soziologische Systemtheorie nach Luhmann ist ein Modell, das sich gerade zur Beschreibung komplexer sozialer Phänomene und ihres Zusammenspiels eignet. Um eine Vorstellung des Vergangenen im Hinblick auf das Dritte Reich und seine Verbrechen an einer ethnischen Minderheit wie den europäischen Juden zu bekommen, reichen die Stolpersteine und die Ausstellung (die sich beide aller-

Resümee

dings auch noch anderen Opfergruppen widmen) allerdings nicht aus. Beides sind „Steinchen“ innerhalb eines größeren Mosaiks, das für unseren heutigen Umgang mit dem Holocaust steht. Wie dieser Umgang aussieht, wird besonders deutlich in der Art, wie wir über ihn sprechen. Aus diesem Grund wurde der entsprechende Diskurs in seinen charakteristischen Grundzügen anhand einzelner aussagekräftiger Beispiele dargestellt, die in ganz unterschiedlichen sozialen Kontexten prototypisch für die Auseinandersetzung mit dem Thema sind. In einem nächsten Schritt wurde dieser Diskurs systemtheoretisch untersucht und gedeutet. Dabei haben sich einige Charakteristika in unserem Umgang mit diesem geschichtlichen Thema herausgeschält. Es hat sich gezeigt, dass wir im Austausch über das Vergangene sehr stark von bestimmten Werten, Rollenzuschreibungen und Erzählmustern geprägt sind, die wir mit unseren persönlichen Erfahrungen abgleichen. Im Folgenden soll dies noch einmal zusammengefasst werden. In der Art und Weise, wie wir über den Holocaust sprechen, wurde deutlich, dass es sich um eine Narration handelt. In ihrer Struktur folgt unsere Wiedergabe der Ereignisse typisch narrativen Merkmalen. So werden die Geschehnisse nach dem Prinzip der Linearität und Kausalität geordnet und in einen Zusammenhang gestellt. Gleichzeitig wird das Vergangene aus einer bestimmten Erzählperspektive (Fokalisierung) heraus berichtet. Darüberhinaus kehren bestimmte Topoi wieder. So gibt es festgelegte Rollen und Charaktere, die typisch für unseren Umgang mit dem Holocaust sind und normativ aufgeladen sind. Wir sprechen von Opfern, Tätern, Mitläufern und Helden. Jede dieser Kategorien enthält dabei bestimmte Eigenschaften, die ihr jeweils klar zuzuordnen sind und sich inhaltlich nicht überschneiden. Einzelne historische Personen wie Anne Frank oder Claus Schenk von Stauffenberg mögen dabei die Rolle von Prototypen innerhalb einer bestimmten Gruppe übernehmen. Ebenso gibt es Mythen, die gebildet werden und eine stark normative Strahlkraft haben. So taucht im Zusammenhang mit dem Holocaust oftmals der Mythos des Bösen auf, wenn es um Nazi-Größen und ihre Handlanger geht, die die Verbrechen an den Juden und anderen Opfergruppen veranlasst und durchgeführt haben. Auch Symbole spielen in unserer Sicht auf das Vergangene in diesem Kontext eine Rolle. Die Konzentrationslager sind beispielsweise zu prägnanten Bildern des Schreckens durch das NS-Regime und Ausdruck seiner menschenverachtenden Terror-Politik geworden. Gedächtnisorte, wie Nora sie in seiner Theorie beschreibt, übernehmen in diesem Zusammenhang die Funktion, bestimmte Deutungszusammenhänge zu bündeln. Sie sind als Kristallisierungspunkte zu begreifen, die Deutungen eines Geschehens zusammenfassen und Orientierung bieten, wie mit ihnen im gesellschaftlichen Kontext umzugehen ist. So finden am 9. November, dem Tag der Reichpogromnacht, offizielle Gedenkfeiern auf Staatsebene statt, die auf die Bedeutung dieses Ereignisses für die deutsche Gesellschaft aufmerksam machen. Auf diese Weise tragen Gedächtnisorte zur Stabilisierung bestimmter Werte in einer Gesellschaft bei. Zudem haben Gruppenzugehörigkeiten und damit verbundene Prägungen Einfluss auf bestimmte histori-

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sche Phänomene und ihre Darstellung. Diese Gruppen kann man sich vielleicht als verschiedene Systeme auf Mikro- und Makroebene vorstellen, die sich zwangsläufig überschneiden. Wenn ein Großvater seinen Enkeln von seiner Zeit als Mitglied in der Hitlerjugend erzählt, wird er dies nicht nur als Teil einer Familie tun, in der möglicherweise auch seine Geschwister der Hitlerjugend angehörten, sondern auch als Deutscher, der damit kulturell auf eine bestimmte Weise geprägt ist. Diese Überschneidung von Systemen könnte man vielleicht auf die Erscheinungen zurückführen, die Assmann als das kommunikative und das kulturelle Gedächtnis auffasst. Das kulturelle Gedächtnis kommt in der konkreten Kommunikation zum Tragen. Das kommunikative Gedächtnis legt etwas offen, das auf eine kulturelle Prägung verweist. Die Sprache als Medium selbst bildet zum Teil eigene Begrifflichkeiten für den speziellen Kontext aus. Der Umgang mit ihr in Wortwahl und Formulierung ist generell in einem hohen Maß sensibilisiert. Termini aus dem Nazi-Jargon stellen ein absolutes Tabu dar. Wird es missachtet, wird dies entsprechend im Diskurs gekennzeichnet und „bestraft“. Überhaupt unterliegt der Diskurs einer starken Selbstregulierung. Eines seiner besonderen Merkmale ist es, dass insbesondere der moralische Diskurs in diesem Kontext stark ausgeprägt ist und derjenige, der sich über das Vergangene äußert, häufig damit gleichzeitig moralisch Position bezieht, ohne dies möglicherweise beabsichtigt zu haben. Auch wenn sein Beitrag auf der epistemischen Ebene stattfindet, kann er ihm in diesem Kontext schnell als eine Äußerung mit wertender Note ausgelegt werden. Dabei ist deutlich geworden, dass sich meistens mehrere Diskursebenen überlagern. In der Art, wie wir über den Holocaust sprechen, ist der Eindruck entstanden, dass der moralische Diskurs besonders starkes Gewicht hat, obwohl grundsätzlich auch andere Ebenen in der Auseinandersetzung mit Vergangenem denkbar und auch tatsächlich präsent sind. Ein möglicher Grund dafür, dass gerade im Bezug auf den Holocaust der moralische Diskurs so prägnant ist, kann darin bestehen, dass das betreffende geschichtliche Geschehen mit einem großen Verantwortungsgefühl verbunden ist, das an kommende Generationen im sozialen Austausch weitergegeben wird. Auf diese Weise kolportieren wir Geschichte und verinnerlichen ein bestimmtes Geschehen, indem wir es mit einem emotionalen Reaktionsmuster koppeln. So sind wir mit der Geschichte verbunden und spüren im Fall des Holocaust sogar eine Verpflichtung, uns mit diesem Abschnitt der Geschichte im besonderen Maße auseinanderzusetzen. Je größer dabei das Verantwortungsgefühl in Bezug auf ein geschichtliches Geschehen ist, umso stärker ist auch unser moralisches Bewusstsein präsent. Das wäre zumindest ein möglicher Erklärungsansatz. In unserem Geschichtsbild vom Holocaust sind wir damit stark vom sozialen Austausch über dieses Thema beeinflusst. Wir erleben eine Art Lernprozess, dem wir als soziale Wesen unterzogen werden und der uns lehrt, adäquat über die entsprechenden historischen Ereignisse zu sprechen. Adäquatheit bedeutet in diesem

Resümee

speziellen Kontext, die Ereignisse nicht nur auf der epistemischen Ebene, sondern auch vor dem Hintergrund bestimmter Werte wiederzugeben. Diese sind im Fall des Holocaust insbesondere moralischer Natur, wie es scheint. In wechselseitiger Erwartung und mit wachsender Erfahrung im Austausch über das Thema haben sich diese Werte ausgebildet und gefestigt. Wir wachsen in eine kommunikativ gebildete Tradition einer Sprachregelung hinein, die wir mit persönlichen Erfahrungen, Erkenntnissen und Ansichten abstimmen. In diesem Zusammenhang besitzen diese Werte anscheinend eine zentrale Bedeutung für uns und das Selbstverständnis der Gesellschaft, an der wir teilhaben. Sie sind relativ und können sich grundsätzlich in Anpassung an eine Gemeinschaft und ihren sozialen Austausch verändern, in dem Bedeutung immer wieder aufs Neue konstituiert wird. Dabei können wir uns zu diesen Werten in einer größeren oder geringeren kritischen Entfernung als Individuum positionieren. Unsere unterschiedlichen Haltungen ihnen gegenüber sind es, die Spannungen innerhalb einer Gemeinschaft erzeugen können. Diese Situation tritt ein, wenn die Werte nicht anerkannt bzw. die ihnen entsprechenden Regeln des Verhaltens nicht eingehalten werden. Die Regeln bilden sich auf der Grundlage von Differenzen aus, die nach dem Schema von (binären) Codes unseren Vergangenheitsbezug organisieren (z.B. sehen wir den Holocaust als ein historisch einzigartiges Phänomen an oder nicht). Wird gegen diese Regeln verstoßen, kommt es zu Sanktionen, die darauf hinweisen, wie nach den Regeln über ein Thema zu sprechen ist bzw. dem Vergangenen zu begegnen ist. Dabei fällen wir ein Urteil auf einer Ebene und verstoßen (wissentlich oder unwissentlich) gegen eine Regel auf einer anderen Ebene, auf der der Regelverstoß geahndet wird. Im Fall des Holocaust kann das oftmals ein Wechsel zwischen epistemischer und moralischer Diskursebene bedeuten (obgleich grundsätzlich auch andere Ebenen denkbar sind). Die erste wird durch letztere verdrängt. Dieser Wechsel findet jedoch zunächst vor allem nur für eine Seite im Austausch über das Thema statt. Alter trifft eine Aussage auf der epistemischen Ebene und verstößt dabei gegen eine Regel auf der moralischen Ebene. Daraufhin wechselt Ego auf die moralische Ebene, von der aus er Alters Aussage interpretiert, obgleich Alters Aussage eigentlich zunächst einmal rein beschreibend ist. Verharren beide auf ihrer jeweiligen Ebene, findet Kommunikation fortan auf zwei unterschiedlichen Ebenen statt, so dass von einer „misslungenen Kommunikation“ gesprochen werden kann. Was sagt diese Untersuchung aber nun über den Gedächtnisbegriff, seine Funktion für die Geschichtswissenschaft und unser Geschichtsbild aus? Im Verlauf der Untersuchung ist zunächst einmal eines deutlich geworden: Es besteht ein Unterschied zwischen „Erinnern“ und „Gedenken“. Dabei soll an dieser Stelle noch einmal betont werden, dass die Gegenüberstellung von Gedenken und Erinnern nicht gleichzusetzen ist mit einer Gegenüberstellung von Kollektiv und Individuum. Es ist möglich, in der Gruppe zu erinnern, indem persönliche Erfahrungen von den Mitgliedern jeweils abgerufen werden, die sie gegenseitig in Bezug zueinander setzen. Genauso kann eine einzelne Person eines Ereignisses gedenken, das sie selbst

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vielleicht nicht einmal persönlich erlebt, sich aber über ein kulturell geprägtes Bild angeeignet hat. Im Gegensatz zum Erinnern geschieht beim Gedenken der Vergangenheitsbezug in einer ritualisierten Form, die sich im sozialen Austausch ausgebildet hat. Mit der begrifflichen Differenzierung ist m.E. schon mehr an Klarheit für den Diskurs und die weitere Forschung auf diesem Feld gewonnen. Der Übergang zwischen beiden Phänomenen ist fließend, ihre Wechselwirkungen sind stark ausgeprägt. In der Forschung wird über diesen Unterschied oftmals schnell hinweggegangen bzw. wird er sprachlich nicht deutlich gekennzeichnet. Wenn dort von „Erinnerung“ gesprochen wird, ist oftmals in Wirklichkeit schon von einer Form des Gedenkens die Rede, d.h. die Erinnerung hat schon längst eine soziale Prägung angenommen. Das spiegelt sich wie zuvor bereits erwähnt auch an der Verwendung der Begriffe „kommunikatives“ und „kulturelles“ Gedächtnis wider, das bei Assmann als Metapher für soziale Prozesse fungiert. Es geht ihm um die Haltung einer Gesellschaft gegenüber dem Vergangenen, die er formal vom individuellen Gedächtnis abgrenzt. Inhaltlich hält er diese Abgrenzung aber nicht durch, indem er das kommunikative Gedächtnis als „Modus der biographischen Erinnerungen“ und das kulturelle Gedächtnis als „Modus der fundierenden Erinnerungen“ beschreibt. Nora spricht von „Gedächtnisorten“, die er ganz klar im Kontext einer Gruppe sieht. Dies macht er begrifflich jedoch nicht deutlich und bleibt dem Vokabular des Gedächtnisses als individuellem Phänomen verhaftet. Dabei ist es keine Frage, dass beide eng miteinander zusammenhängen. So wie Erinnerung vom Gedenken geprägt ist, ist umgekehrt keine Form des Gedenkens ohne Erinnerung möglich. Sie übernimmt in diesem Kontext die Funktion fundamentaler Basisdaten im Sinne einer Wahrnehmung oder eines ersten Eindruckes. An dieser Stelle klingt noch einmal der systemtheoretische Gedanke an, dass bestimmte Systeme (wie z.B. psychische und soziale) in wechselseitiger Abhängigkeit zueinander bestehen und nur in einem „operativen Miteinander“ denkbar sind. In diesem Austausch kolportieren wir Geschichte und gleichen sie mit unseren individuellen Erfahrungen ab. Vor diesem Hintergrund wird deutlich – so trivial dies auch erscheinen mag – dass Geschichte nicht ohne Individuum und Gruppe stattfinden kann. So erklärt der ehemalige japanische Premierminister Naoto Kan einige Monate nach dem Reaktorunfall im japanischen Fukushima im März 2011, dass er nicht mehr an die Sicherheit von Atomkraft glaubt. Mit diesen Worten trifft er einerseits auf ein großes Echo in der Bevölkerung, anderseits löst er aber auch Unmut aus – z.B. in Teilen der Presse sowie der Atomlobby und bei der politischen Rechten. Auf die Frage nach seiner stärksten Erinnerung an die Katastrophe antwortet er: „Vieles aus der Anfangsphase und der Zeit danach ist mir in Erinnerung geblieben. Vieles. Aber der unvergesslichste Moment war der, als ich mitten in dem ganzen Aufruhr fragte, was mit Japan als Land geschehen würde, wenn die unbewohnbare Zone sich auf 200 bis 300 Kilometer erstrecken würde. Dieser Gedanke hat mich damals sehr stark bewegt, und ich denke oft daran.“1 1 | Siehe Noualhat, Laure: Naoto Kan: Der japanische Ex-Premierminister auf dem Altar der Kern-

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Die Tatsache, dass die neue Regierung des Landes fast vier Jahre nach der Nuklearkatastrophe wieder den ersten Reaktor anfährt und zur Atomkraft zurückkehrt, provoziert Reaktionen in der japanischen Gesellschaft, die die Sicht auf das Vergangene vermutlich mit beeinflussen. Entgegen der wirtschaftlichen Interessen des Landes macht sich eine Form von Empörung u.a. in Bürgerprotestbewegungen in Japan mit dem Tenor bemerkbar, Fukushima dürfe sich nicht wiederholen und Atomkraft sei vor der erhöhten Gefahr von Erdbeben in Japan zu riskant. Unter den Kritikern ist als prominenter Unterstützer auch der mittlerweile von seinem Amt als Regierungschef zurückgetretene Naoto Kan, der sich eindringlich gegen Atomkraft ausspricht. An diesem Beispiel wird noch einmal deutlich, wie Erinnern und Gedenken sich gegenseitig Impulse verleihen. Wir kolportieren Geschichte und gleichen sie mit unseren individuellen Erfahrungen ab, so wie Naoto Kan aus seiner persönlichen Erfahrung und den Reaktionen in Politik und Gesellschaft seine Sicht auf das Vergangene abstimmt, indem er sich in seinem Standpunkt durch äußere Entwicklungen seit 2011 bestätigt fühlt und diese vehement verteidigt. In welchem Verhältnis Prozesse des Erinnerns und Gedenkens grundsätzlich zueinander stehen, soll nun zusammengefasst werden. Auf phänomenaler Ebene ist zu bemerken, dass Erinnerungen mit der Zeit verblassen oder sich sogar ganz auflösen können. Es scheint, als ob Erinnern und Vergessen dabei niemals als zwei voneinander getrennte Phänomene zu betrachten sind. Auch wenn jemand aus der Alltagserfahrung heraus dazu geneigt sein mag, Vergessen eher als etwas Negatives zu empfinden, ist diese scheinbare Dysfunktion des Gedächtnisses doch unverzichtbar für die Fähigkeit, sich zu erinnern. Das Vergessen ist damit eine höchst funktionale, adaptive Fähigkeit genauso wie das Erinnern selbst. Zunächst einmal ist die Speicherkapazität des menschlichen Gedächtnisses nicht unbegrenzt, so dass schlichtweg nicht alles erinnert werden kann. Diejenigen Eindrücke, die selten oder nie als Information abgerufen werden, werden aussortiert bzw. vergessen.2 Wir erinnern uns an das, was Bedeutung für uns hat, und vergessen dagegen, was aus unserer Sicht nicht relevant ist. Systemtheoretisch gesprochen nehmen wir eine Selektion vor. Informationen werden verloren bzw. Details werden abgeschnitten, die keine Bedeutung für uns konstituieren. Auf diese Weise entstehen Kategorisierungen, die die Erfassung von Wahrnehmungsinhalten erst ermöglichen. So wird es zumindest angenommen. Eine Person merkt sich dasjenige, was sich ihr assoziativ erschließt. In dieser Hinsicht lässt sich Erinnerung vielleicht mit dem Fokus einer optischen Linse vergleichen, der nur einen bestimmten Bildabschnitt scharf abbildet, während das Übrige, das energie geopfert, vom 07.03.2012. Abrufbar im Internet: http://www.arte.tv/de/naoto-kan-der-japanische-ex-premierminister-auf-dem-altar-der-kernenergie-geopfert/6391576,CmC=6442686.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. 2 | Vgl. dazu Markowitsch, Hans J. u. Welzer, Harald: Das autobiographische Gedächtnis. Hirnorganische Grundlagen und biosoziale Entwicklung, Stuttgart 2005, S. 32.

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außerhalb dieses Bereichs liegt, undeutlich und verschwommen erscheint. So mag sich eine Person vorzugsweise an diejenigen Wahrnehmungen und Erfahrungen erinnern, die sie auf die ihr bekannten Begriffe beziehen kann, und verbannt die übrigen in die Randbereiche ihrer Aufmerksamkeit. Des Weiteren wird vermutet, dass auch bereits gespeicherte Erinnerungen kein stabiles, invariantes Gedächtnisinventar bilden, sondern sich inhaltlich wandeln. Bislang stehen allerdings keinerlei Kriterien zur Verfügung, um diese Hypothese neurophysiologisch zu beweisen. Der ihr zugrundeliegende Gedanke ist, dass Erinnerungen der Konsolidierung durch ein wiederholtes Abrufen bedürfen, um erhalten zu bleiben.3 Es besteht die Möglichkeit, dass die Aktivierung einer Erinnerung zu einer Modifikation ihres Inhaltes im Sinne einer Aktualisierung führt. Denn der Bezugspunkt in der Gegenwart, auf den die Erinnerung bezogen wird, verschiebt sich vor dem Hintergrund eines stetig anwachsenden Erfahrungs- und Lernschatzes des Individuums. Auf diese Weise werden die Erinnerung oder einzelne in ihr enthaltene Aspekte in einen neuen Deutungszusammenhang gestellt. Das würde bedeuten, dass Erinnerungen nach wiederholter Vergegenwärtigung gar nicht mehr identisch sind mit jenen, die ursprünglich im Gedächtnis gebildet wurden.4 Wenn sich diese Vermutung bestätigen würde, wäre dies für die Bewertung der Authentizität von Erinnerungen sehr problematisch. Zudem scheinen Erinnerungen manipulierbar zu sein. Sie können neben eigenen Erfahrungen z.B. auch fremde Erfahrungen enthalten, die der Erinnernde unbewusst integriert und als seine eigenen Erlebnisse versteht. Dies gilt beispielsweise auch für Geschichten aus Literatur und Film, die mitunter unbewusst adaptiert werden, so dass der Erinnernde sie tatsächlich als Teil seines eigenen Erfahrungsschatzes versteht.5 Aus diesen Gründen muss es so wirken, als ob Erinnerungen als historische Quellen zunächst einmal nicht besonders prädestiniert dafür sind, eine zuverlässige Auskunft darüber zu geben, wie sich ein Geschehen tatsächlich zugetragen hat. Welche Prozesse laufen ab, wenn wir des Vergangenen gedenken? Das Beispiel des Diskurses, wie wir über den Holocaust sprechen, ist in dieser Hinsicht aufschlussreich gewesen. Wir gedenken nämlich nur der Dinge, die für uns eine Bedeutung haben. Was keine Relevanz für uns besitzt, wird ausgeblendet. Das heißt, auch in diesem Kontext findet eine Selektion statt: Was ist wichtig für uns, was nicht? Dabei kann sich die Bedeutung inhaltlich wandeln. Was vor 20 Jahren bedeutsam war, mag heute in den Hintergrund getreten sein – und umgekehrt, was

3 | Welzer: Das kommunikative Gedächtnis, S. 234. 4 | Singer, Wolfgang: Wahrnehmen, Erinnern, Vergessen. Über Nutzen und Vorteil der Hirnforschung für die Geschichtswissenschaft: Eröffnungsvortrag des 43. Historikertages, in: FAZ, Nr. 226, vom 28.09.2000, S. 10. 5 | Welzer: Das kommunikative Gedächtnis, S. 185.

Resümee

damals kaum eine Rolle gespielt hat, könnte zum jetzigen Zeitpunkt an Stellenwert gewonnen haben. Die Bedeutung konstituiert sich im Austausch über das Vergangene in einer Haltung von Erwartung, die enttäuscht oder erfüllt werden kann. Je öfter sie erfüllt wird, desto mehr stabilisiert sich die Bedeutung, die die Form von bestimmten Werten, Rollen und Deutungsmustern annehmen kann. Diese stellen kein invariantes Inventar dar, sondern verhalten sich dynamisch zur Bedeutung, die sich verändern kann. Indem uns bestimmte Ereignisse wichtig erscheinen und andere nicht, nehmen wir automatisch eine Wertung vor, die als Kommentar unsere Sicht des Vergangenen formt. So würde es heute irritieren, wenn innerhalb der deutschen Gesellschaft der Holocaust nicht als ein weltpolitisch einschneidendes und zu verurteilendes Ereignis gesehen würde. Vor ein paar Jahrzehnten war das noch anders, so dass auch an dieser Stelle deutlich wird, wie sich Bedeutung verändert und das Gedenken – ebenso wie das Erinnern – an einen Erfahrungs- und Informationshorizont der jeweiligen Gegenwart einer Gesellschaft angeglichen wird. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Erinnern und Gedenken sich von ihrer Struktur durchaus ähnlich sind. Beide unterliegen nämlich Selektions- und Konfigurationsmechanismen, die sie entsprechend (ver)formen und gestalten. Das bedeutet, dass beide Formen niemals eine Art „Geschichtsrealismus“ im Sinne einer unverfälschten Sicht auf das Vergangene liefern können. Im Erinnern und im Gedenken ist Geschichte so schlichtweg nicht darstellbar. Selektion und Verformung müssen bei ihnen mitreflektiert werden. Diese Ausführungen scheinen deutlich zu machen, wodurch sich die still vorausgesetzte Analogie zwischen Erinnern und Gedenken bei Assmann und Nora gründet. Die begriffliche Undifferenziertheit in ihren Theorien kann durch die strukturellen Ähnlichkeiten beider Phänomene erklärt werden, die in der vorliegenden Arbeit herausgearbeitet wurden: So wie die Erinnerung selektiv ist und einer subjektiven Färbung unterliegt, trifft dies auch auf das Gedenken zu: Dabei werden ebenfalls einzelne Aspekte herausgefiltert und diese aus der „geformten“ Sicht einer Gemeinschaft wiedergegeben. Wo ist aber die Kontaktstelle zwischen Erinnern und Gedenken? Assmann spricht in diesem Zusammenhang vage von einem „floating gap“. Fried stellt in Aussicht, mit seiner Theorie über Verformungsfaktoren des individuellen Gedächtnisses auch kulturelle Zusammenhänge des Vergangenheitsbezugs klären zu können, ohne dies jedoch näher zu erläutern. Nora thematisiert diesen Punkt erst gar nicht. Irgendwo muss jedoch die Verbindung zwischen beiden Phänomenen liegen. Selbstverortung und Identität scheinen für das Individuum eine entscheidende Rolle zu spielen. Die Frage, wer jemand ist, scheint dabei nicht selten von einer bestimmten Gruppenzugehörigkeit abzuhängen. Ein deutscher Staatsbürger und überzeugter Demokrat wird beispielsweise die jüngsten Übergriffe auf Flüchtlingsheime in Sachsen verurteilen, weil sie seiner Vorstellung eines friedlichen Zusammenlebens in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat widerspre-

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chen, dessen Grundgesetz mit der Aufzählung der Menschenrechte beginnt. In seiner Weltanschauung mag er sich mit den Glaubensgrundsätzen der Buddhisten konform erklären, dessen ethisches Grundprinzip es ist, Leid zu vermeiden. Seine Eltern mögen ihm Weltoffenheit und Toleranz gegenüber anderen vorgelebt haben. In diesen Einstellungen drücken sich Werte aus, die für das Selbstverständnis eines Menschen prägend sein können und ihn gleichzeitig zum Teil einer Gemeinschaft wie einem Staat, einer Glaubensgemeinschaft oder Familie werden lassen. In diesem konstruierten Fall wirken die Wertvorstellungen stark konsistent, das müssen sie aber nicht zwangsläufig sein. Da wir uns anscheinend so stark über bestimmte Werte definieren, hat dies auch Auswirkungen auf die Art, wie wir Vergangenes sehen, beurteilen und wiedergeben. Wir tauschen aus, was geschehen ist, und machen gleichzeitig deutlich kenntlich, wie darüber zu sprechen ist. In die Wiedergabe von Ereignissen fließen Kommentar und Wertung mit ein. Im Austausch über Vergangenes artikulieren wir dabei Erwartungen an ein Gegenüber, dem wir unterstellen, dass er Vergangenes wenn nicht auf gleiche, so doch zumindest auf sehr ähnliche Weise einordnet. Auf diese Weise wird der Einzelne in seinem Vergangenheitsbezug von anderen geprägt. Er stimmt seine eigenen Erfahrungen und Erinnerungen mit ihnen ab. Ob er dabei nun mehr oder weniger die Sichtweise auf das Vergangene und darin enthaltene Werte innerhalb einer Gruppe für sich annimmt, spielt keine Rolle. In jedem Fall bezieht er Stellung dazu und gleicht seine Erinnerungen darauf ab. So wie er „infiltriert“ wird, „infiltriert“ er auch andere, indem er sich ebenfalls mit Erwartungen an sein Umfeld wendet, wie über das Vergangene zu sprechen ist. Erwartungen wie diese können beispielsweise stark von einer moralischen Integrität abhängen, von der wir bei uns selbst ausgehen und die wir auch anderen in Anerkennung bestimmter moralischer Standards unterstellen. Am Beispiel, wie wir über den Holocaust sprechen, schien diese moralische Note sehr ausgeprägt zu sein, zumal es in diesem geschichtlichen Zusammenhang um einen besonders schweren Verstoß gegen ethische Grundwerte geht, für den wir – wie bereits erklärt – aus unserer Geschichte heraus ein besonderes Verantwortungsgefühl spüren mögen. Letztendlich können diese Werte aber auch noch anderer Natur sein. In der Erwartungshaltung, die wir einander gegenüber einnehmen, bilden wir ein gemeinsames Wertesystem aus, das jedes Individuum für sich und seine persönlichen Erlebnisse abgleicht. Das würde bedeuten, dass unser individueller Vergangenheitsbezug durch eine Art soziale Grammatik geformt ist und sich die Werte einer Gesellschaft in der Erzählung von Vergangenem niederschlagen. So wie wir über Geschichte denken und sprechen, geben wir damit nicht nur über das Vergangene Auskunft, sondern auch darüber, wie wir uns selbst heute verstehen. Aus diesem Blickwinkel ist Geschichte auch immer ein Spiegel einer gegenwärtigen Gesellschaft und ihres Selbstbildes. Anhand der vorliegenden Untersuchung, die der Frage nachgegangen ist, wie wir über den Holocaust sprechen, sind einige wesentliche Charakteristika

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unseres Umgangs mit diesem Thema deutlich geworden. Sie geben darüber Aufschluss, welches Geschichtsbild wir von dieser Zeit pflegen. Dabei hat sich auch abgezeichnet, dass die Auseinandersetzung mit diesem bestimmten Abschnitt der (deutschen) Geschichte einige Spezifika aufweist, die so nicht unbedingt in anderen historischen Kontexten auftreten. Lassen sich von diesem besonderen Fall aber vielleicht grundsätzliche Merkmale und Prinzipien unseres Umgangs mit Geschichte ableiten? Welche Aspekte der sozialen Grammatik gelten möglicherweise nicht nur für unseren Umgang mit dem Holocaust, sondern ganz allgemein, wenn wir uns mit Geschichte befassen? Die Beantwortung dieser Frage führt zum Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit zurück. Es sollte untersucht werden, was Gedächtnis (in seiner doppelten Bedeutung) für unser Geschichtsbild bedeutet, und ob eine entsprechende Theorie einen Nutzen für die Geschichtswissenschaft hat. Im Folgenden wird dies geklärt. Einige Charakteristika scheinen tatsächlich grundsätzlicher Natur im Umgang mit Geschichte zu sein. Das wird z.B. an den narrativen Strukturen in der Auseinandersetzung mit dem Vergangenen deutlich. Denkt man an die Geschichte des römischen Reiches zu der Zeit von Gaius Julius Caesar, dann fällt auf, dass dieser zeitliche Abschnitt von der Tendenz her stark mit Sicht auf den römischen Feldherrn und Staatsmann erzählt wird. Insbesondere wenn die erste Hälfte des 1. Jahrhunderts v.Chr. aus der Perspektive der ausgehenden Republik bzw. als „Ouvertüre“ zur Kaiserzeit gesehen wird, wirkt die Geschichte mit Blick auf die historische Gestalt Caesars zu einem hohen Maß personalisiert.6 Prägnante Zitate des Politikers tragen einen deutlich literarischen Charakter, so dass bei Aussprüchen von ihm manchmal die Grenze zum Drama sehr nah erscheint. Wer ist sich noch ganz sicher, was Original-Zitat und was Shakespeare-Dichtung bei folgenden Sätzen ist: „Die Würfel sind gefallen“7, „ Den besseren Gründen müssen gute weichen“8, „Gern glauben die Menschen das, was sie wollen“9 oder „Der Feige stirbt

6 | In der deutschsprachigen Forschung der letzten Jahrzehnte ist eine starke Tendenz bemerkbar, den Übergang von der Republik zur Monarchie in Rom als allmählichen Prozess zu beschreiben. Es wurde versucht, Stationen dieser Entwicklung in chronologischer Abfolge herauszuarbeiten. Als Orientierung diente dabei nicht unmaßgeblich die Diktatur Caesars. Zu dieser Tendenz in der Forschung und dem aktuellen Diskurs siehe: Meier, Mischa: Caesar und das Problem der Monarchie in Rom, Heidelberg 2014. 7 | Im lateinischen Originaltext heißt es „Alea iacta est“. Es gibt unterschiedliche Ansichten, ob dieser Satz im Plural oder im Singular als „Der Würfel ist gefallen“ übersetzt werden muss. Das Zitat findet sich bei: Sueton: Divus Iulius, 31,2. 8 | Shakespeare, William: Julius Cäsar, in: Gesammelte Werke, Bd. 4, Berlin 1924, S. 248 (4. Akt, 3. Szene). Um fair zu bleiben, sei an dieser Stelle jedoch vermerkt, dass dieser Satz im Drama nicht von Cäsar, sondern Brutus gesagt wird. 9 | Im lateinischen Originaltext lautet der Satz: „Libenter homines id quod volunt credunt“. Vgl. Gaius Iulius Caesar: De Bello Gallico, 3, 18, 6.

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schon vielmal, eh er stirbt. Die Tapferen kosten einmal nur den Tod“10? Tatsächlich sind nur der erste und der dritte Ausspruch Original-Zitate Caesars. Fraglos bietet die Karriere dieses Staatsmannes einerseits viel für einen dramatischen Stoff, andererseits wird sie aber in Ansätzen auch so inszeniert: der rasante Aufstieg und Fall eines zielstrebigen, machtbewussten Politikers, dessen vermeintliches Ziel von vornherein die Alleinherrschaft war, die ihm zum Schluss zum tödlichen Verhängnis wird. Dass die Darstellung in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema sicherlich differenzierter ausfällt, ist keine Frage. Trotzdem ist die Tendenz, die Geschichte so zu erzählen, im wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Bereich m.E. nicht ganz von der Hand zu weisen. Topoi spielen in der Auseinandersetzung mit Vergangenheit mit großer Wahrscheinlichkeit immer eine Rolle. Auf diese Weise bilden sich prototypisch bestimmte Positionen heraus. So werden bestimmte Kategorien wie Täter und Opfer, Mitläufer und Helden oftmals zur Beschreibung kriegerischer Konfliktparteien und unschuldiger Zivilisten herangezogen, ob es sich dabei z.B. um Personen und Gruppen handelt, die zwischen 1936 und 1939 in den Spanischen Bürgerkrieg verwickelt waren oder aber auf die eine oder andere Weise heute von den Aktionen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ betroffen sind. Jedoch sind auch andere Kategorien denkbar. So hat sich mit dem Kalten Krieg das Schema vom „Westen“ und „Osten“ herausbildet und verfestigt. Beide bilden zwischen 1947 und 1989 zwei Opponenten, die für ein jeweils unterschiedliches politisches System und einen anderen Begriff von Freiheit stehen. Als Kategorien beinhalten sie damit auch unterschiedliche Werte und lassen keine inhaltlichen Überschneidungen zu. Während die Westmächte freiheitlich-demokratische Strukturen vertreten und kapitalistisch geprägt sind, steht der Ostblock für ein totalitäres Überwachungsregime, das sozialistisch ausgerichtet ist. Es bildet sich eine stereotype Charakterisierung beider heraus, die westlich geprägt ist, und sich mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion mehr oder weniger durchgesetzt hat. Auch Mythen scheinen ein grundsätzlicher Bestandteil unseres Vergangenheitsbezugs zu sein. Der Holocaust und die Abgrenzung zu den Geschehnissen unter dem Hitler-Regime in Deutschland bilden eine Art bundesrepublikanischen Gründungsmythos. Der Gründungsmythos der DDR tendiert inhaltlich ebenfalls in diese Richtung, grenzt sich jedoch auch von Westdeutschland ab, das als einer Art Nachfolgestaat des Dritten Reiches gesehen wird. So wird es in der Propaganda der sowjetischen Besatzungszone bzw. der späteren DDR gesehen, die den Großteil der Ostdeutschen mehr oder weniger als Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime stilisiert und die Gründung des neuen Staates als Sieg über den Nationalismus und Trutzburg gegen die kapitalistische BRD sieht. Aber auch in ganz anderen Kontexten außerhalb der deutschen Geschichte in der ersten Hälfte des

10 | Shakespeare: Julius Cäsar, S. 215 (2. Akt, 2. Szene).

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letzten Jahrhunderts kommen Mythen zum Tragen. Häufig können sie auch an bestimmte herausragende Persönlichkeiten der Geschichte gebunden sein. So wird Richard Löwenherz aufgrund von christlichen und ritterlichen Werten als einer der größten englischen Nationalhelden verklärt. Gerade im Hinblick auf seine militärischen Verdienste während des dritten Kreuzzugs scheint er als ein überragender englischer König idealisiert und verehrt zu werden.11 Diese sehr positive Darstellung spiegelt sich in zahlreichen Legenden, Sagen, belletristischen Werken und Filmen wider.12 Dabei werden seine militärischen Erfolge anscheinend mit seinen Fähigkeiten und Verdiensten als Regent für England gleichgesetzt. Ob diese Verdienste für das Land als Staatsmann aber tatsächlich so groß waren, ist mehr als fraglich. Die meiste Zeit hielt sich Richard außerhalb von England auf. Als er auf dem Rückzug aus dem Heiligen Land 1192 in Österreich gefangen genommen wird, führt die Zahlung des Lösegeldes, für die sich seine Mutter, Eleonore von Aquitanien, einsetzt, zu einer schweren wirtschaftlichen Krise in England, die große Unruhen in der Bevölkerung nach sich zieht.13 Ein Umstand wie dieser beispielsweise scheint seinem Ruf als einem der größten englischen Könige, aber kaum Abbruch getan zu haben und im Nachhinein weitgehend ausgeblendet zu werden. Ob der König, der Normanne war, im übrigen überhaupt Englisch sprach, wird in Historikerkreisen teilweise in Zweifel gezogen.14 An seinem Beispiel zeigt sich, wie stark eine historische Figur mythisch aufgeladen sein kann. Sein Mythos erscheint umso wirkungsmächtiger, da die Geschichtswissenschaft sich oftmals auf diesen bezieht, indem sie sich von ihm abgrenzt bzw. den Mythos als Ausgangspunkt für eine differenziertere Auseinandersetzung mit der historischen Figur des Königs nutzt. Der Mythos fungiert für sie ex negativo als Schablone. Daran wird deutlich, dass die Position, die wir zu ihm einnehmen, auch immer eine Rolle spielt. Bei der Darstellung der sowjetischen Geschichte gibt es ein ähnliches Phänomen. Die Dokumentationen distanzieren sich oftmals vom Mythos des „guten“ Lenin, als dem großen Revolutionär, und des „schlechten“ Stalin, als dem großen Diktator.15 Dies sei ein gängiges Vorurteil, dem man sich entziehen wolle. Das Interessante 11 | Fischer, Robert-Tarek: Richard I. Löwenherz 1157-1199: Mythos Und Realität, Wien 2006. 12 | Die bekanntesten Beispiele für die einseitig positive Darstellung von Richard I. in literarischer Form sind die Sagen, die sich um Robin Hood ranken. Darin wird Richard Löwenherz als der „wahre“ König Englands dargestellt. Sein Gegenspieler ist sein jüngerer Bruder Prinz John, der die Abwesenheit Richards nutzen will, um seine Macht auszubauen und den englischen Thron zu erlangen. Eine ähnliche Rollenverteilung und Personenkonstellation zwischen Richard I. und seinem Bruder spiegelt sich auch in der Rahmenhandlung des Buches „Ivanhoe“ von Sir Walter Scott wider, das 1820 erscheint. Siehe Walter, Scott: Ivanhoe, München 2007. Zu beiden Literaturstoffen gibt es mehrere Verfilmungen. 13 | Turner, Ralph V.: Eleonore von Aquitanien, Königin des Mittelalters, München 2012, S. 348ff. 14 | Vgl. dazu Berg, Dieter: Richard Löwenherz, Darmstadt 2007; Fischer: Richard I. Löwenherz. 15 | Vgl. dazu u.a. „Der Mythos vom guten Lenin“ aus der Reihe WeltgeschichteDokus, https://www.youtube.com/watch?v=Tm3526J02Zo [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]; Bachmann,

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dabei ist, dass dieser Mythos der beiden Staatsmänner tatsächlich nur in seiner Ablehnung zu existieren scheint, ohne dass wirklich für ihn Partei ergriffen würde. Es handelt anscheinend auch hier um einen „Mythos ex negativo“, der sich dem Eindruck nach hartnäckig hält und sich damit als besonders einflussreich erweist. So wie wir über diese beiden historischen Figuren urteilen, sagen wir damit abermals viel über unsere eigene Gegenwart und die vorherrschenden Werte aus. Symbole übernehmen ebenfalls eine wichtige Funktion, wenn über Vergangenes gesprochen wird. Sie sind wirkungsmächtige Bilder, die mitunter wie Mythen auch instrumentalisiert werden können. So ist das Konterfei Josef Stalins trotz der Schreckensherrschaft des sowjetischen Diktators in Russland heute anscheinend nicht mehr nur negativ besetzt, sondern auch Ausdruck für nationale Stärke, nach der sich ein russisches Nationalempfinden vielleicht heute teilweise sehnt. Gedächtnisorte „bündeln“ Deutungszusammenhänge und geben vor, wie bestimmte historische Ereignisse zu deuten sind. Damit legen sie gleichzeitig fest, wie mit den Ereignissen, auf die sie verweisen, innerhalb einer Gesellschaft entsprechend umzugehen ist. Das Denkmal für die Opfer des 11. September am ehemaligen Ort des World-Trade-Centers in New York verweist nicht nur auf die Anschläge. Es macht außerdem in seiner Größe mit zwei leeren Becken auf der Grundfläche der beiden ehemaligen Twin Towers und allein von den Kosten als 700-Millionen-DollarProjekt deutlich, wie außergewöhnlich groß die Bedeutung der dahinterliegenden Ereignisse für das amerikanische Nationalbewusstsein ist.16 Am Jahrestag der Anschläge finden in den USA und darüber hinaus Gedenkfeiern statt. Gedächtnisorte wie diese lenken unsere Erwartungen aneinander und wirken als wichtige Stabilisatoren von Werten innerhalb einer Gesellschaft. In unserem Rückbezug auf historische Ereignisse kommen dabei auch verschiedene soziale Zugehörigkeiten zum Tragen, die mit einer kulturellen Prägung einhergehen. Die Vorstellung besteht darin, dass wir verschiedenen Gruppen angehören, die als Systeme auf Mikro-und Makroebene zu beschreiben sind. So mag eine Iranerin, die heute 40 Jahre alt ist und 1979 aus ihrer Heimat nach Deutschland geflüchtet ist, von ihren Erlebnissen als Mitglied ganz verschiedener Gruppen sprechen, die mit unterschiedlichen kulturellen Prägungen verbunden sind. Sie ist vielleicht Teil einer größeren Familie, die mit ihr aus dem Iran geflüchtet ist. Gleichzeitig gehört sie damit aber auch der Gemeinschaft von Exil-Iranern in Deutschland bzw. Europa an. Sie mag sich in einem übergeordneten Kontext solidarisch mit allen Flüchtlingen auf der Welt fühlen, die ihre Heimat aus politischen Klaus: Guter Lenin Böser Stalin? In: Berliner Zeitung, vom 15.09.2015; „Der gute Wladimir Lenin hatte das Regime geschaffen, um der Menschheit das ewige Regime zu bescheren, der böse Stalin hatte die Lehren des guten Lenin verraten. An diese Fabel zu glauben heißt indes, nichts von einem äußerst komplexen Kapitel der Geschichte zu verstehen.“, aus: Courtois, Stéphane: Spiegel des 20. Jahrhunderts: Terror gegen die Massen, in: Der Spiegel, Ausgabe 30/1999 vom 27.06.1999. 16 | Jörg Häntzschel: Gigantisches Gedenken, in: Sueddeutsche Zeitung (Online-Ausgabe), vom 07.09.2011.

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Gründen verlassen mussten, und sie mag sich mittlerweile auch als jemand fühlen, der starken Anteil an der deutschen Kultur genommen hat. Wenn sie über ihre Flucht spricht, wird sich ihre unterschiedliche kulturelle Prägung im kommunikativen Akt zeigen, während sich in der Kommunikation gleichzeitig ein kulturelles Erbe offenbart. Dies sind die wesentlichen Merkmale der sozialen Grammatik, die zum Tragen kommen können, wenn wir uns mit historischen Zusammenhängen auseinandersetzen. Dabei mögen sie nicht immer alle auftreten bzw. je nach historischem Kontext unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Je stärker ein historisches Geschehen für uns als Gesellschaft eine Bedeutung hat, je stärker wird es als Thema präsent und der Umgang mit ihm klareren Regeln unterworfen sein. Was Bedeutung für uns hat, hängt vermutlich stark davon ab, ob und inwieweit es eine Gruppenidentität schafft und stärkt. Dies steht in Bezug zu den angesprochenen Werten, die innerhalb einer Gemeinschaft vorherrschen und zu denen wir uns auf die eine oder andere Weise positionieren. Wir definieren uns sehr stark über sie – ob es dabei um einen ideologischen Mythos, von dem wir uns distanzieren, oder eine moralische Haltung, die wir vertreten, handelt. Welchen Regeln diese Identifikation unterliegt, d.h. nach welchen Kriterien sie sich vollzieht, ist nicht klar ersichtlich. So mögen Kinder überall auf der ganzen Welt Indianer und Cowboy spielen. Einige werden sich stärker mit dem Image des Indianers als dem „edlen Wilden“ identifizieren, anderen mag der Cowboy stärker als Identifikationsfläche dienen. Was sind die Gründe dafür sind, dass der eine mehr zum Indianer und der andere mehr zum Cowboy tendiert, ist nicht vollkommen transparent und müsste im Einzelfall untersucht werden. Es scheint einen gewissen Reiz zu haben, zur einen oder anderen Gruppe zu gehören. Übertragen vom Kinderspiel auf andere Kontexte von Gruppenzugehörigkeiten ist dies auch zu finden. Warum ist jemand St.Pauli-Fan? Einmal davon abgesehen, dass er Fußball mag und vielleicht die Spielweise dieses Vereins? Das Image des Freibeuters unter Piratenflagge scheint da mehr oder weniger subtil mitzuschwingen, vielleicht in einer Form von Auflehnung und Außenseiterdasein, die als anziehend empfunden wird. Warum gerade das attraktiv ist, ist schwer zu sagen, und wahrscheinlich Teil einer anderen Untersuchung. Interessant für die vorliegende Arbeit ist, dass es diese Formen von Identifikationen gibt, und sie geteilt werden. Erinnerungen dokumentieren die historische Entwicklung in ihrem zeitlichen Wandel, indem sie einen Bezug schaffen zwischen vergangenem Geschehen und Gegenwart. Sie bilden damit die Voraussetzung für die Möglichkeit der Entstehung eines geschichtlichen Bewusstseins.17 Aus dem jeweiligen Verständnis vergangenen Geschehens, das in Erinnerungen zum Ausdruck kommt, werden die Gründe dafür ersichtlich, warum die Zeitgenossen sich in der Reaktion auf bestimmte Ereignisse so verhielten, wie sie es taten. Die Entwicklung des anschließenden geschichtlichen 17 | Hölscher: Geschichte als „Erinnerungskultur“, S. 161.

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Verlaufs wird damit nachvollziehbar und verliert ihre Kontingenz.18 Das würde bedeuten, dass die Wahrnehmungen und Deutungen eines Ereignisses, wie sie in Erinnerungen enthalten sind, tatsächlich wirksam werden können, da sie die historische Entwicklung beeinflussen können. So könnte die Wahrnehmung des Ersten und Zweiten Weltkriegs als mörderische Selbstzerstörung Europas mit als ein entscheidender Impulsgeber für die Entwicklung der europäischen Integration gesehen werden, deren vorrangiges Ziel die Stabilisierung der friedlichen Beziehungen zwischen den europäischen Einzelstaaten war. Wahrnehmungen und die in ihnen enthaltenen Deutungen müssten demnach in ihrer Wirkungsmacht auf die realen historischen Verhältnisse auch als Faktum ernstgenommen werden. Dies scheint dafür zu sprechen, dass, selbst wenn uns alle Fakten über ein Geschehen bekannt wären, ohne die subjektive Wahrnehmung dieses Geschehens kein vollständiges Bild der historischen Wirklichkeit möglich wäre. Erst die Deutungen erheben bestimmte Ereignisse zu historisch relevanten Ereignissen. Damit soll die Darstellung eines Ereignisses nicht allein auf die Frage seiner Wahrnehmung zurückgeführt werden. Es soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass eine Trennung von realem Ereignis und seiner mentalen Verarbeitung nicht sinnvoll ist. Darüberhinaus ist dies auch nicht wirklich möglich. Die Unterscheidung hätte nur zur Folge, eine ältere Deutung eines Ereignisses durch eine neue zu ersetzen, die für sich in Anspruch nimmt, angemessener zu sein.19 Dies hebt aber nicht die Einheit von Ereignis und Deutung auf, sondern bekräftigt sie. Insofern könnte man vielleicht sagen, dass der Wert von Erinnerungen nicht in der Faktizität ihrer Inhalte, sondern in der Art und Weise liegt, wie sie das Vergangene wiedergeben. Es sind die subjektiven Wahrnehmungsmuster, die für die Geschichtswissenschaft von Interesse sind und dazu beitragen, einen größeren überindividuellen Zusammenhang zu erschließen. Wie nimmt ein Mensch Geschehnisse wahr, und wie gibt er sie im Austausch mit anderen weiter? Welche Hinweise gibt uns das auf das erzählte Geschehen? Welchen Einfluss hat es auf die Nachkommen und ihr Bild des Vergangenen? Wenn diese Überlegungen in der Geschichtswissenschaft Berücksichtigung fänden und als Ergänzung herkömmlicher Untersuchungsmethoden begriffen würden, könnte vielleicht ein vollständigeres, differenzierteres Bild des Vergangenen entstehen, das geschichtlichen Prozessen als menschlichen Handlungszusammenhängen gerechter würde. Die Subjektivität von Erinnerungen erschwert in diesem Verständnis nicht die Darstellung der historischen Geschehnisse, sondern ist konstitutiv für sie. Erinnern und Gedenken rücken als Träger den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt des Interesses. Seine Erfahrungen und die damit abgeglichenen sozial geprägten Deutungsmuster des Vergangenen können Einfluss auf die Gegenwart und Zukunft ausüben, wenn sie als „Richtschnur“ menschlichen Verhaltens be18 | Young, James E.: Zwischen Geschichte und Erinnerung, S. 52. 19 | Hölscher: Geschichte als „Erinnerungskultur“, S. 166.

Resümee

müht werden. So gilt vielen Menschen in der westlichen Welt beispielsweise die Finanzkrise, die mit der Immobilienkrise in den USA im Frühsommer 2007 begann und eine weltweite Banken-, Wirtschafts- und Finanzkrise nach sich zog, als eine Erfahrung, die sich nicht wiederholen „dürfe“. Die Erinnerung scheint auf diese Weise, den Handlungs- und Interpretationsrahmen abzustecken, in dessen Grenzen sich gegenwärtiges und künftiges Geschehen bewegt. Aus diesem Blickwinkel wirkt es so, als ob sich die Gegenwart stärker aus dem Zusammenhang vergangenen Geschehens erschließt als umgekehrt die Vergangenheit aus gegenwärtigen Zuständen. In diesem Zusammenhang treten deutlich normative Implikationen hervor. Wir scheinen eine gewisse Neigung zu haben, aus der Vergangenheit gewonnene Urteile zum moralischen Leitfaden für künftige Zeiten zu erklären.20 So bilden beispielsweise die Leidenserfahrungen von ethnischen Minderheiten, die in Hinblick auf den Holocaust in der vorliegenden Arbeit erwähnt wurden, aber auch anderer Volksgruppen, die aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit systematisch verfolgt und ermordet wurden, wie dies in Ruanda mit den Tutsi oder in der Türkei mit den Armeniern geschah, die Vorlage zur Erhebung allgemein verbindlicher Normen, die sich jedem Versuch historischer Relativierung entziehen. Umgekehrt können jedoch auch moralische Überzeugungen, die heute vorherrschend sind, die Sicht auf das Vergangene prägen. Wir kritisieren heute z.B. frühere Epochen anhand ihres Frauenbildes. Es scheint in dieser Hinsicht, eine gewisse Dialektik zu herrschen. Denn wir beziehen nicht nur moralische Leitlinien aus der Vergangenheit für die Gegenwart. Auch heutige Wertvorstellungen scheinen entscheidend dafür zu sein, wie wir vergangene historische Episoden sehen und beurteilen. Was wir als Geschichte begreifen, hängt wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, auch stark davon ab, welche Werte wir als Gesellschaft vertreten. In früheren geschichtstheoretischen Konzepten wird eine Vorstellung von Geschichte als einem sinnvollen Gesamtzusammenhang allen vergangenen und zukünftigen Weltgeschehens vertreten, der sich jenseits aller kulturellen Unterschiede auf eine abstrakte Menschheit bezieht. In dieser Sichtweise hat die Deutung des geschichtlichen Gesamtkontexts einer großen Weltgemeinschaft grundsätzlich immer Vorrang vor der Perspektive einer einzelnen Gruppe auf das Vergangene.21 Dieser Vorstellung einer ganzheitlichen Geschichte liegt die Annahme zugrunde, dass der historische Prozess einem geheimen Plan folgt und auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet ist. So deutet Karl Marx den geschichtlichen Prozess als Klassenkampf, der mit der Zerschlagung des kapitalistischen Systems in die klassenlose, 20 | Hölscher: Geschichte als „Erinnerungskultur“, S. 159. 21 | Diese Auffassung von Geschichte bildet sich im Zuge der Aufklärung seit dem 18. Jahrhundert heraus. Jedoch gibt es auch zuvor bereits geschichtliche Darstellungen, die sich als Universalgeschichten verstehen. Aus heutiger Sicht sind diese allerdings stets begrenzt auf bestimmte geographische oder kulturelle Räume. So stellt beispielsweise Velleius Paterculus seine Darstellung der römischen

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sozialistische Gesellschaft mündet. Vor dem Hintergrund dieses teleologischen Geschichtsbildes muss sich die Qualität eines historischen Urteils bewähren und am „wahren Sinn“ vergangener Ereignisse messen lassen, der sich entsprechend dieser Vorstellung im Zuge zunehmender zeitlicher Distanz offenbaren wird. Indem sich das historische Urteil in seiner Berechtigung erst noch erweisen muss, wird es in seinem Absolutheitsanspruch relativiert. Spätestens seit dem 20. Jahrhundert wird dem Gedanken eines übergeordneten Telos in der Geschichte allgemein mit Skepsis begegnet. Trotzdem scheinen wir immer noch das Bedürfnis zu haben, Geschichte teleologisch zu erzählen – so den Aufstieg und Fall Hitlers und seines Regimes beispielsweise. Wie kommt das? Das Geschichtsbild, das auf der Basis von Erinnern und Gedenken entsteht, bietet dafür eine mögliche Erklärung. Eine Deutung von Geschichte, in der Gedächtnis in seiner doppelten Bedeutung eine tragende Rolle spielt, trennt sich von der Idee einer sinnerfüllten, ganzheitlichen Geschichte. Es stehen Einzelperspektiven bestimmter sozialer Gruppen und Kulturen im Mittelpunkt der Untersuchung. Diese Geschichtsbilder beruhen wie beschrieben auf der Wechselwirkung von Erinnerungen und Formen des Gedenkens. In der Konsequenz bedeutet diese Art von Geschichtsdeutung einen Pluralismus verschiedener Entwürfe der Vergangenheit. Auf diese Weise wird „die Geschichte“ in viele „Geschichten“ aufgesplittert, die im extremsten Fall inhaltlich unvereinbar miteinander sein können. Die auf dem Gedächtnis basierenden Versionen des Vergangenen ergeben jeweils gegenwärtig, nicht aber im zeitlichen Wandel einen Sinnzusammenhang. Denn Erinnerungen und Formen des Gedenkens ergeben nur „Sinn“ und stellen Zusammenhänge her im Kontext der aktuellen historischen Fragestellung. Ein Geschichtsbild, das sich maßgeblich auf Gedächtnisinhalten gründet, bleibt damit insofern teleologischen Denkmustern verpflichtet, als dass das Vergangene immer zur gegenwärtigen Situation in einen „sinnvollen“ Bezug gesetzt wird. Die aus dem Gedächtnis hervorgehende Deutung des Vergangenen ist in ihrer Gültigkeit losgelöst vom in der Zukunft liegenden, übergeordneten Telos einer ganzheitlichen Geschichte. Der Maßstab ihrer Bewertung verschiebt sich in die Gegenwart und hängt von bestimmten Sinnkriterien ab, die vielleicht als Topoi bezeichnet werden könnten. So werden z.B. Übergriffe von Neonazis auf Ausländer in Deutschland häufig sehr stark im Kontext der nationalsozialistischen Verbrechen zwischen 1933-1945 bewertet. Die Sinnkriterien dieser Art stellen selbst sicher kein neues Phänomen dar, aber bei einem auf Erinnerung basierenden Geschichtsbild geraten diese in den Fokus der Untersuchung. Auf diese Weise wird das vermeintlich prognostische Vermögen früherer geschichtsGeschichte in einen größeren historischen Zusammenhang, der vom Ende des Trojanischen Krieges bis in seine Gegenwart 30 n.Chr. reicht. Polybios schreibt eine „Universalgeschichte“ Roms, die im Zeichen der römischen Eroberung des Mittelmeerraumes steht, und zwar vom Beginn des Ersten Punischen Krieges (264 v.Chr.) bis zur Zerstörung Karthagos (146 v.Chr.).

Resümee

theoretischer Konzepte preisgegeben. Bei einer auf dem Gedächtnis beruhenden historischen Betrachtung besteht die Gefahr, dass überlieferte Deutungsmuster und moralische Wertmaßstäbe so fixiert werden können, dass neue oder andere Erfahrungen und Deutungen der Vergangenheit nicht zugelassen werden. Erinnerung stellt eine notwendige Bedingung für die Auseinandersetzung mit Vergangenem dar, so dass sie die Geschichtswissenschaft unmittelbar betrifft. Dennoch scheint die „Legitimität von Erinnerung als wissenschaftlicher Kategorie“22 erst noch begründet werden zu müssen, damit sie als solche in den Geschichts- und Kulturwissenschaften akzeptiert wird. Erinnerung wird auch mit einer „Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Lebenswelt“23 verglichen. Mit Blick auf den vorliegenden Entwurf einer historischen Gedächtnistheorie könnte darin ihre besondere Stärke liegen.

22 | Wischermann, Clemens: Die Legitimität von Erinnerung und die Geschichtswissenschaft, Stuttgart 1996, S. 7. 23 | Haas: a.a.O., S. 32.

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Erinnern und Gedenken im Umgang mit dem Holocaust

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Literatur

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Erinnern und Gedenken im Umgang mit dem Holocaust

Witzeling, Klaus: Der 20.000 Stolperstein: Ein beispielloses Mahnmal, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 170, vom 24.07.2009, S. 6. Woldin, Philipp: Gravierender Vorwurf. Stolpersteine gedenken der Nazi-Opfer. Warum sind sie dann mit NS-Jargon beschriftet?, in: Die Zeit, Nr. 47, vom 30.11.2014 (Seitenzahl konnte nicht rekonstruiert werden). 20.000ster Stolperstein, in: Hamburger Wochenblatt für Eppendorf, Groß Borstel, Harvestehude und Umgebung, Nr. 31, 34. Jg., vom 28.07.2009, S. 1.

Fernsehen Aktion Stolperstein, in: Lokalzeit Ruhr, WDR, vom 31.03.2009. Boom, Gabi van den: „Ärger um die „Schmunzelsteine“, Lokalzeit Bergisches Land, WDR, 20.02.2008. Christian Becker: Stolpersteine werden hörbar, in; NDR Fernsehen, vom 13.11.2012. Die Gedenksteine des Gunter Demnig.“Ich bin da so hineingestolpert“, in: SWR TV, Menschen Unter Uns, vom 13.11.2011. Die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig und der Streit um das „richtige“ Gedenken an den Holocaust, in: ttt – Titel, Thesen, Temperamente, ARD, 24.08.2008. Frühjahrsputz für Stolpersteine, in: Tide TV, vom 05.05.2010. 35 Stolpersteine verlegt, in: Hamburg 1, vom 09.10.2009. Gegen das Vergessen II zum Film von Dörte Franke, in: Mosaik. Das Kulturmagazin, WDR 3, 05.11.2008. In den Weg gelegt. Die Stolpersteine des Gunter Demnig, in: 3sat, 23.01.2005. In den Weg gelegt. Die Stolpersteine des Gunter Demnig, in: phoenix, 27. und 29.01.2005. Keine Kunst: „Stolpersteine“ sind für das Finanzamt nur „Hinweisschilder“, ausgestrahlt in: Das Erste in der Sendung „Monitor“, vom 16.06.2011. Neue Stolpersteine vor Hamburger Ziviljustizgebäude, in: NDR Fernsehen, vom 03.08.2006. Schicksale der Stolpersteine, in: NDR Fernsehen, Hamburg Journal, vom 01.10. 2012. Stolperstein App für iPhone, in: Hamburg 1, vom 26.05.2010. Stolpersteine, in: Tide TV, vom 20.05.2009. Stolpersteine gegen das Vergessen, in: Lokalzeit aus Aachen, WDR, 16.01.2008. Stolpersteine in Hamburg: Biografien von NS-Opfern zum Anhören, in: Sat.1, Regionalnachrichten für Hamburg, vom 12.11.2012. Stolpersteine lassen Vergangenheit wieder aufleben, in: Vivo, 3sat, 13.09.2008. Stolpersteine und Angehörige: Ausstellung in Hamburg, in: Sat.1, Regionalnachrichten für Hamburg.

Literatur

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Hörfunk Datenbank erinnert an Opfer des Nationalsozialismus, in: NDR 90,3, vom 24.01.2008. Eine kurze Geschichte von Gunter Demnig und den Stolpersteinen, in: WDR 5, 25.04.2009. Engelin, Almuth: „Frühjahrsputz“, in: NDR info, 27.04.2007. Hefter, Bernd: Sigrid Wascher. Ein Leben hinter dem Stolperstein, in: SWR1, 25.01.2008. Klodt, Andreas: Anstöße, in: SWR1, 15.04.2009. Lettenbauer, Susanne: Holocaust-Gedenken: Stolperstein-Verbot spaltet München, in: Deutschlandradio Kultur, vom 05.02.2015. Abrufbar im Internet: http://www.deutschlandradiokultur.de/holocaust-gedenken-stolperstein-verbot-spaltet-muenchen.1001.de.html?dram:article_id=310784 [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. Rosbach, Jens: „Stolpersteine“ in Europa: Den Opfern Heimat zurückgeben, in: Deutschlandradio Kultur, vom 12.04.2015. „Versteinerte Vergangenheit. Denkmäler-Stolpersteine“ in: Matinee, SWR2, 14.09.2008. Vergessene Stolpersteine, in: NDR 90,3, 24.10.2006.

Internet https://www.axelspringer.de/presse/B.Z.-Kulturpreis-fuer-Christian-ThielemannFrank-Castorf-Gunter-Demnig-Katharina-Schuettler-Geschwister-Pfisterund-Rainer-Brandt_19775544.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. http://www.berliner-zeitung.de/archiv/franziska-van-almsick-stoesst-auf-dersuche-nach-sich-selbst-an-viele-ecken-und-kanten-ein-superstar-der-keinersein-will,10810590,8994872.html [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. http://www.bertini-preis.de/index.php/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. http://www.buendnis-toleranz.de/cms/beitrag/10028657/432988/ [zuletzt eingesehen am 27.09.2015]. http://www.chroniknet.de/dspl_de.0.html?photo=21863 [zuletzt eingesehen am 27.09.2015].

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Kulturwissenschaft María do Mar Castro Varela, Paul Mecheril (Hg.)

Die Dämonisierung der Anderen Rassismuskritik der Gegenwart 2016, 208 S., kart. 17,99 € (DE), 978-3-8376-3638-3 E-Book PDF: 15,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3638-7 EPUB: 15,99€ (DE), ISBN 978-3-7328-3638-3

Fatima El-Tayeb

Undeutsch Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft 2016, 256 S., kart. 19,99 € (DE), 978-3-8376-3074-9 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3074-3

Arianna Ferrari, Klaus Petrus (Hg.)

Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen 2015, 482 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-2232-4 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2232-8

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Kulturwissenschaft Rainer Guldin, Gustavo Bernardo

Vilém Flusser (1920–1991) Ein Leben in der Bodenlosigkeit. Biographie September 2017, 424 S., kart., zahlr. Abb. 34,99 € (DE), 978-3-8376-4064-9 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4064-3

Thomas Hecken, Moritz Baßler, Robin Curtis, Heinz Drügh, Mascha Jacobs, Nicolas Pethes, Katja Sabisch (Hg.)

POP Kultur & Kritik (Jg. 6, 2/2017) Oktober 2017, 176 S., kart., zahlr. Abb. 16,80 € (DE), 978-3-8376-3807-3 E-Book: 16,80 € (DE), ISBN 978-3-8394-3807-7

Sonja Hnilica, Elisabeth Timm (Hg.)

Das Einfamilienhaus Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 1/2017 Juli 2017, 176 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-3809-7 E-Book: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3809-1

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